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Full text of "Zeitschrift Für Medizinal Beamte 18.1905"

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THE 

GEORGE BURGESS MAGRATH 
LIBRARY 

OF-LEGAL MEDICINE 

FOUNDED IN HIS HONOR 

1933 


Harvard Medical Library 
in the Francis A.Countway 
Library of Medicine -Boston 


VERITATE/A per medici^am QUARAMüS 


r \ 














































ZEITSCHRIFT 

* 

für 

MEDIZIN AL-BEAMTE. 

- •»* - 

Zentralblatt für gerichtliebe Medizin and Psychiatrie, 
fr ärztüehe Saehyerstandigentatigteit in Unfall- and InraliditSts- 
ad«, »wie für Hygiene, öffentliches Sanitatswesen, Medizinal- 
Gesetzgebung n ad Rechtsprechung. 

Heraasgegeben 

von 

Dr. Otto Kapmund 

Reg.- und Geheimer Mfedizmalrat in Minden. 


XVIII. Jalirgang. 1908. 



Berlin W- 3S - 

FISCHEfi'S MEDIZIN- BUCHHANDLUNG. 

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H. 

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Kammer - Buchhindler. 


HARVARD MEDICAL ECHDOL 
LIBRARY OF LEGAL MECiCiNE 


J. O.G. Bruns, Herxogl. Sachs, u. Fürst). 8eh.-L. Hofbachdruckerci ln Minden, 




Inhalt. 


I« Original-Mitteilungen. 

A. Gerichtliche Itttdi. 8elu> 

Die Herzwanden, yom gerichtsärztlichen Standpunkt ans betrachtet. 

Dr. Richard Bernstein. 66 

Fremdkörper (Haarnadel) in der Blase einer geistesschwachen Epilep¬ 
tischen infolge von Masturbation. Dr. Stakemann. 89 

Die neuen preußischen Vorschriften vom 4. Januar 1905 ftlr das Ver- 


Deber einen interessanten Fall von Zwerchfellruptur mit */• Jahr später 

anschließender Pneumonie. Dr. TrOger.181 

Vermeintliche Notzucht. Dr. Bobert Thomalla.282 

Eine tödliche Vergiftung mit Salmiakgeist. Dr. Bomeick . . . . 282 

Aerztliche Gutachten bezüglich Wiederaufhebung einer Entmündigung. 

Dr. Carl Becker.887 

Ueber versuchten Eindesmord. Dr. Lewinsky.878 

Vergiftung mit Perubalsam mit tödlichem Ausgange. Dr. Deutsch 409 
Loftleere von Lunge und Darm bei der Leiche eines Neugeborenen, 
welches deutliche Atembewegurg und Herzaktion gezeigt hat. 

Dr. Wengler.418 

Tod durch Elektrizität. Dr. Burg.441 

Untersuchungen über die Empfindlidikeit einiger chemischer Kohlenoxyd¬ 
nachweismethoden. B. Grünzweig und A. Pachonski . . 444 

Beitrag zur Technik des Marx-Ehrenrothschen Verfahrens zur forensischen 

Unterscheidung von Menschen- und Tierblat. Dr. Kurt Ollendorff 449 
Schwere innere Verletzungen bei minimalen oder gänzlich fehlenden Lä¬ 
sionen der KOrperoberfläche. Dr. Emil Stern.660 

Unvollständige Doppelbildung des unteren Körperendee, Sinus urogeni- 

talia und Nabelbruch bei einem 16jährigen Knaben. Dr. M. Mayer 685 

Jodoformvergiftong oder Septikämie. Dr. Zelle.653 

Vergewaltigung im hysterischen Anfall? Dr. W Kürbitz.669 

Die Lebensproben, insbesondere die Magendarmprobe in den neuen 
preußischen Vorschriften für das Verfahren der Gerichtsärzte bei 
den gerichtlichen Untersuchungen menschlicher Leichen. Prof. 

Dr. E. Ungar.757 

Ueber Fäulnisverdauung. Carlo Ferrai.764 


B. Hygiene und öffentliches Sanltätawesen. 

Die Prophylaxe der puerperalen Wundinfektionskrankheiten nach den 

Vorschriften des preußischen Hebammenlehrbuches. Dr. Mann . 1 

Ueber den Paratyphus. Dr. F. Steinhaus .. 29 

Typhushäuser. Dr. Friedei. 38 

Erwiderung. Dr. Bichter. 40 

Ein Fall von Epilepsie. Dr. Oehmke. 41 






















IV 


Inhalt. 


Typhusuntersuchungen des Laboratoriums der Königlichen Begierung 

in Coblenz. Dr. Friedei . 61 

Deber bleihaltige Abziehbilder. Dr. Focke . 68 

Die zweite Beratung des preußischen Abgeordnetenhauses über den Ent¬ 
wurf eines Gesetzes, betr. die Bekämpfung übertragbarer Krank¬ 
heiten. Bpd. 68 

Ueber die Loosssche Lehre, betr. die Einwanderung der Ancbylostomum- 

Larven durch die Blaut. Dr. Tenholt . 91 

Die Bekämpfung der ansteckenden Krankheiten. Dr. Be re er. . . . 92 
Das neue Hebammeninstrumentarium. Prof. Dr. F. Ahlfeld . . . . 94 
III. Beratung des preuß. Abgeordnetenhauses über den Gesetzentwurf 

betr. die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten. Bpd. . . 97, 250 

Aus alten medizinischen Schriften. Dr. Neumann .134 

Bekämpf an g ansteckender Krankheiten. Dr. Heiß ler .174 

Ein Beitrag zur Entstehungsweise des Unterleibstyphus.176 

Zwei Typhusepidemien. Dr. Seiffert .178 

Einige Versuche mit einem neuen Apparat zur Wohnungsdesinfektion 

für stationären und transportablen Gebrauch. Dr. Engels . . 197 

'Die desinfektorische Wirkung des Formalins auf tuberkelbazillenhaltigen 
Lungenauswurf. (Versuche mit dem Boepkeschen Apparat zur 

WohnuDgsdesinfektion. Dr. E. Huhs .208 

Eine Paratyphusepidemie im Kreise Kreuznach. Dr. Lembko . . . 234 

Ueber die Meldepflicht von Kindbettfieber nach dem neuen Hebammen¬ 
lehrbuch. Dr. Nickel .242 

Zur Schulbankfrage. Oberbaurat a. D. W. Bettig .244 

Entgegnung auf den Artikel zur Schulbankfrage yon Oberbaurat a. D. 

W. Bettig. Dr. Schneider .248 

Ueber die yermeidbaren Impfschäden. Dr. Georgii .269 

Ueber einen neuen Lymphröbrenhalter. Dr. L. Hülsmeyer. . . . 280 
Ein Besteck zur sero-diagnostischen Blutentnahme. Dr. Friedei . . 281 

Buhrepidemie in Duisburg im Jahre 1904. Dr. Bahr .301 

Einige kurze Bemerkungen zu der Abhandlung des Herrn Kreisarztes Dr. 

Lembke: Eine Paratyphusepidemie im Kreise Kreuznach. Dr. Lentz 305 
Einige weitere Bemerkungen zu demselben Artikel. Dr. Friedei . * 306 

Die Hebammentasche. Dr. Bauer .307 

Die Schularztfrage in besonderer Beziehung zur amtlichen Tätigkeit der 


Bemerkungen zur Stellung der Kreisärzte. Dr. Arbeit .256 

Die Besoldung und Pensionierung der yollbesoldeten und nichtvollbe¬ 
soldeten Kreisärzte. Dr. Köhler .362 

Die Tuberkulose in der Schule, betrachtet yom Standpunkte des Medi- 

zinalbcamten. Dr. Bichter .399 

Die künstliche Ernährung der Säuglinge nach dem neuen Hebammen- 

Lehrbuche (§ 265). Dr. C. Scholz .416 

Theoretisches und Praktisches zur Formaldehyddesinfektion auf dem 

Lande. Dr. G. Werner .420 

Kurze Bemerkung zu dem Aufsatz yon Scholz über die künstliche Er¬ 
nährung der Säuglinge. Dr. Bichter .453 

Weitere Erörterungen über die „Meldepflicht bei Kindbetttieberfällen“ 
Ergänzung zu Dr. Nickels Aufsatz in Nr. 8 dieser Zeitschrift. 

Prof. Dr. Walther . 473 

Bemerkungen zu dem Aufsatz des Kreisassistenzarztes Dr. Werner in 
Marburg: Theoretisches und Praktisches zur Formaldehyddesinfek¬ 
tion auf dem Lande in Nr. 13 dieser Zeitschrift. Dr. Boepke. 480 
Ueber die Stellung der Kreisärzte in Elsaß-Lothringen. Dr. de Bary490, 511 

Ueber Formysol, ein neues Desinfiziens. Dr. Sch lieben .506 

Ein Besteck für die Blutentnahme bei typhusverdächtigen Personen. 

Dr. Fritz Kirstein .510 

Der Unterleibstyphus in Detmold im Sommer und Herbst 1904. Dr. 

Volkhausen .541 

Eine Paratyphusepidemie im Kreise Simmern. Dr. E. Vollmer. . . 588 

Noch einmal die Schulbankfrage. W. Bettig.592 
































Inhalt. 


V 


8eite. 

Wochenkarten Aber ansteckende Krankheiten an die praktischen Aerzte. 

Dr. Kirchgässer .621 

Einige Bemerkungen zur Bekämpfung des Kindbettfiebers. Dr. H e 1 w e s 622 
üeber die Handverk&alsabgabe von 10°/ o Opiamtinktur. Dr. Bichtcr . 676 

Zam Pemphigus neonatorum. Dr. Drcwes .690 

Zur Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit. Dr. Wegner . . . . 694 

Nochmals die Ausrüstung des ländlichen und kleinstädtischen Desinfek¬ 
tors mit dem Breslauer oder dem Boepkeschen Formalinapparat. 

Dr. Werner .... . . . .. 721 

Erwiderung auf vorstehenden Artikel Werners: Nochmals die Aus¬ 
rüstung usw. Dr. 0. Boepke .741 

Veronal-Vergiftungen. Dr. Friedei .770 

Berichtigung. Dr. Werner .773 

Der amtsärztliche Dienst bei einer Stromüberwachungsstelle. Dr. G. Bundt 789 

Mitteilungen von der Choleraüberwachungsstclle Brahemünde. Dr. 

Diering.799 


U. Kleinere Mitteilungen und Referate aus 
Zeitschriften u. s. w. 1 ) 

A. Geriohtliohe Medizin und Psyohlatrie. 

Weiteres über Kunstfehler in der Hebammenpraxis. Prof. Dr. H. 

Walther (Steinkopff). 13 

Die forensische Bedeutung des Puerperalfiebers. Dr. Köstlin (Steinkopff) 13 
Extrauteringravidität bei gleichzeitig bestehender Intrauteringravidität. 

Dr. Wiener (Waibel). 14 

Ueber den Nachweis des Kindes in der Gebärmutter mit Böntgen- 

strahlen. Dr. Alb er s (Dohrn). 15 

Ueber die Wirkung des Bleis auf die Gebärmutter. Dr. Lewin (Bäubor) 15 
Gefahren der Schultzeschen Schwingungen. Dr. Heng ge (Waibel) . 15 
Kasuistischer Beitrag zur Kenntnis der Gynäkomastie. Dr. Sommer 

(Waibel). 16 

Die Behandlung der Minderwertigen. Dr. jur. Hoegel (Hoppe)... 16 

Welche medizinischen Gesichtspunkte sprechen für die Einführung einer be¬ 
dingten Strafaussetzung u. Begnadigung. Prof. Dr. Gramer (Hoppe) 16 

Ueber Atropinvergiftung. Dr. Benno Holz (Bäuber). 44 

Untersuchungen zur Kohlenoxydvergiftung. Dr. Fr. Straßmann und 

Dr. A. Schulz (Bäuber). 45 

Ueber die Bolle der Peroxydase bei den mit dem Blute erhaltenen 

Farbenreaktionen. J. Moitessier (Mayer). 45 

Methämoglobinisirende Wirkung der Tannine. CL Gautier und M. 

Cor di er (Mayer). 46 

Pathogenese des Arterienateroms und Thyroidektomie. L. Lortat- 

Jacob und G. Sabareanu (Mayer). 46 

Ein sicheres Zeichen des eingetretenen Todes: Die saure Beaktion be¬ 
stimmter Eingeweide, besonders von Leber und Milz. Br iss e- 

moret und Ambard (Mayer). 46 

Krankheit und Vergiftung. L. Lewin (Bäuber).107 

Welche Bedeutung hat die Verfettung der Organe bei Vergiftungen? 

Paul Carnot und MUe. CI. Deflandre (Mayer).107 

Fettgehalt der Leber nach kurzdauernder Inanition. A. Gilbert und 

J. Jornier (Mayer).108 

Ein Fall von Situs inversus des Magens, Duodenums und der Milz bei 

einem 63jährigen weiblichen Individuum. Dr. Josef Halff (Waibel) 108 
Ueber gerichtsärztliche Polikliniken. Prof. Dr. Puppe (Troeger) . . 182 
Gerichtsärztliche Bedeutung der Strychnin-Vergiftung. Dr. Wilhelm 

Pflanz (Bump).182 

Ueber die hystologischen Veränderungen der Placenta bei der Snbliraat- 

vergiftung. Dr. H. Marx und Dr. A. Sorge (Ziemke) . . . 183 


*) Die Namen der Beferenten sind in Klammern beigefügt. 
























71 


Inhalt. 


Beit«. 

Ueber quantitativen Blutnachweis. Dr. A. Schulz (Ziemke) .... 188 

Ueber Konservirung von Organen und Org&ninbalt zu nachträglicher mikro¬ 
skopischer u. chemischer Untersuchung. Dr. A.Grigorjew (Ziemke) 188 

Thymusdrüse und plötzliche Todesfälle im Kindesalter. Dr. Zander 

und Dr. Key hl (Dohrn).265 

Ueber eine selten kleine, am Leben gebliebene Frühgeburt. Dr. Ober¬ 
warth (Dohrn).265 

Uebergang der Toxine von der Mutter auf die Frucht Dr. Schmidt- 

lechner (Dohrn).255 

Die angeblichen Gefahren und die sicheren Vorteile der künstlichen 
Atmung durch Schwingen des tief scheintoten Kindes. Dr. B. S. 
Schnitze und Beobachtungen über die Gefahren der Schultze¬ 
schen Schwingungen. Dr. G. Burckhard (Waibel) .... 256 

Ueber die quantitative Bestimmung des Luftgehaltes der Lungen, beson- 
sonders bei Neugeborenenen; eine Erweiterung der Lungen¬ 
schwimmprobe. Prof. Dr. Stumpf (Waibel).257 

Der Fall Berger und die ärztliche Sachverständigentätigkeit. Dr. Lepp- 

mann (Troeger).258 

Alkoholismus und Ehescheidung. Dr. Leppmann (Troeger) .... 259 

Alkoholismus und Ehescheidung. Prof. Dr. Fr. Straßmann (Troeger) 259 
Zur Abgrenzung der forensischen Alkoholparanoia. Dr. B a e ck e (Polfitz) 259 
Die Versorgung der geisteskranken Verbrecher mit Bemerkungen über 
die Wirksamkeit der Gefängnisirrenabteilungen in Preußen. Dr. 

Karl Heilbronn er und Bemerkungen hierzu. Dr. Sander, 

Dr. Näcke, Dr. Kunowski (Hoppe).260 

Aus der Praxis der vorläufigen Entlassung. Schwandner (Hoppe) . 263 

Von der Embryoktonie oder dem geflissentlichen Mißgebären. Plouc- 

quet (Mulert).283 

Ueber Lysolvergiftung. Dr. Lange (Dohrn).287 

Vergiftung mit Isosafrol. Dr. Waldvogel (Waibel).287 

Beitrag zum Studium der Lokalisation des Arseniks bei Vergiftung durch 

arsenige Säure. Ch. Blarez und G. Denigös (Mayer) . . . 288 

Ueber vollständige Ausscheidung des organischen Arsens nach Aufnahme 

als Natriummethylarsenat. L. Bart he (Mayer).288 

Elektrolytische Bestimmung kleiner Arsenmengen. C. Mai u. H. Curt 


Ueber durch Chloroform verursachte Lebensveränderungen. M. D o y o n, 

A. Morel und Billet (Mayer).289 

Heues über Strychninwirkung. Dr. M. Martin (Troeger).315 

Welches Volumen Leuchtgas muß man der Luft zufügen, um ein für 

Tiere toxisches Gemisch zu erhalten. Nestor Gr6hant . . . 315 

Bißverletzung zweier Aeste der Vena Baphena. Drohende Verblutung. 

Dr. Moritz Mayer .315 

Schadenersatz wegen Ansteckung mit Lungentuberkulose. Dr. K.Wolf 

(Ziemke).* . • • • 316 

Ein Fall von Chorea in forensischer Beziehung. Dr. Nerlieh (Troeger) 316 
Zur Differentialdiagnose der choreatischen Geistesstörung. Dr. L. 

Stuppel (Waibel).*.317 

Die Geistesstörungen der Epileptiker in gerichtlich - medizinischer Be¬ 
deutung. Dr. Helm (Hoffmann)., . . . . 817 

Ein Fall von Simulation epileptischer Krämpfe bei einem 13 jährigen 

Schulknaben. Dr. Aronheim (Waibel).318 

Eine neue Methode des Blutnachweises. Dr. Palleske .431 

Der gerichtsärztlicbe Nachweis des Todes durch Ertrinken. Dr. He¬ 
vens torf (Troeger). 432 

Weiterer Beitrag zur gerichtsärztlichen Diagnostik des Ertrinkungstodes. 

Dr. Bevenstorf (Waibel).433 

Ueber akute Phospborvergiftung vom gerichtsärztlichen Standpunkt. 

Dr. Klix (Rump).433 

Ueber einen Todesfall nach Anwendung der offixinellen Borsalbe bei 

einer Brandwunde. Dr. Dopfer (Waibel).434 

Innere Verletzungen. Dr. H. Hoffmann.434 


























Inhalt. VII 

Seit«* 

Ein Beitrag zur Lehre ron den feineren Gehirnveränderungen nach 

Schädeltranmen. Prof. Dr. M. Dinkler (Pollitz).436 

Ans der Begutachtung Marine- Angehöriger. Prof. Dr. £. Meyer (Pollitz) 435 
Zar Geschichte and Kritik der sogenannten psychischen Zwangszustünde. 

Dr. Wolfgang Warda (Pollitz).486 

Die Unterschrift der Paralytiker. Dr. Feilchenfeld (Troeger). . . 486 
Beiträge zur Lehre von der Epilepsie. Dr. J. Finkh (Pollitz) . . . 436 

Ein Beitrag znr Paranoiafrage Dr. 8iefert (Pollitz).437 

Das ätherische Senföl als Mittel zar Konservierung anatomischer Prä* 

parate. L. Dor (Mayer).519 

Ueber Quecksilber-Vergiftungen mit besonderer BerOcksichtignng der 
Sublimat-Vergiftungen vom gerichtsärztlichen Standpunkte. Dr. 

W. Wolf (Hofiinann).619 

Ein Fall von Erblindung nach Atoxylininjektionen bei Lichen rnber 

planus. Dr. Bornemann (Waibel).590 

Zur Frage der Folgeerscheinungen, namentlich aber der Krampfzustände 

nach Theopbyllingebrauch. Dr. Herrn. Schlesinger (Waibel) 520 

Arzneiexanthem nach Aspirin. Dr. Freund (Waibel).520 

Obduktionsbefunde bei Erhängten. Dr. Lochte (Ziemke).620 

Mord oder Selbstmord? Prof. S.Ottolenghiu.Dr.B. Ser ratrice (Ziemke) 621 

Angeborene Hyperplasie der einen Lunge bei gleichzeitiger Bildung der 

anderen. Dr. Erwin v. Gr aff (Waibel).521 

Die prophylaktische Anwendung von Sekalpräparaten während der Ge¬ 
burt. Dr. Prüsmann (Walther).522 

Drei in einem kurzen Zeitraum hintereinander in foro verhandelte Fälle 

von Puerperalfieber. Dr. Kob (Ziemke).522 

Ueber kriminellen Abort. Prof. Dr. Puppe (Walther).522 

Zar Kasuistik der Verletzungen der weiblichen äußeren Genitalien durch 

Sturz oder Stoß. Dr. Leers (Ziemke).528 

Zum § 176 des Strafgesetzbuchs. Dr. Hermann Kornfeld (Pollitz) . 524 

Die Sittlichkeitsverbrecher. F. Leppmann (Ziemke).524 

Ueber die zur strafrechtliehen Behandlung zurechnungsfähiger Minder¬ 
wertiger gemachten Vorschläge. Prof. Dr. Moeli (Pollitz) . . 524 

Die verminderte Zurechnungsfähigkeit. Prof. Dr. F. Straßmann (Ziemke) 625 
Chronische Paranoiker in verwaltuugs-, straf- und zivilrechtlicher Be¬ 
ziehung. Dr. L. W. Weber (Pollitz).525 

Die Geistesstörungen infolge von Kopftrauma in gerichtlich - medi¬ 
zinischer Beziehung. Dr. Martineck (Hoffmann).525 

Identifizierung der Leiche des amerikanischen Admirals Paul Jones, 113 

Jahre nach seinem Tode. Capitan und Pappillault (Mayer) 594 
Definitive Wiederbelebung durch subdiaphragmatische Herzmassage in 

einem Falle von anscheinendem Chloroformtod. L. Sencert (Mayer) 595 
Ist die Tragfähigkeit schwimmender Körper ein sicherer qualitativer 
oder quantitativer Nachweis und Beweis für ihren Luftgehalt. 

Dr. Fr. Schroen (Waibel) . ..596 

Ein gerichtlich-medizinischer Fall von Sturzgeburt. Dr. Feder- 

Schmidt (Waibel).596 

Ueber Schädelbrüche in gerichtsärztlicher Beziehung. Dr. Fritz Hoppe 

(Waibel).• . . . . 697 

Zur Kenntnis des Quinquaudschen Zeichens. Dr. Hof mann und Dr. 

Marx (Räuber).597 

Zur Bewertung des Tremors als Zeichen des Alkoholismus. Prof. Dr. 

Fürbringer (Räuber).598 

Das Bierdelirium. Prof. Dr. Hans Gadden (Pollitz).598 

Ueber hysterische Selbstverletzung. Dr. Christoph Müller (Waibel) . 598 

Zur Lehre vom hysterischen Irresein. Dr. Ra ecke (Pollitz) .... 599 
Simulation von Schmcrzanfällen bei einem Morphinisten. Dr. Nerlich 

(Pollitz).699 

Simulation von Geistesstörungen. Dr. Ernst Bischoff (Pollitz) . . 600, 601 
Ueber psychische Infektion (induziertes Irresein). Dr. Meyer (Pollitz) 600 
Zur klinischen Bewertung pathologischer Wanderzustände. Dr. C. 

v. Leupoldt (Pollitz).601 


























VIII 


Inhalt. 


Seite. 

Beitrag zur Frage der Spätgenesang von Psychosen. Dr. Jul. S i g e 1 (Pollitz) 601 
Untersuchungen über juvenile Demenz mit einem Heilerfolg. Dr. Georg 

Lohmer (Pollitz).602 

Ueber Gemeingefährlichkeit vom ärztlichen Standpunkte aas. Prof. Dr. 

Cramer (Prllitz).602 

Pulsierende Varizen an der Stirn bei abnormem Hirnsinns. Dr. F. 

Reiche (Waibel) ... *.625 

Die Erkennung der Blutverdttnnung Ertrunkener mittels Prüfung der 

elektrischen Leitfähigkeit des Sorums. Dr. Be venstor f (Troeger) 625 
Zur Diagnose des Erstickungstodes. Dr. Hugo Marx (Räuber) . . . 626 

Ertrinkungsgefahr und Rettungswesen an der See. Dr. E. Mar gulies 

(Räuber).626 

Die psychiatrischen und neurologischen Indikationen zur vorzeitigen Unter¬ 
brechung der Schwangerschaft. Dr. Otfried 0. Felln er (Hoffmann) 627 
Die forensisch - psychiatrische Bedeutung des Menstruationsvorganges. 

Prof. Dr. Wollenberg (Hoppe).628 

Die posthypnotischen Aufträge in ihrer psychiatrischen und juristischen 

Bedeutung. Dr. Oberndorfer u. Dr. jur.Steinharter (Rump) 628 
Die myastenische Paralyse vom Standpunkt der ärztlichen Sachverstän¬ 
digen aus. Prof. Dr. L. Bruns (Troeger).629 

Beitrag zur Lehre von der katatonischen Verrücktheit. Dr. A. Schott 

(Pollitz).629 

Zur Prophylaxe der Roheitsdelikte. Dr. Kürz (Hoppe).630 

Ueber Familienmord. Dr. v. Muralt (Hoppe).630 

Die Depressionszustände des höheren Alters. Dr. Rob. Gau pp (Waibel) 630 

Die akuten Gefängnispsychosen und ihre praktische Bedeutung. Dr. 

MönkemOller (Hoppe).631 

Fürsorge für Geisteskranke u England und Schottland. Prof. Dr. E. 

Meyer (Pollitz).632 

Praktische Erfahrungen bei Entmündigung Trunksüchtiger. Dr. Wehmer 

(Troeger).632 

Ueber Spätrezidive maligner Tumoren. L. Arnspeyer (Merkel) . . 699 

Ueber Strychnin-Vergiftung in gerichtlich-medizinischer Beziehung. 

Dr. R. Lücke (Hoffmann).699 

Schwierigkeiten bei der forensischen Begutachtung von zurückgeblie¬ 
benen Nachgeburtsteilen. Otto Küstner (Räuber).699 

Ein Fall von schon im Mutterleibe vollständig ausgebildeter Leichen¬ 
starre eines todtgeborenen Kindes. Dr. Müller (Rpd.) . . . 700 

Ueber chronische Alkoholpsychosen. Dr. Schröder (Schütte) . . . 701 

Der pathologische Ransch. Dr. Paul Schenk (Hoffmann).701 

Gibt es ein pathologisches Plagiat? Dr. Otto Julius bürg er (S. Kalischer) 701 

Ueber Sprachverwirrtheit. Dr. Stransky (Schütte).702 

Neurologische Untersuchungen von Radrennfahrern. Dr. S. Auerbach 

(S. Kalischer).702 

Wie beginnen Geisteskrankheiten? Dr. Br es ler (Schutte).702 

Die Königl. psychiatrische Klinik in München. Dr. Kraepelin (Schütte) 703 
Ueber Veronal (Dosierung und Idiosynkrasie). Dr. Otto Ludw. Kliene- 

berger (Waibel).773 

Ueber Pilzvergiftung. Dr. Th. A. Maaß (Räuber).774 

Die Rieglersche Blutprobe und ihr Wert für die gerichtliche Medizin. 

Dr. Palleske (Troeger).775 

Ein Fall von Akromegalie (Zerstörung der Hypophysis durch Blutung). 

Dr. Leopold Beibtreu (Waibel).776 

Ueber jugendliche Lügnerinnen. Dr. Horstmann (Troeger) .... 776 

Ueber Strafvollzugsunfähigkeit. Dr. F. Leppmann (Troeger) ... 776 


B. Sachverständigen-Tätigkeit ln Unfall- nnd Invalldltätssaohen. 

1. Gatachten nnd Referate. 

Kasuistischer Beitrag zur Unfallbegutachtung bei Fällen von Corpora 
oryzoidea der Fingerbeuger in Kombination mit Tuberkulose der 
Lungen. Dr. Köhler (Troeger). 17 


























Inkalt. 


IX 


Seite. 


Traumatische Lungenentzündung durch allgemeine Zusammendrückung 
(Kompression) des Brustkorbes, ohne eine bestimmt umschriebene, 
unmittelbare äußere Gew&lteinwirkung auf den Brustkorb. Prof. 

Dr. E. v. Leyden und Prof. Dr. F. Kraus (Obergutachten) . 18 
Zur Begutachtung Unfallverletzter. Dr. L. Becker (Trocger) . . . 137 
Ueber Unfallbegutachtung bei zweifelhafter Sachlage. Prof. Dr. R. Stern 

(Troeger).138 

Neue Vorschläge für die Feststellung des Grades der Erwerbsunfähigkeit. 

Hans Seelmann (Israel) . ..138 

Ueber den Begriff und die Möglichkeit des Nachweises der. wesentlichen 
Veränderung“ bei UnfallbyBterikern. Prof. Dr. Windscheid 

(Troeger).189 

Zur Würdigung des traumatischen Ursprungs akuter Infektionskrank¬ 
heiten. Dr. Fürbringer (Troeger).140 

Pneumonie und Unfall. Dr. Meyer (Troeger).141 

Sn Fall von traumatischer Lungenhernie ohne äußere Verletzung. Dr. 

Cahen (Waibel).142 

Syringomyelie und Trauma. Dr. W. Wild (Troeger).142 

Die Bedeutung des im Knie gelegenen Fettgewebes für die Unfall¬ 
heilkunde. Prof. Dr. Hoffa (Troeger).143 

Fußgelenksdistorsion als Todesursache; ein Beitrag zu Unfällen. Dr. 

Walter Fürstenheim (Waibel).148 

Ursächlicher Zusammenhang zwischen einem Beinbruch und eitrigen 

Blutschwären (Furunkulose) an dem verletzten Beine. Dr. L a s s a r 144 

Ursächlicher Zusammenhang zwischen einer einmaligen zu starken 
Böntgenbestrahlung einer Hand und einer an derselben anfgetretenen 

Krebsbildung. Dr. Benvers (Obergutachten).145 

Ueber traumatische Entstehung von Leistenbrüchen. Dr. Berner (Troeger) 146 
Zwei Fälle von isolierter Lähmung der Musculi rhomboidei nach Opera¬ 
tionen. Dr. Marcus (Troeger).818 

Ueber Nerven- und Geisteskrankheiten nach elektrischen Unfällen. Dr. 

A. Eulenburg (Räuber).319 

Ein Fall von Schrecklähmung. Dr. E. v. Leyden und Dr. Paul 

Lazarus (Räuber).819 

Ueber einen Fall von traumatischer Hysterie mit ungewöhnlicher Häufung 

von Symptomen. Dr. G. Fla tau (Troeger).320 

Ueber einen Fall traumatischer Nervenerkrankung mit Paralysis agitans 

ähnlichen Symptomen. Dr. G. Flat au (Troeger).320 

Ueber traumatische Herzklappenzerreißung. Eugen Fraenkel (Waibel) 820 
Beitrag zur Frage der Entstehung eines Aortenaneurysmas nach Unfall. 

Dr. Kr oh ne (Troeger).321 

Sn Fall von doppelter Aortenruptur durch Ueberanstrengung. Dr. 

A. Br unk (Troeger).321 

Entstehung einer sackartigen Erweiterung (Aneurysma) der Oberschenkel¬ 
blutader durch Unfall (Ausgleiten mit einem Faße beim Umkippen 
eines schwerbeladenen Lowrykastens) Prof. Dr. Thiem und Dr. 

Schmidt (Obergutachten).322 

Die Blitzgefahr für Personen. Prof. Dr. Hergesell (Obergutachten) 323 

Der Unterricht in der versicherungsrechtlichen Medizin. Prof. Dr. Stolper 453 

Zum Kapitel der Nichtbeeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit nach dem 
Unfall-Versicherungsgesetz nicht unterliegenden Verletzungsfolgen. 

Dr. Nonne (Troeger).454 


Erstickung durch Fremdkörper oder Kehlkopfverletzung? Betriebsunfall? 

Dr. E. Becker (Troeger).454 

Ueber renalpalpatorische Albuminurie und ihre Bedeutung für die Dia¬ 
gnose von Dystopien sowie von Tumoren im Abdomen. Prof. 

J. 8chreiber (Dohm).455 

Trauma und Diabetes melitus und Glykosurie. Prof. Dr. Kausch (Dohrn) 455 
Ueber das gleichzeitige Vorkommen von manifester Syphilis und Tabes. 

Dr. C. Adrian (Dohm).455 

Ueber die Bedeutung und den Wert der Arbeitsbehandlung Nervenkranker. 

Dr. Geißler (Waibel).456 



























X 


Inhalt 


Seite. 


Hysterische Unfallerkranknngen bei Telephonistinnen. Dr. Boehmig. 

(Waibel).456 

Aerztliches Obergatachten über den Gesandheitszastand des Arbeiters B. 

Prof. Dr. £ Hitzig (Poilitz).457 

Traumatische Geistesstörung. Idiop. all gern. Paralyse? Alkoholische 

Pseudoparalyse? Dr. H. Kornfeld (Troeger).526 

Ueber die versicherungsärztliche Untersuchung des Herzens. Dr. L. 

Feilchenfeld (Troeger).626 

Ueber die Ausbildung der Aerzte im Begutachtungswesen. Dr. E. Kör¬ 
ting (Troeger).602 

Taberkulindiagnosc in der Unfallbcgutachtung. Dr. F. Köhler (Troeger) 602 
Trauma und chirurgische Tuberkulose. Prof. Dr. Ledderhose (Troeger) 603 
Ein Fall von spontaner Subluxation der Hand nach unten. Dr. H. 

Schulze (Waibel).603 

Ueber entzündliche Fettgeschwülste an Knie und Fußgelenken. Dr. Knrl 

Gaugele (Waibel).604 

Ueber eine seltener vorkommende Kalkaneusfraktur. Dr. Marcus (Troeger) 604 
Tod einer Wöchnerin am Tage nach der Entbindung infolge von Hirn¬ 
embolie. Ursächlicher Zusammenhang mit einem etwa ein Jahr 
vorher infolge eines Betriebsunfalls aufgetretenen Herzleiden. 

Prof. Dr. Bumm .605 

Geschwulst im Kleinhirne; ob durch Einwirkungen von zweimaligem, 
sehr starken Kurzschluß, insbesondere durch die dabei eingetretene 
Schreckwirkung entstanden oder wesentlich verschlimmert? Prof. 

Dr. Flechsig .632 

Ueber Dementia paralytica nach Unfall. Dr. G. Beinhold (Kalischer) 703 

Nervendruckpunkte und Nervenmassage. Dr. E. Wullen weber (Troeger) 704 

Ueber ulcus ventriculi traumaticum. Dr. Fertig (Waibel).705 

Die rückständige Versicherungsmedizin. Dr. Go lim er (Troeger) . . 705 

Zwei seltene Fälle von subkutaner Sehnenzerreißung. Dr. F. B r ü n i n g 

(Waibel).777 

Ein seltener Fall von doppelseitiger Sackniero nach Trauma. Dr. 

Wolffhügel (Waibel).777 

Schwefelwasserstoffvergiftung als Unfallerkrankung. Prof. Dr. Für¬ 
bringer (Troeger).778 


8. Entscheidungen in Unfall- und Invaliditätssachen. 

1904. 14. Jan.: Ein Versicherter ist ohne trifftigen Grund nicht berech¬ 
tigt, das nach § 18 des Invalidenversicherungsgesetzes 
mit seiner Einwilligung eingeleitete Heilverfahren zu 
unterbrechen und die Krankenanstalt zu verlassen . . 147 

„ 23. April: Die Möglichkeit, daß ohne einen im Betrieb zugestossenen 

Unfall der Tod bei einem tuberkulösen Arbeiter nicht ganz 
so früh eingetreten sein würde, berechtigt nicht, das Ab¬ 
leben als durch den Betriebsunfall verursacht anzunehmen 146 
„ 27. Juli: Zur Befolgung des § 75, Abs. 3 des Unf.-Vers.-Ges. für 

Land und Forstwirtschaft, § 69, Abs. 8 des Gew.-Unf.- 
Vers.-Ges., genügt es nicht, daß die Berufsgenossenschaft 
dem behandelnden Arzte die Abgabe einer gutachtlichen 
Aeußerung anheimstellt; sie muß eine solche von ihm 
erfordern. — Sind nacheinander mehrere Aerzte in 


gleicher Weise an der Behandlung beteiligt gewesen, 
ohne daß einer für sich als der behandelnde Arzt an¬ 
gesehen werden kann, so kann die Uebergebung eines 
von ihnen einen die Zurückverweisung an die Berufs- 
genossenschaft rechtfertigenden wesentlichen Mangel 

des Verfahrens begründen.154 

22. Sept: Gebärmutter-Vorfall und Unfall.824 


1 ) Wo kein besonderer Vermerk gemacht ist, sind die nachstehenden 
Entscheidungen solche des Beichsversicherungsamts 


















Inhalt. 


ZI 


1904. 26. Sept.: 

. 3. Okt.: 

, 21 . . 

, 9. Noy. : 


15. » 
15. . 


„ 1. Dez.: 

, 9. Y 
, 15. , 

. 21 . ff 

, 22 . , 

1905. 4. Jan.: 

. n * 


11 . . 

4. Febr.: 


„ 2. März: 
, 8. April: 
- 12 * , : 


w 


25. 


9 


, 13. Mai: 

■» 20. n : 

• 2. Aug.: 


Tod durch Perforation eines Darmgeschwüres. Unfall 

verneint. 

Periodische Geistesstörung in Invalidenrentensachen. . 
Zum Begriff Uebergangs- oder Gewöhnungsrente . . . 
Gummibeine sind für Verletzte, welche auf Erwerb 
durch körperliche Arbeit angewiesen sind, im allge¬ 
meinen nicht zweckdienlich nnd demzufolge die Berufs¬ 
genossenschaft nicht zu ihrer Lieferung verpflichtet . 

Feststellung der Entschädigungen. 

Anweisung, betreffend das Verfahren vor den unteren 
Verwaltungsbehörden (§§ 57 bis 64 des Invaliden- 
Vers.-Ges.). (Erl. d. preuß. Min. f. Handel u. Gewerbe) 
Eine bloße Möglichkeit genügt nicht zum Beweise des 
ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem Unfälle 
und dem .Tode (infolge von Bauchfelltuberkulose). . . 
Grad der Erwerbsverminderung beim glatten Verlust 
des rechten Armes im unteren Drittel des Oberarmes 
Erwerbsverminderung liegt bei glattem Verlust des linken 

Mittelfingers nicht mehr vor. 

Erwerbsbeschränkung liegt bei glattem Verlust von 
l'/s Glied des rechten Mittelfingers nicht mehr vor. . 
Tod durch Lungenherzschlag infolge übermäßiger Hitze 
und Einatmen giftiger Gase; ursächlicher Zusammen¬ 
hang mit einem Unfall anerkannt. 

Grad der Erwerbsverminderung eines Kohlenhauers beim 
teilweisen Verlust der Sehkraft auf einem Auge . . 
Die Möglichkeit des ursächl. Zusammenhanges zwischen 
Unfall und Erkrankung genügt allein nicht zur Be¬ 
gründung eines Bentenanspruches. 

Ueber den wünschenswerten Inhalt der ärztlichen Gut¬ 
achten und der Muster dazu. 

Infektion als landwirtschaftlicher Betriebsunfall. Begriff 
Unfall (Württemb. Landesversicherungsamt) . . . . 
Grad der Erwerbsverminderung bei Verlust des linken 

Armes oberhalb des Ellenbogengelenks. 

Lungenblutung infolge schweren Hebens als Betriebsunfall 
Die Bedeutung ärztlicher Gutachten in Inv.-Vers.-Sachen 
Ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Schlaganfall 
und der Betriebstätigkeit. Betriebsunfall liegt vor . . 
Grad der Erwerbsverminderung bei Verlust des rechten 
Mittelfingers, fehlerhafter Hiütung und Schwäche des 

Zeigefingers. 

Erwerbsverminderung bei Verlust des linken Unter¬ 
schenkels an der Grenze des mittleren und oberen Drittels 
Grad der Erwerbsverminderung bei Verstauchung des 
Endgliedes des linken Daumens und freier Beweglich¬ 
keit des Grundgelenks. 

Die Berufsgenossenschaft hat den behandelnden Arzt 
nach erfolgloser Auf forderung zur Abgabe einer Aeußerung 
behufs Durchführung der Vorschrift im § 75, Abs. 3 des 
Unf.-Vers.-Ges. für Land- u. Forstwirtschaft nötigenfalls 
gerichtlich als Sachverständigen vernehmen zu lassen 


Seit«. 

146 

325 

314 


825 

148 

152 

458 

458 

527 

52S 

627 

467 

458 

825 

705 

527 

605 

605 

635 

636 
779 

779 


778 


0. Bakteriologie, Infektionskrankheiten, Hygiene nnd öffentliches 

Saul täts wesen >). 

Die Entstehung und das Wachstum des Hautkarzinoms, nebst Bemerkungen 
über die Entstehung der Geschwülste im allgemeinen. Dr. Borr- 

mann (Stolper) .... -. 20 

Beitrag zur Frage über die Durchgängigkeit der Darmwand für Mikro¬ 
organismen bei physiol. Verhältnissen. Dr. B. Klimenko (Engels) 21 


*) Die Namen der Beferenten sind in Klammern beigefügt. 













XII 


Inhalt. 


8#lte. 

Neue Entwickclungsformen des Choleraspirills und der Typhusbakterie. 

Prof. Ernst Almquist (Lentz). 22 

Le proc6d6 de Gambier pour la recherche du bacille typhique. Dr. LGon 
JacquA — Beitrag zur Frage des diagnostischen Wertes einiger 
Nährböden für die Typhusbakterien. S. Petkowitscb. — Beitrag 
zur Frage der Wirkung des Koffeins auf Typhus* und Kolibakterien. 

Dr. F. Kloumann (Lentz). 22 

Ueber das Vorkommen von Typhus* und Paratyphusbazillen bei Er¬ 
krankungen der Gallenwege. Dr. Blnmenthal (Waibel) . . 22 

Agglutination bei Autoinfektionen mit besonderer Berücksichtigung des 

Icterus. Dr. Lüdke (Dohrn). 23 

Zur Serumdiagnostik des Typhus abdominalis mittels des Fick ersehen 

Diagnostikums. Dr. Blum (Waibel). 24 

Zur Serumdiagnose des Typhus abdominalis mittels des Fick ersehen 

Diagnostikums. Dr. v. Tiling (Waibel). 24 

Einige Versuche über die Desinfektionswirkung des Saprols. J. Gör¬ 
bing (Lentz). 24 

Experimentelle Beiträge zur Wohnungsdesinfektion mit Formaldehyd. 

Dr. Engels (Lentz). 25 

Die Wirkung des Formalins auf die Milch und das Labferment. Dr. 

Ernst Löwenstein (Engels). 25 

Nahrung und Ernährung. Wilhelm Winternitz (Hoffmann) . ... 25 

Verbesserungen im Krankentransportwesen. Dr. Ernst Joseph (Troeger) 25 
Ein Krankenhaus auf genossenschaftlicher Grundlage. Dr. Lern bk e (Mayer) 26 
Embolia der Arteria mesenterica superior im Puerperium. Dr. C r a m e r 

(Walther). 47 

Lassen sich Infektionen mit tödlichem Ausgange in Entbindungsanstalten, 

die dem Lehrzwecke dienen, verhütenP Dr. Ahlfeld (Dohrn) . 47 
Ueber Serumbehandlung beim Puerperalfieber. Dr. E. Bumm (Räuber) 48 
Ueber die Gefahren der Sublimatanwcndung in der Geburtshilfe. Dr. 

To ff (Waibel). 49 

Ueber die Augenentzündung der Neugeborenen. Dr. Heß (Walther) . 49 

Augentropfgläser. Dr. Blokusewski (Rpd.). 60 

Die ätiologische Begründung der Pockendiagnose. Dr. Jürgens (Roepke) 109 
Die Pockenepidemie in Bochum im Jahre 1904. Dr. Springfeld (Dohrn) 110 

Kuhpockenlymphe und Tetanus. Dr. A. Carini (Lentz).110 

Die experimentelle Lyssadiagnose bei Fäulnis der eingesandten Nerven- 
zentren. Karl Nico Ile. — Die experimentelle Diagnose der 

Lyssa. Ch. Livon (Mayer).110 

Bericht über die Tätigkeit der Wutschutzabteilung am Königl. Preuß. 
Institut für Infektionskrankheiten zu Berlin im Jahre 1903. Dr. 

Schüder (Dohrn).111 

Zwei Fälle von Milzbrand. H. E. Edlin (Mayer).112 

Zur Bakteriologie der Ruhr. Dr. E. Rautenberg (Lentz) .... 112 

Ueber eine Kontaktepidemie von Ruhr in der Umgegend von Metz. Dr. 

H. Conradi (Lentz).112 

Ein Beitrag zur Lehre von der Vererbung der Syphilis. Dr. Jesi- 

oneck (Waibel).113 

Die Gonorrhoe der para-urethralen Gänge des Weibes. Dr. Pollak (Dohm) 114 

Infektion als Morgengabe. Dr. Schallmayer (Dohm).114 

Ueber Tropenkrankbeiten (Gelbes Fieber, Schlafkrankheit, Beriberi). Dr. 

B. Nocht (Pflanz).184 

Ueber die Trypanosomenkrankheiten. Robert Koch (Pflanz) .... 186 

Ueber die Wirkung von Malachitgrün nnd anderen verschiedenartigen 
Stoffen gegen Nagana-Trypanosomen bei weißen Ratten. Prof. 

H. Wendelstadt (Pflanz).188 

Ueber Chininprophylaxe in Neugninea. Dr. Wendland (Dohm) . . 188 

Bleivergiftung und Lymphozytengcbalt des Liquor cerebro-spinalis. 

Mosny und Malloisel (Mayer).189 

Die gewerbliche Hauterkrankung der Seidenhasplerinnen (Mal de bassine) 

nnd ihre experimentelle Erzeugung. F. Heim u. L. M. Pantrier 189 

(Mayer). 189 



























Inhalt. 


XIII 

Saite. 

Ueber das Bewahrungshaus in Düren. Dr. Flügge (Pollitz) .... 190 

Die Bedentnng der Verseuchung unserer öffentlichen Gewässer and der 
, hierdurch bewirkten Verbreitung des Typhus und des Milzbrandes. 

Dr. K r o h n e. (Israel)...289 

Ueber die für das Puerperalfieber in Betracht kommenden Mikroorganismen 
und die Prophylaxe der Krankheit vom sanitätspolizeilichen Stand« 

punkt. Dr. Hugo Marx (Israel).290 

Ueber die Primelkrankheit und andere durch Pflanzen verursachte Haut¬ 
entzündungen. Dr. Hoffmann (Weibel).291 

Nagelveränderungen nach Scharlach und Masern. Dr. Feer (Waibel) . 291 

Zur Kasuistik der kongenitalen Onychogryphosis. Dr. Müller (Waibel) 292 
Akzidentelle Vakzination der Nasenschleimhaut. Dr. Lublinski (Waibel) 292 
Ueber Prophylaxe und Therapie der Augeneiterung der Neugeborenen. 

Prof. Dr. B. G re eff (Pflanz) ..293 

Die Prostitution und die Dienstboten. Dr. W. Hanauer (Steinkopff) 294 
Die Gesetzgebung auf dem Gebiete der Infektionskrankheiten und der 

St&atsarzneikunde. Clark Bell (Mayer).296 

Der Laie und der Fachmann gegenüber den Problemen der öffentlichen 

Gesundheitspflege. J. Lederle, T. Sedgwick u. CI. Bell (Mayer) 296 
Beitrag zur bakteriologischen Untersuchung der Fleischkonserven. Prof. 

Dr. E. Pfuhl (Engels).32 

Untersuchungen über den Einfluß der Herstellung, Verpackung und des 
Kochsalzgehaltes der Butter auf ihre Haltbarkeit mit besonderer 
Berücksichtigung des Versands in die Tropen. Dr. A. K e r n (Bost) 826 
Untersuchungen über die Haltbarkeit der Magarine mit besonderer Be¬ 
rücksichtigung des Versands in die Tropen. Dr. A. Kraus (Bost) 327 
Ueber die Verwendung der schwefligen Säure als Konservierungsmittel, 
insbesondere den jetzigen Stand der Beurteilung geschwefelten 

Dörrobstes. A. Beythien (Symanski).827 

Ueber das Verhalten der schwefligen Säure in Nahrungs- und Genu߬ 
mitteln. W. K e r p (Symanski).328 

Zur Kenntnis der Blei-Zinnlegierungen. Dr. Otto Sackur . . . . 328 

Untersuchung der bleiglasierten irdenen Geschirre in sanitärer Hinsicht. 

Mag. J. M. Brückmann (Symanski).328 

Ueber Verwendung von Wassergas und anderen Gasen in Fabriken. 

(Gewerbl.Kohlenoxydvergiftung.) Dr.Arthur Whitelegge (Mayer) 329 
Welche Anforderungen sind vom hygienischen Standpunkte an die Unter¬ 
bringung der Mannschaften auf Kauffahrteischiffen zu stellen ? 

Dr. Karl Pfitz (Israel).830 

Verhütung der Selbstentzündung von Benzin. Bittmann (Bost) . . 330 

Die Taubstummen im Deutschen Beiche nach den Ergebnissen der Volks¬ 
zählung von 1900 (Bost).330 

Ueber Immunisierungsversuche gegen Tuberkulose. Prof. Dr. P. Baum¬ 
garten (Bäuber).393 

Ueber Kaltblütertuberkulose. Dr. E. Küster (Waibel).394 

Erfahrungen mit der Spengler sehen Formalinmethode zur Beinzüchtung 
von Tuberkelbazillen aus Bakteriengemischen. Dr. A. Dworetz- 

ky (Lentz).394 

Weitere Beiträge zur Frage des Einflusses hoher Temperaturen auf Tuber¬ 
kelbazillen in der Milch. Chr. Barthel und 0. Stenström (Lentz) 395 
Der Tuberkelbacillus im Blute nach Aufnahme infektiöser Nahrung. 

Ch. Bisanti und L. Panisset (Mayer).895 

Ueber Splittersputa Tuberkulöser. Dr. Carl Spengler (Engels) . . 395 

Kuhpockenlymphe und Tuberkulose. Dr. A. Carini (Lentz) .... 396 

Ueber den Einfluß der Inhalation schwefliger Säure auf die Entwicklung 

der Lungentuberkulose. Dr. Carl Kisskalt (Engels) .... 396 

Ueber Darmtuberkulose der Kinder in Waldenburg (Schl.). Dr. B. 

Bichter (Bäuber).896 

Verbreitung und Bekämpfung der Lungentuberkulose in der Stadt Posen. 

Prof. E. Wernicke (Lentz).396 

Ueber die Anzeigepflicht bei Tuberkulose. Prof. Dr. M. Kirchner (Lentz) 397 
Untersuchungen über die Möglichkeit der Uebertragung von Krankheits- 





















XIV 


Inhalt. 


fielt*. 

erregern. durch den gemeinsamen Abendmalskelch nebst Berner* 
kungen Aber die Wahrscheinlichkeit solcher Uebertragung and 
Vorschlägen za ihrer Vermeidung. Dr. 0. Boepke and Dr. E. 

Hass (Rpd.).397 

Taberkalose und Irrenanstalten. Dr. R. H. Hatchings (Mayer) . . 399 

Zur Verhütung des Paerperalfiebers. Dr. Heinrich Dörfler (Waibel) 399 
Hebammen-Lehrbuch nebst Bemerkangen über den Hebammenanterricht. 

Prof. Dr. Ahlfeld (Dohrn).400 

Pl&centalösung und Gummihandschuhe. Zugleich eine kurze Darstellung 
des jetzigen Standes der Lehre von der Händedesinfektion. Prof. 

Dr. Ahlfeld (Rpd.).401 

Seifenkresol contra Lysol. Prof. Dr. Ahlfeld (Rpd.).401 

Bakteriologische Untersuchungen zur Heißwasser*Alkoholdesinfektion. 

Prof. Dr. O. Sarvey (Rpd.).402 

Die Desinfektionskraft des käuflichen Liquor cresoli saponatus. Dr. H. 

Uebelmesser (Lentz).402 

Ueber den Desinfektionswert verschiedener Handelsmarken von Liquor 

cresoli saponatus des Deutschen Arzneibuches. Dr. F e h r s (Schmidt) 403 
Ueber berufliche Formalinonychien und -dermatiden. Dr. Galewsky 

(Waibel).403 

Ueber die Verhütung und Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten. Prof. 

Dr. Lese er (Dohrn).459 

Darf der Arzt zum außerehelichen Geschlechtsverkehr raten P Dr. 

Hirsch (Dohrn).459 

Ueber sexuelle Abstinenz. Dr. Loewenfeld (Dohrn).460 

Ueber die nationale Bedeutung unserer Enthaltsamkeitsbewegung. 'SDr. 

Rösler (Schenk).461 

Beitrag zur Kenntnis der Polyneuritis alcoholica. Ahlen (Schenk) . . 461 

Der Arzt und der Alkohol. Dr. Kassowitz (Schenk).461 

Trunksucht und Temperenz in den Vereinigt. Staaten. Dr. La qu er (Schenk) 461 

Ueber den Einfluß der Alkoholica auf die sekretorische und motorische 

Tätigkeit des Magens. Dr. Ernst Meyer (Schenk).462 

Ueber Alkohol als Nahrungsmittel. Dr. Go Idar d (Schenk) .... 462 

Untersuchungen alkoholfreier Getränke. Dr. R. Otto und B. Tol- 

macz (Symanski).463 

Ueber die Beurteilung des Wassers vom bakteriologischen Standpunkt. 

R. Emmerich (Symanski).463 

Der gegenwärtige Stand der Beurteilung von Trink* und Abwasser nach 

der chemischen Analyse. J. König (Symanski).463 

Die Trinkwasserversorgung und die Entwässerungs* und Abfuhranlagen, 
welche an im Gebirge gelegenen Badeorten erforderlich sind. Dr. 

Karl Kompe (Hoffmann).464 

Die Gärungsprobe bei 46° als Hilfsmittel bei der Trinkwasserunter- 

suchung. Prof. Dr. C. Eijkmann (Lentz).464 

Bedeutung der Untersuchung auf anaerobe Bakterien bei der Trink¬ 
wasseranalyse. H. Vincent (Mayer).465 

Nachweis und Bestimmung des Mangans im Trinkwasscr. G. Baumert 

und P. Huldefließ (Symanski).465 

Eine neue Methode zur Prüfung eines Trinkwassers auf Ammoniak. 

A. Trillat und Turchet (Mayer).466 

Milchhygienische Untersuchungen. Prof. Dr. Ko Ile (Dohrn) .... 466 

Ueber den Nachweis von Formol in der Milch. E. Nicolas (Mayer) . 467 

Ueber die Veränderungen der Zusammensetzung der Weine durch 
Schönen -mit Hausenblase, Gelatine Eiweiss und Spanischer Erde. 

Prof. Dr. K. Windisch und Dr. T. Röttgen (Symanski) . . 467 

Beitrag zur Untersuchung und Beurteilung kandierten Kaffees. Dr. E. 

Orth (Symanski).467 

Windpocken bei Erwachsenen. Dr. Mulert (Rpd.).493 

Zur Differentialdiagnose zwischen Variola u. Varizellen. P.Salmon (Mayer) 493 
Eine Diptherieepidemie in ursächlichem Zusammenhänge mit Kuhpocken. 

Dr. Wm. Robertson (Mayer).493 

Pockenbektmpfung in Togo. Dr. Külz (Dohrn).494 





























Inhalt. 


XV 

Seit«. 

Heber die Lesensdauer und Infektiosität der Pestbazillen in den Ka- 

davern von Pestratten. Dr. B. Otto (Lentz).494 

Nene epidemiologische Erfahrungen ftber die Pest in Egypten. Prof. Dr. 

Emil Gotschlich (Lentz).495 

Beobachtangen über eine Epidemie der tropischen Malaria in Mostar. 

Dr. Bichard Fi bisch (Waibel).,.495 

Beobachtungen über Rötelnepidemien. Dr. U. Bahr dt'(Waibel) . . 496 

Zur Verhütungjder epidemischen Cerebrospinalmeningitis. Dr. Otto Dorn- 

blüth (Waibel).496 

Ueber meine bisherigen Befunde bei der Genickstarre. Dr. Westen- 

hoeffer (Bpd.).496 

Meningismus typhosus xmd Meningothyphus. Dr. Stäubli (Dohrn) . . 497 

Beitrag zur Frage der agglutinierenden Eigenschaften des Serums Typhus¬ 
kranker auf Paratyphus- und verwandte Bakterien. Grünberg 

und Dr. Bolly (Waibel).498 

Zur Typhusdiagnose mittels des Typhusdiagnostikums von Ficker. Dr. 

Selter, Dr. Flatau, Dr. Wilke und Dr. Eichler (Waibel) 498 
ZnrTechnikderGruber-WidalschenBeaktion.Dr.Schotteliu8(Waibel) 498 
Endemisches Auftreten von myeloider Leukaemie. Dr. Ludwig Am- 

sperger (Waibel).499 

Die Milzbrandsporenbildung auf Fellen und ihre Desinfektion. Prof. 

E. v. Esmarch (Lentz).500 

Ueber Milzbrandantitoxin. Prof. Julio Mendez. — Beitrag zur Serum- 

behandlung bei Anthrax. Prof. Jva Ban di (Lentz).500 

Erfahrungen aus der Praxis mit einer neuen Methode zum Nach wehte 
von Milzbrand und weitere Untersuchungen darüber. .Dr. Marxer 

(Stoffels).500 

Die Widerstandsfähigkeit verschiedener Bakterienarten gegen Trocknung 
und die Aufbewahrung bakterienhaltigen Materials, insbesondere 
beim Seuchendienst und für gerichtlich - medizinische Zwecke. 

Prof. L. Heim (Merkel).628 

Ueber die Bakteriämie und die Bedeutung der bakteriologischen Blut¬ 
untersuchung für die Klinik. Dr. Georg Jochmann (Dohrn) . 528 

Zur Frage der Bakterizidie durch Alkohol. Dr. Victor Buß (Lentz) . 529 

Krebs und Sarkom am gleichen Menschen, Dr. H. Landau (Waibel) 529 
Die Heilung des Trachoms durch Badium. Pro! Dr. H. C o h n (Räuber) 530 

Der Säuglings-Skorbut in Berlin. H. Neumann (Bäuber).680 

Bemerkungen zur Ziehkinderfürsorge. Dr. Effler (Dohrn).530 

Stüllvermögen. Dr. G. Martin (Dohrn).530 

Ueber Luftverunreinigung, Wärmestauung und Lüftung in geschlossenen 

Bäumen. Prof. Dr. C. Flügge (Engels).631 

Das Verhalten Kranker gegenüber verunreinigter Wohnungsluft. Dr. 

W. Ercklentz (Engels).532 

Ueber den Einfluß wieder eingeatmeter Exspirationslult auf die Kohlen¬ 
säureabgabe. Dr. Brnno Hey mann (Engels).632 

Die Wirkungen der Luft bewohnter Bäume. Dr. L. Paul (Engels). . 532 

Ueber die Schutzmaßregein zur Verhütung von Berufskrankheiten der Ar¬ 
beiter bei Fabrikation mit Staubentwickelung. Dr. K. Zibell(Israel) 532 
Die chronische Vergiftung des Auges mit Blei. L. Lewin (Bäuber) . 533 

Beitrag zur Vereinfachung der Helligkeitsprüfung in geschlossenen 

Bäumen. Dr. Walter Albrand (Bäuber).534 

SchulärztLTätigkeitu. Augenuntersuchungen. Dr.Badziejewski(Dohrn) 534 
Die Aufgaben des Schularztes in augenhygienischer Hinsicht. Dr. 

Hübner (Dohrn).534 

Epileptische Schulkinder. Dr. W. Wey g an dt (Fritz Hoppe) .... 535 

Die Schwerhörigkeit in der Schule. Dr. Arthur Hartmann und Prof. 

Dr. Passow (Bpd.).535 

Versuch des Entwurfes eines Planes zur Entwicklung der Medizinal¬ 
reform in Preußen. Dr. Bichter (Troeger).637 

Die Besultate der prophylaktischen Impfung mit Diphihcrieheilserum 
im städtischen Mariahilf-Krankenhause zu Aachen. Prof. Dr. 

F. Wesener (Waibel).606 

























XVI 


Inhalt. 


Seite. 

(Jeher einige Beobachtangen während der diesjährigen Choleraepidemie 

in Stidraßland and rassich Mittel-Asien. Prof. M. Hahn (Räuber) 607 
(Jeher die agglutinierende Wirkung des Serams von Typhuskranken aal 
Paratyphasbazillen nebst Bemerkungen über makroskopische [und 
mikroskop. Serodiagnostik. Dr. Körte and Dr. Stein borg (Waibel) 608 
Typhasbazillen and hypertrophische Lebercirrhose. A. Gilbert and 

P. Lereboullet (Mayer).608 

Abdominaltyphus nach Austerngenaß. Haftpflicht einer Stadlgemeinde 

wegen fehlerhafter Kanalisationsanlage (Mayer).609 

Ueber Aasbreitangswege des Unterleibstyphus in ländlichen and gro߬ 
städtischen Verhältnissen. Dr. Franz Nesemann (Israel) . . 609 

Vorläufiger Bericht über das Vorkommen von Spirochaeten in syphiliti¬ 
schen Krankheitsprodakten and bei Papillomen. Dr. Fritz 

Schandinn and Dr. Erich Holfmann (Kost).610 

Ueber Spirochaete pallida bei Syphilis and die Unterschiede dieser Form 
gegenüber anderen Arten dieser Gattang. Dr. Fritz Schandinn 

and Dr. Hoffmann (Räuber).610 

Ueber das Vorkommen der Spirochaete pallida bei Syphilis. C. Fränkel 

(Waibel).610 

Untersuchungen über Schweineseuche mit besonderer Berücksichtigang 

der Immunitätsfrage. Prof. Dr. Beck and F. Koske (Rost) . 611 

Zar Frage der Uebertragbarkeit der Schweineseache auf Geflügel and der 

Geflügelcholera aal Schweine darch Verfütterang. F. Koske (Rost) 611 
Welche Veränderungen entstehen nach Einspritzong von Bakterien, 

Hefen, Schimmelpilzen und Bakteriengiften in die vordere Augen- 

kammer ? F. K o s k e (Rost).611 

Stadien über Säugetiertrypanosomen. S. Prowazek (Rost) .... 611 

Stadien über Strongyloides stercoralis (Bavay) (Anguillula intestinalis 
and stercoralis) nebst Bemerkungen über Ancylostomam duodenale. 

Otto Leichtenstern (Rost).612 

Cachexia and Tetania thyreopriva. Dr. Lanz (Fielitz).612 

Die behördliche Kontrolle der ansteckenden Krankheiten. Dr. Howard 

Wilkinson (Mayer).612 

Einige praktische Winke in bezug auf die Verwaltung von Isolier¬ 
hospitälern. A. Knyvett (Mayer).613 

Nenregelong der Anstellang and amtliche Stellung der Gesundheits¬ 
beamten and Sanitätsinspektoren in England (Mayer).614 

Nicht offizielle Leistungen aaf dem Gebiete der öffentlichen Gesundheits¬ 
pflege. A. S. Norman (Mayer).614 

Die hygienische Mitwirkung der Aerzte bei der Ausführung der deutschen 

sozialpolitischen Gesetzgebung. Dr. O. Schwartz (Troeger). . 615 

Ueber die Notwendigkeit der Errichtung eines Volkswohlfahrtsamtes. 

Dr. Rob. Behla (Hoffmann). ..615 

Farbentüchtigkeit im EiBenbahndienst. Dr. E. Schwächten (Troeger) 615 
Ueber den Einfluß der Ohrerkrankongen auf die Berufstätigkeit der 

Hebammen. Prof. Dr. Haag (Troeger).616 

Ueber die antiseptischen Eigenschaften des Rauches zuckerhaltiger 

Pflanzenstoö'e and ihre Ausnutzung. A. Trillat (Mayer). . . 617 

Ergebnisse der Prüfung der Sichler sehen „Sinacid - Butyrometrie“. 

Dr. M. Klassert (Symanski).617 

Die Durchgängigkeit des Magendarmkanals neugeborener Tiere für 

Bakterien und genaine Eiweißstoffe. Dr. A. Uffenheimer (Waibel) 636 

Ueber die Keimdichte der normalen Schleimhaut des Intestinaltraktus. 

Prof. M. Ficker (Lentz).687 

Der Einfluß hoher Temperaturen auf den Schmelzpunkt der Nährgelatine. 637 

Dr. Walter Gaehtgens (Lentz).687 

Experimentelle Beiträge zur Theorie und Praxis der Gruber-Widal- 

schen Agglutinationsprobe. Dr. Robert Scheller (Lentz). . . 637 

Ueber den Einfluß des Temperaturoptimums von 55 0 C. auf die Aggluti¬ 
nation beim Fick er sehen und Widalschen Versuche. Dr. 

Karl Sadler (Räuber).638 

Ueber die makroskopische Agglutiuationsprobe bei Typhoidfieber. Dr. 

G. Aaser (Räuber)., . 638 























Iika.lt. 


xvn 


Die vaiwaadeehaftlichen Beziehungen zwischen dem Bacillus iaecalis 
alkaligenes and dem Typhasbacillas. Dr. A. Doebert (Lentz) 
Typhasbacillas and Bacillas Iaecalis alkaligenes, zwei nicht verwandte 

Spedes. Dr. Richard Tromsdorff (Waibel). 

Ueber Raasenonterschiede von Typhusstämmen and Aber Hemmungs¬ 
körper im Seram in ihrer Bedeatang Ihr die G r aber-Widalsche 

Reaktion. Dr. Falta and Nocggerath (Dohrn). 

Kasuistischer Beitrag zar Pathologie des Typhös. Dr. Lentz . . 

Ueber chronische Typhosbazillenträger. Dr. Lentz .’ 

Weitere Mitteilungen über die Anreicherungsmethode für Typhös* nnd 
Paratyphusbazillen mittelst einer Vorkaltnr aaf Malachitgrün - 
agar. Dr. Lentz and Dr. Jalias Tietz. — Ueber die Grenzen 
der Verwendbarkeit des Malechitgrünagara zum Nachweise der 

Typhusbazillen im Stahle. Dr. K. Nowack (Lentz). 

Albuminarie bei Abdominaltyphas. Dr. Stolte (Dohrn). 

Ueber das Vorkommen von TyphnsbaziUen in der Gaile von Typhus* 
kranken and Typhusbazillenträgern. Prof. J. Förster and Dr. 

H. Kayser (Waibel). 

Untersuchungen über die Lebensdauer von TyphnsbaziUen im Aquariam- 

wnsser. Dr. W. Hollmann (Lentz). 

TyphnsbaziUen in dem Wasser eines H&usbrunnens. Dr. Edmund 

StrOszner (Lentz). 

Ueber die Bedeutung des Bacterium coli im Brunnenwasser. Dr. M. 

Kaiser (Lentz). % . . . . 

Brunnen* oder Kontaktepidemie P Dr. Lentz .. . . . 

Die Verhütung der Verbreitung des Typhös darch Wasserleitangsanlagen. 
Auf Grand der bisherigen Erfahrungen. Dr. Lücke (Hoffmann) 

Ueber Impfschatzverbände. Dr. Alfred Groth (Waibel). 

Ueber die von den Impfärzten za befolgenden Vorschriften. Dr. Solbrig 

(Hoffmann). 

Säuglingssterblichkeit und ihre Bekämpfung. Dr, Sohlegtendal (Solbrig) 
Ueber die Konservierung der Milch durch Wasserstoffsuperoxyd. Dr. 

Ernst Banmann (Waibel). 

Wie hat sich die Gesandheitspolizei gegenüber dem Verkanf pasteuri¬ 
sierter Milch zu steUen? Prot Dr. Ostertag (Teoeger) . . . 
Biologisches zur MUchpasteurisierung. Alexander Hippius (Dohrn) . 
Eine neue Methode zur Prüfung des Trinkwassers aul Ammoniak? Dr. 

Bathmann. — Erwiderung. Dr. Mayer . 

Zu Kenntnis der Meningitis cerebrospinalis epidemica. Dr. G ö p p e r t 

(Räuber). 

Pathologische Anatomie and Infektionsweg bei der Genickstarre. Dr. 

Westenhöffer (Räuber). 

Ueber die gegenwärtige Epidemie der Genickstarre und ihre Bekämpfung. 

Prof. Dr. M. Kirchner (Räuber). 

Beobachtun g en über die diesjährigen Fälle von Genickstarre. Prot Dr. 

Grawitz (Räuber). 

Ueber Augenztürungen bei der Genickstarre. Dr. Heine (Räuber) . . 
Ueber Meningitis cerebrospinalis epidemica. (Weichselbanmsehe 

Meningitis.) Dr. Hugo Schottmüller (Waibel). 

Die Dysenterie in KonstantinopeL Deycke u. Reschad Eff endi (Lentz) 
Ueber rohrartige Erkrankungen in Deutsch-Südwestafrika. Dr. Hille- 

breoht (Dohrn). 

Zwei seltene Beobachtungen bei Scharlach. Dr. L. Bleib treu (Waibel) 
Ueber den Einfluß des roten Lichtes auf Scharlaohkranke, welcher im 
Nürnberger Kinderhoepital beobachtet wurde. Dr. C n o p f (Waibel) 

Ehe Masernepidemie. Dr. Heißler (Waibel). 

Zu Aettologie der Pnenmonia crouposa. Dr. H. S c h o 11 m ü 11 e r (Waibel) 
Heuere Arbeiten über Epidemiologie der Tuberknlose. Dr. Kutscher 

(Räuber). 

Praktische Ergebnisse der neueren Forschungen über die Beziehungen 

zwischen der Meeschen- und Tiertnberknlose.. . 

Tuberkulose und Schwangerschaft. Dr. F. Reiche (Waibel) . . . . 


Seit«. 

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xviü 


Inhalt. 


Bakteriologische Untersuchungen bei gonorrhoischen Allgemeininfektionen. 

Dr. Proschaska (Dohrn).679 

Das preuß. Landesgesetz, betr. die Bekämpfung übertragbarer Krank¬ 
heiten (Preuß. Seuchengesetz). Dr. Martin eck (Hoffmann) . . 680 

Der Preußische Landesverein vom Boten Kreuz und die Bekämpfung 
von Seuchen gemäß Beichsgesetz vom 80. Juni 1900. Dr. Max 

Schuitze und C. A. Ewald (Bäuber).680 

Zur Schularztfrage in Hamburg. Dr. Fürst und Gerken (Sobrig) . 680 

Betrachtungen über schulärztliche Statistik und Vorschläge zur Herbei¬ 
führung einer Einheitlichkeit in derselben. Dr. Samosch (Solbrig) 680 
Physiologische und pathologische Beobachtungen in der Dorfschule. Dr. 

Kr ohne (Troeger).. . . 681 

Die Nervenkrankheiten der Schulkinder. Dr. P. Meyer (Bäuber) . . 681 

Die praktischen Schwierigkeiten bei der Befriedigung der hygienischen 

Forderungen an die Subsellien. Dr. Bostowzeff (Solbrig) . . 681 

Ein Beitrag zur Wachstumsphysiologie des Menschen. Dr. Alexander 

Koch-Hesse (Solbrig).682 

Die gesundheitlichen Mindestforderungen an Badeorte. Dr. Buge (Bäuber) 682 
Ueber die wirtschaftlichen und gesundheitlichen Verhältnisse der in nicht 
fabrikmäßig betriebenen Wäschereien, Bleichereien und Plättereien 

beschäftigten Personen. Dr. Moritz Fürst (Dohrn).682 

Ueber spontane Wacbstumshemmung der Bakterien infolge Selbst¬ 
vergiftung. Dr. Conradi und Dr. Kurpjuweit (Waibel) . . 706 

Augenerkrankungen und gastro-intestinale Autointoxikation. Friedrich 

Groyer (Waibel).706 

Corynebacterium pseudodiphthericum commune als Erreger eines Hirn¬ 
abszesses. Dr. Steinhaus .706 

Ueber Spirochaete pallida. G. Sobernheim u. Tomasczewski (Waibel) 707 
Der Streptokokkenbefund bei Variola und Varizellen in bezug auf ein 
differentialdiagnostisches Verfahren. Dr. H. De Woele und 

Dr. E. Sugg (Waibel).707 

Ueber zwei Malariaimpfungen. Dr. Max Glogner (Dohrn) .... 708 

Die Ursachen der Zunahme des landwirtschaftlichen Milzbrandes in Gro߬ 
britannien. Prof. Dr. Sheridan Del6pine (Mayer).708 

In welchem Moment wird das Gehirn von Menschen und Tieren, die von 
einem wutkranken Hunde gebissen sind, virulentP P. Bern- 

linger (Mayer).. . 709 

Ein neues Tuberkulosemittel. Prof. Dr. Behring .710 

Die neuen dänischen Tuberkulosegesetze. Dr. M. Salomon (Hoffmann) 713 
Ueber Maßnahmen und Verfahren zur Bekämpfung der Batten- und 

Mäuseplage. Prof. Dr. Wilhelm Kolle (Dohrn).. . 713 

Staubversengung bezw. Zersetzung auf Heizkörpern. Herbst (Solbrig) 714 

Ueber Bleistaub und Bleidämpfe. Prof. 0. Both (Merkel).715 

Die Hilfe für Giftarbeiter. L. Lewin (Bäuber).. . . 715 

Fortschritte auf dem Gebiete der Gewerbehygiene in England. Leonard 

Ward (Mayer).715 

Was lehrt uns die neueste bayerische Blindenstatistik P Dr. F. Salzer 

(Waibel).716 

Untersuchungen alkoholfreier Getränke (Berichtigung).748 

Ergänzungsblätter zum neuen Preußischen Hebammen-Lehrbuch (Aus¬ 
gabe 1904) (Bpd.). ...... 779 

Bemerkungen zu § 3 der Dienstanweisung für die Hebammen im König¬ 
reich Preußen. Dr. Liedke .783 

Ist die im § 318 des neuen Preußischen Hebammenlehrbuches 1904 aus¬ 
gesprochene Forderung, bei jeder Gesichtslage die Leitung der 
Geburt einem Arzte zu übergeben, gerechtfertigt P A. Zahn (Dohrn) 783 
Das neue englische Hebammengesetz. Dr. G. H. Fosbroke und Edward 

Sergeant (Mayer).784 

Kritische Bemerkungen zu dem neuen englischen Hebammengesetze. Dr. 

Edmund M. Smith (Mayer). 785 

Ein Beitrag zur Bekämpfung der großen Säuglingssterblichkeit. Dr. 

Max E b e r t (Dohrn). 785 

























Inhalt. XIX 

Seite. 

Ueber das Vorkommen von Spirochaeten bei syphilitischen and anderen 

Krankheitsprodakten. Paal Malger (Bäaber).806 

Die Spirochaeta vaccinae. Prof. Dr. Bonhoff (Bäaber).806 

Untersuchungen über die Vakzine. Dr. S. Prowazek (Bost). . . . 807 

Ein Fall von Meningokokken-Septikämie. Prof. Dr. Martini and Dr. 

B o h d e (Bäaber).,.807 

Die bakteriologische and klinische Diagnose bei den fibrinösen Ent¬ 
zündungen der oberen Luftwege. Prof. Gerber (Bäaber). . . 807 

Zar bakteriologischen Choleradiagnose. Der direkte Agglntinationsversach. 

Prof. Dr. Dan bar (Bäaber).808 

Ueber die praktische Leistangsfähigkeit diagnostischer Flüssigkeiten für 

typhoide Erkrankungen des Menschen. P. P. Klemens (Bäaber) 808 
Der Wert der einzelnen klinischen Symptome des Typhös abdominalis 

für die Diagnose. Prof. Dr. Treapel (Waibel).809 

Typhusepidemie unter Kindern im Schulbezirke der Stadt Deggendorf 

1904/1905. Dr. Tischler (Waibel).810 

Bakteriologische Beobachtungen bei einer Paratyphasepidemie. Dr. 

Alfred Schottelias (Waibel).810 

Ueber einen Fall von Infusorien - Enteritis. Dr. Nagel (Waibel) . . 811 

Meine Erfahrungen mit dem Antithyreoidin- Serum Möbius bei fünf 

Fällen yon Morbus Basedowii. Dr. Th. Schüler (Hoffmann). . 811 

Ueber Krankheiten, die dem Krebs yorangehen. E. y. Bergmann (Bäaber) 811 
Spielen die Krätzmilben eine Bolle bei der Verbreitung der Lepra? Dr. 

Ernst y. Baasewitz (Waibel). 812 

Was haben wir yon einer staatlichen Trachombek&mpfang za erwarten ? 

Prof. Dr. Greef (Bäaber).812 

Ergebnisse der amtlichen Pockentodesstastistik im Deutschen Beiche 
▼om Jahre 1903, nebst Anhang, betreffend die Pockenerkrankongen 

im Jahre 1903. Dr. Sannemann (Bost).812 

Die Ergebnisse des Impfgeschäfts im Deutschen Beiche für das Jahr 

1903. Dr. Sannemann (Bost).813 

Arbeiten ans dem Kaiserlichen Gesundheitsamt. Beferiert yon Bost. 

Beiträge zur Untersuchung yon Schweineschmalz und Butter. Dr. 

Edaard Polenske .. . 815 

Beiträge zur Untersuchung yon Schweineschmalz. Dr. E. Polenske 815 

Ueber Leukonie. Dr. P. Basenack .815 

Chemische Untersuchung der Zela-Masse. Dr. E. Polenske . . 815 

Fortsetzung der ehern. Untersuchung neuer, im Handel vorkommen- 
den Konservierungsmittel für Fleisch und Fleischwaren. Dr. E. 

Polenske .815 

Ueber den Nachweis yon Kupfer in Gemüsekonserven und Gurken 

mittels Eisen. Dr. G. Bieß .816 

Chemische Untersuchung eines unter dem Namen Frnktin (Honig¬ 
ersatz) im Handel befindlichen Präparates. Dr. G. Bieß . . . 816 

Die Ergebnisse einer biologischen Probeuntersuchung des Bheins. 

Prot Dr. B. Lauterborn.816 


III. Besprechungen. 1 ) 

Abel, Dr. Budolf: Taschenbuch für den bakteriologischen Praktikanten 

(Boepke).580 

Alexander, Dr. Carl: Geschlechtskrankheiten und Kurpfuscherei 

(Blokusewski).651 

Bardeleben, Prof. Dr. K. v.: Handbuch der Anatomie des Menschen (Bpd.) 684 

Baur, Dr. Alfred: Lehrbuch für den Samariterunterricht (Bump) . . 750 

Block, Dr. Felix: Wie schützen wir uns vor den Geschlechtskrank¬ 
heiten und deren üblen Folgen? (Blokusewski).652 

Brealer, Dr. Joh.: Die Bechtspraxis der Ehescheidung bei Geistes- 


*) Die Namen der Beferenten sind in Klammern beigefügt. 






















XX 


Inhalt. 


Seite. 

krankheit and Tranksacht seit Inkrafttreten des Bürgerlichen 

Gesetzbaches (Pollitz).683 

Branner, Grandriß der Krankenpflege für den Unterricht in den Dia¬ 
konissenanstalten usw. (Rump).751 

Calmette, A. and M. Breton: L’Ankylostomie (Tenholt) .... 651 

Daum, Dr.: Praktische Gebartshülfc (Walther).502 

Desing, Br. Ch.: Die Schalbankfrage (Roepke).581 

Dessaaer, Friedrich: Röntgenologisches Hilfsbach (Roepke) . . . 438 
Deutscher Hebammen'Kalender für 1906 (Blokasewski) . 788 

Dieudonn6, Prof. Dr. A.: Hygienische Maßregeln bei ansteckenden 

Krankheiten (Roepke).618 

Eberth, Prof. Dr. C. J.: Die männlichen Geschlechtsorgane (Rpd.). . 684 

Eschle, Dr. F. C. R.: Die krankhafte Willensschwäche und die Auf* 

gaben der erziehlichen Therapie (Pollitz).650 

Eulenburg, Prof. Dr. A.: Die Hysterie des Kindes (Pollitz). . . . 650 
Pfeiffer; Dr.: Jahresbericht über die Fortschritte and Leistungen auf 

dem Gebiete der Hygiene für das Jahr 1902 (Rpd.).500 

Feistmantel, Dr. C.: Trinkwasser und Infektionskrankheiten (Ramp) 333 
Feßler, Dr. Jalius: Taschenbach der Krankenpflege (Rump) .... 750 

Fick, Prof. Rudolf: Anatomie und Mechanik der Gelenke unter Be¬ 
rücksichtigung der bewegenden Muskeln (Rpd.).684 

Flinzer, Med.-Rat Dr. R.: Die Medizinalgesetjce and Verordnungen 

des Königsreichs Sachsen (Rpd.).817 

Fährmann, Dr. Manfred: Diagnostik und Prognostik der Geistes¬ 
krankheiten (Rump).297 

Gesundheitsbüchlein (Roepke).580 

Graack, Henry: Sammlung von deutschen und ausländischen Gesetzen 
and Verordnungen, die Bekämpfung der Kurpfuscherei and die 

Ausübung der Heilkunde betreffend (Roepke).581 

Gräber: Prot Dr. Max: Tuberkulose and Wohnungsnot (Roepke) . . 868 

Garwitz sch, Dr. Alexander: Morphologie u. Biologie der Zelle (Roepke) 438 
Gntmaon, Dr.: Bedeutung der Geschlechtskrankheiten für die Hygiene 

des Auges (Blokasewski).652 

Hammer, Dr. Wilhelm: Die gesundheitlichen Gefahren geschlechtlicher 

Enthaltsamkeit (Blokasewski).652 

Hecker, Dr. und Dr. S. Trampp: Atlas und Grundriß der Kinder¬ 
krankheiten (Rpd.).787 

Herzfeld, Dr. Georg: Handbuch der bahnärztlichen Praxis (Roepke). 227 
Heyn, B.: Ueber Besessenheitswahn bei geistigen Erkrankungszuständen 


H öl der, Dr. H. v.: Pathologische Anatomie der Gehirnerschütterung 

beim Menschen (Hoffmann).653 

Je Hin eck, Dr. S.: Elektropathologie (Roepke) .192 

Jürss, Dr. Fritz: Beiträge zur Kenntnis der Wirkungen einiger als 
Volksabortiva benutzten Pflanzen, Tanacetum, Thuja, Myristica 


Kraepelin, Dr. Emil: Einführung in die psychiatrische Klinik (Rump) 683 
Kratter, Dr. Julius: Beiträge zur Lehre von den Vergiftungen (Hoffmann) 684 
Krenzlin, Reg.-Rat: Das staatliche Aufsichtsrecht gegenüber zen¬ 
tralen Wasserleitungen in Preußen (Dütschke). 87 

Lehmanns m edizinische Handatlanten: siehe Lehmann, 
Neumann, Zuckerbrandl, Hecker, Trumpp. 

Lehmann, Prof. Dr.: Atlas und Grandriß der Bakteriologio und Lehr¬ 
buch der speziellen bakteriologischen Diagnostik (Engels) . . . 366 

Lesser, Dr. Adolf: Stereoskopischer gerichtsärztlicher Atlas (Rpd.) . 438 

Lenken, C.: Die Apothekengesetzgebung (Räuber).751 

Mann: Die Pflege der Wöchnerin und des Säuglings (Walther) . . . 501 

Marcuse, Dr. Max: Darf der Arzt zum außerehelichen Geschlechts¬ 
verkehr raten? (Blokusewski) ............. 652 

Mense, Dr. Carl: Handbuch der Tropenkrankheiton (Rpd.) .... 751 

Mez, Dr. Carl: Das Mikroskop und seine Anwendung (Roepke) . . . 501 

Meyers Großes Konversations-Lexikon (Roepke).687 



























Inhalt. 


XXI 

368 

Nauwerck, Pro L Dr. C.: Sektiönstechnik Ihr Stadicrende and Aerzte 

(Roepke).537 

Neuberger, Dr.: Die Verhütung der Qeschlechtskrankheiten (Blokosewski) 580 
Neamann, Dr.: Atlas and Qrandriß der Bakteriologie and Lehrbach 

der speziellen bakteriologischen Diagnostik (Engels).366 

Nenmaan, Dr. jar. Hugo: Die öffentliche rechtliche Stellung der 

Aerzte (Roepke).581 

Neamann, Dr. W.: Ueber den sogenannten Weiche elzopf (Roepke). . 537 

Ostertag, Dr. Robert: Handbuch der Fleischbeschau für Tierärzte, 

Aerzte und Richter (Roepke).581 

Pa hl, Dr. Gustav: Der österreichische Geriohtsarzt. Vademecum für 

die forensische Praxis für Aerzte and Juristen (Ramp) .... 618 

Pharmazie, Schale der: Bearbeitet von Dr. J. Holfert, Prof. Dr. 

H. Thoms, Dr. E. Mylius, Prof. Dr. E. Glig and Dr. K. F. 

Jordan (Ramp).718 

Prnasnitz, Dr. W.: Grandzüge der Hygiene anter Berücksichtigung 

der Gesetzgebung des Deutschen Reichs and Oesterreichs (Roepke) 681 
Proksch. J. R.: Beiträge zur Geschichte der Syphilis (Blokosewski) 652 
Rai mann, Dr. Emil: Die hysterischen Geistesstörungen (Pollitz) . 331 

Rambousek, Dr. J.: Luftverunreinigung and Ventilation mit beson¬ 
derer Rücksicht auf Industrie and Gewerbe (Roepke) .... 487 

Rapmand, Dr. 0.: Kalender für Medizinalbeamte (Fielitz) ... 50, 817 
Bei fi ig, Dr. Carl: Das ärztliche Handbach für Gesunde a. Kranke (Roepke) 61 

Ropp, Prot Dr. Carl: Das Geschlechtliche in der Jugenderziehung 

(Blokosewski).652 

Roth, Dr. E.: Kompendium der Gewerbekrankheiten and Einführung 

in die Gewerbenygiene (Rpd.).686 

Schelenz, Herrn.: Geschichte der Pharmazie (Gottschalk).367 

S ehmedding, A.: Die Gesetze, betr. Bekämpfung ansteckender Krank¬ 
heiten (Meyer).818 

Schroen Dr. Otto v.: Das neue Mikrobe der Lungenphthise und der 

Unterschied zwischen Tuberkulose u. Schwangerschaft (Roepke) 369 

Schroe ter; Das Fleischbeschaagesetz (Rpd.).686 

Sehweehten, Dr. Eisenbahnhygiene (Roepke).717 

8ommer, Prof. Dr.: Kriminalpsychologie and strafrechtliche Psycho¬ 
pathologie auf naturwissenschaftlicher Grundlage (Schütte). . . 638 

Stier, Dr. Ewald: Fahnenflucht und unerlaubte Entfernung (Pollitz) . 711 

8tuerz, Dr.: Praktisthe Anleitang zur Organisation von Fürsorgessellen 

für Lungenkranke and deren Familien (Engels).191 

Thompson, Helen Bradford: Vergleichende Psychologie der Geschlechter 

(Pollitz).650 

Trumpp, Dr. J.: Gesundheitspflege im Kindesalter. 52 

Trumpp; s. Heeker. 

Uhlenhat, Prof. Dr.: Das biologische Verfahren zar Erkennung und 
Unterscheidung von Menschen- and Tierblat, sowie anderer Eiweiß- 
substanzen und seine Anwendung in der forensischen Praxis (Ziemke) 749 
Urban, E.: Die gesetzlichen Bestimmungen über die Ankündigung von 
Geheimmitteln, Arzneimitteln und Heilmethoden im Deutschen 
Reiche einschließlich der Vorschriften über den Verkekr mit Ge- 

heimmittela (Rpd.).618 

W e v 1,' Dr. Theodor: Handbuch der Hygiene (Rpd.).437 

Wehmer, Dr. R.: Enzyklopädisches Handbuch der Schulhygiene (Rpd.) 438 
Zuckerkandl, Dr. Otto: Attas und Grundriß der chirurgischen Ope¬ 
rationslehre (Rpd.).787 


Tagesnachrichten. 

Ans dem Reichstage: 


Obligatorische Alters-'und Invalidenversicherung des Handwerks . 27 
Erörterung über die freie Aerztewahl, Leipziger Aerztestreik usw. 192 





















XXII 


Inhalt. 


Seite. 

Frage der Ausdehnung der Krankenkassenversicherung auf die Haus¬ 
industrie (Heimarbeiter) and landwirtschaftlichen Arbeiter . . . 192 

Vermehrung der Gewerbeaufsichtsbeamten, wirksamere Kontrolle der 
Kinderschutzgesetzgebung u. schärfere Vorschriften zum Schutz der 
Arbeiter in Betrieben mit höherer Gesundbeits- u. Vergiftungsgefahr 192 

Frage der Apothekenreform, rcichsgesetzliche Regelung des Verkehrs 
mit Geheimmitteln u. Beaufsichtigung des Verkehrs mit Nahrungs¬ 
und Genußmitteln.193 

Annahme der Resolutionen Aber Ausdehnung des Arbeiterschutzes 
auf die Hausindustrie, den sanitären Maximalarbeitstag in den 
Glashütten, größere Sonntagsruhe für Arbeiter und Vorsichtsma߬ 
regel für Verarbeitung giftiger und explosiver Stoffe.228 

Annahme der von der Intern. Sanitätskonferenz zu Paris abgeschlossenen 
Uebereinkunft betr. die Bekämpfung der Pest und der Cholera . 369 

Aus dem preußischen Landtage: 

Bericht über die Petition betr. die Neuregelung des Apothekenwesens 27 
Annahme des Antrages in der Kommission, betr. Schaffung eines 


Mitteilung über die Preisfestsetzung des Diphtherieserums . . . 156 

Schadloshaltung der zur Verfügung gestellten Kreisphysiker und 
Kreiswandärzte, Anregung der Frage betr. Regelung der Pensio¬ 
nierung der nicht vollbesoldeten Kreisärzte und Festsetzung einer 
Reisepauschalsumme; Inaussichtstellung eines Hebammengesetzes 

und Förderung der Wochenbettpflege.193 

Antrag auf gesetzliche Regelung der Fürsorge für mittellose 

geisteskranke und schwachsinnige Personen.228 

Seuchengesetz, Sicherung der Mitwirkung Rob. Kochs bei seinem 

Ausscheiden und Kinderheilkunde.264 

Auftreten der Genickstarre in Schlesien.265 

Beschluß einer Petition um Erlaß eines Gesetzes zum Schutz der 
Mineralquellen und um Verbesserung der Einkommen- und Alters¬ 
versorgungsverhältnisse der Hebammen.333 

Beratung des Gesetzentwurfs, betr. die Gebühren der Medizinalbe- 


Beratung des Gesetzentwurf betr. die Bekämpfung übertragbarer 


Interpellation betr. die Verunreinigung der Flüsse im hessischen Landtage 27 
Bakteriologische Untersuchungsstation zur Bekämpfung des Typhus in 

Neuen kirchen. 28 

Besprechung vorläufiger Maßnahmen zur Bekämpfung dep Typhus . . 28 

Gesundheitszustand der in den Gefängnissen der preuß. Justizverwal¬ 
tung untergebrachten Gefangenen während des Betriebsjahres 1902 . 28 

22. Kongreß für innere Medizin. 28 

Das preußische Medizinalwesen in dem Staatshaushaltsetat 1905/1906 52 

Errichtung einer ordentlichen Professur für Hygiene in Tübingen . 66, 333 


Hauptversammlung der Deutschen Gesellschaft für Volksbäder ... 66 

Denkschrift über eine Reform des Medizinalwesens in Elsaß-Lothringen 87,116 

Anstellung eines Stadtarztes in München. 87 

Vergütung der ärztlichen Sachverständigen für Teilnahme an den 

Sitzungen der Schiedsgerichte für Arbeiterversicherungen .... 87 

Vermächtnis an das Krebsforschungsinstitut in Heidelberg. 88 

26. Balneologenkongreß in Berlin .. 88 

77. Versammlung Deutscher Naturforscher n. Aerzte 88, 299, 371, 469, 664, 688 
Konferenz der Zentralstelle für Arbeiter-Wohlfahrtseinrichtungen . . 88 

Einladung zur intern. Regierungskonferenz für Arbeiterschutz in Bern . 88, 370 

Erscheinen des Statistischen Jahrbuchs für den preußischen Staat . . 88 

Bedeutung einer einwandsfreien Wasserversorgung.115 

Zustimmung des Bandesrats zu einer einheitlichen Arzneitaxe 115, 156,229, 819 

Beleidigungsprozeß (Dr. Pfeiffer).116 

Erörterung über die Stellung der Gefängnisärzte in Preußen .... 118 

Maßnahmen zur Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit in Berlin . . . 118 



















Inhalt. 


xxm 


Seite. 

Bildung eines Landeskomitees fttr Krebsforschung in Baden 118, in Bayern 408 


Kongreß der deutschen Gesellschaft f&r Chirurgie.* 119 

Böntgen- Kongreß.119 

I. Internationaler Kongreß gegen Alkoholismus.119 

VIL Internationaler Kongreß für Hydrologie, Klimatologie, Geologie 

und physikalische Therapie.120 

Preisausschreiben.120, 167, 408 

Feststellung eines Verzeichnisses von Krankheiten und Todesursachen . 166 

Neuordnung des Apothekenwesens in Sachsen-Weimar.166 

Zweiter Kongreß der Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung der Ge¬ 
schlechtskrankheiten .157 

IV. Kongreß der deutschen Gesellschaft für orthopädische Chirurgie . 157 

22. Kongreß für innere Medizin.157 

Einführung von Fortbildungskursen für die Oberamtsärzte und Alters¬ 
versorgung der Hebammen.* . . . 196 

Errichtung einer gemeinsamen Anstalt für geisteskranke Verbrecher in 

Thüringen.196 

Versammlung von Juristen und Aerzten in Stuttgart.196 

Versammlung des Deutschen Vereins für öffentl. Gesundheitspflege . 196, 664 
Bildung eines Vereins in Berlin: Gesellschaft für soziale Medizin, Hy¬ 
giene und Medizinalstatistik.196 

Bakteriologische Untersuchungstelle in Düsseldorf.229 

Bakteriologischer Kursus für die bayerischen Amtsärzte u&w.228 

Bekämpfung des Alkohols in Württemberg.228 

Epidemische Kopfgenickstarre. . 228, 297, 369, 408, 430, 471, 620, 663, 762 

Stand der Wurmkrankheit.228 

Freisprechung eines Kurpfuschers wegen Geisteskrankheit.229 

Hauptversammlung des Deutschen Apothekervereins. 229, 471, 683 

Ablehnung der Errichtung einer Akademie für praktische Medizin in 

Frankfurt a. M.333 

Der erste Fortbildungskurs für Sanitätsoffiziere und Medizinalbeamte an 

der Akademie für praktische Medizin in Köln.281 

Aufruf zum Wettbewerb zur Erlangung einer Anleitung zur richtigen 

Ernährung und Pflege der Säuglinge.266 

Hauptversammlung des Deutschen Vereins für Volksbäder .... 298, 720 
VI. Jahresversammlung des Deutschen Vereins für Schulgesundheitspflege 298 

Schenkung zu wissenschaftlichen Zwecken.299 

XXII. Hauptversammlung des Preußischen Medizinalbeamtenvereins . . 333 

Eröffnung des erweiterten hygienischen Instituts in Berlin.333 

Fortbildungskurse für die preußischen Kreistierärzte.333 

Begelung des Handels mit Giften im Großherzogtum Hessen .... 333 

Hy Versammlung des Deutschen Vereins für öffentl. Gesundheitspflege 334, 654 

Internationaler medizinischer Unfallkongreß in Lüttich.334 

Zugang der Grundsätze für Wasserversorgung beim Bundesrat . . . 369 

Vorschriften über den Verkehr mit Geheimmitteln usw.370 


9. Generalversammlung des Deutschen Zentralkomitees zur Errichtung 

von Heilstätten für Lungenkranke.370 

Knte Tagung der Deutschen Gesellschaft für gerichtliche Medizin . . 370 

VIL Deutscher Samaritertag . . . ...371 

Jahresversammlung Bayerischer Psychiater .371 

Zweite Landesversammlung des Bayerischen Medizinalbeamtenvereins . 407 

Znlasssung der Feuerbestattung im Herzogtum Meiningen.408 

Internationaler Tuberkulosekongreß in Paris. 408, 502, 688 

Zweiter Internationaler Kongreß für Milchwirtschaft. 408, 540 

Generalversammlung des Zentralkomitees für ärztl. Fortbildungswesen . 439 

Generalversammlung des Deutschen Vereins für Volkshygiene . . . 440 

Todesfälle: (Kreisassistenzarzt Dr. Wagner) 440; (Geh. Ob.-Med.-Bat 

Dr. Krieger) 440; San.-Bat Dr. Martens) 440; (Dr. Neetzke) 639 

Erhebungen, betreffend Arbeiterschutz.. 469 

Bekämpfung der aus der Verwendung von Blei drohenden Gesnndheitsgefabren 469 

Bitte an die Leser der Zeitschrift ..472 

Ban eines gerichtsärztlichen Instituts an der Universität Breslau . . 539 





































XXIV 


Inhalt. 


Seite. 

Bekanntmachung hinsichtl. der Prüfung für den ärztl. Staatsdienst in Bayern 689 

Dienstanweisung für die Hebammen in Hessen. 599, 752 

Psychiatrischer Fortbildungskursus in Uchtspringe.589 

7. Kongreß des Deutschen Vereins für Volks* und Jugendspiels . . . 540 

Verteilung des Preises für die beste Abhandlung über die Körnerkraakheit 540 

Cholera. 582, 619, 668, 688. 719, 752, 819 

Erster internationaler Kongreß für Psychiatrie und Neurologie. . . . 582 

Internationaler Kongreß über die Frage der Säuglingsmilchküchen . . 582 

X. Internationaler Kongreß gegen den Alkoholismus.588 

IV. Hauptversammlung des Deutschen Medizinalbeamtenvereins . . . 618 

Deutscher Verein für Armenpflege und Wohltätigkeit. 620, 654 

Jahresversammlung des Verbandes konditionierender Apotheker . . . 620 

10. Kriminalistische Vereinigung.658 

Gesundheits - Attaches. 655 

Gesetz, betr. die Bekämpfung ansteckender Krankheiten. 688, 719 

Personalien: (Reg.-u. Med.-Rat Dr. Abe 1) 688; (Dr. Köhler) 719; (Geh. 

Rat Prof. Dr. Koch) . 720, 819 

IV. Internationaler Kongreß für Versioherungsmedixin. 688, 819 

Stimmrecht der technischen Mitglieder der Regierungen.719 

Feuerbestattung in Sachsen.720 

Internationaler Kongreß für Gewerbekrankheiten.720 

Beschränkung des Handels mit Lysol.752 

82. Plenarsitzung des König!. Sächsischen Landesmedizinalkollegiums 752, 788 
Anwendung des § 45 (Stellvertretung) auch auf das Apothekergewerbe 752 

Jahressitzung des preußischen Aerztekammer-Ausschusses.758 

Zum Reichshaushaltsetat für 1906 . 788 

Errichtung eines Volkswohlfahrtsamtes.818 

Kosten für die medizinische Fakultät der Univerität Münster .... 819 

Kongreß zur Bekämpfung der ungesetzlichen Ausübung der Heilkunde. 820 
Notiz des Direktoriums der Versicherungskasse der Aerzte Deutschlands 820 


Y erscMedenes. 

Deutscher Medizinalbeamtenverein. 372, 508, 584 

Preußischer Medizinalbeamtenveroin. 56, 159, 268 

Bsyerischer Medizinalbeamtenverein. 267, 800, 834 

Württembergischer Medizinalbeamtenverein .800 


Sprechsaal . 120, 168, 299, 871, 472, 820 

Berichtigungen. 28, 88, 159, 268, 300, 372, 408, 640, 656, 766 

Neu eingegangene Bücher. 334, 758 


•H—H - 



























Sach - Register. 


iMMdultyphu, s. Typhös. 

Abendmalskelch, gemeinsamer, Ueber- 
tragung Ton Krankheitserregern 897. 

Abgeordnetenhaus, preußisches, Bera¬ 
tung Aber Seuchengesetz 70,97,196, 
250, 264, 404, 468; Aber Apotheken¬ 
wesen 27; Aber Volkswohlfahrt 118, 
266; Diphtherieserum 156; Stellung 
der Kreismedizinalbeamten 198 und 
deren Gebühren 404, 468; Heb- 
ammenwesen 193, 333; Fürsorge für 
Geisteskranke 228; Genickstarre 265; 
Mineralquellen 333. 

Abort, krimineller 522. 

Ahortivmittel 652. 

Abstinenz, sexuelle 460. 

Abziehbilder, bleihaltige 66. 

Agglutination beim Fischerschen und 
Widalschen Versuche 24, 498, 608, 
637, 638, 809; bei Autoinfektionen 
mit besonderer Berücksichtigung des 
Icterus 28. 

Akromegalie 776. 

Albuminurie bei Abdominaltyphus 642, 
renalpalpatorische 455. 

Alkohol und Arzt 461; als Nahrungs¬ 
mittel 462; sein Einfluß auf die Tätig¬ 
keit des Magens 462; Bakterizidle 
durch Alkohol 529. 

Alkoholismus und Ehescheidung 259, 
Bewertung des Tremors als Zeichen 
dafür 598. 

Alkoholparanoia, forensische, deren 
Abgrenzung 259. 

Alkoholpsychosen, chronische 701. 

Ammoniak, Prüfung des Trinkwassers 
auf 466, 647. 

Anatomie des Menschen, Lehrbuch 644. 

Anatomische Präparate, Konservie¬ 
rung 519. 

Anchylostomiasis 651; Strongyloides 
stercoralis 612: Einwanderung der 
Larven durch die Haut 91. 

Aneurysma der Aorta 321, der Ober- 
schenkelader 322. 

Ansteckende Krankheiten, s. Krank¬ 
heiten. 

Ansteckung mit Lungentuberkulose, 
Schadenersatz hierfür 816. 

Anthrax, 8erumbehandlungbeidies.500. 


Antithyreoidin • Serum bei Morbus Ba- 
sedowii 811. 

Anzeigepflicht bei Tuberkulose 397. 

Aorta, Aneurysma 321, Buptur 321. 

Apothekengesetzgebung 27, 751. 

Arm, Erwerbsverminderung beim Ver¬ 
lust eines Armes 458. 

Arsen, Ausscheidung als Natriumme- 
thylarsenat 288; elektrolytische Be¬ 
stimmung kleiner Mengen 289; Lo¬ 
kalisation bei Vergiftung durch 
arsenige Säure 288. 

Arterienatherom, Pathogenese 46. 

Arzneiexanthem nach Aspirin 520. 

Arzt und Alkohol 461, Ausbildung in 
der Sachverständigentätigkeit 602; 
hygienische Mitwirkung bei der so¬ 
zialpolitischen Gesetzgebung 615; 
Öffentliche rechtliche Stellung 581; 
behandelnder, Einforderung von Gut¬ 
achten in landwirtschaftlichen Un¬ 
fallsachen 154; Wochenkarten bei 
ansteckenden Krankheiten 621. 

Atlas, stereoskopischer, gerichtsärzt¬ 
licher 488, medizinischer 866, 787. 

Atmung, künstliche, Gefahren u. Vor¬ 
teile 15, 256. 

Atoxylinjektion, Erblindung darn. 520. 

Atropinvergiftung 44. 

Aufsichtsrecht, staatl. gegenüber zen¬ 
tralen Wasserleitungen in Preußen 86. 

Auge, Einfluß der chron. Bleivergif¬ 
tung auf dieses 533; Entzündung 
der Neugeborenen 49, 293; Erkran¬ 
kung und gastro- intestinale Auto¬ 
intoxikation 706. 

Augenkammer, vordere, Veränderung 
nach Einspritzung von Bakterien usw. 
611. 

Augentropfgläser 50. 

Augenuntersuchungen und schulärzt¬ 
liche Tätigkeit 534. 

Autoinfektion, Agglutination dabei mit 
besonderer Berücksichtigung des Ic¬ 
terus 28; gastro - intestinale und 
Augenerkrankung 706; und Wachs¬ 
tumshemmung der Bakterien 706. 

Bacillus faecalis alkaligenes u. Typhus¬ 
bacillus 638. 




XXVI 


Sach - Register. 


Bacteriom coli im Brunnenwasser 643. j 

Badeorte, hygienische Einrichtungen | 
464; gesundheitliche Mindestfor- j 
derungen 682. 

Bahnärztliche Praxis, Handbuch 227. i 

Bakterieaemie 528. I 

Bakterien, spontane Wachstumshem- j 
mung infolge Selbstvergiftung; anae¬ 
robe, bei Trinkwasser 465. 

Bakterienarten, Widerstandsfähigkeit 
verschiedener gegen Trocknung und | 
Aufbewahrung. 

Bakteriologie, Atlas u. Grundriß 366, j 
560; der Ruhr 112. 

Bakteriologische Untersuchungen zur 
Heißwasserdesinfektion 402; der 
Fleischkonserven 326. 

Bakterizidie durch Alkohol 529. 1 

Begnadigung und Strafaussetzung, be- , 
dingte 16. j 

Beinbruch und Furunkulose 144. 

Benzin, Verhütung seiner Selbstent¬ 
zündung 330. 

Berger, der Fall B. und die ärztliche 
Sachverständigentätigkeit 258. 

Beriberi 184. 

Besessenheitswahn bei geistigen Er¬ 
krankungszuständen 649. 

Betriebsunfall s. Unfall. 

Bezirksärzte, Bayer, und Schularzt- 
frage 342, 378. 

Bierdelirium, 598. 

Biologie und Morphologie der Zelle 438. 

Bißverletzung, Vena saphena, drohende 
Verblutung 315. 

Blase, Fremdkörper darin infolge von 
Masturbation 89. 

Bleichereien, gesundheitliche Verhält¬ 
nisse 682. 

Bleiglasierte irdene Geschirre 328. 

Bleistaub und Bleidämpfe 714. 

Bleivergiftung und Lymphozytengehalt 
des Lipuor cerebrospin. 189; Einfluß 
auf Gebärmutter 95; auf d. Auge533. 

Blei-Zinnlegierungen 328. 

Blindenstatistik, neueste bayerische 716. 

Blitzgefahr für Personen 323. 

Blutentnahme, Besteck zur sero-dia¬ 
gnostischen 281, 510. 

Blut, Nachweis, quantitativer 183; neue 
Methode 421; Rieglersche 776; Em¬ 
pfindlichkeiteiniger chemischer Nach¬ 
weismethoden von CO» Blut 444; 
Unterscheidung von Menschen- und 
Tierblut 749; Einfluß der Peroxydase 
bei den mit Blut erhaltenen Farben¬ 
reaktionen 45; Tuberkelbazillen im 
Blute nach Aufnahme infektiöser 
Nahrung 395. 

Borsalbe, Todesfall nach Anwendung 
bei einer Brandwunde 434. 

Brabemtinde, Choleraüberwachungs- 
stclle 799. 


Brandwunde, Todesfall nach Anwen¬ 
dung von Borsalbe 434. 

Brunnen- oder Eontaktepidemie 643. 

Butter, Untersuchungen über Kochsalz¬ 
gehalt 326; über Butter u. Schweine¬ 
schmalz 815. 

Butgeometrie 617. 

Cachexia u. Tetania thyreopriva 612. 

Cerebrospinalmcningitis, s. Meningitis 
cerebrospinalis. 

Chininprophylaxe in Neu-Guinea 188. 

Chloroform, Leberveränderungen durch 

diese 289. 

Cholera- und Typhusbazillen, neue Ent¬ 
wickelungsformen 22. 

Choleraepidemie in Südrußland 607. 

Choleraüberwachungsstelle Brahe- 
münde 799. 

Choleradiagnose, bakteriologische 808. 

Chorea, in forensischer Beziehung 316. 

Choreatische Geistesstörung, Differen¬ 
tialdiagnose 317. 

Corpora oryzoidea der Fingerbeuger 
und Unfallbegutachtung 17. 

Corynebacterium pseudodiphthericum 
commune als Erreger eines Hirn¬ 
abszess 706. 

Darm, und Lunge, Luftleere bei 
Leichen Neugeborener 413. 

Darmgeschwür und Unfall 146. 

Darmtuberkulose der Kinder in Wal¬ 
denburg 396. 

Darmwand, Durchgängigkeit für Mikro¬ 
organismen 21. 

Dementia paralytica nach Unfall 703; 
juvenile mit einem Heilerfolg 602. 

Depressionszustände des höheren Al¬ 
ters 630. 

Desinfektion, bakteriologische zur Heiß- 
wasser-Alkohol 402. 

Desinfektionsapparat, stationär und 
transportabler 197; mit Formalin 25, 
420, 480, 721, 741, 743. 

Desinfektionsmittel, Saprol 24, Liq. 
Cres. sapon. 402, 403, Formysol 606. 

Desinfektionswirkung des Formalins 
auf tuberkelbazillenhaltigen Lungen- 
auswurf 208. 

Detmold, Unterleibstyphus 1904das. 541 

Diabetes melitus und Glykosurie und 
Trauma 455. 

Dienstboten und Prostitution 294. 

Diphtherieepidemie in ursächlichem Zu¬ 
sammenhang mit Kuhpocken 493. 

Diphthericheilserom, prophylaktische 
Impfung 606. 

Dörrobst, Konservierung durch schwef¬ 
lige Säure 327. 

Doppelbildung, unvollständige des un¬ 
teren Körperendes 585. 

Düren, Bewahrungshaus 190. 



Sach - Register. 


XXVII 


Duisburg, Ruhrepidemie daselbst im 
Jahre 1904 301. 

Duodenum, Magen und Milz, Situs in- 
rersus 108. 

Dysenterie in Konstantinopel 673. 

Ehescheidung und Alkoholismus 259; 
bei Geisteskrankheit und Trunk* 
sucht 683. 

Ehe und Krankheiten 366. 

Ehrenroth-Marxsche Verfahren zur 
Unterscheidung yon Menschen- und 
Tierblnt 449. 

Eisenbahndienst, F&rbentüchtigkeit 
darin 615. 

Eisenbahnhygiene 717. 

Elektrische Unfälle, Nerven- u. Geistes¬ 
krankheiten nach diesen 319. 

Elektrizität, Tod durch diese 441. 

Elektrolytische Bestimmung kleiner 
Arsenmengen 289. 

Elektropathologie 192. 

Elsaß-Lothringen, Stellung der Kreis¬ 
ärzte daselbst 490, 611. 

Embolia der Arteria mesenterica supe- 
rior im Puerperium 47. 

Embryoktonie oder geflissentliches Mi߬ 
gebären 283. 

England, Neuregelung der Stellung des 
Gesundheitsbeamten 614; Fürsorge 
für Geisteskranke 632; Gewerbehy- 
giene 715 ^Hebammenwesen 784,785. 

Entbindungsanstalten, Wochenbett¬ 
infektionen in diesen 47. 

Enteritis durch Infusorien 811. 

Enthaltsamkeitsbewegung, nationale 
Bedeutung 461. 

Entmündigung, ärztliche Gutachten 
behufs Wiederaufhebung 337; Trunk¬ 
süchtiger 632. 

Epidemiologie, der Pest in Aegypten 
495; der Tuberkulose 676. 

Epilepsie, Fall 41, zur Lehre ders. 436; 
Geistesstörungen in gerichtl.-mediz. 
Bedeutung 317; bei Schulkindern 686; 
Masturbation und Fremdkörper in 
der Blase 89; Simulation yon epi¬ 
leptischen Krämpfen 318. 

Erblindung nach Atoxilinjektionen bei 
Lichen 520. 

Erhängte, Obduktionsbefund 520. 

Erkrankung und Unfall, Zusammen¬ 
hang behufs Begründung eines Ren¬ 
tenanspruchs 468. 

Ernährung und Nahrung 26; künst¬ 
liche, der Säuglinge 416, 458. 

Erstickungstod, Diagnose 626; durch 
Fremdkörper oder Kehlkopfver- 
letzung, Betriebsunfall? 464. 

Ertrinkungsgefahr und Rettungswesen 
an der 8ee 626. 

Ertrinkungstod, gerichtsärztliche Dia¬ 
gnostik 432, 488, 626. 


Erwerbsyerminderung, Feststellung des 
Grades 188; bei Verlust des linken 
Armes oberhalb des Ellenbogenge¬ 
lenks 527; bei glattem Verlust des 
Mittelfingers 627 , 528; bei Verlust 
des reehten Mittelfingers 636; des 
Endgliedes des linken Daumens 779; 
bei Verlust des linken Unterschen¬ 
kels 779. 


Extrauteringravidität bei gleichzeitiger 
Intrauteringravidität 14. 


Fachmann und Laie gegenüber den 
Problemen der öffentl. Gesundheits¬ 
pflege 296. 

Fäulnisverdauung 764. 

Fahnenflucht und unerlaubte Entfer¬ 
nung 716. 

Familienmord 630. 

Farbentüchtigkeit im Eisenbahndienst 
615. 

Fersenbein, seltene Fraktur dess. 604. 

Fettgehalt der Leber nach kurzdau¬ 
ernder Ination 108. 

Fettgeschwülste. entzündliche, an 
Knie- und Fußgelenken 604. 

Fettgewebe, am Knie und Unfall 143. 

Ficker, Typhusdiagnostikum24,498,638 

Fleischbeschau, Handbuch 581. 

Fleischbeschaugesetz 686. 

Fleischkonserven, bakteriologische Un¬ 
tersuchung 326, 327, 815. 

Flüsse, Verseuchung 289. 

Formaldehyddesinfektion 25, 420, 480, 
721, 741, 773. 

Formalin, Wirkung auf die Milch und 
das Labferment 25; auf tuberkel¬ 
bazillenhaltigen Lungenauswurf 208. 

Formalinmethode. Spenglersche, zur 
Reinzüchtung von Tuberkelbazillen 
aus Bakteriengemischen 394. 

Formalinonychien und -dermatiden, be¬ 
rufliche 403. 

Formol in der Milch 467. 

Formysol, neues Desinfiziens 506. 

Frühgeburt, eine selten kleine, am 
Leben gebliebene 255. 

Fruktin (Honigersatz), chemische Unter¬ 
suchung 816. 

Fürsorgestellen für Lungenkranke 191. 

Furunkulose und Beinbruch 144. 

Fußgelenkdistorsion als Todesursache, 
Unfall 143. 


Gallenwege, Typhus- u. Paratyphusba¬ 
zillen bei Erkrankungen derselben22. 

Gebärmutter, Wirkung des Bleies auf 
diese 15; Vorfall und Unfall 324. 

Geburt, prophylaktische Anwendung 
von Sekalpräparaten 532; prak¬ 
tische. Lehrbuch 502; 

Geburtshilfe, Gefahren der Sublimat¬ 
anwendung 49. 



XXVIII 


Sach-Register. 


Gefängnispsychosen, akute und ihre 
praktische Bedeutung 631. 

GeflOgelcholera, Uebertragbarkeit auf 
Schweine durch Verftttterung 611. 

Geheimmittel, Verkehr 618. 

Gehirnerschütterung, pathologische 
Anatomie 653. 

Gehirnveränderungen nach Schädel¬ 
trauma 435; Biß von wutkrankem 
Hunde 709. 

Geisteskranke, deren Fürsorge in Eng¬ 
land und Schottland 632; Verbrecher, 
Unterbringung in Gefängnisirren¬ 
abteilungen 260. 

Geisteskrankheiten, Diagnostik und 
Prognose 296; choreatische 317; der 
Epileptiker in forensischer Hinsicht 
317; hysterische 331; nach Kopf¬ 
trauma 325; periodische, bei ln- 
validenrentenbewerbern 325; Simu¬ 
lation 600, 601; Aetiologie 702. 

Geistesstörungen, s. Geisteskrankheiten. 

Gelbes Fieber 184. 

Gelenke, Knie- und Fuß-, entzündliche 
Fettgeschwülste an diesen 144, 604. 

Gemeingefährlichkeit vom ärztlichen 
Standpunkte aus 602. 

Genickstarre, s. Meningitis cerebro¬ 
spinalis. 

Genuß- und Nahrungsmittel, Verbalten 
der schwefligen Säure auf diese 328. 

Gerichtsärzte, Verfahren dieser bei 
Obduktionen 121, 161, 211; öster¬ 
reichische 617. 

Geschirre, bleiglasierte, irdene, ihre 
Untersuchung 328. 

Geschlechtliche Enthaltsamkeit 652. 

Geschlechtskrankheiten,Verhütung und 
Bekämpfung 459, 580. 

Geschlechtsverkehr, außerehelicher 459, 
652. 

Geschwülste, Entstehung 20. 

Gesundheitsamt, Kaiserliches, Arbeiten 
aus diesem 807. 

Gesundheitsbüchlein 580. 

Gesundheitspflege, öffentliche, nicht 
offizielle Leistungen auf dem Gebiete 
derselben 614. 

Getränke, Untersuchung alkoholfreier 
463, 748. 

Gewerbehygiene in England 715. 

Gewerbekrankheiten und Gewerbe¬ 
hygiene 686. 

Gewöhnungsrente oder Uebergangs- 
rente 324. 

Giftarbeiter, Hilfe für diese 715. 

Glykosurie und Trauma und Diabetes 
melitus 455. 

Gonorrhoe der para- urethralen Gänge 
des Weibes 114; gonorrhoische All¬ 
gemeininfektionen 679. 

Gruber • W idalsche Agglutinationsprobe 
24, 498, 637, 638, 639. 


Gummibeine für Verletzte, zur Be¬ 
schaffung sind Berufsgenossenschaf- 
ten nicht verpflichtet 325. 

Gummihandschuhe und Placentalösung 
401. 

Gutachten, ärztliches, behufs Wieder¬ 
aufhebung einer Entmündigung 337; 
Muster in UnfallBachen 325; Bedeu¬ 
tung in Invalidenversicherungs- 
Sachen 605. 

Gynäkomastie, kasuistischer Beitrag 
zur Kenntnis derselben 16. 

H&ndedesinfektionen, Placentalösung 
und Gummihandschuhe 401. 

Hamburg, Schularztfrage 680. 

Hautentzündungen, gewerbliche, der 
Seidenhasplerinnen 189; durch Pflan¬ 
zen verursachte und Primelkrank¬ 
heit 291. 

Hautkarzinom, Entstehung u. Wachs¬ 
tum 20. 

Hebammen, Dienstanweisung (Preußen) 
783; Einfluß der Ohrenerkrankungen 
auf ihre Berufstätigkeit 616. 

Hebammenkalender 786. 

Hebammenlehrbuch, künstliche Ernäh¬ 
rung der Säuglinge 416; Prophylaxe 
der Wundinfektionskrankheiten 1; 
Meldepflicht bei Kindbettfieber 242; 
Unterricht 460; Ergänzungen 779, 
783. 

Hebammenpraxis, Kunstfehler in der¬ 
selben 13. 

Hebammentasche 94, 307. 

Hebammenunterricht 400. 

Hebammenwesen, Beform 750; eng¬ 
lisches 784, 785. 

Heilverfahren, Nichtberechtigung eines 
Versicherten zu dessen U nterbrechung 
147. 

Heißwasser - Alkoholdesinfektion 402. 

Helligkeitsprüfung in geschlossenen 
Bäumen 534. 

Hernie der Lunge und Trauma 142; 
der Leisten und Trauma 146. 

Herz, versicherungsärztliche Unter¬ 
suchung desselben 526. 

Herzklappenzerreißung, traumat. 320. 

Herzmassage, subdiaphragmatische, 
behufs Wiederbelebung von anschei¬ 
nendem Chloroformtod 595. 

Herzwunden, vom gerichtsärztlichen 
Standpunkte aus 57. 

Hirnabszeß, Corynebacterium pseudo- 
diphthericum commune als Erreger 
706. 

Hirnembolie, Tod einer Wöchnerin da¬ 
durch 605. 

Hirnsinus, abnormer, pulsierende Va¬ 
rizen an der Stirn dabei 625. 

Hüftgelenksmuskeln. Tod durch Deh¬ 
nung derselben 147. 



Sach« Register. 


XXIX 


Hygiene, soziale 487; Jahresbericht ' 
über die Fortschritte nsw. (1902) 
500; Grundzftge 581. 

Hyperplasie, angeborene, der einen 
Longe 521. 

Hysterie des Kindes 650; nach Unfall 
189, 320, hysterische Geistesstörun¬ 
gen 831, 599; bei Telephonistinnen 
456; Selbstverletzung 598; Verge¬ 
waltigung im hysterischen Anfall 663. 

Icterus, durch Autoinfektionen 23. 
Identifizierung einer Leiche 113 Jahre 
nach dem Tode 594. 
ImmunisierungsTersuche gegen Tuber¬ 
kulose 393. 

Immunität und Infektion 368. 
Immunitätsfrage bei der Schweine¬ 
seuche 611. 

Impfärzte, Vorschriften für diese 645. 
Impfgeschäft im Deutschen Beiche 
1903 813. 

Impfschäden, vermeidbare 269. 
Impfschutzverbände 644. 

Impfung, prophylaktische, gegen Diph¬ 
therie 606. 

Ination, Fettgehalt der Leber nach 
dieser 108. 

Infektion und Immunität 368; psychi¬ 
sche (induziertes Irresein) 600; als 
Morgengabe 114. 

Infektionskrankheiten, s. Krankheiten. 
Infusorien - Enteritis 811. 

Inhalation von schwefliger Säure, ihr 
Einfluß auf Lungentuberkulose 396. 
Intestinaltraktus, Keimdichte seiner 
Schleimhaut 637. 

Invalidenrentenbewerber, Nichtberech¬ 
tigung zur Unterbrechung des Heil¬ 
verfahrens 147; periodische Geistes¬ 
störung 325. 

Invalidenversicherung, Anweisung für 
das Verfahren bei den unteren Ver¬ 
waltungsbehörden 152; Bedeutung 
ärztlicher Gutachten 605. 
Jodoformvergiftung od. Septikämie 657. 
Irrenanstalten und Tuberkulose 399. 
Irresein, hysterisches 599. 
Isolierhospitäler, Winke betreffs ihrer 
Verwaltung 613. 

Isosafrol, Vergiftung hiermit 287. 

Kaffee, kandierter, Untersuchung und 
Beurteilung 467. 

Kanalisation, fehlerhafte, aus Ursache 
des Typhus nach Austerngenuß 609. 
Ksdtblfitertuberkulose 394. 
Kauffahrteischiffe, Unterbringung der 
Mannschaften auf diesen 330. 
Kehlkopfverletzung oder Erstickung 
d. Fremdkörper. Betriebsunfall ? 454. 
Kiadbettfieber, Meldepflicht 242; Be¬ 
kämpfung 473, 622. 

Kindesmord, versuchter 373. 


Kind, Nachweis in der Gebärmutter 
mittelst Böntgenstrahlen 15. 

Kleinhirn, Geschwulst in diesen, Un¬ 
fall? 632. 

Knie, das darin gelegene Fettgewebe 
und Unfall 143, 604. 

Koffein, Wirkung auf Typhus- und 
Kolibakterien 22. 

Kohlenoxyd, Vergiftung, Nachweis¬ 
methoden im Blute 45, 444. 

Koli- und Typhusbakterien, Wirkung 
des Koffeins auf diese 22.. 

Konservierungsmittel für Fleisch- und 
Fleischwaren 326, 815, schweflige 
Säure als solches 327. 

Konservierung von Organen 183. 

Koutaktepidcmien oder Brunnenepide¬ 
mien 3, 643; von Ruhr in Metz 112. 

Konversationslexikon, Meyers großes 
687. 

Kopftrauma, Geistesstörungen danach 
525. 

Krätzmilben in bezug auf die Ver¬ 
breitung der Lepra 812. 

Krampfzustände nach Theophyllin¬ 
gebrauch 520. 

Krankenhaus auf genossenschaftlicher 
Grundlage 26. 

Krankenpflege, Taschenbuch 750, 751. 

Krankentransportwesen, Verbesserun- 
gen 25. 

Krankheit und Vergiftung 107; und 
Ehe 365. 

Krankheiten, ansteckende, Gesetzge¬ 
bung auf diesem Gebiete 295; ihre 
Bekämpfung 92, in Preußen 9,70, 97, 
196, 250, 264, 404, 468, 818; behörd¬ 
liche Kontrolle 612; hygienische 
Maßregeln 618; Wochen-Meldekarten 
für Aerzte 621. 

Krankheitserreger, Übertragung durch 
gemeinsamen Abendmalskelch 397. 

Krebs 811; Röntgenbestrahlung 144; 
Sarkom am gleichen Menschen 529. 

Kreisärzte, ihre Stellung 356; Besol¬ 
dung und Pensionierung 362; Elsaß- 
Lothringen 490, 511. 

Kreuznach, Paratyphusepidemien da¬ 
selbst 233, 305, 306. 

Kriminalpsychologie und strafrechtliche 
Psychopathologie 638. 

Kuhpocken, eine Diphtherieepidemie in 
ursächlichem Zusammenhänge mit 
diesen 493. 

Kunstfehler in der Hebammenpraxis 13. 

Kupfer, dessen Nachweis in Gemüse¬ 
konserven und Gurken 816. 

Kurpfuscherei, deren Bekämpfung 581. 

Labferment und Milch, Wirkung des 
Formalins auf dieselben 25. 

Lähmung, isolierte, der Musculi rhom- 
boidei nach Operationen 318. 



XXX 


Sach-Register. 


Laie und Fachmann gegenüber den 
Problemen der öffentlichen Gesund¬ 
heitspflege 296. 

Lebensprobe im Obduktionsregulativ 
757. 

Leber, Fettgehalt dieser nach Ination 
108; Veränderungen durch Chloro¬ 
form 289; Cirrhose, hypertrophische 
und Typhusbazillen 608. 

Leichenstarre eines totgeborenen Kin¬ 
des, schon im Mutterleibe vollständig 
ausgebildete 700. 

Lehmanns mediz. Atlanten 366, 787. 

Leichen, Verfahren der Gerichtsärzte 
bei deren Untersuchung 121, 161. 

Lepra, Verbreitung durch Krätzmilben 
812. 

Leuchtgas, als toxisches Gemisch 815. 

Leukämie, myeloide, endemisches Auf¬ 
treten 499. 

Leukonie 815. 

Lichen rubor planus, Erblindung nacb 
Atoxylinjektionen 520. 

Liquor cerebro-spinalis, Lymphosyten- 
gehalt derselb. u. Bleivergiftung 189. 

Liquor cresoli saponatus, Desinfektions¬ 
kraft des käuflichen 402, 403. 

Loosssche Lehre, Einwanderung der 
AncbyloBtomum - Larven durch die 
Haut 91. 

Lügnerinnen, jugendliche 776. 

Luft, Verunreinigung 437, 531; verun¬ 
reinigte Wohnungsluft 532; Einfluß 
der Expirationsluft auf die Kohlen¬ 
säure • Abgabe 532; Gehalt der Lun¬ 
gen, Lungenschwimmprobe 257, 596; 
Magendarmprobe 403, 757. 

Luftwege, obere, fibrinöse Entzündun¬ 
gen 807. 

Lunge, Lungenherzschlag infolge über¬ 
mäßiger Hitze und Einatmung gif¬ 
tiger Gase 527; -tuberkulöse s. Tu¬ 
berkulose; -blutung infolge schweren 
Hebens als Betriebsunfall 605; Hy¬ 
perplasie 521; Entzündung, trauma¬ 
tische und Unfall 18; Schwimmprobe 
257, 413, 596, 717. 

Lymphe und Tetanus 110, Tuberku¬ 
lose 396. 

Lymphozytengehalt des Lipuor cerebro¬ 
spinalis und Bleivergiftung 189. 

Lymph röhrenhalter, neuer 280. 

Lysol, Seifenkresol contra L. 401; Ver¬ 
giftung 287. 

Lyssa, Diagnose 110. 

Mäuse- und Rattenplage, Bekämpfung 
713. 

Magen, Duodenum, Situs inversus 108: 
Einfluß der Alcoholica auf die se- 
kretorischeTätigkeit des Magens 462. 

Magendarmprobe bei Neugeborenen 
413, 757. 


Magendarmkanal neugeborener Tiere, 
Durchgängigkeit für Bakterien 636. 

Malachitgrün, Wirkung gegen Nagana- 
Trypanosomen 108; -Agar, Verwen¬ 
dung zum Nachweis von Typhus- u. 
Paratyphusbazillen 641. 

Malaria, tropische, Epidemie in Mostar 
495; Impfungen dagegen 708. 

Mang an im Trinkwasser 465. 

Margarine, Untersuchungen über ihre 
Haltbarkeit 327. 

Marine - Angehörige, deren Begutach¬ 
tung 435. 

Marx-Ehrenrothsche Verfahren zur fo¬ 
rensischen Unterscheidung von Men¬ 
schen- und Tierblut 449. 

Masern, Nagclveränderung hiernach 
191; Epidemie 675. 

Masturbation, bei einer Epileptischen 89. 

Medizinalbeamte, ihr Standpunkt in 
bezug anf die Tuberkulose in der 
Schule 389; Kalender für diese 817. 

Medizinalpolizeiliche Schriften, aus 
alter Zeit 134. 

Medizinalreform in Preußen, Entwurf 
eines Planes 537. 

Meldepflicht von Kindbettfieber nach 
dem neuen Hebammenlehrbuch 242. 

Meningismus typhosus und Meningo¬ 
typhus 497. 

Meningitis cerebrospinalis 496,670,672. 

Meningokokken -Septikämie 807. 

Menstruationsvorgang, seine foren¬ 
sisch • psychiatrische Bedeutung 628. 

Mikroskop und seine Anwendung 501. 

Mikroorganismen, ihre Durchgängig¬ 
keit durch Darmwand 21; des Puer¬ 
peralfiebers 290. 

Milch, Einfluß hoher Temperaturen auf 
Tuberkelbazillen in dieser 397; hy¬ 
gienische Untersuchungen 466; Wir¬ 
kung des Formalins auf Milch 25; 
Nachweis von Formol in Milch 467; 
Konservierung d. Wasserstoffsuper¬ 
oxyd 646; pasteurisierte 646, 647. 

Milz, Magen, Duodenum, Situs inver¬ 
sus derselben 108. 

Milzbrand, zwei Fälle 112, in England 
708, und Typhus, Verbreitung durch 
öffentliche Gewässer 289, Nachweis 
500. -Sporen auf Fellen und ihre 
Desinfektion 500. 

Minderwertige, ihre Behandlung 16; 
Vorschläge zu ihrer strafrechtlichen 
Behandlung 524. 

Mißgebären, geflissentliches oder Em- 
bryoktonie 283. 

Mord oder Selbstmord 521. 

Morphinist, Simulation von Schmerz¬ 
anfällen bei solchen 599. 

Morphologie und Biologie der Zelle 438. 

München, psychiatrische Klinik daselbst 
703. 



Sach-Register. 


XXXI 


Mascali rhomboidei, isolierte Lähmung 
nach Operationen 318. 

Myastemache Paralyse 269. 

Saehgeburtateile, zorttckgebliebene, 
forensische Begutachtung 699. 

Nagana-Trypanosomen 188. 

Nährböden, diagnostischer Wert 222. 

Nährgelatine, Einfluß hoher Tempera¬ 
turen auf den Schmelzpunkt 637. 

Nagelveränderungen nach Scharlach 
und Masern 291. 

Nahrung und Ernährung 25. 

Nahrungs- und Genußmittel, Verhalten 
der schwefligen Säure in diesen 328. 

Nasenschleimhaut, akzidentelle Vakzi¬ 
nation 292. 

Natriummethylarsenat 288. 

Nervendruckpunkte u. Nervenmassagt 
704. 

Nervenkranke, Wert der Arbeit ftti 
diese 456. 

Nervenerkrankung, nach elektrischen 
Unfällen 318; traumatische ähnlich 
der Paralysis agitans 320. 

Nervenmassage u. Nervendruckpunkte 
704. 

Neugeborene, Augeneiterung derselben, 
Prophylaxe und Therapie 49, 293; 
Lungenschwimmprobe 257, 596; 

Magendarmprobe 413, 767. 

Neuguinea, Chininprophylaxe daselbst 
188. 

Neurologische Untersuchungen von 
Badrennfahrern 702. 

Notzucht, vermeintliche 282. 

Obduktionsbefunde bei Erhängten 520. 

Obduktionsregulativ 121,161, 211,757. 

Oberschenkelblutader, Aneurysma 
durch Unfall 322. 

Oeffentliche Gesundheitspflege, Bau¬ 
end Fachmann gegenüber den 
Problemen derselben 296. 

Ohrenerkrankungen, Einfluß auf die 
Berufstätigkeit der Hebammen 616. 

Onychogryphosis, Kasuistik der kon¬ 
genitalen 292. 

Opiumtinktur, 10 ®/ 0 , Handverkaufsab¬ 
gabe 696. 

Organe und Organinhalt, Konservie¬ 
rung 185. 

Papillonen, Vorkommen von Spiro- 
chaeten bei diesen 610. 

Paralyse 526, 629. 

Paralysis agitans, bei traumatischer 
Nervenerkrankung 320. 

Paralytiker, Unterschrift derselben 436. 

Paranoia 437; chronische in verwal- 
tungs-, straf- u. zivilrechtlicher Be¬ 
ziehung 525. 

Parathphus 80, 810; Epidemie im 
Kreise Kreuznach 233, 305, 306, im 


Kreise Simmern 588; und Typhus¬ 
bazillen 22, 498, 608. 

Para-urethrale Gänge des Weibes, 
Gonorrhoe 114. 

Pemphigus neonatorum 690. 

Paroxydase, bei den mit dem Blute 
erhaltenen Farbenreaktionen 45. 

Perubalsam, Vergiftung 409. 

Pestbazillen, Lebensdauer 494. 

Pest in Aegypten, epidemiologische Er¬ 
fahrungen hierüber 495. 

Pharmazie, Geschichte 367, Schule 718. 

Pflanzen, als Volksabortiva benutzte 652. 

Phosphorvergiftung, akute 488. 

Pilzvergiftung 774. 

Placenta, histologische Veränderungen 
bei Sublimatvergiftungen 183; Lö¬ 
sung und Gummihandschuhe 401. 

Plagiat, pathologisches 701. 

Plättereien, gesundheitliche usw. Ver¬ 
hältnisse 682. 

Pneumonia crouposa und Unfall 141; 
Zwerchfellruptur mit anschließender 
131; Aetiologie 676. 

Pocken, Diagnose 109; Epidemie in 
Bochum (1904) 110; Bekämpfung in 
Togo 474. 

Pockentodesstatistik n. Pockenerkran¬ 
kungen im Deutsch.Reiche (1903)812. 

Polikliniken, gerichtsärztliche 182. 

Polyneuritis alcoholica 461. 

Posen, Stadt, Verbreitung und Be¬ 
kämpfung der Lungentuberkulose 
daselbst 396. 

Posthypnotische Aufträge in ihrer psy¬ 
chiatrischen u. juristischen Bedeu¬ 
tung 628. 

Primelkrankheit 291. 

Prostitution und die Dienstboten 294. 

Psychiatrische Klinik, in München 703. 

Psychische Infektion 600. 

Psychopathologie, strafrechtliche 638. 

Psychosen, Spätgenesung 601; s. auch 
Geisteskrankheiten. 

Psychologie, vergleichende der Ge¬ 
schlechter 650. 

Puerperalfieber, in Entbindungsanstal¬ 
ten 47, Serumbehandlung 48, Ver¬ 
hütung 290, 369; forensische Bedeu¬ 
tung 13, 522. 

Puerperium, Embolia der Arteria me- 
senterica superior in demselben 47. 

Quinquaudsches Zeichen, Kenntnis 
desselben 597. 

Radium, Heilung des Trachoms durch 
dieses 530. 

Radrennfahrer, neurologische Unter¬ 
suchungen 702. 

Räume, geschlossene, Luftverunreini¬ 
gung, Wärmestauung und Lüftung 
in diesen 531. 



xxx n 


8ach - Begister. 


Batten- and Mäuseplage, Bekämpfung 
713. 

Baach zuckerhaltiger Pflanzenstoffe, 
Eigenschaften 617. 

Bansch, pathologischer 701. 

Beichstag, Verhandlungen 27, 192, 
228, 369. 

Bettungswesen und Ertrinkungsgefahr 
an der See 626. 

Bhein, biologische Probeuntersuchun¬ 
gen 816. 

Bieglersche Blutprobe 775. 

Böntgenstrahlung, Nachweis des Kindes 
im Uterus dadurch 15 und Krebs¬ 
bildung 145; Hillsbuch 438. 

Röntgenepidemien 495. 

Boheitsdelikte, Prophylaxe 630. 

Botes Kreuz, Mitwirkung bei Seuchen¬ 
bekämpfung 680. 

Bückenmarksleiden und Unfall, ärzt¬ 
liches Obergutachten 457. 

Bohr, Auftreten in Metz 112, in Duis¬ 
burg 302, in Konstantinopel 673, in 
Südwestafrika 674; Bakteriologie der 
Bohr 112. 

Sachverständigen-Tätlgkeit, ärzt¬ 
liche 258. 

Sachsen, Königreich, Medizinalgesetz- 
gebung 817. 

Sackniere, doppelseitige nach Trauma 
777. 

Säugetiertrypanosomen 611. 

Säuglinge, künstliche Ernährung 416, 
453; Pflege 501; Skorbut in Berlin 
530; Sterblichkeit und ihre Be¬ 
kämpfung 645, 694, 786. 

Salmiakgeist, tödliche Vergiftung 282. 

Samariterunterricht, Lehrbuch 750. 

Saprol, Desinfektionswirkung 24. 

Sarkom und Krebs am gleichen Men¬ 
schen 529. 

Schadenersatz wegen Ansteckung mit 
Lungentuberkulose 316. 

Sch&delbrüche in gerichtsärztlicher 
Beziehung 597. 

Schädeltraumen, Gehirnyeränderungen 
nach solchen 435. 

Scharlach 674; Nagelveränderungen 
hiernach 291. 

Scharlachkranke, Einfluß des roten 
Lichts auf diese 675. 

Schlafkrankheit 184. 

Schottland und England, Fürsorge für 
die Geisteskranken 632. 

Schrecklähmung 319. ' 

Schriften, aus alten medizinalpolizei¬ 
lichen 134. 

Schularzt und Augenuntersuchungen 
537; Statistik und Vorschläge für 
eine einheitliche 680; im Hamburg 
680. 

Schularztfrage, mit Bücksicht auf die 


amtliche Tätigkeit der Bayerischen 
Bezirksärzte 342, 378. 

Schulbankfrage 244, 248, 581, 592, 681. 

Schule, die Tuberkulose 380; physio¬ 
logische und pathologische Beob¬ 
achtungen in dieser 681. 

Schulhygiene, Handbuch 488. 

Schulkinder, Nervenkrankheiten 681. 

Schultzesche Schwingungen, deren Ge¬ 
fahren 15, 256. 

Schwachsinnige, weibliche, Mißbrauch 
524. 

Schweineschmalz und Butter, Unter¬ 
suchung 815. 

Schweineseuche und Immunit&tsfrage 
611; Uebertragbarkeit auf Geflügel 
611. 

Schwangerschaft, die psychiatrischen 
und neurologischen Indikationen bei 
vorzeitiger Unterbrechung 627; Tu¬ 
berkulose 678. 

Schwefelwasserstoffvergiftung als Un¬ 
fallerkrankung 778. 

Schweflige Säure als Konservierungs¬ 
mittel 327. 

Schweflige Säure, Einfluß der Inhala¬ 
tion solcher auf die Entwickelung 
der Lungentuberkulose 396; Ver¬ 
halten in Nahrungs- und Genu߬ 
mitteln 328. 

Schwerhörigkeit in der Schale 535. 

Schwindsucht und Tuberkulose, ihr 
Unterschied 369. 

Sehkraft, Erwerbsverminderung beim 
teilweisen Verlust 467. 

Sehnervzerreißung, subkutane 777. 

Seifenkresol contra Lysol 401. 

Seidenhasplerinnen, ihre gewerbliche 
Hautkrankheit 189. 

Sektionstechnik für Studierende und 
Aerzte 537. 

Sekalpräparate, prophylaktische, An¬ 
wendung derselben während der Ge¬ 
burt 522. 

Selbstentzündung von Benzin, ihre 
Verhütung 530. 

Selbstverletzung, hysterische 598. 

Senföl, ätherisches, als Mittel zur 
Konservierung anatomischer Präpa¬ 
rate 519. 

Septikämie oder Jodoformvergiftung 
657. 

Sero - diagnostische Blutentnahme, Be¬ 
steck luerzu 281, 516. 

Serumbehandlung bei Puerperalfieber 
18; bei Anthrax 500; prophylak¬ 
tische bei Diphtherie 606. 

Serumdiagno 80 des Typhus abdomina¬ 
lis 27, 498, 608, 637-639. 

Serum Typhuskranker, agglutinierende 
Eigenschaften 498, 608. 

Seuchengesetz, s. Krankheiten, an¬ 
steckende 



Sach - Register. 


XXXIII 


Siehlersche Sinacyd - Batyrometrie, Br- : 
gebnisse der Prüfung 617. 1 

Sin mein, Kreis, Paratyphusepidemie 
588. 

Simulation epileptischer Krämpfe 318; 
Ton Schmerzanfällen bei einem Mor¬ 
phinisten 599; yon Geistesstörungen 
600, 601. 

Sinacyd - Batyrometrie, Siehlersche, 
Prüfung 617. 

SUtlichkeitsyerbrecher 524. 

Situs inyersus des MagenB, Duodenums 
und der Milz 108. 

Skorbut, der Säuglinge, in Berlin 530. 

Spätrezidive maligner Tumoren 699. 

Spät gen esung yon Psychosen 601. 

Spirochaeta v&ccin&e 806. 

Spirochaete pallida bei Syphilis 610, 
707, 806. 

Sprachyerwirrtheit 702. 

Staatsarzneikunde, Gesetzgebung 295. 

Staubentwicklung, Verhütung yon 
Berufskrankheiten der Arbeiter bei 
dieser 532. 

Staubyersengung bezw. Zersetzung auf 
Heizkörpern 714. 

Stereoskopischer gerichtsärztlicher At¬ 
las 438. 

Stillyermögen 530. 

Strafaussetzung, bedingte 16, 263. 

Streptokokken bei Variola und Vari¬ 
zellen 707. 

Strongyloides stercoralis 612. 

8trychnin- Vergiftung 182, 315, 699. 

Sturzgeburt, gerichtlich-medizinischer 
Fall 596. 

Sublimat, Gefahren seiner Anwendung in 
der Geburtshülfe 40; Vergiftung 183. 

Subluxation, spontane, der Hand 603. 

Subsellien, s. Schulbänke. 

Syphilis, Vererbung 113; gleichzeitiges 
Vorkommen yon manifester S. und 
Tabes 455; Spirochaete pallida 610, 
707, 806. 

Syringomyelie und Trauma 142. 

Takes 455. 

Taanine, methämoglobinisierende Wir¬ 
kung 46. 

Taubstumme im Deutschen Reiche 
330. 

Telephonistinnen, hysterische Unfall¬ 
erkrankungen 456. 

Temperaturen, hohe, Einfluß dieser 
auf Tuberkelbazillen in der Milch 395. : 

Temperenz und Trunksucht in den | 
Vereinigten Staaten 461. 

Tetania thyreopriva und Cachexia612. 

Tetanus und Kuhpockenlymphe 110. 

Theopbyllingebrauch, Krampfzustände 
nach diesen 520. 

Thymusdrüse und plötzliche Todes¬ 
fälle im Kindesalter 255. 


Thyroidektomie und Pathogenese des 
Arterienatheroms 46. 

Tod durch Elektrizität 441. 

Tod durch Ertrinken, gerichtsärztlicher 
Nachweis desselben 432. 

Tod, sicheres Zeichen desselben 46; 
Zusammenhang zwischen diesem 
und Unfall 458. 

Todesfälle, plötzliche im Kindesalter 
und Thymusdrüse 255. 

Todesfall nach Anwendung der offi¬ 
zineilen Borsalbe bei einer Brand¬ 
wunde 434. 

Toxine, Uebergang derselben yon der 
Mutter auf die Frucht 255. 

Toxisches Gemisch für Tiere; welches 
Volum Leuchtgas muß man der Luft 
zusetzen, um ein solches zu er¬ 
halten 3l5. 

Trachom, Bekämpfung, staatliche 812; 
Heilung desselben durch Radium 530. 

Tragfähigkeit schwimmender Körper, 
ist sie ein sicherer qualitativer oder 
quantitatiyer Nachweis und Beweis 
für ihren Luftgehalt? 596. 

Trauma und Leistenbruch 146; und 
Diabetes melitus und Glykosurie 
455; und Lungenhernie 142; und 
Syringomyelie 142; und chirurgische 
Tuberkulose 603; und Ursprung 
akuter Infektionskrankheiten 140. 

Traumatische Herzklappenzerreißung 
320; Hysterie mit ungewöhnlicher 
Häufung von Symptomen 320; Ner¬ 
venerkrankung mit Paralysis agitans 
ähnli chen Symptomen 320. 

Tremor, Bewertung desselben als 
Zeichen des Alkoholismus 598. 

Trinkwasser, Analyse, Untersuchung 
auf anärobe Bakterien 465; Mangan 
in diesem 465; Untersuchung, Gä- 
rangsprobe bei 46° 464; Prüfung 
eines solchen auf Ammoniak 466, 
647; und Infektionskrankheiten 332; 
Versorgung, Entwässerungs- und Ab¬ 
fuhranlagen in Badeorten am Ge¬ 
birge 464. 

Tropenkrankheiten (Gelbes Fieber, 
Schlafkrankheit, Beriberi) 184; Hand¬ 
buch über diese 751. 

Trunksucht und Temperenz in den 
Vereinigten Staaten 461. 

Trunksüchtige, praktische Erfahrung 
bei Entmündigung dieser 632. 

Trypanosomenkrankheiten 184, 186. 

Tuberkelbazillen im Blute nach Auf¬ 
nahme infektiöser Nahrung 395; in 
der Milch, Einfluß hoher Tempe¬ 
raturen auf diese 395; ihre Rein¬ 
züchtung aus Bakteriengemischen 
mi t Spenglerscher Formalinmethode 
394. 

Tuberkelbazillenbaltiger Aus warf, Wir- 



XXXIV 


Sach - Register. 


kung des Form&lins auf ihn (Roepke- 
scher Apparat) 208. 

Tuberkulindiagnose in der Unfallbegut- 
achtung 602. 

Tuberkulöse, Splittersputa 895. 

Tuberkulose 869; Anzeigepflicht 897; 
in der Schule 859; Immunisierungs- 
versuche 393; in Irrenanstalten 399. 
Debertragung durch Abendmalskelch 
397; und Wohnungsnot 368; und 
Trauma 603; Schwangerschaft 678; 
Epidemiologie 676; Beziehungen 
zwischen Menschen- und Tiertuber¬ 
kulose 677; neues Tuberkulosemittel 
710; deutsche Tuberkulosegesetze 
713; und Kuhpockenlymphe 396. 

Tumor, maligner, Spätrezidive 699. 

Typhoide Erkrankungen 638, 808. 

Typhus, abdominalis, Serumdiagnose 
24, 498,638; klinische Diagnose 809; 
Auftreten in Detmold 545; in Gro߬ 
städten 609; Aetiologie 176; Patho¬ 
logie 639; Verhütung der Verbrei¬ 
tung durch Wasserleitungsanlagen 
644. 

Typhusbazillen, Nährböden dafür 22; 
Wirkung des Koffeins auf diese 22; 
neue Entwicklungsformen 22; Nach¬ 
weis nach Cambrier 22; Malachitgrün- 
Agar zum Nachweisse 641, in der 
Galle 22,642; hypertrophische Leber- 
cirrhose nach Typhus 608; Typhus¬ 
träger, chronische 640, 642; Albu¬ 
minurie bei T. 642; nach Austern¬ 
genuß, Haftpflicht 609. 

Typhusepidemien, zwei 178; unter Kin¬ 
dern im Schulbezirk der Stadt Deg¬ 
gendorf 1904/1905 810. 

Typhushäuser 38, 40. 

Typhustämme, Rassenunterschiede; 
Hemmungskörper im Serum in ihrer 
Bedeutnng für die Gruber-Widalsche 
Reaktion 639. 

Typhus- und Milzbrand, Verbreitung 
desselben durch Verseuchung unserer 
öffentlichen Gewässer 189. 

Typhusuntersuchungen des Laborato¬ 
riums der Regierung in Coblenz 61. 

Typhusverdächtige Personen, Besteck 
für die Blutentnahme bei diesen 510. 

Uebergangs- od. Gewöhnungsrente 324. 

l T ebertragbare Krankheiten, s. Krank¬ 
heiten, ansteckende. 

Ulcus ventriculi traumaticum 704. 

Unfall, Corpora oryzoide der Finger¬ 
beuger 17, Hysterie 138, Pneumonie 
141, Kniegelenksverletzung 143, Fu߬ 
gelenksdistorsion 143, Darmgeschwür 

146, Beinbruch, Furunkulose 147, 
Dehnung der Hüftgelenksmuskeln 

147, Aneurysma der Aorta 321, der 
Obcrschenkelblutader 322, Uebär- 


muttervorfall 824, Hysterie der Te¬ 
lephonistinnen 456, Geschwulst im 
Kleinhirn 632, Schlaganfall 685, De¬ 
mentia paralytica 703, Infektion 705, 
Schwefelwasserstoffvergiftung 778; 
Erkrankung bezw. Tod, Nachweis des 
ursächlichen Zusammenhangs 458. 

Unfallbegutachtung bei zweifelhafter 
Sachlage 135, 137; Tuberkulindia¬ 
gnose dabei 602; Zuziehung des be¬ 
handelnden Arztes 153, 778. 

Unfallrenten, Feststellung 148, 454. 

Unterleibstyphus, s. Typhus. 

Vaklmatlon, akzidentelle der Nasen¬ 
schleimhaut 292. 

Vakzine, Untersuchungen über sie 807. 

Variola und Varizellen, Differential¬ 
diagnose 493. 

Varizen, pulsierende bei abnormem 
Hirnsinus 625. 

Vena saphena, Verblutung durch Bi߬ 
verletzung 815. 

Ventilation u. Luftverunreinigung 487. 

Verbrecher, geisteskranke, Unterbrin¬ 
gung in Gefängnisirrenabteilungen 
260. 

Vergiftungen, Verfettung der Organe 
bei diesen 107; und Krankheit 107; 
durch Strychnin 182, d. Salmiakgeist 
282, durch Lysol 287, durch Isosafrol 
287, durch arsenige Säure 288, durch 
Perubalsam 409, durch Quecksilber 
und Sublimat 519, durch Blei 583, 
durch Veronal 770, 773, durch Pilze 
774; zur Lehre der Vergiftungen 684. 

Verletzungen, innere 434, mit fehlen¬ 
den äußeren 770; der weiblichen 
äußeren Geschlechtsteile 523. 

Veronal-Vergiftungen 770, 783. 

Verrücktheit, katatonische 629. 

Versicherungsrechtliche Medizin, Un¬ 
terricht in dieser 453; Rückständig¬ 
keit 705. 

Volkswohlfahrtsamt 115, 266. 

Wachstumphysiologie des Menschen 

682. 

Wäschereien, gesundheitliche Verhält¬ 
nisse 612. 

Waldenburg, Darmtuberkulose der 
Kinder daselbst 396. 

Wanderzustände, pathologische 601. 

Wasser, Beurteilung 463. 

Wassergas, Verwendung in Fabriken 
329. 

Wasserleitungen, zentrale, staatliches 
Aufsichtsrecht 86. 

Wasserstoffsuperoxyd, Konservierung 
der Milch 646. 

Weichselzopf 537. 

Weine, Veränderung der Zusammen¬ 
setzung 467. 



Namen «Verzeichnis. 


XXXV 


Widalsche Agglatinationsprobe, siehe Wohnungsnot u. Tuberkulose 368. 

Grober. j Wutschutzabteilung 111. 

Wiederbelebung, durch subdiaphrag¬ 
matische Herzmassage bei anschei- i Zela* Masse 815. 
nendem Chloroformtod 595. ' Zelle, Biologie u. Morphologie 438. 

Willensschwäche, krankhafte 650. > Ziehkinderfürsorge 530. 

Windpocken 493. Zurechnungsfähigkeit 525. 

Wochenbettfieber, s. Puerperalfieber. , Zwangszustände, Geschichte u. Kritik 
Wöchnerin, Pflege 561; Tod durch der sogenannten 436. 

Hirnembolie 605. j Zwerchfellruptur mit anschließender 

Wohnungsdesinfektion mit Formalde- ' Pneumonie 131. 
hyd 25, 197, 420, 480, 721, 741, 743. Zwitterbildung 18. 


Namen ^ V erzeichnis. 


Aaser 638. 

Abel 580. 

Albrand 534. 
Alexander 651. 
Ambard 46. 

Arbeit 356. 
Arnsperger 499. 
Arnspeyer 699. 
Aronneim 318. 
Auerbach 702. 

Bahr 301. 

Bandi 500. 

Bardeleben 684. 
Bahrdt 495. 

Barthe 288. 

Barthel 395. 
de Bary 490, 511. 
Bassewitz, t. 812. 
Bauer 307. 

Baumann 646. 
Baumert 465. 
Baumgarten 398. 
Baumm 502. 

Baur 750. 

Baythien 327. 

Beek 611. 

Becker 137, 337, 454. 
Behla 615. 

Behring 710. 

Bell 295, 296. 

Berg 441. 

Berger 92. 

Bergmann, v. 811. 
Berner 146. 

Bernstein 55. 

Billet 289. 

Bisanti 395. 

Bischoff 600, 601. 
Bittmann 330. 

Blarez 288. 

Bleibtreu 674, 776. 
Block 652. 


Blokusewski 50. 

Blum 24. 

Blumenthal 22. 
Boehmig 456. 

Bonhoff 806. 
Bornemann 520. 
Borrmann 20. 
Brennecke 750. 

Bresler 683, 702. 
Breton 651. 
Brissemorct 46. 
Brückmann 328. 
Brüning 777. 

Brunk 321. 

Brunner 751. 

Bruns (Hannover) 629. 
B mnm 605. 

Bumm, E. 48. 

Bundt 789. 

Burckhard 256. 

Cahen 142. 

Calmette 651. 

Capitan 594. 

Carini 110, 896. 

Carnot 107. 

Cnopf 575. 

Cohn 529. 

Conradi 112, 706. 
Cordier 46. 

Cramer, A. 16, 602. 
Cramer (Bonn) 47. 
Curt 289. 

Deflandre 107. 

Besing 581. 

Dessauer 438. 

Deutsch 409. 

Deyke 673. 

Diering 799. 
Dieudonn6 618. 
Dinkler 425. 

Doebert 638. 


Doerfler 399. 
i Dopfer 434. 

| Dor 519. 

Dornblttth 496. 

Drewes 690. 

Dunbar 808. 

Duyon 289. 

Dworetzky 395. 

Ebert 786. 

Eberth 684. 

Edline 112. 

Effler 530. 

Eichler 498. 

Eijkmann 464. 

Emmerich 468. 

Engels 25, 197. 

Ercklenz 532. 

Eschle 650. 

Esmarch, v. 500. 
Eulenburg 319, 650. 
Ewald 680. 

Falta 639. 

Federschmidt 595. 

Feer 291. 

Fehrs 403. 

Feilchenfeld 436, 526. 
Feistmantel 332. 

Fellner 027. 

Ferrai 764. 

, Fertig 704. 

Feßler 750. 

: Fibisch 495. 

Fick 684. 

Ficker 637. 

Finkh 436. 

, Flatau (Berlin) 320. 

Flatau (Kiel 498. 

I Flechsig 632. 

Flinzer 817. 

Flügge (Grafenberg) 190. 
■ Flügge (Breslau) 531. 



XXXVI 


Namen - Verzeichnis. 


Focke 68. 

Förster 642. 

Frankel, C. 610. 

Fränkel, E. 320. 

Freund 620. 

Friedei (Coblenz) 38, 61, 
281, 306. 

Fürbringer 140,698, 778. 
Fürst 680, 682. 
Fürstenheim, Walter 149. 

Gaehtgens 637. 
Qalewsky 403. 

Gängele 604. 

Ganpp 630. 

Gantier 46. 

Geißler 456. 

Gerber 807. 

Gerken 680. 

Georgii 269. 

Gilbert 108, 608. 

Gilg 718. 

Glogner 708. 

Göppert 670. 

Görbing 24. 

Goldard 462. 

Gollmer 705. 

Gottsclich 495. 

Graack 581. 

Graff, v. 521. 

Grawitz 672. 

Greeff 293, 812. 

Grehant (Nestor) 315. 
Grigorgew 183. 

Groth 644. 

Groyer 706. 

Gruber 368. 

Grünberg 498. 

Grünzweig 444. 

Gndden 598. 

Garwitsch 438, 538. 
Gatmann 652. 

Hahn 607. 

Halff 108. 

Hammer 652. 

Hanaaer 294. 

Hartmann 535. 

Haag 616. 

Hecker 787. 

Heilbronner 260. 

Heim 189, 528. 

Heine 672. 

Heiseier 174, 675. 

Helm 317. 

Helwes 622. 

Hengge 15. 

Herbst 714. 

Hergcsell 323. 

Herzfeld 227. 

Heß 49. 

Heymann 532. 

Heyn 649. 


Hillebrecht 674. 

Hippios 747. 

Hirsch 459. 

Hitzig 457. 

Högel 16. 

Hölder, y. 643. 

Hoffa 148. 

Hoffman, H. 434, 575. 
Hoffmann (Berlin) 291, 
610.. 

Hoffmann, W. 434, 577. 
Holfert 718. 

Holz 44. 

Hoppe 597. 

Horstmann 776. 

Hübner 534. 

Hülsmeyer 280. 

Huhs 208, 897. 
Haldefließ 465. 

Hatchings 399. 

Jachm&nn 528. 

Jacqa6 22. 

Jesioneck 113. 

Jordan 712. 

Jornier 108. 

Jürgens 109. 

Jürss 652. 

Jnliusbarger 701. 

Kaiser 633. 

Kaminer 365. 

Kassowitz 461. 

Kansch 455. 

Kayser 642. 

Kerb 328. 

Kern 326. 

Key hl 255. 

Kirchgässer 621. 

Kirchner 397, 670. 
Kirstein 510. 

Kisskalt 396. 

Klassert 617. 

Klemens 808. 

Klimenko 21. 

Klix-433.; 

Kloamann 22. 

Knyyett 613. 

Kob 522. 

Koch 186. 

Koch - Hesse'982. 

Köhler 17, 362. 

Köhler, F.(Landeshut)002. 
König 465. 

Körting 602. 

Köstlin 13. 

KolleJ466, 713. 

Kompe 464. 

Kornfeld 524, 526. 

Körte .608. 

Koske, F. 611. 

Kracpelin 683, 703. 
Kratter 684. 


Kraas 18, 327. 

Kreazlin 86. 

Krohne 289, 321, 681. 
Külz 494. 

Kürbitz 663. 

Kürz 630. 

Küster 394. 

Kästner 699. 

Kanowski 260. 
Kurpjaweit 706. 

Kätscher 676. 

Landau 529. 

Lange 287. 

Lanz 612. 

Laquer 461. 

Lassar 144. 

Laaterborn 816. 

Lazaras 319. 

Ledderhoset603. 
Lederle‘296. 

Leers 523. 

Lehmann 366. 
Leichtenstern 612. 
Lembke 26, 233. 

<Lentz 305, 639, 640, 641, 
643. 

Leppmann, F. 258, 259, 
624, 776. 

Lereboollet 608. 

Lesser 438, 459. 

Lenken 751. 

Leopold, v. 691. 

Lewin 15, 107, 533, 715 
Lewinski 873. 

Leyden, v. 18, 819. 
Liedke 783. 

Liyoa 110. 

Lochte 520. 

Loewenfeld 460. 

Lomer 602. 

Lortat- Jakob 46. 
Lablinski 292. 

Ladwig 773. 

Lücke 644, 699. 

Lüdke 23. 

Maass 774. 

Mai 289. 

Malloissel 189. 

Mann (Paderborn) 1. 
Marcus 318, 604. 

Marcuse 652. 

Margalies 626. 

Martin, G. (Stuttgart) 530 
Martin, M. 315. 

Martineck 525, 679. 
Martini (Langensalza) 176. 
Martini, Prof. 807. 

Marx, H. 183, 290, 626. 
Marxer 500. 

Mayer (Simmern) 316,585, 
784. 



Mendez 500. 

Xense751. 

Meyer, P. (Berlin) 681. 
Meyer (Brück) 141. 
Meyer (Ernst) 462. 

Meyer (Königsberg) 485, 
600, 632. 

Mez 501. 

Moeli 524. 

Mönkemüller 681. 
Moitessier 45. 

Kosny 189. 

Morel 289. 

Müller (Ohrdruf) 700. 
Müller (Straßbarg) 292. 
Müller, Paal Th. (Graz) 
368. 

Müller (Immenstadt) 598. 
Malert 493. 

Malger 806. 

Maralt, Y. 630. 

Mylias 718. 

liehe 260. 

Nagel 811. 

Nanwerck 587. 

Nerlich 599. 

Nesemann 609. 

Neuberger 580. 

Neumann (Bromberg) 134. 
Neomann (W ürzburg)366. 
Neomann, EL 530. 
Neomann (Neuenburg) 
537. 

Neomann, Dr. iur. (Ber¬ 
lin) 581. 

Nickel 242. 

Nicolas 467. 

Nieolle 110. 

Nocht 184. 

Noeggerath 689. 

Nonne 584. 

Norman 614. 

Nowack 641. 

Obendorfer 628. 
Oberwarth 255. 

Oehmke 41. 

Ollendorff 449. 

Orth 467. 

Ostertag 581, 646. 

Otto 463, 494. 

Ottolenghi 521. 

Paehonskl 444. 

Pahl 617. 

PaUeske 481, 775. 
Panisset 395. 

Pantrier 189. 

Papfllaalt 594. 

Passow 585. 

Paul 582. 

Petkowitsch 22. 


Namen - Verzeichnis. 


1 Pflanz 182. 

Pfeiffer 500. 

Pfahl 326. 

Ploacqet 283. 

Polenske 815. 

Pollak 114. 

Prausnitz 581. 

Proksch 652. 

Proschaska 679. 
Prowazek 611, 807. 
Prusmann 622. 

Pütz 830. 

Pappe 182, 522. 

Badziejewski 534. 
Baecke 259, 599. 
Baimann 331. 

Bamboazek 487. 
Bapmand 70,97,121,161. 

211, 250, 817. 
Basenack 815. 

Bathmann 647. 
Baatenberg 112. 

Beiche 625, 678. 
Beinhold 703. 

Bemlinger 709. 

Benvers 145. 

Beschad Effendi 673. 
Bettig 244, 592. 
Beyenstorf 432, 433, 625. 
Bichter (Dessau) 40, 389, 
696. 

Bichter (Bemscheid) 453, 
587. 

Bichter, B. (Waldenburg) 
896. 

Biess 816. 

Bobertson 493. 

Boepke 397, 480, 741. 
Boesler 461. 

Böttgen 467. 

Bohde 807. 

Bolly 498. 

Bomeick 282. 

Bopp 652. 

Bostowzeff 681. 

Both, 0. 714. 

Both (Potsdam) 686. 
Babner 641. 

Büge 682. 

Bass 529. 

Sabareanu 46. 

Sackar 328. 

Sadler 638. 

Salmon 498. 

Salomon 713. 

Salzer 716. 

Samosch 680. 

Sander 260. 

Sannemann 812, 813. 
Sarvey 402. 

Schallmayer 114. 


XXXVII 


Schaudinn 610. 

Schelenz 367. 

Scheller 637. 

Schenck 701. 

Schlesinger 520. 
Schlegtendal 645. 
Schlieben 506. 
Schmedding 818. 

Schmidt 322. 
Scbmidtlechner 255. 
Schneider 248. 

Scholz 416. 

Schott 629. 

Schottelias (München)498. 
Schottelias (Freiburg) 810. 
Schottmüller 672, 676. 
Schreiber 465. 

Schröder 701. 

Schroen, F. 596. 

Schroen, v. 369. 
Schroeter 686. 

Schüder 111. 

Schüler 811. 

Schultze 256. 

Schaltze, Max 680. 

Schulz 45, 183. 

Schulze 603. 

Schwaudner 263. 
Schwartz, 0. 614. 
Schwechten 615, 717. 
Sedgwick 296. 

Seelmann 138. 

Seiffert 178. 

Selter 498. 

Senator 865. 

Sencert 595. 

Serratrice 521. 

Siefert 437. 

Sigel 601. 

Smith 785. 

Sobernheim 707. 

Solbrig 645. 

8ommer (Gießen) 538. 
Sommer (Niedermendig) 
16. 

Sorge 183. 

Spengler 395. 

Springfeld 110. 

Stäubli 497. 

Stakemann 89. 

Steinberg 608. 

Steinharten 628. 

Steinhaus 29, 706. 
Stenström 395. 

Stern, Emil 505. 

Stern, B. 138. 

Stier 716. 

Stolper 453. 

Stolte 642. 

Stransky 702. 

Straßmann 45, 259, 525. 
Ströszner 643. 

Stumpf 257. 



XXXVIII 


Namen • Verzeichnis. 


Stoppel 317. 

Sugg 707. 

Tenholt 91. 

Thiem 322. 
Thomalla 282. 
Thompson 649. 
Thoms 718. 

Tietz 641. 

Tiling, ▼. 

Tischler 810. 

Toff 49. 

Tolmacz 463. 
Tomasczewski 707. 
Treupel 809. 
frillat 466, 617. 
Troeger 131. 
Tromsdorff 638. 
Trumpp 787. 
Torchet 466. 

Uebelmesser 402. 
Uffenheimer 636. 


i Uhlenhut 749. 

I Ungar 7ö7. 

! Urban 618. * 

Vincent 465. 
Volkhausen 511. 
Vollmer 688. 

Waldvogel 287. 

| Walther 13, 473. 

Ward 715. 

Warda 436. 

Weber 626. 

Wegner 694. 

Wehmer 438, 632. 
Wendelstadt 188. 
Wendland 188. 
Wengler 413. 

Werner 420, 721, 773. 
Wernicke 396. 

Weaener 606. 
Westenhöffer 496, 670. 
Weyl 437. 


’ Weygandt 586. 
Whitelegge 329. 
Wiemer 14. 

I Wild 142. 

I Wilke 498. 

I Wilkinson 612. 
i Windisch 467. 
Windscheid 139. 
Winternitz 25. 

, de Woele 707. 
Wolf, ß. 316. 

Wolf (Minden) 519. 
Wolffhügel 777. 
Wollenberg 628. 
Wullenweber 704. 

Zahn 783. 

Zander 255. 

Zelle 657. 

Zibell 532. 
Zuckerkandl 787. 





18. Jahrg. 


Zeitschrift 


1905. 


für 


MEDIZINALBEAMTE. 


ZeatralUatt für gerichtliche fledizio ond Psychiatrie, 

(Ir ärztliche Sachrerstindigentät igk e i t in Infall- and Invaliditätssacben, sowie 
Rr IjgieBe, offeati. Sautätewesen, Medizinal - Gesetzgebung and Rechtsprechung. 

Heraus gegeben 

▼on 

Dr. OTTO RAPMUND, 

lUgierangs- and Geh. Medizinalrtt in Minden. 

Verlag von Fischers mediz. Buchhandlg., H. Kornfeld, 

HcnogL Bayer. Hof- u. Erzherzogl. Kammer - Buchhändler. 

Berlin W. 35, Lützowstr. 10. 

Inserat« nehmen die VerUgahandlung sowie eile Annoncen •Expeditionen drs In- 

and Auslandes entgegen. 

NV. 1. j| Erscheint am 1. und 15. Jeden Monnts. jj 1. JanUHr. 


Die Prophylaxe der puerperalen Wundinfektionskrankheiten 
nach den Vorschriften des preussischen Hebammenlehr¬ 
buches von 1904. 

Von Assistenzarzt Dr. Hann .Paderborn. 

Mit der Einführung des nen erschienenen Hebammenlelirbuchs 
von 1904 erwachsen dem Mezinalbeamten und dem Hebammenlehrer 
neue Aufgaben. Nicht bloss die kommende Generation der Heb¬ 
ammen soll danach ihre Kenntnisse und Fertigkeiten erwerben, 
sondern auch die bereits in der Zeit unter dem alten Lelirbucbe 
von 1892 ausgebildeten und praktizierenden Hebammen werden 
in den Geist des von 1904 hinübergeführt werden müssen. Die 
ganze Materie ist umfänglicher geworden und, was Inhalt und 
Darstellung beträft, in wesentlich andere Form gebracht, wie in 
dem früheren Lehrbuche. Ich stellte mir sofort die Frage, wie 
es möglich sein würde, in den nächsten Wiederholungskursen 
innerhalb der kurzen Frist von 3 Wochen die Kursistinnen 
mit wünschenswerter Klarheit auf dem ihnen, fast kann man sagen, 
neuen Gebiete zu orientieren; dazu kam der Wunsch des hiesigen 
Hebammen Vereins, ihm einige Vorträge über die wichtigeren Neue¬ 
rungen in dem Lehrbuch zu halten. So sind denn an meinem 
Schreibtische mehrere Stadien über einzelne Themata entstanden, 
von denen ich mir erlaube im nachfolgenden eine Bearbeitung des 
gewiss wichtigen Gegenstandes: „Die Methode zur Verhütung 
von Wundinfektionskrankheiten im Wochenbette“ zu 
veröffentlichen, in der Hoffnung, durch diese Darstellung den 
Herren Kreisärzten die Arbeit za erleichtern, die ihnen bei der 






2 


Df. Mann. 


Einführung der Hebammen ihres Bezirks in die neuen Vorschriften 
bevorsteht. 

Voransschicken möchte ich, dass das alte Lehrbuch in dem 
ersten Kapitel des neunten Teiles nur von dem „Kindbett¬ 
fieber“ spricht, und unter diesen einen Begriff die ganze 
Beihe der sonstigen Wundinfektionskrankheiten an den Unterleibs¬ 
organen der Wöchnerinnen einschliesst, wie aus den §§ 304 und 
305 *) hervorgeht, in welchen die pathologischen Veränderungen 
bei den Kranken geschildert werden, und aus dem § 303, wo es 
heisst, dass für die Hebamme jeder Fall von Kindbettfieber, 
Gebärmutter und Unterleibsentzüudung und alle als solche ver¬ 
dächtige Krankheiten anzeigepflichtig sind. Das neue Bach über¬ 
schreibt dagegen das entsprechende Kapitel im siebenten Teile 
mit „die Wundkrankheiten des Wochenbettes“ und hebt 
dann aus der ganzen Beihe der fieberhaften auf Infektion be¬ 
ruhenden Störungen in der Wunciheilung als „Kindbettfieber“ 
im § 479 nur die allgemeine Blutvergiftung, also die 
Septichämie, die Pyämie und die Septicopyämie ab, wobei die dif¬ 
fuse Peritonitis eine besondere Würdigung erfährt. 

Nach meinen Erfahrungen wäre es mindestens ebenso gut 
gewesen, wenn der Name „Kindbettfieber“ ganz gefallen wäre. 
Er bezeichnet auch in dieser Einschränkung weder in ätiologischer, 
noch symptomatologischer Hinsicht ein abgeschlossenes Krankheits¬ 
bild. Dafür hätte ganz gut der Verlauf des „Faulfiebers“, des 
„Eiterfiebers“ und deren Kombination nach den mehr lokal bleiben¬ 
den sonstigen Infektionen beschrieben werden können, so dass man 
diese obsolete Diagnose gar nicht nötig haben würde. 

A. Methode der Ausführung der Desinfektion in der 

Geburtshilfe. 

Motto: „Desinfizieren heisst keimfrei machen.“ Da man 
nicht weiss, ob ein Gegenstand oder die Hand krankmachende 
Spaltpilze enthält oder nicht, so ist alles vorher keimfrei zu machen, 
was mit einer Wunde in Berührung kommen soll (§ 108). 

Zur Ausführung der Desinfektion gehören folgende Mass¬ 
nahmen : 

I. Allgemeine Vorschriften. 

a) Die Hebamme hat sich immerfort an sich selbst der 
grössten Beinlichkeitspflege zu befleissigen (§ 113, Ziffer 2). 
Daher hat sie 

1. ihren ganzen Körper durch häufigere Ganzwaschungen oder besser 
Vollbäder sauber zu halten; dies ist wöchentlich wenigstens einmal vorzu- 
nehmen (§ 118, Z. 2). 

2. Als Kleider hat sie in ihrem Berufe Waschkleider zu tragen, die 
bei Ausübung der Berufstätigkeit durch eine reine weiße den ganzen Vorder¬ 
körper bedeckende Schürze zu schützen sind (§§ 113, Z. 2, 194, Z. 9). 

3. Vor allem hat sic ihre Hände zu pflegen. 

Sie meide gröbere Arbeit; muß sic aber solche ausführen, so hat 
sie ihre Hände durch häufige Waschung mit warmem Seifenwasser weich 
zu erhalten (§ 113, Z. 3). 

*) Wo nichts hinzugefügt ist, bedeuten die angeführten Paragraphen 
stets diejenigen des neuen Hebammenlehrbuches. 



Die Prophylaxe der puerperalen Wandinfektionskrankheiten osw. 


3 


Sie halte die Nägel karz und rund geschnitten, die Unternagel* 
räume und N&gelfalze schmutzfrei (§ 113, Z. 3). 

Ringe trage die Hebamme am besten nicht (§ 113, Z. 3). 

Sie vermeide Verletzungen der Hände (§ 113, Z. 3). 

Hände mit eiternden Stellen und Blutgeschwüren machen 
die Hebamme zur Berufstätigkeit ungeeignet (§ 113, Z. 3 und Dienst¬ 
anweisung § 19). 

Die Hebamme vermeide nach Möglichkeit jede Berührung mit 
Gegenstände, vondenen sieweiß, daß sie Krankheitskeime 
enthalten (§ 113, Z. 1). 

b) Die Hebamme sorge für Reinlichkeitspflege in 
Schwangerschaft, Geburt nnd Wochenbett (§ 165). 

1. In der zweiten Hälfte der Schwangerschaft: 

Es ist zweckmäßig wöchentlich 1—2 Vollbäder von 35° C. zu geben. 

Täglich soll sich die Schwangere die äußeren Geschlechtsteile 
unter Zuhilfenahmer reiner Verbandwatte (niemals eines Schwammes!) abseifen. 

Der Beischlaf soll in der letzten Zeit der Schwangerschaft nicht 
ausgeftbt werden. 

Vor jeder inneren Untersuchung sind von der Hebamme die 
Geschlechtsteile unter Zuhilfenahme eines Wattebausches warm abzuseifen. 

2. Bei der Geburt: 

Einer jeden Kreißenden sind von der Hebamme, wie vor jeder 
inneren Untersuchung, die äußeren Geschlechtsteile abzuseifen. 
Steht ein Bad zur Verfügung, so seife man sie im warmen Bade ab (§§ 113, 
Z. 8, 143 und 197). 

Die Kreißende ist mit reiner Leibwäsche zu bekleiden (§ 197). 

In das Kreißbett kommt als unmittelbare Unterlage ein reines 
leinenes Tuch; die wasserdichte Unterlage darunter ist mit lproz. Lysol¬ 
lösung abzureiben (§ 204). 

Kissen und Zudecke sind womöglich frisch zu beziehen (§ 204). 

3. Im Wochenbett: 

Die Geschlechtsteile sind täglich wenigstens 1 mal durch Abspülen 
zu reinigen (§§ 242 und 252). 

Die Vorlagen von reiner Verbandwatte sind 3—4mal täglich zu er¬ 
neuern (§§ 117 und 242). 

Die beschmutzten Vorlagen sind durch Verbrennen sofort zu 
vernichten (§§ 117 und 242). 

Unterlagen, Bett- und Leibwäsche sind nach Beschmutzung 
rechtzeitig zu erneuern (§ 242). 

Beschmutzte Gebrauchsgegenstände sind sofort aus dem 
Zimmer zu entfernen (§ 242). 

NB. Bei allen Waschungen und Spülungen ist nach Mög¬ 
lichkeit abgekochtes Wasser zu verwenden, wenn nicht vor¬ 
handen, lproz. Lysollösung (§ 113, Z. 8 sinngemäß erweitert). 

II. Vorschriften für die Ausführung: der Desin¬ 
fektion selbst. 

Als Desinfektionsmittel stehen der Hebamme zur Verfügung 
(§ 109): 

a) Die Hitze: 

1 . Instrumente werden, wenn irgend möglich, */< Stunde lang im 
Wasser mit Zusatz von 1 Teelöffel Soda ausgekocht. Der Hebamme ist 
die Anschaffung eines billigen Desinfektionsapparates empfohlen (§§ 112 und 
113, Ziffer 7). 

2. Verbandstoffe, 'welche imströmenden erhitzten Was ser- 
dimpfe sterilisiert sind, kommen in verlöteten Blechbüchsen in den Handel: 
Tamponbüchse (§§ 95 u. 112). 

3. Für Betten, Matratzen, Kleider bestehen in den meisten 
Städten öffentliche Desinlektionsapparate (§ 112). 



4 


Br. Mann. 


4. Vorlagen und Verbandstoffe, welche mit Wochenfluß, Eiter etc. 
beschmutzt sind, werden sofort verbrannt (§§ 117 u. 242). 

b) Chemische Mittel = Antiseptika. Hierzu gehören : 

1. Das Sublimat in Lösung von 1 : 1000 = 1 °/oo = 1 pro mille, her¬ 
gestellt durch Auflösen von einer Angcrcrschen Sublimatpastille (enthält 1 g 
Sublimat, Kochsalz und einen roten Farbstoff) in 1 Liter Wasser (§§ 109 u. 114). 

NB. Sublimat ist zur Hündedesinfektion von vornherein 
allein zugelassen (§ 114). 

Es ist sehr giftig! (§ 114). 

Darf daher auch nicht zur Reinigung der Geschlechtsteile verwendet 
werden (§ 116). 

Es greift metallene Instrumente an, darf also nicht zu deren Des¬ 
infektion gebracht werden (§ 116). 

Es darf nicht mitScife inBerührung gebracht werden, 
da es sonst seine Wirksamkeit verliert. 

Hat sich die Lösung beim Gebrauche getrübt, so ist sie wertlos 
geworden (§ 112, Z. 6.) 

2. Lysol in Lösung von 1 : 100 = 1 °/o = 1 prozent. In einem Me߬ 
gefäß werden 10 g Lysol genau abgemessen und in einem Liter Wasser, welches 
sich in einer reinen Schale oder einer reinen Literflasche befindet, unter sorg¬ 
fältigem Umrühren, resp. Schütteln aufgelöst (§ 113, Z. 10). 

NB. Die Lösung darf nicht in der Spülkanne hergestellt werden (§ 113, 
Ziffer 10). 

Lysol wird verwendet 

mit Erlaubnis desKreisarztcs zur Händedesinfektion, 
an Stelle des Sublimats, wenn die betreffende Hebamme dieses nicht ver¬ 
trägt (§ 115); 

zum Abreiben und Aufbewahren von Gerätschaften, 
welche das Auskochen nicht vertragen, oder wenn keine Gelegenheit zum 
Auskochen vorhanden ist (§ 113, Z. 7); 

zum Abwaschen der Frau in Ermangelung von abgekochtem 
Wasser (§ 113, Z. 8); 

zu Ausspülungen in besonders bezcichnctcn Fällen und auf be¬ 
sondere Anweisung des Arztes (§ 113, Z. 9). 

3. Alkohol = 85°/o Weingeist des Arzneibuches. 

NB. Sein Gebrauch bei der Händedesinfektion ist immer erlaubt, 
vorgeschrieben aber zur verschärftenHändcdesinfektion nach 
Berührung von infektiösen Gegenständen (§ 113, Z. 5). 

4. Karbolsäure und cssigsaure Toncrdelösung. Deren Ge¬ 
brauch ist nicht näher beschrieben (S 109). 

5. Jodoform pul vor zum Bestreuen der Wattekugeln (§ 109). 

III. Die Händedesinfektion im besonderen. 

Motto: „Ohne keimfreie Hände keine gute Wundheilung“ 

(§ Hl). 

a) Zu der Ausführung der Händedesinfektion hat die Heb¬ 
amme nötig: 

1. Eine. Schale Nr. I mit heißem Wasser und eine Bürste Nr. I. 

2. Ein reines Handtuch. 

3. Einen metallenen (desinfizierten) Nngelkratzer. 

4. Eine Schale Nr. II mit l ’| 0 , Sublimatlösung und eine Bürste Nr. II 
(§ 113). 

5. Eine Flasche mit Alkohol. 

b) Methoden: 

Ringe sind stets abzulegen (§ 113, Z. 2). 

1. Die einfache Händedesinfektion = Heisswasser-Subli¬ 
matdesinfektion (§ 113). 

I. Akt. In Schale Nr. I werden mit heißem Wasser durch die Bürste Nr. I 
jeder Finger einzeln — jeder Nagel besonders — die ganzen Hände — die 
Vorderarme beiderseits während 5 Minuten gründlich abgeseift. 



Die Prophylaxe der puerperalen Wundinfektionskrankheiten usw. 


5 


II. Akt. Die Hände and Arme werden sorgfältig abgespillt and mit 
dem Handtuch abgetrocknet. 

III. Akt. Die Unternagelräumo werden mit dem Nagelkratzer genau 
aufgekratzt. 

I?. Akt. Die trockenen Hände werden in die Sublimatlosung der 
Schale Nr. 2 eingetaucht, dann werden die Hände in der Heiken folge wie im 

I. Akt 3 Minuten lang mit Bürste Nr. II und Sublimatlösung bearbeitet, die 
Unterarme mit Sublimatlösung abgespült. 

NB. Untersucht wird mit der noch von Sublimatlösung triefenden 
Hand, ohne vorher etwas anderes zu berühren. 

Nach dcrUntersuchung werden die Hände gewaschen, abgetrocknot 
und mit Sublimatlösang abgespült and wieder abgetrocknet. 

2. Die verschärfte Händedesinfektiun = Heisswasser — 
Alkohol — Sublimatdesinfektio». 

Nach Akt III der ersten Methode werden die Hände durch einen reinen 
mit Alkohol getränkten Wattebausch unter besonderer Berücksichtigung der 
Nägel kräftig 2 Minuten lang abgericben, dann geht die alkoholnasso Hand in 
Sublimatlösang and es folgt Akt IV (§ 113). 

B. Besondere Vorschriften zur Verhütung der Einimpfung 
ansteckender Keime in die Wanden der Kreissenden and 

Wöchnerin. 

I. Motto: „Die Hebamme weiss, dass sie ihre Hände nicht 
sicher desinfizieren kann, wenn sie mit ansteckenden Stoffen in 
Berührung” gekommen ist“ (§ 470). 

a) Daher muß sie alle Gegenstände und Orte meiden, welche 
die gefährlichen Spaltpilze vor allem enthalten. 

Dazu gehören: 

1. Leichen und deren Kleider, sowie Leichenteile. 

2. Faulende Gegenstände, zersetzte menschliche und tierische Teile 
(Nachgeburt, Fruchtwasser, Wochenfluß) (fi§ 10C> u. 113). 

Nß. Jeder Wochenfluß (vom 2. Tage ab) ist infektiös! (§£ 242 u. 497). 

3. Kranke und eiternde Wunden und deren Ausflüsse (S§ 100 u. 113). 

4. UebelriechenderAusfluß bei Krebs u. KindbetUiebcr (106 u. 113). 

5. Personen, welche an ansteckenden Krankheiten leiden, vor allem 
Kindbettfieber, Rose, Scharlach, Pocken, Typhus, Ruhr, Halsentzündung, 
schließlich jeder Fieberkranke (sinngemäß auch Wundstarrkrampf bei 
Mutter oder Kind, Schälblasen, Nabclentzundung) ($>$ 103 u. 113). 

b) Wochen was che darf eine Hebamme selbst nicht waschen (§ 117 
und Dienstanweisung § 21). 

c) Beschmutzte Vorlagen sind sofort zu verbrennen. 

d) Fiebernde Wöchnerinnen und deren Unterlagen sind 
möglichst wenig zu berühren (Dienstanweisung § 29). 

e) Hat die Hebamme an ihren Händen eiternde Wunden 
oder Blutgeschwüre, so darf sic keine Geburt übernehmen (sinngemäß: 
wenn auch die Hände davon erst vor kurzem geheilt sind) (Dienstanw. § 29). 

II. Ist die Hebamme trotz aller Vorsicht doch 
einmal mit den vorgenannten Stoffen in Berührung 
gekommen, so hat sie die verschärfte Desinfektion 
ihrer Hände und Arme vorzunehmen und die dazu ge¬ 
brauchten Bürsten 1 / 2 Stunde lang auszukoclien (Lehr¬ 
buch § 113, Ziffer 5 und § 482). 

III. Weiter ist zu merken (§ 117): 

1. Watte und Verbandstoffe zur Versorgung v<m Mutter und 
Kicd sind vor der Verwendung nur mit genau desinfizierten Händen aiizufassen. 

2. Von der Watte wird ans dem Behälter jedesmal nur so viel 
entnommen, wie zunächst gebraucht wird, in ein reines Handtuch eingeschlogen 
oder, zu Waschungen, sogleich in die Schale mit dem durchgekochten Wasser 
oder der Lysollösung eingelegt. 



6 


Dr. Mann. 


3. Ein Stück Watte, welches den Faßboden berührt hat, ist 
als weiter zur Verwendung ungeeignet zu verbrennen. 

4. Ein Instrument, welches zu Boden gefallen ist, muß 
sofort ausgekocht werden. 

IV. Dem Kreisarzt ist Anzeige zn erstatten (§ 34 
der Dienstanweisung): 

1. Von jedem Fall von Kindbettfieber, Wundrose, Wundstarrkrampf bei 
Matter oder Kind (sinngemäß auch Nabelentzündung). 

2. Von jedem Fall von Cholera, Diphtherie, Pocken, Bohr, Scharlach, 
Typhus, sei er im Hause der Hebamme selbst oder in dem Hause, in welchem 
die Hebamme eine Kraißende oder Wöchnerin versorgt hat, vorgekommen. 

3. Von jedem Fall von Sch&lblasen der Neugeborenen. 

4. Bei Erkrankung der Hebamme selbst an Geschwüren der Brust oder 
übelriechenden Ausflüssen. 

ß. Wenn die Hebamme eine an Krebs der Gebärmutter oder der äußeren 
Geschlechtsteile erkrankte Schwangere oder Kreißende untersucht hat. 

C. Verhaltungsmassregeln für die Hebammen 
bei ansgebrochenem Wundfieber im Wochenbett vor allem 

bei Kindbettfieber. 

I. Der Arzt ist zuzuziehen (§ 481 und Dienstan¬ 
weisung § 28): 

1. Bei Fieber im Wochenbett ist der Arzt zu fordern, wenn die 
Temperatur der Wöchnerin zweimal über 38° C. gestiegen war. 

2. Bei jedem Schüttelfrost ist auf Zuziehung eines Arztes zu 
dringen. 

8 . Bei dauernder Pulsbeschleunigung, auch wenn keine Tempe¬ 
raturerhöhung besteht, ist der Arzt zu benachrichtigen. 

4. Wenn die Hebamme an den Geschlechtsteilen der Wöch¬ 
nerin ein Geschwür entdeckt, so ist ärztliche Behandlung nötig. 

II. Dem Kreisarzt ist sofort persönlich oder 
schriftlich zu melden (§ 481 und Dienstanweisung § 28): 

1. Jeder Tod einer Wöchnerin. 

2. Jeder (nachgewiesene) Fall von Kindbettfieber. 

III. Daher hat die Hebamme, weil sie selbst nicht mit Be¬ 
stimmtheit sagen kann, ob gegebenenfalls bereits Kindbettfieber 
da ist, 

1. den hinzugezogenen Arzt zu fragen, ob bereits Kindbett¬ 
fieber vorliegt; 

2 . wenn er es verneint, ihn zu bitten, ihr mitzuteilen, wann nach 
seiner Meinung Kindbettfieber da ist. 

IV. Hat der Arzt Kindbettfieber festgestellt, so 
gelten nunmehr folgende Vorschriften (§ 482 u. Dienstanw. § 29): 

1. Die weitere Pflege nach dem Eintreffen des Arztes darf die 
Hebamme nur dann aufgeben, wenn 

a) eine sachverständige Person die Wartung der Kranken übernimmt; 

b) wenn der Kreisarzt dies erlaubt. 

2. Am besten ist es, wenn die Hebamme in solchen Fällen (und wenn 
auch nur Verdacht auf Kindbettfieber besteht) die Kranke nicht mehr be¬ 
sucht (sinngemäß: sie soll auf die Annahme einer sachver¬ 
ständigen Pflegerin dringen). 

V. Ist die Hebamme bei einer an Kindbettfieber 
kranken Frau tätig, so ist ihr 

a) während der Dauer der Beschäftigung bei der Erkrankten 

b) und noch weitere 8 Tage 

jede sonstige Tätigkeit als Hebamme untersagt. 



Die Prophylaxe der puerperalen Wundinfektionskrankheiten usw. 


7 


Der Kreisarzt ist berechtigt, vor Ablauf der zuletzt bezeichnten 8 Tage 
die Aufnahme der Berufstätigkeit zu gestatten, wenn er es für unbedenklich hält. 

Ist dagegen begründeter Verdacht einer Uebertragung von Ansteckungs¬ 
stoffen durch die Hebamme vorhanden, so kann sie der Kreisarzt immer auf 
8 Tage außer Dienst setzen (§ 28 Dienstanweisung). 

VI. Bevor nunmehr die Hebamme ihre Berufstätigkeit wieder 
aufnimmt, hat sie die ihr vom Kreisärzte jedesmal anzuweisende 
Reinigung und Desinfektion ihres Körpers und Ge- 
brauchsgrgenstän: Wäsche, Kleidung und Instrumente, vor¬ 
zunehmen. Auf jeden Fall gilt (§ 482): 

a) Nach jeder Berührung mit einer fieberkranken Wöchnerin (und 
deren Unterlagen, Dienstanweisung § 29) sind sofort 

1. Hände und Arme mit der Heiß wasser- Alkohol -Sublimat -Desinfektion 
zu behandeln; 

2. die dazu gebrauchten Bürsten •/* Stunde lang auszukochen. 

b) Nach jeder Berührung mit einer Frau, bei welcher Kindbett¬ 
fieber oder nur der Verdacht auf diese Krankheit besteht, sind 

1. die Hände und Arme mit der Heißwasser-Alkohol-Sublimatdesinfektion 
zu behandeln; 

2. der ganze Körper durch ein Vollbad oder eine Ganzwaschung zu 
reinigen; 

3. die dabei getragenen Kleider abzulegen, von dem sonstigen Kleider¬ 
vorrat zu trennen und entweder auszukochen und mit Seife zu waschen 
oder — noch besser — im Desinfoktionsofen sterilisieren zu lassen; 

4. die gebrauchten Instrumente und Bürsten sind */« Stunde lang 
auszukochen; 

5. der Schlauch der Spülkanne ist l l* Stunde lang in'Lysollösung zu legen 

Die einschneidendste Neuerung (neben der nunmehr obligato¬ 
rischen Anwendung des Sublimats) in diesem System dürfte wohl 
in den §§ 481 und 482 des Lehrbuches enthalten und oben nnter 
CH, HI und IV wiedergegeben sein. 

Das alte Hebammen-Lehrbuch machte den Hebammen an¬ 
zeigepflichtig: Kindbettfieber, Gebärmutter- oder Unterleibsent¬ 
zündung oder auch nur den Verdacht auf das Vorhandensein dieser 
Krankheit. Es war nicht die Rede davon, ob die Krankheit vom 
Arzte diagnostiziert sein muss, sondern die Hebamme musste im¬ 
stande sein, selbst sich dazu zu entscheiden, ob die Krankheit 
oder wenigstens der Verdacht darauf vorliegt oder nicht. Das 
ganze weitere Verhalten der Hebamme unterstand nach der An¬ 
zeige der speziellen Bestimmung des Kreisarztes. Bis jedoch 
dessen Anordnungen ausgeführt waren, musste die Hebamme sich 
ohne weiteres ihrer Berufstätigkeit enthalten. 

Nunmehr ist die Hebamme sehr deutlich au den Arzt ver¬ 
wiesen. Dieser hat ihr zu sagen, ob und wann Kindbettfleber 
= schwere allgemeine Blutvergiftung, da ist. Erst seine 
bestimmt gestellte und mitgeteilte Diagnose zwingt nunmehr die 
Hebamme zur Anzeige. Also: 

1. Die Hebamme ist dem Kreisärzte nicht mehr persönlich 
für die frühzeitige Meldung eines solchen Falles haftbar, sondern 
de ist durch die Aeusserungen des Arztes gedeckt. 

2. Ob sie selbst den Verdacht auf das Bestehen einer solchen 
Krankheit hat, ist nach dieser Seite hin von keiner Bedeutung. 

8. Die Hebamme soll jedoch auch jetzt noch imstande sein 



8 


Dr. Mann. 


den Verdacht auf Kindbettfieber zu fassen. Sie soll sich freilich 
nach der Berührung einer jeden fiebernden Wöchnerin verschärft 
die Hände desinfizieren, aber auch nur bei dem Verdachte auf 
Kindbettfieber — es steht nicht im Buche, dass der Arzt den 
Verdacht ausgesprochen haben muss — soll sie sich aller sonstigen 
Berufstätigkeit enthalten, die Erkrankte, falls keine sachver¬ 
ständige Pflegerin einspringt, weiter pflegen, und 

4. am Ende dieser Pflege die Reinigung und Desinfektion 
ihres Körpers genau wie nach der eines angezeigten Kindbett¬ 
fieberfalles vornehmen. 

Ob sie dieses tut oder nicht, untersteht keiner Kontrolle, 
sondern ist ihrer Gewissenhaftigkeit überlassen. Es schwebt nur 
die Gefahr über ihr, dass der Kreisarzt bei begründetem Ver¬ 
dachte einer Uebertragung von ansteckenden Stoffen durch sie 
ihr 8 Tage lang die Berufstätigkeit verbieten kann. 

Das neue Buch bringt also den praktischen Aerzten 
und Hebammen ein sehr grosses Vertrauen entgegen. 
Die Motive seiner Autoren für die Zweckmässigkeit dieser Neue¬ 
rung sind mir nicht bekannt; von vornherein möchte ich aber mit 
meinem Bedenken dagegen, ob durch diese Vorschrift die Siche¬ 
rung des Wochenbettes in wünschenswerter Gründlichkeit genüge 
geleistet wird, nicht zurückhalten. Ich halte die gegenwärtige 
Zeit für ein solches gewiss recht ehrendes Vertrauen auf Arzt 
und Hebamme für noch nicht reif. Dass trotz der bislang gül¬ 
tigen Vorschrift der Desinfektion auch in der antiseptischen Zeit 
Epidemien an Kindbettfieber vorgefallen sind, ist doch nicht zu 
leugnen. Ich kenne einige solche. Sie sind deutlich entstanden, 
trotzdem oder besser, weil sich die Hebamme auf den Arzt und 
seine Diagnose verliess. Ich möchte in dieser Hinsicht drei Fälle 
hier kurz niederlegen; vielleicht kennen die Leser noch manche 
andere, ähnliche. Für unsere gegenwärtige Frage kann man 
aber die nachstehenden Fälle wohl als Paradigmata bezeichnen. 

1. Eine Dorfhebamrnc rief zu einer fiebernden Frau einen neu appro¬ 
bierten Kollegen, welcher eine Bauchfellentzündung feststellte. Da er 
nicht von Kindhetttieber sprach, glaubte die Hebamme keinen Grund zu Weite¬ 
rungen zu haben. Erst die Häufung von Todesfällen im Wochenbette führte 
zur Untersuchung durch den Kreisphysikus, und die weitere Verbreitung der 
so entstandenen kleinen, aber schweren Epidemie wurde verhütet. 

2. Mir ist noch deutlich die Verlegenheit eines gewiß sehr eifrigen 
Kollegen in Erinnerung, mit welchem ich auf Wunsch des besorgten Ehe¬ 
mannes am Wochenbette zu konsultieren hatte, als ich die Diagnose auf 
schwerste Sepsis stellte mit der ungünstigsten Prognose, die auch durch den 
unglücklichen Ausgang nach nicht ganz 2 mal 24 Stunden bestätigt wurde, 
nachdem er selbst kurz vorher die Sache für ungefährlich erklärt hatte. Die 
Temperatur war in der Achselhöhle nie über 38,5° C. gestiegen, der be¬ 
schleunigte Puls konnte auf Nervosität beruhen. Auch hatte die neu ent¬ 
bundene Frau am Tage vorher frisches Brot gegessen. Der Ausfluß roch 
auch nicht nennenswert übel. Ich traf die Hebamme an, als sie neben der 
Kranken saß und das Iviud versorgte. In derselben Woche starb in ihrer 
Praxis auch eine Frau au Lungenentzündung und eine früher ganz gesunde 
Wöchnerin angeblich am Schlage. 

3. Eine durch die Zange entbundene Frau erkrankt am Fieber; die 
Hebamme fragt den behandelnden Arzt, ob Wochenbettfieber vorläge. Der 
Arzt meint, das könne man noch nicht wisssen; er werde ihr schon Bescheid 



Die Prophylaxe der puerperalen Wandinfektionskrankheiten usw. 


9 


sagen; man solle aber nicht gleich Lärm schlagen. Als der Bescheid aasbleibt, 
glaubt die Hebamme berechtigt za sein, die Pflege weiter za führen. Die be¬ 
treffende Frau stirbt, einige Tage weiter in der Praxis derselben Hcbammo 
eine zweite Frau an foudroyantester Sepsis und eine dritte an „Schlaganfall“. 
Diese Hebamme ist keineswegs eine von den schlechtesten der hiesigen Qegend ; 
sie wurde empfindlich im Verwaltungswege bestraft. 

Ich befürchte, dass wir ähnliche Fälle, vor allem wie Nr. 8 
in der Aera des neuen Lehrbaches ohne sonstige Sicherungsmass- 
regeln häufiger sehen werden. 

Ich habe bereits eingangs dieser Arbeit meine Ansicht aus* 
gesprochen, dass ich vom theoretischen und praktischen Stand¬ 
punkte aus die weitere Beibehaltung einer Diagnose „Kindbett¬ 
fieber* vor allem in der nunmehr gemachten Einschränkung iür 
nicht zweckmässig halte. 

Eine septische Metroendometritis und Pelveoperitonitis kann 
z. B. bei günstigen Verhältnissen auch günstig verlaufen. Die 
Streptokokken können sich hier nicht austoben, und doch ist es 
dieselbe Horde, von der eine andere Aussaat bei einer anderen 
Frau eine schwere, allgemeine Sepsis erregen kann. Aetiologisch 
dieselbe Krankheit, verlaufen doch diese beiden Fälle durchaus 
verschieden. 

Aber weiter! Der Arzt stellt eine Endometritis oder dergl. 
fest, nachdem ihn die Hebamme an das Fieberbett gerufen hat. 
Die Hebamme fragt ihn nun: Herr Doktor, ist es Wochenbett¬ 
fieber? Nein, sagt er, es ist freilich eine Störung der Wund¬ 
heilung, aber die Sache ist ja noch so leicht. Vielleicht ist es 
nur eine Infektion mit „harmlosen Stäbchen*. Kann das aber in 
der Hauspraxis bewiesen werden? Nein! Der therapeutische Prak¬ 
tiker ist zu dieser Meinung von vornherein durchaus berechtigt, 
ohne dass man ihm daraus wenigstens einen Vorwurf zu machen 
braucht. Nun ist der Fall aber dennoch eine pyogene Kokkeninfek¬ 
tion, bleibt jedoch milde, wenigstens vorläufig, und kann sich später 
erst zu den schwersten Formen entwickeln. Von der Fiebernden 
aus wird ihre ganze Umgebung auch bei leicht verlaufenden Fällen 
infektiös. Die Hebamme bewegt sich ruhig bei der Krankenpflege 
in der Krankenstube umher. Wenn sie weggeht, desinfiziert sie 
gründlich nach Vorschrift ihre Hände, geht aber mit denselben 
Kleidern zu einer anderen Geburt, denn weder sie, noch der Arzt 
haben den Verdacht, dass es „Wochenbettfieber*, allgemeine 
Blutvergiftung, sein könnte; denn „die Sache ist ja rein lokal*. 
Wenn nun jetzt von diesem Falle aus eine breite Propagation der 
Sepsis erfolgt, kann man dann unter den gegenwärtigen Vor¬ 
schriften jemandem einen begründeten Vorwurf machen? Ich 
glaube kaum! 

Ich habe in der hiesigen Hebammenlehranstalt Repetitions¬ 
standen abzuhalten und seit mehreren Jahren inoffiziell den Lehr¬ 
töchtern das Bild der puerperalen Wundkrankheit auf die Weise 
geschildert, dass ich mit der Vaginitis und dem puerperalen Ge¬ 
schwür begann, zar saprischen und septischen Endometritis und 
von da zur Parametritis und Pelveoperitonitis fortschritt. Ver¬ 
allgemeinern und kombinieren konnte ich dann das Bild des „Faul- 



10 


Dr. Mann. 


fiebere“ und des „Eiterfiebers“, sowie der Mischform dieser beiden 
und die diffuse Peritonitis leicht anschaulich machen, ohne dabei 
den Namen Kindbettfieber überhaupt zu gebrauchen. Ich war mit 
dem Erfolge recht zufrieden. Die Schülerinnen erhielten eine 
wesentlich andere Anschauung von der Bedeutung der puerperalen 
Infektion. Sie lernten auch die leichten Fälle fürchten, da nicht 
blos hiervon andere leichte Krankheiten, sondern geeigneten Falles 
die schwereren und schwersten Formen durch Uebertragung ent¬ 
stehen können. Bleibt es aber bei einem oder mehreren leichten 
Erkrankungen, so können langwierige Unterleibsschäden, die den 
Lebensgenuss und die Arbeitsfähigkeit der Frau verkümmern, Zu¬ 
rückbleiben. Diese Punkte sind im alten Buche gar nicht, im 
neuen Buche viel zu kursorisch berührt und doch von unendlicher 
Wichtigkeit. 

In richtiger Würdigung der praktischen Verhältnisse ist im 
hiesigen Regierungsbezirke für die Aerzte durch Polizeiverordnung 
anzeigepflichtig: Wochenbettfieber oder entzündliche Er¬ 
krankung des Unterleibs im Wochenbett. Dadurch soll 
dem Kreisarzt die Gelegenheit gegeben werden, sich selbst zeitig 
genug von der Natur einer solchen Erkrankung zu überzeugen, 
damit er dann der Hebamme die richtigen Verhaltungsmassregeln er¬ 
teilen kann, auch wenn die Hebamme selbst noch nicht vom Vor¬ 
handensein des Wochenbettfiebers überzeugt sein sollte. Würde nun 
diese Vorschrift weiterhin von allen Aerzten genau innegehalten, 
so würde ich gleich alle Bedenken gegen die obigen Vorschriften 
fallen lassen, dann zeigt eben der Arzt, nicht die Hebamme, den 
Verdacht auf Kindbettfieber an, und der Kreisarzt kann zeitig 
genug in Wirksamkeit treten. 

Man sehe sich aber einmal die praktischen Verhältnisse ge¬ 
nauer an. Ehe sich ein praktischer Routinier dazu entschliesst, 
„Lärm zu schlagen“, muss die Sache schon einigermassen weit 
gediehen sein. Bislang kam noch häufig schon früh die Anzeige, 
weil die Hebamme ebenfalls zur spontanen Anzeige sich ver¬ 
pflichtet fühlte. Wird nun jetzt durch die neue Vorschrift Spiel¬ 
raum geschaffen, so werden voraussichtlich die Influenzen im 
Wochenbett, die Magenkatarrhe, die Schleimfieber etc. noch häufiger 
Vorkommen, und erst später kann der Frauenarzt aus den chronisch 
gewordenen Adnexkrankheiten etc. feststellen, dass vermutlich 
doch eine puerperale Infektion damals bestanden hat. 

Dazu kommt noch, dass die oben genannte Polizeiverordnung 
eigentlich ungültig ist. Sie geht über das Regulativ von 1835 
hinaus, und das Gericht wird in der Berufungsinstanz eine event. 
verhängte Strafe aufheben. Nicht einmal die schweren septischen 
Erkrankungen anzuzeigen kann der Arzt gezwungen werden, und 
ich kenne tatsächlich solche „Originale“, welche ungesetzlich mit 
unrecht verwechseln, welche also dergleichen Anzeigen „prinzipiell“ 
unterlassen. Sie kennen eben den Spruch nicht „Summum jus summa 
injuria“ = wenn man das Recht auf die Spitze treibt, so ent¬ 
steht das grösste Unrecht. Unsere Damen Hebammen werden 
recht bald merken, „welche Aerzte immer anzeigen und welche 



Die Prophylaxe der puerperalen Wandinfektionskrankheiten usw. 11 


nicht*, zum Schaden jener Aerzte, welche darin etwas akku¬ 
rater sind, aber anch mit Gefährdung ihres Klienteis. 

Man vertraut den Aerzten, dass sie die Hebammen zeitig 
genug benachrichtigen, ob wir es mit dem ungemein infektiösen 
»Kindbettfieber“ zu tun haben oder nicht. Demgegenüber halte 
ich nach meiner Erfahrung es für zweckmässiger, wenn schon 
bislang, so erst recht für die Folgezeit nach dem § 481, dass die 
exakte Durchführung obiger Begiernngs-Polizeiverordnung mit 
allen Mitteln in die Wege geleitet werden muss. Ich gestatte mir, 
einen Weg zu zeigen, auf dem man ohne Polizei und Gericht doch 
auf die Aerzte einen wirkungsvollen Zwang ausüben kann. 

Auf der Versammlung der Hebammenlehrer in Würzburg 
1903 wurde die Anregung gegeben, dass die ärztlichen Standes¬ 
vereine auf ihre Mitglieder in dem Sinne einwirken sollen, dass 
Kollegen, welche Geburten ohne Zuziehung einer Hebamme leiten, 
sich für verpflichtet halten müssen, alle den Hebammen für die 
Sicherung des Verlaufes von Geburt und Wochenbett gegebenen 
Vorschriften ebenfalls zu befolgen. 

Ich möchte noch etwas weiter gehen. Der Stand der Aerzte 
ist nicht bloss dazu da, den Kranken zur Genesung zu helfen. 
Keine Nebensache für ihn ist es auch, geschlossen für die Ver¬ 
hütung einer Krankheitsverbreitung einzutreten. Ohne Zusammen¬ 
wirken aller Aerzte ist aber ein solches Bestreben von sehr un¬ 
sicherer Wirkung. Eine Einheitlichkeit kann jedoch nach dieser 
Hinsicht nur erzielt werden, wenn sie sich alle um einen Mittel¬ 
punkt schaaren, welcher die genügende Einsicht besitzt und dem 
auch genügende Autorität zur Verfügung steht, im gegebenen 
Falle mit wünschenswerter Energie dem Publikum gegenüber zu 
treten. Dieses kann gegenwärtig nur die Staatsregierung mit 
ihren Organen sein, welchen die Sicherung des Volkswohles 
obliegt. 

Wenn also ein Arzt eine mit den Lehren seiner Wissenschaft 
im Einklang stehende, von der Mehrzahl der Aerzte als zweck¬ 
mässig anerkannte polizeiliche Anordnung, auch wenn sie im Ge¬ 
setze bislang noch nicht vorgesehen ist und deren Be¬ 
folgung ihm keine unerfüllbaren Pflichten auferlegt, nicht 
befolgt, also der gewiss ehrenvollen Aufgabe des ärztlichen Standes 
in einer wichtigen hygienischen Sache entgegentritt, so handelt 
er gegen seinen Stand, gegen die guten Sitten, wie sie bei seinen 
Standesgenossen geübt werden sollen, und gegen die Standesehre. 
Ohne die Benachrichtigung seitens der behandelnden Aerzte ist 
es ja den Medizinalbehörden unmöglich ihres Amtes zu walten, 
das ihnen auferlegt, die Bevölkerung auch bei ansteckenden Krank¬ 
heiten vor grossem Schaden zu bewahren. 

Vielleicht verdient daher meine Anregung einige Beachtung, 
dass nämlich die offizielle Standesvertretung, welche uns nun¬ 
mehr in den Kammern gegeben ist, erklärt, dass zum Kanon 
der Standesehre auch das Bewusstsein der Verpflich¬ 
tung (und demgemässes Handeln) gehört, die behörd¬ 
licherseits erlassenen Vorschriften zur Bekämpfung 



12 Dr. Mann: Die Prophylaxe der puerperalen Wund Infektionskrankheiten usw. 


von gemeingefährlichen Krankheiten nach bestem 
Willen zu befolgen. Ob dann noch disziplinäre Massnahmen 
nötig sein werden, muss der Zukunft überlassen bleiben. Dann 
brauchen wir nicht erst ein neues Gesetz, noch viel weniger den 
Staatsanwalt mit seinem Fahrlässigkeitsparagraphen. 

Eine gewisse Härte bietet auch die Vorschrift im neuen 
Lehrbuche, dass die Hebamme eine an Wochenbettfieber kranke 
Person weiter pflegen muss, wenn keine andere sachverständige 
Pflegerin für sie eintritt, dass sie aber natürlich während der 
Dauer dieser Pflege sich aller sonstigen Berufstätigkeit zu ent¬ 
halten halt. So wohltätig diese Vorschrift auch für die kranken 
Frauen zu begrüssen ist; der Hebamme ist ganz gewiss nicht 
immer die moralische Schuld an dem traurigen Falle beizumessen. 
Religiöse Krankenpflegegenossenschaften lehnen vielfach noch die 
Pflegen von kranken Wöchnerinnen aus nicht zu verstehender 
Prüderie ab. Ausgebildete Wochenbettpflegerinnen gibt es aber 
noch nicht überall in solcher Zahl, dass man damit immer rechnen 
kann. Wird nun keine Pflegerin gefunden, so muss die Hebamme 
selbst pflegen, und zwar in Krankheitsfällen, die sich über Monate 
bis zur Vollendung der Genesung hinziehen können. Die Hebamme 
ist in ihrem an und für sich nicht glänzenden Erwerbe aber 
hauptsächlich auf die Geburten angewiesen und kann daher durch 
solche Fälle empfindlich geschädigt werden. Mit der Einführung 
des neuen Lehrbuches ist es also sehr wünschenswert, möglichst 
bald dahin zu wirken, dass den Hebammen, wenn ihnen kein 
Verschulden nachgewiesen wird, in solchen Fällen eine Ent¬ 
schädigung aus öffentlichen Mitteln zugewiesen werden kann. Sie 
werden dann auch gewissenhafter sich an ihre Instruktion halten. 

Die betreffende Vorschrift ist ohne weiteres durchführbar an 
Orten, wo mehrere Hebammen neben einander arbeiten. Die ein¬ 
zelstehende Bezirkshebamme auf dem Lande aber kann sich ohne 
grössere Unbequemlichkeit für die Ortseingesessenen nicht durch 
eine Nachbarhebamme vertreten lassen, vor allem, wenn die Ort¬ 
schaften weit auseinander liegen. Hier wäre es wünschenswert, 
dass dem Kreisärzte bezüglich Beurteilung der Qualifikation der 
„sachverständigen“ Stellvertreterin in der Pflege ein grösserer 
Spielraum gelassen werde. Ist keine berufsmässige Pflegerin zu 
erhalten, so genügte meines Erachtens zur Not eine Frauens¬ 
person, welche rüstig genug ist, um für das Lagern der Frau 
sorgen und Nachtwachen ertragen zu können, und geistig so be¬ 
fähigt ist, dass sie die für 24 Stunden zu gebenden ärztlichen 
Weisungen behalten und einigermassen verständig ausführen kann. 
Lässt sich freilich auch eine solche nicht finden, so müssten 
gelegentlich die Landwirte auch einmal anspannen und die 
Hebamme aus dem Nachbarorte holen; denn so hart kann man 
nicht sein, eine arme kranke Frau mangels aller geeigneten Pflege 
verkommen zu lassen. Vielleicht führen solche Fälle dann zu 
häufigerer Anstellung von Gemeindepflegerinnen. 



Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


13 


Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 

A. Gerichtliche Medizin und Psychiatrin. 

Weiteres über Kunstfehler in der Uebammenpraxis. Von Professor 
Dr. H. Walther, Hebammenlehrer in Gießen. Allgemeine Deutsche Heb¬ 
ammen* Zeitung; 1904, Nr. 10. 

Im Anschluß an Erlebnisse aus seiner konsultativen Praxis bespricht 
Verfasser, noch unter Bezugnahme auf das alte preußische Lehrbuch, zwei 
Hilfeleistungen, welche die Hebamme vollständig beherrschen soll, das Kathe- 
lerisieren und das Ausspülen der Scheide. Das Katheterisicren ist den Heb¬ 
ammen zur Pflicht gemacht in den §§ 159, 225 und 311 des alten preußischen 
Lehrbuchs, und die Ausführung ist genau beschrieben im § 330. Das jetzt 
erschienene Heb&mmenlchrbuch, mit den entsprechenden §§ 245, 286 und 489 
und schließlich 92, hat die Vorschriften noch genauer gefaßt und zweckmäßiger 
gestaltet; es erleichtert dadurch entschieden den Hebammen, die sich genau 
danach richten, alle die Fehler zu vermeiden, welche Verfasser gesehen hat 
und aulzählt, nämlich 1. ungenügende Desinfektion der Hände {Jetzt Sublimat) 
und des Katheters (jetzt elastischer Jacques-Patent-Katheter), 2. das Bohren 
.falscher Wege“ und sonstige Fehler der Technik. Hier ist das Verbot des 
Met&llkathetcrs von Segen und der Umstand, daß die Hebamme schwierige 
Einführungen des Katheters nicht mehr selbst machen muß, sondern, falls ein 
vorsichtiger Versuch mißlingt, davon abstchcn und den Arzt rufen soll (§ 286 
Ruckwärtsbeugung der schwangeren Gebärmutter). Daß eine Hebamme den 
Katheter einer Wöchnerin in die Scheide statt in die Harnröhre einführt, wie 
Verfasser sah, ist jedenfalls ein Unikum, selbst bei einer alten Hebamme; 
Schaden wird er wohl da, falls vorher ausgekocht (§ 92), nicht anrichten. 

Aehnlich liegt die Sache bei den Scheidenausspülungen. Das alte Lehr¬ 
buch (§ 332) sagt, wie das neue (§ 94), daß solche im allgemeinen nur auf ärzt¬ 
liche Verordnung ausgeführt werden dürfen, und gibt in den §§ 237, 218 und 
246 die besonderen Fälle an, wo dio Hebammen von sich aus die Scheiden¬ 
spülung vornehmen sollen. Das neue Lehrbuch hat dafür die entsprechenden 
SOI, 380 (Scheidenschleimfluß, hier keine Spülung mehr) und §£ 426 u. 427. 

Die neuen Bestimmungen stellen wiederum einen Fortschritt, zugleich 
aber auch eine Erleichterung für die Hebammen dar. Befolgen sie dieselben 
strikt, so können Fehler, wie sie Verfasser berichtet, nicht Vorkommen. 

So wird der Fehler, daß Luftblasen in die Scheide eindringen, durch die 
Vorschrift, das Rohr .laufend“ einzuführen, sicher vermieden; falsche Tempe¬ 
raturen können bei der genauen Angabe nach Graden in Celsius nicht mehr 
Vorkommen, gegen Verbrennungen bezw. Verätzungen durch Lysol oder sonstige 
Schädigungen durch Desinfektionsmittel schützt die genaue Beachtung des 
| 113. Nicht erwähnt, aber sehr beachtenswert ist die Forderung des Ver¬ 
fassers, die Spülkanne nicht über 1 m hoch zu heben, damit zu hoher Druck 
der Spülflüssigkeit vermieden wird. Zum Schluß berichtet Verfasser noch über 
einen besonders krassen Kunstfehler aus seiner Praxis: Eine Hebamme machte 
die Spülung mit Lysol, die ihr aufgegeben war, 6tatt in die Scheide, in die 
Harnröhre bezw. in die Blase und verursachte dadurch Verätzung der Blasen- 
schleimhaut und langes schmerzhaftes Krankenlager. 

Diese Vorkommnisse bei den scheinbar einfachsten Hilfeleistungen sind 
dem Verfasser eine Mahnung, die Technik derselben bei Hebammenschülerinnen 
und in den Nachkursen fleißig üben zu lassen und immer wieder auf Kunst¬ 
fehler, die dabei unterlaufen können oder unterlaufen sind, hinzuweisen. Für 
diese Bestrebungen, denen sich die Kreisärzte bei den Nachprüfungen gewiß 
anschließen, bietet das neue Hebammenlehrbuch eine sehr wertvolle Grundlage. 

Dr. Steinkopff-Liebenwerda. 

Die forensische Bedeutung des Puerperalfiebers. Vortrag von Dr. 
Köstlin, Direktor der Provinzialhebammenlehranstalt in Danzig. Monats¬ 
schrift für Geburtshilfe und Gynäkologie; Bd. XIX., H. 5. 

Der Vortrag des Verfassers samt der sich daran knüpfenden Diskussion 
kt für den Medizinalbeamten in seiner Eigenschaft als gerichtlicher Sachver¬ 
ständiger von großer Bedeutung. 

Jeder hat wohl schon erlebt, daß eine gerichtliche Verfolgung wegen 



14 


Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


fahrlässiger Tötung gegen eine Hebamme mit Freisprechung endete, obgleich 
für den Arzt die Schuldfrage klar lag. Und doch ist dies erklärlich; denn das 
Gericht verlangt im konkreten Fall für den Kausalnexus „einen fast mathe¬ 
matischen Beweis“. — Soll nun der Kreisarzt von der Anzeige abstehen und 
sich, in der Befürchtung, seinem Ansehen za schaden, auf die disziplinäre Be¬ 
strafung der schuldigen Hebamme beschränken? Gewiß nichtI Er soll sich 
vor allem in jedem Fall seinen eigenen Standpunkt bilden, der sowohl seiner 
eigenen Erfahrung, als den Fortschritten der Wissenschaft gerecht werden 
muß. Nach ihm muß er bei der Schuldfrage eine möglichst präzise „zirkum¬ 
skripte“ Antwort geben. Erfolgt dann eine Verurteilung, so wirkt sie „wie 
ein reinigendes Gewitter“; erfolgt sie nicht, so hat er sein Gewissen salviert. 

Verfasser behandelt im Anschluß an zwei Freisprechungen von Heb¬ 
ammen die Verhältnisse, welche die Infektion herbeiführen können, insbesondere 
die Möglichkeiten, welche die Hebamme vor Gericht zu entlasten geeignet sind. 
In sehr ausführlicher und klarer Weise wird namentlich die Frage der Selbst¬ 
infektion, deren Gegner er ist, des Selbsttouchierens, der Infektion durch Unter¬ 
lagen und Wäsche erörtert. Der Standpunkt, zu dem er gelangt, entspricht 
dem von Fritsch (Gerichtsärztliche Geburtshilfe) vertretenen. Danach ist die 
Schuldfrage zu bejahen, wenn 

1. die Quelle des Ansteckungsstoffes klar, 

2. die Unterlassung der Desinfektion erwiesen und 

3. eine andere Todesursache als Puerperalkrankheit ausgeschlossen ist. 

Köstlin erweitert den ersten Punkt, indem er durch Ausschließung die 
Quelle des Ansteckungsstoffes sicher zu stellen sucht, und demzufolge fordert, 
daß die Frau vorher in bezug auf ihre Geschlechtsteile gesund gewesen sein 
muß, die Geburt keine pathologische gewesen sein darf und Eingriffe anderer 
Personen, als der geburtshelfenden, an oder in den Geschlechtsteilen auszu- 
schließen sind. 

Zum zweiten Punkt, die Unterlassung der Desinfektion, macht er den 
Zusatz: „daß auch der Nachweis von Fahrlässigkeiten nach erfolgter Desin¬ 
fektion (welche diese illusorisch machen) genügt. 

Im Vortrage sowohl, als in der Diskussion werden noch zahlreiche, das 
Hebammenwesen überhaupt berührende Fragen erörtert, und manche ebenso be¬ 
rechtigte wie wichtige Forderungen erhoben: z. B. Meldepflicht der Hebammen 
an den Kreisarzt, wenn sie erfährt, daß die Kreißende oder deren Angehörige 
sich in irgend einer Weise in oder an den Geschlechtsteilen zu schaffen gemacht 
haben; Zuziehung eines Sachverständigen schon bei der ersten gerichtlichen 
Vernehmung der Hebamme und der etwaigen Zeugen; Fallenlassen des ver¬ 
alteten Begriffs „Puerperalfieber“. 

Jedenfalls kann die Lektüre des Vortrages und der Diskussion den 
Kollegen nur angelegentlichst empfohlen werden. 

Dr. Steinkopff -Liebenwerda. 


Extrauteringravidität bei gleichzeitig bestehender Intrauteringravl- 
dität. Von Frauenarzt Dr. Wiener in München. Münchener med. Wochen¬ 
schrift; 1904, Nr. 46. 

Das gleichzeitige Vorkommen von Extra- und Intrauteringravidität ist 
sehr selten. Verfasser berichtet über einen solchen einwandfreien Fall, bei dem 
durch die infolge einer Blutung notwendigen Operation die untrüglichen Zeichen 
einer rechtsseitigen Tubarschwangerschaft festgcstellt wurden, und am 11. Tage 
nach der Operation der Abgang eines 6 */2 cm langen, geringgradig mazerierten 
Fötus aus dem Uterus stattfand. Nach Ansicht des Verfassers handelte es 
sich um eine etwa 10 Wochen alte Gravidität, bei welcher die Befruchtung 
der beiden Eier fast gleichzeitig oder wenigstens kurz hintereinander einge¬ 
treten war. Das eine Ei hatte nach der Befruchtung noch seinen Weg in den 
Uterus gefunden, das andere war dagegen im Verlaufe der Tube stecken ge¬ 
blieben, wo es sich weiter entwickelt hatte. Die Tubargravidität ist wahr¬ 
scheinlich früher zum Absterben gekommen, als die intrauterine Gravidität; 
daß diese aber bei der Operation ebenfalls schon unterbrochen war, dafür 
sprach die Blässe des Uteru3, der Abgang von zersetztem Blut am Operations¬ 
tage und die Mazerationserscheinungen am Foetus. 

_ Dr. W a i b e 1 - Kempten. 



Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


15 


Heber den Nachweis des Kindes in der Geb&rmutter mittels Röntgen« 
strahlen. Von Dr. Albers-Schönberg. Zentralbl. f. Gynäkologie; 1904, Nr.49. 

Die auch in gerichtlich - medizinischer Hinsicht wichtigen Versuche, das 
Kind im Mutterleibe durch Röntgenstrahlen nachzuweisen, sind bisher an den 
technischen Schwierigkeiten gescheitert. Dem Verfasser ist es in zwei Fällen 
gelungen, die vorhandenen Schwierigkeiten durch technische Hilfsmittel (An¬ 
wendung der Kompressionsblende) und durch Ausschaltung der kindlichen Be¬ 
wegungen zu überwinden. Die 8 monatlichen Früchte wurden deutlich zur 
Darstellung gebracht. 

Weitere Fortschritte der Röntgentechnik werden voraussichtlich noch 
günstigere Resultate liefern, besonders für die Diagnose der Zwillings¬ 
schwangerschaft. Dr. Dohrn-Cassel. 


Ueber die Wirkung des Bleis auf die Geb&rmutter. Von L. Lewin. 
Berliner klin. Wochenschrift; 1904, Nr.41. 

Schon das römische Altertum kannte die lähmende Wirkung des in den 
Körper aufgenommenen Bleis auf den Geschlcchtsapparat. Zur verbrecherischen 
Fruchtabtreibung wurden in den beiden letzten Jahrzehnten in England und 
Deutschland Bleipräparate genommen. Das chronisch aufgenommene Blei kann 
hei Tieren und Menschen, bei Mann und Weib die Generationssphäre schädigen. 
Kühe, Schafe und Ziegen bekamen nach dem Genuß von in der Nähe von 
Silberhütten wachsendem Futter Blutharnen und verwarfen. Frauen, die bei 
Silberhütten wohnten, litten habituell an Abort. Die Schwangerschaft kann 
Störungen erleiden sowohl wenn die Mutter mit Blei arbeitet, als auch wenn 
der Mann, der den Zeugung6akt vollzogen hat, bleikrank ist. Unter solchen 
Bedingungen zeigen sich 1. Gebärmutterblutungen bei Frauen, bei denen die 
Menstruation ausgeblieben ist, und die als schwanger angesehen werden müssen, 
2. Fehlgeburten im 3.-6. Monat, 3. Frühgeburten von Föten oder bald sterben¬ 
den Kindern, 4. eine Mortalität der geborenen Kindern in den ersten 3 Lebens¬ 
jahren, die das gewöhnliche Mittel übersteigt. Viele der bleikranken Frauen 
haben vor ihrer Beschäftigung mit Blei normale Kinder geboren. Verläßt die 
Bleiarbeiterin ihren Beruf, so kann sie wieder normal gebären. Wiederholt 
sich das Aufhören und die Wiederaufnahme der Bleiarbeit seitens der Frau, 
so kann dieser Wechsel auch in den Schwangerschaften zum Ausdruck kommen. 
Aehnliche Erscheinungen ergeben sich, wenn nur der Erzeuger bleikrank war; 
die Lebensschwäche der Kinder rafft sie oft sehr früh dahin. Von 31 Schwanger¬ 
schaften bei 7 Frauen bleikranker Maler endeten 11 mit Totgeburten und eine 
mit Abort, während eine dieser Frauen vor der Beschäftigung ihres Mannes 
mit Blei 7 lebende Kinder hatte. Die Vergiftungserscheinungen beim Vater 
oder der Mutter können nur leichte sein, und trotzdem macht sich der verderb¬ 
liche Einfluß bemerkbar. Die aus solchen Ehen hervorgehenden Kinder gehen 
frühzeitig zugrunde oder bleiben in ihrer Entwickelung zurück. In einem 
hessischen Dorfe, dessen Einwohner meistens bleikrank waren (Glasieren von 
Tonwaren) beträgt die Sterblichkeit der Kinder in den ersten 5—6 Lebens¬ 
jahren 50 s /o, die Ueberlebenden leiden an Hydrocephalus und sehr großen 
Kröpfen. Roques fand bei seinen Beobachtungen in der Salpetriere und in 
Bioetre, daß Kinder von bleikranken Vätern sehr häufig von Geisteskrankheit, 
Idiotie, Schwachsinn, Epilepsie usw. befallen sind. 

Tausende von Lebewesen werden so dahingerafft, kommen nicht zur 
Entwickelung oder werden als Minderwertige oder Wertlose ein Ballast für 
den Staat. Die Zeit muß kommen, wo vorerst einmal die Frauenarbeit in Gift¬ 
betrieben mit hoher Gefahr verboten wird. Frankreich ist hierin vorangegangen. 
Es ist ein Hohn, der durch den „Nicht-Interventionismus“ gerade auf diesem 
Gebiete dem Menschentum angetan wird. Dr. Raub er-Köslin. 


Gefahren der Schnitze sehen Schwingungen. Von Dr. Henggc, 
Assistent der Greifswalder Universitäts - Frauenklinik. Münchener med. Wochen¬ 
schrift; 1904, Nr. 48. 

Verfasser fand bei der Obduktion von Neugeborenen wiederholt ätio¬ 
logisch wichtige und beachtungswerte Veränderungen. Er teilt vier derartige 
Fälle mit, in aenen Schultzesche ausgiebige Schwingungen wegen Asphyxie 



16 


Kleinere Mitteilungen nnd Referate ans Zeitschriften. 


aus geführt waren, und der Tod 19, 28 und 80 Stunden nach der Geburt ein- 
getreten war. 

In allen diesen Fällen fanden sich subseröse und intraparenchy¬ 
matöse Blutungen, und zwar zahlreiche Ekchymosen auf dem Perikard 
und Epikard, auf der Pleura costalis und pulmonalis, sowie auf der Thymus, 
z. T. auch flächenartigo subperitonealo Blataustritte auf der Leber bezw. blutige 
Durchtränkung des Leberparenchyms und der Nebennieren, in einem Falle auch 
Blataustritte auf der Wand des Dünndarms. Außer der Schultz eschen 
Schwingungen waren noch Aspiration des Trachcalinhaltes und warmes Bad 
zur Anwendung gekommen. Verfasser spricht sich in seinen epikritischen Be¬ 
merkungen dahin aus, daß bei allen Neugeborenen, welche mit Schultzeschen 
Schwingungen behandelt werden und zur Obduktion kommen, für alle Befunde 
von Blutungen und Läsionen in erster Linie zu erwägen sei, ob nicht die 
Schultz eschen Schwingungen dafür als ursächliches Moment verantwortlich 
zu machen sind. Erst neben bezw. nach dieser Erwägung sind weitere ätio¬ 
logische Möglichkeiten, wie Geburtstrauma, Erstickung, Eklampsie der Mutter, 
ungenügende Entwickelung und Abkühlung des Kindes etc. in Frage zu ziehen, 
und ist die Bedeutung der einzelnen Ursachen für jeden Fall gesondert zu 
untersuchen. Dr. W a i b e 1 - Kempten. 


Kasuistischer Beitrag zur Kenntnis der Gynäkomastie. Von Dr 

Sommer in Niedermendig. Münchener med. Wochenschrift; 1904, Nr. 40. 

Die männlichen Mammillae verkümmern beim Erwachsenen in der Regel 
nach der Pubertätszeit. Als Kuriosum findet man in seltenen Fällen beim 
Manne eine Hypertrophie der normalen Gewebsbestandteile, welche eine solche 
Ausdehnung nehmen kann, daß sie an das Volumen einer gut entwickelten 
weiblichen Brustdrüse heranreicht. Diese Erscheinung nennt man Gynäkomastie, 
die damit Behafteten Gynäkomasten. 

Verfasser berichtet über einen derartigen von ihm beobachteten Fall bei 
einem 15jährigen Gymnasiasten, an dessen mädchenhaft aussehendem Thorax 
die relativ kräftig entwickelten Mammae auffielen. Beide Drüsen waren gleich, 
Höhe ca. 6 cm, Basaldurchmesscr 8 1 /» cm, Areolae leicht prominent, deutliche 
Montgomerysche Drüsen. Warzen entsprechend stark. Durch Palpation ließ 
sich deutlich ein Kranz von Drüsenläppchen nachweisen. Aetiologisch war 
nichts Bemerkenswertes fcstzustellen. Dr. Waibei-Kempten. 


Die Behandlung der Minderwertigen. Von Dr. jur. Hoegel, Ober¬ 
staatsanwalt in Wien. Monatsschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechts¬ 
reform; I, H. 6 und 7. 

So lange man nicht wagt, das geltende Strafrechtssystem durch den an¬ 
geblich wirksameren Güterschutz zu ersetzen, führt die Frage der geistigen 
Minderwertigkeit auf gefährliche Abwege. Dieser Geisteszustand ist für Oester¬ 
reich bereits seit der Mitte des 18. Jahrhunderts in den strafgesetzlichen Be¬ 
stimmungen unter den Umständen, welche die Zurechnung mindern, berück¬ 
sichtigt worden. Falsch ist das moderne Bestreben, die Minderwertigkeit durch 
krankhafte Geistesbeschaffenheit aus den allgemeinen, strafrechtlichen Milde¬ 
rungsumständen herauszuheben und ihr eine eigene Behandlung zu sichern. 
Denn da die Vorzugsrechte der Minderwertigkeit meist gerade den Verbrecher¬ 
naturen zugute kämen, würden von den strengeren Normalbestimmungen nur 
die guten Elemente, die selten mit dem Strafgesetze kollidierten, betroffen. 
Dasselbe gelte auch auf dem Gebiete des Strafvollzugs; hier würde eine 
mildere Behandlung der Minderwertigen unheilvoll auf die Disziplin einwirken, 
unter den intelligenteren Verbrechern und auch deren Angehörigen würde ein 
allgemeines Streben nach Feststellung einer Minderwertigkeit entstehen, was 
um so bedenklicher wäre, als nach Ansicht des Verfassers auch bei allen nor¬ 
malen Menschen eine gewisse erbliche Belastung oder eines der vielen Degene¬ 
rationszeichen nachzuweisen sei. (Vom psychiatrischen Standpunkte ist diesen 
Ausführungen nicht beizustimmen. lief.) Dr. Fritz Hoppe-Allenberg. 


Welche medizinischen Gesichtspunkte sprechen für die Einführung 
einer bedingten Strafaussetzung nml Begnadigung. Von Prof. Dr. A. Cramer. 
Monatsschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform; I, H. 6 und 7. 



Kleinere Mitteilungen und Referate aas Zeitschriften. 


17 


Die Einführung einer bedingten Strafaussetzung und Begnadigung ist 
vom Standpunkte des Mediziners hauptsächlich aus zwei Gründen wünschens¬ 
wert. Erstens kann der Gutachter dadurch Zeit zur genaueren Beurteilung 
eines nicht ganz klaren Falles gewinnen. Dies trifft namentlich für den Be¬ 
ginn langsam sich entwickelnder und verlaufender Psychosen zu; bei der 
arteriosklerotischen Gehirnatrophie, bei den präsenilen Geistesstörungen ist die 
Straftat häufig das erste Symptom, während die übrigen leicht erkennbaren 
Krankheitszeichen erst nach geraumer Zeit einsetzen. Auch für gewisse Fälle 
von Epilepsie, von geschickt dissimulierter Paranoia, von langsam sich ent¬ 
wickelnden Schwachsinnsformen reicht die sechswöchige Beobachtungszeit, die 
nach reichsgerichtlicher Entscheidung in keinem Falle überschritten werden 
darf, zur richtigen Beurteilung nicht aus. Die größten Schwierigkeiten bereitet 
die gutachtliche Entscheidung bei jugendlichen Verbrechern. Im 13. bis 
15. Lebensjahre setzt am häutigsten der pathologische Entwicklungsstillstand 
des Gehirns ein, der in Straftaten seine erste Aeulierung findet. Für den Gut¬ 
achter ist aber das Krankhafte des Stillstandes, des Fehlens moralischer und 
ethischer Begriffe in der Anfangszeit nicht nachweisbar, sondern erst nach ca. 
2 bis 3 Jahren. Daher werden psychiatrisch begutachtete Verbrecher in dem 
13. bis 15. Lebensjahre meist verurteilt, während der objektive Nachweis einer 
Geisteskrankheit im 17. bis 18. Jahre leichter gelingt. Verfasser fordert 
übrigens bei strafrechtlicher Verfolgung von Jugendlichen in jedem Falle 
psychiatrische Begutachtung des Geisteszustandes. Bei allen genannten Krank¬ 
heitsformen kann das bereits durch die sich entwickelnde Psychose bedingte 
Delikt den deutlich erkennbaren Symptomen lange vorausgehen; trotzdem muß 
den Tätern der Schutz des § 51 zuteil werden. Eine bedingte Strafaussetzung 
kann hier großen Segen stiften, da die bekannte Schädigung der Strafhaft auf 
entstehende Geistesstörungen fortfällt und eine rechtzeitige Wiederaufnahme 
lies Verfahrens ermöglicht wird. Bei einer zweiten Gruppe von geistigen 
Krankheitsfällen kann die bedingte Aussetzung des Strafvollzugs die Hemmungen, 
die ans krankhafter Ursache fehlen, ersetzen. Hier kommen namentlich die 
Grenzzu-tände zwischen geistiger Gesundheit und Krankheit in Betracht, leicht 
Schwachsinnige, Degenen's, chronische Alkoholistcn, manche Hysterische nehmen 
sich mehr zusammen und hüten sieh vor Gesetzesübertretungen, wenn die aus- 
gesetzte Strafvollstreckung ihnen beständig wie ein Damoklesschwert droht. 
Dabei wird ein erzieherischer Effekt erreicht und gleichzeitig der gesundheit¬ 
liche Nachteil, den die Gefäognishaft auf diese psychopathischen Naturen aus- 
zuuben pflegt, vermieden. Dr. Fritz Hoppe-Allenberg. 

B. Sachverständigentätigkeit in Unfall- und Invaliditäts¬ 
sachen. 

Kasuistischer Beitrag zur Unfallsbegutachtuug bei Fällen von Cor¬ 
pora oryzoidea der Fingerbeuger in Kombination mit Tuberkulose der 
Lungen. Von Dr. Köhler. Aerztliche Sachverständigen-Zeitung; 1904, Nr. 22. 

Autor stellt den Satz auf: „Tritt nach Einwirkung einer Ueberan- 
strengung oder einer Quetschung ohne äußere Wunde, Reiskörperchenbildung 
an Sehnen auf, so haben wir es mit einem vorher tuberkuloseinfizierten Orga¬ 
nismus zu tun.“ 

In dem Falle Köhlers handelt es sich um eine LÜberanstrengung des 
rechten Armes infolge Hebens eines schweren Holzmodells. Im Anschlüsse 
daran entwickelte sich ein ßeiskörperchenhygrom an den Beugesehnen der 
rechten Hand. Die Geschwulst wird operiert, rezidiviert, wird abermals ex- 
stirpiert und jetzt erst wird die Diagnose auf tuberkulöses Reiskörperchen- 
hygrom gestellt. Genau 2 Jahre nach dem Unfall wird eine Affektion beider 
Lungenspitzen konstatiert. Im Gegensatz zu anderen Gutachtern kommt 
Köhler zu dem Urteil, daß die Lungentuberkulose nicht mit der Reiskörperchen¬ 
bildung in ursächlichem Zusammenhang stehe, und zwar aus folgenden Er¬ 
wägungen : Angenommen den Fall, daß nach kurzer Zeit, nachdem eine Reis¬ 
körperchenbildung im Anschluß an ein direktes Extrcmitätentrauuia aufgetreten 
ist, eine Lungentuberkulose festgestellt wird, so besteht die Möglichkeit der 
Annahme, daS dieselbe schon vor der Reiskörperchenbildung bestanden hat, 
aber nicht bemerkbar gewesen ist, und völlig unabhängig von der tuberkulösen 
Sehnenscheidenaffektion sich weiter entwickelt hat. Oder aber es wäre die 



18 


Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


Auffassung zulässig, daß durch die traumatisch bedingte Tuberkuloselokalisation 
an den Sehnenscheiden und ihre Weiterentwickelung eine Summation des 
Tuberkulosegiftes im Körper bewirkt worden ist, die schließlich auch zu einer 
Lokalisation in den Lungen geführt hat. Drittens kann, unbekümmert um die 
traumatisch bedingte Reiskörperchenbildung, die schon ein Kreisen des Tuber- 
kulosegiftes im Körper zur Voraussetzung hatte, natürlich jederzeit das zir¬ 
kulierende Gift sich auch in der Lunge festsetzen, so daß wir zwei von ein¬ 
ander unabhängige Vorgänge vor uns haben, auf der gemeinsamen Basis der 
tuberkulösen Durchseuchung des Organismus. 

Zu diesen Erwägungen kam anumuestisch hinzu, daß der Verletzte ein 
Jahr vordem Unfälle eine Pleuritis durchgemacht hatte. Köhler kam mithin 
zu dem Urteil, daß die Affektion des rechten Armes der Unfall sei, nicht da¬ 
gegen die Lungentuberkulose. Dr. Troeger-Adelnau. 

Traumatische Lungenentzündung durch allgemeine Zusammen¬ 
drückung (Kompression) des ßrnstkorbes, ohne eine bestimmt umschriebene, 
unmittelbare äussere Gen alteinWirkung auf den Brustkorb. Obergut¬ 
achten, erstattet unterm 2 8. Januar 1904 auf Veranlassung des Reichs- 
Versicherungsamts von Geh. Med.-Rat Prof. Dr. E. v. Leyden und Geh. 
Med.-Rat Prof. Dr. F. Kraus. Amtliche Nachrichten des Reichs-Versiche¬ 
rungsamts; 1904, Nr. 9. 

Nach dem von dem behandelnden Arzte Herrn Dr. G. mitgeteilten ob¬ 
jektiven Befund und dem ganzen Krankheitsverlaufe kann, obzwar keine Leichen¬ 
öffnung vorliegt, nicht bezweifelt werden, daß L. an einer Lungenentzündung 
mit Ausgang in Brand erkrankt war und verstorben ist. Die von den bis¬ 
herigen Begutachtern in verschiedenem Sinne beantwortete Frage ist nur die, 
ob diese Lungenentzündung durch einen Vorgang, wie derjenige am 25. Mai, 
traumatisch angebahnt sein könne, bezw. ob durch einen solchen Vorfall der¬ 
artige Veränderungen in den Lungen gesetzt zu werden vermögen, daß sich 
daran leicht eine Infektion mit Pneumonieerreger anschließt. Dabei brauchten 
die durch den Unfall verursachten mechanischen Läsionen in den Lungen die 
Entwickelung der kroupösen Pneumonie nicht anders zu vermitteln wie etwa 
ein geringfügiges Trauma die Entstehung der akuten Osteomyelitis. Die 
Lungenentzündung würde somit (in der Mehrzahl der Falle) auf einer Pneunio- 
kokkeninvasion beruhen, wobei die durch den Unfall gesetzte Gewebsliision als 
ein die Ansiedelung, Verbreitung und Vermehrung der Bakterien an der ge¬ 
schädigten Stelle wesentlich begünstigender Umstand zu betrachten ist. Der 
behandelnde Arzt und erste Begutachter, Herr Dr. G., spricht sich für die 
Wahrscheinlichkeit eines derartigen Zusammenhanges im Falle L. aus, während 
Herr Geheimrat R. als Obergutachter einen solchen als ausgeschlossen erklärt 
und unter allen Umständen daran festhält, daß (abgesehen von perforierenden 
Lungeuvcrletzungen) nur umschriebene direkte Gewalteinwirkungen auf einen 
bestimmten Teil des Brustkorbes selbst als Vermittler eines Eutziindungs- 
prozesses in Lungen, welche nicht etwa schon vorher afliziert waren, angesehen 
werden können. Letztere Behauptung steht und fällt aber mit der Voraus¬ 
setzung, daß alle bisher beobachteten sicheren Fälle von sogenannter Koutusions- 
pneumonie ihre Entstehung ausschließlich diesem von Litten, seit dessen 
einschlägiger Arbeit erst den Beziehungen zwischen Pneumonie und Trauma 
vermehrte Aufmerksamkeit zugewendet wird, mit Recht in den Vordergrund 
gestellten Mechanismus verdanken. Obzwar die einschlägigen Erfahrungen sich 
bloß auf die letzten Jahrzehnte erstrecken, wissen wir jedoch jetzt schon, daß 
die hier in Betracht kommende Art der Kontusion gelegentlich eine von dem 
erwähnten Modus abweichende ist. Das wesentliche bei der Kontusion des 
Thorax überhaupt ist die Einwirkung stumpfer Gewalt und eine plötzliche, 
ausgiebige und unerwartete Kompression. Hierbei handelt es sich allerdings 
wirklich zumeist um eine umschriebene, direkt eine bestimmte Stelle des Thorax 
selbst betreffende Gewalteinwirkung: Stoß gegen die Brust (Pferdehufschlag, 
Deichsel usw.), Zusammengedrücktwerden durch Eisenbahnpuffer, Ucberfahren- 
werden, unmittelbares schweres Auffallen auf die Brustwand. Daß die schwere 
Steinplatte auf eine solche Weise L. direkt gegen den Thorax gedruckt hat, 
ist in der Tat aus den Akten nicht zu entnehmen. Immerhin sind aber doch 
auch schon andere Fälle bekannt geworden, wo die Koutusion durch Herab- 



Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


19 


fallen einerLast anf den ganzen Körper, durch Sturz aus mehr oder 
weniger beträchtlicher Höhe mit Erschütterung des ganzen Leibes, oder durch 
Tragen einer schweren Last bewirkt worden war. Daß das lokale Moment, 
bezw. die direkte Wirkung nicht das hier einzig ausschlaggebende ist, geht 
auch schon daraus hervor, daß nicht allemal die »Stelle der Verletzung seihst 
den Ausgangspunkt der Lungenentzündung bildete, diese ist vielmehr auch an 
dnem mehr oder weniger entfernten Punkte, selbst auf der entgegengesetzten 
Körperseite zur Entwickelung gelangt. i)ie mit der schweren Arbeitsleistung, 
speziell etwa beim Anheben, verbundene körperliche Anspannung braucht zu¬ 
nächst gar nicht herangezogen zu werden, obwohl der Ausspruch des Ueheim- 
rats fi-, daß eine maximale Kraftanstrengung mit Kontraktion zahlreicher 
Rumpfmuskein und kräftiger Exspirationsbewegung bei geschlossener Glottis 
{Stimmritze) absolut nicht zu einer Verletzung des gesunden Lungengewebes 
fuhren könne, auch nicht als unumstößlich anzusehen sein dürfte. Pur die Be¬ 
urteilung des Falles L . l ) ist es ausschlaggebend, daß das wesentliche des Vor¬ 
ganges beim Senken der Steinplatte, als derselbe in gebückter Haltung sich 
befand, geschah. Auf den gebückten, mit angestrengten Aluskeln, fixiertem 
Brustkorb und geschlossener Stimmritze hockenden Maurer und indirekt auf 
dessen ganzen Thoraxinhalt kann sehr wohl die schwere Steinplatte sehr er¬ 
heblich komprimierend gewirkt haben, gleichgültig ob er früher mit mehr Ge¬ 
schick und Olnck ähnliche Arbeit schon verrichtet haben sollte. Ein Verständnis 
für derartige Kompressionen des ganzen Brustkorbes zu geben sind Mitteilungen 
von Perthes geeignet. Man beobachtet nämlich infolge derartiger Kom¬ 
pressionen selbst ausgedehnte Blutextravasate am Halse, am Kopfe usw., ohne 
<LlB diese Teile direkt getroffen worden wären. Es können auch Blutinfil- 
tr&tioncn irn Lungengewebe resultieren. Blutige Infiltrationen, selbst solche 
von lobärer Ausdehnung, findet man wiederum gerade auch nach lokalisierter 
Vaetschung einer bestimmten Stelle des Brustkorbes. 

Der Tatbestand legt doch auch in seinen Einzelheiten eine Beziehung 


l ) Der Verstorbene, der im letzten Jahre weder krank noch insbesondere 
an der Lunge krank gewesen, hatte mit zwei anderen Arbeitern Steinplatten 
im Gewichte von 1^7,5—277 kg gehoben. Das Aufheben der Platten geschah 
mittels Brechstangen, worauf dieselben zur Seite gekantet wurden; nachdem 
die Sandbettung wieder hergestellt war, wurden die Steinplatten wieder hin- 
einsrelegt. Beim Senken einer Platte ließen die zwei Arbeiter dieselbe mit 
beiden Händen vorn dem Körper entlang ganz allmählich herunter und traten 
dann zurück. Beim Heben und Senken der Platte hatte L. eine gebückte 
Stellung. Als die eine Steinplatte während des Senkens etwa J /* m hoch über 
dem Erdboden sich befand, hatte sie L. plötzlich fallen gelassen, mit beiden 
Händen sich links an die Brust gefaßt üud war, wahrend er sonst eine rote 
Farbe hatte, ganz blaß geworden, hatte sich auch unter Schmerzen gekrümmt 
und das Gesicht verzogen. Er ist dann nach Hause gefahren, nachdem er noch 
einem Zengen gegenüber geklagt hatte: „Ich muß mir bei der Quälerei mit 
den Platten etwas zu gezogen haben, ich habe starke Schmerzen in der Brust.“ 
Als L. nach Hause kam, aß und trank und sprach er nicht. In der darauf 
folgenden Nacht verfiel er nach Angabe seiner Frau in eine Art Raserei, zweimal 
wolite er aus dem Fenster steigen Am folgenden Tage brach er, bezw. spuckte 
er Blut aus und mußte sich zu Bett legen. Ob und wann ein Schüttelfrost 
eingetreten ist, ist nicht ermittelt. Aerztliche Hilfe erlangte L. erst am zweiten 
T'ßge. Er sagte sofort seinem Arzte, Dr. G., „bei mir ist etwas geplatzt“. Herr 
Dr. G. fand hohes Fieber, auffallend stark blutigen Auswurf, Rasselgeräusche, 
lympanitischen Perkussionsschall über dem Unterlappen der linken Lunge. Der 
Patient klagte über starke Brustschmerzen. Am siebenten Krankheitstagc war 
L nach starkem Schwitzen fieberfrei, die Krankheit schien einen normalen 
Verlauf unter Beschränkung auf den linken Unterlappen genommen zu haben. 
Id den folgenden Tagen veränderte sich aber der Auswurf, er wurde schmutzig 
grau und übelriechend, auch stellte sich wiederum mäßiges Fieber ein. Die 
Erscheinungen des Lungenbrandes nahmen darauf rapid zu. Am 15. Tage er¬ 
folgte der Tod. Der behandelnde Arzt betont, daß der Auswurf L.s blutiger 
gefärbt war, als er sonst bei Lungenentzündungen zu sein pflegt. Eine Leichen¬ 
öffnung ist nicht ausgeführt worden. 



20 


Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


zwischen dem Vorfall am 25. Mai und der Erkrankung des L. nahe. Die 
Stiche in der Brust des Maurers werden von dem Augenzeugen bestimmt als 
eine unmittelbar aus der Beschäftigung hervorgegangene pathologische Er¬ 
scheinung aufgefaßt. Die charakteristische Blässe L.s gleich nach dem Un¬ 
fälle, welche derselbe Augenzeuge wiederholt betont, könnte in einer be¬ 
gleitenden commotio thoracica ihre Erklärung finden. Leider fehlt im Krank¬ 
heitsberichte der Schüttelfrost, der den Beginn der Lungenentzündung schärfer 
markieren würde. Zwei Tage nach dem Unfälle wird die Pneumonie festgestellt; 
wäre sie kurz vorher erst eingetreten, so entspräche dies etwa der Zeit, welche 
gewöhnlich eine Kontusionspneumonie zu ihrer Entwickelung bedarf, nämlich 
ein- bis zweimal 24 Stunden. Was die vom behandelnden Arzte festgestellte 
besonders starke Hämoptoe (Blutspeien) anbelangt, so schreibt einer solchen 
schon Litten auf Grund seiner Beobachtungen große Bedeutung zu. Blutung 
überhaupt ist eine der häufigsten Folgen der Lungenkontusion; auch um¬ 
schriebene Infiltrationen des Lungengewebes mit Blut können sich durch 
blutigen Auswurf zu erkennen geben. Wenn also auch in anderen Fällen von 
Lungenkontusion die Zerreißung so unbedeutend ist, daß der Auswurf selbst 
im Beginne keine rein blutige Beschaffenheit aufweist, so darf doch im Rahmen 
des ganzen Symptomenbildes die wirklich beobachtete Lungenhlutung diagnostisch 
nicht unterschätzt werden. Dahingegen bietet — darin muß man Herrn Ge¬ 
heimrat It. zustimmen — die schließlich hinzugetretene Gangrän kein Anhalts¬ 
punkt für de Annahme einer Kontusionspneumonie. 

Herr Geheimrat ß. scheint geneigt, anzunehmen, daß es sich bei den 
Stichen in der Brust des L. unmittelbar nach dem Unfälle nur um das erste 
Zeichen einer zufällig in der Entwickelung begriffenen Pneumonie handelte. 
Begründet wird dies mit der bekannten Tatsache, daß Lungenentzündungen 
überhaupt gerade damit einsetzen, daß aus scheinbar völligem Wohlbefinden 
heraus Individuen plötzlich erkranken, und daß gerade Brustschmerzen das 
erste Alarmsignal der beginnenden Erkrankung darstellen können. Dagegen 
wäre jedoch zu bedenken, daß fast in jedem einzelnen Falle von Kontusions¬ 
pneumonie die Möglichkeit erwogen werden könnte, ob nicht die Infektion schon 
vor dem Unfälle bestanden habe. Wenn aber auch die Angaben über die 
Häufigkeit des Vorkommens der Kontusionspneumonie noch stark schwanken, 
für eine derartige Auslegung sind die einschlägigen Beobachtungen doch zu 
häufig. Selbst wenn übrigens Diplokokken in der Lunge bereits unschädlich 
vorhanden gewesen, denselben aber durch die Gefäß- oder Gewebsläsion erst 
ein locus minoris resistentiae geschaffen worden wäre, bestände die Deutung 
des Falles als Kontusionspneumonie in dem früher dargelegten erweiterten 
Wortsinn immer noch zu Recht. 

Die gestellte Frage des Reichs-Versicherungsamts wäre demnach dahin 
zu beantworten, daß nach Lage des Falles ein Zusammenhang der Krankheit 
nnd des Todes des L. mit dem Unfälle am 25. .Mai möglich, ja bis zu einem 
gewissen Grade wahrscheinlich ist. 

Das Rekursgericht hat das vorstehende Obergutachten zur Grundlage 
seiner Entscheidung gemacht und unter Mitberücksichtigung der näheren Um¬ 
stände bei der plötzlichen Erkrankung des L. sowohl den Vorgang vom 25. Mai 
1901 als einen Betriebsunfall aufgefaßt, wie auch den ursächlichen Zusammen¬ 
hang zwischen diesem und dem Tode des L. bejaht. Demgemäß ist die Be¬ 
klagte unter Aufhebung der Vorentscheidungen zur Entschädigung der Hinter¬ 
bliebenen des L. verurteilt worden. 


C. Bakteriologie, Infektionskrankheiten und öffentliches 

Sanitätswesen. 

Die Eiitstolmng und das Wachstum des llautkarzinoms, nebst Be¬ 
merkungen über die Entstehung der Geschwülste im allgemeinem Von 
Dr Borrmann-Göttingen. Zeitschrift für Krebsforschung; 1904, Band II, 
mit 14 Tafeln und 117 Fignren im Text. 

Von den Anhängern der parasitären Entstehung des Karzinoms laßt sich 
nicht immer die Ueberzcugung gewinnen, daß sie ihre Anschauungen alle 
auf tiefgründige, mühevolle Arbeit stützen. Flüchtig gewonnene Eindrücke 



Kl einerc Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


2i 


sacht man vielfach durch epidemiologische Beobachtungen weiter zu stützen, 
die indessen vor einer strengen Kritik nicht immer Stund halten. 

Ungleich gründlichere Forscherarbeit spricht bislang zweifellos aus den 
Veröffentlichungen der pathologisch-anatomischen Werkstätten, unter denen 
die R i b b e r t. \sche Schule obenan steht. Borrmunns umfangreiche Publikation 
aas dem Göttinger pathologischen Institut, kann nicht dringend genug allen 
Freundender Parasitentheoric empfohlen werden, vor allem auch den histologisch 
arbeitenden unter ihnen. Sie werden von seinen Befunden an einem qualitativ 
wie quantitativ ganz außergewöhnlich bedeutsamen Material manch einen 
za widerlegen Muhe haben. Erst wenn ihnen das möglich werden sollte, 
wird man die epidemiologische Krebsforschung als hinreichend begründet 
Ansehen dürfen. Per Verfasser halt es in erster Linie für einen fundamentalen 
Fehler, die mikroskopische Untersuchung an alten, voll entwickelten, womöglich 
exulzerierten Krebsen vorzunehmen. Die Verhältnisse der liandpartieen eine« 
Krebses können gar keinen Aufschluß über seine Genese gehen. Er hat deshalb 
nur gauz kleine Tumoren (0.5 cm und weniger) zur Beurteilung herangezogen 
und zwar solche der Haut, weil von dieser naturgemäß am ehesten solch begin¬ 
nende Tumoren erhaltbar sind. Mehrere hundert Abbildungen erläutern den klar 
geschriebenen Text. Ohne des näheren auf diesen einzugehen, sei nur erwähnt, 
daß Borrmann ein Corium- und ein Plattenepithelkarzinom der Haut unter¬ 
scheidet. Das erstere verhornt nicht und nimmt seinen Ursprung von unter 
dem Deckepithcl liegenden isolierten Zcllkomploxen; das verhornende Platten- 
epithelkarzinom entsteht aus ebensolchen embryonalen Dystopien im Deckepithel. 
Diese Verhältnisse vermag Bor r manu aus seinem Material an winzigen Ge- 
-cbwul.stchen zu erweisen. Er kommt also auf die alte C o h nh ei m 'sehe 
Theorie zurück. Aber mit Ribkc rts sieht er in leichten Eutzüudungsvorgängon 
und in einer mit dem Alter zusammenhängenden Gewebsdegeueration: (coliagenc 
Umwandlung des Coriums, Quellung und Untergang der elastischen Kasein* 
auslösende Momente für die Geschwulst bildung. } 

Borrmann hat i*t seinem beginnenden jungen Karzinomen niemals 
feine Gebilde gefunden, die von manchen als Parasiten angesehen w T orden sind. 
Aber gerade hier mußte man Parasiten doch am ehesten linden. Freilich, 
fuhrt er weiter gegen die Parasitentheoric an, wie sollten diese gerade an 
solche unter dem unverletzten Deckepithel liegende Epithelinseln kommen? 
Wie wäre zu erklären, daß bei vielen Individuen diese kleinen Karzinome 
multipel auftretcu in einem umschriebenen Bezirk? Borrmann stützt sich 
auf eine mühevolle, jahrelange mikroskopische Untersuchung, die durch den 
Meinungsaustausch mit den praktischen Chirurgen doch auch die Verhältnisse 
des täglichen Lebens berücksichtigt, und kommt schließlich zu einer völligen 
Verneinung der parasitären Theorie. Dr. Stolper-Güttingen. 


Beitrag zur Frage über die Durchgängigkeit der Darmwand für 
Mikroorganismen bei physiologischen Verhältnissen. Von Dr. B. Kli- 

menko aus St. Petersburg. Aus dem Institut zur Erforschung der Infektions¬ 
krankheiten in Bern, Direktor: Prof. Dr. Tavel. Zeitschrift für Hygiene und 
Infektionskrankheiten; Bd. 48, H. 1. 

Auf Grund eigener Beobachtungen und einer kritischen Betrachtung der 
Ergebnisse der anderen Autoren kommt Verfasser zu folgenden Schlüssen: Die 
unverletzte Darmwand vollkommen gesunder Tiere ist für Mikroorganismen 
undurchgängig. Eine Durchwanderung durch die gesunde, unverletzte Darm¬ 
wand könnte höchstens nur bei kranken Tieren stattfinden; strikte Beweise 
dafür sind jedoch nicht beigebracht. Vollkommen gesunde Tiere sind sehr 
selten anzutreffen; es genügt schon die geringste pathologische Schädigung 
des tierischen Gesamtorganismus oder eine unbedeutende mechanische Ver¬ 
letzung der Darmmukosa, um eine Durchw'anderung von Bakterien zu ermög¬ 
lichen. Deshalb tritt dieser Fall relativ häufig ein, was von wesentlicher 
praktischer Bedeutung ist. Es ist wahrscheinlich, daß der Organismus in den 
Mesenteriallymphdrüsen Schutzvorrichtungen besitzt, die das Eindringen der 
Mikroorganismen auf dem bezeichneteu Wege verhindern. Wenigstens sind die 
Tatsachen bezüglich des häufigen Befundes der resorbierten Bakterien in den 
Mesenteriallymphdrüsen, selten in den inneren Organen, in diesem Sinne zu 
deuten. Dr. Engels- Stralsund. 



22 


Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


Neue Entwickelungsformen des Cholerasplrllls und der Typhus- 

bakterie. Von Prof. Ernst Alm q ui st in Stockholm. Zentralblatt für Bak¬ 
teriologie; I. Abt., Orig., Bd. 37, H. 1. 

Almquist hat in Cholera- und Typhuskulturen, die in verunreinigter 
Erde oder auf 2°jo Kochsalz enthaltendem Agar angelegt waren, fädige und 
kuglige Gebilde beobachtet, welche er als Myzeloid und Konidien anspricht. 
Die Konidien können sich unter Bildung neuer Konidien oder auch von Vibri¬ 
onen bezw. Bazillen vermehren. Almquist unterscheidet die Konidien streng 
von den sogenannten Involutionsforraen der Bakterien. Dauerforraen sind sie 
nicht, doch glaubt Almquist in ihnen die Wachstumsformen gefunden zu 
haben, in denen sich die Cholera- und Typhuskeimc unter ungünstigen Be¬ 
dingungen außerhalb des menschlichen Körpers, z. ß. im Boden, fortpffanzen 
können. Er erhofft von einer Nachprüfung seiner Beobachtungen und Aus¬ 
dehnung dieser Untersuchungen auch auf andere ßakterienspezies einen großen 
Nutzen für die Bakteriologie und unsere epidemiologischen Anschauungen. 

Dr. Lentz-Berlin, z. Z. Idar. 

Le procßdtf de Cambier pour la recherclie du bacille typhlque. Von 

Dr. Leon Jacquö, Assistent 4 T institut de seroth^rapie de Bruxelles. 

Beitrag zur Frage des diagnostischen Wertes einiger Nährböden für 
die Typhusbakterien. Von Drag. S. Petkowitsch. Aus dem staatlichen 
Institute zu Hamburg (Direktor: Prof. Dr. Dun bar). 

Beitrag zur Frage der Wirkung des Koffeins auf Typhus- und Koli¬ 
bakterien. Von Dr. F. Kloumann aus Cbristiania. Aus demselben Institut. 
Zentralblatt für Bakteriologie; 1. Abt., Orig., Bd. 26, H. 2. 

Das Verfahren von Cambier, bei welchem eine Trennung der Typhus- 
von den Kolibakterien mittels einer innen und außen von Nährlösung bespülten 
Filterkerzc erstrebt wird, welche die Bakterien durchwachsen bezw. passieren 
sollen, hat sich in den Versuchen von Jacqu6 nicht bewährt. Abgesehen von 
einigen Fällen, in welchen die im Innenraura der Kerze befindliche Bouillon 
auch nach 6 Tagen noch steril war, konnte Jacqu6 in vielen Versuchen nur 
Reinkultur von Koli- oder Staphylokokken erzielen, auch wenn ein Ausstrich 
des zur Untersuchung benutzten Stuhls auf v. D rigalski-Conradischeu 
Agar unschwer die Typhusbazillen erkennen ließ. 

Diesen Agar hält Petkowitsch für einen großen Fortschritt auf dem 
Gebiete der Typhusdiagnose. In einigen Fällen erzielte er jedoch mit dem 
Endoschcn Fuchsinagar noch bessere Resultate, wenn nämlich die zu unter¬ 
suchenden Stühle neben den Typhusbazillen noch sehr typhusähnlich wachsende 
Parakoli- oder Paratyphuskeime enthielten. Diese Keime wuchsen auf dem 
Endoseben Agar ähnlich dem gewöhnlichen Koli in mehr weniger deutlich 
rot gefärbten Kolonien und waren dadurch leicht von den gänzlich farblos 
wachsenden Typhuskeimen zu unterscheiden. Petkowitsch empfiehlt des¬ 
halb, neben dem Lakraus-Milchzuckeragar stets auch den Fuchsinagar zu 
verwenden. 

Kloumann konnte zwar die Angabe Roths bestätigen, daß das Koffein 
das Wachstum des Bakterium coli stärker schädigt, als das des Typhusbacillus, 
er fand aber, daß auch Konzentrationen dieses Alkaloids, welche Roth sowie 
Ficker und Hoffmann für eine Anreicherung des Typhusbacillus empfehlen, 
nicht nur das Wachstum des Typhuskeimes hemmen, sondern auf ihn auch 
direkt abtötend wirken kann. Kloumann hat bei seinen allerdings nur in 
geringer Zahl angestellten Versuchen Typhusbazillen aus Stühlen zu isolieren, 
mit dem Ficker-Hoffmannschen Koffein-Verfahren keine besseren Resul¬ 
tate erzielt, als mit dem einfachen Ausstrich auf v. Drigalski-Conradi- 
scliein Agar. Dr. Lentz-Berlin, z. Z. Idar. 

lieber das Vorkommen von Typhus- und Paratyphusbazillen bei Er¬ 
krankungen der Gallcnvrege. Aus dem hygienischen institut der Univeisittä 
Straßburg. Von Dr. Blumenthal, I. Assistent. Münchener med. Wochen¬ 
schrift; 1904, Nr. 37. 

Verfasser berichtet über 2 Fälle, bei denen keine auf Typhus oder auf 
eine ähnliche Erkrankung deutende Darmerscheinungen vorangegangen waren 
und sich Typhusbazillen nachweisen ließen. Im ersten Falle fanden sich bei 



Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


23 


der Operation in der eitrigen Gallenblasenflüssigkeit in großer Menge Stäbchen 
in Reinkultur, die als Typhusbazillen identifiziert werden konnten. Im zweiten 
Fdlle wurden aus dem operativ erhaltenen Gallensteinmaterial und auch aus 
dem Fäces der Bacillus paratypki A gezüchtet. Die Angestellten Nachforschun¬ 
gen ergaben, daß die erste Patientin selbst nie an Typhus erkrankt war, da¬ 
gegen der erste Mann dieser Putientiu 1892 an Typhus gestorben ist und 1893. 
als die Frau bei ihrer Mutter lebte, ihr Bruder an Typhus erkrankt war, 
Anfangs Januar 1904 erkrankte das 10 Monate alte Kind der Patientin an 
Oarchfall mit Fieber. 100 m vom Hause der Patientin befand sich ein Haus, 
m welchem 1S97 fünf Typhusfälle beobachtet wurden, 1900 1 Typhusfall. — 
Im zweiten Falle hatten die Ermittelungen kein Resultat. 

Verfasser meint nun, daß derartige Fälle für die Umgehung eine Gefahr 
sind und daher für die Prophylaxe des Typhus abdominalis deren Erkennung 
von Bedeutung ist. Diese Fälle beweisen also, daß man sowohl in klinischer, 
als auch in hygienisch-prophylaktischer Hiusicht •mit dem Vorkommen von 
Typhusbazillen und den ihnen so nahe stehenden Paratyphusbazillen bei der 
CüoleLithiasis resp. bei den ihr vorausgehenden Prozessen zu rechnen hat, auch 
selbst dann, wenn die Anamnese keine Anhaltspunkte für einen früher über¬ 
standenen Typhus ergibt. Df. Wai bei-Kempten. 

Agglutination bei Antoinfektionen mit besonderer Berücksichtigung 
des Icterus. Von Dr. Lüdke. Archiv für klinische Medizin; 1904, Bd. 81, 
Heft 1 und 2. 

Bereits mehrfach ist darauf hingewiesen, daß nicht nur das Blutserum 
Typhn-kranker, sondern auch andere Sera, besonders der mit Icterus einher- 
gchenden Erkrankungen, positiven Ausfall der Wi dal sehen Reaktion veran¬ 
lassen können. Verfasser untersuchte zunächst in zahlreichen Versuchsreihen 
«1Agglutinationsvermögen des Blutserums bei Lebererkrankungen (mit und 
ohne Icterus), ferner bei Icterus neonatorum, bei Nephritis, Diabetes und einigen 
Blut- und Darmerkrankungen: 

Von den 52 mit Icterus einhergehenden Fällen zeigte das Serum in 
li Fällen agglutinierende Wirkung im Verhältnis 1 : 50, in 19 Fällen bei einer 
Verdünnung von 1 : 20. Die Steigerung der Agglutinationsfähigkeit des Blutes 
bei Krankheiten, die mit Icterus eiuhergehen, ist demnach keineswegs konstant. 
Auch scheint der Uebertritt von Galle ins Blut nur eine sehr geringe Rolle 
bei dem Zustandekommen der Erscheinung zu spielen. Eine wichtige Rolle 
kommt jedoch der den Icterus begleitenden bakteriellen Infektion zu. Hierfür 
spricht auch der Umstand, daß bei den 9 untersuchten Fällen von katarrhali¬ 
schen Icterus 7 mal sehr stark ausgesprochene Agglutination auftrat. 

Beim Icterus neonatorum (7 Fälle) trat, keine Agglutination auf. 
Bti Nephritis (21 Fälle) und Diabetes (4 Fälle) wurde nur geringe Aggluti¬ 
nation beobachtet. Die 8 untersuchten Sera von Chlorosekranken zeigten mit 
einer Ausnahme ein auffallend hohes Agglutinationsverrnögen. 

Im zweiten Teil der Arbeit berichtet Lüdke über die Wirkung der 
erwähnten Sera auf andere Bakterien als auf Typhusbazilien. Er fand dnbei 
die von anderen Autoren gemachte Beobachtung bestätigt, daß die dem Typhus- 
bacilJus nahestehenden Bakterien bei den mit Icterus einhergehenden Er¬ 
krankungen besonders häufig agglutiniert wurden (Gruppenagglutination). Bei 
weitem am stärksten wurde jedoch immer der Typhusbaeillus agglutiniert. 

Weitere direkte Untersuchungen über die Agglutinationsfähig¬ 
keit von Galle, oder von Galle und Blut oder nach Einbringung von Galle 
in den Tierkörper legten deutlich klar, daß die Galle an sich keinesfalls die 
Agglutinationsfähigkeit des Blutes veranlaßt. Jedoch ist es wohl möglich, daß 
der Gebertritt von Galle ins Blut demselben indirekt agglutinierende Wirkung 
verleihen kann. 

Zum Zustandekommen des Agglutinationsphänomens gehört nach Ansicht 
des Verfassers die Bindung des dem Typhusbaeillus gehörigen Rezeptors mit 
-eichen Eiweißkörpern des Blutes, die eine besondere Affinität zu dem Rezeptor 
besitzen. Diese Eiweißkörper werden durch besondere Vorgänge und Verände¬ 
rungen des Blutes frei, und haben dann Gelegenheit sich mit dem Rezeptor des 
Typhusbazilias zu vereinen. Wie die oben angeführten Versuche z. T. lehren, 
tritt diese Lockerung der Eiweißkörper im Blute am stärksten durch eine 



24 


Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften. 


Typhusinfektion ein. Das Agglutinationsphänomen erfolgt deshalb bei einer 
Typhusinfektion am stärksten und vollständigsten. Dagegen können auch 
andere Zustände das Blut in diesem Sinne beeinflussen, wie z. B. Icterus, In¬ 
fektionen, Erkrankungen des Blutes etc. Als eine direkt spezifische Reaktion 
wird man demnach die Agglutination des Typhusbacillus nicht mehr an¬ 
seheu können. Dr. Dohrn-CasseL 

Zur Serumdloguostik des Typhus abdominalis mittelst des Ficker¬ 
sehen Dlagnostlkums. Von Dr. Blum, Oberarzt in M.-Gladbach. Münchener 
med. Wochenschrift; 1904, Nr. 41. (Mit Abbildung.) 

Wie verschiedenen anderen Autoren hat das neue Fick ersehe Dia- 
gnostikum auch dem Verfasser zuverlässige Resultate geliefert, freilich mit der 
Einschränkung, daß cs die Frühdiagnose, besonders in leichteren oder atypischen 
Fällen ebensowenig zu sichern vermag, wie die 0 ruber - WidaIsche Reaktion. 
Da Verfasser gleich verschiedenen anderen Aerzten die von Ficker empfohlene 
Technik zur Serumgewinnung unbequem erschien, teilte er neben den Methoden 
anderer Aerzte auch sein Verfahren mit, welches er einerseits für ungefährlich, 
anderseits für sehr einfach und bequem hält: 

Nach leichter Umschnürung des Oberarms entnimmt man mit einer durch 
Auskochen sterilisierten Spritze aus einer der prallgefüllten Vorderarmvenen 
ca. 1 ccm Blut. Nach Entfernung der Nadel wird die Spritzcnüffnung mit 
einem Kügelchen steriler Watte, Wachs, Siegellack oder einer kleinen Gummi¬ 
kapsel verschlossen und nach Abschraubern des Stempelkopfes die Spritze mit 
dem ausgezogenen Stempel mich unten ln das dem Fick ersehen Instru¬ 
mentarium beigegebene Blechgestell zwecks Gerinnung des Blutes liiueingestellt. 
In dem engen abgeschlossenen Raum der Spritze ist das Blut vor dem Eiu- 
trocknen geschützt und gerinnt an kühlem Orte sehr bald. Unton dicht über 
dem Kolbeu senkt sich der Blutkuchen nieder und darüber scheidet sich ein 
schönes, klares Serum ab. Nach Abschraubm des zur Aufnahme der Nadel be¬ 
stimmten konischen Ansatzes der Spritze geschieht die Abpinettierung des 
Serums zur Herstellung der Verdünnungen leicht und bequem direkt aus dem 
Zylinder der Spritze. Zu acliteu ist dabei nur darauf, daß die Spritze bei der 
Blutentnahme nicht ganz voilgesogen und nach der Gerinnung des Blutes nicht, 
geschüttelt wird. Dr. W a i b e l - Kempten. 

Zur Serumiliaguose des Typhus abdominalis mittels d*>s Fickorschen 
Diagnostikums. Von Dr. v. Tiling, Assistenzarzt in Xewvork. Münchener 
med. Wochenschrift; 1904, Nr. 4s. 

Mit Rücksicht auf die für Arzt und Patienten zuweilen recht lästige 
und unbequeme Methode der Blutentnahme und Serumgewiunung mittels des 
Schröpfkopfes, sowie den mitunter schwierigen Transport des Blutes und 
Serums vom Krankenbett zinu Laboratorium des Arztes, mit Rücksicht- ferner 
darauf, daß auch die von Gram an n, Schaum bürg, ('ln mann, Walter 
und Blum angegebenen Modifikationen diese Schwierigkeiten nur teilweise 
belieben, lmt Verfasser in letzter Zeit die Reaktion in der Weise au^gefuhrt, 
daß er einige aus einer kleinen Stichwunde am Finger hervorqHeilende Bluts¬ 
tropfen auf einem Objektträger oder — für den Transport noch einfacher — 
auf einem Stückchen Fließpapier auffing, trocknen ließ und dann später im 
Laboratorium in steriler physiologischer Kochsalzlösung in der gewünschten 
Verdünnung auflöste. Die Flüssigkeit sieht zwar rötlich aus, was aber die 
Deutlichkeit der Reaktion nicht im geringsten stört. Im Gegenteil heben sich 
die weißlichen Bakterienh ßifchen bei positivem Ausfall der Reaktion sehr schön 
von der rötlichen Flüssigkeit ab. Dr. W ai b e 1 - Kempten. 

Einige Versuche über die Desinfektionswirkung des Saprols. Von 
J. Görbing. Aus dem hygienischen Institut der Universität Göttingon 
(Direktor: Prof. Dr. v. Esmarch). 

Versuche, welche die Prüfung der Desinfektionswirkung des Saprols 
gegenüber Bouillonkultureu von Pakt, coli, sowie faulenden Flüssigkeiten zum 
Gegenstand hatten, ergaben, da.fi O.oproz. Saprollösuugen eine sichere und 
schnelle Desinfektionswirkling entfalten. 

Dr. Len tz- Berlin, z. Z. Idar. 



Kleinere Mitteilungen und Referate ana Zeitschriften. 


25 


Experimentelle Beitrüge rar Wohnungsdeslnfektlon mit Formaldehyd. 

L and IL Teil. Von Dr. Engels, KreisAssistenzarzt, beauftragt mit der 
Leitung der bakteriologischen Untersuchungsstation bei der Königlichen Re¬ 
gierang zu Str&lsand. Archiv für Hygiene; Bd. 49, H. 2. 

Bei einer Vergleichung des Schneiderschen Rapid-Formaldehyd-Des- 
infektors mit dem Flügge'sehen Desinfektionsapparat fand Engels, daß 
beide Apparate gleich vorzügliche Resultate lieferten. Wenngleich Engels 
die Formaldehyddesinfektion als die beste und sicherste Methode der Zimmer¬ 
desinfektion empfiehlt, so übersieht er doch auch die Mängel nicht, welche dem 
Formaldehyd anhaften, und welche auch bei seinen Versuchen sich geltend 
machten. Hierher gehört zunächst der Mangel einer Tiefenwirkung, welcher 
sich dadurch kund tut, daß schon die Umhüllung der Testobjekte mit einer 
einfachen Schicht Gase genügt, um erstere vor der desinfizierenden Wirkung 
des Formaldehyds zu schützen; ferner die geringe Einwirkung auf Tuberkel¬ 
bazillen. Diese tritt im Experiment allerdings erst hervor, wenn man zur 
Präfang der Desinfektionswirkung den Tierversuch heranzieht; etwa */« der 
Meerschweinchen, welchen die dem Formaldehyd ausgesetzten, mit tuberkel¬ 
bazillenhaltigem Sputum infizierten Leinwandläppchen in eine Hauttasche ein¬ 
genäht worden, gingen an allgemeiner Tuberkulose zugrunde. 

Engels machte bei seinen Versuchen die Beobachtung, daß mit Pepton¬ 
lösung oder leim- und stärkehaltiger Flüssigkeit getränkte feuchte Objekte 
(Seidenfäden, welche mit Bouillonkulturen von Bakterien imprägniert waren, 
and appretierte oder gestärkte Leinwand) die desinfizierende Wirkung des 
Formalüehyds dadurch aufheben, daß letzterer in Pepton-, Leim- und Starke- 
lösungen unlösliche Niederschläge bildet, welche die Bakterien einschließen und 
so gegen die desinfizierende Wirkung des Formaldehyds schützen. 

Dr. Lentz-Berlin, z. Z. Idar. 


Die Wirkeng des Formalins auf die Milch und das?Labferment. Von 

Dr. Ernst Löwenstein, Assistenzarzt der Heilstätte Belzig bei Berlin. 
Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten; Bd. 48, H. 2. 

Das Formaldebyd verändert die Milch auch in dem Sinne, daß sie auf 
Lab nicht mehr reagiert. Der Grad der Veränderung ist in erster Linie von 
der Dauer der gegenseitigen Einwirkung und erst in zweiter Linie von der 
Formalinmenge abhängig. Diese Veränderungen der Milch treten schon bei 
den geringen Formaldehydmengen auf, welche für die Desinfektionspraxis in 
Betracht kämen. Das Formaldehyd in Lösung vermag die Kochsalzlösung des 
Lab nicht unwirksam zu machen, während Formaldchyd in Gasform das Lab¬ 
pulver seiner Wirkung beraubt. Dr. Engels-Stralsund. 


Nahrung und Ernährung. Von Wilhelm Winternitz. Vortrag, ge¬ 
halten auf dem 25. Kongreß der Balnneolog. Gesellschaft in Aachen, 3. bis 9. 
März 1904. Deutsche Medizinal-Zeitung; 1904, Nr. 69. 

Das Thema „Sind Mastkuren nötig?“ interessiert auch den ärztlichen 
Sachverständigen lebhaft, weil er oft vor der Frage steht, entscheiden zu sollen, 
ob Unfall-Verletzte oder sonst Geschädigte einer Ueberernährung bedürfen. 

Referent möchte zwei Sätze aus dieser Arbeit hervorheben: 

„Es ist nicht die absolute Quantität der Nahrangsstoffe, bis zu einem 
gewissen Minimum herab, sondern die relative zu den vorangegangenen Er¬ 
nährungsverhältnissen, die für den Ansatz von Bedeutung ist.“ „Das eine Mal, 
je nach den vorangegangenen Ernährungsverhältnissen, wird bei einer be¬ 
stimmten Kost der Körper an Substanz gewinnen, ansetzen, das andere Mal 
bei derselben Nahrung herabkommen, an Gewicht verlieren.“ 

Und den Schlußsatz: Mastkuren (allerdings perhorresziert Verf. das Wort 
„Mastkur“) sind bis auf einige Ausnahmen nicht nötig. 

Die Hauptaufgabe, die hier zu lösen ist, liegt gewöhnlich nicht in der 
Ueberernährung, sondern in der besseren Ausnützung der oft nicht vermehrten 
Nahrung. Hof f mann-Berlin. 


Verbesserungen im Krankentransportwesen. Von Dr. Ernst Joseph. 
AerztL Sachv.-Zeitung; 1904, Nr. 18. 

Die Gründe für die noch mangelhafte Benutznng der Krankentransport- 



26 


Kleinere Mitteilungen und Referate au* Zeitschriften. 


mittel sind teils deren mangelhafte Einrichtung, teils der Widerwillen des 
Pnblikams dagegen, teils auch die za hohen Kosten. Der Hauptmangel indes 
ist in dem Umstand zu suchen, daß das Krankentransportwesen hinsichtlich 
der Uebertragbarkeit ansteckender Krankheiten noch keine genügende Garantie 
bietet. Die generelle Lösung der Desinfektionsfrage der Krankenwagen ist 
daher von fundamentaler Bedeutung für das Transportwesen. 

Die Aufgabe, hier Wandel zu schaffen, hat sich im Einverständnis mit 
den behördlichen Organen der „Verband für erste Hilfe“ gestellt, welcher sich 
aus Vertretern der drei großen Rettungsinstitute der Reichshanptstadt zu¬ 
sammensetzt. Die Neuorganisation soll dadurch in die Wege geleitet werden, 
daß sich die bestehenden Krankentransportinstitute zusammenschließen und ihr 
Gesamtbetrieb in jeder Hinsicht, insbesondere in hygienischen, technischen und 
geschäftlichen Fragen der Aufsicht der ganzen Korporation untersteht Es 
wird für schnellste Requierierung von Transportmitteln gesorgt, unbeschadet 
darum, ob der Betreffende zahlungsfähig ist oder nicht. 

Nach jedem Transport soll eine Desinfektion vorgenommen werden, um 
eine volle Gewähr gegen Krankheitsübertragungen zu haben. Es kann bei 
dieser Forderung nur ein Verfahren in Anwendung kommen, welches, ohne das 
Material anzugreifen, wenig Geld und Zeit verursacht. Ein in London geübtes 
Verfahren ist in jeder Beziehung leicht und praktisch durchführbar. Mittels 
eines Strahles wird das Innere des Wagens mit einer 2°/o Chlorkalklösung 
durebgespült; sie genügt zur Desinfektion. Wünschenswert ist dabei, daß das 
Innere des Wagens möglichst glatt und abgerundet ist. Die Trage, am zweck¬ 
mäßigsten aus einem Holzgestell und einer Lederunterl&ge bestehend, wird dann 
ebenfalls mit Chlorkalklösung abgerieben. Für die Decken empfiehlt Joseph 
eine Umhüllung mit festem Leinen und Drellbezug; diese müssen bei jedem 
Transport gewechselt werden, ebenso wie der Uebermantel des Transporteurs. 
Die benutzten Stücke läßt man vor erneutem Gebrauch entweder 2 Standen 
lang in verdünntem Kresol-Wasser liegen oder man kocht sie aus. Bei diesem 
Verfahren dürfte schon nach Ablauf einer Viertelstunde jeder Krankenwagen 
wieder in Gebrauch genommen werden können. 

Dr. Troeger-Adelnau. 


Ein Krankenhaus auf genossenschaftlicher Grundlage. Von Kreisarzt 
Dr. L e m b k e - Kreuznach (früher in Simmern). Sep.-Abd. aus der Zeitschrift: 
„Das Land“; Berlin, Trowitsch & Sohn. 

Die Arbeit schildert zunächst den Weg, auf dem es gelungen ist, trotz 
des Fehlens guter Vorbilder für einen kleineren Bezirk ein selbständiges 
Krankenhaus zu schaffen, das den modernen gesundheitlichen Ansprüchen ge¬ 
nügte. Es wurde ein Verein zur Errichtung und Verwaltung eines evangeli¬ 
schen Krankenhauses für die Synode Simmern gegründet. Jedes Mitglied war 
verpflichtet, pro Jahr M. 1 zu bezahlen und eine Haftpflicht von M. 100 außer¬ 
dem zu übernehmen. Mit den durch 400 Mitglieder verbürgten M. 40000 wurde 
es ermöglicht, den nötigen Kredit zu schaffen. Da die Baugelder aus frei¬ 
willigen Beiträgen einkamen, wurde die Haftpflicht des einzelnen Mitgliedes 
nicht in Anspruch genommen. Die Stadt Simmern lieh M. 10000. — Die Ge¬ 
samtkosten des Krankenhauses betrugen M. 35000, pro Bett M. 2500. Da in 
der ersten Zeit mit einer gewissen Abneigung der ländlichen Bevölkerung gegen 
Krankenhäuser noch gerechnet werden muß, wird der Betrieb einen jährlichen 
Zuschuß von voraussichtlich M. 2000 beanspruchen. 

Der Bauplatz, auf freier etwas erhöhter Lage, hat vorzüglichen Ban¬ 
untergrund. Als Bausystem wurde der Einheitsbau gewählt. Jedes Stockwerk 
erhielt einen eigenen Tageraum. Als Luftraum entfallen auf Zimmer mit 
mehreren Kranken mindestens 30 cbm bei-7,5 qm Bodenfläche; Bodenflftche 
bei Zimmern mit Einzelkranken 40 cbm bei 10 qm. Der Fußboden im Opera¬ 
tionszimmer erhielt Fliesenbelag; die Wände sind abwaschbar; ebenso in den 
beiden isolierzimmern. Diese haben einen besonderen Korridor und einen 
eigenen, direkten Eingang vom Garten aus. 

Die Lüftung geschieht durch besondere Lüftungsrohre, die mit dem 
Kamin in Verbindung stehen; die Heizung durch Einzelöfen. Für die Warm¬ 
wasserleitung ist eine in der Feuerung des Küchenherdes liegende Heizschlange 
vorgesehen, die durch Rohrleitung mit einem Wasserbehälter in Verbindung 



Tagesnachriehten. 


27 


steht, der sich rermittels Schwimmventils selbständig von der Wasserleitung 
aus fallt. & m Tom Krankenbaase entfernt liegt die wasserdichte Sammel- 
grabe, die eine Trennangswand zur Trennung der flüssigen von den festen 
Stoffen erhalten hat. 

Eingehendere'Darlegungen über die Einzelheiten, den Desinfektionsraum 
das Badezimmer, die Einteilung der Geschosse, enthält die Arbeit selbst. 

Dr. Mayer- Simmern. 


Tagesnachrichten. 

Aus dem Belohitage. Seitens der Abgg. Eickhoff und Dr. 
ßenmer ist im Reichstage der Antrag gestellt, „daß unter entsprechender 
Abänderung des § 6 der Prüfungsordnung für Aerzte vom 28. Mai 1901 auch 
die Abiturienten der deutschen Oberrealschulen zu der Ärztlichen Prüfung 
zugelassen werden.“ Nachdem diese auch zum juristischen Studium zugelassen 
iind, wird sicherlich diesem Anträge stattgegeben werden. 

In der Sitzung vom 13. v. Mts. ist die Resolution der Abgg. Dr. Becker 
and Genossen: „Die verbündeten Regierungen zu ersuchen, unter Mitwirkung 
der Handwerkskammern und Gewerbevereinsverbände Erhebungen über die 
Grundlagen für eine obligatorische Alters- und Invalidenversicherung des 
Handwerks alsbald in die Wege zu leiten und die hierfür nötigen Mittel durch 
Nachtragsetat noch für das Rechnungsjahr 1904 anzufordern“, nach längerer 
Debatte angenommen, obwohl sich der Staatssekretär des Innern, Graf v.Posa- 
dowsky, entschieden gegen eine derartige Erweiterung der Alters- und In¬ 
validenversicherung aussprach. 


Ans dem preusetsohen Abgeordnetenhaus«. Nach dem von 
der Handels- und Gewerbekoinmission erstatteten Bericht über die Petition des 
Verbandes preußischer Apothekenkonzessionsanwärter, betreffend Herbei¬ 
führung günstigerer Aussichten auf Erlangung der Selbst¬ 
ständigkeit im Apothekerberuf, äußerten sich die Regierungsvertreter 
auf eine Anfrage des Referenten hinsichtlich der Neuregelung des Apotheken« 
Wesens wie folgt: 

„Die Anfrage des Herrn Referenten, ob die beabsichtigte gesetzliche 
Neuregelung des Apothekenwesens auch die Konzessionierungsfrage umfassen 
soll, ist zu bejahen, üeber die Einzelheiten nähere Mitteilungen zu machen, 
erscheint zurzeit nicht angängig, da die Erwägungen hierüber noch nicht ab¬ 
geschlossen sind. Wir können nur erklären, daß die Neuregelung im Gange 
ist und daß insbesondere auch das Material, welches die Fachpresse und die 
sonstigen Veröffentlichungen aus den Kreisen der Beteiligten beigebracht haben 
und noch beibringen, eingehend geprüft und entsprechend mitverwertet wird.“ 

Im übrigen werden von den Regierungsvertretern die nach der Petition 
angeblich vorhandenen Mißstände des Apotheken - Konzessionswesens teils als 
unbegründet, teils als sehr übertrieben bezeichnet und namentlich der gegen 
die Konzessionsbehörden gerichtete Vorwurf der Rücksichtnahme auf persön¬ 
liche Beziehungen und der pflichtwidrigen Außerachtlassung der bestehenden 
Vorschriften als jeder Unterlage entbehrend zurückgewiesen. 


In der am 19. v. M. abgehaltenen Sitzung des hessischen 
Landtages gelangte eine Interpellation der Abgg. Schienger, Reinhart 
obü Gen., betreffend die Verunreinigung der Flüsse zur Verhandlung. Der 
Antragsteller, Abg. Schienger, wies unter Bezugnahme auf den Gelsenkirchener 
Prozeß auf die Gefahren hin, die durch Einführung der Fäkalien in die Flüsse 
verschuldet werden. Von anderer Seite wurden die Abwässer der Fabriken 
für noch gefährlicher als die Fäkalien bezeichnet. Geh. Obermedizinalrat Dr. 
Neidhard betonte die hygienische Notwendigkeit, die Fäkalien so rasch als 
möglich aus den Städten zu schaffen, wozu das sogenannte Schwemmsystem sich 
am bestem eigne. Geh. Staatsrat v. Krug versicherte, daß die vereinigten 



28 


Tsgesnaehriehten. 


Regierungen eifrigst bestrebt seien, alles zu tun, was zur Reinhaltung der 
Flüsse erforderlich sei. Der derzeitige Zustand des Rheins gebe jedoch vor- 
läoflg keinen Anlaß zu Befürchtungen. 


In Neuenkirchen, Reg.-Bez. Trier, ist jetzt ebenfalls eine bakterio¬ 
logische Untersuchungsstation zur Bekämpfung des Typhus errichtet und 
als deren Leiter der bisherige Leiter der bakteriologischen Untersuchungsstation 
in Metz, Dr. Conradi, bestellt. 


Behufs Besprechung vorläufiger Maßnahmen zur Bekämpfung des 
Typhus sind am 19. Dezember v. J. die Leiter sämtlicher Typbusstationen 
von Süd Westdeutschland, einschließlich der bayerischen Pfalz, unter Vorsitz des 
Reichskommissars, Geheimrat Schneider, zu einer Konferenz in StraßburgLE. 
zusammengetreten. An der Konferenz nahmen auch Geheimrat Prof. Dr. Koch 
und der Präsident des Reichsgesundheitsamtes Dr. Köhler teil. 


Gesundheitszustand der in den Gefängnissen der Prenssischen Justiz¬ 
verwaltung untergebrachten Gefangenen während des Rechnungsjahres 
1902 (1. April 19o2 bis 31. Januar 1903). 

Nach dem von der Preußischen Justizverwaltung erstatteten Bericht 
über die ihr unterstellten Gefängnisse erkrankten von je 100 Gefangenen der 
täglichen Durchschnittszahl (34402) 0,72; davon wurden 97,8 °/ 0 in der Anstalt 
behandelt, 1,8®/ 0 einer besonderen Krankenanstalt überwiesen und 0,9°/ o aus 
der Haft entlassen. Von den Erkrankungsfällcn entfielen 4,96 °/ 0 auf ansteckende 
Krankheiten, 0,94°/ 0 auf Geistesstörungen, 3,ö6°/ 0 auf äußere Verletzungen; 
von den Fällen ansteckender Krankheiten kamen 18,97 °/ 0 auf Tuberkulose, 
2b,61 % auf Syphilis. Die Sterbefälle betrugen 0,06 u / 0 der Gesamtzahl 
und 0,68 o/ 0 der Durchschnittszahl der Gefangenen. 


Der 22. Kongress für innere Medizin findet vom 12. —15. April 
1905 zu Wiesbaden statt unter dem Vorsitze des Herrn Geheimrat Erb- 
Heidelberg. Als Verhandlungsthema des ersten Sitzungstages ist bestimmt: 
Ueber Vererbung. 1 . Referat: Ueber den derzeitigen Stand der Vererbungs¬ 
lehre in der Biologie: Herr H. E. Ziegler-Jena; 2. Referat: Ueber die 
Bedeutung der Vererbung und der Disposition in der Pathologie mit besonderer 
Berücksichtigung der Tuberkulose: Herr Martins (Rostock). Vorträge haben 
angemeldet: Herr A. Hof f mann- Düsseldorf: Ueber Behandlung der Leukämie 
mit Röntgenstrahlen; Herr Paul Krause-Breslau: Ueber Röntgenstrahlen¬ 
behandlung der Leukämie und Pseudoleukämie; Herr Schütz-Wiesbaden: 
Untersuchungen über die Schleimsekretion des Darmes; Herr M. Matthes- 
Jena: Ueber Autolyse; Herr C1 emm-Darrostadt: Ueber die Bedeutung der 
Heftpflasterstützverbände für die Behandlung der Bauchorgane. 

Mit dem Kongresse ist die übliche Ausstellungvon Instrumenten, 
Apparaten und Präparaten, soweit sie für die innere Medizin 
von Interesse sind, verbunden. 

Anmeldungen von Vorträgen und für die Ausstellung sind zu richten an 
Geheimrat Dr. Emil Pfeiffer, Wiesbaden, Parkstraße 13. 


Berichtigung: Laut Mitteilung der Verlagsbuchhandlung von A. 
Trosche! (nicht Frischei) in Grunewald-Berlin beträgt der Preis für 
die in Nr. 20 der Zeitschrift, Jahrg. 1904, besprochenen „Zusammenstellung 
der Entschädigungssätze“ nicht 0,75, sondern 1,20 Mark. 


Verantwort!. Redakteur: Dr. Rap mund, Reg.- u. Geh. Med.-Rat in Minden i. W. 
J. C. C. Bruns, Herzog). Siebs, u. F. Seh.-L. Hofbuchdruckerei ln Minden. 




18. Jahrg. 


1905. 


Zeitschrift 

für 

MEDIZINALBEAMTE. 


Zentralblitt für gsriebtliehe Medizin nnd Psychiatrie, 
für ärztfiehe SacliTerstiodigentätigkeit io Unfall- and loTaliditätssachen, sowie 
für Hygiene, offcntL Saoitatsweseo, Medizinal - Gesetzgebung and Reefatsprecliuiig. 

Herausgegeben 

von 

Dr. OTTO RAPMUND, 

Reglerangt- and Geh. Medizinalrat in Mlod^n. 


Verlag von Fischers mediz. Buehhandlg., H. Kornfeld, 

HerzogL Bayer. Hof- tl Erzhcrzogl. Kammer - Bucüh&n Her. 

Berlin W. 35, Lützowstr. 10. 

Inserate nehmen die Verlagshandlang sowie alle Annoncen -Expeditionen des In- 

and Auslandes entgegen. 


Nr. 2 • ! ÄMclieiat am 1. und 15. Jeden Monat* 


15. Januar. 


lieber den Paratyphus. 

Kurzes Sammelreferat nebst Bemerkungen zur Grub er- Wida Ischen 

Agglutinationsprobe. 

Von Dr. F. Steinhaus, 

Stadtassistenzarzt und Assistent am baktcrioL Institute der Stadt Dortmund. 

Seit Beginn dieses Jahrhunderts hat uns auch iu Deutsch¬ 
land die bakteriologische Wissenschaft mit einem Krankheits¬ 
erreger bekannt gemacht resp. einer Gruppe von Erregern, die in 
klinischer Beziehung das klassische Bild eines Typhus abdominalis 
hervorrufen können, die aber wegen ihrer biologischen Eigen¬ 
schaften von dem Bac. typhi Eberth-Gaffky getrennt werden 
müssen. Nicht genug aber damit, dass der klassische Symptomen- 
komplex des Abdominaltyphus durch ihre Wirkung auf den mensch¬ 
lichen Organismus sich kundgibt, sie teilen mit dem Typhusbacillus 
als Krankheitserreger die ausserordentliche nnd genugsam bekannte 
Vielgestaltigkeit der erzeugten Krankheitsbilder. 

Anfangs, nach den ersten Publikationen, schien es, als ob 
durch die Entdeckung dieser Krankheitserreger eine grosse Ver¬ 
wirrung in die Lehre vom Typhus abdominalis hineingetragen 
würde. Die Forschungen der vergangenen 3 Jahre haben aber 
soweit eine Klärung gebracht, dass die Erkrankung, die man nach 
dem Vorgänge von Achard et Bensaude ( 1896 ) als „In¬ 
fektion paratyphoidique“, nach Schottmüller, ihrem 
ersten Beobachter in Deutschland (1900), als Paratyphus be¬ 
zeichnet, keine ernstlichen diagnostischen Schwierigkeiten mehr 
macht and in ihrer Bedeatang für die menschliche Pathologie 
vollkommen sichergestellt ist. 






80 


Dr. Steinhaus. 


Da nun der „Paratyphus“ infolge seiner Stellung in der 
Reihe der Infektionskrankheiten für den beamteten Arzt von 
allergrösster Bedeutung in sanitätspolizeilicher Hinsicht ist, so 
dürfte es nicht unangebracht sein, den Lesern dieser Zeitschrift 
eine gedrängte Uebersicht über den heutigen Stand unserer 
Kenntnisse betreffs des Paratyphus zu geben, soweit das klinische 
Krankheitsbild, die Biologie der Erreger, die Verbreitungswege 
bei der Infektion und die aus alledem resultierenden sanitäts¬ 
polizeilichen Massnahmen in Frage kommen. 

I. Geschichtlicher Ueberblick: Nachdem bereits 
französische Forscher, Achard und Bensaude (1896), ferner 
Widal und Noböcourt (1897), ferner aus Amerika Gwyn (1898) 
über Paratyphusinfektionen berichtet hatten, gelang Schott- 
müller (1900) in Deutschland zuerst der Nachweis der P&ra- 
typhusbazillen in einem Falle von typhusähnlicher Erkrankung in 
Hamburg aus dem der Vena mediana entnommenen Blute des 
betreffenden Patienten. Im nächsten Jahre berichtete Kurth (1901) 
über 5 klinisch zweifellose Typhusfälle, bei denen er (von 2 Pa¬ 
tienten) den von ihm so bezeichnet en Bac. bremensis febris gastricae 
fand, der von dem Serum der Kranken agglutiniert wurde, mithin 
aetiologmche Bedeutung besass, der aber beim Vergleich der 
biologischen Eigenschaften sich als Paratyphusbacillus, Typus B, 
erwies. Es hatte sich also in diesen Fällen gleichfalls um Para¬ 
typhus-Infektionen gehandelt. 

Schottmüller konnte dann 1901 weitere 5 Fälle beobach¬ 
ten, bei deren bakteriologischer Untersuchung es sich herausstellte, 
dass man es aetiologisch bei dem Paratyphus nicht mit einem 
Krankheitserreger, sondern mit zwei, bei klinisch sich ähnelnden 
resp. gleichen Krankheitsbildern verschiedenen und genau charak¬ 
terisierten Bakterien zu tun hatte, die beide isoliert werden 
konnten und denen die Bezeichnung Typus A und B beigelegt wurde. 

Während es sich bei den Fällen von Schottmüller und 
Kurth um sporadisch auf tretende Fälle handelte, die nachweis¬ 
lich nicht zueinander in Beziehung standen, berichteten Hüner¬ 
mann, Conradi, v. Drigalski und Jürgens über epidemisches 
Auftreten des Paratyphus beim II. Bataillon Inf.-Regt. Nr. 70 in 
Saarbrücken, wo 88 Fälle innerhalb kurzer Zeit zur Beobachtung 
gelangten. Sion und Negel beschrieben 1902 eine typhns- 
ähnliche Hausendemie hydrischen Ursprungs von 6 Fällen, die 
nach der Schilderung der aus dem Blute der Patienten und aus 
dem Wasser des das betreffende Haus versorgenden Brunnens 
isolierten Bakterien durch ParatyphuBbazillen hervorgerufen war. 
— Eine ähnliche Endemie konnten de Feyfer und Kays er im 
gleichen Jahre (1902) in Eibergen (Prov. Gelderland, Holland) 
beobachten. Durch die bakteriologische Untersuchung wurden 
14 Fälle als Paratyphuserkrankungen sichergestellt, erzeugt durch 
den Paratyphusbacillus B. 

In diesem Jahre beschrieb Erne einen Fall von Paratyphus 
klinisch und bakteriologisch genau, bei dessen näherer Erforschung 
sich ergab, dass noch zwei weitere Mitglieder der Familie inner- 



Ueber den Paratyphne. 


81 

halb 14 Tagen unter typhusähnlichen Erscheinungen erkrankt 
waren, so dass es sich also um eine kleine Hansendemie handelte. 
Schliesslich beobachtete ich mit meinem Chef, Herrn Stadtarzt 
Dr. Köttgen, eine Hausendemie von Paratyphus (Typus B), über 
die wir demnächst zu berichten gedenken, hier in Dortmund. Es 
lagen 6 Fälle in dem Hause eines hiesigen Metzgers vor, dessen 
Tochter unter typhusähnlichen Erscheinungen erkrankt war. Der 
Infektionsweg konnte nicht eruiert werden. Die übrigen 5 Fälle 
betrafen sämtlich Kostgänger und sind als Kontaktinfektionen auf- 
gefasst worden. Ueber eine Hausepidemie Typus B. hat Ritter 
in dieser Zeitschrift (Nr. 20, 1904) berichtet. 

Vereinzelte Erkrankungsfälle sind dann im Laufe der letzten 
2 Jahre beschrieben worden von: Brion und Kayser, Znpnik 
und Posner, Gwyn, Cushing, Coleman-Buxton, John- 
ston, Hewlett, Hume, Grünbaum (Typus A); Achard 
und Bensaude, Widal und Nobhcourt, Kayser, Zupnik, 
Luksch, Körte, Leo, Stern (Typus B). Im ganzen dürften 
wohl bis jetzt etwa 100 Fälle in der Litteratur niedergelegt sein. 

II. Biologie der Bazillen: Ich glaube, dass eine ta¬ 
bellarische Zusammenstellung der biologischen Eigentümlichkeiten 
am übersichtlichsten die nahe Verwandtschaft der Paratyphus¬ 
bazillen auf der einen Seite mit dem Typhusbacillus, auf der andern 
Seite mit dem B&ct. coli commune zeigt: 

Aus umstehender Tabelle geht hervor, dass der Typus A 
dem Typhusbacillus nähersteht, während der Typus B in einzelnen 
Eigenschaften sich mehr an das Bact. coli commune anschliesst. 
Vom Typhusbacillus trennt beide Typen das Verhalten gegen 
Traubenzucker und Neutralrotagar und auf Gelatine, während sie 
vom Bact. coli commune anderseits durch ihr Verhalten gegen 
Milch, den Mangel an Indolbildung und den positiven Ausfall der 
Proteinochromreaktion (Erdmann und Winternitz) geschieden 
sind. Beide Typen selbst unterscheiden sich ihrerseits wesentlich 
durch das Wachstum auf Gelatine, auf Kartoffeln, in Lackmus¬ 
molke, Milch und in muskelzuckerfreier Lactosebouillon. 

Vereinzelt ist auch über geringe Abweichungen des Typus B 
berichtet worden. So sahen Conradi und v. Drigalski ihre 
Stäbchen als unsichtbares Häutchen aut Kartoffeln wachsen. Erne 
beobachtete geringe Indolbildung und Kurth sah Gerinnung der 
Milch nach einigen Wochen. Im wesentlichen sind aber die in 
der Tabelle aufgeführten Eigenschaften der beiden Typen be¬ 
stätigt worden. 

IIL Klinisches Bild: Da an der aetiologischen Bedeutung 
der Paratyphusbazillen bei der Erzeugung typhusähnlicher Er¬ 
krankungen heute nicht mehr zu zweifeln ist, weil ihr Nachweis 
im Blute Erkrankter gelungen ist, so fragt es sich jetzt, welche 
klinischen Erscheinungen bei einer Paratyphusinfektion zutage 
treten. Alle Beobachter stimmen darin überein, dass eine grosse 
Aehnlichkeit mit dem klassischen Typhus abdominalis vorliegt. 
Die Prodrome sind dieselben, es werden Roseolen, Milztumor 
Durchfälle und positive Diazoreaktion in den Krankengeschichten 



an alkalisch 


32 


Dr. Steinhaus 


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Paratypho8bacillus Paratyphusbacillus 









lieber den Paratyphus. 


33 


notiert Die Untersuchung des Blutes ergibt Leukopenie, Ab¬ 
nahme der Zahl der Leukozyten, später Lymphozytose. Charak¬ 
teristisch ist ferner die im Vergleich zur hohen Temperatur 
niedrige Palszahl (80—90 Schläge in der Minute). Abweichend 
verhält sich wohl im wesentlichen die Temperaturkurve. Sie zeigt 
einen plötzlicheren Anstieg zur Höhe als beim Abdominaltyphus. 
Wenn auch in manchen Fällen eine Continua beobachtet worden 
ist, so zeichnen sich nach der übereinstimmenden Mitteilung der¬ 
jenigen Autoren, die Temperaturkurven in ihren Arbeiten verwertet 
haben, diese dadurch aus, dass in dem der Continua entsprechen¬ 
den Abschnitte ungewöhnliche Remissionen, oft auch Intermissionen 
vorhanden sind. Der Abfall der Temperatur vollzieht sich wie 
beim Typhus abdominalis lytisch, nur in kürzerer Zeit. Darm¬ 
blutungen sind nur vereinzelt vermerkt worden: 5®/ 0 . Dagegen 
verdient ein Symptom wohl grössere Beachtung, das von den 
Autoren fast durchweg erwähnt wird und auch von den hiesigen 
Kollegen bei unserer Fällen hervorgehoben wurde: Beschwerden 
von seiten der Halsorgane im Prodromalstadium; objektiv lassen 
sich katarrhalische Schwellung der Tonsillen und der Rachen¬ 
schleimhaut sowie Schwellung der Halslymphdrüsen nachweisen. 

In der Einleitung wies ich bereits darauf hin, dass der Para¬ 
typhus ebenso wie der Typhus abdominalis ein äusserst wechselndes 
Bild zeigen kann. Einige Male fehlte der Milztumor, in anderen 
Fällen waren keine Diarrhoeen, sondern eher Stuhlverhaltung vor¬ 
handen; auch die Diazoreaktion wurde verschiedentlich vermisst, 
ganz abgesehen davon, dass die Temperaturkurve die verschiedent- 
Uchsten Bilder zeigen kann. Man ist auf Grund der vorliegenden 
Beobachtungen zu der Annahme genötigt, dass auch beim Para¬ 
typhus Fälle Vorkommen, die man dem Typhus abdominalis abortivus 
und levissimus au die Seite stellen kann. Diese Tatsache, wie 
die weitere, dass auch hier Bazillenträger ausfindig gemacht 
werden können, die klinisch nicht erkranken, ist äusserst wichtig 
mit bezug auf die sanitätspolizeiliche Bekämpfung der Krankheit. 

Ein Punkt verdient noch hervorgehoben zu werden: die Gut¬ 
artigkeit der Erkrankung, die eine günstige Prognose zulässt, 
wenn die Diagnose gestellt ist. Dieser Umstand bringt es mit 
sich, dass die Literatur nur wenige Mitteilungen über die patho¬ 
logisch-anatomischen Veränderungen bei tötlichem Ausgange der 
Erkrankung bringt. Der Kritik halten nur 3 Fälle stand, die 
von Longiope, Sion und Negel sowie von Luk sch. Abweichend 
gegen den Befund bei Typhus abdominalis verhält sich der Darm- 
kanaL Es fehlen die Schwellung und Geschwürbildung an den 
Pey er sehen Plaques und die Schwellung der mesenterialen 
Lymphdrüsen. Im Dickdarm wurden Schwellung der Solitärfollikel 
und dysenterieähnliche Geschwüre konstatiert. Der Dünndarm ist 
demnach frei von Veränderungen. 

IV. Bemerkungen zur Epidemiologie: Für den be¬ 
amteten Arzt ist natürlich die Epidemiologie der Paratyphus¬ 
erkrankungen von grosser Bedeutung. Es ist zunächst hervor¬ 
zuheben, dass die Erkrankung sehr leicht übertragbar ist. Bei 



34 


Dr. Steinhaus. 


einigen Beobachtungen liess sich ein Zusammenhang zwischen 
Genuss von Trinkwasser und Erkrankung konstruieren, wenig¬ 
stens lag es nahe, diesen Infektionsmodus heranzuziehen. So 
nimmt Schottmüller bereits eine Infektion durch Genuss von 
Trinkwasser an. 

Von grösstem Interesse ist fernerhin die Beobachtung von 
Sion und Negel, die bei ihrer Hausendemie aus dem Wand- 
Schmutz eines in hygienischer Beziehung höchst bedenklichen 
Brunnens einen Bacillus züchteten, der mit den Stämmen, die sie 
ton ihren Patienten erhalten hatten, identisch war. Damit hatten 
sie den lückenlosen Beweis erbracht, dass bei ihren Fällen die 
Infektion auf das Brunnenwasser zurückzuführen war. Auch die 
Epidemie beim II. Bataillon Inf.-Hegte. Nr. 70 in Saarbrücken ist 
höchstwahrscheinlich auf den Genuss infizierten Trinkwassers 
zurückzuführen. 

Des weiteren gibt Körte von seinem Fall an, dass der 
Patient die Gewohnheit hatte, ungekochtes Oderwasser zu trinken; 
auch de Feyfer und Kayser führen für ihre Epidemie das 
Wasser als Infektionsquelle an, da sich der Nachweis erbringen 
Hess, dass die Wäsche eines Kranken in dem am Dorfe vorbei- 
fliessenden Bache gewaschen worden war, dass einige Patienten 
das Wasser dieses Baches getrunken hatten und dass ausserdem die 
Wasserversorgung aus offenen Grundwasserbrunnen in der Nähe 
des Baches erfolgte. 

Schliesslich wäre noch eine Beobachtung Sternbergs an¬ 
zufügen, der aus Wasser (Brunnen der Wiener Wasserleitung) 
isolierte Bakterien beschreibt, die nach ihren biologischen Eigen¬ 
schaften dem Paratyphusbacillus Typus B sehr nahe stehen, um 
zu beweisen, dass tatsächlich das Wasser als Infektionsquelle in 
Betracht kommen kann. 

Selbstverständlich können bei der Infektion mit Paratyphus¬ 
bazillen auch die Nahrungsmittel eine grosse Rolle spielen 
Milch, rohes Obst und rohes Gemüse. Hinsichtlich des 
rohen Fleisches möchte ich an die Untersuchungen Trautmanns 
erinnern, die eine nahe Verwandtschaft des Paratyphusbacillus 
mit den Erregern der wichtigsten beschriebenen Massenvergiftungen 
nach Fleischgenuss ermittelt haben, so dass Trautmann neuer¬ 
dings der natürlich noch nicht exakt bewiesenen Anschauung Aus¬ 
druck gegeben hat, dass auch bei den Fleischvergiftungen die 
Paratyphusbazillen, namentlich aber ihre Toxine, als ursächliches 
Moment heranzuziehen wären. Die Feststellung des Infektions¬ 
weges durch Genuss von Nahrungsmitteln wird aber immer auf 
grosse Schwierigkeiten stossen, so dass es sich daraus wohl er¬ 
klärt, dass entsprechende Beobachtungen noch nicht mitgeteilt 
sind. Desgleichen wird man, wie beim Typhus abdominalis, häufig 
den Nachweis der Kontaktinfektion zu erbringen in der Lage sein. 

V. Die Serumreaktion bei Paratyphus: Aus dem 
Vorstehenden ergibt sich, dass sowohl die klinischen Bilder wie 
auch die Epidemiologie der Paratyphusinfektionen eine dignostische 
Abgrenzung derselben gegen Typhus abdominalis nur sehr schwer 



Ueber den Paratyphus. 


85 


miauen. Um einmal eine exakte Diagnose zu stellen, womit wir 
rach ein praktisch wichtiges Urteil hinsichtlich der Prognose ge¬ 
winnen, zum andern aber auch bei gehänfterem Auftreten von 
Erkrankungen alle Individuen ausfindig zu machen, die als infiziert 
zu gelten haben, und damit eine richtige Bekämpfung der Krank¬ 
heit einzuleiten, sind wir auf den Nachweis der Bazillen im Blute, 
in den Faeces, im Urin und Roseolen, vor allem aber, und das 
ist in praktischer Beziehung bedeutungsvoller, auf die Serum- 
reaktion angewiesen. Nur mit ihrer Hilfe wird man im Sinne 
der Anschauung Kochs rationell einen Erkrankungsherd beseitigen 
können, wenn man nicht nur die klinisch Kranken ausscheidet, 
sondern auch die klinisch nicht erkrankten Bazillenträger- und 
•Verbreiter ausfindig und für ihre Umgebung unschädlich macht 
(siehe Conradi, v. Drigalski und Jürgens, Epidemie in 
Saarbrücken). 

Es steht ja heute, namentlich nach den äusserst interessanten 
Untersuchungen der Kommission zur Bekämpfung des Typhus 
im Saargebiet, fest, dass Individuen als mit Typhusbazillen in¬ 
fiziert zu gelten haben und die Bazillen demgemäss auch ver¬ 
breiten, die bei vollkommen afebrilem Verlauf der Infektion ruhig 
ihrer Tätigkeit nachgehen. Dasselbe trifft auch für den Paratyphus 
zu (siehe de Feyfer und Kays er, Epidemie inEibergen). 

Wenn nun bei ausgesprochener Typhuserkrankung oder 
typhusähnlichen Erscheinungen die Agglutinationsfähigkeit des 
Blutes durch die Serumreaktion geprüft wird, ergibt sich oft, dass 
Typhusbazillen durch das Krankenserum nicht agglutiniert werden, 
dass dagegen der eine oder andere Typus der Paratyphusbazillen 
im Sinne eines positiven Ausfalls der Reaktion beeinflusst wird, 
vorausgesetzt natürlich, dass die Infektion vor nicht zu kurzer 
Zeit erfolgt ist. Auf der andern Seite werden häufig beide Ba¬ 
zillen, sowohl der Typhusbacillus wie der Paratyphusbacillus A 
oder B agglutiniert. In den letzteren Fällen ist man natürlich 
zunächst hinsichtlich des endgültigen Urteils vor ein Dilemma 
gestellt; erst die genaue makroskopische und mikroskopische 
Beobachtung des Agglutinationsphaenomens lässt einen Schluss 
auf die Art der Infektion zu. Wir haben es in solchen Fällen, 
was wir auch an Hand unseres Materials bestätigen können, mit 
einer Gruppenagglutination nach den Untersuchungen von Stern, 
Bruns und Kayser, Trautmann, Jürgens, Hoffmann 
u. a. zu tun, der gegenüber wir darauf angewiesen sind, die 
Grenzwerte der Agglutinationsfähigkeit des betr. Serums gegen¬ 
über den einzelnen Bazillen festzustellen, ev. nach Anstellung des 
Castellanischen Versuchs, bei dem man die Agglutinine des 
Blutes für den einen oder den andern Bacillus erst sättigt. So 
konnte ich bei einem unserer Paratyphuspatienten eine Agglu- 
tinationsfähigkeit gegenüber Typhusbazillen bis zu der Verdünnung 
1: 300, gegenüber Paratyphusbacillus Typus B bis 1 : 50 000 fest¬ 
stellen. Der Fall gleicht damit dem von Stern mitgeteilten. 

Man ist also bei solchem Verhalten des Serums 
eines Kranken von jetzt ab genötigt, die Agglutina- 



86 


Dr. Steinhaus. 


tionsfähigkeit sowohl für Typhusbazillen, wie auch 
für Paratyphusbazillen Typus A und B zu prüfen, ehe 
man den betr. Fall aetiologisch sicherstellen kann. 

Damit ergeben sich aber für die Aufklärung von Typhus¬ 
oder typhusähnlichen Erkrankungen durch den Kreisarzt erhebliche 
Schwierigkeiten. Nur bakteriologische Untersuchungsstationen, 
die nach Tjadens bemerkenswerten Ausführungen entschieden 
noch vermehrt werden müssen, vermögen solche Aufgaben zu lösen. 

Im Anschlüsse hieran sei es mir gestattet, einige Be¬ 
merkungen zu der Agglutinationsprobe zu machen. Leider ist 
immer noch keine einheitliche Auffassung inbezug auf die Zeit¬ 
dauer bis zum Eintritt der Agglutination, inbezug auf die Stärke 
der Agglutination und die Methodik der Grub er-Widal sehen 
Probe erzielt, trotzdem dieselbe sehr erwünscht wäre, um die 
Resultate der einzelnen Beobachter direkt vergleichen zu können. 
So kommt es, dass das Verhalten des Serum an verschiedenen 
Orten eine verschiedene Beurteilung erfährt. Es ist zu betonen, 
dass die Bakterienaufschwemmung in physiologischer 
Kochsalzlösung vorgenommen werden muss, dass es ferner 
durchaus angebracht, wenn nicht gar geboten ist, die makro¬ 
skopische und mikroskopische Untersuchung anzustellen, 
da die letztere zu sehr in das Ermessen der einzelnen Beobachter 
gestellt ist. Inbezug auf die Zeit, innerhalb deren die Reaktion 
eingetreten sein muss, pflegen wir am hiesigen bakteriologischen 
Institut, wie es auch an anderen Orten, namentlich in Hamburg, 
geschieht, von einer positiven Reaktion dann zu sprechen, wenn 
makroskopisch sich nach spätestens 2 Stunden deutliche 
Flöckchen in der sich klärenden Flüssigkeit bilden, wenn mi¬ 
kroskopisch innerhalb 20 Minuten deutliche Häufchenbildung 
sich zeigt und alle Bazillen unbeweglich geworden sind. Die 
untere Grenze der Verdünnung, die einen Schluss auf die Art der 
Erkrankung gestattet, erblicken wir in demVerhältnis 1 : 100. 
Darunter sollte man nach den mitgeteilten positiven Reaktionen 
bei Weilschem Icterus, Septicaemie und Tuberkulose nicht gehen 
(ich selbst habe als Assistent am Augusta- Hospitale in Cöln 
einen Erkrankungsfall als Typhus abdominalis gemeldet, bei dem 
in der Verdünnung 1 : 80 die Reaktion positiv ausgefallen war; 
bei der von mir vorgenommenen Autopsie stellte sich dann heraus, 
dass es sich um eine subakute Miliartuberkulose gehandelt 
hatte). 

Aus alledem geht hervor, dass man stets mit scharfer Kritik 
an die Beurteilung einer Agglutinationsprobe herantreten soll. Am 
geeignetsen ist noch immer ihre Anstellung mit lebender Ba¬ 
zillenkultur. Wenn nun seit diesem Jahre, namentlich in der 
Hand der Kreisärzte, die Fick ersehe Methode der Agglutination 
vermittels einer Suspension von abgetöteten Typhusbazillen immer 
mehr in Brauch gekommen ist, eine Methode, der wegen ihrer 
Einfachheit sicherlich die ausgedehnteste Anwendung zu wünschen 
wäre, so glaube ich doch eine Beobachtung gemacht zu haben, die 
ich noch anfügen und zu deren Nachprüfung ich auffordern möchte. 



Ueber den P&ratyphus. 


37 


Ficker schreibt vor, dass man das von ihm erfundene Diagnosti- 
cum vor dem Gebrauche gründlich schütteln soll. Ich habe im 
Anfang die Ficker sehe Probe bei allen untersuchten TyphusläHen 
angestellt; eines Tages aber bot sich mir eine Ueberraschung: 
Trotz längeren Schütteins der Flüssigkeit zeigte sich in dem 
Eontrollspitzgläschen, das das Diagnosticum allein enthielt, deutliche 
Fleckcheubilduug; die mikroskopische Untersuchung im hängen¬ 
den Tropfen liess zahlreiche Bazillenhäufchen erkennen. Die 
Flüssigkeit war einige Monate alt, als sie dieses Verhalten zeigte. 
Ich ziehe daraus den Schluss, dass Fickers Diagnosticum ein 
nicht zu hohes Alter erreicht haben darf, um noch zu derAgglu- 
tinatiousprobe verwertet werden zu können. Jedenfalls wird man 
genötigt sein, stets eine Kontrolle zu üben. 

VI. Die saniätspolizeilichen Massnahmen zur Be¬ 
kämpfung des Paratyphus decken sich nach den obigen 
Ausführungen begreiflicherweise mit den beim Typhus abdominalis 
Torgeschriebenen, von denen die wichtigsten sind: Isolierung des 
Kranken, Ausfindigmachen der Verdächtigen und Erforschung des 
Infektionsweges, Desinfektion sämtlicher Abgänge sowie der 
Wäsche, Ueberwackung des Nahrungsmittel Verkehrs, Verbot oder 
Beschränkung der Benutzung von Wasserversorgungsanlagen. 

Von Interesse war eine Frage, die auf der III. Versammlung 
der Rhein.-Westf. Gesellschaft für innere Medizin im Anschlüsse 
an den Vortrag Leos über Paratyphus Geheimrat Schultze au 
die Versammlung richtete, ob Paratyphusfälle anzeigepflichtig 
seien. Wenn ein Kliniker von der Bedeutung Schultz es diese 
Frage aufwirft, so beweist dies, dass Unklarheiten bestehen 
müssen. Ich glaube nun, dass die Frage sich selbst dadurch be¬ 
antwortet, dass nach den heutigen Bestimmungen bereits auch 
alle typhusverdächtigen Erkrankungsfälle zur Anzeige zu bringen 
sind, dass es aber trotzdem, um alle Unklarheiten zu beseitigen, 
sich empfehlen wird, den Paratyphus auch dem Namen nach in 
die Ausführungsbestimmungen zum Reichsseuchengesetz noch vor 
Toresschluss als anzeigepflichtige Krankheit aufzunehmen. 

Ich glaube, damit alles Wesentliche hinsichtlich des Para¬ 
typhus berührt zu haben. Vielleicht werden diese Zeilen Anregung 
dazu geben, der Erkrankung noch mehr als bisher Beachtung zu 
schenken, da sicherlich gerade die Medizinalbeamten dazu berufen 
sind, interessantes Material zur Pathologie, vornehmlich aber zur 
Epidemiologie der Erkrankung zu sammeln. 

Literatur (deutsche): 

1. Schottmüller: Deutsche med. Wochenschrift; 1900, Zeitschr. f. 
Hygiene und Infektionskrankh.; Bd. 36. 

2. Brion und Kayser: Münch, med. Wochenschrift; 1902, Nr. 15. 

3. Brion: Paratyphus. Deutsche Klinik; 1903, Bd. 2. 

4. Hayo Bruns und Kayser: Zeitschrift f. Hygiene und Infektions- 
krankh.; Bd. 43. 

5. Conradi, v. Drigalski und Jürgens: Zeitschr. f. Hygiene und 
Infektionskrankh.; Bd. 42. 

6. Hünermann: Zeitschr. f. Hygiene und Infektionskrankh.; Bd. 40. 

7. de Feyfcr und Kayser: Münch, med. Wochenschrift; 1902,41/42. 

8. Kurth: Deutsche med. Wochenschrift; 1901, 40/41. 



38 


Dr. FriedeL 


9. Sion and Negel: Zentralblatt 1 Bakteriologie; Bd. 32. 

10. Zupnik and Posner: Prager med. Wochenschrift; 1908, 18. 

11. Körte: Zeitschrift f. Hygiene and Infektionskrankheiten; Bd. 44. 

12. Leo: Mttnch. med. Wochenschrift; 1904, 32; Sitzungsberichte. 

13. Er ne: Münch, med. Wochenschrift; 1904, 34. 

14. Kempff: Inaug.-Dissert. Straßbarg 1903. 

15. Laksch: ZentralbL f. Bakteriologie; Bd 84. 

16. —18. Kayser: Zentralbl. f. Bakteriologie; Bd. 31; Deutsche med. 
Wochenschrift; 1903, Nr. 18 and Zentralblatt f. Bakt. Bd. 35, mit aasländischer 
Literatarzasammenstellang. 

19. Stern: Deutsche med. Wochenschrift; 1903, Vereinsbeilage S. 125. 

20. Jürgens: Zeitschrift f. Hygiene und Infektionskrankh.; Bd. 48. 

21. Hoff mann: Hygienische Bandschaa; 1902, Nr. 17. 

22. Erdmann und Winternitz: Münch, med. Wochenschrift; 1903, 
Nr. 23. 

23. Sternberg: Zeitschrift f. Hygiene and Infektionskrankh; Bd. 84. 

24. -25. Traatmann: Zeitschrift f. Hygiene und Infektionskrankh.; 
Bd. 45, Heft 1 und Bd. 46, Heft 1, 1904. 

26. Endo; Ueber ein Verfahren zam Nachweis_von Typhasbazillen. 
Zentralbl. f. Bakt.; Band 35. 1. 

27. As coli: Zeitschrift f. klin. Medizin; Bd. 48, 5—6. 

28. K. Koch: Die Bekämpfung des Typhös, VeröffentL aas d. Gebiete 
des Militär-Sanitätswesens; 1903, Heft 21. 

29. Tjaden: Hygienische Bandschaa; 1904, Nr. 13. 

30. Fischer: Festschrift f. Bobert Koch; Jena (Fischer) 1908. 

31. Sobernheim: Offizieller Bericht über die III. Hauptversammlung 
des Deutschen Medizinalbeamten- Vereins za Danzig; Berlin (Kornfeld) 1904. 

32. Bitter: Eine Hansendemie von Paratyphas (Typ. B); Zeitschrift 
f. Medizinalbeamte, 1904, Nr. 20. 


Typhushäuser. 

Von Dr. Friedei, Kreisassistenzarzt in Coblenz. 

In dem Aufsätze „Etwas Aber ,Typhushäuser* and Typhös- 
höfe‘“ Seite 840, Jahrg. 1904 dieser Zeitschrift versucht Reg.* 
nnd Geh. Med.-Rat Dr. Richter die Annahme, dass Typhös* 
bazillen sich viel länger, als man bisher allgemein glaobte, im 
Erdboden, in Dielenritzen, im Manerwerk der Häoser lebend er* 
halten können, durch seine Beobachtungen an 22 Typhushäusern 
resp. Typhushöfen zu stützen. Er glaobt Typhuserkrankungen, 
für die ihm eine andere Aetiologie fehlt, auf frühere Erkrankungen 
in demselben Hause oder einem Nachbarhause zurückführen zu 
können, auch wenn sie bis zu 20 Jahren zurücklagen und wenn 
in der Zwischenzeit keine weitere Erkrankung vorgekommen ist. 
Richter hält es für sehr wohl möglich und denkbar, dass die 
Keime bei der ersten Erkrankung in die Umgebung verstreut und 
sich hier die Jahre hindurch keimfähig erhalten haben. Allein 
die Möglichkeit einer solchen Annahme, oder vielmehr die Nicht- 
nachweisbarkeit ihrer Unmöglichkeit genügt nicht, sie uns auch 
nur im entferntesten als plausibel erscheinen zu lassen. Möglich 
ist nahezu alles, es kommt nur darauf an, unter den vielen Mög¬ 
lichkeiten die wahrscheinlichste herauszufinden, und das ist dem 
Verfasser, wie mir scheint, nicht gelungen. 

Bei der grossen Verbreitung des Typhus müssen auf diesen 
Punkt gerichtete Nachforschungen mit Sicherheit ergeben, dass 



Typhnshäuser. 


89 


es zahlreiche Häuser gibt, in denen im Verlauf von 20 Jahren 
Typhuserkrankungen sich einmal oder mehrere Male wiederholten, 
ohne dass sich damit eine Wahrscheinlichkeit für den Zusammen¬ 
hang der Erkrankung mit einer yorausgegangenen herausstellt, 
and ohne dass solche Häuser den Namen „Typhushäuser“ ver¬ 
dienen. Wollte man diese Methode in analoger Weise auf andere 
Erkrankungen übertragen, würde man wohl wenig Häuser finden, 
die man nicht mit dem gleichen Recht als „Scharlach-* oder 
„Pneumonie-Häuser* bezeichnen müsste. 

Zweifellos gibt es „Typhushäuser*, in denen fast alle neu 
anziehenden, das sind in der Regel Dienstboten, nach einiger Zeit 
erkranken, während die dauernden Bewohner durch frühere Er¬ 
krankungen immun oder von Hause aus resistent sind. Das Haus 
Nr. 7 Richters, dessen Aehnlichkeit er mit dem von Schlech¬ 
ten dahl beschriebenen Fall hervorhebt, gehört aber allein unter 
seinen Aufzeichnungen zu dieser Kategorie; Richter gibt hierzu 
an, dass der letzterkrankte Knecht ins Krankenhaus kam, und 
dass von da an die Knechte gesund blieben, was nach seiner Auf¬ 
fassung von der Verseuchung des Hauses ihm als unerklärlich 
doch auffallen müsste. 

Die Existenz solcher „Typhushäuser* beruht nach meiner 
Ueberzeugung meist, wenn nicht stets, auf der Anwesenheit eines 
Bazillenträgers, die jedenfalls zunächst mit Sicherheit ausge¬ 
schlossen werden muss, ehe andere Erklärungen in Frage kommen. 
Dass viele Personen nach überstandenem Typhus Bazillen in ihrem 
Urin entleeren, ist ja bekannt. Weniger bekannt dürfte es aber 
sein, dass auch ein geringer Prozentsatz der Rekonvaleszenten 
dauernd Typhusbazillen im Stuhl behält. So habe ich z. B. zur¬ 
zeit aus dem Reg.-Bez. Coblenz 9 Personen unter Beobachtung, 
die zum Teil von Herrn Dr. Lentz-Idar, zum Teil von mir fest¬ 
gestellt sind, bei denen die Erkrankung 4—16 Monate zurückliegt 
und in jeder Stuhlprobe Bazillen fast in Reinkultur nachgewiesen 
werden. Der letzte Umstand erleichtert die Feststellung ungemein; 
man erhält beim Ausstreichen auf Lakmusmilchzuckeragar Platten, 
wie man sie aus Stuhlproben eines Typhuskranken sehr selten 
anlegen kann. 

Wie lange Zeit noch diese Bazillenträger die Keime aus- 
scheiden werden, und ob sie überhaupt jemals frei von ihnen 
werden, entzieht sich vorläufig der Beurteilung. Eine Abnahme 
der Keimzahl bei zwei Personen, deren Erkrankung am weitesten, 
d. h. 16 Monate zurückliegt, ist durchaus nicht zu bemerken. 
Ein Mittel von ähnlicher Wirkung wie das Urotropin, das hier 
bei jedem Typhusrekonvaleszenten angewendet wird, besitzen wir 
bis jetzt nicht 

Ohne Zweifel bleiben diese Bazillen vollvirulent, dafür will 
ich hier nur zwei Beispiele aus den letzten Tagen anführen: 

1. Knecht J. G. beim Bauern M. in D., erkrankte Anfang Dezember 1904; 
im Juli d. J. lag die Frau des Bauern M. am Typhus; ihr im Dezember 
untersuchter Stuhl enthielt Bazillen in Beinkultur. 

2. Frl. B. in C. erkrankte Anfang Dezember 1904; Ende August d. J. war ihre 



40 


Dr. Richter: Erwiderung. 


Mutter am Typhus erkrankt; ihr im Dezember untersuchter Stuhl enthielt 
Bazillen nahezu in Reinkultur. 

Es empfiehlt sich demnach, in „Typhushäusern“ systematisch 
Stuhl- und Urinuntersuchungen anzustellen; die Mühe wird sicher¬ 
lich oft belohnt werden. 


Erwiderung. 

Von Dr. Richter, Reg.- u. Med.-Rat in Dessau. 

Herr Kreisassistenzarzt Dr. Friedei in Coblenz bestreitet 
in dem vorstehenden Artikel die von mir vertretene Ansicht, dass 
durch jahrelang im Boden ruhende Typhuskeime in gewissen 
Häusern Typhuställe entständen, deren Aetiologie man schwerlich 
anders erklären könne, und nimmt an, dass die Existenz solcher 
Typhushäuser seiner Ueberzeugung nach meistenteils, wenn nicht 
stets auf der Anwesenheit eines Bazillenträgers beruht, die jeden¬ 
falls zunächst mit Sicherheit ausgeschlossen werden müsse, ehe 
andere Erklärungen in Frage kommen dürften. 

Ich habe in meinem Artikel (Nr. 24, Jahrg. 1904, S. 840), 
auch das Vorkommen genesener Bazillenträger als Depositoren von 
Typhuskeimen erwähnt, aber auch die mitgeteilten Fälle des Herrn 
Kollegen zwingen keineswegs zu der Annahme, dass keine Typhus¬ 
bazillen vom ersten Falle im Boden zurückgeblieben sein können 
und der zweite Patient von dem bereits genesenen Bazillenträger 
des ersten Falles auf irgend eine Weise, wie, ist nicht angegeben, 
angesteckt sein müsse. 

Es erkrankt 1904 Anfang Dezember der Knecht J. GL beim 
Bauern M. in D., nachdem im Juli die Frau des Bauern einen 
Typhus überstanden hatte und ihr im Dezember 1904 untersuchter 
Stuhl Typhusbazillen in Reinkultur enthielt. 

In den beiden anderen Fällen erkrankte ein Fräulein R. 
Anfang Dezember, während ihre Mutter im August den Typhus 
überstanden hatte und deren Stuhl im Dezember noch Bazillen 
in Reinkultur enthielt. 

Ich halte nach den Erfahrungen des täglichen Lebens die 
genesenen Bazillenträger nur in sehr beschränkter Weise für 
geeignet, durch ihre Ausleerungen, Kot und Urin, Typhuskeime 
auf ihre Umgebung zu übertragen, schon deswegen, weil ein 
Genesener seinen Stuhl und Urin nicht, wie der Kranke, im Bett 
oder in die Bettschüssel, sondern im Klosett entleert und sich 
dabei der Reinlichkeit befleissigt, welche der oft bewusstlose 
Patient nicht anwenden kann. In grösseren Städten lässt der 
Bazillenträger seinen Stuhl mit den Bazillen in das Klosett, von 
wo diese in die Dunggrube oder in den Kanal gelangen und schon 
nach einem bis zwei Tagen von Fäulnisbakterien überwuchert 
werden; auf dem Lande, falls der Stuhl in den Abtritt gelangt, 
werden die Bazillen ebenfalls sehr bald von den Antagonisten 
überwuchert. Im Freien abgelegte Stühle verlieren sehr bald 
ihre ansteckende Wirksamkeit, indem die in ihnen haftenden 
Bazillen durch die Sonnenstrahlen unbedingt vernichtet werden. 



Dr. Oehmke: Ein Fall von Epilepsie. 


41 


Es gehört mithin schon ein gewisses Zusammentreffen mehr¬ 
facher glücklicher Umstände dazn, sich vom Stuhle eines Bazillen¬ 
trägers ohne Weiteres anzustecken. 

Was den Urin anbetrifft, so sind die einzelnen Entleerungen 
der Blase in Klosetts und Pissoirs nicht geeignet, eine Gefahr zu 
erzeugen, da sie fortgespült werden; der Urin, der einzeln im 
Freien abgesetzt wird, verliert durch Fäulnis und eventuelle Ein¬ 
wirkung der Sonnenstrahlen seine Infektiosität. Der Bazillen¬ 
träger bietet daher eigentlich nur eine Gefahr für die Diener¬ 
schaft, die sein Nachtgeschirr von Urin reinigt. 

Weit näher liegt es doch, die vom Krankenbett aus beim 
Umbetten verstreuten und an Orten, an welche das Sonnenlicht 
nicht gelangen kann, versteckten und später aufgewirbelten Krank¬ 
heitskeime, so wie die undesinfiziert vergrabenen Typhusstühle 
ab Ursache später auftretender Fälle anzusprechen. 

Herr Kollege Friedei sagt zum Schluss über von Bazillen¬ 
trägern abgeschiedenen Keime: „Ohne Zweifel bleiben diese Ba¬ 
zillen vollvirulent, dafür will ich nur zwei Beispiele aus den 
letzten Tagen anführen“. Nun folgen seine zitierten Fälle. Mir 
geht aus diesen nur hervor, dass zwei Leute im Dezember 
1904 und zwei im Juli und August desselben Jahres ebenfalls 
Typhus gehabt haben, sowie dass erfahrungsgemäss anzunehmen 
ist, dass diese vier Typhusfälle einen inneren Zusammenhang 
haben. 

Wir wissen allerdings, dass es Bazillenträger gibt, die nach 
überstandenem Typhus noch monate- und jahrelang mit Stuhl und 
Urin TyphusbaziUen entleeren. Wir wissen ferner, dass diese 
Typhusbazillen bei der Kultur in Wachstum und sonstigen Eigen¬ 
schaften sich mit den TyphusbaziUen identisch verhalten; ob diese 
BazUlen jedoch, die im Körper eines typhusimmunen Menschen er¬ 
zeugt sind und von ihm ausgeschieden werden, nun auch ohne 
Zweifel ebenso infektiös sind, wie die auf der Höhe der Krank¬ 
heit abgesonderten Bazillen, das steht meines Wissens durchaus 
noch nicht fest; wir können es zwar vermuten, aber die Tatsache 
onbezweifelt hinsteUen zu wollen, erscheint mir sehr gewagt. 


Ein Fall von Epilepsie. 

Von Dr. Oehmke, Kreisphysikns in Ballenstedt. 

Vor kurzem wurde mir ein FaU von Epilepsie zur Begut¬ 
achtung fibergeben, der meiner Ansicht nach zur Veröffentlichung 
geeignet erscheint. 

Es war zur Kenntnis der Polizei gelangt, dass ein 16 jähriger 
Handwerkerlehrling mit einem zwölfjährigen Schulmädchen N. 
in geschlechtlichen Verkehr getreten war. 

Daraufhin vernahm ein Fussjäger die N. und erfuhr, dass 
der benachbart wohnende Lehrling sie zum Spielen aufgefordert 
hätte, ab die Eltern beider Kinder nicht zu Hause waren. Die 
N. will in das Nachbargrundstftck geklettert, in die Stube ge- 



42 


Dr. Oehmke. 


gangen and dort geschlechtlich gebraucht worden sein. Der An- 
geschuldigte bestritt bei seiner Vernehmung vor Gericht die ihm 
zur Last gelegte Tat, behauptete, dass an dem fraglichen Abend 
die Eltern beider Kinder zu Hause gewesen wären und gab an, 
dass die N. öfter Sachen erzähle, die nicht wahr wären. 

Die gerichtliche Vernehmung der N. ergab: 

„Er ging mit mir in die Werkstelle; hier sagte er zu mir, ich sollte 
mal das unten zeigen. Ich sagte, nein, das ist so schlecht. Da faßte er selber 
hin und packte so eine Hand voll. Dann sind wir in die Stube gegangen, er 
setzte sich auf einen Stuhl und nahm mich auf den Schoß. Er knöpfte seine 
Hose auf und ein Bein dahin und ein Bein dahin — die Zeugin sagte hierbei: 
ich lüge Ihnen nichts vor, ich sage die Wahrheit —, dann hatte er ein Ding 
ganz anders wie meins und steckte es bei mir hinein und machte nur immer 
so — die Zeugin machte hierbei Bewegungen, als hätte er sie immer an sich 
herangedrttckt —, es tat immer weh und lutzelte. Ich sagte zu ihm, das tut 
ja so weh. Er erwiderte, ach das tut ja nicht weh. Jetzt ging die Haustttr 
auf. Er stand auf, schmiß mich an die Erde. Ich habe solche Dummheiten 
mit keinem bis jetzt gemacht und der Junge hat alles allein von Anfang an« 
gefangen und weiter ist nichts nachher. Ich habe dies meinen Eltern erzählt 
und auch den Kindern in der Stube und weiter gar keinen. Auch dem Arbeiter 
B. habe ich es erzählt bei X. Er sagte zu mir, ich sollte noch 6 Pfg. kriegen; 
ich bin dann auch so dumm gewesen, und habe es ihm erzählt. B. sagte 
dann nachher, Du kannst Dir doch mal die Jacke aufknöpfen, ich will mal 
deine Tittchen sehen. Ich erwiderte ihm darauf, wer will mich nachher wieder 
zumachen. Er sagte, na, dann macht Dir Marie X. zu. Die Frau X. dreht 
es aber wieder anders rum und sagt, ich solle gesagt haben, Marie soll mich 
wieder zuknöpfen. Ich habe mir dann die Jacke nicht aufgeknöpft, Marie X. 
war hierbei zugegen. B., der auf dem Sofa saß, packte darauf unter meine 
Böcke eine ganze Hand voll, als wenn er einen Proppen aufkriegen wollte, und 
hat mich richtig dran gefaßt. Marie X. hat dabei immer gelesen und gelacht 

und hat zu B. gesagt: Pfui, wie kannst Du denn da hinfassen.weiter 

wäre nichts, nun ist das ganze fertig.“ 

Auf Ersuchen der Staatsanwaltschaft habe ich die N. auf 
Defloration oder Vornahme unzüchtiger Handlungen untersucht. 
Auf Grund dieser Untersuchung gab ich mein Urteil dahin ab: 

„Spuren von Defloration oder Vornahme unzüchtiger Handlungen sind 
nicht zu finden. Bei dem übermäßig stark entwickelten Mädchen ist nach An¬ 
gabe der Mutter schon vor mehreren Monaten die Menstruation eingetreten. 
Das Mädchen soll sehr nervös sein, wie die Mutter behauptet. Auffallend ist 
das ganze Benehmen des Kindes, der linke Arm zeigt fortwährend veitstanz¬ 
ähnliche Bewegungen. Eine Prüfung des Geisteszustandes erscheint mir er¬ 
forderlich.“ 

Auf die Aussage der N. hin wurde auch das Strafverfahren 
gegen B. eingeleitet. Die Vernehmung der Zeugin Marie X. er¬ 
gab, dass der beschuldigte Arbeiter B. bei seinem Zusammensein 
im Laden der X. keine unsittliche Handlung begangen, dass im 
Gegenteil die N. ohne Aufforderung die Röcke selbst hochge¬ 
hoben hatte. 

Der Lehrer der N. gab auf Befragen vor Gericht an, dass 
die N. geistig nicht ganz normal sei und an epileptischen An¬ 
fällen leiden solle. 

„Dem Unterricht kann sie nicht folgen, bisweilen mußte sie sogar auf- 
hOren zu schreiben, vermutlich weil ihre Nerven zu aufgeregt waren. Sie ist 
überhaupt im allgemeinen sehr leicht, erregbar, bei der geringsten Gelegenheit 

gerät sie in Wut.Merkwürdig ist, daß sie im Bechnen gut ist, während 

sie in den übrigen Fächern nichts leistet.“ 




Ein Fall von Epilepsie. 


48 


Daraufhin wurde mir der Auftrag erteilt, die N. auf den 
Geisteszustand hin zu beobachten und mich hierüber gutachtlich 
zu ftussern. Ich habe das Mädchen einmal in ihrer Wohnung 
und zweimal in Gegenwart ihrer Mutter in meiner Behausung unter¬ 
sucht und mich über den festgestellten Befund wie folgt geäussert: 


». . . Auf Befragen erklärte die Matter N., daß ihre einzige Tochter im 
Alter ron 2*/* Jahren an Krämpfen erkrankt sei and, nachdem sie eine Nacht 
lang in Krämpfen gelegen, eine Lähmang der linken Seite gezeigt habe. Das 
linke Bein soll 2—3 Monate gelähmt geblieben and dann plötzlich wieder 
lenser geworden sein, jedoch maß noch für längere Zeit Schwäche zurück¬ 
geblieben sein, da das Kind viel hingefallen sein soll. Der linke Arm warde 
angeblich immer geschont. Trotzdem ärztlicherseits der Bat erteilt worden 
war, das Kind nicht frühzeitig zur Schale za schicken, warde die N. dennoch 
mit 6 Jahren in die Schale gegeben, wo sie langsam Fortschritte machte und 
van der Matter yiel getadelt and gestraft warde. Seit der Erkrankung an 
Krämpfen haben sich immer Anfälle von geringer Intensität, angeblich keine 
Krämpfe, eingestellt, die von der Matter so beschrieben werden, daß die N. 
mit den Händen zusammenschlägt, dieselben reibt and, nachdem sie gerufen: 
es kommt, es kommt, etwa eine Minate lang wirres Zeug redet, die Eltern 
x. B. mit Onkel and Tante anraft, dann aber wieder zar Besinnung gelangt 
und in Schlaf verfällt. Nervenkrankheiten sollen in der Familie nicht vorge- 
kommen sein, irgendwelche Krankheiten, außer der angegebenen, hat die N. 
nicht durchgemacht; nur ein Unfall (Hafschlag) wird beiläufig erwähnt. Die 
Menstruation besteht seit 1 */* Jahren. Die Matter betont, daß ihre Tochter 
stets wahrheitsliebend gewesen sei. Der Leomond der Eltern der N. and des 
Beschuldigten ist vorzüglich. 

Die N. beschreibt ihre Anfälle: es reißt nach links im Kopfe, ich be¬ 
komme ein Gefühl, als ob eine Maos vom Magen bis zum Halse heraufläuft, 
dann stellt sich ,Flappern 1 vor den Angen ein und dann sehe ich grünes Licht 
and ich maß immer so hindurchkucken (dabei wird der Kopf ganz nach links 
gedreht), danach muß ich schlafen eine halbe Stande; in der Schale stütze ich 
dabei den Kopf auf den Schaltisch. Ich weiß nachher nicht, was während der 
Zeit vorgefallen ist. 

Die körperliche Untersuchung ergibt nichts Abnormes bis auf die Arm- 
zocknngen. Nach Angabe der Matter soll die N. in der Schale leidlich fort- 
kommen, das Bechnen ihr keine Schwierigkeiten machen, so daß sie sogar im 
Laden selbstständig beschäftigt werden könne. 

Während der Unterhaltung am 11. August sah die N. starr seitwärts 
and ging zunächst nicht auf die Fragen ein. So besann sie sich nicht einmal, 
daß ich sie schon am 9. Juli in meiner Wohnung untersacht hatte. Ueber das 
Datum (11. August) ist sie orientiert. Die vorgelegten Bechenaofgaben 
beantwortete sie wie folgt: 12 X 10 = 82, 10 X 10 = 20, 6 X 7 = 42, 
66 Pf. X 2 = 1,80 Mark; die Hälfte von 1,50 Mark wußte sie nicht. 

Am 22. August kann sie dagegen das Datum erst nach langem Besinnen 
uneben, eine Bahnfahrkarte (von ihrem Heimatsorte nach Ballenstedt) nicht 
richtig erklären, einfache Geldsummen nicht zusammenzählen, trotzdem sie 
jedes einzelne Geldstück kennt. Der linke Arm bewegt sich immerfort, beim 
Aasstrecken tritt Zittern der häafig in Beagestellang gehenden Hand ein. 
Benagen von kleinen Gedichten geschieht ganz mechanisch, Erklären von ein¬ 
fachsten Begriffen ist nur schwer möglich. Ein Schulheft zeigt, in welcher 
Verfassung sich die N. nach einem Anfall befindet; vor dem Niederschreiben 
der wirren und unleserlichen Zeilen hat wahrscheinlich ein Anfall stattgefunden. 

Auf Befragen erklärt die N. mit Bestimmtheit, kurz vor dem Besuch 
in der Werkstelle keinen Anfall gehabt za haben.* 


Nach der Untersuchung sind demnach an krankhaften Ver- 
iaderangen vorhanden: anra,Z wangsbewegnngen, Bewusst¬ 
seinstrübung nnd Schlafsucht; es handelt sich also 
am Epilepsie. 

Die Anssage der N. vor Gericht macht einen sehr merk- 



44 


Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


würdigen Eindruck. Mir gegenüber wurde der Vorgang ähnlich 
geschildert, jedoch ohne die Zusätze: „ich lüge Ihnen nichts vor* 
und „weiter ist nichts nachher usw.“ 

Nach Ho che ist das Verhalten der Epileptiker sehr ver¬ 
schieden, je nachdem die Beziehungen zwischen Vorstellen und 
Selbstbewusstsein mehr oder minder gestört sind, eine mehr oder 
weniger erhebliche Verwirrtheit besteht, Wahnvorstellungen, 
Sinnestäuschungen, Affekte, triebartige Impulse das Handeln be¬ 
einflussen, Gedankenrichtungen und Motive des normalen Zustandes 
in den Dämmerzustand hineinspielen. . . . 

Ein körperlich übermässig entwickeltes Mädchen von 12 
Jahren, das den Eindruck einer 15jährigen, kräftigen Person 
macht, leidet seit frühester Jugend an abortiver Epilepsie; ihr 
Benehmen ist so, dass man nach den Zeugenaussagen sexuelle 
Erregung annehmen muss, die möglicherweise nach Eintritt der 
Menstruation eine Steigerung erfahren hat. Zwischen der Familie 
N. und der des Beschuldigten herrschte nachbarlicher Verkehr; 
da die Kinder häufig zusammen spielten, so ist die Vermutung 
naheliegend, dass, im Anschluss an ein Spiel bei der sexuell er¬ 
regten N. in einem Zustande von getrübtem Bewusstsein eine 
Sinnestäuschung sich einstellte und von der krankhaften Person 
in den wachen Zustand als etwas Erlebtes hiuübergenommen ist. 
Dabei braucht durchaus nicht Mangel au Wahrheitsliebe vorzu¬ 
liegen, viel eher ist anzunehmen, dass die N. ihre Traumgebilde 
ganz wahrheitsgetreu wiedergibt. In Einklang mit einer solchen 
Annahme steht auch der am 9. Juli im Gutachten niedergelegte 
Befund, dass Spuren von Defloration oder Vornahme unzüchtiger 
Handlungen nicht zu finden sind. 

Mein Gutachten lautete demgemäss dahin: „Die N. leidet an 
Epilepsie; es ist nicht ausgeschlossen, dass die gegen den Lehr¬ 
ling gerichtete Anschuldigung ein Phautasiegebilde der N. ist.“ — 

Daraufhin wurde das Strafverfahren gegen beide Beschuldigte 
eingestellt. 


Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 

A. Gerichtliche Medizin und Psychiatrie. 

Ueber Atropin Vergiftung« Von Dr. Benno Holz in Berlin. Berliner 
klin. Wochenschr.; 1904, Nr. 46. 

Ein 7 jähriges Mädchen hatte Abends 9 Uhr aus Versehen einen Tee¬ 
löffel einer Lösung Atropin 0,1, Aq. dest. 10,0 eingenommen. Nachts 11 Uhr 
Unruhe, die sich lebhaft steigerte, Nachts 2 J /2 Uhr größte Unruhe, das Kind 
schrie laut, sprang im Bette hin und her, schlug und biß um sich, zerriß und 
zerbiß in seiner Wut das Oberbett, so daß die Federn umherflogen. Pupillen 
ad maximum erweitert, Haut hochrot, trocken und heiß, Leib stark meteoristisch 
aufgetrieben, lebhaft gesteigerte, fliegende Inspiration. Zwei Dosen Morphium 
& 0,005 gr subkutan in Zwischenräumen von 4 Stunden hatten vortreffliche 
Wirkung. Gegen den starken Meteorismus Ableitungen durch Magensonde, 
Anregung der Darmperistaltik durch Essigklystiere. Schon am nächsten Vor¬ 
mittag erfreute sich das Kind eines gesunden Schlafes; es trat völlige Heilung 
•iü. Dr. B äu be r-Düsseldorf. 



Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften. 45 

Untersuchungen zur Kohlonoxydvergiftung. Von Dr. Fr. S t r a ß m a n n 

und Dr. A. Schulz. Berliner klin. Wochenschr.; 190», Nr. 48. 

Die Frage, ob der Tod eines Menschen durch Einatmen von Kohlenoxyd 
erfolgt ist oder ob erst die Leiche des Verstorbenen in die Kohlenoxydat- 
mosphäre gelangte, wird häufig aufgeworfen, wenn bei verbrannt gefundenen 
Leichen der Verdacht sich erhebt, daß die Verstorbenen das Opfer eines Ver¬ 
brechens geworden sind, dessen Spuren der Täter in den Flammen zu ver¬ 
nichten versuchte. Bis vor kurzem galt noch der Befund von CO im Blut als 
unumstößlicher Beweis dafür, daß CO zu Lebzeiten durch die Lungen eingc- 
drnngen sei. Nach neueren Versuchen von Wachholz, Lemberger u. a. 
dringt jedoch CO nicht nur aus reiner CO atmosphäre, sondern auch aus 
einem Gemisch von CO mit Luft und aus reiner Kohlendunstatmosphärc 
durch die Hautdecken hindurch in die Leichen ein. Bei diesem Diffusions¬ 
vorgang ist das Gas in den peripherischen Abschnitten am reichlichsten 
und frischesten enthalten und nimmt nach den Innern der Leiche hier an 
Menge ab. Verfasser benutzten zu ihren Versuchen Leuchtgas, nach dessen 
Einwirkung CO im Blut nachgewiesen werden konnte, doch sind die Befunde 
am so undeutlicher und flüchtiger, je länger nach dem Tode das CO eindringt, 
Einen Beweis für Eindringen des CO nach dem Tode liefert der Farbcnkon- 
kontrast zwischen dem an der Oberfläche liegenden und dem darunter gelegenen 
an CO armen Muskclhämoglobin, besonders der Brustmuskulatur (außen hell¬ 
rot, innen braunrot). Eine ungleiche Verteilung des CO in dieser Art ist bei 
einer Vergiftung unmöglich. Ferner wird bei verbrannten Leichen mangels 
sonstiger Befunde die Quantität des CO im Gefäßblute entscheidend sein. Die 
spektroskopische Probe, die erst bei 25°/o einen Ausschlag gibt, versagte bei 
den Versuchen an Leichen; die chemischen Farbenreaktiont», die im allge¬ 
meinen noch 5°/oigcs CO erkennen lassen, fielen unsicher aus, nur die Palla- 
diumprobe fiel meistens positiv aus. Der COgehalt des Gefiißblutcs ist sonach 
nicht ein absolut sicheres Zeichen der vitalen Vergiftung, wohl aber ein Zeichen, 
das bei verständiger Erwägung der Verhältnisse in den meisten Fällen zu einem 
bestimmten Gutachten führen wird. Hat eine Leiche nicht allzulang in einer 
Bauchatmosphäre geweilt und läßt sich in ihrem innerhalb unversehrten Gefiiß- 
abschnitte befindlichen Blntc CO mit aller Deutlichkeit spektroskopisch 
nachweisen, so spricht dieser Befund gegen eine Diffusion und für eine Ver¬ 
giftung. Dr. Räuber -Düsseldorf. 


Ueber die Rolle der Peroxydase bei den mit dem Blute erhaltenen 

Farbenreaktionen. Von J. Moitessier. Comptcs rendus de la soc. de biol.; 
1904, LVH, S. 373. 

Bekannt ist die klassische Reaktion auch sehr verdünnter Blutösungen 
mit alkoholischer Guajakh&rzlösnng und sauerstoffhaltigem Wasser oder altem 
Terpentinöl. Aehnliche Reaktionen erhielten jüngst 0. und R. Adler, wenn 
sie das Guajakharz durch andere organische Substanzen ersetzen; mit Benzidin 
and Protokatechusäure ist die Reaktion sehr empfindlich and gestattet Blut in 
einer Verdünnung von 1 :100000 nachzuweisen. In einer Besprechung der 
Arbeit von 0. und R. Adler gab G. Bertrand seine Ansicht dahin kund, 
daß alle diese und verwandte Farbenreaktionen des Blutes auf Anwesenheit 
von Peroxydase 1 ) im Blute zurückzuführen seien. Der Autor weist dagegen 
nach, daß die Peroxydase in den roten Blutkörperchen bei den fraglichen Re¬ 
aktionen keine Rolle spielt oder nur nebensächlicher Art ist. So geben ge¬ 
kochte Blntlösungen noch die typische Guajakreaktion. Die Reaktion ist aus¬ 
schließlich auf das Haemoglobin oder vielmehr das Haematin zurückzuführen. 
Entzieht man den Blntlösungen durch Zusatz von Ca Fl» zu lackfarbencm 
Blute die Peroxydase, so geben sie dieselben Farbenreaktionen mit demselben 
Grade der Empfindlichkeit wie unveränderte Lösungen von Blut. 

Umgekehrt verhält sich die Sache mit dem Eiter. Auch er gibt mit 
Guajak und mit Benzidin Farbenreaktionen, wie sie das Blut gibt; aber die 
Peroxydase der Eiterkörperchen ist der Träger, das Agens der Reaktion. Läßt 


*) Unter Peroxydase (Linossier), indirekte Oxydasen (Bourquelot) 
versteht man solche Fermente, die nur unter dem Einflüsse von Hyperoxyden 

oxydierend wirken. 



46 


Kleinere Mitteilangen und Referate ans Zeitschriften. 


man nämlich vorher auf dem Eiter eine hohe Temperatur einwirken, so ist die 
Reaktion nahezu oder vollständig aufgehoben; tritt sie in schwachem Maßstabe 
dennoch ein, so ist die Beimengung roter Blutkörperchen die Ursache. — Der 
Nachweis von Haemoglobin bei gleichzeitigem Vorkommen von Eiter ist daher 
leicht; man hat Guajaktinktur oder Benzidin nur den gekochten Lösungen 
zuzusetzen. Dr. M a y e r - Simmern. 


Meth&moglobinisirende Wirkung der Tannine. Von CL Gautier 
und M. Cordier (Lyon). Comptes rendus soc. biol.; LVII, 1904, S. 432. 

Die Autoren untersuchten die Einwirkung von Tanninen auf Hämoglobin, 
welches sie aus Blut verschiedener Abkunft (Meerschweinchen, Kanarienvogel, 
Frosch) gewonnen hatten, mit dom Spektroskop. 

Versetzt man 10 ccm Hämoglobinlösung mit einer etwa gleichen Menge 
*/», */» oder 1 promilliger Tanninlösung, so erhält man das charakteristische 
Spektrum des sauren Methämoglobins. Nach Znsatz von Natronlauge 
oder Ammoniak verschwindet der Streifen im Rot; während dieser, falls es 
sich um Hämatin handelte, bleiben würde. 

Methämoglobin entsteht, wie bekannt, bei Anwesenheit stark oxydierender 
Körper, wie R Mn 0 4, Ozon, Chromsäure, ferner von Körpern die 0 energisch 
absorbieren, wie naszierender H., Pyrogallussäure. Bei Einwirkung von Tannin 
auf Hämoglobin braucht sich diese letztere Substanz nicht erst zu bilden, wenn 
Methämoglobin entstehen soll. Dr. May er-Simmern. 


Pathogerae des Arterienatheroms und Thyrotdektomie. Aus dem 

Laboratorium dü Prof. Landonzy. Von L. Lortat-Jacob und G. Sabn- 
reanu. Comptes rendus soc. biol.; LVII, 1904, S. 444. 

Wie Jahrgang 1904, S. 16 dieser Zeitschrift mitgcteilt ist, hat Josufe 
nachgewiesen, daß nach intravenösen Injektionen kleiner Dosen Adrenalin 
an der Innenwand der Aorta von Kaninchen sich Veränderungen ausbilden, 
die den typischen Charakter der atheromatösen und cndarteriitischen Affektionen 
aufweisen. In der Intima fanden sich Kalkplatten von harter Konsistenz und 
mit scharfen Rändern. In einem Falle entstand ein Aneurysma. 

Die Autoren bestätigen diese Versuche. Es gelang ihnen neben Ver¬ 
änderung der Aortenwand auch Hypertrophie und Dilatation des 1. Ventrikels 
zu erzielen. 

Hatten sie dagegen dem Thiere vorher das Corpus thyreoideum abge¬ 
tragen, so haben Adrenalininjektionen die geschilderte Wirkung auf die Aorta 
nicht, im Gegenteil, die Innenwand bleibt glatt, glänzend, wie in der Norm. 
Die Sekretion der Schilddrüse scheint daher bei der Entstehung der Arterien¬ 
wandveränderung von grosser Bedeutung zu sein. 

Interessant ist übrigens, daß in einem Fall trotz vorheriger Abtragung 
der Thyroidea nach Adrenalininjektion ein Aneurysma dissecans der 
Aorta, allerdings ohne Kalkablagerung der Innenwand, auftrat. Die Ränder 
des Spaltes der Intima waren scharf, regelmäßig; das Blut hatte sich einen 
Weg unter die äußeren Häute gebahnt. Diese waren durch Gerinnsel von 
einander getrennt. Dr. Mayer-Srmmern. 


Ein sicheres Zeichen des eingetretenen Todes: Die saure Reaktion 
bestimmter Eingeweide, besonders von Leber und Milz. Von B risse- 
moret und Am bar d. Aus den Laboratorien des Prof. Pouch et und des 
Dr. Le Noir. Comptes rendus soc. de biol.; 1904, LVII., Nr. 33. 

Da Leber und Milz beim Lebenden alkalische Reaktion haben, nach 
dem Tode aber in progressiver Stärke sauer reagieren, so hielten die Ver¬ 
fasser diese sauere Reaktion für ein wertvolles Zeichen des eingetretenen 
Todes, weil sie schnell nach dem Tode auftritt, vollständig konstant ist und 
sich leicht nachweisen läßt. Man bedarf zur Ausführung nur des blauen Lak- 
muspapiers und einer mit einer 7—8 cm langen Nadel versehenen Operations¬ 
spritze. Man stößt die Nadel in die Leber oder die Milz ein und saugt ein 
Stückchen des Organs dabei an. Dabei tritt immer etwas Blut mit in die 
Nadel ein. Waren schon mehrere Stunden nach dem Tode verflossen, so gibt 



Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


47 


man Gewebsstückchen und Slnt auf das Lakmnspapier. Dieses zeigt sofort 
die charakteristische Rosafärbung auf seiner unteren Fläche. 

War der Tod vor noch nicht 2 Standen eingetreten, so würde die alka¬ 
lische Reaktion des Blutes dio sauere des Organstückchens maskieren. Man 
läßt daher das Blut sich in das Lakmnspapier imbibieren, gibt das blntleer 
gewordene Gewebsstückchen auf anderes Reagenspapier und wird alsdann hier 
kleine Fleckchen von lebhafter Rotfärbung sehen. 

Nach dieser Methode prüften die Autoren zunächst an Tieren die saure 
Reaktion der großen Uuterleibsorgane. Dieselbe trat bei 12 Meerschweinchen, 
die durch Strangulation getütet waren, 15 Minuten nach dem Aufhören der 
Atmung auf, bei 2 Kaninchen 20 Minuten, bei drei Hunden 80—86 Minuten 
nach dem Tode. Auch wenn dem Tode ein 9—18 tägiges Fasten voraufgegangen 
war, war die Azidität noch deutlich. 

Beim Menschen sind intra vitam Leber and Milz von alkalischer Reak¬ 
tion. Unter den oben besprochenen Vorsichtsmaßregeln läßt sich auch beim 
Menschen eine halbe Stunde nach Eintritt des Todes die saure Reaktion eben 
nachweisen; sie ist nach zwei Stunden sehr deutlich, nach 24 Stunden von 
äußerst intensiver Stärke. In 9 Fällen (Magenkrebs, Hirnblutung, Lungen¬ 
tuberkulose, Uraemie, puerperale Septicämie) konnten sich die Verfasser von 
dem Gesagten überzeugen. An der Leber eines Mannes, der an Strychninver¬ 
giftung gestorben war, bestand noch 6 Monate p. m. beträchtliche saure Re¬ 
aktion. _ Dr. Mayer-Simmern. 


B. Bakteriologie, Infektionskrankheiten und öffentliches 

Sanitätswesen. 

Embolia der Arterla mesenterica snperlor im Puerperium. Von 

Frauenarzt Dr. Cramer in Bonn. Münch, med. Wochenschrift; 1904, Nr. 46. 

Verf. berichtet über eine seltene Ursache plötzlichen Todes im Wochen¬ 
bett bei einer 22jährigen Ipcra, welche am zwölften Tage nach geringen 
Prodomalerscheinungen (Magendarmsymptome, Brechgefühl, leichte Tempera- 
tursteigerung, dünne Stühle, Verhalten von Stuhl und Flatus zuletzt) plötzlich 
kollebierte. Die sofort vorgenommene Operation ergab ein ganz überraschendes 
Bild: graugrüne und blaurote Verfärbung der DünniarmscUingen, Verklebung 
derselben durch dick eitrig fibrinöse Beläge, Umspülung durch fäkulent riechende, 
blutigtrübe Flüssigkeit. Die Darmwand riß ein „wie Zander“. Wahrend 
der Operation exitus letalis. Die Darmgangrän hatte etwa 2 /a des Dünndarmes 
betroffen und war offenbar durch eine plötzlich einsetzende Ernährungsstörung 
der Darm wand verursacht, welche sich nur durch eine Verstopfung im Gebiete 
der Mesenterialgefäße erklären läßt. Wie eine schematische Skizze zeigt, ist 
sehr wahrscheinlich durch einen Embolus die Passage für die unterhalb der 
Art. colica dextra abgehenden Arterien, welche den unteren Teil des Dünn¬ 
darms versehen, plötzlich verlegt und dadarch die Darmgangrän verursacht 
worden. Der Verf. verweist des weiteren auf das klinische Bild, wie es von 
Kußmaul, Gerhard u. a. schon beschrieben wurde und eine größere zu- 
sammenfassende Arbeit von D e c k a r t (Grenzgebiete der Med. n. Chir. Bd. 6). 
Wo die Ursache für den Embolus zu suchen war, ließ sich (da Herzsektion nicht 
gemacht wurde) nicht eruieren; nach Verf. möglicherweise Endocarditis mit 
warzenartigen Auflagerungen auf den Klappen oder ein Venenthrombus, welcher 
durch ein offenes Foramen ovale in das arterielle Gefäßsystem verschleppt 
wurde. Bei der Seltenheit der Spontanheilung und den geringen therapeutischen 
Mitteln, die zur Verfügung stehen, hält der Verfasser die Operation für 
berechtigt, zumal der in den meisten Fällen vorhandene Ileus dazu drängt. 

Prof. Dr. Walther- Gießen. 


Lassen sieh Infektionen mit tödlichem Ausgange in Entbindungs¬ 
anstalten) die dem Lehrzwecke dienen, verhüten! Von Geh. Medizinalrat 
Prof. Dr. Ahlfeld. Zentralblatt für Gynäkologie; 1904, Nr. 33. 

Die Ahlfeld sehe Lehre von der Möglichkeit der Selbstinfektion ist 
neuerdings von zwei Forschern bestätigt worden. Bumm fand, daß wahr¬ 
scheinlich in jeder Vagina Streptokokken anzutreffen sind; Zweifel vertrat 
jüngst die Lehre von der Spontanimigration der Scheidcnkeimo in die am 



48 


Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


Cervix liegenden Blutgerinnsel, und hält eine Entstehung von Wochenbett- 
fieber anf diese Weise für möglich. Ahlfeld verwirft entschieden die ans 
der Zweifelschen Lehre hergeleiteten and von Z. angewandten Maßnahmne 
zur Verhütung des Wochenbettfiebers durch Wegtupfen der in der Scheide 
liegenden Gerinnsel. 

Von mancher Seite wurde aus der Ahlfeld sehen Lehre von der Selbst- 
infektion als notwendige Folge hergeleitet, daß dadurch die Handhabung der 
Dcsinfektionsmaßregeln die erforderliche Sorgfalt einbüßen müsse. Als Gegen¬ 
beweis führt A. an, daß jetzt, beim Abschluß von 7000 Geburten in der Mar- 
burgor Anstalt, bei denen ca. 50000 innerliche Untersuchungen zum Teil von 
ungeübten Händen ausgeführt wurden, bei unkomplizierter, spontan erfolgender 
Geburt nicht ein einziger Fall von letal endender, septischer Erkrankung vor¬ 
gekommen ist. (Der einzige im Anschluß an eine normale Geburt vorge¬ 
kommene septische Todesfall war auf eine Infektion durch Selbsttouchieren 
zurückzuführen.) 

Die Resultate Ahlfelds erscheinen in besonders günstigem Lichte, 
wenn man berücksichtigt, daß in Marburg die Praktikanten unter allen Um¬ 
ständen ohne Karenzzeit Geburten übernehmen dürfen, selbst wenn sie das 
pathologische Institut besuchen. Auch die infizierten Fälle werden keineswegs 
von der Untersuchung ausgeschlossen. 

Seine vorzüglichen Resultate führt Ahlfeld hauptsächlich auf die von 
ihm angegebene Methode der Händedesinfektion zurück. 

_Dr. Dohrn-Cassel. 

Ueber Serumbehandlung beim Puerperalfieber. Nach einem am 
15. Juni 1904 in der Berliner med. Gesellschaft gehaltenen Vortrag. Von 
Dr. E. Bumm. Berliner klin. Wochenschrift; 1904, Nr. 44. 

Aus den Versuchen, die Verfasser im Laufe von 10 Jahren bei 67 Fällen 
von Puerperalfieber mit Antistreptokokkenserum von M.armorck, Merk, 
Tavel, Menzer, Aronson anstellte, hat sich erwiesen, daß cs bis heute 
kein Serum gibt, welches auf krankhafte Veränderungen der Gewebe, die bei 
der Ausbreitung der Streptokokken-Infektion über die ursprüngliche Eintritts¬ 
pforte hinaus entstanden sind, einen klinisch nachweisbaren Einfluß ausübt. 
Wo also bereits puerperale allgemeine Peritonitis, parametrane Pflegmone, 
Pyämie, Endocarditis, septische Pneumonie, Gelenkvereiterungen usw. ent¬ 
standen sind, ist die Anwendung des Antistreptokokkenserums unwirksam und 
nutzlos. Dagegen vermag in allen jenen Fällen, wo die Streptokokken noch 
nicht über die Eingangspforte am Endometrium hinansgclangt sind oder doch 
nur, ohne Läsionen und Ansicdelungsherde in den Organen zu machen, ver¬ 
einzelt im Blute kreisen, das Serum die Ucberwindung der Infektion wirksam 
zu unterstützen; seine Anwendung ist deshalb in diesen Fällen zu empfehlen. 
Die Aussichten sind um so besser, je frühzeitiger cs nach der Infektion ein¬ 
verleibt wird. Diese frühzeitigen subkutanen Infektionen könuen 60 ccm und 
mehr, event. 2—3 Tage hintereinander, betragen. Auch sofort nach schweren 
Entbindungen, Plazentarlösungen, Zersetzung des Fruchtwassers und Fieber 
intra partum dürfte es gerechtfertigt sein, kräftige Dosen prophylaktisch zu 
verabreichen. Diejenigen Sera sind zu bevorzugen, welche durch Streptokokken 
gewonnen sind, die direkt von septisch infizierten Menschen stammen. 

Bei dieser Heilung der Streptokokken - Endometritis findet eine plötzlich 
auftretende, der „Crise phagocytaire“ Bordets völlig entsprechende Aufnahme 
der Streptokokken durch die Leukozyten statt. Das dünne serös - eitrige 
Lochialsekret enthält zahlreiche Streptokokken, welche oft in vielgliedrigen 
Ketten frei zwischen den Zellen liegen; das Herannahen der Besserung wird 
angedeutet durch ein vermehrtes Auftreten von polynuklären Leukozyten; das 
vorher seröse Wundsekret gewinnt mehr eitrigen Charakter. Sobald es zur 
Lokalisation des Infektionsprozesses kommt, weist das Sekret in großer Anzahl 
mit Kokken verhüllte Leukozyten auf. 

Abgesehen von anderen dnreh das Serum günstig beeinflußten Fällen 
konnte Verfasser in 4 Fällen nachweisen, daß die Phagozytose, die trotz hohen 
Fiebers mehrere Tage lang nicht eingetreten war, 12 Stunden nach der Serum- 
iujektion sich energisch einstellte. In diesem raschen Auftreten kokkcnhaltiger 



Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


49 


Leukozyten nach der Injektion erblickt Verfasser einen positiven Beweis für 
die Wirksamkeit des Serams bei septischer Endometritis. 

Dr. Räuber-Köslin. 


Ueber die Gefahren der Snblimatanwendong in der Geburtshilfe. 

Von Dr. To ff in Braila, Rumänien. Münchener medizinische Wochenschrift; 
1904, Nr. 49. 

Trotzdem schon öfters auf die besondere Giftigkeit der Sublimataus¬ 
spülungen in geburtshilflichen Fällen hingewiesen wurde, wird das Mittel doch 
noch sehr viel und ohne die nötige Vorsicht sowohl von Aerzten, als auch von 
Hebammen angewendet. Demgegenüber muß immer wieder hervorgehoben 
werden, daß Sublimat selbst in sehr verdünnten Lösungen ein 
tückisches Gift ist und oft ernste Gesundheitsstörungen bewirken kann, 
die tun so ernster ausfallen, als dieselben meist verkannt und folg¬ 
lich auch nicht entsprechend behandelt werden. Nicht immer 
sind Salivation und Veränderungen des Zahnfleisches die ersten Quecksilber¬ 
vergiftungssymptome, sondern sehr häufig Erscheinungen von Darm- und 
Nierenreizung. Die Darmreizung ergibt sich meistens zu erkennen durch 
diarrhüische Stuhlenilcerungen, heftige Koliken etc. Bei der durch Quecksilber 
verursachten Nierenreizung ist fast immer Fieber vorhanden mit mehr oder 
weniger Eiweißabsonderung, Verminderung der Gesamtmenge des Harns, Er¬ 
höhung de3 spez. Gewichtes, zahlreichen weißen, spärlichen, roten Zellen, 
selten Zylindern. 

Verfasser berichtet über einen Fall, wo eine Frau 2 Wochen nach einem 
Abortus starb und der behandelnde Arzt verhaftet wurde, da man ihn be¬ 
schuldigte, durch Sondierung die Fehlgeburt und Infektion herbeigefübrt zu 
haben, während darch Autopsie und chemische Untersuchung erwiesen wurde, 
daß es sich um eine Quecksilber- bezw. Sublimatvergiftung gehandelt hatte. 
Auch hier hatten sich Veränderungen an der Mundschleimhaut erst spät, einen 
oder zwei Tage vor dem Tode entwickelt. Zum Schlüsse bemerkt Verfasser, 
daß schon Lösungen von 1 : 4000 ernste Erscheinungen hervorrufen können und 
gibt deshalb den Rat, Sublimat nur in sehr verdünnten Lösungen, etwa 1 : 6000 
bis 10000 anzuwenden und vorsichtshalber noch eine Spülung mit physiologi¬ 
scher Kochsalzlösung nachfolgen zu lassen. Bei bereits bestehenden Darm¬ 
erkrankungen soll Sublimat nicht an gewendet werden. 

Dr. Wai bol -Kempten. 


Veber die Angenentxflndung der Neugeborenen* Von Dr. Heß. 
Medizin. Klinik; 1904, Nr. 3. 

In einem, in der Fränkischen Gesellschaft für Gebnrtshilfe gehaltenen 
Vortrag bespricht Heß (der bekannte Leiter der Universitätsaugenklinik zu 
Würzburg) diese, für die Praxis so eminent wichtige Frage. Ausgehend von 
der Tatsache, daß noch ein erschreckend großer Prozentsatz von Erblindungen 
(20—25°/ 0 der Blindenanstalten) durch die Blennorrhoea neonatorum verur¬ 
sacht wird, stellt er zunächst fest, daß nicht für alle Fälle der Gonococcus, 
sondern auch andere Keime zu beschuldigen sind. Die erste Frage, ob 
dran durch die Credeisierung geschadet wird, beantwortet er dahin, daß nach 
der Ansicht der neuesten Antoren dies nicht der Fall ist, vorausgesetzt, daß 
die Einträufelung der 2proz. Argentum nitricum - Lösung vorsichtig und vor¬ 
schriftsmäßig geschieht. Von 19 Frauenkliniken wird in 17 stets credäisiert. 
einige verwenden auch die lproz. Argentum nitricum-Lösung, die Heß 
als Prophylaktikum gelten läßt. Nach seiner Ansicht bat die Freigabe 
der Einträufelung in der Hebammenpraxis, zumal man noch schwierigere 
technische Fertigkeiten von der Hebamme verlangt, keine Bedenken. Er ist 
für eine obligatorische Einführung der Einträufelung, verwirft dagegen die 
fakultative Credeisierung, da Hebammen nicht entscheiden können, welcher Fall 
verdächtig ist, und auch Infektion beobachtet wurde, ohne daß verdächtiger 
Ausfluß vorhanden gewesen war. Die Credeisierung bildet nur ein Schutz¬ 
mittel gegen das Auftreten der Blennorrhoe, aber kein absolut sicheres Mittel 
zur Verhütung. Man muß die Hebammen aufmerksam machen, die Augen die 
folgenden Tage noch zu beobachten, um bei verdächtigen entzündlichen Er¬ 
scheinungen sofort den Arzt za rufen. (Referent hat als Hcbammcnlchrcr in 
diesem Sinne die Hebammen unterrichtet, da in Hessen die Credöisierang in 



50 


Besprechungen. 


der Praxis noch nicht obligatorisch cingefiihit ist.) Neben der Crcd^isierung 
hält Heß die Anzeigepflicht für Blcnnorrhoefälle für unbedingt erforderlich 
(eine Forderung, die wohl jeder zugeben muß. lief.). Unter den, für etwa 
eingctrctcnc Blennorrhoe zu treffenden Maßnahmen seien hervorgehoben: gründ¬ 
liche Peinigung des Auges durch häufige, mechanische Entfernung des Eiters 
vermittelst Durchspülen des Bindehautsackes; dies ist erheblich besser als die 
noch im Unterricht empfohlenen feuchten Umschläge, da sich unter der Wärme¬ 
wirkung derselben gerade der Prozeß rascher ausbreiten kann. Die Reinigung 
hat alle l J* Stunde zu geschehen. Dazu kommen Pinselungen mit 2 prozentiger 
Argentum nitricum-Lösung, die wochenlang fortzusetzen sind, da bei schein¬ 
barer Besserung noch Rezidive nach Wochen beobachtet sind. Argentum nitri¬ 
cum übertrifift auch hier alle anderen Mittel, so auch das Protargol. Bei ein¬ 
seitiger Erkrankung muß das gesunde Auge mit behandelt werden. Heß 
schließt seinen interessanten Vortrag mit den Worten: „Wir müssen es 
erreichen, daß kein Kind mehr an Blennorrhoe erblindet.“ 

Prof. Walther -Gießen. 

Augentropfgliiser. Von Dr. Blokusewski-Nicderbrcisig. Klinische 
Monatsblätter für Augenheilkunde; Märzbeft 1904. 

Bei der Beschallung der Augentropfgläser für die 
neuen Hebammentaschen dürfte sich besonders das 
nach Dr. Blokusewskis Anweisung hcrgestelltc 
Augentropfglas „Phoenix“ empfehlen, das, wie aus bei¬ 
stehender Zeichnung ersichtlich ist, folgende Vorteile hat: 

Die Höllcnsreinlösung gelangt niemals an den Gummi, 
denn sogar beim Umkchrcn der eingeschliffenen Pipette 
fließen die aufgesangten Tropfen in die Winkel (a) zwischen 
Trichter und Glaswand. 

Die breite, glatte Druckfliiche gestattet ein Hin¬ 
stellen der Pipette, wodurch eine Verunreinigung der 
Spitze durch die Unterlage vermieden wird. 

Der Verbrauch ist sparsam, da infolge des Trichters 
jedesmal nur 2—8 Tropfen aufgezogen werden können. 

Die allgemeine Handhabung ist bequem und sicher. 

Der Preis der 5 ccm enthaltenden Fläschchens beträgt in 
Apotheken 0,40, mit Papphülse 0,45 M., ist also ein ver¬ 
hältnismäßig billiger. Weitere Auskunft erteilt die Firma 
Gebrüder Bandekow-Berlin S. W. 61. Rpd. 


Besprechungen. 

Dr. D. Rapmund, Keg.- u. Ueb. Med.-Rat in Minden i. W.: Kalender 
für Medizinalbeamte. IV. Jahrgang. Berlin 1905. Fischers medi- 
dizinische Buchhandlung, H. Kornfeld. Ausgabe A (für die preußischen 
Medizinalbcaraten) mit Beiheft Preis: 3,50 Mark. Ausgabe B (für die 
übrigen deutschen Medizinalbeamten) Preis: 3 Mark. 

Soeben ist der IV 7 . Jahrgang des Kalenders erschienen, etwas später als 
sonst, aber um so vollständiger. Alle Abschnitte sind sorgfältig durchgearbeitet 
und haben äußerst wertvolle Ergänzungen erfahren. 

Im Kalender selbst ist vor allen Dingen das Reichsseuchengesetz 
unter Zugrundelegung aller bisher erlassenen Ausführungsbestimmungen in 
ausführlicher Weise kommentiert, z. T. sind die Ausführungsbestimmungen 
vollständig wiedergegeben; dasselbe gilt betreffs der Grundsätze für die 
Bekämpfung des Typhus, was um so wertvoller ist, als gerade der 
Unterleibstyphus den Modizinalbcamten am meisten in Anspruch nimmt. Der 
Kalender bietet somit für die wichtigste Tätigkeit des Kreisarztes, für die 
Seuchenbekämpfung, den sichersten Ratgeber. 

Aber auch sonst ist sein Inhalt vielfach vervollständigt worden. So 
bringt er unter den Bestimmungen über Atteste die besonderen For¬ 
derungen, welche an Personen zu stellen sind, die sich zum Dienst in den 
tropischen Schutzgebieten melden. Die Gutachtenfassung im 
Entmündigungsverfahren ist ausführlicher behandelt, den Formularen 





Besprechungen. 


51 


ist ein Master für die Besichtigung zentraler Wasserleitungen 
beigefügt worden, kurz, cs dürften alle Wünsche erfüllt sein, die in dieser 
Hinsicht gestellt werden konnten. Sogar in Kleinigkeiten bemerkt man das 
Verständnis für die täglichen Ansprüche, so sind z. B. jetzt am Schluß des 
Terminskalenders 14 statt 2 Seiten zu sonstigen Notizen beigefügt. 

Auch das Beiheft hat wichtige Erweiterungen erfahren. Es bringt beson¬ 
ders die neue Todesursachen-Statistik und für die preußischen Medi¬ 
zinalbeamten die neuen Bestimmungen über Benutzung der Klein- und 
Straßenbahnen. Die Personalien der bayerischen Medizinal¬ 
beamten sind durch diejenigen der bezirksärztlichen Stellvertreter vervoll¬ 
ständigt; bei den preußischen Kreisärzten sind die v ollbesold e ten 
Steilen durch fetten Druck kenntlich gemacht. 

Form und Ausstattung des bequemen Taschenbuches sind die¬ 
selben geblieben. Sein Inhalt ist so vollständig, daß der Kalender nicht nur 
für die staatlichen Medizinalbeamten, sondern auch für alle diejenigen Aerztc 
von größter Bedeutung geworden ist, welche im Dienste von Gemeinwesen 
stehen oder sonst ein Interesse an den sanitätspoiizcilichen Vorschriften haben. 

Dr. Fielitz-Hnlle a. S. 


Dr. mad. Carl Balaalg - Hamburg: Da» Amtliche Hausbuch für Ge¬ 
sunde und Kranke. Mit 4S0 Abbildungen und 27 meist farbigen Tafeln. 
Leipzig 1901. Verlag von F. C. W. VogoL Gr. 8°, 992 S. Im eleganten 
Einband Preis: 15 Mk. 

Es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß das Kurpfuschertum unserem 
medizinisch nicht aufgeklärten Pnblikum seinen größten Zulauf verdankt. Dies 
haben gerade in letzter Zeit die vor dem Forum der öffentlichen Gerichto ver¬ 
handelten Prozesse gegen die Kurpfuscher par exccllcnce bewiesen. Es ist 
daher unter den obwaltenden Verhältnissen und beim Fehlen eines staatlichen 
Kurpfuschereiverbotes Pflicht aller Einsichtigen, gegen das Kurpfuschcreiun- 
wesen und seine zahllosen unmittelbaren und mittelbaren Gesundheitsscbädi- 
gangen vorzugehen durch strenge Kritik und rücksichtslose Offenbarung der 
Prahlereien und Schwindeleien, namentlich bleibt es besondere Pflicht der Aerztc, 
nicht nur in ihrem Hcilplan denjenigen Behandlungsmethoden Rechnung za 
tragen, die sich im Volke einer altehrwürdigen und berechtigten Wertschätzung 
erfreuen, sondern auch aus ihrer selbstherrlichen Reserve im medizinischen 
Wissen und Können herauszutreten und dem Verlangen des Volkes nach Auf¬ 
klärung in medizinischen Dingen gerecht zu werden. Letzteres ist ein be¬ 
merkenswertes Zeichen unserer Zeit, dem eine Unzahl minderwertiger Bücher 
and eine geradezu verderbliche Schundliteratur zu entsprechen sucht. Hier 
warnend und aufklärend einzutreten, ist Pflicht des Aerztestaudcs im eigensten 
Interesse, da es den „Naturheilkundigen“ und „Naturärzten“ in ihren Schriften 
in erster Linie darauf ankommt, die zwischen Aerzten und Patienten bestehen¬ 
den Beziehungen, welche auf Achtung, Wohlwollen und Vertrauen basieren, 
zn zerstören. Als ein Buch, das diesen Bestrebungen der Kurpfuscher wirk¬ 
sam entgegenzuarbeiten geeignet ist, ist das vorliegende ärztliche Hausbuch 
zu begrüßen. Seine Tendenz ist, dem unzweifelhaft bestehenden Verlangen der 
Nichtmediziner nach „populärer Medizin“ Rechnung zu tragen, dabei aber 
gleichzeitig dem Arzte zu geben, was des Arztes ist und vor dem Betrug und 
Schwindel zu warnen, mit denen die falschen Heilkundigen und Wundertäter 
arbeiten. Mit dem wohlgemeinten Rat an alle Kranke, „steh bei jeder Krank¬ 
heit sofort an einen Arzt zu wenden und nicht durch Inanspruchnahme von 
Laienhilfe und Laienrat die günstige Zeit zur Heilung zu versäumen“, schließt 
der kleinere allgemeine Teil des Werkes, der über Bau und Verrichtungen 
des gesunden menschlichen Körpers und Erscheinungen, Ablauf und Heilung 
der Krankheiten unterrichtet. Der spezielle Teil behandelt in alphabetischer 
Reihenfolge der Stichworte alle Fächer und Gebiete der Medizien, über die 
unterrichtet zu sein der Laie nur wünschen kann; und zwar ist dadurch, daß 
die verschiedenen Abteilungen von einer größeren Anzahl bekannter Spezial¬ 
ärzte behandelt sind, die keineswegs leichte Aufgabe solcher Popularisierung 
ii mustergütiger Weise gelöst. Im Texte ist überall auf eine gemeinverständ¬ 
liche Darstellungsweise der größte Wert gelegt; ebenso ist die Auswahl der 
Abbildungen derartig getroffen, daß sie den Beschauer auch wirklich aufklären 
and nicht verwirren. Die Abbildungen selbst sind gut gelungen nnd lassen 



52 


Tagesnachrichten. 


auch die fttr ein Hausbuch wünschenswerte Dezenz nicht vermissen. Papier, 
Druck and Ausstattung befriedigen vollkommen. Möchten die Aerzte diesem 
in ihrem Interesse herausgegebenen Buche die weitgehendste Unterstützung 
gewähren! Dr. Roepkc-Melsungen. 

Dr. mii J. Tnunpp- München: Gesundheitspflege im Kindesalter. 

Band 15 und 15a der Bibliothek der Gesundheitspflege. Stuttgart; Verlag 
von Ernst Heinrich Moritz. Kl. 8°. Preis pro Band: 1 Mk. 

Der I. Teil behandelt die Säuglingspflege und allgemeine Kinderpflege, 
Teil II die Körper- und Geistespflege im schulpflichtigen Alter. In beiden 
Bändchen sind hauptsächlich die Maßnahmen der häuslichen Hygiene und 
Diätetik besprochen. In kurzer, gediegener Form zeigt Vcrf., was die Eltern 
in ihrem Teil zum Gedeihen ihrer Kleinen und zum Wohlergehen ihrer schul¬ 
pflichtigen Kinder beitragen können. Neben den Eltern werden aber auch die 
Schulärzte und Lehrer in dem II. Bändchen manche Anregungen zu einem ein¬ 
trächtigen und verständigen Zusammenwirken finden zum Besten unserer Schul¬ 
jugend. Dr. Roepke-Melsungen. 


Tagesnachrichten. 

Das preussische Medizinalwesen in dem Staatshaushalts - Etat 
1905/1906. Trotz der verhältnismäßig günstigen Finanzlage des preußischen 
Staates bringt der neue Etat nur wenig Aenderungen. Hervorzuheben ist in 
bezug auf die Sanitäts- u. Medizinalverwaltung, daß auch in diesem Jahre wieder 
Beträge zu Beihilfen zum Studium medizinal-technisch wichtiger 
Einrichtungen und Vorgänge im In- und Ausland, zur Abhaltung 
von Fortbildungskursen fii r Krei sä rzte und für Inf o rmations- 
kurse der Regierungs- und Medizinalrätc über Wasserversorgung 
und Abwässerbcseitigang eingestellt sind; erfreulich ist auch die weitere 
Bereitstellung von Mitteln für diebaktcriologischenUntersuchungs- 
stationen in Bouthen und Saarbrücken, für die Bekämfung des 
Typhus im Reg.-Bez. Trier, für Krebsforschung usw. sowie für die 
Neueinrichtung einer Tollwutstation beim hygienischen In¬ 
stitut in Breslau und für die sanitäts-polizeiliene Hafen* und 
Schiffsüberwachung. 

Im übrigen ist die Organisation dos Medizinalwesens in der 
Zentranlistanz ebenso wie in der Provinzialinstanz unverändert geblieben, 
für eine zeitgemäße Reform der Provinzial-Medizinalkollegicn sieht 
auch der vorliegende Etat keine Mittel vor. Desgleichen ist die Zahl der 
vollbesoldctcn Kreisärzte diesmal leider nur um 2 (l in Bielefeld und ein 
zweiter in Cöln) vermehrt; sic beträgt jetzt mit den Hilfsarbeitern bei den 
Regierungen 35 = 7,0°/o der Gesammtzahl. Von den nicht besoldeten 
Krcisarztstellen ist außer derjenigen in Bielefeld, eine solche in Berlin 
fortgcfallen, dagegen eine für Dortmund (Land) neu hinzugekommen; ihre 
Zahl hat sich also um eine verringert (468 statt 469). Die Zahl der Kreis- 
a rzt-Assistenten ist auf 43(-)-3) gestiegen, diejenige der Gerichtsärzte 
(14) unverändert geblieben, jedoch ist die Gerichtsarztstelle in Dortmund auf¬ 
gehoben und dafür eine solche für den Stadt- und Landkreis Essen eingerichtet. 

Die einzelne Positionen des Medizinaletats ergeben sich aus der 
nachstehenden Zusammenstellung: 

A. Dauernde Ausgaben. 

1. Besoldung von 39 Mitgliedern (600—1200 M.) und 36 

Assessoren (600—1050 M.) der Provinzial-Medizinalkollegien 59 850,— M. *) 

2. Besoldung von 36 Regierungs- und Medizinalräten mit 

4200—7200 M., und von 1 Regierungs- und Medizinalrat 

mit 1200 M. 220200,— „ *) 

3. Besoldung von 7 vollbesoldeten Kreisärzten als ständige 


*) Mehr: 1200 M. für ein psychiatrisches Mitglied bei dem Provinzial- 
Medizinalkollegium der Provinz Pstpreußen. 

*) Mehr: 10800 M. nach Maßgabe des Dienstalters der Regierung*“ 
und Medizinalräte. 




Tagesnachrichtoo. 


»3 


Hilfsarbeiter bei den Bcgierongen in Königsberg, Gumbinnen 
Potsdam, Breslau, Oppeln, Arnsberg und Düsseldorf (mit 
3600—5700 M.). 34400,—II. ») 

4. Besoldung von 28 vollbesoldeten Kreisärzten (3000—5700 M.) 143 300,— „ 4 ) 

5. Besoldung von 408 nicht vollbesoldeten Kreisärzten (darunter 

1 künftig in Berlin fortfallend) und )4 nicht vollbesoldeten 
Gerichtsärzten mit mindestens 1800, höchstens 4200 M., im 
Durchschnitt 2700 M. Gehalt, sowie für sonstige Besol¬ 
dungen .1309071,— „ *) 

Vermerk: 1. Ersparnisse können zu Stellvertretungs- 
kosten verwendet wdrden. 

2. Bei der Beratung des pensionsfähigen Dienstein¬ 
kommens der nicht vollkesoldeten Kreisärzte werden 
die amtsärztlichen Gebühren, welche nach § 3 des 
Gesetzes, betreffend die Dienststellung des Kreis¬ 
arztes usw., vom 16. September 1800 und den 
dazu erlassenen Ausführungsbcstimmungcn von den 
vollbesoldetcn Kreisärzten zur Staatskasse abzuführen, 
bezw. nicht mehr aus der Staatskasse zu erheben sind, 
nach ihrem durchschnittlichen Betrage während der 
drei letzten Etatsjahre vor dem Etatsjakrc, in welchem 
die Pension festgesetzt wird, mit der Maßgabe zur 
Anrechnung gebracht, daß das hiernach der Pension 
zu Grunde zu legende Dicnsteinkommen nicht das 
pensionsfähige Diensteinkommen eines vollbesoldeten 
Kreisarztes von gleichem pensionsfähigen Dienstalter 
übersteigen darf. 

6. Wohnungsgeldzuschüsse. 47 920,— „ *) 

7. Zur Remuneration von 43 Kreisarzt-Assistenten (mindestens 
900 M., höchstens 1800 M., im Durchschnitt: 1200 M.), 
sowie von Hilfsarbeitern im Bureau-, Kanzlei- und Unter¬ 
beamtendienst bei den Provinzial-Medizinalkollegien und 
zu Beihilfen für die Wahrnehmung der Obliegenheiten des 

Kreisarztes durch Stadtärzte.61101,— „ 7 ) 

8. Zu Bureaubedürfnissen der Provinzial-Medizinalkollegien, 
Dienstaufwandsentschädigung für 2 Regicrungs- und Medi¬ 
zinalräte in Berlin (je 1200 M.), für Vertretung von Reg.- 
and Medizinalräten und von als ständige Hilfsarbeiter bei 
den Regierungen beschäftigte vollbesoldeto Kreisärzte, zu 
Remunerationen für die Prüfung der Rezepte und Rech¬ 
nungen über die für Staatsanstalten gelieferten Arzneien, 
zu Entschädigungen für Amtsunkosten für die vollbcsolde- 
ten Kreisärzte bis zu 1000 M., im Durchschnitt 750 M., 
für die nicht vollbesoldeten Kreisärzte und Gerichtsärzto 
bis zu 750 Mark, im Durchschnitt 250 M., sowie an Tage¬ 
geldern und Reisekosten für auswärtige Mitglieder der 


•) Weniger: 1400 M. nach Maßgabe des Dienstalters der Kreisärzte. 
4 ) Mehr: 13600 M. und zwar 6400 M. nach Maßgabe des Dieustalters 
der Kreisärzte und 7200 M. für 2 vollbesoldete des Kreisarztbezirkes Bielefeld 
and des Stadtkreises Cöln (je 3600 M. Mindestgehalt). 

*) Mehr: Durchschnittsbesoldung für einen nicht vollbesoldeten Kreis¬ 
arzt für den Landkreis in Dortmund und einen besonderen Gerichtsarzt für den 
Stadt- und Landkreis Essen je 2700 M; weniger: 9025 M. für je einen nicht 
Tüllbesoldeten Kreisarzt in Berlin und des Kreisarztbezirkes Bielefeld, sowie 
für einen besonderen Gerichtsarzt für den Stadt- und Landkreis Dortmund und 
für wegfallende Gehälter von verstorbenen Amtsphysikern. 

e ) Mehr: 3840 M. an Wohnungsgeldzuschüssen infolge anderweiten 
Klasseneinteilung der Orte und für 2 weitere voll besoldete Kreisärzte. 

7 ) Mehr: 3600 M. Durchschnittsremunerationen für 3 Kreisarzt-Assi¬ 
stenten in den Kreisarztbezirken Stadtkreis Magdeburg, Stadt- und Landkreis 
Recklinghausen und Stadtkreis Frankfurt a. M. je 1200 M. 







u 


Tagesnachrichten. 


Provinzi&l-Medizinalkollegien, zu Tagegeldern, Reisekosten 
und Entschädigungen für die Erstattung schriftlicher Gut¬ 
achten und Berichte an die psychiatrischen Mitglieder der 
Besuchskommission für die Beaufsichtigung der Privat¬ 
irrenanstalten und zu Tagegeldern und Reisekosten für die 
auswärtigen Mitglieder des Beirats für das Apothekenwesen 
a. Zu Beihilfen zum Studium medizinal-technischer Einrich¬ 
tungen und Vorgänge. 

9. Zur Remunerierung der Mitglieder und Beamten der Kom¬ 
mission für die Staatsprüfung der Aerzte, Zahnärzte usw. 

10. Zuschuß für das Charite-Krankenhaus in Berlin . . . . 

11. Institut für Infektionskrankheiten. 

12. Institut für experimentelle Therapie in Frankfurt a. M. 

13. Zur Unterhaltung einer staatlichen Versuchs- und Prüfungs¬ 

anstalt für die Zwecke der Wasserversorgung und Ab- 
wässcrbescitigung. 

14. Bad Bertrich. 

15. Hygienisches Institut in Posen. 

16. Zuschüsse für einige Krankenanstalten ....... 

17. Zur Vermehrung des hilfsärztlichen Personals in den öffent¬ 
lichen Irrenanstalten. 

18. Für das Impfwesen (Remunerierung) der Vorsteher und 

Assistenten und Gewinnung tierischen Impfstoffes usw.) und 
sächliche Ausgaben. 

19. Zu Roagenticn hei (len Apol hckenrevisioncn. 

20. Zu Unterstützungen für aktive Medizinalbeamtc (7500 M.) 

und für ausgcschiotfcue Medizinalbeamtc (60000 M.), sowie 
für Vvittwcn und Waisen von Medizinalhearnten . . . . 

21. Wartegeld für die auf Grund des Kreisarztgesetzes zur 
Vorlegung gestellten Medizinalbeamtcn (künftig weglallend) 

22. Zur Unterstützung für die auf Grund des $ 15 des Kreis¬ 

arztgesetzes auf Wartegeld gestellten Medizinalbeamten 
(künftig wegfallend). 


167 885,— 

3000,- 

203000.— 
590546,35 
202 370,— 
75 850,— 


123110 — 
44432 — 
37 852,— 
6 288,47 

6 000 - 


91970,- 
1 900 — 


67,500 - 

125 293,48 


40 000,— 


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*) LI ehr: 1650 M. an Dienstaufwands-Ent,Schädigung für 2 vollbesoldete 
Kreisärzte (Differenz zwischen den Durchschnittssätzen von 250—750 M. von 
500 M. und Durchschniitssatz für eine neue Steile in Culn 750 M.), einen Ge- 
richtsarzt in Essen (20 M.) mul für Bureaubedürfnisse des Provinzial-Mt di- 
zinalkoliegiums der Provinz Westpreußen. 

'9 Mehr: 23 300 M. infolge gleich hoher Mehreinnahmen an Prüfungs¬ 
gebühren. 

*°) Weniger: 12920,50 M. 

i: > Mehr: 5000 M. Es ist jetzt ein besonderer Abteilungsvorsteher lür 
die chemische Abteilung und ein Leiter für die neu zu begründende Abteilung 
für Tropenkrankheiten und Tropenhygiene vorgesehen. Außerdem sind 3000 M. 
als künftig wegfallend, zur Unterhaltung eines Laboratoriums für Geh. Med.- 
Eat Prof. Dr. Koch eingestellt. 

ia ) Mehr: 15890 M., darunter 1500 M. Gehaltszulage für den Anstalts¬ 
vorsteher. 600 M. Zulage für das mit der Vertretung des Vorstehers in der 
Beaufsichtigung der chemischen Arbeiten zu betrauende Wissenschaft liehe Mit¬ 
glied und 9000 M. für 2 neue wissenschaftliche etatsmäßige Mitglieder init 
dem Anfangsgehult von je 5600 M. und 900 Df. Wohnungsgeldzuschuß. Außer¬ 
dem soll durch diesen Mehrbetrag die Anstalt in die Lage versetzt werdm, 
leistungsschwache Gemeinden mehr als bisher sachlich durch Rat und Hilfe 
bei den Vorbereitungen in der Aufstellung von Projekten für Wasserleitungen 
zu unterstützen. 

,? ) Mehr: 17 M. 

u ) Mehr: 7850 M. hauptsächlich durch Erhöhung der Remuneration 
der Assistenten an den Anstalten zur Gewinnung tierischen Impfstoffes von 
750 auf 1000 beztv. von 1200 auf 1500 (Berlin) und von 1000 auf 1200 M. (Cölu). 
‘ 5 ) Mehr: 2500 M. 

lti ) Weniger: 5238 M. infolge von Tod oder Wiedereinslellung auf 
Wartcgeld gestellter Beamten. 

* 7 ) Weniger: 40000 M. infolge verminderten Bedürfnisses, 










Tagesnachrichten. 


55 


23. Zu Almosen an körperlich Gebrechliche znr Rückkehr in 

die Heimat, sowie für arme Kranke. 900,— M. 

24. Für inedizinalpolizeiliclie Zwecke, einschließlich 8000 M. 
zur Bestreitung der Kosten der sanitätspolizeilichen Kon¬ 
trolle behufs Abwehr der Choleragefahr und 18110 M. für 

das Lepraheiin im Kreise Memel.113110,— „ l8 ) 

25. Hafen* und Schiffsüberwachung einschließlich der Quaruii- 

tfineanstalten.51 370,— „ i9 ) 

26. Verschiedene andere Ausgaben (Zuschub für Arzt auf der 
KurPchen Nehrung, Quarant lincanstaltcn, Beihilfe für 

ärztliche Fortbildungskurse (9000 M.) usw. 31832,92 w ,l) ) 

Zusammen: 3 893 792,22 M. 
im Vorjahre: 3 701689,69 „ 
Darnach mehr: 1024'.>2,53 M. 


B. Einmalige und ausserordentliche Ausgaben: 

a) 2599400 M. (39S180 M. melir als im Vorjahre) für Neu- und Um¬ 
bauten von klinischen U ni v e r s i t ii r s • n s t i t u t e n, Ergänzung des 
Inventars derselben, Deckung von Fehlbeträgen usw.; hiervon inter¬ 
essieren besonders: für Einrichtung von geeignet en Räumen zu gerichis- 
ärztlichen Unter richts/, wecken i n K o n i g s b c r g i./Pr., Neuein¬ 
richtung und innere Ausstattung eines liy g io nis ch cn 1 n s t i tu ts in 
Berlin (letzte Rate), einer Irrenklinik in Greifswald (IV. Rate) 
und Breslau (III. Rate), einer Klinik und Poliklinik für Haut- und 
Geschlechtskrankheiten in Breslau (I. Rate), einer Tollwut- 
Station beim h y g i o n is eh e n 1 n s t i t u t-G daselbst, eines neuen pa- 
thol o gis ch eu 1 ns ti tu ts in Kiel sowie für Erweiterung des hygie¬ 
nischen Instituts daselbst, für Neueinrichtung einer Augenklinik iu 
G.irt in gen (II. Rate) usw. 

hi 421 'O0 M. zum weiteren Ausbau des C h a r i t 6 - K r a n k e n h a u s e s. 

c) 3.V) 090 M. zur Bekämpfung der Granulöse (wie im Vorjahre). 

di *29-V»o M. zur Abhaltung von Fortbildungskursen für 50 Medi¬ 
zinal beamte und von 14-tägigen lnfurmat lonskursen für 12 Reg.- und 
Med.-Räte in der staatlichen Versuchs- und PriifuiigsaustalL für Wasser¬ 
versorgung und Abwässerbeseitigung. * 

ei 30< »00 M. zur Untersuchung der Maul- und Klauenseuche 
(wie im Vorjahre). 

f) 10O B M. zu Beihülfen zur Veranstaltung von Forschungen über die Ur- 
s a c li c und Verbreitung d er Kr e b s krun k heit (wie im Vorjahre). 

g) i4l.0J Al. für die erste medizinische Klinik der Charite zur 
Erforschung der Iv r c b s k r a n k h e i t, insbesondere zur Aufstellung 
von Baracken für Krebskranke (IV. Rate). 

in 1^0 900 M. zur G r un d s t üc k s - E r w ei t c r u n g des Instituts für Infek¬ 
tionskrankheiten in Berlin. 

i) 5 'Xm M. zur Errichtung eines Laboratoriums für Geh. Mid.-Rat 
Prof. Dr. Koch le rn Institut für 1 ufektionskranheiten in Berlin. 

k) 1860 M. für Instandsetzungsarbeiten beim Leprakrankenhause in 
M e m e 1. 

,5 > Mehr: 510 M. 

i9 ) M ehr: 4: 000 M. für Hafen- nnd Schiffsüberwachung wegen der fort- 
g-setzfon Gefahr der Einschleppung von Pest und Cholera; jetzt als dauernde 
Ansgab ■ n ein gestellt. 

) Mehr: 30(0 M. behufs Erhöhung der dem Zentralkommitee bisher 
gewährten Bei hülfe von 6090 auf 9t .00 M. 

‘ iJ ) Die Begründung sagt hierzu: «Zur Zeit besteht nur in Berlin eine 
Tidlwutsfation. Die Errichtung eines solchen Instituts in Breslau entspricht 
einem lebhaften Wunsche der Provinz Schlesien, weil gerade letztere eine 
besonders grüße Zahl von Kranken stellt, die von tollwütigen Hunden gebissen 
sind und sich der Behandlung mittels des Pasteurschen Verfahrens unterziehen 
müssen. Auch erscheint eine Entlastung des Berliner Instituts erwünscht. 
Dem Bedürfnis kann durch einen kleinen Anbau an das hygienische Institut 
entsprochen werden.“ 






56 


Tagesnachrichten. 


1) 103G0M. zur Unterhaltung einer hygienischen Station in Bcuthen 
O.-Schl. (1300 M. mehr als im Vorjahre), 
in) 22000 Mark znr Unterhaltung einer bakteriologischenAnstalt in 
Saarbrücken (wie im Vorjahre). 

n) 30000 M. zur Bekämpfung des Typhus ira Rcg.-Bez. Trier. Die 
medizinalpolizeilichc Bekämpfung des Typhus im Reg.-ßez. Trier soll 
im Etatsjahrc 1005 erweitert fortgesetzt werden und der eingestellte Betrag* 
auch zur Gewährung von Unterstützungen an bedürftige Gemeinden im 
Kreise dienen. 

Aus dem Etat ist sonst noch zu erwähnen, daß für die Kreistier- 
arzte ein pensionsfähiges Durclischnittsgehalt von 1(350 AI. (3 gleiche Gehalts¬ 
klassen von 1200, 1(350 und 2150 M.), eine pensionsfähige Zulage von je 450 M. 
vorgesehen ist, und als pensionsfähige Nebencinnahmen ein Durschnittsbetrag 
von je 1500 Mark angenommen werden soll. Die Kreistierärzte sind demgemäß 
in bezug auf ihre Pensionierung verhältnismäßig gängiger als die Mehrzahl 
der nicht vollbesoldeten Kreisärzte gestellt, da die Kreisärzte mit einer Ein¬ 
nahme aus pensionsfähigen amtsärztlichen Gebühren von mehr als 1500 M. 
zweifellos die große Minderheit bilden. 

Auch die im Etat vorgesehene Bildung eines dritten Regierungs¬ 
bezirks in der Provinz Ostpreußen mit dem Amtssitze in Allenstein hat für 
die Medizinalbeamten Interesse. Demselben sollen 9 Kreise (Osterode, Allenstein, 
Ncidenburg, Rössel, Urtelsburg, Scnsburg, Lötzcn, Lyck und Johannisburg) mit 
einem Flächeninhalt von 12 032 qkm und 519 626 Einwohnern zugeteilt werden. 


Das von der Wissenschaftlichen Deputation ftlr das Mcdizinalwesen aus¬ 
gearbeitete neue preußische Obdukt ionsregi.lativ ist in dem soeben erschienenen 
1. Heft der Vierteljahrsschrift für gcrichtl. Medizin und öffentliches Gesundheits¬ 
wesen veröffentlicht. Wir werden dasselbe in der nächsten Nummer der Zeit¬ 
schrift zum Abdruck bringen. 


In dem neuen Wiirtfeiiibertriseheii Haushaltsetat ist die Errichtung 
einer ordentlichen Professur für Hygiene in Tübingen vorgesehen, statt der 
bisherigen dortigen außerordentlichen Professur für dieses Fach. 

Der diesjährige Deutsche Aerztetug findet Ende Juni in Straßburg 
i. E. statt. Zur Verhandlung kommen: 1. Antrag, betreffend die Erhöhung 
des Mitgliederbeitrages; 2 Rechte und Pflichten eines Kassenarztes; 3. Aka¬ 
demien für praktische Medizin; 4. Revision der Vereinbarung des Deutschen 
Aerztevereinsbundes mit den Lebens- und Unfallversichernngsverbänden. 


Die nächste Hauptversammlung der Deutschen Gesellschaft für 
Volksbader findet am 31. Mai (Tag vor Himmelfahrt) in München statt. 
Die Herren Prof. Ho ehe der, Ingenieur Re cknagcl, Rechtsrat Schlicht, 
Stadtbaiiinspektor Matzdorff, Dr. Holländer haben bereits Vorträge an¬ 
gesagt. Weitere Anmeldungen, sowie Vorschläge zur Diskussion und andere 
Anregungen werden aus den Kreisen der Mitglieder erbeten. 


Preussischer tfiedizinalbeamtenverein. 

Der Vorstand bat beschlossen, daß die diesjährige 

XXII. Hauptversammlung 

am 28. n. 29. April d. J. in Hannover 

stal tfinden soll. 

Die Vereinsmitglieder werden ergebenst gebeten, Vorträge, Dis¬ 
kussionsgegenstände oder sonstige Wünsche für diese Hauptversammlung 
bis zum 1. Februar d. J. hei dem Unterzeichneten anzumeldcn. 

Minden i. W., den 12. Januar 1905. 

Der Vorstand des Preussischen Medizinalbeamtenvereins. 

Im Aufträge: Dr. Rapraund, Vorsitzender, 

Ke^.- o. Geh. Med.-Rat ln Minden. 

Verantworte Redakteur: Dr. Rapmuud, Reg.-u. Geh. Med.-Rat in Minden i. W. 
J. C. C. Bruns, Herzog. Sachs, u. F. Sch.-L. Hofbuchdruckerel in Minden. 




IS. Jahrg. 


1905. 


Zeitschrift 

für 

MEDIZINALBEAMTE. 


ZwtralUstt Itr geridrtJkke Medizin ik Psychiatrie, 

Sr intlfebe Saekrerstinkigentätigkeit in Unfall- and hmüiditatisaehM, sowie 
fir Hygfeae, iffeati. Saiitstewesea, Mediziul - totzgekug aad teehtoyreekaig. 

Herausgegeben 

Ton 

Dr. OTTO RAPMÜND, 

Boftorongs« and Och. ladidulrtt I» Mlnd—« 


Verlag von Fischers mediz. Buehhandlg, H. Kornleid, 

HanogL Bayer. Bof* n. BnbmogL Kammer - BnahhliuTUr 

Berlin W. 35, Lützowstr. 10. 

InaomU nohacn dl* VarUfihapdlong sowie alle Annoneen - ■xpodMonea des Is- 
nnd AuaUndcs entgegen« 


Nr. 3. Kr*ek«l*t 


1. ul IS. Je4ei Xauta 


1. Februar. 


Die Herzwunden, vom gerichtsärztlichen Standpunkte aus 

betrachtet 

Von Dr. Richard Bernstein, 

Oberarzt beim Feldartillerie -Regt. Nr. 72 Hochmeister in Preußisch-Starg&rd. 

Der Gerichtearzt hat bei der Beurteilung einer Herzwnnde 
diagnostische and prognostische Erwägungen anznstellen. 

1. Diagnostische Fragen: 

Die Frage nach der Art des verletzenden Werkzeuges ist 
bei Herzverletznngen nicht anders zu beantworten, als bei Ver¬ 
letzungen anderer Körperteile, bedarf daher keiner besonderen 
Erörterung. Dagegen muss vor allem die Frage entschieden 
werden, ob ttberhanpt das Herz verletzt ist. 

Hierfür kommt in erster Linie der Ort der äusseren 
Wände in Betracht. Befindet sich diese da, wo das Herz der 
vorderen Brustwand unmittelbar anliegt, so ist die Wahrschein¬ 
lichkeit dafür, dass das Herz verletzt ist, am grössten; dabei 
können auch die in diesem Gebiet liegenden Knochen glatt durch¬ 
stochen sein. Es muss auch an die Möglichkeit eines Situs trans- 
versus gedacht werden. Jedoch ist eine Herzverletzung nicht 
ausgeschlossen, wenn der verletzende Gegenstand von einer anderen 
Stelle her in den Brustkorb eindringt, da er sich dann durch die 
Longe oder durch das Zwerchfell den Weg zum Herzen bahnen 
kann; ausser den Fällen, die G. Fischer [1] und Loison [2] 
gesammelt haben, gehört ans neuerer Zeit der Fall von Stupa- 
rich [3] hierher. 












68 


Dr. Bernstein. 


Ausser dem Ort der Wunde kommt die Richtung des 
Wundkanal8 in Betracht. Gegen die Sondierung des letzteren 
wird mit Recht von den meisten Autoren Einspruch erhoben, nicht 
nur weil ein Durchstossen der Herz wand oder ein Verdrängen von 
Thromben möglich ist, sondern auch, weil ein Wundkanal, der in 
einer bestimmten Körperstellung auf das Herz führt, bei einer 
anderen Stellung, die der Betreffende vielleicht gerade im Augen¬ 
blick der Verletzung einnahm, das Herz nicht getroffen zu haben 
braucht; die verschiedenen Füllungszustände, Drehungen und Ver¬ 
schiebungen des Herzens sind die Ursache hierfür. So erklären 
sich Fälle, wie der eine Fall von Wetzel [4] (Einstich von vorn, 
isolierte Verletzung der hinteren Vorhofswand), die Fälle von 
B6rard und Viaunay [5] (Sonde erreicht unversehrte Herz¬ 
spitze, Schusswunde an anderer Stelle des Herzens erst bei der 
Sektion gefunden), Morn bürg [6] (Verbindungslinie zwischen Ein- 
und Ausschuss kreuzt die Herzgegend, keine Herzverletzung), 
Franke [6] (ähnliche Verhältnisse durch Eindringen eines Besen¬ 
stiels, der aber auch das Herz verfehltet. 

Auch eine starke Blutung darf nicht als sicheres Zeichen 
einer Herz wunde angesehen werden. Einerseits kann eine solche 
Blutung aus einer verletzten Arteria mammaria interna oder 
intercostalis (Baracz [7] oder pericardialis (Wenn er ström [8]) 
stammen, und manche geheilte Herzverletzung mag so zu deuten 
sein. Anderseits kann bei Herzwunden jede stärkere Blutung- 
nach aussen, oder überhaupt jede stärkere Blutung fehlen, letzteres, 
wenn die schräg durchbohrte Herzwand ventilartig sich scbliesst 
oder durch einen Thrombus verschlossen wird. Auch dann kann 
die Blutung fehlen, wenn ein Geschoss, ohne den Herzbeutel zu 
verletzen, die Herz wand durchbohrt (3 Fälle von Fischer an¬ 
geführt, ferner der Fall von Justi [9] und Fall 23 des Sanitäts- 
berichts der preussischen Armee 1900/01); das Blut ergiesst sich 
dann in den uneröffneten Herzbeutel. 

Das Fehlen der Herzd&mpfung bedeutet nur das Eindringen 
von Luft in den Herzbeutel, also nur eine Verletzung des letzteren. 

Funktionelle Störungen sind nach Momburg [10] fast 
bei allen Herzverletzungen vorhanden; sie bilden aber ebenfalls 
kein sicheres diagnostisches Hilfsmittel, weil dieselben Störungen 
auch bei anderen Verletzungen durch Schreck, Blutverlust usw. 
verursacht sein können. 

Es ergibt sich hieraus, dass es meistens nicht möglich ist, 
durch ein einziges Symptom das Vorhandensein der Herz Verletzung 
festzustellen, und dass es Fälle geben muss, in denen diagnosti¬ 
sche Irrtümer nach beiden Seiten hin nicht zu vermeiden sind. 

2. Prognostische Fragen: 

Dies sind für den Gerichtsarzt folgende: 

a. Mit welcher Wahrscheinlichkeit ist eine Herzwunde töd¬ 
lich, und wovon hängt diese Wahrscheinlichkeit abP 

b. Ist im einzelnen Falle die Herzverletzung oder eine andere 
Verletzung bezw. Erkrankung als Todesursache anzusehenP 



Die Henwunden, Tom gerichta ärztlichen Standpunkt aus betrachtet 59 


e. Bedingt die Herzverletzung im Falle der Heilung bleibendes 
Siechtum, oder ist eine völlige Wiederherstellung des Verletzten 
möglich? 

Zu diesen Fragen sind folgende Erwägungen anzustellen: 

Zu a.: Mit welcher Wahrscheinlichkeit ist eine 
Herzwunde tödlich und wovon hängt diese Wahr¬ 
scheinlichkeit abP Es sind durchaus glaubwürdige Fälle 
beobachtet worden, in denen Herzwunden entweder geheilt sind 
oder wenigstens erBt so spät zum Tode geführt haben, dass der 
Verletzte noch zu verschiedenen Handlungen, selbst solchen, die 
körperliche Anstrengung erfordern, imstande war. Wovon dies 
abhängt, ist im einzelnen Falle nicht vorher zu sagen. Während 
der Tod schon nach dem Eindringen kleiner Nadeln in das Herz ein¬ 
getreten ist (Fälle von Rose [11] und Herman [12]), sind in 
anderen Fällen Geschosse in das Herz eingeheilt (Zusammen¬ 
stellung solcher Fälle von Happel (Dissert. Marburg 1897), dazu 
die Fälle von Beer und Brown [13], Stevenson nach Hill [14], 
Trendelenburg-Riethus [15], Kienböck [16]). Es ist eher 
anzunehmen, dass bestimmte Stellen des Herzens besonders lebens¬ 
wichtig oder lebensunwichtig sind, alB dass man dem Blutverlust 
and anderen Momenten eine übergrosse Bedeutung beimessen darf. 

Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass eine „allein gelassene“ 
Herzwunde heilen kann, ist nach Fischer [1] und Loison [2] 
ziemlich gering, und wird dadurch noch geringer, dass erstens 
geheilte Herz wunden häufiger veröffentlicht werden, als tödlich 
verlaufene, und dass zweitens aus den oben angeführten Gründen 
die geheilten Herzwunden nicht immer in Wirklichkeit Herz- 
wunden gewesen sind. 

Die Zahl der Heilungen beträgt: 

nach G. Fischer 18°/o der Stich-, 8 °/ 0 der Stichschnitt-, 8,4°/ 0 der 
Schußwunden; 

nach Loison 89,1 % der Nadel-, 12,2 °/ 0 der Stich-, 2,7°/ 0 der Schu߬ 
wunden. 

Nun sind aber von Fischers sehr alten und unzureichend 
mitgeteilten Fällen als nicht einwandfrei 2 Nadelstichwunden, 19 
Stichschnittwunden, 8 Schusswunden abzuziehen, zum Teil deshalb, 
weil es nur Perikardverletzungen sind. Letztere müssen auch 
von Loison8 Fällen abgezogen werden (nämlich 12 Stichver¬ 
letzungen mit 5 Heilungen und 12 Schussverletzungen mit 3 
Heilungen), und ausserdem die Fälle, bei denen operativ durch 
Naht des Herzens eingegriffen wurde. Es bleiben dann, wenn von 
den Nadel Verletzungen abgesehen wird, übrig: 

für Stich- (bezw. Stichschnitt-) Verletzungen nach Fischer 4,1 °/ 0 , nach 
Loison 5,5°/ 0 Heilungen; 

für Schußverletzangen nach Fischer 2,8 °/ 0 , nach L o i s o n 0 °/ # Heilungen. 

Die Aussichten für Heilung einer Herzwunde sind also in 
Wahrheit erheblich ungünstiger, als es nach den Berechnungen 
von Fischer und Loison erscheint. Sie haben sich aber in 
neuester Zeit durch die — von König zuerst vorgeschlagene — 
Naht der Herzwunde ganz erheblich gebessert. Die Fälle von 



60 


Dr. Bernstein. 


Herznaht sind von Momburg [10], Terrier n. Reymond [17], 
Hill [14] nnd Wolff [18] zusammengestellt; die genaue Durch¬ 
sicht dieser Zusammenstellungen ergibt, dass einzelne Fälle 
doppelt veröffentlicht und deshalb doppelt gezählt worden sind; 
dafür kommen hinzu als genähte Stichwunden die Fälle von 
Colombino [19], Gibbon [19], Henriksen [5], Mancini [19], 
Milesi [16], Pomara [5], Schwerin [19], Stewart [14], 
Stude [20], Weinlechner [21], Wennerström [8], Wolff- 
Essen [19] und zwei von Giordano [5], sowie der Fall von 
Noll [19] als Heilung einer genähten Herzschusswunde. Tatsäch¬ 
lich liegen zurzeit vor Berichte über: 

68 Fälle von Herznaht bei Stichwunden mit 23 = 86,5 °/ 0 Heilungen; 

5 oder 6 Fälle yon Herznaht bei Schußwunden mit 2 Heilungen. 

Es ist kaum anzunehmen, dass nicht alle erfolglosen Ein¬ 
griffe veröffentlicht worden seien, so dass die Verhältniszahl wohl 
wenigstens annähernd der Wahrheit nahe kommt. Aus dieser 
Verhältniszahl aber ergibt sich, dass ein Herzverletzter, der gleich 
nach der Verletzung in entsprechende chirurgische Behandlung 
kommt, quoad vitam erheblich bessere Aussichten hat, als andere 
in gleicher Weise Verletzte. 

Trotzdem geht Bott er [22] zu weit, wenn er die Herznaht 
mit der Tracheotomie auf eine Stufe stellt und ihre Ausführung 
von jedem praktischen Arzt fordert. Demgegenüber darf daran 
erinnert werden, dass die bisherigen Erfolge bei der Herznaht 
fast ausnahmslos in Krankenhäusern, also unter den besten äusseren 
Verhältnissen, erzielt wurden, und dass für ungenähte Herzwunden 
die Prognose nicht ungünstiger sein kann, als sie es für Herz¬ 
wunden sein würde, die ungeübte Hände zu operieren versuchten. 
Momburg spricht sich in ähnlicher Weise aus. 

Ausser der IJerznaht kommt die Unterbindung der verletzten 
Koronargefässe in Betracht. Dieselbe ist bisher noch nicht mit 
Erfolg ausgeführt worden; Terrier und Beymond (Chirurgie 
du coeur; Paris 1898) zitieren zwar einen Fall von Heilung einer 
Unterbindung der Art. coronaria von Zoege-Manteuffel, haben 
aber leider übersehen, dass es sich dabei um die Art. coronaria 
des Magens handelte (Petersburger med. Wochenschr.; 1892, S. 91). 

Bei Nadelverletzungen ist Vorsicht beim späten Herausziehen 
der Nadel geboten, da der Stichkanal vermöge der Bildung von 
Granulationen oder von Narbengewebe sich unter Umständen nicht 
kontrahieren kann, so dass Blutung auftreten kann. 

Zub.: Ist im Einzelfalle die Herz verletzung oder 
eine andere Verletzung bezw. Erkrankung als Todes* 
Ursache anzusehen? Als Folgen der Herzwunde werden in 
der Literatur erwähnt: Entzündungen des Endokards und des 
Perikards, Embolien, ferner Pneumonien und andere Krankheiten, 
die als Folge der durch die schwere Verletzung bedingten Herab* 
Setzung der Widerstandsfähigkeit des Körpers aufzufassen sind. 
Auch beim Hinzutreten der genannten oder ähnlicher Kompli¬ 
kationen wird die Herzwunde als eigentliche Todesursache anzu¬ 
sehen sein. 



Die Herzwunden, Tom gerichtsärztlichen Standpunkt aus betrachtet. 61 

Zu c.: Bedingt die Herzverletzung im Falle der 
Heilung bleibendes Siechtum, oder ist eine völlige 
Wiederherstellung des Verletzten möglich? Gelangt 
die Herzwunde mit oder ohne operativen Eingriff zur Heilung, so 
kann die Heilung so vollkommen sein, dass von Siechtum auch 
nieht im entferntesten gesprochen werden dari. Von den ope¬ 
rierten Fällen sind neun längere Zeit hindurch (der von Hehn etwa 
6 Jahre lang) beschwerdefrei und arbeitsfähig geblieben; ähnliches 
ist bei nicht operierten Verletzten festgestellt worden. Zu früh 
darf das Urteil des Sachverständigen nicht abgegeben werden, da 
durch Narbendehnung, Thrombenlösung usw. noch nach Monaten 
eine anscheinend geheilte Herzwunde der Anlass zum Tode oder 
zq erheblicher Verschlimmerung werden kann. Der Nichtjurist mag 
es schmerzlich empfinden, dass eine so lebensgefährliche Ver¬ 
letzung unter Umständen nicht als schwere Körperverletzung nach 
deutschem Strafrecht zu bestrafen ist, während das österreichische 
Strafrecht die Begriffe „schwere 8 und „qualifizierte 8 körperliche 
Beschädigung nach der 20-, bezw. 30 tägigen Dauer der Gesund¬ 
heitsstörung oder nach der Schwere, bezw. Lebensgefährlichkeit 
der Verletzung abstuft, so dass jeder Fall einer Herzwunde 
wenigstens unter einen dieser beiden Begriffe fallen muss. 

Lit erat urverz eich nis. 

1. Archiv für klinische Chirurgie; 1869. 

2. Revue de Chirurgie; 1899. 

3. Wiener medizinische Presse; 1900, Nr. 53. 

4. Münchener medizinische Wochenschrift; 1902, Nr. 80. 

5. Ret in Hildebr&nd Jahresb.; 1902. 

6. Archiv für klinische Chirurgie; 1908. 

7. Wiener klinische Wochenschrift; 1899. 

8. Ref. in Münchener medizinische Wochenschrift; 1908, Nr. 17. 

9. Deutsche medizinische Wochenschrift; 1900, Nr. 50. 

10. Veröffentlichungen aus dem Oebiete des Militärwesens; H. 19. 

11. Deutsche Zeitschrift für Chirurgie; 1896. 

12. Ref. in Zentralblatt für Chirurgie; 1902. 

13. Ref. in Vir chow-Hirsch; 1899. 

14. Medical record; 1900 und 1902. 

15. Deutsche Zeitschrift für Chirurgie; 1902. 

16. Wiener medizinische Presse; 1903. 

17. Congr&s de Chirurgie; 1902. 

18. Deutsche Zeitschrift für Chirurgie; 1903. 

19. Ref. in Zentralblatt für Chirurgie; 1903. 

20. Deutsche militärärztliche Zeitschrift; 1904. 

21. Wiener medizinische Wochenschrift; 1904. 

22. Münchener medizinische Wochenschrift; 1904. 


Typhusuntersuchungen des Laboratoriums der Königlichen 

Regierung in Coblenz. 

Von Kreisassistenzarzt Dr. Friedei-Coblenz. 

Am 8. September 1904 begannen die vom Verfasser aus 
gefehlten Arbeiten des neu errichteten Laboratoriums der Regierung 
ia Coblenz, die hauptsächlich aber nicht ausschliesslich aus Typhus- 
Untersuchungen bestanden. 



62 


Dr. Friedei. 


Diese im Laboratorium ausgeführten Arbeiten, die zum Teil 
durch lokale Nachforschungen unterstützt wurden, dienten im all¬ 
gemeinen der Bekämpfung des im hiesigen Regierungsbezirk, be¬ 
sonders in den Kreisen Kreuznach und Meisenheim, häufiger auf¬ 
tretenden Typhus, verfolgten aber im einzelnen verschiedene 
Zwecke. Die Mehrzahl wurde zur Erlangung einer sicheren Dia¬ 
gnose bei Typhusverdacht angestellt; ein Teil erstrebte die Kon¬ 
statierung der bakteriologischen Heilung nach der klinischen Ge¬ 
nesung; ein kleiner Teil endlich wurde zur Auffindung bereits 
gesundeter Personen, deren Erkrankung selbst unbekannt oder 
unerkannt geblieben war, unternommen. 

Im ganzen wurden vom 8. September bis 31. Dezember 1904 
351 Proben verarbeitet, und zwar: 

173 Blutproben auf Widal’sche Reaktion, davon positiv 86; 

110 Stahlproben auf Bazillen, davon positiv 29 — 26 °/o; 

67 Urinproben auf Bazillen, davon positiv 7 = 10 °/ 0 ; 

1 Blutprobe auf Bazillen, positiv. 

Wenn demnach auch unser Material bis jetzt noch nicht 
umfangreich ist, teils weil sich die Benutzung des Laboratoriums 
bei den Aerzten des Bezirks erst allmählich einbürgern muss, 
teils weil in dieser Jahreszeit der Typhus überhaupt abzuebben 
pflegt, so gab es doch zu Beobachtungen Anlass, die von allge¬ 
meinerem Interesse zu sein scheinen und deshalb hier mitgeteilt 
werden sollen. 

Die Widal sehe Reaktion wurde stets mindestens mit 
einem sehr gut beweglichen, leicht agglutinabelen Typhusstamm TE 
und einem ebensolchen Paratyphus B.-Stamm Pt, beide aus dem 
Institut für Infektionskrankheiten, ausgelührt, ausserdem aber auch 
oft noch mit anderen Stämmen, insbesondere, wo es möglich war, 
mit dem von demselben Kranken gezüchteten Stamm. Es wurde 
jedoch TE stets höher agglutiniert, als irgend ein anderer Typhus¬ 
stamm. In der Regel wurde die Agglutination im hängenden 
Tropfen der Serum Verdünnung mit 0,8 °/ 0 Kochsalzlösung, in dem 
eine Spur Agarkultur gleichmässig verrieben war, makroskopisch 
und bei Lupen vergrösserung beobachtet; seltener, wenn die Serum¬ 
menge dazu ausreichte, im Reagenzröhrchen nach der Kolle sehen 
Methode. Ein Unterschied in der Beurteilung des Resultates trat 
da, wo beide Methoden zugleich angewendet wurden, nicht zutage. 
Die verwendete Agarkultur war stets 18stündig; zweckmässig 1 
ist es den Agar nicht schwach alkalisch zu machen, sondern ihn 
genau auf den Lakmusneutralpunkt zu bringen, weil bei diesem 
die Typhusbazillen sich stärker beweglich entwickeln und sich 
daher gleichmässiger verreiben lassen. Jedes Serum wurde genau 
bis zur Grenze austitriert. Annähernd lässt sich der Grenzwert 
schon von dem Verhalten der Bakterien in den Verdünnungen 1:10 
oder 1 : 20 nach einer Minute abschätzen, so dass man nicht in 
jedem Falle die ganze Skala durchzuarbeiten braucht. Eine 
makroskopisch wahrnehmbare Agglutination in der Verdünnung 
1 : 60 und darüber nach höchstens zweistündigem Aufenthalt bei 
37° wurde als positiv angesehen. Weun man sich danach auch 



Typhusuntersuchungen des Laboratoriums der Königl. Regierung in Coblenz. 63 


die Arbeit abkürzen könnte, indem man gleich mit einer ei sten 
Verdünnung von 1 : 60 beginnt, so ist doch die Austitrierung eines 
Serums mit niedrigem Grenzwert, wie etwa 1 : 20, insofern von 
Wert, als dadurch die Möglichkeit gegeben ist, auf ein Ansteigen 
des Titi es nach einigen Tagen, auch wenn der Grenzwert von 
1:60 noch nicht erreicht wird, ein positives Urteil abzugeben. 
So wurde in zwei Fällen, in denen zunächst ein Grenzwert von 
1:10, nach drei Tagen von 1 : 40 ermittelt wurde, die Diagnose 
Typhus abgegeben, die auch gleich darauf durch den Nachweis 
der Bazillen in den Fäces bestätigt wurde. 

Im ganzen wurde 86 mal positiver Ausfall beobachtet; dazu 
kommen die eben erwähnten beiden Fälle mit Titre-Steigerung, 
so dass in 88 Erkrankungsfällen mit mehr oder minder zweifel¬ 
hafter Diagnose ein positives Urteil auf Grund der Serodiagnostik 
abgegeben wurde. Wenn auch bekanntlich positiver Ausfall der 
Reaktion nicht absolut sicher für Typhus spricht, da sie auch 
nach vor längerer Zeit überstandenem Typhus und bei Icterus 
beobachtet werden kann, so wurden doch diese 88 Erkrankungen, 
auch wenn daneben der Bazillennachweis nicht gelang, vom sanitäts¬ 
polizeilichen Standpunkt aus als Typhus angesehen. Diese Diagnose 
wurde in keinem Falle auf Grund der klinischen Beobachtung 
beanstandet. 

Bei diesen 86 positiven Reaktionen waren in der Regel be¬ 
deutende Differenzen in der Agglutinationskraft des Serums gegen¬ 
über Typhus- und Paratyphusbazillen vorhanden; eine Art wurde 
fast immer in der mindestens fünffach höheren Verdünnung als 
die andere agglutiniert, meist sogar in der 10-20 fach höheren 
Verdünnung. Die Annahme, dass in diesen Fällen die höhere 
Agglutination die spezifische, und die niedrigere die Mitaggluti¬ 
nation darstellt, wurde in keinem Falle erschüttert dnrch etwaigen 
Bazillennachweis, oder dnrch den Nachweis der bekannten In¬ 
fektionsquelle oder durch die Berücksichtigung des geographischen 
Verbreitungsbezirkes des Paratyphus, der bisher mit wenigen 
Ausnahmen nur in zwei Kreisen auftrat. Wir konnten demnach 
keinen sicheren Fall beobachten, in dem die spezifische Aggluti¬ 
nation niedriger, als die Mitagglutination war. Allein in 5 Fällen 
wurden Typhus- und Paratyphusbazillen in gleichem oder wenigstens 
nicht sehr verschiedenem Grade agglutiniert. Der Grenzwert war 
hier folgender: 


1. 

Nr. 89 M. S. 

1 :100 T - 

“ j 

1: 200 Pt H 

“ ) 

Paratyphus. 

2. 

„ 122 K. 0. 

1: 160 T - 


1 :100 Pt - 


? 

3. 

„ 163 J. F. 

l : 400 T - 

” } 

1 : 200 Pt - 

- • 

Typhus. 

4. 

„ 164 St. 

1 :120 T - 


1 :120 Pt - 

- * 

Typhus. 

6. 

, 169 F. F. 

1 : 260 T - 

~ 5 

1 : 250 Pt - 

“ 5 

Typhus. 


Die Kranke Nr. 169 war die Mutter der Patientin Nr. 163. 
Die Diagnose konnte bei 4 von diesen Fällen dnrch Bazillennach¬ 
weis bei dem Erkrankten selbst oder bei einem gleichfalls er¬ 
krankten Angehörigen klar gestellt werden; bei Nr. 122 blieb sie 
zweifelhaft. 

Danach scheint die Annahme berechtigt, dass die Sero- 





64 


Dr. Friedei. 


diagnostik in der Regel die Differentialdiagnose zwischen Typhus 
und Paratyphus mit grosser Wahrscheinlichkeit, wenn nicht Sicher¬ 
heit erlaubt, und dass die zweifelhaften Fälle die Ausnahmen 
bilden. Versuche die spezifische Agglutination durch Bindung der 
Agglutinine nach Castellani zu bestimmen, wurden nicht gemacht. 

Die 87 Blutproben mit negativem Widal stammten teils 
von Patienten mit anderen Erkrankungen, teils von den oben er¬ 
wähnten 88 Typhuskranken vor dem Auftreten der Agglutinine 
im Blut, einige auch von gesunden Personen ans der Umgebung 
eines Kranken; endlich lieferte 6 dieser Proben ein Typhusfall, 
der durch Fäzesbefund als solcher erwiesen wurde. Er betraf 
einen 33 jährigen Schiffer J. K. in St. Goar, dessen Krankheit 
einen klinisch sehr schweren Verlauf nahm, aber in Genesung 
endete. Sein Serum wurde in etwa 10 tägigen Zwischenräumen 
3 mal während der vierwöchigen Krankheit und 3 mal während 
der Rekonvalescenz, zum letzten Male am 65. Tage nach Beginn 
der Erkrankung untersucht und zwar auf den Stamm TE, den 
Paratyphusstamm Pt, seinen eigenen aus den Fäces gezüchteten, 
durch unser Testserum hoch agglutinabelen Stamm Tk und einen 
frisch aus Venenblut gezüchteten gleichfalls gut agglutinabeln 
Stamm TS. 


1 . 

2 . 

3. 

4. 

5. 

6 . 


Die Resultate waren in chronologischer Reihenfolge: 


1:20 TE+; 1:80 TB—; 
1 : 20 TE--; 1 : 30 TE —; 
1:30 TE--; 1:40 TE —; 
1 : 80 TE--; 1 : 40 TE —; 
1 : 26 Pt —. 

1 :40 TE+; 1 : 60 TE -; 
1 : 20 Pt -. 

1:20 TE-f; 1:30 TE —; 


1:10 Pt—; 
1 : 10 Pt - ; 
1 : 10 Pt 
1 : 20 TK +; 


1 : 30 TK - 


1 : 20 TS +; 1 : 30 TS — 


20 TK +; 1 : 30 TK — 
10 TK+; 1 :20 TK- 


1 : 10 Pt —|— 
1 : 10 Pt + 
1 : 10 Pt — 


Es war demnach hier nur eine ganz geringe Steigerung des 
Titres aufgetreten, die in der dritten Woche der Rekonvalescenz 
ihren Höhepunkt erreichte, aber unter dem Grenzwert 1 : 60 TE 
blieb. Einen weiteren Fall von negativem Widal bei sicherem 
Typhus haben wir nicht beobachtet. 

Zur Züchtung der Bazillen aus Stuhl und Urin 
wurde allein der Lakmnsmilchzuckeragar benutzt. Von mir im 
Januar und Februar 1904 im Institut für Infektionskrankheiten 
angestellte Versuche mit dem Koffein verfahren nach Hoffmann- 
Ficker und mit der Malachitgrün-Methode nach Len tz hatten 
mich nicht ermutigt, diese Methode hier anzuwenden. Es gelang 
mir zwar mit dem Koffeinverfahren einige Male der Bazillen- 
Nachweis, wo der allein benutzte v. Drigalski-Conradische 
Nährboden ihn nicht gestattete, doch hatte ich dabei nicht den 
Eindruck einer wirklichen Anreicherung der Typhusbazillen. Ander¬ 
seits erfordert die Koffein • Methode eine so grosse Mehrarbeit, dass 
sie in einem Laboratorium, das in erster Linie rein praktischen 
Zwecken dient, in ihrer jetzigen Form kaum anwendbar ist. Be¬ 
sonders störend wird dabei der Umstand empfunden, dass die An- 
reicherungskolben 13 Stunden bei 37° gehalten werden müssen. 






Typhusuntersuchungen de« Laboratoriums der Königl. Regierung in Coblenz. 66 

Das Malachitgrünverfahren ermöglicht zwar nach meinen Ver¬ 
suchen eine sehr bedeutende Anreicherung der Paratyphusbazillen 
gegenüber dem Bact. coli, sie gelang mir jedoch nicht in gleicher 
Weise mit Typhusbazillen. 

Die Identifizierung der Keime erfolgte durch Agglutination 
mit einem hochwertigen Serum vom Titre 1 : 5000—8000. £ine 
Spur der fraglichen Kolonie wurde zuerst auf einer Glasplatte 
mit einem Tröpfchen Kochsalzlösung verrieben, dann ein etwa 
gleich grosses Tröpfchen Serum in der Verdünnung 1 : 200 zuge- 
setzt, und die Agglutination also in der Verdünnung 1 :400 
makroskopisch beobachtet. Trat innerhalb einer Minute keine 
Agglutination ein, so wurde auch eine Verreibung in einer Serum- 
verdünnung von 1 : 100 ausgeführt; sie fiel jedoch dann gleichfalls 
stets negativ aus. Einige Male wurden trotz des negativen Aus¬ 
falles Kolonien wegen ihres verdächtigen Aussehens abgestochen 
und in Reinkultur gezüchtet, gaben aber auch dann keine Aggluti¬ 
nation. Wir konnten demnach eine Beobachtung, wie sie u. a. 
Kühn (Frühdiagnose des A. Typhus, Jena 1904, St. 118) erwähnt, 
dass frisch aus dem Körper gezüchtete Bazillen mitunter nicht 
agglutinabel sind, es aber nach Ueberimpfen auf künstlichen Nähr¬ 
boden rasch werden, nicht machen. Durch die vor dem Sernm- 
zusatz vorgenommene Verreibung in Kochsalzlösung vermeidet man 
einen Irrtum, der bei der Verreibung in Serumverdünnung da¬ 
durch möglich ist, dass mitunter typhusähnliche Kolonien schwer 
verreibbar sind, und so leicht Agglutination Vortäuschen können. 
Die agglutinabelen Kolonien wurden in Reinkultur gezüchtet und 
auf Milch, Neutralrotzuckeragar und Lakmusmolke verimpft, 
ausserdem nach K olle scher Methode mit unserem Testserum aus¬ 
titriert. Es ist unter unseren 86 positiven Befunden nicht vor¬ 
gekommen, dass eine in oben angegebener Weise durch Aggluti¬ 
nation bestimmte Art sich nachträglich durch ihr Verhalten in 
diesen Nährböden nicht als Typhus- resp. Paratyphusbazillen her¬ 
ausgestellt hätte. Es wurde auch stets die Diagnose auf diesen 
Agglutinationsbefund hin abgegeben. Ein dadurch vielleicht doch 
einmal möglicher, aber bisher nicht beobachteter Fehler fällt 
gegenüber dem in allen Fällen resultierenden Zeitgewinn nicht 
ins Gewicht. 

Auf diese Weise wurde 86 mal der Bazillen - Nachweis er¬ 
bracht, und zwar 29 mal in 110 Stuhl- und 7 mal in 67 Urinproben. 

Zu diagnostischen Zwecken eignet sich die Stuhlunter¬ 
suchung leider erheblich weniger, als die Serodiagnostik, wegen 
der vielen negativen Resultate, wenn sie auch den Vorzug hat, 
dass man unter Umständen die Erreger sehr früh nachweisen 
kann. Wir konnten nur fünfmal eine positive Diagnose auf Grund 
des Bazillennachweises allein stellen, so dass demnach mit den 
88 durch Sero - Diagnostik festgestellten Fällen im ganzen bei 98 
Typhuserkrankungen die Diagnose von seiten des Laboratoriums 
gesichert warde. 1 ) 

*) Darunter 20 durch Bac. Paratyphus B erregte Erkrankungen, mit 
einem durch Serumdiagnostik und F&cesbeiund gesicherten Todeslail. 



66 


Dr. Friedei. 


Eine sehr grosse, bis jetzt noch nicht allgemein anerkannte 
Bedeutung besitzt dagegen die Stuhluntersuchung zur Konstatierung 
der bakteriologischen Heilung nach der klinischen Genesung. 

Während bei der grossen Mehrzahl der Rekonvaleszenten die 
Ausscheidung der Erreger mit dem Stuhl nach einigen Wochen 
von selbst aufhört, hält sie bei einem geringen Prozentsatz, den 
abzuschätzen unser Material noch nicht erlaubt, auf lange Zeit 
hinaus dauernd an. Die Ermittelung dieser „chronischen 
Typhusträger“, die unerkannt eine grosse Gefahr für ihre 
Umgebung bedeuten, ist nur möglich durch eine systematische 
Stuhluntersuchung, die in Zeitabschnitten von 8 Tagen so lange 
nach der Genesung fortzusetzen ist, bis dreimal nacheinander ein 
negatives Resultat erhalten wird. Bei den so ermittelten Typhus¬ 
trägern genügt dann sehr bald eine monatlich zu wiederholende 
Untersuchung. Das Vorkommen dieser Typhusträger allein schon 
nötigt zur Errichtung von Untersuchungsämtem iu grösserer Zahl, 
in denen kostenlos alle Rekonvaleszentenstühle bis zur bakterio¬ 
logischen Heilung untersucht werden können. 

Die Untersuchung des Urins, in dem ja ebenfalls die Er¬ 
reger auf lange Zeit ausgeschieden werden können, hat nicht die 
Bedeutung der Stuhluntersuchung, weil wir in dem Urotropin bei 
zweckmässiger Anwendung ein sehr wirksames Mittel zur Urindes¬ 
infektion besitzen. Es wurde daher den Aerzten unseres Regierungs¬ 
bezirkes dringend empfohlen, jeden Rekonvaleszenten mit Urotropin 
in der Weise zu behandeln, dass man etwa 8 Tage nach der Ent¬ 
fieberung an drei aufeinander folgenden Tagen 2—8 g pro die 
Urotropin oder das billigere Hexamethylentetramin, einfachen 
„Urotropinersatz“, gibt und nach 8 Tagen die gleiche Medikation 
wiederholt. In dieser Weise wurden auch unsere 7 Fälle mit 
Bakteriurie behandelt; bei 6 verschwanden die Bazillen bereits 
nach der ersten Urotropinbebandlung, bei einem erst nach der 
zweiten dauernd. Werden in dieser Weise alle Rekonvaleszenten 
mit Urotropiu behandelt, so kann wohl von der Urinuntersuchung 
Abstand genommen werden. Sie ist jedoch noch in Anwendung 
zu ziehen bei Personen aus der Umgebung eines Kranken, deren 
etwaige Erkrankung unbekannt oder unerkannt geblieben ist, 
und ferner bei Nachforschungen iu sogen. „Typhushäusern“. 

Anders verhält es sich jedoch mit der Ausscheidung der 
Bazillen im Stuhl, da wir bis jetzt kein Mittel zur Darmdesin¬ 
fektion kennen. Es bleibt uns daher nur der Weg offen, die 
Bazillenträger zu ermitteln und gegen die Weiter Verbreitung der 
Krankheit von diesen aus durch geeignete, gleich zu besprechende 
Massregeln anzukämpfen. Wenn uns bis jetzt diese Kontrolle der 
Rekonvaleszenten noch nicht in jedem Falle möglich war, so 
werden wir doch bestrebt sein, in Zukunft diesem Ziele näher zu 
kommen. 

Die Stuhluntersuchungen werden dadurch sehr erleichtert, 
dass die Rekonvaleszentenstühle nach einigen Wochen entweder 
gänzlich frei von Typhuskeimen werden, oder aber diese in solchen 
Mengen enthalten, dass sie nicht leicht übersehen werden, 



Typhusuntersuchungen des Laboratoriams der KönigL Regierang in Coblenz. 67 


wenigstens nach unseren Erfahrungen. Oft wuchsen aus den 
Stühlen der Typhusträger mehr Typhus- als Koli-Kolonien auf der 
Lakmusmilchzuckeragar- Platte aus, oft war nahezu eine Rein¬ 
kultur von Typhusbazilleu resp. Paratyphusbazillen vorhanden. Es 
hat in diesen Fällen den Anschein, als ob die Kolibakterien aus 
dem Darm verdrängt werden und die Typhusbazillen vikariierend 
auf treten. 


Von solchen Typhusträgern mit überstandenem Typhus haben 
wir bis jetzt 7 Personen unter dauernder Kontrolle; 4 davon 
wurden von Dr. Lentz-Idar, der bis zur Eröffnung unserer 
Untersuchungsstelle Typhusuntersuchungen im Kreise Kreuznach 
und Meisenheim ansführte, 8 wurden von uns ermittelt. Es sind 
die folgenden Fälle: 


1. 

2 . 
8 . 

4. 

5. 

6 . 
7. 


Fri. V. in K., 54j., erkrankt im August 1903 an Typhös; 


Frau K. in S., 52 j., 
Frau W. in W., 54j., 
Frau B. in M., 28 j., 
Frau M. in D., 27 j., 
Frau R. in C., 51 j., 
Wilh. Z. in S., 2‘/*j., 


November 1903 an Typhus; 
Dezember 1903 „ „ 

Dezember 1903 „ „ 

Juli 1901 an Paratyphus; 
August 1904 an Typhus; 
Oktober 1904 an Paratyphus. 


Nr. 5 wurde dadurch ermittelt, dass ein Knecht in demselben 
Hause im Dezember 1904 an Paratyphus, und Nr. 6 dadurch, dass 
ihre Tochter ebenso im Dezember 1904 an Typhus erkrankte. 1 ) 

Zu diesen Typhusträgern nach überstandenem Typhus kommt 
noch ein weiterer gleichfalls von Dr. Lentz-Idar ermittelter Fall 
hinzu, in dem der Typhusträger, ein 14 j. Mädchen E. K. in S., 
das nicht nachweislich selbst erkrankt war, dessen Angehörige 
aber im Oktober und November 1903 an Typhus erkrankt waren, 
und das seit dem November 1903 ebenfalls dauernd Typhusbazillen 
ausscheidet. 

Bei den genannten Personen war die Ausscheidung der 
Bazillen stets eine sehr reichliche und konnte in jeder Stuhlprobe 
nachgewiesen werden. Wie lange sie noch andauern mag, ent¬ 
zieht sich jeder Vermutung; eine Abnahme der Keime ist jeden¬ 
falls auch bei denen, deren Erkrankung am weitesten zurückliegt, 
(bis jetzt, Ende Dezember 1904) nicht nachweisbar. 

Auch die Ursache dieser Dauerbesiedelung des Darmes mit 
Typhuskeimen lässt sich zurzeit nicht angeben. Auffällig ist das 
starke Ueberwiegen des weiblichen Geschlechtes (8) unter unseren 
Typhusträgern. Möglich wäre es, dass in diesen Fällen die Ur¬ 
sache eine von Zeit zu Zeit wiederkehrende Neuaufnahme von 
Keimen sein könnte, wobei die Infektionsquelle ausserhalb liegen, 
oder aber eine Autoreinfektion stattfinden könnte, etwa wie bei 
der Helminthiasis der Kinder; doch erscheint diese Erklärung 
nicht sehr wahrscheinlich, weil in diesem Falle Erkrankungen in 
der Umgebung häufiger sein müssten. Eher scheint es mir denk¬ 
bar, dass die Bakterien sich hier im Processus vermiformis oder 
in der Gallenblase angesiedelt haben, und von da aus den Darm 


*) Während des Druckes ein weiterer Fall Nr. 8: Frl. H. in C., 18j., 
erkrankte im Angust 1904 an Paratyphus; wurde dadurch ermittelt, daß im 
Januar d. J. eine Freundin an Paratyphus erkrankte. 



68 


Dr Focke. 


überschwemmen. Für eine solche Erklärung spricht der Umstand, 
dass in letzter Zeit öfter Typhusbazillen nach Jahre lang vor* 
ausgegangenem Typhus in der Gallenblase nachgewiesen wurden. 
Doch sind das nur Vermutungen, deren Bestätigung nur durch 
die Sektion eines Bazillenträgers erbracht werden könnte. 

Jedenfalls sind diese Beobachtungen geeignet, Licht auf 
manches Dunkel in der Aetiologie des Typhus zu werfen. 

Um die Weiterverbreitung der Keime durch Typhusträger 
nach Möglichkeit einzuschränken, hat der Herr Regierungspräsident 
die in der Beilage zur heutigen Nummer (s. S. 15) abgedruckten 
Rund Verfügung nebst Anweisung für die von den Eireisärzten zu 
treffenden Massnahmen und einer allgemeinverständlichen „Be¬ 
lehrung“ erlassen. Den Anordnungen liegt das Bestreben zu¬ 
grunde, die Beschränkungen auf ein möglichst geringes Maass 
herabzudrücken und den Betroffenen die erwachsenden Kosten 
möglichst abzunehmen. 


Ueber bleihaltige Abziehbilder. 

Von Dr. Fooke • Düsseldorf. 

Im letzten Jahre sah ich bei einem 6 jährigen Mädchen nach 
einer akuten hochfleberhaften Gastroenteritis eine Albuminurie 
(ohne Zylinder), die sich nicht in der gewöhnlichen Weise bald 
und dauernd zum Verschwinden bringen liess, sondern 5 Monate 
hindurch unter gleichzeitiger Beeinträchtigung des Allgemein¬ 
befindens immer zeitweise wiederkehrte. Die Albuminurie war 
keine habituelle, weil sie weder hereditär, noch bei früheren Er¬ 
krankungen des Kindes beobachtet worden war; ebenso gehörte 
sie nicht zu den als fanktionell beschriebenen Formen, die auf 
Zirkulationsschwäche zurückgeführt werden; schliesslich waren 
auch die zu einer anatomischen Läsion resp. Ernährungsstörung 
der Nieren führenden Ursachen (Alkohol, Tuberkulose, Abszess) 
auszuschliessen. Von toxischen Substanzen, an die gedacht werden 
konnte, lag ja Blei am nächsten. Obgleich zwei Geschwister der 
Patientin (ein grösseres und ein kleineres Kind) die meisten 
Gegenstände mit ihr gemeinsam benutzten ohne nachteilige Folgen, 
wurde alles Mögliche untersucht mit negativem Resultat. Auch 
ein Bleisaum am Zahnfleisch war nicht bemerkt worden; trotzdem 
blieb die Möglichkeit bestehen, dass in der Rekonvaleszenz die 
nach dem typhoiden Fieber empfindlichen Nieren geschädigt worden 
waren durch eine Bleieinwirkung, die so gering war, dass sie 
eben keine stärkeren Zeichen hinterliess. Da wurde ich durch 
eine Bemerkung von Schlegel-Nürnberg 1 ) darauf aufmerksam 
gemacht, dass in den zur Verzierung von Emaillegeschirren be¬ 
nutzten Abziehbildern manchmal Blei enthalten sei. Es stellte 
sich dann heraus, dass das Kind in den ersten drei Wochen nach 
der Entfieberung fast täglich und meist stundenlang mit Abzieh¬ 
bildern gespielt hatte. 


*) Blätter für Volksgesundheitspflege; 1904, H. 8, S. 37. 



üeber bleihaltige Abziehbilder. 


60 


Um non za erfahren, ob die hier zam Spielen ge¬ 
brauchten Abziehbilder anch Blei enthielten, entnahm 
ich vier hiesigen grossen Geschäften, in denen die damals von 
dem Kinde benetzten Bilder ebenfalls gekauft waren, 20 ver¬ 
schiedene solcher Bilderbogen and untersuchte sie mit Hilfe von 
Herrn Apotheker Feuth, hier. Die Bl&tter wurden einen Augen¬ 
blick in Wasser geweicht und dann einige Sekunden lang einem 
Strom von Schwefelwasserstoffgas ausgesetzt. Dabei zeigten 15 
Proben nichts Bemerkenswertes; aber 5 Proben änderten sofort 
ihr Aussehen. Bei einer bräunte sich gleichmässig das ganze 
Papier, auch der freie Baum zwischen den Figuren. Bei zweien 
bräunten sich nur die Figuren, diese aber sehr stark; bei zwei 
weiteren Proben trat die Braunfärbung der Figuren schwächer 
auf. In allen 5 Fällen war die Bräunung jedenfalls die Folge 
der Bildung von Schwefelblei. Die Reaktion mit Jodkalilösung, 
bei der gelbes Jodblei entsteht, konnte natürlich nur auf dem 
farblosen Papier beweiskräftig erwartet werden und trat bei der 
ersterwähnten Probe tatsächlich schnell und stark ein. Somit 
war etwa ein Viertel aller Bogen bleihaltig! Um ganz 
sicher zu sein, übergab ich Teile derjenigen Bogen, die am 
stärkten reagiert hatten, noch dem Stadtchemiker Herrn Dr. Loock 
hier, der mir darauf mitteilte, dass er den Bleigehalt als „sehr 
erheblich* bezeichnen müsse. 

Wenn nun auch ein Bleisaum bei dem Kinde gefehlt hatte, 
so ist dies bei der Geringfügigkeit der wahrscheinlichen Metall¬ 
aufnahme begreiflich. Die Urinuntersuchung auf Blei hätte an¬ 
fangs vermutlich ein positives Resultat ergeben; jetzt wurde sie 
unterlassen, weil dafür schon zu lange Zeit nach dem Gebrauche 
der Bilder verstrichen und das Kind bereits völlig hergestellt war. 
Dennoch wird der Zusammenhang zwischen dem Bleigehalt der 
Bilder und der lange dauernden Nierenreizung höchst wahrschein¬ 
lich, wenn man z. B. liest, was schon Bartels 1 ) und Kobert*) 
über den Einfluss einer wiederholten geringen Bleiaufnahme auf 
die Nieren geschrieben haben. Es wäre hiernach doch sehr zu 
wünschen, dass jenes beliebte Kinderspielzeng nicht mehr die Ge¬ 
legenheit zur heimtückischen Nierenschädigung bei kranken oder 
gesunden Kindern bieten möchte! 

Die Angabe, dass zur Fabrikation von Abziehbildern auch 
Bleiweiss gebraucht wird, fand ich nachträglich bei Flügge. 8 ) 
Wenn nun die Fabrikanten etwa den Einwand erheben sollten, 
dass das Bleiweiss hier durch keine andere Deckfarbe ersetzt 
werden könne, so dürfte derselbe bei der heutigen Farbentechnik 
doch kaum noch gelten und keinesfalls den Ausschlag geben. 
Ebenso wenig könnte der Einwand anerkannt werden, dass die 
auf Bilderbogen benutzten Bleifarben wegen ihrer Unlöslichkeit 
in Wasser für das Kind nicht gefährlich seien. Denn auch die 


*) Diffuse Krankheiten der Nieren; Ziemssens Handbach der spez. 
Pathologie; Bd. IX, 1877, S. 375. 

*) Lehrbuch der Intoxikationen; 1893, S. 405. 

*) Grundriss der Hygiene; 1894, S. 457. 



70 Die zweite Beratung des preuß. Abgeordnetenhauses über den Entwurf 

sonstigen gewerblichen Bleivergiftungen entstehen ja gerade durch 
wasserunlösliche Präparate, die in geringsten Mengen an den 
Fingern znm Munde gebracht und im Magendarmkanal dann ge¬ 
löst und resorbiert werden. Während aber der in einem gewerb¬ 
lichen Betriebe gefährdete Erwachsene durch Belehrung und Vor¬ 
schriften dazn angehalten werden kann, diesen Weg auszuschalten, 
ist es bei spielenden Kindern unmöglich zu verhindern, dass sie 
die von den nassen, „erheblich“ bleihaltigen Abziehbildern klebe- 
rigen Finger gelegentlich zum Munde führen! 

Selbst wenn nun eine Schädigung durch solche bleihaltigen 
Bilder mit Sicherheit noch nicht nachgewiesen sein sollte, so kann 
sie doch schon in zahllosen Fällen vorgekommen sein; dem wei¬ 
teren Vorkommen müsste daher vorgebeugt werden. Man sollte 
annehmen, dass zur Vorbeugung eine Handhabe gegeben sei in 
dem Reichsgesetz, betreffend die Verwendung gesundheitsschäd¬ 
licher Farben usw. vom 5. Juli 1887; denn dessen § 4 sagt: 
„zur Herstellung von zum Verkauf bestimmten Spiel waren (ein¬ 
schliesslich der Bilderbogen, Bilderbücher und Tuschfarben für 
Kinder).... dürfen die im § 1, Abs. 2 bezeichneten Farben“ — 
d. h. auch solche, die Blei enthalten — „nicht verwendet werden.“ 
Ich muss aber befürchten, dass das Gesetz in dem hier vor¬ 
liegenden Falle versagen dürfte, weil es leider nur von „Farben“ 
redet, während das hier verwendete Blei wahrscheinlich 
oft nur in dem leimähnlichen Ueberzuge enthalten ist. 
Sicherlich trifft letzteres bei denjenigen Bogen zu, deren bildfreies 
Papier die Bleireaktion ergeben hatte. Falls nun das Blei im 
allgemeinen nicht in den Farben selbst enthalten ist — eine 
Frage, deren Klärung wohl am besten von Seiten des Kaiserlichen 
Gesundheitsamtes veranlasst würde —, so ist auf ein Vorgehen 
nach dem obigen Paragraphen eine Verurteilung der betreffenden 
Fabrikanten nicht zu erwarten. Es enthielte also das Gesetz 
eine Lücke, deren Ausfüllung man sehr wünschen muss; denn für 
die Kinder, die die Bilderbogen gebrauchen, macht es keinen 
Unterschied, ob das Blei in den Farben oder im Ueberzuge sitzt; 
die Bilderbogen sollten überhaupt kein Blei enthalten dürfen. 

Es würde mich freuen, wenn das Vorstehende an anderen 
Orten zu Nachprüfungen Anlass gäbe. 


Die zweite Beratung des preussischen Abgeordnetenhauses 
über den Entwurf eines Gesetzes, betr. die Bekämpfung 
übertragbarer Krankheiten. 

Vom Herausgeber. 

Wie nach dem bisherigen Verlauf der Kommissionsberatungen 
leider zu erwarten stand, hat die am 18. und 19. Januar d. J. 
stattgehabte zweite Beratung des vorstehenden Gesetzentwurfes 
noch nicht zu einem die endgültige Verabschiedung des Gesetzes 
sichernden Ergebnis geführt. Der strittige Punkt ist nach wie 



eines Gesetzes, betr. die BekBmpfang übertragbarer Krankheiten. 71 

vor die Kostenfrage in bezug auf die schon während der 
seuchenfreien Zeit erforderlichen Einrichtungen (§§ 27—29) 
geblieben, während alle übrigen von der Kommission vorgeschlagenen 
Aenderungen 1 ) angenommen sind und die Staatsregierang auch 
hinsichtlich der Kostenfrage insofern dem Abgeordnetenhause ent¬ 
gegengekommen ist, als sie der von der Kommission vorgeschlagenen 
Fassung des § 25 zugestimmt und sich damit bereit erklärt hat, 
alle dorch die amtsärztliche Ermittelung einer anstecken¬ 
den Krankheit entstehenden Kosten, also auch bei den ersten, 
nicht von Aerzten behandelten Fällen von Diphtherie, Scharlach 
und Körnerkrankheit zu übernehmen. Dass dies voraussichtlich 
der Fall sein würde, hatten wir bereits bei Besprechung der 
Kommissionsberatungen *) angenommen; aber trotz dieses Ent¬ 
gegenkommens hat das Abgeordnetenhaus mit Rücksicht auf die 
weniger leistungsfähigen Gemeinden und Gutsbezirke noch an der 
Forderung einer weiteren Beteiligung des Staates bei Tragung 
der Kosten für notwendige sanitäre Einrichtungen festgehalten, 
obgleich der Kultus- und Finanzminister erklärten, dass das Gesetz 
durch eine solche Forderung für die Staatsregierung unannehmbar 
würde und der Herr Kultusminister wiederholt versicherte, dass 
das Gesetz für die Gemeinden gegenüber dem bestehenden Zu¬ 
stande eine wesentliche Erleichterung bedeute, die Befürchtung 
einer Mehrbelastung wegen zu hoher Anforderungen seitens der 
Medizinalverwaltung, insbesondere seitens übereifriger Kreisärzte 
inbezug auf die Beschaffung sanitärer Einrichtungen völlig un¬ 
berechtigt sei und etwaige, jedenfalls nur ausnahmsweise vor¬ 
kommenden Härten durch Beihülfen aus einem der Zentralinstanz 
zur Verfügung stehenden Fonds künftighin um so eher vermieden 
werden könne, als sich der Herr Finanzminister bereit erklärt 
habe, diesen Dispositionsfonds angemessen zu erhöhen. Aus dieser 
Erklärung geht auch hervor, dass der Herr Finanzminister die 
von der Kommission vorgeschlagene und von dem Abgeordneten¬ 
hause angenommene Resolution, in den Haushaltsplan der Medi¬ 
zinalverwaltung einen Betrag von 500000 Mark, aus dem leistungs¬ 
unfähigen Gemeinden Beihülfen zu den Kosten sanitärer Einrich¬ 
tungen gewährt werden können, einzustellen, nicht ablehnend 
gegenübersteht, sondern ihr stattgeben dürfte, falls das Gesetz in 
der dritten Lesung schliesslich zustande kommt. Ebenso wie die 
Staatsregierung wünschen alle politischen Parteien des Abgeord¬ 
netenhauses die Verabschiedung des Gesetzes, abgesehen von den 
§§ 27—29 sind auch alle anderen Bestimmungen entweder ein¬ 
stimmig oder mit grosser Mehrheit angenommen; unter diesen 
Umständen sollte man doch annehmen, dass über jene Paragraphen 
noch eine Einigung erzielt und ein Weg zur Annahme des Gesetzes 
gefunden werden könnte. Nach dem Verlauf der zweiten Beratung 
und insbesondere der Verhandlungen über die strittigen Bestim¬ 
mungen ist diese Möglichkeit auch noch nicht aufgegeben, obwohl 
jene bei der zweiten Beratung eine Fassung erhalten haben, die 


') Siehe Nr. 24 dieser Zeitschrift, Jahrg. 1004, Seite 846 und folgd. 



72 Die zweite Beratung des preuß. Abgeordnetenhauses Uber den Entwurf 


für die St&atsregierang zweifellos an&nnelimbar ist; aber im Ab* 
geordnetenh&use selbst herrschte noch eine so grosse Meinungs- 
verschiedenheit, Unklarheit and Unschlttssigkeit über die betreffen* 
den Paragraphen, dass bei der dritten Lesung sicherlich auf eine 
andere Beschlussfassung zu rechnen ist. Von verschiedenen Seiten 
wurde auch ausdrücklich die endgültige Stellungnahme biB zur 
dritten Lesung Vorbehalten; ausserdem wurde noch eine genaue 
Abgrenzung der landespolizeilichen und ortspolizei¬ 
lichen Kosten im Gesetz selbst, sowie volle Klarheit über die 
finanzielle Tragweite des Gesetzes für die Gemeinden 
verlangt. 

Es werden also jetzt voraussichtlich noch Verhandlungen 
zwischen Vertretern der Staatsregierung und der einzelnen Par¬ 
teien des Abgeordnetenhauses stattfinden, die hoffentlich zu einer 
Einigung führen. Sollte dieses nicht der Fall sein, dann werden 
wahrscheinlich die §§ 27—27 des Gesetzentwurfs überhaupt ge¬ 
strichen werden und es bei dem bisherigen Zustande in bezug 
auf die Beschaffung sanitärer Einrichtungen bleiben, wie solches 
vom Ministertische wiederholt vorgeschlagen ist. Im öffentlichen 
Interesse würde dies allerdings zu bedauern sein; aber immerhin 
ist es doch besser, das Gesetz wird ohne jene Bestimmungen an¬ 
genommen, als dass es wieder nicht zur Verabschiedung gelangt; 
denn seine übrigen Vorschriften sind für die Bekämpfung der 
Volksseuche von weit grösserer Bedeutung und bedeuten einen 
ausserordentlichen Fortschritt auf diesem Gebiete. 

Betreffs der Einzelheiten der Verhandlungen wird auf den 
nachstehenden Bericht verwiesen; hervorgehoben zu werden ver¬ 
dient nur noch, dass jetzt konsequenter Weise hinsichtlich der 
Frist zur Anzeige nicht nur im § 1 Abs. 2, sondern auch im § 1 
Abs. 1 und § 2, Abs. 3 statt des Wortes „ unverzüglich * 
die Fassung innerhalb 24 Stunden nach erlangter 
Kenntnis“ gewählt ist, wie wir dies s. Z. auch vorgeschlagen 
haben. Ein Antrag, die bei Erkrankung an vorgeschrittener 
Lungen- und Kehlkopftuberkulose vorgeschriebene An¬ 
zeige (§ 1, Abs. 3) fallen zu lassen, wurde ebenso abgelehnt, wie 
ein Antrag, die im § 2, Abs. 3 vorgesehene Anzeigepflicht 
bei Geschlechtskrankheiten aktiver Militärpersonen (Unter¬ 
offiziere und Mannschaften) zu streichen. Dasselbe gilt betreffs 
eines Antrages, durch den entsprechend der Regierungsvorlage 
auch die fahrlässige Unterlassung der Anzeige durch Streichung 
des von der Kommission hinzugefügten Wortes „wissentlich“ in 
§31 Nr. 1 wieder unter Strafe gestellt werden sollte. 

Der Berichterstatter, Abg. Sch medd ing (Zentr.), erörtert kurz die 
Gründe, die im vorigen Jahre die nochmalige Zurückverweisung des Gesetz¬ 
entwurfs in die Kommission veranlaßt haben. Die damals von verschiedenen 
Seiten gewünschte Teilung der Gesetzes ist von der Kommission abgelehnt, der 
frühere Beschluß, daß der Staat alle Kosten der ärztlichen Feststellung an¬ 
steckender Krankheiten tragen solle, aufrecht erhalten und bei Fassung der 
>?§ 27—29 betreffs Beschaffung sanitärer Einrichtungen in der seuchenfreien 
Zeit den Wünschen des Abgeordnetenhauses Rechnung getragen. 

Abg. Dr. Martens (nl.) führt aus, daß der Gesetzentwurf gegen- 



eines Gesetzes, betr. die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten. 73 


über dem jetzt bestehenden Zustande auf dem Gebiete der Gesundheits- 
polizei einen ganz erheblichen Fortschritt bedeute. Oie große Angst, die in 
manchen Kreisen vor den beamteten Aerzten herrsche, sei durchaus unbe¬ 
gründet. Die durch das Gesetz entstehenden Kosten würden außerordentlich 
überschätzt; sie seien meist geringer als beim Fleischbeschaugesetz, dagegen 
würden die Erfolge des Seuchengesetzes für die öffentliche Gesundheit weit 
größere sein als die des Fieischbeschaugesetzes. Redner steht deshalb ebenso 
wie seine Fraktion dem Gesetzentwurf durchaus wohlwollend gegenüber. 

Abg. v. Kölichen (kons.) bedauert, daß eine Teilung des Gesetzentwürfe 
in ein Ausführungsgesetz zum Reichseuchengesetz und ein Gesetz zur Bekäm¬ 
pfung gemeingefährlicher Krankheiten nicht stattgefunden habe. Gleichwohl 
werde seine Partei für das Zustandekommen des Gesetzes eintreten. Allerdings 
werde dieses wesentlich von der Regelung der Kostenfrage bei den §§ 26—29 
abhängen; die Gemeinden dürften nicht noch mehr belastet werden. 

Abg. Wellstein (Zentr.) erkennt an, daß das Gesetz einen Fortschritt 
gegenüber dem bisherigen Zustand bedeutet; er ist deshalb ebenso wie seine 
Fraktion durchaus bereit, nach Möglichkeit für dessen Verabschiedung mitzu¬ 
wirken, allerdings unter der Voraussetzung, daß die bestehenden Rechte der 
Gemeinden aufrecht erhalten werden. Es herrsche eine große Angst nicht 
sowohl vor den beamteten Aerzten, als vielmehr vor der Tätigkeit der Re¬ 
gierung. Das ganze Gesetz sei ein Polizeigesetz; deshalb müsse es mit sehr 
großer Vorsicht und unter Forderung ausreichender Garantien behandelt werden. 

Abg. Münsterberg (fr. Vgg.) erklärt, daß seine Partei ebenfalls 
Wert auf das Zustandekommen des Gesetzes lege und eine Verständigung er¬ 
hoffe, da es sich um ein Wohlfartsgesetz handle. Die größeren Städte hätten 
schon seit Jahren auf energischste Weise aus eigenem Antriebe und auf eigene 
Kosten Maßnahmen zur Verbesserung der hygienischen Verhältnisse getroffen; 
mit diesem Gesetz werde hoffentlich ein Gleiches auch für das Land erstrebt 
und erreicht werden. 

Abg. Gamp (freikons.) betont, daß auf diesem Gebiete Preußen noch 
nicht in Deutschland vorangegangen, sondern noch erheblich im Rück¬ 
stand sei; seine Partei sei daher bereit, alle Maßnahmen zur Verbesserung 
zu bewilligen. Es handele sich hauptsächlich um die Kostenfrage; der 
Staat sei der leistungsfähigste Faktor, deshalb sei es unberechtigt, auf die 
weniger leistungsfähigen Schultern der Gemeinden neue Lasten zu legen, 
denn diese seien schon vielfach bis zur Grenze ihrer Leistungsfähigkeit für 
allgemeine Zwecke in Anspruch geuommen. Es müsse deshalb genau ge¬ 
prüft werden, ob man die durch das Gesetz erwachsenden Lasten den Ge¬ 
meinden noch auferlegen könne. Ferner müsse das Gesetz klare, einwands¬ 
freie Bestimmungen haben, zu deren richtige Auslegung man nicht erst den 
Prozeßweg zu beschreiten brauche. Da die Regierung dasselbe Interesse an 
der Verbesserung der gesundheitlichen Verhältnisse wie das Abgeordnetenhaus 
habe und das Gesetz für unbedingt nötig halte, so werde auch eine Verständigung 
erzielt werden können; denn daß das Gesetz unter allen Umständen zustande 
kommen müsse, darüber seien alle einig. Redner hofft, daß die Staatsregierung 
in finanzieller Hinsicht noch mehr entgegenkomme, zumal das Gesetz viel 
wichtiger sei als andere, bei deren Durchführung der Staat erheblich größere 
Opfer bringe. 

Abg. Gyßling (frs. Volksp.) führt aus, daß seine Partei schon eine 
Reihe von Wünschen zurückgesteilt habe, um das Gesetz zustande zu bringen, 
diesem Beispiele sollten auch die anderen Parteien, insbesondere die konserva¬ 
tive folgen. Gegen eine ungleiche Behandlung der Städte und Landgemeinden 
müsse er sich aber entschieden aussprechen, wenn er auch keine Angst vor 
einer Belastung der Städte habe. Schließlich bittet er, nicht mit Anträgen 
zu kommen, die das Gesetz gefährden. 

Abg. v. Ditfurth (kons.) erklärt im Aufträge seiner Partei, daß für 
diese das Gesetz unannehmbar sei, wenn nicht die ungleiche Behandlung der 
Gitsieziikc gegenüber den Landgemeinden beseitigt werde, denn nicht jeder 
Guts bezirk sei leistungsfähig. 

Abg. Dr. v. Savigny (Zentr.) bemängelt, daß nach dem g 1 auch jede 
vorgeschrittene Erkrankung an Lungen- und Kehlkopftuber- 
k ul ose bei einem Wohnungswechsel anzuzeigen sei Die tuberkulöse Erkrankung 



74 Die zweite Beratung des preuß. Abgeordnetenhauses über den Entwurf 


erstrecke sich nicht auf kurze Zeit, sondern auf viele Jahre; man könne mit 
etwa 800000 solcher Kranken rechnen, von denen ein erheblicher Teil unter 
diese Bestimmungen fallen werde. Die Wirkung würde dann sein, daß ein 
solcher Kranker keine Unterkunft bei einem Gastwirt oder keine Wohnung 
finden werde. Ueber das Maß des absolut notwendigen dürfe nicht hinaus¬ 
gegangen werden. Ein erheblicher Fortschritt sei schon die Anzeige der 
Todesfälle infolge von Tuberkulose, man solle es deshalb hierbei belassen und 
die Anzeigen bei Erkrankungen überhaupt streichen. Redner stellt einen 
dementsprechenden Antrag. 

Kultusminister Dr. S t u d t konstatiert zunächst mit Genugtuung, daß 
allseitig die Notwendigkeit und Nützlichkeit des durch den vorliegenden Gesetz¬ 
entwurf vorgeschlagenen gesetzgeberischen Vorgehens anerkannt sei. Auch in 
der öffentlichen Meinung und in der beteiligten Fachpresse bestehe kein 
Zweifel darüber, daß der preußische Staat, der grüßte Bundesstaat des Deutschen 
Reichs, endlich diese wichtige Materie ordnen und auf dem Gebiete der Seuchen¬ 
bekämpfung einen den modernen Anforderungen der Wissenschaft, den Verkehrs¬ 
verhältnissen und vor allen Dingen auch den sanitären Anforderungen ent¬ 
sprechenden gesetzlichen Zustand herstellen müsse. Hoffentlich würden sich 
auch die gegen den Gesetzentwurf geltend gemachten Bedenken, denen zum 
Teil eine irrtümliche Auffassung und gewisse Vorurteile zu Grunde liegen, 
zerstreuen lassen. Daß der jetzige, auf dem Regulativ von 1885 beruhende 
Zustand ein unhaltbarer sei, darüber bestehe kein Zweifel. Inbezug auf die 
Kostenfrage bringe aber der vorgelegte Gesetzentwurf eine erhebliche Erleich¬ 
terung der Gemeinden, die jetzt nicht nur die Kosten der ärztlichen Fest¬ 
stellung der Krankheit, sondern auch diejenigen für alle übrigen Maßnahmen 
zu tragen haben. Der Minister glaubt außerdem noch auf ein weiteres Ent¬ 
gegenkommen der Finanzverwaltung zu rechnen, dahingehend, daß auch die 
den Gemeinden nach dem Entwurf noch obliegenden Kosten für die ärzt¬ 
liche Feststellung von Scharlach, Diphterie und Granulöse zum größten Teile 
vom Staate übernommen würden. Es würden dann nur als hauptsächlichster 
Streitpunkt die Bestimmungen in den §§ 27, 28, 29 übrig bleiben. Sollte hier 
eine Verständigung nicht möglich sein, dann wäre es am besten, diese Para¬ 
graphen zu streichen und damit den bisherigen gesetzlichen Zustand aufrecht 
zu halten, wonach die Kosten der im gesundheitlichen Interesse zu ergreifenden 
Maßnahmen den Gemeinden zur Last fallen. Das behördliche Vorgehen in 
dieser Hinsicht habe bisher zu keinen unbilligen Härten geführt; der Medizinal- 
verwaltunf? stehe auch für Fälle, wo es sich um leistungsunfähige Gemeinden 
handele, ein Unterstützungsfonds zur Verfügung, der von der Finanzverwaltung 
voraussichtlich im nächsten Jahre noch erheblich erhöht werden würde. Gegen¬ 
über der Behauptung des Abg. Gamp, daß die sanitären Verhältnisse des 
Landes sehr viel zu wünschen übrig ließen, betont der Herr Minister, daß in 
den letzten Jahren überall eine beträchtliche Besserung erreicht sei und sich 
diese auch durch eine erhebliche Abnahme der Sterblichkeit kenntlich mache. 
Aber gerade der mangelhafte gesetzliche Zustand inbezug auf die Seuchen¬ 
bekämpfung trage z. T. Schuld an den noch vorhandenen sanitären Uebel- 
ständen. Eine Verpflichtung des Staates zur Ucbernahme neuer Lasten kann 
der Minister jedoch nicht anerkennen; die Forderung, daß in allen Fällen, wo 
Leistungsunfähigkeit vorliege, der Staat sofort mit seinen Mitteln eintreten 
müsse, stehe in so großem Widerspruche mit den allgemeinen Grundsätzen 
über die Tragung der Kosten für polizeiliche Einrichtungen und Maßnahmen, 
daß der Staat darauf nicht eingchen könne. Eine große Anzahl von anderen 
Bundesstaaten habe diese gesetzgeberische Aufgabe bereits gelöst und zwar 
hauptsächlich auf der Grundlage, daß den Gemeinden die Kosten dieser ge* 
sundheitspolizeilichen Maßnahmen zur Last fallen; der preußische Staat da- 
gagen lege sich ganz erhebliche neue Opfer zugunsten der Gemeinden durch 
die gegenwärtige Vorlage auf. Die von dem Abg. Wellstein zum Ausdruck 
gebrachte Furcht vor dem angeblich übertriebenen Berufseifer der Kreis¬ 
ärzte sei völlig unbegründet, im § 88 ihrer Dienstanweisung sei ihnen auch 
besonders ein vorsichtiges Vorgehen unter Berücksichtigung der Leistungs¬ 
fähigkeit der beteiligten Gemeinden und unter Berücksichtigung der konkreten 
Verhältnisse zur ausdrücklichen Pflicht gemacht. Auch die Ansicht, daß jeder 
Landrat den Forderungen des Kreisarztes Folge geben würde, sei unzutreffend; 



eine« Gesetzes, betr. die Bekämpfung Übertragbarer Krankheiten. 7fi 


denn jeder Landrat werde im Gegenteil die Vorschläge des Kreisarztes auf 
das sorgfältigste prüfen, ehe er sich dazu entschliesse, an die Gemeinden irgend 
eine Anforderung zu stellen. Werden die Gemeinden aber in einem ihre 
Leistungsfähigkeit etwa übersteigendem Maße in Anspruch genommen, so 
bieten sich verschiedene Wege, um ihnen, auch im Verwaltungsstreitverfahren, 
einen durchaus zureichenden Rechtsschutz zu gewähren. 

Geh. Ob.• Ued.• Bat Dr. Kirchner wendet sich gegen die von dem 
Abg. Dr. v. Savigny befürwortete Beseitigung der Anzeigepflicht bei Kehl¬ 
kopf- und Lungentuberkulose-Erkrankungen. Die starke Infektionskraft der 
Taberkulose sei noch in allerjüngster Zeit durch eine große Reihe von Fällen 
nachgewiesen worden. Die Tuberkulose sei eine Familienkrankheit, die Familie 
und die Wohnung müsse man von ihr frei zu machen suchen. Zwar habe die 
Krankheit erfreulicher Weise wesentlich abgenommen, aber nur unter den Er¬ 
wachsenen, während sie unter den Kindern im schulpflichtigen Alter (6 bis 
15 Jahren) zugenommen habe, da die bisher gegen die Seuche ergriffenen Ma߬ 
nahmen sich besonders auf den Schutz der arbeitenden Altersklassen erstreckt 
hätten. Die Einführung der Anzcigepflicht bei Tuberkulose sei auf allen 
wissenschaftlichen Kongressen als notwendig anerkannt und in vielen Staaten, 
zuerst in dem freien Amerika, eingeführt. In anderen Staaten, z. B. in Nor¬ 
wegen, gehe man viel weiter und habe auch die Absonderung der Kranken vor¬ 
geschrieben, während hier nur die Desinfektion beim Wohnungswechsel verlangt 
werde; darauf könne man aber unter keinen Umständen verzichten, das sei das 
Mindeste, um die kolossale soziale Gefahr einer Weiterverbreitung der Tuber¬ 
kulose wenigstens etwas oinzudämmen. Die Rücksichten, welche der Antrag¬ 
steller genommen wissen wolle, müßten gegenüber den Rücksichten auf die 
Allgemeinheit und angesichts der eminenten Verscuchungsgefahr, die der Be¬ 
völkerung von der Tuberkulose drohe, zurücktreten. Ein Seuchengesetz ohne 
Berücksichtigung der Tuberkulose sei ein Unding. Von allen ansteckenden 
Krankheiten fordere sie die meisten Opfer; gelinge es daher, sie durch wirk¬ 
same Handhaben zu bekämpfen, so werde dadurch die Volksgesundheit in der 
nachdrücklichsten Weise gefördert, die Sterblichkeit und die Not der Bevölke¬ 
rung merklich verringert. 

Der Berichterstatter, Abg. Schmedding, erklärt, daß die Kommission 
einen Antrag auf Streichung der Anzeigepflicht bei Tuberkulose voraussichtlich 
abgelehnt haben würde, wenn ein solcher überhaupt gestellt worden wäre. Er 
befürwortet gleichzeitig einen vom Abg. Pallaske gestellten Antrag, in § 1, 
Abs. 1 das Wort „unverzüglich“ durch die Worte „innerhalb 24 Standen 
nach erlangter Kenntnis“ zu ersetzen. 

Abg. Gyßling (freis. Volksp.) erklärt sich sowohl gegen den Antrag 
Pallaske, als gegen den Antrag v. Savigny. 

Abg. Münsterberg (freis. Vgg.) spricht sich ebenfalls entschieden 
gegen den Antrag v. Savigny aus, bei dessen Annahme die Möglichkeit einer 
verschärften Kontrolle von schwerkranken Tuberkulösen wegfallen und dadurch 
die Gesundheit aufs schwerste geschädigt werden würde. 

Abg. Peltasohn (fr. Vgg.) wendet sich gegen den Antrag Pallaske. 
Der Ausdruck „unverzüglich“ stehe schon im Reielisgesetz und sei auch im 
übrigen ein gesetzestechnischer Ausdruck, der zu keinen Zweifeln Anlaß 
geben könne. 

Abg. Dr. v. Savigny (Zent.) äußert sich nochmals gegen den letzten 
Satz des § 1. Nach der vom medizinisch - technischen Standpunkte vertretenen 
Theorie müsse logischerweise das Wort „vorgeschrittener“ gestrichen und die 
Anzeigepflicht auf alle Tuberkuloseerkrankungen ausgedehnt werden, um für 
jeden Fall des Wohnungswechsels eines Lungen- und Kehlkopftuberkulose- 
kranken die Wohnungsdesinfektion anordnen zu können. Schließlich käme man 
dazu, die Kranken vollständig abzusondern. Das wäre die sich aus der Theorie 
ergebende Logik. Dazu schreite man aber nicht, sondern mache nur einen 
halben Schritt und stigmatisiere Hunderttausende als für ihre Mitmenschen 
gefährlich, ohne ihnen den Weg zn zeigen, anf dem sie sich ans dieser Zwangs¬ 
lage befreien können. Die vorgeschlagene Maßregel bedeute eine weitgehende 
wirtschaftliche und moralische Schädigung für die betreffenden Kranken und 
ihre Familien; deshalb kann Redner nur nochmals empfehlen, sie zn streichen. 

Abg. Pallaske (kons.) befürwortet seinen Antrag damit, daß das Wort 



76 Oie xireite Beratung des preoß. Abgeordnetenhauses über den Entwnrl 

„unverzüglich“ verschiedener Dentnng unterliegen and dem richterlichen Er¬ 
messen einen weiten Spielraum lasse. Mit der Bestimmung des § 81, daß eine 
Bestrafung erfolgen solle, wenn die Anzeige länger als 24 Standen verzögert 
werde, sei gesagt, um welche Frist es sich handeln soll Deshalb sei es besser, 
diese Frist gleich im § 1 selbst zu bestimmen. 

Ministerialdirektor Dr. Förster bittet mit Bttcksicht auf die gleiche 
Bestimmung im Beichsseuchengesetz das Wort „unverzüglich“ beizubehalten. 
Wenn es aber im § 1, Abs. 2 nicht beibehalten werden solle, dann müsse 
konsequenter Weise auch im Abs. 1 die fragliche Aenderung eintreten. 

Bei der nun folgenden Abstimmung wird § 1 mit dem Antrag Pallaske 
angenommen, der Antrag des Abg. v. Savigny aber abgelehnt. 

Zu § 2 beantragt Abg. Pallaske ebenfalls das Wort „unverzüglich“ 
im letzten Absatz zu ersetzen durch die Worte: „innerhalb 24 Stunden“; 
außerdem beantragt der 

Abg. Münsterberg (fr. Vgg.) die Streichung des Abs. 8, betreffend 
die Anzeigepflicht der behandelnden Aerzte etc. bei Geschlechts¬ 
krankheiten der Soldaten. 

Der Berichterstatter, Abg. Schmedding (Zcntr.), spricht sich gegen 
diesen Antrag aus, der schon von der Kommission abgelehnt sei, da die An¬ 
zeigepflicht nicht nur im Interesse der infizierten Mannschaften selbst, sondern 
auch der gesunden Mannschaften liege, um die ersteren möglichst schnell in ärzt¬ 
liche Behandlung zu bringen und die letzteren gegen Ansteckung zu sichern. 

Abg. Münsterberg (fr. Vgg.) begründet den von ihm gestellten Antrag 
hauptsächlich mit dem Hinweis darauf, daß sonst die Wahrung des Berufsgeheim¬ 
nisses der Aerzte durchbrochen werde. Ferner würden die Soldaten, die bisher 
zur Heilung einen Zivilarzt aufgesucht hätten, jetzt aus Furcht vor der An¬ 
zeige sich überhaupt nicht behandeln lassen. Nach einer auf seine Veranlassung 
in Danzig angestellten Umfrage seien jährlich durchschnittlich 1 '/* Soldaten 
und 29 1 /« Unteroffiziere von Zivilärzten wegen Geschlechtskrankheiten behandelt. 
Es handele sich deshalb nur um Unteroffiziere, die aus freien Stücken Heilung 
bei einem Zivilarzt suchen, künftig aber zu den Kurpfuschern gehen würden 
Konsequenterweise müsse man die Bestimmung auf alle Personen des aktiven 
Militärstandes, Freiwillige, Fähnriche und Offiziere ausdehnen. 

Abg. Dr. Buegenberg (Zentr.) hält für seine Person den Antrag 
Mänsterberg für durchaus berechtigt. Es kämen überhaupt nur wenige Fälle 
vor, wo die Soldaten zum Zivilarzt gehen. Wenn die Militärbehörde alle vier 
Wochen dienstlich bekannt gebe, daß jeder Geschlechtskranke sich zu melden 
habe und bestraft werde, wenn er zum Zivilarzte oder Kurpfuscher gehe, so 
genüge das völlig. Jedenfalls werde das Berufsgeheimnis des Arztes, das 
Palladium des Aerztestandes, auf dem die Vertrauensstellung des Arztes be¬ 
ruhe, durch diese Bestimmung schwer geschädigt, der gewollte Zweck aber 
nicht erreicht und das Kurpfuschertum gefördert. 

Generaloberarzt Dr. Paalzow, Bevollmächtigter des Kriegsministers, 
weist darauf hin, wie viele Leute sich in den Zeitungen anbieten, Geschlechts¬ 
krankheiten zu heilen. Würden die Soldaten nur zu den Zivilärzten gehen, 
so würde man vielleicht nicht so sehr auf die Anzeigepflicht dringen. Aber 
gerade die vornehmen Zivilärzte werden eine Behandlung ablehnen, weil dazu 
auch Schonung und Buhe des Kranken gehören. Auf das Berufsgeheimnis 
könne man sich bei Seuchengefahr doch nicht immer berufen; dann müßten 
auch andere Paragraphen des Gesetzes gestrichen werden. Schon im Jahre 
1899 habe sich ein sehr bekannter Spezial arzt in Breslau dahin geäußert, die 
Anzeigepflicht sei für die Soldaten bei diesen Krankheiten bedingungslos zu 
verlangen. Die Umfrage in Danzig beweise, daß dort eine starke zivilärztliche 
Beteiligung stattgefunden habe, aber gerade in Danzig sei die Zahl der Ge¬ 
schlechtskrankheiten unter den Militärpersonen im letzten Jahre um das doppelte 

f ewachsen, ein Beweis, daß die zivilärztliche Mitwirkung nicht zur Verbesserung 
er betreffenden Verhältnisse beigetragen habe. Die Militärverwaltung sei be¬ 
strebt, alles, was seit 50 Jahren auf dem Gebiet der Bekämpfung der Ge¬ 
schlechtskrankheiten in der Armee erreicht sei, zu erhalten. Von der Militär¬ 
verwaltung werde alles getan, um den Kranken nicht bloß zum Arzt zu bringen, 
sondern auch um ihn zu heilen und dafür zu sorgen, daß die eingestellten 
Söhne nicht als morsches Holz oder als Krüppel, sondern als gesunde Menschen 
ins Elternhaus zurückkehren. 



eines Gesetzes, betr. die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten. 77 

Abg. Dr. Martens (natL) schließt sich in allen Punkten den Aus¬ 
führungen des Vertreters des Kriegsministeriums an. 

Abg. Wilkens (kons.) erklärt sich für seine Person für den Antrag 
Minsterberg und hofft, daß auch viele seiner Freunde dafür stimmen 
werden. Die Bestimmung bedeute nur eine viertel Maßregel; man sollte lieber 
warten, bis die Sache spruchreif sei und dann nicht nur gegen das Militär, 
sondern auch gegen das Zivil mit ganzen Maßregeln zur Bekämpfung der Ge¬ 
schlechtskrankheiten Vorgehen. 

Abg. Münsterberg (freie. Vgg.) tritt den Ausführungen des Ver¬ 
treters des Kriegsministeriums entgegen und befürwortet nochmals seinen An¬ 
trag. Man solle wenigstens die Aerzte von der Anzeigepflicht befreien und 
dadurch besonders den Unteroffizieren die Möglichkeit geben, Zivilärzte auf« 
zusuchen, ohne daß sie eine Anzeige bei ihrer Vorgesetzten Militärbehörde zu 
befürchten brauchen. 

Bei der darauffolgenden Abstimmung wird der Antrag Münsterberg 
abgelehnt, und § 2 mit dem Antrag Pallaske angenommen. 

Die §§ 3 bis 7 werden ohne Debatte angenommen. 

Bei § 8 (Schutzmaßregeln) spricht Abg. Buegenberg (Zentr.) 
den Wunsch aus, daß die beamteten Aerzte im Einvernehmen mit den Privat¬ 
ärzten Vorgehen möchten, da sie auf deren Mitwirkung angewiesen seien. Er 
teile zwar nicht die von manchen ärztlichen Kreisen gehegte Befürchtung, daß 
die größere Machtvollkommenheit, die den beamteten Aerzten durch das Gesetz 
gegeben werde, öfter zu Beibereien zwischen ihm und den praktischen Aerzten 
Veranlassung geben würde; immerhin sei es erwünscht, daß in den Aus- 
fflhrungsbestimmungen den beamteten Aerzten entsprechende Instruktionen ge¬ 
geben werden, damit nicht Personen vom beamteten Arzt ins Krankenhaus 
geschickt werden, ehe der behandelnde Arzt befragt sei, wie solche Fälle vor¬ 
gekommen seien. 

Geh. Ob.-Med.-Bat Dr. Kirchner hält eine solche Befürchtung mit 
Bücksicht auf § 14, Abs. 2 des Beichsseuchengesetzes und den Bestimmungen 
des vorliegenden Gesetzes für unbegründet. Den behandelnden Arzt vor Ueber- 
führung eines Kranken in das Krankenhaus zu benachrichtigen, sei jedoch nicht 
Sache des beamteten Arztes, sondern Sache der Polizeibehörde. Die angeregte 
Frage werde aber in den Ausführungsbestimmungen Berücksichtigung finden, 
90 daß etwaige Uebelstände, die das Einvernehmen zwischen den beamteten 
and behandelnden Aerzten stören könnten, ausgeschlossen seien. 

Abg. Gamp (freikons.) ist der Ansicht, daß auch den beamteten Aerzten 
die Verpflichtung obliege, einen Kranken nicht in ein Krankenhaus zu schicken, 
ehe sie nicht mit dem behandelnden Arzt sich in Einvernehmen gesetzt hätten; 
das gehe schon aus § 8 hervor, der den Zutritt des beamteten Arztes zu einem 
Kranken von der Zustimmung des behandelnden Arztes abhängig mache. Jeden¬ 
falls müsse den beamteten Aerzten in den Ausführungsbestimmungen die Pflicht 
aulerlegt werden, daß sie nicht weiter gehen, als es unbedingt notwendig sei. 
Sie dürfen durch ihr Auftreten keinen Anlaß zu Konflikten mit anderen Aerzten 
geben und sich diesen gegenüber nicht etwa als Vorgesetzte Beamte fühlen. 

§ 8 wird hierauf angenommen, desgleichen die §§ 9—24 ohne jede 
Debatte. 

Zu § 25 (Kosten der amtsärztlichen Feststellung) hat der 
Abg. v. Kölichen (kons.) beantragt, a. das Wort „amtliche" vor „Be¬ 
teiligung des beamteten Arztes" einzufügen und b. zwischen den Worten 
»Diptherie" und „handelt" die Worte „in einem weiter als 4 km von 
dem Wohnorte des nächsten Arztes entfernten Orte" einzu- 
sehieben, so daß die Ortspolizeibehörde nur in Orten von weniger als 4 km 
Entfernung von dem Wohnorte des nächsten Arztes die Kosten der ärztlichen 
Feststellung zu tragen hätte, während diese nach der Kommissionsverfassung 
in allen Fällen vom Staate zu tragen sind. 

Abg. Schmedding (Münster), Berichterstatter, bittet es bei dem Vor¬ 
schläge der Kommission zu belassen. Die Fälle, wo bei Diphtherie, Körner- 
kr&nkheit, Scharlach, ein Arzt nicht zugezogen und demzufolge keine Anzeige 
erstattet werde, seien selten und deshalb die dem Staate durch ihre Fest¬ 
stellung erwachsenden Kosten gering. 

Abg. Gamp (freik.) bittet ebenfalls, beide Anträge abzulehnen, nament¬ 
lich den zweiten, bei dem man sich auf einem absolut unsicheren Bechtsboden 



78 Die zweite Beratung des preuß. Abgeordnetenhauses über den Entwurf 

befinde. Außerdem handle es sich hier um verhältnismäßig minimale Kosten. 
Gleichzeitig betont er, daß weder in der Kommission noch bei den Vertretern 
der Staatsregierung darüber ein Zweifel bestehe, daß, wenn der beamtete Arzt 
in Anspruch genommen sei und es sich herausstelle, daß keine anzeigepflichtige 
Krankheit vorliege, der Ortspolizeibehörde, die den Arzt requiriert habe, keine 
Kosten daraus erwachsen dürfe. 

Minist.-Direktor Dr. Förster bittet die Anträge des Abg. v. Kölichen 
anzunehmen. Der Begriff „Beteiligung“ sei so allgemein und dehnbar, daß der 
Unterschied zwischen privatärztlicher und amtsärztlicher Tätigkeit des Kreis¬ 
arztes leicht verwischt werden könne. Jede Privatperson würde dann berech¬ 
tigt sein, nach ausgebrochener Seuche die Tätigkeit des Kreisarztes in Bewe¬ 
gung zu setzen und die Staatskasse verpflichtet sein, die Kosten zu tragen. 
Deshalb empfehle es sich, hier das Wort „amtlich“ einzufügen, damit nur eine 
solche Beteiligung verstanden werden könne, wie sie auf Grund des Gesetzes 
und auf Grund der Dienstvorschriften näher begrenzt sei. Betreffs des Abs. 2 
könne der Staat nicht für die Ausführung von Aufträgen haftbar gemacht 
werden, die er garnicht selbst, sondern die Ortspolizeibehörde erteilt habe. 
Er habe auch keine Sicherheit, daß die Ortspolizeibehörde dementsprechend 
sparsam vorgehe. Damit dies geschehe, ließe sich vielleicht ein Weg zur Ver¬ 
ständigung in der Weise finden, daß auch für diese Kosten die Bestimmung 
des § 26 a (Drittelung auf Gemeinde, Kreis und Staat) stattfinde. 

Abg. Wellstein (Zentr.) kann dem Vorschlag des Begierungskommissars 
nicht zustimmen und nur die Fassung der Kommission befürworten. Dagegen 
hat er gegen Einfügung des Wortes „amtlich“ nichts einzuwenden, wenn er sie 
auch an sich für unnötig hält. 

Abg. Gyßling (fr. Volksp.) spricht sich in gleichem Sinne aus. 

Abg. v. Kölichen befürwortet seine Anträge. Die Medizinalbeamten 
wüßten zwar genau, was ihre amtliche Tätigkeit sei, dem Publikum gegen¬ 
über sei es aber wichtig, bestimmt festzulegen, daß es sich hier um die Fest¬ 
stellung einer Krankheit und nicht um Herbeiführung ihrer Heilung handle. 
Deshalb sei die Hinzufügung des Wortes „amtlich“ angezeigt, um jeden 
Zweifel zu beseitigen. Die von der Kommission vorgeschlagene Fassung des 
Abs. 3 wäre allerdings das Allerbeste, bedeute aber eine große Erleichterung 
gegenüber den Städten, welche bisher ohne weiteres diese Lasten getragen hätten. 

Abg. Meyer (Diepholz) (nat. lib.) spricht sich entschieden gegen die 
beiden Anträge aus; der erste sei überflüssig, der andere würde zu Ungerech- 
kelten führen, während durch die Annahme des Kommissionsbeschlusses ein 
einheitliches Rechtsgebiet für die Monarchie geschaffen würde. In einzelnen 
Provinzen würden schon jetzt die gesamten Kosten der Feststellung vom Staate 
getragen, z B. in Hessen-Nassau und in der Provinz Hannover; deshalb sei 
es nur billig, wenn dies auch in den sämtlichen übrigen Gemeinden des Landes 
geschehe. 

Bei der hierauf folgenden Abstimmung wird der erste Antrag des v. 
Kölichen (Elinfügung des Wortes „amtlich“ in Abs. 1 § 25) angenommen, 
der zweite Antrag abgelehnt, also die Kommissionsfassung des Paragraphen 
Abs. 2, beibehalten. 

Bei der jetzt folgenden Beratung über die §§ 26 und 26a (Kosten 
der Desinfektion und der besonderen Vorsichtsmaßregeln, 
insbesondere auch der Absonderung der Kranken beim Ausbruch 
von übertragbaren Krankheiten) vermißt Abg. Wellstein (Zentr.) 
eine genaue Uebersicht über die nach dem bestehenden Rechte und dem jetzigen 
Gesetze eintretende Verteilung der Kosten auf Staat und Gemeinden; er bittet 
deshalb die Staatsregierung, einige Tage vor der dritten Lesung eine Zusammen¬ 
stellung darüber vorzulegen, in welcher Weise die Kosten, die durch das 
Reichsgesetz und dieses Gesetz veranlaßt würden, sich auf die verschiedenen 
Faktoren verteilen. 

Abg. Gamp (freik.) schließt sich den Ausführungen des Vorredners in 
allen Punkten an und bedauert, daß aus dem Gesetzentwurf nicht klar hervor¬ 
gehe, wer nun eigentlich der Träger dieser Lasten sei. Es bestehe allerdings 
über das, was als landespolizeiliche und ortspolizeiliche Kosten anzuschen sei, 
ein Ministerialerlaß, in dem sei aber der Begriff der landespolizeilichen Ma߬ 
nahmen etwas zu enge gefaßt. Ueberhaupt müßten gerade Maßnahmen gegen 
ansteckende Krankh eiten mehr als bisher als landespolizeiliche angesehen 



ftinea Gesetzes, betr. die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten. 79 


weiden. Bei der Meinungsverschiedenheit über orte- und landespolizeQiches 
Interesse hätte es sich empfohlen, alle Kosten zusammenzuwerfen und dem 
Staat, der Gemeinde und dem Kreise je ein Drittel aufzuerlegen. Dann hätte 
der Staat keine größere Belastung gehabt als jetzt, und das Volk würde für 
diese Regelung volles Verständnis haben. Die Staatsregierung habe diese 
Regelung aber abgelehnt. Dringend wünschenswert sei es auch, daß die Grenze 
für die Gewährung etwaiger staatlicher Beihilfen höher hinaufgesetzt würde, 
statt in Gemeinden unter 5000 Einwohner, auf alle Landstädte bis zu 20000 
Einwohnern. 

Kultusminister Dr. Studt erklärt, daß die Forderung einer alle Zweifel 
ausschließenden Erklärung der Königlichen Staatsregierung darüber, welche 
Kosten zu den landespolizeilichen und welche zu den ortspolizeilichen zu rechnen 
seien, ebensowenig zu erfüllen sei, wie eine vollständige Kodifikation über 
diese Materie in dem Gesetze. Eine solche könnte höchstens im Wege eines 
allgemeinen Polizeikostengesetzes, aber nicht in einem Spezialgesetze erfolgen, 
da sie alle anderen Zweige der polizeilichen Verwaltung berühre. Aber selbst 
eine noch so scharfe Abgrenzung der orts- und l&ndespolizeilichen Kosten 
würde auf diesem viel umstrittenen Gebiete alle Klagen über ungerechte Heran¬ 
ziehung zu den Kosten und alle Prozesse nicht verhindern können; hier müsse 
man zu den Gerichten das Vertrauen haben, daß sie nach Recht und Gesetz 
entscheiden. Zum Schluß bestätigt der Herr Minister, daß, soweit durch den 
beamteten Arzt eine erste Feststellung einer übertragbaren Krankheit vor¬ 
genommen wird, und sich dabei herausstellt, daß es eine übertragbare Krank¬ 
heit nicht ist, doch die Kosten der Staatskasse zur Last fallen. 

Abg. Schmedding, Berichterstatter, pflichtet den Ausführungen des 
Herrn Ministers über die Schwierigkeit der Abgrenzung der Kosten, je nachdem 
sie ortspolizeilicher oder landespolizeilicher Natur sind, voll und ganz bei; es 
sei auch ihm als Referenten nicht gelungen, eine Abgrenzung zu finden. Er 
gibt sodann eine genaue Uebersicht darüber, wie sich jetzt im einzelnen die 
Kosten auf die Beteiligten verteilen würden, macht aber auf Unfehlbarkeit für 
alle Einzelheiten dieser Uebersicht keinen Anspruch. 

Kultusminister Dr. Studt erkennt zwar die sehr mühevolle und aus¬ 
gezeichnete Arbeit des Herrn Referenten als eine objektive und in wesentlichen 
Punkten zutreffende an, behält sich aber im übrigen die Stellun gnah me zu 
diesen Einzelheiten vor. 

Abg. Wellstein (Zentr.) erwartet, daß die mühevolle Arbeit des Herrn 
Referenten von der Königlichen Staatsregierung genau durchgeprüft wird und 
diese dann bis zur dritten Lesung eine Erklärung abgiebt, inwieweit diese 
Darstellung richtig oder unrichtig sei Jedenfalls gehe das eine aus ihr sicher 
hervor, daß die Gemeinden eine kolossale Belastung erfahren. Im übrigen 
hält er es ebenso wie der Abg. Gamp für erforderlich und auch für möglich, 
in das Gesetz eine Bestimmung darüber hineinzubringen, was unter landea- 
polizeilichen und ortspolizeilichen Maßnahmen zu verstehen ist. 

Kultusminister Dr. Studt bestreitet entschieden, daß das Gesetz eine 
Mehrbelastung der Gemeinden zur Folge haben werde. Davon könne gar nicht 
die Rede sein. Es werde im Gegenteil eine erhebliche Erleichterung für die 
Gemeinden bringen, namentlich in bezug auf die Kosten der ersten Feststellung 
von übertragbaren Krankheiten, die nach der jetzigen Fassung des § 25 sämt¬ 
lich von der Staatskasse zu tragen seien. Der Herr Minister betont nochmals, 
daß nach den den Medizinalbeamten und den beteiligten Staatsbeamten er¬ 
teilten Weisungen es völlig ausgeschlossen sei, daß das neue Gesetz der Aus¬ 
gangspunkt von erheblichen neuen, die Gemeinden überlastenden Anforderungen 
bilden würde. Die tatsächliche Durchführung des Gesetzes werde auch be¬ 
weisen, daß dieses in der Tat eine erhebliche Erleichterung zur Folge habe, 
wie sich schon jetzt mathematisch nachweisen lasse. Etwaige, nur in ganz 
wenig Ausnahmefällen eintretende Härten würden wie bisher um so eher durch 
Beihülfen aus dem Dispositionsfonds der Medizinalverwaltung ausgeglichen 
werden können, als dieser dank dem Entgegenkommen der Finanzverwaltung für 
die nächsten Jahre eine angemessene Erhöhung erfahren werde. 

Abg. Wellstein (Zentr.) hält es nach wie vor für notwendig, daß 
die Grundlagen des Gesetzes durchaus klargestellt werden; ein Gesetzgeber 
dürfe keinen Sprung ins Dunkle machen. Deshalb müsse er darauf bestehen, 



80 Die zweite Beratung des preuß. Abgeordnetenhauses über den Entwurf 


daß zunächst eine Uebersicht Aber die Verteilung der Kosten vorgelegt werde. 
Wenn mathematische Nachweise einer Entlastung der Gemeinden gegenüber 
dem bisherigen Recht erbracht würden, so könne dies den Abgeordneten nur 
angenehm sein. 

Abg. Gamp (freik.) glaubt zwar, daß der Staat durch das neue Gesetz 
mit erheblich höheren Kosten belastet werde, aber auch bei den Gemeinden 
werde dies der Fall sein. Der Staat trage z. B. jetzt fast ausschließlich die 
Kosten zur Bekämpfang der Granulöse; künftighin würden auch die Gemeinden 
dazu herangezogen werden können. Jedenfalls sei es auch erforderlich, die 
Verpflichtungen der Landespolizeibehörde und der Ortspolizeibehörden so ab¬ 
zugrenzen und zu fixieren, daß ein leidlich verständiger Mann daraus klug 
werden könne. Dia Frage sei allerdings sehr schwierig; bei ihrer Beantwor¬ 
tung komme es auch wesentlich darauf an, wo die überwiegenden Inter¬ 
essen liegen. 

Geh. Reg.-Rat Frhr. v. Zedlitz u. Neukirch betont zunächst, daß 
der Staat keineswegs die Verpflichtung habe, die Kosten für die Bekämpfung 
der Granulöse zu tragen; wenn er dies tatsächlich zum großen Teil in den 
östlichen Provinzen tue, so geschehe es nur, weil die hier den Gemeinden ge¬ 
setzlich obliegenden Pflichten infolge der Massenhafiigkeit der Erkrankungen 
derartig schwer auf ihnen lasten, daß sie nicht in der Lage sind, ihnen finan¬ 
ziell zu genügen. Es sei genau dasselbe, was der Staat jetzt auch im Süd¬ 
westen der Monarchie zur Bekämpfung des Typhus tue; auch hier habe der Staat 
erhebliche Mittel zur Verfügung gestellt, um den leistungsunfähigen Gemeinden 
die Erfüllung ihrer Aufgaben in bezug auf die Bekämpfung der Krankheit zr 
erleichtern. Redner legt dann an der Hand des bestehenden Rechtszustands 
und des Entwurfs klar, inwieweit eine Entlastung der Gemeinden eintritt. Die 
Bekämpfung der gemeingefährlichen Krankheiten spiele sich notwendigerweise 
in verschiedenen Stadien ab: Anzeige, Feststellung, Bekämpfungsmaßregeln, 
Bereitstellung des Rüstzeuges. Alle diese Maßregeln finden sich bereits in 
den bestehenden Gesetzen; im Regulativ von 1835, wie im Reichsseuchengesetz. 
Die Anzeigepflicht habe den Gemeinden bisher keine oder nur minimale Kosten 
verursacht, wohl aber die Feststellung, deren Kosten sie bisher allein zu 
tragen hatten, während sie künftighin sämtlich vom Staate übernommen werden, 
was für die Gemeinden eine erhebliche Entlastung bedeutet. Auch für die 
Durchführung der einzelnen Bekämpfungsmaßregeln (Isolierung, Des¬ 
infektion, die Ueberwachung des Leichentransportes usw.) seien bisher ledig¬ 
lich die Gemeinden Träger der Lasten; künftighin trete dagegen eine Drit- 
telung dieser Lasten ein bei allen Gemeinden unter 6000 Einwohnern, falls von 
diesen mehr als 160 °/o der Staatssteuern an direkten Gemeindesteuern erhoben 
und die Kosten mehr als 6 °/ 0 des Einkommensteuersolls betragen; dies werde 
aber bei fast sämtlichen Landgemeinden, ausgenommen von ganz besonders günstig 
situierten, der Fall sein. Sie haben also künftig nur ein Drittel der bisherigen 
Kosten zu tragen; wiederum eine außerordentliche Entlastung. Betreffs der 
Bereitstellung des erforderlichen Rüstzeugs habe der Staat aller¬ 
dings eine Mitlast nicht übernommen, sondern vorgeschlagen, eine Entlastung 
der Gemeinden durch Heranziehung der breiteren und leistungsfähigen Schul¬ 
tern des Kreises herbeizuführen. Von den gewaltigen Aufgaben, die den 
Gemeinden bereits jetzt obliegen, werde ihnen also ein erheblicher Teil 
abgenommen. Käme das Gesetz dagegen nicht zustande, so könne beim Aas¬ 
bruch einer Epidemie die Gemeinde tatsächlich wirtschaftlich ruiniert werden, 
da ihr dann die staatliche Unterstützung fehle. Auch in der Provinz Hannover 
habe jetzt der Staat nur die Kosten des unmittelbaren Dienstbetriebes, also 
nur diejenigen behufs Feststellung einer Krankheit auf dem platten Lande zu 
tragen, die mittelbaren Kosten für die Bekämpfung ansteckender Krankheiten 
dagegen die betreffenden Gemeinden. Auch für die Landgemeinden der Provinz 
Hannover würden demnach die Erleichterungen, die das Gesetz den Gemeinden 
biete, zum größeren Teil praktische Bedeutung haben. 

Abg. Winkler (kons.) erklärt, daß seine politischen Freunde dem Ge¬ 
setze nur zustimmen könnten, wenn sie sicher seien, daß die Gemeinden da¬ 
durch nicht überlastet werden. Es müsse deshalb volle Klarheit über die 
finanzielle Tragweite des Gesetzes gegenüber den Gemeinden vorliegen, ehe 
man zu einer endgültigen Beschlußfassung über das ganze Gesetz schreiten 



eines Gesetzes, betr. die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten. 81 


könne. Redner richtet deshalb an die Staatsregierung die Bitte, bis dahin 
doch ihrerseits alles za tan, am diese Klarheit za schaffen. 

Finanzminister Frh. v. Rheinbaben widerspricht entschieden der yom 
Abg. Ga mp vertretenen Ansicht, daß die Finanzyerwaltang geneigt sei, „aaf 
die am wenigsten leistangsfähigen Schaltern immer and immer wieder neae 
Lasten za bürden*. Der Staat sei im Gegenteil in Anerkennung der hohen 
Belastung der Gemeinden immer mehr bestrebt gewesen, Staatsbeihilfen za 
gewähren. Der Herr Minister weist zahlenmäßig nach, daß der Staat in ein¬ 
zelnen Provinzen allein für Schalzwecke mehr Staatszaschüsse gewährt, als 
diese an Einkommensteaer^aafbringen. Aach darch das Fürsorge- and Dotations¬ 
gesetz sei der Staat zugunsten der Gemeinden erheblich belastet; desgleichen 
denke er nicht daran, die bedeutenden Summen für die Bekämpfung der 
Granulöse seinerseits zarückzuziehen. Eine Grenze zwischen Landespolizei and 
Ortspolizei lasse sich nicht genan fixieren, am wenigsten darch ein Spezial¬ 
gesetz. ln Anerkennung, daß gerade die kleinen Gemeinden vielfach überlastet 
seien, werde ihnen darch das Gesetz eine weitere Erleichterung insofern zateil, 
ab sie künftig nur ein Drittel der Kosten für die Bekämpfungsmaßregeln zu 
tragen haben, während das zweite Drittel der Kreis bezahle and das dritte 
Drittel aof den Staat entfalle. Dagegen könne dieses Verteilungsprinzip nicht 
nach aaf die Maßnahmen der §§ 27—29 ausgedehnt werden; denn hier handele 
es sich am Maßnahmen, die im Frieden vor Ausbrach der Seuche getroffen 
werden müssen, wo man also vollkommen in der Lage sei, nicht nur die medi¬ 
ziaalpolizeiliche Seite, sondern auch die Frage der Leistungsfähigkeit der Ge¬ 
meinden vollkommen za berücksichtigen. Hier sei die Befürchtung, daß darch 
solche plötzlich notwendigen Maßnahmen die Gemeinden überlastet werden, 
mn so mehr ausgeschlossen, als die Entscheidung nicht etwa in den Händen 
der Medizinalverwaltung, sondern in denjenigen der Kommanalaufsichtsbehörden, 
des Landrats, des Regierungspräsidenten asw., liege, and man von diesen In¬ 
stanzen doch gewiß annehmen könne, daß sie aach die Frage der Leistungs¬ 
fähigkeit der Beteiligten würdigen and danach ihre Maßnahmen einrichten 
werden. Durch eine Beteiligung des Staates bei den Kosten für diese Ma߬ 
regeln werden nnr die Grenzen zwischen Kommunal- and Staatsaufgaben ver¬ 
wischt werden, und der Staat aaf eine schiefe Ebene geraten. Der Minister 
resümiert sich dahin, daß die jetzige Vorlage nicht eine Verschlechterung, 
sondern eine wesentliche Verbesserung in bezug auf die Gemeindelasten dar¬ 
stelle; kommt das Gesetz nicht zustande, so spare er eine sehr große Summe 
Geldes; gleichwohl würde er das Nichtzastandekommen des Gesetzes sehr be¬ 
dauern, denn sowohl die Medizinalverwaltung, als vor allen Dingen auch die 
Gemeinden würden darunter leiden. Er kann deshalb vom Standpunkt der 
Fürsorge einer guten Medizinalverwaltung, sowie im Interesse der Gemeinden 
und der Kreise nur bitten, der Vorlage zazostimmen. 

Abg. K r e t h (kons.) betont, daß die großen Schal- and Armenlasten za 
der größten Vorsicht gegenüber Gesetzentwürfen zwingen, die eine weitere 
Belastung der Gemeinden znr Folge haben können. Es sei allerdings ganz 
richtig, daß in hygienischer Beziehung aaf dem flachen Lande sehr vieles ge¬ 
schehen müsse; aber daß damit große Ausgaben und große Belastungen der 
Gemeinden verbunden sein würden, sei gleichfalls zweifellos. In dieser Be¬ 
ziehung helfend einzagreifen, sei Aufgabe des Staates. Mit der Granulöse habe 
nan aber in Ostpreußen trübe Erfahrungen gemacht. Hier hätten in erster 
Linie die Eirebe der Not gehorchend, nicht dem eigenen Trieb, die zum 
Teil erheblichen Kosten übernommen, obwohl die Bekämpfung der Körner¬ 
krankheit Sache nicht nar der Landespolizei, sondern des ganzen Staates 
sei, da ein großes staatliches and militärisches Interesse hierbei auf 
dem Spiele stehe. Ab Vertreter des äußeren Ostens könne er sich nar mit 
dem Gesetz einverstanden erklären, wenn der Staat sich bereit erkläre, 
wenigstens die Kosten für die Körnerkrankheit, nicht nur durch Abmachung 
ah den Kreben, die vielleicht jeden Augenblick wieder aofgehoben werden 
kannte, sondern in verbindlicher Form zom großen Teile aaf sich za über¬ 
nehmen. 

Finanzminister Frh. v. Rheinbaben erklärt, daß die Kreise im Osten 
>ur */t der gesamten Kosten für die Granulosebekämpfang aufbringen, */t trage 
der Staat. 



82 Die zweite Beratung des preuß. Abgeordnetenhauses über den Entwurf 


Abg. Ga mp (freik.) führt aus, daß es weder aus dem Gesetze, noch aus 
der Erklärung des Finanzministers ersichtlich sei, ob der Staat auch künf¬ 
tighin im Verhältnis von 6:1 die Kosten für die Granulosebekämpfung über¬ 
nehmen wolle. Eine Ueberlastung bestehe nicht blos bei den Gemeinden, son¬ 
dern auch bei den Gutsgemeinden, denen keine Staatshilfe gewährt werde. 

Abg Meyer-Diepholz (natl.) will nicht zngeben, daß die mittelbaren 
Kosten der örtlichen Polizeiverwaltung in der Provinz Hannover den Gemeinden 
zur Last fallen. 

Abg. Wellstein (Zentr.) will nach den Erklärungen vom Ministertische 
aus nicht weiter darauf drücken, daß eine Definition, was unter landespolizei¬ 
lichen und ortspolizeilichen Maßnahmen zu verstehen sei, in da9 Gesetz auf¬ 
genommen werde; dagegen widerspreche es nicht, im Gesetz zu bestimmen: 
diese Kosten sind als Tandespolizeiliche und diese als ortspolizeiliche anzusehen. 
Eine Mehrbelastung der Gemeinden komme nicht durch die Vorschriften des 
Gesetzes, sondern durch die Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse in 
bezug auf den Verkehr und die hygienischen Maßregeln. Die Uebertragung 
einer Krankheit von einem Ort auf den anderen sei bei den heutigen Ver¬ 
kehrsverhältnissen weit leichter als früher. 

Abg. Kreth (kons.) fragt an, wie es mit der Deckung der Kosten für 
die Granulosebekämpfung in Zukunft gehalten werde; desgleichen wünscht 
er, daß die Staatskasse auch zu den sanitären Einrichtungen (§§ 27—29) etwas 
beitrage, damit nicht vielleicht doch zu große Liebhaberanforderungen an die 
Gemeinden gestellt würden. 

Finanzminister Frh. v. Rheinbaben erklärt, daß es hinsichtlich der 
Bekämpfung der Granulöse bei dem Zustande bleiben soll, wie er gegenwärtig 
besteht: Prüfung von Fall zu Fall und ein Entgegenkommen bis zu der 
Grenze, wie es bisher schon geschehen ist, da, wo die einzelnen Gemeinden 
tatsächlich schon als leistungsunfähig anzusehen sind. 

Bei der jetzt folgenden Abstimmung werden die §§ 26 nnd 26 a mit 
großer Mehrheit angenommen. 

Es wird jetzt beschlossen, die §§ 27—29 zusammen zu beraten und die 
Beratung über § 26 b erst nach diesen vorzunehmen. 

Zum § 27 hat der Abg. Gamp beantragt, die Worte „nach Maßgabe 
ihrer Leistungsfähigkeit“ zu streichen, während der Abg. Wellstein folgende 
Fassung vorschlägt: 

„Ist der Ausbruch einer übertragbaren Krankheit festgestellt oder 
liegt die begründete Gefahr des Ausbruchs oder der Verbreitung einer 
solchen vor, so sind die Gemeinden verpflichtet, diejenigen Einrichtungen, 
welche zur Bekämpfung der übertragbaren Krankheiten notwendig sind, 
zu treffen. 

Sofern diese Einrichtungen Bedürfnissen dienen, welche über die 
Grenzen einer einzelnen Gemeinde hinausgehen, kann die Verpflichtung 
dem Kreisverbande auferlegt werden.“ 

Hierzu hat im Falle der Annahme des Antrages der Abg. Ga mp den 
Zusatz beantragt: „Den Kreisen ist die Hälfte der in Gemäßheit der vor¬ 
stehenden Vorschriften geleisteten Ausgaben vom Staate zu erstatten.“ 

Bei § 28 wünscht Abg. Wellstein die Wiederherstellung der Re¬ 
gierungsvorlage und Abg. Gamp die Worte „die zu gewährende Anforderung“ 
zu ersetzen durch die Worte: „die Inanspruchnahme derselben“. 

Zu § 29 beantragen der Abg. Gamp den Schlußsatz „Die Beschwerde 
hat aufschicbende Wirkung“ zu streichen und die Abgg. Dr. Iderhoff und 
Frh. v. Zedlitz und Nenkirch die Hinzufügung des Absatzes: „Bei Ge¬ 
fahr im Verzüge kann die von der Kommunalaufsichtsbehörde geforderte Ein¬ 
richtung hergestellt werden, bevor das Beschlußverfahren zum Abschluß 
gebracht ist. Die Kosten der Einrichtung trägt in diesem Falle der Staat, 
sofern nicht in dem Beschlußverfahren die Gemeinde für verpflichtet er¬ 
kannt wird.“ 

Abg. Schmedding (Zentr.), Berichterstatter, führt aus, daß ein früherer 
Antrag, wonach sich auch der Staat an den Kosten prohibitiver Einrichtungen 
beteiligen solle, von der Staatsregiernng als unannehmbar bezeichnet, und ein 
anderer Antrag, die §§ 27—29 zu streichen, von der Kommission abgelehnt sei. 
Dagegen sei ein Vermittelungsantrag angenommen, wonach die Gemeinden nur 



da« Gesetzes, befer, die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten. 88 


naeb Maßgabe ihrer Leistungsfähigkeit zur Herstellung und Unter¬ 
haltung von Einrichtungen angehalten werden können; anderseits aber auch 
die Kreise befugt sein sollen, diese Einrichtungen an Stelle der Gemeinden 
zu treffen. 

Abg. Oamp (freik.) betont unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte 
des hier in Betracht kommenden § 23 des Beichsseuchengesetzes, daß die Be¬ 
schlüsse der Kommission als außerordentlich maßvoll und dem Fiskus ent¬ 
gegenkommend anzusehen seien. Um § 27 jedoch in formale Uebereinstimmung 
mit § 23 des Beichsgesetzes zu bringen, hält er die Streichung der Worte 
.nach Maßgabe ihrer Leistungsfähigkeit“ für angezeigt. Auch der Vorschlag, 
die Worte .die zu gewährende Anforderung“ durch die Worte .die Inan¬ 
spruchnahme derselben“ zu ersetzen, sei lediglich eine formale Korrektur des 
Kommissionsbeschlusses. 

Abg. Frh. v. Zedlitz und Neukirch (freikons.) bittet, bei den §§ 27, 
28 und 29 den Antrag Wellstein nicht anzunehmen, sondern es bei den Be¬ 
schlüssen der Kommission mit den vom Abg. Ga mp vorgeschlagenen Aende- 
rungen zu lassen. Durch das vorgesehene Beschlußverfahren werde gegen 
übertriebene Anforderungen der Behörden an die Leistungsfähigkeit der Ge¬ 
meinden ein größeres Sicherheitsventil vorgeschoben, als durch die Beschwerde 
im Aufsichtswege. Bedner begründet sodann den von ihm zu § 24 gestellten 
Zusatzantrag, indem er ausführt, daß, wenn auch in der Begel die in seuchen¬ 
freier Zeit zu treffenden Einrichtungen nicht besonders eiligor Natur seien, 
ausnahmsweise doch das Gegenteil der Fall sein könne und für solche Aus- 
aahm efälle Sorge getragen werden müsse. Durch seinen Zusatzantrag werde 
die Sache so geordnet, daß dem Bedürfnis genügt werden könne und doch eine 
Belastung der Gemeinden, sowie eine unberechtigte Heranziehung des Staates 
zu den Kosten vermieden werde. 

Abg. Wellstein (Zentr.) ist an sich mit der Streichung der Worte 
.nach Maßgabe ihrer Leistungsfähigkeit“ im § 27 einverstanden, desgleichen 
mit der redaktionellen Aenderung im § 28 und dem beantragten Zusatz zu 
| 29. Sein eigener Antrag bedeute, daß die betreffenden Maßnahmen erst beim 
Ausbruche einer Seuche oder einer begründeten Gefahr einer solchen eintreten 
sollten. Der Antrag bezwecke eine Ausgleichung zwischen der Begierungs- 
vorlage und der Kommissionsfassung. Er lasse allerdings eine Lücke betreffs 
der Einrichtungen in seuchenfreier Zeit übrig. Bedner behält sich daher vor, 
bei der dritten Lesung eine Fassung zu finden, um diese Lücke auszufüllen. 
Jedenfalls habe aber nach seiner Ansicht die Begierung nicht schon auf Grund 
des § 23 des Beichsseuchengesetzes das Becht, auch wegen der sonstigen 
übertragbaren Krankheiten in der seuchenfreien Zeit Anordnungen auf Be¬ 
schaffung sanitärer Einrichtungen zu treffen. 

Abg. v. Kölichen (kons.) erklärt, daß seine Partei in bezug auf den 
§ 23 des Beichsgesetzes ebenfalls der Ansicht sei, daß sich dieser nur auf die 
hier genannten gemeingefährlichen Seuchen, nicht aber auch auf die übertrag¬ 
baren Krankheiten beziehe. Mit dem ersten Teil des Antrags Wellstein sei 
seine Partei einverstanden, dagegen nicht mit dem zweiten Teil, da sie 
grundsätzlich gegen jede weitere Heranziehung der Kreise sei. Wenn die zur 
Kostentragung verpflichteten Gemeinden lcistungsunfähig seien, müsse der 
Staat eintreten. Ebenso müsse an dem Beschlußverfahren bei Beschwerden 
festgehalten werden; auch der Zusatz zu § 29 sei zweckmäßig und seine An¬ 
nahme nur zu empfehlen. 

Abg. Meyer-Diepholz (n.-lib.): Die §§ 27—29 sind ohne Zweifel die 
schwierigsten des Gesetzes, weil man nicht wisse, welche Anforderungen bei 
Annahme der Begierungsvorlage an die Gemeinden gestellt werden können. 
Bedner habe deshalb eine Uebersicht über die voraussichtlichen Kosten ver¬ 
langt, nicht aus Angst vor der Tätigkeit der Kreisärzte, sondern um sich als 
guter Hausvater über die Tragweite der Kosten zu versichern. Die heutige 
Abstimmung könne für ihn und seine Partei nicht bindend sein; an und für 
sich sei ihm der Antrag Wellstein sympathisch, nur sei bei Erledigung 
von Beschwerden der Bezirksausschuß vorzuziehen. 

Kultusminister Dr. Studt gibt zu, daß die Verkehrsverhältnisse seit 
Erlaß des Begulativs von 1836 sich total verändert haben; aber ebenso sei 
die Bekämpfung der Seuchen durch die verbesserten Verkehrsverhältnisse eine 



84 Die zweite Beratung des preuß. Abgeordnetenhauses über den Entwurf 

viel einfachere geworden. Jedenfalls liege der Medizinalverwaltung nichts 
ferner, als das neue Gesetz zum Ausgangspunkt einer großen Fälle von Ver¬ 
besserungsmaßnahmen usw. zu nehmen. Es werde in der vorsichtigsten Weise 
vorgegangen werden. Der Herr Minister spricht sich sodann gegen die An¬ 
träge des Abg. Gamp aus und betont, daß nach der Begründung und Ent¬ 
stehungsgeschichte des § 23 des Reichsseuchengesetzes es zweifellos feststehe, 
daß die Befugnis der zuständigen Landespolizeibehörde, die erforderlichen 
sanitären Einrichtungen zu fordern, eine unbedingte sei Bleibe deshalb die 
jetzige Landesgesetzgebung bestehen, so würden die Kosten der sanitätspoli- 
zeilichen Einrichtungen von den Ortsgemeinden bezw. den örtlichen Kommunal¬ 
einheiten zu tragen sein. Der Antrag des Abg. Wellstein enthalte eine 
sehr weitgehende Einschränkung sowohl des bisherigen Rechtszustandes, als 
auch desjenigen, wie er in den §§ 27 und 28 der Regierungsvorlage vorge¬ 
sehen sei. Es würden dadurch den Staatsbehörden die Hände in einer un¬ 
erwünschten Weise gebunden, und es könnte die Schlußfolgerung daraus ge¬ 
zogen werden, daß auch zu gewöhnlichen Zeiten, wo eine derartige Gefahr 
nicht vorliegt, die Polizeibehörde bezw. die Sanitätsbehörde nicht in der Lage 
sei, an die Gemeinden irgend welche Zumutungen wegen verbesserter sanitärer 
Einrichtungen zu treffen. Wolle man das Gesetz mit einer solchen Fülle von 
Klauseln belasten, dann wäre es besser, die §§ 27, 28 und 29 der Regierungs¬ 
vorlage überhaupt zu streichen und es in dem alten Zustande zu lassen. Bis¬ 
her sei es in den meisten Fällen gelungen, den sanitären Anforderungen gerecht 
zu werden; das werde auch künftig umsomehr der Fall sein, als bei gemein¬ 
gefährlichen Krankheiten der § 23 des Reichsgesetzes nach wie vor den zu¬ 
ständigen Behörden die Möglichkeit biete, die notwendigen Einrichtungen her- 
stellen zu lassen. 

Abg. Münsterberg (fr. Vgg.) zieht die Fassung der Regierungsvor¬ 
lage vor; jedenfalls behielten sich seineFreunde ihre definitive Stellungnahme 
vor, bis in der dritten Lesung größere Klarheit geschaffen sei 

Finanzminister Freiherr v. Rheinbaben erklärt, daß die §§ 27—29 
nach der Fassung der Kommission insofern über das Ziel hinausgingen, als sie 
die Selbstverwaltungsbehörden nicht nur über die Leistungsfähigkeit der be¬ 
teiligten Gemeinden entscheiden lassen wollen, sondern auch über die Frage 
des Bedürfnisses. Jedenfalls sei die Schlußfolgerung falsch, daß die Beträge, 
soweit sie den Gemeinden nicht auferlegt werden können, ohne weiteres vom 
Staat zu tragen seien. Nur im Einzelfalle, wenn es sich leistungsunfähigen 
Gemeinden gegenüber um dergleichen Fälle handele, werde der Staat Bei¬ 
hülfen gewähren. Auch der Antrag des Abg. Dr. Iderhoff sei unannehm¬ 
bar, da er nur die Gemeinden veranlassen werde, die Kosten auf den Staat 
abzuwälzen. Unter diesen Umständen sei es am besten, die §§ 27—29 zu 
streichen. Allenfalls lasse sich auf der Grundlage der Antrages Wellstein 
eine Verständigung erzielen. 

Abg. Gamp (freik.) spricht sich entschieden gegen die Streichung der 
§§ 27—29 aus. Bei den Maßnahmen in der seuchenfreien Zeit handele es sich 
meist nicht um ortspolizeiliche Interessen, sondern um landespolizeiliche, so 
daß der Staat wegen der Kosten in Anspruch zu nehmen sei. 

Geh. Reg. - Rat Freiherr v. Zedlitz u. Neukirch, Regierungs¬ 
kommissar: Der Reichstag hat durch die Fassung des §23 des Reichsseuchen- 
gesetzes nicht seine schützende Hand über die Gemeinden gehalten, sondern 
nur über die Landesgesetzgebung, der die Regelung der Kostentragung Vor¬ 
behalten bleiben solle. Nach der Landesgesetzgebuug sei aber in Preußen 
zweifellos die Ortspolizeibehörde und damit die Gemeinde kostenpflichtig; in 
diesem Sinne habe sich auch das Oberverwaltnngsgericht ausgesprochen. 

Abg. Gamp (freis.) spricht sich entschieden gegen diese Auffassung 
aus, während Geh. Reg.-Rat Freib. v. Zedlitz n. Neukirch daran festhält. 
Abg. Gamp (freik.) betont demgegenüber nochmals, daß nach dem Reichs¬ 
seuchengesetze zwar die Kostenfrage lediglich durch Landesrecht zu regeln, 
aber die Anspruchnahme leistungsunfähiger Gemeinden für sanitäre Einrichtungen 
davon ausgeschlossen sei. 

Bei der nun folgenden Abstimmung wird § 27 in der Fassung des ersten 
Absatzes des Antrages Wellstein angenommen, der zweite Absatz dieses 
Antrages aber abgelehnt. § 28 wird in der Kommissionsfassung mit der Aen- 



eines Gesetzes, betr. die Bekämpfung Übertragbarer Krankheiten. 85 

dernng nach dem Anträge Gamp und g 29 ebenfalls in der Kommissions* 
faasung mit dem Zusatz des Abg. Dr. Iderhoff angenommen. 

Es folgt non die Beratung über den § 26b (Regelang der Kosten¬ 
frage in Gntsbezirken), der jetzt als § 29a eingefügt werden soll. 
Hieran beantragen die Abg. Dr. v. Heydebrand u. der Lasa, Winckler 
nad v. Ditfarth als ersten Absatz voranzastellen „die Vorschriften dieses 
Abschnittes finden aaf Gatsbezirke and Zweckverbände sinngemäß Anwendung“, 
während der Abg. Graw (Zentr.) beantragt, hinter dem Wort „Zweckverbände“ 
einznschalten: „mit Ausnahme domänenfiskalischer Gats bezirke“. 

Abg. Freih. v. Zedlitz a. Neakirch (freik.) erklärt sich für den 
Torgeschlagenen ersten Absatz; im übrigen aber gegen den § 29a, da doch, 
wo derartige Verhältnisse in Gatsbezirken vorlägen, die Voraassetzangen für 
eine Gemeindebildang gegeben seien. Abhilfe werde in solchen Fällen richtiger¬ 
weise dadurch geschaffen, daß der Gatsbezirk in einen Gemeindebezirk ver¬ 
wandelt werde. 

Abg. v. Ditfarth (kons.) betont, daß die Gatsbezirke nicht schlechter 
behandelt werden dürften als die Landgemeinden; von der Anerkennung dieses 
Grundsatzes sei die Zustimmung seiner Partei zu dem Gesetze abhängig. 

Geh. Ob.-Reg.-Bat Dr. Freund, Regierungskommissar, spricht sich 
entschieden gegen den § 29 a sowie gegen den dazu beantragten Vordersatz aas. 

Finanzminister Frhr. v. Ehe in haben bittet alle diejenigen, welche 
das Gesetz verabschiedet za sehen wünschen, dringend, dem vorliegenden An¬ 
träge die Zastimmang nicht za erteilen, da sonst die ganze Gesetzesvorlage 
scheitern würde, da es nicht zugänglich sei, die Gatsbezirke den Gemeinden 
gleichzustellen; beim Dotationsgesetz sei dies auch nicht geschehen. Es sei 
auch gar nicht möglich, den Grandsatz des § 26 aaf die Gatsbezirke sinn¬ 
gemäß za übertragen. 

Abg. Gamp (freik.) erkennt die Schwierigkeiten an, welche der Ueber- 
tr&gnng des § 26 aaf die Gatsbezirke entgegenstehen, bittet aber, für den 
Fall der Annahme des Antrags Heydebrand wenigstens den Antrag Graw 
einzofügen. 

Abg. Frhr. v. Zedlitz a. Neakirch beantragt, in den Antrag Heyde¬ 
brand den Uebergang folgendermaßen za fassen: „Die Vorschriften der 
§§ 27—29 finden“ usw. 

Abg. v. Ditfarth (kons.) erklärt gegenüber dem Finanzminister, daß 
der Fehler, der im Dotationsgesetz gemacht sei, hier vermieden werden solle. 

Nach einigen weiteren Bemerkungen des Abg. Frhr. v. Zedlitz u. 
Neakirch and nachdem Abg. Graw (Zentr.) karz seinen Antrag empfohlen 
hat, erklärt der Finanzminister v. Eh ein haben nochmals sich gegen die 
Anträge and betont in vollem Ernste, daß ihre Annahme die Verabschiedung 
des Gesetzes aafs äußerste erschweren würde. 

Bei der Abstimmung wird nur § 29 a, Abs. 1 nach dem Anträge von 
Heydebrand angenommen, alle anderen Anträge abgelehnt. 

Za § 30 (Strafvorschriften) befürwortet Abg. Peltasohn (fr. Vgg.)die 
An nahm e eines Antrags, das Wort „wissentlich“, das erst die Kommission ein¬ 
gefügt hat, zu streichen, damit auch die fahrlässige Unterlassung der Anzeige 
getroffen werden könne. Aach beim Beichsseuchengesetz sowie im Viehseachen- 
gesetz sei die fahrlässige Unterlassong der Anzeige unter Strafe gestellt; wer 
die Augen zamache, wo er sie pflichtgemäß offen halten müsse, könne nicht 
Ton Strafe befreit werden. 

Ministerialdirektor Förster stimmt dem Anträge za. 

Abg. Wilckens (kons.) bittet, das Wort „wissentlich“ stehen zu 
lassen, dann könne Niemand onversehends über eine Schlinge des Gesetzes 
stolpern. 

Unter Ablehnung des Antrags wird § 30 anverändert angenommen, des¬ 
gleichen ohne weitere Debatte der ganze Abschnitt der Strafvorschriften. 

Die Ueberschrift des Gesetzes wird nach dem Kommissions- 
antrage doJiin geändert: „Entwarf eines Gesetzes, betr. die Bekämpfung 
übertragbarer Krankheiten*. 

Ferner wird die von der Kommission beantragte Resolution: 

„die Königliche Staatsregierang za ersachen, in den Haushaltsplan des Mi- 
niaterioms der usw. Angelegenheiten einen Betrag von 600000 Mark einzu- 



86 


Besprechungen. 


stellen, aas welchem die leistungsunfähigen Gemeinden, für welche aach die 
Kreise wegen eigener starker Belastung die erforderlichen Einrichtungen 
nicht treffen und unterhalten, Beihilfen zu den Kosten dieser Einrichtungen 
gewährt werden können* 
ohne Widerspruch angenommen. 

Die dritte Lesung des Gesetzentwurfes wird voraussichtlich in den 
ersten Tagen des Februar stattfinden. 


Besprechungen. 

Beg.-Bkt Krtulin in Arnsberg: Dan staatliche JLufsiohtsreoht 
gegenüber centralen Wasserleitungen in Preussen. Braunschweig 
1904. Verlag der Viewegsche Verlagsbuchhandlung. Preis: 1,20 Mk. 

Die in der Deutschen Vierteljahrsschriit fttr öffentliche Gesundheitspflege 
Band 26, Heft 2 veröffentlichte Abhandlung des Verfassers Über „das staat¬ 
liche Aufsichtsrecht gegenüber zentralen Wasserleitungen in Preußen* ist nun¬ 
mehr als Broschüre in dem oben erwähnten Verlage erschienen und damit 
einem größeren Leserkreise zugängig gemacht. 

Ohne Frage entspricht die Abhandlung einem dringenden Bedürfnis, da 
es bislang an einer Bearbeitung dieses schwierigen Gegenstandes gänzlich 
gefehlt hat und die Medizinal- und Verwaltungsbeamten, bei dem aktuellen 
Interesse, welches z. Z. die Beaufsichtigung der zentralen Wasserversorgungs¬ 
anlagen einnimmt, schon seit geraumer Zeit nach einer Arbeit Umschau ge¬ 
halten haben, welche ihnen die rechtliche Lage in kurzen Zügen darlegte. 
Gestützt auf eine eingebende Kenntnis der in betracht kommenden rechtlichen 
Verhältnisse und auf eine umfangreiche praktische Erfahrung als Justitiar an 
der Arnsberger Regierung, welche hinsichtlich der Zahl der zentralen Wasser¬ 
versorgungsstellen mit an der Spitze der Preußischen Monarchie steht, hat der 
Verfasser in übersichtlicher und leicht verständlicher Form in seiner Arbeit 
zunächst die Grundlagen des Aufsichtsrechts und den Umfang desselben ge¬ 
schildert, sowohl hinsichtlich der Anlegung oder Veränderung von Wasser¬ 
werksanlagen, als der Ueberwachung des Betriebes. 

Die allgemeine Befugnis der Polizeibehörden, die gesundheitlichen In¬ 
teressen gegenüber Wasscrversorgungsanlagen durch besondere polizeiliche 
Anordnungen wahrzunehmen, folgt aus den bekannten Vorschriften des § 10II, 
17 des Allg. Landrechts, sowie aus § 6 Nr. f. des Gesetzes über die Polizei¬ 
verwaltung vom 11. März 1850: Zu den Gegenständen der ortspolizeilichen 
Vorschriften gehören: f) Sorge für Leben und Gesundheit. Außerdem kommen 
noch wege- und baupolizeiliche Vorschriften in betracht. Oeffentlich rechtliche 
Sonderbestimmungen für Wasserleitungen bestehen in Preußen nur im 
Geltungsgebiete des Allg. Landrechts und werden die einschlägigen Paragraphen 
kurz auf geführt. 

Bei Wasserwerken, welche einen gewerblichen Charakter haben, ist 
eine Konzession bezw. polizeiliche Genehmigung nicht erforderlich, da sie nicht 
unter § 16 der Gewerbe-Ordnung fallen; dahingegen ist gegen eine Polizei¬ 
vorschrift nichts einzuwenden, welche bestimmt, daß bei Einrichtung neuer, bei 
Erweiterung oder sonstiger Veränderung bestehender Wasserleitungsanlagen 
eine gewisse Frist vor Beginn der Herstellungsarbeiten von dem Vorhaben der 
Polizeibehörde unter Beifügung der erforderlichen Unterlagen (Lageplan, Zeich¬ 
nungen, Erläuterungsbericht) Anzeige zu machen ist. Ebenso kaun eine 
Anzeige von der Ingebrauchnahme der neuhergestellten oder veränderten An¬ 
lage angeordnet werden. Eine solche Verordnung verstößt nach dem Verfasser 
nicht gegen § 1 der Gewerbeordnung, da hier nur von Zulassung zum Ge¬ 
werbebetriebe die Rede ist, während die Ausübung des Gewerbebetriebes 
Beschränkungen unterworfen wird, welche den Schutz allgemeiner polizeilicher 
Interessen bezwecken. Diese Anzeigepflicht würde nur als eine aus allgemein 
gesundheitspolizeilichen Rücksichten gerechtfertigte Beschränkung anzusehea 
sein und in § 6 d. P. V. G. ihre gesetzliche Stütze finden. 

Für nicht gewerbsmäßig betriebene Wasserversorgungsanlagen 
darf dagegen sowohl die Einholung einer polizeilichen Erlaubnis zu Ihrer An- 



Tagesnachriehten. 


87 


legung, wie za ihrer Ingebrauchnahme gefordert werden, wenngleich die Polizei¬ 
behörden ans praktischen Rücksichten hiervon möglichst Abstand nehmen 
dürften. 

Nachdem der Verfasser sich sodann der Besprechung der Zuständigkeit 
der zur Ausübung des Aufsichtsrechts berufenen Behörden und Beamten zu¬ 
gewandt hat, streift er noch kurz die Frage der Kosten der Aufsichts- 
maßn&hmen und resümiert sich schließlich dahin, daß nach dem Ergebnis der 
rorangeschickten Ausführungen die Polizeibehörde imstande sei, die Anlegung, 
Erweiterung oder sonstige Veränderung, sowie den Betrieb von zentralen 
Wasserleitungsanlagen so zu beaufsichtigen, daß eine genügende Wahrung der 
gesundheitlichen Interessen möglich ist. Die praktische Durchführung der 
polizeilichen Maßregeln erfolgt am zweckmäßigsten mit Hilfe von Polizei- 
rerordnungen, deren Geltungsbereich mindestens auf einen Regierungsbezirk 
aaszudehnen sein wird. Als Muster einer solchen P.-V. ist die für den Reg.- 
Bez. Arnsberg entworfene beigefügt. 

Dieser kurze Hinweis auf den interessanten Inhalt der obigen Arbeit, 
welche die in betracht kommenden rechtlichen Fragen in knapper und dabei 
erschöpfender Form behandelt, möge die Medizinal- und Verwaltungsbeamtcn 
zur Beschaffung der Broschüre veranlassen. Dr. Dütschke- Erfurt. 


Tagesnachrichten. 

Dem diesjährigen Landeshaushaltsetat für Elsaß-Lothrin gen 
ist eine Denkschrift über eine Reform?des Medizinalwesens beigeftigt,durch 
die hauptsächlich die Stellung der'Kreisärzte eine ähnliche Umge¬ 
staltung wie in Preußen erfahren soll. Es sind 6 vollbesoldete und 15 nicht 
Tollbesoldete Kreisarztstellen mit Pensionsberechtigung vorgesehen; außerdem 
sollen die Kreisarztstellen am Sitze der Bezirkspräsidien (Straßburg, Metz und 
Colmar) von den an diesen angestellten Medizinalreferenten im Nebenamt versehen 
und zu diesem Zwecke eine neue Regierungs- und Medizinalratsstelle beim Be- 
zirkspräsidium in Straßburg geschaffen werden. Der durch die Reform bedingte 
Mehraufwand beträgt 52000 Mark. 


In München ist die Anstellung eines Stadtarztes beabsichtigt, der als 
sachverständiger hygienischer Beirat in allen Fragen des städtischen^Sanitäts- 
wesens zu fungieren hat. _ 


Auf die Eingabe des Ausschusses der preußischen Aerzte- 
kämmern, betreffend die Vergütung der ärztlichen Sachverständigen für 
die Teilnahme an den Sitzungen der Schiedsgerichte für Arbeiterverslche- 
ringen, ist folgender Bescheid des Handels ministers eingegangen : „Durch 
das Zustandekommen des dem Landtage zur verfassungsmäßigen Beschlu߬ 
fassung vorliegenden Gesetzentwurfs, betreffend die Gebühren der Medizinal¬ 
beamten, werden die vorgetragenen Mißstände in der Hauptsache beseitigt 
werden- Ich sehe daher vorläufig davon ab, dem Anträge weitere Folge zu 
geben, und stelle dem Ausschuß anheim, ihn erforderlichenfalls später zu er¬ 
neuern.“ Infolgedessen hat sich der Ausschuß jetzt an den Medizinalminister 
gewandt. In dem Schreiben wird bezweifelt, daß die Mißstände durch die 
Verabschiedung des dem Landtage vorliegenden Gesetzentwurfs ihre Erledigung 
faden werden. — Das stimmt allerdings, so lange an maßgebender Stelle die 
Aasicht vorherrscht, daß der Sachverständige bei den Schiedsgerichten lediglich 
uif Grund der Akten sein Urteil abgeben soll, die Honorierung nachfStundenzahl 
erfolgen und in dieser Honorierung auch die etwa während der Sitzung vorzu- 
aebmenden Untersuchungen abgegolten werden sollen. Unseres Erachtens ist die 
Frage der Vergütung bei weitem nicht so wichtig, als die Regelung der Tätig¬ 
keit der Sachverständigen bei den Schiedsgerichten; hier muß 
ft erster Linie der Hebel angesetzt und eine nicht nur der Stellung des Sach¬ 
verständigen, sondern vor allem auch dem Zwecke ihrer Zuziehung ent¬ 
sprechende Regelung gefordert werden, dann wird diejenige über die Vergütung 
voa selbst folgen. _ 



88 


Tagesnachrlchten. 


Dem Krebsforschungslnstitut der Heidelberger UnivesehAt hat der 
Landrat Ebbinghaus in Düsseldorf 160000 Mark vermacht. 


Für die diesjährige, in Meran stattfindende 77. Versammlung Deut¬ 
scher Naturforscher und Aerzte sind die Tage vom 24.— 30. September 
bestimmt. 


Der 26. Baineologenkongress findet vom 9.—13. März d. J. in Berlin 
statt. Während des Kongresses wird auch der Ausschuß für die gesund¬ 
heitlichen Einrichtungen in Kurorten im Kultusministerium im 
Beisein des Geh. Ob.-Med.-Bats Dr. Dietrich als Vertreter des Ministers 
tagen. 


Die diesjährige Konferenz der Zentralstelle für Arbeiter - Wohlfarts- 
elnrlchtungen wird am 6. und 6. Juni in Hagen L/W. stattfinden. Auf der 
Tagesordnung steht für den ersten Tag: Die Belehrung der Arbeiter 
über die Giftgefahren in gewerblichen Betrieben (Referenten: 
Prof. Dr. Lewin-Berlin, Prof. Dr. Lehmann-Würzburg, Prof. Lepsius- 
Griesheim, Dr. H. Rös sie r-Frankfurt &./M., Dr. B1 u m - Frankfurt a.fM., Reg.- 
und Gewerberat Oppermann-Arnsberg, Reg.- u. Geh. Med.-Rat Dr. Roth- 
Potsdam, Geh. Reg. - Rat Dr. Liebrecht - Hannover, Schulrat Dr. Kerschen- 
steiner-München, Prof. Dr. E. Franke-Berlin); für den zweiten Tag: Die 
Gestaltung der Arbeiterwohnungen (Referenten: K. E. Osthaus- 
Hagen, Reg.- und Gewerbeschulrat Dr. Muthesius-Berlin, Dierektor der 
RheinischenProv.-Feuersozietät Dr.Brandts -Düsseldorf, Prof.Dr.Schultze- 
Naumburg a./S., Architekt Riemerschmid-München, Geh. Reg.-Rat Dr. 
Henrici, Prof. Dr. Lichtwark -Hamburg. Mit der Konferenz ist eine Aus¬ 
stellung verbunden, in der architektonisch mustergültige Arbeiterwohnhänser 
und Beispiele guter, einfacher Häuser aus allen Teilen Deutschlands in Photo¬ 
graphien und Zeichnungen dar gestellt sein werden. 


Der schweizerische Bundesrat hat den Regierungen von Deutsch¬ 
land, Oesterreich - Ungarn, Belgien, Dänemark, Spanien, Frankreich, Gro߬ 
britannien, Griechenland, Italien, Luxemburg, Niederlande, Portugal, Rumänien, 
Serbien, Schweden und Norwegen die Einladung zu der am 8. Mai 1905 in 
Bern zusammentretenden internationalen Regierungskonferenz für Arbeiter¬ 
schutz zugehen lassen. Auf dem Programm stehen folgende Punkte: 1. V e r - 
bot der Verwendang des weißen Phosphors bei der Herstellung 
von Zündhölzchen; 2. Verbot der gewerblichen Nachtarbeit 
bei Frauen. 


Das vom kgl. preußischen Statistischen Bureauherausgegebene 
„Statistische Jahrbuch für den preussischen Staat“ ist im zweiten Jahr- 
gange erschienen und sämtlichen Kreisärzten ein Dienstexemplar zugestellt. 
Erstaunlich ist übrigens der außerordentlich niedrige Preis des Buches; über 
260 Seiten stark, kostet cs in gefälligem Einband nicht mehr als 1 Mark. 
Wenn bei allen anderen im amtlichen Aufträge erscheinenden Büchern, Schriften 
usw. ein ähnlich billiger Preis gesetzt würde, dann dürfte dies für deren Ver¬ 
breitung sicherlich von bestem Erfolg sein. 


Berichtlgnng. In Nr. 2 der Zeitschrift, S. 46, Zeile 18 von oben 
muß es „KMn0 4 “ statt „RMn0 4 “ und Zeile 4 von unten „Aspirationsspritze* 
statt „Operationsspritze“ heißen. 


Verantwortl. Redakteur: Dr. Rapmund, Reg.- u. Geh. Med.-Rat in Mindeni. W. 
J. C. C. Bruns, HerzogL Sftcha u. F. 8ch.-L. Hofbucbdruckersi ln Minden. 




18 . Jahrg. 


1905 . 


Zeitschrift 

ffir 

MEDIZINALBEAMTE. 


Zentralblatt fnr geriektfiehe Medizin und Psyebiatrie, 
lir intfiehe Saebverstudigentitigkeit in Unfall- und InTiliditataiadMa, itwie 
lir Ijgiene, üentL Suitatsweseu, Medizinal-Gesetzgebung und Keebtsyreekug. 

Heraasgegeben 

TOB 

Dr. OTTO RAPMUND, 

ftefUraafe- ind Geh. Meriliinolroi in Minden« 


Verlag von Fischers mediz. Buehhandlg, H. Kornfeld, 

HflnogL Bayer. Hof- u. BnbenogL Kamm s r -B no i üi i ndl e r . 

Berlin W. 35, Lützowstr. 10. 

TnranUi nohaon die YerUf Handlung sowie alle Annoncen - Expeditionen des ln- 

nnd Anfllnndes entgegen. 


Nr. 4. 


Knekelat u l. nl IS. Jedes Hesets 


15. Febr. 


Fremdkörper (Haarnadel) in der Blase einer geistesschwachen 
Epileptischen infolge von Masturbation. 

Von Dr. Stakemann, leitendem Arzt des Asyls für Epileptische 
in Botenbarg L H., staatsärztL approb. 

Im Dezember 1904 hatte ich Gelegenheit, obigen Fall zu 
beobachten, welcher einer kurzen Wiedergabe wert erscheint. 

Die 16jährige, geistesschwache, halbseitig gelähmte, aber 
sonst für ihr Alter gut entwickelte Kranke C. ans L. blieb am 
17. Dezember za Bett liegen, weil sie sich angeblich nicht wohl 
fühlte nnd Kopfschmerzen hatte. 

Bei der Visite machte die auch sonst recht wortkarge Kranke 
einen sehr gedrückten Eindruck auf mich, so dass ich sie in der 
Annahme, es handle sich am einen gewöhnlichen Depressionsza- 
stand, wie Patientin ihn häufiger bekam, liegen liess, ohne 
weiter ärztliche Anordnungen zu treffen, zumal die sofortige ober¬ 
flächliche Untersuchung für das Vorhandensein einer körperlichen 
Erkrankung nicht sprach, insbesondere Fieber nicht vorhanden 
war. Patientin antwortete auf Fragen meist nnr durch bejahende 
and verneinende, anwillige Kopfbewegangen. Die Stationsschwester 
gab noch an, dass Patientin seit einigen Tagen menstruiert sei. 
Derselbe negative Befund blieb auch in den nächsten Tagen unver- 
iadert bestehen. Am 21. Dezember stand Patientin auf, nachdem 
die übrigen Kranken den Schlafsaal bereits verlassen hatten, nnd 
kam verspätet zum Morgenkaffee. Der Schwester fiel bei dem 
Herein treten der Kranken deren wachsbleiche Gesichtsfarbe nnd 
ihr schleppender, schwerer Gang auf. Sie brachte die Kranke, 













90 Dr. Stakemann: Fremdkörper (Haarnadel) in der Blase usw. 

welche Ohnmachtsanwandlungen bekam, sofort ins Bett zurück, 
setzte mich alsbald von dieser Wendung im Krankheitsbilde in 
Kenntnis und berichtete mir nunmehr, am 13. Dezember habe 
eine ihrer Kranken ihr erzählt, die C. habe während des Mittag¬ 
essens der Schwestern an ihren Geschlechtsteilen herummanipuliert 
und sich „vorne“ etwas hineingesteckt. Sie (die Schwester) 
habe aber den Vorfall, den sie nicht für möglich gehalten habe, 
ganz vergessen; er sei ihr erst bei dem Anblick der sichtlich 
leidenden Kranken wieder eingefallen. 

Die sofort ausgeführte Untersuchung ergab jungfräuliche Beschaffenheit 
des Scheideneinganges. Die kleinen Schamlippen waren schlaff, vergrößert 
und bräunlich pigmentiert, der Kitzler fiel durch besondere Beschaffenheit 
dagegen nicht auf. Der Scheideneingang und die Mündung der Harnröhre 
wiesen keinerlei Rötung oder sonstige Veränderungen auf, insbesondere keine 
Blutaustretungen, Risse u. drgl. Bei der mit dem Kleinfinger ausgeführten 
Scheidenuntersuchung stieß ich an der vorderen Scheidenwand, etwa 3 cm 
vom Scheideneingang entfernt, auf einen sich spitz anfühlenden, leicht federnden, 
von der vorderen Wand der Scheide bedeckten Gegenstand, über dessen Natur 
zunächst ein sicheres Urteil nicht abgegeben werden konnte. 

Da der Fremdkörper nur in der Blase gelegen sein konnte, so beschloß 
ich, denselben sofort operativ zu entfernen, umsomehr, als die Morgentemperatur 
leicht erhöht, der Leib in der Blasengcgend leicht aufgetrieben war, und diese 
Stelle als sehr schmerzeinpfindlich angegeben wurde. 

Durch eine gemeinsam mit Herrn Kreisarzt Dr. M., welcher mir freund- 
lichst half, ausgeführte Sondenuntersuchung in Chloroformnarkose wurde fest¬ 
gestellt, daß quer in der Blase ein federnder, metallener Gegenstand lag. Die 
Harnröhrenmündung wurde daraufhin mit H e g a r sehen Erweiterern bis zur Dicke 
des Kleinfingers erweitert, und durch Betasten des Gegenstandes festgcstellt, 
daß es sich um eine starke Haarnadel handelte, welche sich sehr fest in der 
Blase eingeklemmt und an der vorderen Scheidenwand angespießt hatte. Wäh¬ 
rend der Fingeruntersuchung entleerte sich stark getrübter und scharf nach 
Ammoniak riechender Urin unter hohem Druck. 

Die Operation selbst interessiert wohl nur insofern, als es nach mehreren 
vergeblichen Versuchen gelang, die Haarnadel durch kombinierten Druck von 
der Scheide, den Bauchdecken und der Blase aus so zu wenden, daß das ge¬ 
bogene Ende der Nadel erfaßt und ohne Verletzung der Blasenschleimhaut 
herausgezogen werden konnte. Die Haarnadel war auffallend groß, wie man 
sie jetzt nur selten noch sieht: 11 cm lang, Entfernung der Schenkel von ein¬ 
ander 9 mm, Dicke der Schenkel 2 mm. Sie war von schmutzig braunen, übel¬ 
riechenden und fetzigen Häuten (Schleimhautmembranen) vollkommen ein¬ 
gehüllt. 

Der bestehende Blasenkatarrh ist unter entsprechender Behandlung ver¬ 
hältnismäßig schnell ausgeheilt. Lähmungserscheinungen von seiten der Blase 
wurden nicht beobachtet, selbst nicht am Tage der Operation. 

Bezüglich des wirklichen Vorganges bei der Masturbation, die 
bei der Kranken schon seit langen Jahren beobachtet wird, h&llt 
sich Kranke noch heute in tiefes Schweigen, so dass lediglich 
der Umstand, dass der Vorgang von einer anderen Kranken be¬ 
obachtet und gemeldet wurde, zur Entdeckung des Leidens führte. 

Vom Standpunkte der Krankenpflege, zumal der psychia¬ 
trischen, aus betrachtet, lehrt dieser besonders glücklich verlau¬ 
fene Fall aufs neue, wie wichtig es ist, dass das Pflegepersonal 
allem und jedem seine Aufmerksamkeit schenken und dem Arzt, 
der so häufig ganz auf die Angaben des Personals sich stützen 
muss, sofort pflichtgetreu von seinen Beobachtungen Kenntnis 
geben muss. 



Dr. Tenholt: Einwanderung der Anchylostomom-Larven durch die Haut. 91 

lieber die Loosssche Lehre, betr. die Einwanderung der 
Anchylostomum-Larven durch die Haut. 

Von Dr. Tenholt, Oberarzt des Allgemeinen Knappschafts-Vereins in Bochum. 

Als vorläufige Mitteilung von besonderem Interesse möge 
folgender Fall dienen: 

Am 16. Dezember v. J. übertrug ich bei einem jungen Arzte, 
der sich freiwillig, aus eigenem wissenschaftlichen Drange, dazu 
erbot, auf die Aussenfläche seines linken Armes, etwa handbreit 
oberhalb des Handgelenks, 8—10 Tropfen einer eingekapselte 
Larven des Anchylostomum hominis enthaltenen Flüssigkeit. Es 
waren, wie kurz vorher mikroskopisch festgestellt wurde, etwa 
80—100 lebende, recht bewegliche Larven in der übertragenen 
Flüssigkeit vorhanden. Dieselbe wurde mittelst eines Glasstäbchens 
sanft auseinandergebreitet, um auf der Haut zu verdunsten. Etwa 
eine halbe Stunde später war die Haut trocken; mit der Lupe 
konnten die Larven nicht mehr wahrgenommeu werden. Zum 
Sehutze des Armes warde ein Watteverband angelegt. Etwa 
6 Stunden hierauf empfand der Kollege an der betreffenden Stelle 
ein leichtes Jucken, am anderen Morgen aber bemerkte er etwa 
10 gerötete Fleckchen mit je einem kleinen Knötchen in der Mitte. 
Diese Knötchen lagen sämtlich an Haarwurzeln. Die Flecken 
verschwanden bald, sonstige objektive und subjektive Erschei¬ 
nungen blieben zunächst aus. Aber um Mitte Januar stellte 
sich ein leichter Magenkatarrh, ein Magendruck, ein, dem aber 
eise besondere Bedeutung umsoweniger beigelegt wurde, als der 
Kollege, selbst mit der Untersuchung auf Anchylostomumeier ver¬ 
traut, jede Woche ein- oder mehrmalige derartige Untersuchungen 
seiner Faeces vorgenommen hatte und zwar stets mit negativem 
Erfolge. Auch wochenlang vor dem Experimente am 16. Dezember 
waren seine Faeces frei von Anchylostomum- oder sonstigen Ento- 
zoeneiern befunden worden. Noch am 25. Januar teilte er mir 
mit, dass die vor einigen Tagen wiederum vorgenommene Unter¬ 
suchung von 2 0 Präparaten keine Anchylostomumeier ergeben hätte. 
Am 1. Februar aber erhielt ich, gleichzeitig mit einer Probezusen- 
dang seines Stuhlgangs, von dem Kollegen die Mitteilung, dass die 
Eier jetzt vorhanden seien. Die von mir und meinen Assistenten 
vorgenommene Nachuntersuchung bestätigte dies; in jedem Deck¬ 
glaspräparate fanden sich 4—6 Ovula Anchylostomi. 

Der Versuch ist durchaus einwandsfrei und in Gegenwart 
meiner Assistenzärzte gemacht worden; jede andere Entstehungs¬ 
weise der nunmehr von dem opferwilligen Kollegen beherbergten 
Geschlechtsreifen Anchylostomum - Würmer ist ausgeschlossen; sie 
haben sich aus den am 16. Dezember auf die Haut übertragenen 
Larven entwickelt. 

Auf die Bedeutung dieses Erfolges hier näher einzugehen, 
muss ich mir jetzt versagen, ich werde darauf später zurück¬ 
kommen. 



92 


Dr. Berger. 


Die Bekämpfung der ansteckenden Krankheiten. 

Von Dr. Berger, Kreisarzt in Hannover. 

Wenn man sich bei dem gehäufteren Auftreten von an¬ 
steckenden Krankheiten auf die Belehrung in den betroffenen 
Familien und auf Sicherheitsmassnahmen bezüglich der Schale 
beschränkt, so erlebt man nicht selten die Enttäuschung, dass das 
Uebel immer weiter nm sich frisst, und mancher hat wohl schon 
fatalistisch geseufzt: „da ist nichts zu machen“. 

Mit Recht wird von allen Seiten betont, dass es daranf 
ankommt, die ersten Fälle für die Allgemeinheit unschädlich zu 
machen. Und in der Regel tritt glücklicherweise eine Seuche 
nicht gleich von Anfang an so verbreitet auf, dass dieses Be¬ 
streben als ein zu umfangreiches und deswegen mehr oder minder 
aussichtsloses zu bezeichnen wäre. Darauf kommt es aber an, 
die ersten Fälle zu fassen, und das ist möglich! 

In der Stadt liegt die Frage der Verbreitung der ansteckenden 
Krankheiten etwas anders als auf dem platten Lande, aber im 
grossen ganzen ähnlich. 

Darüber sind sich alle Praktiker einig, auf dem Lande wird 
die Krankheit von Haus zu Haus verschleppt. Die Besuche von 
Verwandten — und dreiviertel des Dorfes sind ja immer mitein¬ 
ander verwandt — und Bekannten — das ist das letzte Viertel 
der Dorfbewohner — hören in Familien, in denen Kranke sind, 
nicht auf. Teilnahme, Neugier, Drang, gute Ratschläge an den 
Mann zu bringen, sind die Triebfedern. Diese Be Sucher ei ist 
der springende Punkt in der Verbreitung ansteckender Krank¬ 
heiten auf dem Lande. Belehrung allein ist nicht ausreichend, 
diesem Uebelstande abzuhelfen; wie sollte sie es auch können, 
da nicht jedes Haus im Dorfe besucht werden kann. Ich habe 
deshalb vor einiger Zeit in 2 Dörfern, in denen Scharlach und 
Diphtherie ausgebrochen waren, öffentlich durch den Ausrufer be¬ 
kannt machen lassen: 

1. Im Dorfe herrscht Diphtherie bezw. Scharlach. 

2. Das ist eine sehr ansteckende Krankheit. 

3. Die Krankheit hat häufig den Tod zur Folge. 

4. Es wird auf das Dringendste gewarnt, Häuser, in denen 
kranke Kinder sind, unnötig zu besuchen. 

Der Erfolg war ein ausgezeichneter, die Krankheit trat 
noch in zwei Fällen auf, in denen offenbar die Ansteckung schon 
erfolgt war, und war verschwunden. 

Ich bin weit entfernt, etwa andere Gründe für das Ver¬ 
schwinden der Krankheit unberücksichtigt zu lassen; ich weise 
sehr wohl, dass vielleicht meine Massnahmen gar nicht die Ur¬ 
sache waren, aber ich glaube es. Und wer unbefangen an die 
Beurteilung geht, wird geneigt sein, mir Recht zu geben. Jeden¬ 
falls empfehle ich dringend, einen Versuch mit der Massnahme 
zu machen; nur die allgemeine Beobachtung kann über ihre 
Zweckmässigkeit entscheiden. 

Die Gründe, die für die Wirksamkeit der Massnahme 



Die Bekämpfung der ansteckenden Krankheiten. 


93 


sprechen, sind so einleuchtende, dass ich sie vor den Lesern dieser 
Zeitschrift nicht zu erörtern brauche. Es ist jedem unbenommen, 
die Bekanntmachung nach seinem Geschmack abzuändern und zu 
ergänzen; unter bestimmten Umständen wird man zweckmässig 
dies oder jenes hinzusetzen, z. B. kann man die so wichtige Be¬ 
rührung von Gegenständen, mit denen der Kranke in Berührung 
gekommen ist oder in Berührung gekommen sein kann, erwähnen, 
Der Laie sagt sich ja zuweilen, wenn das Alles so schlimm wäre 
mit dem Verschleppen, müssen dann nicht eigentlich die Aerzte 
die schlimmsten Verbreiter seinP Dem, der diese}; Behauptung 
aufstellt, kann aber sofort entgegengehalten werden, dass doch 
verhältnismässig selten — es kommt vor und es gibt tragische 
Fälle — die Aerzte die Krankheiten in ihre Familien einschleppen, 
und die Gründe dafür sind naheliegende: der Arzt fasst eben vor 
allen Dingen nichts unnötig an. 

Ich möchte neben dieser Bekanntmachung noch eine weitere 
Massnahme empfehlen. 

Die Aerzte in dem Board of health, der Gesundheitsbehörde 
in New York, deren Liebenswürdigkeit ich manche interessante 
Beobachtung im letzten Sommer jenseits des Ozeans zu verdanken 
habe, zeigten mir 24 : 16 cm grosse, hinten gummierte Zettel, 
welche an die Türen von Haushaltungen geklebt werden, in denen 
ansteckende Krankheiten ausgebrochen sind. 

Solch ein Zettel sieht folgendermassen aus: 


Department of Ho&lth, City of New York. 

Diphtheria. 

Alle Personen, welche nicht in diesen Bäumen wohnen, werden hierdurch 
benachrichtigt, daß Diphtherie hier ausgebrochen ist, und werden gewarnt, 
diese Wohnung zu betreten. 

Die mit Diphtherie kranken Personen dürfen die Wohnung nicht eher 
verlassen, bis dieses Plakat von der Gesundheitsbehörde wieder entfernt ist. 

Im Aufträge des Bathes 

N. N., President. 

Date,. 


Diese Zettel sind bei dem kosmopolitischen Charakter New 
Yorks übrigens in allen Sprachen vorrätig, sogar die Hieroglyphen 
des Alten Testaments vermisst man nicht. 

Die Massnahme wurde mir von den amerikanischen Aerzten 
als sehr erfolgreich empfohlen. Mir ist es hier nur vorläufig darum 
ra tun, das System zu erwähnen, über die zweckmässigste Aus¬ 
führung lässt sich nach genereller Billigung des Systems ein Ein¬ 
vernehmen erreichen. 


Ich möchte bei dieser Gelegenheit anführen, dass in der 
neuen Welt auch die Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit 
für die ja auch die Ursache eine infektiöse ist, in einer eigen¬ 
artigen Weise in Angriff genommen ist. Die Medical Inspectors 
stellen bei den Kranken die Temperatur der Milch, die Beschaf¬ 
fenheit des Trinkgefässes fest, auf, den Zählkarten wird sogar 
ein Diagramm der Wohnung gegeben. Bei uns ist die Bekämpfung 
der Säuglingssterblichkeit gewissermassen mehr eine summarische, 
bei den Amerikanern mehr eine individuelle; es kann nicht 




94 


Dr. Ahlfeld. 


zweifelhaft sein, welche den Vorzug verdient. Das Eingehen 
auf den einzelnen Fall hat naturgemäss generelle Massnahmen 
mit im Gefolge, während die generelle Verordnung beispielsweise 
über Beschaffenheit der Kindermilch noch nicht in die Einzelfälle 
greift; freilich gehört zu den amerikanischen Massnahmen eine 
umfangreiche Organisation von Sanitätspersonal. 


Das neue Hebammeninstrumentarium. 

Von Geh. Med.-Bat Prof. Dr. F. Ahlfeld, Direktor der Königl. Frauenklinik 

und Hebammenlehranstalt. 

Mit dem Inkrafttreten eines neuen Hebammenlehrbuches nnd 
neuer Instruktionen ist auch das Instrumentarium der Hebamme 
nicht unwesentlich verändert worden, und dementsprechend hat 
auch die Tasche, die zur Aufbewahrung der zu jeder Entbindung 
mitzunehmenden Gegenstände dient, eine Aenderung erfahren 
müssen. 

Das Problem, eine Tasche zu konstruieren, die in geeigneter 
Weise die nötigen Utensilien birgt, dabei nicht zu umfangreich 
ist und eine genügende Desinfektion gestattet, ist nicht leicht zu 
lösen und ist auch durch die mir vorliegenden Modelle des medi¬ 
zinischen Warenhauses, der Fabrikanten Mahrt und Hörning 
in Göttingen und Kurz in Wiesbaden nicht gelöst worden. 

Die Hauptbedingungen einer guten, auch für den Gebrauch 
über Land dienlichen Hebammentasche sind: 

1. die Tasche darf nicht zu umfangreich und nicht zu 
schwer sein; 

2. sie muss innen und aussen leicht zu desinfizieren sein; 

3. sie muss die einzelnen Instrumente und Utensilien so 
fixieren, dass sie nicht untereinander rollen; 

4. sie muss eine Trennung der gebrauchten, noch nicht 
wieder desinfizierten Utensilien von den reinen ermög¬ 
lichen ; 

5. sie darf einen gewissen Preis nicht übersteigen. 

Die bezeichneten Taschen haben sämtlich die gleiche Form, 
die eines kleinen Handkoffers, und ungefähr die gleiche Grösse. 
Für den Gebrauch von Dorf zu Dorf sind sie zu gross und die 
Göttinger Tasche ist zu schwer. Soll die Hebamme in der einen 
Hand die Tasche, in der anderen den Schirm tragen, auch wohl 
noch ihre Kleidung aufraffen, so wird dies nicht gut angehen. 

Ich habe daher zu unserer Marburger Tasche, die nicht so 
umfangreich ist als die bezeichneten, einen Tragriemen angegeben, 
der es der Hebamme gestattet, bei schlechtem Wetter die Tasche 
über den Schultern zu tragen, so dass sie beide Hände frei hat 
und sich selbst, sowie die Tasche vor Regen schützen kann. 

Unsere Marburger Tasche ist durch einen Ueberzug von 
braunem Segeltuch, der, wie weiter erörtert werden wird, zur 
Aufnahme der Handtücher, der Schürze, des Lehrbuchs und des 
Tagebuchs dient, vor Unbill geschützt. 



Das nene Hebammeninstramentarium. 


95 


Keine der anderen Taschen ist im Innenraum genau zu des¬ 
infizieren. Sie sind durch Gummituch oder Segeltuch ausgekleidet, 
aber die Form der Tasche mit ihren tiefen Kanten gestattet die 
genügende Waschung mit Seifenkresol nicht. So bleiben stets in 
den Ecken und Kanten, wie ich mich bei einer grossen Zahl der¬ 
artiger Taschen überzeugen konnte, die uns von den Gemeinden 
zur Einsicht zugeschickt wurden, Schmutz und Blutspuren zurück. 
Das ist ein grosser Nachteil dieser sonst sehr beliebten Form. 

Die Tasche des medizinischen Warenhauses und besonders 
die Wiesbadener lassen sich innen überhaupt nicht reinigen, weil 
die Instrumente durch Riemen oder Gurte fest mit der Innenwand 
verheftet sind. 

Unsere Tasche ist die einzige, die diesen Nachteil gfinzlich 
vermeidet, weil ihre Konstruktion das Auseinanderlegen der Seiten¬ 
winde gestattet und weil, bei der älteren Zusammensetzung, die 
Gegenstände nicht fest mit der Taschenwand verbunden sind, 
sondern samt ihren Anheftungsriemen herausgenommen werden 
können. In den neueren Taschen sind die Instrumente in einer 
Hälfte des Sterilisators untergebracht, so dass in beiden Fällen 
die Innenwände ganz glatte, für die Bürste allerseits leicht zu¬ 
gängliche Flächen bieten. Für die äussere Bekleidung ist ein 
lederartiger, leicht abwaschbarer Stof, Pergamott genannt, ge¬ 
wählt worden. 

Wenn man eine der kleinen Koffertaschen vom Instrumenten¬ 
macher bezieht, so findet man den Inhalt natürlich in wunderbar 
schöner Ordnung. Form und innere Anordnung sind dann derart 
bestechend, dass Hebammen, besonders aber auch die Kreisärzte 
sich für diese Taschen zu begeistern pflegen. 

Nach einem Jahre sehen die Taschen ganz anders aus. 
Innen sind sie meist schmutzig, da das verwendete Gummituch 
bald Flecken, besonders Blutflecken, bekommt. Die Utensilien 
liegen vielfach kunterbunt durcheinander. Dann beschuldigt man 
die Hebamme der Unordnung, was ja auch vielfach berechtigt sein 
mag; man beschuldigt aber zu wenig die Konstruktion der Taschen. 

Eine Ausnahme macht die Göttinger Tasche, da in dieser 
die Utensilien sehr zweckmässig einzeln in vernickelten Blech¬ 
kästen oder in sterilisierbaren Beutelchen untergebracht sind und 
ao nicht untereinander geraten können. Der Nachteil dieser sorg¬ 
fältigen Einpackung ist die auffallende Schwere der Tasche 
(6,300 kg ohne Handtücher, Schürzen, Lehr- und Tagebuch) und 
der hohe Preis. Das Gewicht der Warenhaustasche beträgt 4,750 kg, 
das der Wiesbadener Tasche 4 kg. Die Marburger Tasche wiegt 
mit Sterilisator und Spiritusbrenner 4,750, ohne diese und statt 
deren mit zwei Weissblechgefässen versehen, 4,250 kg. 

Das hat mir die grösste Mühe gemacht, den Inhalt so kom¬ 
press wie möglich zusammenzuschachteln, damit eben die Tasche 
keinen zu grossen Umfang erhielte und dabei doch die Gegen¬ 
stände leicht herausgenommen werden können. Auf den ersten 
Anblick erscheint daher unsere Tasche den anderen gegenüber 
im Nachteile. 



96 


Dr. Ahlfcld: Das neue Hebammeninstrumentarium. 


Wohin die Hebamme bei den anderen Taschen die gebrauchten 
Handtücher, die Schürze, eventuell die noch nicht gereinigten In¬ 
strumente und andere Utensilien tun soll, weiss ich nicht. Wohl 
ist an einzelnen dieser Koffertaschen auf der Aussenfläche eine 
Tasche angebracht, diese ist aber in ihrem Innenraum nicht 
sterilisierbar. 

Unsere Tasche bietet dafür den stets durchkochbaren Ueber- 
zug mit seinen Seitentaschen. 

Für Lehrbuch und Tagebuch, die zu jeder Entbindung mit¬ 
genommen werden sollen, ist höchstens in der grossen Göttinger 
Tasche Raum. Wir bringen beide innerhalb des Ueberzugs unter. 

Für die Sterilisierung der Instrumente findet sich nur in der 
Göttinger Tasche ein Sterilisator, aus Neusilber verfertigt und 
vernickelt, weich mit Zinn gelötet, dazu ein Spiritusbrenner. Unser 
Apparat ist der einzige gestanzte, also unverwüstliche. 

Die Blecheinsätze der übrigen Taschen sind, aus Weissblech 
gearbeitet und gelötet, zum Sterilisieren nicht geeignet. 

Abbildung 

der umgeänderten Marburger Tasche. 

Fig. 1. Fig. 2. 

Die geschlossene Tasche. Die geöffnete Tasche. 




Fig. 3. Die Tasche auseinandergenommen. 



















Gesetzentwurf betr. die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten. 97 


Was nun endlich den Preis anbelangt, so ist die Marbnrger 
Tasche, gefüllt mit allem, was der Instrumentenmacher zu liefern 
hat, mit Beigabe eines gestanzten Sterilisators mit Spirituslampe, 
zu 48 M. käuflich, ohne den Sterilisator zu 38 M.; während für 
die Tasche des Warenhauses 47,50 M., für die Wiesbadener 
49,10 M., mit Einschluss von zwei Handtüchern und einer Kittel¬ 
schürze, für die Göttinger 60 M. gefordert werden. Der Preis¬ 
unterschied kommt in der Hauptsache auf Rechnung der Tasche 
selbst, nicht des Inhalts. Das medizinische Warenhaus setzt für 
Tasche und Blecheinsätze 27,50 M. an, die Koffertaschen anderer 
Instrumentenmacher sind mit ca. 22 M. berechnet. Die Marburger 
Tasche mit Ueberzug kostet nur 12 Mark. 

Ich bin für jeden guten Rat in betreff unserer Tasche dank¬ 
bar. Sobald die Vorschläge nicht den Grundprinzipien wider¬ 
sprechen, werden sie eingehende Beachtung finden. Da sich bei 
der Herstellung unserer Tasche der Fachmann und der Instru¬ 
mentenmacher stets in die Hände gearbeitet haben, so wird da¬ 
durch eine Garantie für die Gebrauchsfähigkeit gegeben. 


III. Beratung des preuss. Abgeordnetenhauses Uber den Gesetz¬ 
entwurf, betr. die Bekämpfung Übertragbarer Krankheiten. 

Vom Herausgeber. 

Bereits am 1. d. Mts. hat die dritte Beratung über den vor¬ 
stehenden Gesetzentwurf im preussischen Abgeordnetenhause statt- 
gefunden; die verhältnismässig kurze Zeit nach der zweiten 
Lesung (s. den Bericht darüber in Nr. 3 der Zeitschrift, S. 70) 
hat jedoch nicht genügt, um eine Verständigung über die noch 
strittigen, hauptsächlich die Kostenfrage betreffenden Be¬ 
stimmungen der §§ 27—30 herbeizuführen. Auffallender Weise 
liess die konservative Partei jetzt durch ihren Vertreter (Abg. 
Winkler) erklären, dass für sie das Gesetz überhaupt unan¬ 
nehmbar sei, und zwar einmal, weil das Gesetz zu tief in die 
persönlichen Verhältnisse, in das Familienleben eingreife, und 
anderseits, weil es die Gemeinden zu sehr belaste. Sie sei bereit, 
für ein Ausführungsgesetz zum Reichsseuchengesetz zu stimmen, 
aber nicht dazu, das Gesetz auch auf die übrigen übertragbaren 
Krankheiten auszudehnen. Hält die konservative Partei an diesem 
Standpunkt fest, so würde das Zustandekommen des Gesetzes in 
hohem Grade gefährdet sein; es darf jedoch auch jetzt noch an¬ 
genommen werden, dass sie bei einer befriedigenden Lösung der 
Kostenfrage ihre bisherigen Bedenken gegen die Ausdehnung 
des Gesetzes auf die übrigen übertragbaren Krankheiten fallen 
lassen wird. Mit Recht betonten nicht nur der Herr Kultus¬ 
minister, sondern auch die Redner aller anderen Parteien, dass 
ron einem weitgehenden Eingriff des Gesetzes in das 
Privat-undFamilienleben gegenüber den zurzeit geltenden 
Vorschriften absolut nicht die Rede sein kann, im Gegenteil, das 
Regulativ vom 8. August 1835 geht in mancher Hinsicht noch 



98 


Dritte Beratung des preuß. Abgeordnetenhauses 


viel weiter. Dasselbe gilt von der angeblich za grossen Be¬ 
lastung der Gemeinden; denn das Gesetz bringt tatsächlich 
in seiner jetzigen Fassung nicht eine Mehrbelastung, sondern eine 
nicht unerhebliche Entlastung der Gemeinden, wie sowohl von 
den beteiligten Herren Ministern, als namentlich von dem Bericht¬ 
erstatter, Abg. Schmedding, auf Grund einer ganz genauen 
Zusammenstellung nachgewiesen wurde. Aus den Erklärungen 
der Herren Minister geht auch hervor, dass die Staatsregierung 
noch weiter entgegenzukommen bereit und gewillt ist, einen TeU 
der Kosten aus den §§ 27—30 zu übernehmen, falls die Kreis- 
und Provinzialverbände Beihilfen in gleicher Höhe gewähren; 
dieses Entgegenkommen wird hoffentlich die im öffentlichen 
Interesse dringend notwendige Verabschiedung des für das All¬ 
gemeinwohl so wichtigen Gesetzes ermöglichen. Bei den zurzeit 
über die Fassung jener Paragraphen noch herrschenden Meinungs¬ 
verschiedenheiten war es für das Zustandekommen des Gesetzes 
jedenfalls besser, dass die weitere Beratung nach der General¬ 
diskussion abgebrochen wurde; denn sonst würde es bei der Ab¬ 
stimmung wohl mit Sicherheit abgelehnt sein. Nach dem Verlauf der 
Generaldiskussion ist dagegen jetzt Aussicht auf seine Annahme 
vorhanden, wenn der von dem Abg. Frh. v. Zedlitz angeregte, 
auch von den Herren Ministern als gangbar bezeichnete Weg zur 
Verständigung beschritten wird. 

Dass namentlich auf konservativer Seite der angebliche U eber¬ 
eiter der Kreisärzte, die angeblich „schlechten Erfahrungen mit 
der Medizinalreform“ wiederum als Bedenken gegen die Gesetzes¬ 
vorlage ins Feld geführt wurden, war nicht anders zu erwarten; 
es ist dies in jenen Kreisen gleichsam zu einer fixen Idee ge¬ 
worden, gegen die sich bekanntlich schwer ankämpfen lässt. Dass 
aber gerade von dieser Stelle aus die Berichte der Regierungs¬ 
präsidenten, die sich bekanntlich über die Tätigkeit der Kreisärzte 
ausserordentlich günstig geäussert haben, als den tatsächlichen 
Verhältnissen nicht entsprechend bezeichnet wurden, beweist am 
besten die Voreingenommenheit gegen die Medizinalbeamten. Man 
weiss ja, wie solche Berichte gemacht werden, sagte der Abg. 
v. Zedlitz: in der unteren Instanz liefert der Kreisarzt selbst 
das Material, in der Regierungsinstanz macht es der Medizinalrat, 
und „eine Krähe hackt der anderen die Augen nicht aus“. Der 
Herr Minister des Innern ist dieser Anschauung schon auf das ent¬ 
schiedenste entgegengetreten und hat sie als völlig unzutreffend zu¬ 
rückgewiesen ; sie beruht in dem vorliegenden Falle auch auf einem 
tatsächlichen Irrtum, denn nicht die Kreisärzte sind seinerzeit 
zur Aeusserung aufgefordert, sondern die Landräte, die znm 
grössten Teil der konservativen Partei angehören dürften. Ihre 
Berichte haben hauptsächlich das Material für die Berichte der 
Regierungspräsidenten geliefert. Der Vergleich mit der Krähe, 
die anderen Krähen die Augen nicht aushackt, ist somit völlig 
hinfällig. Erwägt man weiter, dass zu den Berichten der Land¬ 
räte diejenigen der Lokalbehörden (Amtsvorsteher, Amtmänner, 
Bürgermeister usw.) die Unterlage gebildet haben, so wird wohl 



Aber den Gesetzentwurf betr. die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten. 99 

jeder zugeben müssen, dass genug Männer der Praxis, die eigene 
Erfahrungen haben, zur Sache gehört sind, nnd die Berichte der 
Begienuigspräsidenten demgemäss den tatsächlichen Verhältnissen 
nach jeder Richtung hin entsprechen. Es gibt bekanntlich auch 
jetzt noch eine ganze Reihe von Personen, die der Ansicht huldigen, 
dass die Kreisärzte das „Herumschnüffeln nach sanitären Miss- 
ständen“ gleichsam als Sport betreiben, ihre Hände in alle mög¬ 
lichen Sachen mischen and kein grösseres Verlangen haben, als 
ihren Amtsbezirk mit kostspieligen Plänen zu beglücken. Dem¬ 
gegenüber können wir auf Grund langjähriger Erfahrung nur 
nochmals betonen: So tatkräftig auch mancher Kreisarzt sein 
mag, so töricht ist er doch sicherlich nicht, dass er sich un¬ 
nötig Arbeit macht, die nicht nur ihm, sondern allen Beteiligten 
Aerger und Verdruss verursacht. Es ist deshalb gar nicht nötig, 
dem Medizinalbeamten „Zügel anzulegen“; denn das Herum- 
schnüffeln, Revidieren, Kontrollieren, Zurstrafebringen usw. ist 
eine viel zu unangenehme Arbeit, als dass er sich in dieser Hin¬ 
sicht nicht schon selbst Zügel anlegen sollte. Es gibt aber 
auch viele Leute, die dem Kreisarzt am liebsten die Augen 
verbinden möchten, damit er ausserstande ist, irgend einen der 
vielen offenliegenden hygienischen Missstände zu sehen; und da 
diese Missstände, an denen eben ein Gesundheitsbeamter beim 
besten Willen nicht achtlos Vorbeigehen kann, am meisten auf 
dem platten Lande zu finden sind, so ist es auch begreiflich, 
dass die Tätigkeit des Kreisarztes hier von denen nicht gern 
gesehen wird, denen die Beseitigung der Missstände und dem¬ 
zufolge die Tragung der dadurch entstehenden Kosten obliegt. 
Hinc illae lacrimael Deshalb wird auch nur der Uebereifer der 
Kreisärzte von konservativer Seite bemängelt, von einem Ueber¬ 
eifer der Gewerbeinspektoren ist dagegen in den Landtagsver- 
handlungen nie die Rede, obwohl von diesen Beamten an die 
Besitzer der gewerblichen und industriellen Anlagen im gesund¬ 
heitlichen Interesse der Arbeiter oft weit grössere und kost¬ 
spieligere Anforderungen gestellt werden müssen, als dies z. B. 
seitens der Kreisärzte im Interesse der ländlichen Arbeiter ge¬ 
schieht Dabei ist es eine nicht wegzuleugnende Tatsache, dass 
die sogenannte Landflucht der Arbeiter in den östlichen Provinzen 
zum Teil auf die * mangelhaften, ungesunden Wohnungs-, Trink¬ 
wasser- usw. Verhältnisse zurückzuführen ist, und deren Be¬ 
seitigung deshalbjnicht r nur im öffentlichen Interesse, sondern auch 
im Interesse der Besitzer selbst liegt. 

Ausserdem darf man nicht vergessen, dass . der Kreisarzt nur 
der Berater der ausführenden Behörden ist, und die Durchführung 
seiner Vorschläge besonders in finanzieller Hinsicht der Prüfung 
des zuständigen Landrates unterliegt. Man sollte*meinen, dass dies 
doch ein ausreichendes Sicherheitsventil gegen seine etwa zu weit¬ 
gehenden Forderungen ist, oder traut man auf konservativer Seite 
such den Landräten in dieser Hinsicht ebensowenig Selbstständig¬ 
keit zu wie den Regierungspräsidenten in bezug auf ihre Berichte? 
Es wäre vielleicht recht gut, wenn sich der Herr Minister einmal 



100 


Dritte Beratung des preuß. Abgeordnetenhauses 


der Aufforderung des Abg. v. Pappenheim gemäss die Akten 
der einzelnen Landratsämter mit Rücksicht auf die Tätigkeit der 
Kreisärzte vorlegen liesse; er würde dann sicherlich finden, dass 
in den Kreisen, wo Landrat und Kreisarzt den gegebenen Vor¬ 
schriften gemäss Hand in Hand gehen, die Erfolge dieses Zu¬ 
sammengehens nicht ausgeblieben sind, dass dagegen in den 
Kreisen, wo der Landrat ein taubes Ohr für die Vorschläge des 
Kreisarztes hat und dieser lieber „ad acta“ schreibt, als es mit 
irgend einem Grundbesitzer oder einer Gemeinde zu verderben, 
Zustände herrschen, die in einem Kulturstaate nicht Vorkommen 
sollten. Material gegen die Tätigkeit der Kreisärzte werden 
diese Akten gewiss nicht liefern, wohl aber recht viel Material 
dafür, dass es die höchste Zeit war, den Kreisärzten in Preussen 
endlich eine den Ansprüchen der öffentlichen Gesundheitspflege 
entsprechende Stellung einzuräumen! 

Und hat denn die Medizinalreform, mit der man angeblich 
so „schlechte Erfahrungen“ gemacht hat, nicht bereits ganz an¬ 
erkennenswerte Erfolge erzielt? Sollte es wirklich nur Zufall 
sein, dass z. B. gerade in den letzten Jahren das Interesse und 
die Opferwilligkeit für alle gesundheitlichen Einrichtungen in 
sämtlichen Schichten der Bevölkerung gewachsen ist, oder sollten 
hierbei die Kreisärzte nicht einen wesentlichen Einfluss gehabt 
haben? Sollte es z. B. nicht auf ihre Einwirkung zurückzuführen 
sein, wenn jetzt der Abwässerbeseitigung, der Trinkwasserversor¬ 
gung, der Krankenfttrsorge usw. ein weit grösseres Interesse als 
früher entgegengebracht wird, Wasserleitungen selbst in kleinen 
Orten angelegt werden, in denen man früher jeden Gedanken 
daran als absurd zurückgewiesen hatte und jetzt Gott dankt, dem 
Rate des Kreisarztes gefolgt zu sein! Dasselbe gilt in bezug 
auf den Bau und die bessere Einrichtung von Kranken¬ 
häusern ! Warum stehen denn die Krankenhäuser jetzt nicht mehr 
leer, warum ist denn die frühere Scheu der Bevölkerung gegen 
sie verschwunden? Doch lediglich darum, weil sie den hygienischen 
Anforderungen genügen und demzufolge die grösste Sicherheit für 
die Heilung der Kranken bieten! Mit Itecht betont der Herr Kultus¬ 
minister, dass die Medizinal Verwaltung nicht die Verantwortung für 
die Folgen auf sich laden könne, die bei einer technisch und wissen¬ 
schaftlich nicht einwandsfreien Einrichtung der Krankenhäuser für die 
Kranken zu befürchten seien—und diese V erant wortung trägt in erster 
Linie der Kreisarzt. Auf seine Tätigkeit ist es auch nicht zum gering¬ 
sten zurückzuführen, wenn jetzt nicht blos der Staat, sondern auch die 
Provinzial- und Kreisverbände grössere Mittel zu Zwecken 
der öffentlichen Gesundheit bereit stellen, die vorzugsweise 
gerade den bedürftigen Gemeinden zugute kommen; denn 
vor diese Bereitstellung musste doch erst das Bedürfnis klar, die 
Wunde offen gelegt werden; gerade diese Klar- und Offenlegung 
ist aber eine der wichtigsten Aufgaben der Kreisärzte. Dass 
diese mit grösster Freudigkeit, Umsicht, Aufopferung und bestem 
Erfolge ihre Schuldigkeit tun, ist vom Herrn Ministerunter Hinweis 
auf ihre Tätigkeit bei der im vorigen Jahre drohenden Typhusgefahr 



über den Gesetzentwurf betr. die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten. 101 


im Überschwemmungsgebiet der Oder mit warmen Worten aner¬ 
kannt; die Medizin&lbe&mten werden ihm hierfür mit ToUem 
Herzen dankbar sein. Man muss dem Abg. Dr. Martens auch 
vollständig beistimmen, „wenn er das für gesundheitliche Einrich¬ 
tungen zur Verminderung der Sterblichkeit und Sanierung unseres 
Volkes ansgegebene Kapital zu den bestrentierenden Geldern 
rechnet“; und je mehr sich diese Ansicht in immer weiteren Kreisen 
Bahn bricht, desto mehr Anerkennung wird auch die Tätigkeit 
der Kreisärzte finden und desto schneller werden die jetzt noch 
dagegen erhobenen Vorwürfe verstummen! 

Betreffs der Einzelheiten der Verhandlung wird auf den 
nachstehenden Auszug des stenographischen Bericht verwiesen; 
es sei nur noch erwähnt, dass von der Mehrzahl der Mitglieder 
der Kommission zur Beratung des betreffenden Gesetzentwurfs 
zu den §§ 26—30folgende Abänderungsvorschläge gemacht waren; 

,1. Dem § 26 Abs.2 folgenden Zusatz zu geben: „ , mit der Maßgabe, 
daß die Verpflichtung des Staates, diejenigen Kosten zu tragen, welche durch 
laudespolizeiliche Maßnahmen bedingt sind, hierdurch nicht berührt wird“. 

2. Dem § 27 einen neuen (5.) Absatz hinzuzusetzen folgenden Wort¬ 
lauts: „Den Gutsbezirken können im Falle ihrer Leistungsunfähigkeit die auf¬ 
gewendeten Kosten ganz oder teilweise vom Staate erstattet werden“. 

3. Einen neuen § 27 a folgenden Inhalts aufzunehmen: „Steht ein Guts¬ 
bezirk nicht ausschließlich im Eigentum des Gutsbesitzers, so ist auf dessen 
Antrag ein Statut zu erlassen, welches die Aufbringung der durch das Reichs¬ 
gesetz, betreffend die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten, und das 
gegenwärtige Gesetz entstehenden Kosten anderweit regelt und den mitheran- 
zuziehenden Grundbesitzern oder Einwohnern eine entsprechende Beteiligung 
bei der Beschlußfassung über die Ausführung der erforderlichen Leistungen 
enräumt. 

Das Statut wird nach Anhörung der Beteiligten durch den Kreisausschuß 
festgestellt und muß hinsichtlich der Beitragspflicht den gesetzlichen Bestim¬ 
mungen über die Verteilung der Kommunallasten in den ländlichen Gemeinden 
folgen. Dasselbe unterliegt der Bestätigung des Bezirksausschusses.“ 

4. Den § 28 wie folgt zu fassen: „Die Gemeinden (Gutsbezirke) können 
durch die Kommunalaufsichtsbehörde schon zu seuchenfreier Zeit zur Her¬ 
stellung und Unterhaltung der Einrichtungen angehalten werden, welche bei 
oder nach dem Ausbruch übertragbarer Krankheiten notwendig sind. 

Die Kreise sind befugt, diese Einrichtungen an Stelle der Gemeinden 
su treffen und zu unterhalten. 

Die Verpflichtung des Staates, diejenigen Kosten zu tragen, welche durch 
landeepolizeiliche Maßnahmen bedingt sind, wird hierdurch nicht berührt.“ 

5. Den Abs. 2 des § 30 wie folgt zu fassen: „Bei dringender Gefahr 
im Verzüge kann die von der Kommunalaufsichtsbehörde erlassene Anforderung 
durchgeführt werden, bevor das Beschlußverfahren zum Abschluß gebracht ist. 
Die Kosten der Einrichtungen trägt in diesem Falle der Staat, sofern nicht in 
dm Beschlußverfahren die Gemeinde (Gutsbezirk) für verpflichtet erklärt wird.“ 

Abg. Wellstein (Zentr.) tritt warm für die Verabschiedung des Ge¬ 
setzes ein. Trotz aller Vorsichtsmaßregeln seien im Jahre 1903 an Kindbett¬ 
fieber 1986, an Scharlach 12247, an Diphtherie und Croup 14914 und an 
Tuberkulose 70049 Menschen gestorben, also in einem Jahre zusammen 100000 
Menschen an diesen vermeidlichen Krankheiten. Um so mehr habe der Landtag 
die Pflicht, die Gesundheit, das kostbarste Gut der Menschen, nach besten 
Kräften zu schützen und der Staatsregierung die dazu erforderlichen Mittel 
in die Hand zu geben; denn die jetzigen gesetzlichen Bestimmungen reichen 
weder aus, noch entsprechen sie den vorgeschrittenen Anforderungen der Wissen- 
•ch&ft. Seitens der Staatsregierang sei ein hygienischer Feldzug gegen die 
Seuchen geplant, dafür solle das Gesetz den Mobilmachungsplan liefern. Es 
tei denn auch erwünscht, daß es nicht ein toter Buchstabe bleibe, und die 



102 


Dritte Beratung des preufl. Abgeordnetenhauses 


Begierung mit fester Hand eingreife, nur müsse dies mit Nachsicht und nicht 
mit rauher Hand geschehen. Die Ansicht, daß der § 23 des Rcichsseuchen- 
gesetzes der Regierung schon die Befugnis einräume, in seuchenfreier Zeit auch 
gegen die hier nicht erwähnten übertragbaren Krankheiten diejenigen Ma߬ 
nahmen zu treffen, die zu ihrer Bekämpfung erforderiieh seien, sei nicht zu¬ 
treffend ; erst durch den vorliegenden Entwurf werde ihr diese Befugnis eingeräumt 
werden. Aber gerade hiergegen seien viele Bedenken laut geworden, nament¬ 
lich mit Rücksicht auf das möglicher Weise zu scharfe Vorgehen der Kreis¬ 
ärzte, indem den Qemeinden unnötige und ihrer Leistungsfähigkeit übersteigende 
Anforderungen auferlegt werden könnten. Deshalb seien von der Kommission 
gewisse Kautelen geschaffen, mit denen sich jedoch nur zum Teil die Staats¬ 
regierung einverstanden erklärt habe. Redner hofft aber, daß eine Eini¬ 
gung schließlich erzielt werden würde. 

Abg. Winkler (kons.) erklärt im Namen seiner Partei, daß diese mit 
wenigen Ausnahmen entschlossen sei, dem Gesetz, wie es vorliege, die Zu¬ 
stimmung zu versagen, weil seine Bestimmungen viel zu tief in die persönlichen 
Verhältnisse, in die Familienverhältnisse eingreifen und anderseits die durch 
das Gesetz den Gemeinden und überhaupt den kommunalen Trägern aufzu¬ 
erlegenden Lasten viel zu groß seien. Wenn wiederholt hervorgehoben sei, 
daß man auf eine wohlwollende Ausführung des Gesetzes rechnen, und Ver¬ 
trauen zu den ausführenden Instanzen haben könne, so sei demgegenüber her- 
vorzuheben, daß die auf diesem Gebiete in der letzten Zeit gemachten Er¬ 
fahrungen nicht geeignet seien, jene Bedenken ohne weiteres zurückzustellen P 
Im Lande höre man manches Unerfreuliche über die Tätigkeit der Kreisärzte; 
die Anforderungen, die jetzt schon in den kleinsten Dörfern manchmal gestelllt 
würden, gingen vielfach über das Maß des zu billigenden hinaus. Dasselbe gelte 
hinsichtlich der Anforderungen an die Errichtung von Krankenhäusern, so daß 
deren Unterhaltung den Gemeinden geradezu verleidet werde. Vor allem müsse 
aber jede Mehrbelastung der Gemeinden vermieden werden. Der Minister des 
Innern weise den Gemeinden gegenüber immer auf die Notwendigkeit geregelter 
Finanzen hin, während durch die Maßnahmen anderer Ressorts die Gemeinde¬ 
lasten sich immer mehr steigerten. Deshalb sei es Pflicht des Abgeordneten¬ 
hauses, allen neuen Gesetzen ein Nein entgegenzusetzen, von denen man eine 
weitere Belastung der Gemeinden und Gutsbezirke ohne entsprechende Unter¬ 
stützung des Staats erwarten müsse. Aus diesem Grunde lehne auch seine 
Partei ,das vorliegende Gesetz ab, denn alle in der Kommission gefaßten 
Beschlüsse seien nicht im stände, die Bedenken dagegen abzuschwächen; ins¬ 
besondere müßten die Gutsbezirke in der Erleichterung der Lasten mit den 
Gemeinden gleich behandelt werden. 

Kultusminister Dr. Studt bedauert lebhaft die ablehnende Haltung der 
konservativen Partei und weist die von dem Vorredner erhobenen Bedenken 
als unbegründet zurück. Ein vermehrtes polizeiliches Eingreifen in Privat- 
vorhältnisse werde durch das Gesetz nicht bedingt; das Regulativ von 1886 
gestatte vielmehr den Polizeibehörden bezw. den amtlichen Medizinalpersonen 
ein viel tieferes Eingreifen in die Privatverhältnisse, als der vorliegende Ent¬ 
wurf. Es trete in dieser Beziehung eher eine Erleichterung als eine Er¬ 
schwerung des bisherigen Zustandes ein. Auch das Mißtrauen gegen die Sani- 
täts- und Polizeibehörden, weil sich angeblich verschiedene übereifrige Medi¬ 
zinalbeamten eine geradezu belästigende Einwirkung auf das Publikum gestattet 
hätten, sei nach dem Ergebnis der im Vorjahre veranlaßten Umfrage völlig 
unbegründet. Abgesehen von ganz geringen Einzelfällen sei sowohl ein durch¬ 
aus korrektes Verhalten der Medizinalbemten, wie Zufriedenheit der Bevölke¬ 
rung mit den Maßnahmen konstatiert worden. Mit Recht frägt der Herr 
Minister, ob etwa dies anch heute wieder in so scharfer Form geäußerte Mi߬ 
trauen die Belohnung sein solle für die wirklich aufopfernde Tätig¬ 
keit, die eine große Anzahl von Medizinalbeamten namentlich 
in Schlesien voriges Jahr entwickelt habe, als es sich darum 
handelte, der sehr akuten Typhusgefahr im Ueberschwemmungsgebiet der Oder 
vorzubeugen? Und die dortigen Maßnahmen, die mit größter Freudigkeit, mit 
Umsicht nnd dem ‘besten Erfolge durchgeführt worden seien, hätten [nicht 
einmal die Gemeinden irgendwie erheblich belastet; denn der größte Teil der 
entstandenen Kosten sei auf die Staatskasse übernommen worden. Ebenso un- 



aber den Gesetzentwurf betr. die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten. 103 


berechtigt sei der Vorwurf, daß zu weitgehende Anforderungen an die tech¬ 
nische Beschaffenheit der Krankenhäuser gestellt würden. Die gesteigerten 
Anforderungen seien lediglich die Folge der Fortschritte der Wissenschaft in 
bezug von Antiseptik und Aseptik; davon, daß die Krankenhäuser im allge¬ 
meinen technisch und wissenschaftlich einwandsfrei hergestellt werden, könne 
die Medizinalrerwaltung unmöglich Abstand nehmen, wenn sie auch ferner die 
Verantwortung für die Volksgesundheit tragen solle. Daß sich dieses Vor¬ 
gehen außerhalb des Bahmens der Angemessenheit bewegt habe, müsse ent¬ 
schieden bestritten werden; und sollte wirklich einmal dadurch eine zu hohe 
Belastung einer Gemeinde eintreten, so sei die Zcntralinstanz gern bereit, aus 
ihrem Dispensationsfond Beihilfen zu gewähren. — Das Abgeordnetenhaus 
stehe vor einer schweren und bedeutungsvollen Entscheidung; denn der bis¬ 
herige lückenhafte und veraltete Bcchtszustand, der es den polizeilichen und 
Sanitätsbehörden in wichtigen Fällen unmöglich mache, wirksam einzngreifen, 
müsse beseitigt werden. Auch die Bedenken betreffs der vielbestrittenen 
Kostenfrage seien nicht begründet. Schritt vor Schritt habe in dieser Hinsicht 
die Staatsregierung gemacht, das größte Entgegenkommen bewiesen und nicht 
nur die sämtlichen Kosten der amtsärztlichen Kontrolle der Seuchenbekämpfung, 
der Leitung und Ueberwachung der Schutzmaßregeln, sondern auch ein 
Drittel der Kosten nach § 26 bei hilfsbedürftigen Gemeinden, sowie sechs 
Siebentel der Kosten zur Bekämpfung der Körnerkrankheit auf die Staats¬ 
kasse übernommen; desgleichen habe der Finanzminister in Aussicht ge¬ 
stellt, den Dispositionsfonds der Medizinalverwaltung zur Gewährung von Bei¬ 
hilfen in Bedarfsfällen zu verdoppeln; das bedeute ein gewaltiges finanzielles 
Opfer des Staates zugunsten der Gemeinden. Der Herr Minister bittet noch¬ 
mals, der untergeordneten Kostenfrage eine übermäßige Bedeutung nicht bei- 
zumessen und daran die ganze Gesetzesvorlage scheitern zu lassen. Es würde 
dies äußerst bedenklich sein gegenüber der Tatsache, daß der Landtag mit dem 
eigentlichen Kern des Gesetzes einverstanden sei, und die Notwendigkeit zu 
Verbesserungen des bisherigen sanitätspolizeilichen Zustandes einmütig aner¬ 
kannt habe. 

Abg. Frhr. v. Zedlitz u. Neukirch (freikons.): In der Bevölkerung 
sei — das lasse sich nicht leugnen — die Besorgnis vorhanden, daß die Me¬ 
dizinalbeamten über den Rahmen der berechtigten Anforderungen den Gemeinden 
gegenüber hinausgehen werden. Die Erfahrung der letzten Jahre stütze diese 
Befürchtung. Wenn der Minister sich auf das Ergebnis einer Umfrage beiden 
Regierungspräsidenten berufe, se könne dies um so weniger ausschlaggebend 
sein, als in der Verwaltung mehr und mehr der Unfug einreiße, so zu berichten, 
wie man es oben gern hören wolle. Wie würden denn solche Berichte gemacht? 
Für die untere Instanz liefere der Kreisarzt selbst das Material, in der Regie- 
rnngsinstanz trete der Medizinalrat ein: eine Krähe hacke bekanntlich der 
anderen die Augen nicht aus. Der Wunsch gehe also dahin, die Medizinal- 
beamteu möchten etwas am Zügel gehalten werden. Der zweite Einwand 
gegen die Vorlage sei der, daß eine recht große Anzahl von Gemeinden, die 
heute schon überlastet seien, mit diesem Gesetze eine weitere Steigerung ihrer 
Belastung erfahren sollen. Deshalb müsse die Grenze der Leistungsfähigkeit 
so niedrig gegriffen werden, daß Ueberlastung vermieden werde. Es sei keine 
untergeordnete Frage, wie die Verteilung der Kosten geregelt werde. Der 
jetzt vorgeschlagene § 27 habe eigentlich keinen Inhalt; er besage nur: dem 
Minister sei nicht verboten, aus seinem Dispositionsfonds den Gutsbezirken 
Unterstützungen zu gewähren; das sei aber überhaupt nicht verboten. Auch 
die anderen Kompromißanträge beseitigten die großen Bedenken nicht, die 
gegen ungerechtfertigte Ueberlastung der Gemeinden geltend gemacht würden. 
Vielleicht ließe sich eine Einigung in der Weise erzielen, daß im Beschlußver- 
fahren nur über die Leistungsfähigkeit der Gemeinden und nicht über die Be- 
dftrfnisfrage entschieden werde, und daß bei Verneinung der ersteron die über 
die Leistungsfähigkeit der Gemeinden hinausgehenden Kosten halbschichtig 
von Staat und der Provinz getragen würden. Redner schlägt deshalb vor, 
jetzt nur bis § 27 zu beraten und die anderen Paragraphen des Gesetzes noch 
einmal an die Kommission zurückzuverweisen. 

Minister des Innern, Frhr. v. Hammerstein tritt zunächst den vom 
Vorredner gegen die Berichte der Regierungspräsidenten erhobenen Vorwürfen 



104 


Dritte Beratung des preuß. Abgeordnetenhauses 


auf das entschiedenste entgegen. Sämtliche Begierungspräsidenten seien frei¬ 
mütig in ihren Urteilen und Beobachtungen; ihre Selbständigkeit nach dieser 
Bichtung hin irgendwie in Zweifel zu ziehen, sei deshalb völlig unberechtigt. 
Im übrigen könne er sich der Warnung vor gesetzgeberischen Maßnahmen, 
welche die Gemeinden mehr als nötig belasten, nur anschließen; sowohl die 
Königliche Staatsregierung, als der Landtag müsse die größtmöglichste Vorsicht 
anwenden, um eine Verschuldung und Steuerbelastung der Gemeinden zu ver¬ 
hüten. Aber das gegenwärtige Gesetz sei in seinem Erfolge keine Belastung, 
sondern eine Entlastung der Gemeinden. Damit, daß über die in § 28 vor¬ 
gesehene Frage die Selbstverwaltungsbehörden zu entscheiden haben, der Kreis¬ 
ausschuß, Bezirksausschuß, in höherer Instanz der Provinzialausschuß, erklärt 
sich der Herr Minister einverstanden, nicht aber damit, daß z. B. über die 
Frage, ob eine Angelegenheit ortspolizeilicher oder landespolizeilicher Natur sei, 
der Kreisausschuß entscheiden solle; denn dadurch würde der Regierungspräsi¬ 
dent unter den Kreisausschuß gestellt. Ebenso bedenklich sei es auch, daß über 
die Frage, ob die Gemeinde eine von der Staatsbehörde geforderte polizeiliche 
Einrichtung zu treffen habe, eine Provinzialbehörde, der Provinzialrat endgültig 
entscheiden solle, alles dies passo nicht in den jetzigen Bahmen der bestehenden 
Verwaltungsorganisation. Es sei deshalb der Gedanke aufgetaucht, als letzte 
Instanz die drei wesentlich beteiligten Minister: den Kultusminister, den Finanz- 
minister und den Minister des Innern zu setzen, aber auch dies werde ein 
Novum sein, dessen Einführung in das Gesetz jedenfalls noch eines eingehenden 
Studiums bedürfe. Zweckmäßiger sei cs vielleicht, daß, analog der Dritteilung 
des Kostenbedarfs — zwischen Gemeinde, Kreis und Staat — nach § 27, 
auch in den Fällen der §§ 28 und 29 eine Beteiligung höherer Verbände an 
der Kostenlast der Gemeinde eingeführt werde, indem für den Fall, daß der 
Provinzialrat beschlossen hat, die Gemeinde frei zu stellen, die Provinz den 
gleichen Teil der aus diesem Beschlüsse sich ergebenden Kosten zu tragen 
hat, wie der Staat 

Die bisher beschlossene Form des Gesetzes würde es der Staatsregierung 
unmöglich machen, das Gesetz Sr. Majestät zur Bestätigung vorzulegen. Gegen 
den neuen Absatz zu § 27, wonach „den Gutsbezirken im Falle ihrer Leistungs¬ 
unfähigkeit die aufgewendeten Kosten ganz oder teilweise vom Staat erstattet 
werden können“, hat der Herr Minister nichts einzuwenden; denn dadurch er¬ 
wachse doch wenigstens eine moralische Verpflichtung für die Staatsregierang 
in den Fällen, in denen in der Tat überlastete Gutsbezirke vorhanden sind, 
diese nicht schlechter zu stellen als benachbarte Gemeinden. Ebenso ist der 
Minister damit sehr einverstanden, wenn über die Kostenfrage, also über die 
wird; er hofft, daß es dann noch gelingen wird, zu einem Einverständnis zu 
§§ 27 usw. des Gesetzes die endgültige Beschlußfassung heute ausgesetzt 
kommen, das nicht bloß die Staatsregierung, sondern auch alle Teile des 
Hauses befriedigt. 

Abg. Schmedding (Zentr.) glaubt, daß es zum Zustandekommen des 
Gesetzes nicht einer abermaligen Zurückverweisung an die Kommission bedarf, 
da der neue, von mehreren Kommissionsmitgliedern eingcbrachte Antrag den 
in der zweiten Lesung laut gewordenen Wünschen Bechnung trage. Auch der 
Unterschied zwischen ortspolizeilich und landespolizeilich sei im Gesetz inso¬ 
fern berücksichtigt, als in strittigen Fällen nach dem bestehendem Bechte, 
also in letzter Instanz, durch das Oberverwaltungsgcricht entschieden werden 
müsse. Eine neue aus drei Ministern bestehende Instanz dafür einzuführen, 
würde eine Verschlechterung des Gesetzes durch Beiseiteschiebung der Selbst¬ 
verwaltungskörper bedeuten. Bcdner gibt eine kurze Uebersicht über die 
durch das Gesetz gegenüber den bisherigen Verhältnissen bewirkten Kosten- 
Erleichterungen und Kosten-Erschwerungen; er zieht hieraus das Gesamt¬ 
ergebnis, daß sich danach eine nicht unwes entliehe Verbesserug 
der Gemeinden ergebe. Ebensowenig bringejlas Gesetz größere Eingriffe in 
das Privat- und Familienleben. 

Finanzminister Freiherr von Bheinbaben betont ebenfalls, daß der 
Gesetzentwurf zwar eine Mehrbelastung für die Staatskasse bringe, aber im 
wesentlichen eine große Entlastung für die Gemeinden darstelle. Die Finanz¬ 
verwaltung habe sich bemüht, von Punkt zu Punkt entgegenzukommen, um 
die Verabschiedung des Gesetzes zu ermöglichen; sie habe sich bereit erklärt, 



aber den Gesetzentwarf betr. die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten. lOä 


die sehr erheblichen Kosten der amtsärztlichen Feststellung der Krankheiten 
and der Ueberwachnng durch den beamteten Arzt auf die Staatskasse zu 
übernehmen; ferner sei die Beteiligung des Staats mit zwei Dritteln an den 
durch § 27 bedingten Maßnahmen in Aussicht gestellt; desgleichen solle an der 
weitgehenden Beteiligung des Staats an den Kosten zur Bekämpfung der Körncr- 
krankheit nichts geändert werden. Mit Rücksicht auf diese sehr wesentliche Ent¬ 
lastung der Gemeinden ist alle Veranlassung gegeben, auf die Vorlage einzugehen, 
während diese durchaus nicht im Interesse der Finanzverwaltung liege. Mit 
den von der Kommission beschlossenen Abänderungsanträgen zu den §$j 28—30 
sei aber die Vorlage für die Finanzverwaltung unannehmbar; denn es gebe kein 
schlechteres Verfahren auf irgend einem Gebiete des öffentlichen Lebens als 
das, wonach die eine Instanz zu beschließen, die andere die Kosten zu 
tragen habe. Wer über die Kosten beschließe, müsse auch an der Kosten¬ 
tragung teilnehmen, wenn anders die Beschlußfassung sachlich und sparsam 
sein solle. Der ganze Effekt der Abänderungsvorschläge würde der sein, daß 
keine Gemeinde in seuchent'reier Zeit irgend etwas tue, sondern sich darauf 
verlasse, daß wohl einmal ein Scuchenfall kommen und es dann gelingen werde, 
mit Hilfe des Kreisausschusses und des Provinzialrats die ganzen Kosten auf den 
8taat abzuwälzen. Wenn man im Dringlichkeitsfalle die Kosten auf die Staats¬ 
kasse wälzen wolle, dann müsse man auch schließlich die Entscheidung mit in 
die Hände des Staates legen, also die drei Minister wieder als letzte Instanz 
einsetzen. Das Prinzip des § 27 lasse sich auf § 30 Abs. 2 eben nur über¬ 
tragen, wenn derjenige, der in diesem Falle die Kosten zu tragen habe — der 
Staat — an der ganzen Entscheidung sachgemäß beteiligt 6ei. Sollten da¬ 
gegen die Minister als letzte Instanz ausscheiden und die endgültige Entschei¬ 
dung bei der Provinzialinstanz, beim Provinzialrat, bleiben, dann sei cs uner¬ 
läßlich, die Provinz auch verantwortlich für die Entscheidung der ihr nach 
ihrer Zusammensetzung nahestehenden Instanz zu machen, also anch die Provinz 
an den Kosten mitzubeteiligen, sonst komme die Sache einfach dahin, daß keine 
Gemeinde etwas tun und jeder Kreisausschuß und Provinzialrat die Gemeinde, 
nachher für unfähig erklären würde, weil dann die Kosten vom Staat getragen 
werden müssten. Welche von den beiden Wegen der bessere sei, bedürfe noch 
der näheren Erörterung; deshalb sei es richtig, die Beratung jetzt nur bis § 27 
gedeihen zu lassen und die Beschlußfassung über die anderen Paragraphen 
einige Tage zu verschieben. 

Abg. v. Pappenheim (konsA bemerkt, daß der Hauptgrund für die 
ablehnende Haltung seiner Partei aui den Erfahrungen beruhe, die sie mit der 
Einführung der Medizinalreform gemacht hätten. Der Herr Minister müßte 
sich nur einmal die Akten der einzelnen Landratsämter vorlegen lassen, da 
würde er zu einem ganz anderen Urteil über die Tätigkeit der Kreisärzte 
kommen, als nach den Berichten der Regierungspräsidenten. Redner findet cs 
ganz begreiflich, wenn die Medizinalbeamten so weit wie möglich mit ihren 
Vorschlägen, Warnungen usw. gehen, aber sie können die Ausführbarkeit dieser 
Wunsche nicht beurteilen und wenn auch der Landrat in vielen Fällen deshalb 
die Wünsche ad acta schreibe, so geben sie doch zu einer Beunruhigung Ver¬ 
anlassung. Das Mißtrauen seiner Partei richte sich nicht gegen den Herrn 
Minister, sondern gegen die unteren Instanzen. Allerdings würden auch von 
der Zentralinstanz mitunter zu weit gehende Ansprüche gestellt, z. B. in bezug 
auf Isolierräumen für Typhuskranke bei Krankenhäusern, Ansprüche, denen die 
Staatsregierung in ihrem eigenen Universitätskliniken keineswegs genüge. 
Man solle die hygienischen Anforderungen den tatsächlichen finanziellen Ver¬ 
hältnissen anpassen und in dieser Hinsicht nicht über die Leistungsfähigkeit 
der Gemeinden hinausgehen. Wenn Bich der Staat auf ein Ausführungsgesetz 
des Reichsseuchengesetzes beschränke, so werde er bei der Partei des Red- 
aers bereite Mitarbeiter finden und auf diesem Wege ein brauchbares, den An¬ 
forderungen der Neuzeit entsprechendes Gesetz zustande bringen. 

Kultusminister Dr. Stadt bemerkt gegenüber dem Vorredner, daß 
betreffs der Isolierung von Typhuskrauken nur die Absonderung in besonderen 
Bäumen, wo solche vorhanden seien, gefordert und außerdem empfohlen sei, 
äberall da, wo derartige Räume fehlen, auf ihre Beschaffung hinzuwirken. Der 
gegen die Universitätskliniken gemachte Vorwurf sei ebenfalls unzutreffend. 

Abg. Dr. Martens (natL) weist auf die große Bedeutung und Wichtig¬ 
keit des Gesetzes hin, die sowohl in der Presse, wie im Hause selbst nicht 



106 Gesetzentwurf betr. die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten. 


genügend gewürdigt werde. Das Kapital, das für Maßregeln gegeben werde, 
nm die Sterblichkeit zu vermindern und eine Sanierung des Volkes herbeizu¬ 
führen, gehöre zu den best rentierenden Geldern. Um so mehr Bei zu bedauern, 
daß die konservative Partei das Gesetz ablehne aus Gründen, die nicht als 
durchschlagend anerkannt werden könnten. Ein zu starkes Eingreifen in das 
Familienleben sei ebensowenig zu befürchten, wie zu hohe Anforderungen seitens 
der Kreisärzte und eine größere Belastung der Gemeinden. Wenn die Gesetzes¬ 
vorlage auch noch einzelne zu verschiedener Ansicht Veranlassung gebende 
Bestimmungen enthalte, so sei Kedner doch ebenso wie seine Fraktion mit der 
Grundtendenz des Gesetzes einverstanden und werde für dieses stimmen. Er 
bittet deshalb auch, die Beratung bei § 27 nicht abzubrechen, sondern das 
Gesetz jetzt durchzuberaten. 

Abg. Dr. v. Savigny (Zentr.) erklärt, daß seine Partei auf dem Boden 
der Kompromißbeschlüsse stehe und durch die ablehnende Erklärung der Kon¬ 
servativen um so mehr überrascht sei, als einige Mitglieder dieser Partei den 
Kompromißantrag unterschrieben hätten und dieser auch gerade den Wünschen 
der Konservativen in bezug auf die Gutsbezirke entspreche. Was den Ge¬ 
meinden recht sei, müsse den leistungsfähigen Gutsbezirken billig sein. Wenn 
trotzdem die Konservativen gegen das Gesetz stimmen wollen, so erscheine es 
bedenklich, an die weitere Beratung des Gesetzes heranzugehen, zumal 
auch die vom Abg. v. Zedlitz angeregten Vorschläge noch einer eingehenden 
Erwägung bedürften. Es empfehle sich dann jedoch nicht, heute die ersten 
26 Paragraphen hier weiter zu beraten, denn es könne doch sein, daß die Zu¬ 
stimmung dazu von der Gestaltung der folgenden Paragraphen abhängig sei, 
oder deren Fassung eine Aenderung der ersten Paragraphen notwendig 
mache. Deshalb sei es besser, die Beratung nach dem Schluß der General¬ 
diskussion abzubrechen und die Spezialdiskussion zu vertagen, bis über die 
heute geäußerten Bedenken eine Verständigung erzielt sei. Bcdner stellt daher 
den Antrag auf Vertagung der Beratung nach Schluß der Ge¬ 
neraldebatte. 

Abg. Franken (natl.) erklärt, daß seine Partei mit diesem Antrag ein¬ 
verstanden sei, aber nicht mit der nochmaligen Zurückverweisung des Gesetzes 
an die Kommission. Er betont, daß man Epidemien Vorbeugen müsse, ehe sie 
ausgebrochen seien und bittet den Minister, daß durch Zuschüsse von In¬ 
dustriellen und Kommunen in Gelsenkirchcn bei Gelegenheit der Typhus¬ 
epidemie gegründete bakteriologische Musterinstitut auch weiterhin zu fördern. 
Wenn die §§ 27—SO aus dem Gesetzo ausgeschaltet würden, dann habe es 
seinen Zweck, die Gesundheit des Volkes zu schützen, verfehlt. 

Abg. Gyßling (fr. Volksp.) bittet wenigstens in der Beratung bis § 27 
fortzufahren; denn gegen diese Bestimmungen liegen keine Bedenken vor. Die 
Konservativen standen früher auf dem Standpunkt, daß nicht nur ein Ausführungs¬ 
gesetz zum Reichsgesetz, sondern auch ein Gesetz zur Bekämpfung der übrigen 
übertragbaren Krankheiten erforderlich sei, heute wollten sie nur das erstere. 
Die Konservativen seien doch sonst nicht so zimperlich, der Polizei Befugnisse 
zu geben, z. B. bei der Ueberwachung der elektrischen Anlagen; aber bei diesen 
sollten die Unternehmer die Kosten tragen, hier die Gemeinden, daher der 
Widerspruch. Wolle man alle Kosten dem Staat übertragen, dann würde ein 
Wettlauf der Gemeinden um die Herstellung von sanitären Einrichtungen ent¬ 
stehen ; deshalb sei es richtiger, wenn die Kosten zwischen beiden geteilt würden. 
Auffallend sei, daß man angeblich auf die Berichte der Regierungspräsidenten 
über die Tätigkeit der Kreisärzte nicht viel geben könne, während sie sonst, 
z. B. in politischen Fragen, von konservativer Seite stets als zweifelsfrei hin¬ 
gestellt würden. Redner spricht sich weiter entschieden gegen eine Begünstigung 
der selbständigen Gutsbezirkc aus; wenn diese Gutsbezirke selbständig ent¬ 
scheiden wollen, müssen sio auch die Pflichten übernehmen. Er erklärt schlie߬ 
lich, daß seine Freunde einzelne Bedenken zurückstellen würden, damit das 
Gesetz endlich zu stände komme. 

Abg. Gamp (freikons.) steht in bezug auf die Gutsbezirke auf dem 
Standpunkt des Kompromißantrages und ist der Ansicht, daß die Gemeinden 
nach dem Gesetz weit besser als bisher gestellt würden. Auch diejenigen 
welche sich über die Haltung der Kreisärzte beschweren, müßten das Gesetz 
mit Freuden annchmen, da nach diesem die Tätigkeit der Kreisärzte gleichsam 



Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


107 


oster die Kontrolle des Kreisausschnsses und des Proyinzialrates gestellt 
werden wurde; gerade hierin liege aber die sicherste Gewähr, daß sie ihre 
berechtigten Grenzen nicht überschreiten würden. Im übrigen sei es nur logisch 
und entspreche der Billigkeit, daß der Staat bei dringenden Fallen die Kosten 
der angeordneten Maßnahmen übernehme, wenn im Beschlußverfahren ent¬ 
schieden werde, daß die Gemeinde nicht dazu verpflichtet gewesen wäre. Die 
meisten Anordnungen würden außerdem nicht von den Gemeinden, sondern von 
den Kommunalaufsichtsbehörden getroffen. Redner bittet, das Gesetz anzu- 
nehmen; er fürchtet, bei weiterer Kommissionsberatung werde die Position der 
Gemeinden nicht verbessert werden. Wenn das erreicht werde, was durch die 
Kommissionsvorschläge zur Wahrung der Interessen der Gemeinden bezweckt 
sei, so könne man das Gesetz mit gutem Gewissen annehmen und vor dem 
Lande vertreten. 

Die allgemeine Besprechung des Entwurfes wird hierauf ge¬ 
schlossen und der Antrag v. Savigny auf Vertagung der Spezial¬ 
besprechung angenommen. 


Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 

A. Gerichtliche Medizin und Psychiatrie. 

Krankheit und Vergiftung. Von L. Lew in-Berlin. Berliner klinische 
Wochenschrift; 1904, Nr. 42. 

Krankheit and Vergiftung, beides Funktionsstörungen von Körperorganen, 
sind oft selbst für den Arzt, der nicht gut geschult ist und über viel toxiko¬ 
logisches Wissen verfügt, nicht zu unterscheiden, da es kein Organ des mensch¬ 
lichen Körpers und keine Gewehsart gibt, die nicht durch bestimmte Gifte so 
erkranken können, wie durch Leidensursachen anderer Art. Für die kausale 
Beurteilung müssen außer den Symptomen des Leidens noch andere Hilfsmittel 
herangezogeu werden. Der Arzt, welcher Arbeiter in Giftbetrieben behandelt, 
muß bei ungewohnten Symptomen seiner Kranken die allernächste Ursache für 
die in die Erscheinung tretende Wirkung verantwortlich machen. Er soll in 
(einen Krankheits- oder Todosbescheinigungen volle Wahrheit gelten lassen. 
Methodische Körperuntersuchungen der Giftarbeiter würden ergeben, daß der 
überwiegende Teil derselben, dem Individuum oft gar nicht zum Bewußtsein 
kommende Störungen aufweist, die sich auf das betreffende Gift zurückführen 
lassen. Auch an denjenigen Stellen, die unterrichtet sein sollten, scheint man 
weder über den Umfang der Giftgefahren, noch über die Arten der Vergiftungs- 
iaßerungen genügend orientiert zu sein. Wie wäre es sonst möglich, dieses 
furchtbare Stück sozialen Elends fortbestehen za lassen, ohne die radikal 
ändernde Hand anzulegen? Die Giftleiden, von denen viele Tausende von 
Menschen heimgesucht werden, erzeugen sehr greifbare Volksschädigungen, die 
wahrscheinlich viel größer sind, als es heute auch Eingeweihte ahnen. Den 
hierher gehörigen Fragen ist noch lange nicht genug nachgegangen worden. 
Bei gutem Willen der beobachtenden Aerzte und mit dem notwendigen Wissen, 
da« sich nur auf einer genügenden toxikologischen Schulung aufbauen kann, 
wird es gelingen, sie besser als bisher zu beantworten. 

Dr. Räuber-Köslin. 


Welche Bedeutung hat die Verfettung der Organe bei Vergiftungen 2 

(Sur la signifleation defensive des surcharges graisseuses p&thologiques). Von 
Paal Car not and Mlle. CI. De fl and re. Comptes rendus soc. de biol.; 
1904, LVII, Nr. 39. 

Die Autoren legten sich die Frage vor, welche teleologische Bedeutung 
die Ansammlung von Fett in der Leber und anderen Organen bei der 
Alkohol-, Ph osphor-, Arsen- und anderen Vergiftungen zuzuschreiben 
sei, ob es sich um einen reaktiven Vorgang handle, welcher Nutzen, welcher 
Sinn ihm unterzuschieben sei. 

Zunächst dürfte es sich wohl um Aufspeicherung von Reservestoffen 
handeln, die dazu dienen, die Nachbarzellen zu ernähren, die Lebensfähigkeit 
za erhöhen und die antitoxische Wehrfähigkeit zu steigern. 



108 


Kleinert* Mitteilungen und Referate au» Zeitschriften. 


Der Fcttnnsammlung scheint aber auch an sich ein antitoxischer 
Wert zuzakommen. 

Da ist nun folgender Versuch recht illustrativ: Die Verfasser er¬ 
zeugten bei einer Reihe Meerschweinchen durch tägliche Verabreichung von 
2 gr Butter 8 Tage hindurch eine Fettinfiltration der Leber; daß dies möglich 
war, hatten frühere Versuche nachgewiesen. Nach eintägiger Pause vergifteten 
sie diese und gleichzeitig andere nicht mit Fett ernährte Kontrolliere mit 
Alkohol in einer Dose von 8—10 ccm pro Kilo. 

Es ergab sich, daß die Fetttiere widerstandsfähiger waren, 
als die übrigen. Jene zeigten nur geringe Zeichen von Trunkenheit und einen 
Temperaturabfall von nur 1° in 2 Stunden, diese starben schon bei einer 
Dose von 6 gr pro Kilo mit zunehmender Hypothermie. 

Man muß sich im Zusammenhang hiermit daran erinnern, daß englische 
Gintrinker gewöhnt sind, bei ihren Gelagen Oel zu trinken, um mehr vertragen 
zu können. Dieses Oel könnte vielleicht von der Leber aus wirken und sich 
in den Leberzellen ansammeln, von dort aus eine antitoxische Wirksamkeit 
entfalten. 

Wenn Patienten im Beginne des chronischen Alkoholismus sich bei ihrer 
Fettleber wohl fühlen und eine akute Intoxikation mit neuen Dosen gut ver¬ 
tragen, so scheint diese Tatsache mit den Experimenten der Autoren verein¬ 
bar zu sein. 

Für den Phosphor hat Rosenfold nachgewiesen, daß bei hungern¬ 
den Tieren nicht die bedeutende Fettmetamorphose und Degeneration von 
Leber und Muskeln eintritt, wie sie für die Vergiftung mit Phosphor charak¬ 
teristisch ist. Für die Kokainvergiftung haben Gilbert und Carnot 
festgestellt, daß nur die Endothelzellen der Leber eine Fettinfiltration durch¬ 
machen, daß sie die zirkulierenden Fetttropfen zurückhalten und daß erst 
zuletzt die Leberzelle selbst sich mit Fett anfüllt: alles ein Beweis, daß die 
fettinfiltrierte Zelle vollständig lebensfähig und tätig sein kann. 

Dr. Mayer-Simmern. 

Fettgehalt der Leber nach kurzdauernder Inanitlon. Von A. Gil¬ 
bert und J. Jornier. Comptos rendus soc. de biol.; 1904, LVII, Nr. 84. 

Die Arbeit ist für die Lehre vom Tode durch Verhungern von 
Bedeutung. 

Die Autoren weisen nach, daß bei kurzdauernder Inanition das Leberfett 
nicht allein persistiert, sondern sogar reichlicher sein kann, als in der Norm. 
Sie untersuchten bei 8 Hunden und 6 Kaninchen, die einer vollständigen Ina¬ 
nition während einer Zeitdauer von- 26 Stunden bis 8'/* Tagen unterworfen 
worden waren, die Leber histologisch. Während bei den Kaninchen die Re¬ 
sultate nicht grade augenfällig waren, zeigte sich bei den Hunden Lokalisation, 
Aussehen und Verteilung des Fettes nicht anders, als bei verschieden ernährten 
Kontrollieren. Es handelte sich, was besonders zu erwähnen ist, nicht um 
eine fettige Degeneration. 

Zum Vergleiche waren 86 andere Hundelebern herangezogen worden. 
Den größten Fettreichtum wiesen die Lebern zweier Hunde auf, die 4—8'/* 
Tage Inanition hinter sich hatten. Ihre Blutkapillaren waren von gewaltigen, 
im Präparate schwarz gefärbten Fetthaufen angefüllt, die ebenso bedeutend 
nur bei Hunden waren, welchen nur Milch und Butter als Nahrung gereicht 
worden war. Der tettärmste Inanitionshund hatte noch 15 Futtertiere hinter 
sich. Der Dauer der Inanition war übrigens der Fettgehalt nicht proportional. 

(Nach einem Referate der Münchener med. Wochenschrift, 1903, 8. 278 
hatte R. Traina aus dem path. Institute zu Freiburg i. Br. Untersuchungen 
geliefert, die mit den oben wiedergegebenen insofern übereinstimmen, als auch 
er nachweist, daß bei akuten Hungerzuständen zwar das Fett im subkutanen 
Gewebe eine starke Verminderung erfährt — wanderndes Fett —, daß dagegen 
die in den Zellen drüsiger Organe befindlichen Fettkörner völlig unverändert 
bleiben — seßhaftes Fett — und dort einen konstanten und integrierenden 
Bestandteil des Zellprotoplasmas bilden. Ref.) Dr. May e r - Simmern. 


Ein Fall von Situs inversus des Magens, Duodenums und der Mlls 
bei einem 68jährigen, weiblichen Individuum. Von Dr. Josef Halff, 



Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 109 

früher Assistent an der path. - anatom. Anstalt za Basel. Münchener mediz. 
Wochenschr.; 1904, Nr. öl. 

Ben bisher publizierten 3 Fällen von Situs inversus der Bauchorgane 
reiht sich der vom Verfasser mitgeteilte Fall an, bei dem der Tod durch 
Magen- und Leberkrebs verursacht war. 

Aas dem ausführlichen Sektionsprotokoll mit Abbildung sei nur der 
Baachbefand hervorgehoben: 

.Bei der Eröffnung des Abdomens nimmt die vergrößerte und durch 
Geschwalstknoten unregelmäßig höckrig gestaltete Leber die oberen Bauchpar- 
tien ein; nach unten davon finden sich mäßig geblähte Dünndarmscblingen, 
von denen die der Leber zunächst liegenden mit der Leber und mit der Bauch¬ 
wand verwachsen sind. ... Der Magen verläuft auf der rechten Hälfte 
der Leberhinterfläche, die große Kurvatur sieht nach rechts, 
die kleine nach links, statt einer Milz finden sich zwei je etwa 
taub eneigroße Milzen, die rechts außen am Fundus des Magens 
liegen; der Pjlorus liegt nach links von der Mittellinie, die 
Krümmung des Duodenums ist nach links konvex. Ucber dem 
oberen Schenkel des Duodenums, in der Mittellinie, links von 
der Leberpforte findet sich, mit seinem Längsdurchmesser 
vertikal gestellt, das verkrümmte, höckerig konfiguriert« 
Pankreas. Ductus choledochus und Wirsingianus münden nebeneinander 
anf der Papille, die im oberen Schenkel des Duodenums ca. 6 cm vom Pylorus 
entfernt liegt.“ 

Verfasser geht dann an der Hand einer entsprechenden Zeichnung auf 
das Verhalten der Gefäße der abnorm gelagerten Organe, sowie auf die Er¬ 
klärungsversuche für den Situs inversus ein und kommt zusammenfassend zu 
dem Schlußsätze, daß bis jetzt eine befriedigende Klarstellung der Ursachen 
des Situs inversus partialis von Bauchorganen nicht gefunden ist. 

Dr. Wai bei-Kempten. 

B. Bakteriologie, Infektionskrankheiten und öffentliches 

Sanitätswesen. 

Die ätiologische Begründung der Pockendiagnose. Von Stabsarzt Dr. 
Jürgens, Assistent der II. Medizinischen Klinik in Berlin. Deutsche med. 
Wochenschrift; 1904, Nr. 45. 

Nach kritischer Besprechung der Arbeiten über die Vaccincerreger, die 
von van derLoeff und Pfeiffer im Pockcnpnstolinhnlt als protoplas- 
matische Gebilde nachgewiesen, von Guarnieri auch in der Haut Pocken¬ 
kranker gefunden und als Parasiten und Erreger der Pocken, als Cytorhyctes 
vaccinae, angesprochen sind, hebt Verfasser hervor, daß die Differentialdia¬ 
gnose zwischen Variola, Varizellen und anderen Krankheitsprozessen in klinisch 
undeutlichen Fällen allein und sicher nur durch den Tierversuch zu stellen 
ist Zu diesem Zwecke sind, wie es Verf. auf der Infektionsabteilung der 
Charite getan hat, Verimpfungen des Pustelinhalts auf die Kaninchencornea 
in der Weise aaszuführen, daß mittels einer sehr scharfen Lanzettnadel eine 
Pustel angestochen, der ausfließende Inhalt auf die Kaninchencornea übertragen 
und hier durch möglichst flache Einschnitte in bezw. unter das Epithel der 
Cornea gebracht wird. Am nächsten Tage schon zeigen sich an den Impf¬ 
stellen zarte Trübungen, und zugleich treten eben wahrnehmbare Epithel¬ 
wucherungen auf, die am nächsten und übernächsten Tag sehr viel deutlicher 
werden. Im gefärbten Schnittpräparat sieht man den mit Epithelzellen ansgefüllten 
Impfstich als dicken Zapfen schräg durch die Epithelschicht der Cornea hin¬ 
einragen und fast sämtliche Epithelzellen dieses Zapfens sowie der nächsten 
Umgebung lassen den Parasiten erkennen, der sich nach Eisen-Hämatoxylin- 
behandlung tiefblau von den Zellkernen und der übrigen Umgebung abhebt. 
Da derartige deutlich hervortretende Zelleinschlüsse, wie diese vermutlichen 
Parasiten sie darstellen, bisher nur nachgewiesen werden konnten, wenn Impf¬ 
ungen mit Vaccine- oder Variolalyrapho vorgenommen waren, so liegt hierin 
der diagnostische Wert solcher Untersuchungen, die nicht allein die sichere 
Bestätigung der Diagnose, sondern auch die allein mögliche Aufklärung 
der Art eines vorliegenden Falles geben, zumal wenn die charakteristischen 
Erscheinungen der Blattcrne&rankung fehlen und wo nur allgemeine, leichte 



110 


Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


Symptome auftreten. Nicht minder wichtig aber köunen diese Untersuchungen 
für unsere ganze Auffassung der Pathogenese und Epidemiologie der 
Pocken werden. Wenn auch bei uns die Blattern für den Arzt fast völlig 
ihre Bedeutung verloren haben, so bildet doch die Verhütung der Variola noch 
ein wichtiges Kapitel in der öffentlichen Gesundheitspflege. Bei jedem pocken¬ 
verdächtigen Fall ist die Medizinalbehörde im hoben Maße interessiert; für die 
Anordnung ihrer Maßnahmen bildet aber ebenso wie für die Beurteilung des 
tatsächlichen Effektes derselben die exakte wissenschaftliche Diagnose ein not¬ 
wendiges Postulat. Auch die noch offenen Fragen der Entstehungs- und Ver¬ 
breitungsweise der Pocken, des Verhältnisses der Variola und Variolois zur 
Vaccine werden eine Erklärung erst dann finden können, wenn in jedem ein¬ 
zelnen Falle der Nachweis des Pockenerregers durch den oben geschilderten 
Tierversuch erbracht wird. £>r. Roepke-Melsungen. 


Die Pockenepldemie in Bochum im Jahre 1904. Von Reg.- und Med.- 
Rat Dr. Springfeld-Arnsberg. Klinisches Jahrbuch; 1904, Bd. 13, H. 2. 

In Stadt- und Landkreis Bochum erkrankten insgesamt 52 Personen an 
Pocken. Die Einschleppung fand mit großer Wahrscheinlichkeit Anfang De¬ 
zember 1903 aus Belgien statt. Erst Ende März 1904 bekam die Sanitäts¬ 
polizei von dem Bestehen einer Epidemie Kenntnis. 

Der Feststellung des Umfanges der Epidemie stellte das gleichzeitige 
Bestehen einer Windpockenepidemie große Schwierigkeiten entgegen. Erst 
durch umständliche Ermittelungen (Prüfung der Schulvcrsäumnislisten, Haus¬ 
suchungen etc.) gelang es vielfach die Kranken ausfindig zu machen. Der 
Verlauf der Epidemie wird durch einen Stammbaum sehr übersichtlich dar¬ 
gestellt. 

Als Abwehrmaßregeln kam hauptsächlich die Impfung der Bevölkerung, 
Isolierung der Erkrankten und Desinfektion in Betracht. Die fälligen 40000 
Kinderimpfungen wurden sofort ausgeführt. Die Bevölkerung wurde durch 
Bekanntmachungen oder, soweit angängig, durch Veranlassung Vorgesetzter 
Behörden der Nachimpfung zugeführt. Im Monat April wurden mehr als 
80000 Personen hierdurch zur Nachimpfung veranlaßt. 

Große Mißstände entstanden aus der Unfähigkeit der Krankenhäuser, die 
Pockenkranken aufzunehmen und zu verpflegen, isolierräume fehlten vielfach 
oder waren in gänzlich unzureichender Verfassung. Es mutet den Leser recht 
mittelalterlich an, wenn er liest, daß ein Kranker in einer nur zur Aufnahme 
von Vagabunden sich eignenden Bretterbude, — ein anderer in den Sektions¬ 
raum einer Leichenhalle untergebracht wurde. Dr. Dohrn-Cassel. 


Knhpockenlymphe und Tetanus. Von Dr. A. Carini, Chef der 
Vaecineabteilung des Instituts zur Erforschung der Infektionskrankheiten Bern. 
Zentralblatt für Bakteriologie; I. Abt., Originale, Bd. 57, H. 1. 

Carini hat 50 verschiedene Vaccineproben auf ihren Gehalt an Tetanus- 
keimen bezw. -Sporen untersucht und diese Krankheitserreger in 5 der Proben 
nachweisen können. Wenngleich er die Gefahr der Entstehung von Tetanus 
nicht für groß hielt — auch mit jenen 5 Lymphsorten waren tausende von 
Impfungen vorgenommen worden, ohne daß bei den Impflingen auch nur ein 
Tetanusfall zur Beobachtung gekommen wäre, so hält er doch gewisso Vor¬ 
sichtsmaßregeln für die Impfung für empfehlenswert. Als solche schlägt er 
vor a. für die Impfung: ausschließliche Anwendung der Skarifikation, Vermeidung 
des Stichs und eines fcstanliegendcn Verbandes, wodurch anaörobe Verhält¬ 
nisse geschaffen werden können, b. für die Lymphanstaltcn : Prüfung der Lymphe 
vor der Abgabe auf ihren etwaigen Gehalt an Tetanuskeimen. 

Dr. L e n t z - Berlin, z. Z. Idar. 

Die experimentelle Lyssadiagnose bei Fäulnis der eingesandten 
Nervenzentren. Von Karl Nicolle (Institut Pasteur do Tunis). Comptes 
rendus soc. biol.; 1904, LVII, S. 349. 

Die experimentelle Diagnose der Lyssa. Von Ch. Livon. (Institut 
antirabique de Marseille.) Ebenda. 

Die Pasteurschen Institute der heißen Länder haben außerordentlich 
mit den Schwierigkeiten zu kämpfen, die die Fäulnis der ihnen zur Diagnose 



Kleinere Mitteilungen und Referate aua Zeitschriften. 


111 


übersandten Tierkadaver bedingt. Wird die Sendung nur irgendwie verzögert, 
so läßt sich das Gehirn des lyssaverdächtigen Tieres nicht mehr zur subdu¬ 
ralen oder intraokularen Impfung auf das Kaninchen verwenden, da dieses im 
Durchschnitt schon nach 1—4 Tage der Sepsis erliegt oder in selteneren 
Fällen der Abmagerung und Kachexie verfällt. Die Schwierigkeiten waren 
im Jahre 1903 und anfangs 1901 so groß, daß unter 42 Fällen nur 25 ein 
Resultat ergaben; in 7 eine Impfung überhaupt nicht versucht werden konnte. 

Im Sommer 1904 wandte Verfasser nun zur Konservierung der 
nbersandten Tierhirne Glyzerin an. Er ließ die Organe 48 Stunden 
lang in sterilisiertem Glyzerin und verwandte sio alsdann zur Impfung. Von. 
7 Fällen erzengte nur einer beim Kaninchen Septicämie; 5 gaben die charak¬ 
teristischen Rabies - Symptome. Nie olle empfiehlt daher das Glyzerinbad. 

Die Angaben von Nico Ile werden von Livo n vollständig bestätigt. L. 
berichtet, daß er schon seit dem Jahre 1894 die konservierenden und antisep¬ 
tischen Eigenschaften des Glyzerins in dem von ihm geleiteten Marseiller In- 
stitnte benutzt habe und daß er nie eine Impfung vorgenommen habe, ohne 
das übersandte Zentralnervensystem 24—48 Stunden im Glyzerin auf bewahrt 
za haben. Auch die Tierärzte, die dem Institut zur Kontrollimpfung die 
vorgeschriebenen Organe einsenden wollen, haben den Auftrag, die 
Stücke alsbald in Glyzerin zu geben und sie so einzuschicken. 

Dr. Mayer-Simmern. 

Bericht Aber die Tätigkeit der Wutgchutzabtellung am KSnlglloh 
Preußischen Institut für Infektionskrankheiten zn Berlin im Jahre 1908. 

Von Dr. Schüder. Klinisches Jahrbuch; 1904, Bd. 13, H. 1. 

Die Anstalt hat während ihres nunmehr ö 1 /* jährigen Bestehens 1816 
Personen zur Vornahme der Schutzimpfung aufgenommen. Trotz der Impfung 
starben im ganzen 9 Personen (0,49 “/«); V woitcre Todesfälle kommen nicht 
in Betracht, da sie vor Eintritt der Wirksamkeit der Impfung eintraten. 

Im Jahre 1903 wurden 400 Personen geimpft (darunter 4 Tierärzte). Die 
größte Anzahl der Geimpften stellte auch in diesem Jahr die Provinz Schlesien 
i31,4°/o). — Im ganzen starben 4 Personen; alle nach Abschluß der Behand¬ 
lung und nach der Rückkehr in die Heimat. 

Nur in 18,75 "/o der eingeliefcrten Fälle war ein Versuch zur Zerstörung 
des Wutgiftes in der Wunde gemacht worden. — Eine Anzahl sehr schwerer 
Fälle wurde ebenso wie im Vorjahre nach Beendigung der ersten Schutzimpfung 
einer zweiten Behandlung unterzogen; von diesen starb keiner. — Die Zahl 
der untersuchten Tiergehirne betrug 379. 

Den Aerzten und besonders den Medizinalbeamten kann nicht dringend 
genug ans Herz gelegt werden, daß sie die Verletzten möglichst sofort der 
Behandlung im Institut zuführen; insbesondere darf auch die Ueberweisung 
nicht erst von dem Ausfall des Resultates abhängig gemacht werden, welches 
die Untersuchung des dem Institut eingesandten Tiergehirns gehabt hat. — 
Weiterhin sieht sich Sch. im Interesse der Sache noch zu folgenden Mahnungen 
veranlaßt, deren Wiedergabe an dieser Stelle geboten erscheint: 

1. Die Schutzzuimpfenden sind (an die neue Adresse des Institutes) nach 
Berlin, Nordufer Führer Straße am Ringbahnhof, Putlitzstraßo zu weisen. 

2. Es muß dafür Sorge getragen werden, daß die Patienten zu einer 
Zeit abreisen, daß sie noch im Laufe des Tages, wenn möglich bis nachmittags 
5 Uhr im Institnt eintreffen. 

3. Die Patienten müssen in sauberem Zustand, ohne Ungeziefer und 
mit den nötigen Kleidungsstücken versehen, eintreffen. 

4. Den Patienten muß von der zuweisenden Behörde, vielleicht bei der 
Einhändigung der Ueberweisungspapiere, die etwaige Furcht vor der ihnen be¬ 
vorstehenden Behandlung genommen werden, indem sie darauf hingewiesen 
werden, daß die Behandlung nur in einer täglich vorzunehmenden Einspritzung 
besteht, und niemand eine Einsperrung zu gewärtigen hat. 

6. Neben der Anzahlung von 60 Mark für Erwachsene und 45 Mark 
für Kinder unter 12 Jahren für die Verpflegung sind auch sogleich die Kosten 
für die Rückreise einzuzahlen, sofern die Patienten nicht mit Rückfahrkarten 
versehen werden. Dr. Dohrn -Cassel. 



112 


Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


Zwei Fälle von Milzbrand. (An out break of anthrax.) (Vortrag vor 
der N.- W. Sektion des engl. Medizinalbeamtenvcreins.) Von H. E. Edlin, 
mcd. off. of health, Levenshulme. Public health; September 1904. 

Impfmilzbrand kommt in London relativ häufig vor. Im St. Bartholomäus¬ 
hospital werden alljährlich 7—8 Fälle behandelt. Die Wool-sortcrs disease 
findet sich zumeist in Yorkshire, Bradford; besonders gefährlich sind Häute 
und Wolle aus gewissen Gegenden von Persien und der Türkei. 

Die Ausführung der Verordnungen, betr. den Milzbrand, liegt in Eng¬ 
land und Wales den städtischen und Grafschaftsbehörden ob; insoweit die 
Maßregeln die erkrankten Tiere betreffen, werden sie unter Aufsicht besonderer 
Inspektoren von den Polizeibehörden ausgeführt. Das Vorkommen eines jeden 
Falles von Milzbrand ist dem Medizinalbeamten zu melden. 

Als der Autor von seinem ersten Falle Kenntnis erhielt, hatte er die 
Anthrax Order von 1899, auf welche er von einem befreundeten Medizinal¬ 
beamten hingewiesen wurde, nicht zur Hand. Er wandte sich an die Zentral¬ 
behörde, von welcher er nach einigen Tagen einen Abdruck erhielt mit dem 
Zusatze: „Der Medical officer of health hat mit Anthrax nur insofern zu tun, 
als es sich um Beschränkung der Infektion auf den Menschen handelt, und um 
Vorbeugung von Mißständen, die auf Verstoß der Lokalbehörden gegen die 
Anthrax Order beruhen. . . . Die Zentralbehörde nimmt an, daß der betr. 
Tierkadaver so beseitigt worden ist, daß er zur menschlichen Nahrung un¬ 
tauglich ist.“ 

Die Milzbrandfälle betrafen einen Farmer, der ein krankes Rind ge¬ 
schlachtet hatte, und einen Metzger, der bei der Enthäutung geholfen hatte. 
Jener starb an Impfmilzbrand, dieser genas im Krankenhause. 

Das Fleisch der kranken Kuh war in den Verkehr gebracht und 
verkauft worden. Erkrankungen sind nicht beobachtet worden, obwohl 
Prof. Del€pine in der dem Verkauf entgangenen Zunge Anthraxbazillen 
nachweisen konnte. 

(Aus der ganzen Darlegung geht hervor, daß die Tätigkeit des Medi¬ 
zinalbeamten wesentlich hätte gefördert werden können, wenn das Gesetz auch 
das Eingreifen eines tierärztlichen Sachverständigen vorgesehen hätte.) 

Dr. Mayer-Simmcrn. 

Zur Bakteriologie der Ruhr. Von Dr. E. Rautenberg. Aus der 
Königl. iued. Klinik zu Königsberg (Direktor: Geh. Rat Prof. Licht he im). 
Zentralblatt für Bakteriologie; I. Abt., Orig., Bd. 36, H. 3. 

Rautenberg züchtete aus dem Stuhle eines Dysenteriekranken, der 
sich während einer im Kreise Angerburg in Ostpreußen herrschenden Ruhr- 
epidemie infiziert hatte, den Shiga-Kruseschen Bacillus und lieferte da¬ 
durch den Beweis, daß die bazilläre Dysenterie auch in Ostpreußen vorkommt. 

Der erwähnte Fall war dadurch bemerkenswert, daß im Anschluß an 
die Dysenterie bei dem Kranken unter erneutem Fieberanstieg eitrige Con¬ 
junctivitis und Urethritis (ohne Gonokokkenbefund), sowie starke Schwellung 
mehrerer großer Gelenke auftraten. Letztere war, wie durch Punktion eines 
Kniegelenks und bakteriologische Untersuchung des Exsudats erwiesen wurde, 
durch Bact. coli hervorgerufen worden. Das Serum des Kranken agglutinierte 
sowohl den Ruhrbacillus, als auch das Bact. coli in beträchtlichen Ver¬ 
dünnungen. Dr. L e n t z • Berlin, z. Z. Idar. 

Uehor eine Kontaktepidemlo von Ruhr in der Umgegend von Metz. 

Von Dr. H. Conradi, Leiter der bahteriologischen Anstalt für Lothringen. 
Festschrift zum 60. Geburtstage von Robert Koch; Jena 1904. 

Conradi beobachtete in Metz und einigen umliegenden Dörfern im 
Herbst 1903 eine ziemlich umfangreiche Ruhrepidemie. 60 Ruhrkranke kamen 
zur Untersuchung; bei 56 von ihnen konnte in den Dcjektioncn der Shiga- 
Krusesche Bacillus nachgewiesen werden. Die Krankheit verlief im all¬ 
gemeinen leicht, nur 3 Personen, ein 68 jähriger Mann, ein schlecht genährtes 
4jähriges Kind und ein 9 Monate alter Säugling erlagen ihr; doch zog sich 
die Rekonvaleszenz häufig sehr in die Länge. Meist stellte sich nach Ablauf 
der Krankheitserscheinungen hartnäckige Verstopfung ein. Nie wurden Rezidive, 
nur einmal eine Komplikation, gutartige hämorrhagische Nephritis, beobachtet. 



Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


118 


Nie fanden sich Ruhrbazillen im Blut oder dem Harn der Patienten, doch 
wurden sie bisweilen in den Faezes von anscheinend ganz gesunden Personen, 
hauptsächlich Kindern, in der Umgebung von Kranken gefunden. Die Serum¬ 
reaktion trat meist gegen Ende der 1. oder anfangs der 2. Krankheitswoche 
anf und kam für die Diagnose gewöhnlich nicht in Betracht. Die Rcinzüch- 
tnng der Ruhrbazillen geschah mit Hülfe des von v. Drigalski und Conradi 
für die Reinzüchtung des Typhusbacillus angegebenen Lakmus- Agars mit 
Nutrose- und Krystallviolett * Zusatz. Die frisch gezüchteten Ruhrbazillen 
waren sehr virulent. 

Für die Reinzüchtung von Ruhrbazillen aus anscheinend bereits normalen 
geformten Faeces von Ruhrrekonvaleszenten hat Conradi in 27 Fällen mit 
Erfolg folgendes Verfahren angewandt: Die spärlichen, dem geformten Stuhle 
beigemischten Schleimflocken werden herausgefischt, in 1 °/ 00 Sublimatlösung auf 
etwp 1 Minute übertragen, danach in steriler physiologischer Kochsalzlösung 
tüchtig abgespült, und dann auf Agarplatten ausgestrichen. Auf diese Weise 
gelang es Conradi bei 5 Rekonvaleszenten noch in der 4. Woche nach Be¬ 
ginn der Erkrankung Ruhrbazillen nachzuweisen. 6 von den 27 Rekonvales¬ 
zenten boten z. Z. des Bazillennachweiscs keine Zeichen der überstandenen 
Krankheit mehr, sondern waren als vollkommen genesen zu bezeichnen. Con- 
r&di konnte so feststcllen, daß in leichten Krankheitsfällen die Ruhrbazillen 
sich gewöhnlich 8—14 Tage, in schweren Fällen jedoch bis zu 4 Wochen¬ 
lang in den Faeces finden können, wenn die Krankheitserschcinungon 
längst abgelaufen sind. In einem Falle, der einen 55jährigen Mann betraf, 
fanden sich jedoch noch 9 Wochen nach Beginn der Krankheit Ruhrbazillen 
in den Faeces. Weiterhin fand C. dann bei 5 Kindern, die selbst kern¬ 
gesund waren, während in ihren Familien Ruhrkranke waren, Ruhrbazillen 
im Stuhl. Es treten also bei der Ruhr dieselben epidemiologisch wichtigen 
Erscheinungen auf wie beim Typhus: langes Verweilen der Erreger im Stuhl 
ron Rekonvaleszenten und ihr Vorkommen bei Gesunden, Erscheinungen, welche 
eine strenge bakteriologische Kontrolle der Rekonvaleszenten und die Unter¬ 
suchung aller Individuen in der Umgebung von Ruhrkranken notwendig machen, 
sm eine Verbreitung der Krankheit durch solche anscheinend gesnnden Bazillen¬ 
träger zu verhindern. 

Der ganze’Verhmf der Epidemie charakterisierte sich als eine Kontakt¬ 
epidemie ; ihr Zusammenhang mit früheren Epidemien und den in und um Metz 
alljährlich zur Beobachtung kommenden vereinzelten Ruhrfüllcn ist mehr als 
wahrscheinlich. Daß einmaliges Ueberstehen der Ruhr eine lang dauernde 
Immunität schafft, konnte Conradi dadurch bestätigen, daß in den von ihm 
beobachteten Orten, in denen früher häufig Ruhr geherrscht hatte, 1903 von 
der eingeborenen Bevölkerung nur junge Leute unter 22 Jahren erkrankten, 
während 25 ältere Personen, die von der Krankheit ergriffen wurden, aus ruhr¬ 
freien Gegenden zugewandert waren. Dr. L entz-Berlin, z. Z. Idar. 

Ein Beitrag zur Lehre von der Vererbung der Syphilis. Von Privat¬ 
dozent Dr. Jesioneck. (Aus der dermatologischen Klinik zu München; Prof. 
Posseit). Münchener med. Wochenschrift; 1904, Nr. 49. 

Die allgemeine Anschauung ging bislang dahin, daß die Vererbung der 
Syphilis vom Vater in gleicher Weise wie von der Mutter möglich sei. Dieser 
bisherigen,'von namhaften Autoren, wio Neumann,Finger etc. unterstützten 
Anschauung gegenüber vertritt Matzen au er den Standpunkt, daß die Ver- 
erbung’der;Syphilis stets von seiten der Mutter auf plazentarem Wege durch 
intrauterine Infektion erfolge, und eine paterne Vererbung ebensowenig erwiesen 
sei, wie eine Vererbung auf germinativem Wege, durch das infizierte Sperma¬ 
tozoon oder Ovulum. Verfasser beabsichtigt nicht, in eine Besprechung oder 
Bekämpfung des Matzen au ersehen Ideenganges und seiner Argumentation 
«ich einzulassen, sondern berichtet nur über zwei Beobachtungen, dio zu den 
Schlußfolgerungen berechtigen, daß 1) das Sperma eines Syphilitikers 
Kontaktinfektion bewirken kann, 2) das Sperma die Syphilis 
vom Vater auf die Frucht übertragen kann, cs also eine 
paterne Vererbung gibt, und daß es 3) einen „choc en retour“ 
gibt- Dr. W a i b e 1 - Kempten. 



114 


Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


l)Ie Gonorrhoe der para - urethralen Gänge des Weibes. Von Dr. 
Pollak. Zentralblatt für Gynäkologie; 1904, Nr. 9. 

Die gonorrhoische Infektion der para-urethralen Gänge hat insofern be¬ 
sondere Wichtigkeit zu beanspruchen, als von hier aus bei sonst ausgeheilter 
Gonorrhoe Reinfektionen erfolgen können. Verfasser stellte Untersuchungen 
darüber an, in welchem Häufigkeitsverhältnis sich bei positivem Gonokokken- 
befund in der Urethra auch die paraurethralen Gänge affiziert erweisen. Unter¬ 
sucht wurden 100 Frauen mit gonokokkenhaltigcm Urethralsekret. Meist 
handelte es sich um chronische Fälle. In 45 u /o aller Fälle wurden Gonokokken 
nachgewiesen; in 25°/o waren Gonokokken sehr reichlich vorhanden. Diese 
Zahlen würden bei akuten Fällen mit ausgedehnter Vulvovaginitis noch wesent¬ 
lich höher sein. — Die Befunde des Verfassers lassen eine sorgfältige Berück¬ 
sichtigung der paraurethralen Gänge, besonders bei der Untersuchung der Pro¬ 
stituierten, dringend geboten erscheinen. Dr. Dohrn-CasseL. 


Infektion als Morgengabe. Von Dr. Schallmayer. Zeitschrift für 
Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten; Bd. I, Nr. 10. 

Mehr und mehr bricht sich die Ueberzeugung Bahn, daß gerade der 
Staat in rationellem Interesse für die Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten 
eintreten muß. Abgesehen von der Schädigung des rationellen Wohlstandes 
durch Beschränkung und Verlust der verfügbaren Arbeitskräfte, machen die 
Geschlechtskrankheiten auf die Fortpflanzung und Erhaltung einer gesunden 
und leistungsfähigen Rasse ihren verderblichen Einfluß geltend. An dem 
weiterschreitenden Rückgang der Geburten, der Zunahme der Aborte, an der 
Zeugung einer schwächlichen und degenerativen Nachkommenschaft tragen in 
vieler Hinsicht die Geschlechtskrankheiten Schuld. In besonderer Weise wird 
der Staat durch Syphilis und Gonorrhoe darin geschädigt, daß grade die höheren, 
d. h. die allgemein als begabter und geistig produktiver anzusehenden Klassen 
wegen ihres vorzugsweisen Befallenseins von Geschlechtskrankheiten in ihrer 
Fortpflanzung ungünstig beeinflußt werden. Hiermit wird der Verbesserung 
der Rasse durch Vermehrung dieser höherwertigen Elemente eine Grenze gelegt. 

Verfasser behandelt die Frage, wie ist der quantitativ und qualitativ 
rasseschädigenden Wirkung der Geschlechtskrankheiten entgegen zu arbeiten ? 
Das rationellste Mittel wäre das, daß den Ehekandidaten, welche au an¬ 
steckenden Geschlechtskrankheiten leiden, der Eintritt in die Ehe unmöglich 
gemacht wird. 

Bisher wird von dem größten Teil der Ehekandidaten die Befragung 
eines sachverständigen Arztes teils aus Unkenntnis, teils aus Leichtsinn unter¬ 
lassen. Anderseits fühlen aber infolge des mehr und mehr zunehmenden Ver¬ 
ständnisses für die Gefahren der Geschlechtskrankheiten die zukünftigen 
Schwiegereltern jetzt häufiger als früher die Verpflichtung, sich über die 
gesundheitlichen Verhältnisse des Schwiegersohnes Gewißheit zu verschaffen. 
In Amerika macht man deshalb in vielen Fällen die Einwilligung zur Ehe¬ 
schließung von der Aufnahme des Bräutigams in eine Lebensversicherung ab¬ 
hängig. Weil hierbei jedoch auf das Vorhandensein noch ansteckungsfähiger 
chronischer Katarrhe kaum geachtet wird, so kann diese Maßnahme keine 
Sicherheit gewähren. 

Da die privatärztliche Untersuchung der Ehekandidaten aus zahlreichen 
Gründen der Zuverlässigkeit entbehrt, so muß an Stelle dessen durch das 
Gesetz eine Untersuchung durch beamtete Acrzte angeordnet werden. Der 
Ehekandidat hätte neben den sonstigen Papieren ein amtsärztliches Zeugnis 
darüber beizubringen, daß er nicht mit einer ansteckenden Krankheit be¬ 
haftet ist. Zur Vornahme der Untersuchung würden nur vollständig unab¬ 
hängige, d. h. vollbesoldete Medizinalbeamte mit spezialistischer Vorbildung, 
oder besonders aufzustellende Amtsärzte heranzuzichou sein. 

Verfasser verhehlt sich keineswegs, daß der Durchführung seiner Pläne 
von mancher Seite, besonders von „Liberalen“, die darin eine Einschränkung 
der persönlichen Freiheit sehen würden. Widerstand erwachsen wird. Auch 
von juristischer Seite sind derartige Vorschläge vielfach abgelehnt, z. T. unter 
Hinweis auf die bestehende Möglichkeit der Ehescheidung und Anfechtung. 

Verfasser widerlegt sämtliche Eiuwände durch sachgemäße, praktische 



Tagesnachrichten. 


115 


Gründe. Was nützt es, der in der Ehe gonorrhöisch oder syphilitisch in fi¬ 
xierten Erna die Ehe scheiden oder anfechten za lassen ? Falls sie überhaupt 
ron der Infektion Kenntnis erhält, wird sie meist aus Schonung für den Mann 
oder die Kinder die Anzeige unterlassen. Außerdem muß sic fürchten, daß sie 
durch das Bek&nntwerden ihres Leidens noch weiteren Schaden erleidet. 

Das Wesentliche bleibt deshalb die Vorbeugung, d. h. die Verhinderung 
derartiger Eheschließungen. Eine Unsumme von Unglück, Elend und ver¬ 
fehltem Lebensglück würde dadurch beseitigt werden. Bei der Einführung des 
Torgeschlagenen Verfahrens würde die persönliche Freiheit nur unwesentlich 
beeinträchtigt werden, da es sich ja in den meisten Fällen nicht um eine Be¬ 
hinderung, sondern nur um eine Verschiebung der Eheschließung handeln würde. 

Dr. D o h r n - Cassel. 


Tagesnachrichten. 

Mit Rücksicht auf die große Bedeutung einer einwandsfreien Warner- 
Tersorgung für die öffentliche Gesundheitspflege, namentlich für die Verhütung 
der Weiterverbreitung ansteckender Krankheiten, und die darauf bezüglichen 
Bestimmungen im Reichsseuchengesetz (§ 35), haben im Beichs-Gesund- 
heitsrate eingehende Verhandlungen stattgefunden, um die Anforde¬ 
rungen festzustellen, welche bei der Anlegung zentralisierter Betriebe zur 
öffentlichen Wasserversorgung zu stellen und zu erfüllen sind und demgemäß 
auch bei der staatlichen Ueberwachung dieser Betriebe im Auge behalten 
werden müssen. An den Verhandlungen haben Aerzte, Chemiker, Baubeamte, 
Wasserwerkstechniker und ein hervorragender Geologe teilgenommen, so daß 
alle in Betracht kommenden fachmännischen Gesichtspunkte zur Erörterung 
gelangten und von erfahrenen Sachverständigen vertreten wurden. Die Ergeb¬ 
nisse der Beratungen, bei denen die Herren Geh. Hofrat Prof. Dr. Gärtner- 
Jena und Geh. Ob.-Med.-Bat Prof. Dr. Schmidtmann-Berlin als Bericht¬ 
erstatter tätig waren, sind niedergelegt in einem Entwürfe von „Grundsätzen 
für die Einrichtung, denBetrieb und die Ueberwachung öffent¬ 
licher Wasserversorgungsanlagen, welche nicht ausschlie߬ 
lich technischen Zwecken dienen“, der voraussichtlich den ein¬ 
zelnen Bundesstaaten behufs weiterer Entschließungen mitgeteilt werden wird. 

Der Bund es rat hat in seiner Sitzung vom 9. d. Mts. der Einführung 
einer einheitlichen Arzneitaxe zugestimmt 

Die 83. Kommission des preußischen Abgeordnetenhauses zur Vorbe¬ 
ratung des Antrags Graf Douglas, betr. die Förderung der Landes¬ 
wohlfahrt, hat am 6. d. M. ihre zweite Sitzung abgehalten und nach längerer 
Debatte den nachstehenden, von den Abgg. Graf Douglas, Frhr. v. Willisen, 
Se hi ff er gestellten Antrag einstimmig angenommen: „Das Haus der Abge¬ 
ordneten wolle beschließen, die Staatsregierang zu ersuchen, möglichst bald 
als behördliche Einrichtung zur Förderung der Volkswohlfahrt in Stadt und 
Land ein Yolkswohlfahrtsamt zu schaffen, behufs ausgiebiger Mitwirkung des 
Laienelements ihm einen ständigen Beirat anzugliedern und die hierfür er¬ 
forderlichen Mittel im Staatshaushalt bereitzustellen.“ 

Das Volkswohlfahrstamt soll unmittelbar dem Staatsministerium unter¬ 
stellt werden, die Ernennung des Vorsitzenden und der Mitglieder durch den 
König erfolgen. Es soll ihm insbesondere obliegen: 

1) Die Entwicklung der Volkswohlfahrtspflege im In- und Auslande zu ver¬ 
folgen und darüber der Staatsregierung fortlaufend Bericht zu erstatten. 

2) Wahrnehmungen, die ein Eingreifen oder eine Abänderung der Gesetz¬ 
gebung oder der Vcrwaltungstätigkeit erforderlich erscheinen lassen, der 
Staatsregierung mitzuteilen. 

3) Auf Anordnung der Staatsregierang Gutachten zu erstatten, Vorschläge 
aaszuarbeiten und bei der Vorbereitung von Gesetzentwürfen und Ver¬ 
waltungsauordnungen mitzuwirken. 

4) Auf Anordnung der Staatsregierung bei größeren Unglücksfällen oder 
Notständen die freiwillige Hilfetätigkeit einheitlich zu leiten. 

Bei der Berufung in den ständigen Beirat sollen die privaten Volks- 



116 


Tagesnachrichtcn. 


wohlfahrtsorganisationcn und die beiden Häuser des Landtags besonders be¬ 
rücksichtigt werden. Der Beirat soll jährlich mindestens einmal einbe¬ 
rufen werden, um den Geschäftsbericht des Volkswohlfahrtsamts entgegen- 
zunehmen und sich über ihn zu äußern. Er soll einzelne Fragen der 
Volks Wohlfahrtspflege beraten und begutachten, wenn dies von der Staats¬ 
regierung angeordnet oder von einem Viertel der Mitglieder beantragt wird, 
und soll befugt sein, selbständig Anträge an die Regierung zu stellen. Den 
Sitzungen des Beirats sollen Beauftragte der Staatsregierung mit beratender 
Stimme beiwohnen dürfen. Im übrigen soll der Geschäftsgang des Amtes und 
des Beirates durch eine Verordnung des Staatsministcriums geregelt werden . L 

Wio die Frankfurter Ztg. mitteilt, ist in dem bekannten Beleidigtings« 
prozess der Wiesbadener Aerzte gegen den dortigen Reg.- u. Geh. Med.-Rat 
Dr. Pfeiffer seitens der Regierung der Kompetenzkonflikt erhoben worden. 
Damit ist, falls der Konflikt auch im Verwaltungsstreitverfahren anerkannt 
wird, die Sache den ordentlichen Gerichten entzogen. Bei Lage der Sache ist 
die demnächstige Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts für alle Beamten 
von grundsätzlicher Bedeutung; denn cs handelt sich hier hauptsächlich um 
die Frage, ob und inwieweit ein Beamter wegen Aeußerungen, die von ihm auf 
amtliche Veranlassung zu den Akten gemacht und nur für diese bestimmt sind, 
im Wege des Zivil- und Strafprozesses herangezogen werden kann, falls diese 
versehentlich oder durch einen Vertrauensbruch zur Kenntnis der Beteiligten 
gelangt sind. Wenn nicht schon in der ersten Instanz von der Regierung der 
Konflikt erhoben ist, so hat dies jedenfalls darin seinen Grund gehabt, daß 
entsprechend dem Min.-Erl. vom 5. Oktober 1880 das Ergebnis der gerichtlichen 
Beweisaufnahme erst abgewartet worden sollte. Die jetzt erfolgte Erhebung 
des Konflikts spricht somit dafür, daß die zuständige Behörde auf Grund dieser 
Beweisaufnahme die Ueberzeugung gewonnen hat, daß der betreffende Beamte 
in der Absicht und mit dem Bewußtsein, einer Pflicht zu genügen, gehandelt 
hat. Hoffentlich gelangt das Oberverwaltungsgericht zu derselben Ansicht, 
die übrigens auch in dem Urteil des Schöffengerichts zum Ausdruck ge¬ 
kommen ist. 

In Ergänzung der in Nr. 3 (s. S. 87) gebrachten Mitteilung über die 
Reform des Modizinalwesens in Eisass-Lothringen sei aus der dem Etat 
beigefügten Denkschrift noch folgendes initgcteilt. Nachdem in dieser zunächst 
ein kurzer Ueberblick über die bisherige Einrichtung der Medizinalbehörden, 
insbesondere die Stellung und Obliegenheiten der Kreisärzte gegeben ist, werden 
die nach den jetzigen Anforderungen der öffentlichen Gesundheitspflege dem 
Medizinalbcamten erwachsenden Aufgaben auf dem Gebiete der Seuchen¬ 
bekämpfung, Woknungskygiene, Reinhaltung des Bodens und der Wasserläufe, 
der Wasserversorgung, des Nahrungsmittelverkehrs,' der Schulhygiene und 
Krankenfürsorge, des Begräbnis- und Lciclienwesens, des Verkehrs mit Arznei¬ 
mitteln, Giften und Geheimmitteln, des Hebammenwesens, der Beaufsichtigung 
des niederen Heilpersonals usw. dargelcgt. 

„Um einer so vielseitigen Arbeit gerecht zu werden, heißt es dann 
in der Denkschrift, bedarf der Kreisarzt, der staatliche Gesundheitsbearate des 
Kreises, nicht allein einer entsprechenden fachwissenschaftlichen Ausbildung, 
sondern auch fortwährender Weiterbildung in seinen Kenntnissen; er darf auch 
nicht durch die Mühen einer ausgedehnten privat ärztlichen Praxis in seiner 
amtlichen Tätigkeit und in seinem Studium, welche die volle Arbeitskraft eines 
Mannes fordern, gehemmt werden. Dazu kommt, daß er, solange er Konkurrent 
in der ärztlichen Praxis ist, die notwendige Mitwirkung der praktischen Aerzte 
bei der Ausführung gesundbeitspolizeilicher Maßnahmen vielfach vermissen, 
wird, und daß er, um diese Maßnahmen durebzuführen, unabhängig von der 
Bevölkerung sein muß. Alle diese Umstände lassen cs geraten erscheinen, 
nach dem Vorbilde von Preußen eine wenigstens teilweise Anstellung von voll¬ 
besoldeten Kreisärzten in Aussicht zu nehmen, denen die Ausübung einer 
weiteren Praxis als Ilauskonsultationen uud Konsultationen mit anderen Aerzten 
regelmäßig nicht zu gestatten sein wird. Das auch die Gebühren dieser „voll¬ 
besoldeten“ Kreisärzte für Rechnung der Landeskasse eingezogen werden, wie 
in Preußen, empfiehlt sich einstweilen nicht, so lange ein besonderes Gebühren¬ 
wesen für beamtete Aerzte nicht ausgebildct und eine besondere Gebühren- 



Tagasnaohriebten 


117 


ordnung nicht erlassen ist. Es wird aber in den Anstcllnngsnrkunden der 
„rollbesoldeten* Kreisärzte ein Vorbehalt wegen späterer Einziehung der 
Gebühren für Rechnung der Landeskasse aafzunehmen sein. Wenn zunächst 
nur 6 rollb es o ldetc Kreis ärzte in Aussicht genommen sind, so geschah 
dies deswegen, um einerseits die praktische Erfahrung zu gewinnen, ob sich 
die neue Einrichtung auch hierzulande in der Praxis bewähren wird und 
namentlich auch um festzustellcn, ob nicht ein vollbesoldetcr Kreisarzt für 
zwei, namentlich kleinere, Kreise genügt. Für die vollbesoldeten Kreisärzte 
ist ein Gehalt von 4000—6000 Mk.,‘) steigend in Dienstaltersstufen von je 
3 Jahren um den Betrag von 500 Mk., in Aussicht genommen, zunächst aber 
in der Uebergangszeit und mit Rücksicht auf die allgemeine Finanzlage für 
alle 6 Stellen nur der Mindestbetrag von je 4u00 Mk. eingesetzt. Alle übrigen 
Kreisarztstellen sollen als „nichtvollbesoldete“ aufgeführt werden. 
Auch diese Stellen müssen besser als bisher ausgestattet werden. Denn wenn 
ihren Inhabern auch die Ausübung der ärztlichen Praxis im allgemeinen 
gestattet bleibt, so darf darunter die amtliche Tätigkeit nicht leiden und der 
Bezirkspräsident wird, wie den Stelleninhabern bei der Festsetzung ihrer 
Bezüge eröffnet werden wird, ermächtigt werden, aus dienstlichen Gründen 
eine Einschränkung der Privatpraxis zu fordern. Als angemessene Besoldung 
der nicht vollbesoldeten Kreisärzte erschien der Betrag von 2000—3000 Mk., 
durchschnittlich 2500 Mk. Dienstaltcrsstufen sind nicht vorgesehen, das Auf* 
steigen soll vielmehr nach Maßgabe der durch Abgang frei werdenden Beträge 
erfolgen. Es sind 15 Stellen vorgesehen. Im ganzen bestehen 23 Kreisarzt¬ 
stellen, drei davon, die Stellen am Sitz des Bezirkspräsidiums, können im 
Nebenamt durch den Mediziualreferenten des Bezirkspräsidenten wahrgenommen 
werden; bei dem gegenwärtigen Inhaber der Kreisarztstelle in Straßburg wird 
sich diese Kombination indessen zunächst nicht ermöglichen lassen, es sind 
daher neben den 6 vollbesoldeten 15 nicht vollbesoldcte Stellen vorgesehen. 
Auch diese Stellen sind mit Gehältern dotiert, also pensionsfähig, was 
indessen nicht aosschiießt, daß einzelne Stelleninhaber zunächst auf Probe oder 
auf Kündigung angcstellt werden.“ — Betreffs der Obliegenheiten des 
Kreisarztes heißt es dann weiter: 

„Der Kreisarzt soll der gesondheitstechnische Berater des Kreisdirektors 
und das ausführende Organ des Bezirkspräsidenten in Angelegenheiten des 
Gesundheitswesens bleiben. Ein unmittelbares Verfügungsrecht soll ihm, so¬ 
weit es nicht durch die bestehenden Gesetze (za vgl. insbesondere das Reichs¬ 
seuchengesetz vom 30. Juni 1900 § 9) festgesetzt wird, nicht übertragen werden, 
doch soll er bei den zuständigen Behörden Vorschläge zur Abstellung von 
Mängeln machen und die für die öffentliche Gesundheit geeigneten Maßnahmen 
in Anregung bringen; dies gilt insbesondere auch für die Gemeindeverwaltungen, 
denen der Kreisarzt beim Erlaß ortspolizeilicher, das Gesundheitswesen be¬ 
treffender Verordnungen mit Rat nnd Tat an die Hand gehen soll. Mit den 
technischen Beamten des Kreises (Gewerbeanfsichtsbeamten, Kreisbaninspektor, 
Meliorationsbaninspektor, Kreisschulinspektor and Kreistierarzt, auch mit den 
Bergbehörden) soll der Kreisarzt über die ihren Wirkungskreis berührenden 
Fragen in Fühlung bleiben. Der vollbesoldete Kreisarzt hat ferner einfache 
physikalische, chemische, mikroskopische und bakteriologische Untersuchungen 
in der Regel selbst auszuführen. Eine Dienstanweisung wird diese Obliegen¬ 
heiten des Kreisarztes des näheren regeln.“ — Für Amtsunkosten und 
Reisekosten der Medizinalbeamten einschließlich der Regierungs- und 
Medizinalräte sind 20500 Mk. in dem Etat ausgesetzt, also noch nicht 900 Mk. 
für jeden einzelnen; ein Betrag, der jedenfalls zu niedrig bemessen ist. Im 
übrigen sind, abgesehen von der Neueinrichtung einer etatsmäßigen Stelle eines 
Regierung»- und Medizinalrats beim Bezirkspräsidium in Straßburg (Gebalt 
5000—7500 Mk ) im Medizinalwesen keine Aenderungen eingetreten. . Das 
bewährte Institut der Kantonalärzte als Armenärzte, Impfärzte and als Gerichts¬ 
ärzte soll ebenso wie die Einrichtung der Gesundheitsräte unberührt bleiben; 
die Bestellung eines Medizinalkollegiums als begutachtende Behörde für die 
Zentralinstanz ist weiterer Erwägnng Vorbehalten. 

Die Denkschrift bringt in Anlage eine Uebersicht der Kosten des 
Medixinalwesens in Preußen, Bayern, Baden und Hessen; es geht daraus her- 


l ) Wohnungsgeldzuschuß wird in Elsaß - Lothringen nicht gewährt. 



118 


Tagesnachrichten. 


vor, daß auf 100000 Einwohner berechnet ausgegobcn werden für die Medizinal¬ 
beamten erster Instanz (Kreisärzte, Bezirksärzte usw.) an Gehalt, Wohnungs¬ 
geldzuschuß, Amtsunkostenentschädigung usw. in Preußen: 6007 Mk., in 
Bayern: 8426 Mk., in Baden: 10 222 Mk., in H e s s e n: 9100 Mk., in E1 s a ß - 
Lothringen: bisher 1600, künftig 3580 Mk. Dabei entfallen auf 100000 Ein¬ 
wohner in Preußen: 1,63 Kreisärzte, in Bayern: 3,2 Bezirks- und 
Landgerichtsärzte, in Baden: 3,6 Berzirksärzte, in Hessen: 1,6 Kreisärzte 
und in Elsaß-Lothringen: 1,33 Kreisärzte. 


Die Aerztekammer der Bheinproyinz hat auf ihrer letzten 
Sitzung die Stellung der Gefängnisärzte in Prenssen einer Erörterung unter¬ 
zogen und hierzu folgende, dem Ausschuß der preußischen Aerztekammern zur 
weiteren Veranlassung mitgeteilten Leitsätze angenommen: 

1. Die bisherigen Gehälter der Gefängnisärzte entsprechen in ihrer Nor¬ 
mierung weder den an Beamtengehälter zu stellenden Anforderungen gerechter 
Gleichartigkeit, noch der für ärztliche Tätigkeit sonst allgemein und durch die 
Gebührenordnung vom 16. Mai 1896 anerkannten Entschädigungspflicht. 2. Die 
Aerztekammer der Bheinproyinz und der Hohenzollernschen Lande beantragt 
beim Aerztekammer-Ausschuß: Der Minister des Innern und der Justizminister 
wollen tunlichst bald in die Wege leiten, daß als Grundlagen für die Anstellung 
und Normierung der Gehälter der Aerzte in preußischen Gefängnissen, Straf¬ 
anstalten und Erziehungsinstituten festgcstellt werden: a) Der Jahresdurch¬ 
schnitt der der ärztlichen Aufsicht unterworfenen Internierten und die Auf¬ 
nahmeziffer; b) die Zahl der wöchentlichen Dienststunden einschließlich der 
Konferenzen (außerordentliche Besuche bei Unfällen oder aus anderen Gründen 
sind nach der Minimaltaxe besonders zu bezahlen); c) die Lage der Anstalt, 
ob innerhalb des bewohnten Ortes oder an dessen Peripherie oder außerhalb 
desselben; d) die Verbindung mit besonderen ärztlichen Aufgaben, z. B. Beob¬ 
achtung yon angeblich Geistesgestörten in größerem Umfange (Irrenabteilung), 
die Verbindung mit einer Polizeistation; e) Sicherung des Gefängnisarztes gegen 
Verletzungen oder Krankheiten, die er nachweislich in Ausübung seines Dienstes 
sich zugezogen hat: f) Pensionsfähigkeit des Gehaltes nach zehnjähriger Dienst¬ 
zeit; g) im Falle der Behinderung durch Krankheit Gewährung eines Zuschusses 
yon 4—9 Mark, je nach der Höhe des Gehaltes, für den Vertreter bis zur 
Dauer von sechs Monaten. Die Herren ßessortminister werden gebeten, vor 
endgültiger Beschlußfassung über die angeregten Punkte mit den Aerzte¬ 
kammern bezw. dem Aerztekammerausschuß in Verbindung zu treten und deren 
Ansicht bei der Beschlußfassung die angängige Berücksichtigung zuteil werden 
zu lassen. 

Die vom Berliner Magistrat der Stadtverordnetenversammlung unter¬ 
breitete Vorlage über das Eingreifen von Maßnahmen zur Bekämpfung der 
Säuglingssterblichkeit hat der zur Vorberatung gewählte Ausschuß im wesent¬ 
lichen angenommen. Darnach sollen nicht nur bedürftige Säuglinge in den 
zu errichtenden Polikliniken einwandfreie Milch und Nährmittel erhalten, sondern 
auch den stillenden Müttern soll gute Milch im Bedarfsfälle unentgeltlich ver¬ 
abreicht werden. Es werden zunächst vier Fürsorgestellen für bestimmt ab¬ 
gegrenzte Bezirke eingerichtet, in denen die in diesen Bezirken wohnenden 
bedürftigen Mütter und Pflegemütter von Säuglingen (Kindern des ersten Lebens¬ 
jahres) sich unentgeltlich spezialärztlichen Kat über die Wartung und Er¬ 
nährung der Säuglinge einholcn können. Die ärztlichen Leiter dieser Fürsorge¬ 
stellen haben in geeigneten Fällen in erster Linie darauf hinzuwirken, daß die 
Mütter der Säuglinge stillen. Auch sollen Zuschüsse zum Pflegegeld der Mütter 
gewährt werden, ebenso bei der Anstaltspflege oder bei der Unterbringung in 
Familien. Die hierzu erforderlichen Mittel sollen teils aus einer Stiftung, teils 
aus einem zu bewilligenden städtischen Zuschuß (130000 Mark) gedeckt werden. 

Auch im?Großherzogtum Baden ist jetzt nach Anregung von 
Geheime Bat Prof. Dr. Czerny in Heidelberg ein Landeskomttee für Krebs¬ 
forschung In Baden, mit dem Sitze in Karlsruhe, gebildet. Vorsitzender des 
Komitees^ Geheime Bat Prof. Dr. Cz e r ny, Mitglieder des Vorstandes: Geheime 



Tagesnachrichten. 


119 


Rat Prof. Dr. Hegar-Freiburg, die Obermedizinalräte Dr. Oreiff und Dr. 
Hauser, Prof. Dr. v. Beck, Geh. Ob.-Reg.-Rat Glöckner und Ob.-Reg.- 
Bat Lange, sämtlich in Karlsruhe. Bekanntlich ist in Heidelberg durch 
Geheime Bat Prof. Dr. Czerny mit Beihilfe reicher Spenden und Unterstützung- 
der Regierung ein Institut für Krebsforschung errichtet, das experimentell 
und klinisch die Lösung der Frage der Krebsätiologie, Biologie und Therapie 
bearbeitet. Das Landeskomitee wird dio Arbeiten dieses Instituts durch Sammel- 
forschungen, Beobachtungen über das Vorkommen, die Verbreitung usw. des 
Krebses in bestimmten Gegenden, Orten, Häusern, Familien („Cancer ä deux“), 
Berufsklassen usw. unterstützen. 


Der diesjährige Kongress der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie 
findet rom 26. — 29. April 1905 in Berlin statt. Für die Diskussion 
sind folgende Themata in Aussicht genommen: 

1. Ueber die Größe der Cnfallsfolgen bei unblutiger und blutiger Be¬ 
handlung der subkutanen Querfraktur der Patella. 

3. Zur Perityphitisfrage: Ueber den günstigsten Zeitpunkt des operativen 
Einschreitens. 

3. Ueber Vorkommen, Ursachen und Verhütung der postoperativen 
Pneumonie nach Bauchoperationen. 

4. Welche Indikationen, resp. Kontraindikationen sind für die Nephro¬ 
tomie, insbesondere bei Nierentuberkulose auf Grund der neuesten Erfahrungen 
bei Verwertung der funktionellen Nierendiagnostik aufzustellen. 


Der erste Röntgen• Kongress wird vom 80. April bis 3. Mai 1905 
in Berlin (in den Bäumen der „Ressource“ Oranienburger-Straße 18 [am 
Monbijouplatz]) stattfinden und mit einer Ausstellung verbunden sein. 

Das vorläufige Programm ist wie folgt festgesetzt: 

Sonntag, den 30. April, 12 Uhr Mittags: Eröffnung des Kongresses 
und der Ausstellung. 

Montag, den 1. Mai, 9 Uhr vormittags: Physikalisch - technische 
Hauptsitzung; 3 Uhr nachmittags: Sektionssitzungen; 9 Uhr abends: Pro¬ 
jektionsabend. 

Mittwoch, den 3. Mai, 9 Uhr vormittags und 3 Uhr nachmittags: 
Sektionssitzungen. 

Die Mitgliedorkarten (Preis 15 Mark einschl. der Verhandlungen) 
werden vom 27. April 1905 ab auf dem Bureau des Kongresses ausgegeben 
Werden- 

Anmeldungen nimmt der Vorsitzende, Prof. Dr. Eberlein, Berlin 
X.W. 6, Tierärztliche Hochschule, schon jetzt entgegen. 

Vorträge sind bald gefälligst unter Angabe des genauen Titels, wie 
er im definitiven Programme figurieren soll, und unter Angabe der etwa er¬ 
forderlichen Apparate bei dem Schriftführer, Dr. M. Immelmann, Berlin W., 
Lützowstr. 72, anzumelden. 


Der X. Internationale Kongress gegen den Alkoholismus wird in 
Budapest vom 12. bis 16. September d. J. stattfinden. Für die Tages¬ 
ordnung sind folgende Beratungsgegenstände in Aussicht genommen: 1. Der 
Einfluß des Alkohols auf die Widerstandsfähigkeit des menschlichen und tieri¬ 
schen Organismus, mit besonderer Berücksichtigung der Vererbung. 2. Die 
hygienische Bedeutung des Kunstweines gegenüber dem Alkoholgenuß über¬ 
haupt. 3. Ist Alkohol ein Nahrungsmittel? 4. Alkohol und Geschlechtsleben. 

5. Alkohol und Strafgesetz. 6. Die kulturellen Bestrebungen der Arbeiter und 
der Alkohol. 7. Alkohol und physische Leistungsfähigkeit, mit besonderer Be¬ 
rücksichtigung des militärischen Trainings. 8. Die Organisation der Antinlkohol- 
bewegung. 9. Schule und Erziehung im Kampfe gegen den Alkohol. 10. Die 
Reform des Schankwesens. 11. Die industrielle Verwertung des Alkohols als 
Kampfesmittel gegen den Alkohol. 12. Der verderbliche Einfluß des Spirituosen¬ 
handels auf die Eingeborenen in Afrika. — Alle Zuschriften sind an das Exe¬ 
kutiv -Komitee des Kongresses, Budapest, IV. Kösponti-väroshaza, zu richten. 



Sprechsaal. 


120 


Der VII. Internationale Kongress für Hydrologie, Klimatologie, Geo¬ 
logie und physikalische Therapie findet am 10. Oktober ln Venedig statt. 
Anmeldungen (der Beitrag für Mitglieder beträgt 20 Frank) nimmt der General¬ 
sekretär des Kongresses, Dr. F. Oreffice-Venedig, S. Stefano Nr. 2803 — 
entgegen. 

Seitens der Pariser Akademie der Wissenschaften für das 
Jahr 1905 sind n. & folgende Preise ausgeschrieben, um die sich auch Aus¬ 
länder bewerben können: 1. Der Bräant-Preis von 100000 Fr. für die Ent¬ 
deckung eines unfehlbaren Heilmittels gegen die asiatische Cholera 
oder für die sichere Feststellung ihrer Ursachen derart, daß die Ausrottung 
der Seuche erfolgen kann. Wenn im laufenden Jahr diese Forderung wieder 
nicht erfüllt wird, so sollen die Zinsen des Kapitals für den Nachweis des 
Vorhandenseins eines Stoffes in der Luft bewilligt werden, der bei der Er¬ 
zeugung oder Verbreitung von Seuchen eine Rolle spielt. 

2. Der Dusgate-Preis von 2500 Fr. für die beste Arbeit über die 
Erkennung des Todes und die Verhütung eines vorzeitigen Begräbnisses. 

Sprechsaal. 

Anfrage des Kreisarztes Dr. M. in B.: Kann ein Kreisarzt, wenn 
er an einem Tage auswärts eine Ortsbesichtigung vorgenommen und 
nach deren Beendigung in einem anderen Ort eine gerichtliche Sektion 
ausgeführt hat, für die Ortsbesichtigung 12 M. Tagegelder und für die 
Sektion 12 Mk. Sektlonsgebüren berechnen ! 

Antwort: Nein! Nach § 5 des Gesetzes vom 9. März 1872 und 
nach wiederholten dazu getroffenen gerichtlichen Entscheidungen (s. u. a. Be¬ 
schluß des Oberlandcsgerichts in Breslau vom 2. Februar 1900, Beil, zu Nr. 7 
der Zeitschr., Jahrg. 1900, S. 65) ist die gleichzeitige Gewährung von Tage¬ 
geldern und Gebühren bei Wahrnehmung verschiedener Amtsgeschäfte an 
ein und demselbem Tage unzulässig, gleichgiltig, ob die Zahlung für die be¬ 
treffenden Geschäfte aus verschiedenen Kassen zu erfolgen hat. Im Falle der 
Konkurrenz von mehreren Zahlungspflichtigen sind vielmehr die Kosten auf 
diese entsprechend zu verteilen (s. Min.-Erl. vom 20. Februar 1878 und 1. Fe¬ 
bruar 1889); im vorliegendem Falle würde also die Hälfte der Tagegelder bei 
der Regierung, die Hälfte der Gebühr für die Obduktion bei dem requirie¬ 
renden Gerichte und die Reisekosten für die Hinreise zur Ortsbesichtigung bei 
der ersteren, die Kosten für die Weiterreise und Rückreise bei dem letzteren 
zu liquidieren sein. 

Anfrage des Kreisarztes Dr. L. in K.: Hat ein Kreisarzt, der den 
beurlaubten Kreisarzt des Nachbarkreises vertritt, bei auswärtigen Dienst¬ 
reisen in dessen Bezirk die Reisekosten von seinem Wohnorte oder von 
dem Wohnorte des vertretenen Kreisarztes zn beanspruchen! 

Antwort: Die Reisekosten sind von dem Wohnort des zu vertre¬ 
tenden und nicht von demjenigen des vertretenen Kreisarztes zu berechnen. 
Dio Bestimmung im § 30 der Dienstanweisung, daß „bei Beurlaubungen der Kreis¬ 
ärzte der Staatskasse keine Kosten erwachsen sollen“, bezieht sich lediglich'.'auf 
etwaige Vertretungskosten für Besorgung der amtlichen Geschäfte überhaupt, 
aber nicht auf etwaige Mohrkosten durch Dienstreisen; ganz abgesehen davon, 
daß hei Dienstreisen des vertretenden Kreisarztes in den Nachbarkreisen häufig 
keine größeren, sondern geringere Reisekosten entstehen und sich demzufolge 
die Kosten in der Regel ausgleichcn werden. Für diese Auffassung spricht auch 
§ 31, Abs. 8 der Dienst-Anweisung, nach dem der Stellvertreter erhält: „Bei 
Dienstreisen Reisekosten und Tagegelder, sowie die Gebühren und sonstige 
Entschädigung, auf welche der Vertreter, je nachdem er vollbesoldeter oder 
nicht vollbesoldeter Kreisarzt war, Anspruch gehabt haben würde“; denn die 
Worte „auf welche usw. haben würde“, beziehen sich zweifellos nur auf 
„Gebühren und sonstige Entschädigungen“, aber nicht auf „Tagegelder und 
Reisekosten“. Jedenfalls ist im hiesigen Regierungsbezirke stets in dieser 
Weise verfahren, ohne daß jemals eine Beanstandung seitens der Oberrech- 
nungskammer erfolgt ist._Red._ 


Verantwort! Redakteur: Dr. Rap mund, Reg.-u. Geh. Med.-Rat in Minden i. W. 
J. 0. C. Brunft, Herzog!. Sachs, u. F. Sch.-L. Hofbuchdruckerei in Minden. 




18. Jahrg. 


1905. 


Zeitschrift 

für 

MEDIZINALBEAMTE. 


Zeatnftlatt für geriektlkfce iedirii und Psychiatrie, 
fir irztfiehe SacfaTcrstaodigentätigkeit in Unfall' und InTaliditatuachen, sowie 
lir Bjgieae, dfentL Sanitatewesen, Medizinal-Gesetzgebung and Reehtspreehnng. 

Heraus gegeben 

Ton 

Dp. OTTO RAPMÜND, 

Begittronft- and Geh. MedMnjJrtt In Minden. 


Verlag von Fischers mediz. Buchhandlg, H. Kornfeld, 

HenogL Bayer. Hof- u. Entaetaogl. Kammer-Bush htndlw. 

Berlin W. 35, Lützowstr. 10. 


Inserate nehmen die 


VerlAfflhandlnng sowie alle Annonoen - Expeditionen des In- 
und Aoslandos entgegen. 


Nr. 5. 


Erscheint am 1. und IS. Jedem Momats. 


1. März. 


Die neuen preussischen Vorschriften vom 4. Januar 1905 
für das Verfahren der Gerichtsärzte bei den gericht¬ 
lichen Untersuchungen menschlicher Leichen. 

Vom Herausgeber. 

Der s. Z: von Placzek ’) ansgesprochene Wunsch, dass statt 
der schon seit langer Zeit sich als notwendig erwiesenen Um¬ 
arbeitung des preussischen Obdnktions-Regulativs vom 6. Januar 
bezw. 15. Februar 1875 der Erlass eines einheitlichen deutschen 
gerichteärztlichen Leichenöffnungsverfahrens ins Auge gefasst 
werden möchte, hat sich vorläufig nicht verwirklicht, obwohl dieser 
Wunsch mit Rücksicht auf die einheitliche Gesetzgebung anf straf- 
und zivilrechtlichem Gebiete im Deutschen Reiche eine gewisse 
Berechtigung hat. Für die nächste Zeit wird voraussichtlich die 
bisherige Buntscheckigkeit der in den verschiedenen deutschen 
Einzelstaaten geltenden Obdnktionsregulative fortbestehen; viel¬ 
leicht bildet aber die jetzt erlassene neue preussische Anweisung 
für gerichtliche Leichenöffnungen die Grundlage für eine spätere 
deutsche, eine Hoffnung, die um so berechtigter erscheint, als bei 
ihrer Ausarbeitung nicht nur dem jetzigen Standpunkt der patho¬ 
logisch-anatomischen und gerichtlich-medizinischen Wissenschaft 
in jeder Weise Rechnung getragen, sondern anch manche Vor- 


*) Siehe Nr. 16 der Zeitschrift für Medizinalbeamten, Jahrgang 1903, 
Seite 637 und folgende. 










122 Die neuen preußischen Vorschriften für das Verfahren der Gerichtsärzte 


schrift aas den betreffenden Anweisungen der anderen Bundes¬ 
staaten aufgenommen ist, die sich hier als praktisch be¬ 
währt hat. 

Die Einteilung und Reihenfolge der Vorschriften ist 
die gleiche geblieben wie früher: I. Allgemeine Bestimmungen, 
II. Verfahren bei der Leichenöffnung, III. Abfassung des Proto¬ 
kolls über die Leichenöffnung und des Gutachtens; nur ist noch 
ein ganz kurzer IV. Abschnitt hinzugekommen: Verfahren bei der 
Leichenschau. Auch die einzelnen Unterabschnitte und Para¬ 
graphen stimmen im wesentlichen mit der früheren Einteilung 
überein. Dagegen zeigen die neuen Vorschriften gegenüber den 
bisherigen zunächst insofern einen grossen Vorzug, als nicht 
nur ihre stilistische Fassung eine bedeutende Verbesserung 
erfahren hat, sondern auch Fremdwörter tunlichst ver¬ 
mieden sind. Es hätte in dieser Hinsicht vielleicht noch 
etwas weiter gegangen und z. B. der Gebrauch des Fürwortes 
„welcher, welche, welches“ in Relativsätzen an Stelle von „der, 
die, das“, sowie des Fürwortes „derselbe“ usw. statt des per¬ 
sönlichen Fürwortes „er, sie, es“ vermieden werden können; 
dasselbe gilt betreffs mancher noch gebrauchter Fremdwörter, 
wie „Obduzent“, „fungieren,“ „Instrumente“, „Skalpelle“, „Ab¬ 
normitäten“, „Identität“, „horizontal“, „Resultat“ usw.; immer¬ 
hin verdient die weit bessere stilistische Fassung der Vor¬ 
schriften und die tunlichste Vermeidung von Fremdwörtern volle 
Anerkennung. 

Weit grösser und bedeutungsvoller ist allerdings der ausser¬ 
ordentliche Fortschritt, den die praktische Ausführung der 
gerichtlichen Leichenöffnung durch die neuen Vorschriften 
erfährt. Fast alle gegen die bisher geltenden Bestimmungen er¬ 
hobenen Bedenken sind berücksichtigt und an Stelle der Vorschriften, 
die sich als unzureichend und unzweckmässig erwiesen haben, solche 
getroffen, nach denen in den gerichtlich-medizinischen und patho¬ 
logisch-anatomischen Instituten schon seit langem verfahren ist, 
und die hier in jeder Weise als brauchbar befunden sind. Des¬ 
gleichen haben die Vorschriften in vielen Punkten sehr wertvolle 
Ergänzungen erfahren, so dass jetzt kaum noch eine Lücke vor¬ 
handen sein dürfte. Erwähnt zu werden verdienen in dieser Hin¬ 
sicht besonders die Bestimmungen über die Ausgrabung einer 
Leiche, über die Untersuchung und Beschreibung von Ver¬ 
letzungen des Nasenrachenraums, des inneren Ohres, 
der Nasenhöhle mit ihren Nebenhöhlen, des Augapfels, 
des Halses, Rachens, der Bauchspeicheldrüse, des Ge¬ 
kröses usw. Desgleichen haben wesentliche Abänderungen und. 
Ergänzungen die Vorschriften über die Untersuchungen des Ge¬ 
hirns, des Rückenmarks, des Herzens und der Bauch¬ 
organe erfahren; namentlich sind die Bestimmungen über die 
Eröffnung der Bauchhöhle, über die Untersuchung und Heraus¬ 
nahme des Magens, Dünndarms usw. bei Vergiftungen in 
zweckmässiger Weise umgestaltet; bei der Leichenöffnung' 
Neugeborener ist auch die Magendarmprobe vorge- 



bei den gerichtlichen Untersuchungen menschlicher Leichen. 


123 


schrieben, falls das Ergebnis der Lnngenprobe negativ oder 
zweifelhaft geblieben ist. 

Mit Recht heisst es jetzt ferner im § 9 der Vorschriften, dass 
sie nicht „schablonenhaft angewendet, sondern nnr als allgemeiner 
Leitfaden betrachtet werden sollen, von dem je nach der Eigen¬ 
tümlichkeit des Falles auch abgewichen werden kann“; denn nichts 
würde verkehrter sein, als dem Uerichtsarzte in bezug auf die 
technische Ausführung einer Leichenöffnung jede Freiheit des 
Handelns nehmen oder ihn in zu weitgehender Weise einschränken 
za wollen. Der Gerichtsarzt muss sich eine gewisse Selbständig¬ 
keit wahren und darf sich nicht ängstlich an den Wortlaut der 
Vorschriften halten; er länft sonst zu leicht Gefahr, dass er zwar 
ein auch in den Augen der Revisionsinstanz tadelloses Obduktions- 
protokoll liefert, aber bei der Leichenöffnung selbst Befunde über¬ 
sieht, die für die Rechtsprechung von grösster Bedeutung sein 
können. Allerdings wird dies bei dem richtigen Verständnis und 
der genauen Beachtung der jetzigen Vorschriften kaum noch mög¬ 
lich sein; denn wenn diese dem Gerichtsarzt auch nur als all¬ 
gemeiner Leitfaden dienen sollen, so bieten sie doch für den 
ganzen Gang und die technische Ausführung einer Leichenöffnung 
einen so vorzüglichen Anhalt und Wegweiser, dass in jedem Einzel¬ 
falle alle diejenigen Befunde, auf deren Feststellung und Offen¬ 
legung es für den gerichtlichen Zweck ankommt, bei entsprechender 
Aufmerksamkeit auch tatsächlich ermittelt werden müssen. 

In dem nachfolgenden Texte der neuen Vorschriften sind alle 
Abänderungen, Zusätze usw. gegenüber der bisherigen Anweisung 
darch Schrägschrift kenntlich gemacht und, soweit erforderlich, 
in Anmerkung noch besonders darauf hingewiesen. Bei den bei¬ 
gefügten Erläuterungen sind neben der Sektionstecknik von Nau- 
werck (4. Auflage, Jena 1905) besonders die in dieser Hinsicht 
von Prof. Dr. Puppe im „Beamteten und sachverständigen Arzt“ 
(L Bd., II. T.: Gerichtliche Medizin, S. 56—81) gegebenen be¬ 
rücksichtigt; 1 ); sie sollen einen Ersatz für den betreffenden 
Abschnitt 1 ) des von dem Verfasser herausgegebenen Kalenders 
für Medizinalbeamte bilden, bei dessen Abfassung die neuen Vor¬ 
schriften noch nicht bekannt gegeben waren und demgemäss 
imberücksichtigt bleiben mussten. 

L Allgemeine Bestimmungen. 

Gesetzliche Bestimmungen. 

§. 1. Die gerichtliche Leichenöffnung (Obduktion) wird nach den be¬ 
stehenden Vorschriften von zwei Aerzten, unter denen sich ein Gerichts¬ 
arzt befinden muß, im Beisein eines Bichters vorgenommen. Die Obdu- 


’) Siehe auch den Abschnitt fiber Obduktionstechnik (VI) im Kalender 
für Medizinalbeamte; Jahrgang 1905. Die von Geh. Med.-B.at Prof. Dr. Orth 
in Aussicht gestellten Erläuterungen konnten noch nicht berücksichtigt werden, 
da nach einer Mitteilung der Verlagsbuchhandlung ihr Erscheinen erst in etwa 
zwei Monaten zu erwarten steht; deshalb ist auch davon Abstand genommen, 
mit dem Abdruck des jetzt schon in Kraft tretenden Regulativs bis zu ihrem 
Erscheinen zu warten. 



124 Die neuen preußischen Vorschriften für dos Verfahren der Gerichtsärzte 


zenten haben die Pflichten gerichtlicher Sachverständiger. (Ueber Leichen¬ 
schau s. § 80). 

Weitere Bestimmungen sind enthalten in der Str.-Pr.-Ordn. § 87ff. 1 ) (R- 
Oes.-Bl. 1877, S. 268 ff) und in dem Erlasse des Justizministers vom 25. Januar 
1902 (Min.-Bl. für die Medizinal- und medizinischen Unterrichtsangelegenheiten, 
(S. 60)*). 

Die obduzierenden Aerzte. 

§ 2. Als Gerichtsarzt im Sinne des Gesetzes gilt dort, wo ein 
besonderer Gerichtsarzt angestellt ist, dieser, sonst der zugleich als Ge¬ 
richtsarzt tätige Kreisarzt*). Der zuständige Gerichtsarzt (Kreisarzt) fun- 

S 'ert als erster Obduzent; er entscheidet, wenn über die technische Aus- 
hrung der Leichenöffnung Zweifel entstehen, vorbehaltlich der Befugnis 


*) Die hier angezogenen Bestimmungen der Str.-Pr.-Ord. lauten: 

㤠87. Die richterliche Leichenschau wird unter Zuziehung eines 
Arztes, die Leichenöffnung im Beisein des Bichters von zwei Aerzten, unter 
welchen sich ein Gerichtsarzt befinden muß, vorgenommen. Demjenigen Arzte, 
welcher den Verstorbenen in der dem Tode unmittelbar vorausgegangenen 
Krankheit behandelt hat, ist die Leichenöffnung nicht zu übertragen. Derselbe 
kann jedoch aufgefordert werden, der Leichenöffnung anzuwohnen, um aus der 
Krankheitsgeschichte Aufschlüsse zu geben. 

Die Zuziehung eines Arztes kann bei der Leichenschau unterbleiben, 
wenn sie nach dem Ermessen des Richters entbehrlich ist. 

Behufs der Besichtigung oder Oeffnung einer schon beerdigten Leiche 
ist ihre Ausgrabung statthaft. 

§ 88. Vor der Leichenöffnung ist, wenn nicht besondere Hindernisse 
entgegen stehen, die Persönlichkeit des Verstorbenen, insbesondere durch Be¬ 
fragung von Personen, welche den Verstorbenen gekannt haben, festzustellen. 
Ist ein Beschuldigter vorhanden, so ist ihm die Leiche zur Anerkennung vor¬ 
zuzeigen. 

§ 89. Die Leichenöffnung muß sich, soweit der Zustand der Leiche 
dies gestattet, stets auf die Oeffnung der Kopf-, Brust- und Bauchhöhle er¬ 
strecken. 

§ 90. Bei Oeffnung der Leiche eines neugeborenen Kindes ist die 
Untersuchung insbesondere auch darauf zu richten, ob dasselbe _ nach oder 
während der Geburt gelebt habe, und ob es reif oder wenigstens fähig gewesen 
sei, das Leben außerhalb des Mutterleibes fortzusetzen. 

§ 91. Liegt der Verdacht einer Vergiftung vor. so ist die Unter¬ 
suchung der in der Leiche oder sonst gefundenen verdächtigen Stoffe durch 
einen Chemiker oder durch eine für solche Untersuchungen bestehende Fach¬ 
behörde vorzunehmen.“ 

*) Als zweiter Obduzent muß nach der Allg. Verf. des Justiz¬ 
ministers vom 26. Januar 1902 a) neben dem besonders angestellten Gerichts¬ 
arzte, sofern ein zweiter Gerichtsarzt vorhanden ist, dieser, sonst der Kreis¬ 
arzt; b) neben dem Kreisärzte, sofern ein Kreisassistenzarzt vorhanden ist, 
dieser, sonst der Kreisarzt des benachbarten Kreises zugezogen werden. Gleich¬ 
zeitig wird empfohlen, eine Regelung dahin herbeizuführen, daß ein regelmäßiges 
Zusammenwirken von zwei Kreisärzten benachbarter Kreise in der Weise statt¬ 
findet, daß jeder von ihnen als zuständiger Gerichtsarzt den anderen als 
zweiten Sachverständigen zugeordnet erhält. 

Ist ein Zurückgreifen auf Privatärzte erforderlich, so sind solche, 
welche die kreisärztliche oder Physikats - Prüfung bestanden haben, in erster 
Linie zu berücksichtigen (Verf. vom 30. Januar 1893), außerdem soll möglichst 
ein bestimmter derartiger Arzt nach vorgängiger Verständigung mit ihm als 
zweiter Sachverständiger regelmäßig herangezogen werden, damit dieser in die 
Lage versetzt wird, sich die für die Tätigkeit erforderliche Uebung und Er¬ 
fahrung anzueignen. 

*) Siehe vorstehende Anmerkung. 




bei den gerichtlichen Untersuchungen menschlicher Leichen. 125 

des zweiten Obduzenten 1 ), seine abweichende Ansicht zu Protokoll zu 
geben 8 ). 

Zeit der Leichenöffnung. 

§ 3. Leichenöffnungen sollen in der Regel nicht vor Ablauf von 12 
Stunden nach dem Tode vorgenommen werden. Ausnahmsweise und aus beson¬ 
deren Gründen kann die Oeffnung in dringenden Fällen auch früher erfolgen; 
indessen ist dann erforderlich, 1. dass die besonderen Gründe im Protokoll ver¬ 
merkt werden, und 2. dass dieses auch genauen Aufschluss darüber gibt, in 
welcher Weise der Tod festgestellt worden ist *). 

Behandlung von Leichen, welche in Fäulnis ttbergegangen 

sind. 

§ 4. Wegen vorhandener Fäulnis dürfen Leichenöffnungen von den 
Aerzten nicht abgelehnt werden. Denn selbst bei einem hohen Orade der 
Fäulnis können Abnormitäten und Verletzungen der Knochen noch ermittelt, 
manche die noch zweifelhaft gebliebene Identität der Leiche betreffende Be¬ 
funde, z. B. Farbe und Beschaffenheit der Haare, Mangel von Gliedmaßen usw. 
festgestellt, eingedrungene fremde Körper aufgefunden, Schwangerschaften 
entdeckt und Vergiftungen noch nachgewiesen werden. Es haben deshalb auch 
die Aerzte, wenn es sich zur Ermittelung derartiger Tatsachen um die Wieder¬ 
ausgrabung einer Leiche handelt, für dieselbe zu stimmen, ohne Rücksicht auf 
die seit dem Tode verstrichene Zeit. 

Gerichtlichen Ausgrabungen hat mindestens einer der Aerzte beizu¬ 
wohnen, welche später die Besichtigung oder Untersuchung der Leiche vor¬ 
nehmen. Derselbe hat im Einvernehmen mit dem Richter dafür zu sorgen, dass 
die Blosslegung und Erhebung des Sarges, sowie dessen spätere Eröffnung mit 
möglichster Vorsicht geschehe. Liegt der Verdacht einer Vergiftung vor, so ist 
das Mittelstück der unteren Seite des Sarges herauszunehmen und aufzubewahren. 
Von der unterhalb desselben gelegenen Erde sowie auch zur Kontrolle von dem 
gewachsenen Boden der Seitenwände des Grabes oder in einiger Entfernung von 
demselben sind Proben in einem reinen Glas- oder Porzellangefäss zur chemischen 
Untersuchung mitzunehmen.*) 

Instrumente. 6 ) 

| 5. Die Gerichtsärzte *) haben dafür zu sorgen, daß zur Verrichtung der 

*) Bei der Sektion trägt in der Hegel der zuständige Gerichts¬ 
arzt (Kreisarzt) gemäß § 25 des Regulativs für die richtige Aufnahme des 
Befundes in das Protokoll Sorge, während der zweite Gerichtsarzt die Leichen¬ 
öffnung aasführt; jedoch steht einer anderen Vereinbarung zwischen den beiden 
Gerichtsärzten inbezug apf die Arbeitsteilung nichts entgegen. Es ist z. B. 
durchaus zulässig und zweckmäßig, wenn der die Leichenöffnung ausführende 
Gerichtsarzt auch gleichzeitig das Protokoll diktiert, da er so weniger Gefahr 
läuft, etwas zu übersehen, als wenn er blos zusieht. Keinesfalls ist aber der 
erste Gerichtsarzt berechtigt, die Vornahme der Leichenöffnung zu verweigern, 
wenn der zweite hinzugezogene Arzt dazu unfähig oder durch besondere Um¬ 
stände (z. B. zugezogene Verletzung usw.) verhindert sein sollte; er würde 
sonst Gefahr laufen, auf Grund des § 77 der Str.-Pr.-O. bestraft zu werden. 

8 ) Vergl. auch § 25, Abs. 2. 

3 ) Bisher durfte eine Leichenöffnung nicht vor Ablauf von 24 Stunden 
Torgenommen werden, während sie jetzt bereits nach 12 Stunden gestattet ist, 
die Gerichtsärzte haben dann jedoch vor Beginn der Sektion die vorhandenen 
Zeichen des Todes festzustellen und diese im Protokoll genau zu vermerken. 

4 ) Die Bestimmungen über die Ausgrabung einer Leiche entsprechen 
in ihrem Wortlaut der darüber im § 8 des Württembergischen Regulativs vom 
30. Dezember 1885 enthaltenen Vorschrift. 

6 ) Nicht mit Unrecht empfiehlt Nauwcrck die Instrumente, soweit 
als angängig ganz aus Metall mit gerifften hohligen Griffen und zerlegbar zu 
wählen, um sie nach jedem Gebrauche leicht durch Auskochen in l°/ 0 Soda¬ 
lösung desinfizieren zu können. 

*) Beide Gerichtsärzte sind nach dem R.-Erl. vom 22. März 1880 für 
die Mitnahme der erforderlichen Instrumente verantwortlich. 




126 Die neuen preußischen Vorschriften für das Verfahren der Gerichtsärzte 


ihnen obliegenden Leichenöffnung folgende Sektions-Instrumente in guter 
Beschaffenheit zur Stelle sind: 

4 bis 6 Skalpelle, 1 ) 

1 Schermesser, 

2 starke Knorpelmesser, 

3 Pinzetten,*) 

2 Doppelhaken, 

2 Scheren, eine stärkere, deren einer Arm stumpf, der andere spitzig ist, 
und eine feinere, deren einer Arm geknöpft, der andere spitzig ist. 3 ) 
1 Darmschere, 

1 Tubulus mit drehbarem Verschluß, 

1 neuailbener Katheter,*) 

1 grobe und 2 feine Sonden, 6 ) 

1 Bogensäge und 1 Stichsäge , 9 ) 

1 Meißel und 1 Schlägel, 7 ) 

1 KnochenBchere, 

1 Schraubstock , 9 ) 

6 krumme Madeln von verschiedener Größe, 9 ) 

1 Tasterzirkel, 

1 Meterstab und 1 metallenes Bandmass *) mit Einteilung in Zentimeter 
und Millimeter, 

1 Meßgefäß mit Einteilung in 100, 50, 25 Kubikzentimeter. 

1 Wage mit Gewichtsstücken bis zu 5 Kilogramm, 

1 gute Lupe, 

blaues und rotes Lakmuspapier, 

1 in jeder Beziehung leistungsfähiges Mikroskop. 10 ) 

die zur Herstellung frischer mikroskopischer Präparate erforder¬ 
lichen Instrumente, Gläser n ) und Beagcntien '*) (vgl. § 11 u. a.), 


*) Darunter 2 feinere Messer mit gerader und 2 stärkere mit bauchiger 
Schneide; außerdem empfiehlt sich ein sog. Hirnmesser. 

*) Bisher waren nur 2 Pinzetten nötig. Zweckmäßig ist es, wenn 
durunter eine Hacken- und eine Schieber - Pinzette ist. 

•) Auch eine über die Fläche gekrümmte (Coopersche) Scheere ist 
kaum zu entbehren. 

4 ) Jedenfalls ein männlicher Katheter oder noch besser ein männ¬ 
licher und weiblicher zum Zusammenschrauben. 

6 ) Die Sonden müssen selbstverständlich geknöpft sein, als Material ist 
Metall oder Fischbein zu wählen. Außerdem empfiehlt sich eine Hohlsonde von 
Metall; auch einige Schweineborsten sind unter Umständen recht zweckmäßig. 

6 ) Bisher war nur eine Säge erforderlich. 

7 ) Will man ein vollständigeres Besteck habe#, so empfiehlt sich die Be¬ 
schaffung einer einfachen oder Lu ersehen Wirbelsäge (Rhachiotom). 

*) War bisher nicht nötig. 

9 ) Dazu gehört natürlich auch Hanfzwirn. 

,0 ) Während früher ein Mikroskop mit zwei Objektiven und mindestens 
400maliger Vergrößerung vorgoschrieben war, wird jetzt ein in jeder Be¬ 
ziehung leistungsfähiges Mikroskop, also ein solches mit Oelimmersion 
und bis 1000facher Vergrößerung gefordert. Ein Mikroskop soll jetzt also 
bei jeder Sektion mitgebracht werden, während sein Mitnehmen bisher nur 
empfohlen war. Bei Sektionen auf dem Lande wird aber auch jetzt davon in 
der Regel abgesehen werden können, da dem Gcrichtsarzt hier meist gar kein 
geeigneter Raum zur Verfügung steht, um mit der erforderlichen Sorgfalt und 
Ruhe mikroskopieren zu können. Das Mitnehmen des Mikroskops würde somit 
gar nichts nützen (s. auch § 11, Abs. 2). 

n ) Objektträger und Deckgläser; s. auch Anm. 1 auf S. 127. 

**) Als Reagentien kommen besonders in Betracht: Hofmann- 
Pacinische Flüssigkeit, Essigsäure, alkoholische Gunjaklösung und altes Ter- 
pentinoel für Blutuntersuchungen; Florencesches Reagcus (für Sperma- 
Nachweis). Will man auch an Ort und Stelle spektroskopische Unter¬ 
suchungen (z. B. mit dem Taschenspektroskop von Browning) nnstcllen, so 
bedarf man hierzu noch gelbes Schwefelammon, konzentrierte ('yaukaliumlösung 
uud konzentrierte Schwefelsäure. 




bei den gerichtlichen Untersuchungen menschlicher Leichen. 


127 


sowie einige reine Olae- und POrzellangefässe zur Aufbewahrung 
von Leichenteilen, *) welche mikroskopisch oder chemisch *) unter¬ 
sucht werden sollen. 

Die schneidenden Instrumente müssen vollständig scharf sein. 1 ) 

Sektionsranm und dessen Beleuchtung. 

§ 6. Für die Leichenöffnung ist ein hinreichend geräumiger und heller 
B&tun zu beschaffen; auch muss für angemessene Lagerang der Leiche and Ent¬ 
fernung störender Umgebangen gesorgt werden. 4 ) Leichenöffnungen bei künst¬ 
lichem Licht sind, einzelne keinen Anfschab gestattende Fälle aasgenommen 
unzulässig. Eine solche Ausnahme ist im Protokoll (§ 26) unter Anführung der 
Gründe ausdrücklich zu erwähnen. 5 ) 

Gefrorene Leichen. 

§ 7. Ist die Leiche gefroren, so ist sie in einen massig geheizten Baum 
za bringen; mit der Leichenöffnung ist zu warten, bis die Leiche genügend 
anfgetaut ist. Die Anwendung von warmem Wasser oder von anderen warmen 
Gegenständen zur Beschleunigung des Auftauens ist unzulässig. 5 ) 


') Will man größere Leichenteile einige Tage konservieren oder sie 
znr weiteren Untersuchung an ein gerichtlich -medizinisches Institut einschicken, 
so werden sie nach Strauß am besten in 2 bis 3 reino, mit Brunnenwasser 
befeuchtete Tücher eingeschlagen und in einen gut schließenden, nicht porösen 
Steingut- oder Emailletopf gelegt. Die Versendung durch die Post muß durch 
Eilbotenbestellung erfolgen. Noch besser und länger werden Leichenteile durch 
Einlegen in 4°/ 0 Formalinlösung konserviert; man benutzt dazu am zweck¬ 
mäßigsten einfache Einmachegläser, deren dichter Verschluß von jedem Glaser 
durch einen mit Glaskitt zu befestigenden Glasdeckel leicht bewirkt werden 
kann. Patent-Einmachegläser sind hierzu auch recht brauchbar, aber nicht 
überall zur Hand. Kleinere Leichenteile werden am besten in sog. Pulver- 
gläsern mit eingeriebenen Glasstöpseln oder gutschließcnden Korkstöpseln 
unter Formalinlösung aufbewahrt; derartige Gläser empfehlen sich auch zur 
Aufbewahrung von schleimigen Massen, Urin usw.; deshalb sollten immer 
derartige Gefäße (3—4) mitgenommen werden; auch die Mitnahme von engen 
Petrischen Doppelschalen empfiehlt sich. Ganz geringe Mengen eines Unter- 
snchungsmaterials sind für die spätere Untersuchung in dünner Schicht auf 
Deckgläsern auszustreichen, einzutrockneu und mit einem Objektträger oder 
zweiten Deckgläschen zu bedecken. Geringe Mengen Flüssigkeiten sind 
in Kapillarröhrchen aufzusaugen und diese dann zu schmelzen. 

0 Zur Mitnahme von Leichenteilen zur chemischen Untersuchung 
eignen sich Gläser mit weitem Hals, etwa 4 zu 3—500 g mit gut schließen¬ 
den Stöpseln. Um sie fest zu verschließen, ist noch Pergamentpapier und 
Bindfaden nötig. Die Kosten für die Gläser hat in dem Falle, daß sie benutzt 
werden, das Gericht zu tragen. 

*) Außerdem empfiehlt sich zur Mitnahme: Eine Schürze mit Aermeln, 
Seife, Nagelbürste und Sublimatpastillen (A n g e r e r s), etwas Jodoformkollodium, 
Heftpflaster, einige Fingerhüte aus Kautschuk und ein großer Schwamm (§ 18, 
Abs. 7). 

4 ) Nach dem Ministerial• Erlaß vom 23. November 1890 sind die Orts¬ 
polizeibehörden zur Beschaffung eines geeigneten Obduktionsraumes ver¬ 
pflichtet; sie haben den in dieser Hinsicht an sie ergehenden Ersuchen der 
zoständigen Justizbeamten unverzüglich Folge zu leisten. Die durch die Be¬ 
schaffung des Lokals oder durch sonstige Hilfeleistung (Heildiener usw.) ent¬ 
stehenden Kosten fallen jedoch dem Justizfonds zur Last. 

5 ) Selbstverständlich ist ein solcher Vermerk auch in das Protokoll zu 
machen, wenn sich wider Erwarten die Vollendung einer bei Tageslicht be¬ 
gonnenen Leichenöffnung verzögert und bei künstlichem Licht beendet 
werden muß. 

5 ) Betreffs der Auftauung gefrorener Leichen gilt auch ferner 
die vom Justizminister im Einverständnis mit dem Minister des Innern durch 
Erlaß vom 13. April 1899 getroffenen Vorschrift, daß „der Richter bei 
Anberaumung des Termins zur Leichenöffnung, falls nach dou augenblicklichen 



128 Die neuen preußischen Vorschriften für das Verfahren der Gerichtsärzte 

Fortschaffnng der Leichen von einer Stelle zur anderen. 

§. 8. Bei allen mit der Leiche yorznnehmenden Bewegungen, namentlich 
bei dem Ueberführen derselben von einer Stelle znr anderen, ist sorgfältig darauf 
zu achten, daß kein zu starker Druck auf einzelne Teile ausgefibt und daß die 
Horizontallage der größeren Höhlen und die durch die Leichenstarre bedingte 
Stellung der Gliedmassen nicht erheblich verändert werde. 

EL Verfahren bei der Leiohenäfimng. 

Richterlicher Zweck der Leichenöffnung. 

§ 9. Beim Erheben der Leichenbefunde müssen die Gerichtsärzte im 
wesentlichen ebenso verfahren, wie wenn die Sektion aus rein ärztlichem Interesse 
unternommen würde, nur haben sie überall den richterlichen Zweck der Leichen¬ 
untersuchung im Auge zu behalten und alles, was diesem Zwecke dient, mit 
besonderer Genauigkeit und Vollständigkeit zu untersuchen. Die folgenden 
technischen Vorschriften über den Gang der Untersuchung sollen nicht schablonen¬ 
haft angewendet, sondern nur als allgemeiner Leitfaden betrachtet werden, von 
dem je nach der Eigentümlichkeit des Falles auch abgewichen werden kann. 
Wesentliche Abweichungen müssen jedoch im Protokoll (§ 26) begründet werden. 1 ) 

Alle erheblichen Befunde sind dem Richter von den Gerichtsärzten vor¬ 
zuzeigen, bevor sie in das Protokoll aufgenommen werden. 

Pflichten der Gerichtsärzte in bezug auf die Ermittelung 
besonderer Umstände des Falles. 

§ 10. Die Gerichtsärzte sind verpflichtet, in den Fällen, in denen 
ihnen dies erforderlich erscheint, den Richter rechtzeitig zu ersuchen, daß vor 
der Leichenöffnung der Ort, wo die Leiche gefunden wurde, in Augenschein 

J genommen, die Lage, in welcher sie sich befand, ermittelt und daß innen Ge- 
egenheit gegeben werde, die Kleidungsstücke, welche der Verstorbene bei 
seinem Aufflnden getragen hat, zu besichtigen.*) 


Temperaturverhältnissen und den sonstigen Umständen des Falles die Besorgnis 
vorliegt, daß die Leiche sich im Gerichtstermin in gefrorenem Zustande be¬ 
finden wird, an die Ortspolizeibehörde das Ersuchen zu richten hat, die Leiche 
so lange in einem auf 20° C. erwärmten Raum aufzubewahren, daß sie bis zu 
dem Termin aufgetaut ist. Der Zeitraum ist auf mindestens 12 Stunden zu 
bemessen; bei starkem Gefrorensein der Leiche aber entsprechend, nötigenfalls 
bis auf 24 Stunden zu verlängern . . . Die Kosten der Maßnahme trägt der 
Justizfiskus.“ 

*) Zu derartigen Abweichungen braucht aber nicht etwa erst der auf¬ 
sichtsführende Richter um Erlaubnis gebeten werden, sondern die Gerichtsärzte, 
namentlich der erste Gerichtsarzt, haben allein darüber zu befinden und sind 
allein dafür verantwortlich. 

*) Die Württembergischen Vorschriften geben hierzu in § 11, Abs. 1 fol¬ 
gende recht zweckmäßige Anweisung: 

„Haften an den Kleidern der Leiche oder an anderen in ihrer un¬ 
mittelbaren Nähe befindlichen Gegenständen Haare oder dergl., so werden 
dieselben pünktlich aufgcsammelt. VerdächtigeFlecken, Werkzeuge, 
Strangulationsmittel und Gegenstände, welche die Spuren eines 
stattgefnndenen Kampfes an sich tragen, oder die Entstehung vorhandener 
Verletzungen, oder die Art des Todes aufklären können, sind an den verdächtigen 
Stellen mit der Lupe zu besichtigen. Hierbei soll die Aufmerksamkeit auch 
darauf gerichtet werden, ob in den Flecken von Blut, Eiter, Samen, Speiseresten 
usw. nicht Haare, Zeugfasern oder andere fremde Körper festgeklebt sind. 

Zum Zwecke einer späteren mikroskopischen oder chemischen Unter¬ 
suchung werden die betreffenden Stellen der Kleider, Bettstücke usw. ausge¬ 
schnitten. Wäre die Zahl der Flecken an einem solchen Gegenstand eine sehr 
große, so wird das ganze Stück aufbowahrt. Verdächtige Stellen auf der Ober¬ 
fläche hölzener Gegenstände werden ausgesägt oder mit einem Holzmeißel ent¬ 
sprechend tief abgehoben, auf Flächen von Stein im Notfall mit einem Stein¬ 
meißel abgesprengt. 

Alle diese Gegenstände werden, ebenso wie Werkzeuge von Metall, auf 
welchen näher zu untersuchende Stellen gefunden wurden, jedes für sich in 
reines glattes Papier gewickelt und mit der nötigen Aufschrift versehen.“ 



bei den gerichtlichen Untersuchungen menschlicher Leichen. 


129 


In der Regel wird es indes genügen, daß sie ein hierauf gerichtetes 
Ersuchen des Richters abwarten. 

Sie sind verpflichtet, auch über andere, für die Leichenöffnung und das 
abxugebende Gutachten erhebliche, etwa schon ermittelte Umstände sich von 
dm Richter Aufschluß zu erbitten. 

Mikroskopische Untersuchungen. 

§ 11. In allen Fällen, in denen es zur schnellen und sicheren Ent* 
Scheidung eines zweifelhaften Befundes, z. B. zur Unterscheidung von Blut 
uod von nur blutfarbstoffhaltigen Flüssigkeiten, erforderlich ist, eine mikro* 
skopische Untersuchung vorzunehmen, ist diese sofort bei der Leichenöffnung 
zu veranstalten. 

Wenn die äußeren Umstände dies unmöglich machen, oder schwierige 
mikroskopische Untersuchungen, z. B. von Gewebsteilen der Leiche, nötig sind, 
welche sich nicht sofort ausführen lassen, so sind die betreffenden Teile so 
schnell als möglich einer nachträglichen Untersuchung zu unterwerfen.M. 

In dem über die Untersuchung zu erstattenden Bericht ist die Zeit, zu 
welcher diese nachträgliche Untersuchung vorgenommen wurde, und die ange¬ 
wandte Untersuchungsmethode stets genau anzugeben. 

Die Leichenöffnung zerfällt in zwei Hauptteile: 

A. Aeußere Besichtigung, 

B. Innere Besichtigung (Sektion). 

JL. Aeussere Besichtigung. 

§ 12. Bei der äußeren Besichtigung ist die äußere Beschaffenheit des 
Körpers im allgemeinen und die seiner einzelnen Abschnitte za untersuchen. 

Demgemäß sind, soweit die Besichtigung solches ermöglicht, zu ermitteln 
and anzugeben: 

1. Alter, Geschlecht, Größe,*) Körperbau*), allgemeiner Ernährungszustand 4 ), 
etwa vorhandene krankhafte Veränderungen oder Abnormitäten*) (z. B. sog. 
Fußgeschwüre, Narben, Maler, Tätowierungen, Ueberzahl oder Mangel an 
Gliedmaßen), 

2. die Zeichen des Todes und diejenigen der etwa schon eingetretenen Ver¬ 
wesung. 

Zu diesem Zwecke sind zunächst etwa vorhandene Besudelungen der 
Leiche mit Blut, Kot, Eiter, Schmutz und dergleichen zu beschreiben und ge¬ 
gebenen Falles mit der Lupe oder dem Mikroskop zu untersuchen und darauf 
durch Abwaschen zu beseitigen. Dann wird die An* oder Abwesenheit der 
Muskelstarre*), die allgemeine Hautfarbe der Leiche 7 ) die Art und der Grad 
der etwaigen Färbungen und Verfärbungen einzelner Teile durch die Ver- 


*) Betreffs der bei Mitnahme von Leichenteilen zu beachtenden 
Maßnahmen s. Anmerkung 1 auf S. 127. 

Behufs Vornahme der biologischen Blutuntersuchung ist das 
Blut an das Institut für Staatsarzneiknnde in Berlin (NW., Hannoversche 
Straße 6) oder an das hygienische Institut in Greifswald, das Institut für Infek¬ 
tionskrankheiten in Berlin (Nr. 39, Nordnfer), das Institut fitr experimentelle 
Therapie in Frankfurt a. M. zu senden (Min.-Erlaß vom 24. Juli bezw. 8. Sept 
tember 1903). Auch in dem gerichtsärztlichen Universitätsinstitute in Königs¬ 
berg und Breslau wird diese Untersuchung ausgeführt. 

*) Die Körpergröße wird durch Messung von Scheitel bis zur Fußsohle 
bei wagerechter Lage der Leiche festgestellt. Betreffs der sonstigen Körper¬ 
maße und Länge der einzelnen Knochen usw. s. Anm. zu § 24 Abs. 2. 

*) Körperbau, ob kräftig, schwächlich, mißgestaltet usw. 

*) Maßgebend für den allgemeinen Ernährungszustand sind 
Muskulatur und Fettpolster der Leiche. 

*) Eine genaue Beschreibung der Abnormitäten ist besonders bei 
Leichen unbekannter Personen von Wichtigkeit. 

®) Die Leichenstarre beginnt iu der Regel an den Kiefern und geht 
von da nach abwärts; sie verschwindet in der gleichen Reihenfolge und bleibt 
demnach am längsten in den Fußgelenken. Ist sie einmal gewaltsam (beim 
Umkleiden usw.) gelöst, so tritt sie nicht wieder ein. 

*) Die Hautfarbe ist für gewöhnlich weißgrau, bei Blutverlusten 
wachsbleich, bei Kachexie schmutzig-fahl und trocken, bei Gelbsucht gelb. 


130 Die neuen preußischen Vorschriften für das Verfahren der Gerichtsinte 

wesung'), sowie die Farbe, Art, Lage und Ausdehnung der Totenflecke fest- 
gestellt; die Totenflecke sind einzuschneiden, wo eine Verwechselung mit Blut - 
austretungen möglich wäre . *) 

Für die einzelnen Teile ist folgendes festzustellen: 

1. Bei Leichen unbekannter 3 ) Personen die Farbe und sonstige Beschaffen¬ 
heit der Haare 4 ) (Kopf und Bart), sowie die Farbe der Augen, B ) 

2. das Vorhandensein yon fremden Gegenständen in den natürlichen Oeff- 
nungen des Kopfes, die Beschaffenheit der Zahnreihen *) und die Beschaffen¬ 
heit und Lage der Zunge. 7 ) 

Ergiesst sich Flüssigkeit aus Mund oder Nase, so ist deren Farbe und 
Geruch anzugeben, bei Verdacht einer Vergiftung auch die Reaktion zu 
prüfen. 

3. Demnächst sind zu untersuchen: 

der Hals, 8 ) dann die Brust,®) der Unterleib, ,# ) die Bückenfläche, 11 ) der 
After, 1 *) die äußeren Geschlechtsteile 18 ) und endlich die Glieder. 14 ) 

*) Stehenbleiben yon Hautfalten und etwa vorhandener Ver¬ 
wesungsgeruch sind ebenfalls festzustellen. 

*) Die frühere Fassung lautete: die Totenflecke sind einzuschneiden, 
genau zu untersuchen und zu beschreiben, um eine Verwechselung derselben 
mit Blutaustretungen zu vermeiden, während jetzt nur bei solchen Totenflecken 
ein Ein8chneiden usw. erforderlich ist, bei denen die Möglichkeit einer solchen 
Verwechselung vor liegt; immerhin sollten Einschnitte in die Totenflecke nicht 
unterlassen werden. Hellrote Totenflecke findet man bei Kohlenoxyd- und 
mitunter bei Zyankali-Vergiftung, grau oder bräunlich gefärbte bei Kali- 
chloricumvergiftung. 

*) S. Anm. 5, S. 129 und nachstehend Anm. 4 u. 5. 

4 ) Auch Länge, Dicke und Dichtigkeit der Haare; bei Leichen unbe¬ 
kannter Personen auch die Form der Stirn, der Nase und Ohrmuscheln, 
bes. die Ohrläppchen. 

6 ) Nicht blos die Form der Regenbogenhaut, sondern auch die der Augen¬ 
brauen. Bei allen Leichen ist außerdem die Beschaffenheit der Augenbinde¬ 
haut, des Augapfels und die Weite der Pupillen festzustellen. 

*) Eine genaue Beurteilung der Zahnreihen (Zahl, Stellung usw. der 
Zähne) ist besonders bei den Leichen unbekannter Personen erforderlich. 

7 ) Ob zwischen oder hinter den Zähnen. 

8 ) Am Hals sind besonders die Beweglichkeit, natürliche Hautfalten, 
Erhängungsmarken, Erwürgungsspuren usw., sowie die Form (lang, schmal 
oder kurz und dick), Lago und Beschaffenheit des Zungenbeines und Kehlkopfes, 
der Schilddrüse wie der oberen und unteren Lymphdrüsen zu beachten. 

e ) An der Brust ist zu berücksichtigen: Form und Umfang des Brust¬ 
korbes, Weite der Zwischenrippen; bei weiblichen Personen die Beschaffenheit 
der Milchdrüsen, Brustwarzen (Colostrum), Warzenhöfe (Farbe) usw. 

,0 ) Am Bauch ist auf Wölbung (ob eingesunken, schlaff, aufgetrieben) 
zu achten, ferner auf das Vorhandensein von Brüchen, bei weiblichen Personen 
auf Schwangerschaftsnarben, Pigmentierungen usw. 

“) Bei der Rttckenfläche kommt namentlich der Verlauf der Wirbel¬ 
säule (gerade, ausgebogen usw.) in Betracht. 

**) After, ob offen oder geschlossen, ob unversehrt, ob Kot oder fremde 
Körper in ihm oder in seiner Umgebung; der Damm ist auf Narben, Feig¬ 
warzen usw. zu untersuchen. 

ia ) Bei den männlichen äußeren Geschlechtsteilen ist die Be¬ 
schaffenheit der Vorhaut (ob Eichel bedeckend oder nicht), der Eichel, der 
Harnröhrenmündung (auf etwaigen Inhalt), des Gliedes und der Hoden (ob im 
Hodensack usw.) zu ermitteln, bei den weiblichen sind die großen und 
kleinen Scbamlappen, der Kitzler und der Hymen zu beschreiben. 

14 ) Die Untersuchung der oberen und unteren Glieder hat sich 
besonders auf etwa vorhandene Verletzungen, Narben, Beschaffenheit der 
Knochen und Gelenke zu erstrecken. Betreffs der Untersuchung der Nägel 
empfiehlt sich die Beachtung der Württembergischen Anweisung, wo es im 
§ 14 heißt: „Die Nägel werden mit der Lupe untersucht, um zu ermitteln,ob 
ichs nicht unter den ihnen anliegenden Hautfalten größere Fetzen von Ober- 



bei den gerichtliches Untersuchungen menschlicher Leichen. 131 

findet sich an irgend einem Teile eine Verletzung, so ist ihre Gestalt, 
ihre Lage und Richtung mit Beziehung auf feste Punkte des Körpers, ferner 
ihre Länge und Breite in Metermaß anzugeben. 1 ) Das Sondieren von Trennungen 
des Zusammenhanges ist bei der äußeren Besichtigung in der Regel zu ver¬ 
meiden, da sich deren Tiefe bei der weiteren Untersuchung der verletzten 
Stellen ergibt. Halten die Gerichtsärzte die Einführung der Sonde für erforder¬ 
lich, so ist dieselbe mit Vorsicht zu bewirken; die Gründe für ihr Verfahren 
sind im Protokoll (§ 26) besonders zu erwähnen. 

Bei Wunden ist ferner die Beschaffenheit ihrer Ränder und deren Um¬ 
gebung festzustellen. Die verwundeten Stellen der Haid sollen im unveränderten 
Teil Umschnitten, ihre Umgebung unter Schonung der Hautwunde durch Flach- 
schnitte in einzelne wie die Blätter eines Buches übereinanderliegende Schichten 
getrennt werden , damit man den Umfang und die Art der Verwundung der 
Weichteile feststellen kann , ohne das Aussehen der Hauptwunde zu verändern}) 
Bei Schusswunden ist besonders auf Pulvereinsprengungen und Versengung 
um Härchen zu achten und im Zweifelfall eine mikroskopisch < Untersuchung der 
Härchen vorzunehmen. Dieses gilt auch von Fällen, in welchen zwischen Ver¬ 
brühung und Verbrennung durch die Flamme zu unterscheiden ist. 

In besonders wichtigen Fällen ist es empfehlenswert, die etwa vorhandenen 
Verletzungen oder andere bedeutungsvolle Befunde photographisch aufzunehmen 
oder durch eine Zeichnung wiederzugehen}) 

Bei Verletzungen und Beschädigungen der Leiche, die unzweifelhaft 
einen nicht mit dem Tode in Zusammenhang stehenden Ursprung haben, z. B. 
bei Merkmalen von Rettungsversuchen, Zernagung durch Tiere und dergleichen, 
genügt eine summarische Beschreibung dieser Befunde. 

(Fortsetzung folgt.) 


Ueber einen interessanten Fall von Zwerchfellruptur mit 
V 2 Jahr später anschliessender Pneumonie. 

Von Kreisarzt Dr. Tröger in Adelnau. 

Der Schlosser G. R. erlitt am 5. September 1898 einen 
Unfall dadurch, dass er beim Zuschlägen mit einem schweren 
Hammer plötzlich einen starken Schmerz am vorderen linken 
Rippenbogen verspürte, der ihn zwang sich hinzusetzen und zu¬ 
nächst eins halbe Stunde in stark vornübergebeugter Stellung zu 
sitzen. Als ich den R. kurze Zeit darauf sab, lag er zu Bett 
mit Angst8chwei8s auf der Stirne. Er machte den Eindruck eines 
schwerkranken Mannes; jede Bewegung mied er auf das pein¬ 
lichste, da sie ihm Schmerzen verursachte. Die objektive Unter¬ 
suchung ergab zunächst als einzigen Befund das Fehlen des 
ersten Herztones an der Herzspitze und an seiner Stelle ein lautes 
metallisches Geräusch, wie wenn eine grössere Blase platzt. 
Dieses Geräusch war so laut, dass man es noch in etwa 1 m 


haut, Blut, Haare, Zeugfasern, abgerissene Teile von Pflanzen, Erde oder der¬ 
gleichen finden. Etwaige Funde sind sofort mit dem Mikroskop zu untersuchen 
oder für eine spätere Prüfung sorgfältig aufzubewahren. 

*) Findet sich eine Verletzung an behaarten Teilen des Körpers, 
besonders am Kopf, so sind vorher die Haare dicht über der Haut abzu¬ 
schneiden oder abzurasieren. 

*) Entspricht der Württembergischen Anweisung. 

•) Dies gilt namentlich dann, wenn die Beschreibung von Verletzungen 
schwierig ist und kein anschauliches Bild gibt, z. B. wenn mehrere Verletzungen 
in verschiedenen Richtungen auf einen verhältnismäßig kleinen Raum vor¬ 
handen sind usw. 



182 


Dr. Tröger. 


Entfernung vom Bette hörte. Das schwere Krankheitsbild und 
das auffallende Geräusch in der Herzgegend, für das ich mir bei 
der ersten Untersuchung eine Erklärung nicht geben konnte, ver- 
anlassten mich, am folgenden Tage einen Kollegen hinzuzuziehen. 
Das Geräusch bestand noch unverändert fort und das Krankheits¬ 
bild war dasselbe wie am Tage vorher. Der Kollege glaubte, 
dass eine Mitralklappe abgerissen sei. Dieser Diagnose konnte 
ich nicht beitreten, einmal mit Rücksicht auf das Geräusch in 
Klangfarbe und Intensität, zum andern mit Rücksicht auf die 
grosse Schmerzhaftigkeit in der vorderen linken Brusthälfte. Nach 
eingehendster Abwägung aller in Betracht kommenden Verhält¬ 
nisse kam ich zu der Diagnose, dass es sich um einen Riss im 
Zwerchfell handeln müsse, in den sich ein Stück des Magens ein¬ 
geklemmt habe, welches seinerseits das metallische Geräuch ver¬ 
ursache. (Mit derselben Diagnose ist der Kranke einige Zeit 
darauf in der Hallenser Klinik den Studenten vorgestellt worden.) 
Patient blieb zunächst 5 Wochen bettlägerig, das Geräusch verlor 
sich allmählich, doch konnte er es noch monatelang willkürlich 
durch eine bestimmte Körperhaltung im Liegen und auch im 
Bücken erzeugen. 

Etwas über 5 Monate später nahm R. die Arbeit wieder 
auf, obwohl er sich noch nicht dazu kräftig und schmerzfrei genug 
fühlte. Er hat dann unter starken Schmerzen in der linken Seite 
etwa 14 Tage gearbeitet. Jetzt erkrankte er und zwar genau 
am Sitze der erlittenen Verletzung in der linken Brustseite, an 
einer typischen kruppösen Pneumonie, die auch auf den rechten 
Unterlappen am vierten Krankheitstage überging. Bei dieser 
Sachlage war es für mich fraglos, dass die Pneumonie mit dem 
Unfall am 5. September 1898 in ursächlichem Zusammenhang 
stand. Die Genossenschaft lehnte jedoch auf Grund des Gut¬ 
achtens ihres Vertrauensarztes jede Entschädigungspflicht ab, 
weil die Lungenentzündung in keinem ursächlichen Verhältnisse 
mit dem Unfall stände. In einem Gutachten an das Schieds¬ 
gericht führte ich damals aus: 

„Es ist möglich, daß Verwachsungen zwischen linker, unterer Lunge und 
Zwerchfell bestehen, oder ein Teil der Lunge von Zwerchfell umschlossen ist. 
Wenn nun ß. genötigt ist, als Schlosser zu arbeiten, so inuL» er unwillkürlich 
die Lunge und das Zwerchfell mehr in Anspruch nehmen, d. h. in diesem Falle 
die Lunge, die noch nicht als normal wieder zu bezeichnen war, von neuem 
schädigen. Bricht daher in einer solchen noch nicht ausgeheilten Lungenpartie, 
die täglich neuen Schädigungen ausgesetzt wird, eine Lungenentzündung aus, 
so ist entschieden ein ursächlicher Zusammenhang zwischen diesen Schädigungen 
und der Lungenentzündung nicht nur nicht abzustreiten, sondern es scheint 
fast geboten, denselben anzunehmen.“ 

Der Entscheid des Schiedgerichts vom 17. Oktober 1899 
lautete: 

„Nach dem Gutachten des Sachverständigen (ß. wurde im Termin von 
einem Leipziger Arzte untersucht) hat das Schiedsgericht nun zwar für er¬ 
wiesen angesehen, daß die im März 1899 zum Ausbruch gekommene Lungen¬ 
entzündung Berufsklägers eine Folge des am 5. September 1898 erlittenen 
Betriebsunfalles nicht ist. Wenn aber der Sachverständige es für durchans 
glaublich hält, daß Berufskläger bei schwerer Arhcit noch jetzt Folgen des 
Unfalles spürt, da die erlittene Verletzung eine derartig schwere gewesen ist 



Fall von Zwerchfellruptur mit */* Jahr später anschließender Pneumonie. 133 


daß eine Beseitigung der Unfallfolgen am Tage des AufhOrens der Vollrente 
— 9. Februar 1899 — vermutlich noch nicht eingetreten gewesen ist, so hat 
das Schiedsgericht die Absprechung jeder weiteren Rente — es bewilligte ihm 
2 ö j (9 der Vollrente — nach diesem Zeitpunkte nicht für gerechtfertigt be¬ 
fanden. Vielmehr ist dasselbe dem Qutachten dos Sachverständigen auch 
darin beigetreten, daß bei dem Berufskläger infolge der schweren Lungenent¬ 
zündung noch jetzt ein solcher Schwächezustand besteht, daß derselbe schä¬ 
digend auf die Erwerbsfähigkeit derselben einwirkt, und dieser Zustand der 
Dinge die noch vorhandenen Unfallsfolgen zu schwereren macht, als sie es 
ohne die Lungenentzündung wären." 

Bei diesem Urteil beruhigte sich B. auf mein Anraten nicht. 
Das Beich8ver8icherung8amt entschied am 23. Febr. 1900: 

«Bezüglich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem Unfall vom 
5. September 1898 und der am 1. März 1899 in die Erscheinung getretenen 
Lungenentzündung des Klägers gehen die ärztlichen Gutachten auseinander. 
Während Dr. T. in seinem Gutachten vom 16. Mai und 16. November 1899 
den Znsammenhang annimmt, der Prof. Dr. E. in L. in dem Gutachten vom 
vom 26. Juli 18b9 ihn für sehr wohl möglich hält, tritt Dr. P. in seinen wieder¬ 
holten gutachtlichen Aeusserungen vom 22. Juni, 10. Juli und 28. August 1899 
einer solchen Schlußfolgerung bestimmt entgegen; auch der vom Schiedsgericht 
am 17. Oktober 1899 vernommene Dr. W. hält die Lungenentzündung keines¬ 
wegs für eine Folge des Unfalles. 

Einen unmittelbaren ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Unfall 
and der Lungenentzündung des Klägers hat das Rekursgericht mit Rücksicht 
ani die widersprechenden ärztlichen Gutachten nicht angenommen. Dagegen 
erschien auf Grund der Gutachten des Dr. W. und Dr. T. die Annahme aus¬ 
reichend begründet, daß die Unfallsfolgen bei dem Eintritt der Lungenentzün¬ 
dung noch nicht völlig beseitigt waren, und daß der durch die Unfallsfolgen 
erheblich geschwächte Körper des Klägers für die damals in Z. endemisch 
anftretende Lungenentzündung (wovon mir jedoch absolut nichts bekannt war 
and auch nichts hatte in Erfahrung gebracht werden können) besonders un¬ 
günstig prädisponiert war. Infolgedessen ist die Lungenentzündung bei dem 
Kläger sehr schwer aufgetreten usw.“ 

Meinem Vorschlag, dem R. vom 1. März 1899 bis Ende 
Oktober die Vollrente und von da ab 50 °/ 0 der Vollrente za ge¬ 
währen, schloss sich das B.-V.-A. an. 

Hiermit war jedoch der Fall noch nicht abgeschlossen; 
denn B. erkrankte zum dritten Male bettlägerig vom 19. April 
bis 31. Mai 1900. Ich konstatierte damals in der vorderen 
Axillarlinie in der Höhe der 7. Bippe in etwa 5 Markstückgrösse 
eine Pleuritis sicca. Der Vertrauensarzt der Berufsgenossenschaft 
hatte eine „Erkältungskrankheit“ festgestellt; mit Bücksicht 
hierauf lehnte die Berufsgenossenschaft eine Entschädigung ab. 
Das Schiedsgericht in M. erkannte jedoch auf Grund einer ärzt¬ 
lichen Untersuchung durch Dr. S. an, dass die Krankheit mit dem 
Unfall vom 5. September 1898 in ursächlichem Zusammenhang 
stehe und dass dem Verletzten nach wie vor 50°/ 0 Bente zu gewähren 
seien. Diese Bente wurde ihm am 1. Oktober 1901 wieder ent¬ 
zogen, da er angeblich geheilt sein sollte. Die hiergegen einge¬ 
legte Berufung wurde vom Schiedsgericht in M. am 22. März 
1902 als unbegründet zurückgewiesen. Das Urteil stützte sich 
auf ein Gutachten des Dr. P., während ich in meinem Gutachten 
zu dem Urteil gekommen war, dass B. mit Bücksicht auf die 
eng lokalisierte Pleuritis sicca noch um 20°/o in seiner Erwerbs- 
tlhigkeit beschränkt sei. 

Am 4. Februar 1903 entschied das R.-V.-A. auf Grund eines 



134 


Dr. Neumann. 


erneut von mir eingeforderten Gutachtens und eines Obergutach¬ 
tens der Hallenser Klinik, in der eine 18 tägige Beobachtung des ß. 
stattgefunden hatte, dass R. mit Rücksicht auf seine beschriebene 
lokalisierte Pleuritis sicca zu 25 °/o als erwerbsunfähig zu erachten 
sei. Ich kann noch mitteilen, dass R. noch heute ab und zu von 
stärkeren Schmerzen in der linken Brustseite befallen wird. 


Aus alten medizinalpolizeilichen Schriften. 

Von Oberstabsarzt Dr. Neumann- Bromberg. 

In unserer an hygienischen Errungenschaften, an sanitäts¬ 
polizeilichen Gesetzen und Verordnungen so reichen Zeit scheint 
es von Interesse, diese scheinbar ganz modernen Bestrebungen 
mit denen einer früheren Periode zu vergleichen. Vor mir liegen 
die Bände eines für die damalige Zeit wahrscheinlich sehr wich¬ 
tigen Werkes: „Die Königlich Preussische Medizinal-Verfassung 
oder vollständige Darstellung aller, das Medizinalwesen und die 
medizinische Polizei in den Königlich preussischen Staaten be¬ 
treffenden Gesetze, Verordnungen und Einrichtungen von Augustin, 
Königlicher Regierungs- und Medizinalrat usw.“, das die Jahre 
1818—1835 umfasst. Ob und wie das Werk fortgesetzt worden 
ist, habe ich nicht ermitteln können. Wenn auch der Umfang 
des ersten Jahresbandes nur 1300 Seiten mittleren Formates um¬ 
fasst — die Anordnung des Stofles ist alphabetisch — und natur- 
gemäss klein erscheint im Vergleich zu der Fülle der Literatur 
der heutigen Zeit, so Anden sich doch eine Menge von Analogien 
zur Jetztzeit von interessanter Art, von denen ich einige mitteilen 
möchte, ausgehend von dem Gedanken, dass der Sinn für die ge¬ 
schichtliche Entwickelung des Medizinalwesens zu erwecken und 
zu befördern ist, wenn auch unsere gegenwärtige schnelllebige 
Zeit anscheinend wenig Zeit dazu hat. Die Schrift beweist, wie 
der alte Ben-Akiba Recht hat, wenn er sagt: „Alles schon (lage¬ 
wesen“; wie aber anderseits so manche gegenwärtige Einrichtung 
lediglich in historischem Licht verstanden und gewertet werden 
kann. Das Werk Augustins, das erste seiner Art, fällt in die 
Zeit, in der das Medizinalwesen vom Ministerium des Innern 
zu dem der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten 
übertrat. Ich gebe einige Notizen aus dem Werk wie folgt: 

Die Instruktion über die wissenschaftliche Deputation 
wird eingehend mitgeteilt. 

Das erste Obduktionsregulativ rührt 1744 von Buddeus her, 
welches durch die Kriminalordnung von 1805 ergänzt wurde. 

Eine langatmige Verfügung ergeht sich über die meteorologischen 
Beobachtungen der Physiker, d. h. der Medizinalbeamten. 

Vor dem Erscheinen der Amtsblätter hatte der Kreis- und Stadt- 
physikus die Verfügungen der Medizinalbehörden den Medizinalpcrsonen durch 
Zirkularien bekannt zu machen. 

Die Approbation eines praktischen Arztes kostete damals 7 Thaler 
11 Groschen 6 Pf., eines Geburtshelfers 3 Thaler 12 Groschen, eines Zahn¬ 
arztes 3 Thaler 22 Groschen. 

Jüdische Aerzte durften erst Praxis treiben, nachdem sio das Staats- 



Aus alten medizinalpolizeilichen Schriften. 


195 


bürgerrecht erlangt hatten; ihnen das Apothekerrecht zu Überlassen wird nicht 
für ratsam gehalten. 

Es wird die Frage aufgeworfen, ob der Arzt befagt sei, neue Versnche 
bei seinen Kranken anzostelien. Er darf keine neuen Versuche machen, 
auch wenn der Kranke einwilligt; hält der Arzt den Versuch indes für nütz* 
lieh, so solle er bei der oberen Medizinalbehörde anfragen — und habe „deren 
Autorisation* abzuwarten. 

Den „thierischen Magnetismus* zu verordnen, wird nur approbierten 
Aerzten gestattet; diese hatten Uber magnetische Kuren zu berichten. 

Ueber Kontrakte mit Armenärzten finden sich Verordnungen. 

Den Chirurgen wird neu eingeschärft, was schon 1736 verboten war, 
Aderlässen zur Unzeit und bei heftigem hitzigen Fieber ohne Anraten eines 
Arztes nicht zu unternehmen. 

Ein Antrag, daß die Personen, welche das Beschneiden der Juden* 
k in der vornehmen, vom Kreisphysikus zu prüfen seien, blieb unberücksichtigt. 

Vor den „Afterärzten“ als Kurpfuschern wird gewarnt. Die Defi¬ 
nition der Kurpfuscherei ist nicht ohne Interesse: „Pfuscherei, ärztliche, 
so heißt es, ist jede von dazu nicht autorisierten Personen unternommene Cur. 
Wer eine solche unternimmt, begeht eine unerlaubte Handlung.“ Das wären 
passende einleitende Worte für ein Kurpfuschereiverbot der Zukunft! 

Ueber das Hebammenwesen finden sich allerhand Belehrungen, sowie 
ein Auszug aus Hägens Hebammen-Katechismus von 1768, dem ersten Lehr¬ 
buch für Hebammen. Hebammenrepitorien werden 1816 eingerichtet. 

Vor Winkelhebammen wird gewarnt, unehelich Geschwängerte 
sollen Gebärhäuser aufsuchen. Die Einrichtung derselben wird eingehend, 
ebenso die Verpflegung beschrieben; diese wird verlockend geschildert; eine 
Notiz heißt: „Auch wird nachmittags Kaffee gegeben.“ 

Die Zuziehung von Wickelfrauen bei Entbindungen seitens der 
Aerzte, anstatt der konzessionierten Hebammen wird verboten; nur die Heb¬ 
amme darf nach der Entbindung eine Wickelfrau annehmen. 

Mitgeteilt wird eine Belenrung des Publikums über die Augen- 
entzündnng Neugeborener, was man heute „Merkblatt“ nennt. 

Pestordnungen werden ausführlich mitgeteilt; Betten von Pest¬ 
kranken sollen verbrannt werden. 

Verordnungen gegen die Blattern und über Schutzpocken¬ 
impfung nehmen naturgemäß einen breiten Baum ein. Das Oberkollegium 
hatte schon 1796 eine Belehrung herausgegeben, wie der Landmann sich bei 
grassierenden Pocken und Scharlachfieber zu verhalten habe. 

Auf die Verschleppung ansteckender Krankheiten durch „Krüppel¬ 
führer* wird aufmerksam gemacht. 

Ein „Typhusmerkblatt“ hatte das Oberkollegium schon 1772 er¬ 
lassen : „Anweisung, auf was Art der Landmann bei gegenwärtig sich äußernden 
hitzigen Fiebern in Ermangelung eines geschickten und erfahrenen Medici sich 
selbst behandeln könne.“ 

Ueber die „häutige Bräune“ wird eine Belehrung der Clever Be- 
gierung veröffentlicht; über die Influenza eine solche der Begierung in 
Marienwerder. 

Die Cholera von 1831 und das ihrem Auftreten entsprossene Begulativ 
von 1835 zeitigte eine große Beihe von Verfügungen, die Augustin aus¬ 
führlich mitteilt und erläutert. 

An dieses Begulativ wird eine Belehrung über die Schwindsucht 
geknüpft, wiederum eine Vorgängerin des modernen Tuberkulosemerkblattes; 
ebenso über Weichselzopf und feuchte Wohnungen. 

Ueber die Desinfektion ergehen auf Grund des Begulativs von 1835 
lange Verordnungen. 

Ueber die venerischen Krankheiten werden Belehrungen gegeben. 

Vor der Verlockung „einfältiger Mädchen“ aus kleinen Städten nach 
Berliner Bordells wird schon 1792 gewarnt. Für Lohn Hurerei treibende 
Dinen halten, war nur mit polizeilicher Erlaubnis gestattet. 

Unter den Titel Volksschriften erwähnt Augustin eine Beihe Be¬ 
lehrungen über die Verhütung und diätetische Behandlung der wich¬ 
tigstes Krankheiten, nachdem schon 1788 die Kirchenpatrone durch die Land- 



136 


Dr. Neumann: Aas alten medizinalpolizeilichen Schriften. 


räte zum Ankauf des Beck er sehen Not* und Hilfsbüchleins aufgefordert 
waren. Wir haben hier anscheinend den offiziellen Anfang der populären medi¬ 
zinischen Literatur vor uns. 

Der Vorgänger des „Pilzbüchleins“ des Kaiserlichen Gesundheitsamtes 
bildet das 1801 an die Schulen verteilte May er sehe Giftpflanzenbach. 

Die Veröffentlichung der Belehrungen geschah offiziell durch 
die Zeitungen. 

Gegen die kontagiöse Augenentzündung wird Mercurius prae- 
cipitatus albus empfohlen und zwar, was modernen Gepflogenheiten ceteris pa- 
ribus entspricht, von der Militär* und Zivil - Medizinalverwaltung gleichzeitig. 

Die Regierung zu Posen erläßt 1819 ein Publikandum über den nach¬ 
teiligen Einfluß des Milzbrandgiftes auf die Gesundheit der Menschen. 

Ueber Vergiftung durch Blut- und Leber Würste ergeht eine lang¬ 
atmige Verfügung über die „bisher unbekannte, unabsichtliche Vergiftung“. 
Eine Reihe von Regierungsverfügongen ergehen sich gegen das Wurstgift. 
Gegen das Käse gif t und seine Wirkung richtet sich eine Verfügung der 
Regierung zu Minden. 

Das Collegium medicum kaufte 1799 dem Apotheker Matthieu ein 
Bandwarmmittel ab, bestehend aus Filix und Zittwer. 

Vor dem Auf brechen der Daumen bei Epilepsie wird gewarnt. 

Es wird angeraten, von Blitz getroffene Scheintote in Erdbäder za 
legen. Zeigt sich, so heißt es wörtlich, „nach drei Stunden im Erdbad keine 
Spur des Lebens, so war der Unglückliche wahrscheinlich allzu heftig vom 
Blitze getroffen und gleich anfänglich getötet.“ 1!! 

Gegen die Krätze wird offiziell Sulphur und Veratram empfohlen. Die 
Bürgermeister werden angewiesen, die Krätzkranken auszumitteln. 

Wider den Hundebiß wird der Mai wurm offiziell empfohlen. 

Ueber den Vagitus uterinus stellt die Wissenschaftliche Deputation 
1816 ein Urteil aus. 

Ueber die Verhütung von Nabelbrüchen ergeht 1828 ein Verordnung 
der Regierung in Minden. 

Für Rettung aus Todesgefahr ergehen lange Edikte. 

Die Totenschau war in einigen Städten obligatorisch. Augustin 
bemerkt, daß die allgemeine Verbreitung dieser nützlichen Anordnung beab¬ 
sichtigt wird. Leider ist sie bis heute noch nicht allgemein gesetzlich. 

Eine Belehrung betrifft das Baden in Flüssen und die Behandlung 
Ertrunkener. Für die Schwimmschule zu Cöln am Rhein wird eine In¬ 
struktion erlassen. 

Ueber die Gefahren des Kohlendunstes erläßt die Regierung in 
Potsdam wiederholte Belehrungen. 

Der Unterrichtsplan der G c d i c k e sehen Krankenwärterschule in Berlin 
wird ausführlich dargestellt. 

In Königsberg wird 1862 ein orthopädisches Institut errichtet, 
welches offiziell empfohlen wird. 

Ueber Schulgesundheitspflege ergeht 1835 eine Zirkularverfügung 
der Regierung in Trier, die einen durchaus modernen Charakter zeigt. 

Vor dem Genuß unreifer Kartoffeln wird gewarnt, ebenso vordem 
kohlensauren Gas in Gärkellern. 

Wer Bier verfälscht, soll für jede Tonne 9 Thaler Strafe zahlen; der 
Denunziant erhielt davon S Thaler mit Verschweigung seines Namens. 

Eine Verordnung von 1817 warnt vor fehlerhafter Brotbereitung. 

Betreffs Schlachthäuser erging schon 1766 eine Verfügung, die 
durchaus modern klingt. Bezüglich der Fleisch sch au heißt es: „In Berlin 
muß jedes Stück Rindvieh vor dem Schlachten besichtigt werden.“ Es folgt 
eine lange Belehrung über die Franzosenkrankheit beim Rindvieh. Vor der 
Schlampefütterung des Rindviehs wird 1835 gewarnt. 

Die Regierung zu Liegnitz empfiehlt eine vom Töpfer Altmann zu 
Bunzlau erfundene Glasurmischung für Topf ge schirre, welche weniger 
Bleigätte enthält, als bisher nötig war. Die Regierung fordert hierbei die 
Töpfer auf, eine Mischung zu finden, die noch weniger Bleiglätte als die Alt¬ 
mann sehe enthält, also sicherer, wie es wörtlich heißt, „jeden Nachteil für die 
Gesundheit ausschließt;“ 



Kleinere Mitteilungen nnd Referate aus Zeitschriften. 


137 


Der Hauptwort wird auf die „Reinlichkeitspolizei* gelegt. 

Die Regierung in Königsberg erlaßt eine Verfügung über die Reinlich¬ 
keit in den Gasthöfen, die durchaus modern klingt. 

Schweineställe, Kloaken, Dünger- und Lohgruben müssen- 
wenigstens 3 Fuß von den benachbarten Gebäuden, Scheuern entfernt bleiben; 
auch müssen sie von Grund aus aufgemauert sein. 

Beim Arsenik erwähnt Augustin die Ministerialreskripte über Ver¬ 
packung und Versendung desselben. 

Die Regierung zu Magdeburg verbietet 1823, EaudeCologne als 
Arzneimittel auzupreisen. 

Geber Geheimmittel finden sich eine Reihe verbietender Verord¬ 
nungen, z. B. des Karras und Ronatsehen Geheimmittels gegen den Hunde¬ 
biß; Verbot des holländischen Gesundheitsbieres, die uns nach Analogie gegen¬ 
wärtiger Warnungen ganz modern anmuten. Auch vor den Gosundheitsbittern 
wird gewarnt, tout comme chex nous. 

Die Regierung zu Bromberg empfiehlt 1824 die Methode des Zollbeamten 
Hellmund gegen den Krebs, bestehend in der Applikation von Arsenik, 
S&nguis draconis und Cinabaris, Perubalsam und Kosmisches Pulver. 

Die wichtigen Neuerung en auf medizinischem Gebiet scheinen 
damals offiziell empfohlen worden zu sein; so empfiehlt die Regierung zu Minden 
1831 den Gebrauch der Baumwolle anstatt der Chnrpie, auf welche, wie die Be¬ 
kanntmachung sagt, Hofrat Dr. Faust in dem Bückcburgischen Landesanzciger 
aufmerksam macht. Dieselbe Regierung empfiehlt 1828, Chlorkalk eingeatmet 
als Wiederbelebungsmittel und belegt diese Empfehlung mit einer ausführ¬ 
lichen Krankheitsgeschichte. 

Geber Luftreinigung finden sich mehrere Reskripte. 

Müll er sehe Fiebertropfen werden als Gcheimmittel gebrandmarkt. 
Leber den Blutegelhandel, auf dessen Hebung Prämien gesetzt waren, 
erlassen verschiedene Regierung Verordnungen. 

Die karze etwas aphoristische Auslese aus den alten Schriften 
zeigt, wie eingehend schon damals die Warnungen und Belehrungen 
der Vorgesetzten Behörden waren, wie sie mannigfache Analogien 
und Anklänge an das Gebrauchtum der Jetztzeit zeigen und zu 
einem immerhin interessanten Vergleich auffordern. 


Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 

Sachverständigentätigkeit in Unfall- und Invalidi täts- 

sachcn. 

Zur Begutachtung Unfallverletzter. Von Geb. Med.-Rat Dr. L. Becker. 
Aerztl. Sachverst.-Ztg.; 1904, Nr. 24. 

Alle fachmännischen Gutachten, im Bauwesen, in chemischen Fragen, 
in der Maschinenkunde, in Handelssachen, auch in tierärztlichen Streitfragen, 
können auf ein allgemein festgestelltes tatsächliches Material fußen. Bei der 
Begutachtung eines Unfallverletzten kommt jedoch ein begutachtendes Moment, 
die Glaubwürdigkeit der Angaben des Untersuchten, in Frage und muß bejaht 
oder verneint werden. Bei der Beantwortung dieser Frage, speziell bei man¬ 
gelndem objektiven Befund, tritt der Arzt gewissermaßen aus der Stelle eines 
Sachverständigen heraus und wird Richter. Nach Autors Erachten muß 
von jedem Arzte, welcher einen Verletzten für einen Simulanten erklärt, ver¬ 
langt werden, daß er sein Urteil begründet. Simulation und Täuschung sollte 
nur dann angenommen werden, wenn die voigebrachten Beschwerden einem 
positiven Befunde direkt widersprechen oder in direktem Widerspruch stehen 
mit der allgemeinen ärztlichen Erfahrung Uber die Folgen der geschehenen 
Verletzung. 

Ueber den ursächlichen Zusammenhang einer Krankheit und einen vor¬ 
auf gegangenen Unfall faßt Becker seine Erfahrungen in den Satz zusammen: 
-Wenn wir nun bei den traumatischen Krankheiten nach Art der Vcrletznng, 
nach dem zeitlichen Verlaufe, nach der Lokalisation und sonstigen Begleit¬ 
erscheinungen schließen müssen, daß gewisse wesentliche Bedingungen zur 



138 


kleiner« Mittelläufen und Referate aus Zeitschriften. 


Entwicklung des resultierenden Krankheitszustandes dadurch gegeben werden 
so müssen wir die Ursächlichkeit bejahen, auch wenn fttr unser fachmännisches 
Verständnis noch manches fehlt.“ 

Der Begriff der „Entstehung“ einer Krankheit, aber die wir riehter- 
licherseits gefragt werden können, interpretiert Becker dahin, daB Entstehung 
und Entwicklung als gleichbedeutend anzusehen sind, und daß in diesem Sinne 
die richterliche Frage zu beantworten ist. Tun wir dies, so dienen wir in 
sachgemäßer Weise den praktischen Zwecken, welche die soziale Gesetzgebung 
von uns fordert. Die Begriffe „Entstehung“ und „Entwicklung“ können wir 
umsomehr als gleichbedeutend ansehen, als nach der Rechtsprechung des R.- 
V.-A. ausdrücklich die Verschlimmerung eines schon bestehenden Leidens durch 
einen Unfall in bezug auf die Entschädigungspflicht der Entstehung desselben 
gleich zu achten ist 

Becker schließt mit den Worten: „Da es sich aber bei der Begut¬ 
achtung Unfallverletzter um unsere Mitwirkung bei einem sozialen Fttrsorge- 
gesetz handelt, so kann es fttr einen humanen Arzt keinem Zweifel unterliegen, 
daß er sich nie durch doktrinäre Befangenheit, noch durch schroffe Vorein¬ 
eingenommenheit, noch ungerechtfertigtes Mißtrauen in seinem Urteil beeinflussen 
lassen darf, sondern unter gewissenhafter Abwägung aller Umstände, auch 
derjenigen, welche außerhalb der engeren Fachwissenschaft liegen, zu einem 
unparteiischen Gutachten kommen muß.“ 

Dr. Tröger -Adelnau. 


Ueber Unfallbegutachtung bei zweifelhafter Sachlage. Von Prof. 
Dr. R. Stern in Breslau. Aerztl. Sachverst.-Ztg.; 1905, Nr. 1. 

Die Entscheidung über den ursächlichen Zusammenhang zwischen Un¬ 
fällen und inneren Krankheiten ist für den Arzt in der Unfallbcgutachtung die 
schwierigste. Hier kommen nicht selten Fälle zur Begutachtung, in denen die 
Sachlage zweifelhaft, die Entscheidung schwierig oder unmöglich ist. Die 
Gründe hierfür liegen 1) in der ungenügenden Feststellung des Tatbestandes, 
ä) in dem anscheinenden Fehlen einer Kontinuität zwischen Unfall und Ent¬ 
wicklung der Krankheit, 3) in den Mängeln unserer gegenwärtigen Kenntnisse 
über die Bedeutung des Traumas für die Entstehung von Krankheiten. Bei 
etwaigem Fehlen der Kontinuität zwischen Unfall und Krankheit müssen die 
Aerzte sich die Frage vorlegcn, ob das „freie Intervall“ zwischen dem Trauma 
und den ersten Krankhoitssymptomen mit unseren sonstigen ärztlichen Er¬ 
fahrungen vereinbar ist, ob wir trotz dieses Intervalls es für wahrscheinlich 
halten dürfen, daß der Unfall eine Wirkung auf die Entwicklung der Krank¬ 
heit gehabt hat. Eine sichere Entscheidung ist in derartigen Fällen meist 
nicht möglich, außer wenn eine Operation oder die Obduktion den Zusammen¬ 
hang erweist. Zu Punkt 3 plaidiert dann Stern fttr ein öfteres „non liquet*. 
Dies geschieht bis jetzt in der Unfallbegutachtung sehr selten. Der Arzt soll 
weder Behörden und Patienten zuliebe ein bestimmtes Urteil abgeben, Bondern 
er muß stets auf dem Boden der Tatsachen bleiben; er darf nicht unsichere 
Behauptungen mit dem Scheine der Sicherheit vortragen. 

Dr. Tröger-Adelnau. 


Neue Vorschläge für die Feststellung des Grades der Erwerbs¬ 
unfähigkeit. Von Hans Seelmann, stellvertretender Magistratskommissar 
fttr die Invalidenversicherung zu Königsberg LPr. Archiv fttr soziale Medizin 
und Hygiene; I. Bd., 1. Heft. 

In dem im Verlage von F.C.W. Vogel neu erscheinenden Archiv 
(neue Folge der Monatsschrift für soziale Medizin), herausgegeben von Dr. Fürst 
und Dr. J af f 6-Hamburg, bespricht Verfasser die heutige Art der Begutachtung 
von Anwärtern auf Invaliden- und Unfallrente. Diese Materie ist gerade in 
der jüngsten Zeit Gegenstand vieler Erörterungen gewesen, die auch zur 
Formulierung neuer Vorschläge seitens einiger auf dem einschlägigen Gebiets 
erfahrenen Autoren geführt haben. Theoretisch ist das Verfahren so geregelt, 
daß der Arzt nur den Krankheitsbefund feststellen soll, während die Rontcn- 
festsetznngsinstanzen auf Grund des Vorgefundenen Befundes den Grad der 
Erworbsfäbigkeit feststellen sollen. In dor Praxis wird davon abgewichen, 
weil der Arzt zugleich abschätzen soll, am wieviel Prozent der Versicherte 



Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften. 139 

m seiner Erwerbsfähigkeit beeinträchtigt ist. Nach Verfasser ist aber der 
int an einer richtigen Schätzung gar nicht imstande, weil dazu nicht ledig* 
Heb medizinische Kenntnisse gehören, sondern auch eine gewisse juristische 
Schulung, Kenntnisse über die Lage des Arbeitsmarktes, die Verrichtungen in 
des einzelnen Berufen usw. Um in einer Rentensache ein zutreffendes Urteil 
abzageben, gehören hiernach immer zwei, der Arzt und der Laie. Soll ein 
gedeihliches Zusammenwirken stattfinden, so müssen beide örtlich und zeitlich 
Zusammenarbeiten. Bei der heutigen Art der Beurteilung kann dies nur bei 
der unteren Verwaltungsbehörde stattfinden, welcher leider nur die Begut¬ 
achtung der Rentenanträge, nicht aber die Entscheidung über dieselben obliegt 
Man hat nun die Forderung aufgesteilt, daß diejenigen Aerzte, welche sich 
■it der Begutachtung von Erwerbsfähigkeit beschäftigen, sich die nötigen 
Kenntnisse auf diesem Gebiete der Verwaltung aneignen. Da dies nach Ver¬ 
fassers Ansicht kaum verlangt werden kann, so muß man umgekehrt von der 
Bentenfestsetzungsinstanz verlangen, daß sie sich durch Selbststudium soviel 
Kenntnisse aneignet daß sie beurteilen kann, wie die vom Arzte festgestellten 
krankhaften Veränderungen auf die Leistungsfähigkeit einwirken, welche Be¬ 
schwerden die Krankheit verursacht usw. Verfasser bedauert es daher, daß 
es nicht ein von einem Arzt geschriebenes, für Nicbtmediziner berechnetes 
Handbuch gibt, in welchem für die gewöhnlichsten und häufigsten Krankheiten 
die nötige Aufklärung gegeben wird. Mit Recht ist dom Verfasser schon von 
ärztlicher Seite erwidert worden, daß es nicht möglich sei, über all diese 
Fragen dem Laien die notwenige Belehrung zu geben. Dieses Selbststudium 
genügt dem Verfasser allerdings auch nicht, sondern er wünscht eine Abände¬ 
rung des ganzen heutigen Systems und formuliert seine Wünsche in folgenden 
Sätzen: 

1. Die erstinstanzliche Entscheidung über den Rentenanspruch muß den 
Versicherungsanstalten und Berufsgenosscnschaften abgenommen und in die 
Hand der lokalen Behörden gelegt werden, die über ihn nach mündlicher Ver¬ 
handlung unter Zuziehung des Rentenbewerbers entscheiden. 

2. Als lokale Behörden sollen nicht die unteren Verwaltungsbehörden 
fungieren, sondern es sind für diese Zwecke besondere Dienststellen einzurichten. 

3. Von den Beamten dieser neuen sozialen Lokalbehörden ist eine be¬ 
sondere, für ihre Dienstzwecke zugeschnittene Vorbildung zu fordern. 

Was die letztere Forderung betrifft, schlägt Verfasser vor, daß die be¬ 
treffenden Beamten zunächst ein juristisches und staatswissenschaftliches Studium, 
insbesondere der sozialpolitischen Gesetze zu absolvieren hätten. Daneben 
sollte ein medizinisches Studium stattfinden, natürlich nicht dasselbe wie das 
für die Fachmediziner übliche; es wäre insbesondere zu treiben Anatomie und 
die Lehre von den Beschwerden, welche die einzelnen Krankheiten machen, 
letztere vielleicht in Verbindung mit der pathologischen Anatomie. Dadurch 
sollten die Verwaltungsbeamten befähigt werden, die ärztlichen Gutachten zu 
rersteheu und Schlüsse aus ihnen zu ziehen. Die Kompetenzen dieser sozialen 
Lok&lbehörden könnten dahin erweitert werden, daß ihnen die Durchführung 
der sämtlichen sozialen Gesetze übertragen wird. 

Ob diese Vorschläge praktisch durchführbar sind, erscheint uns zweifel¬ 
haft: wir wollen außerdem hervorheben, daß bei dem heutigen Verfahren viel¬ 
fach Verbesserungen möglich sind, z. B. müßte bei jeder Beurteilung eines 
Beutenbewerbers durch den Arzt nicht nur die Frage nach dem Prozentsätze 
zu beantworten sein, sondern auch eine Begründung hierfür verlangt werden. 
Auch können wir nicht einsehen, weshalb es den ärztlichen Gutachtern, welche 
sich viel mit der Abschätzung der Erwerbsfähigkeit beschäftigen (ich denke 
hierbei besonders an die beamteten Aerzte), unmöglich sein sollte, sich die 
sötigen sozialen Kenntnisse anzneignen, besonders wenn sich die Renten¬ 
bewerber vorwiegend ans einem bestimmten Stande (Landwirtschafts-, Fabrik¬ 
arbeiter) rekrutieren. Dr. Israel-Fischhausen. 

Ueber den Begriff und die Möglichkeit des Nachweises der „wesent¬ 
lichen Veränderung 4 * bei Unfallhysterlkern Von Prof. Dr. Windscheid. 
AentL Sachverst-Ztg.; 1904, Nr. 24. 

Der § 88, Abs. 1 des G.-U.-V.-G. sagt: „Tritt in den Verhältnissen, 
welche für die Festsetzung der Entschädigung maßgebend gewesen sind, eine 
wesentlich« Veränderung ein, so kann eine anderweite Feststellung erfolgen. 



140 


Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


Windscheid beschäftigt sich nun allein mit dem Nachweis der 
Besserung durch die Berufsgenossenschaft, da er der weitaus richtigere ist. 
Der Nachweis der Verschlimmerung, der vom Verletzten zu führen ist, erfolgt 
übrigens nach denselben Grundsätzen. Nach prinzipieller Bejahung der Frage, 
ob denn eine Unfallhysterie überhaupt einer Besserung fähig sei, wird ausge¬ 
führt, daß der Weg zum Nachweise der Besserung gangbar sei mit Hilfe a) 
des Arztes, b) des Vertrauensmannes, c) anderweitiger Erörterungen. 

Erforderlich ist, 1) daß die Begutachtung des einzelnen Falles in einer 
Hand bleibt, 2) daß eine ständige Kontrolle des ünfallhysterikers durch erneute, 
in regelmäßigen, nieht zu großen Zwischenräumen, deren Größe von Fall zu 
Fall festzusetzen ist, vorzunehmende ärztliche Untersuchungen und Begutach¬ 
tung stattfindet. Diese Untersuchungen finden am zweckmäßigsten in klinischen 
Instituten statt. 

Wissenschaftliche, objektive Zeichen der Hysterie und somit auch der 
Unfallhysterie sind die hysterogenen Zonen -Ovarie, Nostalgie, Femoralgie, 
die Beflexstörungen — Erhöhung der Patellarreflexe, Aufhebung oder Herab¬ 
setzung der Konjunktivalreflexe und des Gaumenreflexes —, Störungen der 
Sensibilität — Hemihyp- und Anaesthesien, manschettenförmige Anaesthesien —, 
Einengung des Gesichtsfeldes, funktionelle Störungen der Sinnesorgane, das 
Rombergsche, das Rosenbachsche Phänomen, die Klopfempfindlichkeit 
des Schädels, die Druckempfindlichkeit der Orbitalnerven, der Tremor der 
Zunge und der Extremitäten, die erhöhte Herztätigkeit, die nicht in ihrem Ver¬ 
hältnis zu ihrem Umfange stehende Kraft der Extremitätenmuskulatur, die 
Demographie — um nur die hauptsächlichsten Symptome aufzuzählen. 

Die subjektiven Empfindungen der Patienten wird der Gutachter ge- 
nauestens registrieren; er wird ihnen jedoch bei der Frage der Besserung kein«) 
Wert beilegen, sondern nur überlegen, inwieweit die Intensität der subjektiven 
Empfindungen sich mit den objektiven Erscheinungen vereinbaren läßt bezw. welche 
Veränderungen hierin gegen früher eingetreten sind. Bei der arbeitenden 
Klasse wird man auf Veränderung des körperlichen Zustandes durch besseres 
Aussehen oder Gewichtszunahme Wert legen, desgleichen auf die Erhöhung 
des Arbeitsverdienstes bei regelmäßiger Arbeit. Es sind dies Anhaltspunkte 
für die Beurteilung der Besserung. 

Die sekreten Beobachtungen nnd Mitteilungen seitens des Ver- 
trauensmannes sind geeignet, in wertvoller Weise die Beurteilung des Falles 
zu unterstützen, da er oft in der Lage ist, Tatsachen zu erbringen, die dem 
Arzte niemals zu Ohren kommen. Auf medizinisches Gebiet darf er jedoch 
nicht übertreten. Arzt und Vertrauensmann zusammen bilden das Fundament 
für Beurteilung eines Falles. 

Anderweitige Erörterungen sind Auskünfte von Behörden über Ar¬ 
beitsverdienst, Verhalten des Verletzten, Leumund usw. 

Bei der Unfallhysterie hält Windscheid den Arzt für den alleinigen 
kompetenten Sachverständigen, das Schiedsgericht mit seinen Laienrichtern 
muß hier, im Gegensatz zu anderen Begutachtungen, zurücktreten. 

Als einziges Heilmittel für die Unfallhysterie sieht Windscheid, ich 
glaube shmtliche Aerzte werden ihm Dank hierfür wissen, die Arbeit an. 
„Jeder Weg, auf dem er (der Verletzte) sich dieses Heilmittel verschaffen 
kann, soll uns (Aerzte) recht sein — leider wird er es selber nur in den aller¬ 
wenigsten Fällen freiwillig tun. Da müssen andere für ihn die Aufgabe über¬ 
nehmen, ihn wieder zu einem brauchbaren Mitgliede der menschlichen Ge¬ 
sellschaft zu machen. Und das kann nur geschehen, indem man den Nachweis 
der Besserung erbringt und auf dieser Basis die Rente verkürzt, allerdings — 
und das habe ich immer wieder betont — in kleinen vorsichtigen Sprüngen.“ 

Dr. T r ö g e r - Adelnau. 


Zur Würdigung des traumatischen Ursprungs akuter Infektions¬ 
krankheiten. Von Prof. Dr. Fttrbringer in Berlin. Aerztl. Sachverst.- 
Ztg.; 1904, Nr. 24. 

Den Fall Lippmanns von „traumatischem Scharlach“ beanstandet 
Darbringer im Gegensatz zu anderen Autoren nicht. (Ein 8jähriger Knabe, 
•l' T vor 6 und 3 Jahren Scharlach überstanden und Tonsillenhypertrophie, 
zuriickbehalten hatte, erkrankte unmittelbar im Anschluß an eine Ohrfeige 



Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


141 


wieder an Scharlach, and zwar nach Ansicht Lippmanns durch Sprengung der 
Schutzhülle eines verborgenen tonsillaren Scharlachherdes durch das Trauma). 

Zu dem * chirurgischen Scharlach“ steht Fürbringer auf dem Stand¬ 
punkt, daß eine Uebertragung des akuten Exanthems durch Infektion einor 
aus Verletzungen bezw. Operationen resultierenden Wunde — sie kann beim 
Ausbruch der Krankheit geheilt sein — sehr wohl möglich ist, aber der Be¬ 
troffene nur .etwas leichter“ von der Krankheit ergriffen wird, als es sonst 
bei ihm der Fall gewesen wäre. Eine Verwechselung mit scharlachähnlichcn, 
besonders septischen Erythemen ist natürlich ausgeschlossen. Die Abhängigkeit 
such anderer akuter Exantheme von Verletzungen sind Fürbringer litte- 
r&risch nicht bekannt geworden. Dasselbe gilt von Typhus. 

Die Entwicklung von Miliartuberkulose bezw. die Uoberführung ört¬ 
licher, chronischer Tuberkulose in das manifeste Stadium der allgemeinen akuten 
miliaren Form auf metatastischem Wege durch Verletzungen von Skeletteilcn 
oder intensive Erschütterung des Brustkastens gehört zu den meist durchsich¬ 
tigen, gewissermaßen regelrechten Vorkommnissen. Stern nennt auch den 
Durchbruch einer tuberkulösen Lymphdrüse in ein Blut- oder Lymphgefäß eine 
theoretische Möglichkeit des Zusammenhangs der akuten Infektionskrankheit 
mit einem Trauma. 

Bei Milzbrand, den man nach Fürbringer getrost zu den Wund¬ 
infektionskrankheiten im weitesten Sinne zählen kann, mag in dem oder jenen 
Falle, in welchem die Annahme irgendwelcher Hautverletzung schlechterdings 
gezwungen erscheint, auch die Respirationsschleimhaut als Eingangspforte in 
Betracht kommen. Aehnlich liegen die Verhältnisse bei Tetanus, der Lyssa 
und dem Rotz. Bei der Lyssa interressiert hier der Satz: „Die Möglichkeit 
daß infektionsfähige, also das Krankheitsgift schon in den Speicheldrüsen be¬ 
herbergende Hunde, ohne überhaupt Krankheitssymptome zu zeigen, wieder 
gesunden, ist noch nicht einwandsfrei erwiesen.“ Von der W ei Ischen Krank¬ 
heit ist Fürbringer kein Fall in der Litteratur bekannt geworden, des¬ 
gleichen ist ihm nicht von der Influenza ihre direkte Verbindung zu einem 
Trauma in Erinnerung. Den akuten Gelenkrheumatismus hält Fürbringer 
für einen wohl charakteristischen, spezifischen Krankheitsprozeß, dessen Ur¬ 
sache noch nicht sicher ermittelt ist. Mit Bezug auf seine Entstehung wird 
mit Recht von der Mehrzahl der Autoren zur Anerkennung der hinreichenden 
Wahrscheinlichkeit des Zusammenhangs der Nachweis der Kontinuität der Er¬ 
scheinungen verlangt. Die Zwischenzeit zwischen Unfall und Beginn des akuten 
Gelenkrheumatismus muß, dem ganzen Charakter derselben entsprechend, nur 
eine kurze, nach Tage und Standen sich berechnende sein; je kürzer der 
Intervall, um so wahrscheinlicher der Zusammenhang. 

Dr. Tröger-Adelnau. 


Pneumonie und Unfall. Von Dr. Meyer in Brück. Aerztl. Sachverst.- 
Ztg.; 1906, Nr. 1. 

Was die Häufigkeit der durch Unfall verursachten Pneumonien anbe¬ 
trifft, so hat Litten eine Frequenz von 4,4°/o hcrausgerechnet; Stern gibt 
2,4*/*, Demuth 1,6°/o, Jürgensen 0,13°/o an. Autor selbst rechnet 1,8 °/„ 
heraus. Ein Zeitraum von 8—48 Stunden zwischen dem Unfall und dem Beginn 
der Pneumonie ist die Norm. Verfasser publiziert zwei neue Fälle, die jedoch 
etwas Besonderes nicht bieten. Er tritt dann in eine ausführliche Erörterung 
der theoretischen Entstehungsmöglichkeiten der Kontusions-Pneumonie ein; er 
selbst neigt der Ansicht zu, daß bei der Kontusion des Brustkorbes geringe 
Blutungen auftreten, ohne daß deswegen blutiger Auswurf vorhanden zu sein 
kraucht. Daß das extravasierte Blut einen hervorragenden Nährboden für 
den Pneumococcus abgibt, ist bekannt. Weshalb, so meint Autor, sollte man 
ik> die Möglichkeit verneinen, daß Pneumokokken weniger virulenten Charak¬ 
ters oder in geringer Zahl, die unter normalen Umständen keinen infek¬ 
tiösen Charakter ausüben würden, auf diesem guten Nährboden sich ansie- 
deln, sich vermehren oder an Virulenz gewinnen und nunmehr erst ihre schäd¬ 
liche Wirkung entfalten. 

Einen sicheren anatomisch begründeten Beweis über dies Thema zu 
fuhren, ist vor der Hand nicht möglich, für den Gutachter kann es jedoch 



142 


Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


genügen, wenn er nur die Wahrscheinlichkeit ursächlichen Zusammentreffens 
beweisen kann. Dr. T r ö g e r - Adelnau. 

Ein Fall ron traumatischer Lungenhernie ohne äussere Verletzung. 
Aus der orthopädischen Heilanstalt von Dr. Cahen und Fulda in Mannheim; 
mitgeteilt von Dr. Cahen. Münchener med. Wochenschr.; 1905, Nr. 1. 

Dem 40 jährigen Tabakarbeiter J. H. war Ende Februar 1904 eine Tabak¬ 
kiste gegen (len rechten Oberarm gefallen, wobei er mit dem Thorax an ein* 
Wand gedrückt wurde. Zunächst äußerten sich die Unfallfolgen nur in Be¬ 
wegungsstörungen im Schultergelenk, welche sich bald wieder besserten. 

Bei der vor der beabsichtigten Entlassung vorgenommenen Untersuchung 
erklärte der Verletzte, er habe seit einigen Tagen beim Bücken das Hervor- 
treten einer Geschwulst auf der rechten Seite der Brust bemerkt. Die Kon- 
trolluntersuchung bestätigte tatsächlich die Hervorwülbung einer Geschwulat 
im rechten Sternoklavikufarwinkel beim Bücken, welche in aufrechter Stellung 
wieder verschwand. Außerdem ergab die Untersuchung des Thorax und der 
Brustorgane nichts Bemerkenswertes. Wie beim Bücken, so wölbte sich auch 
bei forzierter Exspiration (Pressen) die Geschwulst im rechten Sternoklavikular- 
muskel wieder vor, schob sich nach unten über die 2. Rippe, nach oben über 
die Clavicula und lag schließlich schräg über Clavicula und Sternum, tob 
Gestalt und Größe eines Hühnereies. 

Die Untersuchung über der Geschwulst ergab hellen Lungenschall 
und vesikuläres Atmen; 2 mit der Pravazspritze vorgenommene Probe¬ 
punktionen hatten negatives Resultat. Hierdurch und durch spätere Einklem¬ 
mungen der Hernie war die Diagnose gesichert. Die Frage der Berufsge¬ 
nossenschaft, ob die Hernie als Unfallfolge zu betrcchten sei, wurde bejaht, 
weil bei Würdigung aller in Betracht kommenden Verhältnisse sowohl das 
Angeborensein der Hernie, als deren Akquisition vor dem Unfälle anszuschließen 
war und in den meisten bisher beschriebenen derartigen Fällen darauf hinge¬ 
wiesen wurde, daß die Hernie, wie im vorliegenden Falle, erst einige Wochen 
nach dem erlittenen Unfälle aufgetreten war und beobachtet wurde. Der Um¬ 
stand, daß eine Rippenfraktur fehlte, spricht ebenfalls nicht gegen die unfalls¬ 
weise Entstehung der Hernie, da es sehr leicht möglich erscheint, daß bei 
einer starken Quetschung des Thorax durch das an die Wand Gedrücktwerden 
nur eine Zerreißung der lnt6rkostalnmskalatnr ohne Rippenfraktur erfolgte 
und durch die so entstandene Muskellücke allmählich Lungengewebe hindurch¬ 
drängte und die Hant vorwölbte. Eine Besserang des Zustandes war nnr 
durch operativen Eingriff zu erwarten. Als Rente wurden 40°/ 0 vorgeschlagcn. 

_ Dr. W a i b e 1 - Kempten. 

Syringomyelie und Trauma. Von Dr. W. Wild. Aerztl. Sachverat.- 
Ztg.; 1905, Nr. 1. 

Die Anschannng, daß die Syringomyelie eine der häufigsten Rücken¬ 
markskrankheiten ist, ist noch nicht allgemein bekannt. Der Grand hierfür 
liegt allgemein darin, daß die meisten und gerade grandlegenden Arbeiten 
auf diesem Gebiete dem praktischen Arzte schwer zugänglich sind. Die Krank¬ 
heit wird im Anfang sehr häufig nicht erkannt. — Die Ansicht der Autoren 
(vor allem Kienböck, Schlesinger» über den Zusammenhang von Syringo¬ 
myelie und Trauma geht dahin, daß die eigentliche progressive Syringomyelie 
resp. ihre Anlage angeboren ist, und daß das Trauma ebenso wie andere 
schädliche Einflüsse (Temperatur, Infektionskrankheiten usw.) nur den Anstoß 
zu ihrer Weiterentwicklung gibt, während eine eigentliche, durch Trauma ent¬ 
standene Syringomyelie bisher noch nicht sicher beobachtet worden ist. Ptlr 
die Unfallver8icherungsgesctzgebung genügt jedoch bekanntlich die verschlim¬ 
mernde Wirkung des Unfalles, um einen Rcntenanspruch zu begründen. 

Aus zwei Krankengeschichten zieht Autor die Mahnung, daß es sich 
dringend empfiehlt, nach jedem Unfälle, der seinem Verlauf nach eine schwöre 
Einwirkung auf das Rückenmark zur Folge gehabt haben kann, eine genaue 
Untersuchung des Nervensystems anzustellen. Finden sich dann an den oberen 
Extremitäten Muskelatrophicn, die für Syringomylie typisch bekannt sind, oder 
an den Beinen Sensibilitätsanomalien mit vorwiegender Störung des Schmerz- 
und Temporatnrsinncs, Krümmung der Wirbelsäule, Erhöhung der Pateller- 



Kloimsrs Mitteilungen and Rofernte aaa Zeitschriften. 


143 


rsfiexs, etwaige tropische Störungen an Haut und Gelenken usw., so ist der 
Verdacht auf Syringomyelie begründet. l)er weitere Verlauf wird dann er¬ 
gaben, ob der Unfall mit einiger Wahrscheinlichkeit eine verschlimmernde 
Wirkung ausgeübt hat oder nicht. Dr. T röger-Adelnau. 


Die Bedeutung des Im Knie gelegenen Fettgewebes für die Unfall¬ 
heilkunde* Von Geh. Kat Prof. Dr. Hoffa in Berlin. AerztL Sachverat.-Ztg.; 
1*06, Nr. 1. 

An einem gesunden Kniegelenk finden sich hinter dem Ligament, patell&e 
drei Synovialfalten, die beiden Plic&e al&res und die Plica synovialis patellaris. 
Die Piicae alares bestehen aus Fettgewebe, welches, von einem Bezüge der 
Synovialis bekleidet, in der Form eines lappigen Lipoms von dem vorderen 
Schienbeinrande aus in die Gelenkhöhle hineinprominiert. Der mittlere Teil 
dieses Fettgewebes wird von außen her durch das Lig. patellae bedeckt, wäh¬ 
rend seine seitlichen Partien dieses Band noch um ein gutes Stück überragen. 
Wichtig ist es, daß dieses Fettgewebe stets mit zwei oder drei Zotten frei in 
das Gewebe hinein endigt. Von der höchsten Spitze der Piicae alares, genau in 
Mittellinie, erhebt sich ein bindegewebiger, aber auch meist fetthaltiger Strang 
von wechselnder Dicke, der sich in der Fossa intercondyloidea femoris ansstzt, 
die Plica synovialis patellaris. 

Dieses normale Fettgewebe kann nun gelegentlich in „entzündliche Hyper¬ 
plasie unter Durchwachsung des Fettgewebes durch ein derbes fibröses Binde¬ 
gewebe* geraten infolge Traumen, die das Kniegelenk treffen, oft gar nicht 
•ehr erheblicher Natur. Es entwickelt sich dann hinter und zu beiden Seiten 
des Lig. patellae ein dicker, derber Fettklumpen. Von dem normalen Fett¬ 
gewebe unterscheidet sich eine solche Fettmasse bereits makroskopisch wesent¬ 
lich in drei Punkten: hinsichtlich ihrer Größe (bis weit über Hühnercigröße), 
ihrer Farbe (’reingelb, häufiger aber rötlichgelb), und ihrer viel derberen Konsi¬ 
stenz. Histologisch handelt es sich um einen im Fettgewebe unter dem En¬ 
dothel der Synovialis, auch unter deren Beteiligung abspielenden Entzündungs¬ 
prozeß, und zwar findet man alle Stadien der Entzündung. 

Dieser entzündliche Prozeß ist, da alle anderen ätiologischen Momente , 
fehlen, regelmäßig dagegen ein Trauma angegeben wird, auf dieses als 
ursächliches Moment zurückzuführen. Das Trauma kann auch von dem Inneren 
des Gelenks ausgehen, insofern das Fettgewebe durch einen chronischen Reiz- 
instand des Gelenkes selbst in Mitleidenschaft gezogen werden kann. 

Die Elinklemmungen der vergrößerten Zotten zwischen die Gelenkkörper 
machen nun die charakteristischen Erscheinungen, welche die Patienten zum 
Arzte führen. Es handelt sich um typische Einklemmungscrscheinungcn, wie 
sie uns namentlich von den freien Gelenkkörpern her bekannt sind. 

Der objektive Befund ist ein charakteristischer. Man findet zunächst 
die mehr oder weniger erhebliche Quadricepsatrophie. Dann ist aber eine fast 
typische Anschwellung des Kniegelenks vorhanden. Diese Anschwellung sitzt 
bei sonst intaktem Gelenk dicht unterhalb und zu beiden Seiten der Patella. 
Es ist eine pseudofluktuierende Anschwellung, die das Lig. patellae in die 
Höhe hebt. Der obere Becessus des Gelenks ist frei. Sobald man aber die 
Teile seitlich neben der Patella prüft, fühlt man die teigige Anschwellung, 
die sich bis unter das Lig. patellae verfolgen läßt. Man muß beide Knie ver¬ 
gleichen, am besten in der Weise, daß man die Patienten mit entblößtem Knie 
vor sich hintreten und die Knie durchdrücken läßt. Es kommt dann die stär¬ 
kere Anschwellung zu beiden Seiten des Lig. patellae deutlich zum Ausdruck. 
Im übrigen ist das Gewebe vollständig intakt. Dr. Tröger- Adelnau. 


Fassgelenksdistorsion als Todesursache; ein Beitrag zu Unfällen. 
Von Dr. Walter Fürstenheim, Assistenzarzt am städt. Krankenhause in 
Hinehberg (Schles.). Münchener mediz. Wochenschr.; 1904, Nr. 47. 

Ein früher stets gesunder, 30 jähriger Stellenbesitzer erlitt ca. 5 Wochen 
zuvor b eim Mistausräumen in der Abflußrinne der Stalljauche eine Fußver- 
(Uachung mit Anschwellung des nach außen umgeknickten Fußes, so daß 
laufen nur unter Schmerzen möglich war. 8 Tage später wurden die linke 
2. und 3. Zehe kalt, nach 14 Tagen verfärbten sich die Zehen blau und wurden 
bald darauf gangränös. Nach Absetzung der Zehen (n. L i s f r a n c) zeigte sich 



144 


Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


beim Verbandwechsel der Brand fast bis zu den Knöcheln vorgeschritten, Ra¬ 
dialpuls beiderseits nicht fühlbar, Puls an der Schläfe 142, sehr klein, im Urin 
Eiweiß, Temp. 38,2, im Kreuz eine talergroße, gangränöse Hautstelle, Erschei¬ 
nungen einer foudroyanten Peritonitis, Temperaturerhöhung bis 39,3°, am fol¬ 
genden Tage, also 3 Tage nach der Operation, bereits Exitus. 

Die pathologisch - anatomische Diagnose lautete auf Qrund des Sektions¬ 
befundes: Thrombosis der Vena tibialis postica unterhalb des Malleolus inter¬ 
nus ; trockener Brand des linken Fußes; chronische parenchymatöse Nierenent¬ 
zündung; Stauungsmilz; frische Bauchfellentzündung. Alte Kavernen in 
beiden Lungen, in deren Wand miliare Tuberkeln. Lymphdrüscnerweiterang 
in der Brust- und Bauchhöhle, Lungenerweiterung. Doppelseitige Pleuritis 
exsudativa-adhasiva. Lymphangitis am linken Oberschenkel. 

Das Zusammentreffen von Eiterung und Qangrän ist eine klinisch wohl- 
bekannte Erscheinung. Die Qangrän kann sich an die Eiterung und umgekehrt 
die Eiterung an Qangrän anschließen. Im vorliegenden Falle ist die Eiterung 
als Folge der Qangrän anzusehen. Qegen die Annahme, daß die Eiterungs¬ 
prozesse älteren Datums als die Qangrän seien, spricht die Tatsache, daß Pa¬ 
tient fieberfrei ins Krankenhaus eingeliefert wurde. 

Mit großer Wahrscheinlichkeit ist die alte Tuberkulose, mehr noch die 
schwere Nephritis für die Entstehung des Brandes verantwortlich zu machen; 
denn eine Fußverstauchung an sich führt doch kaum zu derartiger Qangrän, 
ebensowenig freilich eine bloße Tuberkulose oder B r i g h t sehe Krankheit. 
Wohl läßt sich aber annehmen, daß bei der schon bestehenden „Dyskrasie“ 
ein geringer Anlaß die Blutgerinnung im Qefäß und damit den Brand herbei¬ 
zuführen genügte. Von sonstigen Ursachen der Qangrän kann Altersbrand 
nicht in Frage kommen, ebensowenig Zuckerkrankheit beim vollständigen 
Fehlen von Zucker im Harn. Auch für nervöse Störungen als Ursache des 
Zehenbrands sind keine Anhaltspunkte da. Patient hat nie Mutterkorn ge¬ 
nommen, auch kein Karbol an seinen Fuß gebracht. Es bleibt demnach nur 
die Annahme einer mechanischen Verlegung des Qefäßlumens (Abknickung) 
übrig, womit Alter und Beselin ffenkeit des Pfropfens gut übereinstimmen. 
Tuberkulose als Todesursache ist abzulehncn, weil sich miliare Knötchen aus- 
* schließlich in den Kavernenwänden befanden, und auch hier nur solche älteren 
Datums, weil ferner in den frisch vereiterten Lymphdrüsen keine Tuberkel- 
bazillen gefunden wurden. 

Das Endgutachten spricht sich demnach „mit aller Wahrscheinlichkeit 
für eine gewaltsame Einwirkung (Abknickung der Vena tib. post.) als Ursache 
des Fußbrandes aus. Die giftigen Zerfallprodukte des brandigen Gewebes sind 
in die Lymphbahnen aufgesaugt worden und haben zur Vereiterung der Bauch- 
und weiterhin der Brustlymphdrüscn geführt. Von jenen pflanzte sich der 
Entzündungsprozeß auf das Bauchfell, von diesen auf die Lunge fort. Wie 
weit eine schon bestehende schlechte Blutbeschaffenheit (Nierenentzündung, 
alte Tuberkulose) das Entstehen des Gefäßpropfes bei der Abknickung — ein 
immerhin seltenes Ereignis — begünstigt hat, kommt für die rechtliche Seite 
des Falles nicht in Frage. Der Tod ist mittelbare Folge des Unfalls.“ Die 
Hinterbliebenen bekamen die Rente zugesprochen. Dr. W a i b e 1 - Kempten. 


Ursächlicher Zusammenhang zwischen einem Beinbruch und eitrigen 
Blutschw&ren (Furunkulose) an dem verletzten Beine. Obergutachten, 
erstattet auf Ersuchen des Reichs-Versicherungsamts unterm 17. Juli 1903 
von Dr. Lassar, a. o. Professor an der Universität Berlin. Ebenda. 

Es ist in der Tat mit hoher, an Gewißheit grenzender Wahrscheinlich¬ 
keit anzunehmen, daß der am 19. September 1902 eingetretene Tod des Bier¬ 
fahrers Franz T. in B. mit dessen Unfall vom 26. Februar 1902 in einem mittel¬ 
baren, jedoch ausgesprochenen ursächlichen Zusammenhänge steht. 

Gründe: Offenbar war der Patient zur Zeit des Unfalls, als er wegen 
seines Beinbruchs in ärztliche Behandlung trat, im übrigen gesund und hat 
weder über Ekzeme, noch sonstige Hauterkrankungen geklagt. Die Ab¬ 
schürfungen und Hautblasen, welche mit dem UnfaUe verbunden waren, sind 
zur Heilung gelangt. Dagegen muß in den durch den Beinbruch herbei¬ 
geführten Aenderungen im normalen Kreisläufe des verletzten Beines bereits 
eine Schädigung erblickt werden. Nun ist der Verunglückte znr Nachbehand- 



Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


146 


lang in die Dr. M.'sche Heilanstalt gelangt, und von dieser Zeit erst datieren 
die Klagen über Jucken und Reizzustände der Haut. Mag auch dahingestellt 
bleiben, ob dieselben rein zufälliger Natur gewesen sind, so ist doch anzu- 
n ebnen, daß unter der vorausgegangenen notwendig gewesenen Verband behänd* 
lang eine Reizung entstanden ist, zu der sonst ein Anlaß sich nicht finden 
läßt, und an welcher der Patient auch vordem nach Aussage des Herrn Dr. A. 
nicht gelitten hat. Derartige Hautreizungen kommen nach chirurgischer und 
orthopädischer Behandlung ohne jedes Verschulden der Aerzte einfach als 
Folge der erforderlich gewordenen Maßnahmen vor. Alsdann ist eine nicht 
näher bezeichnete indifferente Salbe dem Patienten übergeben, und dieser einer 
liassagekur unterzogen worden. Nun steht erfahrungsgemäß fest, daß Furunku¬ 
lose (Eintritt von Eitererregern in die Haut) nach Massage zu entstehen ver¬ 
mag. Dies kann herrühren entweder von Fcttsalben, die in Zersetzung über¬ 
gegangen sind, oder durch verschmutzende Beimengungen einer an sich ein¬ 
wandfreien zur Massage dienenden Fettmischung. Ob T. sich durch Massieren 
mit eigener oder fremder Hand dieses weitertragende Uebel zugezogen hat, 
darf nicht als maßgebend erachtet werden. Jedenfalls hat ein Zusammenhang 
zwischen dem Beinbruche, dessen direkten Folgen und der später aufgetretenen 
eitrigen Blutvergiftung stattgefunden. Bis zu dem Unfall und unmittelbar 
nach ihm war nach allseitiger übereinstimmender Aussage ein Hautleiden nicht 
vorhanden. Infolge des Beinbruchs ist bei dem 61 jährigen Manne eine geringere 
Widerstandskraft des ganzen Beines zurückgeblieben. Dazu trat ein im Ver¬ 
laufe der Behandlung, wo der Kranke jeder weiteren Schädlichkeit entrückt 
war, auftretendes Ekzem. Dieses kann, wie erwähnt, eine Folge der Verbände, 
oder eine Folge der durch den Unfall bedingten Stauungen gewesen sein, 
welche zu juckenden Hautveränderungen führen. Das Jucken führt zum 
Kratzen, und durch die kleinen Kratzwunden wird die Empfänglichkeit der 
Hautljmphwege für krankmachende Einflüsse (Eitererreger) tatsächlich ge¬ 
steigert. Wird eine solche Haut nun, sei es durch einen unglücklichen Zufall, 
durch Vernachlässigung, durch Unsauberkeit der Hände oder durch zersetzte, 
beziehentlich verschmutzte Salben angegriffen, so kann sich eine eitrige Blut¬ 
vergiftung hieraus ohne weiteres ergeben. 

Diese meine Ansicht findet auch in dem Gutachten des Krankenhaus- 
urztes B. vollständige Bestätigung. Die Vorfälle haben sich folgendermaßen 
abgespielt: 

Beinbruch bei einem älteren Manne — längere Rekonvaleszenz — 
reMicrende Schwäche und schwere Beweglichkeit — juckende Ekzeme an dem 
verletzten Beine — Massagebehandlung — Auftreten von eitrigen Blutschwären 
iFurunkeln) — Eitervergiftung (Pyämie) — Tod. 

Es fehlt an jedem Grunde für die Annahme, daß der Patient in der 
geschilderten Weise weiter erkrankt und verstorben wäre ohne den voraus¬ 
gegangenen Unfall Somit muß der Tod als in einem mittelbaren ursächlichen 
Zusammenhänge zu dem erlittenen Unfälle stehend angesehen werden. 


Ursächlicher Zusammenhang zwischen einer einmaligen zu starken 
Röntgenbestrahlung einer Hand und einer an derselben Hand anfgetretenen 
Krebsbildung. Obergutachten, erstattet auf Ersuchen des Reichs-Ver- 
sicherungsamts unterm 10. September 1903 von Geh. Med.-Rat Professor 
Dr. Renvers in Berlin. Amtliche Nachrichten des Reichsversicheningsamtes; 
Jahrg. 1904, Nr. 12. 

Ans den Akten geht mit Sicherheit hervor, daß B. infolge seiner Be¬ 
schäftigung mit Röntgenstrahlen an chronischen Hautveränderungen an den 
Extremitäten und am Oberkörper litt, die sich durch eine vermehrte Pigment- 
bildung, Trockenheit der Haut und Haarausfall bemerkbar machten. Es steht 
durch Zeugenaussagen, sowie durch die Aussagen des Patienten selbst weiterhin 
fest, daß außer diesen allgemeinen, als Gewerbekrankheit aufzufassenden Haut- 
Störungen infolge der Röntgenstrahleneinwirkung eine zeitlich und örtlich be¬ 
grenzte Erkrankung am Handrücken sich im Mai 1899 bildete, die laut Zeugen¬ 
aussagen Blatt 14 v der Schiedsgerichtsakten zunächst als eine Säureverbrennung, 
dann aber als eine direkte Wirkung der Röntgenstrahlen auf die schon ver¬ 
änderte Haut aufgefaßt wurde. Diese im Mai 1899 akut aufgetretene Haut¬ 
verbrennung führte zu einer Geschwürsbildnng an dieser Hautstelle, die nun- 



146 


Kleinere Mitteilung©» «nd Referat« iu Z«it»ohrifte«. 


mehr Gegenstand andauernder ärztlicher Behandlung wurde. Im Verlaufe der 
folgenden Jahre verhärteten sich allmählich die Bänder des Geschwürs, welches 
nicht zur Vernarbung zu bringen war. Nachdem nun im Anschluß an dieses 
Geschwür eine Drüsenerkrankung in der Ellenbogenbeuge aufgetreten war, 
konnte durch die mikroskopische Untersuchung eines ausgeschnittenen Ge¬ 
schwürsteils eine bösartige Krebsneubildung festgestellt werden, welche die 
Absetzung des ganzen rechten Armes notwendig machte. 

Es fragt sich nun: In welchen Zusammenhang ist die Krebsbildung mit 
der Böntgenstrahlenerkrankung zu bringen, und ist letztere eine einfache Ge¬ 
werbeerkrankung oder lag bei der Bildung des Geschwürs im Mai 1899 ein 
Unfall vor? 

Die Beschäftigung mit den Böntgenstrahlen hat uns gelehrt, daß bei 
häufiger Anwendung derselben oder zu starker Bestrahlung oder zu großer 
Annäherung der Röntgenröhre an die Haut Veränderungen der bestrahlten 
Haut eintreten, die sich im wesentlichen als Verbrennungserscheinungen charak¬ 
terisieren. Eine besondere Eigentümlichkeit dieser zunächst entzündlichen Vor¬ 
gänge ist der rasche Uebergang in atrophische Veränderungen. Damit in Zu¬ 
sammenhang zu bringen ist die stets sich zeigende mangelhafte Ernährung der 
ergriffenen Hautpartien. Gerade infolge dieser atrophischen Hautveränderungen 
und der damit im Zusammenhänge stehenden ungünstigen Ernährungsverhält- 
nisse sind die Begenerationsprozesse sehr langsame. Wunden infolge von 
Röntgenbestrahlungen bestehen monatelang und trotzen allen Wundheilmitteln. 
Daß eine solche langdauernde Wundheilung den Boden für alle möglichen In¬ 
fektionen ebnet, ist leicht verständlich. Wenn auch die Ursache der Krebs¬ 
erkrankung noch nicht klargelegt ist, so sind doch viele Anhaltspunkte für die 
Annahme vorhanden, daß ein von außen eintretendes Agens die Krebsentwicke¬ 
lung veranlaßt, wenn der Boden dafür empfänglich geworden ist. In diesem 
Sinne wird man die Frage des Zusammenhanges der Krebsbildung mit der 
Böntgenverbrennung dahin beantworten müssen, daß die chronischen entzünd¬ 
lichen Hautvorgänge die Entwickelung der Krebskrankheit veranlaßt oder 
mindestens begünstigt haben. 

Die Krobsentwickelung trat aber außerdem an einer Stelle auf, die durch 
eine zeitlich deutlich abgegrenzte Einwirkung der Böntgenstrahlen im Mai 1899 
besondere Verbrennungsveränderungen erlitten hatte. Während eine Gewerbe¬ 
krankheit sich schon längst entwickelt hatte, trat durch eine als Unfall auf¬ 
zufassende zu starke Bestrahlung das Geschwür auf, welches die Veranlassung 
zur Krebsbildung und Amputation wurde. 

Ich gebe mein Obergutachten dahin ab, daß mit großer Wahrscheinlich¬ 
keit die krebsige Erkrankung mit der im Mai 1899 erlittenen Röntgenverletzung 
in Zusammenhang gebracht werden muß. 

Ueber traumatische Entstehung von Leistenbrüchen. Von Dr. B e r n e r 
in Fürstenberg. Aerztl. Sachverst.-Ztg.; 1904, Nr. 23. 

Verfasser resümiert dahin: 

1) Es gibt eine besondere Bruchanlage, die angeboren oder erworben 
sein kann. 

2) Die Mehrzahl der Leistenbrüche Erwachsener entsteht allmählich 
durch eine Verstülpung des Bauchfells, die wir als Bruchsack bezeichnen. 

81 Eine plötzliche, gewaltsame Entstehung eines Leistenbruchs in allen 
seinen Bestandteilen ist theoretisch undenkbar und praktisch nicht erwiesen; 
ohne Bruchsack keinen Bruch! 

4) Die plötzliche Vergrößerung eines in der Entstehung begriffenen 
Leistenbruches ist möglich und muß, wenn durch Betriebsunfall nachgewiesener¬ 
maßen entstanden, im Sinne des Gesetzes begutachtet und entschädigt werden. 

5) Die Diagnostik eines Unfallbruches bleibt eine Wahrscheinlichkeits¬ 
diagnostik, da ein bestimmtes Symptomenbild fehlt. Dr. T r ö g e r - Adelnau. 

Tod durch Perforation eines Darmgeschwürs. Unfall verneint. 
Bekurs-Entscheidung des Reichs-Versicherungsamtes vom 
26. September 1904. 

Der Tod des F. kann als Folge eines Betriebsunfalls nur dann angesehen 
werden, wenn als bewiesen oder wenigstens als wahrscheinlich anzunehmen 



Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


147 


wäre, daß irgend eine Betriebstätigkeit oder ein Betriebsvorgang eine „wesent¬ 
liche“ Einwirkung auf den krankhaften Zustand des Verstorbenen anagetlbt 
und so dessen Tod mitherbeigeführt hätte. Ein solcher Beweis oder eine der¬ 
artige Wahrscheinlichkeit liegt aber nicht vor. Nach den übereinstimmenden 
Gutachten des Dr. M. vom 8. Dezember 1903 und des Dr. B. vom 11. August 
1904 muß als erwiesen erachtet werden, daß F. an einer eitrigen Bauchfell¬ 
entzündung gestorben ist und daß das Durchbrechen eines Darmgeschwürs zu 
dieser Krankheit geführt hat. Nach der Annahme des Dr. B. befand sich das 
Geschwür am Todestage des F. kurz vor dem Durchbruch. Es genügte also 
der geringste Anlaß, diesen Durchbruch herbeizuführen. Demgemäß hätten 
auch, selbst wenn eine Betriebshandlung oder ein Betriebsvorgang, wie etwa 
das Aufheben eines Gegenstandes, einen solchen Anlaß zum Durchbruche des 
Geschwürs gegeben hätte, diese Vorgänge doch damit nicht auch eine „wesent¬ 
lich“ mitwirkende Ursache zur Verschlimmerung und zum Tode des F. dar¬ 
gestellt Diese Ursache war vielmehr allein oder wenigstens nahezu aus¬ 
schließlich in dem Geschwüre zu finden, welches auch ohne eine solche 
Betriebshandlung in kurzer Frist unvermeidlich zum Durchbruche gekommen 
wäre und zum gleichen Ausgange geführt haben würde. Die Betriebshandlung 
hätte dann also nicht ein notwendiges Glied in dem ursächlichen Zusammen¬ 
hänge zwischen Krankheit und Tod gebildet. Schon deshalb, weil somit der 
Betrieb nicht wesentlich zu dem tödlichen Ausgange mitgewirkt hat, kann 
ein Betriebsunfall als erwiesen nicht angesehen werden. 

Dazu kommt daß es überhaupt an einem Beweise dafür fehlt daß ein 
Betriebsvorgang irgendwie, wenn auch nur einigermaßen den Krankheitsprozeß 
beeinflussend, mitgewirkt hat. Wenn der Zeuge K. bekundet hat, daß der 
Verstorbene sich gebückt und dann, plötzlich sich erhebend, krampfhaft die 
Arme zusammengeschlagen habe, so ist damit noch nicht erwiesen, daß das 
einmalige, einfache Bücken einen Anlaß zum Durchbruch des Darmgeschwürs 
gebildet hat. Vielmehr kann umgekehrt die Körperbewegung, die dem Zeugen 
als ein Bücken erschien, vielleicht ein Sichkrümmen infolge des durch einen 
plötzlichen Durchbruch des Geschwürs hervorgerufenen heftigen Schmerzes 
gewesen sein. Die erstere Möglichkeit kann um so weniger als wahrscheinlich 
angenommen werden, da der Verstorbene bei dem Bücken nicht etwa einen 
schweren Gegenstand aufgehoben hatte, wodurch der Durchbruch des Ge¬ 
schwürs als Folge der mit dieser Anstrengung verbundenen Pressung des 
Unterleibes erklärlich erschiene. Daß er überhaupt, um einen Gegenstand auf¬ 
zuheben, sich gebückt hat, ist lediglich eine Vermutung des K., und es fehlt 
daher auch an einem ausreichenden Anhalte dafür, daß das Bücken eine Be¬ 
triebshandlung war. Hiernach können auch die von den Klägern angeführten 
Rekursentscheidungen nicht mit Recht zum Vergleiche herangezogen werden, 
da in den diesen Entscheidungen zugrunde liegenden Fällen mit Betriebstätig¬ 
keiten verbundene erhebliche Anstrengungen als wahrscheinliche Ursachen für 
die wesentlichn Verschlimmerung in der Entwickelung begriffener Leiden in 
Betracht kamen. Da somit ein Betriebsunfall als Ursache des Todes nicht 
dargetan ist, so liegt eine Entschädigungspflicht der Berufsgenossenschaft nicht 
vor, und es mußte daher der Rekurs zurückgewiesen werden. 

Kompaß; 1904, Nr. 24. 


Die Möglichkeit, dass ohne einen lm Betrieb zugestossenen (Beh¬ 
ang der Hüftgelenksmuskeln durch Ansrutsehen auf einem Trittbrett) 
Uafkll der Tod bei einem tuberkulösen Arbeiter nicht ganz so früh etn- 
fstreten sein würde, berechtigt nicht, das Ableben als durch den Betriebs- 
nhll verursacht anzunehmen. Entscheidung der Sächsischen 
Landesversicherungs-Anstalt vom 28. April 1904. 


Ha Versicherter ist ohne triftigen Grund nicht berechtigt, das nach 
118 des Invalidenverslcherungsgesetxes mit seiner Einwilligung ein geleitete 
Heilverfahren zu unterbrechen und die Krankenanstalt zu verlassen. 
Rekurs-Ent'scheidung des Reichs-Versicherungsamts vom 
11 Januar 1904. Amtliche Nachrichten des Reichsversicherungsamtes; 
1904, Nr. 11. 

Nach § 18, Abs. 2 des Invalidenvereicherungsgcsetzcs bedarf zwar die 
Utberaahme des Heilverfahrens der Zustimmung des Versicherten, wenn er 



148 


Kleinere Mitteilungen nnd Referate ans Zeitschriften. 


verheiratet ist usw. Ist aber das Heilverfahren mit Einwilligung des Erkrankten 
übernommen, so ist er ohne triftige Gründe nicht mehr berechtigt, das Heil¬ 
verfahren zu unterbrechen und damit seinen Erfolg in Frage zu stellen. In 
dem Gesotz ist kein Anhalt dafür gegeben, daß auch das weitere Verbleiben 
des verheirateten Erkrankten von seiner Zustimmung abhängig ist, vielmehr 
gibt der § 22 des Invalidenversicherungsgcsetzes den Versicherungsanstalten 
ganz allgemein die Befugnis, dem Versicherten, der sich den gemäß §§ 18, 19 
von den Versicherungsanstalten getroffenen Maßnahmen ohne gesetzlichen oder 
sonst triftigen Grund entzogen hat, die Invalidenrente auf Zeit ganz oder teil¬ 
weise zu versagen, sofern er auf diese Folgen hingewiesen worden ist und 
nachgewiesen wird, daß die Erwerbsunfähigkeit durch sein Verhalten veranlaßt 
ist. Der von dem Kläger in der Bevisionsinstanz geltend gemachte Grund, 
daß er keine Besserung gespürt und sich auch wegen der Sehnsucht nach seiner 
Frau und seinen sieben Kindern in der Heilanstalt nicht habe erholen können, 
rechtfertigt die Unterbrechung des Heilverfahres nicht, weil der Kläger seine 
eigene Ansicht über den Erfolg der Kur nicht über das sachverständige Er¬ 
messen der behandelnden Aerzte stellen durfte und mit Bücksicht darauf die 
Sehnsucht nach seiner Frau und Kinder überwinden mußte. Der Kläger ist 
auch von dem Arzte ausdrücklich auf die Folgen der Unterbrechung der Kur 
aufmerksam gemacht worden. 


Feststellung der Entschädigungen. Bundschreiben des Bcichs- 
VersicherungBamts vom 15. N ovember 1904 — I. 23696 — an die 
Berufsgenossenschaftsvorstände. 

I. Mitwirkung der Berufsgenoasensohaften bei den poliaeilichen 

Unfallunternuohungen. 

§ 3. c) Insbesondere scheint die auf Antrag der Berufsgenossenschaften 
seitens der Untersuchungsbehörde zu bewirkende Zuziehung von Sachverständigen 
(§ 65, Abs. 2 G. U. V. G., § 72, Abs. 2 L. U. V. G.) nicht in dem wünschens¬ 
werten Umfange zu erfolgen. Die erforderliche Aufklärung der in Betracht 
kommenden technischen und medizinischen Fragen ist häuflg nur auf diesem 
Wege zu erreichen. 

§ 4. d) Da die Kosten der pflichtmäßigen behördlichen Unfallunter- 
suohung (§ 2), zu der unter Umständen auch eine Leichenöffnung gehört, 
nicht von den Berufsgenossenschaften zu tragen sind, während ihnen die aus der 
beantragten Zuziehung von Sachverständigen (§ 3) erwachsenen Kosten zur 
Last fallen, so haben die Berufsgenossenschaftsorgane bei ihren eine Einwirkung 
auf die behördlichen Untersuchungsverhandlungen bezweckenden schriftlichen 
oder mündlichen Anträgen deutlich zum Ausdrucke zu bringen, ob sie die Er¬ 
ledigung der Anträge gemäß § 64 G. U. V. G., § 71 L. U. V. G. kostenlos 
erwarten oder gemäß § 65, Abs. 2, § 144 G. U. V. G., § 72, Abs. 2, §. 154 L. 
U. V. G. begehren und somit etwaige Kosten (§ 144, Abs. 2 G. U. V. G., § 154, 
Abs. 2 L. U. V. G.) erstatten wollen. 

IL Die ernte Feststellung der Entschädigung durch die Berufs- 

genossenschaft. 

A. Ansprüche der Verletzten. 

1. Vorbereitung der Bescheidserteilung. 

§ 6. a) Erlangt die Berufsgenossenschaft Kenntnis von einem Betriebs¬ 
unfälle, durch den ein Versicherter eine — nicht offenbar bedeutungslose — 
Verletzung erlitten hat, oder werden Entschädigungsansprüche aus einem Un¬ 
fälle bei ihr erhoben, so ist die Beschlußfassung des Feststellungsorgans mit 
möglichster Beschleunigung vorzubereiten. Ausreichende Anhaltspunkte werden 
in vielen Fällen die Vorverhandlungen, insbesondere die Ergebnisse der polizei¬ 
lichen Unfalluntersnchung bieten. Andernfalls sind die Ermittelungen durch 
Bückfrage bei dem Betriebsunternehmer oder dem Verletzten (gegebenenfalls 
durch Vermittelung des Vertrauensmanns), durch Einholung ärztlicher 
Gutachten oder in sonst geeigneter Weise zu ergänzen. 

§ 7. b) Die Art und der Umfang der zu erhebenden Beweise ist im 
allgemeinen dem pflichtmäßigen Ermessen der Berufsgenossenschaft überlassen. 
Nur in dem Falle des § 69, Abs. 3 G. ü. V. G., § 75, Abs. 8 L. U. V. G. ist 



Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften. 


149 


diese an bestimmte Vorschriften gebunden. Hiernach kann die Ablehnung einer 
Entschädigung oder die Bewilligung einer Teilrento auf Grund eines ärzt¬ 
lichen Gutachtens nur dann erfolgen, wenn vorher der behandelnde 
Arzt oder, falls dieser zu der Genossenschaft in einem Vertragsverhältnisse 
steht, auf Antrag des Berechtigten ein anderer Arzt gehört ist (wegen des 
Begriffs »behandelnder Arzt" und wegen der etwaigen Notwendigkeit der 
Anhörung mehrerer behandelnder Aerzte zu vergl. Besch. 1843, A. N. 1901, 
8 . ISO und Bek. E. 2072, A. N. 1904 S. 619) *)• Die Vorschrift ist von dem Ge¬ 
setzgeber für so wichtig erachtet worden, daß in ihrer Außerachtlassung ein 
wesentlicher Mangel des Verfahrens erblickt werden muß, der die höheren In- 
«Unzen zur Zurückweisung der Sache an eine der Vorinstanzen berechtigt 
t Bek. E. 2001 und 2002, A. N. 1903, 8. 472). -) 

In welcher Form und in welchem Umfange die Anhörung des Arztes 
zn erfolgen hat, richtet sich nach den Umständen des Einzelfailes, ohne daß 
allgemeine Grundsätze sich darüber aufstcllen ließen. Erforderlich ist nur, daß 
der Sachverständige hinsichtlich der ärztlichen Beurteilung des Falles zum 
Worte gelangt (Bek. E. 2047, A. N. 1904, S. 412). Dies aber muß unbedingt 
geschehen, es genügt daher nicht, daß dem Arzte lediglich eine Aeußerung 
anheimgestellt wird; liegt eine solche nicht schon vor, so muß vielmehr die 
Berufsgenossenschaft sie ihrerseits berbeiführen (Bek. E. 2072, A. N. 1904, 
8.619). Das Ersuchen an den Arzt darf dabei nicht in einer 
Weise erfolgen, daß dieser die Auffassung gewinnen kann, 
es werde auf die Aeußerung kein Gewicht gelegt oder es 
werde ihm keine Vergütung gewährt werden. 

Aus der bezeichneten Vorschrift folgt übrigens nicht etwa, daß in jedem 
Falle die Einholung zweier ärztlicher Gutachten erforderlich wäre, das Gut¬ 
achten des behandelnden Arztes kann vielmehr — abgesehen von dem bezeich¬ 
neten Anträge des Berechtigten — auch für sich allein als ausreichend ange¬ 
sehen werden (Besch. 1879, A. N. 1901, 8. 569). Anderseits findet die Vorschrift 
dann keine Anwendung, wenn die Feststellung nicht auf Grund eines ärztlichen 
Gutachtens, sondern unabhängig von einem solchen erfolgt (Bek. E. 1877, 
A. N. 1901, 8. 557).») 

2. Vorbescheid. 

§ 9.Endlich ist der angenommene Grad der durch den Unfall 

verursachten Erwerbsunfähigkeit anzugeben. Hierbei sind die tatsächlichen 
Verhältnisse, auf die sich die Annahme gründet, unter Bezeichnung der Beweis¬ 
mittel, insbesondere der für maßgebend erachteten ärztlichen Gutachten, zu 
erörtern (bezüglich der Bedeutung der ärztlichen Gutachten für die 
Feststellung des Maßes der Erwerbsunfähigkeit zu vergleichen 
Rundschreiben vom 31. Dezember 1901, A. N. 1902, S. 178). 4 ) In geeigneten 
Fällen ist auch der Inhalt dieser Gutachten wenigstens insoweit zur Kenntnis 
des Verletzten zu bringen, als er für die Bemessung der Entschädigung ma߬ 
gebend ist. 

3. Berufsmässiger Bescheid. 

§ 13. c) Für den Inhalt des berufungsfähigen Bescheids gilt in sach¬ 
licher Beziehung im wesentlichen dasselbe, was oben von dem Vorbescheide 
gesagt ist. 

VI. Heilverfahren. 

A. Heilverfahren im allgemeinen. 

§ 40. a) Die Berufsgenossenschaft hat die Pflicht, dem Verletzten seit 
Beginn der vierzehnten Woche nach dem Unfälle neben der Bcnte die in dem 
§ 1, Abs. 1, Ziffer 1 G. U. V. G., § 8, Abs. 1, Ziffer 1 L. U. V. G. vorge¬ 
schriebenen Leistungen (zu denen unter Umständen auch die Lieferung 
nad Instandhaltung künstlicher Gliedmaßen gehört — Besch. 


') Siehe Nr. 19 dieser Zeitschrift; Jahrg. 1901, 8. 644 und Nr. 16, Jahrg. 
1904, 8. 628 und nachstehend 8. 153. 

*) 8iehe Nr. 18 dieser Zeitschrift; Jahrg. 1903, 8, 674. 

*) Siehe Nr. 19 dieser Teitschrift; Jahrg. 1901, 8. 645. 

4 ) Siche Nr. 5 dieser Zeitschrift; Jahrg. 1902, 8. 177. 




150 Kleinere Mitteilungen und Referate aua Zeitschriften. 

1861 und 2006, A. N.1901, S. 398 und 1903, S. 476 —) zu gewähren *). Es 
steht ihr frei, zu diesem Zwecke ihrerseits Maßnahmen zu treffen, also nament¬ 
lich ein Heilverfahren einzuleiten. Ist das Heilverfahren einmal abgeschlossen, 
so ist sie jedoch zur erneuten Einleitung eines solchen nur unter den Vor¬ 
aussetzungen des § 23, Abs. 1 G. U. V. G., § 24, Abs. 1 L. U. V. G. befugt. 

b) Vor Beginn der vierzehnten Woche seit dem Unfälle liegt, abgesehen 
von den Fällen des § 13 G. U. V. G., § 16 L. U. V. G., die Fürsorge für den 
Verletzten, insbesondere also auch dessen ärztliche Behandlung der Kranken¬ 
kasse nach Maßgabe de3 § 6 des K. V. G. oder in dem gleichen Umfange dem 
Betriebsunternehmer gemäß § 12, Abs. 2 G. U. V. G. ob. Die Berufsgenossen¬ 
schaft hat jedoch das Recht, schon während dieser Zeit auf Grund des § 76 c 
des K. V. G. „das Heilverfahren* und ebenso gemäß § 12, Abs. 2 G. U. V. G. 
„die dem Unternehmer obliegenden Leistungen ganz oder teilweise* zu über¬ 
nehmen. Die Uebernahme ist an keinerlei Förmlichkeiten gebunden, sie erfolgt 
durch eine entsprechende Mitteilung an die Krankenkasse oder den Unternehmer 
unter Benachrichtigung des Verletzten. Umgekehrt ist die Berufsgenossenschaft 
nach § 11, Abs. 1 G. U. V. G., § 14, Abs. 1 L. U. V. G. befugt, der Kranken¬ 
kasse, welcher der Verletzte angehört oder zuletzt angehört hat, „die Fürsorge 
für den Verletzten“, also die Heilbehandlung und etwaige Geldentschädigung, 
über den Beginn der vierzehnten Woche hinaus bis zur Beendigung des Heil¬ 
verfahrens in demjenigen Umfange zu übertragen, den sie für geboten erachtet. 
Die Uebertragung der Fürsorge erfolgt ebenfalls durch einfaches Ersuchen der 
Berufsgenossenschaft an die Krankenkasse unter Benachrichtigung des Verletzten. 

c) In allen diesen Fällen, sowohl vor wie nach Beginn der vierzehnten 
Woche seit dem Unfälle, kann dem Verletzten an Stelle der sonstigen Leistungen 
einschließlich der Rente unter den Voraussetzungen des § 7 K. V. G. „freie 
Kur und Verpflegung in einem Krankenhause“ und unter denen des § 22, § 23, 
Abs. 1 G. U. V. G., § 23, § 24, Abs. 1 L. U. V. G. „freie Kur und Verpflegung 
in einer Heilanstalt“ gewährt werden (§§ 41 ff.). 

B. Heilanstaltsbehandlung. 

1. Anwendungsgebiet der Gesetze. 

§ 41. Liegt die Fürsorge für den Verletzten der Krankenkasse ob, so 
richtet sich die Gewährung der Krankenhausbehandlung, auch wenn das Heil¬ 
verfahren von der Bernfsgenossenschaft übernommen wird, nach den Vorschriften 
des K. V. G. (Besch. 1424, A. N. 1895, S. 222). 

Hat dagegen die Berufsgenossenschaft die dem Unternehmer nach § 12, 
Abs. 2 G. U. V. G. obliegenden Leistungen übernommen, oder liegt ihr selbst 
bereits die Entschädigungspflicht ob, so sind hinsichtlich der Heilanstaltsbehand¬ 
lung, gleichviel ob diese dem Verletzten unmittelbar durch die Berufsgenossen- 
schaft oder durch Vermittelung der Krankenkasse gewährt wird, die Vor¬ 
schriften der Unfallversicherungsgesetze maßgebend. 

2. Ausübung des Wahlrechts der Berufsgenossenschaft. 

§ 42. Nach § 22, Abs. 1, § 23, Abs. 1 G. ü. V. G., § 23, Abs. 1, § 24, 
Abs. 1 L. U. V. G. steht ausschließlich der Bernfsgenossenschaft, falls die 
dortigen Voraussetzungen gegeben sind, das Wahlrecht zwischen den in den 
§§ 9 und 12 G. U. V. G., § 8 L. U. V. G. vorgeschriebenen Leistungen und der 
Gewährung freier Kur und Verpflegung in einer Heilanstalt zu. Eine Heil¬ 
anstaltsbehandlung kann also wedor von dem Verletzten gefordert, noch der 
Berufsgenossenschaft von den Rechtsmittelinstanzen auferlegt werden. Ihre 
Anordnuig liegt auch nach Ablauf von fünf Jahron seit der Rechtskraft der 
ersten Entschädigungsfeststellung in der Hand der Berufsgenossenschaft und 
ist auch frei von den Jahresfristen des § 88, Abs. 2 G. U. V. G., § 94, Abs. 2 
L. U. V. G. Die Heilanstaltsbehandlung darf indessen nur durch Erteilung 
eines berufungsfähigen Bescheides angeordnet werden (§ 69, Abs. 1, Ziffer 1 d 
G. U. V. G., § 76, Abs. 1, Ziffer 1 d L. U. V. G.). Wird ein förmlicher Bescheid 
nicht erteilt, so können aus der Weigerung des Verletzten, sich in die Heil¬ 
anstalt zu begeben, keine Rechtsnachteile für diesen hergeleitet werden. 

Befindet sich der Verletzte noch nicht anderweitig in Heilanstaltsbehand- 


*) Siehe Nr. 17 dieser Zeitschrift; Jahrg. 1901, S. 582 und Nr. 24, Jabr<j. 
1903, S. 881. 



Kleinere Kitteilangen and Referate »ne Zeitschriften. 


161 


lang, so ist es in eilbedtirftigen Fällen zulässig, daß der Vorsitzende oder 
sin sonstiges Mitglied des Feststellangsorgans kraft einer ihm allgemein er¬ 
teilten Ermächtigung zunächst eine formlose Aufforderung an den Verletzten 
richtet, sich in eine zu bezeichnende Heilanstalt zu begeben. Diese Anordnung 
ist alsdann aber unter möglichster Beschleunigung durch Erteilung eines be- 
rnfongsfähigen Bescheides zu bestätigen. 

Die Berufsgenossenschaft kann von dem ihr zustehenden Wahlrecht 
weh noch nachträglich Gebrauch machen, wenn der Verletzte ohne ihr Zutun 
in einer Heilanstalt untergebracht war. Diese Befugnis steht ihr jedoch ohne 
Zustimmung des Berechtigten nur so lange zu, als die Heilanstaltsbehandlung 
■och nicht abgeschlossen ist. 

3. Inhalt und Anfechtung des Einweisungsbescheids. 

§ 43. ln dem Einweisungsbescheide muß mit klaren Worten zum Aus¬ 
drucke gebracht werden, daß dem Verletzten an Stelle der sonstigen Leistungen 
freie Kur und Verpflegung in einer bestimmten Heilanstalt gewährt werden 
solle. Die gesetzlichen Grundlagen für diese Form der Entschädigung (§ 22, 
Abs. 1, § 23, Abs. 1 G. ü. V. G., § 23, Abs. 1, § 24, Abs. 1 L. U. V. G.), sowie 
gegebenenfalls der wesentliche Inhalt der hierbei für maßgebend erachteten 
ärztlichen Gutachten sind dem Verletzten mitzuteilen. Da die genannten Be¬ 
stimmungen im Falle einer Untersuchung oder vorübergehenden Beobachtung 
in einer Heilanstalt nicht anwendbar sind, so ist eine unbestimmte Fassung 
des Bescheides etwa dahin, daß die Einweisung „zwecks Beobachtung bezw. 
ärztlicher Behandlung“ erfolge, nicht zulässig. Es empfiehlt sich, dem Ver¬ 
letzten in dem Bescheide zugleich zu eröffnen, daß er in der Heilanstalt zu 
verbleiben habe, bis er von der Berufsgenossenschaft oder den zuständigen 
Aerzten entlassen werde, und daß er sich in der Anstalt den ihm vorge¬ 
schriebenen Uebungen und Kuren zu unterwerfen habe. Der Bescheid muß 
ferner den Hinweis auf die Folgen einer etwaigen Weigerung des Verletzten, 
wie sie in dem § 23, Abs. 2 G. U. V. G., § 24, Abs. 2 L. U. V. G. angedroht 
werden (§ 46), enthalten. Es kann in ihm endlich der Zeitpunkt angegeben 
werden, an welchem sich der Verletzte in der Heilanstalt einfinden solle, wobei 
«ri dessen persönliche Verhältnisse Rücksicht zu nehmen ist. 

Wird innerhalb der ersten fünf Jahre seit der ersten rechtskräftigen 
Feststellung der Entschädigung ein Einweisungsbescheid erlassen, so finden 
«rf diesen die Vorschriften des § 89, Abs. 1 G. U. V. G., § 95, Abs. 1 L. U. V. G. 
Inwendung. In diesem Falle muß also der Bescheid die dort vorgeschriebene 
fiechtsmittelbelehrung enthalten. 

Befindet sich die Heilanstalt außerhalb des Wohnorts des Verletzten, so 
nnd diesem die zur Reise erforderlichen Kosten rechtzeitig zur Verfügung 
za stellen. 

Im Falle der Anfechtung des Bescheids entscheidet das Schiedsgericht 
endgültig (§ 80, Abs. 1 G. U. V. G., g 86, Abs. 1 L. U. V. G.). Das Urteil des 
Schiedsgerichts unterliegt auch dann nicht dem Rekurse, wenn der Bescheid 
die Torgeschriebene Belehrung über die Folgen der etwaigen Weigerung des 
Verletzten mithält (Rek. E. 1892, A. N. 1901, 8. 625) oder ihn darauf hinweist, 
daß seine eigene Rente für die tatsächliche Dauer der Heilanstaltsbehandlung 
in Wegfall komme, da der Wegfall der Rente eine selbstverständliche Folg« 
dteser Behandlung bildet (Rek. E. 1937, A. N. 1902, 8. 468). 

4. Angehörigenrente. 

§ 44. Die den Angehörigen des Verletzten für die Dauer seiner Ver¬ 
pflegung in der Heilanstedt zustehenden Ansprüche (§ 22, Abs. 3 G. U. V. G., 
§ 21, Abs. 2 L. U. V. G.) sind ebenfalls durch berufungsfähigen Bescheid fest- 
zasteüen (§ 69, Abs. 1, Ziffer 1 c G. U. V. G., § 76, Abs. 1, Ziffer 1 c L. ü. V. G.). 
Einer Notlage der Angehörigen ist in geeigneten Fällen durch Zahlung einer 
mläufigen Entschädigung (§ 17) vorzubeugen. Die Ehefrau des Verletzten 
gehört auch dann zu den Angehörigen im Sinne dieser Bestimmung, wenn die 
Ehe erat nach* dem Unfälle geschlossen ist (Besch. 1947, A. N. 1902, 8. 499). 
Da die Angehörigen nach dem Gesetz einen selbstständigen Anspruch auf die 
Rate haben, so ut der Bescheid diesen und nicht dem Verletzten zu erteilen, 
wie «r denn auch nur von den Angehörigen angefochtea werden kann. Der 



152 


Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


Verletzte ist zur Entgegennahme und Anfechtung des Bescheids nur in Ver¬ 
tretung seiner Angehörigen berufen. 

Bei nachträglicher Gewährung der Heilanstaltsbehandlung (§ 42, Abs. 3) 
ist auch die AngehOrigenrentc nachträglich durch berufungsfähigen Bescheid 
festzustellen. 

5. Abschluß des Heilverfahrens. 

Sobald der Verletzte aus der Heilanstalt entlassen wird, muß die Berufs¬ 
genossenschaft — mag vor der Unterbringung eine Rente bereits festgestellt 

J ewesen sein oder nicht — unverzüglich zu dem Entschädigungsansprüche seit 
em Tage der Entlassung Stellung nehmen. Zu diesem Zwecke ist dem Ver¬ 
letzten zunächst ein Vorbescheid im Sinne des § 70, Abs. 1 G. U. V. G., § 76, 
Abs. 1 L. U. V. G. (oben § 9) und demnächst ein berufungsfähiger Bescheid, 
gegebenenfalls unter Anwendung der Vorschriften des § 89, Abs. 1 G. U. V. G., 
§ 96, Abs. 1 L. U. V. G. zu erteilen, welcher den ordentlichen Rechtsmitteln 
unterliegt. 

Aus der Gewährung der Heilanstaltsbehandlung folgt nicht ohne weiteres, 
daß die Berufsgenossenschaft ihre Entschädigungspflicht anerkannt hat. Die 
Berufsgenossenschaft ist vielmehr befugt, die Entschädigungspflicht an sich 
noch nachzuprüfen und gegebenenfalls zu verneinen. 

Ist die Rente nach Abschluß der Heilanstaltsbehandlung wiederum fest¬ 
gestellt, so sind für eine etwa späterhin vorzunehmende anderweite Feststellung 
die für eine solche allgemein geltenden Grundsätze maßgebend. 

C. Verweigerung des Heilverfahrens. 

§ 46. Hat der Verletzte sich den zu Zwecken des Heilverfahrens ein¬ 
schließlich der Anstaltsbehandlung getroffenen Maßnahmen oder Anordnungen 
(§§ 40 bis 43) entzogen, so kann die Berufsgenossenschaft ihm unter den Vor¬ 
aussetzungen des § 23, Abs. 2 G. U. V. G., § 24, Abs. 2 L. U. V. G. den Schadens¬ 
ersatz auf Zeit ganz oder teilweise versagen. Hierbei ist zu beachten, daß die 
Berufung im Falle des § 23 G. U. V. G., § 24 L. U. V. G. aufschiebende Wirkung 
hat (§ 76, Abs. 5 G. U. V. G., § 82, Abs. 5 L. U. V. G.). Eine ausführliche Dar¬ 
legung der Rechtsnachteile, welche einem Verletzten im Falle der Verweige¬ 
rung der Heilanstaltsbehandlung auferlegt werden können, und des hierbei von 
der Berufsgenossenschaft zu beobachtenden Verfahrens findet sich in der Rek. 
E. 2000 (A. N. 1903, S. 468). Dort (letzter Absatz) werden auch die Ma߬ 
nahmen erörtert, die nach Ablauf der Zeit, für welche der Schadensersatz ver¬ 
sagt war, oder die in dem Falle zu treffen sind, wenn der Verletzte sich 
wuirend dieser Zeit der Heilanstaltsbehandlung tatsächlich unterwirft 


Anweisung, betreffend das Verfahren vor den unteren Verwaltungs¬ 
behörden (§§ 57 bis 64 des Invalidenversicherungsgesetzes). Erlaß des 
preußischen Ministers für Handel und Gewerbe vom 15. No¬ 
vember 1904. 

IL Entgegennahme, Vorbereitung und Begutachtung von 
Anträgen auf Bewilligung von Invaliden oder Altersrenten 

(§ 67, Ziffer 1, § 112.) 

5. Wird bei dem Antrag auf Bewilligung einer Invalidenrente ein aus¬ 
reichendes ärztliches Zeugnis von dem Versicherten nicht vorgelegt, so hat die 
untere Verwaltungsbehörde die Untersuchung des Gesundheitszustandes und die 
Abgabe eines Gutachtens über das Maß der Erwerbsfähigkeit des Antragstellers 
herbeizuführen; dabei sind die von der Versicherungsanstalt wegen Beschaffung 
dieser Zeugnisse getroffenen Maßnahmen tunlichst zu berücksichtigen. 

Von einer ärztlichen Untersuchung ist abzusehen, wenn sich aus 
Vorlagen klar ergibt, daß die Wartezeit nicht erfüllt oder die Anwartschaft 
erloschen ist oder daß der Antragsteller weder versicherungspflichtig noch ver¬ 
sicherungsberechtigt gewesen ist, oder daß ein früherer Invaliddnrentenantrag, 
der mangels Nachweises der dauernden Erwerbsunfähigkeit zurückgewiesen 
worden ist, innerhalb eines Jahres seit der Zustellung der letzten endgültigen 
Entscheidung ohne die uach § 120 erforderliche Bescheinigung wiederholt wird. 



Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften. 


153 


Von euer ärztlichen Untersuchung kann in der Regel abgesehen 
werden, wenn 

a) die Erwerbsunfähigkeit durch einen Unfall herbeigeführt ist und der Ver¬ 
letzte eine Unfallrente erhält, 

b) ein früherer Invalidenrentenantrag, welcher, obwohl Erwerbsunfähigkeit 
vorlag, wegen nicht erfüllter Wartezeit zurückgewiesen war, wieder¬ 
holt wird, 

c) der Antragsteller eine Altersrente bezieht und auf andere Weise die Er¬ 
werbsunfähigkeit glaubhaft festgestellt ist, 

d) augenscheinlich erkennbar oder in einem voraufgegangenen Heilverfahren 
oder in anderer Weise glaubhaft nachgewieseu ist, daß Erwerbsunfähigkeit 
nicht vorliegt oder daß und seit wann dauernde Erwerbsunfähigkeit ein¬ 
getreten ist. 

Ergibt sich, daß der Rentenbewerber bereits den Antrag auf Gewährung 
einer Alters-, Invaliden- oder Unfallrente oder auch Uebernahme des Heilver¬ 
fahrens gestellt hatte, so sind zunächst die Vorgänge einzufordern und soweit 
dies nach Lage der Verhältnisse tunlich erscheint, dem untersuchenden Arzte 
zngänglich zu machen. 

8. Zu der mündlichen Verhandlung beruft die untere Verwaltungsbehörde 
je einen Vertreter der Arbeitgeber und der Versicherten in der von dem Re¬ 
gierungspräsidenten (in Berlin von dem Oberpräsidenten) bestimmten Reihen¬ 
folge. Zugleich sind die Zeugen und Sachverständigen zu laden und der An¬ 
tragsteller von der Anberaumung des Termins zu benachrichtigen. 

10. Ueber die Verhandlung ist unter Zuziehung eines Protokollführers 
eia Protokoll aufzunehmen. Dasselbe muß den wesentlichen Hergang der Ver¬ 
handlung, sowie die Namen des Vorsitzenden, der Vertreter und des Protokoll¬ 
führers, den wesentlichen Inhalt der Aussagen des Antragstellers oder seines 
Berollmächtigten, der Zeugen und Sachverständigen und das Gutachten der 
toteren Verwaltungsbehörde enthalten. 

IV. Begutachtung der Entziehung von Invalidenrenten. 

(§ 47, § 57, Ziffer ‘2, § 121.) 

15. Die untere Verwaltungsbehörde hat, sobald ihr das Ersuchen um 
Abgabe eines Gutachtens über Entziehung einer Invalidenrente zugeht, den 
Beatenempfänger zu veranlassen, daß er sich zwecks Feststellung des Maßes 
Miner Erwerbsfähigkeit durch einen Arzt untersuchen lasse; dabei sind die 
tob der Versicherungsanstalt wegen Vornahme dieser Untersuchungen ge¬ 
troffenen Maßnahmen tunlichst zu beachten. Hat der Rentenempfänger sich 
dem von der Versicherungsanstalt angeordneten Heilverfahren entzogen, so ist 
die ärztliche Untersuchung auch darauf zu erstrecken, ob der Rentenempfänger 
| durch sein Verhalten die Wiedererlangung der Erwerbsfähigkeit vereitelt hat. 
i Zagleich sind die etwa erforderlichen Erhebungen über die Arbeitsverrichtungen 
| des Rentenempfängers anzustellen. Wird von dem Vorstande der Versicherungs- 

* änstalt ein ausreichendes ärztliches Zeugnis beigefügt oder ist die Wieder- 

* erlangung der Erwerbsfähigkeit von dem Rentenempfänger ausdrücklich an- 

[ erkannt, oder wird auf den Fortbezug der Rente verzichtet, so ist von einer 
; nochmaligen ärztlichen Untersuchung des Rentenempfängers Abstand zu nehmen. 
^ 19. Die den Vertretern zustehenden Bezüge, sowie die sonstigen durch 

| das Verfahren entstehenden baren Auslagen trägt die Versicherungsanstalt. 

! Zu den baren Auslagen des Verfahrens gehören: 

| ») die Gebühren der Zeugen und Sachverständigen. Für die Zahlung 

| der Zeugen- und Sachverständigengebühren sind, soweit nicht die Anstalt 

1 mit den Aerzten ihres Bezirkes besondere Gebührensätze vereinbart hat, 

j die Bestimmungen der Gebührenordnung für Zeugen und Sachverständige 

maßgebend. 

i 

Zar Befolgung des f 75, Abs. 3 des Unfallversieherungsgesetzes für 
[ Und- und Forstwirtschaft, § 69, Abs. 8 des Gewerbe-Unfallversichernngs- 
\ gesetzee, genügt es nicht, dass die Berufsgenossenschaft dem behandelnden 
Ante die Abgabe einer gutachtlichen Aeusserung anheimstellt; sie muss 
Mae solehe von ihm erfordern. — Sind nacheinander mehrere Aerzte in 
i gleicher Weise an der Behandlung beteiligt gewesen, ohne dass einer für 

j sieh als der „behandelnde“ Arzt angesehen werden kann, so kann die 



154 kleinere Mittelungen und Referate aus Zeitschriften* 

Uebergehung eines von ihnen einen ^ie Zurßckvflnreismng w die Berufs- 
genossenschaft rechtfertigenden wesentlichen Mangel des Verfahrens be¬ 
gründen. Bekur s-Entscheidung des Beichs-V? rsicherungsamts 
vom 97. Juli 1904. Amtliche Nachrichten des Beichsveraicherungsamtes; 
4904, Nr. 11. 

§ 76, Abs. 3 des iJnfallverBicherungsgesetzes für Land* und Forstwirt¬ 
schaft bestimmt, daß. wenn auf Grand eines ärztlichen Gutachtens die Be¬ 
willigung einer Entschädigung abgelehnt oder nur eine Teilrente iestgesteilt 
werden soll, vorher der behandelnde Arzt, und wenn dieser zu dev Genossen¬ 
schaft in einem Vertragsverhältnisse steht, auf Antrag ein anderer Arzt zu 
hören ist. 

Die Ansicht der Beklagten, daß zur Befolgung dieser Vorschrift'die 
Einforderung eines Gutachtens nicht geboten sei, es vielmehr genüge, wenn 
dem behandelnden Arzte Gelegenheit zur Erstattung einer gutachtlichen Aeuße- 
rung gegeben werde, ist verfehlt. Die zur Unterstützung ihrer Auslegung von. 
ihr vorgebrachten Ausführungen sind nicht stichhaltig. Allerdings ist in ver¬ 
schiedenen anderen Beichsgesetzen, insbesondere in den sogenannten Beichs- 
justizgesetzen, an einer Beihe von Stellen die Vorschrift, es seien bestimmte 
Personen zu „hören“, nur dahin aufzufassen, daß diese zum Worte zu ver¬ 
stauen sind. Hieraus kann jedoch nicht ohne weiteres gefolgert werden, daß 
die im § 75, Abs. 3 a. a. 0. angeordnete Anhörung des behandelnden Arztes in 
gleichem Sinne zu deuten sei. Denn der besondere Sprachgebrauch der Beichs- 
justizgesetze ist von der Unfallversicherungsgesetzgebung keineswegs durchweg 
übernommen und befolgt worden, und nach allgemeinen sprachlichen Begeln 
erscheint eine anderweitige Auslegung des Wortes „hören“ sehr wohl möglich. 
Für seine anderweitige Auslegung auf dem Gebiete der Unfallversicherungs¬ 
gesetze spricht aber schon der Umstand, daß die Stellung des behandelnden 
Arztes im Bentenfestsetzungsverfahren eine wesentlich andere ist, als die 
Stellung derjenigen Personen, deren Anhörung in den von der Beklagten, an¬ 
geführten Paragraphen der Beichsjustizgesetze angeordnet ist. 

.... Der Stellung dieser Personen entspricht im Unfall entschädigen gs- 
verfahren die Stellung des Bentenbewerbers. Auch er soll nach § 76, Abs. 1 
und § 95, Abs. 2 des Unfallversicherungsgesetzes für Land- und Forstwirtschaft 
vor der Entscheidung des Versicherungsträgers über die Festsetzung oder 
Minderung der Bcnte Gelegenheit zu einer Aeußerung haben; das heißt, er 
soll im Sinne der Beichsjustizgesetze „gehört“ werden. 

Ganz anders als die Stellung der bezeichnten Personen ist aber die 
Stellung des behandelnden Arztes im Bentenfestsetzungsverfahren* Et hat 
regelmäßig kein erhebliches Interesse daran, wie die Entscheidung über den 
Bentenanspruch des Verletzten ausfällt. Nicht im Interesse des Arztes und 
nicht um dessen Bechte zu schützen, wie man nach dem Inhalt des Schreibens 
der Beklagten an die behandelnden Aerzte annehmen müßte, ist die gedachte 
Bestimmung getroffen. Vielmehr ist es der Verletzte, für den es häufig von 
wesentlicher Bedeutung ist, daß vor der Beschlußfassung über seine Bente die 
Meinung des behandelnden Arztes eingeholt werde. Dem letzteren ist daher 
nicht ein Becht eingeräumt, sondern die Pflicht auferlegt worden, seine Eenntqia 
auf Erfordern mitzuteilen. Er kennt den Verletzten und den Verlanf seiner 
Krankheit in der Begel genau, kann häufig über die oft schwer zu beant¬ 
wortende Frage, ob ein Leiden erst durch den Unfall entstanden ist oder schon 
früher vorhanden war, maßgebenden Aufschluß erteilen und vermag nicht 
selten auch über andere für die Beurteilung des Entschädigungsanspruchs des 
Verletzten wichtige Tatsachen Angaben zu machen. Auch ist die Anhörung 
des behandelnden Arztes geeignet, ein etwa bestehendes Mißtrauen der Ver¬ 
letzten gegen Unparteilichkeit der berufsgenossenschaftlicheu Organe in einem 
wesentlichen Punkte zu beseitigen. Daß solche Erwägungen tatsächlich für 
die Einführung der in Bede stehenden Bestimmung bestimmend waren, erhellt 
mit Sicherheit aus den Verhandlungen des Beichstags. 

Die Vorschrift würde aber auch jeder praktischen Bedeutung ermangeln, 
wenn die von der Beklagten ihr gegebene Auslegung richtig wäre. Dem} der 
behandelnde Arzt wird sich der Mühe der Erstattung einer gutachtlichen 
Aeußerung im allgemeinen nur dann unterziehen, wenn ihm eine solche nicht 
nur anheimgestellt, sondern von ihm erfordert wird. Die Ansicht der Be¬ 
klagten, daß es Sache des Verletzten sei, den Arzt, nötigenfalls durch Zahlung 



Kleinere Mitteilun££b tand Referate ans Zeitschriften. 


155 


einer Vergütung, zur Einreichung eines Gutachtens za veranlassen, ist offenbar 
hinfällig. Träfe sie za, so würde die erst in die Unfallversicherungsgesetze 
rote 30. Juni 1900 eingefügtc neue Bestimmung sachlich nichts Neues ge¬ 
schaffen haben and überflüssig sein. Denn die Beibringung ärztlicher Gut¬ 
achten auf eigene Kosten stand dem Rentensacher schon nach den früheren 
Unfallversicherangsgesetzen za and Wäre ihm auch ohne jene Bestimmung nicht 
verwehrt. Nicht der Rentenbewerber, sondern der Versicherungsträger soll 
nach der Absicht der neuen Gesetze für eine Aeußerong des behandelnden 
Arztes Sorge und die Kosten dieser Aeußerang tragen. Der Verletzte, der 
häufig zudem keine Geschäftsgewandtheit besitzt, ist in vielen Fällen außer¬ 
stande, die Vergütung aufzubringen; vor allem fehlt ihm die Möglichkeit, den 
Arzt zur Abgabe des Gutachtens zu nötigen, wenn dieser dessen Erstattung 
ihm gegenüber ablehnt. 

Dagegen ist den Ausführungen der Rekursschrift darin beizutreten, daß 
eine Anhörung des behandelnden Arztes seitens der Berufsgenossenschaft dann 
nicht mehr erforderlich ist, wenn bereits durch deh Verletzten ein ausreichendes 
Gutachten dieses Arztes vorgelegt ist. § 75, Abs. 3 a. a. 0. verlangt lediglich, 
dafl der behandelnde Arzt vor der Entscheidung über den Rentenansprnch zu 
Worte gelange; hitagegen regelt sich die Frage, in welcher Form und ita 
welchem Umfange das „Hören“ zu erfolgen hat, nach den Umständen des 
Kinzelfalls und bleibt dem richterlichen Ermessen überlassen. Hiernach ist 
zwar in bezug auf Dr. B. durch das von der Klägerin eingereichte Gutachten 
vom 20. Mai 1903 dem § 75, Abs. 3 des Unfallversicherungsgesetzes für Land- 
and Forstwirtschaft genügt. Jedoch ist der erstbehandelnde Arzt Dr. K. über¬ 
haupt nicht zu Worte gelangt, obwohl seine Anhörung nach Lage der Sache 
zweifellos geboten war. Ist der Verletzte zu verschiedenen Zeiten von ver¬ 
schiedenen Anraten behandelt worden, so ist freilich nicht unter allen Um¬ 
ständen die Anhörung aller dieser Aerzte erforderlich, sondern cs muß dem 
piiehtmäßigen Ermessen der entscheidenden Stellen überlassen bleiben, den¬ 
jenigen Arzt oder diejenigen Aerzte ausznwählen, welche nach Lage des Einzel¬ 
falls als „behandelnde Aerzte“ im Sinne des § 75, Abs. 3 a. a. 0. zu gelten 
haben. Uebergeht die Beruisgenossensehaft einen Arzt, der infolge seiner Be¬ 
handlung in der Lage ist, der Sachbeurteilung dienliche wesentliche Auf¬ 
klärungen so geben, so verstößt sie gegen das vorgeschriebene Verfahren, und 
es ist ihr nicht etwa bloß eine von den weiteren Instanzen auszugleichende 
Cavollstiadigkeit in der sachlichen Klarstellung zur Last zu legen. 

Im vorliegenden Falle sind nacheinander zwei Aerzte in gleicher Weise 
u dem Heilverfahren beteiligt gewesen, ohne daß einer von beiden für sich 
allein als „der behandelnde Arzt“ im Sinne des § 75, Abs. 8 des Unfall- 
vermcherungsgesetzes für Land- und Forstwirtschaft betrachtet werden könnte, 
>la keiner von ihnen den hier erforderlichen vollen Aufschluß über die Krank¬ 


heitsgeschichte zu geben vermag. Der in der Rekursschrift hervorgehobenc 
Umstand, daß die Klägerin dem Dr. K. ihr Vertrauen anscheinend entzogen 
and deshalb an seiner Stelle den Dr. B. zu Rate gezogen hat, ist für die hier 
vorliegende Frage unerheblich. Denn da Dr. K. eine Zeitlang die Behandlung 
der Klägerin allein geleitet hat, so bleibt er für diese Zeit der behandelnde 
Arzt, gleichviel, ob er vor Beendigung des Heilverfahrens aus dieser Stellung 
aosgeschieden ist oder nicht Seine Anhörung war um so mehr geboten, als 
er die Klägerin unmittelbar nach ihrem angeblichen Unfall untersucht hat und 
daher allein darüber Auskunft geben kann, ob damals bei ihr auf den Unfall 
zirückzuführende Verletzungen festzustellen waren, und bejahendenfalls welche. 

Durch das an Dr. K. gerichtete Schreiben vom 10. August 1903 *) hat 
die Beklagte aber, wie oben dargelegt ist, der ihr durch § 75, Abs. 3 a. a. 0. 
auferlegten Verpflichtung nicht genügt § 75, Abs. 3 des Unfallversicherungs¬ 
gesetzes für Land- und Forstwirtschaft ist somit verletzt worden, und dieser 
verstoß begründet einen wesentlichen Mangel des Verfahrens, der das Schieds¬ 


gericht berechtigte, die Sache in entsprechender Anwendung des g 539 der 
Zivilprozeßordnung an die Vorinstanz zurückzuverweisen. 


*) Es war in diesem den Aerzten eine gutachtliche Aeußerung nur an- 
bfimgesteilt; beide Aerzte hatten demzufolge das Schreiben unbeantwortet 
gelassen. 



166 


Tagesnachrichten. 


Tagesnachrichten. 

Bei Beratung des preußischen Medizinaletats in der Budget- 
kommisslon wurden yon der Regierung über die Preisfestsetzung des Diph¬ 
therieserums, sowie über die mit den Höchster Werken abgeschlossenen 
Verträge weitere Mitteilungen gemacht. Danach wird sich diese bemühen, die 
weiteren von Prof. v. Behring gemachten Versuche zu verwerten und den 
Preis des Diphtherieserums möglichst herabzusetzen. Bemängelt wurde von 
seiten einzelner Kommissionsmitglicder die Empfehlung einer bestimmten Firma 
zur Anschaffung von Instrumenten für die Hebammen; desgleichen 
wurde auch über die infolge der Ortsbesichtigungen durch die Kreisärzte, zu 
hohen an die Gemeinden gestellten Anforderungen geklagt, während im übrigen 
diese Besichtigungen selbst als nützlich bezeichnet wurden. Ordinarium und 
Extraordinarium des Etats wurden hierauf bewilligt. 


Das im Kaiserlichen Gesundheitsamte festgestelltc Ver¬ 
zeichnis von Krankheiten und Todesursachen ist jetzt in einer Sonderbeilage 
zu Nr. 5 der „Veröffentlichungen des Gesundheitsamts“ bekannt gegeben und 
auch bereits von einzelnen Bundesregierungen, z. B. Bayern durch Erlaß des 
Königl. Minist, vom 14. Januar 1905 eingeführt. Das Verzeichnis entspricht 
dem durch Min.-Erl. vom 22. April 1904 für Preußen eingeführten (s. Bei¬ 
lage zu Nr. 11 dieser Zeitschrift, 1904, S. 126); von seinem Abdruck ist des¬ 
halb Abstand genommen. _ 


Nach einer Bekanntmachung im „Reichsanzeiger“ vom 23. Februar 1905 
soll die Einführung einer einheitlichen deutschen Arzneitaxe vom 1. April 
d. J. ab erfolgen. Den Bundesregierungen ist es überlassen geblieben, einen 
Nachlaß (Rabatt) für Arzneilieferungen an öffentliche Anstalten und Kassen 
und an solche Vereine und Anstalten, welche der öffentlichen Armenpflege 
dienen, sowie für Tierarzneien vorzuschreiben. 


Im Großherzogtum Sachsen-Weimar ist eine Nenordnnng des Apo¬ 
thekenwesens beabsichtigt. Dem dortigen Landtage ist eine Vorlage za¬ 
gegangen, durch die der § 107 der Medizinalordnung vom 1. Juli 1858 folgende 
Neufassung erhalten soll: 

„Wer das Apothekergewerbe außerhalb einer mit einem Privilegium 
versehenen Apotheke betreiben will, bedarf einer Konzession des Staats¬ 
ministeriums (vorbehaltlich jedoch der bei Erlassung des gegenwärtigen Ge¬ 
setzes etwa bereits bestandenen Konzessionsberechtigungen). Die Erteilung 
der Konzession ist abhängig von dem Vorhandensein eines Bedürfnisses und 
zweckmäßig belegener und beschaffener Räumlichkeiten zum Betrieb des Ge¬ 
werbes. Ueber das Vorhandensein dieser Voraussetzungen sind die Gemeinde¬ 
behörden und der Bezirksausschuß zu hören. Die Konzession darf nur an 
Apotheker erteilt werden, deren Vorleben und Persönlichkeit eine genügende 
Gewähr für die gesetzmäßige und zuverlässige Verwaltung einer Apotheke 
bietet. Realgewerbeberechtigmigen zum Betrieb von Apotheken dürfen fortan 
nicht mehr begründet werden. Rticksichtlieh des Gewerbebetriebes in den jetzt 
mit einem Privilegium versehenen Apotheken bewendet es bei den bisherigen 
Vorschriften. Der Betrieb de9 Apothekergcwerbes außerhalb einer privilegierten 
Apotheke ist einer jährlichen Betriebsabgabe unterworfen, deren Höhe nach dem 
Ertrag des Apothekergewerbebetriebes zu bemessen ist und von dem Staats¬ 
ministerium festgesetzt wird. Innerhalb eines Bezirks, für den Verbreitungs¬ 
rechte gegen Anlegung weiterer Apotheken als Bestandteile des Privilegs einer 
oder auch mehrerer Apotheken verliehen worden sind, sollen Apotheker zur 
Ausübung ihres Gewerbes, so lange diese Verbreitungsrechte nicht beseitigt 
sind, nicht konzessioniert werden. Solche Verbreitungsrechte bleiben auf den 
Bezirk (Amtsbezirk, Gemeindebezirk, Stadtweichbild usw.), für die sie zur Zeit 
gelten, beschränkt und ergreifen nicht die Vergrößerungen, welche den Bezirk 
Zuwachsen.“ 

Danach soll für Neuanlagcn die Personalkonzession eingeführt 
nnd der Betrieb dieses Apothekengewerbes einer jährlichen Betriebsabgabc 
unterworfen werden. Ein späterer Gesetzentwurf soll eine Art Ablösung der 
bestehenden Rechte bringen. _ 



Tagesnachrichten. 


167 


Zur Bekämpfung der Bleigefahr hat die Internationale Vereinigung für 
gesetzlichen Arbeiterschutz soeben einPreisausschreiben erlassen, dessen 
Bedingungen in der „Sozialen Praxis“ veröffentlicht werden. Es handelt sich 
hierbei um einen Preis von 5000 Mark für die beste Schrift über die Be* 
scitigung der Bleifarben bei der Förderung und Auf Bereitung 
ron Bleierzen, ferner um einen Preis von 10000 Mark für die beste Schrift 
betreffs der Bleigefahren in Bleihütten, um zwei Preise von 2500 M. 
bezw. 1500 M. für die besten Schriften über die Beseitigung der Blei* 
gefahren bei der chemischen Verwendung von Blei in Blei¬ 
farbenwerken; ferner sind vier Preise von 1500, 1000 und je 750 M. für 
die besten Schriften über die Vermeidung der Bleigefahr im (be¬ 
werbe der Anstreicher, Maler usw. ausgesetzt. Endlich sollen die 
baten Schriften über die Beseitigung der Bleigefahr in Schrift¬ 
gießereien, Buchdruckereien und dergl. vier Preise von 1500 M. bis 
herab zu 750 M. erhalten. Die Mitglieder des Preisrichterkollegiums werden 
big Ende Juni d. J. namhaft gemacht werden. Alle Bewerbungen sind an das 
Internationale Arbeitsamt in Basel zu richten. 

Der Zweite Kongress der Deutschen Gesellschaft, zur Bekämpfung 
der Geschlechtskrankheiten findet am 17. und 18. März d. J. in München 
statt. Als Tagesordnung ist festgestellt: Donnerstag, den 16. März, 
nachmittags 4 Uhr: Ausschussitzung im magistratischen Beratungssaal. Neues 
Rathaus U. Stock. Abends 8 Uhr gemeinsames Abendessen in der Weinhand- 
long von Heinrich Eckel, Burgstraße 17/0. Freitag, den 17. und Sams- 
t»g, den 18. März: Vormittags von 9*/*—12*/* und nachmittags von 2—5 Uhr 
Strang im großen Saale des alten Bathauses: 1. „Aerztlichcs Be¬ 
rufsgeheimnis und Geschlechtskrankheiten“ (Beferenten: Geb. Bat Dr. N e i s s e r 
[Breslau], Justizrat Dr. Bernstein [München] u.Prof. Dr. F1 esch [Frankfurt 
*.£.]); 2. „Bordelle u. Bordellstraßen“ (Beferenten: Prof. Dr. Wolff [Straßburg], 
Dr.Stachow [Bremen], Bechtsanwalt Dr. Hippe [Dresden], Prof. Dr. v. Dü¬ 
ring [Kiel], Frau Henr. Fürth [Frankfurt a. M.], Dr. Fabry [Dortmund]); 
3. „Strafbarkeit der Ankündigung von Schutzmitteln zur Bekämpfung der 
Geschlechtskrankheiten“ < Beferenten: Dr. 0. Neustätter [München], Georg 
Bernhard [Berlin], A. Meyerhof [Hildesheim]). Freitag, den 17. März, 
abends 8 Uhr, findet im großen Saale des „Hotel vier Jahreszeiten“, 
Maximilianstraße 4, ein Festessen statt. 

Der IV. Kongress der deutschen Gesellschaft für orthopädische 
Chirurgie findet am 25. April in Berlin (Langenbeckhaus), unmittelbar vor 
dem Chirurgen-Kongreß statt. 

Der 22. Kongress für innere Medizin findet vom 12.—16. Ap ril 1905 
raWiesbaden statt unter dem Vorsitze des Herrn Geheimrat Prof. Dr. E r b - 
Heidelberg. Als Verhandlungsthema des ersten Sitzungstages ist bestimmt: 
Feber Vererbung. 1. Beferat: Ueber den derzeitigen Stand der Vererbungslehre 
ia der Biologie: Herr H. E. Ziegler- Jena, 2. Beferat: Ueber die Bedeutung 
der Vererbung und der Disposition in der Pathologie mit besonderer Berücksich¬ 
tigung der Tuberkulose: Herr Martins -Bostock. Vorträge haben angemeldet: 
Herr A-Hoffmann - Düsseldorf: Ueber Behandlung der Leukämie mit Böntgcn- 
strahlen: Herr Paul Krause-Breslau: Ueber Böntgonstrahlenbchandlung der 
Leukämie und Pseudoleukämie; Herr Schütz-Wiesbaden: Untersuchungen 
aber die Schleimsekretion des Darmes; Herr M. Matth es- Jena: Ueber Auto- 
lyse; Herr C1 e m ra - Darmstadt: Ueber die Bedeutung der Heftpflasterstütz- 
rerbände für die Behandlung der Bauchorgane; Herr Siegfried Kamin er und 
Herr Ernst Meyer- Berlin: Experimentelle Untersuchungen über die Bedeutung 
des Applikationsortes für die Beaktionshöhe bei diagnostischen Tuberkulin- 
iajektionen; Herr A. Bi ekel-Berlin: Experimentelle Untersuchungen überden 
Eiafiuß von Kochsalzthermen auf die Magensaftsekretion; Herr Aug. Laqueur- 
Berlin: Mitteilungen zur Behandlung von Herzkrankheiten mit Wechselstrom¬ 
bädern ; Herr Aufrecht - Magdeburg: Erfolgreiche Anwendung des Tuberkulin 
bei sonst fast aussichtslos kranken fiebernden Phthisikern; Herr Hornberger - 
Frankfurt a. M.: Die Mechanik des Kreislaufes; Herr Bumpf-Bonn: Ueber 
chemische Befunde im Blute und in den Organen bei Nephritis; Herr L. Gtt- 



168 


T&gestiachrichten. 


fisch-Parchwitz: Oie tonslllare Radikaltherapie des Gelenkrheumatismus (mit 
Demonstrationen); Herr Rothschild-Soden a. T.: Der angeborene Thora» 
paraliticus; Herr 0. H e i e 1 - Wiesbaden: 1. Beitrag zu den Frtihsymptomen der 
Tabes dorsalis; 2. Ueber eine gelungene Nervenpfropfung, ausgeffthrt mir 
Heilung einer alten stationär gebliebenen Lähmung einiger Muskeln aus dem 
Gebiete des N. peroneus; Herr Bernh. Fis eher-Bonn: Ueber Arterien- 
erkrankungen nach Adrenalininjcktionen; Herr Gerhardt-Erlangen: Beitrag 
zur Lehre von der Mechanik der Klappenfehler; Herr Lttthjc-Tübingen: 
Beitrag zum experimentellen Diabetes; Herr Kohnstamm -Königstein i. T.: 
Dia zentrifugale Strömung im sensiblen Nerven; Herr Goldman-BrennbUrg- 
Sopron: Neuere Beiträge zur Eisentherapie bei Chlorose und Anämie; Herr 
Frtedel Pick-Prag: Ueber Influenza; Herr Turban-Davos: Demonstration 
uud Erläuterung mikroskopischer Präparate: 1. Tuberkelbazillen: Kern- und 
Membranbildung; 2. Elastische Fasern: Fettorganisation und DoppelfKrbung; 
3. Geheilte Kaverne; 4. Tuberkulose und Karzinom. 

Mit dem Kongresse ist die übliche Ausstellung von Instru¬ 
menten, Apparaten und Präparaten, soweit sie für die innere 
M edizin von Interesse sind, verbunden. 

Anmeldungen von Vorträgen und für die AussteUung sind zu richten an 
Gcheimrat Dr. Emil Pfeiffer, Wiesbaden, Parkstraße 18. 


Ülprechsaal. 

Kreisarzt Vr. R. in I. Anfrage I: Wo findet sich die Verfügung 
des Herrn Justizministers vom 27. Oktober 1877, wonach für Obduktion 
einer mehr als 6 Wochen alten Leiche die erhöhte Obduktlonsgebflhr an 
zahlen ist, auch wenn die Leiche nicht beerdigt war? 

Antwort: Ia Simeon: „Gerichtskostengesetz“; 2. T., S. 39. 

Anfrage II: Wo findet sieh die Bestimmung, dass der Sachverständig« 
nach pfllchtgemässetn Ermessen festzustellen hat, ob mehr als 6 Wothea 
seit dem Tode einer Person verflossen sind? 

Antwort: Eine solche Bestimmung ist nicht erlassen; sie ergibt sich 
aber aus dem Umstande, daß in den Fällen, in denen der Todestag unbekannt 
ist, lediglich das auf Grund des Leichenbefundes von dem Sachverständig«* 
abzogebende Urteil Uber die nach dem Tode verflossene Zeitdauer maßgebend 
sein kann. 

Kreisarzt Br. 8.-8. in B. Anfrage I: Darf bei dem Zusammen¬ 
treffen einer Reise im staatlichen Interesse und einer Reise in einer 
gerichtlichen Obduktion anf einen Tag die volle Gebühr für die Obduktion 
in das Gebtthrenverzeiohnis aufgenommen werden, obwohl nur die Hälfte 
dafür liquidiert worden kann? 

Antwort: In das Gebührenverzcichnis ist die volle Obduktions- 

f ebühr mit 12 Mark ab pensionsfähig einzutragen; denn nach dem Erlaß vom 
4. März 1902 — M. Nr. 882 — sind die nicht vollbesoldeten Kreisärzte 
berechtigt, hei Wahrnehmung von Dienstgeschäften außerhalb ihres Wohn¬ 
ortes von den erhobenen Tagegeldern soviel in das Gebührenverzeichnis auf- 
zunchmen, als der Gebühr entspricht, welche sie wahlweise nach § 5 des 
Gesetzes vom 9. März 1872 hätten beanspruchen können. 

Anfrage II: Darf man bei einer Dienstreise, welche nur dann im 
einem Tage ansgefllhrt werden kann, wenn man einen Eisenbahtzug 
benutzt, der um 4 Uhr 50 Mia. Vormittags vom WohnoTte abgeht, Tage¬ 
gelder für 2 Tage liquidieren, wenn man diesen Zug benutzt — wozu um 
nicht verpflichtet ist — and die Reise in einem Tage beendet? 

Antwort: Nein! Nach den bestehenden Bestimmungen bt ein Be¬ 
amter nicht verpflichtet, des Vormittags 4 Uhr 50 Min. eine Rebe anzutreten - 
tut er es aber trotzdem, so hat er auch dann nicht die Berechtigung, für 
zwei Tage Tagegelder zu berechnen, wenn bei einem späteren Antritt der Bebe 
die. Dienstgeschäfte nicht an einem Tage hätten erledigt werde* können. 

Anfrage des Kreisarztes Br. v. K. n. Sch.: Welche Ffrttta liefert 
Amtsschflder fflr Kreisärzte mit heraldbchetn Adler? 

Antwort: Carl Hellmuth, Stempel-und Schilder-Industrie, Cassel- 
Wehlheiden. Preis ebes derartigen massiven Schildes: 7,50 Mk. 



Tagesordn. zur XXIX. Hauptversammlung des Preuß. MedizinalbeamUmverains. Iö9 


ß^r|«lltt(IUi(e«: In Nr. 4 auf 8. 114 Zeile 18 «ad 19 von oben 
muß es „nationalem* bezw. „nationalen“ statt „rationellem* bezw. 
.rationellen* heißen. 

Auf Seite 97, Z. 12 von oben maß es heißen: „Tasche ohne* (statt mit) 
i l L rgn>C kostet nur 19 Mark.* Gleichzeitig wird bemerkt, daß dte hier be¬ 
schriebene Harbarger Hebammentasche voa der Firma Wilhelm Holz¬ 
hauses* Marburg (Steinweg Nr. 1) hergestellt und von dieser za dem in 
Nr. 4 angegebenen Preise (gefüllt : 88 Mark, mit Beigabe eine« gestanzten 
Sterilisators and einer Spiritaslnmpe: 48 Mk., ohne Instrumente: 13 Mark) 
geliefert wird. 


Preuesteclter Medfeinalbeamtenverein. 

xxn. Hauptversammlung 

in 


Tagesordnung: 

Donnerstag, den 27. April: 

9 Uhr abends: Gesellige Vereinigung zur BegrUssung 

(mit Damen) in dem reservierten Saale des Hotels „Vier 
Jahreszeiten*, Aegidientorplatz Nr. 2. 

Freitag, den 28 . April: 

8 Uhr vormittags: Erste Sitzung w Ratha use stOe 

(Köbelingeratrasse Nr. 60, in der Nähe der Marktkirche). 

L Mfiug der Versammlung. 

1 Geschäfte- and Kassenbericht ; Wahl der Kassonreviooren. 

*. Der preussische Wohnungsgesetzentwnrf vom gesundheitlichen 
Standpunkte. Referent: Med.-Rat Dr. H a a s e, Kreisarzt in Danzig: 
4, Die Verhütung and Bekämpfung des Kindbettßebers. Referent. 
Kreisarzt Dr. Kr ohne, medizinischer Hilfsarbeiter bei der Königl. 
Regierung in Düsseldorf. 

». Die praktische Durchführung den Desinfektion auf, dem pteilte» 
Lende. Referent: Kreisarzt Dr. Romeiok in Mohrungen. 

Nach Schluss der Sitzung: Besichtigung der tier¬ 
ärztlichen Hochechule (Afisburgerdamm Nr. 16); Fahrt 
mit der elektrischen Strassenbahn. 

4 l / t Ubr abends: Festessen mit Damen im Hötel Kasten, 
Theaterplatz 9. 

7 1 /» Uhr- a b e nds ? Besuch» desHoftheater» oder eines anderen 
Theaters; lür die ein Theater nicht besuchenden Mitglieder 
Zusammenkunft im Restaurant „Bristol* Mn Bahnhof. 

Sonnabend, den 29. Aprii: 

0 Uhr vormittags : Zweite Sitzung im Rathaussaale. 

1. Die gerichtsärztliehe Beurteilung der-Kurpfuscherei «Delikte. Refe¬ 
renten: 1. Prof. Dr. Puppe, Gerichtsarzt in Königsberg i. Pr. 
2. Amtsgerichtsrat v. Jhering in Hannover, 
i Vcndaadairahl ; Bartete de» KaascnreviBozeiw 





160 T&gesordn. zur XXII. Hauptversammlung des Prenß. Medizinalbeamten Vereins. 


8. Die Aufgaben der Medizinalbeamten ln bezug auf die Fürsorge für 
Geisteskranke, Epileptische und Idioten. Referent: Gerichtsarzt 
Dr. Schwabe in Hannover. 

Nach. Schluss der Sitzung: Gemeinschaftliches Essen 

(mit Damen) nach der Karte im Ratskeller. 

£ XJhr nachmittags: Besichtigung der städtischen 
Wasserwerke nebst Enteisennngsanlage, des städti¬ 
schen Krankenhauses I und der bakteriologischen 
Untersuchungsstelle der Regierung (Herschelstr. 25). 
Die Besichtigungen schliessen sich unmittelbar aneinander 
an; die Entfernungen werden mit bereitgehaltenen Wagen 
zurückgelegt. 

7 TJhr abends: Besuch eines Theaters; hierauf Gesellige 
Zusammenkunft im Restaurant „Rheinischer Hof*. 

Sonntag, den 30. April: 

Bei genügender Beteiligung: 11 XJhr Yormittags: Ausflug 
nach der an Sehenswürdigkeiten reichen, altehrwürdigen 
Nachbarstadt Hildesheim (Fahrt mit der elektrischen 
Strassenbahn von Cafe Kröpke ab [Theaterplatz 16 B]* 
Rückkehr gegen 6 Uhr abends). 

Das Nähere betreffs der Veranstaltungen des Lokal-Damen- 
komitees, der Besichtigungen und des Ausfluges wird 
am Begrüssungsabend bezw. in den Sitzungen bekannt gegeben; 


Bestellungen von Wohnungen sind unter Angabe etwaiger Wünsche 
betreffs der Lage, Zahl der Betten, des Preises usw. rechtzeitig an den Vor¬ 
sitzenden des Wohnungsausschuß cs, H. Kreisarzt Dr. Berger in 
Hannover vom 1. April an zu richten. Als geeignet gelegene Hotels (sämt¬ 
lich im Zentrum der Stadt oder am Bahnhof) sind zu empfehlen: „Hötel 
Royal“, „Kastens Hötel (Georgshalle)“, „Hötel Bristol“ (Preis für Wohnung 
von 3 M. 50 Pf. an), „Rheinischer Hof“ (Wohnung mit Frühstück von 3 M. 
50 Pf. an), „Hötel Monopol“ (Wohnung von 3 M. an), Hötel „Vier Jahres¬ 
zeiten“ (Wohnung von 2 Mark 50 Pf. an), „Hötel Hannover“, Joachimstr. 1 
(Wohnung mit Frühstück von 3 Mk. an). 


Indem der Unterzeichnete Vorstand auf eine recht zahlreiche 
Beteiligung der Vereinsmitglieder hofft, bittet er, etwaige Wünsche 
oder Diskussionsgegenstände bis zum 1. April d. J. dem Vor¬ 
sitzenden des Vereins gefälligst mitteilen zu wollen. 


Der Vorstand des Preussischen Medizinalbeamtenvereins. 


Dr. Rapmund, Vorsitzender, 
Reg.- u. Geh. Med.-Rat 
in Minden. 

Dr. Elten, 

Kreisarzt und Med.-Rat 
in Berlin. 


Dr. Flelltz, Schriftführer, 
Kreisarzt u. Med.-Rat 
in Halle a./S. 

Prof. Dr. 8trassmann, 

Gerichtsarzt in Berlin. 


Dr. Wodtke, 

Reg.- u. Med.-Rat in Merseburg. 


Verantwort! Redakteur: Dr. Rapmund, Reg.- u. Geb. Med.-Rat in Minden i. W. 
J. C. O. Brau, Henofl. Wehs. u. F. Sch.-L. Hofbucbdrnckecet ln Maden. 




18. Jahrg. 


1905 


Zeitschrift 

für 

MEDIZINALBEAMTE. 


ZentnJbhtt fir gerieiitUdie Me4izia u4 Psychiatrie, 
tir iratliek Sadferstaadigentatigkeit in Unfall- nnd Invaliditatosachen, sowie 
fir Ijgieae, öfeatL Sanitätswesei, Medizinal - Gesetzgebung and Kcditepreckang. 

Herausgegeben 

▼on 

Dr. OTTO RAPMÜND, 

Regltningi- and Geh. Medixinalrat io Minden, 


Verlag von Fischers mediz. Buehhandlg, H. Kornfeld, 

HeraogL Bayer. Hof- n. ErshanogL g a mm e r -B a e Mila aie r . 

Berlin W. 85, Lützowstr. 10. 

Inserate nehmen die VerUgshandlonr sowie eile Annonoen - Expeditionen des In- 
nnd Auslandes entgegen. 


Nr. 6. 


Erscheint am 1. nnd IS. Jeden Monats. 


15. März. 


Die neuen preussischen Vorschriften vom 4. Januar 1905 
für das Verfahren der Gerichtsärzte bei den gericht¬ 
lichen Untersuchungen menschlicher Leichen. 

Vom Herausgeber. 

(Fortsetzung.) 

B. Innere Besichtigung.') 

Allgemeine Bestimmungen. 

§ 13. Behnls der inneren Besichtigung sind die drei Hanpthöhlen 
des Körpers: Kopf- Brust- nnd Bauchhöhle zu öffnen. 1 ) 

In allen Fällen, in welchen von der Oeffnung des Wirbelkanals oder 
einzelner Gelenkhöhlen irgend erhebliche Befunde erwartet werden können, ist 
dieselbe nicht zu nnterlassen. 

Besteht ein bestimmter Verdacht in bezng auf die Ursache des Todes, 
;o ist mit derjenigen Höhle zn beginnen, in welcher sich die hauptsächlichen 


') Es sind stets sämtliche Körperhöhlen zn öffnen, auch wenn die 
Todesursache schon bei der Oeffnung einer oder zweier Höhlen scheinbar ge¬ 
funden ist. Ob im Einzelfalle von der inneren Besichtigung einer Leiche ü b e r - 
banpt Abstand genommen werden kann, hat lediglich der Richter zu ent¬ 
scheiden. Zulässig dürfte dies nnr sein, wenn über die Todesursache auf GrUnd 
der äußeren Besichtigung nnd der sonstigen Beweismittel kein Zweifel besteht, 
i- B. wenn dnreh dasselbe Ereignis mehrere Personen getötet sind nnd die 
Todesursache durch die Oeffnung von ein oder zwei Leichen zweifellos ermittelt 
ist. Voraussetzung ist dabei jedoch stets, daß eine andere Todesursache auch 
uar als mitwirkende nach Lage der Sache ausgeschlossen ist. 

*) Es ist hierbei auch anf auffallende Gerüche zn achten, z. B. auf 
Chloroform oder nach sauren Aepfeln (Diabetes mellitos), nach bitteren Mandeln 
! Blausäurerergiftnng), nach Zwiebeln (Phosphorvergiftung), nach Knoblauch 
(Armrergiftung). 







182 Die neuen preußischen Vorschriften für des Verfahren der Gerichts ärate 


Veränderungen vermuten lassen; andernfalls ist zuerst die Kopf-, dann die 
Brust- und zuletzt die Bauchhöhle zu untersuchen. 1 ) 

Zuerst ist die Lage der in jeder der bezeichneten Höhlen befindlichen 
Organe, sodann die Farbe und Beschaffenheit der Oberflächen und ferner anzu¬ 
geben, ob sich ein ungehöriger Inhalt vorfindet, namentlich fremde Körper, 
Gas, Flüssigkeiten oder Gerinnsel; die beiden letzterwähnten Befunde sind nach 
Maß oder Gewicht zu bestimmen. Endlich ist jedes einzelne Organ äußerlich 
und innerlich zu untersuchen. Bei anscheinenden Grössenabweichungen der 
Organe hat ebenfalls eine Bestimmung derselben durch Messung oder Wägung 
zu geschehen.*) *) 

I. Kopfhöhle. 

§ 14. Die Oeffnung der Kopfhöhle geschieht, wenn nicht etwa Ver¬ 
letzungen, die soviel als möglich mit dem Messer umgangen werden müssen, 
ein anderes Verfahren gebieten, mittels eines von einem Ohr zum andern mitten 
über den Scheitel hin geführten Schnittes, worauf zunächst die weichen Kopf¬ 
bedeckungen nach vorn und hinten abgezogen werden. 

Nachdem alsdann die Beschaffenheit der Weichteile mit Einschluss der 
Beinhaut und nach Entfernung der Beinhaut die Oberfläche der knöchernen 
Schädeldecke geprüft worden ist, 4 ) wird diese durch einen Sägen-Kreisschnitt 
getrennt/).abgenommen®) und sowohl die Schnittfläche 7 ) und die Innenfläche 
untersucht, als auch die sonstige Beschaffenheit des Schädeldaches festgestellt.') 

Hierauf wird die äußere Oberfläche der harten Hirnhaut 9 ) untersucht, der 


*) Betreffs des Verfahrens bei Neugeborenen s. §§ 22 und 23. 

*) Bei jedem Organ ist außer Lage, Farbe, Gewicht, Blut¬ 
gehalt usw. auch die Gestalt und Festigkeit (durch Befühlen) zu be¬ 
rücksichtigen. Die durchschnittliche Größe und das Gewicht ist bei den 
einzelnen Organen später in Anmerkung angegeben; bei vergleichender Ab¬ 
schätzung der Größe und des Gewichts eines Organs muß immer das Ver¬ 
hältnis zum Gesamtkörper beachtet werden. 

•) Finden sich krankhafte Geschwülste, so ist ebenfalls ihre Lase 
im Verhältnis zur Umgebung (ob abgekapselt, scharf abgegrenzt, beweglich, 
verwachsen usw.), Farbe, Größe, Gestalt und Festigkeit, Blutgehalt, Be¬ 
schaffenheit der Schnittfläche usw. festzustellen. 

4 ) Es ist hierbei besonders auf das Vorhandensein von Blutaustritten 
in oder unter den weichen Kopfbedeckungen, oberhalb oder unterhalb der 
Beinhaut, sowie auf Verletzungen des knöchernen Schädeldaches zu achten (s 
auch Anm. 5). 

*) In der Höhe des größten Umfanges (zwischen Stirn- und Hinterhaupt¬ 
höcker). 

*) Das Abheben des Schädeldaches geschieht am besten mit Hülfe eines 
Meißels. Ist die harte Hirnhaut mit dem Schädel verwachsen, so ist sie vorher 
sorgfältig mit der Schere oder einen Skalpell zu durchtrennen und mit dem 
Schädeldach zusammen abzuheben; ist sie vom Gehirn nicht abziehbar, so wird 
dieses am besten gleich kunstgerecht mit herausgenommen. 

7 ) Bei der Schnittfläche des Schädeldaches kommt die Dicke 
der Knochen, die Farbe der Marksubstanz und der Blutgehalt in Betracht; 
die Dicke beträgt durchschnittlich 0,6 cm; am Hinterhaupt 1,0—1,6 cm, am 
Schläfenbein dagegen nur 0,1—0,2 cm. 

*) Es ist demgemäß auf die Gestalt (etwaige Ungleichheiten) des 
Schädels (Längendurchmesser beim Mann 17—18 cm, beim Weibe 16,8 cm, 
Querdurchmesser 18,6—16,6 cm, Umfang 49—65 cm), auf Verletzungen, Ver¬ 
knöcherung der Nähte, Vorhandensein von Schaltknochen usw. zu achten, des¬ 
gleichen durch Halten gegen das Licht auf etwaige durchscheinende dünne, 
Stellen. Bei Betrachtung der Innenfläche des Schädeldaches ist auf 
die Erkennbarkeit der Impressiones digitatae und Juga cerebraüa, auf Gruben 
für Pacchionische Granulationen, sowie auf Vertiefung der Furchen für die 
Meningealarterien zu achten. 

®) Die Untersuchung der vorher mit Wasser abzuapülenden äußeren 
Oberfläche der harten Hirnhaut hat sich auf Glanz, Farbe (normal: grau-, 
weiß), Spannung (durch Aufheben einer Falte mittels Pinzette), DurcMchtig- 
keit (bei nicht verdickter Hirnhaut schimmern die Gehirnwandungen durch) 



bei den gerichtlichen Untersuchungen menschlicher Leiche«. 


163 


obere lange Blatleiter geöffnet and sein Inhalt bestimmt, sodann die harte 
Hirnhaut zuerst auf einer Seite getrennt, zurückgeschlagen und sowohl die 
imere Oberfläche derselben, als auch die Beschaffenheit der vorliegenden Ab¬ 
schnitte der weichen Hirnhaut untersucht. 1 ) 

Nachdem dasselbe auch auf der anderen Seite geschehen uud der Sichel¬ 
fortsatz an einer vorderen Ansatzstelle abgetrennt worden ist,*) wird die harte 
Hirnhaut nach hinten zurückgeschlagen, wobei das Verhalten der in den Längs- 
blutleiter einmündenden Blutadern vor ihrer Durchtrennung au beachten ist. 
Nunmehr wird das Gehirn kunstgerecht herausgenommen,*) wobei sofort auf die 
Anwesenheit eines ungehörigen Inhalts am Schädelgrunde zu achten ist. Es 
wird nun zunächst die Beschaffenheit der weichen Hirnhaut 1 ) am Grunde und 
den Seitenteilen, insbesondere auch in den Seitenspalten (Sgloischen Spalten oder 
Gruben) ermittelt, auch das Verhalten der größeren Schlagadern, welche auf¬ 
zuschneiden sind,*) sowie der Nerven festgestellt. 

Nunmehr wird die Größe und Gestalt des Gehirns 3 ) im ganzen wie seiner 
einzelnen Abschnitte und Windungen betrachtet und durch eine Reihe geordneter 
Schnitte die Untersuchung der einzelnen Hirnteile, namentlich der Großhirn¬ 
hemisphären, der großen Ganglien (Seh- und Streifenhttgel nebst Linsenkem ), 
der Yierhügel, des Kleinhirns, der Brücke und des verlängerten Markes vor- 
genommen, wobei namentlich die Farbe, die Füllung der Gefäße, die Konsistenz 
und die Struktur festzustellen sind. 6 ) 


und Blutgehalt (Füllung der Gefäße) zu erstrecken. Ihre Abtrennung ge¬ 
schieht am besten mit nach oben gehaltener Messerklinge längs der Säge- 
flache; bei ihrem Abziehen ist auf etwaige Verwachsungen mit der weichen 
Hirnhaut zu achten und bei Betrachtung Ihrer Innenfläche festzustellen, ob 
diese feucht, glatt und glänzend ist, ob etwaige Blutaustritte vorhanden 
sind usw. 

*) Beschaffenheit der weichen Hirnhaut (Spinnewebenhaut — 
Arachnoidea, Subarachnoidalräume und weiche Hirnhaut — Pia mater — zu¬ 
sammengenommen) : Ob ihre Oberfläche feucht, glatt, glänzend und durchsichtig 
ist; Blutgehalt (Füllung ihrer Gefäße); ob eitriger oder wässeriger Inhalt im 
Gewebe; ob leicht oder schwer abziehbar; Pacchionische Granulationen. 

*) Die Abtrennung des Sichelfortsatzes geschieht am besten in der 
Weise, daß man von vorn her mit dem parallel zum Fortsatze gehaltenen 
Messer in die Tiefe zwischen beide Hirnhalbkugeln bis in die Gegend des 
Hahnenkammes geht, das Messer dann um 90° wendet, so daß die Schneide 
gegen den Sichelfortsatz gerichtet ist, und diesen hierauf durch einen leichten 
Druck durchtrennt. 

*) Die Herausnahme des Gehirns hat ohne Zerrungen zu geschehen. 
Es wird dies am besten durch Beachtung der nachstehenden Vorschriften der 
Sächsischen Anleitung erreicht: „Mit der linken Hand wird der vordere Teil 
da Großhirns vorsichtig emporgehoben, während die Hirnnerven und die Gefäß- 
Himme in der Richtung von vorn nach hinten durchschnitten werden; das 
Kleinhirnzelt wird durch zwei unmittelbar hinter dem Felsenbein durchlaufende 
•Schnitte durchtrennt. Es wird hierauf das Gehirn noch weiter emporgehoben, 
das Kleinhirn mit dem verlängerten Mark und der Brücke vorsichtig unter¬ 
stützt und mit einem langen, in den oberen Teil des Wirbelkanals eingeführten 
Messer das Bückenmark mit seinen Häuten quer durchschnitten.“ 

*) Bei Eröffnung der größeren Schlagadern sind besonders etwaige 
Gerinnungen festzustellen. 

*) Nicht nur die Größe, sondern auch das Gewicht des Gehirns 
uad seine Gestalt (ob beide Hälften symmmetrisch, Gyri abgeplattet oder 
rerbreitert sind) sind festzustellen. Die Länge des Gehirns beträgt im Durch¬ 
schnitt beim Manne 16—17 cm, beim Weibe 15—16 cm, die Breite 18—14 cm, 
die Höhe 11—12,5 cm, das Gewicht 1400 (1250—1550) bezw. 1275 (1050 bis 
1550) g. 

*) Heber den Gang der Untersuchung des Gehirns werden ebenso 
wie früher nur allgemeine Vorschriften gegeben, während diese z. B. in Bayern 
Iris in die Einzelheiten (Art und Reihenfolge der zu führenden Schnitte usw.) 
festgelegt sind. Puppe empfiehlt hierzu folgendes Verfahren: 

Den ersten Akt bildet die Eröffnung der Hirnhöhlen. Das 



164 Die neuen preußischen Vorschriften für das Verfahren der Gerichtsärzte 


Die Ansdehnung und der Inhalt der einzelnen Hirnhöhlen, sowie iie Be¬ 
schaffenheit and Gefäßfüllung der oberen Gefäßplatte sowie der verschiedenen 
Adergeflechte sind bei den einzelnen Abschnitten besonders ins Ange za fassen, 
auch das Vorhandensein etwaiger Blutgerinnsel außerhalb der Gefäße zu ermitteln. 

Den Schluß macht die Untersuchung der harten Hirnhaut des Schädel¬ 
grundes, die Eröffnung und Untersuchung der queren, und falls ein Grund dazu 
vorliegt, der übrigen Blutleiter und ihres Inhalts und endlich nach Entfernung 
der harten Hirnhaut die Untersuchung der Knochen des Grundes und der 
Seitenteile des Schädels. 1 ) 


Gehirn wird auf seine Grundfläche gelegt, die weiche Hirnhaut wird abgezogen, 
hierbei ist auf etwaige Verwachsungen zu achten; dann wird zunächst durch 
einen seichten Schnitt, etwa 3 mm links von der Mittellinie des Balkens, das Dach 
der linken Seitenhöhle eingeschnitten und hierbei sofort auf die Anwesen¬ 
heit etwaigen Inhalts (ob klar, trüb, blutig, eiterig usw., die Menge beträgt 
bei normalen Verhältnissen etwa einen Teelöffel voll klarer Flüssigkeit) ge¬ 
achtet. Darauf werden Vorder- und Hinterhorn dieser Höhle eröffnet, indem 
man mit der Messerspitze, und zwar mit nach vorn gehaltener Klinge, 
in das Vorderhorn eingeht und sodann in der Richtung des Vorderhornver¬ 
laufes um die Messerspitze mit der Klinge annähernd einen Winkel 
von 180 Grad beschreibt. In entsprechender Weise wird auch das Hinter¬ 
horn eröffnet. Danach wird am seitlichen Rande der nunmehr eröffneten 
Seitenhöhle entlang eine steile Umschneidung des Seh- und Streifenhügels vor¬ 
genommen, worauf die linke Großhirnhälfte ohne weiteres sich auf die Seite 
legen läßt. Die Eröffnung der rechten Seitenhöhle erfolgt in gleicher Weise. 
Danach wird die dritte Hirnhöhle in der Weise freigelegt, daß man mit der 
linken Hand den Balken leicht anzieht, die Messerklinge durch das Monroische 
Loch hindurchführt, mit einem möglichst wagerecht geführten Schnitt den 
Balken erst nach vorn hin, und nachdem er nach hinten umgeklappt ist, auch 
an seinem hinteren Abschnitt durchscbneidet, um ihn so völlig abzutragen. Die 
drei Hirnhöhlen des Großhirns liegen nunmehr frei vor; sie werden, nachdem 
noch der Zustand der Gefäßplatte und der Adergeflechte, ihre Farbe, die in 
ihnen verlaufenden Gefäße oder zystische Bildungen betrachtet und beschrieben 
sind, einer genauen Musterung bezüglich ihrer Weite, des Verhaltens ihrer 
Innenfläche unterzogen, ob diese glatt oder uneben ist usw. Im Anschluß 
hieran erfolgt die Untersuchung der vierten Hirnhöhle, nachdem sie durch 
einen von vorn nach hinten durch den Wurm gelegten Schnitt eröffnet ist. 

Der nächste Akt ist die Untersuchung der Großhirn-Halbkugeln 1 
die zu diesem Zwecke von innen her durch eine Reihe längs geführter Schnitte 
zerlegt werden und zwar so, daß man zunächst die linke Hirnhalbkugel halbiert, 
jede dieser beiden Hälften wiederum halbiert und so fort Sämtliche Schnitte 
müssen bis in die Gegend der Hirnrinde geführt und die dadurch gebildeten 
Hirnlappen durch Dazwischenlegen der Fingerspitzen zum Auseinanderklappen 
gebracht werden, um die Feuchtigkeit, den Glanz und das Verhalten der Blut¬ 
punkte des Gehirns beurteilen zu können. Insbesondere ist darauf zu achten, 
ob und wieviel Blutpunkte in einem bestimmten Flächenraum auf der Schnitt¬ 
fläche hervortreten, sowie darauf, ob diese Blutpunkte, nachdem man sie durch 
einen Wasserstrahl entfernt hat, etwa wiederkommen oder nicht. 

Nachdem hierauf Seh- und Streifenhügel nebst Linsenkern durch 
in gleicher Entfernung geführte, aber quer verlaufende Schnitte zerlegt sind, wobei 
das Verhalten der Gehirnsubstanz, namentlich dasjenige der inneren Kapsel, ferner 
die Zahl und Erscheinungsweise der Blutpunkte zu beachten ist, und nachdem die 
Vierhügel an ihrer Oberfläche und auf dem Durchschnitt geprüft sind, er¬ 
folgt die Untersuchung des Kleinhirns, indem jede der beiden Klein- 
hirnhälften in eine obere und in eine untere Hälfte und diese wiederum durch 
strahlenförmig von der Gegend der vierten Hirnhöhle ausgehende Schnitte zer¬ 
legt werden, die bis in die Kleinhirnrinde zu verlaufen haben. Zum Schluß 
wird sowohl das Kleinhirn, als auch das Grosshirn zusammengelegt und um¬ 
gedreht, so daß ihre Unterfläche nach oben kommt und die Prüfung der 
Brücke und des verlängerten Markes durch eine Anzahl gleichweit 
und querverlaufender Schnitte vorgenommen werden kann. 

a ) Zu diesem Zwecke ist die harte Hirnhaut durch kräftige Züge mit 



bei den gerichtliehen Untersuchungen menschlicher Leichen. 


166 


Gesicht, Ohrspeicheldrüse, Gehörgang, Nasen-Rachenhöhle 

und Augen. 1 ) 

§ 15. Wo es nötig wird, die Oeffnung der inneren Teile des Gesichtes, 
die Untersuchung der Ohrspeicheldrüse, des Gehörorgans und der Nasen-Rachen- 
hökle Torzunehmen, ist in der Regel der über den Kopf geführte Schnitt jeder- 
niu hinter dem Ohre in einem nach hinten gewölbten Bogen bis zum oberen 
Rande des Brustbeins zu verlängern und von hier aus die Haut nach vorne und 
<Mn hin abzupräparieren. Der spätere Eröffnungsschnitt für Brust- und Bauch¬ 
höhle 17) beginnt dann nicht am Kinn, sondern an der Vereinigungsstelle 
beider Halsschnitte am oberen Rande des Brustbeins. 

Die Untersuchung des inneren Ohres, insbesondere der Paukenhöhle geschieht 
am einfachsten, indem man mit einigen Meisseischlägen die seitliche Hälfte der 
Kuppe des Felsenbeines entfernt; men kann aber auch das ganze Felsenbein mit 
einem Teil der Schläfen schuppe heraussägen und die Paukenhöhle durch einen 
con dem hinteren Bande des äusseren nach dem vorderen (inneren) Rande des 
inneren Gehörganges gerichteten senkrechten Sägeschnitt eröffnen.*) 

Die Nasenhöhle mit ihren Nebenhöhlen kann am einfachsten der Unter- 
fuchung zugängig gemacht werden, indem man die knöcherne Schädelgrundfläche 
i»t Pfeildurchmesser durchsägt und dann die beiden Hälften auseinanderbiegt, 
es kann aber auch ein Stück der Schädelgrundfläche mit der Nasenscheidewand, 
den Muscheln usw. kunstgerecht herausgesägt werden.*) 

Kommt die innere Untersuchung eines Auges in Frage, so kann man den 
Augapfel im ganzen aus der Augenhöhle von vorn her entfernen und durch einen 
Aequatorialschnitt eröffnen; doch genügt es in der Regel von der Schädelhöhle 
her nach Entfernung der knöchernen Augenhöhlendecke nur die hintere Hälfte 
du Augapfels zu entfernen. 

Wirbelkanal und Rückenmark. 

§ 16. Die Oeffnung des Wirbelkanals (§ 18 Abs. 2), welche sowohl vor 
uie nach der Untersuchung der Schädelhöhle vorgenommen werden kann,*) erfolgt 


einer Pinzette vom Schädelgrunde abzuziehen und dabei festzustellen, ob 
Teile derselben am Schädelgrunde haften bleiben, sowie auch ob Verletzungen 
des knöchernen Schädelgrundes vorhanden sind. 

*) Während früher nur für die Oeffnung der inneren Teile des Gesichts, 
die Untersuchung der Ohrenspeicheldrüse oder des Gehörganges die äußere 
Schnittführung angegeben war, sind jetzt im § 15 genauere Vorschriften sowohl 
aber diese Schnittführung, als über die Untersuchung des inneren Ohres 
(die Eröffnung der Paukenhöhle), der Nasenhöhle, der Nasen-Rachen- 
höhle und des Augapfels angegeben für diejenigen Fälle, wo sich eine 
solche als nötig erweist. 

J ) Die zur Eröffnung der Paukenhöhle erforderlichen Sägeschnitte 
werden mit der gewöhnlichen Säge ausgeführt, nachdem das mittelst der Stich- 
säge (§ 5) herausgesägte Felsenbein in einen Schraubstock geklemmt ist (§ 5). 
Das äußere Ohr und die äußeren Partieen des Schädelgrundes müssen vorher 
selbstverständlich von Wcichtcilen befreit sein. 

*) Bei Eröffnung der Nasenhöhle werden die Sägeschnitte eben¬ 
falls mit einer Stichsäge ausgeführt. Will man die Nebenhöhlen dadurch zu- 
gängig machen, daß man die knöcherne Schädelgrundfläche im Pfeildurchmesser 
durchsägt und dann die beiden Hälften auseinander biegt, so sind vorher die 
Weich teile der Stirn bis über die Augenbrauen und den Nasengrund und be¬ 
sonders diejenige des Nackens vom Knochen vorsichtig abzulösen und nach 
osten zu schlagen. Die Durchsägung geschieht mit der gewöhnlichen Bogen¬ 
säge, die aber ausreichend groß hierzu sein muß. Brauchbar ist z. B. die 
Bogensäge in dem von Puppe angegebenen Sektionsbesteck des Medizinischen 
Warenhauses in Berlin N., Friedrichstraße 108. 

*) Die Oeffnung des Wirbelkanals soll dann nicht unterlassen werden, 
wenn irgend welche erhebliche Befunde vermutet werden können (s. § 16, Abs. 2), 
l. B. bei Verletzungen der Wirbelsäule, bei Rückenmarkserkrankungen usw. 
Ihre Vornahme soll entweder vor, oder nach Oeffnung der Kopfhöhle stattfinden; 
in solchen Fällen, wo größere Lageveränderungen der Leiche nichts wünschens¬ 
wert sind, dürfte es jedoch angezeigt sein, die Wirbelsäule erst am Schluß der 
Leichenöffnung, also nach Untersuchung der Bauchhöhle (111) zu eröffnen. 




166 Die neuen preußischen Vorschriften für das Verfahren der Gerichtsärzte 

in der Beuel von der Rückseite her. Es wird zunächst die Haut und das 
Unterhautfett gerade über den Dornfortsätzen durchschnitten; sodann wird za 
den Seiten der letzteren und der Bogenstücke die Maskalatar abpräpariert. 1 ) 
Dabei ist auf Blutaustretungen, Zerreißungen und sonstige Veränderungen, 
namentlich auf Brüche der Knocnen, sorgfältig zu achten. 

Sodann wird mittels des Meißels oder mit einer Wirbelsäge (Rhachiotom) *) 
der Länge nach aus allen Wirbeln der Dornfortsatz mit dem nächstanstoßenden 
Teile des Bogenstücks abgetrennt und herausgenommen.*) Nachdem die äußere 
Fläche der nun vorliegenden harten Haut geprüft ist, wird der Sack derselben 
durch einen Längsschnitt vorsichtig geöffnet 4 ) und dabei sofort ein ungehöriger 
Inhalt, namentlich Flüssigkeit oder ausgetretenes Blut, festgestellt, auch Farbe, 
Aussehen und sonstige Beschaffenheit des hinteren Abschnittes der weichen 
Haut und des Rückenmarkes sowie durch sanftes Herübcrgleiten des Fingers 
über das Rückenmark der Grad des Widerstandes desselben ormittelt. 

Nunmehr fasst man die harte Rückenmarkshaut unterhalb des Rückenmarks¬ 
endes, schneidet sie quer durch und hebt sie mitsamt dem Rückenmark aus dem 
Wirbelkanal heraus, indem man die abgehenden Nerven an der äusseren Seite 
durchschneidet *)/ dabei ist darauf zu achten, ob zwischen harter Haut und 
Wirbelsäule Blutergüsse oder sonstige fremde Körper vorhanden sind. In der 
Nähe des grossen Hinterhauptloches wird die harte Haut wieder quer durchtrennt 
und, falls die Sektion des Gehirns schon vorgenommen worden war, das obere 
Ende des Rückenmarks aus dem grossen Hinterhauptloche hervor gezogen, im 
anderen Kalle das Rückenmark selbst mit der harten Haut quer durchschnitten. 

Bei allen diesen Tätigkeiten ist besonders darauf zu achten, daß dos 
Rückenmark weder gedrückt noch geknickt wird. Ist es herausgenommen, so 
wird zunächst die Beschaffenheit der äusseren und, nach ihrer Durchtrennung 
in der Längsrichtung, diejenige der inneren Seite der harten Haut an der 
Vorderseite, desgleichen diejenige der weichen Haut geprüft, nächstdem die 
Größe und Farbe des Rückenmarks 6 ) und der äußeren Erscheinung angegeben 
und endlich durch eine größere Reihe von Querschnitten, die mit einem ganz 
scharfen und dünnen Messer zu führen sind, die innere Beschaffenheit des 
Rückenmarkes und zwar sowohl der weißen Stränge, als der grauen Substanz 
dargelegt. 7 ) Schließlich wird die Wandung des Wirbelkanals daraufhin besich¬ 
tigt, ob Verletzungen oder krankhafte Veränderungen an den Knochen, be» 


*) Haut und Fettgewebe sind zunächst nach beiden Seiten abzu¬ 
präparieren und dann erst die Muskulatur loszulösen, also nicht mit Haut- 
und Fettgewebe zusammen. 

*) Bei Kindern läßt sich die Eröffnung der Wirbelsäule einfacher 
und leichter mit der Knochenschere ausführen. 

*) Die Herausnahme von Dornfortsätzen und Wirbelboge n 
geschieht im Zusammenhang; Verletzungen des Rückenmarkes durch Instru¬ 
mente oder Knochenstücke müssen sorgsam vermieden werden. Nach Durch¬ 
trennung sämtlicher Wirbelbogen wird das zwischen Atlas und Hinterhaupt 
befindliche Ligamentum obturatorium poster. zerschnitten, dann der hintere 
Bogen des Atlas mit einer Knochenzange gefaßt und die abgetrennten Bogcn- 
stücke nebst Dornfortsätzen durch einen Zug nach abwärts herausgenommen, 
wobei etwaige noch vorhandene Verbindungen mit Messer oder Schere zu 
lösen sind. 

4 ) Zu diesem Zwecke hebt man am Hinterhauptsende vorsichtig eine 
Falte mit der Pinzette empor, schneidet diese mit der Schere ein, führt hier¬ 
auf den stampfen Scherenarm in den Duralsack und öffnet diesen durch einen 
in der Mitte geführten Längsschnitt bis zum Kreuzbeinende. 

•) Die Durchschneidung der abgehenden Nerven hat also 
außerhalb des Duralsackes zu erfolgen, an ihrer Eintrittsstelle in die Zwi¬ 
schenwirbellöcher; sie geschieht mit einem schmalen und spitzen Messer. 

•) Die mittlere Länge des Rückenmarks beträgt 41,3—44,8 cm., der 
Querdurchmesser an der Halsanschwellung 1,3—1,4 cm, im Rückenteil 1,0 cm, 
an der Lendenanschwellung 1,2 cm; das Gewicht 37 g (Verhältnis zum Gehirn 
wie 1 : 88). 

7 ) Bei den Querschnitten durch das Rückenmark ist zu achten auf 
Vorwöloen oder Einsinken der Schnittfläche, Färbung und Festigkeit der ein- 




bei den gerichtlichen Untersuchungen menschlicher Leichen. 


16 T 


sondert den Wirbelkörpem oder an den Zwischenwirbelseheiben vorhanden sind. 
finden sich solche, so ist der betreffende Teil der Wirbelsäule noch der Sektion 
der Brust- und Bauchhöhle herauszunehmen und in der Regel in der Richtung 
du Pfeildurchmessers zu durchsägen, um die Knochenveränderungen noch Art , 
Ausdehnung usw. genauer untersuchen zu können. 

II. Hals, Brust- and BauehhOhle. ' 

Allgemeine Bestimmungen. 

§ 17. Die Oeffhung des Halses, der Brost- and Bauchhöhle 
wird, wenn nicht nach der im § 15, Abs. 1 angegebenen Methode verfahren wurde , 
um für alle Fälle zulässig ist, in der Regel eingeleitet durch einen einzigen 
lugen, vom Kinn bis zur Schambeinfuge und zwar links vom Nabel geführter 
Schnitt 1 ). Dieser Schnitt darf am Unterleibe nicht sogleich bis in die Bauchhöhle 
jeführt werden, sondern soll nur in das Unterhautgewebe eindringen, dessen Bau 
und Dicke zu beachten ist. Man kann nun entweder die Bauchhaut im Unter - 
kautgewebe nach den Seiten, sowie nach oben bis zum Rippenrand ablösen und 
an Brustkörbe die Ablösung mit Einschluss der Brustmuskeln bis Über die 
Knochenknorpelgrenze der Rippen hinaus fortsetzen, um dann erst die übrigen 
Bauchlandungen durch einen Kreuzschnitt zu zertrennen, wodurch man eine sehr 
brüte Eröffnung der Bauchhöhle erreicht, oder man lässt die Bauchhaut mit den 
Muskeln im Zusammenhänge, eröffnet die Bauchhöhle nur durch einen dem 
Heutschnitt entsprechenden Längsschnitt und löst dann ebenfalls die weichen Be¬ 
deckungen des Brustkorbes ab, nachdem man die Bauchmuskeln längs des Rippen - 
runde* bis auf die Rippen durchtrennt hat. Am besten löst man dabei auch 
schon die Haut des Halses samt dem Hautmuskel bis an den Kieferwinkel ab .*) 

Die Eröffnung der Bauchhöhle geschieht am besten in der Art, daß zu¬ 
erst nur ein ganz kleiner Einschnitt in das Bauchfell gemacht wird. Bei dem 
Ehuchueiden ist darauf zu achten, ob Gas oder Flüssigkeit austritt. Es wird 
dun zuerst ein, sodann noch ein Finger eingeführt, vermittels derselben die 
Bauchhöhle von den Eingeweiden abgezogen und zwischen beiden Fingern der 
Schnitt durch das Bauchfell fortgesetzt. 

Nach der vollständigen Eröffnung der Bauchhöhle ist sofort die Lage, 
die Farbe und das sonstige Aussehen der vorliegenden Eingeweide, sowie ein 
etwa vorhandener ungehöriger Inhalt anzugeben, auch durch Zufühlen mit der 
5ud der Stand wie das sonstige Verhalten des Zwerchfelles zu bestimmen.*) 


xehes Faserzüge, Färbung der grauen Substanz, Weite des Zentralkanals 
1 b allen Fällen, in denen es geboten erscheint, hat man mikroskopische Unter¬ 
suchung der veränderten Stellen entweder sofort oder später am gehärteten 
Btckeomark stattzufinden; das Rückenmark ist demzufolge in Verwahrung 
m nehmen. 

i) Der Schnitt wird links vom Nabel geführt, um das Ligamentum teres 
ra schonen. 

*) Während früher der Schnitt in der Regel gleich bis in die Bauch- 
höhle geführt und diese eröffnet werden konnte, ist jetzt vorgeschrieben, daß 
der Schnitt zunächst nur bis in das Unterhautgewebe eindringen und die Er¬ 
öffnung der Bauchhöhle erst nach Loslösung der Bauchdecken usw. vorgenommen 
werden soll. Es entspricht dieses Verfahren dem in der Württembergischen 
Anweisung vorgeschriebenen, um zu verhüten, daß bei der sofortigen Eröffnung 
der Bauchhöhle das Ergebnis der späteren Untersuchung getrübt werden könnte. 
Bei dem Einschnitt und späterer Ablösung ist nicht nur auf Dicke, Farbe und 
Bandes Fettpolsters, sondern auch auf die Muskulatur (s. auch § 18, 
Abs. 1} zu achten. Bei Loslösung der Haut des Halses sind nur die Haut- 
noskeln mit abzulösen, alle anderen Muskeln bleiben zunächst unberührt. 

’) Bei der Betrachtung der Bauchhöhle ist nicht nur die Lage 
der Baucheingeweide, wie weit die Leber in die Brustwarzen-und Inder 
Mittellinie den Rippenbogenrand überragt, wie weit der Magen hinabreicht, ob 
er durch Gas ausgedehnt ist, ob das Netz die Därme bedeckt, festzustellen, 
«Odern auch, ob alle Baucheingeweide eine glatte und glänzende Oberfläche 
heben, oder ob sich Verwachsungen oder Verklebungen zwischen ihnen vor- 
faden, soweit sich dies ohne Trennung ihres Zusammenhangs allein durch eine 
Besichtigung feststellen läßt. Um zu ermitteln, ob und welcher fremde ln- 



168 Die neuen preußischen Vorschriften für das Verfahren der Gerichts&rzte 

Die Untersuchung der Organe der Bauchhöhle wird nur dann sofort an- 

g eschlossen, wenn die Vermutung besteht, es sei die Todesursache an den 
rganen der Bauchhöhle zu finden (§ 13, Abs. 3). 1 ) Für gewöhnlich hat die 
Untersuchung der Brusthöhle der weiteren Erforschung der Bauchhöhle vor- 
aufzugehen. 

a. Brusthöhle. 

§. 18. Bei dem Ablösen der Weichteile der Brust (8. §17) ist auf das 
Verhalten der Muskeln und bei Frauen auf dasjenige der Milchdrüse,*) welche von 
hinterher eingeschnitten wird, zu achten. 

Zur Eröffnung der Brusthöhle werden die Bippenknorpel um wenige 
Millimeter nach innen von ihren Ansatzstellen an die Bippen mit einem starken 
Knorpelmesser durchschnitten. Dasselbe ist so zu führen, daß das Eindringen 
der Spitze in die Lunge oder das Herz vermieden wird. 

Bei Verknöcherung der Knorpel ist es vorzuziehen, die Bippen selbst 
etwas nach außen von den Ansatzstellen der Knorpel mit einer Säge oder einer 
Knochenschere zu durchtrennen. 

In jedem Falle wird dabei jederseits die Brusthöhle eröffnet, deren Zu¬ 
stand (ob leer oder verwachsen, ob mit abnormem Inhalt und welchem versehen) 
bereits jetzt für die vorderen Abschnitte festgestellt werden sollte. 

Wenn die Möglichkeit einer Gas-(Luft-) Anhäufung in dem Brustfellsack 1 ) 
vorliegt, insbesondere wenn die Weichteile der Zwischenrippenräume vorgewölbt 
erscheinen, ist zunächst, bevor die Rippen durchschnitten werden, nur ein kleiner 
Einschnitt in das Brustfell, oder es sind nacheinander in verschiedenen Zwischen¬ 
rippenräumen mehrere kleine Einschnitte zu machen, wobei auf etwa heraus¬ 
strömendes Gas besonders zu achten ist. 

Sodann wird jederseits das Schlüsselbein vom Handgriffe des Brustbeins 
durch halbmondförmig geführte vertikale Schnitte im Gelenk getrennt und die 
erste Bippe, sei es im Knorpel, sei es im Knochen, mit Messer oder Knochen¬ 
schere durchschnitten, wobei die größte Vorsicht anzuwenden ist, daß nicht 
die dicht darunter liegenden Gefäße verletzt werden. Alsdann wird das Zwerch¬ 
fell, soweit es zwischen den Endpunkten der genannten Schnittlinien angeheftet 
ist, dicht an den Bippenknorpeln und dem Schwertfortsatz abgetrennt, das 
Brustbein nach aufwärts geschlagen und das Mittelteil mit sorgsamer Ver¬ 
meidung jeder Verletzung des Herzbeutels und der großen Gefäße durch¬ 
schnitten. 4 ) 

Nachdem das Brustbein entfernt ist, wird zunächst der Zustand der 
Brustfellsäcke, namentlich ein ungehöriger Inhalt derselben nach Menge 
und nach Beschaffenheit, sowie der Ausdehnungszustand und das Aussehen der 
vorliegenden Lungenteile festgestellt.*) Hat bei der Entfernung des Brustbeins 


halt sich im kleinen Becken vorfindet, sind die hier liegenden Darmschlingen 
emporzuheben. 

Der Stand des Zwerchfells (gewöhnlich zwischen 4. u. 5. Bippe, 
links etwas tiefer als rechts) wird in der Brustwarzenlinie festgestcllt. 

*) Die Untersuchung der Bauchhöhle ist auch bei Vergiftungen so¬ 
fort anznschließen (s. § 21). 

*) Eine Untersuchung der „Milchdrüse“ war früher nicht ausdrück¬ 
lich vorgeschrieben. (Mamma = Milchdrüse; Thymus = Brustdrüse.) 

а ) Also bei Verdacht auf Pneumothorax. 

4 ) Bei dem Aufwärtsschlagen und der Entfernung des Brustbeins ist 
gleichzeitig darauf zu achten, ob es unversehrt ist. Es empfiehlt sich übrigens, 
die Durchschneidung des ersten Bippenknorpels erst auszuführen, nachdem man 
das Brustbein von den unterliegenden Teilen abgelöst und nach oben ge¬ 
schlagen hat; der Bippenknorpel wird dann von unten durchschnitten, hierauf 
das Brustbein noch stärker in die Höhe geschlagen und das Brustbein-Schlüssel¬ 
beingelenk von hinten her geöffnet. Bei diesem Verfahren ist eine Verletzung 
der großen Gefäße so gut wie ausgeschlossen. 

б ) Bei der Besichtigung der eröffneten Brusthöhle ist u. a. auch 
darauf zu achten, ob die Lungen zurückgesunken, wie weit ihre vorderen 
Bänder voneinander entfernt sind, wieweit der Herzbeutel von der Lunge be¬ 
deckt ist, ob und inwieweit die Lungen mit den Brustfellsäcken verwachsen 
sind usw. 




bei den gerichtlichen Untersuchungen menschlicher Leichen. 169 


eise Verletzung von Gefäßen stattgefunden, so ist sofort eine Unterbindung 
oder wenigstens ein Abschlnß derselben durch einen Schwamm yorzunehmen, 
damit das ausfließende Blut nicht in die Brustfellsäcke trete und später das 
Urteil störe. Die Zustände des Uittelf eiles, insbesondere das Verhalten 
der darin yorhandenen Brust* und Thymusdrüse werden schon hier 
ermittelt. 1 ) 

Nächstdem wird der Herzbeutel geöffnet und untersucht und das 
Herz selbst geprüft. Bei letzterem ist Größe, Gestalt, Füllung der Kranz¬ 
gefäße und der einzelnen Abschnitte (Vorhöfe und Kammern), Farbe und 
Konsistenz (Leichenstarre) zu bestimmen, bevor irgend ein Schnitt in das Herz 
gemacht oder gar dasselbe aus dem Körper entfernt wird*). Sodann ist, während 
das Herz noch in seinem natürlichen Zusammenhänge sich befindet, jede 
Kammer und jeder Vorhof einzeln zu öffnen und der Inhalt jedes einzelnen 
Abschnittes nach Menge, Gerinnungszustand und Aussehen zu bestimmen, auch 
die Weite der Vorhofskammeröffnung durch vorsichtige Einführung zweier Finger 
yom Vorhof aus zu erproben. Bei Vergi-össerung, besonders einseitiger, des 
Herzens kann zuerst ein horizontaler Schnitt durch < ie Mitte beider Herzkammern 
gelegt werden, der bis an das Herzfell der Rückseite reicht.*) 


1 ) Muß Brust- oder (statt und) Thymusdrüse heißen. Sie ist 
falls noch vorhanden, herauszunehmen und auf Größe, Farbe, Bau (Beschaffen¬ 
heit and Schnittfläche) zu untersuchen. Ihre Länge beträgt bei Kindern bis 
zum 9 Monate durchschnittlich 5,9 cm (3,3—9,0 cm), bis zum 2. Jahre 6,9 (3,2 
bis 21,0 cm), vom 3.—14. Jahre 8,5 cm; die Breite an der breitesten Stelle die 
Hälfte der Länge; das Gewicht bei der reifen Frucht 9—11 g, bis zum 
2. Jahre 22 g (11—35 g), von 3—14 Jahren 25 g, dann immer weniger. Die 
Thymusdrüse vergrößert sich bekanntlich nur bis zum dritten Lebensjahre, 
bleibt bis zum 14. Jahre unverändert und bildet sich dann allmählich 
zarfick. Sie wird dabei nach und nach von Fettgewebe durchwachsen, bo daß 
man schließlich bei Erwachsenen nur noch solches findet, das zwar oft noch 
die Form der Drüse zeigt, in seinem Innern aber nur einige inselartige Tbymus- 
reste enthält. Wenn Verengerung der Luft r öhre durch eine über¬ 
groß o Thymusdrüse anzunehmen ist, so muß schon jetzt die Luftröhre in 
ihrer natürlichen Lage quer durchschnitten werden, um durch Einblick in die 
Lichtung nach oben und unten eine etwa vorhandene Einengung sicher fest¬ 
stellen zu können (s. § 19, Abs. 9, S. 173). I 

*) Die Eröffnung des Herzbeutels geschieht durch einen f\ förmigen 
Schnitt; zunächst wird die Beschaffenheit der Innenfläche des Herzbeutels, der 
Oberfläche des Herzens und das Vorhandensein etwaigen Inhalts (in gewöhn¬ 
lichen Verhältnissen etwa 10 ccm), indem man das Herz an seiner Spitze in 
die Höhe hebt, festgcstellt, wobei gleichzeitig die hintere Fläche des Herzens 
besichtigt werden kann. Beim Herzen selbst ist außer Größe (ob der ge¬ 
ballten rechten Faust der Leiche entsprechend), Gestalt, Farbe und Konsistenz, 
auch die Beschaffenheit der Oberfläche (Fettablagerung, Sehnenflecke), sowie 
schon vor der Eröffnung die Füllung der Vorhöfe und Herzkammern (durch 
Befühlen) und der Kranzgefäße zu ermitteln. Die Größenmaße sind bei Er¬ 
wachsenen: Länge 9—10 cm, Breite 11 cm, Dicke 3—5 cm; das Gewicht (ohno 
Blutinhalt) 300 g, beim Weibe 250 g. 

*) Die Eröffnung des Herzens muss auch jetzt stets in situ 
erfolgen; dagegen ist es zulässig, statt hierauf das Herz allein zur weiteren 
Untersuchung herauszuschneiden, diese erst nach der Untersuchung der Hals¬ 
organe vorzunehmen und demzufolge gleich sämtliche Halsorgane im Zusammen¬ 
hänge mit allen Brustorganen herauszunebmen, ein Verfahren, was nicht nur 
eine bessere Uebersicht gewährt, sondern auch die Untersuchung erleichtert. 
Ina übrigen sind die Vorschriften über die Untersuchung des Herzens wenig 
geändert; es ist nur noch besonders auf die Möglichkeit einer Täuschung bei 
Prüfung der Schlußfähigkeit der Schlagaderklappen durch Aufgießen von Wasser 
hingewiesen, das Aufschneiden der Schlagadermündungen und die Prüfung des 
Zustandes ihrer Klappen und der Vorhofkammerklappen, die Ocffnung der 
Kranzgefäße und ihre Untersuchung auf Lichtung und Wandbeschaffenheit an¬ 
geordnet, sowie bei plötzlichen Todesfällen empfohlen, vor der Herausnahme des 
Herzens die Lungenschlagader von der rechten Kammer ans zu eröffnen, um 




170 Oie neuen preußischen Vorschriften für das Verfahren der Gerichtslnte 

Nunmehr kann man entweder das Herz herausschneiden und weiter unter¬ 
suchen, darauf die Lungen und endlich die Halsorgane nebst Speiseröhre und 


auf etwaige Verstopfungen durch Embolie zu fahnden. Die Untersuchung 
des Herzens wird demnach in folgender Weise vorgenommen: 

Das noch in seiner natürlichen Lage befindliche Herz wird mit 
der linken Hand gefaßt, so daß die rechte Vor- und Herzkammer deutlich 
sichtbar werden und mit ihrer Seitenwand (äußeren Band) nach oben sehen. 
Hierauf erfolgt die Eröffnung des rechten Vorhofes durch einen von der Gegend 
der Einmündung der Hohlvenen an bis an die Gegend der Vorhofkammerklappe, 
möglichst genau an der Seitenwand des Herzens geführten Schnitt, und alsdann 
eine Durchtrennung der Seitenwand des rechten Ventrikels bis an die Herzspitze. 
Mit den Fingern der rechten Hand wird danach der Inhalt von Vorhof und 
Herzkammer bezüglich seiner Beschaffenheit, ob flüssiges, ob geronnenes Blut, 
ob Speckgerinnsel usw., sowie bezüglich seiner nach Kubikzentimeter zu 
messenden Menge geprüft und schließlich durch vorsichtiges Einführen von 
zwei Fingern vom Vorhofe aus die Weite der Vorhofkammer-Eröffnung erprobt. 
„Jeder Versuch, schon jetzt durch Fühlen, Beiben usw. die Klappenränder zu 
ermitteln, muß unterbleiben, da er geeignet ist, Veränderungen zu erzeugen 
oder vorhandene Veränderungen zu beseitigen, z. B. aufsitzende Gerinnsel zu zer¬ 
bröckeln oder gar abzulösen“ (Nauwerk). Das Herz wird hierauf so mit der 
linken Hand ergriffen, daß die Seitenwand der linken Vor- und Herzkammer nach 
oben sieht und beide Kammern durch eineu in der vorderen Lungenvene un¬ 
mittelbar hinter dem linken Herzohr beginnenden, die Kranzfurche übersprin¬ 
genden und am seitlichen Bande der linken Herzkammer bis in die Herzspitze 
fortgesetzten Schnitt geöffnet. Die Prüfung des Inhalts und der Durchgängig¬ 
keit der Klappe hat ebenso wie auf der rechten Seite zu erfolgen. Ist das 
Herz vergrößert, so kann ein wagerechter Schnitt durch die Mitte beider 
Herzkammern gelegt werden, der bis an das Herzfell der Bückseite reicht. 

Nach Herausnahme und Abtrennung des Herzens, die am 
besten in der Weise erfolgt, daß man dieses durch die beiden Herzkammer¬ 
schnitte erfaßt, kräftig nach oben zieht und die großen Gefäße von unten her 
durch einige, möglichst weit vom Herzgrunde entfernte Schnitte durchtrennt, 
wird die weitere Untersuchung mit Prüfung der Schlußfähigkeit 
der Schlagaderklappen begonnen. Das Herz wird zu diesem Zwecke 
an den beiden Herzohren hoch gehalten und darauf durch Eingießen von 
Wasser in die beiden Schlagadern geprüft, ob ihre Klappen schlußfähig sind. 
Um Täuschungen, namentlich bei der Prüfung der Lungenschlagader (Pulmo- 
nalis) zu vermeiden, empfiehlt es sich, diese durch Auseinanderziehen der 
Schlagaderwand zum Klaffen zu bringen. Hierauf werden die beiden großen 
Schlagadern unter Benutzung der Darmschcre geöffnet, und zwar zuerst 
die Lungenschlagader in der Weise, daß man den geknöpften Arm von dem 
Eröffnungsschnitt der rechten Herzkammer aus durch die Pulmonalis schiebt 
und die Vorderwand der Herzkammer, unter Erhaltung des Papillarmus- 
kels der dreizipfligen Klappe, sowie die Schlagader selbst schräg durch¬ 
schneidet. Bei Eröffnung der großen Körperschlagader wird dagegen der 
geknöpfte Scherenarm von dem Eröffnungsschnitt der linken Herzkammer aus 
gerade längs der Scheidewand der Herzkammern bis in diese Schlagader 
vorgeschoben und dann Kammer und Schlagader anfgeschnittcn. Jetzt werden 
in beiden geöffneten Herzhälften die Weite der Herzhöhlen und die Beschaffenheit 
der Vorhofkammer- und halbmondförmigen Klappen, der Innenhaut, der Papillar- 
muskcln, Sehnenfäden und des Herzfleisches, insbesondere dessen Dicke, Farbe, 
Aussehen fcstgestellt; hierbei ist auf krankhafte Veränderung (Fettentartung, 
Schwielen, Trübung usw.) zu achten. Die Dicke der Herzwandungen, die rechts 
durchschnittlich 0,5—0,7, links 1,1—1,4 cm beträgt, wird an der Spitze und 
am Grunde gemessen, auch der Umfang der großen Schlagadern am Klappen¬ 
ring (Lungcnschlagader 8,9—9,2 cm, Körperschlagader 7,7—8 cm) und des 
Klappeurings der rechten (11 cm) und linken (10 cm) Vorhofs - Kammerklappen 
ist zu ermitteln. Den Schluß bildet die Untersuchung der Kranzgeffiße 
und größeren Gefäße mit Ausnahme der absteigenden Schlagader) mit 
Bücksicht auf ihre Weite, Füllung, Beschaffenheit der Wandungen und der 
Innenhaut; sie sind zu diesem Zwecke auch zu öffnen. 




bei den gerichtlichen Untersuchungen menschlicher Leichen. 


171 


Brustsehlagader vornehmen, oder man beginnt in der später anzugebenden Weise 
mit der Untersuchung der Haieorgane, nimmt dann diese im Zusammenhänge mit 
sämtlichen Brustorganen heraus und trentit nun erst je nach Bedürfnis die ein¬ 
zelnen Organe ab, um sie weiter zu untersuchen, oder man nimmt die weitere 
Untersuchung vor, ohne den Zusammenhang der Teile auf zuheben. 

Hat man das Herz abgetrennt, so kann man die Schlnßfähigkeit der 
Schlag&derklappen durch Aufgießen von Wasser prüfen, doch muss man dabei 
se\r vorsichtig zu Werke gehen, um nicht Täuschungen zu unterliegen. In jedem 
Falle müssen die Schlagadermündungen auf geschnitten und der Zustand ihrer 
Klappen ebenso wie derjenige der Vorhof kammerklappen geprüft werden. Es 
folgt die Feststellung der Beschaffenheit des Herzfleisches nach Größe (Dicke), 
Farbe und Aussehen; entsteht dabei die Vermutung, daß Veränderungen des 
Muskelgewebes, z. B. Fettentartung desselben, in größerer Ausdehnung vor* 
handen seien, so ist jedesmal eine mikroskopische Untersuchung zu veranstalten. 

Besondere Aufmerksamkeit ist den Kranzgefüssen zu schenken, welche 
n» eröffnen und in bezug auf Lichtung und Wandbeschaffenheit zu unter¬ 
suchen sind. 

Au die Untersuchung des Herzens schließt sich die der größeren Gefäße, 
mit einziger Ausnahme der absteigenden Aorta, welche erst nach den Lungen 
za prüfen ist. 

Bei plötzlichen Todesfällen empfiehlt es sich, vor der Herausnahme des 
Herzens die Lungenschlagader von der rechten Kammer aus zu eröffnen, um auf 
etwaige Verstopfungen derselben (durch Embolie) zu fahnden. 

Die genauere Untersuchung der Lungen setzt ihre Herausnahme aus 
der Brusthöhle voraus. Dabei ist jedoch mit großer Vorsicht zu verfahren 
and jede Zerreißung oder Zerdrückung des Gewebes zu vermeiden. Sind aus¬ 
gedehntere, namentlich ältere Verwachsungen vorhanden, so sind dieselben nicht 
zn trennen. 1 ) Nachdem die Lungen herausgenommen sind, wird noch einmal 
sorgsam ihre Oberfläche betrachtet, um namentlich frischere Veränderungen, 
z. B. die Anfänge entzündlicher Ausschwitzung, nicht zu übersehen. Sodann 
werden Luftgchalt, Farbe und Konsistenz der einzelnen Lungenabschnitte an¬ 
gegeben, endlich große glatte Einschnitte gemacht und die Beschaffenheit der 
Schnittflächen, der Luft-, Blut- und Flüssigkeitsgehalt, der etwaige feste Inhalt 
der Lungenbläschen, der Zustand der Bronchien und Lungenarterien, letzterer 
namentlich mit Bücksicht auf eingetretene Verstopfungen usw. festgestellt. 
Zu diesem Zwecke sind die Luftwege und die größeren Lungengefäßc mit der 
Schere aulzuschneiden und bis in ihre feinsten *) Verästelungen zu verfolgen 


*) Verwachsungen zwischen Lunge und Rippenfoll sind vor¬ 
sichtig mit der Hand erst links, dann rechts zu lösen; ist dies ohne Zerreißung 
oder Zerdrückung des Gewebes nicht möglich, so ist der betreffende Teil des 
Rippenfells mit zu entfernen. Ebenso werden unlösbare Verwachsungen der 
Lunge mit dem Zwerchfell oder Herzbeutel Umschnitten und heraus¬ 
genommen. 

*) Die Vorschriften über die Untersuchung der Lungen sind sonst nur 
insoweit abgeändert, daß jetzt die Luftwege und Lungengefäße bis in die 
^feinsten“ Verzweigungen mit der Schere aufzuschneiden und zu verfolgen 
and. Betreffs der Farbe der Lungen ist zu beachten, daß diese an den hin¬ 
teren Abschnitten in der Hegel etwas dunkler ist, als in den vorderen; die 
Konsistenz wird zunächst durch Fühlen (ob luftkissenartig, elastisch, 
schlecht, lederartig usw.) festgestellt. Behufs Ausführung der Einschnitte 
wird die Lunge fest auf ihre Basis gestellt und zunächst ein Hanptschnitt von 
der Spitze des Oberlappens bis zum Hände des Unterlappens auf der größten 
Wölbung und bis zur Tiefe der Hauptbronchus ausgeführt. Die Schnittfläche 
darf vor der Besichtigung nicht mit den Fingern berührt oder mit Wasser 
abgespült werden, weil dadurch wertvolle Befunde verloren gehen würden. 
Wichtig ist, ob Blut, schaumige Flüssigkeit usw. in großen Mengen und ohne 
jeden Druck auf der Schnittfläche hervortritt, oder ob dies nur bei Druck er¬ 
folgt. Beim Aufschneiden der Luftröhronäste ist nicht nur auf ihren 
lolult, sondern auch auf die Beschaffenheit ihrer Schleimhaut za achten. 

Das Gewicht der Lunge beträgt rechts 360—570 gr, links 325—480 gr ; 
die Größe der Luftbläschen 0,25—0,3 mm. Nach Untersuchung der Lungen 
erfolgt diejenige der Bronchialdrüsen und der absteigenden Schlagader. 


j 



172 Die neuen preußischen Vorschriften für das Verfahren der Gerichta&rzte 


Wo der Verdacht vorliegt, daß fremde Massen in die Luftwege hinein* 
gelangt sind, and wo Stoffe in den Luftwegen gefunden werden, deren Natar 
durch ihre groben Merkmale nicht sicher angezeigt wird, ist eine mikroskopi¬ 
sche Untersuchung zu veranstalten. Ebenso sind, wo der Verdacht einer Fett¬ 
embolie vorliegt, alsbald Schnitte des Lungengewebes daraufhin mikroskopisch zu 
durchmustern, um ein Urteil über das Vorhandensein und gegebenen Falles den 
Umfang der Embolie zu gewinnen. 

§ 19. Die Untersuchung des Halses kann, wie erwähnt, je nach der 
Eigentümlichkeit des Falles nach derjenigen der Brustorgane oder in Ver¬ 
bindung mit derselben vorgenommen werden. In der Regel empfiehlt es sich, 
die großen Gefäße und die Nervenstämmc') in ihrer natürlichen Lage zu unter¬ 
suchen, was insbesondere bei Erhängten oder bei dem Verdacht des Erwürgungs¬ 
todes geboten ist, um zu ermitteln, ob die inneren Häute der Halsschlagadern 
verletzt sind oder nicht, ln diesen Fällen sind vorher etwaige Veränderungen 
an den vorderen Halsmuskeln festzustellen, auch ist dabei die Ablösung der Haut 
des Halses in besonders vorsichtiger Weise zu bewirken, damit eine Verwechse¬ 
lung zwischen den während des Lebens entstandenen Rissen in den Halsmuskeln 
und den bei der Sektion etwa bewirkten Verletzungen derselben ausgeschlossen 
werden kann. 

Wenn, wie bei Ertrunkenen, auf den Inhalt der Luftwege besonderer 
Wert zu legen ist, werden stets der Kehlkopf und die Luftröhre vor 
Herausnahme der Lungen in ihrer natürlichen Lage durch einen Schnitt von 
vornher eröffnet, welcher in die größeren Luftröhrenäste fortzusetzen ist. Dabei 
ist zugleich ein vorsichtiger Druck auf die Lungen auszuüben, um zu sehen, 
ob und welche Flüssigkeiten usw. dabei in die Luftröhre aufsteigen. Für ge¬ 
wöhnlich, insbesondere in Fällen, wo Verletzungen des Kehlkopfes und der 
Luftröhre stattgefunden haben, oder wichtige Veränderungen ihres Gewebes 
vermutet werden, findet die Oeffnung der Luftwege erst nach ihrer Heraus¬ 
nahme von der hinteren Seite her statt. 

Die Luftwege werden im Zusammenhänge mit der Zunge, dem 
weichen Gaumen, dem Schlunde, der Speiseröhre und der Haupt¬ 
schlagader herausgenommen; die schleimhäutigen Kanäle werden von hinten 
her aufgeschnitten und namentlich auf die Zustände ihrer Schleimhäute unter¬ 
sucht, doch müssen auch die übrigen Bestandteile der Wand, insbesondere die 
Knorpel des Kehlkopfes ebenso wie das Zungenbein, besonders etwa vorhandene 
Verletzungen beachtet werden.*) 

Die Mandeln und Speicheldrüsen, die Schilddrüse, sowie die 
Lymphdrtisen des Halses sind zu betrachten und einzuschneiden. Die 
Hauptschlagader wird an ihrer vorderen Seite auf geschnitten.*) 


') Von den großen Gefäßen und Nervenstämmen kommen be¬ 
sonders in Betracht die Karotiden, Drosselvenen, Nervi vagi und der 
Sympathicus. 

*) Die Herausnahme und Untersuchung der Halsorgane 
erfolgt nach Puppe am besten in folgender Weise: Zunächst werden beider¬ 
seits die Ansätze der Kopfnicker vom Brastbcin abgetrennt und die unteren 
Enden dieser Muskeln bis über die Gegend der großen Gefäße hinaus nach der 
Seite hin abpräpariert. Sodann schneidet man erst links, dann rechts mit einem 
kräftigen bis auf die Wirbel gehenden Schnitt, möglichst hoch oben beginnend, 
das Gewebe zwischen Kehlkopf und Carotis durch, verlängert den Schnitt nach 
untca hin so weit wie möglich und biegt schließlich beim Eingang in die Brust¬ 
höhle etwas nach außen hin ab, um die Subklavikular- Gefäße ebenfalls gänzlich 
zu durchtrennen. Nunmehr wird die Zungcnrauskulatur vom Unterkiefer ab- 
getrennt, indem man am Kinn dicht hinter dem Unterkiefer einsticht, den ge¬ 
machten Einstich nach links und hinten genau am Knochen entlang gehend bis 
in die Gegend des Kiefcrwinkels verlängert uod dann das Messer kräftig nach 
unten in den vorher zwischen Kehlkopf und Carotis gemachten Schnitt aus¬ 
zieht. Nachdem in gleicher Weise auf der rechten Seite verfahren ist, wird 
die Zunge mit Daumen und Zeigefinger gefaßt (erforderlichenfalls mit Pinzette 
oder Doppelhaken, falls sie zu schlüpfrig ist), kräftig nach unten gezogen 
und die Mundhöhle von unten eröffnet. Nunmehr erfolgt die Abtrennung des 
weichen Gaumens vom harten; kräftige Querschnitte durchtrennen alsdann 



bei den gerichtlichen Untersuchungen menschlicher Leichen. 173 

Wenn Herz und Lungen sehon vor der Untersuchung der Halsorgane ent - 
ftrnt worden waren, ist besonders darauf zu achten, dass von den Luftröhren 
and der Speiseröhre nichts in der Brusthöhle zurückbleibt . *) 

Erscheint es wünschenswert , den Zusammenhang von Speiseröhre und 
Magen oder von Brust• und Bauchschlagader nicht zu zerstören, so löst man 
diese Teile , soweit sie oberhalb des Zwerchfells liegen, nur von der Wirbelsäule 
los , trtnnt sie aber über dem Zwerchfell nicht ab, sondern legt sie nach vorge- 
nommener Untersuchung in die Brusthöhle zurück, bis die entsprechenden Bauch - 
höklevorgatte zur Sektion gelangen . *) 

Falls der Zustand des Rachens von wesentlicher Bedeutung ist, wie bei 
der Erstickung durch Fremdkörper, ist es ratsam, statt des einen Mittelschnittes 
durch die Halshaut die vorher (§ 15) angegebenen Seitenschnitte auszuführen; 
nach Abtrennung der Weichteile, besonders der Zunge, vom Unterkiefer wird da¬ 
durch in der Regel eine genügende Uebersicht des Schlundes und Kehlkopfein - 
ganges zu gewinnen sein; eine noch freiere Uebersicht erhält man, wenn man 
den Unterkiefer aus seinen Gelenken löst und mitsamt den Hautlappen nach oben 
(auf das Gesicht) zurückschlägt . 

Es ist auch zulässig, den Hautschnitt über das Kinn durch die Unterlippe 
u*ch oben zu verlängern, die Haut beiderseits bis zu den Kieferwinkeln abzulösen, 
diese zu durchsägen und das losgelöste Mittelstück des Unterkiefers ah Handhabe 
zu benutzen, um leichter und fteier den Schlund übersehen und entfernen 
zu können . 

Wenn eine Verengerung der Luftröhre durch Druck seitens benachbarter 
Ttile, z. B. einer übergrossen Thymusdrüse anzunehmen ist, empfiehlt es sich, 
schon vor der Eröffnung der Brusthöhle oder doch sofort nach Entfernung des 
Brustbeins die Luftröhre in ihrer natürlichen Lage quer zu durchschneiden, um 


das Gewebe unmittelbar vor den Hals- und Brustwirbclkörpern, so daß Zunge, 
Bachen, Kehlkof, oberer Teil der Speiseröhre und die Luftröhre, einschließlich 
ihrer Bifurkation mit samt dem Aortenbogen in Zusammenhang herausgenommen 
werden können. Hierauf wird zunächst die Zunge untersucht, ob sie verletzt 
«.der unversehrt ist, ob sie Narben aufweist, insbesondere an ihren seitlichen 
Rindern, wie ihre Oberfläche beschaffen ist, welche Farbe und welche Kon¬ 
sistenz sie hat; desgleichen wird die Beschaffenheit ihres Gewebes durch 
mehrere Querschnitte festgestellt. Sodann werden der weiche Gaumen und 
das Zäpfchen betrachtet (Beschaffenheit seiner Schleimhaut, Länge, Dicke 
und Konsistenz des Zäpfchens, sowie Farbe und Beschaffenheit seines Durch¬ 
schnittes), Länge, Größe und Beschaffenheit der Mandeln festgestellt (ob 
ihre Oberfläche glatt oder zerklüftet ist, wie sich die Entleerung ihrer 
Höhlungen auf Druck gestaltet, Schnittfläche ihres der Länge nach einzu¬ 
schneidenden Gewebes) und die Speicheldrüse in gleicher Weise untersucht. 
Hierauf wird die hintere Rachenwand und unmittelbar daran anschließend 
die hintere Speiseröhrenwand in der Mitte aufgeschnitten (am besten mit einer 
Dirmschere) und ermittelt, ob und welche Veränderungen die normalerweise 
glatte und glanzende Schleimhaut erlitten hat, etwaiger fremder Inhalt vor¬ 
handen ist usw. Nachdem man sich durch einen Blick in das Innere des Kehl¬ 
kopfs davon überzeugt hat, daß seine Lichtung nirgends fremden Inhalt oder 
andere verstopfenden Körper aufweist, wird er ebenfalls von hinten geöffnet 
und der Schnitt bis in die Trachea und den rechten und linken Bronchus fort- 
gefahrt. Hierbei ist auf das Verhalten der Schleimhaut (Farbe, Gefäße usw.), 
^owie auf die Anwesenheit etwaiger Auflagerungen oder fremden Inhalts 
iSchleim, Schmutz, Mageninhalt usw.) zu achten. Die Untersuchung der 
Schilddrüse (Gewicht: 80—60 g, Höhe der Seitenlappen: 6—7 cm, 
Breite: 3—4 cm, Dicke: 1,5—2,5 cm), der Lymphdrüs en des Halses, 
die der Länge nach aufzuschneiden sind, sowie der großen Halsschlagader 
und I) rosselvenen, die an der vorderen Fläche aufgeschnitten werden (Um¬ 
fang, Inhalt und Wandung), der Nervi vagi und desSympathicus bilden 
d»:n Schluß, soweit diese Untersuchung nicht schon vorher in der natürlichen 
Lage stattgefunden hat (s. Anm. 1 auf S. 169). 

*) Siehe auch Anmerk. 2 zu § 18, Abs. 7, S. 169. 

*) Bei Vergiftungen erfolgt die Herausnahme der Halsorgane in Zu¬ 
sammenhang mit dem Magen (s. § 21, Abs. 4). 




174 


Dr. Hetßler. 


durch Einblick in die Lichtung nach oben und unten eine etwa vorhandene Ver¬ 
engerung sicherer zu erkennen .') 

Nach Entfernung der Hals- und Brustorgane ist zum Schluß der Zn* 
stand der tiefen Halsmuskulatur sowie der Hals* und Brustwirbel¬ 
säule zu berücksichtigen. Veränderte Abschnitte der Wirbelsäule werden am 
besten erst nach Beendigung det Bauchsektion herausgenommen und nach § 16, 
Schlussatz weiter behandelt. 

(Schluß folgt.) 


Bekämpfung ansteckender Krankheiten. 

Von Dr. Helssler, Königlicher Bezirksarzt zu Teuschnitz. 

Die Abhandlung des Herrn Kollegen Dr. Berger unter 
obigem Titel in Nr. 4 dieser Zeitschrift ist mir Anlass, eine Be¬ 
obachtung aus der Praxis mitzuteilen, welche an sich ebenso viel 
und ebenso wenig beweiskräftig ist, mir aber geeignet erscheint, 
Bergers Forderung zu stützen, dass es in dieser Frage ganz 
wesentlich auf die Massregeln gegen die ersten Fälle ankommt. 

Als praktischer Arzt wurde ich in ein Dorf gerufen znm 
Kinde des dortigen Lehrers und musste bei demselben Diphtherie 
konstatieren. Im heiligen, damals allerdings antizipierten Eifer 
ordnete ich neben anderem an, dass die Schule sofort geschlossen 
werde, resp. da es an einem Sonntage war, dass die Schüler am 
nächsten Tage nicht mehr ins Haus gelassen werden. Es trug 
mir dies eine kleine, aber wohlgemeinte Büge ein, auf die ich 
heute noch stolz bin. Der alte, ängstliche Lokalschulinspektor 
hatte au das Amt berichtet, dass ich die Schule geschlossen hätte, 
statt dass er provisorisch Schluss verfügt habe, wie es meiner¬ 
seits gemeint war. Bei meiner Ankunft im Krankenzimmer war 
natürlich die hilfreiche Frau Nachbarin bereits an der Arbeit, 
der jungen Mutter mit ihren guten Ratschlägen zu dienen. Mein 
Hinweis auf die Gefahren, die aus ihrem Verhalten der eigenen 
Familie drohen, wurde mit überlegenem Lächeln abgetan: «Das 
kenne ich schon, die Krankheit fürchte ich nicht, ich werde mich 
nicht abhalten lassen, das liebe Mariele zu besuchen.“ Des Lehrers 
verständiges Verhalten und eine gewisse Furcht, welche als Folge 
einer sehr schweren Diphtherie-Epidemie in eisern Nachbardorfe 
noch nicht ganz verschwunden war, bewirkten, dass bis nach er¬ 
folgter Desinfektion kein Unberufener das Schulhaus betrat. Und 
der Effekt: Ausser dem Lehrerkinde erkrankten zwei Kinder der 
überklugen Nachbarin an Diphtherie, das ganze übrige Dorf blieb 
verschont1 

Ich war damals ebenso fest, wie noch heute überzeugt, dass 
lediglich die sofort wirksam gewordene Massregel den erfreulichen 
Erfolg gezeitigt hatte, und werde darin bestärkt durch folgende, aus 
amtlicher Zeit stammende Wahrnehmung: Ein praktischer Arzt 
hatte gemeldet, dass zwei Kinder des Lehrers in N. an Scharlach 
erkrankt seien. Das Königliche Bezirksamt verfügte auf meinen 

>) Es ist hier besonders auf etwaige Verletzungen zu achten; die Unter¬ 
suchung hat sich auch aul die Bippen zu erstrecken. 


Bekimpfnng ansteckender Krankheiten. 


176 


Antrag die sofortige Schliessung der Schule. Ein weiterer Schar¬ 
lachfall kam nicht vor. 

Energische, bei Eintritt der ersten Fälle wirksame Maas- 
regeln lassen allein Erfolg erwarten im Kampfe gegen ansteckende 
Krankheiten; gerade das Fehlen dieses Momentes erklärt die 
ungenügende Wirksamkeit unserer Absperr -Massregeln. Bis das 
Amt Kenntnis von einer Krankheit erhält, bis dann die Nachricht 
den Dienstweg durchlaufen hat und die Massregeln in Vollzug 
gesetzt werden, ist die kostbarste Zeit meist verloren. Die In¬ 
fektion hat ihr Werk bis dahin gewöhnlich vollendet. Wir müssen 
darum bestrebt sein, jede Infektion möglichst in den ersten An¬ 
lagen zu treffen. Nur dann, dann aber auch sicher, wird der 
Erfolg nicht ausbleiben! Die Grundbedingung hierfür wäre die 
Anzeigepflicht für jeden Fall einer infektiösen Er¬ 
krankung an den zuständigen Medizinalbeamten. 

Einem beliebten und stets gerne vorgebrachten Einwande 
möchte ich hier einige Worte widmen, der Frage: „Woher der 
erste Fall?“ Die Antwort liegt für mich in der folgenden Ueber- 
legung: Abgesehen von der zeitlichen, örtlichen und der persönlichen 
Disposition, deren Bedeutung ich durchaus nicht unterschätze, ge¬ 
hört zum Zustandekommen einer Infektion der Infektionskeim, des 
grossen Pettenkofers X. Die Infektionskeime, ob pflanzlicher, 
ob tierischer Natur, sind ubiquitär; immer und überall sind sie 
vorhanden, in nicht geringen Fällen und Zahl selbst in des ge¬ 
sunden Menschen Mundhöhle; sie befinden sich aber in einem 
Zustande latenter Infektiosität. Unter bestimmten, wenn auch 
noch unbekannten Umständen, die in dem Verhalten des Trägers, 
rap. in dem seiner Körpersäfte gelegen sind, erleiden die Keime 
eine Umänderung im physiologischen Sinne, sie erlangen ihre un¬ 
heimlichen Eigenschaften. Unter gleichzeitig unermesslicher Ver¬ 
mehrung werden sie wirklich pathogen und befähigt, auf ein 
anderes Individuum übertragen, in diesem ohne weiteres ihre ver¬ 
derbliche Wirkung zu entölten. Diese Wirkung geht unter an¬ 
fänglich sich steigernder Virulenz weiter, bis entweder die Natur 
selbst oder menschliches Eingreifen ein Ziel setzen. Mangels 
geeigneter Nährmedien verlieren die Keime mehr und mehr ihre 
Virulenz und vegetieren unter geänderten Verhältnissen in ihrer 
relativ unschuldigen Form, bis sie wieder Gelegenheit haben, sich 
von der unerwünschten Seite zu zeigen. Solange die im Menschen 
oder sonst einem Wirte virulent gewordenen Keime auf andere 
Individuen übertragen werden, vermitteln sie das massen¬ 
hafte, epidemische Auftreten der betreffenden Krankheit, während 
welchem sich der Vorgang des Virulentwerdens beliebig oft wieder¬ 
holen kann. In ihrer anderen, gewissermassen Latenzgestalt ver¬ 
ursachen die Keime unter Bedingungen, die zum Teil ausserhalb 
ihrer Fähigkeiten liegen, die einzelne Erkrankung. Dieser letztere 
Vorgang ist immer die Einleitung zum epidemischen Auftreten 
ud lässt erhoffen, dass es gelingen wird, den Kampf dagegen 
mit stetig verbesserten Waffen immer erfolgreicher zu führen. 
Eiie Infektionskrankheit vollständig aueiutilgen, d. h. ihre Keime 



176 


Dr. Martini. 


gänzlich za vernichten, wird den Menschen wohl nie gelingen. 
Zu erhoffen ist aber deren räumliche Beschränkung während der 
verhältnismässig kurzen Zeit der direkten Pathogenität, in der 
sie aus ihrer Wirkung sinnlich wahrnehmbar ist. Der Kampf 
wird um so aussichtsreicher sein, je mehr es uns gelingt, die 
Quelle der weiteren Ansteckung, den zuerst erkrankten Menschen 
zu isolieren. Diese Beschränkung der Infektionskrankheit auf 
den Erkrankten muss das Ziel des Kampfes gegen ansteckende 
Krankheiten sein. 


Ein Beitrag zur Entstehungsweise des Unterleibstyphus. 

Von Kreisarzt Dr. Martini in Langensalza. 

Die lebhaften Erörterungen über die Entstehungs* und Ver¬ 
breitungsweise des Unterleibstyphus bei Gelegenheit des Prozesses 
über die Gelsenkirchener Epidemie, welche vor Gericht schliesslich 
in dem Feldgeschrei „hie Boden-, hie Wasser-Theorie 8 ausklangen, 
haben bei mir gewisse Erinnerungen wachgerufen, die, wie ich 
glaube, wegen der Eigenartigkeit der dabei mitspielenden Ver¬ 
hältnisse auch in weiteren Kreisen einiges Interesse verdienen 
dürften. 

Als beamteter Arzt auf der schönen Nordseeinsel Helgoland 
während der Jahre 1896—1901 hatte ich mehrfach Gelegenheit 
mich mit der Frage nach der Entstehung des Unterleibstyphus zu 
beschäftigen, da daselbst alljährlich einige Typhusfälle (etwa 6 
bis 10 bei 2500 Einwohnern) vorkamen. Die Krankheit trat ge¬ 
wöhnlich nach Schluss der Badezeit im Spätherbst zuerst auf, zog 
sich in vereinzelt bleibenden Fällen bis zum Frühjahr hin, um in 
jedem Jahre zu Beginn des Sommers zur grössten Freude der aof 
den Fremdenzufluss angewiesenen Helgoländer wieder zu erlöschen. 
Zu einer eigentlichen Epidemie kam es wenigstens während meiner 
Anwesenheit nicht, eine solche hat aber schon einige Male auf 
Helgoland geherrscht, z. B. wahrscheinlich schon in den Jahren 
1757/58, 1824, sowie 1894/95. 

Die Verhältnisse sind auf Helgoland insofern ganz besondere, 
als ein Grundwasser in unserem Sinne dort nicht vorhanden ist. 
Die Insel besteht bekanntlich aus einem 20—80 m hohen, schroffen 
Buntsandsteinfelsen (Oberland) von etwa V* qkm Bodenfläche, 
welcher auf Kreide und Tertiärschichten aufliegt und nach allen 
Seiten hin steil zum Meere abfällt, sowie aus einem bei weitem 
kleineren, niedrigen Vorlande (Unterland), das, wie alte Karten 
der Insel zeigen, früher gar nicht vorhanden war und sich erst 
allmählich aus den Anschwemmungen der von den hohen Felsen 
abgebröckelten Geröllstücke durch die Meeresströmungen ge¬ 
bildet hat. 

Man findet wohl auch auf dem Oberlande Wasser, wenn man 
nur genügend tief, bis etwa auf den Meeresspiegel, in den Felsen 
eindringt, wie dies z. B. durch einen Brunnenschacht seitens der 
deutschen Marine Verwaltung ausgeführt worden ist; dieses Wasser 
ist aber nichts anderes, als Seewasser, welches durch die Spalten 



Ein Beitrag zur Entetehungsweise des Unterleibstyphus. 


177 


und Klüfte des Felsens von der See her hindurchsickert and so 
salzhaltig ist, dass es als Trinkwasser and za Wirtschaftszwecken 
keine Verwendung finden kann. Man hat daher auch alle weiteren 
Mirersnche aulgegeben and andere Einrichtungen zur Wasser- 
gewinnong (Destillations- und Filteranlagen) ans Seewasser za 
militärischen Zwecken getroffen. 

Das Niederschlagswasser sickert aaf dem Oberlande durch 
die kaum 1 */, m tiefe Ackerbodenschicht hindurch, bis es auf den 
Felsen kommt and der Neigung der Schichten folgend nach seinem 
Bande hin abfliesst. Die Menge dieses Wassers ist aber so ge- 
. ring, dass es niemals eine Quelle oder einen Brunnen speisen 
kamt. Die Einwohner der Insel benutzen daher ausschliesslich 
das Begenwasser zum Trinken und für sonstigen Gebrauch, und 
mr wird dasselbe ifir jedes einzelne Haus auf dem Dache auf- 
ge&ngen, durch Binnen abgeleitet und in gemauerten Zisternen 
aafbewahrt. 

Die Beseitigung der Fäkalien und anderer Auswurfstoffe 
erfolgt schon seit undenklichen Zeiten nach einer Art Tonnen- 
lystem, d. h. ein jedes Haus besitzt eine Anzahl Eimer, in denen 
alle Exkremente und sonstiger Unrat angesammelt und nach Bedarf 
in das Meer geschüttet werden. Es geschieht dies an drei Punkten 
der Insel durch sog. Abfallschledden, von denen der Bevölkerungs¬ 
dichte entsprechend zwei auf dem Oberlande und eine im Unter¬ 
landegelegen sind. Diese Abfallschledden sind kurze mit Geländern 
versehene, hölzerne Brücken, im Volksmunde Schmutzbrücken ge¬ 
nannt, welche einige Schritte über den Felsrand hinausragen. 
Während nun diejenige des flachen Unterlandes es jederzeit ge- 
stattet, den Inhalt der Eimer direkt in die See zu entleeren, 
fallen die Schmutzstoffe von den Schiedden des Oberlandes etwa 
25 m hoch frei herab und sammeln sich am Fasse der Klippe zu 
grossen Ablagerungen an, die z. T. so hoch liegen, dass sie von 
dem höchsten Wasserstande unberührt bleiben. 

Unter diesen Verhältnissen dürfte es den Anhängern der 
. sog. Pettenkofersehen Bodentheorie wohl sehr schwer fallen, 
die Entstehung der alljährlich im Spätherbst wiederkehrenden 
! ! Typhuserkrankungen zu erklären. Grundwasser, welches ver¬ 

uneinigt werden könnte, ist nicht vorhanden, der Untergrund ist 
r r | uckter Fels, nur von einer dünnen durch seine Verwitterungs- 

‘ | Produkte gebildeten Bodenkrume bedeckt. Von einem Empor- 

, 1 steigen der Typhusbakterien aus den tieferen Bodenschichten an 

! die Erdoberfläche usw. kann hier nicht die Rede sein, auch 

i I sind die Erkrankungen gerade in der Zeit der reichlichsten 

Niederschläge vorgekommen. 

Ich bemerke ferner, dass ich die Entstehung der Krankheit 
, durch jedesmalige direkte Einschleppung von aussen fast mit ab- 

5 »luter Sicherheit ausschliessen konnte; denn abgesehen davon, 

dass die Erkrankungen stets in die Zeit des schwachen Winter- 
verkehre mit nur zweimaliger Dampferverbindung wöchentlich 
j Selo, während sie im Sommer mit seinem gewaltigen Fremden- 


i 

f 



178 


Br. Seiftert. 


ström aasblieben, betrafen sie anch ausnahmslos Helgoländer, 
die oft viele Jahre lang die Insel nicht verlassen hatten. 

Als wahrscheinlichste, ja fast einzige stichhaltige Erklärung 
blieb hier nur, abgesehen von einzelnen Kontaktinfektionen, die 
natürlich anch vorkamen, die Verbreitung des Typhuskeimes durch 
das Trinkwasser übrig. Die Typhuserreger sind bei der letzten 
Epidemie des Jahres 1894/95, wie ich aus den Aufzeichnungen 
meines Vorgängers, des jetzigen Kreisarztes Dr. Mewius in 
Neustadt O.-S., entnehmen konnte, vom Festlande her auf der 
Insel eingeschleppt und in grossen Mengen durch die Auswurf* 
Stoffe der Erkrankten in den Schmutzablagerungen unter den Ab* 
fallschledden des Oberlandes aufgestapelt worden. Sie erhalten 
sich auf diesem günstigen Nährboden sehr lange lebensfähig, 
werden durch die heftigen Winde, also gerade im Herbst und 
Frühjahr, immer von neuem mit den Schmutzteilen, an denen sie 
haften, aufgewirbelt und über die Dächer der Häuser weithin 
verstreut; sie gelangen auf diese Weise in das Zisternenwasser, 
wo sie zwar bald absterben, aber doch hier und da eine Typhus¬ 
erkrankung auslösen. 

Mein damals gegebener Bat die offenen Abfallschiedden des 
Oberlandes in weite geschlossene Böhren umzuwandeln, welche die 
Schmutzstoffe direkt der See zuführen sollten, ist wegen der hohen 
Kosten und der bedeutenden technischen Schwierigkeiten der An¬ 
lage nicht ausgeführt worden, und so blieb der Typhus besonders 
in der stürmischen Jahreszeit auf Helgoland ein ständiger Gast 

Jedenfalls glaubte ich dieses Beispiel als eine Stütze an¬ 
führen zu dürfen für die uralte und fest in der Volksmeinung 
haftende Annahme, dass bei der Entstehung des Unterleibstyphus, 
abgesehen von den gewiss auch zahlreichen Fällen direkter Ueber- 
tragung, das Wasser eine Hauptrolle spielt. 


Zwei Typhusepidemien. 

Von Kreisarzt Dr. Selffert in Mühlhausen in Thüringen. 

Die beiden nachstehend zu schildernden Typhusepidemien 
zeichnen sich weder durch Umfang, noch die besondere Art ihres 
Verlaufes aus, dürften aber ein gewisses Interesse für sich in 
Anspruch nehmen, weil sie klar, wie bei einem Laboratoriums¬ 
experiment die Entstehung der Epidemie aus dem Trinkwasser 
erkennen lassen. 

Die erste — ebenso wie die zweite nur von geringem 
Umfange — entstand im Sommer 1901 auf dem hiesigen, ca. 3 km 
von der Stadt gelegenen Stadtgut Pfafferode. Zu gleicher Zeit 
erkrankten plötzlich drei Feldarbeiter an Unterleibstyphus. Diese 
gleichzeitige Erkrankung schloss eine Kontaktübertragung 
von einem zum andern aus; vielmehr musste eine gemeinsame 
Infektionsquelle vorliegen. Da die Fäkalien der Stadt Mühlhausen 


Zwei Typhtuepidemien. 


179 


uch diesen Gute abgefahren and dort als Dong verwendet werden, 
»lag der Gedanke eines Zusammenhanges zwischen dieser Fä- 
kaüenabfohr und der Typhnsepidemie um so näher, als kurz vorher 
ia Mühlhausen einige Typhusfälle vorgekommen waren, also auch 
Typhuskeime in den Fäkalien nach Pfafferode verschleppt sein 
kannten. Da anderseits der Zufall höchst wunderlich hätte spielen 
■flaaen, wenn die gleichzeitig aufgetretenen Erkrankungen von 
direkter Infektion durch die etwa in den Fäkalien enthaltenen 
Typinlikeime herrühren sollten, so musste ein auf die Erkrankten 
gleichzeitig wirkendes Medium angenommen werden; es drängte 
lieh also der Gedanke auf, dass durch den Genuss eines mit den 
aaeh Pfafferode verschleppten Typhuskeimen verseuchten Nahrungs- 
oder Genussmittels die Erkrankungen entstanden seien. Nach 
Prüfung der leicht übersehbaren örtlichen Verhältnisse schien das 
Wasser des Gutsbrunnens dieses Medium zu sein. Die Unter¬ 
suchung des Brunnens ergab einen eigenartigen Bau desselben: 
Ia einem kellerartigen, weit in den felsigen Untergrund parallel 
nr Erdoberfläche hineinreichenden Gewölbe sammelte sich das 
aas der Felsspalte hervortretende Grundwasser an; über dem Ge- 
wölbe befand sich eine sogenannte Brunnenstube, ein überdachter 
ud mit zementiertem Fussboden versehener Raum, in dem eine 
durch den Fussboden hindurchgehende Pumpe stand, mittels der 
das Wasser aus dem darunter liegenden Wassergewölbe herauf- 
gepumpt wurde. Es war ersichtlich, dass bei etwaigen Defekten 
des Fassbodens in der Brunnenstube das Überfliessende Wasser 
•amt den am Fussboden befindlichen Schmutzstoffen in das Ge¬ 
wölbe und damit das Brunnenwasser hindurchsickern musste. 
Namentlich der in die Brunnenstube von den Wasserholern hinein¬ 
gebrachte Stiefelschmutz konnte dann in das Brunnenwasser ge¬ 
raten. Letzteres musste aber um so gefährlicher sein, als die 
weitere Feststellung ergab, dass die mit der Ausbreitung der 
Fäkalien beschäftigten Feldarbeiter die Angewöhnung hatten, nach 
beendeter Arbeit unter dieser Pumpe die Fäkalienreste von ihren 
Stiefeln zu spülen. Es konnten also bei vorhandener Undichtig¬ 
keit des Fassbodens auf diese Weise etwa in den Fäkalien ent¬ 
haltene Typhuskeime direkt dem Trinkwasser einverleibt werden. 
Zw Feststellung der Dichtigkeit wurde nun ein Eimer Kalkmilch 
aif dem Fassboden ausgegossen. Sofort liess sich vom Wasser- 
gewölbe aus ein lebhaftes Durchsickern der milchig weissen Kalk- 
tüasigkeit beobachten. Die Durchgängigkeit war also festgestellt, 
worauf Desinfektion des Brunnens und sachgemässe Reparatur 
erfolgte. Da nun die Erkrankten bereits bei Beginn der Er¬ 
krankung durch Ueberführung in das städtische Krankenhaus 
kotiert, Kontaktinfektionen demnach ausgeschaltet waren, so 
■niste, falls das Wasser wirklich die alleinige Ursache der plötz¬ 
lich entstandenen kleinen Epidemie war, dieselbe nunmehr be¬ 
endet sein. Und tatsächlich war es so, die Epidemie war damit 
obgmehlossen. In dem epidemiologischen Beweis, dass 
oi lieh um eine echte Wasserepidemie gehandelt hat, 
vsr damit die Probe auf das Exempel gemacht. 



18 Ö 


l)r. Saiffert. 


Die zweite Epidemie ist das Pendant zu der ersten, ln 
Diedorf, einem Gebirgsdorfe des hiesigen Landkreises, in dem 
bis dahin niemals Typhnsfälle vorgekommen waren, erfolgten plötz¬ 
lich 7 derartige Erkrankungen. Die nähere Untersuchung ergab, 
dass seit einigen Monaten bereits ab und zu ähnliche Erkrankungs¬ 
fälle vorgekommen, aber als „Influenza“ diagnostiziert waren; 
charakteristisch für alle diese Fälle war der wahre Wolfshunger, 
den die Befallenen während der Rekonvaleszenz entwickelt hatten. 
Der sich von selbst einstellende Verdacht, dass diese „Influenza¬ 
fälle“ Typhusfälle gewesen seien, wurde durch die Feststellung 
bestätigt, dass der erste dieser Fälle aus einem Nachbarkreise 
eingeschleppt war und aus einer Familie stammte, in der zu 
gleicher Zeit zwei andere Mitglieder an positiv festgestelltem 
Unterleibstyphus erkrankt waren. Die sieben plötzlich aus¬ 
gebrochenen neuen Fälle Hessen sich aber nicht durch Kontakt 
erklären, hier musste wieder ein geeignetes Medium angenommen 
werden, welches die gleichzeitige Entstehung dieser für dörf¬ 
liche Verhältnisse nicht unbedeutenden Zahl von Erkrankungen 
verursacht hatte. Da die Kranken alle in einem ziemUch be¬ 
grenzten Rayon des ausgedehnten Dorfes wohnten, so konnte ein 
das ganze Dorf gleichmässig berührendes Medium nicht in Frage 
kommen; und da sich weiter ergab, dass die Erkrankten ihr 
Wasser aus einem bestimmten.(Brunnen genommen hatten, der 
unmittelbar vor einem Gehöfte lag, in dem einer jener „Influenza¬ 
fälle“ vorgekommen war, und in dem sich auch jetzt ein Typhus¬ 
kranker befand, so wurde dieser Brunnen als verdächtig ins 
Auge gefasst. Derselbe war dies im übrigen auch schon aus 
dem Grunde, weil dicht neben ihm eine mit recht schmutzigem 
Wasser gefüllte Viehtränke lag, in welche durch Vermittelung 
der Strasse Jauche aus dem genannten Gehöft hineinfliessen 
konnte. Die MögUchkeit, dass auf diese Weise anch Typhuskeime 
von dem Gehöft in die Tränke geschwemmt werden konnten, lag 
jedenfalls offen zutage; ebenso, dass sie in den Schmutzstoffen 
dieser Tränke sich halten und weiter entwickeln konnten. Aus 
dieser Tränke durch das Vieh konnte aber der Typhus nicht ver¬ 
schleppt sein; denn dann hätten sich die einzelnen Fälle mehr 
über das ganze Dorf verteilen müssen. Der Grund lag wohl 
daran, dass unter dem Einfluss der vorjährigen enormen Sonnen- 
glut die Typhuskeime sehr schnell nach Verlassen der Tränke 
auf der Haut der Tiere abstarben. Vielmehr mussten die Typhus¬ 
keime in dem Wasser des nebenan Hegenden Brunnens enthalten 
sein, aus welchem die in dem genannten Rayon Wohnenden ihr 
Trinkwasser holten. Es musste dann aber eine Verbindung 
zwischen Tränke und Brunnen > bestehen. Da die Untersuchung 
des an sich sehr klaren Wassers das Vorhandensein von salpetriger 
Säure, Ammoniak, viel Chlor, sowie einen Bakteriengehalt von 
über 4000 Keimen im Kubikzentimeter ergab, so verdichtete sich 
dieser Verdacht so weit, dass eine weitere Prüfung der Verhält¬ 
nisse geboten war. Mittels der Feuerspritze wurde der Brunnen 
leer gepumpt und die Viehtränke mit Kalk weiss gefärbt. Sofort 



Zwei Typhasepidemien. 


181 


war im Br unnen gewölbe ein Durchfliessen des milchig -weissen 
T rtakeinhal tes durch die anstossende Brannenwand zu sehen, die 
Verbindung als o nachgewiesen. Dieses praktische demonstrandum 
ad ocolo8 hatte übrigens denselben Erfolg wie bei der ersten Epi¬ 
demie: Wie dort der Gutsverwalter, so hatten hier Ortsvorsteher 
und Brunnenmeister den Gedanken an eine Verseuchung des 
Bronnens mit Entrüstung von sich gewiesen; der Augenschein 
bekehrte sie, und mit dem überzeugungsfrohen Eifer der Neophyten 
gingen sie nun an die notwendigen Verbesserungen. Auch der 
Erfolg hinsichtlich der Epidemie war der gleiche: Mit der Des¬ 
infektion des Brunnens hörte die Epidemie auf; der Zusam¬ 
menhang zwischen Seuche und Wasser war also auch 
in diesem Falle epidemiologisch bewiesen. 

Die Desinfektion des Brunnens wurde wie im ersten Falle 
folgendennassen ausgeführt: 

Zunächst Auspumpung des Brunnens, sodann sorgfältigste Auskratzung 
der Brannenwände unter Entfernung allen irgendwie schadhaften oder nicht 
mehr absolut festen Materials, namentlich losen Mörtels; darauf frische Zemen¬ 
tierung der schadhaften SteÜen. Der Brunnengrund wurde mit Ka lkmi lch 
reichlich begossen, indem mit Rücksicht auf das sich ansammelnde Wasser ein 
entsprechender Ueberschuß von Kalk verwendet wurde; auch die Wände wurden 
sorgfältig mit Kalkmilch abgewaschen. Das an gesammelte Wasser blieb 
24 Stunden mit dem Kalk vermischt stehen und wurde darauf so lange aus¬ 
gepumpt, bis es wieder klar ablief. Den Schluß bildete einp Aufschüttung von 
Kies auf dem Brunnengrunde. 

Nach erneuter Untersuchung des Wassers wurde der Brunnen 
freigegeben. Welchen Effekt diese Methode der Brunnendes¬ 
infektion hatte, ergab sich daraus, dass das Wasser nachher 
chemisch völlig einwandsfrei war und anstatt 4000 Keimen nur 
deren 7 im Kubikzentimeter enthielt. Der Nachweis der Undich¬ 
tigkeit mittels Kalkmilch war auch für die Laien sehr instruktiv. 
Wo dieselbe durchsickerte, bildeten sich sofort in dem klaren 
Brunnenwasser wolkige, milchige Trübungen, die selbst in ge¬ 
ringsten Mengen deutlich wahrnehmbar waren; ebenso hoben sich 
die Kalkmilchwolken in dem schwarzen Tränkewasser in scharfem 
Kontrast ab. Von einem Nachweis der Undichtigkeiten mittels 
Fluoreszin wurde abgesehen wegen der schweren Entfernbarkeit 
desselben aus dem Trinkwasser. 

Interessant war schliesslich bei der zweiten Epidemie noch 
der Ausfall der Gruber-Widalschen Blutprobe. In vier Fällen 
▼ar dieselbe positiv, in drei Fällen negativ, ohne dass sich irgend 
ein Grund für diesen verschiedenen Ausfall wahrnehmen liess. 
Alle Kranken befanden sich etwa in derselben Krankheitsperiode, 
die drei mit der negativen Reaktion waren Angehörige von solchen 
nit positiver Reaktion und lagen mit ihnen in demselben Zimmer 
bei teilweise erheblich schwereren klinischen Erscheinungen. Die 
letzteren waren demnach auf den Ausfall der Reaktion ebenso 
einflusslos, wie die Zugehörigkeit zu derselben Familie und 
Epidemie. 



182 


Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 

A. Gerichtliche Medizin and Psychiatrie. 

Ueber gerichtsärztliche Polikliniken. Von Prof. Dr. Pappe, Königs¬ 
berg L Pr. Aerztliche Sachverständigen - Zeitung; 1904, Nr. 24. 

Nach Pappe liegt das Bedürfnis nach gerichtsärztlichen Polikliniken 
in Universitätsstädten vor; Material würden sie ausreichend haben. Der 
Gegenstand einer gerichtsärztlichen Poliklinik würde der sein, ärztliche Gut¬ 
achten und Urteile abzageben für den allgemeinen Gebrauch des Pablikums, 
welches sein Recht sacht, and zwar auf Erfordern des Recht Suchenden. In 
erster Linie kommen Unfallverletzte and Invaliden in Frage, die Abschätzung 
ihrer Erwerbsfähigkeit würde Aufgabe einer gericbtsärztÜchen Po liklinik sein 
können. Aach Untersuchungen auf den Gcisteszastand, ob eine Entmündigung 
oder eine Pflegschaft einzuleiten ist, kommen in Betracht, desgleichen Unter- 
sachongen in sexueller Hinsicht, behafs Anfcchtang einer Ehe, ferner bei be¬ 
hauptetem Stuprum, Zeugungsfähigkeit etc. Es würden auch Untersuchungen 
auf fragliche Spuren von Verbrechen, z. B. Spermaflecken etc., statthaben können, 
Sektionen Unfall-Verstorbener würden weiteres Material bilden. Die Begut¬ 
achtung muß, da sie häufig ohne eine gehörige aktenmäßige Unterlage erfolgt, 
sich eng an die Untersuchungsergebnisse anschließen; sie muß mit der erforder¬ 
lichen Vorsicht einhergehen. Würde sie das nicht, dann würde die Einrichtung 
in Mißkredit kommen, und das Gegenteil von dem, was mit den gerichtsärzt- 
lichen Polikliniken beabsichtigt wird , wäre erreicht. Für Universitätsstädte 
möchte Referent auch der Ansicht sein, daß sie speziell mit Rücksicht auf die 
Ausbildung der angehenden Aerzte ein Bedürfnis sind. 

Dr. Troeger-Adelnau. 


Gerichtsärztliche Bedeutung der Strychnin-Vergiftung. Von Dr. Wilh. 
Pflanz. Friedreichs Blätter; 1904, H. 8 und 4, 1905, H. 1. 

Die Dosis toxica für das Strychnin ist 0,02 bis 0,03 £. Nach 0,08 g 
und darüber sind wiederholt Todesfälle beobachtet; anderseits ist auch Lebeus- 
rettung nach 0,18—0,42, ja selbst noch nach 1,25 g vorgekommen. Der Aus¬ 
gang der Vergiftung hängt von den individuellen Verhältnissen, der Art der 
Beibringung des Giftes, sowie eventuellen therapeutischen Eingriffen ab. Bei 
Verabreichung von Strychnin zu therapeutischen Zwecken ist seine kumulative 
Wirkung zu beachten, auch als Abortivum kann Strychnin Verwendung finden, 
da es Uteruskontraktionen auslöst. Die Wirkung des Strychnins äußert sich 
in typischen Reflexkrämpfen vorwiegend tonischer Art, die sich nach mehr 
oder weniger kurzen Pausen wiederholen; nur selten ist ein Paroxismus be¬ 
obachtet. Die ersten Vergiftungserscheinungen treten nach der Applikation 
des Strychnins in wenigen Minuten (5—10—20), aber auch nach einer Stunde 
und noch später auf. Die Höhe der Dosis ist wenig bestimmend für den 
schnallen Eintritt der Symptome, sondern vorwiegend die Resorptionsverhältniase. 
Die Strychninvergiftung verläuft sehr schnell, in der Regel innerhalb weniger 
Stunden, selten währt sie, auch bei Genesung länger als einen Tag. Der Tod 
nach Applikation von Strychnin erfolgt meist nach mehreren Paroxysmen ent¬ 
weder durch Asphyxie im Anfall selbst, oder bald darauf durch Erschöpfung, 
Lähmung der Medulla oblingata und des Rückenmarkes. Es sind aus¬ 
nahmsweise und selten auch Todesfälle ohne Krämpfe beobachtet worden. Der 
äußere Leichenbefund hat nichts Charakteristisches an sich, ebensowenig 
der Obduktionsbefund, der oft die Erscheinungen der Asphyxie zeigt. 
Der chemische Nachweis ist bei der großen Anzahl typischer Reaktionen 
vollständig eindeutig zu führen; schon 0,01 mg Strychnin nitric. können auf 
diese Weise naoh gewiesen werden. Wenn alle Reaktionen durchgeprüft 
werden, ist eine Verwechselung mit Ptomainen (Leichenstrychnin) ausge¬ 
schlossen. 

Der physiologische Nachweis des Strychnins kann zur Beweiskräftigung 
neben dem chemischen herangezogen werden, vermag ihn aber nicht zu ersetzen, 
da noch andere Substanzen etc. (Toxine) ähnliche und dieselben Erscheinungen 
beim Tierversuche auslösen können. Das Strychnin ist derart widerstandsfähig, 
daß es auch in exhumierten Leichen noch nach langer Zeit nachgewiesen 



Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


183 


werden kann. Wo dieser Nachweis nicht gelingt, kann das Alkaloid mit den 
Körpersäften in die Umgebung der Leiche diffundiert sein. Bei den charakte¬ 
ristischen Krankheitserscheinungen läßt sich event. ans diesen and etwaigen 
richterlichen Erhebungen auch ohne chemischen und physiologischen Nachweis 
die Diagnose mit einer an Gewißheit grenzenden Wahrscheinlichkeit stellen. 
Eine Unterscheidung der Vergiftung durch Strychnin von einer solchen durch 
andere, ähnlich wirkende Gifte ist durch die chemische Analyse zu bewirken. 
Von spontan auftretenden Krankheiten ist mit einer Strychninvergiftung nur 
der Tetanus unter Umständen zu verwechseln; wo dieser in Frage kommt, 
kann das physiologische Experiment mit dem Serum der Leiche, oder bei trau¬ 
matischem Tetanus — auch der bakteriologische Nachweis eventuell Klarheit 
verschaffen. Dr. Rump-Osnabrück. 


Ueber die histologischen Veränderungen der Plaeenta hei der Sub- 
timatrergiflaag. Von Dr. H. Marx und Dr. A. Sorge. Vierteljahrsschrift 
für gerichtliche Medizin; Bd. XXIX, Heft 1. 

Durch Versuche von Straß mann und Ziemke ist bewiesen, daß bei 
der akuten Subiimatvergiftung durch große Dosen das Gift von der Matter 
anf den Fötus übergeht. Durch histologische Untersuchungen haben nun die 
Verfasser festgestellt, daß als Ursache hierfür ausgedehnte auf den fötalen 
Anteil übergreifende Zellnekrose der Plaeenta anzusehen ist. Bei kleineren, 
für das Muttertier auch schon tödlichen Dosen findet ein Uebergang des Giftes 
von der Mutter auf den Fötus nicht statt, was darin eine Erklärung findet, 
daß in diesem Falle die Epithelien in den Grenzzonen der Plaeenta intakt bleiben. 

ProL Ziemke-Halle a. S. 


Ueber quantitativen Blutnachweis. Von Dr. A. Schulz. Viertel- 
jahraschrift für gerichtliche Medizin; Bd. XXIX, 1. Heft. 

Straßmann und Ziemke haben zuerst aus Anlaß des Polnaer Mord¬ 
prozesses Versuche darüber angestellt, wie sich eine außerhalb des Körpers 
befindliche Blutmenge quantitativ bestimmen lässt. Von den erprobten Methoden 
empfahlen sie für frisches Blut eine kolorimetrische Methode, für älteres die 
Bestimmung der Trockensubstanz. Schulz ging daran, auch in anderen Stoffen, 
als Leinwand, so namentlich in Erde, Sand und auf Holz, Blut quantitativ zu 
bestimmmen. Seine Ergebnisse mit der kolorimetrischen Methode erwiesen ihre 
Brauchbarkeit auch in den vorliegenden Fällen. Als eine sehr zweckmäßige 
Methode empfiehlt er ferner ein von ihm ünter Zuhilfenahme des biologischen 
Blutnachweises aasgearbeitetes Verfahren, welches darauf beruht, daß das Auf¬ 
treten der spezifischen Trübungen und ihr zeitlicher Ablauf ein gesetzmäßiges 
Verhalten erkennen lassen. Die Leistungsfähigkeit dieser Methode war so 
groß, daß noch nach 8 Monaten auf Leinewand angetrocknetes Blut in ganzer 
Menge nachweisbar war. Prof. Ziemke- Halle a. S. 


Ueber Konservierung von Organen und Organinhalt zu nachträglicher 
mikroskopischer und chemischer Untersuchung. Von Dr. A. Grigorjew. 
Vierteljahrsschrift für gerichtliche Medizin; Bd. XXIX, Heft 1. 

Nach den Erfahrungen des Verfassers eignet sich die lOproz. Formalin¬ 
lösung zur Konservierung von Organen und Organinhalt besonders gut, wenn 
auch der Obduktion eine mikroskopische oder chemische Untersuchung statt- 
flnden soll, dämtlichc in der Vergiftungspraxis am häufigsten vorkommenden 
Gifte mit Ausnahme des Alkohols lassen sich in den durch Formalin gehärteten 
Organen noch nachweisen. Dies ist auch deswegen von forensischer Bedeutung, 
weil durch den Formalinzusatz die Bildung der störenden Leichenptomaine 
-verhindert werden kann, welche in ihren Reaktionen den Alkaloiden bekannt¬ 
lich sehr ähnlich sind und daher den Alkaloidnachweis erheblich erschweren 
können. Prof. Ziemke-Hallea.S. 



184 


Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften. 


B. Bakteriologie, Infektionskrankheiten und öffentliche« - 

Sanitätswesen. 

Veber Tropenkrankhelten (Gelbe» Fieber, Schlafkrankheit, Heribert). 
Aus dem Zyklus von Vorträgen über „Volksseuchen“ veranstaltet vom Zentral¬ 
komitee für das ärztliche Fortbildungswesen in Preußen. Von Dr. B. Nocht- 
Zeitschrift für ärztliche Fortbildung. 1. November 1904, Nr. 21. 

Das gelbe Fieber ist eine akute Infektionskrankheit, die von ihren 
tropischen endemischen Herden aus sich zeitweise epidemisch weiter verbreitet, 
doch nur bei einer mittleren Temperatur von 20 Grad. Die Krankheit kommt 
vor auf den Antillen, am mexikanischen Golf, den Südstaaten der Union, an 
der Ostkttste Südamerikas, besonders in Brasilien und in gewissen Teilen We3t- 
afrikas. Nach Europa verschleppt, hat das gelbe Fieber nur im Süden und 
auch dort nur im Sommer zu Epidemien geführt; an den Küsten Mittel- und 
Nordeuropas treten nur eingeschleppte Fälle auf, die höchstens schnell vor¬ 
übergehende lokale Ausbrüche im heißen Sommer verursachen. Längerer Auf¬ 
enthalt in den Gegenden des gelben Fiebers verleiht Immunität, die darauf 
beruht, daß diese Immunen einmal einen ganz leichten Anfall von gelbem 
Fieber überstanden haben, der als leichte, nicht charakteristische fieberhafte 
Erkrankung auftritt. 

Es gibt drei Formen der Krankheit: eine leichte 2—3tägige, nicht 
charakteristische fieberhafte Allgemeinerkrankung, die bisweilen mit Erbrechen 
und Albuminurie einhergeht und eine günstige Prognose hat. Die zweite und 
häufigste Form beginnt mit plötzlichem, eventuell .unter Schüttelfrost auf¬ 
tretendem Fieber, Kopf-, Augen-, Bücken- und Lendenschmerzen. Nach 3 bis 
4 tägigem Fieber sinkt die Temperatur, bald aber treten die Zeichen allge¬ 
meiner Blutdissolution auf: Nasen-, Zahnfleisch-, Magenblutungen, Blutstühle 
und enormer Icterus. Dazu große Schmerzhaftigkeit des Leibes; Urinsekretion 
entweder ganz unterdrückt oder sehr spärliche Absonderung stark eiweißhaltigen 
Urins; Puls eher retardiert; Milz wenig oder gar nicht geschwollen. Heilung 
ist hier selten, der Tod erfolgt im Kollaps. — Pathologisch - anatomischer Be¬ 
fund: Ikterische Leber mit heftiger Degeneration; akute parenchymatöse Ent¬ 
zündung oder fettige Degeneration des Herzens und der Nieren. Im Magen- 
Darmkanal reichliche Mengen frischen und alten Blutes. — Blutergüsse in der 
Haut, den Schleimhäuten und Muskeln. — Die dritte Form führt foudroyant 
unter Hyperpyresie in wenigen Stunden zum Tode, ohne daß es zur Ausbildung 
charakteristischer Symptome und Veränderungen kommt. 

Die Diagnose ist in den leichten Fällen kaum zu stellen; diffe¬ 
rentialdiagnostisch kommt dabei die Malaria in Betracht; hier würde aber der 
mikroskopische Nachweis der Malariaparasiten im Blute jeden Zweifel be¬ 
seitigen. — Der ausgesprochene Gelbfieberanfall ist nicht mit Malaria zu 
verwechseln, wohl aber könnte eine Komplikation derselben, das Schwarzwasser¬ 
fieber, unter Umständen ähnliche Erscheinungen hervorrufen, da die Haemo- 
globinurie bei dieser Krankheit ganz fehlen kann. Hier werden jedoch die 
Malariaanamnese und die deutliche Milzschwellung vor Verwechselung 
schützen. 

Der Infektionsstoff selbst ist noch nicht gefunden; Nocht be¬ 
gründet hieran des näheren, daß der von Sanarelli als Gelbfiebererreger 
beanspruchte Bacillus ätiologisch nicht mehr in Betracht kommen kann. Wir 
wissen, daß der Infektionsstoff des gelben Fiebers sich in den ersten drei 
Tagen der Erkrankung im Blute der Erkrankten in übertragbarer 
Form findet, daß er sowohl durch direkte Blutimpfung, wie durch die Stiche 
einer bestimmten Mückenart, der Stegomyia fasciata, übertragen werden kann. 
Die durch Moskitos übermittelte Infektion verläuft um so schwerer, je längere 
Zeit verflossen ist, nachdem sich der Moskito infiziert hat; vor Ablauf von 12 
Tagen nach dem Aufsaugen des Blutes der Kranken ist der Stich überhaupt 
nicht gefährlich. Nur wenn die Mücke in den ersten drei Tagen der Er¬ 
krankung einen Gelbfieberkranken gestochen hat, vermag ihr Stich eine weitere 
Erkrankung hervorzurufen. Die Inkubation nach Uebertragnng durch Stich 
kann 14 Tage betragen. Die Stegomyia ist, wie das Gelbfieber, auf die 
wärmeren Länder beschränkt und geht bei niedriger Temperatur zugrunde. 
Sie kann mit Schiffen und Beisegepäck weit verschleppt werden, bevorzugt 
dabei auf Schiffen die warmen Bäume, wie Küchen- und Maschinenräume. Auch 



Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


186 


du Bilschwasser der Schiffe, das znm Ablegen der Eier von der Stegomyia 
aufgesueht wird, kann zur Weiterverbreitung auf diese Art beitragen. 

Der Verkehr mit einem Gelbfieberkranken und die noch so innige und 
lange Berührung mit seinen Auswurfstoffen, seinen Kleidern usw. vermag die 
Krankheit nicht zu übertragen. 1 ) 

Für die Verhütung des Gelbfiebers kommen dieselben Methoden in 
Betracht, wie für die der Malaria; aber da die Gefahr, daß die Mücken sich 
an den Kranken infizieren, nur drei Tage dauert, liegen die Verhältnisse für 
die Bekämpfung hier viel günstiger. Bei einer einigermaßen geordneter Sani¬ 
tätsverwaltung ist es möglich, daß alle Gclbfieberkranken und alle fieberhaft 
Erkrankten, bei denen der Golbfieberverdacbt nicht ausgeschlossen werden 
kann, zur Anzeige kommen. Die Kranken werden während der ersten 3 Tage, 
während welcher sie gefährlich sind, unter Moskitonetzen isoliert und die 
Häuser, in denen die Krankheit auftrat, von den Moskitos durch Ansschwefeln 
befreit. Die gesunden Leute der Umgebung des Kranken werden während der 
Inkubationszeit (circa 14 Tage) überwacht und sobald sie Fieber bekommen, 
unter Netzen isoliert. Weitere Isolierungen und Desinfektionen scheinen nicht 
nötig zu sein. Gor gas bat im Jahre 1901 in Havanna, wo seit 140 Jahren 
kein Monat ohne Gelbfieberfälle vergangen war; es mit diesen Mitteln erreicht, 
daß innerhalb eines knappen Jahres die Krankheit verschwand: denn seit Sep¬ 
tember 1901 ist Havanna vollständig frei von Gelbfieber geblieben. 

Die afrikanische Schlafkrankheit*) bedeutet eine ernste Gefahr für 
Ackerbau und Handel im tropischen Afrika; denn sie hat schon ganze Dörfer 
entvölkert und hat bereits die Grenzen des deutschen Schutzgebiets über¬ 
schritten, was für uns um so bedeutungsvoller ist, als die bisherige Ansicht, 
daß die weiße Basse gegen diese Krankheit immun sei, nicht mehr aufrecht 
zu erhalten ist. Die Schlafkrankheit dauert mehrere Monate bis zu 1—2 Jahren 
und endet anscheinend immer tödlich. Sie beginnt mit gelegentlichen Fieber¬ 
attacken, dazu kommen Kopfschmerz und Schwindel und gedunsenes Aussehen. 
Nach und nach stellt sich zunehmende Müdigkeit ein, die Kranken schlafen 
bei der Arbeit, selbst beim Essen ein. Die Intelligenz ist wohl erhalten, keine 
Sensibilitätsstörungen, keine Lähmungen, wohl aber Schwäche und Zittern der 
Muskulatur. Dazu Schwellung der Lymphdrttsen, besonders am Halse und 
Nacken. — Da die Ernährung schließlich Schwierigkaiten macht, sterben die 
Kranken kraftlos und komatös, manchmal mit terminalen Konvulsionen, unter 
meaingitischen Erscheinungen. — Pathologisch anatomisch ist eine 
diffuse Meningo-Encephalitis nachweisbar. Aetiologisch kommen hier in 
Betracht die zuerst 1903 von Castellani, dann von einer ganzen Anzahl 
anderer Forscher in der Lumbalflüssigkeit der Schlafkranken gefundenen Try¬ 
panosomen, die sich auch auf Tiere (z. B. Affen) übertragen ließen und hier 
ein ähnliches Krankheitsbild auslösen. Die Trypanosomen halten sich nach der 
Infektion zunächst im Blute auf und dringen erst später in die nervösen Zentral¬ 
organe ein, wo sie die Erscheinungen der Schlafkrankheit hervorrufen; hiernach 
scheint es erklärlich, daß die Inkubationszeit sich über Jahre erstrecken kann. 
Debertragen werden die Trypanosomen nach Ansicht französischer und 
eaglischer Forscher durch eine große, nur am Tage im Freien umherfliegende 
Stechfliege, eine Tsetseart. 

Die Beriberlkrankhelt hat ihren Hauptherd in Ostasien, ist aber schon 
aber aUe Weltteile verbreitet, mit Ausnahme von Europa, wo sie noch keinen 
festen Fuß gefaßt hat. Nur in einigen Irrenanstalten in England, Irland und 
Frankreich sind vorübergehende Ausbrüche einer beriberiartigen Krankheit be¬ 
obachtet worden. 


*) Nach diesen neueren Forschungen würde der das Gelbfieber behandelnde 
S 13 der Polizeiverordnung, betr. die gesundheitspolizeiliche Kontrolle der 
einen Preußischen Hafen anlaufenden Seeschiffe, vom 31. Juli 1895, in der 
Fassung der Polizei-Verordnung vom 23. April 1900 (Veröffentlichungen des 
Kaiserlichen Gesundheitsamts S. 901) eine Aenderung bezw. Ergänzung erfahren 
müssen. — Beferent. 

*) Siehe das Beferat über den von Bobert Koch über die Schlafkrank¬ 
heit am 26. Oktober v. J.’in der Berliner Medizin. Gesellschaft gehaltenen 
Fortrag; S. 186. 



186 


Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


Klinisch erscheint die Beriberi sehr vielgestaltig, ihre Hauptsymptome 
werden bedingt durch eine degenerative Neuromyositis; am meisten in die 
Augen springend sind die Prozesse, welche die Gliedmaßen (Paresen, Atrophien), 
und diejenigen, welche den Zirkulationsapparat, namentlich das Herz und den 
Vagus (Oedeme, Herzinsuffizienz) betreffen. — Man kann 4 Formen der Beri¬ 
beri unterscheiden. 

1. Die unvollkommen ausgebildete: ein chronischer Zustand von Muskel¬ 
schwäche in den Beinen, Herzklopfen und Beklemmungsgefühl, bleibt oft 
monatelang bestehen; 2. die atrophische Form: fortschreitende Parese and 
Atrophie der Bein- und Armmuskeln, Herzerscheinungen selten oder nur wenig 
ausgesprochen; 3. die hydropische Form mit mehr oder weniger allgemeinen 
Oedemen, verminderter Urinmenge, Herzklopfen, Beklemmung, Vergrößerung 
und Insuffizienz des Herzens; 4. die akute kardiale Form: schwere akute Herz¬ 
dilation, die in wenigen Tagen oder Stunden zu Tode führt — Heilung ist 
möglich, tritt aber erst nach vielen Monaten ein; oft tritt in der Rekonvales¬ 
zenz akute Verschlimmerung und Tod ein. 

Bei der Sektion findet man: Herzdilatation, besonders am rechten 
Ventrikel, Degeneration der Herzmuskulatur, Stauungsleber; häufig Milz¬ 
schwellung und Stauungsniere, aber auch parenchymatöse und Glomerulo¬ 
nephritis. Ferner degenerative Veränderungen in den peripheren Nerven and 
Muskeln der Gliedmaßen, im Phrenicus und Vagus mit seinen Kernen am 
Boden des vierten Ventrikels. 

Für die Aetiologie und Pathogenese der Krankhoit fehlt noch 
eine sichere Begründung im einzelnen. Verfasser führt an Beispielen aus, daß 
hier noch unvereinbare Gegensätze bestehen: auf der einen Seite existieren 
sichere Belege, die dafür sprechen, daß die Beriberi infektiösen Ursprungs Ist 
und mit der Ernährung nichts zu tun hat, auf der anderen Seite können die 
in der japanischen Marine und bei unserer Handelsmarine gemachten Er¬ 
fahrungen gar nicht anders gedeutet werden, als daß die Ernährung hierbei 
eine ursächliche Rolle spielt Daher kommt Verfasser zu dem Resultat, daß 
die Beriberi keine einheitliche Aetiologie hat, sondern daß ihr wie bei der 
Ruhr verschiedene Ursachen zugrunde liegen. Aus diesen Gründen darf man 
bei der Bekämpfung und Prophylaxe der Beriberi nicht nur infektiösen 
Einflüssen nachgehen, sondern man sollte sich auch über die Ernährung orien¬ 
tieren und ihrer Verbesserung die größte Aufmerksamkeit zuwenden. *) 

Zum Schluß bespricht Verfasser noch eine auf unserer Handelsmarine 
vorkommende Erkrankung, die mit Beriberi große Aehnlichkeit hat und häufig 
in Verbindung mit Skorbut auftritt Dr. Pflanz-Adlersbof b. Berlin. 


Ueber die Trypanosomenkrankheiten. Von Robert Koch. Vortrag, 
gehalten in der Berliner medizinischen Gesellschaft am 26. Oktober 1904. 
Deutsche medizinische Wochenschrift; Nr. 47,1904. 

Die Trypanosomen gehören zu den Flagellaten, den geißeltragenden 
Protozoen und sind in dem damit behafteten Blute schon bei mittlerer Ver¬ 
größerung leicht als lebhaft bewegliche Parasiten von fischähnlicher Form za 
erkennen. Sie sind zwei- bis dreimal so lang als ein rotes Blutkörperchen and 
haben eine lange Geißel, sowie an einer Seite eine undulierende Membran. 
Durch die nach Giemsa modifizierte Romanowskisehe Färbung erscheint 
das Plasma des Leibes blau gefärbt mit einem ziemlich großen rot fingierten 
Kern und einem am hinteren Ende gelegenen, intensiv rot gefärbten Korn 
(Centrosoma); von letzterem geht eine rot gefärbte Linie aus, welche sich am 
Rande der undulierenden Membran hinzieht und in die ebenfalls rot gefärbte 
Geißel übergeht. Da die Trypanosomen nicht wie die Malariaparasiten Pigment 
bilden, kann man schließen, daß sie auch nicht von Haemoglobin, sondern von 


*) In Nr. 45 der Med. Woche vom 7. November 1904 wird berichtet, daß 
der englische Konsul in Numea auf Neu-Kaledonien an das auswärtige Amt in 
London depeschiert hat, daß die Brunnenkresse ein fast sicheres Heilmittel 
gegen Beriberi zu sein scheint. Hier in Neu - Kaledonien scheint ebenfalls die 
schlechte Ernährung, besonders der Mangel an Gemüse, die Natur der Berg¬ 
arbeiter für Beriberi zugänglich zu machen, und wahrscheinlich verringert die 
Einführung von Gemüsekost die Häufigkeit dieser Erkrankungen. Referent. 



Kleinere Mitteilungen nnd Referate aus Zeitschriften. 


187 


Bestandteilen des Blutplasmas leben. Alle Trypanosomenkrankheiten können 
zwar auch, wie die Malaria, einen ziemlich akuten Verlauf nehmen, in der 
Begel jedoch ziehen sie sich lange Zeit, oft jahrelang, hin. Sie veranlassen 
unregelmäßiges Fieber, das oft durch kürzere oder längere Intermissionen unter¬ 
brochen ist, Anaemie, Abmagerung, Sinken der Kräfte, lokalisierte Oedeme, 
Auchwellung der Lymphdrüsen und der Milz. Die hier in Betracht kommenden 
TTypanosomenkrankheiten sind die bei Säugetieren, besonders den Haustieren, 
ia Afrika auftretende Tsetsekrankheit, deren Analogon in Asien (Vorderindien) 
die Surra ist, und das Mal de Caderas in Südamerika, das dort den Pferden 
besonders gefährlich wird. K. hält die beiden erstgenannten Krankheitsprozesse 
für identisch trotz des lebhaften Widerspruchs, den er hier von manchen 
Autoren erfahren hat; von Musgrave wird auch das Mal de Caderas 
nit Tsetse und Surra vereinigt. Für die Tsetsekrankheit ist der Mensch ganz 
unempfindlich. 

Beim Menschen wurden Trypanosomen zuerst im Jahre 1901 von Dutton 
am Gambia im Blute eines Malariaverdächtigen gefunden; 2 Jahre später 
fand Castellani solche Protozoen in der Cerebrospinalflüssigkeit von Schlaf¬ 
kranken. Die Bedeutung der Trypanosomen für die Schlafkrankheit stellte 
Bruce fest, der auch den Nachweis führte, daß hier eine Stechfliege, die 
Glossina palpalis, die Vermittlerin der Infektion ist. Bald stellte sich heraus, 
daß die Schlafkranken nicht nur in der Cerebrospinalflüssigkeit, sondern auch 
im Blute die Trypanosomen haben, und daß bei denjenigen, welche nur im 
Blute die Trypanosomen haben, sich später die Schlafkrankheit entwickeln 
kann: Die Schlafkrankheit ist also nur ein Symptom der Trypanosomiasis 
des Menschen, das sich dann einstellt, wenn die betreffenden Protozoen ihren 
Weg zum Cerobrospinalraum gefunden haben, wonach, soweit bis jetzt bekannt 
ist, wohl stets der Tod eintritt. Fraglich ist es aber, ob es in jedem Falle 
von Trypanosomiasis zur Entwickelung der Schlafkrankheit kommt, da auch 
Fälle beobachtet sind, die ohne Cerebralsymptome durch Entkräftung zum Tode 
führten. Es steht auch noch nicht einmal fest, ob nicht eine spontane Heilung 
hier vorkommt. 

Nach der Infektion kann noch lange Zeit Wohlbefinden bestehen bis 
»ich unregelmäßiges Fieber einstellt, dem dann die anderen schweren Krank- 
heitserscheinungen folgen. Einen gewissen Anhaltspunkt für die Verbreitung 
der Trypanosomen in einem endemischen Gebiet geben die Zahlen von Bruce, 
der in Uganda bei Untersuchung von 80 scheinbar gesunden Eingeborenen bei 
23 derselben (= 28,7 °/ 0 ) Trypanosomen im Blute fand. Hier in Uganda hat 
die Krankheit in wenigen Jahren etwa 200000 Menschen dahingerafft. Auch 
Europäer können ergriffen werden, wie mehrfach Beispiele gezeigt haben. — 
Die beim Menschen gefundenen Trypanosomen lassen sich weder morphologisch 
aoeh in bezug auf ihre pathogenen Eigenschaften gegenüber den Haus- und 
Versuchstieren von denjenigen der Tsetse und Surra unterscheiden. Von dieser 
Gruppe sind aber zwei Trypanosomenarten scharf abgegrenzt in ihrem morpho¬ 
logischen Verhalten, ihrer Virulenz und ihrem Verhalten zum Wirtstier: das 
Trypanosoma Theileri, das, ausschließlich für Rinder pathogen, bei diesen 
Tieren in Südafrika gefunden wurde, und die Erreger der Trypanosomiasis der 
Batten, die in diesen daraufhin untersuchten Tieren in 10—30°/„, ja gelegent¬ 
lich bis zu 90°/ 0 der Fälle gefunden werden, ohne dass die davon befallenen 
Here sichtlich krank erscheinen. — K. geht dann des näheren auf seine inter¬ 
essanten Versuche ein, die mit den Trypanosomen der Tsetsekrankheit ange- 
stellt wurden, um hierdurch den Beweis dafür zu führen, daß die Gruppe, zu 
welcher Tsetse, Surra, Mal de Caderas und Trypanosomiasis des Menschen ge¬ 
hören, sich untereinander morphologisch nicht scharf abgrenzen lassen, daß ihre 
Virulenz in weiten Grenzen schwankt und daß sie nicht ausschließlich auf 
einen bestimmten Wirt angewiesen sind. Die Trypanosomen wechselten in 
Größe und Gestalt, wenn sie auf verschiedene Tiere übertragen wurden; 
ihre Virulenz ließ sich durch Tierpassagen nach Belieben beträchtlich erhöhen 
aad auch herabsetzen. Da sich die Trypanosomen auf fast alle Säugetiere, 
welche daraufhin untersucht wurden, verimpfen ließen, zieht K. den Schluß, 
daß sie erst verhältnismäßig kurze Zeit in ihren Wirten leben, sich also diesen 
gegenüber noch nicht fest angepaßt und sich noch nicht zu festen Arten ent- 
wickelt haben. 



188 


Kleinere Mitteilungen und Referate aua Zeitschriften. 


Was non die Immunisierung betrifft, so gelang es zwar mit Trypano¬ 
somen, die in ihrer Virulenz abgeschwächt waren, Rinder so zu immunisieren, 
daß sie auch nach Impfung mit sehr virulenten Trypanosomen gesund blieben. 
Aber wie beim Texasfieber und Küstenfieber sich im Blute der immunen Tiere 
die Parasiten mikroskopisch nachweisen lassen, so zeigte es sich auch, daß 
künstlich gegen Tsetse immunisierte Rinder trotz anscheinenden Wohlbefindens 
jahrelang die Trypanosomen bei sich hatten, die sich zwar nicht mikroskopisch, 
wohl aber durch den Tierversuch nachweisen ließen. Es würden demnach also 
die so immunisierten Rinder nur weitere Infektionsquellen schaffen und somit 
die Tsetse, anstatt ausgerottet zu werden, dauernd erhalten bleiben. Daher 
hält K. es nicht für ratsam, die Tsetsekrankheit durch künstliche Immunisierung 
zu bekämpfen. Er weist auf einen anderen Weg zur Bekämpfung der 
Seuche hin, indem er darauf aufmerksam macht, daß überall dort, wo das 
große Wild weggeschossen ist, oder sich verzogen hat, auch die Tsetsekrank¬ 
heit aufgehört hat, da mit dem Verschwinden des Wildes auch die Zwischen¬ 
träger der Infektion, die Tsetsefliegen, verschwinden. Guter Viehstand und 
guter Wildstand vertragen sich nicht zusammen auf afrikanischem Boden. — 
Sehr erfolgreich wirken Maßregeln gegen die Trypanosomen selbst: alle Tiere, 
welche Trypanosomen beherbergen, müssen aufgesucht und durch Vernichten 
oder Abschlachten unschädlich gemacht werden, oder aber, wenn sie für 
Schlachtzwecke aufbewahrt werden sollen, müssen sie so isoliert werden, daß 
sie andere Tiere nicht mehr infizieren können. Natürlich müssen nicht nur die 
sichtlich kranken, sondern auch die scheinbar noch gesunden, aber verdächtigen 
Tiere untersucht werden. 

Was nun die Trypanosomiasis des Menschen betrifft, so würden die an 
ausgesprochener Schlafkrankheit leidenden wohl leicht in Hospitälern isoliert 
werden können. Aber damit wäre nichts erreicht; denn die Infektionsquelle 
bilden hier die Tausende scheinbar Gesunde, welche schon mit Trypanosomen 
behaftet sind und doch unmöglich zu isolieren sind. Die Bekämpfung dieser 
Krankheit ließe sich nach dem Beispiele der Malariabekämpfung ins Werk 
setzen, wenn es ein Mittel gäbe, das die Trypanosomen im Blute vernichten 
würde. Ein solches Mittel gibt es vorläufig noch nicht, wenn auch Aussichten 
vorhanden sind, daß es noch gefunden wird, da einige, wenn auch noch unzu¬ 
reichende Erfolge mit Arsenpräparaten, mit Trypanrot und Malachitgrün (siehe 
folgendes Referat) erzielt sind. Um zu den gewünschten Erfolgen bei der Be¬ 
kämpfung der Trypanosomen zu gelangen, ist es notwendig, daß alle Stationen, 
welche ein Interesse hieran haben, sich nach Kräften beteiligen. Zu diesen 
Nationen gehört auch die deutsche; denn die Schlafkrankheit hat von Uganda 
aus sich schnell bis an die Grenze des Deutsch • Ostafrikanischen Schutzgebietes 
ausgebreitet, vielleicht es jetzt schon überschritten. 

Dr. Pflanz-Adlershof bei Berlin. 

Ueber die Wirkung von Malachitgrün und anderen verschieden¬ 
artigen Steffen gegen Nagana • Trypanosomen bei weissen Ratten. Kurze 

Mitteilung von Prof. H. Wendelstadt, Assistenten am Pharmakologischen 
Institut der Universität in Bonn. Deutsche med. Wochenschrift; Nr. 47, 1904. 

Verfasser kommt zu dem Schluß, daß es nicht ausgeschlossen erscheint, 
daß wir im Melachitgrün einen Stoff haben, der in einer geeigneten Modifikation 
allein oder in Verbindung mit anderen Mitteln eine Bedeutung für die Behand¬ 
lung der Trypanosomenkrankheit gewinnen könnte. Eingehende Versuche sind 
jedoch noch notwendig, ehe ein Urteil gefällt werden kann. 

Dr. Pflanz-Adlershof bei Berlin. 


Ueber Chininprophylaxe in Neuguinea. Von Dr. Wen dl and. Archiv 
für Schiffs- und Tropenhygiene; 1904, Nr. 10. 

Die von R. Koch angegebene Methode der Chininprophylaxe bietet 
nach den Erfahrungen des Autors den wirksamsten Schutz gegen Malaria-Er¬ 
krankungen. Bei Darreichung von 1,0 g Chinin jeden 9. und 10. Tag während 
monatelanger Dauer kamen Keine Malaria-Erkrankungen, selbst nicht in den 
stark durchseuchten Gegenden, vor. Keiner der nach Koch behandelten Fälle 



Kleinere Mitteilungen Und Referate ius Zeitschriften. 


m 


erkrankte an Schwarzwasserfieber, wohl aber zahlreiche solche, die ihre Malaria 
mit ungenügenden Chiningaben nicht gründlich ausgeheilt hatten. 

uegen die Cbininbeschwerden zeigte Bromkali (1,0 g */* Stande nach der 
Chiningabe) vielfach günstige Wirkungen. Gesundheitliche Nachteile des 
Chiningebraaches worden nicht beobachtet. Die Tageszeit des Einnehmens ist 
gleichgültig; für die Wirksamkeit wichtig ist nur das Einnehmen aaf nüchternen 
Magen. Dr. Dohm- Cassel. 


Bleivergiftung und Ly mphozy tengekalt des Liquor cerebro-spinal 1s. 
Ton Mosny und Malloisel. Aus dem Laboratorium des Dr. Mosny im 
Hospital Saint-Antoine. Comptes rendus de la soc. de biol.; LYII Band, 
Kr. 27, Seite 211. 

Die Verfasser untersuchten den Lymphozytengehalt des Liquor cerebro¬ 
spinalis bei Arbeitern, die an Symptomen von Bleivergiftung litten; z. B. an Blei¬ 
kolik, an Encephalopathia saturnina, an Bleigicht, an Bleiniere. Es handelte 
sich nm Anstreicher, Farbenreiber, Gießer, Arbeiter in Akkumulatorenfabriken. 

Sie fanden die Intensität der Lymphozytose der Zerebrospinalflüssigkeit 
nicht proportional der Dauer der Ausübung der schädlichen Beschäftigung, 
wohl aber im Zusammenhänge mit dem Grade der Intoxikation. Die Lympho- 
zytose scheint dem Grade der Imprägnation des Zentral¬ 
nervensystems mit dem Gifte zu entsprechen, weniger allerdings 
der Stärke der jeweiligen Symptome. So fanden sich im Gesichtsfelde bei 
einem Anstreicher, der vor 8 Jahren seine erste Bleikolik gehabt hatte, bei 
einem neuen typischen Anfalle 5—15 Lymphozyten; bei einem Arbeiter, der 
seit 17 Monaten in einer Akkumulatorenfabrik tätig war, an vagen Verdauungs¬ 
störungen ohne akute Symptome litt, 9—28 solcher Körperchen. 

Bemerkenswert ist folgende Beobachtung: 

Ein Gießer hatte während einer Bleikolik im Gesichtsfelde 7—11 Lympho¬ 
zyten im Liquor cerebro - spinalis; etwas später erkrankte er an Encephalo¬ 
pathia saturnina. Bei dieser fanden die Autoren einen Lymphozytengehalt von 
104, dessen Höhe noch 1 Monat persistierte. Solche Zahlen sind ein Beweis 
für die intensive Sättigung des Nervensystems durch das Blei. 

Schwierig ist es, die Immunität gegen Blei bei solchen Arbeitern der 
Hleiindustrie zu erklären, deren Liquor keine geformten Element enthält. So 
fand sich bei einem Manne, der seit 1870 als Anstreicher mit Blei zu tun 
hatte und an Bleiniere litt, bei einem anderen mit Bleigicht kein oder nur ein 
minimaler Lymphozytengehalt. 

Die Methode dürfte mit der Zeit wesentliche diagnostische Vorteile 
bieten und es ermöglichen, die Imprägnation des Körpers mit Blei, insbeson¬ 
dere jene des Zentralnervensystems mit Blei, gewissermassen zu messen; sie 
wird hie und da auch in der Gewerbehygiene prophylaktisch von Wert 
sein. Dr. Mayer -Simmern. 


Die gewerbliche Hauterkrankung der Seidenhasplerinnen (Hai de 
hassine) und ihre experimentelle Erzeugung* Von F. Heim und L. M. 
Pantrier. Comptes rendus de la soc. de Biologie; 1904, LVII, S. 217. 

Vom französischen Handelsministerium hatten die Autoren den Auftrag 
erhalten, die unter dem Namen „mal de bassine“ bekannte Gewerbekrankheit 
da Seidenhasplerinnen zu studieren. Man versteht darunter bekanntlich eine 
Hautkrankheit, die sich in Erythem, dann in Bläschen, Blasen, die mit bell- 
wisaeriger, schließlich mit eitriger Flüssigkeit gefüllt sind, äußert, und die 
uh intensiven Schmerzen cinhergeht. Die Heilung tritt nach Eröffnung der 
Pastein auf, falls sich die Krankheit nicht mit tieferer Entzündung una der 
Bildung umschriebener Phlegmonen kompliziert. 

Diejenigen Arbeiterinnen werden davon betroffen, welche die von ihrer 
flockigen Hülle befreiten Kokons in Becken, die mit kochendem Wasser gefüllt 
sind, mazerieren müssen. Hierdurch löst sich der Schleim, welcher die Seiden¬ 
fäden verklebt, und das Abhaspeln kann vorgenommen werden. Die Hand 
wird demnach bei dieser Tätigkeit in eine mehr weniger konzentrierte Lösung 
der Stoffe getaucht, welche das heiße Wasser dem Wurm und der im Kokon 
«ingesehlossenen Puppe entzieht. 

Potton, der vor 50 Jahren das „mal de bassine“ beschrieb, erblickte 



190 


Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


seine Ursache in Fäulnisprodukten der Pappen, die sich in den Becken 
abspielen, in denen die Mazeration der Kokons vorgenommen wird. Nun hat 
jüngst Fahre-Avignon eine dieser Anschauung, die bisher allgemein gültig 
war, entgegenstehende Vorstellung zu begründen vermocht. Er führt die 
Krankheit auf ein Irritans zurück, welches von der Raupe auf die Oberfläche 
der Kokons im Moment der Puppenbildang abgesondert wird. Er konnte 
aus Blut und Auswurfstoffen der Raupen verschiedener Bom- 
byxarten einen blasenziehenden, in Aethcr löslichen Stoff 
dars teilen. 

Die Autoren kommen zu einem ähnlichen Ergebnisse; sie nehmen nur 
an, daß der Reizstoff, das blasenziehende Irritans, sich in der Puppe des 
Seidenwurms bildet. Sie benutzten zu ihren Versuchen solche Kokons, deren 
Schädlichkeit sich bereits praktisch durch Erzeugung von Hauterkrankungen 
dokumentiert hatte, und die in der Industrie seit langem als geringere, minder¬ 
wertige Ware angesprochen zu werden pflegten. In solchen Kokons war aller¬ 
dings dem groben Aussehen der Puppen nach eine Abweichung von vollwertigen 
nicht zu konstatieren. Die Verfasser konnten aus denselben indessen ein Pulver 
gewinnen, welches sie mit Lanolin-Vaselin zu Salben verarbeiteten und auf 
die menschliche Epidermis, die vorher durch Umschläge mazeriert war, &□- 
wandten. Nach 36 Stunden entstand eine düstere Röte, leichtes Oedem, kleine 
Bläschen. Allmählich bildeten sich Krusten aus, unter denen die Haut ober¬ 
flächlich ulzeriert war. Das Gefühl der Spannung, des Juckreizes, der Druck- 
emp&ndlichkeit begleitete die Erkrankung, die nach etwa 12 Tagen unter Ab¬ 
schuppung heilte. Dr. Mayer-Simmern. 


Ueber das Bewahrungshaus ln Düren. Vortrag, gehalten im Psychia¬ 
trischen Verein der Rheinprovinz von Dr. Flügge, früher an der Provinzial- 
Heil- und Pflegeanstalt zu Düren, jetzt Oberarzt in Grafenberg. Allgemeine 
Zeitschrift für Psychiatrie; 61. Bd., 3. H. 

Auf Grund eingehender Erwägungen wurde der Irrenanstalt Düren eine 
Abteilung für 48 geisteskranke Verbrecher angegliedert, in Form eines von der 
Hauptanstalt völlig abgetrennten Pavillons. Letzterem sind 2, durch hohe 
Mauern eingefriedigte, Höfe beigegeben, die an einen öffentlichen Weg an¬ 
grenzen. Der Bau ist so eingeteilt, daß die Kranken in vier verschiedene 
Abteilungen getrennt werden können, zu denen wiederum je 4 Isolier¬ 
räume zugehören, so daß deren insgesamt 16 vorhanden sind. Bei der ersten 
Einrichtung hatte man den Bau möglichst im Sinne eines modernen Irren¬ 
anstaltsbaus hergestellt; die weiteren Erfahrungen schlimmster Art haben aber 
sehr bald gezeigt, daß nur ein sehr starkes, fest vergittertes Bauwerk die 
nötige Sicherheit gegenüber den hier von allen Seiten zusammengebrachten 
Elementen darbietet, so daß man schließlich zu mancherlei Umbauten und Er¬ 
neuerungen genötigt war. Seit 3 Jahren ist die Anstalt im Betriebe; sie be¬ 
herbergt neben geisteskranken Verbrechern eine verhältnismäßig große Zahl 
von verbrecherischen Irren; von 137 solchen in den Provinzialanstalten unter¬ 
gebrachten Kranken konnte naturgemäß nur ein Teil interniert werden. 
Das größte Kontingent stellten imbezille, moralisch und erzieherisch verwahr¬ 
loste Gewohnheitsverbrecher. Verfasser teilt die recht zahlreichen bösen Er¬ 
fahrungen seiner Abteilung eingehend mit: Schwere Revolten, Zerstörung des 
Mobiliars, der Einrichtungen, der Gitter, Röhrenleitungen, waren ein häufig 
wiederkehrendes Ereignis; Eisenteile wurden nachts entfernt und versteckt; die 
Isolierzimmer erwiesen sich sehr bald als zu schwach, ihre Einrichtung als zu 
wenig widerstandsfähig. Aerzte und Personal waren täglich den schwersten 
Angriffen und Bedrohungen der stets „bewaffneten“ Kranken ausgesetzt, so 
daß schließlich oft nichts anderes übrig blieb, als mittels Feuerspritze vorzu¬ 
gehen ; eine „eigentümliche ärztliche Anordnung in der Zeit des non restraint*, 
wie Verfasser resigniert bemerkt. Auch die Nähe eines öffentlichen Weges 
führte zu vielen Uebergriffen und zu Verabredungen mit herumtreibendem 
Gesindel. Für den Betrieb der Anstalt war die Ausbildung tüchtiger Pfleger 
die wichtigste Frage; gerade solche sind fortgesetzten Verdächtigungen ganz 
besonders ausgesetzt. Es wurden schließlich 20 Pfleger und 2 Stationspfleger 
angestellt, eine immerhin recht reichliche Zahl, denen insbesondere eine sehr 
eingehende Nachtwache übertragen wird. Eine besondere Sorge ist die Be- 



Besprechungen. 


ldl 


Mhfcftmg geeigneter, unbedenklicher Arbeit für einen großen Teil der Insassen. 
Allmähli ch sind, nachdem man einsehen gelernt hatte, daß konsequente Energie, 
gepaart mit Humanität, am meisten fördert, ruhigere Zeiten eingetreten; immer¬ 
hin haben einzelne Beamten, so auch ein seit 26 Jahren im Anstaltsdienste 
tätiger Geistlicher, die Freude an ihrem Berufe verloren, und ihre Stellungen 
anfgegeben. Br. Pollitz-Münster. 


Besprechungen. 

Sr. fltuen, Stabsarzt und Assissent der II. medizinischen Universitätsklinik 
in Berlin: Praktische Anleitung sur Organisation von Fürsorge- 
steilen für Lungenkranke und deren Familien. Für Aerzte, 
Kommunalbehörden, Organe der Privatwohltätigkeit und Arbeitgeber. Mit 
einem Vorwort von Prof. Br. Friedrich Kraus, Geh. Medizinalrat und 
Direktor der II. medizinischen Universitätsklinik in Berlin. Verlag von 
Urban und Schwarzenberg. Berlin 1904. Preis: 4 M., geb. 6 M. 

Im vorliegenden Werke hat sich Stuerz der dankenswerten Aufgabe 
uterzogen, auf Grund der vorhandenen Literatur, der Ergebnisse der Tuber- 
knlosekongresse und gestützt auf seine bei der Fürsorgestelle des Volksheil¬ 
stättenvereins vom Boten Kreuz gesammelte reiche Erfahrung das gesamte auf 
die Organisation von Fürsorgestellen für Tuberkulöse und deren Familien im 
ln- und Auslande sich beziehende Material einschließlich der von ihm selbst 
durchgeführten Einrichtungen zusammenzustellen. Nach kurzem geschichtlichen 
Vorwort über den Stand der Tuberkulosebekämpfung und die Heilstätten- 
behandlung im allgemeinen geht Verfasser über zur Besprechung derjenigen 
Tuberkuloseabwehreinrichtungen, welche neben der Heilstättenbehandlung her¬ 
gehen und diese ergänzen. 1» eingehender, anschaulicher und gemeinverständ¬ 
licher Form werden zunächst die Bechersehen TageserholungsBtätten be¬ 
sprochen, dabei in zeckmäßiger Weise stets auch die Höhe des Anlagekapitals, 
der Betriebsunkosten und einiger sonstiger wirtschaftlichen Fragen erörtert. 
Erwähnung finden weiter die Kinderheilstätten, Ferienkolonien, Sommerpflege¬ 
kolonien, Arbeitergärten, Polikliniken für Lungenkranke und Pflegestätten für 
unheilbare infektiöse Tuberkulöse. Bie Hauptansteckungsquellen für die Tuber- 
knkne werden unter Zugrundelegung der Literatur in einem besonderen Kapitel 
besprochen, dabei auch die neuen v. Behringschen Hypothesen kritisch ver¬ 
wertet. Ben Hauptteil der vorliegenden Abhandlung nehmen die Beschreibungen 
der verschiedenen, bisher veröffentlichten Fürsorgeeinrichtungen für Lungen¬ 
kranke im In- und Auslande ein. Uebersichtlich und besonders eingehend be¬ 
spricht Stuerz die von ihm selbst geschaffene Familienfürsorge des Volks- 
holstättenvereins vom Boten Kreuz. Bei scharfer Beschränkung des Arbeits¬ 
gebietes wird den einzelnen Familien eine intensive und gründliche Fürsorge 
n teil. Bas Verhältnis der Abteilung zu den praktischen Aerzten ist ein er- 
treuliches; die Unterstützung durch die Landesversicherung, Armenverwaltuug 
tat rege. Bie Organisationsform wird kurz und treffend präzisiert, inspiriert 
ra reicher Erfahrung. Bei der Beschaffung der Geldmittel kommt die Privat- 
wohhätigkeit an letzter Stelle. In erster Linie sind Landesversiclierungsanstalten, 
Krankenkassen, Armenpflege und der Staat heranzuziehen. Am Schluß des 
Werkes gibt Verfasser noch zusammenfassende Schlußsätze über die Fürsorge- 
«ganisation und fügt schließlich auch das von Pannwitz entworfene Schema 
4er Tuberkulose-Einrichtungen in Beutschland bei. 

Alles, was mit der Tuberkulosefürsorge zusammenhängt, findet gebührende 
Berücksichtigung; es ist daher zu wünschen, daß das Büchlein besonders überall 
Int Eingang findet, wo Sinn und Verständnis für die schwebenden Fragen der 
Taberkulosebekämpfung von vornherein vorausgesetzt werden muß, bei Aerzten, 
Beamten der Provinzial- und Kreisbehörden, Komnmnalbeamten, Annenpflege- 
«gaaea, bei industriellen Arbeitgebern und Vertretern der Wohlfahrtsvereine, 
hsbesondere ist das Büchlein ein treuer Batgeber dort, wo die Organisation 
ttaer Fürsorgestelle für Lungenkranke und deren Familien geplant ist. Aber 
tack für Private ist das Studium vorliegenden Büchleins sehr empfehlenswert, 
mal der Preis niedrig bemessen ist. Br. E n g e 1 s - Stralsund. 



192 


Ta gönn aeh riohten. 


Dt. 8. Jelliuek - Wien: Elektropathologie. Die Erkrankungen durch 

Blitzschlag und elektrischen Starkstrom in klinischer und forensischer Dar¬ 
stellung. Verlag von F. Enke. Stuttgart 1904. Gr. 8°, 245 S. Preis: 9 M. 

Verf. erläutert in den ersten Kapiteln die technische und allgemein 
physikalische Seite des Gegenstandes an konkreten Fällen in der richtigen An¬ 
nahme, daß für die Beurteilung der elektrischen Verunglückungen in klinischer 
wie in forensischer Hinsicht die Kenntnis der wichtigsten Säue der Elektro¬ 
technik unerläßlich ist. Nach ausführlicher Schilderung der an verschiedenen 
Tiergattungen angestelltcn Tierexperimente und der Eigenbeobachtungen des 
Verfassers über technisch-elektrische Unfälle behandeln die folgenden Ab¬ 
schnitte die pathologisch-anatomischen und klinischen Krankheitsbilder, die als 
animalische Effekte aus der Einwirkung des elektrischen Trauma entstehen. 
Auf Grund derselben vertritt J. die Ansicht, daß wir es bei den elektrischen 
Verunglückungen mit Erkrankungen auf organischer, materieller Grundlage zu 
tun haben (gröbere und feinere strukturelle Veränderungen und Verletzungen 
im Zentralnervensystem), gegenüber der bisherigen Anschauung, welche die 
durch elektrischen Kontakt verursachten Lähmungen und andere ähnliche 
Krankheitserscheinungen als „nervöse* und „funktionelle* Störungen auffaßt. 
Dieser veränderten Auffassung entsprechen die Ausführungen über Diagnose, 
Prognose, Prophylaxe und vor allem über die Therapie der elektrischen Un¬ 
fälle. In den letzten 3 Kapiteln („forensische Medizin“, „Elektrisches Unfall¬ 
wesen“ und „Hygiene“) werden die forensischen und sozial rechtlichen Fragen 
der Materie behandelt, die gerade für den staatlichen Gesundheitsbeamten in 
Ausübung seiner hygienischen, gutachtlichen und gerichtsärztlichen Funktionen 
von besonderem Interesse sein müssen. Das Werk ist mit 72 Abbildungen 
und 4 chromolithographischen Tafeln versehen. Bei dem Mangel einer ähn¬ 
lichen oder gleichen zusammenfassenden Arbeit ist die vorliegende mit Freuden 
zu begrüßen. Dr. Roepke-Melsungen. 


Tagesnachrichten. 

Ans dem Relohztage. Bei der Beratung des Etats des Reichs- 
amtes des Innern, die fast sämtliche Sitzungen des Reichstages seit Anfang 
dieses Monats in Anspruch genommen hat, kamen eine ganze Reihe auch die 
Medizinalbeamten und Aorzte interessierende Fragen zur Erörterung. (J. a. 
wurde die Frage betreffs Zulassung der Oberrealsclmlabiturienten zum 
medizinischen Studium von dem Staatssekretär, Graf v. Posadowski, dahin 
beantwortet, daß eine Entscheidung des Bandesrats noch nicht vorliege, Preußen 
aber dieser Frage günstig gegenüberstehe. Weiter wurde der Erlaß der 
deutschen Arzneitaxe erörtert und von sozialdemokratischer Seite bemängelt, 
daß Vertreter der Krankenkassen nicht zugezogen seien. Eine lange und zum 
Teil sehr errege Erörterung fand über freie Aerztewahl, Leipziger Aerzte- 
streik usw. statt, bei der der Abg. Dr. Mugdan energisch die Interessen 
des ärztlichen Standes gegenüber den Sozialdemokraten wahrnahm. Von ver¬ 
schiedenen Seiten wurde die Ausdehnung der Kraukenkasseuversicherung 
auf die Hausindustrie (Heimarbeiter) und landwirtschaftlichen Arbeiter ver¬ 
langt; der Staatssekretär, Graf v. Posadowsky, hob die dieser Forderung 
entgegenstehenden Schwierigkeiten hervor, betonte jedoch, daß Vorarbeiten zu 
einem entsprechenden Gesetzentwurf eingeleitct seien. Bei dieser Gelegenheit 
wies er auch darauf hin, daß in Zukunft die drei Versicherungsgesellschaften 
gegen Krankheit, Unfall, Invalidität und Alter in eine einheitliche Form ge¬ 
bracht werden müssten. Aber das große Werk einer einheitlichen Arbeiter- 
versicherungsgesetzgebnng heute zu schaffen, dazu sei ein Diktator nötig; 
es müsse sich auch ein Reichstag finden, der die großen Grundsätze annehme. 
Den Beifall, den dieser Vorschlag einer solchen Reform im Reichstage fand, 
bewies, daß dieser derselben nicht abgeneigt ist. — Weiterhin wurde eine 
Vermehrung der Gewerbeaufsichtsbeamten, eine wirksamere Kontrolle der 
Kinderschutzgesetzgebung, schärfere Vorschriften zum Schutz der Arbeiter 
in Betrieben mit höherer Gesundheits- bezw. Vergiftungsgefahr ver¬ 
langt. Der Staatssekretär des Innern teilte mit, daß der Erlaß wirksamer 
Vorschriften zum Schutze der Arbeiter in gesundhcitsgefährlickon Betrieben, 
sowie bei der Verarbeitung giftiger und explosiver Stoffe bevoretehe. 



Tageanachricbten. 


198 


Auch die Frage der Apotkekenreform kam zur Erörterung; Graf v.Po- 
imdowsky erklärte^ daß man bei der in Preußen beabsichtigten Regelung 
dieser Frage auf große Schwierigkeiten gestoßen sei. Er halte es für sehr 
wünschenswert, wenn eine reiehs gesetzliche Regelung des Apothekenwesens 
hcrbeigeführt würde. Desgleichen ist von den beiden freisinnigen Parteien ein 
Antrag eingebracht, in dem eine reichsgesetzliche Regelung des Ver¬ 
kehrs mit Gehetmmitteln verlangt wird; ferner hat der Abg. Baumann 
(Ztr.) und Gen. wiederum die Vorlegung eines Entwurfs zu einem Reichs¬ 
gesetze beantragt, das die Beaufsichtigung des Verkehrs mit Nahrungs- 
and Genussmitteln und deren Durchführung durch die Landesbehördeu ein¬ 
heitlich regelt. 


Au dem preuslaolieii Abgeordnetenhaus©. Die diesjährigen 
tm 3. d. Mts. stattgefondenen Verhandlungen des Abgeordnetenhauses über den 
■edlzinaletat hat noch nicht eine Stunde gedauert. Wie aus dem nach¬ 
stehenden Bericht hervorgeht, kamen die verschiedensten Fragen zur Erörterung; 
die Medizinalbeamten wird besonders die Erklärung des Ministerialdirektors 
Dr. Förster interessieren, wonach hei der im nächsten Jahre eintretenden 
Pensionierung der zur Verfügung gestellten Kreisphysiker und Kreis- 
Wundärzte diese tunlichst schadlos gehalten werden sollen. Auf die von dem 
Abg. Dr. Martens angeregte Frage einer anderweitigen Regelung der 
Pensionierung der nicht vollbesoldeten Kreisärzte wurde von dem Minister¬ 
tische ebenso wenig eine Antwort erteilt, wie auf den von dem Abg. Wallen¬ 
born gemachten Vorschlag, für die Kreisärzte eine Keisepanachalsumnie fest¬ 
zusetzen. Ein Hebammengesetz wurde für das nächste Jahr in Aussicht 
gestellt, desgleichen wird sich die Staatsregierung die Förderung der Wochen- 
bettpflege angelegen sein lassen. 

Abg. Dr. Görck (natl.) weist auf die Notwendigkeit hin, die erheblichen 
Mißstände im Hebammenwesen mittels einer durchgreifenden und um¬ 
fassenden Reform des gesamten Hebammenwesens zu beseitigen, durch eine 
Reform, welche insbesondere den Hebammen auch eine Besseruug ihrer wirt¬ 
schaftlichen Lage verschaffe. In den ungünstigen Einkommensverhältnissen 
der Hebammen sei hauptsächlich die Ursache für alle Mängel auf diesem Gebiete 
zu suchen, die nach Einführung der Antiseptik und infolge der dadurch ge¬ 
steigerten Anforderungen der Geburtshygiene immer stärker hervorgetreten 
seien. Auch fehle es an einer geregelten Fürsorge für den Fall des Alters 
und der Invalidität der Hebammen. Die ungünstige Folge dieser wirtschaft¬ 
lichen Notlage sei aber die, daß es nicht möglich sei, in genügender Zahl 
tüchtige, dem Ernst und der Verantwortlichkeit des Berufes gewachsene Kräfte 
für den Hebammenstand zu gewinnen. Redner bittet den Herrn Minister um 
Auskunft über den Stand der Vorbereitungen für einen das Hcbaminenwcsen 
regelnden Gesetzentwurf. Gleichzeitig wünscht er ein einheitliches, refor- 
matorisches Vorgehen zur Verbesserung der Wöchnerinnen pflege das am 
besten in Angliederung an die Neugestaltung des Hebamrnenwesens erfolgen 
könne. Es handele sich namentlich um die Beschaffung geschulter 
Wochenpflegerinnen, die im Interesse unseres ganzen Volkswohls 
dringend nötig seien. 

Ministerialdirektor Dr. Förster erklärt, daß die Königliche Staats¬ 
regierung die Notwendigkeit einer Hebammenreform ohne weiteres an¬ 
erkenne; ein Gesetz-Entwurf sei bereits fertiggestcllt und zunächst zur gut¬ 
achtlichen Aeußerung an die Provinzialbehörden hinausgegangen. Die Berichte 
der Behörden seien vor einigen Tagen eingegangen; voraussichtlich werde 
ia der nächsten Session dem Landtage ein Gesetzentwurf vorgelegt werden 
können. Auch der Frage der Wochenbettpflegerinnen lasse die Me- 
xmlverwaltung ihre besondere Aufmerksamkeit an gedeihen. 

Abg. Rosenow (fr. Volksp.) fragt unter Hinweis auf eine amtliche 
Umfrage über die Spezialärzte an, ob etwa beabsichtigt sei, die Zahl der 
ßpezialärzte zu beschränken oder sie einer besonderen Approbation zu unter¬ 
werfen. Die Beschränkung der Spezialärzte liege nicht im Interesse der Be¬ 
völkerung; diese würde dann noch mehr veranlaßt sein, sich Pfuschern anzu¬ 
vertrauen. — Für die Absolvierungdes praktischen Jahres der jungen 
Mediziner hätten manche Krankenanstalten die Bestimmung getroffen, daß nur 
evangelische, und manche, daß nur katholische Praktikanten angenommen 



194 


Kleinere Mitteilangen and Referate ans Zeitschriften. 


werden sollen. Es sei zu befürchten, daß auch andere Krankenhäuser die 
Praktikanten zurückweisen könnten, die ihnen nicht genehm seien, and daß 
manche deshalb vielleicht gar keine Aufnahme fänden. 

Ministerialdirektor Dr. Förster erwidert, daß die Umfrage betreffs der 
Spezialärzte rein informatorischen Absichten entsprangen sei, and nicht 
die Absicht bestehe, das Spezialarzttnm von besonderen Prüfungen abhängig 
za machen. Za der weiteren Anfrage sei za bemerken, daß die Krankenhäuser 
über die Aafnahme der Aerzte zur Absolvierung ihres praktischen Jahres selbst 
zu entscheiden haben, eine Zwangseinwirkung stehe der Verwaltung nicht zu, 
sie könne nar bei wiederholter unbegründeter Zurückweisung eines Prakti- 
kanten der betreffenden Krankenanstalt die Ermächtigung zur Annahme Ton 
Praktikanten entziehen. 

Abg. Dr. Ruegenberg (Zentr.) legt ein Wort ein für die darch das 
Kreisarztgesetz vom Jahre 1899 auf Wartegeld gestellten Kreis- 
physiker, deren künftige Durchschnittspension nur 960 Mark betragen 
werde, eine kärgliche Summe für jahrzehntelang dem allgemeinen Staatswohle 
geleistete Dienste. Es entspreche auch nicht der Billigkeit, daß diese Beamten 
nur die Halfte Pension der früheren Kreistierärzte bekommen; es sei vielmehr 
wenigstens für ihre Gleichstellung zu sorgen. So gut wie das Haus der Pen¬ 
sionierung der Kreistierärztn mit 1800 Mark einstimmig zugestimmt habe, 
würde es auch sicherlich den früheren Kreisphysikern eine gleiche Pension 
gewähren. 

Ministerialdirektor Dr. Förster: Es muß leider anerkannt werden, daß 
die Veterinär beamten bei der Pensionierung b esser weggekommen sind, 
als seinerzeit die Medizinalbeamten. Anderseits hat sich die Königliche 
Staatsregierung sofort nach Verabschiedung des Kreisarztgesetzes bereit er¬ 
klärt, zur Beseitigung von Härten und Unbilligkeiten, welche durch die Zur- 
dispositionsstellung für einzelne Medizinalbeamte entstehen würden, einen Dis¬ 
positionsfonds von 50000 Mark jährlich zur Verfügung zu stellen. Es darf 
wohl angenommen werden, daß sich auch Mittel und Wege finden lassen 
werden, um Unbilligkeiten und Schädigungen bei der späteren Pensionierung 
dieser Wartegeldcmpfänger in gleicher Weise zu begegnen. 

Abg. Kuhr (fr. Vgg.) führt darüber Beschwerde, daß die Entscheidung 
über die Dispensationsgesuche vom praktischen Jahre oft 2 bis 
4 Monate dauere und daß manche Krankenanstalten die Praktikanten da 
zurückweisen, bevor nicht feststeho, daß sie ein ganzes Jahr lang in diesen 
Stellungen bleiben. Dadurch werde die Forderung der Prüfungsordnung, daß 
sich das Praktikum unmittelbar an das Examen anschließen solle, hinfällig 
gemacht. 

Geh. Ob.-Med.-Rat Dr. Dietrich gibt zu, daß sich die Enscheidung 
über Dispensationsgesuche mehrfach verzögert habe, da der Reichskanzler 
dabei mitwirken müsse; sie würden aber jetzt stets als »eilig“ bezw. »sofort* 
behandelt. Desgleichen werde der Herr Minister durch einen Erlaß an die 
Aufsichtsbehörden die Leiter der Krankenanstalten ersuchen, möglichst en^ 
gegenkommend in bezug auf die Annahme von Praktikanten zu verfahren. 

Abg. Dr. Martens (natl.) schließt sich den Ausführungen des Abg. 
Dr. Ruegenberg in bezug auf die Pensionierung der auf Warte¬ 
geld gestellten Medizinalbeamten an. Es sei eine ganz außerordent¬ 
liche Divergenz zwischen der Behandlung, wie sie den alten Physikern, und 
zwischen der Behandlung, wie sie den Kreistierärzten zuteil geworden sei Die 
ersteren hätten das Maturum gemacht, ein längeres Studium von 4, 5 bis 
6 Jahren hinter sich; nichtsdestoweniger hätten die Kreistierärzte die doppelte 
Abfindung (1800 M. Pension), wie die Kreisphysiker erhalten, während bei dem 
Kreisphysikus erst nachgewiesen werden müßte, daß er auch bedürftig wäre. 
Es sei dies etwas ganz Unerhörtes, und wenn auch die Königliche Staats¬ 
regierung in den einzelnen Fällen bestrebt gewesen sei, Härten auszugleichen, 
so sei es doch nur recht und billig, wenn künftighin die Kreispbysiker ebenso 
günstig behandelt würden, wie die Kreistierärzte.— Auch die Pensionierung 
der nicht vollbesoldeten Kreisärzte habe große Mängel. Das 
pensionsfäbige Gehalt betrage bei ihnen nur 1800—2700 Mark, außerdem 
erhalten einzelne von ihnen Stellenzulagen, die zwischen 600 und 12(K) Mark 
schwanken, und zwar geschehe die Verteilung so, daß bei denjenigen Stellen, 
welche wenig Arbeit machen, die höchste Stellenzulage gezahlt werde, wäh- 



Kleinere Mitteilangen and Referate aas Zeitschriften. 


195 


rend diejenigen Stellen, wo viel zu tan sei, keine Stellenzulagen bekommen. 
Es sei aber eine Anomalie, daß derjenige, welcher wenig za tan habe, vom 
Stute ein höheres Gehalt erhalte, als derjenige, der viel za tan habe. Diese 
Ungleichheit mache sich später aach bei der Pensionierang geltend; deshalb 
«scheine es notwendig, eine Gleichheit hinsichtlich der Pensionsberechtigung 
Id tUen nicht vollbesoldeten Kreisärzten za erzielen — entweder darch Fest* 
Mtaog der Pension, wie bei den vollbesoldeten, oder darch Hinzafügang eines 
fei allen gleichen Zuschlages zum Gehalt. Gegen eine einheitliche Regelung 
in Hebammenwesens für die ganze Monarchie hat Redner große Bedenken, 
fc üe Verhältnisse in den einzelnen Provinzen za verschieden seien. In der Pro* 
riuSchleswig-Holstein würden die Hebammen schon jetzt ganz gut bezahlt; so 
luge sich die Hebammen auch aas dem Arbeiterstande rekrutieren, sei es aus¬ 
reichend, wenn sie das Einkommen eines Arbeiters erreichten. Erst wenn es 
gelinge, Franen und Mädchen aas dem Mittelstände für den Hebammenberaf 
n gerinnen, solle man an eine bessere Besoldung, Pensionsberechtigung osw. 
denken. Die geplante Reform werde außerdem erhebliche Geldmittel fordern; 
der Staat aber ebenso wenig zu deren Hergabe bereit, wie die Gemeinden 
u deren Uebernahme. 

Abg. Dr. Heisig (Zentr.) spricht seine Befriedigung aus über die Ar¬ 
beiten der staatlichen Versuchs- und Prüfungsanstalt für die 
Zweeke der Wasserversorgung und Abwässerbeseitigung in 
Berlin. Die Frage der Beseitigung der Abwässer sei eine außerordentlich 
richtige für Stadt und Land; durch eine systematische Regelung sei auch für 
die Landwirtschaft ein erheblicher Nutzen zu erwarten. Der Redner bittet, 
den Mitgliedern des Hauses die Besichtigung der genannten Anstalt gestatten 
za vollen. 

Geh. Ob.-Med.-Rat Prot Dr. Schmidtmann sagt im Namen der Ver¬ 
waltung gern die Erlaubnis zur Besichtigung der Anstalt zu. 

Abg. Henning (kons.) hält eine Neuordnung des He bammenwesens 
*nd der Wöchnerinnenpflege für sehr erwünscht und freut sich, daß 
ehe solche in sicherer Aussicht stehe; denn die Gesundheit sei ein sehr teures 
6nl Aber diese Neuordnung dürfe nicht zu teuer werden und nicht zu neuen 
erheblichen Belastungen der Gemeinden und deren Bewohner führen. In¬ 
zwischen solle man aber Aerzten und Hebammen gegenüber die bestehenden 
Vorschriften über die Verhütung des Wochenbettflebers strenger als bisher zur 
Anwendung bringen. 

Abg. v. Savigny (Zentr.) bringt mit Rücksicht auf die im Sommer 
1904 hervorgetretenen Schäden durch den Wassermangel in Anregung, 
d&ß der Staat finanziell die Gemeinden unterstütze, um die von der Technik 
vorbereiteten ausgezeichneten Vorrichtungen zur Wasserversorgung 
fihera.ll nutzbar zu machen. Bayern und Württemberg seien darin schon 
Preußen vorangegangen. Redner bittet deshalb den Kultusminister recht 
dringend, seinen doch sicher sehr weit reichenden Einflaß im Staatsministerium 
energisch dafür einzusetzen, daß ihm ein recht reich dotierter Fonds zur 
Unterstützung armer Gemeinden für Anlagen von Wasserleitungen zur Ver- 
ftpng gestellt werde. 

Abg. Wallenborn (Zentr.) macht auf die ganz unheimlich anschwel¬ 
lende Höhe der Diäten und Reisekosten der Kreisärzte aufmerksam, die seit 
1899 Ton 359432 M. auf 402000 M. (1900), 638000 M. (1901), 752000 M. (1902, 
818000 M. (1903) gestiegen sei. Redner liegt es fern, den Kreisärzten ihre 
Bezüge kürzen zu wollen, aber es wäre sehr wünschenswert, wenn man der 
Inge ernstlich näher träte, die Bezüge durch Festsetzung einer Pauschal- 
uunine zu regeln. 

Die in den Etat eingestellten Positionen werden sämtlich bewilligt. 

_ Interessieren dürfte noch eine in der Sitzung vom 2. März abgegebene 
Erklärung des Ministerialdirektors Dr. Alt hoff, wonach für das zahnärztliche 
Studium in Zukunft voraussichtlich auch das Reifezeugnis verlangt werden 

sowie eine Erklärung desselben Ministerialkommissars, daß die von dem 
Abg. Bosen ow gegebene Anregung, einen Lehrstuhl für soziale Medizin 
errichten, beachtenswert sei, wenn sich der Begriff der sozialen Medizin 

noch nicht genau festlegen lasse. 

Einen eigentümlichen Verlauf nahm die für die Sitzung am 4. März 
«wzamte Fortsetzung der dritten Beratung des Gesetzentwurfs betr. die 



196 


Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften. 


BekÜmpfang übertragbarer Krankheiten. Diese Beratung war angesetzt in 
der Hoffnung, daß keine weitere Diskussion über den Gesetzentwurf erfolgen 
würde. Der Abg. Dr. ▼. Heydebrand u. der Lasa (kons.) erklärte jedoch, 
daß nach Ansicht seiner Partei, wenn überhaupt Uber den Gegenstand yerhandelt 
werden solle, auch materiell in die Sache eingetreten werden müsse. Die Vor¬ 
aussetzung, unter welcher der Entwurf auf die Tagesordnung gestellt sei, sei 
danach fortgefallen; er beantrage deshalb, ihn yon der Tagesordnung wieder 
abzusetzen. Die Abg. Meyer-Diepholz (nl.) und Herold (Zentr.) schlossen 
sich diesem Anträge an; demzufolge wurde yon einer Beratung über den 
Gegenstand bis auf Weiteres Abstand genommen. 


Der Wunsch der Württembergischen Medizinalbeamten betreffs 
Einführung yon Fortbildungskursen für die Oberamtsärzte ist jetzt in Er¬ 
füllung gegangen, ln den diesjährigen Etat des Departements des Innern 
(Kap. BO: Oeffcntliche Gesundheitspflege) sind 5000 Mark zu diesem Zwecke 
eingestellt und diese Position auch bereits von der Finanzkommission der Ab¬ 
geordnetenkammer genehmigt. Auch die für Altersversorgung der Hebammen 
eingestellte Betrag von 6000 Mark hat diese Kommission bewilligt. 


Aus Thüringen. Zwischen den Begierungen sämtlicher thüringischen 
Staaten sind Verhandlungen ein geleitet, dio auf die Errichtung einer gemein¬ 
samen Anstalt für geisteskranke Verbrecher abzielen. 


Am Sonntag, den 26. März d. J., vormittags 11 Uhr, findet im 
Schwurgerichtssaale des Königlichen Justizgebäudes zu Stuttgart (Urban¬ 
straße 18) wiederum eine Versammlung yon Jnristen nnd Aerzten statt zur 
Erörterung von Fragen aus dem Gebiete der Psychiatrie, die für die beider¬ 
seitigen Berufskreise von praktischer Bedeutung werden können. Als Verhand- 
lungsgegenstäudc sind bis jetzt bestimmt: 

1. Die Stellung der Geisteskranken in Strafgesetzgebung und Straf¬ 
prozeß. Referenten: Med.-Rat Dr. Kreuser, Winnental; Oberlandesgerichtsrat 
l)r. Schanz, Stuttgart. 

2. Zur Psychologie der Aussage. Referenten: Oberarzt Dr. Schott- 
Weinsberg; Landgerichtsrat Dr. Gmelin, Stuttgart. 

3. Die Berechtigung der Vernichtung des kindlichen Lebens mit Rück¬ 
sicht auf Geisteskrankheit der Mutter. Referenten: Dr. Krauß, Kennenberg; 
Justizministerialsekretur Landrichter Teich mann, Stuttgart. 


Die diesjährige Versammlung des Deutschen Vereins für öffentliche Ge¬ 
sundheitspflege wird vom 13.—15. Septbr. d. J. in Mannheim stattfinden« 


Am 16. v. M. hat sich in Berlin ein neuer Verein Gesellschaft für 
soziale Medizin, Hygiene und Medizinalstatistik gebildet. Der Verein will 
grundsätzlich vermeiden, in das Arbeitsgebiet verwandter Veranstaltungen, die 
der praktischen Sozialpolitik oder der praktischen Hygiene gewidmet sind* 
überzugreifen. Er soll der theoretischen Verständigung und dem syste¬ 
matischen Ausbau der sozialen Medizin und Hygiene dienen. 

Der Mitgliedsbeitrag beträgt für die in Berlin und Umgegend woh¬ 
nenden 10 Mark, für die außerhalb wohnenden die Hälfte; Anmeldungen nimmt 
der 1. Schriftführer, Dr. B. Lennhof f, Berlin SO. 16, Sehmidtstr. 37, entgegen. 

Notiz für di© Leser der Zeitschrift. Vielfach an die Redaktion 
herangetretenen Wünschen entsprechend werden die von dem Herausgeber 
erläuterten Neuen preussiseken Vorschriften vom 4. Januar 1905 
für das Verfahren der Gerichtsärzte hei den gerichtlichen TJnter- 
gnchungen menschlicher Leichen demnächst in Sonderabdruck 
erscheinen zum Preise von 1 Mark pro Exemplar. Um die Hoho der Auflage 
zu bestimmen, nimmt die Verlagsbuchhandlung schon jetzt Bestellungen ent¬ 
gegen ; eine Postkarte ist zu diesem Zwecke beigefügt. 

Die Redaktion. Die Verlagsbuchhandlung. 


Verantwort. Redakteur: Dr. Rapmund, Reg.-u. Geh. Med.-Rat in Mindeni. W. 
J. C. C. Bruns, llori’otfl. Siiclis. u. F. Seli.-L. Honjucbdruckerei in Minden. 




18. Jahrg. 


1905. 


Zeitschrift 

für 

MEDIZINALBEAMTE. 


Zeotralblatt für gerichtliche fledizii ud Psychiatrie, 

Sr intlidw Sachierständigentätigkeit io Unfall- ond lofaliditätasaeheo, sowie 
lirljgieo* ofeoti Saoititsweseo, Mediziüal-Gesetzgebung ocd Eeehteprechuog. 

Heraasgegeben 


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Dr. OTTO RAPMUND, 

tegieraogi- and Geh. Medizinalrat in Minden« 


Verlag von Fischer s mediz. Buehhandlg., H. Kornfeld, 

BenogL Bayer. Hof- u. Erzherxogl. Kammer - Buchh&ndler. 

Berlin W. 35, Lützowstr. 10. 

Inserate nahmen die Yeriagthaadlang sowie alle Annoncen - Expeditionen des ln- 
and Auslandes entgegen. 


Nr. 7. 


KfsekeUt »at 1. ud IS. Jeden Kennt«. 


1. April. 


Einige Versuche 

mit einem neuen Apparat zur Wohnungsdesinfektion 
fiir stationären und transportablen Gebrauch. 

(System Dr. 0. ßoepke, 

Chefarzt der Eisenbahnheilstätte Stadtwald bei Melsungen.) 

Von Dr. Engels, Kreisassistenzarzt und Vorsteher der bakt. Untersuchungsstelle 
der Königlichen Regierung zu Stralsund. 

In der Wohnungsdesinfektionsfrage beansprucht heute die 
WoliMngsdesinfektion mit Formaldehyd unser grösstes Interesse. 
Wie ich schon in früheren experimentellen Arbeiten *) feststellen 
haute, ist die Wirksamkeit des Formaldehyds nicht stets eine 
frleichmässige und konstante, das Penetrationsvermögen des Formal- 
debydgasea ein sehr geringes. Trotzdem möchte ich den Be¬ 
hauptungen von Ahha und Bondelli, 2 ), dass die mit Formaldehyd 
angeführte Desinfektion in „allen“ Fällen eine unvollständige sei, 
oitschieden widersprechen. In der Mehrzahl der Fälle hatte 
och bei meinen Versuchen der Formaldehyd den einzelnen Test¬ 
objekten gegenüber als gleich wirksam erwiesen, so dass ich zn 
dem Schlassergehnis kommen zu dürfen glaubte: 

.Wenn ich trotz der Nachteile, welche die Fonnaldehyd - Dcsinfcktions- 
oethode sicherlich hat, dieselbe empfehle, so geschieht es aas dem Grande, 


’) Engels: Experimentelle Beiträge zar Wohnungsdesinfektion mit 
rermildeliyd. L u. II. Teil. Archiv für Hygiene; Bd. XLIX. 

*) Abba and Bondelli: Weitere behufs Desinfektion von Wobnräumen 
Bit dem Flüg gesehen und dem Sch er in g sehen (kombinierten Aeskulap- 
Apparat) formogenen Apparat ansgeführten Versuche. Zentralblatt für Bak- 
tMiolojie etc; 1900, Bd. XXVIII, I. 



198 


Dr. Engels. 


well wir erstens keine Methode haben, welche ans bessere Besaltate liefert, 
da aach der Formaldehyd bei einer bestimmten Konzentration die größte 
Zahl der Keime vernichtet, and weil wir zweitens keine Methode kennen, 
welche so leicht za erlernen ist wie die Formalindesinfektion. Aaf den letz¬ 
teren Pankt möchte ich einen ganz besonderen Nachdruck legen, da die Woh- 
nangsdesinfektion heutzutage in •/10 der Fälle in den Händen des niederen 
Heilpersonals liegt, an deren Intelligenz, wie uns vielfache Erfahrung au 
unseren Desinfektionsknrsen gelehrt hat, wir so wie so schon nicht allzu große 
Anforderangen stellen dürfen.“ 

Von diesen Gesichtspunkten ans müssen wir für jede Ver¬ 
besserung und Vereinfachung unserer vorhandenen Desinfektions¬ 
apparate dankbar sein und diese modifizierten Apparate nach- 
prttfen, ob die Frage der Wohnungsdesinfektion dadurch ihrer 
Lösung näher gebracht ist, ob die neuen Apparate vielleicht mehr 
zu leisten versprechen, als die bisher geprüften. 

Nun hat vor kurzer Zeit Dr. Roepke, Chefarzt der Heil¬ 
stätte Stadtwald der Pensionskasse für die Arbeiter der Preussisch- 
Hessischen Eisenbahngemeinschaft zu Melsungen bei Cassel, es 
übernommen, in dem Eisenbahn-Direktionsbezirke Cassel das 
Wohnungsdesinfektionswesen der Eisenbahner zu organisieren und 
einheitlich zu regeln. Zu diesem Zwecke sollen, wie Dr. Roepke 
mir mitteilt, in der ihm unterstellten Heilstätte eine Anzahl von 
Desinfektoren ausgebildet werden, die dann mit ihren Apparaten 
die einzelnen Wohnungsdesinfektionen gemäss bahnärztlichen Auf¬ 
trages ausführen. Da ihm die bisherigen Apparate für den Trans¬ 
port, namentlich auf die Verhältnisse der Eisenbahner an Bahn¬ 
strecken oder an entlegenen Ortschaften angewendet, nicht 
hinreichend praktisch und zu teuer erschienen, hat er einen neuen 
Apparat zur Verdunstung des Formalins mit Ammoniakentwickler 
und Behälter für die zur Desinfektion notwendigen Utensilien 
konstruiert und zwar in der Weise, dass der Formalinapp&rat 
und Ammoniakentwickler bequem in einer Segeltuchtasche unter¬ 
gebracht werden können, welche über der Schulter getragen wird, 
während in einer Handtrommel die übrigen Apparate wie Spiritus¬ 
brenner, Chemikalien usw. Platz finden. Dadurch werden für den 
Transport besondere Beförderungsmittel überflüssig, ein Vorzug, 
der neben den relativ geringen Kosten des Apparats die all¬ 
gemeine Durchführung der Wohnungsdesinfektion auch in kleineren 
Gemeinden wesentlich erleichtert. 

Ein weiterer Vorzug des Böpkeschen Apparats ist der, 
dass bei Berechnung der nötigen Mengen Formalin, Ammoniak 
und Spiritus besonderer Wert darauf gelegt ist, die Quantitäten 
so zu wählen, dass bei möglichst langsam verbrennendem 
Spiritus die Verdampfung des Formalinwassers und des Ammoniaks 
derart vonstatten geht, dass höchstens Beste von Flüssigkeiten 
in dem betreffenden Behälter Zurückbleiben. Wichtig war natür¬ 
lich diese Errungenschaft in erster Linie für den ersten Teil der 
Desinfektion, die Formalinverdampfung, um womöglich in langsamer 
Folge, aber dauernd den gesamten Formaldehyd auB dem Hessel 
in das Zimmer zu treiben. Aus diesem Grunde sind von Roepke 
auch besondere Tabellen angefertigt, welche für die verschiedenen 




Einige Veraache mit einem neuen Apparat zar Wohnungsdesinfektion usw. 199 


Zimmergrössen, die entsprechenden Mengen Formalin, Wasser, 
Ammoniak and Spiritas in der bekannten Form registrieren. 

Der Apparat lehnt sich eng an die Fliiggesche Form, den 
Breslauer Apparat an, insofern zur Aufnahme des flüssigen For- 
malins und des Wassers nur ein gemeinsamer Kessel zur An¬ 
wendung gelangt und nicht getrennte Behälter, wie wir solche 
in dem Schn ei der sehen Rapid - Desinfektor - System besitzen. 
Der darch Dauerhaftigkeit und Ungefährlichkeit beim Gebrauche 
sich noch besonders vorteilhaft auszeichnende Roepkesche Apparat 
wurde durch D. R. G. M. geschützt und die Anfertigung und 
der Vertrieb dem Medizinischen Warenhaus in Berlin übertragen. 
Den praktischen Erfordernisssen entsprechend ist er 
sowohl stationär in Krankenhäusern, Heilstätten, Sanatorien, 
Eorhäusern etc., als auch transportabel zur Wohnungs¬ 
desinfektion in Stadt und Land zu gebrauchen und so, 
wie schon kurz angegeben, eingerichtet, dass er bequem 
von einer Person ohne 
besondere körperliche An- i V’’' ^ 

strengung getragen wer¬ 
den kann. 

Der eigentliche Formalin- 
Verdampfun gs - Apparat (s. 

(Fig. A) besteht aas einem aas star¬ 
kem Kupferblech gestanzten j't 

Kessel mit aofgefalztem, gewölbtem 
kupfernen Deckel, der eine Yer- 

schraubung zum Einfällen des For- Jjjp 

malins und W assers trägt; die Yer- ■P**““---—" ~ ~ 

schraubung ist möglichst nahe am 

Bande des Kessels angeordnet, um jj ; fc MT j 

etwaige Rückstände nach erfolgter - ' 

Desinfektion ohne Schwierigkeit und U % \ 

vollkommen entfernen zu können. Aggyjj} - igt 

Die Aasströmungsdüse auf dem Ji Ä ™ 

Deckel ist abschraubbar, um für W / w 

teten, federnden Metallklemme be- \| '* 
festigt werden zu können. 

Damit der Apparat beim Trans- ~ . 

Port möglichst wenig Raum bean- Fl «' A * Formahn-Apparat. 


I 



200 



B. Ammoniakentwickler mit Transporteimer (C a). 


dämpfe, eine aofgenietete 
federnde Metallklemme für 
die Abströmungsdüse nach 
dem Gebrauch und eine 
nahe am Rande angeord- 
nete Verschraubung für 
Füllung und Entleerung 
des Kessels vorgesehen. 
Der Boden des Apparates 
ist nach innen gewölbt, 
entsprechend der nach 
außen gehenden Wölbung 
des Deckels des Formalin¬ 
apparates, da ersterer beim 
Transport auf letzteren 
aufgesetzt wird. 

Der Ammoniakentwick¬ 
ler ruht auf angenieteten 
Füßen aus Messing. Die¬ 
selben haben eine solche 
Spreizung nach außen, daß 
sie über den Formalinap¬ 
parat fest übergreifen. 

Die Erwärmung des 
Ammoniaks erfolgt eben¬ 
falls wie beim Formalin¬ 
apparat durch eine Spiri¬ 
tusgaslampe, welche auch 
ganz aus Messing herge¬ 
stellt ist. Während des 
Betriebes finden Apparat 
a und Spirituslampe Auf¬ 
nahme in einem Metall¬ 
untersatz zum Schutz 
gegen Feuersgefahr. 

Weiterhin ist der Am¬ 
moniakentwickler der bes¬ 
seren Haltbarkeit wegen 



mit einem Metallspiralschlauch ausgestattet, 
welcher die Verbindung zwischen der Düse 
und der an der Tür befestigten Auffangrinnen 
herstellt. 

Für den Transport wird, wie schon an¬ 
gedeutet, nach Entfernung und Befestigung 
der Düsen in den zugehörigen Klemmen der 
Ammoniakentwickler auf den Formalinapparat 
auf gestellt und beide Apparate in einer Segel- 
tuchtasche (Fig. D) mit Tragriemen unter¬ 
gebracht. Auf diese Weise erfolgt ein sicherer 
Transport beider Apparate ohne irgend welche 
Umstände. 

Das Zubehörinstrumentarium (s. 
nachfolgende Fig C) umfaßt die nötigen Gegen¬ 
stände zur Vorbereitung und Ausführung der 
Desinfektion. In einem Einsatzgestell sind 
übersichtlich angeordnet: Fensterkitt und 
Kartoffelmehl in Büchsen, Glaserkittmesser, 
Schere, Papier und Watte, Büchse mit Steck¬ 
nadeln, Meßstab mit Federn, Wäscheleine, 
Schnur, große Schürze und Schutzärmel für 
den Desinfektor, Handtücher, Wischtücher, 
Glas mit Sublimatpastillen, Bürste, Mensur 

Ca. Transporteimer (C) mit den zur Desinfektion notwen¬ 
digen Utensilien, Desinfektionsmitteln n. drgl. 

D. Die Tasobe (D) mit Formalindampfer (A) und Ammo¬ 
niakentwickler (B). 


Der Desinfektor 
in voller Ausrüstung. 


D 





































Einige Versuche mit einem neuen Apparat zur Wohnungsdesinfektion usw. 201 



au emailliertem Eisen, Behälter aus Messing fttr den erforderlichen Spiritus, 
eine braune Eiasche für Formalin und eine weiße für Ammoniak, beide mit 
Vorrichtung, welche ein selbständiges Lösen der Stopfen unmöglich macht. Auch 
die Lampen für den Formalinapparat und den Ammoniakentwicklcr finden in dem 
dem Einsatzgestell Aufnahme. Dieses 
wird mit dem gesamten Inhalt für den 
Transport in einem eimerartigen 
Gefäß (s. Fig. Ca) aus verbleitem 
Eisenblech untergebracht. Ein Deckel 
mit Bajonettverschluß sichert den 
Transport des Ganzen, der durch 
einen seitlich angebrachten Handgriff 
erleichtert wird. 

Der Transporteimer dient 
während der Desinfektion des Raumes 
znm Einweichen der Bett- und Leib¬ 
wäsche in einer Sublimatlösung. Zu 
diesem Zweck sind an der Innenwand 
des Eimers Marken angelötet, welche 
rar Herstellung der Lösung das Ab¬ 
messen von 10 und 20 Litern Wassers 
ersparen. Um die Polymerisation des 
Formaldebyds an der Flüssigkeit des 
Eimers zu verhindern, ist derselbe am 
besten vor die Tür des Zimmers zu 
setzen, wo er später als Untergestell 
für die Aufstellung des Ammoniak- 
eatwicklers dient. 


Einsatz des Transporteimers (C) 
mit Geräten. 


Die Apparate sind für Räumlichkeiten bis zu 120 cbm Luft¬ 
raum bemessen. 


Die Preise der einzelnen Teile sind die nachfolgenden: 

A. Formalinverdampfungsapparat aus Kupfer mit in Scharnier 

gehenden Klappfüßen, große Spiritusgaslampe aus Messing, Trichter und 
Untersatzteller aus verbleitem Eisenblech, zusammen.Hk. 44. 

B. Ammoniakentwickler aus Kupfer, Metallspiralschlauch und 

Zinkblechrinne, Spiritusgaslampe aus Messing und Untersatzteller aus ver¬ 
bleitem Eisenblech.Mk. 23,50. 

A. und B. genügen beim stationären Gebrauch für den eigentlichen 
Desinfektionsakt. 

C. Ausrüstungsgegenstände: Transporteimer aus verbleitem 

Eisenblech mit Meßmarken, Deckel und Tragegriff, Einsatzgestcll mit Trage- 
bügel, 1 Spiritusbehälter, 1 braune Flasche für Formalin und 1 weiße Flasche 
für Ammoniak, je l'/s Liter Inhalt, 1 Emaillemensur, 100 g Watte, 1 Glaser¬ 
kittmesser, je 1 Büchse mit Kartoffelmehl und Fensterkitt, 3 Bogen Packpapier, 
1 Schere, 1 Büchse mit 60 Stecknadeln, 1 Meßstab mit Federn, 1 Wäscheleine, 
ca. 30 m Schnur, 2 Handtücher, 2 Wischtücher, 1 Bürste, 1 große blaue Schürze 
and 2 Schutzärmel für den Desinfektor, 1 Glas mit 10 Sublimatpastillen, 
zusammen.Mk. 33,50. 

D. 1 Segeltuchtasche zum Transport des Formalin Verdampfungs¬ 
apparates und des Ammoniakentwicklers.Mk. 8. 

A., B., C. und D. bilden die komplette Ausstattung für den transportablen 
Gebrauch. 

Jedem Apparat wird eine ausführliche Gebrauchsanweisung, 
sowie Tabellen für die Formalin- und Ammoniakentwicklung bei¬ 
gegeben, deren Wiedergabe an dieser Stelle nicht von Interesse 
sein dürfte. 

Alle Einzelheiten sind aus den beigefügten Abbildungen zu 
ersehen. 















Dr. Engels. 


202 


Für die Versuche, welche ich auf Wunsch von Dr. Roepke 
mit seinem Apparat angestellt habe, wählte ich folgende Ver¬ 
suchsanordnung: 

Als Versachsr&om diente ein Hinterzimmer der mir unterstellten bak¬ 
teriologischen Untersuchungsstelle. Dasselbe ist in Fachwerk aufgebaut and 
liegt nach Westen und teilweise nach Süden frei. Der Baum ist einfenstrig, 
seine Türen und Fenster leicht verschließbar und abzudichten. Die zu den 
Vorderräumen des Laboratoriums führende Tür des Versuchsraumes besitzt im 
oberen Teilo zwei große Glasscheiben, so daß alle Vorgänge während eines 
Versuches gut verfolgt und die nötigen Ablesungen leicht und bequem vor- 
genommen werden konnten. 

Die Größe des Versuchszimmers wurde so festgestellt, daß ich stets 
0,5 und alles über 5,5 nach oben abrundete, um gerade Zahlen zu erhalten, 
desgleichen alles unter 0,5 einfach strich. Darnach ergab sich bei 4,53 = 5 m 
Länge, 3,05 = 3 m Höhe und 2,63 = 8 m Breite des Versuchsraumes ein 
Kubikinhalt von 50 cbm. 

Um in etwa wenigstens die Verhältnisse in der Praxis nachzuahmen, 
wurden die im Zimmer befindlichen Sachen auch während der Versuche in 
demselben belassen. So befanden sich in dem Versuchsraume ein großer Kachel¬ 
ofen, mehrere Arbeitskittel, ein Bücherrepositorium mit einer Beihe von Zeit¬ 
schriften etc., weiterhin ein Tisch mit verschiedenen Apparaten, mehrere Be¬ 
hälter für Laboratoriumstiere, Schulbankmodelle und noch eine Beihe Ton 
anderen kleinen Dingen. 

An verschiedenen Stellen des Zimmers wurden Postamente zur Aufnahme 
der die Testobjekte enthaltenden Petrischen Schälchen angebracht und zwar 
in Höhe von 0,95 m und 2,10 m. Außerdem wurden Testobjekte dem Formal- 
dehyd exponiert in einem Schälchen, welches in der äußersten, d. h. von dem 
Desinfektor am weitesten entfernten Ecke des Baumes auf dem Fußboden 
untergebracht war. 

Eine Prüfang auf die Tiefenwirkung des Formaldehyds konnte unter¬ 
bleiben, da, wie auch meine früheren Versuche (L c.) ergeben haben, kaom 
mehr ein Fortschritt in dieser Beziehung zu erwarten ist. 

Was die Testobjekte angeht, so worden benutzt 1—l 1 /* cm 
lange, mittelstarke sterile Seidenföden nnd ca. 1 qcm grosse 
sterile Leinenläppchen ohne Appretur mit Reinkulturen imprägniert 
von: 

1. Typhusbazillen, . 5. Diphtheriebazillen, 

2. Choleravibrionen, 6. Sporenhaltigen Heubazillen und 

8. Staph. pyog. aureus, 7. Prodigiosus. 

4. Streptokokken, 

Zwecks Herstellung der Testobjekte wurden 24 ständige 
Agarkulturen genommen, und der gewachsene Rasen in „sterilem 
Wasser“ aufgeschwemmt, und in diesen hinein die sterilen Seiden¬ 
fäden und die sterilen Leinenläppchen gelegt. Die Fäden und 
Läppchen blieben mindestens solange in der im „ Wasser* auf¬ 
geschwemmten Kultur liegen, bis sie soweit imprägniert waren, 
dass sie auf dem Boden des Gefässes niedersanken. 

Ein Teil der Fäden und Läppchen wurde bei Bruttemperatur 
von 37 0 C. während ca. 2 Stunden getrocknet und in diesem Zu¬ 
stande dem Formaldehyd ausgesetzt. Neben trockenem wurde 
stets auch feuchtes Bakterienmaterial, d. h. ganz kurz vor dem 
Versuche aus der „ wässerigen“ Kultur herausgenommene Fäden 
und Läppchen der Desinfektion übergeben, um zu einem möglichst 
vielseitigen Resultate bei der Prüfang zu gelangen. 

Eine besondere Prüfung des Apparates auf Unschädlich- 



Eilige Versuche mit einem neuen Apparat zur Wohnungadesinfektion usw. 208 




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mthnng bezw. Abtötung von Taborkelbazillen wurde von mir 
nicht vorgenommen, da ich bei früheren Experimenten (1* c 0 zu 
einem negativen Resultate gelangt bin and an eine sichere 
Abtitung von Tuberkelbazillen dnrch Formaldehyd 
in der überwiegenden Mehrzahl der F&lle, gestützt 
mfmeine experimentellen Ergebnisse, nicht glaube. 

Ich habe noch kurz za erwähnen, weshalb die 
B&kterienrasen in sterilem Wasser, and nicht in Bonilion 
oder Pepton, wie es gewöhnlich za geschehen pflegt, auf- 
feschvemmt wurden: 

,Eeagensglasversuche mit Formalin und aufgelöstem Pepton haben mich 
.... überzeugt, daß Formalin und Pepton einen unlöslichen Niederschlag in 
bestimmten Mischungsverhältnissen bilden“ (1. c.). Fs war mir früher schon 
ulgei&Uen, daß die feuchten (mit peptonhaltiger Bouillon angefertigte) Test* 
objekte eine größere Resistenz gegenüber Formaldehyd an den Tag legten, als 
Oie trockenen, was einzig und allein auf die Anwesenheit des Peptons in der 
iokhvemmungsflüssigkeit zurückzuführen war und nicht auf den etwa zu 
tödlichen Wassergehalt, auch nicht auf eine wesentliche Abschwächung der 
»getrockneten Bakterien, da die Kontrollen stets rechtzeitig positiv ausfielen. 
,a bleibt daher nur die vorsichtige Aufschwemmung der Bakterien in 
sterilem Wasser als die beste Methode zur Gewinnung von ... Testobjekten 
tbrig* (L c.). 

Weiterhin erwähne ich noch, dass Seidenfäden und Leinen- 
Uppchen für Wohnungsdesinfektionsprüfongen zweckmässiger sind, 
tb jedes andere Menstrnum, da wir uns damit den zunächst in 
der Praxis gegebenen Verhältnissen nähern. 

Die Versuchsanordnung war non weiterhin folgende: 

Die sterilen Petrischen Schälchen wurden mit Hilfe eines Blaustiftes 
rot der Unterfläche her in zwei Hälften geteilt, von denen die eine die 
bödmen, die andere die feuchten Seidenfäden bezw. Leinenläppchen enthielt, 
vdch' letztere kurz vor dem jedesmaligen Versuche aus dem „Wasser“ heraus* 
gawmmen wurden. Die Schäldien mit Inhalt wurden die vorgeschriebene Zeit — 
*unserem Falle nach ßoepkes Angaben 5 Stunden — dem Formaldehyd* 
gue in möglichst schrägen Lagen ausgesetzt, um dem Gase freien Zutritt zu 
den Testobjekten zu verschaffen. Nachdem auch der Ammoniak die nötige 
Zeit eingewirkt hatte, — in meinen Versuchen noch */* Stunde nach Verlöschen 
der Spiritusflamme — wurden die Schälchen schnell zugedeckt, darauf im Labo¬ 
ratorium die Testobjekte in ca. 10 ccm Bouillon übertragen, geschüttelt und 
diese Eöhrchen sodann 8 Tage bei Bruttemperatur gehalten. Dann erst folgte 
d« Begistrieren der Resultate. 

Dass bei jedem Versuche für die nötige Abdichtung des Ver- 
*whsraame8 gesorgt warde, brauche ich wohl kaum zu erwähnen. 
Der Formalinapparat warde im Zimmer aafgestellt. 

Um mir gleichzeitig über die Verhältnisse der Temperatur 
md der Feuchtigkeit während der Einwirkung des Formal- 
dehyds Aufklärung zu verschaffen, wurde ein Lambrecht scher 
Polymeter so in der Nähe der Tür im Zimmer aufgehängt, dass 
durch die oben erwähnten Fensterscheiben leicht Ablesungen ge* 
■übt werden konnten, was halbstündlich geschah. 

Angestellt worden auf diese Weise im ganzen 5 Versuche. 
ft jeden Versuch hatte ich B6 Testobjekte. 

Zwischen je zwei Versuchen fand eine gründliche Durch- 
des Ver^uchsraumes statt. 



204 


Dr. Engels. 


Die näheren Angaben über die Versuchsergebnisse ent¬ 
hält die nebenstehende Uebersicht; über die bei den einzelnen 
Versuchen festgestellte relative Feuchtigkeit und Tempe¬ 
ratur giebt die nachstehende Tabelle Aufschluss. 


Za Versuch I. 

| Versuch II. 

Versuch III. 

| Versuch IV. 

Versuch V. 

Stunde 

i 

relative 

Feuchtigkeit 

Temperatur | 

relative 
Feuchtigkeit j 

Temperatur 

relative 

Feuchtigkeit 

Temperatur 

relative 

Feuchtigkeit 

i 

Temperatur 

relative 

Feuchtigkeit 

Temperatur 

7 vorm. 

73 °o 

11° 





r 

t 

, 76 ®/ 0 

10° 

7 V» « 

78 „ 

12° 







95 „ 

13* 

8 „ 

100 „ 

14° 






1 

I 97 . 

15» 

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96 „ 

16° 



I 




, 98 „ 

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94 „ 

15° 



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i 

1 

i 97 , 

13° 

9 7« * 

92 , 

13° 

70 */ 0 

ii* 

1 77 ®/ 0 

12* 

78 °/ 0 

11° 

i 91 „ 

13° 

10 » 

89 „ 

12'/*° 

87 „ 

13° 

91 . 

13® 

94 , 

; 13® 

91 . 

13» 

10 V* fl 

80 „ 

12* 

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93 „ 

15® 

95 „ 

15® 

86 , 

12* 

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74 . 

12* 

93 , 

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93 „ 

16® 

95 , 

16® 

85 » 

12» 

UV» « 

72 , 

12* 

96 „ 

16 0 

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14® 

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12 mitt. 

72 , 

11V*°| 

93 „ 

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84 „ 

12» 

12 1 /* « 


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88 „ 

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13® 

80 , 

I 12 ° 1 



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1 

1 

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79 „ 

12'/*° 

77 » 

12® 

80 „ 

12® 



1'/* « 



76 „ 

12® 

77 „ 

12® 

80 , 

12® 1 



2 , ; 


I 

75 „ 

12* 

77 „ 

12® 

'9 « 

11® | 



2 V*. 1 

1 


I 74 „ 

12® 

75 „ 

11 ® 

77 „; 

11 ° : 


i 


Aus den Resultaten ist folgendes zu erwähnen. 

Die relative Feuchtigkeit hat den Höhepunkt erreicht: 

bei Versuch 1 mit 100 »/„ nach 1 Std., 

„ 2 n 96 „ „ 2 „ 

■ * 3 „ 94 „ „ 2 „ 

„ fl 4 „ 95 n 1 fl 

fl - 5 „ 98 „ „ IV» « 

im Durcbsclmitt demnach mit ca. 97 °/ 0 nach 1*/» Standen. 

Die Temperatur erreichte den Höhepunkt: 

bei Versuch 1 mit 16° C. nach 1 '/* Std., 

fl A 2 „ 16 „ , 2 

« fl 3 „ 16 , , 1 , 

fl , 4 „ 16 „ „ IV* fl 

fl fl ö 1, 15 fl fl 1 fl 

im Durchschnitt also mit ca. 16° C. nach 1 */» Standen. 

Von Wichtigkeit sind für den vorliegenden Apparat auch die 
Angaben, wie lange die Spiritusflamme die Verdampfung unter¬ 
hielt, sowie ob eine vollständige, restlose Verdampfung der 
Flüssigkeiten zu konstatieren war. 

Die Formalin- und Ammoniakflammen waren erloschen: 

Versuch I. II 111 IV. V. 

Formalinflnmme: nach 2 Std. 2 1 /» Std. 2 Std. 1 */« Std. 1 */« Std. 

Ammoniakfiammc: „ '/* » 35 Min. V* « V* n 40 Min. 

Formalinrest: — — — 250 ccm 110 ccm 

Ammoniakrest: ca. 100 ccm 80 ccm 130 ccm 37 ccm 60 ccm 

Die Flammen brannten demnach sowohl bei dem Formalin*, 

wie bei dem Ammoniakverdampfer geraume Zeit, so dass die grösst- 
raögliche Verdampfung der Flüssigkeiten erfolgen konnte. Der 




Trockono Toatobjokto 


Einige Versuche mit einem neuen Apparat zur Wohnungsdesinfektion usw. 205 









206 


Dr. Engels. 


Spiritus verbrennt infolge der Vergasung langsamer, daher vor¬ 
teilhafter für den Desinfektionserfolg. Sicher ist, dass bei den 
Flflggeschen und Schneiderschen Apparaten, bei denen wir 
offene Feuerung haben, der Spiritus schneller verbrennt. In dem 
neuen Spiritnsbrenner Boepkes sehe ich einengrossen 
Vorteil, weil einmal die Feuersgefahr geringer ist, 
sodann aber auch der Spiritus erheblich langsamer 
verbrennt, daher das Formalinwasser vollständiger 
verdampfen kann, desgleichen der Ammoniak. 

In der Tat waren die Testierenden, nicht vergasten Formalin- 
wasser- bezw. Ammoniakmengen meistens nur geringe; in drei 
Versuchen war sogar gar kein Formalinwasserrest zu konstatieren. 

Was den eigentlichen Desinfektiouseffekt angeht, so können 
die Besultate als sehr schön bezeichnet werden. Der Apparat 
Boepkes leistet dasselbe wie die übrigen vorhandenen Des¬ 
infektoren, insbesondere auch wie die von mir (1. c.) früher ge¬ 
prüften Breslaner Apparate und Schneiderschen Bapid-Des¬ 
infektoren. 

Die beste Wirkung wurde sowohl für die feuchten, wie für 
die trockenen Testobjekte in einer Höhe von 1—2 m erzielt, wie 
besonders eklatant hervorgeht aus den für die Typhus-, sporen¬ 
haltigen Heubazillen- und Staphylokokken-Testobjekte erreichten 
Zahlen hervorgeht. Dasselbe Ergebnis konnte auch früher für 
die anderen Apparate festgestellt werden. 

Ein Unterschied in der Wirkung des Formaldehydes gegen¬ 
über den Seidenfäden und den Läppchen konnte nur bei den 
feuchten Testobjekten konstatiert werden, und auch hier nur gegen¬ 
über den Typhus-Testobjekten. 

Das Nähere ergeben die folgenden Tabellen: 


Feuchte Testobjekte 1 ) 


Höhe im 
Versuchsraum 

Typhus 

Cholera 

bi) 

o 

£3 

•9.5 
§** 

OQ 

Strepto¬ 

kokken 

Diphtherie 

Sporen¬ 
haltige Heu¬ 
bazillen 

Prodigiosus 

Seiden- 1 
faden | 

r Fußboden 

80 °/ 0 

100»/, 

100»/, 

100»/, 

100»/, 

0»/o 

100 °,o 

0,95 m 

80 „ 

100 „ 

80 „ 

100 „ 

100 „ 

20 „ 

100 „ 

1 2,10 m 

100 „ 

100 „ 

100 „ 

100 „ 

100 „ 

40 , 

100 „ 

Läppchen 

2,10 m 

20 „ 

100 „ 

1 

80 „ 
Trockei 

100 „ 
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100 , 
Objekte 

20 „ 

80 „ 

Seiden¬ 

fäden 

r Fußboden 

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O 

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1100»/, 

100 o/ 0 

100»/, 

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0»/o 

80 °/ 0 

0,95 m 

100 , 

100 „ 

100 „ 

100 „ 

100 „ 

20 „ 

80 „ 

l 2,10 m 

100 „ 

100 „ 

100 , 

100 „ 

100 „ 

20 ff 

80 „ 

Läppchen 

2,10 m 

60 „ 

100 „ 

100 „ 

100 „ 

100 „ 

1 20 , 

80 „ 


Veranschaulichen wir uns nun noch die Gesamtresult&te 
meiner Versuche (Seidenfäden und Läppchen), so erhalten wir 
das nachfolgende Ergebnis bezüglich der erreichten Abtötung: 


*) Die Zahlen geben die jedesmal erreichte Abtötung in Prozenten an. 









Einige Versuche mit einem neuen Apparat zur Wohnungsdesinfektion new. 207 


Testobjekte 

Cholera 

© 

TS 

© 

Xi 

-ta» 

Xi 

Pe 

3 

iS 

«3 

i 

Staph. 

pyogenes 

aureus 

Prodigio- 

8 US 

Typhus 

Sporen¬ 
haltige Heu¬ 
bazillen 

Trockene Fäden . 

Feuchte Eiden . 

100 °/„ 
100 , 

i 

100 »/, 
100 , 

8 8 
o 

* o“ 

90 «/, 
100 , 

, 

l 

«&«/, 

76 , 

o 

* 

O IO 

90 «/, 

16 , 


Die Differenz zwischen den feuchten und trockenen Test* 
Objekten ist so geringfügig, dass dieselbe wenig oder gar nicht 
ins Gewicht fällt. 

Es sei mir nun noch gestattet, zum Vergleich zwei kleine 
Tabellen meiner obengenannten Arbeiten hinznzufügen: 

Desinfektionsresultate, erzielt mit Hilfe des Schneiderschen 
Formaldehyd • Desinfektors. 


Test¬ 

objekte 

Diphtherie 

Cholera 

Strepto¬ 

kokken 

Tuberkel¬ 

bazillen 

Friedländer 

Dysenterie 

Milzbrand¬ 

bazillen 

Typhus 

|9 

Mg 

Ji 

Staph. pyog. 

aureus 

n 

•2 ä. 

i- 

Trockene 

Fäden 

Feuchte 

Fäden 







88 o/. 

i 

98«/, 

94«/, 

HR 

60«/, 





92 , 

82 , 

78 , 

76 , 

54 , 

46 , 

14 , 


Desnfektionsresultate, erzielt mit Hilfe des Breslauer Apparates. 


Test¬ 

objekte 

Diphtherie 

Cholera 

Strepto¬ 

kokken 

Tuberkel¬ 

bazillen 

Friedländer 

Dysenterie 

fcb 

© 

ää 

to 

Js * 
00 

Typhus 

■g S 
&| 

H 

Milzbrand¬ 

bazillen 

Milzbrand- 1 
sporen | 

Trockene 

Fäden 

100«/, 

100»/, 

100»/, 

100«/, 

100»/, 

8 

o 

o"^ 

100»/, 

100«/, 

90»/, 

■ 

60«/, 

Feuchte 

Fäden 

100 , 

100 , 

100 , 

100 , 

90 , 

90 , 

86,6, 

88,8, 

88,8, 

70 , 

80 , 


Wenngleich somit die Prozentzahlen nicht ganz überein- 
staunen, so ist meist die Differenz doch so geringfügig, dass ich 
zn dem Schlnssergebnis kommen zu dürfen glaube, dass der 
yon Roepke angegebene Apparat zur Wohnungsdes¬ 
infektion hinsichtlich des Desinfektionseffektes das- 
aelbeleistet wie der Flüggesche nnd der Schneidersche 
Desinfektor, dass dahingegen der Boepkesche Ap¬ 
parat vor den beiden anderen Desinfektoren den vor¬ 
teilhafteren Spiritusbrenner nnd die kompendiöse 
Form des Ganzen voraus hat, so dass hiermit zweifel¬ 
los eine Verbesserung, Vereinfachung und leichtere 
Handhabung erzielt ist, und der Apparat Boepkes 
demnach seinen Zwecken in jeder WeiBe gerecht wird. 





























208 


Dr. Huhs. 


Oie desinfektorlsche Wirkung des Formatins 
auf tuberkelbazillenhaltigen Lungenauswurf. (Versuche mit 
dem Roepkesehen Apparat zur Wohnungs-Desinfektion.) 

Von Dr. E. Hnhs, 

Assistenzarzt der Eisenbahn'Heilstätte Stadtwald-Melsungen. 

Für den Heilstättenarzt war es von ganz besonderer Wich¬ 
tigkeit zu prüfen, in welcher Weise der Roepke sehe Apparat 
zur Wohnungsdesinfektion mittels flüssigen Formalins auf die 
Erreger der Tuberkulose wirkt und zwar in ihrer häufigsten 
Erscheinungs- und Verbreitungsform: auf die Tuberkelbazillen 
im Sputum. Bekanntlich ist die Wohnungsdesinfektion gerade 
für die Bekämpfung der Tuberkulose als Volkskrankheit eine 
ungemein wichtige MaBsnahme, anderseits ist aber von Spengler, 
Engels und mit besonderem Nachdruck von v. Behring be¬ 
hauptet, dass die Formaldehyddesinfektion gerade bei der Tuber¬ 
kulose versage. Dieser Behauptung widersprechen die viel um¬ 
fangreicheren Untersuchungen von Fairbanks, Walter, 
Aronsohn, Neisser, Valagussa, Pfuhl, v. Brunn, 
Hess, Flügge, Steinitz, Jörgensen und in allerneueeter 
Zeit die sehr sorgfältigen Versuche von Werner. Letzterer hat 
auch in Nr. 13 dieser Zeitschrift — Jahrgang 1904 — das Für 
und Wider in der ganzen Frage der „Formalindesinfektion von 
Phthisikerwohnungen“ so zutreffend behandelt, dass sich hierüber 
unter Hinweis aut die Wern ersehe Arbeit weitere Einzelheiten 
erübrigen. 

Meine Versuchsanordnung, die das Ergebnis der Engel8- 
schen Versuche mit dem von Roepke konstruierten Apparat in 
wünschenswerter Weise ergänzt, war folgende: 

Leinwandläppchen worden in mäßig dicker Schicht mit frischem Spntum 
bestrichen, das ein florider Fall von Phthise lieferte. Es war yon eitriger 
Konsistenz, so daß es sich wie Butter anfsckmicrcn ließ, und enthielt neben 
zahlreichen Staphylokokken außerordentlich zahlreiche Tuberkelbazillen. Nachdem 
das aufgetragene Sputum angetrocknet war, wurden in einem Krankenzimmer 
von 60 cbm Rauminhalt an vier verschiedenen Stellen — in verschiedener Ent¬ 
fernung vom Formalinverdampfungsnpparat und in verschiedener Zimmerhöhe — 
je fünf Läppchen an Zwirnsfäden aufgehängt. Dann erfolgte unter genauer 
Beobachtung der dem It.’schen Apparat beigegebenen Anleitung der Desin¬ 
fektionsakt mit der vorgeschriebenen Menge flüssigen Formalins und nach fünf¬ 
stündiger Einwirkung desselben die Einleitung des Ammoniaks von außen durch 
das Schlüsselloch. Eine Stunde später konnte das Zimmer betreten werden, 
ohne daß Formalin- oder Ammoniakdämpfe belästigend wirkten. 

Von den an verschiedenen Stellen aufgehängten Testobjekten wurden je 
4 Stück — im ganzen also 16 Stück — mit Bouillon angefeuchtet und einzeln 
auf Somatosenährboden, der sich uns für das Wachstum der Tuberkelbazillen 
ganz vorzüglich bewährt hat, sehr sorgfältig ausgestrichen, zum Teil sogar in 
den Röhrchen belassen. 

Die ununterbrochen — 6 Wochen lang — im Brut¬ 
schrank bei 37° gehaltenen Röhrchen blieben sämtlich 
steril. Dieses Ergebnis deckt sich mit den Feststellungen des 
Marburger hygienischen Instituts und spricht gegen die Be¬ 
hauptung Spenglers, dass Tuberkelbazillen noch nach Ein¬ 
wirkung weit grösserer Formaldehydmengen, als sie für die 



Versuche mit dem Boepkeschen Apparat zar Wohnangadesinfektion. 209 

Wohningsdesinfektion in Betracht kommen, auf geeigneten Nähr¬ 
böden Lebensercheinungen zeigen. 

Ferner wurden die in verschiedener Entfernung und Höhen¬ 
lage noch hängenden 4 Läppchen nacheinander von den Fäden 
abgeschnitten und sofort 4 Meerschweinchen direkt in die Bauch¬ 
höhle gebracht. 

* Meerschweinchen Nr. 1: Gewicht 560 g. 23. Januar intraperitoneale 
Verimpfung des Läppchens. Am 23. Februar auf 1 und 3 mg Alt - Tuberkulin 
keine Beaktion. Am 6. März Tötung. Gewicht 590 g. Sektionsbefund: Läpp« 
chen dem Peritoneum der Bauchseite reaktionslos augewachsen. Peritoneum 
spiegelnd, sämtliche Organe der Bauch- und Brusthöhle gesund. 

Meerschweinchen Nr. 2. Gewicht 430 g. Am 23. Januar Operation. 
Am 23. Februar auf 3 mg Alt-Tuberkulin nicht reagiert. Am 6. März Tötung. 
Otvkht 580 g. Sektionsbefund: Läppchen von Dünnarmschlingen um¬ 
schlossen. Keine Beaktionserscheinungen. Keine Spur von Tuberkulose 
üch weisbar. 

Meerschweinchen Nr. 3. Gewicht 420 g. Am 23. Januar Operation: 
Auf 1 und 3 mg Alt-Tuberkulin am 23. Februar keine Beaktion. Tötung am 
6.März. Gewicht 550 g. Sektionsbefund: Das Läppchen hat zur Verwachsung 
ron Darm, Testikel und Mesenterium geführt; sonst ganz normaler Befund; 
insbesondere keine Tuberkulose. 

Meerschweinchen Nr. 4. Gewicht 430 g. Operiert am 23. Januar. 
Taberkulininjektion von 1 und 3 mg bleibt ohne Beaktion. Tötung am 6. März. 
Gewicht 550 g. Sektionsbefund: Läppchen im Mesenterium eingebettet. 
Keine Drüsenschwellung; im ganzen Tierkörper keine Tuberkulose. 

Die beiden Kontrolltiere, denen je ein mit dem gleichen Sputum be¬ 
schmiertes, aber nicht desinfiziertes Läppchen in die Buuchhöle gebracht war, 
zeigten bei der Sektion ausgesprochene Formen allgemeiner Tuberkulose. 

Nach dem Ergebnis dieser Versuche unterliegt es 
keinem Zweifel, dass die desinfektorische Wirkung des Formal- 
dehyds bei Anwendung des Boepkeschen Apparates der Tuber¬ 
kulose gegenüber vollständig und sicher ist. Denn wenn die 
Tiberkelbazillen in der Sputumschicht durch den Desinfektionsakt 
io beeinflusst werden, dass sie bei Verimpfung auf das für Tuber¬ 
kulose hoch empfindliche Meerschweinchen keinerlei nachteilige 
Wirkung mehr hervorznrufen vermögen, dann können sie dem 
Menschen sicherlich nicht mehr gefährlich werden. 

Allerdings wird die Formalindesinfektion versagen müssen, 
venn die Taberkelbazillen in so massigen und kompakten Sputum- 
kallen eingeschlossen sind, dass ein Durchdringen des Desinfektions- 
Mittels unmöglich ist. Solche mit Auswurf grob und sichtbar 
beschmutzten Stellen des Fussbodens, der Bettstelle, der Wände, 

Möbel U8W. sollen nach der Vorschrift aber mit in Sublimat ge¬ 
hinkter Bürste abgescheuert bezw. mit Watte auf genommen und diese 
jftta verbrannt werden, während die beschmutzten Taschentücher 
® einer Sublimatlösung eingeweicht werden. Es bleibt also in der 
Phthisikerwohnnng eigentlich nichts anderes unschädlich zu machen, 

die kleinsten und deshalb dem Auge entgehenden Sputum- 
, ; hilcheu find die dem Stanbe beigemischten Tuberkelbazillen, die 

' | ▼<» verstäubten oder verspritzten Auswurf herrühren können. 

^ j Beides erscheint sicher, wenn sogar, wie durch obige Versuche 

’ [ uchgewiesen ist, tuberkelbazillenhaltiges Sputum in mässig dicker 

| j Schicht durch den R.’schen Apparat abgetötet wird. 






210 Dr. Hahs: Versache mit dem Boepkeschen Apparat uaw. 

Danach erscheint der von Engels 1 ) ausgesprochene 
Zweifel an einer sicheren Abtötung von Tuberkel- 
bazillen durch Formaldehyd nicht berechtigt, zum 
wenigsten dort nicht, wo der Boepkesche Apparat 
Verwendung findet! 

Schliesslich habe ich noch in Ergänzung der Engels sehen 
Versuchsanordnung Zimmer von verschiedener Grösse desinfiziert, 
um festzustellen, ob die von Boepke zur Fällung seines Appa¬ 
rates angegebenen Formalinmengen für die einzelnen Zimmer¬ 
grössen ausreichen. Zu dem Zwecke wurden Zimmer von 60, 90 u. 
120 cbm Bauminhalt lege artis der Desinfektion unterworfen. Als 
Testobjekte dienten Leinwandläppchen, auf die eine wässerige Auf¬ 
schwemmung von Staphylokokken- und Streptokokken-Beinkulturen 
ausgestrichen und angetrocknet war. Nach erfolgter Desinfektion 
wurden die Läppchen teils in Bouillon, teils in Gelatine- und 
Somatoseröhrchen eingebracht bezw. in Platten ausgegossen. 
Während die Eontroll-Böhrchen und Platten in allen Fällen 
üppiges Wachstum zeigten, ergaben die desinfizierten Läppchen — 
in Uebereinstimmung mit den Engels sehen Ergebnissen bei 
50 cbm Bauminhalt — 100 °/o Abtötung. Interessant war hierbei 
die Feststellung, dass bei einem Formaldehydgebrauch von 4 g 
pro Kubikmeter der Prozentsatz der Abtötung 80—90 betragen 
hatte und erst auf 100 stieg durch eine Erhöhung des Formal¬ 
dehyds auf 4,5 g pro Kubikmeter bei 5stündiger Einwirkungs¬ 
dauer. 

Nach allem entspricht der B.sche Apparat im weitgehendsten 
Masse den Anforderungen, die man an einen Wohnungsdesinfektions- 
apparat der Natur der Sache nach wird stellen müssen, wenn der 
Aufwand an Zeit und Geld für die Ausführung der Desinfektion 
gerechtfertigt erscheinen soll. Dazu kommen noch Vorteile, die 
den B.schen Apparat vor den anderen auszeichnen. Das ist in 
erster Linie die Handlichkeit und leichte Transportfähigkeit des 
B.schen Instrumentariums, die die Durchführung der Wohnungs¬ 
desinfektion auf dem platten Lande und in der Diaspora erheblich 
erleichtern wird. Formalinapparat und Ammoniakentwickler wiegen 
mit der zugehörigen Segeltuchtasche 3 kg, sämtliche Ausrüstungs¬ 
gegenstände in dem bequemen tragbaren Transporteimer 10 kg. 
Auch was die Preise anbelangt, so ist der von Boepke kon¬ 
struierte Formalin-Verdampfungsapparat der billigste von allen 
in Frage kommenden Modellen. Er kostet nämlich komplett 

44 Mark, während für den Bapid- Formaldehyd -Desinfektor der 
Firma Schneider-Hannover und den Apparat „Berolina* je 

45 Mark, für den Flüggeschen Breslauer Desinfektionsappar&t 

46 Mark, den Scheringschen kombinierten Aeskulap 50 Mark, 
den Colonia-Apparat nach Dr. Czaplewski 65 Mark und den 
L in gn er sehen Desinfektionsapparat 70 Mark gefordert werden. 
Auch der Preis des Boepkeschen Ammoniakentwicklers, der ans 
Kupfer gestanzt mit sämtlichem Zubehör 23,50 Mark kostet, 


*) Siehe vorstehende Arbeit von Engels, 8. 208. 



Vorschriften für das Verfahren der Gerichtsärzte nsw. 


211 


übersteigt nicht die Anschaffangskosten anderer kompletter und 
Urans verbleitem Eisenblech konstruierter Ammoniakent- 
liekler. Endlich kostet der Trierer DesiDfektions- Tornister 45 M., 
der Boepkesehe Transporteimer mit Einsatzgestell und allem, 
ns der Desinfektor gebraucht, nur 33,50 Mark. 

Auch die Kosten für die Desinfektionsmittel bleiben bei An* 
leniimg des Roepkeschen Apparates hinter denen zurück, die 
der Gebrauch anderer Modelle verursacht. Um hier nur die 
beiden bisher gebräuchlichsten Apparate, den kombinierten „Aes- 
falap* and den Breslauer Apparat — zum Vergleich heranzu* 
flehen, so kosten Formalin, Ammoniak und Spiritus für die Des* 
inlektion einer 100 cbm mit dem kombinierten Aeskulap 
dH. 99 Pf., mit dem Breslauer Apparat 2 M. 43 Pf., mit 
denBoepkeschen Apparat nur 2 M. 31 Pf. 


Ofe neuen preussischen Vorschriften vom 4. Januar 1905 
für das Verfahren der Gerichtsärzte bei den gericht¬ 
lichen Untersuchungen menschlicher Leichen. 

Vom Heraasgeber. 

(Schloß.) 

b. Baachhohle. 

§ 20. Die weitere Untersuchung der Baachhohle and ihrer Organe 
Ü17) geschieht stets in einer solchen Reihenfolge, daß durch die Herausnahme 
einen Organs die genauere Erforschung seiner Verbindungen mit einem 
«deren nicht beeinträchtigt wird. 1 ) So hat die Untersuchung des Zwölffinger¬ 
darms nnd des Gallenganges der Herausnahme der Leber voranzugehen. In 
der Kegel empfiehlt sich nachstehende Reihenfolge: 1. Bauchfell der Bauch - 

und Netz, 2. Milz, 8. Nieren- und Nebennieren, 4. Harnblase, 6. Geschlechts¬ 
teile (beim Manne Vorsteherdrüse und Samenbläschen, Hoden, Ente mit der 
Harnröhre ^ beim Weibe EierstOcke, Trompeten, Gebärmutter und Scheide), 
o. Mastdarm, 7. Zwölffingerdarm und Magen, 8. Gallengang, 9. Leber, 10. 
wehspeicheldrüse, 11. Gekröse, 12. Dünndarm, 13. Dickdarm, 14. die großen 
Blutgefäße vor der Wirbelsäule nebst den sie begleitenden Lyutphdrüsen, 15. die 
und Knochen der Wirbelsäule und des Beckens . 

Hoch kann auch mitunter, um Raum zu gewinnen, alsbald nach der Milt 
"***• «ad Dickdarm von dem vorher zu untersuchenden Gekröse abgelöst und 
•oozsgenommen werden. In diesem Falle ist eine Unterbindung des Darmes 
and unten zweckmässig. 

Wenn besondere Gründe dazu vorliegen *), ist es gestattet, sämtliche Organe 
Bauchhöhle oder einen Teil derselben im Zusammenhang herauszunehmen 


*) Vor Herausnahme jedes Organes sind deshalb auch stets in 
«üblicher Lage seine Verbindungen und Beziehungen zu den benachbarten 
wganen festzusteilen. Etwaige Verwachsungen müssen vorsichtig, am 
bestes mit Stampfer Gewalt gelöst werden; ist eine solche Lösung nicht ohne 
Verletzung der betreffenden Organe möglich, dann sind diese im Zusammen- 
nage herauszunehmen. Finden sich fremdartige Geschwülste in der Bauch- 
«hie, so ist bei deren Herausnahme in gleicher Weise wie bei denjenigen der 
wehorgane selbst za verfahren; um den Ausgangspunkt der Geschwülste zu 
bnittelo, sind zunächst die benachbartenEingeweide herauszunehmen, bis die 
®«*ehwttlst völlig freiliegt. 

*) Z. B. bei schwer lösbaren Verwachsungen, s. vorher Anm . 1. 




212 Die neuen preußischen Vorschriften für das Verfahren der Gcrichtsärzte 


und erst dann die einzelnen Teile in ihrem natürlichen Zusammenhang oder 
nach ihrer Entfernung weiter zu untersuchen. 1 ) 

Die Milz wird jedesmal in bezug auf Länge, Breite und Dicke und 
zwar in liegender Stellung (nicht in der Hand) und ohne daß der Maßstab an¬ 
gedrückt wird, gemessen, sodann der Länge nach und, falls sich veränderte 
Stellen zeigen, in mehreren Richtungen durchschnitten. Jedesmal ist eine Be¬ 
schreibung ihres Blutgehaltes zu geben.") 

Nieren und Nebennieren werden in der Art herausgenommen, daß 
ein vertikaler Längsschnitt durch das Bauchfell nach außen von dem auf- oder 
absteigenden Dickdarm gemacht, letzterer zurückgeschoben und die Niere nebst 
Nebenniere ausgelöst wird.') Dabei ist au f das Verhalten des Harnleiters zu 
achten, welcher, wenn er nichts abweichendes zeigt, zu durchschneiden, aber im 
Zusammenhänge mit den Beckenorganen zu lassen ist, sobald an ihm eine Ver¬ 
änderung wahrgenommen wird. Die weitere Sektion der Niere kann dann ver¬ 
bleiben, bis die Beckenorgane herausgenommen worden sind, sie kann aber auch 
sofort wie bei der frei herausgeschnittenen Niere vorgenommen werden. Die 
Nebennieren werden auf einen mitten über ihre Flachseite geführten Schnitt 
untersucht; bei den Nieren wird zunächst durch einen über den konvexen Rand 
geführten Längsschnitt die Kapsel eingeschnitten und vorsichtig abgezogen, 
worauf die freigelegte Oberfläche in bezug auf Größe, Gestalt, Farbe Blut¬ 
gehalt, krankhafte Zustände beschrieben wird. Dann wird ein Längsschnitt 
durch die ganzo Niere bis zum Becken geführt, die Schnittfläche in Wasser 
abgespült und beschrieben, wobei Mark- und Rindensubstanz, Gefäße und Pa¬ 
renchym zu berücksichtigen sind. Vom Nierenbecken aus wird der Harnleiter 
bei erhaltenem Zusammenhänge bis zu seiner Eintrittsstelle in die Blasenwand 
mit einer Schere auf geschlitzt. 


*) Die Sektion der Bauchhöhle beginnt also mit der Besichtigung des 
Bauchfells der Bauchwand und des Netzes. Das Netz wird zu 
diesem Zwecke vom Querdarm abgetrennt, gegen das Licht gehalten (ob durch¬ 
sichtig oder stark mit Fett durchwachsen) und dann auf einen Teller zur wei¬ 
teren Untersuchung ausgebreitet, bei der besonders auf die Füllung der Ge¬ 
fäße zu achten ist. 

*) Behufs Herausnahme der Milz wird der Magen mit der rechten Hand 
nach rechts herübergezogen, die Milz mit der linken Hand gefaßt und aus der 
Bauchhöhle emporgehoben. Hierauf erfolgt die Durchtrennung ihrer Gefäßo 
und Verbindungen unmittelbar an der Pforte (Hilus); bestehen Verwachsungen 
mit dem Zwerchfell, so werden diese mit dem Messer Umschnitten und mit der 
Milz herausgenommen. Die Milz wird sodann mit' der Pforte nach abwärts auf 
einen Teller gelegt und nicht nur ihre Lange, Breite und Dicke (durch¬ 
schnittlich 12 : 7,6 : 3,0 cm; Gewicht 140—180 g) festgestellt, sondern auch 
ihre Konsistenz (ob schlaff, ob Fingereindriicke bestehen bleiben, ob derb 
oder matschig usw.), Farbe, Beschaffenheit der Oberfläche und der Ränder. Der 
hierauf vorzunehmende Längsschnitt wird so geführt, daß beide Hälften in der 
Gegend der Milzpforte noch etwas zusammenhängend bleiben; bei Untersuchung 
der Schnittfläche ist auf die Beschaffenheit des Milzgewebes (der Palpa, der 
Milzbälkchen und der Malpighischcn Körperchen) sowie auf den Blutgeh&lt 
der Gefäße zu achten. 

*) Die Nieren und Nebennieren werden zusammen herausgenom¬ 
men. Zu diesem Zwecke empfiehlt es sich nach dem Vorschläge von Puppe 
gleich den ganzen Dickdarm von der Flexura sigmoidea bis zum Blinddarm 
abzutrennen und ihn, als vorläufig nicht in Betracht kommend, bei Seite, etwa 
zwischen die Beine der Leiche zu legen. Hierauf wird die linke Niere und 
Nebenniere mittels eines vertikalen, nach außen von dem absteigenden Dick¬ 
darm geführten Längsschnittes durch das Bauchfell zugänglich gemacht und 
ausgelöst, wobei das Verhalten des Harnleiters (Dicke, Verlauf usw.) zu 
beachten und dieser zu durchschneiden ist, falls pathologische Befunde (Er¬ 
weiterungen, Veränderungen usw.) nicht ein anderes Verfahren (Herausnahme 
des Urogenitalapparates im Ganzen) erfordern. Die weitere Sektion wird mit 
derjenigen der Nebenniere begonnen, indem man zunächst ihre Größe (durch¬ 
schnittlich 8,6 : 3,0 : 0,6 cm), Konsistenz, erforderlichenfalls auch ihr Ge¬ 
wicht (normal 4,8—7,8 g) und sodann durch einen Längsschnitt die Farbe und 


bei den gerichtlichen Untersuchungen menschlicher Leichen. 


2 IS 


Die Beckenorgane (Harnblase, Mastdarm and die damit im 
I Zmmaeahange stehenden Geschlechtsteile) werden, nachdem die Harn« 
blue in ihrer natürlichen Lage geöffnet and ihr Inhalt bestimmt ist, auch die 
Up, die Grösst sowie die gegenseitigen Beziehungen der übrigen Beckenorgane 
mUM vorden sind , am besten im Zusammenhänge herausgeschnitten and dann 
ent der weiteren Untersuchung unterzogen, bei welcher die Geschlechtsteile 
I nletit rar Betrachtang and Oeffnang gelangen. 1 ) Dabei hat die Untersuchung 


Beschaffenheit ihrer Schichten (Binden*, Mark« und Zwischensubstanz) feststcllt. 
Beruf wird die Niere mit der linken Hand so gefaßt, daß der Hilus gegen 
tic Hohlhand sieht, ihre Kapsel (Fett- und Bindegcwebskapsel) durch einen 
iber den konvexen Rand bis in die Bindensubstanz geführten Längsschnitt 
, gespalten, vorsichtig (mit Daunen und Zeigefinger der rechten Hand) nach 
beiden Seiten bis zum Hilus abgezogen und dabei auf Dicke und Farbe der 
. fetthpsel sowie auf die Abziehbarkeit der Bindegewebskapsel geachtet. Da» 
' Si ach wird die Niere selbst in bezug auf Oberfläche (Farbe and Glätte), 

-, Konsistenz (ob schlaff, derb, elastisch), Gestalt, Größe (durchschnittlich 
.11-12:5—7 : 3—4 cm), Gewicht (120—200 g), Blutgehalt und äußerlich 
;" , ächtbare krankhafte Zustände beschrieben und sodann der bei Spaltung der 
\ Kapsel bereits bis in die Bindensubstanz geführte Längsschnitt bis in das 
' Nierenbecken fortgesetzt, so daß sich die Niere in zwei noch zusammenh&n- 
, . pde Hälften amklappen läßt. Bei der jetzt folgenden Betrachtung der 
j Schnittfläche sind der Blutgehalt (ob und wieviel Blut sich auf ihr vorfindet, 

, ob solches nur bei Druck und nur an einzelnen Stellen hervortritt), 
Breite, Farbe und Beschaffenheit der Bindensubstanz, Farbe und Beschaffenheit 
der Marksubstanz, Verhalten der gewundenen und geraden Harnkanälchen zu 
ermitteln, die größeren Gefäße auf Inhalt und Beschaffenheit der Wandungen 
~ i ® prüfen. Schließlich sind vom Längsschnitt aus das Nierenbecken und die 
Nitrenkelche mit einer Schere zu eröffnen und mit Bücksicht auf ihre Schleim- 
hnt, etwaigen Inhalt osw. zu Untersachen. 

Die Herausnahme and Sektion der rechten Niere und Nebenniere 
erfolgt in gleicher Weise. 

i *) Die Sektion der Beckenorgane beginnt mit der Eröffnung 
der Harnblase in ihrer natürlichen Lage durch einen von der Vorderwana 
ron oben nach unten gehenden Schnitt, Ausschöpfung und Feststellung ihres 
uults nach Uenge und Beschaffenheit; ist die Blase stark gefüllt oder eine 
totere chemische Untersuchung des Urins angezeigt, so empfiehlt sich dessen 
r Entfernung durch den Katheter, ehe die Blase geöffnet wird. Hierauf wird 

| der Hastdarm, nachdem der etwa in ihm vorhandene Inhalt nach oben und 

! mir ts gestrichen ist, an seiner Eintrittsstelle im kleinen Becken unterbunden 

itm besten doppelt) und unterhalb der Unterbindung (bezw. zwischen beiden 
I Ligaturen) durchschnitten; sodann werden Mastdarm una Blase (im Eröffnungs- 

ttuitt) — bei weiblichen Leichen auch die Gebärmutter mit ihren Anhängen 
~ gefaßt, nach oben gezogen, ihre Verbindungen mit dem Becken mittels 
eines sich stets dicht an der knöchernen Wandung des Beckeneingangs hal- 
i Schnittes erst hinten, dann vom gelöst und die Herausnahme sämtlicher 

j Beckenorgane schließlich durch einige Querschnitte ermöglicht, wobei das 
jketam ror dem inneren Schließmuskel, die männliche Harnröhre vor der 
Vorsteherdrüse, die weibliche Scheide etwa in der Mitte zu trennen und Vcr- 
Mrangen der äußeren Genitalien, des Dammes und der Aftergegend zu ver- 
neiden sind. Die herausgenommenen Organe werden nunmehr so auf einen 
«er gelegt, daß der Mastdarm aufliegt, die Blase mit dem Fundus dem 
öbauzenten zugekehrt ist. Nachdem die Blase durch Verlängerong des 
s i wmngs8chnittc8 (mit der Darmschere) bis in die Harnröhre völlig offen 
- : fie Beschaffenheit der Blasenwand (Dicke) und Blasenschleimhaut fest» 

■ Kötellt ist, werden die Geschlechtsorgane untersucht. 

L j a Beim männlichen Geschlecht: Vorsteherdrüse (Farbe, Ge- 

' [ Sp — durchschnittlich 2,7 cm lang, 4,5 cm breit, 2 cm dick und 

' f I schwer —, Konsistenz, Beschaffenheit der Schnittfläche), die außen von 
• I t® «menleitern unmittelbar oberhalb der Vorsteherdrüse an der Hinterwand 
-j «f Blase liegenden Samenbläschen (Farbe, Gestalt, Größe — durch- 
; i Wüuttlich 4,8 cm lang, 1,7 cm breit und 0,9 cm dick —, Inhalt [die Eröffnung 






214 Die neuen preußischen Vorschriften fttr das Verfahren der Gerichtsärzte 

der Eierstöcke, vor allem wegen der Wichtigkeit etwa vorhandener gelber 
Körper, derjenigen der Übrigen weiblichen Geschlechtsteile, die Oeffnung der 
Scheide derjenigen der Gebärmutter vorherzugehen. Bei Wöchnerinnen ist den 
venösen und lymphatischen Gefäßen sowohl an der inneren Oberfläche der Ge¬ 
bärmutter, als auch in der Wand und in den Anhängen besondere Aufmerk¬ 
samkeit zu schenken, namentlich ist ihre Weite und ihr Inhalt festzustellea. 
Die Hoden werden am besten an dem Samenstrang durch den Leistenkanal in 
die Bauchhöhle gezogen und nach Eröffnung der Scheidenhöhle vom freien Bande 
gegen den Nebenhoden hin durchschnitten; der Schnitt wird sofort durch den 
Nebenhoden hindurchgeführt. 

Magen und Zwölffingerdarm werden, nachdem ihr Zustand äußer¬ 
lich ermittelt worden ist, in ihrer natürlichen Lage, und zwar der Zwölffinger¬ 
darm an seiner vorderen Seite, der Magen an der großen Krümmung mit einer 
Schere aufgeschnitten und zunächst einer genauen Prüfung ihres Inhalts unter¬ 
zogen. Hierauf wird die Beschaffenheit der Schleimhaut des Zwölffingerdarms 


geschieht durch einen Längsschnitt], Beschaffenheit der Schleimhaut), Samen¬ 
leiter (Dicke, Weite), Hoden und Nebenhoden, die zu diesem Zwecke 
von dem Samenstrang durch den zu erweiternden Leistenkanal in die Bauch¬ 
höhle gezogen werden (Spaltung der Hüllen, etwaige Flüssigkeit innerhalb 
der Tunica vaginal, propria oder Verwachsungen; Farbe, Glanz und Dicke der 
Scheidenhaut blätter; Beschaffenheit der Oberfläche, Konsistenz, Gestalt und 
Größe [bei Erwachsenen 4,0—5.0 cm lang, 2,5—3,5 cm hoch, 2,0—2,7 cm breit 
und 20—27 g schwer; vor Eintritt der Pabertät und bei alten Leuten 
3,0 : 2,0 : 1,6], Beschaffenheit der Schnittfläche). 

b. Beim weiblichen Geschlechter Aeußere Untersuchung der Gebär¬ 
mutter in bezug auf Größe, Gestalt, Festigkeit, Bauchfellüberzug usw.; Zurück¬ 
präparieren von Blase und Harnröhre nach erfolgter Untersuchung (s. vorher). 
Eröffnung der Scheide mit einer geknöpften Schere (etwaiger fremder In¬ 
halt — Samenfäden —, Weite, Farbe, Faltenbildung und sonstige Beschaffen¬ 
heit der Schleimhaut) und danach der Gebärmutter durch einen Schnitt in 
der Mittellinie vom Muttermunde her, der am Fundus ~f förmig nach beiden 
Seiten quer erweitert wird. Bei der nun folgenden Untersuchung des Uterus 
ist auf den Inhalt und die Weite der Gebärmutterhöhlc, Größenverhältnisse 
zwischen Körperteil und Halsteil, Farbe, Dicke und Konsistenz der Schleim¬ 
haut, Stärke der Wandungen, Beschaffenheit des Muttermundes (ob rund, quer, 
regelmäßig, narbig) zu achten, desgleichen sind besonders bei Wöchnerinnen 
die venösen und lymphatischen Gefäße zu öffnen, um ihre Weite und ihren 
Inhalt festzustellen. Die Gebärmutter hat jungfräulich eine Länge von 7,8 bis 
8,1 cm, eine Breite von 3,4—4,5 cm, eine Dicke von 1,8—2,7 cm, ein Gewicht 
von 33—41 g sowie eine Dicke der Wandungen von 1—1,5 cm, am Cervix 
0,7—0.8 cm; nach Geburten beträgt dagegen die Länge 8,7—9,4 cm, die 
Breite 5,4—6,1 cm, die Dicke 3,2—3,6 cm, die Dicke der Wandungen 1—2 cm, 
am Cervix 0,8—0,9 cm, das Gewicht 102—117 g. Der jungfräuliche Gebär¬ 
mutterhals ist 2,9—3,4 cm lang, 2,5 cm breit und 1,6—2,0 cm dick. 

An die Sektion der Gebärmutter schließt sich die äußere Untersuchung 
der Eileiter (Länge, Gestalt, Beschaffenheit der Fimbrien), die hierauf mit 
einer kleinen Schere der Länge nach behufs Feststellung ihrer Durchgängigkeit, 
ihres Inhalts und Beschaffenheit ihrer Schleimhaut peöffnet werden. Den 
Schluß bildet die Sektion der Eierstöcke (Farbe und Beschaffenheit der 
Oberfläche, ob höckerig oder glatt. Gestalt, Größe — bei Jungfrauen 4,1—6,2 
cm lang, 2,0—2,7 cm breit und 1,0—1,1 cm dick, bei Frauen 2,7—4,1 : 1,4 bis 
1,6 : 0,7—0,9, Gewicht 5,0—10,9 g — Konsistenz, Schnittfläche [Farbe, Blut¬ 
gehalt], Graafsche Follikel, gelbe Körper), der breiten Mutterbänder 
und Parametrien. Betreffs der etwaigen Feststellung der Beck ea~ 
durchmess er s. Anm. 5 auf S. 216. 

Behufs Untersuchung des Mastdarms werden die herausgenom¬ 
menen Beckenorgane umgedreht; der jetzt nach oben liegende Mastdarm wird 
mit einer Darmschere an seiner Hinterfläche geöffnet und sein Inhalt sowie 
die Beschaffenheit seiner Schleimhaut (ob glatt, glänzend, unverletzt) n»^ 
Dicke seiner Wandungen festgestellt. 




bei den gerichtlich es Untersuchungen menechlkher Leichen. 


215 


wie iie Durchgängigkeit und der Inhalt des Mündangsteiles des Gallengangs 
utaneht, der Gattengang bi» zur Leberpforte auf geschlitzt , die Pfortader frei * 
</kji tnd auf ihren Inhalt geprüft, and nan erst der Magen beimfs weiterer 
iDtemehaag herausgeschnitten. 1 ) 

Die Leber wird äußerlich in ihrer natürlichen Lage beschrieben and 
kn beraasgeschnitten. Durch einen oder nach Bedürfnis mehrere lange, quer 
fmk du Organ (gleichzeitig durch den linken und rechten Lappen) gelegte 
fhtte Schnitte wird der Blutgehalt und das Verhalten des Gewebes festge- 
Sellt Bei der Beschreibung ist stets eine kurze Mitteilung über das allge- 
i atin Verhalten der Leberläppchen, namentlich über das Verhalten der inneren 
ui «Heren Abschnitte derselben zu geben. 1 ) Den Beschluss der Leberunter- 
«1 «*q macht die Eröffnung und Untersuchung der Gallenblase. 

Dii Bauchspeicheldrüse kann in ihrer natürlichen Lage belassen 
ni nur durch einen Längsschnitt gespalten werden, von welchem aus ihr Aus - 
fihmpgang eröffnet werden kann; sind wesentliche Aenderungen von aussen 
j n bürten, so wird sie mitsamt dem absteigenden Teil des Zwölffingerdarms 
Umschnitten und dann erst genauer untersucht.*) 


• i 


:' ( 


')Hagen and Zwölffingerdarm werden, nachdem ihr äußerer 
Zutind (Größe, Form, Länge, Farbe, Festigkeit der Wandungen, Bauchfell- 
tberzug) geprüft ist, gleichzeitig aufgeschnitten und zwar vom Zwölffingerdarm 
ws; ihr Inhalt ist sofort in bezug auf Menge, Farbe, Geruch, Konsistenz, Zu- 
smU msetzung, chemische Reaktion und sonstige Beschaffenheit einer genauen 
Prüfung zu unterwerfen. Hierauf folgt die genauere Untersuchung des Zwölf¬ 
fingerdarms (Beschaffenheit der Schleimhaut, Kerckringsche Falten), die 
Prüfung der Durchgängigkeit des Gallenausführungsganges, indem 
sau einen kräftigen Druck auf die Gallenblase ausübt, die Eröffnung des 
öiJiengange8 (Inhalt, Weite), sowie die Freilegung und Eröffnung der 
Pfortader (Weite, Inhalt, Beschaffenheit der Innenwand). Erst dann wird 
kr Hagen herausgeschnitten und in bezug auf Beschaffenheit seiner 
Windungen und Schleimhaut (Glätte, Farbe, Verdickung, ob gleichmäßig oder 
putiell, Schleimbelag, etwaige Substanzverluste, Füllung der Blutgefäße, Blut- 
austritte usw.) untersucht. 

r ) Die Herausnahme der Leber wird am besten in der Weise bewirkt, 
hi man den rechten Lappen von der Seite her in die Höhe hebt und alle 
«festignngen bis zur Wirbelsäule lostrennt, diesen Lnppen dann über den 
rechten Rippenrand herüberlegt und, indem man nunmehr den linken Lappen 
n die Höhe zieht, den Rest der vorhandenen Befestigungen durchschneidet 
(Orth). Sie wird jetzt mit der Unterfläche auf einen Teller gelegt und zu- 
nchst ihre Gestalt und Größe (Breite 25—31 cm, Höhe 19—22 cm, Dicke 6,0 
ra 9,0 cm, Gewicht 1250—1980 g, durchschnittlich 1600 g), Farbe und Be¬ 
schaffenheit der Oberfläche (ob glatt oder uneben, mit Furchen versehen usw.), 
aonsistenz (ob Fingerdrücke sich in normaler Weise bald ausgleichen oder 
bestehen bleiben [Fettleber, Amyloidleber] oder überhaupt keine Spuren 
ümterlasjen [Cirrhose]), Beschaffenheit der Ränder, besonders der vorderen, 
B • R? enui< * e * (Fettleber, Amyloidleber) oder zugespitzt (Atrophie) festgestellt. 
Q Betrachtung der hierauf durch die ganze Leber quer anzulegenden Schnitt- 
® auf den Blutgehalt der durchgeschnittenen Gefäße (ob aus ihnen 
hrit ? 0 ^ a °^ er Dar einzelne Blutstropfen ausfließen), die Farbe und Beschaffen- 
ds ft i! , ew ’®bes im ganzen wie der einzelnen Leberläppchen (ob vergrößert — 
wetocimittlich 1—2 mm lang und 1 mm breit — oder verkleinert, ob scharf 
•P-grenzt oder ilre Abgrenzung verwischt, ob über die Schnittfläche hervor- 
vW zurück sinkend usw.) zu achten. Die Schnittfläche ist normal 
Vettleber: weißgelblich, bei Amyloidleber: grau, bei Icterus: 
ms grün, bei akuter Atrophie: ockergelb; bei Fettleber bleibt auf der 
^^fdinge beim Herüberstreichen über die Schnittfläche ein Fettbeschlag 

leber wird jetzt amgedreht, die Gallenblase in der Längs- 
3 cm h J ^re Weite (je nach dem Füllungsgrad 8—14 cm lang und 

Dich iii nT 0WJ ' e (Farbe, Menge, dick- oder dünnflüssig usw.), die 

üiv (l—2 mm) und Beschaffenheit ihrer Schleimhaut ermittelt. 

Mue Bauchspeicheldrüse ist durchschnittlich 23 cm lang, 4,5 cm 



216 Die neuen preußischen Vorschriften für das Verfahren der Gerichtsinte 

Gekröse, Darm und Dickdarm. Der Untersuchung de» Darmkanal» 
hat stet« diejenige des Gekröses mit seinen Lymphdrüsen, Lymph- (Chylus-) und 
Blutgefässen vorauszugehen. Wo sich Veränderungen an Lymphdrüsen oder -Go* 
fässen finden, da ist stets der entsprechende Teil des Darmes zunächst äusserlich, 
bei vorhandenen Veränderungen auch sofort (nach Eröffnung dieses Teils) der Zu¬ 
stand der Schleimhaut genau zu untersuchen. Die gewöhnliche Untersuchung des 
Dannkanals beginnt mit der äußeren Betrachtung seiner einzelnen Abschnitte in 
bezug auf Ausdehnnng, Farbe und sonstige Beschaffenheit und kann weiterhin 
in verschiedener Weise vorgenommen werden. Entweder wird der Darm im Zu¬ 
sammenhänge mit dem Gekröse gelassen und am Dünndarm längs der Ansatzstelle 
des Gekröses, am Dickdarm im Verlaufe eines Längsbandes auf geschnitten, oder 
er wird, was reinlicher ist, uneröffnet hart am Gekröse abgeschnitten, so dass 
er in gerader Linie ausgestreckt werden kann, und nun ebenfalls an den oben 
angegebenen Stellen mit der Darmschere auf geschnitten. Schon während des Auf« 
schlitzens wird der Inhalt der einzelnen Abschnitte betrachtet und bestimmt. 
Sodann wird das Ganze gereinigt und der Zustand (der einzelnen Abschnitte 
und zwar im Düündarm'mit besonderer Bücksicht auf die Peyersehen Drüsen¬ 
haufen, die Einzelknötchen, die Zotten und Falten bestimmt. 1 ) 

Mindestens in jedem Falle von Bauchfellentzündung ist der Wurm¬ 
fortsatz zu untersuchen. 

Nachdem die grossen Qefässe *) und die sie begleitenden Lymph¬ 
drüsen •) untersucht worden sind, macht die Betrachtung der Bauch- und 
Beckenmuskulatur 4 ) sowie die Untersuchung der Wirbelsäule und 
Beckenknochen*) den Beschluss der Bauchhöhlensektion. Veränderte Knochen¬ 
abschnitte können jetzt herausgenommen und an Sägeschnitten weiter untersucht 
werden (cergl. § 16 Schluss). 


breit, 3,8 cm dick und 90—120 g schwer. Außer ihrer Größe, Form und Farbe 
ist auch ihre Konsistenz festzusteüen und die Schnittfläche des Längsschnittes 
in bezug auf Blutgehalt, Farbe, Größe und Erkennbarkeit der einzelnen Läpp¬ 
chen zu prüfen. 

*) Nachdem äußerüch das Gekröse (Dicke, Lymphdrüsen, Füllung der 
Gefäße) sowie der ganze Darmkanal (Farbe und Beschaffenheit seines Bauch¬ 
fellüberzuges, etwaige Verwachsungen, durchschnittliche Weite usw.) besichtigt 
ist, wird am besten das Gekröse unmittelbar an seiner Ansatzstellc vom Darm 
abgetrennt, wobei dieser mit der linken Hand gefaßt und stark angespannt 
wird, während die rechte Hand das Messer fast senkrecht zur Bichtung des 
Darmes führt. Der ganze Darmkanal wird dann herausgenommen, vom 
Zwölffingerdram an bis zum Ende des Dickdarms mit der Darmschere längs 
der Ansatzstelle des Gekröses bezw. vom Dickdarm im Verlaufe eines Längs¬ 
bandes aufgeschützt und hierbei gleich auf die Beschaffenheit des etwaigen 
Inhalts (Menge, Farbe, Konsistenz, 'Geruch, Speisereste oder sonstige Bei¬ 
mengungen usw.) in den einzelnen Darmabschnitten geachtet. Nach gründ- 
Uchem Abspülen des Darminhaltes, das am besten Uber einem Eimer geschieht, 
wird die Darmschleimhaut auf ihre Beschaffenheit — Farbe, Füllung der Ge- 
fässe, etwaige Substanzverluste, Falten und Zotten, Einzelknötchen und 
Pey er sehen Drüsenhaufen [ob vergrößert] und schüeßlich der Wurmfort¬ 
satz (Inhalt, Schleimhaut) untersucht. 

*) Die großen Gefäße (untere Hohlvene und Bauchsch l agader mit 
ihren Hauptästen) sind aufzuschneiden, ihr Inhalt sowie ihre Weite, Dicke der 
Wandungen und Beschaffenheit des Innenwand) festzustellen. 

•) Bei den Lymphdrüsen ist auf Größe, Konsistenz, Farbe und Be¬ 
schaffenheit der Oberfläche und der Schnittfläche zu achten. 

4 ) Von der Bauch- und Beckenmuskulation kommt namentlich 
der Heopsoas in Betracht. 

*) Wirbelsäule und Beckenknochen sind besonders auf Ver¬ 
letzungen zu untersuchen; bei Schwangeren und Wöchnerinnen sind auch die 
Durchmesser des Beckeneingangs (gerader 11 cm, querer 18*/» cm, 
schräger 12,0—12,5 cm), der Beckenhöhle (12,75 : 12,5 : 18,5) und des 
Beckenausgangs (gerader Durchmesser 11,0—11,5, querer 10,5cm) zu. er¬ 
mitteln. 


bei den gerichtlichen Untersuchungen menschlicher Leichen. 217 

§ 21. Bei Verdacht einer Vergiftung vom Munde au» beginnt die 
inen Besichtigung mit der Bauchhöhle, wenn nicht ein bestimmter Verdacht 
*4 Vergiftung mit Blausäure oder deren Verbindungen es empfehlenswert 
esdt, die Oeffnung der Kopf höhle vorauszuschicken, bei der der charakteristische 
Qench 1 ) in grösserer Reinheit hervortritt. In der Bauchhöhle ist vor jedem 
«eiteren Eingriff die äußere Beschaffenheit der oberen Baacheingeweide, ihre 
Life und Ausdehnung, die Füllung der Gefässe and der Geruch 8 ) za ermitteln. 
Hier wie bei anderen wichtigen Organen ist stets festzastellen, ob auch die 
Unsren Verzweigungen der Schlag- and Blatadern oder nar Stämme and 
Manchen bis zu einer gewissen Große gefüllt sind and ob die Aasdehnang 
der Oefäßlicbtung eine beträchtliche ist oder nicht. 

Besonders genau ist der Magen zu besichtigen und festzustellen, ob dessen 
Wad unversehrt ist oder ob sie zu zerreissen droht oder gar schon zerrissen ist. 

hn ersten Falle findet die Sektion der Brusthöhle in der üblichen Weise 
Sät, jedoch wird das Blut des Herzens samt dem aus den grossen Oefässen 
otsmmenen in ein reines Oefäss von Porzellan oder Olas (A) gebracht*); in 
m fites Oefäss (B) legt man die Stücke der Lunge und des Herzens*). Bnd- 
bä werden die Halsorgane in der § 19, Absatz 6 beschriebenen Weise nur frei 
fmedu, jedoch nicht durchtrennt ; die Speiseröhre aber wird, am ein Aasfließen 
4es Mageninhaltes zu verhindern, oberhalb des Zwerchfells unterbanden. 

Dann wird in der allgemein üblichen Weise Netz und Milz untersucht, 
ad «m dieser ein Stück ebenfalls in das Gefäss B gebracht. Nach Ablösung 
mi Zurücklegung des Querdarms and doppelter Unterbindung des Zwölffinger- 
iuni im oberen Drittel wird dieser zwischen beiden Unterbindungen durch- 
Khitten und der Magen im Zusammenhänge mit den Halsorganen unter Durch - 
trwmng der Aorta oberhalb des Zwerchfells sowie des Zwerchfells selbst heraus - 
ftstmmn. Magen und Halsteile werden aitf einer passenden Unterlage ausge- 
htäd, der Magen an der grossen Krümmung bis in die Speiseröhre und diese 
w Aren ganzen Verlauf durchtrennt. 4 ) Es wird jetzt der Inhalt des Magens 
uch Menge, Farbe, Zusammenhang, Reaktion und Geruch bestimmt und in 
da drittes Gefäß (C) gegeben und nunmehr die Schleimhaut von Zunge, Rachen, 
SptmrÖhrt und Magen auf Dicke, Farbe, Oberfläche und Zusammenhang unter- 
mefe. Bei dieser Untersuchung ist sowohl dem Zustande der Blutgefäße als 
uefc dem Gefüge der Schleimhaut selbst besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden, 
■OMBtlieh ist festzustellen, ob das vorhandene Blut in Gefäßen enthalten oder 
in den Gefässen aasgetreten ist, ob es frisch oder durch Fäulnis oder Er¬ 
stschlag verändert oder in diesem Zustande in benachbarte Gewebe ein ge¬ 
dungen ist. Ist Blut ausgetreten, so ist festzustellen, ob es auf der Ober- 
•ehe oder im Gewebe liegt, ob es geronnen ist oder nicht. Endlich ist be- 
ttedere Sorgfalt zu verwenden auf die Untersuchung des Zusammenhangs der 
Oberfläche namentlich darauf, ob Substanzverloste, Abschürfungen, Geschwüre 
verbanden sind. Die Frage, ob gewisse Veränderungen möglicherweise durch 


') Nach bitteren Mandeln. 

*) Siehe vorher Anmerkung 2 auf S. 161. 

*) Es ist also jetzt in allen Fällen Blut zu entnehmen und in ein be- 
ssiderea Gefäß zu bringen, gleichgültig, ob von dessen spektroskopischer 
Ditersuchung ein besonderer Aufschluß zu erwarten ist oder nicht. 

*) Im Gegensatz zu früher wird jetzt nicht mehr die Speiseröhre dicht 
Iber dem Magenmunde doppelt unterbanden und zunächst nur Zwölffingerdarm 
nd Magen herausgenommen, sondern es erfolgt nur eine doppelte Unter- 
■sdimg des Zwölfingerdarms, dessen Durchschneidung zwischen beiden Unter- 
Maduagen und H erausnahme des Zwölffingerdarms, MagensimZusammen- 
uige mit Speiseröhre und Halsorganen (s. Anm. 2 auf S. 172), ein 
verfahren, das wesentlich zweckmäßiger als das bisherige ist. Die Sektion 
*o Magens und der Halsorgane erfolgt wie vorher angegeben ist (s. Anm. 1 
Mi 8 . «16, u. Anm. 2 auf 8 . 172), jedoch mit dem Unterschiede, daß die Er¬ 
dung des Zwölffingerdarms und des Magens erst nach der Herausnahme 
«bist und gleichzeitig mit der Eröffnung der Speiseröhre. Nur in dem Falle, 
ufi die Magenwand durchweicht und bei der Herausnahme zu zerreißen droht, 
nt der Magen und Zwölffingerdarm schon vor der Herausnahme za öffnen und 
lihalt sorgfältig anfznfangen (s. Abs. 6 des § 21, S. 218). 



218 Die neuen preußischen Vorschriften für das Verfahren der Gerichtsärzte 


den natürlichen Gang der Zersetzung nach dem Tode namentlich unter Ein¬ 
wirkung gärenden Mageninhaltes zustande gekommen sind, ist stets im Auge 
zu behalten. Ergibt die Betrachtung mit bloßem Auge, daß die Magenschleim¬ 
haut durch besondere Trübung und Schwellung ausgezeichnet ist, so ist jedes¬ 
mal, und zwar möglichst bald eine mikroskopische Untersuchung der Schleim¬ 
haut, namentlich mit Bezug auf das Verhalten der Labdrüsen zu veranstalten. 
Ifix Mageninhalt gefundene verdächtige Körper, z. B. Bestandteile von Blättern 
oder sonstige Pflanzenteile oder Beste von tierischer Nahrang sind einer mi¬ 
kroskopischen Untersuchung zn unterwerfen. 

Nachdem nun noch die übrigen Halsorgane in der erforderlichen Weise 
untersucht und dann abgetrennt worden sind, werden der Magen und die 
Speiseröhre in das Gefäß (0) zu dem Mageninhalt gelegt. 

Hat sich bei der äusseren Betrachtung der Bauchhöhle ergeben, dass die 
Magenwand sehr erweicht ist, so dass sie zu zerreissen droht, so ist der Inhalt 
des Magens und des Zwölffingerdar?ns aus einem Einschnitt an der grossen 
Krümmung aufzufangen und in gleicher Weise zu untersuchen und zu ver¬ 
wahren ; es wird dann der Zwölffingerdarm ebenfalls in seinem oberen Drittel 
unterbunden und danach mit der Sektion fortgefahren wie in den oben er¬ 
wähnten, die Regel bildenden Fällen. 

Ist der Mageninhalt infolge Durchlöcherung des Magens ganz oder zum 
Teil schon in die Bauchhöhle geflossen 1 ), so ist er aus dieser und dem Magen als¬ 
bald sorgfältig auszuschöpfen, m der angegebenen Weise zu untersuchen und zu 
verfahren, worauf die Unterbindung des Zwölffingerdarmes und die weitere Sek¬ 
tion in der eben geschilderten Weise erfolgt . 

Danach wird der Dickdarm an seinem unteren Ende doppelt unterbunden, 
zwischen beiden Fäden durchschnitten und dann Dickdarm, Dünndarm sowie 
Zwölffingerdarm herausgenommen . * Die Därme werden gleichfalls auf einer 
passenden Unterlage ausgebreitet, auf geschnitten und untersucht, Därme und 
Darminhalt kommen dann ebenfalls in das Gefäss C; nur bei Vorhandensein 
sehr reichlicher Kotmassen ist die Aufbewahrung des Dickdarms samt Inhalt in 
einem eigenen Gefäss ( C2) geboten . 

Dann folgt die Untersuchung der Nieren, die in ein besonderes Gefäss 
(D) zu geben sind, nachdem erforderlichenfalls von ihnen ebenso wie von anderen 
Organen Stücke zur sofortigen oder späteren mikroskopischen Untersuchung 
zurückbehalten worden sind . Falls Verdacht auf eine nach dem Tode erfolgte 
Gifteinfuhr vorliegt, simi linke und rechte Niere in besonderen Gefässen Dl und 
D2 aufzubewahren. Weiter folgt die Untersuchung der Beckenorgane, wobei der 
Ham am besten mittels Katheters in ein besonderes Gefäss (E) entleert wird ; 
in ein ferneres (F) gelangt die Leber mit der Gallenblase. In das Gefäss B 
kommen später noch Teile des Gehirns . 

Bei Vergiftung durch narkotische Substanzen ( Morphium, Strychnin, Al¬ 
kohol, Chloroform u . a.) ist es jedoch geboten, das Gehirn in einem bessndsrsn 
Gefäss aufzubewahren . 

Jedes dieser Gefäße wird verschlossen, versiegelt und inhaltsgemäß be¬ 
zeichnet. a ) 


1 ) Z. B. bei Vergiftungen durch ätzende Mineralsäuren. 

*) Es sind demnach jetzt für die weitere Untersuchung in besonderen 
Gefäßen aufzubewahren: 

Gefäß A: Blut aus dem Herzen und den großen Gefäßen. 

Gefäß B: Stücke von Herz, Lungen, Netz, Milz, Gehirn, falls 
für dieses nicht ein besonderes Gefäß nötig ist, s. G. 

Gefäß C: Magen mit Speiseröhre nebst Inhalt; Zwölffinger- 
Darm und Dickdarm, erforderlichenfalls ist für den Dickdarm und dessen 
Inhalt ein besonderes Gefäß (C2) zu benutzen, falls er mit reichlichen Kob¬ 
massen angefüllt ist. 

Gefäß D: Nieren; liegt der Verdacht auf eine nach dem Tode erfolgte 
Gifteinfuhr vor, so ist jede Niere in einem besonderen Gefäße (Dl und D2) 
aufzubewahren. 

Gefäß E: Harn, der am besten durch den Katheter entleert wird. 

Gefäß F: Leber mit Gallenblase. 

Gefäß G: Gehirn bei Verdacht auf Vergiftung durch besondere nar- 



bei den gerichtlichen Untersuchungen menschlicher Leichen. 219 

Ist die Vergiftung durch Einatmung geschehen, so kann die Sektion in 
der allgemein üblichen Weise vorgenommen werden; auch hier sind jedoch Blut, 
Har», Magendarmkanal nebst Inhalt, ansehnliche Teile der übrigen Organe, ge- 
eignetenfalls auch das ganze Gehirn gesondert in je einem Glasgefäss zurück- 
susitlUn. 

Die Unterlage, auf welcher die Organe bei Verdacht auf Vergiftung auf- 
geschnitten werden, muss nach der Durchforschung eines jeden einzelnen sorg¬ 
fältig gereinigt werden; jedes Organ ist nach seiner Betrachtung sofort in das 
betreffende Glas zu legen, so dass eine Berührung mit anderen Teilen ausge- 
%thlossen ist. Die Organe dürfen im Waschgefäss nicht abgespült werden; über¬ 
haupt ist es für die Zwecke der chemischen Analyse vorteilhaft, die Anwendung 
km Wasser bei der Sektion möglichst zu beschränken. 

Bei Verdacht einer Erkrankung durch Trichinen hat sich die mikro¬ 
skopische Untersuchung zunächst mit dem Inhalt des Magens und des oberen 
Dünndarms zu beschäftigen, jedoch ist zugleich ein Teil der Muskulatur 
(Zwerchfell, Hals- und Brustmuskeln) zur weiteren Prüfung zurückzulegen. 

Neugeborene. Ermittelung der Keife und 
Entwickelungszeit. 

§ 22. Bei den Leichenöffnungen Neugeborener sind außer den oben 
angeführten allgemeinen Vorschriften noch folgende besondere Punkte zu be¬ 
achten: 

Es müssen erstens die Zeichen ermittelt werden, aus welchen auf die 
Seife nnd die Entwickelungsfähigkeit des Kindes geschlossen werden kann. 

Dahin gehören: Länge und Gewicht des Kindes 1 ), Beschaffenheit der 
allgemeinen Bedeckungen (Wollhaare, Käseschmiere) und der Nabelschnur*^ 

kotiache Substanzen (Morphium, Strychnin, Alkohol, Chloroform usw.) oder 
durch Einatmung. 

Bei Verdacht auf Tod durch Trichinenerkrankung ist auch ein Teil der 
Muskulatur (Zwerchfell, Hals- und Brustmuskeln) in einem besonderen Ge¬ 
fäße zur weiteren Untersuchung zurückzulegen. 

Zu beachten ist besonders, daß die zur Sektion der einzelnen Organe 
benutzten Unterlagen (Teller usw.) stets nach Durchforschung jedes einzelnen 
Organs sorgfältig gereinigt werden und jedes Organ nach der Untersuchung 
sofort in das betreffende Gefäß gelegt wird. Abspülen der Organe ist unzu¬ 
lässig; die Verwendung von Wasser ist überhaupt bei der Untersuchung 
der Organe möglichst zu vermeiden. Siehe im übrigen Anmerkung 1 und 2 
auf Seite 127. 

*) Die Länge des reifen Kindes beträgt 50 cm (48—58 cm), das Ge¬ 
wicht 3300 g (2500—5500 g); Mädchen sind im allgemeinen etwas kleiner und 
leichter. Das Wa eh st um der Leibesfrucht gestaltet sich im allgemeinen 
wie folgt: Im 1. Monat erreicht diese eine Länge von annähernd 1 cm, gegen 
Made des Monats ist das Auge und die erste Anlage der Extremitäten vor¬ 
handen, die Nackenkrümmung ist ausgebildet; die vier Gaumenbögen sind 
sichtbar. Am Ende des 2. Monats ist sie annähernd 4 cm lang; Hände und 
Füße sind angedeutet, die Nase hebt sich ab, der Kopf ist noch größer als der 
Rumpf. Im 3. Munat erreicht die Frucht eine Länge von 9 cm, in den meisten 
Knochen haben sich Ossifikationspunkte gebildet, die Differenzierung der äußeren 
Genitalien beginnt. Ende des 4. Monats beträgt ihre Länge 16 cm, Ende des 
5. Monats 25 cm; die Kopfhaare treten auf, Wollhaar zeigt sich am ganzen 
Körper. Im 6. Monat erreicht die Frucht eine Länge von annähernd 80 cm 
ud ein Gewicht bis 1200 g, die Haut ist runzelig, die Fettablagerung im 
Uuterhautzellgewebe beginnt; im 7. Monat wird sie etwa 85 cm lang und 1500 
bis 1750 g schwer, die Augenlider sind getrennt. Am Ende des 8. Monats be¬ 
trägt ihre Länge 40 cm und ihr Gewicht annähernd 2000 g; die Pupillar- 
aembran schwindet, die Haut ist noch gefaltet und schlaff'. Gegen Ende des 
>. Monats hat die Frucht eine Länge von 45 cm, ein Gewicht von 2500—2800 g. 

*) Die Nabelschnur hat eine Länge von 47—56 cm; der Mutter¬ 
kuchen, der mitunter zur Untersuchung vorliegt, einen Durchmesser von 
15£—18£ cm und ein Gewicht von 500—700 g. Die Nabelschnur wird meist 




220 Die neuen preußischen Vorschriften für dos Verfahren der Gerichtsärzte 

Länge und Beschaffenheit der Kopfhaare 1 ), Größe der Fontanellen*), Umfang 
(grösster horizontaler), Längs-, Quer- und Schr&gdurchmesser des Kopfes 9 ), Be¬ 
schaffenheit der Augen (Pupillarmembran), 4 ) der Nasen- und Ohrknorpel 
Länge und Beschaffenheit der Nägel 6 ), Querdurchmesser der Schultern und 
Hüften 0 ), bei Knaben die Beschaffenheit des Hodensackes und die Lage der 
Hoden 7 ), bei Mädchen die Beschaffenheit der äußeren Geschlechtsteile. 8 ) 

Endlich ist zu ermitteln, ob und in welcher Ausdehnung in der unteren 
Epiphyse des Oberschenkels ein Knochenkern vorhanden ist. Zu diesem Be¬ 
hufs wird das Kniegelenk durch einen unterhalb der Kniescheibe verlaufenden 
Querschnitt geöffnet, die Extremität im Gelenke stark gebeugt und die Knie¬ 
scheibe durch seitliche Längsschnitte abpräpariert und nach oben hin zurück¬ 
geschlagen. Alsdann werden dünne Knorpelschichten von der Geleknflüche des 
Oberschenkels aus schaftwärts so lange abgetragen, bis man an den Schaft ge¬ 
langt; der größte Durchmesser des Knochenkerns wird nach Millimetern ge¬ 
messen.*) 

Ergibt sich aus der Beschaffenheit der Frucht, daß sie vor Vollendung 
der dreißigsten Woche geboren ist, so kann von der Leichenöffnung Abstand 
genommen werden, wenn sie nicht von dem Richter ausdrücklich gefordert wird. 10 ) 

Ermittelung stattgehabter Atmung. 

§ 23. Ist anzunehmen, daß das Kind nach der dreißigsten Woche geboren 
worden ist, so muß zweitens untersucht werden, ob es in oder nach der Geburt 
geatmet hat. Es ist deshalb die Atemprobe in nachstehender Reihenfolge 
anzustellen: 

a) Schon nach Oeffnung der Bauchhöhle ist der Stand des Zwerchfells zu 


am 5.—6. Tage abgestoßen, die an der Abstoßungsstelle eintretende Entzündung 
beginnt am 2.—3. Tage. An dem Nabelschnurrest ist besonders auf die Trennungs¬ 
fläche (ob glatt, uneben, fetzig usw.), auf die Art und Festigkeit der Unter¬ 
bindung usw. zu achten. 

l ) Die Haare sind bei reifen Früchten 2—3 cm lang. 

*) Bei der großen Fontanelle beträgt der Abstand der parallelen 
Ränder 2—2,5 cm; die kleine Hinterhauptsfontanelle ist bei der Geburt fast 
geschlossen. 

*) Kopfumfang 34,5 cm, vorderer Querdurchmesser 8 cm, hinterer 
9,25 cm, gerader Durchmesser 11,75 cm, langer schräger (vom Kinn über Hinter¬ 
hauptshöcker) 13,5 cm, kurzer schräger (vom Nacken bis zur Mitte der großen 
Fontanelle) 9,5 cm. 

4 ) Eine Prüfung der Pupillarmembran, die in der Regel yom 
8. Monat ab verschwindet, kann nur dann erfolgen, wenn die Regenbogenhaut 
aus dem Auge entfernt und der mikroskopischen Betrachtung zugänglich ge¬ 
macht ist. Dies geschieht nach P u p p e in der Weise, daß das Auge ausgelöst, 
der Augapfel durch Scherenschläge in eine vordere und hintere Hälfte ge¬ 
spalten und hierauf die vordere Hälfte in einer mit Wasser gefüllten Schale 
mit Zuhilfenahme einer Präpariernadel von der Iris befreit wird, die im Wasser 
schwimmend sofort auf den Objektträger gebracht werden muß. Das Vor¬ 
handensein der für die Pupillarmembran charakteristischen arkadenförmigen 
Gefäße beweist, daß auch tatsächlich eine die Pupille ausfüllende Membran 
vorhanden ist. 

°) Festzustellen ist, ob die Nägel die Finger- bezw. Zehenspitzen er¬ 
reichen oder überragen. 

•) Sch ult er breite 11—12 cm, Hüft breite 9—10 cm. 

r ) Der Eintritt der Hoden in den Hodensack erfolgt in der Regel nach 
dem 7. Monat. 

*) Die kleinen Schamlippen werden von den großen bedeckt. 

*) Der Knochenkern hat eine Breite von 2—5 mm; bei Früchten in 
der 37.—38. Woche 1—1,5 mm, bei jüngerep fehlt er. 

10 ) Eine Geburt vor Vollendung der 30. Woche ist’bei einer Körper¬ 
länge der Frucht von unter 37,5 cm anzunehmen; cs empfiehlt sich jedoch, bei 
Früchten über 33 cm Körperlänge von der inneren Besichtigung nicht Abstand 
zu nehmen, da solche nach der 28. Lebenswoche geborene Früchte |noch als 
lebensfähig anzusehen sind. 




bei den gerichtlichen Untersuchungen menschlicher Leichen. 221 

ermitteln; deshalb ist bei Neugeborenen stets die Bauchhöhle xuerat und 
für sich, und dann erst die Brust* und Kopfböhle zu öffnen.') *) 

b) Vor Oeffnung der Brusthöhle ist die Luftröhre oberhalb des Brustbeins 
einfach zu unterbinden. 

e) Demnächst ist die Brusthöhle zu eröffnen und die Ausdehnung und die 
ron derselben abhängige Lage der Lungen (letztere namentlich in Be¬ 
ziehung zum Herzbeutel), sowie die Farbe und Konsistenz der Lungen 
zu ermitteln.*) 

d) Der Herzbeutel ist zu öffnen und sowohl sein Zustand, als die äußere 
Beschaffenheit des Herzens festzustellen. 

e) Die einzelnen Abschnitte des Herzens sind zu öffnen, ihr Inhalt ist zu 
bestimmen. 

f) Der Kehlkopf und der Teil der Luftröhre oberhalb der Unterbindung ist 
durch einen Längsschnitt zu öffnen und sein Inhalt, sowie die Beschaffen¬ 
heit seiner Wandungen festzustellen. 

g) Die Luftröhre ist oberhalb der Unterbindung zu durchschneiden und in 
Verbindung mit den gesamten Brustorganen herauszunehmen. 

h) Nachdem die Lungenschlagader und nötigenfalls die grosse Körperschlag - 
oder (von hinten her) auf geschnitten worden ist, wird die Durchgängigkeit 
des Botallischen Ganges geprüft *), darauf das Herz s ) entfernt und in der 
üblichen Weise untersucht; es folgt die Entfernung und Untersuchung der 
Thymusdrüse*) und nunmehr ist die Lunge in einem geräumigen, mit reinem 
kalten Wasser gefüllten Gefäß auf ihre Schwimmfähigkeit zu prüfen. 

1) Der untere Teil der Luftröhre und ihre Verzweigungen sind zu öffnen 
nnd namentlich auf ihren Inhalt zu untersuchen. 

k) In beide Lungen sind Einschnitte zu machen, wobei auf knisterndes Ge¬ 
räusch, auf Menge und Beschaffenheit der bei gelindem Druck auf diese 
Schnittflächen hervorquellenden Blutes, sowie auf die Beschaffenheit des 
Gewebes, wie bei jeder anderen Leichenöffnung (§ 18) zu achten ist. 7 ) 

l) Die Lungen sind auch unterhalb des Wasserspiegels einzuschneiden, um 
zu beobachten, ob Luftbläschen aus den Schnittflächen emporsteigen. 

o) Beide Lungen sind zunächst in ihre einzelnen Lappen, sodann noch in 
einzelne Stückchen zu zerschneiden und alle insgesamt auf ihre Schwimm¬ 
fähigkeit zu prüfen. 

fi) Die Haisorgane sind in der (§ 19) beschriebenen Weise aus der Leiche tu 
erdfernen und zu untersuchen; besonders ist derSchl und zu öffnen und 
sein Zustand festzustellen. 8 ) 


*) Die Sektion der Organe der Bauchhöhle soll keineswegs vor der 
Oeffnung und Untersuchung der Brusthöhle veranstaltet werden; jedoch ist es 
zweckmäßig, bei dem Baucnschnitt gleich auf den Zustand der Nabelarte¬ 
rien nnd der Nabelvene zu achten (ob leer oder Gerinnungen bezw. flüssiges 
Bist usw. enthaltend). 

*) Der Zwerchfellstand ist nach vollständiger Atmung rechts im 
fünften, links im sechsten Zwischenraum, bei unvollständiger oder gar nicht 
erfolgter Atmung beiderseits an der vierten Hippe. 

*) Lungen, die geatmet haben, überragen den Herzbeutel, haben eine 
Qiebene marmorierte Oberfläche und fühlen sich lufthaltig (polsterartig) an; 
foetale Lungen bedecken dagegen den Herzbeutel nicht, sind derb, leberartig, 
mt glatter Oberfläche. 

4 ) Der Botanische Gang ist in der Hegel am 3. oder 4. Tage noch 

offen. 

*) Das Gewicht des Herzens eines Neugeborenen beträgt durchschnitt¬ 
lich 21 g; des die beiden Vorhöfe verbindende Foramen ovale verwächst erst 
in 2. oder 8. Lebensjahre. 

*) Ueber die Größenverhältnisse der Thymusdrüse s. Anm. 1 auf 
Seite 169. 

T ) Die Untersuchung der Lungen hat also in der Weise zu erfolgen, 
diß zunächst die Prüfung ihrer Schwimmfähigkeit im Ganzen erfolgt, dann 
ihre eigentliche Sektion in der vorgeschriebenen Weise (s. § 18, Abs. 15, S. 171) 
und schließlich die Prüfung der Schwimmfähigkeit ihrer einzelnen Teile. Das 
Gewicht der Lungen eines Neugeborenen beträgt durchschnittlich 58 g. 

*) Siehe Anmerkung 2 zu § 19, S. 172. 




222 Die neuen preußischen Vorschriften für das Verfahren der Gerichtsärzte 

o) Ergibt sich der Verdacht, daß die Lunge wegen Anfüllung ihrer Bäume 
mit krankhaften Stoffen (Hepatisation) oder fremden Bestandteilen (Kinds* 
schleim, Kindspech) Luft aufzunchmen nicht imstande war, so ist eine 
mikroskopische Untersuchung vorzunehmen. 

p) Bei negativem oder zweifelhaftem Resultat der Lungenprobe kann die 
Magendarmprobe ergänzend herangezogen werden. Zu ihrer Ausführung 
ist bei der Herausnahme der Halsorgane die Speiseröhre am unteren Ende 
einfach, vor Herausnahme des Magens der Zwölffingerdarm im oberen Ab¬ 
schnitte doppelt zu unterbinden . Der herausgenommene Magen ist n ie die 
Lungen auf Schwimmfähigkeit zu prüfen und darauf unter Wasser zu 
eröffnen . Ebenso wird nachher der gesamte Darm, nachdem er oberhalb 
des Mastdarms nochmals unterbunden und dann in der üblichen Weist 
herausgenommen worden ist, auf Wasser gelegt und festgestellt, ob und 
welche Teile schwimmfähig sind. 1 ) 

Bei der Oeffnung der Kopf höhle von Heugeborenen darf die äussere Bein¬ 
haut nickt sofort mit den übvigen weichen Bedeckungen abgezogen werden, damit 
eine etwa vorhandene Kopfblutgeschwulst 2 * 4 * 6 * * ) nicht übersehen wird. Vor der Durch¬ 
trennung der Schädelkapsel muss die Verschieblichkeit der Kopfknochen geprüft 
werden. 9 ) Die Durchtrennung der Kopfknochen geschieht mittels einer starken 
Schere im grössten Umfange des Schädels, entweder sofort nachdem der Längs¬ 
blutleiter von aussen her eröffnet und durch Durchschneiden der Nähte und Aus¬ 
einanderbiegen der Knochen ein Einblick in die Schädelhöhle genommen wurde 9 ) B ) 

Sonstige Untersuchungen. 

§ 24. Schließlich wird den Gerichtsärzten zur Pflicht gemacht, auch 
alle in dem Vorhergehenden nicht namentlich angeführten Organe wie die 
grossen Gefässe, die Gelenke und Knochen der Glieder , falls an denselben Ver¬ 
letzungen oder sonstige BegelWidrigkeiten erwartet werden können, zu unter¬ 
suchen, erforderlichenfalls durch Freilegen und Aufsägen der Knochen in ver¬ 
schiedenen Richtungen . 

Besonders ist auch , wo es sich um eine unbekannte Leiche handelt 

1 ) Die Breslausche Magendarmprobe ist jetzt, wenn auch nicht 
obligatorisch, so doch wenigstens bei negativem oder zweifelhaftem Ergebnis 
der Lungenprobe vorgeschrieben. Man sollte sie aber in keinem Falle unter¬ 
lassen, da sie namentlich in bezug auf die Dauer des Lebens wertvolle Anhalts¬ 
punkte gibt. Im Anschluß hieran ist dann gleich die Sektion von Magen und 
Darm, Milz (Gewicht durchschnittlich 11 g), Nieren (Gewicht durchschnittlich 
12 g), Leber (Gewicht durchschnittlich 118 g) und der übrigen Bauchorgane 
vorzunehmen. 

*) Die Kopfgeschwulst, deren Sitz, Größe, Beschaffenheit festzu¬ 
stellen ist, pflegt nach 12—48 Stunden zu verschwinden; sie findet sich in der 
Begel auf einem Scheitelbein (bei der ersten Schädellage auf dem rechten, bei 
der zweiten auf dem linken) und charakterisiert, sich als ödematös-gallertige 
Schwellung der Weichteile. Mit der Kopfgeschwulst darf die Kopfblut¬ 
geschwulst (Kephalhämatom), eine Ansammlung von Blut zwischen Schädel¬ 
knochen und Knochenhaut, nicht verwechselt werden; sie wird in etwa 0,5°/ 0 
der Geburten beobachtet und bildet eine scharf abgegrenzte, schwappende 
Geschwulst, die niemals die Knochennähte überschreitet, weil hier die 
Knochenhaut fest haftet Die Kopfblutgeschwülste nehmen in den ersten 
Lebenstagen meist noch an Größe zu; ihre Rückbildung beginnt erst mit der 
zweiten Woche; sie sind anfangs oft von einer Kopfgeschwulst überdeckt. 

*) Starke Uebereinanderschiebung der Schädeldachknochen kann zur 
Zerreißung der Piavenen an ihrem U ebergang in den Sinus und damit zu 
subduralen Blutungen führen (Nauwerck). 

4 ) Das Gehirn ist bei Neugeborenen meist so weich oder breiartig, daß 

eine genaue Untersuchung nicht möglich ist, und sich diese auf die Bestimmung 
des allgemeinen Blutgehaltes, auf das etwaige Vorhandensein von größeren 
Blutergüssen beschränken muß. Ist seine Konsistenz noch fest, so hat die 
Untersuchung gemäß § 14 stattzufinden. 

6 ) Die von Wreden und Wendt angegebene Mittelohrprobe sei 

mit Becht auch in den neuen Vorschriften unberücksichtigt geblieben, da sie 

zuverlässige und verwertbare Ergebnisse nicht bietet. 



bei den gerichtlichen Untersuchungen menschlicher Leichen. 228 

die Beschaffenheit des Skelette (Länge der Knochen, Naht - und Knorptlver - 
knöcherung) zu berücksichtigen, um so Anhaltspunkte für das Alter und die 
Qr&s* und damit für die Identität der unbekannten Person zu gewinnen. 1 ) 

Dies gilt auch von zerstückelten Leichen. Im übrigen ist in solchen Fällen 
die Untersuchung der einzelnen Stücke der Reihe nach und möglichst im An¬ 
schluss an die allgemeine Untersuchungsmethode vorzunehmen. 1 ) 

HL AbffcMranff Am Protokolls fibor dis LsAo h e n dflhtmg 
und dss Gutachtens. 

Aufnahme des Protokolls. 

§. 25. Ueber alles die Leicheröffnung betreffende wird an Ort und 
Stelle ron dem Richter ein Protokoll aufgenommen. •) 

Der erste Oerichtsarst hat dafür zu sorgen, daß der technische Befund 


*) Die hierbei in Betracht kommenden Maße sind, außer den bereits 
früher erwähnten Maßen für Kopf (s. Anm. 8, S. 162), folgende: Skelettlänge 
eines erwachsenen Mannes 166 cm, einer Frau 155 cm, bei Kindern im Alter 
roa 1—5 Monaten: 60—55 cm, 11—12 ML: 50—60 cm, von 2 Jahren: 70 cm, 
ron 3 J.: 80 cm, ron 4 J.: 85 cm, von 5 J.: 95 cm, von 6 J.: 100 cm, von 
7 J.: 105 cm, von 8 J.: 115 cm, von 9 J.: 120 cm, von 10 J.: 125 cm, von 
11 J.: 130 cm, von 12 J.: 135 cm, von 13 J.: 140 cm, von 14 J.: 145 cm, 
von 15 J.: 150 cm. 

Im Becken ist der Querdurchmesser im Beckeneingang beim Manne 
12$, beim Weibe 13,5 cm groß, am Beckenausgang 8,1 bezw. 10,5 cm. Der 
Oberarmknochen ist beim Manne 32,5 cm, beim Weibe 30,0 cm lang, die 
Speiche: 2-,5 bezw. 22,0 cm, die Elle: 26,5 bezw. 23,5 cm, die Hand: 20 
bezw. 17,5 cm, der Oberschenkelknochen: 47,0 bezw. 43,5 cm, das 
Schienbein: 33,0 bezw. 34,0 em, das Wadenbein: 37,0 bezw. 32 cm, der 
Faß: 25 bezw. 22 cm. 

Das Verhältnis einzelner Knochen zur Körpergröße stellt 
sich bei Erwachsenen (bezw. Neugeborenen) wie folgt: Wirbelsäule 1 : 2,82 
(2,60), Oberschenkelknochen 1 : 3,84 (5,19), Schienbein 1:4,65 (6,20), Ober¬ 
arm 1 : 5 (6,12), Speiche 1 : 7,06 (8,34), Hand 1 : 9,03 (9,05), Fuß 
1:9,72 (8,62). Das Gewicht des Kopfes beträgt */“—’/”, des Stammes 
Vt, der beiden oberen Extremitäten zusammen mit der Schulter */•» der 
beiden unteren Extremitäten mit den Hüften */ 7 des ganzen Körpergewichtes. 
Wird die Totalhöhe eines Menschen 1,0 angenommen, so beträgt die Ent¬ 
fernung vom Scheitel bis zum Kinn: 0,133, vom Kinn bis zum Brustbein: 
0,039, vom Brustbein bis zum Schambein: 0,320, vom Schambein bis zur Erde: 
0,506, vom Schambein bis Mitte Knie: 0,225, von Mitte Knie bis Knöchel: 
0,232, vom Knöchel bis zur Erde: 0,051, von einem Acromium zum andern: 
0,232, von einer Hüfte zur andern; 0,139, vom Acromium bis Ellbogen: 0,196, 
ran Ellbogen bis zur Handwurzel: 0,145 und die Länge der Hand: 0,113. 

*) Nach den bisherigen Vorschriften war der Gerichts-(Kreis-) Wundarzt, 
bezw. der zugezogene zweite Arzt verpflichtet, nach beendigter Obduktion die 
kBMtgerechte Schließung der geöffneten Körperböhlen zu bewirken. Selbst¬ 
verständlich haben auch jetzt die Gerichtsärzte für diese Schließung zu sorgen 
nad zwar wird dies, falls nicht die zur Hülfeleistung herangezogene Person 
dam befähigt ist, der zweite Obduzent in der Regel zu übernehmen haben. 
Es ist hierbei darauf zu achten, daß nicht allein alle Beschmutzungen usw. der 
Leiche beseitigt, alle Höhlen, Einschnitte usw. wieder geschlossen werden, 
»adern daß die Höhlen auch vor ihrer Schließung ordentlich aus getrocknet 
(mit einem Schwamm) und wieder entsprechend ausgefüllt werden, eventl. mit 
Hülfe von Holzwolle, Heu, Watte, Torfmull usw. Etwa zurückbehaltene Knochen 
müssen in geeigneter Weise — Röhrenknochen durch entsprechende Holzstücke, 
das Schädeldach durch ein aus Pappe herzustellendes Dach usw. — ersetzt 
«erden. 

*) Streng genommen hat der Richter nach den Angaben des Gerichts- 
arztee dss Protokoll aufzunehmen; es wird aber stets so verfahren, daß der 
Richter nur den Eingang und den Schluß der Verhandlung, der Gerichtsarzt 
dagegen den technischen Befund unmittelbar dem Gerichtsschreiber diktiert 



224 Die neuen preußischen Vorschriften für das Verfahren der Gerichtsärzte 


in allen seinen Teilen, wie er von den Gerichtsärzten festgestellt worden ist, 
wörtlich in das Protokoll aofgenommen werde. 

Der Bichter ist zu ersuchen, dies so geschehen zu lassen, daß die Be¬ 
schreibung und der Befund jedes einzelnen Organs aufgezeichnet ist, bevor zur 
Untersuchung eines folgenden geschritten wird. 

Einrichtung und Fassung des Protokolls. 

g 26. Der den technischen Befund ergebende Teil des Protokolls muß 
von dem Gerichtsarzt deutlich, bestimmt und auch dem Nichtarzt verständlich 
angegeben werden. 1 ) Zu letzterem Zwecke sind namentlich bei der Bezeichnung 
der einzelnen Befunde fremde Kunstausdrücke, soweit es unbeschadet der Deut¬ 
lichkeit möglich ist, zu vermeiden. 1 ) 

Die beiden Hauptabteilungen — die äußere und die innere Besichtigung 
— sind mit großen Buchstaben (A und B), die Abschnitte über die Oeffnungen 
der Höhlen in der Reihenfolge, in welcher dieselben stattgefunden, mit römischen 
Zahlen (I, II), die der Brust- und Bauchhöhle aber unter einer Nummer zu 
bezeichnen. In dem Abschnitte, welcher die Brust- und Bauchhöhle umfaßt, 
sind zunächst die allgemeinen, in dem vorletzten Absatz des § 17 erwähnten 


>) Für die Fassung des Obduktionsprotokolls gibt Puppe 
die nachstehenden sehr beachtenswerten Ratschläge: 

„Um nichts Wichtiges zu übersehen, hat man es sich zur Regel zu 
machen, daß, wenn es sich um die Beschreibung der Oberfläche eines 
Organs handelt, stets anzugeben ist, ob diese feucht und glatt, glänzend und 
durchsichtig oder uneben, höckerig, trübe, undurchsichtig ist. Ferner ist die 
Größe der Organe (Länge, Breite und Höhe in Zentimetern), bezw. die Dicke 
ihrer Wandungen (und erforderlichenfalls das Gewicht) anzugeben. Besonderer 
Wert ist ferner auf die Beschreibung ihrer Gestalt zu legen, wie sich die 
Ränder verhalten, ob sie scharf oder plump sind, oder ob überhaupt in der 
Konfiguration des ganzen Organes auffallende Verhältnisse zu registrieren sind. 
Betreffs der Beschreibung der Farbe eines Organs ist zu beachten, ob diese 
bei allen Teilen des Organs die gleiche ist, oder ob nicht etwa bei einzelnen 
Teilen Unterschiede in der Färbung zu konstatieren sind. Hierbei ist übrigens 
nicht außer Acht zu lassen, daß ikterische Färbungen bei Licht nicht zu sehen 
sind und demgemäß den Obduzenten bei künstlicher Beleuchtung eventuell ein 
sehr wichtiger Befund entgehen kann. Weiterhin ist stets die Konsistenz 
jedes Organs zu beschreiben, ob sio derb oder so weich ist, daß Fingereindrücke 
bestehen bleiben usw. Auch die Beschaffenheit eines durch jedes Organ zu 
machenden Durchschnitts ist zu schildern und zwar sowohl vor, als nach 
der Abspülung mit Wasser: ob sich auf demselben viel Blut findet oder nur 
aus einigen zerschnittenen Gefäßen Blut herausquillt; ob sonst Gewebsflüssig¬ 
keiten auf der Schnittfläche vorhanden sind, wie die durch den Schnitt frei¬ 
gelegte Adni beschaffen sind usw. Bei der Beschreibung des Blutgehaltes 
der Arterien und Venen ist stets zu unterscheiden, ob sie leer oder bis zur 
halben oder vollen Rundung gefüllt sind, ob sich die Füllung nur auf ihre 
Hauptäste oder auch auf ihre mittleren oder bis in ihre feinsten Verzweigungen 
hinein erstreckt. — Im übrigen ist es nicht die Aufgabe eines Obduzenten, 
jedes Organ wie bei einer Examensektion nach allen Richtungen genau zu 
beschreiben und nichts unerwähnt zu lassen, was sich überhaupt erwähnen läßt, 
sondern er muß mit dem richtigen Blick die wichtigsten Befunde des zu unter¬ 
suchenden Organs herausgreifen und festlegen; er wird dies um so eher 
können, je mehr ihm die pathologischen Prozesse hierbei bekannt sind. Ander¬ 
seits muß er sich stets daran erinnern, daß der Befund völlig objektiv und so 
genau anzugeben ist, daß eine Nachprüfung ohne weiteres möglich ist. Er hat 
sich deshalb auch jedes Urteils zu enthalten; glaubt er ohne ein Urteil in sich 
schließende Bezeichnung nicht auskommen zu können, so ist das betreffende 
Wort hinter der Beschreibung eingeklammert beizufügen.* 

*) Der Gerichtsarzt hat auch darauf zu achten, daß von dem betreffenden 
Gerichtsschreiber sinnentstellende Schreibfehler vermieden werden. Er sollte 
es deshalb niemals unterlassen, das aufgenommene Protokoll vor dem Abschluß 
selbst durchzulesen und nicht nur etwaige Schreibfehler, sondern auch undeutlich 
geschriebene Worte berichtigen zu lassen, damit auch bei späteren Abschriften 
keine Irrtümer entstehen können. 




jbei den gerichtlichen Untersuchungen menschlicher Leichen. 226 

Befände, sodann unter a and b die Befände an den Organen der BrasthOhle, 
beziehungsweise an denen der Bauchhöhle darzolegen. 

Wird der Wirbelkanal vor oder unmittelbar nach der Schädelhöhle er¬ 
öffn et, so werden die Befunde in beiden Höhlen unter Ia und b eingetragen; 
findet die Eröffnung der Wirbelhöhle am Schlüsse der Sektion statt, so wird der 
Befund unter III niedergesrchieben. 

Das Ergebnis der Untersnchung ist in einem besonderen, mit arabischer 
Zahl za bezeichnenden Absatz niederzolegen. Die Zahlen laufen von Anfang 
bis zum Schluß des Protokolls fort 

Die Befunde müssen überall in genauen Angaben des tatsächlich Beob¬ 
achteten, nicht in der Form von bloßen Urteilen (z. B. „entzündet“, „brandig“, 
.gesund“, „normal“, „Wunde“, „Geschwür“ und dergleichen) zu Protokoll ge¬ 
geben werden. Jedoch steht es den Gerichtsärzten frei, falls es ihnen zur 
Deutlichkeit notwendig erscheint, der Angabe des tatsächlich Beobachteten 
derartige Bezeichnungen in Klammern beizufügen. 

So notwendig für den Zweck der Leichenöffnung die genaue und bestimmte 
Wiedergabe der wichtigen Befunde ist, so wenig erforderlich erscheint die um¬ 
ständliche Wiedergabe der Befunde, welche für den Richter ohne Bedeutung sind. 
Für solche Befunde genügt eine kurze zusammen fassende Bemerkung .*) 

Ueber die technische Ausführung der Leichenöffnung in ihren einzelnen 
Teilen sind nur dann Angaben zu machen, wenn und soweit dieselbe aus be¬ 
stimmten Gründen von der vorgeschriebenen Form abweicht. 

In jedem Falle muß eine Angabe über den Blutgehalt jedes einzelnen 
wichtigen Teiles und zwar auch hier eine kurze Beschreibung und nicht blos 
rin Urteil (z. B. „stark“, mäßig“, „ziemlich“, „sehr gerbtet“ „blutreich“, „blut¬ 
arm“) gegeben werden. Bei der Beschreibung sind der Reihe nach die Grüße, 
das Gewicht, die Gestalt, die Farbe, ungewöhnlicher Geruch und die Konsistenz 
der betreffenden Teile anzugeben, bevor dieselben zerschnitten werden. 

Alle Angaben Über Grössen- und Gewichtsverhältnisse müssen, wo ihnen 
grössere Wichtigkeil zukommt, in Zahlen nach Grammen und Zentimetern ge¬ 
macht werden. 


Vorläufiges Gutachten. 

§ 27. Am Schlüsse der Leichenöffnung haben die Gerichtsärzte ihr vor¬ 
läufiges Gutachten über den Fall zusammengefaßt und ohne Angabe der Gründe 
zu Protokoll zu geben. 

Sind ihnen aus den Akten oder sonst besondere, den Fall betreffende 
Tatsachen bekannt, welche auf das abgegebene Gutachten Elinfluß ausüben, 
so müssen auch diese kurz erwähnt werden. 

Legt ihnen der Richter besondere Fragen vor, so ist in dem Protokoll 
ersichtlich zu machen, daß die Beantwortung auf Befragen des Richters erfolgt. 

Auf jeden Fall ist das Gutachten zuerst auf die Todesursache, und 
zwar nach Maßgabe desjenigen, was sich aus dem objektiven Befunde ergibt, 
aichstdem aber auf die Frage der verbrecherischen Veranlassung zu richten.*)*) 

Ist die Todesursache nicht aufgefunden worden, so muß dies ausdrück- 
fieh angegeben werden. Niemals genügt es zu sagen, der Tod sei aus innerer 
Ursache oder aus Krankheit erfolg, es ist vielmehr die letztere zu benennen. 

In Fällen, wo weitere technische Untersuchungen nötig sind oder wo 


*) Siehe Awm. 8 auf S. 128 u. Anm. 1 auf S. 224, letzter Absatz. 

*) Die Frage der etwaigen verbrecherischen Handlung (Beteili¬ 
gung eines Dritten), ist somit stets, afcch ohne besondere Aufforderung des 
Richters zu beantworten. Ebenso haben sich die Gerichtsärzte bei Verlet¬ 
zungen stets über die Art ihrer Entstehung und über die Beschaffenheit der 
dabei in Anwendung gekommenen Werkzeuge oder Gewalt zu äußern (§ 28, 
Abs. 2), während sie bei allen sonstigen in Betracht kommenden Umständen 
eia Befragen seitens des Richrers abzuwarten haben. 

*) Bei der Sektion eines neugeborenen Kindes ist im vorläufigen 
Gutachten zunächst die Frage zu beantworten, ob das untersuchte Kind reif 
und lebensfähig war, sowie ob es gelebt und geatmet hat; erst dann ist das 
Urteil über die Todesursache abzugeben und die Frage der verbrecherischen 
Handlung zu beantworten. 




228 Die neuen preußischen Vorschriften für das Verfahren der Gerichtsärzte 

zweifelhafte Verhältnisse vorliegen, ist ein besonderes Gutachten mit Begrün¬ 
dung ausdrücklich vorzubehalten. 1 ) 

Zusätzliche Erklärungen über Werkzeuge. 

§ 28. Zeigen sich an der Leiche Verletzungen, welche mutmaßlich die 
Ursache des Todes gewesen sind, und ist der Verdacht vorhanden, daß ein 
Vorgefundenes Werkzeug bei Zufügung der Verletzungen benutzt worden ist, 
so haben die Gerichtsärzte auf Erfordern des Richters beide zu vergleichen 
und sich darüber zu äußern, ob und welche Verletzungen mit dem Werkzeuge 
bewirkt werden konnten und ob und welche Schlüsse (nus der Lage und der 
Beschaffenheit der Verletzung) auf die Art, wie der Täter, und auf die Kraft, 
mit der er verfahren ist, zu ziehen seien. 

Werden bestimmte Werkzeuge nicht vorgelegt, so haben sich die Ge¬ 
richtsärzte, soweit dies dem Befunde nach möglich ist, über die Art der Ent¬ 
stehung der Verletzungen, und über die Beschaffenheit der dabei in Anwen¬ 
dung gekommenen Werkzeuge zu äußern. 

Begründetes Gutachten. 

§ 29. Wird von den Gerichtsärzten ein begründetes Gutachten erfor¬ 
dert, so ist dasselbe in folgender Form zu erstatten: 

Es wird, unter Fernhaltung unnützer Formalien, mit einer gedrängten, 
aber genauen Geschichtserzählung des Falls, wenn und soweit sie auf Grand 
einer Kenntnisnahme der einzusehenden Verhandlungen möglich ist, unter An¬ 
gabe der Aktenblätter begonnen. Sodann wird das Protokoll über die Leichen¬ 
öffnung jedoch nur insoweit, als sein Inhalt für die Beurteilung der 
Sache wesentlich ist, wörtlich und mit den Nummern des Protokolls auf¬ 
genommen; dabei ist auf Abweichungen von demselben ausdrücklich aufmerk¬ 
sam zu machen. 

Die Fassung des begründeten Gutachten muß bündig und deutlich sein 
und die Begründung desselben so entwickelt werden, daß sie auch für den 
Nichtarzt verständlich und überzeugend ist. Es haben sich die Gerichtsärzte 
daher möglichst deutlicher Ausdrücke und allgemein faßlicher Wendungen zu 
bedienen. Besondere Beziehungen auf literarische Quellen sind in der Hegel 
zu unterlassen. 

Vom Richter zur Begutachtung vorgelegte bestimmte Fragen haben die 
Gerichtsärzte vollständig und möglichst wörtlich zu beantworten oder die 
Gründe anzuführen, aus welchen dies nicht möglich gewesen ist. 

Das begründete Gutachten muß von beiden Gerichtsärzten unterschrieben 
und wenn ein beamteter Arzt die Leichenöffnung mit vorgenommen hat, mit 
dessen Amtssiegel versehen werden.*) 

Jedes erforderte Gutachten muss von den Gerichtsärzten spätestens 
Innerhalb vier Wochen eingereicht werden. 

IV. Verfahren bei der Lelohenaohatt. 

§ 30. Wird ein Gerichtsarzt zu einer Leichenschau zugezogen, so hat er 
nach Massgabe des § 12 zu verfahren; die dort vorgesehenen Einschnitte können 
unterlassen werden.*) 

*) Ein Obduktionsbericht ist namentlich auch dann ausdrücklich 
vorzubehalten, wenn eine bestimmte Todesursache nicht aufgefunden ist, oder 
zur Beurteilung des durch die Sektion nicht genügend aufgeklärten Falles 
noch weitere Ermittelungen in bezug auf den vorhergehenden Krankheitsver¬ 
lauf (Krankheitsgeschichte), die sonstigen Umstände usw. nötig sind (s. auch 
§ 10 der Vorschriften). 

*) Die Abfassung des Obduktionsberichts geschieht durch den 
ersten Gerichtsarzt; hat der zweite Gerichtsarzt eine abweichende Ansicht, 
so muß er diese durch einen besonderen Obduktionsbericht begründen. 

*) Diese Vorschrift ist neu, wenn auch bisher bei einer gerichtlichen 
Leichenschau allgemein unter Berücksichtigung der im Regulntiv über die 
äußere Besichtigung gegebenen Vorschriften verfahren ist. Jetzt ist dies also 
obligatorisch vorgeschrieben. Kommt der Gerichtsarzt zu dem Ergebnis, daß 
eine vollständige Sektion zur Klarstellung des Falles nötig ist und diese, weil 
sehr häufig ein zweiter Gerichtsarzt nicht sofort zur Verfügung steht, nicht 




bei den gerichtlichen Untersuchungen menschlicher Leichen. 


227 


Auf die Abfassung des Protokolls und des Gutachtens finden die Vor - 
xhriften der §§ 26 und 27 Anwendung» 

In einfachen fällen kann , wenn Richter und Arzt einverstanden sind 
m den im § 12 vorgeschriebenen Feststellungen, soweit sie nach Lage der Sache 
tntlthrlich ersehe'men, abgesehen werden. 1 ) 


Besprechungen. 

Dr. Georg Herzfeld, Sanitätsrat in Berlin: Handbuch der b&hn&rzt- 
lichen Praxis. Verlag von Richard Schoetz. Berlin 1904. Gr. 8° f 
466 8. Preis; 12 Mark. 

H. faßt unter Benutzung der vorhandenen Literatur und Ergebnisse der 
Ttrschiedenen Kongresse, Versammlungen und Vereinssitzungen der bahn&rlt- 
lichen Organisationen in dem vorliegendem Werke alles dasjenige zusammen, 
was dem Bahnarzt in seinem Beruf als solchem zu wissen und zu kennen not¬ 
wendig ist. Hierzu gehört als Vorbedingung außer der rein ärztlichen Be¬ 
fähigung die genaue Kenntnis aller Einrichtungen der Eisenbahn, der betriebs- 
wie der verwaltungstechnischen, so die der Eisenbahnorgane, der Betriebsmittel 
and Betriebsordnung, des Signalwesens, der einzelnen Dienstzweige und der 
damit verbundenen Verantwortung und dergleichen mehr. Alle diese Fragen, 
die neben den Verwaltungsbeamten und Technikern der Eisenbahn auch die 
Bdhnärzte interessieren müssen, wenn anders die Sicherheit ira Eisenbahnwesen 
Terburgt sein soll, finden eine übersichtliche, erschöpfende Darstellung. Weiter* 
hin informiert das Handbuch in knapper, gediegener Weise über Art, Schwere 
und Einllusse des Dienstes, über Berufskrankheiten nnd Unfallerkrankungen 
des Dienstpersonals, über die großzügige Bearatenfürsorge nnd das gerade in 
den letzten Jahren vorzüglich erweiterte und ausgebaute Rettungswesen. Den 
Fragen der bahnärztlichen Sachverständigentätigkeit ist ein besonderer Ab¬ 
schnitt gewidmet entsprechend der überaus großen Bedeutung dieses Teiles 
ärztlichen Bahndienstes für den normalen und sicheren Ablauf des gesamten 
Eisenbahnverkehr*, dem täglich Millionen Menschenleben nnd ebensoviele 
Millionen an Geldwert anvertraut sind. Die Mitwirkung des Bahnarztes bei 
Ausfuhrnng der sozialen Gesetze wird erläutert und erleichtert durch die instrufc* 
tiren Zusammenstellungen der — zum großen Teil in extenso wiedorgegebenen 
- einschlägigen Vorschriften über die Kranken-, Unfall-, Alters- nnd In- 
raliditätsversicherung; bekanntlich ist bei allen drei Gesetzen den Eisenbahn- 
Terwaltnngen eine Ausnahmestellung zugewiesen, deren Kenntnis darum für 
Jen Eisenbahn-Kassenarzt ganz besonders notwendig ist. Die folgenden 
Kapitel behandeln in ziemlicher Kürze die hygienischen und sanitätspolizeilichen 
Aufgaben des Bahnarztes sowie die Hygiene der Reisenden und zwar in An¬ 
lehnung an die bahnbrechende Tätigkeit des ersten Eisenbahnhygienikers Otto 
Brähmer. Im letzten Abschnitt orientiert Verf., der selbst Bahnarzt und 
Mitglied des Ausschusses des Verbandes deutscher Bahnärzte ist, über die 
staatliche und freiwillige Organisation der Bahnärzte und bringt im Anschluß 
daran den Wortlaut bestehender Bahnärzte-Verträge. Die Zusammenstellung 
der sämtlichen in der Bahnpraxis vorkommenden Formulare, ferner Literatur- 
wgaben und ausführliches Sachregister beschließen das Werk. Die Fülle des 
Materials, seine übersichtliche Anordnung und kritische Verarbeitung werden 
das vorliegende Handbuch für jeden Bahnarzt zu einem hochwillkommenen 
Nachschlagewerk machen, das, obwohl der Verf. nach keiner Richtung hin ein 
Vorbild hatte, dem er hätte nacheifern können, bereits in seiner ersten Auf¬ 
lage meisterhaft gelungen ist. Dr. Roepke-Melsnngen. 


tutmittelbar an die Leichenschau angeschlossen werden kann, so müssen alle 
Einschnitte oder sonstige Eingriffe, durch die das Ergebnis der Sektion beein¬ 
flußt werden könnte, vermieden werden. 

*) ünter „einfachen“ Fällen sind nur solche zu verstehen, in denen 
nber die Todesursache, eigene oder fremde Schuld usw. kein Zweifel besteht 
and auch eine etwaige mitwirkende andere Todesursache ausgeschlossen ist. 



328 


Tagesnachrichten. 


Tagesnachrichten. 

Au dem B«lohita|«. ln der Sitzung vom 27. März d. J. worden 
die Resolutionen 

Eickhoff-Beumer über die Zolassang der Oberrealschul*Abiturienten 
zum Studium der Medizin, Gröber Uber Ansdehnung des Arbeiter* 
sehntzes auf die Hausindustrie, Erzberger über den sanitären Maxi* 
malarbettstag ln den Glashütten, grössere Sonntagsruhe für Arbeiter 
und Torsiehtsmassregeln für Verarbeitung giftiger and explosiver Stoffe, 
angenommen. 


Au dem preusisohen Abgeordnetenhaus. In der Sitzung 
Tom 24. März gelangte der Antrag des Abg. Schmedding (Ztr.) auf gesetz¬ 
liche Regelung der Fürsorge für mittellose geisteskranke und schwach¬ 
sinnige Personen zur Verhandlung und wurde in folgender von der Kommission 
für das Gemeindewesen vorgeschlagenen Fassung: 

.Die Regierung zu ersuchen, einen Gesetzentwurf vorzulegen, wonach 
folgendes bestimmt wird: Soweit die Landarmenverbände nicht gemäß dem 
Gesetze vom 11. Juli 1891 über die außerordentliche Armenpflege ver¬ 
pflichtet sind, die Kosten der Unterbringung derjenigen mittellosen Geistes¬ 
kranken und schwachsinnigen Personen zu übernehmen, welche nur oder 
überwiegend behufs des Schutzes anderer Personen gegen ihre Aus¬ 
schreitungen der Unterbringung in Anstalten bedürfen, hat der Staat diese 
Kosten auf die Staatskasse za übernehmen.“ 
angenommen, nachdem sich sämtliche Redner dafür ausgesprochen und nament¬ 
lich die Notwendigkeit betont hatten, daß der Staat gesetzlich verpflichtet 
werden müßte, für die Unterbringung derartiger Geisteskranken die Kosten 
zu tragen. _ 


Bei der Königlichen Regierung in Düsseldorf ist jetzt auch eine 
bakteriologische Untersuchungsstelle eingerichtet und deren Leitung dem als 
Hilfsarbeiter bei der Regierung bestellten Kreisarzt Dr. Kr ohne übertragen. 


Nach Bekanntmachung des Bayerischen Ministeriums des 
Innern vom 11. März d. J. findet auch in diesem Jahre in der Zeit vom 
4. bis 16. September ein bakteriologischer Kursus für die bayerischen 
Amtsärzte und staatsärztlich approbierten Aerzte statt, und zwar 
in dem hygienisch-bakteriologischen Institut der Universität Erlangen. Um 
die Teilnahme an diesem Kursus zu erleichtern, wird sechszehn von diesen 
Aerzten, soweit sie nicht in einer der drei Universitäten wohnen, ein Aversalbetrag 
von je 250 Mark gewährt. Gesuche um Gewährung eines derartigen Zuschusses 
sind bis zum 10. April d. J. beim Ministerium des Innern einzureichen. 


Bekämpfung des Alkoholismus. Um der vielfach verbreiteten Gewohn¬ 
heit, Kindern unter 14 Jahren geistige Getränke zu geben, entgegenzutreten, 
ist im Königreich Württemberg, entsprechend einer Anregung des Deut¬ 
schen Vereins gegen den Mißbrauch geistiger Getränke, durch Ministerialerlaß 
vom 22. Februar 1905, betreffend die öffentliche Impfungen im Jahre 1905, 
angeordnet, daß gelegentlich der öffentlichen Impfungen an die 
Mütter der zur Impfung gebrachten Kinder das von Regierungsrat Quensel 
in Köln verfaßte Merkblatt über die Schädlichkeit des Alkohol¬ 
genusses namentlich für Kinder verteilt werden soll. Die betreffenden 
Belehrungen werden von der Registratur des Ministeriums des Innern unent¬ 
geltlich geliefert. 


In Oberschlcsien, namentlich im Kreise Bcuthen und in Königshütte, 
herrscht schon seit längerer Zeit die epidemische Kopfgenickstarre. Die 
Gesamtzahl der Erkrankungen hat seit Beginn der Epidemie im Kreise Beuthen 
vom 1. November 1904 bis zum 22. März d. J. 135, die der Todesfälle 48 be¬ 
tragen, davon 32 bezw. 4 in der Woche vom 13.—22. März, in Königshütte 
vom 19. November v. J. bis 28. März 304 bezw. 165. 

Nach einem amtlichen Bericht ist auch inWürzburg seit Oktober v. J. 
bis zum 10. März d. J. unter der dortigen Garnison eine kleine Epidemie von 



Tagesnachrichten. 


229 


Genickstarre vorgekommen; 9 Soldaten sind erkrankt und 7 davon gestorben, 
einer ist genesen, einer befindet sich noch in ärztlicher Behandlung. 


Im „Reichs&nz. 44 vom 1. d. Mts. worden weitere Mitteilungen über den 
Staad der Wormkrankheit gebracht. Danach sind auf 108 Schachtanlagen 
des Überbergamtsbezirks Dortmund, auf denen eine mehrfache Untersuchung 
sUttgefunden hat, bei den letzten Untersuchungen zusammen 2655 Wurmtriiger 
gegenüber 14 483 bei der ersten Untersuchung ermittelt worden; das bedeutet 
eine Abnahme um 81,67 Proz. Ara schwersten verseucht ist die Zeche „Graf 
Schwerin* 4 bei Castrop, die hinsichtlich der Wurmkrankheit unter ganz be¬ 
sonders ungünstigen Verhältnissen steht. Aber auch hier haben die Maßregeln 
xnr Eekampfung der Krankheit einen erfreulichen Erfolg gehabt; denn die Zahl 
der ermittelten Wurmträger, die bei der ersten Untersuchung über 66 Prozent 
der unterirdischen Belegschaft betrug, ist jetzt auf ungefähr 30 Proz. ge¬ 
sunken; auch ist bei den einzelnen Wurmträgem die Schwere der Erkrankung 
ganz wesentlich zurückgogangen. — Erkrankungen von Familienangehörigen 
wurmkranker Bergleute sind, abgesehen von dem einen, früher beobachteten 
Falle, nicht vorgekommen und schwere Folgen der Abtreibungskuren nicht 
mehr zur Kenntnis gelangt. 

Im Wurmrevier (Oberbergamtsbezirk Bonn) ist die gesamte unterirdische 
Belegschaft untersucht, und die ermittelten Wurmträger einer Abtreibungskur 
unterzogen. Während bei der ersten Untersuchung von 6686 Bergarbeitern 
1653 = 24,8 ,M 0 als Wurmträger ermittelt wurden, beträgt ihre Zahl jetzt nur 
noch 4,3* : a . Erkrankungen von Familienangehörigen sind hier nicht beobachtet. 


Freisprechung eines Kurpfuschers wegen Geisteskrankheit* In 

München ist vor kurzem ein schon hochbetagter Kurpfuscher, der wegen 
Betrugs und unbefugter Arzneiabgabe angeklagt war, vom Schöffengerichte 
freige^prochen, weil er nach ärztlichem Gutachten geisteskrank und 
unzurechnungsfähig ist. Die Münchener medizinische Wochenschrift sagt 
hierzu in Nr. 10 d. J. mit Recht, daß „dieser Fall deutlich erkennen läßt, wie 
ungenügend die Mittel zur Bekämpfung der Kurpfuscherei sind. Wäre die 
von «lern Aerztetag beantragte Ergänzung des § 35 der Reichsgewerboordnung 
bereits erlassen, wonach die Ausübung der Heilkunde wegen Unzuverlässigkeit 
in bezug auf diesen Gewerbebetrieb zu untersagen wäre, so hätte die Polizei- 
direktion die gesetzliche Befugnis die Fortsetzung der Kurpfuscherei seitens 
einoa Geisteskranken durch Zwangsmittel zu verhindern. So aber mnß sie den 
Mann ruhig weiter gewähren lassen; sie bringt ihn lediglich zeitweise zur An¬ 
züge. mii dem regelmäßigem Erfolge, daß er vom Gerichte wegen Unzurech¬ 
nungsfähigkeit freigesprochcn wird. Wir glauben, daß ein derartiger Zustand 
nicht geduldet werden darf und weisen deshalb auf diese Lücke in der Gesetz¬ 
gebung eindringlichst hin. Um dem für Gesundheit und Vermögen des Hilfe¬ 
suchenden im höchsten Grade bedenklichen Treiben dieses Kurpfuschers ein 
Ende zu machen, sollte die Polizeidirektion übrigens in Erwägung ziehen, ob 
aieht nach Art. 80 des Polizeistrafgesetzbuches seine Unterbringung in eine 
Irrenanstalt oder seine sonstige genügende Verwahrung anzuordnen wäre 44 . 
Da ein derartiger Kurpfuscher zweifellos als „gemeingefährlicher 11 
Geisteskranker anzusehen ist, so wird auch seine zwangsweise Unterbringung 
b eine Irrenanstalt kaum auf Schwierigkeiten stoßen. Dem Herausgeber dieser 
Zeitschrift sind verschiedene Fälle bekannt, wo diese Maßregel gegen geistes¬ 
kranke Aerzte mit Erfolg angewandt ist; gegen Kurpfuscher dürfte ihre An¬ 
wendung nicht minder gerechtfertigt sein. 


Die diesjährige Hauptversammlung des Deutscheu Apothekervereixis 
*ird in Breslau vom 2 3.-2 6. August stattfinden. 


Die jetzt vorliegende neue Deutsche Arzneitaxe bringt in mancher 
Hinsicht recht wesentliche Aenderungen gegenüber den bisher geltenden Arznei- 
tuen. Die in den früheren Taxen in einzelnen Abschnitten behandelten 
Grundsätze, Allgemeine Bestimmungen der Arbeitspreise, Preise der Gefäße, 
Tue für homöopathische Arzneimittel sind jetzt in einem Abschnitt „All- 

J cmeine Bestimmungen 44 mit fortlaufenden Nummern zusammengefaßt, 
on diua die Preisliste der Arzneimittel folgt. Die allgemeinen Be¬ 
stimmungen enthalten I. die Grundsätze für die Berechnung der Arznei- 



230 


Tagesnachrichten. 


mittelpreise, bei denen hauptsächlich die preußischen Bestimmungen als 
Grundlage gedient haben, II. Grundsätze für die Berechnung der Arznei- 
preise, für die namentlich die Hessische Arzneitaxe hinsichtlich derBezep- 
turarbeitspreise und die Preußische Arzneitaxe hinsichtlich der Gefäße 
Torbildlich gewesen ist. Ueberall tritt das Bestreben der Vereinfachung 
hervor; namentlich sind für die Arbeitspreisc Pauschalsätze vorgesehen, 
und in diesen nicht nur alle zur Herstellung der betreffenden Arzneiformen 
erforderlichen Arbeiten einschl. des etwa erforderlichen Zerreibens, der Zugabe 
von Kapseln usw., sondern auch die Wägungen mit eingeschlossen, nur die 
Dispensationsgebühr ist geblieben und auf 15 Pfg. erhöht. Es ist dies 
zweifellos ein großer Fortschritt, durch den manche kleinliche Taxstreitigkeiten 
vermieden werden. Die wichtigsten Bestimmungen über die Arzneimittel- 
preise, die hier besonders interessieren, sind folgende: 

Bei Berechnung der Arzneimittel tritt ebenso wie bisher, wenn 
in der Taxe für verschiedene Mengen eines Arzneimittels verschiedene 
Preise eingesetzt sind, der ermäßigte Preis erst bei Berechnung der verordnten 
größeren Menge ein, jedoch darf dieser bei Berechnung einer verordneten ge¬ 
ringeren Menge nie überschritten werden. Der niedrigste Preisansatz 
beträgt nach wie vor 5 Pf, für Mittel der Tab. B. de3 Arzneibuches jetzt jedoch 
10 Pf.; jeder Pfennig - Bruch wird auf einen vollen Pfennig abgerundet. Für 
nicht in der Taxe aufgeführte Arzneimittel ist der Preis nach den 
Grundsätzen für die Berechnung der Arzneimittelpreise festzustellen, für fabrik¬ 
mäßig hergestellte Arzneizubereitungen ist ein Zuschlag von 60 °/ 0 zu dem An¬ 
kaufspreis gestattet, sofern nicht ein höherer Originalverkaufspreis seitens des 
Herstellers festgesetzt ist. Werden diese Arzneimittel aber im Anbruch ver¬ 
ordnet, so ist das Doppelte des Ankaufspreises, die Dispensation und das etwa 
erforderliche Gefäß zu berechnen. 

Als Arbeits p reise sind folgende vorgesehen: a) Einzelpreise 
für Dispensation einschl. Kork, Tektur, Papierbentel und Signatur, sowie Kopie 
15 Pf.; für Abdampfen von je 100 g, Zerquetschen oder Zerreiben 
(falls nicht schon im Pauschale enthaltend) und Filtration (wenn erforder¬ 
lich) je 10 Pf.; für Sterilisieren eines Gerätes, eines Gefäßes oder einer 
Arznei bis 100 g 30 Pf.; für größere Gefäße oder Mengen 50 Pf. 

b) Pauschalpreise: Für Mischungen von Flüssigkeiten 10 Pt; 
für Auflösen oder Anreiben eines oder mehrerer nicht flüssiger Mittel, 
Anfertigung von Schleim einschl. dost. Wasser: 35 Pfg.; für Ab¬ 
kochungen und Aufgüsse, Einkochungen, Auszüge (Mazerat. und 
Digestionen), Saturationen, Emulsionen, Gallerten u. Salepschleim, 
auch in Verbindung untereinander oder mit einer oder mehreren Arbeiten (Auf¬ 
lösen oder Anreiben) ausgeführt einschl. dest. Wasser: 40 Pf.; für Latwergen 
oder innerl. Pasten einschl. Wasser: 30 Pf.; für Pflaster: 40, Streichen von 
Pflaster bis 100 qcm einschl. Stoff: 30 Pf., jede weitere 100 qcm: 20 PL; 
für Salben und äußerl. Pasten: 40 Pf., (Teilung von Salben jede Dosis ein¬ 
schließlich Wachspapier: 5 Pf.), für Pastillen pp. bis 5 Stück je 10 PL, 
jedes weitere: 5 Pf.; für Pillen bis 50 Stück: 40 Pf., jede weitere 50 Stück: 
20 Pfg., (Ueberziehen mit irgend welchen Stoffen je 50 Stück 75 Pf.); für 
Körner aller Art inkl. Versilb. bis 10 Stück: 40 PL, jede weitere 10: 20 PL; 
für Mengen von Tee oder Pulver einschl. Verrreiben: 20 Pf., geteilte Pulver: 
5 Pf. pro Stück, Verabreichung in Kapseln von Gelatine oder Oblaten: 10 Pf. 
pro Stück; für Suppositorien und Wundstäbchen bis 3 Stück: 40 PL, 
jedes weitere Stück: 10 Pf. Alle Preise unter b schließen, wie schon erwähnt, 
Vergütung für alle dazu erforderlichen Arbeiten, sowie die Zugabe der Kapseln, 
Konvolute pp. ein. — Dispensation und Gefäße werden nicht berechnet bei 
Diphtherieserum und Tuberkulin. 

Preise der Gefässe: Gläser, glcicbgiltig, ob runde oder eckige, 
enge oder weite, weiße oder braune, bis 200 g Inhalt 10 PL, bis 300 g, 
15 PL, bis 500 g 25 PL, für je 25 g mehr: 15 PL; — mit eingeriebenen 
Glasstöpseln bezw. Tropfgläser bis 15 g 25 Pf., bis 100 g 30 PL, bis 
200 g 50 Pf., bis 500 g 80 PL; Deckel zu Pulverglüsern und Salbenkruken 
bis zu 20 g 40 PL, größere 15 PL — Kruken, graue oder gelbe, bis 
200 g 10 PL, bis 500 g 20 Pf., je 500 g mehr 10 Pf.; weiße, bis 50 g 15 Pf. 
bis 100 g 20 Pf., bis 200 g 30 PL, bis 300 g 50 Pf., bis 400 g f>0 Pf. bis 
500 g 75 PL; — Pappschachteln bis 100 g 10 Pf., bis 200 g 20 Pf., 



Tagesnachrichten. 


231 


gröbere 30 Pf.; Pul ve rkästchen 10 Pf, für 10 Pulver, für mehr als 10 
Pulver 20 Pf. Gläser mit eingeriebenen Glasstöpseln, Tropfgläser, sowie 
Holzkorkstöpsel dürfen nur berechnet werden, wenn sie ausdrücklich verlangt 
oder verordnet sind, oder durch die Natur des Arzneimittels notwendig sind, 
oder wenn die Verhältnisse der Arzneiempfänger die Zustimmung für deren 
Verwendung vor&ussetzen lassen. Bei Verordnungen, deren Kosten aus Staats¬ 
oder Gemeindemitteln, von Krankenkassen usw. bezahlt werden, dürfen Pulver- 
kästchen, Pappschachteln, Glä-?er mit eingeriebenen Glasstöpseln, Tropfgläser, 
feste Deckel jeder Art zu Salbenkruken, sowie weiße Kruken nur auf ärztliche 
Anweisung verwendet werden, jedoch sind bei Abgabe von abget. Pulvern oder 
Pastillen, welche Mittel der Tab. B, Opium oder dessen Alkaloide oder Chloral- 
hvdrat enthalten, Pulverkästchen oder Pappschachteln stets zu verwenden und 
zu berechnen, soweit das Arzneibuch nicht andere Bestimmungen enthält. 
— Werden verwendbare reine Gläser, Kruken, Schachteln oder Pulverkästchen 
bei Wiederholungen zur Aufnahme der Arznei zurückgebracht (es findet sich 
dann auf dem Rezept der Vermerk: s. v. (sine vitro), v. r. oder v. a. (vitrum 
remotum oder allatum), s. sc. oder s. o. (sine scatula oder sine olla) usw., so 
Ln dafür der volle Taxpreis abzurechnen. 

Auf allen Rezepten, auch auf denjenigen für Privatpersonen sind 
jetzt die Einzelsätze der Taxe zu vermerken. Bei der Zusammen¬ 
stellung der einzelnen Ansätze findet bei allen Rezepten (auch bei 
den aus Staats- und Gemeindemitteln oder Krankenkassen zu bezahlenden) eine 
Abrundung in der Weise statt, daß, wenn er 1 Mark nicht übersteigt, 
1-4 Pf. auf 5 Pf. und 6—9 Pf. auf 10 Pf. erhöht werden; tibersteigt der 
Preis jedoch 1 Mark, so werden 1 M. 1—4 Pf. auf 1 M„ 1 M. und 6—9 Pf. 
auf 1 M. 5 Pf. usw. herabgesetzt. Die Gewährung von Rabatt ist den Be¬ 
stimmungen der Einzelstaaten überlassen; in Preußen sind solche nicht ge¬ 
troffen; über die in den anderen Bundesstaaten darüber ergangenen Vor¬ 
schriften siehe Anra. 2 auf S. 49 der Beilage zur heutigen Nummer. 

Neu ist endlich die Einführung einer Nachttaxe für die Verabfolgung 
von Arzneien während der Zeit von 10 Uhr Abends bis 6 Uhr Morgens; es ist 
fhnn eine Zusatzgebiihr bis zu 50 Pf. zulässig. Ebenso wie bei der ärztlichen 
^bührenordnung hätte man hier die Zeit von 9 Uhr Abends bis 7 Uhr Mor¬ 
gens festsetzen sollen. 


Der erste Fortbildungskurs für Sanitätsoffiziere und Medizinalbeamte 
an der Akademie für praktische Medizin in Köln vom 30. Januar bis 
18. Februar 1905. 

Zum ersten Male hat sich in diesem Jahre die Fürsorge der zentralen 
IDdizinalbehörde auch auf die Fortbildung der Kreisassistenzärzte erstreckt: 
5 Ton ihnen wurden zu einem 3 wöchigen Fortbildungskurs nach Köln überwiesen. 
Dieser erste Versuch ist so vortrefflich gelungen, daß man nur wünschen kann, 
diese Kurse möchten eine dauernde Einrichtung für die Weiterbildung der 
Kreisassistenzärzte werden. 

Wegen der Neuheit der Sache wird den Lesern vielleicht ein kurzer 
Bericht über den verflossenen Kurs willkommen sein. Es ist in ärztlichen 
Zeitschriften und in den Tagesblättern manches über den Wert oder Unwert 
der Akademien geschrieben, das geeignet ist., das Urteil Fernstehender un¬ 
sinnig zu beeinflussen. Da mag auch das Wort eines, der die Leistungen 
einer solchen Akademie an sich selber erfahren hat, am Platze sein. 

Der Kursus war überhaupt der erste, der an der neuen Kölner Akademie 
hi» gerichtet worden ist. Die Teilnehmer waren 13 aktive, 17 Reserve-Sanitäts¬ 
offiziere und 4 Krebassistenzärzte (1 war an der Teilnahme behindert). 
Durch diese Zusammensetzung hatte der Kurs zwar ein überwiegend mili¬ 
tärisches Aussehen, die Auswahl der klinischen Vorlesungen belehrt jedoch, 
daß für alle eine möglichst vielseitige, allgemeine ärztliche Fortbildung 
ernrebt wurde. Tatsächlich sind auch die Kreisassistenzärzte mit dem 
Gebotenen recht zufrieden gewesen. Der Stundenplan war in folgender 
Webe festgestellt worden: Vormittags 8—9 l /* Uhr: Operationsnbungen 
an der Leiche (Prof. Dr. Till mann); 9 1 /*—10 Uhr: Militär-Sanitäts¬ 
dienst, Lungentuberkulose, (Oberstabsarzt Dr. Dautwiz); 10—11 Uhr: Chirur¬ 
gische Klinik (Prof. Dr. Bardenhener und Prof. Dr. Ti 11 mann abwechselnd); 
nachmittags 1—2 Uhr: Hygiene und Bakteriologie (Dr. Czaplewski); 



232 


Tagesnachrichten. 


2—4 Uhr: Besichtigungen (Dr. Czaplewski), abwechselnd mit: Klinik der 
Hautkrankheiten (Dr. Zinsser) und Klinik der Geisteskrankheiten (Professor 
Dr. Aschaffenburg). Da die neuen Bauten der Akademie, für welche fünf 
Hillionen Mark ausgeworfen sind, noch nicht vorhanden sind, so wurden die 
Vorlesungen in den drei je 15 Minuten voneinander entfernt liegenden Kranken¬ 
häusern: Bürger-, Augusta- und Lindenburg-Hospital, gehalten. Trotzdem 
durch die Wege, die Frühstückspause und einen katholischen Feiertag Zeit 
verloren ging, wurde doch eine erstaunliche Fülle von Lehrstoff in den drei 
Wochen bewältigt. Um dafür einen Beweis zu geben, will ich einiges aus dem 
Unterrichtsmaterial anführen: 

Im ganzen wurden 45 Operationen ausgeführt, ln besonderen Stunden 
demonstrierte Dozent Dr. Graeßner die Barden heu er sehe Extensions¬ 
behandlung der Knochenbrüchc und die Technik der Boentgenaufnahmcn nebst 
Orthodiagraphen. 

ln der inneren Klinik wurden die verschiedenartigsten Kranken 
vorgcstellt; außerdem hielten die Prof. Dr. Hochhaus und Dr. Minkowski 
noch zusammenfassende Vorträgo über Perkussion, Diagnose des Pulses, Blut¬ 
untersuchungen, Hämoptoe, Kryoskopie, Aphasie, Sauerstoffbehandlung. Dabei 
wurden die neuen Apparate und Hilfsmittel der Diagnostik vorgeführt. Neu 
war für viele die ständige Heranziehung der Roentgenbildcr zur Diagnose der 
inneren Organerkrankungen. 

Dr. Zinsser zeigte zahlreiche Fälle von Haut- und Geschlechts¬ 
krankheiten. Ganz besonders fesselnd war die Vorführung der Behandlungs¬ 
weisen mit Rocntgenstrahlen, mit Finsonlicht und Radium-Bestrahlung, deren 
wunderbare Heilerfolge wir an zahlreichen vorgestellten Kranken beobachtet 
hatten. Da außerdem noch zahlreiche mikroskopische Präparate und stereo¬ 
skopische Bilder die Vorträge erläuterten, so galt vielen von den Zuhörern 
die dermatologische Klinik als die interessanteste. 

Prof. Dr. Aschaffenburg besprach unter gleichzeitiger Vorstellung 
einschlägiger Fälle folgende Kapitel der Psychiatrie: Delirium tremens, 
epileptische Dämmerzustände, Melancholie, Erschöpfung3psychosc, Dementia 
paralytica, Simplex und praecox, Hebephrenie, Katatonie, Idiotie, Imbezillität, 
Manie, Paranoia, Simulation geistiger Störung, traumatische Neurose, Hysterie. 

Aschaffenburg gelang es trotz der Abspannung, die sich in der 
letzten Unterrichtsstunde am Tage fühlbar machte, die allgemeine Aufmerk¬ 
samkeit auf die vorgestellten Patienten zu lenken. Für die meisten Zuhörer 
war auch die besonders lehrreiche Art der Entwickelung der Diagnose durch 
den Vortragenden neu. Es wurden auch forensisch wichtige Fälle und zweifel¬ 
hafte Geisteszustände durch Vorstellungen erörtert. 

Beiden hygienischen Vorträgen mußte sich Dr. Czaplewski 
wegen der Kürze der Zeit auf einige wichtige Kapitel beschränken. Der 
Hauptwert wurde auf die Besichtigungen und praktischen Vorführungen ge¬ 
legt. Besichtigt wurden: die Desinfektionsanstalt, die Wasserwerke der Stadt 
Köln Altsburg und Severin, die Kanalisation, die Kläranlage, das Hohen¬ 
staufenbad, der Scblachthof. Im bakteriologischen Laboratorium wurde der 
Gang der Diagnose bei Typhus, Cholera, Diphtherie und Gonorrhoe gezeigt. 

Während der ganzen Zeit des Kurses herrschte ein nettes kameradschaft¬ 
liches Zusammenhalten unter den Teilnehmern; sehr fröhlich verlaufende Bier¬ 
abende und ein Festmahl am Schluß brachten die Kursisten auch außerhalb der 
Kliniken den Professoren und Dozenten näher, die zu dem Festmahl sämtlich 
erschienen waren; außerdem nahmen an diesem noch der Reg.- und Med.-Rat 
Dr. Rusack, die Sanitätsoffiziere der Garnison, der Bürgermeister und der 
Kreisarzt Dr. Meder teil. Dem letzteren sind die Kursisten, namentlich die 
Kreisassistenzärzte, zu besonderem Danke verpflichtet; denn er hat nicht nur 
die hygienischen Besichtigungen mit geleitet und die ihm unterstellte Lyroph- 
erzeugungsanstalt gezeigt, sondern ist auch fast jederzeit zur Unterstützung 
mit seinem Rat bereit gewesen. Sicherlich wird jeder Teilnehmer reiche Be¬ 
lehrung mit nach Hause genommen haben und der Akademie in Köln dankbare 
Erinnerung dafür bewahren. 

Kreisassistenzarzt Dr. Berg-Neufahrwasser hei Danzig. 


Verantwortl. Redakteur: Dr. Rapmund, Reg.- u. Geh. Med.-Rat in Minden i. W. 
J. 0. O. Bruns, HunogL Slehu u. F. Seh.-L. Hof buck druck erel in Hindun. 




18. Jahrg. 


1905. 


Zeitschrift 

für 

MEDIZINALBEAMTE. 


Zeitnlblatt für gerichtliche Medizin ud Psychiatrie, 

Sr intliche Sacbverstiodigentätigkeit in Unfall- and Inraliditätssachen, sowie 
fir Hygiene, efentL Sanitätswesen, Medizin«]-Gesetzgebung nnd Rechtsprechung. 

Heraasgegeben 

TOD 

Dr. OTTO RAPMOND, 

Btfterttnft- and Geh. Msdixinalrat ln Minden, 


Verlag von Fischers mediz. Buchhandlg, H. Kornfeld, 

HcraogL Bayer. Bot- n. Erxhenogl. Kammer - Bnchhlndlw. 

Berlin W. 35, Lützowstr. 10. 

Inserate nehmen die Yerlagahandlnng sowie alle Annoncen -Expeditionen des In- 

nnd Auslandes entgegen. 


Nr. 8. 


1 ] 

|i Bmheiat am 


1. nnd 15* Jeden Monate. 


15. April. 


Eine Paratyphusepidemie im Kreise Kreuznach. 

Von Kreisarzt Dr. Lembke - Kreuznach. 

Am 20. September 1904 kam ein Typhnsfall ans Sobernheim, 
einem Städtchen von ca. 3500 Einwohnern im Kreise Kreuznach, 
zor Anzeige; die Blutnntersnchung ergab jedoch, dass es sich nm 
Paratyphus handele. Am 6. Oktober folgte ein zweiter, am 8. Ok¬ 
tober ein dritter Fall nnd am 10. Oktober wurde ein weiterer 
Paratyphusfall im Dorfe Argenschwang, 10 km von Sobernheim 
entfernt, festgestellt. Dieser Kranke hatte bis zu seiner Er¬ 
krankung auf einer Ziegelei in Sobernheim gearbeitet nnd sich 
snr von Sonnabends abend bis Montags früh in seiner Heimat 
Argenschwang aufgehalten. Da dieser Ort frei von Typhus war, 
so musste natürlich angenommen werden, dass die Infektion in 
Sobernheim erfolgt war. Es waren dies die ersten Paratyphus¬ 
tille, die im Kreise festgestellt wurden. Blutuntersuchungen waren 
bereits seit Oktober 1903 bei den meisten Typhuserkrankungen 
Torgenommen worden, ohne dass bisher jemals Paratypbus ge¬ 
tänden war. Da die Zahl der Typhuserkrankungen im Kreise 
eine grosse ist (1903: 126 Fälle, 1904: 73 Fälle), so wäre es 
wunderbar gewesen, wenn zufälligerweise gerade die Paratyphus- 
.fiUle bei den Blatantersnchnngen nicht gefunden worden wären. 
Man konnte also annehmen, dass im Laufe des letzten Jahres 
Paratyphus im Kreise nicht aufgetreten war; deshalb mussten die 
jetzigen Erkrankungen ganz besonderes Interesse erwecken. 

Die innerhalb vier Wochen nacheinander erkrankten vier 
Personen hatten untereinander gar keine Verbindung gehabt, 
fall I war Arbeiter auf einer oberhalb Sobernheims isoliert im Felde 










234 


Dr. Lcmbke. 


liegenden Pf.schen Ziegelei (s. Skizze S. 236); er hatte seinen Wohn¬ 
sitz in Argenschwang und demzufolge kaum in Sobernheim verkehrt. 
Fall II (Uebers. Nr. 3) war Dienstmädchen in einem Manufaktur¬ 
warengeschäft mitten in Sobernheim. Fall III (Uebers. Nr. 8) 
war zwar ebenfalls Ziegeleiarbeiter, aber in einer anderen, ganz 
entfeint von der ersten vor einem anderen Tore liegenden Zie¬ 
gelei (von Ha.); er war ein Saisonarbeiter, ein Lippe - Detmolder, 
der wochenlang nicht von der Ziegelei gekommen und insbeson¬ 
dere nicht mit Arbeitern der anderen Ziegelei verkehrt hatte. 
Fall IV (Uebers. Nr. 9) betraf ein Schulkind, das ebenfalls vor 
der Stadt, aber an entgegengesetztem Ende wohnte. Ein Verkehr 
dieser Personen untereinander oder durch Zwischenpersonen hatte 
tatsächlich nicht stattgefunden. Die Bezugsquellen für Fleisch, 
Wasser, Milch etc. waren bei allen vier Erkrankten ganz ver¬ 
schieden. Gleichwohl musste nach Lage der Dinge für alle vier 
Erkrankungen eine gemeinsame Quelle angenommen werden. Es 
lag nun die Vermutung nahe, dass vielleicht eine Reihe von Para¬ 
typhusfällen in Sobernheim in den letzten Monaten vorgekommen, 
aber nicht zur amtlichen Kenntnis gelangt waren. Es galt daher 
die einzelnen Glieder der Kette oder wenigstens mehrere Glieder 
der Kette zu suchen. Zu diesem Zwecke wurden die Schulver¬ 
säumnislisten, die Erkrankungslisten aller Krankenkassen in 
Sobernheim durchgesehen, und bei allen vier in Sobernheim 
praktizierenden Aerzten Nachfragen nach typhusverdächtigen 
Kranken vorgenommen. Alle Kranken, die nur irgend wie in Be¬ 
tracht kommen konnten, wurden aufgesucht und von ihnen Blut¬ 
proben an das Laboratorium der Königlichen Regierung zu Ooblenz 
geschickt. Die meisten dieser Personen waren bereits wieder 
genesen. Es gelang aber auf diese Weise noch 9 Paratyphusfälle 
ausfindig zu machen (s. Uebersicht, S. 237); bei 7 Kranken, die 
ebenfalls verdächtig waren, fielen die Blutuntersuchungen negativ 
aus. Vier weitere Kranke, die nach der Angabe des behandelnden 
Arztes dieselben Krankheitserscheinungen gezeigt hatten, wie die 
13 festgestellten Fälle, waren nicht zur Untersuchung gekommen. 
Die sichere Feststellung von 13 Paratyphuskranken, die sich 
ziemlich gleichmässig über die ganze Stadt verteilten, lässt jedoch 
erkennen, dass in Sobernheim von Ende August bis Oktober 1904 
eine über die ganze Stadt verbreitete Paratyphusepidemie ge¬ 
herrscht hatte. Von Sobernheim aus war dann durch den Ziegelei¬ 
arbeiter die Krankheit nach Argenschwang verschleppt worden, 
wo noch dessen Frau und zwei Kinder an Paratyphus erkrankten. 

Der erste von den Paratyphuskranken ist am 29. August 
erkrankt, der zweite 12 Tage später und hierauf ein Kranker 
nach dem audern in Zwischenräumen von 1, 2, 3 auch 4 Tagen 
gefolgt; die beiden letzten Erkrankungen haben 6 und 7 Tage 
zwischen sich. Niemals erkrankte eine Gruppe von Kranken 
gleichzeitig. Rechnet man selbst alle 11 verdächtigen Kranken 
hinzu, so wird das Bild kaum anders; zwar sind die zwei Söhne 
des Kaufmanns Hz. (Fall 2 und 3 der Paratyphusverdächtigen) und 
am 29. September auch 2 Personen gleichzeitig erkrankt, aber ein 



Eine Paratyphosepidemie im Kreise Kreuznach. 


235 


gemeinsames Erkranken, wie es bei einer Bronnen- oder Milch¬ 
epidemie beobachtet wird, hat nicht stattgefunden. 

Ueber die Inkubationszeit lassen sich aus den Beob¬ 
achtungen dieser kleinen Epidemie keine sicheren Schlösse ziehen; 
immerhin gewähren sie einige Anhaltspunkte. Der zuerst am 
29. August erkrankte Arbeiter S. ging noch am gleichen Tage 
nach Stromberg, um eine 14 tägige Gefängnishaft abzubüssen. Er 
fühlte sich damals nicht schwer krank und glaubte, sich im Ge¬ 
fängnis auskurieren zu können. Die Kranken, die von ihm in 
Sobernheim direkt infiziert sein können, müssen also vor dem 
29. August infiziert sein. Da nun hier die nächsten Kranken am 
10. und 13. September krank geworden sind, so würde sich eine 
Inkubationszeit von mehr als 14 Tagen (direkte Uebertragung 
vorausgesetzt) ergeben. S. hat auch seine in Argenschwang 
wohnende Frau und Kinder angesteckt. Er ist am 27. August 
Sonnabends von Sobernheim nach Hause gekommen und hier bis 
znm 29. August geblieben. Die zuerst infizierte und am 5. Oktober 
erkrankte Tochter kann jedoch nicht gut in dieser Zeit infiziert 
sein; da sie später mit dem Vater erst wieder am 13. September 
sach seiner Rückkehr aus dem Gefängnis in Berührung gekommen 
ist, so kann die Inkubationszeit nicht mehr als 22 Tage betragen. 
Nach dieser Berechnung würde also eine Inkubationszeit von 15 
bis höchstens 21 Tagen herauskommen. Priefer hat bei der 
Saarbrücker Epidemie eine solche von 13 bis 17 Tagen berechnet. 

Ueber die Krankheitserscheinungen vermag ich de¬ 
taillierte genaue Angaben nicht beizubringen, da ich die Kranken 
weder behandelt, noch regelmässig gesehen habe. Einzelne Kranke 
sah ich allerdings mehrmals; ebenso habe ich wiederholt mit 
den behandelnden Aerzten die Krankheitserscheinungen besprochen. 
Ich habe den Eindruck gewonnen, dass der Paratyphus weit 
leichter und kürzer verläuft, als der Typhus abdominalis. Das 
Fieber war meist leicht und kurz, selten über 38,5°; es zeigte 
Bichts Typisches und dauerte selten länger als 14 Tage, meistens 
weniger. In einzelnen Fällen bestand die Krankheit überhaupt 
bot in 2 — 3tägigem fieberhaften Unwohlsein; die Krankheits- 
erscheinungen waren hier so geringfügig, dass der Arzt nur ein- 
bis zweimal konsultiert wurde. Roseola und MilzvergrösBerungen 
fdilten meistens oder sind wenigstens von den Aerzten nicht fest¬ 
gestellt. Die Zunge war nur wenig belegt und nicht trocken. 
Diarrhöen fanden sich mitunter im Anfänge, bisweilen auch Er¬ 
brechen. Während der eigentlichen Krankheit herrschte meistens 
Verstopfung. Allgemein wurde über grosse Müdigkeit und 
Schmerzen im Kopf und Bücken geklagt, im Anfang besonders 
fber Halsschmerzen. Im allgemeinen glichen die Krankheits¬ 
erscheinungen mehr denen bei Influenza als bei Typhus. Be¬ 
zeichnend ist ja auch, dass aus der ganzen Epidemie nur vier 
Fälle, und zwar gerade die schwersten, als Typhus zur Anzeige 
gebracht wurden, wiewohl gerade die dortigen Aerzte durchaus 
sicht Typhuställe durch Nichtanzeige zu vertuschen pflegen. 
Ueber */, aller Paratyphusfälle waren klinisch als Typhus nicht 



236 


Dr. Lembke. 


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Eine Paratyphusopidemie im Kreise Kreuznach. 


237 


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Paratyphusepidemie im Kreise Kreuznach. 






§ 1 
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Wohnung 


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Stand 

(bei 

Kindern der 
Eltern) 


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Be¬ 

merkungen 

a) Zahl der 
Zimmer: Z, 

b) Zahl der Kr- 
w&ehftenen: K. 

c) Zahl der 
Kinder: K. 

Wochen (W.) 
Tage (T.) 


18. 

21 ). 

3 Kr. 

4 Hm. 


5,L. 

6H&. 
T (>i. 

i 

8 Ja. 
ÖFu. 

10 Fa. 

11 Bin. 


A. Paratyphuskranke in Sobernheim. 
48 Ziegelei Pf. 1 Zicgelei&rbeiter I 


42 Hintergasse 22 
20 Neugassc 87 
18 Ober- 
viertelsg. 370 


Gerberciarbciter 
Dienstmädchen 
Hausknecht im 
Hotel 

(am Markt) 


28 Priorhofstr. C 53| Bahnarbeiters¬ 
frau 


39 Neugasse A 69 

12 Alter Weg C 82 

21 Ziegelei Ma. 

5 1 /* Monzinger 
Chaußee 

24 Mittlere Groß 
gasse C 24 
38 Alter Weg G 94! 


Koloni&lwaren- 
bändlcr 
Fabrikarbeiter 
(Papierfabrik) 
i Ziegeleiarbeitcr 
1 Ackerer und 
Schuhmacher 
Ackerer 

Schirmmacher 


12 Schl. 45 Herrengasse C82 

13 Z. 2 l /e| Fröschengasse 

B. Paratyphusv 
32 Igelsbach A 37 

12 Igelsbacb 

13 j Igelsbach 
30 |UntcreGroßgasse 

Hüttenbergstr. 
®; D 108 
Monzinger 
-51 Chaußee 

dSjl Neugasse 100 

Gymnasialstr. 
B 111 

Neugosse 100 

C. Paratyp 
48 Argenschwang 

41 


ISt. 

2 Hz. 

3 Hz. ; 

4 E. 

3 Nie. 

6 Fu. i 

7 W. i 
ST. 
9Su. 
lOSchr. 
11 Br. 


1 S. 
28. 
38. 


.21 

jo • 

oo 


Weinhändler 
Dienstknecht 

erdächtige K 
j Pfarrer 
;j Kaufmann 

Arbeiter 
Schuhmacher 

Arbeiter 


Arbeiter 


huskranke in 


dessen Ehefrau 


4 8. 


29. 

VIII. 

10. X. 

6 W. 

10.1X. 

15. X. 

4 W. 

13.IX. 

20.IX. 

4 W. 

17.IX. 

22. X. 

4 W. 

18.IX. 

16.X. 

5 W. 

21.IX. 

17. X. 

4 W. 

23.IX. 

13.X. 

3 W. 

27.1X. 

6. X. 

4 W. 

29.IX. 

8. X 

6 W. 

1. X. 

17. X. 

3 W. 

2. X. 

17.X. 

3 W. 

8. X. 

17. X. 

3 W. 

15. X. 

l.XI. 

3 W. 

ranke in S obern 

12./8. 


10 T. 

23.IX. 


4 W. 

20.IX. 


12 T. 

15.IX. 


8 T. 

29.IX. 


8 T. 

8. X. 


8 T. 

10. X. 


8 T. 

23.X. 


14 T. 

16. X. 


8 T. 

19.IX. 


14 T. 

Argenschwang. 

29. 18. 

10. X. 

6 W. 

5. X. 

10. X. 

4 W. 

20. X. 

26. X. 

3 W. 

27. X. 

mir ver¬ 
däch¬ 
tig 

3 T. 


2Z.,2E.,5K., 
benutzt 1Z. 

2Z.,4E.,2K. 

5 Z., 4 E., 1 K. 

1 Z.,3E.,2 K., 
krank ge¬ 
legen beim 
Bruder 

5Z.,4E.,5K., 
benutzt nur 
1Z. 

9 Z., 4 E. 

4Z.,4E.,3K., 
benutzt nur 
1 Z. 

2 Z., 5 E. 

7Z.,5E.,3K., 

benutzt 2 Z. 

5 Z., 5 E., 1K. 

4Z.,4E.,6K., 
benutzt nur 
1Z. 

5Z.,2E.,2K. 

1Z.,2E.,2K. 

heim. 
Blutunter¬ 
suchungen 
fanden 
nicht statt 


Blutunter¬ 

suchungen 

fielen 

negativ aus 


identisch mit 
S. Nr. 1. 
Blutprobe am 
10. X. nega¬ 
tiv, am 26. X. 
positiv 
Blutunter¬ 
suchung 
negativ 


I 







238 


Dr. Lembke. 


zu erkennen. Ein Patient (der zuerst erkrankte S.) starb; er 
war ein schwächlicher Arbeiter, der in sehr ärmlichen Verhält¬ 
nissen lebte und nach Ausbruch der ersten Krankheitserscheinungen 
„sein leichtes Unwohlsein“ benutzt hatte, eine 14 tägige Gefängnis¬ 
strafe zu verbüssen, um sich „dort zu erholen“. Während der 
Haft gelang es ihm, sein Kranksein zu verheimlichen. Gleich 
nach seiner Entlassung musste er sich zu Bett legen und starb 
am 13. Oktober 1904, also 46 Tage nach Ausbruch der Krankheit, 
unter Darmblutungen. Ich möchte diesen Todesfall weniger dem 
Paratyphus zur Last legen, als den Entbehrungen, schlechter 
Pflege und allgemeiner Körperschwäche. 

Bei dieser Paratyphusepidemie interessiert vor allen Dingen 
die Frage ihres Ursprungs. Bekanntlich nimmt man an, dass der 
Paratyphus infolge Genusses infizierten Fleisches entstehen kann; 
die Paratyphusepidemie spielt sich dann zunächst unter dem Bilde 
einer Fleischvergiftung ab (s. Trautmann’s „Höchstakute Er¬ 
scheinungsform dieser Infektionshrankheit“); es entwickelt sich 
hierauf „die subakute Erscheinungsform der Krankheit“, und ihre 
weitere Verbreitung kann gerade so wie bei Typhus abdominalis 
erfolgen, durch Kontakt, durch Wasserversorgungsanlagen, Milch 
usw. und auf diese Weise auch Verschleppung in andere Orte statt¬ 
finden. Trautmann sagt: „Kot und Harn der kranken Tiere oder 
typhuskranker Menschen kann so gut ins Trinkwasser gelangen 
wie Typhusstuhl. Auch alle anderen Infektionswege gelten hier wie 
für Typhus.“ Dass es sich bei unserer Epidemie um keine Fleisch¬ 
vergiftung gehandelt hat, liegt auf der Hand. Schon die zeitliche 
Aufeinanderfolge der einzelnen Fälle spricht dagegen. Bei einer 
Fleischvergiftung hätten wir gleichzeitig eine Gruppe von Para¬ 
typhuserkrankungen in einer Familie haben müssen. Nichts von 
alledem. Ueberdies wurde auch durch Nachfragen festgestellt, dass 
gerade die ersten Kranken teilweise überhaupt kein Rindfleisch, — 
und dieses soll ja vor allem der Träger der Paratyphusbazillen sein, — 
gegessen oder Fleisch von verschiedenen Metzgern geholt hatten. 
Insbesondere wurde auch festgestellt, dass in den Familien der 
zuerst Erkrankten weiter keine Erkrankungsfälle aufgetreten 
waren. Ueberdies war nach den Angaben des dortigen Tierarztes, 
der auch die Fleischbeschau in Sobernheim ausübt, irgendwie 
verdächtiges Vieh in der fraglichen Zeit nicht geschlachtet. 

Notgedrungen musste man somit Einschleppung des Para¬ 
typhus in den Kreis annehmen. Dafür gaben auch die weiteren 
Nachforschungen gewisse Anhaltspunkte: In den zum benachbarten 
Kreis Meisenheim gehörenden und von Sobernheim 8—12—14 km 
entfernten Orten Meisenheim, Raumbach, Desloch, Bärweiler waren 
namentlich in den Monaten Juli und August 1904 mehrere Fälle 
von Paratyphus vorgekommen, so dass der Gedanke naheliegt, 
dass von dort aus der Paratyphus nach Sobernheim eingeschleppt 
ist, zumal in den anderen Nachbarkreisen Paratyphus bisher nicht 
aufgetreten war. Dafür spricht auch der Umstand, dass der zu¬ 
erst erkrankte Ziegelarbeiter im Juli und August mit zwei Ar¬ 
beitern aus Lauschied, */* Stunde von den eben erwähnten Orten 



Eine Paratypkusepidemie im Kreise Kreuznach. 


239 


des Kreises Meisenheim entfernt, die täglich von dort nach Sobern- 
heim kommen, zusammengearbeitet hatte, und einer dieser Arbeiter 
von einem der Sobernheimer Aerzte mehrere Tage lang Ende 
August an einem „fieberhaften Darmkatarrh“ behandelt worden 
war. Ob auf diese Weise wirklich der Paratyphus nach Sobern- 
heim verschleppt ist, hat sich allerdings durch die weiteren Nach¬ 
forschungen nicht erweisen lassen; unwahrscheinlich wird sie 
sogar, wenn der Pfarrer St., der nach Angabe des behandelnden 
Arztes bereits Mitte August die klinischen Erscheinungen des 
Paratyphus bot, wirklich Paratyphus gehabt hat. Immerhin kann 
aber auch aus dem Kreise Meisenheim auf andere Weise als durch 
die Ziegeleiarbeiter der Infektionsstoff nach Sobernheim geschleppt 
sein; jedenfalls muss eine Einschleppung von auswärts angenommen 
werden. 

Wie hat sich nun der Gang der Weiterverbreitung in 
Sobernheim gestaltet, nachdem einmal der Krankheitsstoff dorthin 
gelangt war? Dass nicht eine gleichzeitige gemeinsame Infek¬ 
tion der Mehrzahl oder auch nur einer Gruppe von Personen 
durch Nahrungsmittel stattgefunden hat, ist vorher schon bemerkt 
worden; dagegen spricht nicht nur das Nacheinandei auftreten der 
einzelnen Fälle, sondern auch der Umstand, dass die einzelnen 
Kranken gar keine gemeinsamen Bezugsquellen von Nahrungs¬ 
mitteln gehabt haben. Sobernheim besitzt zwar eine Zentralwasser¬ 
leitung, aber zufälligerweise war von den vier zuerst erkrankten 
Personen nur eine Haushaltung der Leitung angeschlossen; von 
den übrigen hatte jede einen besonderen Brunnen benutzt. Ebenso 
waren für alle anderen in Betracht kommenden Nahrungsmittel die 
Bezugsquellen verschieden. Berechtigt erscheint dagegen die An¬ 
nahme einer Kontaktinfektion, dazu würde auch das Nacheinander¬ 
auftreten der Fälle passen. Die Uebertragungen in Argenschwang 
müssen überhaupt als solche aufgefasst werden; denn hier sind 
die Frau und zwei Töchter (eine nur verdächtig) des zuerst er¬ 
krankten Ziegeleiarbeiters S. nacheinander erkrankt. Aber auch 
für einzelne Fälle in Sobernheim liess sich ein Verkehr der ein¬ 
zelnen erkrankten Personen direkt untereinander oder durch 
Mittelspersonen nachweisen. So hat z. B. der Hausbursche in 
einem Hotel (Fall 4) täglich das Mittagessen für die Söhne des 
Besitzers nach der Ziegelei hinausgetragen und hierbei mit dem 
Ziegeleiarbeiter J. (Fall 8) verkehrt; der erstere erkrankte am 
17. Septbr., der andere am 27. Septbr. Die Angehörigen der Kranken 
Nr. 7 und 9 arbeiteten zusammen in derselben Fabrik und in dem¬ 
selben Zimmer. Eine weitere Anzahl von Kranken hatte wieder 
Verbindung durch die Schule. Im allgemeinen ist aber der Verkehr 
der einzelnen Kranken untereinander doch ein zu geringer ge¬ 
wesen, als dass dadurch überall die Infektion erklärt werden könnte, 
zumal es anderseits doch auffallen muss, dass gerade die nächste 
Umgebung des Kranken von der Ansteckung verschont geblieben 
ist. Wenn man unbefangenen Auges die Verhältnisse betrachtet, muss 
man sich vielmehr unwillkürlich die Frage vorlegen: „Ist denn 
dieKrankheit überhaupt von Person zu Person direkt über- 



240 


Dr. Lembke. 


tragbar?“ Bei allen Kranken herrschten die denkbar ungünstigsten 
sanitären Verhältnisse. Enge Wobnräume, unsaubere Zimmer, als 
Abort häufig einfache Erdlöcher, die ihren Inhalt ttber den ganzen 
Hof ergossen. Dabei war fast nirgends von irgend welcher Isolie¬ 
rung oder Desinfektion der Abgänge die Rede, da ja bei den meisten 
der Erkrankten während der Erkrankung an Ansteckungsmöglich¬ 
keit überhaupt nicht gedacht worden war; denn die meisten Fälle 
wurden erst festgestellt, nachdem die Krankheit beendet war. 
Einer der Kranken, Hm., (Nr. 4) hatte z. B. während der ganzen 
Krankheit, fast 4 Wochen, mit seinem älteren Bruder in einem 
Bette geschlafen. Diese Familie, eine Arbeiterfamilie, bestand 
aus drei Erwachsenen und zwei Kindern und hatte nur einen 
Raum, der als Wohn-, Schlafzimmer und Küche, und jetzt auch 
noch als Krankenzimmer diente. In einer anderen Familie (Nr. 5) 
wohnten vier Erwachsene und fünf Kinder in demselben Raum, 
in dem überdies noch gekocht wurde; die Kinder hatten ab¬ 
wechselnd bei der kranken Mutter vier Wochen lang im Bett 
gelegen. Eine Ackerersfrau, die ihren kranken Sohn wochenlang 
gepflegt hatte, hatte gleichzeitig auch den Milchverkauf besorgt; 
von den sämtlichen Milchkunden erkrankte nicht einer. Aehnlich 
lagen die Verhältnisse bei den anderen Kranken. Uebertragungen 
auf andere Familienmitglieder oder Hausgenossen oder Nachbarn 
sind nicht vorgekommen. (In einem anderen Orte des Kreises 
habe ich später noch beobachten können, dass eine Paratyphus¬ 
kranke, bis sie bettlägerig krank wurde, die sog. kalte Küche 
der Bahnhofs-Restauration besorgt hatte; von nachfolgenden In¬ 
fektionen ist mir nichts bekannt geworden.) Ich möchte hier auch 
hinweisen auf die gleiche Beobachtung, die Stabsarzt Priefer 
bei der Saarbrücker Epidemie gemacht hat. Hier wurden vom 
II. Bataillon des Infanterie-Regiments Nr. 70 80 Personen be¬ 
fallen. Der zuerst erkrankte Musketier, von dem die Epidemie 
ihren Ausgang nahm, infizierte keinen Mann von seinen Stuben¬ 
kameraden und auch sonst keinen, mit dem er umzugehen pflegte. 
Jedenfalls lässt die Beobachtung aus der Sobernheimer Epidemie 
den Schluss zu, dass die Gefahr der Uebertragung von Person zu 
Person nicht sehr gross sein kann; mag nun Mangel an Empfäng¬ 
lichkeit, an Disposition, oder leichtes Zugrundegehen der Infektions¬ 
keime die Ursache sein. Ebenso wird die eigenartige Verbreitung 
im Ort nicht erklärt durch infizierte Wasserleitung, infizierte 
Milch, infiziertes Fleisch usw. 

Bei weiterem Fahnden nach gemeinsamem Träger und Ver¬ 
breiter des Infektionsstoffes stiess ich auf die eigenartige Durch¬ 
spülung der Strassengossen durch einen kleinen Bach: 

Dieser Bach kommt, wie aus dem bei ge fügten Stadtplan ersichtlich ist, 
in südlicher Richtung auf Sobcrnheim zugeflossen, gabelt sich etwas unterhalb 
der Pf. sehen Ziegelei (Fall 1) in der Weise, daß die größere Wassermenge 
um Sobernheim herumzieht und den früheren alten Stadtgraben speist, während 
ein kleiner Teil durch die Stadt geleitet ist, der an der höchsten im Norden 
gelegenen Stelle in die alte Stadt eintritt und sich hier an der Ecke der 
Herrengasse und des Obemertelweges teilt, um von hier aus in zwei Armen — 
einmal durch Oberviertelweg, Wilhelmstraße, Großgasse nach dem Obertor zu und 
durch die Neugasse, das andere mal durch die Herrengasse und Froschgasse 



Eine Par&typhnsepidemie im Kreise Kreuznach. 


241 


nach dem Markt zu und dnrch die Igelsbachgasse nach dem Stadtgraben zu — 
die Stadt zu durchziehen. Eine weitere Abzweigung umzieht das Häuserviertel 
an der Herrengasse, um an der Froschgasse wieder in den Hauptkanal zu 
münden. Vom Marktplatz aus zweigt sich ein Strang ab, um durch die Pfaffen¬ 
gasse zum Stadtgraben zu gehen. In der mittleren Großgasse verbindet ein 

Arm beide Hauptstränge. Dieses Bachwasser läuft aber nicht in einem be¬ 

sonderen Bett, sondern benutzt die offenen flachen Straßengossen, die durchaus 
nicht besonders vertieft sind. Oberhalb der Stadt, am Hauptbach, ist eine 
Stauvorrichtung, mittels derer man beliebig viel Wasser durch die Stadtgossen 
schicken kann. Ist wenig Wasser im Bach, so sind diese Straßengossen ganz 

trocken, bei Begenwasser führen sie reichlich Wasser. Allwöchentlich wird 

aber wenigstens einmal durch Aufstauung des Baches Wasser durch die 
Straßengossen geschickt; die Vorrichtung dient dazu, die Straßengossen zu 
durchspfllen und zu reinigen. Leider hat nun diese an und für sich ganz 
zweckmäßige Einrichtung dazu geführt, daß man die offenen Straßengossen 
auch dazu benutzt hat, sämtliche Hauswässer, Küchenabwässer, Schmutzwässer 
von den Höfen oberirdisch durch sie abzuleiten. Auch alle Nebenstraßen senden 
ihr mit den Hausabwässern beladenes Straßenwasser in jene Straßengossen. Da 
nun aber, namentlich in den kleinen Seitengassen, das Gefäll nur sehr gering 
ist, zum Teil sogar die Gossen der Pflasterung entbehren und an vielen Tagen 
kein Bachwasser durch die Straßen geht, so stagnieren hier oft und lange 
große Schmutzlachen, Jauche und Küchenabfälle. Bei stärkerem Zufluß des 
oben erwähnten Baches, insbesondere nach Bcgcnwetter, werden dann von Zeit 
zu Zeit diese Schmutzstoffe von den oberen Teilen der Stadt durch die Straßen 
des Ortes in den Stadtgraben gespült. Wie groß die Menge der durch die 
Stadtgossen gespülten Schmutzstoffe ist, läßt sich am besten daran erkennen, 
daß in dem Stadtgraben unterhalb der Stadt dieser einen Schlamm von 1 m Höhe 
abgesetzt hat. Daß bei dieser Einrichtung einmal auch Infektionsstoffe durch 
alle Straßengossen geschwemmt und durch den ganzen Ort verbreitet werden 
können, liegt auf der Hand. Auch ist es sehr wohl möglich, daß einmal in 
dem stagnierenden Schmutzwasser der Straßengossen Infektionskeime längere 
Zeit erhalten bleiben. 

Für die in Rede stehende Par&typhns- Epidemie ist es non 
ron Bedeutung, dass der zuerst erkrankte Arbeiter S. auf der 
Ziegelei in der Nähe dieses Baches oberhalb Sobernheims ge¬ 
arbeitet hat, und die anderen Arbeiter dieser Ziegelei, welche 
möglicherweise den Paratyphus nach Sobernheim geschleppt haben, 
grade täglich bei ihrem Wege zur Arbeitsstätte am Bach und 
einem Seitengraben desselben entlang gegangen sind und vielleicht 
auch dort ihre Notdurft in den Wassergraben hinein verrichtet 
haben. Von hier aus können dann infektiöse Stuhlgänge in die 
Strassengossen gelangt sein und sich in der Stadt verteilt haben. 
Weiterhin hat eine der zuerst erkrankten Personen (Fall 4) vom 
17. September ab, also vom Anbeginn der Epidemie ab, vier 
Wochen lang in der Oberviertelsgasse bei seinem Bruder krank 
gelegen; gerade von diesem Hause gehen aber die Hauswässer 
anf die ungepflasterte Strassengosse, und vermutlich sind auch 
meistens die Stuhlgänge dieses Kranken in die Strassengosse un- 
desinfiziert gegossen worden, so dass wahrscheinlich von hier aus 
von Zeit zu Zeit infektiöse Stuhlgänge durch die offenen Strassen¬ 
gossen der Stadt gespült sind. Die Möglichkeit, ja sogar eine 
grosse Wahrscheinlichkeit spricht dafür, dass hierdurch die Para¬ 
typhuskeime sich in der ganzen Stadt verbreiten konnten und 
durch die Stiefel der in die Gossen tretenden Personen in die 
Wohnungen geschleppt worden sind. Fast alle Personen, die er¬ 
krankt sind, sind solche, die gewohnt sind, sich selbst und für 



242 


Dr. Nickel. 


andere das Schuhzeug zu putzen. — Hausdiener im Hotel, Haus¬ 
mädchen, Ziegelei-, Gerbereiarbeiter, Ackerer —; es liegt somit 
nahe, dass sie auch mal mit schmutzigen und auf diese Weise 
infizierten Fingern gegessen und sich infiziert haben. Durch diese 
Annahme würde dreierlei erklärt: einmal das Nacheinanderaultreten 
der Krankheitsfälle und die eigenartige Verteilung in der Stadt und 
der Umstand, dass im ganzen doch nur wenig Personen erkrankten. 

Auffallen muss es, dass, trotzdem der Infektionsstoff in der 
ganzen Stadt verbreitet war, die Epidemie nicht mehr Er¬ 
krankungen verursacht hat und dass es nirgends zu einer Massen¬ 
erkrankung durch Wasser, Milch etc. gekommen ist, wozu doch 
reichlich Gelegenheit war, zumal doch während der ganzen Wochen 
fast nirgends Isolierung der Kranken und Desinfektion der Ab¬ 
gänge vorgenommen worden ist und in fast allen Typhushäusern 
die für die Verbreitung denkbar günstigsten Verhältnisse herrschten. 

Die beiden Kranken, deren Meldung am 20. September und 
6. Oktober einging, wurden sofort in das dortige Krankenhaus 
überführt und ihre Wohnung desinfiziert. Eine eigentliche Be¬ 
kämpfung der Epidemie setzte erst ein, als der dritte und vierte 
Fall zur Kenntnis kam, nämlich am 10. Oktober. Damals aber 
waren fast alle Kranken bereits genesen oder doch schon Rekon¬ 
valeszenten. Es wurden ihre Wohnungen sofort durch Scheuer¬ 
und Formalindesinfektion und ebenso auch die Aborte mit Kalk¬ 
milch desinfiziert. Ferner wurde angeordnet, dass sämtliche 
Schulaborte und alle öffentlichen Aborte und Pissoirs, auch die 
aller Gastwirtschaften zweimal wöchentlich mit Kalkmilch des¬ 
infiziert wurden. Nach jener Zeit trat nur noch eine Erkrankung 
am 15. Oktober ein; die Epidemie hatte somit ihr Ende schneU 
erreicht. Mehrere tüchtige Regentage haben vermutlich auch den 
Infektionsstoff aus den Gossen der Strassen hinausgespült. 


lieber die Meldepflicht von Kindbettfieber nach dem neuen 

Hebammenlehrbuch. 

Von Kreisarzt Dr. Nickel • Perleberg. 

Das neue Hebammenlehrbuch macht im Gegensatz zu dem 
bisherigen die Meldepflicht der Hebammen bei Kindbettfieber von 
der Beurteilung des Krankheitsfalles durch den behandelnden Arzt 
abhängig. Welche Konsequenzen diese Vorschrift nach sich ziehen 
kann, dafür bin ich jetzt schon in der Lage, ein leider sehr trauriges 
Beispiel anzuführen. 

ln der Stadt A. wurde die Hebamme B. am 28. Dezember 1904 zu der 
Frau C., einer 28jährigen Zweitgebärenden gerufen, um den nötigen Beistand 
bei der Entbindung zu leisten. Diese ging ohne Kunsthilfe von statten; die 
Frau fühlte sich jedoch schon bei der Entbindung nicht wohl. Der hinzu¬ 
gezogene Arzt Dr. D. hielt die Krankheit bei der herrschenden Influenzaepidemie 
für Grippe, ließ aber in der Annahme, daß die Fiebersteigerung vielleicht 
durch zurückgebliebene Blutgerinnsel verursacht sein konnte, durch die Heb¬ 
amme Scheidenausspülungen machen. Nach Angabe der Frau C. selbst war 
der Ausfluß auch übelriechend. Die Wöchnerin erholte sich sehr langsam. 

Am 31. Dezember 1904 wurde die Frau E. (32 Jahre alt, Zweitgebärende) 
von derselben Hebamme entbunden. Auch diese Frau erkrankte am dritten 
Tage unter Fiebererscheiuungen und Schmerzen in der rechten Bauchseite. 



Heber die Meldepflicht von Kindbettfieber nach d. neuen Hebammenlehrbuch. 243 

Das Fieber stieg bis auf 40°, ließ aber nach einigen Tagen wieder nach. 
Aerztlieh wurde dieser Fall von Dr. F. als Influenza angesprochen. Die Frau 
£. wurde wieder gesund. 

Am 3. Januar 1905 leistete nun die Hebamme B. der in der Nachbar¬ 
schaft der Frau C. wohnenden Frau G. Hilfe bei ihrer sechsten Entbindung. 
Diese verlief leicht, und das Befinden der Wöchnerin war in den ersten drei 
Tagen des Wochenbettes normal. Am 6. Januar früh Schüttelfrost, Ziehen in 
den Gliedern und besonders im Leib, Temperatur früh 40, abends 39,4. Die 
Hebamme drang nun am Abend auf die Zuziehung eines Arztes. Dr. F. erklärte 
bei dem Mangel an nachweisbaren objektiven Veränderungen die Krankheit 
für Influenza und gestattete der Hebamme die weitere Wochenbesuchc. Das 
Fieber schwankte in den nächsten Tagen zwischen 3S,7 und 39,6; das Befinden 
der Wöchnerin verschlechterte sich von Tag zu Tag. Am 12. Januar wurde 
noch ein zweiter Arzt Dr. H. zugezogen; mit den Ratschlägen beider Aorzte 
war jedoch der Ehemann nicht zufrieden, und übertrug am 13. Januar die Be¬ 
handlung seiner Frau dem Dr. J. Dieser erstattete sogleich Anzeige von dem 
Krankheitsfall und verbot der Hebamme die weiteren Wochenbesuche. Bei der 
Besichtigung am selben Tage war Fieber 40,3, starke Somnolenz, beschleunigter 
Atem, Puls schnell und weich, Leib stark aufgetrieben, jedoch nicht prall ge¬ 
spannt, Ausfluß stinkend. Am 14. Januar 1905 Exitus. 

Dieselbe Hebamme Frau B. hat endlich am 7. Januar die Frau K. 
(30jährige Erstgebärende) entbunden. Auch diese Entbindung verlief normal, 
and das Befinden der Wöchnerin war zunächst ein gutes. Am 10. Januar 
jedoch traten Fieber und Kopfschmerzen ein, die Temperatur war früh 40, 
Abends 39,6. Brüste waren 6tark angcschwollen, Ausfluß nicht übelriechend, 
Leib nicht empfindlich, äußere Genitalien nicht angeschwollen. Am 11. Januar 
früh 39,4, abends 39,3. Der hinzugezogene Arzt Dr. F. erklärte auch diesen 
Krankheitsfall zunächst für Influenza. Erst am 16. Januar wurde derselbe als 
Puerperalfieber gemeldet. Bei der Besichtigung am 17. Januar Puls 130—140, 
Respiration 48. Delirien. Leib aufgetrieben, in der rechten Seite schmerz¬ 
empfindlich. Ausfluß wenig übelriechend. Aeußcre Genitalien nicht angc¬ 
schwollen. Am 19. Januar Exitus. 

Wenn man nun aueü in den beiden ersten Fällen annehmen 
wollte, dass es sich nicht um eine puerperale Erkrankung, sondern 
um Influenza gehandelt habe, so sind doch die beiden zuletzt ge¬ 
nannten unzweifelhaft als Kindbettfieber anzusprechen. 

< k Nach der in hiesiger Provinz unter dem lt. Dezember 1879 
erlassenen Ob er präsidial Verordnung ist die Hebamme verpflichtet, 
jeden Fall von Kindbettfieber und jeden den Verdacht des Kindbett¬ 
fiebers erregenden Krankheitsfall unverzüglich dem Kreisarzt schrift¬ 
lich oder mündlich anzuzeigen. Von dieser Verpflichtung glaubte 
sich die betreffende Hebamme nach dem Wortlaut des neuen Lehr¬ 
buchs befreit nnd hatte deswegen die beiden ersten Krankheits- 
f&lle berhaupt nicht und den dritten erst nach Zuziehung des 
Dr. J. angezeigt. Ich selbst teilte die Ansicht der Hebamme, unter¬ 
breitete jedoch die Angelegenheit dem Herrn Regierungspräsidenten. 
Nach dessen Bescheidung wird die Gültigkeit der Polizeiverord- 
nuug von dem Hebammenlehrbuch nicht berührt und bleibt nach 
wie vor in Kraft. 

Welche Gesichtspunkte für die Fassung des § 481 des 
Hebammenlehrbuchs massgebend gewesen sind, entzieht sich 
meiner Kenntnis. Dem Arzt wird dadurch eine grössere Verant¬ 
wortlichkeit in sanitätspolizeilicher Beziehung aufgebürdet, ohne 
dass er irgendwie darauf aufmerksam gemacht wird. Auch der 
Entwurf zur Bekämpfung ansteckender Krankheiten sieht eine 
Anzeigepflicht bei den verdächtigen Fällen vor; warum also diese 
ganz abweichende Bestimmung im neuen Hebammenlehrbuch? 



244 


W. Rettig 


Nach Lage der mitgeteilten Fälle möchte ich den Fall G. 
als die Ursprungsqaelle der puerperalen Erkrankungen ansehen; 
von ihm aus sind die Fälle E., G-. und K. infiziert. Selbst wenn 
man die Fälle C. und E. als Influenzaerkrankungen ausschalten 
wollte, dann würden immer noch die beiden Erkrankungen Gr. und 
K. übrig bleiben. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen diesen 
beiden Kindbettfieber ist nach meiner Ansicht ganz zweifellos. Die 
Erkrankung K. hätte sich vermeiden lassen, wenn der Fall ö. 
sogleich, d. h. am 6. Januar zur Meldung gebracht wäre; denn in 
keinem Falle würde der Hebamme gestattet worden sein, schon 
am 7. Januar Entbindungen zu machen. 

Die Hebamme hatte bei allen vier Frauen die zur Verhütung 
des Kindbettfiebers gegebenen Vorschriften dem Wortlaute nach 
erfüllt. Sie hatte jedoch in allen Fällen Scheidenausspülungen 
auf eigene Faust gemacht und wurde deswegen im Aufsichtswege 
bestraft. Für ein gerichtliches Einschreiten lag keine Handhabe 
vor. Mit Rücksicht auf die bevorstehende Verhandlung der vor¬ 
stehenden Frage auf der Hauptversammlung der Preussischen 
Medizinalbeamten möchte ich hier weitere Erörterungen unter¬ 
lassen; für dringend notwendig erachte ich jedoch die Abände¬ 
rungen der obigen Bestimmungen des Lehrbuches über die Melde¬ 
pflicht der Wochenbetterkrankungen. Nicht nur jedes ausge¬ 
sprochene Kindbettfieber, sondern jede fieberhafte Erkrankung im 
Wochenbett, bei der die Möglichkeit der Uebertragbarkeit auf 
andere vorliegt, muss m. E. die Hebamme unverzüglich melden. 
Nur so lässt sich eine Weiterverbreitung infektiöser Wochenbett¬ 
erkrankungen mit einiger Sicherheit verhüten. 


Zur Schulbankfrage. 

Erwiderung auf den Schn eiderschcn Artikel. 

Von Oberbaurat a. D. W. Rettig - München. 

In der Nr. 22 vom vorigen Jahrgang dieser Zeitschrift ist 
ein Aufsatz „Zur Schulbankfrage“ von Kreisarzt Dr. Schneider, 
ständigem Hilfsarbeiter der Königlichen Regierung in Arnsberg, 
erschienen, auf welchen, wenn auch sehr verspätet, meine Auf¬ 
merksamkeit gelenkt wurde. 

Da aber der Herr Verfasser im Rahmen seiner Ausführungen 
ungerechtfertigte Bemängelungen meiner „Rettigbank“ erhebt, so 
sehe ich mich genötigt, diese abzuwehren, und zwar um so mehr, 
als sie von einem Kreisarzt und ständigen Hilfsarbeiter einer 
Königlichen Regierung ausgehend, in einem Organ für Medizinal¬ 
beamte erschienen und solcherweise wohl imstande sind, in ärzt¬ 
lichen, besonders aber in schulärztlichen Kreisen, das Urteil zu 
verwirren. Erwähnen will ich noch, dass Herr Dr. Schneider 
seitens der Schulbank-Firma P. Joh’s Müller & Co. in Charlotten¬ 
burg, als Inhaberin meines Patentrechtes, in einer Zuschrift 
darüber aufgeklärt wurde, dass sich die Rettigbank, wie 
schon aus den Preisverzeichnissen und Katalogen 



Zur Schulb&nkfrage. 


245 


ersichtlich ist, in jeder gewünschten Abmessung her¬ 
steilen lässt, dass man sie mit aufklappbarer, um¬ 
klappbarer oder verschiebbarer Tischplatte und mit 
beweglichem Sitz ausftthren kann, in einzelnen Fällen 
auf Wunsch der Besteller auch ausgeführt hat, und 
ersucht worden ist, auf Grund dieser Aufklärung eine Berichtigung 
seiner irrtümlichen Angriffe zu bringen, dass Herr Dr. Schneider 
aber diese Berichtigung zu bringen, sich nicht veranlasst sah, 
und es in seiner Erwiderung der genannten Firma anheimstellte, 
selbst zu berichtigen. 

An deren Stelle habe ich nun die Berichtigung im folgenden 
selbst übernommen: 

Herr Dr. Schneider schrieb: „Das wirklich Neue, das die 
Bettigbank brachte, ist bekanntlich allein die Umlegevorrichtung. 
Zweisitzige Bänke gab es schon vor der Rettigbank, ebenso bieten 
ihre bekanntlich im Laufe der Jahre teilweise geänderten Ab¬ 
messungen nichts Eigenartiges.“ Hierauf habe ich nur zu er¬ 
widern, dass ich mir keineswegs anmasse, die „zweisitzige Bank“ 
erfunden zn haben. Ich habe aber diejenige zweisitzige 
Bank erfunden, welche brauchbarer ist, als die vor¬ 
dem bekannte, was der hunderttausendfache Ersatz 
der letzteren durch die „Rettigbank“ beweist. Die 
Umlegbarkeit an und für sich allein ist nicht die Er¬ 
findung, auf welche ich in erster Linie stolz bin. Erst 
der Umstand, dass die Umlegbarkeit die Gestaltung 
der Schulbank unabhängig macht von der Rücksicht 
auf die unumgänglich notwendige Schulsaalreinigung, 
so dass sie ausschliesslich nach Massgabe der Rück- 
sichtauf die schulische Benutzung selbst hergestellt 
werden kann, erst dieser Umstand ist es, durch 
welchen meine Erfindung bahnbrechend geworden 
ist. Ueber Abmessungen, Anbringen eines Fuss- 
rostes, verkürzten Sitz, feste oder bewegliche Teile 
habe ich zwar meine sichere persönliche Meinung, 
welche ich seinerzeit in meiner im Jahre 1895 er¬ 
schienenen Druckschrift „Neue Schulbank“ dargelegt 
habe und auch heute noch in allen wesentlichen 
Punkten aufrecht erhalte; aber gerade das habe ich 
stets als einen Vorzug meines Systems angesehen, 
dass jede Schulbehörde meine Bänke nach ihren 
eigenen Ueberzeugungen ausführen lassen kann, so¬ 
weit Einzelheiten in Frage kommen. 

Ich ergreife die Gelegenheit, dies einmal all den missver¬ 
ständlichen Angriffen gegenüber, welche auch in viel gelesenen 
Bichern allen den ihren Herren Verfassern wiederholt zugegangenen 
Aufklärungen zum Trotz immer noch ein zähes Leben führen, deut¬ 
lieh zu erklären. 

Ich habe mich niemals mit dem naiven Gedanken getragen 
„Eigenartiges der Abmessungen“ erfinden zu wollen. Die Ab¬ 
messungen der Schulbänke hängen bekanntlich von dem Ergebnisse 



246 


W. Bettig. 


der Schalkinder-Messungen ab; ich hatte mich deshalb, wie schon 
meine oben genannte Abhandlung auf S. 33—34 besagt, mit jenen 
hauptsächlich an die Daten von Dr. med. Spiess-Frankfurt ge¬ 
halten, dessen umfangreiche Arbeiten auf dem Gebiete der 
Messungen und der aus diesen zu ziehenden Lehren auch heute 
noch in Fachkreisen als mustergültig angesehen werden. Dass 
aber Herr Dr. Schneider konstatiert, die von mir seinerzeit 
angegebenen Abmessungen meiner Schulbank seien „im Laufe der 
Jahre teilweise geändert“ worden, ist mir nur sehr angenehm, 
weil damit erwiesen wird, dass mein System kein Hindernis für 
eine freie Ausgestaltung der Einzelheiten in sich birgt. Seite 44, 
Punkt 36 heisst es in meiner Schritt: „Die neue Bank kann 
unbeschadet ihrer Eigentümlichkeiten in jeder be¬ 
liebigen Abmessung hergestellt werden.“ 

Man sollte doch meinen, das wäre nicht misszuverstehen. 
Wenn also der Herr Kreisarzt Dr. Schneider in seinem Bezirke 
genügende Schulkinder*Messungen vorgenommen hat, um die Bank¬ 
abmessungen den lokalen Verhältnissen vollkommener anpassen 
zu können, als ihm dies nach den in jedem Jahre neu erscheinenden 
und im Einverständnis mit mir neu bearbeiteten Katalogen der 
Firma P. Joh’s. Müller & Co. angegebenen Abmessungen er¬ 
reichbar erscheint, so steht diesem Verlangen absolut gar nichts 
im Wege. 

Herr Dr. Schneider sagt ferner: „Als einer ihrer Haupt¬ 
vorzüge wird das Fehlen der beweglichen Teile gerühmt,“ und 
fügt hinzu, „namentlich für den Verwaltungsbeamten und Archi¬ 
tekten hat die Einfachheit der Rettigbank etwas Bestechendes.“ 
Da Herr Dr. Schneider im Anschluss hieran gleich selbst „die 
ganzen Unannehmlichkeiten der beweglichen Teile, wie störende 
Geräusche, Versagen des Mechanismus, Unhaltbarkeit, häufige 
Reparaturen, teure Preise, Verletzungen der Kinder usw.“ angibt, 
so kann ich es mir ersparen, dieses „usw.“ durch Ausführung 
weiterer Gründe für die Unzulässigkeit beweglicher Bankteile aus- 
znfüllen, denn die aufgezählten genügen und sind bekannt genug. 
Schrieb doch Herr Geh. Sanitätsrat Dr. Spiess-Frankfurt schon 
im Jahre 1885 in der Deutschen Vierteljahrsschrift für öffentliche 
Gesundheitspflege, Bd. 17, Heft 2: „Ich neige immer mehr 
dazu, bei zweisitzigen Subsellien auf jede Beweg- 
lichmachung der Bank zu verzichten, und die Schüler, 
wenn sie aufstehen wollen, aus der Bank austreten 
zu lassen.“ 

Die „Einfachheit“ ist bei jeglichen Dingen ein Haupterfor¬ 
dernis, in ganz besonders hohem Grade aber bei der Schulbank, 
die einem steten rigorosen Gebrauch unterworfen ist und zugleich 
vieljährige Dauerhaftigkeit besitzen muss. Die Einfachheit eines 
Systems wird stets bestechend wirken, nicht nur durch ihren 
äusserlich gefälligen Eindruck, wie Herr Dr. Schneider offenbar 
meint, sondern infolge der mit Einfachheit stets verbundenen 
Dauerhaftigkeit und somit Billigkeit in erster Linie auf diejenigen, 
welche pflichtgemäss das sachlich und zugleich wirtschaftlich 



Zur Schalbankfrage. 247 

Brauchbarste für die ihnen obliegende Verwaltung herauszu¬ 
finden haben. 

Herr Dr. Schneider gesteht zu, „dass man die Reini¬ 
gung eines Schulzimmers leichter vornehmen kann, 
wenn man nach Rettigs Vorgang die Schulbänke seit¬ 
lich umlegt.* Statt der seitlichen Umlegung empfiehlt er aber 
nun Einrichtungen, bei denen man die Reinigung „minder leicht* 
vornehmen kann, wie die Aufklappung von Tischplatte und Sitz¬ 
brett, wobei die Hantierung in dem entstehenden engen Raum 
des Subsells bekanntlich sehr unbequem ist, — oder gar drei 
hintereinander stehende Bänke zusammenzukuppeln und diese Bank¬ 
gruppe nach hinten oder vorne umzulegen!! 

Bezüglich der Anwendung von staubbindenden Oelen, die Herr 
Dr. Schneider auch als Ersatz für die Umlegung empfiehlt, ist 
Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Wernicke, Direktor des Hygienischen 
Instituts in Posen (Versuche über Dustles-Oel und seine Ver¬ 
wendung in Schulen. „Gesundheit“, 1902, Nr. 22) für deren Ein¬ 
führung nur „in solchen Schulen, in welchen wegen mangelnder 
Mittel die Verbesserung des Fussbodens, die Beschaffung umleg¬ 
barer Bänke und täglich feuchte Reinigung zurzeit noch nicht 
möglich ist*. Die Anwendung staubbindender Oele ist eben nichts 
weiter als ein Aushilfsmittel in Fällen, in welchen man sich eben 
nach Lage gegebener Verhältnisse nicht anders helfen kann. Ich 
stelle übrigens fest, dass Herr Dr. Schneider alle diese Vor¬ 
schlägemacht, ohne dass er auch nur den Versuch macht, 
nachzuweisen, dass das seitliche Umlegen irgend 
welche Nachteile mit sich bringt. 

Ein weiterer Punkt: Nach der Bemängelung des seitlichen 
Heraustretens bei der Rettigbank erklärt H. Dr. Schneider, 
dieses „würde jedoch für mich nicht ausschlaggebend sein*, sondern 
der „gewichtigere Nachteil“ ist „der unveränderliche Leh¬ 
nenabstand*. Bezüglich des seitlichen Heraustretens verweise 
ich im besonderen, um zunächst nur die Urteile von Aerzten 
dem Urteile Dr. Schneiders gegenüberzustellen, auf den bereits 
erwähnten Ausspruch von Geh. Rat Dr. Spiess und die Abhand¬ 
lungen von Dr. med. Desing, Prof. Dr. med. Gr eff und Dr. med. 
Moses, dann aber auch vor allem auf den nachstehend erwähnten 
Erlass des Königl. preuss. Unterrichtsministeriums vom 
Jahre 18 88. Da aber Herr Dr. Schneider am Schluss seiner 
Angriffe gegen die Rettigbank selber sagt: „Was hier von der 
Rettigbank gesagt ist, das trifft natürlich bei allen 
Bänken zu, die einen nnveränderlichen Lehnenabstand 
haben*, so richten sich die Dr. Scheider sehen Bemängelungen 
eigentlich gegen das feste System mit unveränderlichem 
Lehnenabstand, und es ist demnach ganz ungerechtfertigt, 
dabei gerade auf die Rettigbank loszuschlagen, und so den Schein 
zu erwecken, die erhobenen Beschuldigungen träfen einzig und 
allein die Rettigbank, von der Herr Dr. Schneider doch vorher 
sagte, das „wirklich Neue* sei „nnr ihre Umlegevorrich¬ 
tung“. 



248 


ür. Schneider. 


W&snnn aber überhaupt den unveränderlichen Lehnen- 
abatand anbelangt, den Herr Dr. Schneider als so „gewichtigen 
Nachteil“ bezeichnet und die verschiebbare Tischplatte zur Er¬ 
zeugung des veränderlichen Lehnenabstandes empfiehlt, so gestatte 
ich mir, ihn auf den Erlass des Königlich preussischen 
Unterrichtsministeriums vom 11. April 1888 zu ver¬ 
weisen, welcher, gestützt auf das eingeholte Gutachten der König¬ 
lich preussischen Wissenschaftlichen Deputation für das Medizinal¬ 
wesen (der obersten Sanitätsbehörde des Landes) 
ausdrücklich besagt, dass für die Veränderung des 
Lehnenabstandes bei mehrsitzigen Bänken wegen des 
Aufstehens nicht die Tischplatte beweglich gemacht 
werden soll. Jener Ministerialerlass besagt aber auch, dass 
bei zweisitzigem Gestühle „Bänke mit unveränder¬ 
licher Null- oder besser Minusdistanz (d. i. also mit 
unveränderlichem Lehneuabstand) anzuwenden sind, 
weil die Schüler alsdann beim Aufstehen in die 
Zwischengänge heraustreten können“. Der Vorwurf 
Dr. Schneiders wegen des unveränderlichen Lehnen¬ 
abstandes hat sich demnach nicht gegen die Rettigbank, sondern 
gegen obigen Ministerialerlass, welcher heute noch Geltung 
hat, zu richten. 


Entgegnung auf den Artikel zur Schulbankfrage 
von Oberbaurat a. D. W. Rettig. 

Von Kreisarzt Dr. Sehneider, ständigem Hilfsarbeiter der Königl. Regierung 

in Breslau. 

In meinem Aufsatz zur Schulbankfrage in Nr. 22 des vorigen 
Jahrganges dieser Zeitschrift habe ich wie viele andere Schul¬ 
bänke auch die Rettigbank einer sachlichen Kritik zu unterziehen 
mich bemüht. 

Wenn ich dem Ersuchen der Schulbank-Firma P. Joh. 
Müller & Co. in Charlottenbnrg, um eine von mir ausgehende 
Berichtigung zu diesem Aufsatz nicht entsprochen habe, so liegt 
dies einmal daran, weil ich es für selbstverständlich halte, dass 
eine Fabrik auf Verlangen der Besteller beliebige Aenderungen 
an ihren gangbaren Fabrikaten anbringt, anderseits hatte mir 
die Firma eine Berichtigung in dieser Zeitschrift mit folgendem 
Schlusssatz vorgeschlagen : „Unter diesen Voraussetzungen^;wird 
meine Behauptung hinfällig, wonach ich nicht mit denen überein¬ 
stimme, welche die Rettigbank für die beste Schulbank erklären.“ 
Zu einer solchen Berichtigung lag aber für mich gar keine Ver¬ 
anlassung vor! — Ich erkenne die Vorzüge der Rettigbank und 
die Verdienste des Herrn Rettig gern an, ohne gerade diese 
Bank, wie der Erfinder es tut, liir bahnbrechend zu halten. 
Aber ich glaube, dass man in irgend einer Frage nicht weiter 
kommt — und abgeschlossen ist die Schulbankfrage noch lange 
nicht •— wenn man überall nur die Lichtseiten sieht und die 
Schattenseiten übersieht oder nicht sehen will. Schattenseiten 



Entgegnung &. den Artikel zur Schalbankfrage von Oberbaarat a. D. W. Rettig 249 


hat jedoch, wenigstens meiner Meinung nach — andere mögen 
anders darüber denken — auch die Rettigbank! 

Ihre Umlegevorrichtung hat zwar den Vorteil, dass 
man mehr Platz für die Reinigung frei bekommt, ganz frei von 
Nachteilen ist sie aber auch nicht. So bleibt die Stelle, wo die 
EUenschiene fest in den Boden gelassen ist, der gründlichen 
Reinigung für gewöhnlich unzugänglich und dient gerade zur 
Aufspeicherung von Schmutz, der unter Umständen Krankheits¬ 
erreger enthält. Ferner erfordert das Umlegen und Wieder- 
znrücklegen der Bänke eine gewisse Zeit, weshalb die Gefahr 
besteht, dass die reinigenden Personen, wenn die Zeit drängt, 
das Umlegen unterlassen und nur neben den Bänken reinigen, ein 
Umstand, der in der Praxis keineswegs ganz gleichgültig ist. 
Anderseits kann man auch durch die andern von mir erwähnten 
Hilfemittel, wie Fehlen der Bankstollen, Aufklappbarkeit der 
Tische usw. eine gute und gründliche Zimmerreinigung ermög¬ 
lichen. Dies zu erreichen, ist aber m. E. nicht überflüssig, weil 
es z. B. für ärmere Gemeinden sehr darauf ankommt, dass sie 
nicht ohne zwingenden Grund genötigt werden, für ein Patent ihr 
Geld auszugeben. 

Herr Rettig schreibt ferner gelegentlich seiner Bemerkungen 
über das Umlegen mit zwei Ausrufungszeichen, dass ich sogar 
drei hintereinander stehende Bänke zusammenzukoppeln und diese 
Bankgruppe nach hinten oder vorn umzulegen empfehle. Aus dem 
Zusammenhänge gerissen, erscheint dies natürlich als ein sehr 
törichter Vorschlag. Im Zusammenhänge bezieht es sich aber nur 
auf einsitzige Bänke, an denen man, wie es z. B. Schäfer in 
Elberfeld getan hat, sehr gut zwei oder drei zu einem Ganzen 
vereinigen kann. Ich habe nun nur gesagt, wenn man bei diesen 
einsitzigen Bänken das Bedürfnis fühlt, sie umzulegen, — ob man 
es fühlt, ist, wie ich jetzt hinzufüge, eine andere Sache — so 
kann das Umlegen nach vorn oder hinten geschehen. Dass dies 
technisch möglich ist, und dass zwei oder drei hintereinander 
befindliche, zu einem Ganzen vereinigte Sitze mehr Platz für die 
Reinigung beim Umlegen nach vorn oder hinten, als dem nach der 
Seite frei lassen, kann wohl nicht ernstlich in Abrede gestellt 
werden. 

Was die Einfachheit anbetrifft, so ist sie gewiss an sich 
etwas sehr Erstrebenswertes, aber leider steht sie in diesem Falle 
im Widerspruch mit einer wichtigen gesundheitlichen Forderung, 
die erst in neuester Zeit mehr in den Vordergrund getreten ist, 
nämlich mit der des veränderlichen Lehnenabstandes. Die 
Erfüllung dieser Forderung halte ich wenigstens für wichtiger als 
die Einfachheit. Die Schreibhaltung mit Anlehnen der Lenden¬ 
gegend und Gradehalten des Oberkörpers erfordert eben, wie man 
sich durch den Augenschein überzeugen kann, einen geringeren 
Lehnenabstand als die Ruhehaltung, wenn man bei dieser dem 
Schüler ausser der Möglichkeit sich zurückzulehnen, auch einen 
gewissen Bewegungsspielraum gönnen will. Die Rettigbank Modell 
1903, das nunmehr abgeschlossene Ergebnis einer achtjährigen 



250 Dritte Beratung des preuß. Abgeordnetenbaases über den Gesetzentwarf 


Arbeit, wie es in der letzten mir zugänglichen Preisliste heisst, 
hat diesen veränderlichen Lehnenabstand nicht. Dass auch andere 
Bänke ihn nicht haben, habe ich in meinem Aufsatz so ausdrück¬ 
lich gesagt, dass ich nicht verstehe, wieso ich den Schein er¬ 
wecken soll, als ob ich dies einzig und allein bei der Rettigb&uk 
als einen Nachteil ansehe. 

Im übrigen muss ich es dem sachverständigen Urteil der 
Leser dieses Blattes überlassen, ob und inwieweit sie meine Aus¬ 
führungen über die Rettigbank für irrtümlich, ungerechtfertigt 
und Verwirrung stiftend ansehen. 

Wenn schliesslich Herr Rettig andeutet, dass ich mich 
einer Verletzung meiner Pflichten als preussischer Beamter da¬ 
durch schuldig gemacht habe, dass ich an der von ihm erfundenen 
Schulbank den unvermeidlichen Lehnenabstand als ein Nachteil 
bezeichnet habe, so muss ich mich darüber, da Herr Rettig des¬ 
wegen auch, wie ich von dem Herausgeber dieser Zeitschrift er¬ 
fahren habe, eine Beschwerde über mich bei dem Herrn Minister 
eingereicht hat, selbstverständlich an dieser Stelle jeder weiteren 
Bemerkung enthalten, weil die Entscheidung über einen solchen 
Vorwurf lediglich meiner Vorgesetzten Behörde zusteht. 


Dritte Beratung des preussischen Abgeordnetenhauses 
über den Gesetzentwurf, betr. Massregein zur Bekämpfung 
ansteckender Krankheiten. 

Vom Herausgeber. 

Die am 1. d. Mts. nach der Generaldiskussion abgebrochene 
dritte Beratung des Abgeordnetenhauses über den vorstehenden 
Gesetzentwurf 1 ) ist am 7. und 8. April fortgesetzt und hat zu der 
mit grosser Mehrheit erfolgten Annahme des Gesetz¬ 
entwurfes geführt. Das gehäufte epidemische Auftreten der 
Kopfgenickstarre nicht nur in Oberschlesien, sondern in den ver¬ 
schiedensten Teilen der Monarchie, 2 ) sowie der Umstand, dass 
gerade diese Erankheit zu denjenigen gehört, zu deren Be¬ 
kämpfung zurzeit im Geltungsbezirke des Regulativs vom 8. August 
1835 die erforderliche gesetzliche Handhabe fehlt, auch 
nicht auf dem Wege der Polizei Verordnung geschaffen werden 
kann, hat jedenfalls nicht unwesentlich dazu beigetragen, dass 
dieses für die öffentliche Gesundheitspflege so notwendige und 
wichtige Gesetz, der Schlussstein der preussischen Medizinalreform, 
endlich zur Verabschiedung gelangt ist. Anderseits sind auch 
manche früher von seiten der Abgeordneten geäusserten Bedenken 
fallen gelassen, soweit sie nicht in der dritten Beratung noch 
durch eine entsprechende Aenderung des Entwurfs Berücksichti¬ 
gung gefunden haben; vor allem ist aber in bezug auf die bisher 


*) Siche Bericht darüber in Nr. 4 dieser Zeitschrift, S. 97 u. flg. 

*) Betreffs der Verhandlungen des preußischen Abgeordnetenhauses über 
das Auftreten der Kopfgenickst&rre in Oberschlesien s. Tagesnachrichten. 



betreffend Maßregeln zur Bekämpfung ansteckender Krankheiten. 251 

hauptsächlich strittige Kostenfrage durch weiteres Entgegen¬ 
kommen seitens der Königlichen Sta&tsregierung eine für alle 
Parteien annehmbare Lösung gefunden worden. 

Vom gesundheitlichen Standpunkte aus kann die Annahme 
des Gesetzentwurfes nur mit grosser Freude begrüsst werden! 
Wenn er auch nicht allen Wünschen und Forderungen in dieser 
Hinsicht Bechnung trägt, so bietet er doch im grossen und ganzen 
eine recht gute und brauchbare gesetzliche Grundlage, um die 
Bekämpfung der übertragbaren Krankheiten mit Erfolg auf¬ 
nehmen zu können, und bedeutet, wie wir dies bereits wiederholt 
betont haben, einen ausserordentlichen Fortschritt auf diesem Ge¬ 
biete. Auch die bei der dritten Beratung gegenüber dem Er¬ 
gebnis der zweiten Beratung (s. Nr. 3 der Zeitschrift, S. 71) vor- 
genommenen Abänderungen können dieses Gesamturteil nicht 
beeinflussen, denn die hierdurch herbeigeführte Einschränkung der 
Anzeigepflicht bei Tuberkulose (§ 1, Abs. 3) und Sy¬ 
philis (§ 2, Abs. 3), sowie die etwas mehr eingeschränkte Be¬ 
fugnis des beamteten Arztes in bezug auf den Zutritt 
za den in ärztlicher Behandlung befindlichen Kranken, können 
nicht ins Gewicht fallen gegenüber der wesentlich günstigeren 
Regelung der Kostenfrage (§§ 25—31). Auch § 33 hat inso¬ 
fern eine Verbesserung erfahren, als eine Bestrafung unterlassener 
Anzeige nicht bei „wissentlicher“, sondern bei „schuldhafter“ 
Unterlassung eintritt. 

Die dritte Beratung selbst brachte keine wesentlich neuen 
Gesichtspunte; der nachstehende Bericht beschränkt sich daher 
ansschliesslich auf diejenigen Verhandlungen, die zu den vorher 
erwähnten Abänderungen fühlten, indem er gleichzeitig den Wort¬ 
laut der betreffenden Bestimmungen in der beschlossenen Fassung 
wiedergibt: 

Abg. Schmeding (Berichterstatter), gibt eine ausführliche und sach¬ 
gemäße Schilderung der .Rechtslage, wenn das vorliegende Gesetz nicht zu¬ 
stande kommt und beantwortet im Anschluß hieran auch die Frage, wer dann 
die Kosten für die Bekämpfung der ansteckenden Krankheiten zu tragen hat. 
Er kommt hierbei zn dem Schlußergebnis, daß die gesetzlichen Bestimmungen 
zweifellos nicht ausreichend seien und anderseits der Gesetzentwurf keine Be¬ 
schwerung, sondern im Gegenteil eine große Erleichterung der Gemeinden mit 
Rücksicht auf die Kosten bedeute. 

Kultusminister Dr. Studt hebt ebenfalls hervor, daß die Staatsregierung 
hinsichtlich der Kostenfrage den Gemeinden außerordentlich weit entgegen 
gekommen sei, und demzufolge die Vorteile des Gesetzes nur auf seiten der 
Gemeinden lägen. Das Gesetz stelle außerdem die Befugnis der Medizinal¬ 
beamten genau fest, so daß die von mancher Seite gehegte Befürchtung gegen 
den Debereifcr dieser Beamten unbegründet sei. 

Geh. Ober-Med.-Rat Prof. Dr. Kirchner betont die Notwendigkeit der 
im § 1, Abs. 3 vorgesehenen Anzeigepflicht bei Erkrankung an 
Tuberkulose; denn nicht weniger als jährlich 70000 Personen werden 
durch diese Krankheit in Preußen dahingerafft. Jeder Tuberkulöse sei eine 
Gefahr für seine Umgebung. Er bittet deshalb ebenso wie der Abg. Münater- 
berg (freis. Vereinig.) diese Anzeigepflicht bcizubebalten. 

Abg. v. Savigny (Zentrum) beantragt die Anzeigepflicht bei Tuber¬ 
kulose-Erkrankungen zu streichen, da dadurch die Familien schwer belästigt 
würden. Die Ansteckungsgefahr bei der Tuberkulose werde bedeutend über¬ 
schätzt Auch der Abg. Winckler (kons.) schließt sich dieser Ansicht an, 
während sich Geh. Ober-Med.-Rat Prof. Dr. Kirchner nochmals gegen den 



252 Dritte Beratung des preuß. Abgeordnetenhauses über den Gesetzentwurf 


Antrag unter Hinweis auf die große Ansteckungsgefahr der Tuberkulose aus¬ 
spricht und hierbei von dem Abg. Dr. Rügen berg (Zentrum) unterstützt wird. 

Der Antrag v. Savigny wird hierauf angenommen; demzufolge hat 
9 1, Abs. 3 folgenden Wortlaut erhalten: 

„Anzeigepflichtig in Gemäßheit der Bestimmung des Abs. 1 ist auch jeder 
Todesfall an Lungen- und Kehlkopftuberkulose.“ 

Bei § 2 des Gesetzes, betreffend die zur Anzeige verpflichteten Personen, 
wurde auf Antrag und nach kurzer Begründung seitens des Abg. Münster¬ 
berg (fr. Vgg.) Abs. 3, 

„wonach der Arzt bezw. jede sonstige mit der Behandlung oder Pflege be¬ 
schäftigte Person in jedem Fall, in welchem sie von Unteroffizieren und 
Mannschaften des aktiven Heeres zur Behandlung von Syphilis, Tripper 
oder Schanker zugezogen werden, verpflichtet ist, sie dem Kommando 
des betreffenden Truppenteils, bezw. dem Obermilitärarzt innerhalb 24 
Stunden nach erlangter Kenntnis anzuzeigen,“ 

G estrichen, trotz des von dem Kommissar des Kriegsministers, Generaloberarzt 
>r. Paalzow, erhobenen Widerspruchs. 

In § 6 wird entsprechend einem Anträge des Abg. v. Savigny (Zentr.) 
und in Konsequenz zu der auf dessen Antrag angenommenen Abänderung des 
§ 1, Abs. 3 der zweite Absatz: 

„Das Staatsministerium ist ermächtigt, bei der Lungen- und Kehlkopf¬ 
tuberkulose die Anzeigepflicht über den in dem § 1 dieses Gesetzes be- 
zeichneten Umfang für einzelne Teile der Monarchie vorübergehend zu 
erweitern, auch wenn die Voraussetzungen des ersten Absatzes nicht 
vorliegen“ 
gestrichen. 

Zu $ Abs. 1 wird auf Antrag des Abg. Hodler und Wallenborn 
(Zentrum) folgender Zusatz: 

„Vor dem Zutritt des beamteten Arztes ist dem behandelnden 
Arzt Gelegenheit zu dieser Erklärung zu geben. Außerdem ist bei Kind¬ 
bettfieber oder Verdacht eines solchen dem beamteten Arzte der Zutritt 
nur mit Zustimmung des Haushaltungsvorstandes gestattet“ 
angenommen, nachdem sich die Regierungskommissare Ministerialdirektor 
Dr. Förster und Geh. Ob. - Med. - Rat Prof. Dr. Kirchner, sowie die Abgg. 
Münsterberg (fr. Vgg.), Gyßling (fr. Volksp.) und Dr. Martens (natL) 
dagegen, der Antragsteller, Dr. v. Savigny (Ztr.), sowie Winkler (kons.) 
dafür ausgesprochen hatten. 

Zu § 8, Nr. 1 wird ein Antrag v. Savigny (Ztr.), wonach an Diph¬ 
therie leidende Kinder nicht gegen den Widerspruch der Eltern in ein 
Krankenhaus übergeführt werden dürfen, nach längerer Debatte, in der sich 
der Herr Kultusminister, die Abgg. Münsterberg (fr. Vgg.), Dr. 
Martens (natl.) dagegen, die Abgg. Winkler (kons.) und v. Strachwitz 
(Ztr.) dafür ausgesprochen haben, abgelehnt, und auf Antrag des Abg. 
Schmedding dieser Bestimmung folgende Fassung gegeben: 

„1. Diphtherie (Rachenbräune): Absonderung kranker Personen (§ 14, Abs. 2), 
jedoch mit der Maßgabe, daß die Ueberführung von Kindern in ein Kranken¬ 
haus oder in einen anderen geeigneten Unterkunftsraum gegen den Wider¬ 
spruch der Eltern nur angeordnet werden darf, wenn nach der Ansicht 
des beamteten Arztes oder Hausarztes eine ausreichende Absonderung in 
der Wohnung nicht sichergestellt ist, Verkehrsbeschränkungen usw.“ 

Zu § 8, Nr. 6, 7 und 10 (Rückfallfieber, Ruhr und Typhus) 
wird ein Antrag des Abg. Dr. v. Savigny, wonach ein Verbot oder eine 
Beschränkung der Ansammlung größerer Menschenmengen 
nicht zulässig sein soll „für Versammlungen zum Zwecke des öffentlichen 
Gottesdienstes und während der Wahlen“, von dem Antragsteller zurückgezogen, 
nachdem seitens des Herrn Kultusministers erklärt war, daß es nicht in der 
Absicht der Staatsregierung liege, unter Umständen auch die gewöhnlichen 
Gottesdienste zu verbieten. Ueberhaupt werde von diesem Verbote nur in 
äußersten Notfällen Gebrauch gemacht werden, dann allerdings auch bei außer- 



betr. Maßregeln zur Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten. 253 


gewöhnlichen Kirchenfesten und Messen, die denjenigen des regelmäßigen 
Gottesdienstes nicht beizurechnen sind. 

Im § il wird das Staatsministerium ermächtigt, Absperrungs- und 
Anfsichtsmaßregeln in besonderen Ausnahmefällen auch auf andere 
übertragbare Krankheiten auszudehnen, es aber gleichzeitig verpflich¬ 
tet, die betreffenden Verordnungen dem Landtage sofort, eventuell beim näch¬ 
sten Zusammentreten zur Zustimmung vorzulegen. Diese Vorschrift wird auf 
Antrag des Abg. Dr. v. Savigny auch auf die Verordnungen ausgedehnt, die 
sich auf Ausdehnung der Anzeigepflicht und Krankheitsermitte- 
lnng in solchen Fällen beziehen und demzufolge § 21, Abs. 2 wie folgt 
abgeändert: 

„Die auf Grund der vorstehenden Bestimmung und auf Grund der 
§§ 5 und 7 ergangenen Verordnungen sind dem Landtage vorzulegen.“ 

§ 12, Abs. 1 wird mit einer von dem Abg. Schmedding (Zentr.) be¬ 
antragten geringen redaktionellen Aenderung (statt der Worte „Fall einer 
gemeingefährlichen oder sonst übertragbaren Krankheit“ soll es künftig heißen: 
„Fall einer übertragbaren Krankheit“) angenommen, nachdem Min.-Direktor 
Dr. Förster erklärt hat, daß an allen Stellen der Vorlage, wo jetzt schlechthin 
Ton übertragbarer Krankheiten die Bede ist, darunter die gemeingefähr¬ 
lichen Krankheiten des Beichsgesetzes mit verstanden werden. 

Zu dem 27 und 27a (früher § 26a u. b) Aufbringung der Kosten 
für die zur Bekämpfung der übertragbaren Krankheiten er¬ 
forderlichen Schutzmaßregeln lag eine große Anzahl von Anträgen 
vor, die hauptsächlich bezweckten, auch den Gutsbezirken die gleiche 
Unterstützung seitens der Kreise und des Staates zuzuwenden, wie den Ge¬ 
meinden. Nach einer langen Debatte, an der sich außer dem H. Finanzmini¬ 
ster und dem H. Kultusminister die Abgg. v. Ditfurth (kons.), Gamp 
(freik.), Frhr. v. Zedlitz u. Neukirch (frdk.), Meyer-Diepholz (nat.-lib.), 
Winkler (kons.), Dr. v. Savigny (Zentr.) und Gyßling (freis. Volksp.) 
beteiligten, wurde § 27 mit einigen redaktionellen Aenderungen und einen 
neuen Zusatz als Abs. 5 sowie § 27 a in folgender Fassung angenommen: 

,§ 27. Uebersteigen die nach diesen Vorschriften einer Gemeinde mit 
weniger als 5000 Einwohnern zur Last fallenden Kosten in einem Etatsjahre 
5’/o des Veranlagungssolls an Staatseinkommensteuer einschließlich der fingierten 
Nonnalsteuersätze, so ist der Mehrbetrag der Gemeinde auf ihren Antrag zu 
zwei Dritteln vom Kreise zu erstatten. 

Die Erstattung findet jedoch nur dann statt, wenn entweder der Bedarf 
an direkten Gemeindesteuern einschließlich des in Geld zu veranschlagenden 
Naturaldienste mehr als das Eineinhalbfache des Veranlagungssolls an Ein¬ 
kommensteuer, Bealsteuern betrug, oder wenn diese Belastung durch die 
geforderte Leistung überschritten wird. 

Den Kreisen ist die Hälfte der in Gemäßheit der vorstehennen Vor¬ 
schriften geleisteten Ausgaben vom Staate zu erstatten. 

Streitigkeiten zwischen den Gemeinden und den Kreisen über die zu er¬ 
stattenden Beträge unterliegen der Entscheidung im Verwaltungsstreitv er¬ 
fahren. Zuständig ist in erster Instanz der Bezirksauschuß, in zweiter das 
Oberverwaltungsgericht. 

Den Gutsbezirken kann im Falle ihrer Lcistungsunfähigkeit ein 
entsprechender Teil der aufzuwendenden Kosten vom Kreise ersetzt werden. 
Dem Kreise ist die Hälfte der demgemäß zu leistenden Ausgaben vom Staate 
zu erstatten. 

§ 27 a. Steht ein Guts bezirk nicht ausschließlich im Eigentum des 
Gutsbesitzers, so ist auf dessen Antrag ein Statut zu erlassen, welches die 
Aufbringung der durch das Beichsscuchengesetz und das gegenwärtige Gesetz 
entstehenden Kosten anderweit ändert und den mit heranzuziehenden Grund¬ 
besitzern oder Einwohnern eine entsprechende Beteiligung bei der Beschlu߬ 
fassung über die Ausführung der erforderlichen Leistungen einräumt. 

Das Statut wird nach Anhörung der Beteiligten durch den Kreisaus¬ 
schuß festgestellt und muß hinsichtlich der Beitragspflicht dem Gesetz über 
die Verteilung der Kommunallasten in den ländlichen Gemeinden folgen. Das¬ 
selbe unterliegt der Bestätigung des Bezirksausschusses.“ 



254 Dritte Beratung über den Gesetzentwurf betr. Maßregeln usw. 


Betreffs der §§ 28—31 (früher §§ 27—29) Kosten für die Ein¬ 
richtungen zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten in der seuchen¬ 
freien Zeit, hatten sich die Vertreter der verschiedenen Parteien zu nach¬ 
stehender Fassung geeinigt: 

㤠28. Die Gemeinden sind verpflichtet, diejenigen Einrichtungen, welche 
zur Bekämpfung der übertragbaren Krankheiten notwendig sind, zu treffen und 
für deren ordnungsmäßige Unterhaltung zu sorgen. Die Kreise sind befugt, 
diese Einrichtungen an Stelle der Gemeinden zu treffen und zu unterhalten. 

§ 29. Die Anordnung zur Beschaffung der in § 28 bezeicbneten Ein¬ 
richtungen erläßt die Kommunalaufsiclitsbchörde. Gegen die Anordnung findet 
innerhalb zwei Wochen die Beschwerde, und zwar bei Landgemeinden an den 
Kreisausschuß, in den Hohenzollernschen Landen an den Amtsausschuß, bei 
Stadtgemeinden an den Bezirksausschuß, und in weiterer Instanz an den Pro¬ 
vinzialrat, in den Hohenzollernschen Landen an den Minister des Innern und 
der Medizinalangelegenheiten statt. Wird die Beschwerde auf die Behaup¬ 
tung mangelnder Leistungsfähigkeit zur Ausführung der Anordnung gestützt, 
so ist auch über die Höhe der von der Gemeinde zu gewährenden Leistung 
zu beschließen. Gegen die Entscheidung des Provinzialrats bezw. des Mini¬ 
sters des Innern und der Medizinalangelegenheiten steht den Parteien die Kalge 
im Verwaltungsstreitverfahren innerhalb derselben Frist beim Oberverwaltungs¬ 
gericht zu. 

§ 30. Beicht die im Beschlußverfahren festgesetzte Leistung der Ge¬ 
meinde nicht zur Ausführung der angeordneten Einrichtung aus, so trägt, so¬ 
fern die Kommunalaufsichtsbebörde ihre Anordnung aufrecht erhält, die Provinz 
die Mehrkosten. Die Hälfte derselben ist vom Staate zu erstatten. 

§ 31. Bei dringender Gefahr im Verzüge kann die Kommunalaufsichts- 
behördo die Anordnung zur Durchführung bringen, bevor das Verfahren nach 
§ 29 eingeleitet oder zum Abschluß gebracht ist. — Die Kosten der Einrichtung 
trägt in diesem Falle der Staat, sofern die Anordnung der Kommunalaufsichts¬ 
behörde aufgehoben wird. — Beicht die im Beschlußverfahren festgesetzte 
Leistung zur Deckung der Kosten nicht aus, so greift die Bestimmung des 
§ 30 Platz. 

§ 31 a. Unberührt bleibt die Verpflichtung des Staates, diejenigen Kosten 
zu tragen, welche durch landespolizeilichc Maßnahmen zur Bekämpfung über¬ 
tragbarer Krankheiten entstehen.“ 

Die Paragraphen wurden nach längerer Debatte, an die sich der H. Fi¬ 
nanzminister und der H. Kultusminister, die Abg. v. Ditfurthfkons.), Well- 
stein (Zcntr.), Sc hmedding (Zedtr.), Mey e r-Diepholz (nat.-lib.), Münster¬ 
berg (freis. Verein.) und Winkler kons.) beteiligen, mit einer in der vor¬ 
stehenden Fassung bereits berücksichtigten redaktionellen Aenderung ange¬ 
nommen, nachdem von seiten der Stantsregierung die Erklärung abgegeben 
war, daß in den betreffenden Paragraphen unter den Gemeinden auch die Guts¬ 
bezirke mit einbegriffen und diese sowohl in bezug auf Pflichten, als auf 
Beihilfen des Staates den Gemeinden gleichgestellt sind. 

Danach hat also bei leis tun gsunf ähi gen Gemeinden und 
Gutsbezirken die Provinz die Mehrkosten für sanitäreEinrich- 
tungen in der seuchefreien Zeit zu tragenundderStaat dieser 
dieHälfteder Kosten zu erstatten. Es bedeutet dies ein weiteres finan¬ 
zielles Entgegenkommen seitens des Staates, dem die Verabschiedung des Ge¬ 
setzes innerster Linie zu danken ist. 

Hinsichtlich der Strafvorschrift im § 38 (früher § 31) wurde .auf 
Antrag des Abg. Pallaske beschlossen, das Wort „wissentlich* durch 
„schuldhaft“ zu ersetzen. 

Endlich wurde der § 36 (früher 34) (Zeitpunkt des Inkraft¬ 
tretens des Gesetzes) auf Antrag der Abgg. Dr. Martens und 
Schmedding wie folgt geändert: 

„Diejenigen Vorschriften des gegenwärtigen Gesetzes, welche sich auf die 
Genickstarre beziehen, treten mit dem Tuge der Verkündigung dieses 
Gesetzes in Kraft; im übrigen wird der Zeitpunkt des Inkrafttretens durch 
Königliche Verordnung bestimmt.“ 



Kleinere Mitteilnngen and Referate ans Zeitschriften. 


255 


Die grosse Mehrheit, die das Gesetz schliesslich bei der 
Gesamtabstimmung fand, berechtigt zu der Hoffnung, dass es auch 
die Zustimmung des Herrenhauses finden wird, und die Bedenken, 
die hier bei Gelegenheit der Etatsberatung 1 ) dagegen laut ge* 
worden sind, fallen gelassen werden. Quod deus bene vertat! 


Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 

Gerichtliche Medizin and Psychiatrie. 

Thymusdrüse und plötzliche Todesfälle im Kindesalter. Von Dr. 

Zander und Dr. Keyhl in München. Jahrbuch für Kinderheilkunde; 1901, 
Bd. 10, H. 2. 

Die Verfasser führen aas der Rank eschen Klinik in München eine 
Seihe plötzlicher Todesfälle an, in denen Hypertrophie der Thymus als Todes¬ 
ursache anzusehen war. Die Schiaßfolgerungen lauten dahin, daß der Status 
iymphaticus nur insofern als direkte Todesursache in Betracht kommen kann, 
als er eine Herabsetzung der Widerstandsfähigkeit des Organismus bedingt. 
Der plötzlich eintretende Tod beim Status Iymphaticus wird durch Druck der 
vergrößerten Thymusdrüse auf die Trachea, die Gefäße und Nerven herbei- 
gefuhrt (Die AUgemeingültigkeit dieser Ansicht ist keineswegs bewiesen. Ref.) 

Dr. D o h r n - Cassel. 


Ueber eine selten kleine, am Leben gebliebene Frühgeburt. Ein 
Beitrag zur Frage nach dem Eintritt der Lebensfähigkeit. Von Dr. Ober¬ 
warth in Berlin - Charlottenburg. Jahrbuch für Kinderheilkunde; 1904, 
Bd. 10, H. 2. 

Das Kind wurde nach 26 wöchentlicher Schwangerschaft geboren, 5 Tage 
nachdem die Mutter die ersten Kindsbewegungen gespürt hatte. Man wickelte 
ö nach der Geburt in Zeitungspapier und ließ es so ohne weitere Bedeckung 
die ersten 7 Stunden seines Lebens liegen. Trotz mangelhafter Pflege gedieh 
das Kind ganz gut, bis es an einer Ohrenentzündung erkrankte. 30 Tage nach 
der Geburt warde es deshalb in die Pol iklinik gebracht, wo es 12 Wochen 
nach der Geburt an Eiterfieber starb. 

Die nach jeder Richtung hin angestellten Nachprüfungen über das Alter 
des Kindes bestätigten die Richtigkeit der Annahme, daß das Kind nicht länger 
als 26 Wochen getragen worden ist. Trotz der unzweckmäßigen Pflege hat 
es dauernd den Eindruck der Lebensfähigkeit gemacht. Verfasser führt noch 
7 weitere in der Literatur nicdergelegte Fälle an, in denen Kinder ziemlich 
weit vor dem im Bürgerlichen Gesetzbuch festgclegten Termin (181 Tage) sich 
als lebensfähig erwiesen. Dr. Dohm- Cassel. 


Uebergang der Toxine von der Matter auf die Frucht. Von Dr. 
Schmidlechner. Zeitschrift für Geburtshilfe; 1904, Bd. 52. 

Die auch in gerichtlich - medizinischer Hinsicht sehr interessanten Ex¬ 
perimente wurden von dem Verfasser mit Diphtherietoxin an Meerschweinchen 
«gestellt. Die Resultate waren folgende: 

Bei der Intoxikation des schwangeren Tieres geht ein Teil dos Toxins 
in das Blut der Frucht über und verursacht im Leben und im Organismus der 
Frucht dieselben Veränderungen wie im Organismus der Mutter. 

Der Grad der Intensität der Veränderungen hängt von der Menge des 
in die Matter gelangten Toxins ab. 

Die Veränderungen entwickeln sich in der Fracht schneller und in 
höherem Grade als in der Matter. 

Der Uebergang des Toxins von der mütterlichen Zirkulation auf die 
fötale kann nur in der Placenta vor sich gehen. 

Zum Uebergang des Toxins ist eine sehr kurze Zeit genügend. 


‘t Siehe unter Tagesnachrichten. 



256 


Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


Die überflüssige Menge des in die fötale Zirkulation gelangten Toxins 
bleibt eine Zeitlang unverändert; wenn dieses fötale Blut auf geeignete Weise 
in den Organismus eines anderen Tieres gelangt, verursacht es im Leben und 
im Organismus desselben die gleichen Veränderungen, wie im Organismus des 
vergifteten Tieres und seiner Frucht. Dr. Dohm- Cassel. 


1. Die angeblichen Gefahren und die sicheren Vorteile der künst¬ 
lichen Atmung durch Schwingen des tief scheintoten Kindes. Von B. S. 
Schnitze in Jena. Münchener mcd. Wochenschrift; 1905, Nr. 6. 

2. Beobachtungen über die Gefahren der Schultzeschen Schwingungen. 
Von Dr. G. Burckhard-Würzburg. Ibidem. 

1. Altmeister Schnitze reagiert in eingehender Weise gegen die in 
früherer und jünster Zeit seinem Verfahren, „den Schultzeschen Schwingungen,“ 
gemachten Vorwürfe. Insbesondere wendet er sich gegen die häufigste, da¬ 
durch zustande kommende Anklage, daß Sektions befunde, die das Resultat 
der in utero erworbenen Asphyxie sind, dem Schwingen zugerechnet 
werden, sei es daß die Schwingungen erfolglos waren, sei es daß nach ge¬ 
lungener Wiederbelebung das Kind nach einigen Tagen starb. 

In einem solchen Irrtum wäre auch H e n g g e *) befangen gewesen, als er 
einzelne Sektionsbefunde „geschwungener“ Kinder mitteilto. Hämatome der Leber, 
namentlich subkapsulare, trifft man nach Schnitze nicht selten an bei der 
Obduktion in der Geburt suffokatorisch gestorbener Kinder, totgeborener, bei 
denen Schwingungen doch nicht in Frage kommen, und zwar weit umfang¬ 
reichere Hämatome als die nur beinahe erbsengroße in Hengges Falle. Kon¬ 
stanter Befund bei in der Geburt gestorbenen Kindern ist ein ganz bedeutender 
Blutreichtum der voluminösen Leber; die Erklärung dafür aus der Todesart 
solcher Kinder liegt nahe. Die vorzeitigen Atembewegungen bringen die Pul¬ 
monalzirkulation in Gang und veranlassen reichlichen Blutstrom aus den 
Lungenvenen zum linken Vorhof, wodurch dem Blut der unteren Hohlvene die 
bisher freie Passage zum linken Vorhof (For. ovale) erheblich beeinträchtigt 
wird. Die Stauung befällt zunächst die Leber. Wird die Spannung der Blut¬ 
gefäße zu groß, so bersten die Kapillaren da und dort, seltener ins Parenchym, 
meist unter dem Peritonealüherzng, der in flachen oder auch hohen Blasen ab- 

S ehoben wird. Diese Befunde sind von namhaften Autoren als typisch für in der 
eburt gestorbene Kinder berichtet, noch ehe Kinder überhaupt geschwungen 
sind. Nächst den Lebervenen trifft Rückstauung des Blutes in die untere Hohlvene 
die Venen der Nebenniere, weshalb Hämatom der Nebenniere auch kein ganz 
seltener Befund bei in der Geburt erstickter und bei scheintot geborenen, 
päter gestorbenen Kindern ist; von Weber sind auch aus der Zeit, bevor 
Kinder geschwungen wurden, derlei Fälle mitgeteilt. Auch die subperito¬ 
nealen Ekcbymosen und Extravasate am Darm und Bauchfell sind bereits von 
Weber und Maschka mehrmals beobachtet worden bei erstickten Kindern. 
Da der Tod der Kinder in der Geburt fast ohne Ausnahme Erstickungstod ist, 
da scheintot geborene Kinder nur eben vor vollendeter Erstickung geboren 
werden, liegt es am nächsten, die hier in Rede stehenden kapillaren Blutaus¬ 
tritte auch bei Kindern, die wiederbelebt und erst einige Tage später ge¬ 
storben sind, als Effekte der in utero bestandenen Erstickungsnot zu deuten. 

Verfasser gibt Heng ge recht darin, daß bei nicht ausgetragenen 
Kindern leichter ein Trauma beim Schwingen sich ereignen kann und die Ab¬ 
kühlung mehr zu fürchten ist, weshalb man solche Kinder zwischen dem 
Schwingen länger im recht warmen Bade verweilen lassen muß. Bei schein¬ 
toten Kindern, denen viel an der Reife fehlt, bietet ohnehin künstliche Atmung 
mit Schwingen keine erfolgreiche Aussicht. Verfasser hat bereits früher das 
Schwingen nur für den schlaffen, den bleichen, den früher sogenannten anämi¬ 
schen Scheintod bei tief gesunkener Herzaktion empfohlen. Hat das Kind noch 
Farbe, haben die Muskeln noch Tonus, dann erholt sich das Kind entweder 
von selbst im Bad, oder Hautreize genügen, die Atmung in Gang zu bringen. 

Nachdem Verfasser noch auf die physiologische Bedeutung und Wirkling 
der verschiedenen Methoden der künstlichen Atmung (insbesondere des Luft- 


') Siehe Referat in Nr. 1, Jahrg. 1905 dieser Zeitschrift. 



Kleinere Mitteilangen and Referate aus Zeitschriften. 


257 


einbluens and des Schwingens) eingegangen ist, wendet er sich gegen die Schlu߬ 
bemerkungen Hengges and meint, bei der Bearteilung des Sektionsbefundes 
Neugeborener soll man zuerst — und mit einiger Vorkenntnis der Effekte des 
natürlichen Todes der Kinder in partu, der Erstickung, — prüfen, wie 
weit die für diese Todesart charakteristischen Befände im gegebenen Falle 
sich darbieten nnd dann erst, was etwa darüber hinaus der Erklärung bedarf, 
die Möglichkeit eines Trauma ansprechen. 

2. Burckhard, der während seiner Assistententätigkeit an der 
Würzburger Universität^-Frauenklinik zu anderen Zwecken eine Zeitlang 
regelmäßig eine genaue Sektion des Gehirns und vor allem des Rücken* 
markes aller intra und post partum gestorbenen Kinder vorgenommen hatte, 
fand bei manchen Kindern keinerlei Blutaustritte und zwar stets bei solchen 
Kindern, die intra partum abgestorben und spontan geboren waren, und bei 
denen Wiederbelebungsversuche nicht gemacht worden waren. Dagegen 
fanden sich fast regelmäßig Blutergüsse von verschiedener Größe im 
Wirbelkanal, und zwar zum Teil unter der Dura, zum Teil unter der Pia, zum 
Teil sogar in der Substanz des Rückenmarkes selbst bei denjenigen Kindern, 
die wegen Asphyxie geschwungen worden waren und bei solchen, welche nach 
ausgeführter Wendung extrahiert waren. Diese Blutungen im Rückenmarks¬ 
kanal können nach Verfasser kaum mit Sicherheit auf vergebliche Atem¬ 
bewegungen zurückgeführt werden, sondern müssen wahrscheinlich in den 
Manipulationen gesucht werden, die in dem kindlichen Körper während und 
nach der Geburt vorgenommen sind, wobei Extraktion und Schwingungen 
in Betracht kommen. Wenn man bei Extraktionen, besonders bei engem Becken 
und bei straffen Weichteilen nicht selten ganz erhebliche Kraft an wenden muß 
und wenn man bedenkt, daß der am Beckenrande ausgeübte Zug in seiner 
ganzen Stärke auf die Wirbelsäule übertragen wird, so wird das Entstehen 
Ton Gefäßzerreißungen dabei durchaus nicht unerklärlich sein. Die gleichen 
Verletzungen können bei der Ausführung der Schultz eschen Schwingungen 
und der dabei oft sehr erheblichen bezw. außergewöhnlichen Deberstreckung 
der Wirbelsäule Vorkommen. Frühgeborene Kinder werden leichter zu der¬ 
artigen Verletzungen disponiert sein als reife Kinder. 

Die bei oder nach der Geburt erfolgten Blutaustritte in die Organe der 
Brust- und Bauchhöhle können resorbiert werden und so symptomlos verlaufen 
oder aber, wenn sie in größerer Ausdehnung lebenswichtige Organe durch¬ 
setzen, zum Tode des Kindes führen. Auch die Blutungen im Rückenmarks¬ 
kanal können bei großer Ausdehnung und besonders im Bereiche der Medulla 
oblongata tötlich wirken. Aber auch kleinere Blutungen können durch Druck 
auf die Rückenmarkssubstanz die nervösen Bahnen schädigen und verschiedene 
nervöse Störungen (spastische Gliederstarre oder Littlcsche Krankheit etc.) 
bedingen. 

Zum Glück sind diese Wirkungen der Blutaustritte nicht sehr häufig; 
es dürfte daher die Forderung Hengges, die Schultzeschen Schwing¬ 
ungen nur sparsam anzuwenden und durch einfachere Methoden zu ersetzen, 
eine zu weitgehende sein, da alle anderen Methoden nicht das leisten, was die 
Schultz eschen Schwingungen bei tiefer Asphyxie leisten. Darin sei Hengge 
recht zu geben, daß man bei frühgeborenen Kindern .große Vorsicht walten 
lassen und die Te chnik der Schwingungen beherrschen müsse. 

Dr. W a i b e 1 - Kempten. 

Ueber die quantitative Bestimmung des Luftgehaltes der Lungen, 
besonders bei Neugeborenen; eine Erweiterung der Lungenschwimmprobe. 
Von Dr. Stumpf, k. Landgerichtsarzt und a. o. Professor für gerichtL Me¬ 
dizin in Würzburg. Münchener med. Wochcnschr.; 1905, Nr. 11. 

Verl hat den Eindruck, als lasse man sich im allgemeinen nicht selten 
darch die einfache Tatsache des Schwimmens der kindlichen Lunge allzu¬ 
sehr von den strengen Erwägungen über den Grad der vorhanden gewesenen 
Lebenstätigkeit und über die Ursache der Nichtentfaltung einer vollen 
Lungentätigkeit ablenken. Bei dieser Sachlage drängte sich ihm immer mehr 
die Frage auf, ob es denn nicht möglich sein sollte, den Luftgehalt der kind¬ 
lichen Langen in mehr oder weniger präziser Form zahlenmäßig festzustellen. 
Kr berichtet dann eingehend über die von ihm ersonnene Methode, ver- 



258 


Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


möge deren der Luftgch&lt von noch so kleinen and noch so großen Langen 
im Momente der Lungenöffnung sehr bequem und innerhalb weniger Minaten 
in genügend präziser Weise sich feststellen läßt dadurch, daß man einerseits 
das Lungengewicht und anderseits die Schwimmfähigkeit der Lungen (Trag¬ 
fähigkeit oder Bclastungsfähigkeit derselben im Wasser) berechnet, selbst¬ 
verständlich unter Voraussetzung der Kenntnis des Maximalluftgehaltes 
vollentfalteter Lungen der Leichen Erwachsener und Neugeborener und des 
ungefähren Verhältnisses des Lungengewich tes zur Lungentrag- 
fjähigkeit, das ungefähr 2 (g) zu 1 (ebem) beträgt. Verfasser vermutet, 
daß seine Untersuchungen in bezug auf die Feststellung gewisser gewalt¬ 
samer Todesarten beim Menschen künftig in folgender Weise eine gewisse 
Berücksichtigung verdienen werden: 

1. „Relativ hohes Lungengewicht (1500—1600 g beim Erwachsenen) bei 
relativ hohem Luftgehalt (800 ccm und darüber) spricht für Erstickungstod 
oder für einen plötzlichen Tod mehr oder weniger suffokatorischen Charakters. 

2. Wird ein ziemlich hohes Lungengewicht (etwa zwischen 1100—1400 g) 
durch die Lungentragfähigheit oder den Luftgehalt der Lungen nicht nur er¬ 
reicht, sondern noch übertroffen, so wird dieser Befund für Tod durch Er¬ 
trinken sprechen. 

3. Je mehr sich bei einem niedrigen Lungengewicht die Lungentrag¬ 
fähigkeit demselben nähert, um so wahrscheinlicher wird Verblutungstod an¬ 
genommen werden müssen. 

4. Hohes Lungengewicht bei auffällig niedrigem Luftgehalt macht vor¬ 
ausgegangene Entzündungsprozesse oder überhaupt krankhafte Veränderungen 
der Lungen sowie einen stattgehabten längeren agonalen Vorgang wahr¬ 
scheinlich.“ 

Ferner wird die Frage, ob das bei der Sektion eines Neugeborenen durch 
des Verfassers Methode etwa in den Lungen festgestellte Blutquantum als ein 
annähernd zutreffender Maßstab für die vom Kinde intra vitam tatsächlich 
entfaltete Atmungsfähigkeit angenommen werden kann, unbedenklich bejaht 
werden können. 

Zum vollen Verständnis der höchst interessanten und ausführlichen Ar¬ 
beit über die Untersuchungsmethode, ihre wissenschaftliche Qrundlage und 
Zweckmäßigkeit muß auf das Original verwiesen werden, da es im Rahmen 
eines Referates nicht möglich ist, alle die wichtigen und in Frage kommenden 
Punkte zu berühren. Dr. Waibei-Kempten. 

Der Fall Berger und die ärztliohe Sachverständigentätigkeit. Von 

Med.-Rat Dr. Leppmann. Aerztl. Sachverst.-Ztg.; 1905, Nr. 1. 

Ein 8jähriges Mädchen war von einem Zuhälter namens Berger ge¬ 
tötet und zerstückelt worden. An den Geschlechtsteilen waren die Scham¬ 
lippen, Hymen nnd Scheide durch Einwirkung einer stumpfen Gewalt bis in 
den Mastdarm hinein auseinandergerisson. Prof. Dr. Straßmann schloß aus 
dem Umstande und der Art der Beschädigung, daß dieselbe nicht durch ein 
gesteiftes Glied, sondern durch einen härteren, umfangreicheren Gegenstand, 
etwa durch ein oder mehrere Finger bewirkt war. Die Anklage lautete auf 
Mord und basierte auf einem komplizcrten Indizienbeweis; hierbei waren aus¬ 
schlaggebend die ärztlichen Sachverständigen. 

Leppmann, der kurz vor der Verhandlung noch eine Ladung erhielt, 
weil er gelegentlich eines Vortrags über die Psychologie des Mordes beiläufig 
gesagt batte, Lustverbrechen seien meist keine Tötungen mit Vorsatz und 
Ueberlegung, sondern Augenblickshandlungen, vermißte in dem Prozeß die An¬ 
tretung eines besonderen Beweises für die etwaigen Motive einer derartigen 
Tat und für die seelische Artung eines Menschen, dem man einer solchen Tat 
für fähig erachten kann. Die Ausführungen, die er al3 Sachverständiger über 
die Psychologie des sogenannten Lustmordes gemacht hat, müssen im Original 
nachgelesen werden; hier sei nur kurz erwähnt, daß nach seinen Erfahrungen 
Lusttötungen in der Regel Augenblickshandlungen sind, und daß zweitens zur 
Annahme einer Tötung aus wollüstigen Motiven nicht die gleichzeitige Annahme 
einer geistigen Verkehrtheit und Unfreiheit notwendig ist. 

Dr. T r ö g e r - Adelnau. 



Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


259 


Alkoholismus und Ehescheidung. Von Dr. F. Leppmann. Acrztl. 
Sachreret-Ztg.; 1905, Nr. 1. 

Die §§ 1565—1568 und 1569 im B. G. B., welche von der Ehescheidung 
handeln, setzen entweder ein bewußt schuldhaftes Verhalten eines Ehegatten 
als notwendig voraus, oder es handelt sich im § 1569 um Geistesstörung. Ein 
Etcgatte kann auf Ehescheidung klagen, wenn der audere Ehegatte sich des 
Ehebruchs oder einer nach den §§ 171 u. 175 des St. G. B. strafbaren Hand¬ 
lang schuldig gemacht hat, ihm nach dem Leben trachtet, ihn böswillig ver¬ 
lassen hat, durch schwere Verletzung der durch die Ehe begründeten Pflichten 
oder durch ehrloses oder unsittliches Verhalten eine so tiefe Zerrüttung des 
ehelichen Verhältnisses verschuldet hat, daß dem anderen Ehegatton die Fort¬ 
setzung der Ehe nicht mehr zugemutet werden kann. 

Nach Leppmann ist es Pflicht der Aerzte, sich darüber klar zu 
werden, ob das Gesetz hinreichend diejenigen Fälle berücksichtigt hat, in 
denen äußerlich zwar der Tatbestand der t?§ 1565—1568 gegeben erscheint, 
die Frage des Verschuldens aber wegen Geisteskrankheit des betreffenden 
Ehegatten verneint werden muß, und diese Geisteskrankheit gleichwohl nicht 
den Forderungen des § 1669 (Dauer von 3 Jahren während der Ehe, Unheil¬ 
barkeit, Aufhebung der geistigen Gemeinschaft) entspricht. Hier besteht eine 
Lücke im Gesetz. Leppmann hat sich nun die Aufgabe gestellt, die 
einschlägigen Verhältnisse auf dem für die Allgemeinheit besonders wichtigen 
Gebiete, auf dem des Alkoholismus, zu prüfen. Er kommt zu dem Urteil, daß 
der Alkoholismus als Eheschcidungsgrnnd dem Bürgerlichen Recht eingefügt 
werden muß. Der Gesetzesparagraph würde etwa folgende Fassung haben: 
.Ein Ehegatte kann auf Scheidung klagen, wenn durch Trunkfälligkeit oder 
Trunksucht des anderen Ehegatten eine so tiefe Zerrüttung des ehelichen Ver¬ 
hältnisses bewirkt ist, daß dem Ehegatten die Fortsetzung der Ehe nicht zu¬ 
gemutet werden kann.“ Dr. Troeger -Adelnau. 

Alkohol Ismus und Ehescheidung. Von Prof. Dr. F. Straßmann. 
Aerztl. Sachverst-Ztg.; 1905, Nr. 4. 

Auch Straßmann tritt dafür ein, daß die Einreihung des Alkoholismus 
als solcher unter die Ehescheidungsgründe ein dringendes Benürfnis ist. Der 
Versuch, die Ehe mit einem Trinker wegen „Mißhandlung“, oder, wenn das 
nicht angängig, wegen „Geisteskrankheit“, oder, wenn auch dies nicht angängig, 
wegen „ehrlosen nnd unsittlichen Lebenswandels“ scheiden zu lassen, gelingt 
nicht immer. In einem solchen Falle, in dem auf Grund derartig liegender 
Fälle keine Möglichkeit gegeben schien, eine unhaltbar gewordene Ehe zu 
lösen, hat das Gericht oberster Instanz einen Weg gefunden, zwar nicht die 
Ehescheidung, aber doch die Aufhebung der Ehe herbeizuführen. Es stützte 
sich dabei auf § 1333 des B. G., welcher den „Error in persona“ bei Schließung 
der Ehe zum Inhalt hat. In der krankhaften Anlage des Ehemannnes, die ihn 
dazu bestimmte, den Alkoholismus zum Opfer zu fallen, sah das Gericht eine 
solche persönliche Eigenschaft. Straßmann wurden in diesem Prozeß die 
Fragen vorgelegt, ob solcher degenerativer Zustand bei dem Beklagten vor¬ 
handen wäre und schon vor der Ehe vorhanden gewesen seL Er bejahte beide 
Fragen. Dr. T r o e g e r - Adelnau. 

Zur Abgrenzung der forensischen Alkoholparanoia. Von Dr. R a e c k e, 

Privatdozent und Oberarzt an der psychiatrischen und Nervenklinik zu Kiel. 
Sach einem Vortrage. Archiv für Psychiatrie; 39. Bd., 2. H. 

In einer eingehenden Uebersicht über die Literatur zeigt Verfasser, daß 
die chronischen Psychosen der Trinker bisher nur eine geringe Bearbeitung 
gefunden haben, und daß speziell bei der Beurteilung gewisser parauoischer 
Formen wenig Uebereinstimmung herrscht. Zu diesen Gegensätzen hat beson¬ 
ders die beliebte Auffassung des Eifersuchtswahns als ein besonderes Krank- 
heitsbild beigetragen. Nicht selten treten jedoch Wahnideen der Eifersucht 
unter dem Einfluß der akuten Alkoholwirkung auf, um nach deren Abklingen 
wieder zu verschwinden, ohne Tendenz zu einer Weiterverbreitung zu zeigen. 
Oft heilen diese Wahnideen noch nach einigen Wochen, oder es verbleiben 
nach dem Verschwinden der akuten Symptome einzelne Ideen der Eifersucht 
als „reaiduäre“ Wahnideen bestehen. Verfasser zeigt, daß man vorzüglich 



260 


Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


zwei Gruppen von Endzuständen zu unterscheiden habe, einmal den Ausgang 
in Verblödung und ferner den in fortschreitende chronische Psychose. Diese 
letztere Form findet ihre Erläuterung an fünf eingehend dargestellteu Fällen¬ 
in denen neben dem allen gemeinsamen Eifersucht* wahn Größen- und VerfoL 
gungsideen von systematischem Charakter und Halluzinationen bestehen, 
Mehrfach geht die chronische Psychose aus einer akuten unmittelbar hervor, 
stets sind Anfälle von Delirium mehrfach vorangegangen. Verfasser betont 
die absolut ungünstige Prognose dieser an sich seltenen Störungen (auf 200 
Kranke 3 Fälle) und weiterhin ihre ganz besonders große Gemeingefährlichkeit, 
die die des gewöhnlichen Alkoholisten sehr wesentlich durch oft recht über¬ 
legtes Vorgehen gegen vermeintliche Verfolger übertrifft. 

Dr. Pollitz-Münster. 

Die Versorgung der geisteskranken Verbrecher mit Bemerkungen 
über die Wirksamkeit der Gefängnisirrenabteilungen in Prenssen. Von 
Dr. Karl Heilbronner, o. Professor der Psychiatrie in Utrecht. Monatsschr. 
für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform; I, H. 5. 

Bemerkungen hierzu von Dr. San der-Graudeuz („Sprechsaal“ der 
Monatschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform; I., H. 8); Dr. 
Näcke-Hubertusburg (psychiatrisch-neurologische Wochenschrift; VI, Nr.41); 
v. Kunowski-Lebus (Ebenda; VI, Nr. 43). 

Auf Grund seiner früheren Tätigkeit an der Beobachtungsabteilung für 
geisteskranke Verbrecher am Strafgefängnisse zu Breslau und unter Benutzung 
amtlicher Zusammenstellungen über die Gefängnisirrenabteilungen Preußens 
beleuchtet Verfasser die Versorgung geisteskranker Verbrecher und macht 
positive Vorschläge zu ihrer Verbesserung. Der Satz, daß geisteskranke Ver¬ 
brecher im Strafvollzüge keinen Platz haben sollen, wird als allgemein an¬ 
erkannt vorausgesetzt. Strittig aber ist die Frage, welche Gruppen von In¬ 
dividuen unter den Begriff des „geisteskranken Verbrechers“ zu rechnen sind. 
Hierher gehören nicht nur die in der Strafhaft erkrankten Gefangenen, von 
denen die meisten eigentlich besser den Namen „verbrecherische Geisteskranke“ 
verdienten, da ihre Straftat bereits unter dem Einflüsse der Krankheit be¬ 
gangen wurde, deren Symptome aber erst in der Haft manifest wurden; es 
müssen dazu auch alle anderen verbrecherischen Geisteskranken gerechnet 
werden, solche die trotz erwiesener Täterschaft wegen Geisteskrankheit frei¬ 
gesprochen wurden und solche deren Aburteilung wegen rechtzeitiger Er¬ 
kenntnis des krankhaften Geisteszustandes nicht erfolgte. Zweifelhaft ist die 
Mitzählung derer, die wegen Geisteskrankheit freigesprochen wurden, ohne 
daß die Verhandlung Aufschluß über die Täterschaft brachte, ebenso derer, 
die von den Geschworenen als „nicht schuldig“ bezeichnet wurden ohne Be¬ 
gründung, ob wegen Geisteskrankheit oder wegen mangelnder Beweise der 
Täterschaft oder wegen fehlender Strafbarkeit der Handlung. Das gleiche gilt 
von den als sicher geisteskrank Erkannten, gegen die gar kein Verfahren ein¬ 
geleitet wurde, oder bei denen das ein geleitete unterbrochen wurde ohne Ent¬ 
scheidung über die Täterschaft. Auch über die Zeit, während welcher ein 
Kranker als „verbrecherischer Geisteskranker“ gelten soll, herrscht keine Ueber- 
einstimmung, ob bis zum Ablaufe der verhängten Strafe oder bis zur Beendi¬ 
gung der Krankheit. In Frage kommt auch die Zuzählung der vorbestraften 
Kranken. Bei der Festlegung des Begriffes „geisteskranker Verbrecher“ ist 
zu warnen vor einer Rubrizierang darnach, ob die Straftat Folge der Krankheit 
war, oder nach der Koinzidenz von Straftat mit Geisteskrankheit, da beide 
Fragen in den meisten Fällen unlösbar sind. Schon aus der Schwierigkeit der 
Begriffsbestimmung ist die Errichtung besonderer, großer Irrenanstalten für 
Verbrecher bedenklich. Tatsächlich ist es auch nur ein gewisser Typus von 
kriminellen Individuen, die Schwierigkeiten in der Versorgung bereiten. Diese 
zeichnen sich durch Ungefügigkeit und Gewalttätigkeit in der Strafanstalt aus, 
unter günstigeren Bedingungen, wie in der Lazarett- oder Irrenanstaltsbehand¬ 
lung pflegt bei ihnen eine gewisse Bessernng einzutreten, die bei Rückver¬ 
setzung in den geordneten Strafvollzug wieder verloren geht. Wenn solche 
Kranken, um dem häufigen Wechsel zwischen Straf- und Irrenanstalt, zwischen 
kurzer Freiheit und erneuter Verurteilung ein Ende zu bereiten, dauernd der 
Irrenanstalt überwiesen werden, bilden sie dort die Rädelsführer zu gemein- 



Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften. 


261 


s&men Ausbrüchen, Komplotten, Attentaten und dorgl. und machen der modernen 
freieren Irrenanstaltsbehandlung die größten Schwierigkeiten. Für diese Indi¬ 
viduen sind kleine, sehr fest gebaute Irrenabteilungen mit erheblicherer Frei- 
heits- und Bewegungsbeschränkung in Vorschlag gebracht. Hiergegen spricht 
aber der Umstand, daß erstens die Zahl solcher gefährlichen Kranken sehr 
gering ist; infolgedessen würde der Kostenaufwand durch die sich über weite 
Entfernungen erstreckenden Transporte ein verhältnismäßig sehr hoher werden. 
Zweitens würde die Möglichkeit des Komplottierens und die Gefahr für die 
Anstaltsbeamten durch die Anhäufung der gefährlichen Elemente derartig 
potenziert werden, daß so strenge Maßregeln in Anwendung kommen müßten, 
daß sie psychiatrischen Grundsätzen widersprächen, zumal eine sichere Garantie 
der Unschädlichmachung dadurch doch nicht erreicht würde. Die Erbauung 
tob großen Anstalten für alle „geisteskranken Verbrecher“ im weitesten Sinne 
ist weniger bedenklich, da die wenigen gefährlichen Kranken dann unter der 
harmlosen Mehrzahl verschwinden und der freien psychiatrischen Behandlung 
kein Hindernis bilden würden. Doch damit sind Geisteskranke zweiter Klasse 
geschaffen, wodurch manchen Kranken und deren Familien unverschuldet eine 
große Kränkung zugefügt wird. Außerdem ist es wahrscheinlich, daß auch nicht 
kriminelle, aber sehr lästige und gefährliche Kranke als „mit verbrecherischen 
Neigungen“ behaftet von den übrigen Irrenanstalten nach diesen Anstalten 
IL Klasse abgeschoben werden würden, wodurch wiederum eine bedenkliche 
Häufung gefährlicher Elemente zu befürchten wäre. Daher bleibt nur die 
Möglichkeit offen, alle geisteskranken Verbrecher in die allgemeinen Irren¬ 
anstalten aufzunehmen. Der Einwurf, daß diese Anstalten aus Sicherheits¬ 
rücksichten um der Gefährlichen willen die Bewegungsfreiheit der übrigen In¬ 
sassen entgegen den psychiatrischen Prinzipien wesentlich einschränkeu müßten, 
ist hinfällig , wenn die wenigen Gefährlichen gleichmäßig in sämtlichen An¬ 
stalten verteilt und nicht, wie es jetzt meistens geschieht, aus einem großen 
Aufnahmerayon nur einer Anstalt aufgebürdet würden. Die Statistik lehrt, 
daß dann auf jede Anstalt nur verschwindend wenig gefährliche Verbrecher 

ß öchstens 30 : 17 000) kommen, deren man mit den üblichen Einrichtungen mit 
iichtigkeit Herr bleiben könne. In der Unterbringung der irren Verbrecher 
sind zurzeit zwar gewisse schwere Mißstände vorhanden, doch gelingt deren 
Beseitigung auch ohne gesetzgeberische Umwälzungen. Die Schwierigkeit bei 
der Aufnahme in die öffentlichen Irrenanstalten besteht erstens in den oft recht 
unklaren Unterstützungs-Wohnsitzverhältnissen. Hier müßte durch Verfolgung 
aller strittigen Fälle bis zur letztinstanzlichen Entscheidung Abhilfe geschaffen 
werden. Zweitens aber halten die Provinzialverwaltungen den steigenden An¬ 
forderungen nicht durch entsprechende Vermehrung oder Vergrößerung der 
Anstalten Schritt, so daß dadurch eine Unterbringungsschwierigkeit oft ent¬ 
steht; die Abhilfe liegt auf der Hand. Zur Entlastung der Anstalten macht 
Verfasser [folgenden, bemerkenswerten Vorschlag für eine gewisse Kategorie 
von leichten geisteskranken, noch arbeitsfähigen Sträflingen, die zwar wegen 
wiederholter, aber nicht besonders gefährlicher Vergehen bestraft wurden. 
Diese Kranken sollten auch ohne Verbüßung ihrer Reststrafe aus der Irren¬ 
anstalt entlassen werden können, wenn sie sich freiwillig bestimmten Be¬ 
dingungen über ihre künftige Beschäftigung (Landwirt 1) und ihren Aufent¬ 
haltsort (Gefahren der Großstadt!) unterwerfen wollen. Die Kontrolle hierüber 
hätten Fürsorgevereine zu übernehmen, bei Mißbrauch der Entlassungs¬ 
vergünstigung droht dauernde Irrenanstaltsinternierung. Andere Sträflinge 
ähnlicher Art könnten nach Besserung ihrer Geisteskrankheit in dem Irren¬ 
adnex durch den Rest ihrer Strafzeit „durchgeschleppt“ werden, indem sie in 
der zum Adnex zugehörigen Hauptanstalt in den Strafvollzug zurückversetzt, 
in Beschäftigungs- und Behandlungsart, aber unter ständiger, psychiatrischer 
Aufsicht ihrem Geisteszustände entsprechend berücksichtigt werden. Dtroit 
bei späteren Anklagen derartig in Freiheit gesetzter, irrer Verbrecher ihre 
mangelhafte Geistesbeschaffenheit nicht aus Unkenntnis unbeachtet bleibt, ist 
folgende Bestimmung empfehlenswert: 

„In jedem Falle: 

1. der Freisprechung, resp. außer Verfolgungssetzung auf Grund § 51 Str.G.B., 

2. der vorläufigen Einstellung eines Verfahrens auf Grund § 203 Str.G.B., 

3. der geistigen Erkrankung eines Gefangenen, gleichviel ob sie in der Straf- 



262 


Kleinere Mitteilungen and Referate aus Zeitschriften. 


anstalt abgeklnngen, zur Entlassung in die Freiheit oder zur Ueberftthrung 
in eine Irrenanstalt Anlaß gegeben hat, 

4. der Ueberfährang eines Gefangenen in die Beobachtungsabteilung (nota¬ 
bene auch wenn dort keine Erkrankung, sogar eventuell ausnahmsweise 
Simulation fcstgestellt ist) 

hat ein entsprechender Eintrag in das Strafregister zu geschehen.“ 

Von größter Wichtigkeit ist es, daß frühzeitig erkannt wird, welcher 
Gefangene sich infolge seiner Geistesbeschaffenheit nicht für den Strafvollzug 
eignet und durch ihn geschädigt wird. Dies festzustellen ist die Hauptaufgabe 
der Gefängnisirrenabteilungen. Diese Adnexe erfüllen aber zurzeit noch nicht 
ihre Aufgabe; denn die Statistik ergibt, daß die Mehrzahl der geistig Er¬ 
krankten zum Teil gar nicht, zum Teil recht spät, erst wenn sie im Betriebe 
des Strafvollzugs sehr lästig fallen, eingeliefert werden. Die Gefängnisirren¬ 
anstalt soll in erster Linie den Beobachtungszweck erfüllen; nicht nur die als 
schwer geisteskrank bereits erkannten Häftlinge, sondern überhaupt alle, an 
deren Geistesgesundheit Zweifel auftauchon, sollen dorthin unverzüglich über¬ 
führt werden. Wer sich hier als unheilbar geisteskrank und dauernd straf¬ 
vollzugsunfähig erweist, kommt, je nach seiner Gefährlichkeit, sofort in die 
öffentliche Irrenpflege oder wird unter den oben genannten Kautelen entlassen. 
Die zweite Aufgabe der Gefängnisadnexe besteht in der Heilung kurz dauern¬ 
der, akuten, heilbaren Geistesstörungen, die bisher gewöhnlich in den Gefäng¬ 
nislazaretten behandelt wurden; dazu ist es aber notwendig, daß derartig 
Erkrankte sofort dem Strafvollzüge entzogen und der Irren ab teilung über¬ 
wiesen werden. Die bestehenden Gefängnisirrenabteilangen können bezüglich 
der Aufnahmezahl nach Schätzung des Verfassers recht gut das Dreifache 
leisten von dem, was sie bisher erfüllt haben. Damit die erlassenen Bestim¬ 
mungen in der geschilderten Weise auch überall richtig aasgeführt werden, 
sollte bei den ordentlichen Gefangcnanstaltsrevisionen durch die Bezirks¬ 
regierung regelmäßig eine genaue Kontrolle in den betreffenden Punkten aus¬ 
geübt werden. Falls die Aufnahmeziffer zu hoch steigen sollte, ist die 
Schaffung weiterer, kleinerer Adnexe vorwiegend als Beobachtungsstationen 
zu empfehlen; die dadurch entstehende Dezentralisation ist als erwünscht an- 
zuseben, da sie die Betriebsschwicrigkoiten erleichtert. Von hoher Bedeutung 
für die Wirksamkeit der Gefängnisirrenabteilungen ist die Besetzung der 
leitenden Arztstellen; hierzu dürfen nur tüchtig ausgebildete Psychiater aua- 
gewählt worden. Bei Neuanlagen sind stets solche Orte zu bevorzugen, an 
denen sich eine größere Irrenanstalt oder eine psychiatrische Universitätsklinik 
befindet, damit deren Aerzte nebenamtlich die Strafanstaltsadnexe ärztlich ver¬ 
sorgen können. Dadurch dürfte auch die Kenntnis von der Psychopathologie 
des Verbrechers eine wirksame Förderung erhalten. An den größeren Adnexen 
sind hauptamtliche, vollbesoldete, pensionsberechtigte Gefängnisarztstellen ein¬ 
zurichten, deren Inhaber Psychiater sein müssen. Ihnen sind zweckmäßig 
jüngere Assistenzärzte und Praktikanten zur Ausbildung in diesem Spezialfache 
beizugeben. Auch das psychiatrische Wissen der Aerzte an den gewöhnlichen 
Strafanstalten ist zu erweitern durch Kurse an größeren, psychiatrischen 
Adnexen, damit nicht durch eine mangelhafte Auswahl der dem Strafvollzüge 
zu entziehenden Kranken die getroffenen Maßnahmen illusorisch würden. 

Zu vorstehenden Ausführungen Heilbronners bemerkt Sander, der 
ärztliche Leiter des Graudenzer Strafanstaltsadnexes, daß in praxi die Um¬ 
grenzung des Begriffes „geisteskranker Verbrecher“ keine so großen Schwie¬ 
rigkeiten mache; tatsächlich kämen vorwiegend die im Stravollzuge Er¬ 
krankten in Betracht. Sander hält es für zweckmäßig, daß die Irrenadnexe 
allmählich vergrößert und in ihrer Zweckbestimmung dahin erweitert würden, 
daß die besonders gefährlichen, geisteskranken Verbrecher dort dauernd ver¬ 
pflegt werden könnten. Auch eine Anzahl geistig minderwertiger Sträflinge, 
die zurzeit noch unter großen Schwierigkeiten durch den gewöhnlichen 
Strafvollzug durchgcschleppt würden, könnten in den Adnexen bis zum Ende 
ihrer Strafzeit gehalten werden. 

Näcke stimmt Heilbronner im allgemeinen zu, namentlich bezüglich 
der Forderung nach besserer psychiatrischer Ausbildung der Gefängnisärzte. 
Auch er verwirft große Zentralirrenanstalten für Verbrecher als unnötig und 
unzweckmäßig; doch ähnlich wie Sander will er die Gefängnisirrenabtei- 



Besprechungen. 


263 


langen erweitert wissen, sie sollen nicht nnr dem Beobachtungszwecke dienen, 
sondern nach Heilanstalten sein und unheilbar geisteskranke, gefährliche Ver¬ 
brecher dauernd aufnehmen können. 

r. Kunowski greift Heilbronner an, er glaubt, daß dieser in seiner 
Statistik die Zahl der irren Verbrecher und die Schwierigkeit ihrer Verpflegung 
in den allgemeinen Irrenanstalten wesentlich unterschätzt habe; die Verteilung 
der gefährlichen, kriminellen Kranken in den öffentlichen Anstalten sei unmöglich, 
da sich ihre sichere Verwahrung nicht mit den dort üblichen, modernen, 
freien Behandlungsprinzipien vereinen ließe. Sichere Abhilfe aller Uebelstände 
kann seiner Ansicht nach nur die Errichtung großer, zentraler Anstalten für 
sämtliche geisteskranken Verbrecher bringen, die er bereits früher (psychiatrisch- 
neorol Wochenschr. V, Nr. 44) empfohlen hat. 

Referent ist infolge seiner früheren Tätigkeit an den ostpreußischen 
Provinzialanstalten zu Tapiau in der Lage, über 7 jährige Erfahrungen in einer 
kleinen, besonders festgebauten Irrenabteilung zu berichten, die zuerst 
nur zur Unterbringung gefährlicher, irrer Verbrecher bestimmt waren 1 ). 
Diese Anstalt wurde als Adnex zu der Tapiauer Korrektionsanstalt gebaut; 
bei ihrer Eröffnung (im Jahre 1898) wurde ihre Zweckbestimmung auch auf 
solche, nicht kriminelle Geisteskranke ausgedehnt, die infolge ihrer Gefährlich¬ 
keit den allgemeinen, ostpr. Irrenanstalten lästig fielen und dort bei der 
üblichen, möglichst freien Behandlungsart nur schwer zu halten waren. Hier 
sind also eine große Anzahl jener gefährlichen Elemente, die zu Revolten, 
Attentaten und Ausbrüchen neigen, vereinigt; doch die bösen Erfahrungen, die 
z. B. anfangs im Bewahrungshause zu Düren gemacht wurden, sind der 
Tapiaaer Anstalt erspart geblieben. Es ist bis auf 2 einfache Entweichungen, 
die in den ersten Monaten nach der Eröffnung wohl wegen der Ungeübtheit 
des Wartepersonals vorkamen, keine einzige wesentliche Störung des Anstalts¬ 
betriebes eingetreten; Attentate Bind zwar versucht worden, aber keines ist 
gelungen. Und doch werden die Insassen nicht wie Gefangene, sondern nach 
den üblichen Irrenanstaltsprinzipien verpflegt, allerdings unter Verwendung 
eines relativ zahlreichen Wartepersonals (auf 68 Kranke kommt 1 Oberwärter 
mit 19 Wärtern) und unter strenger Innehaltung einer festgelegten Haus¬ 
ordnung. Damit erhält die Ansicht Heilbronners, daß solche, feste Bewah¬ 
rungsabteilungen für gefährliche, irre Verbrecher nicht zu empfehlen seien, 
weil sie auch unter den möglichsten Vorsichtsmaßregeln keine Garantie für 
ihr« Zweckbestimmung und die persönliche Sicherheit der Beamten bildeten, 
durch die 7 jährige Praxis der Tapiauer Anstalt keine Bestätigung. Im Be¬ 
reiche der Provinz Ostpreußen sind nach der Eröffnung dieser kleinen Anstalt 
keinerlei Klagen über die Unterbringungsart der irren Verbrecher bemerkbar 
geworden. Durch Erbauung einer großen Irrenpflegeanstalt in Tapiau, die die 
Korrektionsanstalt ärztlich mitversorgt, ist die feste Irrenabteilung, die anfangs 
ein Adnex zur Korrektionsanstalt war, jetzt zwar nicht der örtlichen Lage 
nach, aber doch in jeder anderen Beziehung tatsächlich als Adnex zur Irren¬ 
pflegeanstalt zu betrachten. Dr. Fritz H o p p c - Allenberg. 


Aus der Praxis der vorläufigen Entlassung. Von Oberjustizat 
Schwandner. Monatsschrift für Kriminalpsychologie u. Strafrechtsreform; 
L, H. 6/7. 

Ans seiner 15jährigen Erfahrung als Leiter des Kgl. Württ. Landes¬ 
gefängnisses Schwäbisch - Hall berichtet Verfasser über die Erfahrungen, die 
bisher mit der vorläufigen Entlassung gemacht sind. Die Möglichkeit, einen 
Gefangenen bei guter Führung nach Verbüßung von 5 « seiner Strafe bedingt 
entlassen, ihn aber bei Mißbrauch dieser Vergünstigung wieder einziehen zu 
können (R.-8tr.-G.-B. §§ 23, 24), hat die erste Bresche in das alte Vergeltungs- 
strafrechtssystcm gelegt und bildet den Ucbergang zu den modernen For¬ 
derungen nach Individualisierung der Strafe mit dem Besserungszwecke. In 
Württemberg wird von dieser Maßregel recht häufig (im Gegensätze zu Preußen) 
und, wie die Statistiken des Verfassers und v. Siqharts zeigen, mit gutem 
Erfolge Gebrauch gemacht. Von 1896—1902 wurden dort in den Zentralstraf- 

*) Hoppe: Die Pflegeanstalt für geisteskranke Männer zu Tapiau, 
psychiatrisch - neurolog. Wochenschr.; VI, Nr. 11. 



264 


Tagesnachrichten. 


anstalteil 7,7°/o Zuchthaus- und 34,7 °/o Gefängnisgefangene vorläufig ent¬ 
lassen. Die Entlassung wurde in 2°/o der Fälle widerrufen; von den vorläufig 
Entlassenen blieben fernerhin straflos 82 u /o. Aus dem Zuchthause Ludwigs¬ 
burg wurden in den Jahren 1872—1904 10,9 °/o der Insassen vorläufig ent¬ 
lassen; die Widerrufung erfolgte in 2,4 °/<> der Fälle, 87°/o bewährten sich 
dauernd. Die Hauptvorzüge der vorläufigen Entlassung liegen fürs erste in 
der erzieherischen Wirkung. Es wird ein Uebergangsstadium zwischen der 
strengen Haft und der völligen Freiheit geschaffen. Die Strafvollzugsbeamten 
haben die Möglichkeit, gute Führung in der Anstalt zu belohnen und auch 
über das Strafhaus hinaus auf die Entlassenen bessernd einzuwirken. Zweitens 
werden auch den Angehörigen viel Kummer und Not durch frühere Entlassung 
gemildert und den Armenverbänden nicht unwesentliche Summen an Unter¬ 
stützungen für die Familien der Gefangenen erspart. Hauptvorbedingung der 
vorläufigen Entlassung ist die erfolgte Besserung des Gefangenen und die Un¬ 
wahrscheinlichkeit seines Rückfalles, worüber in erster Linie das Urteil des 
Strafanstaltsbeamten maßgeblich ist. Verfasser schließt mit folgenden For¬ 
derungen de lege forenda: 

,1. Auch im Strafgesetzbuche sollte nicht blos die gute Führung des 
Gefangenen als Bedingung der vorläufigen Entlassung gefordert werden; es 
sollte vielmehr im Gesetz verlangt werden, daß das Vorleben, die ganze Per¬ 
sönlichkeit des Gefangenen und die Verhältnisse, in die er nach der Entlassung 
eintritt, so beschaffen sein müssen, daß die Gefahr des Rückfalles nicht zu 
besorgen ist. 

2. Im Interesse der Rechtsgleichheit sollte bestimmt werden, daß von 
der vorläufigen Entlassung beim Vorhandensein der gesetzlichen Voraus¬ 
setzungen Gebrauch gemacht werden müsse. 

3. Die Frist, innerhalb welcher die vorläufige Entlassung zurückge¬ 
nommen werden kann, sollte für alle Fälle auf 2 Jahre ausgedehnt werden. 

4. Die vorläufige Eutlassung sollte auch auf kürzere Strafen (etwa her¬ 
unter bis auf 6 Monate) ausgedehnt werden.“ 

Dr. Fritz Hoppe-Allenberg. 


Tagesnachrichten. 

Aus Asm preussisohen Landtage. 

A. Herrenhaus. Bei Gelegenheit der Etatsberatung wurden in der Sitzung 
des Herrenhauses am 31. v. Mts. auch einzelne medizinische Fragen ange¬ 
schnitten. Graf v. Oppendorf sprach mit Rücksicht auf die jetzt in Ober¬ 
schlesien herrschende Epidemie von Kopfgonickstarre die Hoffnung aus, daß 
der dem Abgeordnetenhause vorgelegte Entwurf eines Seuchengesetzes recht 
bald zur Verabschiedung gelangen möge. Außerdem hofft er, daß sich die 
Medizinalverwaltung die Mitwirkung Robert Kochs bei der Seuchenbekämpfung 
auch nach seinem Ausscheiden aus seiner bisherigen Stellung gesichert habe. 
Endlich wünscht er, daß die Kinderheilkunde künftighin nicht mehr als Neben¬ 
zweig der inneren Medizin, sondern als ein eigenes Hauptfach der medizini¬ 
schen Wissenschaft behandelt und demzufolge auf jeder Universität eine be¬ 
sondere Professur dafür vorgesehen werde. Der Herr Kultusminister erwiderte, 
daß seitens der Medizinalverwaltung alles geschehen sei, um eine weitere Aus¬ 
breitung der Genickstarre in Oberschlesien zu verhindern; die Bekämpfung 
dieser Seuche aber nach der Lage der gegenwärtigen Gesetzgebung eine 
schwierige sei. Für Robert Koch sei ein besonderes Laboratorium in dem 
Institut für Infektionskrankheiten eingerichtet, und Fürsorge getroffen, daß die 
wertvolle Forschensarbeit dieses ausgezeichneten Gelehrten dem Staate und 
der Gesamtheit auch in Zukunft erhalten bleibe. Auch die Berechtigung be¬ 
sonderer Lehrstühle für die Kinderheilkunde wird von dem Herrn Minister 
anerkannt; an drei Universitäten seien solche bereits vorhanden, an den übrigen 
würden sie nach Maßgabe der vorhandenen Mittel eingerichtet werden. Dr. 
Frh. Lucius von Ballhausen ist der Ansicht, daß infolge der Verbindung 
verschiedener Materien das Ausführungsgesetz zum Reichsseuchengesetz bisher 
immer noch nicht zustande gekommen sei; dadurch, daß in dieses nicht bloß 
die großen Volksseuchen, sondern auch eine Menge häufig wiederkehrender 



Tagesnachrichten. 


266 


ansteckender Krankheiten einbezogen seien, werde eine große persönliche Be¬ 
lästigung für das Publikum bedingt; auch die im Gesetze vorgesehenen Au*- 
führungsmaßregeln seien nicht nur schwer durch zuführen, sondern bedeuten 
einen weitgehenden Eingriff in die persönliche Freiheit und das Hausrecht. 
Außerdem würden an die Gemeinden betreffs der Kosten für die Bekämpfung 
der Seuchen zu große Ansprüche gestellt, so daß die Kreise für leistungs* 
unfähige Gemeinden eintreten müßten. Auch die Kreisärzte stellen zu hohe 
hygienische Forderungen an die Gemeinden. Redner ist deshalb der Ansicht, daß 
hs Gesetz nur auf die im Reichsgesetz genannten Seuchen beschränkt werden 
müsse. Die Grundursachen der Seuchen liegen in den sozialen Verhältnissen. 
Wenn jede Familie eine gesunde, große Wohnung hätte, wäre die Bekämpfung 
der Krankheit sehr leicht. Der Herr Kultusminister betonte gegenüber 
dieser abfälligen Kritik des betreffenden Gesetzentwurfes mit großer Ent¬ 
schiedenheit dessen Notwendigkeit, indem er darauf hinwies, daß die Zahl der 
Todesfälle an den sogenannten gemeingefährlichen Krankheiten ganz gering¬ 
fügig sei gegenüber den durch die übrigen übertragbaren Krankheiten verur¬ 
sachten Sterbefälle (100 :120000). Er wies ferner darauf hin, daß der Gesetz¬ 
entwurf keineswegs eine Verschärfung der polizeilichen Maßregeln gegenüber 
den jetzt geltenden Vorschriften bedinge, sondern im Gegenteil eher eine 
wesentliche Milderung. Dasselbe gelte betreffs der Kostenfrage, die sich für 
die leistungsschwachen Gemeinden künftighin durch die Beihilfe des Staates 
erheblich günstiger stellen werde. Hinsichtlich der angeblich übertriebenen, 
kleinlichen und bureaukratischen Tätigkeit der Kreisärzte könne es sich nach 
den Berichten der zuständigen Behörden nur um vereinzelte Ausnahmefälle 
handeln; jedenfalls sei an dem stetigen Rückgang der Sterblichkeitsziffer nicht 
in letzter Reihe die Tätigkeit der Medizinalbeamten beteiligt. 

B. Abgeordnetenhaus. In der Sitzung vom 6. d. M. gelangte zunächst 
eine Interpellation betreffend das Auftreten der Kopfgeniokstarre in Ober¬ 
schlesien zur Verhandlung, die von dem Antragsteller, Abg. Falt in, 
in ausführlicher Weise begründet wurde, indem er auf die außerordentliche 
Gefährlichkeit der Krankheit, auf ihre große Verbreitung in Oberschlesien 
hinwies und eine Aufklärung über die zu ihrer Bekämpfung und Verhütung 
lagewendeten Maßregeln ersuchte. 

Der Herr Kultusminister Dr. Studt hob hervor, daß, sobald die erste 
Anzeige von dem Auftreten der Seuche im November v. J. erfolgt sei, die 
Behörden sofort energische Maßnahmen veranlaßt haben. Trotz diesen um¬ 
sichtigen Maßnahmen hat die Krankheit im Januar einen ausgesprochen 
epidemischen Charakter angenommen. Im Regierungsbezirk Oppeln sind unge¬ 
fähr 1200 Erkrankungen mit über 600 Todesfällen und im Regierungsbezirk 
Breslau 60 bezw. 9 vorgekommen. Selbstverständlich haben die Behörden ihre 
Aufmerksamkeit darauf gerichtet, die Entstehungsursachen der Krankheit zu 
erforschen, aber die Forschungen haben leider zu einem nennenswerten Er¬ 
gebnis nicht geführt. Kennzeichnend für die Seuche ist, daß nie ausnahms¬ 
weise mehrere Erkrankungen in demselben Haase und in derselben Familie 
Torkommen. Alle Behörden und Privatverwaltungen sowie namentlich die 
Medizinalverwaltung haben vollkommen ihre Pflicht zur Bekämpfung der 
Krankheit getan, die Zahl der Neuerkrankungen ist auch in den letzten Wochen 
zurückgegangen. Der Herr Minister gibt sodann eine eingehende Schilderung 
der zur Bekämpfung der Krankheit getroffenen Maßnahmen: Anzeigeptlicht, 
Ermittelung mit Hilfe der bakteriologischen Untersuchung, Absonderung der 
Kranken (90°/« in Krankenhäusern) — Aussetzung des Schulunterrichts, Des¬ 
infektion, Belehrung der Bevölkerung durch Merkblätter usw.; er spricht die 
Hoffnung ans, daß das dem Hause vorliegende Gesetz über die Bekämpfung 
der übertragbaren Krankheiten eine Handhabe dazu bieten werde, auch 
dieser Seuche entgegenzutreten. Wenn auch die Epidemie schon eine erheb¬ 
liche Anzahl von Menschenleben erfordert habe, so liege doch eine Veran¬ 
lassung zu einer großen Beunruhigung nicht vor. 

Geh. Ober-Med.-Rat Dr. Kirchner, der sich an Ort und Stelle über 
den Verlauf der Epidemie unterrichtet hat, gibt eine eingehende Schilderung 
tob den Ursachen und den Verlauf der Krankheit. Danach beträgt die Sterb¬ 
lichkeit bis jetzt 52°/o. Er verbreitet sich sodann über die Mittel, die bisher 
zur Bekämpfung der Seuche angewandt worden sind und betont, daß insbe¬ 
sondere die Unterbringung von Kranken in Krankenanstalten auf keine 



266 


Tagesnachrichten. 


Schwierigkeiten gestoßen sei. Wenn die Epidemie auch außerordentlich 
gefährlich sei, so sei doch Aussicht vorhanden, daß man ihr mit Erfolg ent¬ 
gegentreten könne. 

ln derselben Sitzung fand auch die dritte Beratung über den Antrag des 
Abg. Dr. Graf Douglas, betreffend die Schaffung eines Volkswohlfahrt»- 
amtes, statt. Die Kommission hatte sich zu dem in Nr. 4 dieser Zeitschrift 
S. 115 bereits mitgeteilten Antrag geeinigt, und über die Kommissionsverhand- 
lungen einen eingehenden schriftlichen Bericht mit verschiedenen Anlagen 
(Abhandlung des Abg. Prof. Dr. Faßbender Über Wohlfahrtspflege, Abhand¬ 
lung über die Organisation der Volkswohlfahrt in Hannover, Entwurf zu 
einer systematischen Ordnung der in Frage kommenden Gesichtspunkte der 
Volkswohlfahrt von Geh. Med.-Bat Dr. B e h 1 a - Potsdam, Regulativ für 
das Landesoekonomie- Kollegium vom 1. Mai 1878, Satzungen der mit 
der Zentralstelle für Arbeiter-Wohlfahrts-Einrichtungen verbundenen Ab¬ 
teilung für ländliche Wohlfahrt- und Heimatpflege, Liste der dem Verbände 
Deutscher Wohlfahrtsvereine angehörenden Vereine, Bericht über die 
Tätigkeit der Zentralstelle für Arbeiter-Wohlfahrtseinrichtnngen) erstattet, 
ln der Sitzung befürworteten sämtliche Redner (Linz [Berichterstatter], 
Schiffer [natl.], Frh. v. Williesen [kons.], Schmedding [Ztr.], Gold- 
Schmidt [fr. Volksp.), Dr. Faßbender [Ztr.], Münsterberg [fr. Vgg.]) 
die Annahme des Antrages; auch der neue Minister des Innern Dr. vonBeth- 
mann-Hollweg erklärte eine weitere Ausgestaltung der Volkswohlfahrts- 
pflege als eine der wichtigsten und ernstesten Aufgaben der Gegenwart. 
Trotzdem auf diesem Gebiete schon viel geschehen sei, bleibe noch viel zu 
tun übrig; insbesondere auch inbezug auf die Fürsorge für die Gesunden. 
Der Minister steht deshalb dem Antrag sympathisch gegenüber, wenn er auch 
befürchtet, daß es bei der Organisation eines Volkswohlfahrtsamtes nicht ganz 
ohne Reibungen mit anderen Organisationen abgehen dürfte. Jedenfalls gehöre 
zur Wohlfahrtspflege nicht nur ein warmes Herz, sondern auch ein sehr voUcr 
Beutel; die Königl. Staatsregierung sei jedoch fest entschlossen, im Verein mit 
dem Landtage an der Lösung der nationalen Wohlfahrtspflege weiter zu ar¬ 
beiten. 

Nachdem sodann der Antragsteller Dr. Graf Douglas (freik.) für die 
seinem Anträge allseitig, nicht nur im Landtage, sondern auch in allen Kreisen, 
besonders in der Presse entgegengebrachte Sympathie und Unterstützung sowie 
für die warmen Worte des H. Ministers gedankt und die Hoffnung ausge¬ 
sprochen hatte, daß der Humanitätsgedanke in seinem welterobernden Sieges¬ 
lauf immer weitere Kreise ziehen möge, wurde der Antrag einstimmig 
angenommen. _ 

Der Niederrheinische Verein für öffentliche Gesund¬ 
heitspflege erläßt einen Aufruf zum Wettbewerb zur Erlangung einer 
kurzen, klaren, der einfachsten Mutter oder Pflegerin verständlichen und mit 
den kleinsten Mitteln ausführbaren Anleitung zur richtigen Ernährung 
und Pflege des Säuglings. Die volkstümlich abgefaßte, für die Massen 
zu verwendende Anleitung soll den Umfang von 160 Zeilen zu 9 Worten nicht 
übersteigen. — Es gelangen Preise zu 150, 100 und 50 Mark zur Verteilung. 

Bewerbungen sind in verschlossenem Umschlag mit einem Zeichen oder 
Motto ohne Namensangabe und unter Hinzufügung eines zweiten Umschlages, 
mit demselben Sinnspruch oder Zeichen, in welchem der Name des Bewerbers 
sich befindet, bis zum 15. Juni 1905 einzureichen an den ständigen Geschäfts¬ 
führer des Niederrheinischen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege Herrn 
Geh. San.-Rat Prof. Dr. Lent, Cöln. 

Auf die Tagesordnung des diesjährigen Aerztetages in Straßburg 
sind folgende Gegenstände gesetzt: 1. Erhöhung des Beitrages um 8 Mark. 
Referent: Pfoiffer-Weimar. 2. Rechte und Pflichten des Kassenarztes. Re¬ 
ferent: Dr. Streffcr-Leipzig. 3. Die Akademien für praktische Medizin. 
Referent Dr. Hausberg-Dortmund. 4. Berichte der Kommissionen für 
Krankenkasscnangelegenheiten, für Lebens- und Unfallversicherung, zur Be¬ 
kämpfung der Kurpfuscherei, für das ärztliche Unterstützungs- und Versiche¬ 
rungswesen; sowie Berichte über die Unterstützungskasse für die Aerzte 



Tagesnachrichten. 


267 


Deutschlands, Ober die wirtschaftliche Abteilung des Deutschen Aerztevereins- 
bundes and aber die Auskunftsstelle in Hambarg. 5. Vorschläge zar Er¬ 
gänzung der §§ 11 and 13 der Geschäftsordnung für die Aerztetage, den 
Wahlmodas des Geschäftsaasschusses and die Regelang der Beziehungen zar 
Presse betreffend. 


Bayerischer Medizinalbeamten-Verein (E. V.) 

Krelaveraammlungen. 

Regierung« - Bezirk. Oberbayern. 

Die Versammlung findet am Samstag, den 29. April 1905, vorm. 
8 */* Uhr, im „Hygienischen Institute“ za München statt. 

Tagesordnung: 1. 8'/* Uhr: Geschäftsbericht, Wahlen, Wünsche 
ud Anträge. 

2. $ Uhr: Herr Ober-Medizinalrat Prof. Dr. Gräber: „Ueber 
Desinfektion.“ 

3. 11 Uhr: Herr Prot Dr. Emmerich: „Ueber Untersuchung der 
Verkaofsmilch und Ueber wachung des Milch verkauf es.“ 

4 3 Uhr nachm.: Gemeinschaftlicher Besuch der Ausstellung „Volks- 
krukheiten und deren Bekämpfung.“ 


Regierung* - Bezirk Oberpfalz. 

Die Versammlung findet am Montag, den 24. April 1905 in 
Begensburg statt. 

Tagesordnung: 1. Vornahme der Wahlen nach § 4 der Satzung des 
Bayerischen Medizinalbeamten-Vereins. 

2. Vortrag des Regierangs- und Kreismediziralratcs Dr. Dorff¬ 
meister: „Ueber einige bei Durchführung des öffentlichen Impfgeschäftes 
besonders beachtenswerte Punkte.“ 

3. Vortrag des Bezirksarztes Dr. Graßmann in Regensburg: „Zur 
Kurpfuscherfrage.“ 

4. Antrag auf Einladung der dem Vereine noch nicht angehörigen Amts¬ 
ärzte und für den ärztlichen Staatsdienst geprüften Aerzte des Kreises 
zum Beitritt. 


Regierung«-Bezirk Oberfranken. 

Die Versammlung findet am Sonntag, den 30. April 1905, 
uchm. 4 Uhr, in Kulmbach (Soolbad Wittelsbach) statt. 

Tagesordnung: 1. Wahl des Kreis-Vorsitzenden und Schriftführers 
und deren Stellvertreter. 

2. Die Beteiligung der Bezirksärzte an der Untersuchung der Nahrungs- 
aid Genußmittel, besonders der Milch. 

3. Die amtsärztliche Registratur für die Aufbewahrung der Impflisten, 
Leichenschauregister und Hebammentabellen. 

4. Wünsche und Anträge. 

5. Kurze Demonstrationen einzelner mit einfachsten Hilfsmitteln aus¬ 
führbarer chemischer und spektroskopischer Untersuchungen zu amtsärztlichen 
Zwecken. Bezirksarzt Dr. Dietsch in Hof. 


Regierung«-Bezirk Mlttelfranken. 

Die Versammlung findet am Dienstag, den 25. April 1905, 
czehmittags 2 Ubr, in Nürnberg, Restauration „Zum Krokodil“ (I. Stock) 
R4tt: 

Tagesordnung: 1. Wahlen. 

2. Die Beteiligung der Bezirksärzte an der Untersuchung der Nahrungs 
aad Genußmittel, besonders der Milch. (Besprechung). 

3. Die amtsärztliche Registratur für die Aufbewahrung der Impflisten 
Uichenschauregister und Hebammentabellen. (Besprechung). 

4. Wünsche und Anträge. 




268 


TageBnachrichten. 


Regierungs-Bezirk Unterfr&nkea. 

Die Versammlung findet am Samstag, den 6. Mai 1905, nachm 
2'l* Uhr, im „Hygienischen Institut“ zu Würzburg statt. 

Tagesordnung: 1. Frühdiagnosen von Geisteskrankheiten. Referent: 
Prof. Dr. Weygandt. 

2. Hygienische Anforderungen an die Milch und Beteiligung der Me¬ 
dizinalbeamten an der Ueberwachung des Milchverkaufes. Referent: Dr. 
H. Lang, Inspektor der Dampfmolkerei und Assistent für Chemie am 
hyg. Institut. 

8 Besichtigung der Sammlung des hyg. Instituts unter Führung des 
Herrn Professor Dr. Lehmann. 

4. Wahlen, Wünsche und Anträge. 

Sollten sich einzelne Teilnehmer schon Vormittlgs einfinden, so wird 
Gelegenheit geboten zur Besichtigung des neuen Wasserwerkes usw. usw. 


Regierungs - Bezirk Schwaben. 

Die Versammlung findet am Samstag, den 15. April 1905, nachm- 
2 1 /« Uhr, in dem reservierten Saale des Hotels zu den „Drei Kronen“ 
Bahnhofstraßc) zu Augsburg statt. 

Tagesordnung: 1. Wahlen. 2. Die Nahrungs- und Genußmittel, 
deren Verunreinigung und Fälschung, besonders die der Milch; Maßregeln 
hiergegen, Beteiligung der Amtsärzte bei deren Durchführung sowie an der 
Förderung der hygienischen Interessen ihres Bezirks. Referent: Dr. F. Böhm, 
Bezirksarzt der Stadt Augsburg. 3. Die amtsärztliche Registratur, die Auf¬ 
bewahrung der Impflisten, Leichenschauregister und Hebammentabellen. Re¬ 
ferent: Dr. Waibel, Bezirksarzt in Kempten. 4. Wünsche und Anträge. 


Die Kreisversammlung der Medizinalbeamten des Reg.-Bezirks Nieder¬ 
bayerns hat bereits am 18. d. M. zu Plattling stattgefunden. Auf der 
Tagesordnung standen: 1. Vorstandswahl; 2. Bericht über die konstituierende 
Versammlung des Bayerischen Medizinal-Bcamtenvereins in Nürnberg; 3. Hy¬ 
giene der Milchversorgung und Untersuchung der Milch; Referent: Bczirksarzt 
und Med.-Rat Dr. Späth in Landeshut; 4. Verschiedene Anträge; darunter 
einer betreffend Fürsorge für Geisteskranke. 


Preu88i8cher Medizinalbeamtenverein. 

Die Vcreinsmitglicder werden nochmals auf die am 28. und 29. April 
in Hannover stattfindende 

XXII. Hauptversammlung 

aufmerksam gemacht; die ausführliche Tagesordnung ist in Nr. 5 der Zeit¬ 
schrift, S. 159 veröffentlicht. Der heutigen Nummer sind die Leitsätze zu 
einzelnen Vorträgen beigegeben. 

Minden, den 15. April 1905. 

Der Vorstand des Preussischen Medizinalbeamten-Vereins. 

Im Auftr.: Dr. Rapmund, Vorsitzender, 

Ke*.- u. Geh. Med.-Rat in Minden. 


Berichtigung. In den Erläuterungen zum neuen Obduktions- 
Regulativ muß es auf S. 127, Anm. 1, 3. Zeile nicht „Strauß“, sondern 
„Strauch“, auf S. 169, Anm. 1 (Thymusdrüse) Zeile 6 nicht „9—11 g“, son¬ 
dern „9 — 33, durchschnittlich 14 g“, auf S. 221, Anm. 5 Zeile 3 nicht 
2.—3. Lebensjahre, sondern „2.—3. Lebensmonate“ lauten. Außerdem ist 
auf S. 129, Anm. 1, versehentlich das unter Leitung des H. Med.-Rats Prof. Dr. 
Beumer stehende gerichtsärztliche Institut nicht unter denjenigen Instituten 
genannt, in denen biologische Blutuntersuchungen vorgenommen werden. 


Vcrantwortl. Redakteur: Dr. Rap man d, Reg.- u. Geb. Med.-Rat in Minden i. W. 

J. C. C. Bruns, Hcrzogl. Sach*, u. F. Sch.-Ia. Iiofhuchdruok«rei in Minden. 





Zeitschrift 

für 


1905. 


MEDIZINALBEAMTE. 


Kentnlblatt filr geriektlidw Medirii ui Psjtkiatrfo, 
lir irzUkhe Saefarerstiidigeotatigkeit in Unfall- and Invalidititaaetai, wwie 
fir lygNM, efentl 8aaitatewesen, Medizinal-Gcsetzgekug and ftMsktepreekug. 

Heraasgegeben 

▼OB 

Dr. OTTO RAPMUND, 

Kegierangi- and Och. McdixinAlrat !b Mlndn. 


Verlag von Fischers mediz. Buehhandlg, H. Kornfeld, 

HarsogL Bayer. Hof- n. ErshersogL Kammer -BoohMLodler. 

Berlin W. 35, Lützowstr. 10. 

Inserat« nehmen die YerUgthnndlnng sowie alle Annoncen - Expeditionen des In- 
and Auslandes entgegen. 


Nr. 9. 


Brfleheiit »■ 1. mmd 15. jeden Monate. 


1. Mai. 


Ueber die vermeidbaren Impfschäden. 

Von Oberamtsarzt Dr. Georgii in Maulbronn. 

Die Aetiologie und Pathologie der Impfkrankheiten ist in den 
letzten 10 Jahren einer eingehenden Durchsicht unterzogen worden. 
Die Ergebnisse dieser Forschungen Hessen den Gedanken immer 
mehr durchdringen, dass eine Reform der Schutzpockenimpfung 
unumgänglich sei nnd veranlassten den Bundesratsbeschluss vom 
28. Juni 1899, durch welchen alle neugewonnenen Kenntnisse und 
Anschauungen Aber die Vermeidung von Impfschädigungen einer» 
»eits und die Sicherung des Impferfolges anderseits ihre praktische 
Verwirklichung finden sollten. Vergleicht man die Anlagen A—D 
dieser Bandesratsbeschlüsse mit denen vom 18. Jnni 1885 bezw. 
25. April, so erkennt man sofort die Absicht, die darin gipfelt, 
die gesamte Durchführung der Impfung der modernen Hygiene 
und Chirargie unterzustellen; s. z. B. 1899, Anlage B, Abs. b, § 18: 
die Impfnng ist jals eine chirurgische Operation anznsehen usw. 

Viele Impfschäden, die noch vor 10 Jahren als unvermeid¬ 
lich galten, müssen heute zu den vermeidbaren gezählt werden. 
Hierher gehören z. B. die Primärinfektionen durch Staphylokokken, 
die im frischen Impfstoff enthalten sind: Eiterprozesse in der Haut, 
Ulzerationen, Lymphdrüsenabszesse, Impetigo contagiosa etc. Es 
ist noch gar nicht lange her, dass für alle derartigen starkent- 
zQndlichen Reaktionen die Impfärzte verantwortlich gemacht wurden. 
Heute wissen wir, dass diese Infektionen durch Verwendung allzu 
junger Lymphe hervorgerufen und durch Ablagerung und Glyzerin¬ 
vermischung der letzteren vermieden werden können. (Selbst¬ 
reinigung des Impfstoffes [Leoni, Paul, E. Levy]). 









270 


Dr. Georgii. 


Man hat ferner genau unterscheiden gelernt, was auf Rech¬ 
nung einer sorglosen bezw. nachlässigen Ausführung der Impfung 
zu setzen und was als ein zufälliges, teils vermeidbares, teils 
unvermeidbares Ereignis anzusehen ist. In dieses Kapitel gehören: 
Nichtbeachtung der Regeln der Anti- und Asepsis und Mangel 
jeglicher Reinlichkeit durch den Arzt, nicht kunstgerecht ange¬ 
legte Impfschnitte Bowie Impf Stiche, Kreuz- und Gitterschnitte, 
unerwünscht lange Impfritzer bei ungeberdigen Kindern; man¬ 
gelhafte Kinderpflege, Vakzineophthalmie durch zufällige Ueber- 
tragung der Lymphe von der Impfstelle auf die Augen des Impf¬ 
lings und anderer Personen oder auf andere exkoriierte Körper- 
steilen, z. B. Nase, Lippen, Ohr, Genitalien; Ekzem und Impfung, 
Verschlimmerung bestehender Krankheiten, Lehre von der sog. 
Vaccina generalisata, Lehre von der individuellen Disposition, 
Heredität, latente Krankheiten, hohe Reflexerregbarkeit der Kinder, 
Beziehungen zu akuten Exanthemen, Gastroenteritis, Sommerhitze, 
Dentition usw.; Frage der Impfschutzverbände u. m. 

Hiervon wurde neuerdings in den Vordergrund des Interesses 
gerückt die Uebertragung des Impfstoffes von der Impfstelle auf 
andere Körperstellen des Impflings, sowie auf andere Personen, 
insbesondere auf Mütter, Pflegerinnen, ungeimpfte Geschwister, 
zumal auf solche, die mit Ekzem behaftet sind. Der Tübinger 
Zoologe Blochmann hat in seinem Buche „Ist die Schutzpocken¬ 
impfung mit allen notwendigen Kautelen umgeben?“ 1 ) auf Grund 
seiner persönlichen Beobachtungen und eingehenden Studien der 
Literatur diese Frage verneint, sowohl hinsichtlich der Anlage C 
der Bundesratsbeschlüsse vom 28. Juni 1899, als auch betreffs 
der Ausbildung der angehenden Aerzte und der gesamten ein¬ 
schlägigen Literatur. Vom rein theoretischen Standpunkte aus 
ist unbedingt den Blochmann sehen Ausführungen Recht zu 
geben. Unter ihrem Eindruck und Einfluss wurde im vergan¬ 
genen Jahr die Impfung im Bezirk Maulbronn vollzogen; gleich¬ 
zeitig drängte die Schrift geradezu zum Studium der modernen 
Impfliteratur. 

Für die Impfpraxis ist nun von besonderer Wichtigkeit die 
Frage: Können zurzeit alle vermeidbaren Impfunfälle tatsächlich 
auch vermieden werden? Voraussetzung hierfür ist, dass eine 
Reihe prinzipieller Forderungen von vornherein erfüllt ist. Be¬ 
ginnen wir mit dem Impflokal und was dazu gehört. In An¬ 
lage A der Bundesratsbeschlüsse vom 28. Juni 1899 (Vorschriften, 
welche von den Behörden bei der Ausführung des Impfgeschäfts 
zu befolgen sind) werden im § 3 für die öffentliche Impfung helle, 
heizbare, genügend grosse, gehörig gereinigte und gelüftete Räume 
verlangt, welche womöglich auch eine Trennung des Warteraumes 
vom Operationszimmer gestatten. Das liest sich wunderhübsch 
und macht auf den Unerfahrenen bezw. den Theoretiker, der nie 
öffentlichen Terminen angewohnt bezw. solche selbst besorgt hat, 
den denkbar günstigsten Eindruck. In Wirklichkeit aber ent- 


*) Siehe Referat darüber in Nr. 5 der Zeitschrift, Jahrg. 1904, S. 161. 



Ueber die vermeidbaren Impfschäden. 


271 


sprechen die in den einzelnen Ortschaften zur Verfügung stehenden 
Räumlichkeiten den'-obigen an sie gestellten Anforderungen nur 
in Ausnahme fällen. Im hiesigen Bezirk steht z. B. nirgends ein 
Warteraum und ein Operationszimmer zur Verfügung; oft sind die 
Zimmer nicht genügend gross und je nach Witterung nicht ge¬ 
nügend gelüftet und gereinigt und dergl. Wenn man sich in den 
Jahresberichten darüber nicht weiter auslässt, so geschieht dies 
wohl deshalb, weil andere Lokale nicht zu haben sind, und man 
sich eben ins Unvermeidliche zu schicken hat. 

Zum Impllokal gehört nun ein gewisses Mobiliar, was in 
Anlage A als selbstverständlich angenommen wird. Es ist deshalb 
hiervon gar nicht die Rede, allein für eine einwandfreie Vollziehung 
der Impfung auf dem Boden unserer heutigen Kenntnisse ist die 
Mobiliarfrage nicht gleichgültig, indem zu bedenken ist, dass die 
Zeiten vorüber sind, wo der Impfarzt sein Impfmesser in einem 
Stück Zeitungspapier im Westentäschchen mitbrachte und damit 
von einem Stuhl oder einer Schulbank aus drauflos impfte nach 
dem Grundsatz je rascher um so besser. Es fehlt nämlich manchmal 
an einem Tisch, auf dem die Spirituslampe mit dem Träger der 
sonzuglühenden Impfmesser so Platz finden kann, dass nichts um¬ 
geworfen wird, es fehlt da und dort selbst bei kleinen Terminen 
an der genügenden Anzahl von Stühlen und Bänken, ja, wenn nur ein 
Schalzimmer zur Verfügung steht, hat es mitunter Mühe, ausser 
dem Kathederstuhl einen Tisch und einen weiteren Stuhl zu er¬ 
halten, auf dem die den Erstimpfling haltende Mutter Platz finden 
konnte. Es geht also öfters eng und ungemütlich zu, und dies 
sehliesst die ideale Forderung einer „aseptischen Durchführung“ 
der Impfung aus. Zum Mobiliar gehört dann namentlich die 
Waschgelegenheit: ein genügend grosses sauberes Wasch¬ 
becken mit reinem Wasser, gute Seife und mindestens zwei frische 
Handtücher. Im Jahre 1902 schon habe ich bei Bestellung der 
Impftermine dies ausdrücklich verlangt, weil in Anlage A, die bei 
dieser Gelegenheit den Herren Ortsvorstehern jedesmal in em¬ 
pfehlende Erinnerung gebracht wird, hiervon nichts erwähnt ist. 
Trotzdem musste auch wieder im vergangenen Jahr erst im Termin 
die Waschgelegenheit einmal requiriert werden; in mehreren Fällen 
fehlte die Seife und ein Handtuch; einige Male fehlte es sogar 
an einem Stuhl oder Tisch, worauf das Waschbecken zur richtigen 
Vornahme der Händereinigung hätte gestellt werden können. 

Betreffs der Schreibhilfe heisst es in Anlage A, § 4, 
Abs. 2: „Entsprechende Schreibhilfe ist bereit zu stellen.“ Was 
da manchmal bereit gestellt wird, ist von mir an anderer Stelle 
des näheren ansgeftthrt worden: ungeeignete ältere Gemeinderäte 
oder Polizeiwachtmeister mit schwerer Hand und herabgesetztem 
Seh- und Hörvermögen verunzieren die Impfiisten derart, dass 
man lieber auf solche Schreibhilfe verzichtet zum Nachteil der 
Asepsis. Damit ist zugleich die Auffassung beleuchtet, die manche 
Ortsvorsteher Über ihre Mitwirkung bei der Ausführung des Impf¬ 
geschäfts haben. 

Was die Beteiligung der Lehrer nach § 4, Abs. 3 be- 



272 


Dr. Georgii. 


trifft, so sieht es hier auch nicht glänzend aus: Viele Lehrer 
bestreiten, dass sie zu den Impfterminen ausserhalb der Schulzeit 
ohne Entschädigung herbeigezogen werden können, manche leben 
im Konflikt mit dem Ortsvorsteher, und so kommt es, dass nicht 
immer ein Lehrer anwesend ist. Gerade die Teilnahme der Lehrer 
ist aber unendlich wichtig, weniger aus Gründen der Aufrecht* 
erhaltung der Ordnung, als im Interesse der öffentlichen Gesund* 
heitspflege; sie könnten viel lernen und dies wieder im Unterricht 
verwerten, namentlich auch in bezug auf die Vermeidung der so 
häufig bei Wiederimpfungen auftretenden Impfbeschädigungen 
(Sekundär-Infektionen infolge Kratzens, Arbeitens, Turnens, Mu* 
sizierens etc,). 

Die so sehr wichtige Lehrer- und Schreibhilfe - Frage lässt 
sich am besten als Assistenzfrage überhaupt lösen, und zwar am 
einfachsten dadurch, dass als einzige bezahlte Assistenz bezw. 
Schreibhilfe nur Lehrer bestellt würden. Nach meinen Er¬ 
fahrungen würden die Lehrer mit 1,50 Mk. für die erste Stunde 
und 1 Mk. für jede weitere angefangene Stunde zufrieden sein; 
wo angängig, sollten die jüngeren Lehrer bevorzugt werden. 

Alle bisher angedeuteten Missstände, die mit der speziellen 
Impftechnik noch nichts zu tun haben, sind zweifellos geeignet, 
zufällige Primär- und Sekundär - Infektionen inkl. die Vakzine-In¬ 
fektion, die man vom theoretischen Standpunkte aus als vermeidbar 
bezeichnen kann, auch heute noch zustande kommen zu lassen, 
weil eben in der Praxis die Voraussetzungen für ihre Vermeidbar¬ 
keit teils nicht erfüllt werden, teils nicht erfüllbar sind. 

Die Anlage B gibt die Vorschriften, die von den Aerzten bei 
der Ausführung des Impfgeschäfts zu befolgen sind. Im Unter¬ 
schied gegen früher gelten diese Vorschriften auch für die Pri¬ 
vatimpfärzte (s. Krauss; 1901, S. 516, §16, Abs. 6). Hier 
glaube ich darauf aufmerksam machen zu müssen, dass im Interesse 
der vermeidbaren Impfschäden für die Impfungen der Privatärzte 
eigene, besonders genaue Vorschriften zu erlassen sind, wenigstens 
sofern die Impfung einer grösseren Zahl von Kindern im Hause 
des Privatarztes vorgenommen wird. Nirgends gibt es beispiels¬ 
weise mehr Gelegenheit zu akzidentellen Wund- und anderen 
Krankheiten, als in den Sprechzimmern vielbeschäftigter Land* 
und Kassenärzte, wo tagtäglich die gefährlichsten Phlegmonen, 
Furunkeln, Abszesse, Panaritien, Ulzerationen und Hautkrank¬ 
heiten aller Art aus Mangel an Zeit in Eile erledigt, wohin 
diphtherie-, masern- und scharlachkranke Kinder zur ersten Unter¬ 
suchung oder zur Seruminjektion gebracht werden usw., und wo 
eine Zimmerdesinfektion vor der Impfung meines Wissens noch 
nicht üblich ist. Eine diesbezügliche Vorschrift dürfte auch ge¬ 
eignet sein, die unnötigen Massenprivatirapfungen einzuschränken. 

Die Mängel der Anlage C (Verhaltungs-Vorschriften für die 
Angehörigen der Impflinge) sind von Blochmann genügend be¬ 
leuchtet. Es mag deshalb hier nur ein im Jahre 1903 im Bezirk 
beobachtetes Vorkommnis Erwähnung finden: Bei der Vorladung 
zur öffentlichen Impfung wiesen viele Leute die Annahme der 



Uober die vermeidbaren Impfschäden. 


273 


gedruckten Verhaltungsvorschriften zurück mit der Begründung, 
sie lassen privatim impfen. Für solche Leute wären auch die ge¬ 
nauesten nach der Forderung Blochmanns ergänzten Vorschriften 
zweeklos, so lange deren Annahme verweigert werden darf und die 
Ausstellung einer Empfangsbescheinigung nicht vorgeschrieben ist. 

Die Verhaltungsvorschriften bedeuten einen entschie¬ 
denen Fortschritt; Blochmann meint, dass alle Erkrankungen 
an Autoinokulation, Vakzineinfektion, an vakziniertem Ekzem ohne 
Schwierigkeit in einem guten Haushalt mit Sicherheit vermieden 
werden können, wenn eine ausreichende und richtige Belehrung 
der Laien stattfinde. Dieser Optimismus berührt äusserst wohl¬ 
tuend, verrät aber sofort den einseitigen subjektiven Standpunkt 
des Theoretikers, der die wirklichen Verhältnisse eben nicht 
kennt, ln der allgemeinen Impfpraxis sind nämlich die guten 
Häuser im Sinne Blochmanns leider etwas seltenes. Wenn 
auch kein offener Widerstand gegen die Impfung bei uns im 
grossen und ganzen zu verzeichnen ist, so muss man sich doch 
häufig gewaltig über abfällige und höchst bornierte Aeusserungen 
▼on Leuten wundern, die sich zu den Gebildeten rechnen; Aeusse- 
rangen, aus denen hervorgeht, dass diese Gebildeten kaum wissen, 
um was es sich bei der Impfung handelt, und dass sie gar keine 
Lost haben, sich richtig belehren zu lassen; sie wissen es von 
Haus aus schon besser, dass das Impfen überhaupt ein Unsinn ist. 
Steht also die Intelligenz bei diesen „Gebildeten" auf einer solchen 
Stufe, so darf man sich keinen besonderen Hoffnungen hiugeben, 
bei der grossen Masse, die das Hauptkontingent an Impflingen 
stellt, etwa auf mehr Entgegenkommen in dieser Hinsicht zu 
stoesen. Fragt man vor dem Beginn der Impfung: „habt Ihr die 
erhaltenen Vorschriften auch gelesen", so bekommt man oft merk¬ 
würdige Antworten; eine der häufigsten negativen Antworten ist 
die, dass die Vorschriften unnötig seien, sie wüssten schon längst, 
was darin enthalten sei; eine andere ist die, das Impfen bleiben 
zu lassen, dann brauche man die Vorschriften nicht. Eine Mutter, 
die ihr Kind zur Nachschau brachte mit total verschmiertem Arm, 
schmutzigster Wäsche und denkbar schlechtester Körperpflege, gab 
nach dem Hinweis auf die Verhaltungsvorschriften zur Antwort, 
„die gängen sie nichts an; sie habe nicht verlangt, dass ihr Kind 
geimpft werde, sie habe deshalb auch keinen Grund etwas Be¬ 
sonderes zu tun." 

Trotz solcher Erfahrungen verhehle ich mir nicht, dass eine 
Neubearbeitung der Vorschriften nur Günstiges, wenn auch 
langsam, erreichen wird, namentlich, wenn den Impfärzten zur 
Pflicht gemacht wird, vor Beginn der einzelnen Impftermine die 
Verhaltungsvorschriften durchzusprechen und zu erläutern. Be¬ 
sonderer Nachdruck ist darauf zu legen, dass die ausserordentliche 
Pflege und Wartung der Kinder auch nach dem Nachschautermin 
anzohalten hat bis zum Abfall der Borken; denn in dieser Zeit 
kommen die meisten „vermeidbaren“ Impfschäden vor aus Mangel 
an Reinlichkeit und Aufmerksamkeit. Um solche Impfschäden 
wirklich zu vermeiden, dazu gehören dann ausser der offiziellen 



274 


Dr. GeorgiL 


ausdrücklichen Belehrung in erster Linie lauter „gute Häuser*, 
und die zu beschaffen, wird dauernd das Ideal der sozialen Hy¬ 
giene sein. 

Vielfach und weitläufig sind die Beziehungen des Impfarztes 
zu den vermeidbaren Impfschäden. Der Besprechung wichtig an 
dieser Stelle erschienen mir die objektive und subjektive Des¬ 
infektion, das Instrumentarium, der Impfstoff, die Ausführung der 
Schnitte und der Schutzverband, dann das Kindermaterial und die 
Zahl der Kinder. 

Dass die Beherrschung und Befolgung der strengen Regeln 
der allgemeinen Chirurgie über Asepsis und Antisepsis oberster 
Grundsatz für die impfenden Aerzte sein muss, ist die erste Vor¬ 
aussetzung. Wird sie immer erfüllt? Diese Frage kann nicht 
ohne weiteres mit ja beantwortet werden. Kalt überläuft es einem, 
wenn man z. B. bei Blochmann liest, dass der impfende Arzt 
die aufgebrochenen Pusteln mit einer Windel verbinden liess, oder 
wenn man sieht, wie ein Impfarzt den besorgten Müttern rät, auf 
die stark geröteten Entzündungshöfe und aufgekrazten Impfstellen 
„Schmeer* zu legen. 

Was die Reinheit der Hände des Impfarztes betrifft, 
so wird in Anlage B die Desinfektion im streng chirurgischen 
Sinne des Wortes: also heisses Wasser, Bürste, Seife, Alkohol 
und Desinfiziens nicht verlangt. Meines Erachtens mit Recht 
nicht ; denn es ist geradezu unmöglich, in öffentlichen Terminen 
die hierzu nötige Zeit zu finden. Selbstredend hat eine solche 
Desinfektion stattzufinden, wenn der Arzt in den letzten 24 Stunden 
mit infektiösem Material zu tun hatte, sie wird aber dann besser zu 
Hause vor der Abreise zum Impftermin besorgen; im Zweifelsfall, 
z. B. bei dringenden nicht mehr verschiebbaren Eingriffen und Ter¬ 
minen, stehen stets die feinen sterilisierten Operationshandschuhe 
zur Verfügung. Anderseits ist es unerlässlich, dass in den Impf¬ 
lokalen Waschwasser, Seife und frische Handtücher bereit ge¬ 
halten werden, und dass der Arzt jedesmal vor und im Verlaufe 
eines grösseren Termins sich mehrmals gründlich mit Wasser und 
Seife reinigt, damit in erster Linie akzidentelle Vakzineinfektionen 
durch seine Finger vermieden werden, weil es trotz aller Vor¬ 
sicht passieren kann, dass an seine Finger Impfstoff gelangt (un- 
geberdige Kinder!). Dann aber kann er bei dieser Gelegenheit 
die Anwesenden über die Ursache und Bedeutung der Vakzine¬ 
infektion belehren und ihnen die Technik einer richtig vorge¬ 
nommenen Händewaschung und Abtrocknung vorzeigen. 

In bezug auf die Reinigung der Impfstelle ist eine um¬ 
ständliche Desinfektion gleichfalls unmöglich, es würde dies zu viel 
Mühe und Zeit erfordern. Nach Paul ist sie sogar entbehrlich, 
weil die Hautepiphyten ziemlich harmlos seien; er verlangt eine 
kurze Abreibung mit einem Aetherbausch. Zu bedenken ist hierbei 
übrigens, dass durch ein Reiben des kindlichen Arms mit ge¬ 
tränkter Watte zahlreiche mikroskopisch kleine Risschen in der 
zarten Epidermis erzeugt werden können, was die Gefahr eines 
unerwünscht starken Impferfolges und der Autoinokulation be- 



Ueber die vermeidbaren Impfschäden. 


275 


deutend erhöhen würde. Der bayerische Zentralimpfarzt Stampf 
teilt in seinem Bericht für 1902 mit, dass in einem Bezirk der 
Arm von 15 Erstimpfungen mit alkoholgetränkter Watte abge¬ 
rieben warde, während eine andere Serie von 12 Erstimpflingen 
unbehandelt büeb; der Erfolg war, dass nicht der geringste Unter¬ 
schied in der örtlichen Reaktion der beiden Gruppen wahr¬ 
genommen werden konnte. In einem anderen Bezirke konnte die 
Häufigkeit der Entzündung des Oberarms (12 %) nicht durch vor¬ 
herige Desinfektion der ImpfsteUe verhindert werden. (Es wird 
wohl zu frischer Impfstoff verwendet worden sein.) 

Nach allen Erfahrungen ist es ausreichend, dass die Kinder, 
wie Anlage C verlangt, absolut sauber (event. mit Seife) gewaschen 
und sauber gekleidet zur Impfung gebracht werden, und dass un¬ 
reine Kinder ohne weiteres abgewiesen werden; letzteres wirkt 
besser als langatmige Vorschriften bei Müttern und Wiederimpf¬ 
ungen, denn coram publico als Schmutzfink hingestellt zu werden, 
passt selbst Indolenten keineswegs, wovon ich mich schon mehr¬ 
fach mit Genugtuung überzeugen konnte. 

Was die Kleidung der Impflinge anlangt, so wäre wünschens¬ 
wert, wenn auf mögUchst weite Aermel aufmerksam gemacht würde. 

Hinsichtlich des Instrumentariums dürften die ausglüh- 
baren Platiniridiumlanzetten zurzeit das denkbar beste darstellen, 
sie bieten volle Gewähr für eine gefahrlose Impfung: für jedes 
einzelne Kind hat man ein ganz frisch keimfrei gemachtes In¬ 
strument, der Impfstoff kann in seinem Gläschen bleiben, die Ge¬ 
fahr einer Infektion des Impfstoffs mit pathogenen Keimen durch 
die Lanzette ist nicht mehr vorhanden. Das sind Vorteile gegen¬ 
über welchen alle Klagen verstummen müssen, wie z. B. über die 
Zeitfrage, den Mangel an Festigkeit, leichtes Umbiegen der Spitze, 
vorzeitiges Stumpfwerden, das störende Flackern der Flamme. Es 
scheint verschiedene Fabrikate zu geben, man muss eben das beste 
kaufen, dann hat man über Materialfehler nicht zu klagen; die 
Zeitfrage ist durchaus belanglos, wenn man über drei Lanzetten 
zu verfügen hat. Nach Stumpfs Jahresberichten gewinnt die 
Platiniridiumlanzette tatsächlich von Jahr zu Jahr an Boden. 

Neuerdings ist im Interesse der Asepsis auch schon die Rede 
von der Elinführung von Operationsmänteln gewesen; sie wird 
vorerst ein frommer Wunsch bleiben müssen zunächst wegen der 
Geldfrage, dann mit Rücksicht auf das grosse Publikum, bei 
welchem bekanntlich der Anblick eines Arztes im blendend weissen 
Operationsrock sofort die Schauer blutigster Operationen wachruft. 
Die Hauptsache ist und bleibt, dass die Hände und die Instru¬ 
mente einwandfrei sind; von den Kleidern des Arztes droht kaum 
Gefahr, da sie mit den Impflingen nicht in Berührung kommen, 
was eher bei den Müttern zutrifft, die ihre geimpften Kinder an 
sich drücken. 

Eine grosse Rolle bei der Vermeidung von unangenehmen 
Impfkomplikationen spielen der Impfstoff, die Ausführung der 
Schnitte und die Frage des Schutz verbau des. Dass der Impf¬ 
stoff tadellos rein sein muss, ist längst anerkannt und seitdem 



276 


Dr. Georgii. 


nur animale Lymphe verwendet werden darf und die Notwendig¬ 
keit der Ablagerung des frisch abgenommenen Kuhpockeninhalts 
erkannt ist, ist dieser Voraussetzung vollkommen entsprochen. 
Gefährlich kann er nur noch werden, wenn zu viel verwendet 
wird, also ein unnötiger Ueberschuss auf die Impfinsertionen ge¬ 
strichen wird, wovon die Vakzineinfektionen so gern ihren Aus¬ 
gang nehmen. In engem Zusammenhang damit steht die Form 
der Schnitte. Obwohl nach Anlage C, § 16 nur 4 leichte 
Schnitte von höchstens 1 cm Länge als genügend empfohlen werden, 
scheint der Kreuz-, der Doppel- und der Gitterschnitt noch ver¬ 
hältnismässig häufig namentlich von älteren Impfärzten angewendet 
za werden; diese Schnitte erfordern entsprechend mehr Lymphe, 
geben Anlass zu heftigen Reizerscheinungen und zu den mit Recht 
so verpönten Vakzineinfektionen; sie stammen noch aus der Zeit 
der Verwendung humanisierten Impfstoffes her, dessen Wirksam¬ 
keit vorher nicht geprüft werden konnte, weshalb die Sicherheit 
des Erfolgs nicht immer zweifellos war. Die Fortschritte der 
Impfstoffgewinnung und die Herstellung tadelloser sicher wirkender 
Tierlymphe machen nunmehr diese komplizierten und deshalb ge¬ 
fährlichen Schnitte überflüssig. Es sollte daher der § 16 aus¬ 
drücklich diese Schnittformen verbieten und dementsprechend 
ergänzt werden. 

Die Frage des Schutzverbandes ist in letzter Zeit viel 
erörtert worden: er hat die Frühinfektionen und die Uebertragung 
von überschüssiger Lymphe auf andere gefährdete Körpergegenden 
zu verhüten. Paul ist der begeistertste und energischste Ver¬ 
fechter dieser Forderung. Er verlangt die Bedeckung der Impf¬ 
stellen mit einem aseptischen Verband unmittelbar nach der 
Impfung für mindestens 24 Stunden und verwendet die in dem 
Laboratorium des Apothekers B. Rothziegel in Wien unter 
streng aseptischen Kautelen hergestellten Tegminverbändchen, die 
sich ihm seit einer Reihe von Jahren als die zweckmässigsten, 
einfachsten und billigsten Impfverbände vorzüglich bewährt und 
u. a. den Beweis geliefert haben, dass man Ekzembehaftete bei 
ihrer Anwendung anstandslos impfen kann. Der Anschaffungspreis 
beträgt weniger als zwei Heller pro Impfling. Nach den Stump f- 
schen Berichten wird die Anwendung eines Deckverbandes als 
wirkungslos, zeitraubend und teuer verworfen; auch die von 
Ludwig besprochenen Fürst sehen Impfschutz verbände (40 Pfg. 
pro Impfling) sind für die allgemeine Impfpraxis zu umständlich 
und zu teuer. Car in i will wegen der Tetanusgefahr einen fest 
anliegenden Verband, wodurch anaerobe Verhältnisse geschaffen 
werden können, vermieden wissen. 

Die rationellste Lösung der Frage wäre m. E. die, wenn 
sich für die Lymphe ein anderes ebenso gutes Verdünnungsmittel 
als das Glyzerin finden liesse, welches den Nachteil des Glyzerins, 
die Unmöglichkeit vollkommener Eintrocknung nicht hat, sondern 
eine rasche vollständige Vertrocknung des aufgetragenen Impf¬ 
stoffes zulassen würde; dann würde die Gefahr des Verschmierens 
durch Kleidung und Finger beseitigt. 



Heber die vermeidbaren Impfschäden. 


277 


Anders verhält sichs mit der Behandlung der aufgeplatzten 
oder aufgekratzten Impfpusteln, was man oft bei der Nach* 
schau zu sehen bekommt; hier ist es Pflicht des Impfarztes, vor 
nnzweckinässiger Behandlung, besonders vor all den gefährlichen 
meist schmutzigen Hausmitteln, die zur Linderung der Beschwerden 
angewendet werden, energisch zu warnen und entsprechende Ver- 
h&ltungsmassregeln zu geben, weil ja die meisten „vermeidbaren“ 
Impfschäden in derZeit nach der Nachschau durch solche Mittel 
and Behandlung aus Mangel an Aufmerksamkeit entstehen. Also 
immer und immer wieder ist Sauberkeit zu predigen; als Mittel bei 
aofgeplatzten oder aufgekratzten Impfpusteln sind aseptische, aus¬ 
trocknende, häufig anzuweudende Streupulver und aseptische 
Salben zu verordnen; wenn Okklusivverbände sich nötig erweisen, 
ist reines Verbandmaterial zu verwenden und keine Windeln, 
Schmalzflecken oder Schmeerhäutchen! 

Von grosser Bedeutung ist weiterhin die Zahl der in 
einem Termin zu impfenden Kinder. Je weniger Kinder 
vorgeladen sind, um so eher wird eine Ueberhastung und damit 
eine Verminderung der Sicherheit des Impfgeschäfts vermieden. 
Wird z. B. der Erlass des Königl. württembergischen Medizinal- 
Kollegiums vom 9. Februar 1897 (Krauss, 1901, S. 514) streng 
befolgt, so ist nicht nur die Notwendigkeit der Prüfung des Ge¬ 
sundheitszustandes des einzelnen Impflings vor der Impfung ge¬ 
währleistet, auch ihre exakte Ausführung gewinnt wesentlich und 
mancher Impfschaden wird somit vermieden. Paul verlangt, dass 
höchstens 60 Impflinge an einem Termin geimpft werden, um 
diesen Forderungen gerecht zu werden. Er rechnet zwei Minuten 
im Durchschnitt für jeden Impfling, also zwei Stunden für jeden 
einzelnen Termin; das ist dnrchaus richtig und notwendig. 
Für unsere Verhältnisse ist nun die Frage wichtig, wieviel solcher 
Termine dürfen von einem öffentlichen Impfarzt an einem Tag 
abgehalten werden ? Die Beantwortung ist schwierig insofern, als 
zunächst individuelle Momente eine grosse Rolle spielen, z.B. Alters¬ 
unterschiede: der eine arbeitet bei gleicher Pünktlichkeit rasch, 
der andere langsamer; der eine hat als vielbeschäftigter prakti¬ 
scher Arzt immer Eile und will mit dem schlecht bezahlten Impf¬ 
geschäft deshalb möglichst rasch fertig werden, der andere ist 
glücklich, wenn die Impfzeit naht und er Gelegenheit bekommt, 
möglichst lange seinen Bezirk zu bereisen und dabei Land und 
Leute kennen zu lernen. Impft also der eilige Routinier in zwei 
Stunden 200 Kinder, so ist das etwas anderes, als wenn der Impf¬ 
frohe einen ganzen Tag ausschliesslich auf 4—6 Termine mit zu¬ 
sammen 200 Impflingen verwendet. Nur einen Tagestermin ä 50 
bis 60 zuzulassen, ist wegen der geographischen Verhältnisse und 
des Zeitverlustes unmöglich. Die Frage ist also zurzeit vor¬ 
wiegend eine Geldfrage und wird am schönsten gelöst werden, 
wenn diese bei einer etwaigen Festlegung der Zahl und Dauer 
der Termine vorwiegend berücksichtigt wird. 

Es mögen hieran die häufigsten Erkrankungen kurze Er¬ 
wähnung finden, welche unter den zur Impfung gebrachten Kindern 



278 


Dr. Georgii. 


zur Beobachtung kommen: von den allgemeinen Ernährungsstörungen 
das Kleeblatt: Rhachitis, Anämie und Skrophulose inkl. chronischer 
Darmkatarrhe (Atrophie); dann kommen die Varizellen und ver¬ 
blasste Masern; von den örtlichen’: verschiedene Dermatosen, wie 
Ekzem, Prurigo, Ichthyosis, Ulcera, lokale tuberkulöse Affektionen, 
Knochen- und Drüsenfisteln; ferner laufende Ohren, Lid- und andere 
Furunkel, Panaritien (letztere bei Wiederimpflingen namentlich), 
und sehr häufig wunde Hautstellen und Hautfalten an Nates, 
Vulva, Scrotum, Achsel- und Inguinalfalten. 

Diese Zusammenstellung mag genügen, um darzutun, dass 
die Untersuchung des Gesundheitszustandes der Impflinge sich 
nicht bloss auf die Betrachtung des Gesichts und des Arms be¬ 
schränken darf, sondern eine gründlichere sein muss, wenn man 
sich vor so fatalen Dingen, wie z. B. der Vakzineophthalmie 
schützen will; ganz besonders wichtig ist die Beachtung des oft so 
verborgenen Intertrigo. 

Je gründlicher die Untersuchung der Impflinge ausfällt, um 
so häufiger kommt man zur eigenen Ueberraschung und oft zum 
Erstaunen der Mütter zur Zurückweisung scheinbar ganz gesunder 
Kinder. Uebrigens darf die Frage, ob man Ekzemkinder impfen 
soll, nicht ohne weiteres verneint werden; während im all¬ 
gemeinen, wenn keine Blatterngefahr besteht, sie besser zurück 
gewiesen werden, wird man anderseits solche ruhig impfen können, 
wenn man sich der event. Tragweite seines Tuns bewusst ist; 
denn diejenigen, welche auf der Höhe der Zeit stehen, wissen, 
dass ein zufällig vakziniertes Ekzem eine recht unangenehme und 
unter Umständen sehr gefährliche Impfkomplikation ist, sie wissen, 
dass nur die direkte Uebertragung der Vakzine auf eine ekze¬ 
matöse Hautstelle des Impflings oder eines Ungeimpften diese 
Komplikation zur Folge hat, sowie dass bei den Ungeimpften die 
Affektion einen schwereren Verlauf nimmt, als bei den Geimpften, 
somit kennen sie auch die Prophylaxe. Will man also aus irgend 
einem Grunde ein sonst gesundes Ekzemkind ohne Gefahr für 
seine Gesundheit impfen, so kann dies künftig wie bisher zuge¬ 
lassen werden, wenn dabei alle Vorsichtsmassregeln beachtet 
werden, die diesen Voraussetzungen entsprechen (Paul). Die 
Entscheidung und die Verantwortung muss dagegen selbstredend 
künftig einzig und allein dem Arzt zufallen (Bl och mann). 

Aber auch die Nachschau ist nicht so einfach, als man 
vielfach glaubt; denn sie erfordert ebenfalls die volle Aufmerk¬ 
samkeit des Arztes. Nicht nur die Impfstelle und die Zahl der 
entwickelten Pusteln, das ganze Kind ist einer sachverständigen 
Besichtigung zu unterwerfen, und hier bietet sich reichlich Ge¬ 
legenheit, vermeintliche wie wirkliche Impfschäden durch ver¬ 
ständliche Belehrung der Mütter und Wiederimpflinge zu verhüten. 
Dass aber hier der kurz hingeworfene Hinweis, z. B. auf Salben¬ 
flecke, Bleiwasserumschläge und dergl. nicht genügt, ist sicher; 
mau muss sich Zeit nehmen und näher auf etwaige Abweichungen 
vom normalen Impf verlauf, sowie auf andere Krankheiten eingehen. 
So ist z. B. die Messung der Körpertemperatur in allen verdäch- 



Ueber die vermeidbaren Impfschäden. 


279 


tigen Fällen ausserordentlich wichtig; in gewissen Fällen ist eine 
eingehende Untersuchung eines Kindes ausschlaggebend dafür, ob 
eine Gesundheitsstörung die zwischen Impfung und Nachschau sich 
einatellt, der Vakzination zur Last gelegt werden muss oder nicht. 
Geschieht dies nicht, so wird hinterher alles eo ipso dem Impf¬ 
zwang in die Schuhe geschoben. Die geeignete Illustration hierzu 
möge folgende Zusammenstellung geben: Es wurden in Nachschau- 
terminen beobachtet: Erytheme, Nebenpusteln, Autoinokulationen, 
aQfgeplatzte und aufgekratzte Pusteln, letztere mit ranzigem 
Oel, Meerzwiebelblättern, selbstbereiteten Salben, zum Teil aus 
der Dreckapotheke stammend, schmutzigen, von anderen Kranken 
abgelegten Verbandstoffen und alten Hemdfetzen verbunden usw., 
dann Achseldrüsenschwellungen, zufällige Verbrennungen, ferner 
Magenkatarrhe, Sommerdiarrhoeen, Kapillarbronchitis, Pneumonien; 
Varizellen und Masern; besonders starke Allgemeinreaktion ohne 
sonstige Störungen; schmutzige Wäsche, Kleidung und Hände von 
Kindern und Müttern nicht zu vergessen! Also auch hier spielt 
die Zeitfrage eine grosse Rolle bei der Verhütung einer Reihe 
von vermeidbaren Impfschäden, insbesondere den Spätinfektionen. 

Literatur in chronologischer Folge. 

1. Fürst: Die Pathologie der Schutzpockenimpfung. Berlin 1896. 

2. Leoni: zitiert von Fürst 1. c. 

3. Stumpf: Ueber Züchtung von Tierlymphe. Münch, med. Wochen¬ 
schrift; 1898, 5, S. 135 ff. 

4. Medizinalberichte von Württemberg für 1900, 1901, 1902. 

5. Stumpf: Berichte über die Ergebnisse der Schutzpockenimpfung im 
Königreich Bayern für 1900,1901, 1902,1903 in Münchener med. Wochenschrift, 
1901, Nr. 51; 1902, Nr. 48; 1904, Nr. 3, Nr. 49. 

6. Paul: G., Jahresbericht der k. k. Impfstoffgewinnungsanstalt in Wien 
über das Betriebsjahr 1900. Das österreichische Sanitätswesen; 1901, 
.\'r. 39-42. 

7. Krauss: Medizinalwesen im Königreich Württemberg, 1891 u. 1901. 

8. Paul, G., Ueber den gegenwärtigen Stand der aseptischen Impf- 
technik. Das Oesterreichische Sanitätswesen; 1901, Nr. 46 f. 

9. Paul, G. : Studie über Aetiologie und Pathogenese der sogenannten 
generalisierten Vaccine. Archiv für Dermatologie; Bd. 52. 

10. Bl och mann: Ist die Schutzpockenimpfung mit allen notwendigen 
Kautelen umgeben? Tübingen 1904. 

11. Levy: E., Glyzerin und Lymphe. Münchener med. Wochenschrift; 
1904, S. 307. 

12. Baginski: Generalisierte Vaccine. Ibidem; 1904, Nr. 31, S. 1409. 

13. Düring: Zur Lehre vom Ekzem. Ibidem; 1904, 36, S. 1599. 

14. Lublinski: Akzidentelle Vakzination der Nasenschleimhaut. Ibidem; 
1904, Nr. 52, S. 2328. 

15. Paul: G., Ueber Impfschäden. Das österreichische Sanitätswesen; 
1904, Nr. 8—16. 

16. Ludwig: Erfahrungen über Impfschutzverbände. Württembergisches 
med. Correspondenz - Blatt; 1904, Nr. 80. 

17. Stumpf: Zur Geschichte der Königl. bayerischen Zentralimpfanstalt. 
Münchener med. Wochenschrift; 1905, Nr. 3, S. 128 f. 

18. Flachs: Beitrag zur Impftechnik. Archiv für Kinderheilkunde; 
40. Bd., 1.-3. Heft. 

19. Wilhelmi: Impfschädigungen. Beilage zur Zeitschrift für Mcdi- 
zinalbeamte; IIL, 1905. 

20. Carini: Kuhpockenlymphe und Tetanus. Referat in Zeitschrift 
für Medizinalbcamtc; 1905, Nr. 4, S. 110. 



280 


Dr. Hülsmeycr: Ueber einen neaen Lymphröhrenhalter. 


Ueber einen neuen Lymphröhrenhalter. 

Von Kreisarzt Dr. L. Uülsmeyer in Bütow. 

Im folgenden möchte ich die Herren Kollegen auf einen sehr 
praktischen Lymphröhrenhalter aufmerksam machen, den ich be¬ 
reits in der vorigen Impfsaison anwenden konnte. 

Es handelt sich um ein aus starkem Draht zierlich gefertigtes 
Hebelgestell, welches auf einem Holzbrettchen angebracht ist. In 
das Gestell wird der gefüllte Lymphtubus, wie er aus der Anstalt 
zur Gewinnung tierischen Impfstoffs geliefert wird, eingeklemmt. 
Ein zweckmässig angebrachter Deckel bedeckt das Gläschen 
während des Impfens; derselbe wird nur zur Lymphentnahme für 
einen Augenblick geöffnet. Nach dem Gebrauche wird das Gläs¬ 
chen, mit dem Korkstöpsel versehen, bis zum definitiven Verbrauch 
der Lymphe in dem Apparat belassen, der vollkommen zusammen¬ 
gelegt und in ein kleines Futteral gesteckt werden kann. Die 
Grösse des ganzen Gestells beträgt 2 1 /* : 8 : 3 cm (S. Abbildung). 



Die Handhabung dieses Lymphröhrenhalters ist höchst ein¬ 
fach und praktisch. Die linke Hand des Operateurs bleibt voll¬ 
kommen frei. Mit dem kleinen Finger der rechten Hand, welche 
das Impfin8truraent schreibfederartig hält, wird der Hebel nieder¬ 
gedrückt und dadurch der Lymphtubus unter dem kleinen Deckel 
hervorgehebelt. Nach der äusserst bequemen Entnahme der Lymphe 
verschwindet der Tubus sogleich wieder unter dem Deckel. Die 
Einrichtung ist so zierlich, dabei aber stabil und leicht zu hand¬ 
haben, dass die Benutzung des kleinen Apparates eine Freude 
ist. Sie erleichtert die Impfung einer grösseren Anzahl von 
Kindern ungemein. 

Als besondere Vorzüge des Apparates sind hervorzuheben: 

1. Die Lymphe ist während des Impfens permanent bedeckt. 
Die Oeffnung des Impfröhrchens bei der Lymphentnahme ist eine 
ganz momentane. 

2. Die Verimpfung der Lymphe geschieht direkt aus dem 
Röhrchen. Dadurch wird das Ausgiessen in eine Schale, womit 
Vergeudung von Lymphe verbunden ist, und die lästige Reinigung 




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Dr. Friedei: Ein Besteck zur sero• diagnostischen Blutentnahme. 281 


und Desinfektion des Lymphbehälters überflüssig. Die Lymphe 
wird ans dem Röhrchen bis zum letzten Rest verbraucht. 

3. Der Apparat ist äusserst bequem und leicht zu handhaben. 

4. Derselbe beschwert das Impfinstrumeutarium nicht mehr, 
eher weniger, als irgend ein anderes Lymphentnahmegefäss. 

Ich bemerke noch, dass der Lymphröhrchenhalter von dem 
prakt. Arzt Herrn Dr. Grimm in Gross-Tuchen konstruiert ist. 
Die fabrikmä8sige Herstellung desselben hat die Firma Evens & 
Pi stör in Cassel übernommen. 


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Ein Besteck zur sero-diagnostischen Blutentnahme. 

Von Kreisassistenzarzt Dr. Frledel - Coblenz. 

Von W. Goetz, Fabrik chirurgischer Instrumente in Coblenz, 
wird nach meinen Angaben ein kleines Metallkästchen ausgeführt, 
das in kompendiöser Form alles enthält, was man bei der Blut¬ 
entnahme zu sero - diagnostischen Zwecken, also vor allem zur 
Typhus - Diagnose braucht. Wie aus der Abbildung ersichtlich, 
ist in dem Bodenteil in besonderen Fächern untergebracht: ein 
Fläschchen mit Alkohol oder Seifenspiritus zur Desinfektion, Licht, 
Zündhölzer, Siegellack, Glaskapillaren und ein Lakerscher Stecher; 
im Deckel ist Platz für gefüllte Röhrchen und Watte vorgesehen. 
Die Benutzung des Lak er sehen Stechers kann ich dringend 
empfehlen; es lässt sich mit ihm die kleine Verletzung, am besten 
am Ohrläppchen, so vollkommen schmerzlos ausführen, dass z. B. 



Kinder den Einstich überhaupt nicht bemerken, wenn man ihn 
ohne jede Vorrede, durch die man sie meist nur ängstigt, vor- 
mmmt. Die Kapillaren haben zweckmässig eine gleichmässige 
lichte Weite von 2—2*/* mm bei einer Länge von 12 cm und sind 
an den Enden nicht spitz zugeschmolzen, sondern weit offen; in 
ihnen findet eine schnelle Gerinnung des Blutes nicht statt, so 
dass man sie in aller Ruhe vollständig füllen kann; Sterilität 
der Kapillar - Röhrchen ist nicht erforderlich. Nach der Füllung 
'»ird auf die kleine Wunde ein Watteflöckchen gelegt, das sich 
sofort ansaugt und die Blutung stillt. 

Die Zusammenstellung hat sich besonders bei den Typhus- 
Ermittelungen der Kreisärzte als recht handlich bewährt; Preis: 
komplett 12 Mark. 


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282 


Dr. Thomalla: Vermeintliche Notzucht. 


Vermeintliche Notzucht. 

Von Dr. Robert Thomalla, Kreisassistenzarzt in Waldenburg. 

Vor kurzer Zeit wurde ick zu einer guten Biirgerf&milie in 
Berlin gerufen mit der Bitte, das sechsjährige Töchterchen zu unter¬ 
suchen, welches angeblich gemissbraucht worden sei. Man schien 
auch schon den Verdacht auf eine bestimmte Person gelenkt zn 
haben. Bei der Untersuchung der Geschlechtsteile fand ich 
zwischen den Schamlippen reichlich Schleim und dünnflüssiges 
Sekret, ausserdem an den kleinen und grossen Schamlippen ong 
aneinander liegend und zerstreut einzelne mit flachen Borken be¬ 
deckte Stellen und dazwischen eitrige Pusteln an der Spitze mit 
kleinen schon vertrockneten Borken bedeckt. Das Hymen war 
völlig intakt. Das Kind leugnete jegliche Berührung von seiten 
eines Mannes. Ich war bald davon überzeugt, dass von einer 
Notzucht keine Rede sein konnte. Das Kind gab auf meine An¬ 
fragen gern zu, an der Vulva stets an Juckreiz zu leiden and 
sich öfters mit der blossen Hand daselbst gekratzt und „ge- 
krümmert“ zu haben. — Ich vermutete sofort Oxyuren, die allein 
aber diese Erscheinung noch nicht hervorgebracht haben konnten. 
Nun fand ich an der Stirn, vom Ohr bis über die Haargrenze 
reichend, eine Impetigo contagiosa, die in einer hiesigen Poliklinik 
behandelt wurde. Jetzt war mir die Diagnose klar. Das Kind 
hatte sich an der kranken Stelle an der Stirn gekratzt und mit 
derselben Hand sich an der Vulva gejuckt und dadurch daselbst 
eine Autoinfektion hervorgerufen. 

Mit derselben Salbe mit der die Impetigo an der Stirn be¬ 
handelt wurde, waren in wenigen Tagen die krankhaften Er¬ 
scheinungen der Vulva beseitigt. 

Welches Unheil hätte angerichtet werden können, wenn der 
verdächtigte Mann, ohne Zuziehung eines Arztes, denunziert 
worden wäre. 


Eine tödliche Vergiftung mit Salmiakgeist. 

Von Kreisarzt Dr. Romeick in Mohrnngen. 

Das 8 Monate alte, kräftige Mädchen des Herrn X. von hier 
erkrankte am 26. Januar an leichtem Luftröhrenkatarrh und wurde 
meiner Behandlung übergeben. Ich verordnet« Mixtura solvens 
zweistündlich einen Kinderlöffel und wiederholte nach Verbrauch 
diese Verordnung. Die zweite Medizin wurde in einer neuen 
Flasche angefertigt. In der ersten Flasche hatte sich der Vater 
des Kindes aus der hiesigen Drogenhandlung (welche keine Gift¬ 
konzession besitzt) für 20 Pf. Salmiakgeist (Aetzammoniak, Liquor 
Ammonii caustici) gegen seinen Schnupfen geholt, und diese neben 
die Medizin des Kindes auf den Nachttisch gestellt. Am 5. Fe¬ 
bruar, 6 Uhi* morgens, gab er dem Kinde durch Verwechselung 
der Flaschen einen Kinderlöffel Salmiakgeist. Ich verordnete so¬ 
fort die üblichen Gegenmittel: verdünnte Essig- und Zitronen¬ 
säure, Oel, Schleim und Milch. Die Schleimhaut des Mundes und 



Dr. Romeick: Eine tödliche Vergiftung mit Salmiakgeist. 


283 


Rachens zeigte weisse Schorfe; es trat blutiges Erbrechen, blutiger 
Stuhl, Bochein, Atemnot und nach 48 Stunden unter Bewusst¬ 
losigkeit und Krämpfen der Tod ein. 

Eine Strafverfolgung des Vaters wegen fahrlässiger Tötung 
zu beantragen, war ich weder geneigt, noch m. E. wegen der 
Pflicht ärztlicher Verschwiegenheit überhaupt befugt. Dagegen 
scheint es mir nötig zu erwägen, ob solche Vorkommnisse sich 
nicht verhüten lassen. Salmiakgeist (mit dem üblichen Gehalt 
von 10—15 % Ammoniak) darf von jedermann in jedem beliebigen 
Gefass abgegeben werden. Ein irrtümlicher innerer Gebrauch 
vird wegen des stechenden Geruchs und Geschmacks bei Er¬ 
wachsenen und grösseren Kindern nicht leicht Vorkommen. Der 
vorliegende Fall lehrt aber, dass dieses Unglück bei kleinen 
Kindern eintreten und den Tod zur Folge haben kann. Daraus 
ergibt sich die Forderung, den Salmiakgeist in die Zahl der Gifte 
aufzunehmen (in Abteilung 8 der Anlage I der Vorschriften über 
den Handel mit Giften — Bundesratsbeschluss vom 29. November 
1894; preuss. Ministerial-Polizei-Verfügung vom 24. August 1895), 
so dass es nur bei vorhandener Giftkonzession und nur in Ge- 
fässen mit der Aufschrift „Gift“ und Inhaltsangabe in roter 
Schrift auf weissem Grunde abgegeben werden darf. Sollte dies 
nicht angängig sein, so müsste wenigstens die für die Apotheke 
gütige Bestimmung, dass die zum äusseren Gebrauche verord¬ 
nten flüssigen Arzneien nur in sechseckigen Gläsern mit Zet¬ 
teln von roter Grundfarbe abgegeben werden dürfen (Bundes¬ 
ratsbeschluss vom 13. Mai 1896; preuss. Ministerial-Erlass vom 
22. Juni 1896, § 9), verallgemeinert werden. Es müssten alle nur 
zum äusseren Gebrauch bestimmten Mittel, sofern ihr innerlicher 
Gebrauch von irgend welchen gesundheitsgefährlichen Folgen be¬ 
gleitet sein kann, sowohl in den Apotheken, als auch in allen 
anderen Verkaufsstellen der gleichen Bestimmung unterworfen 
werden. Solche Mittel in Trink- oder Kochgefässen oder alten 
Hedizinflaschen usw. abzugeben, ist zu verbieten. 


Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 

Gerichtliche Medizin und Psychiatrie. 

Ton der Embryoktonle oder dem geflissentlichen Missgebären. Von 

Ploacqaet. Referat, erstattet von San.-Rat Dr. Malert, Kreisphysikus 
rn Waren. 

Die Ploncqnetsche Langenblntprobe ist jedem Gerichtsarzt bekannt, 
dagegen dürfte das Originalwerk, in dem Ploacqaet die von ihm angegebene 
Probe beschreibt and begründet, nar wenigen Kollegen bekannt sein. Durch 
Zufall kam ich in den Besitz dieses Werkes; sein Inhalt ist so interessant, 
daß es mir angezeigt erschien, einiges daraus im Wege des Referates zu ver¬ 
öffentlichen bezw. wieder von neuem in die Oeffentlichkeit zu bringen. 

Das Ploucqaetsche Werk ist in der ersten Auflage noch lateinisch 
geschrieben; eine zweite, mir za Gebote stehende and 1788 heraasgegebene 
Ansgabe ist in deutscher Sprache erschienen, am, wie der anbekannte üeber- 
setzer in der Vorrede sagt, die Beobachtungen und Entdeckungen, deren 
Wichtigkeit jedermann einsehen wird, allgemeiner and bekannter za machen. 

Das Bach ist betitelt: D. Wilhelm Gottfried Ploacqaet's öffentlichen 



284 


Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften. 


ordentlichen Lehrers der Arzneigelahrtheit za Tübingen Abhandlang aber die 
gewaltsamen Todesarten. Als ein Beitrag za der mcdicinischen Rechtsgelahrt¬ 
heit. Zweite, aas dem Lateinischen übersetzte and sehr vermehrte Auflage. 
Tübingen, bei Jakob Friedrich Heerbrandt 17.S8. Es zerfällt in drei Ab¬ 
schnitte: Abschnitt I handelt von dem Menschenmorde; Abschnitt II von 
dem Kindermorde — hier findet sich aach die Beschreibung der Langen* 
blatprobe—; Abschnitt III von der Embryoktonie oder dem geflissentlichen 
Mißgcbähren, oder, wie wir heute sagen, von dem verbrecherischen Abort. 
Mißgebähren and Mißgebart bedeuten bei Ploacqaet nämlich nar Abort, 
nicht das, was wir anter Mißgeburt verstehen. 

Der Abschnitt von der Embryoktonie zerfällt in zwei Kapitel, von 
denen das erste mit folgendem Paragraphen eingeleitet wird: „Beides, das Er¬ 
morden einer in der Mutter enthaltenen Fracht, oder das geflissentliche Mi߬ 
gebähren, will ich anter dem Wort Embryoktonia (oder wann ich lateinische 
Wörter machen dürfte) anter dem Wort feticidiam verstanden wissen.* Es 
folgen dann einige geschichtliche Bemerke, aas welchen za erwähnen ist, daß 
bei den Römern die Frachtabtreibung lange ungestraft geblieben sein soll, ob¬ 
gleich sie häafig aasgeübt warde, wie aas folgenden Versen Javenals 
(Sat. VI) hervorgeht. 

„Sed jacet aurato vix ulla puerpera lecto 
Tantum artes hujas, tantam medicamina possant, 

Qaae steriles facit, atque homines in ventre necandos.“ 

„Aach heutigen Tages, erzählt Ploacqaet dann weiter, soll die Frncht- 
abtreibung bei einigen Nationen geduldet werden. Bei uns ist es ein Gegen¬ 
stand der peinlichsten Rcchtsgelehrsamkeit, and wird anter die Verbrechen 
gezählt.* 

Das zweite Kapitel handelt von der Embryoktonie insbesondere. Das 
Töten einer Fracht in der Matter geschieht entweder unmittelbar oder mittelbar. 
Die anmittelbare Tötung wird vorgenommen einmal vermittels eines 
spitzigen Instrumentes, das durch den Muttermund oder durch die Matter 
selbst hineingestochen wird; das kann die ganze Schwangerschaft hindurch 
geschehen, hauptsächlich auch in den letzten Monaten, wann der Mattermnnd 
weiter offen steht. Zam Beweise dafür, daß auch die Römer diese Methode 
kannten und aasübten, werden folgende Verse Ovids angeführt: 

Vestra quid essoditis subiectis viscera telis, 
et nondum natis dira venena datis ? 

Haec neque in Armeniis tigres fecere latebris, 
perdere nec fetus ausa leaena suos. 

At tenerae faciant, sed non impane, paellae, 
saepe suos utero quae necat, ipsa perit. 

Nachdem P. im Anschluß hieran berichtet hat, daß Hippocrates, 
Asclepiades, Erasistratus, Herophilns and Soranas die Früchte 
bei der Unmöglichkeit einer natürlichen Entbindung mittels eines ehernen 
spitzigen Instrumentes getötet hätten „damit sie nicht lebendig gemezelt 
werden“, erzählt er, daß nach dem Berichte von Hebenstreit „1692 eine 
gottlose Hebamme zu Paris gehenkt worden, da sie die Matter der sehwangeren 
Frau durch ein taugliches Instrument durchbohrt und die Frucht getötet habe, 
damit die Frau mißgebähren sollte; aber der Aasgang war so anglücklich, daß 
die Matter Gichter bekam und starb, worauf das abscheuliche Weib selbst 
gestand, daß sie mehrere Kinder auf diese Art amgebracht, ohne Schaden der 
Mütter.“ Weiter wird folgende Stelle aus Hallers Vorlesungen angeführt: 
„Tn Italien, als wo die Bosheit sinreicher ist, dann nirgend, haben die geilen 
Dirnen den Gebrauch, wann sie an sich Zeichen der Empfängniß wahrnehmen, 
mit einer Haarnadel, die sie durch den Muttermund in den uteras za bringen 
wissen, den Fötus zu tödten; die Sache ist an und für sich mehr als möglich 
and anter allen Arten des Kindermords ist diese gewis für eine der straf¬ 
barsten zu halten.“ 

Aus theoretischen Erwägungen kommt P. za dem Schloß, daß auch 
„starke elektrische Stöße“ unmittelbar zur Tötung der Frucht dienen können; 
er führt hierfür aus Ludovicus Bonaciolus de format. foetas als Beispiel 
an, daß „Martia die vornehmste unter den Römern vom Blitz getroffen worden 
and obwolen ihr Kind starb, selbst doch außer einigen Uebelbefinden gesund 
und beim Leben geblieben sei.“ 



Kleinere Mitteilungen nnd Referate ans Zeitschriften. 


285 


Ob die Pracht durch Stöße, Druck und Treten vor den schwangeren 
Unterleib getötet werden könne, ist nach P. nicht gewiß. Daß die Frucht ver¬ 
giftet werden könne, ohne daß die Matter ams Leben käme, hält er für möglich. 

Mittelbar wird eine unreife Fracht getötet, wenn ihr Säfte, welche 
aus der Matter in sie übergehen, entzogen werden. Dies hat statt 

1. bei häufigen Aderlässen, 

2. wenn eine aafs neae schwangere Person ein anderes Kind za lange sängt, 

3. durch Fasten, 

4. durch einen vermittelst des Quecksilbers erregten Speichelflaß. 

Aber diese Arten, sagt P., richten auch die Schwangere selbst zagrnnde 
and werden daher selten versucht. Eine andere und häufiger geübte Art der 
mittelbaren Tötung besteht in Störung der Verbindung zwischen Mutter und 
EL Hierin gehören heftige mechanische Erschütterungen, Stöße, Schläge, Fall, 
heftiges Erbrechen, Niesen, Husten und Schreien. Es wird als Beispiel aus 
Hippocrates (•pvaixehov d) folgende, wie P. sagt, für uns ärgerliche Ge¬ 
schichte angeführt: „Eine uns sehr bekannte Frau hatte eine schöne Singerin, 
welche mit Männern Umgang hatte, und vor welche es sich garnicht schickte, 
schwanger zu sein, damit sie nicht verachtet würde. — Und da sie einmal 
gefühlt hatte, daß der Saame nicht abging, so sagte sie es ihrer Frau, und 
die Sache kam auch vor mich; und da ich es gehört hätte, hieß ich sie auf 
die Erde springen, und da sie das siebenmal gethan hatte, so kam die Geburt 
hervor und that einen Klapf.“ Haller bezweifelte die Geschichte, P. aber 
hält sie für wahrscheinlich und sagt: „sie ist so garnicht wider die medizini¬ 
schen Grundsätze, daß sogar auch das Tanzen von Gaubius unter die Ur¬ 
sachen des Misgebährens gezählt wird.“ Dagegen bezweifelt P. folgende 
Geschichte des Arnoldus Montanus, der von den Weibern in Formosa er¬ 
zählt, «daß diejenigen, welche vor dem 37. Jahre schwanger werden, auf eine 
abscheuliche Weise ihre Leibesfrucht töten. Sie legen sich anf ihre Schlafstätte 
nieder und die herzugerufenen Priesterinnen druken und treten solange auf 
ihren befruchteten Leib, bis die Frucht nicht ohne erschreckliche Schmerzen 
abgeht.“ George Camdius, evangelischer Prediger auf Formosa, erzählet: 
.daß er eine Frau gekannt habe, welche 16 Kinder auf ermeldete greuliche 
Weise losgeworden, und nun mit dem 17. schwangor gegangen, welches sie 
znr Geburt kommen lassen, weil sie die .Jahren erreicht, da sie ohne Schande 
gebähren mögen.“ — 

Als weitere, aber schwächer wirkende mechanische Mittel werden an¬ 
geführt: „Druck, jede gewaltsame Anstrengung mit Anhaltung des Atems, im 
Tragen, Heben der Lasten, im Ziehen, Ringen beim Ausstrecken der Glieder, 
Wasserlassen, Stuhlgchen, Stuhlzwang; ferner die Wirkung drastischer Purgir- 
mittel, enge Schnürbrüste, Binden, Holz oder Eisen um den Unterleib gebunden.“ 

Nächst diesen mechanisch wirke n den Ursachen kommen daun die Mittel 
ia Betracht, welche „einen größeren Zutrieb des Blutes gegen die Gebärmutter“ 
und dadurch eine Trennung von Ei und Mutter bewirken. Solch Zutrieb ent¬ 
steht durch „Wallungen“ nnd die Wallungen werden bewirkt durch erhitzende 
Speisen, Getränke, Arzneimittel, Gifte. 

Hier führt P. folgendes Verzeichnis an: 

Die Wurzel von der langen und runden Osterluzei (Aristolochia longa 
et rotunda). 

Das Kraut von der Stabwurz und dem weißen Beifuß (Artemisia vulgaris 
et abrotanum). 

Das Melissenkraut (Melissa officinalis). 

Das Beimünthenkraut (Montha Pulegium). 

Der Same und das Kraut der Weinraute (Ruta graveolcns). 

Das Kraut und Oel vom Sevenbaum (Juniperus Sabina). 

Die Lorbeere (Laurus nobilis). 

Die Staubfäden von dem Safran (Crocus sativus). 

Das Eisen. 

Bei der Sabina ist bemerkt, daß der öffentliche Verkauf den Apothekern 
verboten sei. 

Ferner werden angeführt: Harze, Balsame, Gewürze, destillierte Oele die 
Mittel, welche aus diesen zusammengesetzt sind ferner der Wein, Weingeist, 



286 Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 

Mohns&ft, der Kaffee und die Ananas, die ein starkes fruchtabtreibendes Mittel 
sein soll. 

„Einen besonderen Zatrieb gegen die Matter bringt aach zuwege die 
Erschlaffung der Gefäße, welche nahe bei der Matter sind.“ Hierfür werden als 
Ursachen angeführt: Faßbäder, warme Bäder, erweichende Breiumschläge in 
der Gegend des Uterus, erweichende Klystiere, Aderlässe auf dem Faße, Blat¬ 
egel an den Labien; ferner sollen hierher gehören mechanische Ableitnng des 
Blutes durch Druck der Schenkelschlagadern (nach Hamilton) and das Reiten. 

Als weitere Ursachen werden genannt Reize, die Krämpfe and Zu¬ 
sammenziehungen der Matter zawege bringen. Als solche werden angeführt: 

Das Reiben der äußerlichen und inneren Gebartsteile and der benach¬ 
barten Teile. 

Trockene Schröpfköpfe auf Schenkel and Unterleib. 

Drastische Pargiermittel and Klystiere, wie Aloe, Jalappa, Coloquinte, 
Scammonium, Purgierkörner and dergL 

Scharfe urintreibende Mittel, spanische Fliegen und dergL So sagt 
Schröder (Thesaor. Phannacol.): „Die gottlosen Haren tödten and ermorden 
ihre zarte Fracht mit spanischen Fliegen.“ 

Heftige Kälte. 

Scharfe feste oder flüssige Körper, welche man dem Matterhals und 
Muttermund beibringt, wie Salze, Gewürze, destillierte Oele, Balsame, andere 
scharfe Dinge, z. B. spanische Fliegen. 

Muthwilliger häufiger Beischlaf, wo ein Druck mitwürket. 

Zusammenziehungen der Matter werden endlich aach bewirkt durch 
Unordnungen des ganzen Nervensystems, die hervorgebracht werden durch 
allerlei Gifte, zu starke Aderlässe, heftige Gemütbewegangen, langes Wachen, 
heßliche Gerüche, z. B. von einer aasgelöschten Unschlitt-Kerze, Ekel, wohin 
man auch das Mißgebären einer Frau, welche Leinöl kostete, rechnen kann, ver¬ 
derbte and angestrengte Einbildungskraft. 

Von der Wirkung der Einbildungskraft wird ein Beispiel aas 
Fortonatas Fidelis (de relat. medic.) von einem Mädchen erzählt, dem der Arzt 
versprach, ein Abortivmittel zu geben, aber ein Mittel gab, „das der Frucht 
mehr Stärke und Festigkeit gab“, worauf der Abort erfolgte. Plouquet 
kommt diese Erzählung wohl selbst etwas wunderbar vor, doch versucht er 
sie mit der Annahme za erklären, „daß jenes Mittel vielleicht aus hitzigen 
Arzneien zusammengesetzt war“. Daß durch Zauberkräfte ein Abort 
herbeigeführt werden könne, glaabt PI. zwar nicht mehr, doch „kann, sagt er, 
die Einbildungskraft und die Gemütsbewegungen, welche durch solche schlechte 
Bezauberungen erweckt werden, in allweg heftig würken.“ 

Nachdem dann noch bemerkt ist, daß der dritte Schwangerschaftsmon&t 
sich sehr zur Einleitung eines Aborts eigene, weil dann nach Haller „eine 
Vollblütigkeit eintrete“, geht P. zur Besprechung der gerichtlichen 
Fragen über. 

„Es ist zu unterscheiden: 

1. ob würklich eine Misgeburt gebohren worden. Die Frage kann nor 
durch genaue Untersuchung und Besichtigung dessen, was man vor eine Mis¬ 
geburt hält, entschieden werden. Wird eine Frucht gefunden, ist die Sache 
klar, andern Falls aber oder wenn überhaupt nichts mehr zur Untersuchung 
vorhanden ist, so fehlt das corpus delicti und die Sache bleibt im Zweifel; 

2. ob die Misgeburt von selbst vor sich gegangen oder ob sie eine Folge 
der Embryoktonie sei. Hierzu ist folgendes bemerkt. Innere Krankheiten 
können einen Abort (freiwilliges Misgebähren) bewirken, es kann aber auch 
die Embryoktonie im einzelnen Falle versucht sein. Ob das geschehen, kann 
man namentlich aus dem verdächtigen Verhalten der betreffenden Mutter arg¬ 
wöhnen. Ob aber Absicht oder intentio directa oder indirecta vorgewaltet, ist 
den Herren Rechtsgelehrten zu überlassen. 

Daß es physisch war sei, ob solche Unternehmungen die unzeitige Frucht 
entweder getödtet oder abgetrieben haben, wird man erfahren: durch die Be¬ 
sichtigung der abgegangenen Frucht (Verletzungen) und durch die Vergleichung 
der Handlungen, der Versuche, der genommenen Arzneien mit der Person, ihrer 



Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 287 

individuellen Beschaffenheit, der Jahreszeit, der Zeit der Schwangerschaft, vor« 
angegangene Krankheiten u. d. g. 

Den Ausgang selbst vor den Beweis der Tat zu nehmen wäre unbillig.“ 

P. kommt dann zu der Frage, ob die Frucht zur Zeit des einge¬ 
leiteten Aborts gelebt habe, oder ob sie zu dieser Zeit habe leben 
können und sagt darüber folgendes: „Wenn auch das Leben gleich in dem 
Augenblick der Empfängnis anfange und die frühzeitige Abtreibung im philo¬ 
sophischen Sinne immer und in jedem Zeitpunkt der Schwangerschaft dem 
Menschenmorde gleich zu schätzen sei, so sei es praktisch doch richtig, das 
Leben einer Frucht erst von dem Moment an zu rechnen, seit welchem Kinds¬ 
bewegungen festgestellt seien.“ Allerdings gibt er zu, daß die Zeichen der 
Bewegung nicht ganz sicher seien und mit anderen Bewegungen im Unterleib 
verwechselt werden könnten, auch würden die meisten Angeklagten sie leugnen; 
er meint aber, daß darüber die Besichtigung der abgetriebenen Frucht Licht 
geben könne. „Wenn nemlich die Frucht frisch, von gehöriger Größe ist, oder 
vielleicht gar geathmet hätte, welches man bei einer fünfmonatlichen wohl 
jagen kann, so ist anzunehmen, daß die Frucht gelebt habe, und also entweder 
durch eine Verletzung, oder frühzeitige Abtreibung getödtet worden seye.“ 

Die Gründe, welche P. zu dieser Definition bestimmen, liegen in den 
damals geltenden gesetzlichen Bestimmungen. Es sagte nämlich der 133. Artikel 
der peirüichen Hakgerichtsordnung Kaiser Karls: „So jemand einem Weibsbild 
durch Bezwang, Essen oder Trinken ein lebendiges Kind abtreibt, so solches 
Torsezlicher oder boshafter Weise geschiehst, solle der Mann mit dem Schwerdt 
als ein Todschläger und die Frau, so sic es auch ihr selbst thät, ertränket 
oder sonst zum Tode bestrafet werden. So aber ein Kind, das noch nicht 
lebendig wäre, von einem Weibsbild getrieben wird, sollen die Urteiler der 
Strafe halber zu denen Rechtsverständigen oder sonst Rathts pflegen.“ — 

P. wollte also durch seine Definition erreichen, daß die Todesstrafe auf 
diejenigen Fälle des kriminellen Aborts beschränkt bliebe, bei denen fraglos 
eine lebende bezw. lebensfähige Frucht vorhanden war. Es scheint auch, als 
ob juristischerseits hierbei allerlei spitzfindige Entscheidungen vorgekommen 
wären, denn P. sagt u. a.: „Der Streit war um so verwirrter, weil man den 
Begriff des Lebens und der Seele trennte, welches nicht seyen sollte.“ 


Ueber Lysol Vergiftung. Von Dr. Lange. Therapie der Gegenwart; 
1904, Heft 7. 

Mitteilung von drei Fällen von Lysolvergiftung; einer verlief tödlich. 
Das klinische Bild ist sehr verschiedenartig. Die Herztätigkeit war in dem 
einen Fall sehr beschleunigt, in den beiden anderen Fällen verlangsamt. Das 
Sensorium war mehr oder minder getrübt. Motorische Reizerscheinungen fehlten. 
In dem einen Fall trat vorübergehend Albuminurie ohne Beimengung von 
Zvlindern auf; in dem tödlich verlaufenden Fall wurde Trübung des Nieren¬ 
epithels beobachtet; daneben allerdings auch auf ältere interstitielle Prozesse 
hinweisende Veränderungen. Vielleicht wurde hierdurch die Ausscheidung des 
Giftes verzögert und der tödliche Ausgang beschleunigt. 

Dr. D o h r n - Cassel. 


Vergiftung mit Isosafrol. Von Privatdozent Dr. Waldvogel, Ober¬ 
arzt der med. Universitäts-Klinik in Göttingen (Prof. Dr. Ebstein). Münchener 
med. Wochenschrift; 1905, Nr. 5. 

Verfasser teilt die Krankengeschichte eines Schlossers mit, welcher ge¬ 
legentlich der Reparatur eines Kessels, in welchem Isosafrol gekocht wurde, 
von diesem kochenden Isosafrol an einzelnen Körperteilen (im Gesicht, Hals 
and an den Händen) verbrüht wurde und dabei Dämpfe des Rohisosafrols ein- 
atmete. Dieser Mann (zu Stauungen im Venensystem disponiert) bekam an 
Hautpartien, die mit dem Isosafrol nicht in Berührung gekommen waren, an 
den vom Herzen am weitesten entfernten Extremitätenenden Stauungserschei- 
nungen in den Venen, so daß das über den Kluppen stagnierende Blut die 
Venen kugelig hervorwölbte. Die in ihrer Ernährung beeinträchtigte Haut 
reagierte an diesen Partien mit Rötung, Epithclabschilfcrung und Gcschwürs- 
lildung; diese Erscheinungen entwickelten sich auch an Hautstellen, die, wohl 



288 


Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


weil Venenklappen fehlen, die regelmäßig angeordneten, gleich großen Vcnen- 
knötchen nicht erkennen ließen. Das Leiden verschlimmerte sich in Anfällen, 
in denen die Knoten an den Venen in größerer Zahl hervortraten; sie fehlten 
auch außerhalb der Anfälle nicht und bestanden jahrelang an den Armen. Die 
wohl als Folge der venösen Stase aufzufassenden Hautveränderungen heilten 
langsam; das lästigste Symptom, das Hautjucken trat noch lange nach der 
Vergiftung auf, sobald die Haut warm wurde. Ein neurasthenischcr Zustand 
schloß sich an die Vergiftung mit Isosafrol. 

Verfasser teilt dann noch seine Isosafrolvergiftungsversuche durch sub¬ 
kutane Injektion bei Kaninchen mit; seine Ergebnisse sprechen dafür, daß 
das Isosafrol wie das Safrol, eingeatmet und von subkutanen Geweben aus 
resorbiert, Venenerweiterungen setzt, wie sie das oben geschilderte Krankheits¬ 
bild beherrschten. Dr. W a i b e 1 - Kempten. 


Beitrag zum Studium der Lokalisation des Arseniks bei Vergiftung 
durch arsenige Säure. Von Ch. Blarcz und G. Deniges. Reunion bio- 
logique de Bordeaux. Comptes rendus de la soc. de biol.; LVHI, 1905, Nr. 6. 

Von dem Schwurgericht in Gers kam im Oktober 1904 ein Fall von 
dreifacher Arsenvergiftung (affaire G a 11 i 6) zur Verhandlung. Die Autoren, 
die die verschiedenen Organe der drei Vergifteten chemisch untersucht hatten, 
waren zu Sachverständige ernannt worden. Zur toxikologischen Bestimmung 
des Arsens waren sowohl die von Gautier-Bertrand 1 ); als die von De- 
n i g ö s selbst angegebene Methode benutzt worden. Der sehr akut verlaufenden 
letfden Vergiftung waren in verschiedenen Zwischenräumen leichtere Vergiftungs¬ 
versuche vorausgegangen, die nach Ablauf krankhafter Zustände sich wieder 
ausgeglichen hatten. Im Magendarmkanal fanden sich auf das Kilogramm 
nicht getrockneter anatomischer Organe berechnet bei I (Mann) 960, II (Mann) 
900, III (altes Fräulein) 890 mg Arsen; in der Leber 217, 258, 330; in den 
Nieren 310, 160, 365; in den Muskeln 8, 4, 8,5; im Herzen 4, 14,6, 42,6; im 
Gehirn 2, 4, 2; im Femur 12, 10, 8; in den Haaren 40, 8,5, 22, in den Nägeln 
61, 40, 14 mg. 

Die Autoren betonen, daß gegenüber den Versuchen an Tieren (Scolo- 
s ul off) die Nervenzentren im vorliegenden Falle beim Menschen wenig Arsen 
zurückhielten. Die großen Arsenmengen, die aus den Epidcrmoid&lgebilden und 
den Knochen gewonnen wurden, führen sie auf die wiederholt ausgeführte sub¬ 
akute Vergiftung zurück. Dr. May er-Simmern. 


Veber vollständige Ausscheidung des organischen Arsens nach Auf¬ 
nahme als Natriummethylarsenat. Von L. Bart he. Comptes rendus de la 
soc. de biol.; LVIII, 1905, Nr. 2. 

Der Autor beweist durch die chemische Untersuchung der Organe eines 
19 jährigen Diabetikers, der vom Oktober 1902 bis Juni 1903 in einem Kranken¬ 
hause in Bordeaux zusammen 6'/* bis 7 g Natriummethylarsenat (Arrhenal) 
erhalten hatte, dann ohne Arsen - Medikation geblieben und an Entkräftung 
6 Monate später gestorben war, daß Nat riummethylarsenat die Eigen¬ 
schaft hat, die Organe nur zu passieren und sich nicht zu 
lokalisieren. 

Zur Untersuchung gelangten: Herz, Nieren, Gehirn und Leber. Es 
wurde die Methode A. Gautiers angewandt. Die in den Marshschen 
Apparat gegebene Flüssigkeiten entsprachen einer Menge von 100 g Herz, 
200 g Nieren, 250 g Gehirn, 300 g Leber. Ein deutlicher Arsenspiegel war 
nicht zu erzielen. Auch andere Reaktionen auf Arsen in den übrigen Organen 
waren negativ. 

(So interessant auch die Ergebnisse des Autors sind, so muß daran er¬ 
innert werden, daß immerhin auch für andere Arsenverbindungen Aehnliches 
nachgewiesen ist, so daß aus diesen Angaben auf besondere Eigentümlich¬ 
keiten des Natriammethylarsenats in bezug auf die mangelnde Tendenz, sich 
in den Organen aufzuspeichern, nichts geschlossen werden darf. In seiner 
Arbeit; „Ueber die Dauer der Ausscheidung des Arsens in gerichtlich - chemi- 


*) Vergl. Ziemke: Ueber das Vorkommen von Arsen.; Viertel¬ 

jahrsschrift für ger. Medizin; 3. F., XXIII, 1902, S. 55. 




Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


289 


scher Beziehung* (Vierteljahrsschrift für gerichtL Medizin; 3. F., XIX, 1900) 
sagt D. Scherbatschef f: „Aus obigen Experimenten schließe ich folgendes: 
1. Sogar nach therapeutischen Dosen bleibt Arsenik recht lange im Organismus, 
besonders aber im Gehirn und Knochen. So war nach meinen Beobachtungen 
z. ß. die längste Zeit, wenn es subkutan injiziert war, 160 Tage, d. h. 6 Monato 
und 10 Tage. . . .“) _ Dr. M ay e r-Simmern. 


Elektrolytische Bestimmung kleiner Arsenmengen. Von C. Mai und 
H. Curt Zeitschrift für Untersuchung der Nnhrungs- und Gcnußmittel; 
B<L 9, H. 4, S. 193. 

Die Verfasser hatten gelegentlich ihrer Arbeit über den forensisch- 
chemischen Nachweis von Giften in den Rückständen verbrannter Leichen (Zeit¬ 
schrift angew. Chemie; 1904, 17, 1601—1605) den Mangel eines brauchbaren 
Verfahrens zur genauen Bestimmung kleiner Arsenmengen empfunden und Ver¬ 
suche angestellt darüber, ob sich aus einem arsenhaltigen Elektrolyten von 
bekanntem Gehalt an Arsentri- oder peutoxyd das Arsen an der Kathode 
'luantitativ in Form von gasförmigem Arsenwasserstoff abscheidet und durch 
dessen Umsetzung mit Silbernitrat genau bestimmen läßt. Dieser Versuch ist 
in der Tat den Verfassern gelungen, und zwar mittels Elektroden aus absolut 
reinem Blei (entweder selbst hergestellt durch Glühen von reinem Bleiazetat 
mit Holzkohlepulver oder von Kahlbaum-Bcrlin bezogenes reines Blei) und 
mittels 12 proz. Schwefelsäure als Elektrolyt. Als Stromquelle diente ein Stark¬ 
strom von 110 Volt und als Auffangflüssigkeit */ioo N.-Silbemitratlösung. Bei 
Gegenwart von Arsen tritt schon nach wenigen Minuten Schwärzung der Silber¬ 
losung ein, und nach höchstens drei Stunden ist die Reduktion beendet. Die 
Riickiitrierung der Reduktionsfiüssigkeit erfolgt dann mit '/'»o N.-Rliodan- 
ammoniumlösung. Die untere Grenze der Bestimmbarkeit fanden die Verfasser 
bisher bei ca. ‘I&o mg. Für qualitative Zwecke ist die Empfindlichkeit größer; 
es lassen sich Mengen bis 0,0005 mg leicht erkennen. Die Versuche werden 
weiter fortgesetzt. _ Dr. Sy man ski-Hagenau. 


lieber durch Chloroform verursachte Leberveränderungen. Von M 

Doyon, A. Morel und Billet. Comptcs rendus de la soc. de biol.; 1905 
Seite 108. 

Nothnagel hat zuerst naebgewiesen, daß Chloroform Läsionen der 
Leber erzeugen kann. Mertens hat beim Kaninchen kleine Chloroformdoscn 
in längeren Zwischenräumen subkutan injiziert und Leberveränderungen er¬ 
zielt, die den Befunden der atrophischen Lcbercirrhosc beim Menschen Punkt 
für Punkt gleichen. 

Die Autoren, deren Versuche im Laboratoriam der Professoren Morat 
und Ren aut ausgeführt wurden, injizierten einem Hunde am ersten Tage 
iö ccm Chloroformöl in den Magen, am zweiten 50 ccm; am vierten Tage 
trat der Tod ein. 

Die frische Leber enthielt 14,6 0 o Fettsubstanzen. Bei schwacher Ver¬ 
größerung fand sich bedeutende Gefäßfüllung und zeigten sich zahlreiche hello 
Zonen, die nekrotischen Leberpartien entsprachen. Starke Vergröße¬ 
rung zeigte vollständige Nekrose einer großen Zahl von Zellen; das Zellproto- 
plasma war geschwunden, auf einige Granulationen reduziert. Viele polynu¬ 
kleäre Leukozyten fanden sich auf den Schnitten. 

Choroform vermag also in der Dose von 1—2 gr auf das Kilogramm 
Körpergewicht nahezu vollständige Nekrose der Leber zu erzeugen. 

Dr. May e r-Simmern. 

B. Bakteriologie, Infektionskrankheiten und öffentliches 

Sanitäts wesen. 

Die Bedeutung der Verseuchung unserer öffentlichen Gewässer und 
der hierdurch bewirkten Verbreitung des Typhus und des Milzbrandes. 
Von Kreisarzt Dr. Kr ohne in Großkarasdorf. Vicrteljahrsschr. für gerichtl. 
Medizin und öffentliches Sanitätswesen; III. Heft, Jahrg. 1904. 

Nach einem zusammenfassenden Bericht über den heutigen Stand der 
Stromverseuchungsfrage und Anführung eigener Beobachtungen kommt Verf. 



290 


Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


za dem Resultat, daß die Notwendigkeit, die Stromverseuchungen wirksam zu 
bekämpfen, eine zwingende ist. Leider wird der Verunreinigung noch nicht 
überall die gebührende ernste Beachtung geschenkt. Die Frage, wie am 
ehesten eine Reinhaltung der Gewässer gewährleistet werden kann, bedarf der 
rcichsgesetzlichen Regelung. Bis dahin wäre zur Vorbeugung von Strom¬ 
verseuchungen folgendes nachdrücklich zu fordern: Die zahllosen Fälle der 
Einleitung von Fäkalien und ungeklärten Abwässern, insbesondere auch der 
Abwässer von Gerbereien in kleinere Flußläufe, für die eine nach Lage des 
Falles zwingende Notwendigkeit nicht vorliegt, ebenso der damit zusammen¬ 
hängende Mißstand unhygienischer Anlage und Entleerung von Jauchegruben 
sind — mehr als bisher — mit scharfen Maßnahmen zu bekämpfen. Die recht¬ 
zeitige Feststellung der ersten Fälle von Typhus resp. Typhusverdacht usw. 
ist noch besser als bisher durchzuführen. Typhuskranke sind möglichst zu 
isolieren und, soweit tunlich, die Behandlung derselben in Krankenhäusern an¬ 
zustreben. Eine zweckmäßige Desinfektion der Typhusstühle usw. ist sofort 
einzuleiten. Vor Entnahme von Wasser aus verseuchten Gewässern ist dos 
Publikum in gemeinverständlicher Form zu warnen, insbesondere ist überall 
die Versorgung mit einwandfreiem Trinkwasser mehr und mehr durchzuführen. 
Das Wasser von Leitungen, die mit Flußwasscr versorgt werden, ist fort¬ 
dauernd bakteriologisch zu überwachen. Dr. Israel-Fischhausen. 


Veber die für das Puerperalfieber in Betracht kommenden Mikro¬ 
organismen und die Prophylaxe der Krankheit vom sanitfitspoliseillehen 
Standpunkt. Von Dr. Hugo Marx, Assistent der Unterrichtsanstalt für 
Staatsarzneikunde zu Berlin. Vierteljahrsschr. für gcrichtl. Medizin und öffent¬ 
liches Sanitätswesen; Jahrg. 1904, III. und IV. Heft. 

Eine ausführliche und zusammenfassende Darstellung an der Hand 
eigener Erfahrungen und einer reichlichen Literatur (178 Nummern), deren 
Ergebnisse zu folgenden Schlüssen führen: Die Erreger schwerer Puerperal¬ 
fieberinfektion sind in der Regel die pyogenen Kokken; am häufigsten werden 
Streptokokken gefunden, daneben aber auch Staphylokokken in einer großen 
Anzahl von Fällen. Ein prinzipieller Unterschied zwischen Streptokokken- 
und Staphylokokkeninfektion besteht weder vom bakteriologischen, noch vom 
klinischen Standpunkte. In seltenen Fällen verursacht der Diplococcus pneu¬ 
moniae eine puerperale Sepsis, während die Erreger des Tetanus, der Diph¬ 
therie, des Scharlachs, des Typhus nicht zu den für das Puerperalfieber in Betracht 
kommenden Organismen zählen. Die gonorrhoesche Wochenbettserkrankung ist 
nicht als Puerperalfieber im engeren Sinne anzusehen; denn der Gonococcus ist 
nicht als Erreger einer eigentlichen Wundinfektion zu betrachten, seine Tena- 
zität ist in eingetrocknetem Zustande gleich Null. Der klinische Verlauf läßt 
häufig die scharfe Abgrenzung der Wocbenbettsgonorrhoe gegen das eigentliche 
Puerperalfieber zu; dagegen ist bezüglich der Meldepflicht eine strenge Son¬ 
derung der Gonorrhoe vom Puerperalfieber nicht immer durchzuführen. Selten 
verursacht das Bacterium coli eine Puerperalinfektion. Die Tympania uteri 
scheint nicht von ihm bewirkt zu werden, sondern von anaeroben Bakterien, 
die meist als Saprophyten im Genitalschlauch an der Oberfläche der Schleim¬ 
haut leben. Sie können als solche gelegentlich eine Intoxikation (Saprämie) 
bewirken; in ganz vereinzelten Fällen erregen sie eine schwere puerperale 
Infektion mit tödlichem Ausgange. Die Virulenz der Bakterien hängt zum 
Teil von der Herkunft des Infektionsstoffcs ab; die Infektionsquelle kann dar¬ 
gestellt werden durch Erysipele, Phlegmone, Paronychien, zerfallende Neu¬ 
bildungen usw. Nicht immer kann der Tierversuch über die Virulenz der 
Keime Aufklärung bringen. Was die Selbstinfektion betrifft, so ist nicht zu 
zweifeln, daß normalerweise in der Vagina gesunder Schwangerer und Gebären¬ 
der pyogene Kokken Vorkommen und durch diese eine Selbstinfektion entstehen 
kann. Diese Fälle von Selbstinfektion verlaufen fust stets günstig; indessen 
kann nicht geleugnet werden, daß ganz vereinzelt einmal eine tödliche Selbst¬ 
infektion eintreten kann. Auch die saprophytischen Anaeroben des Vaginal¬ 
schlauches können gelegentlich zur Selbstinfektion Anlaß geben. Selbstredend 
kann nur da Selbstinfektion angenommen werden, wo eine sorgfältige Unter¬ 
suchung jede andere Ursache für eine fieberhafte Erkrankung im Wochenbett 
ausschließen kann. Ferner sollten für eine unantastbare Begründung der Lehre 



Kleinere Mitteilnngen und Referate aus Zeitschriften. 


291 


ron der Selbetinfektion nur solche Fälle fieberhafter Wochenbettserkrankungen 
kenn gesogen werden, in denen jede Möglichkeit einer Infektion yon außen 
ausgeschlossen ist. 

Bei der Besprechung der Prophylaxe des Puerperalfiebers werden die 
Maßnahmen eingeteilt in solche, welche 1. die Entstehung, 2. die Weiter¬ 
verbreitung des Kindbettfiebers verhüten sollen. Prophylaktische Scheiden¬ 
spülungen bei normalen Oeburtcn vor und nach der inneren Untersuchung sind 
m unterlassen. Verf. fordert eine Besserung der Desinfektionsvorschriften des 
Hebammenlehrbuches, Forderungen, welche zum Teil wie die Alkohol-Sublimat¬ 
desinfektion durch die Vorschriften des soeben erschienenen neuen Hebammen¬ 
lehrbuches erfüllt sind. Dagegen ist die soziale Besserstellung der Hebammen 
immer noch Zukunftsmusik. Die Meldepflicht für Puerperalfieber ist den 
Aerzten durch die Bestimmungen des neuen Seuchengesetzes aufzugeben; auch 
ist ein einträchtiges Zusammenarbeiten zwischen den praktischen und beamteten 
Aerzten dringend notwendig zur erfolgreichen Bekämpfung des Puerperal¬ 
fiebers. Dr. Israel-Fischhausen. 


Ueber die Primelkrankheit und andere dnreh Pflanzen verursachte 
Hautentzflndungn. Von Dr. Hoffmann, Privatdozent und Assistent der 
Universitätsklinik von Prol Besser in Berlin. Münchener medizin. Wochen¬ 
schrift; 1904, Nr. 44. 

Die verbreiteste und wichtigste unter den zu mitunter qualvollen Haut¬ 
entzündungen Anlaß gebenden Pflanzen bezw. Blumen ist sicherlich die japani¬ 
sche Primel (Primula obconica). Ursache der den Qärtnern schon länger 
als den Aerzten bekannten entzündungserregenden Eigenschaft ist das Sekret 
der an den Blattstielen und Nerven in größerer Zahl vorhandenen Drüsenhaare, 
welches einen dickflüssigen, zähen, gelbgrünen Saft darstellt, dessen haut¬ 
reizende Wirkung auch nach der Eintrocknung noch fortbesteht und nach 
Nestler auf dem Vorhandensein einer in rhombischen Krystallen ausfallenden 
Substanz beruht. Die Krankheitserscheinungen beruhen meist in heftigem 
Jacken, schmerzhaftem Brennen, Anschwellung und Rötung der Haut der 
Hager, Vorderarme und des Handrückens, sowie des Gesichtes, Bildung von 
kleineren und größeren Blasen mit anfangs klarem, später getrübtem Inhalt. 
Neben diesen lokalen Erscheinungen finden sich häufig Störungen des Allge¬ 
meinbefindens infolge des fast unerträglichen Juckreizes und des Fiebers. 

Die meisten Menschen sind gegen das Primelgift unempfindlihh, andere 
bekommen schon nach einmaliger Berührung heftige Entzündungserscheinungen; 
andere können eine Zeit lang ungestraft mit der Primel umgehen, bis dann 
plötzlich die Reizwirkung hervortritt. 

Die Entfernung der Primel aus der Wohnung bewirkt fast imm er 
schnelle Heilung. 

Aehnlich, jedoch weniger heftig, wirkt bei einzelnen Individuen die 
chinesische Primel (Primula sinensis), ebenso kann auch die wenig verbreitete 
Primula sieboldii und curtusoides entzündlich reizen. 

Hochgradige Hautentzündung mit Störung des Allgemeinbefindens ver¬ 
ursacht auch ein bei uns stellenweise kultivierter nordamerikanischer Strauch, 
der Giftsnmach (Rhus Toxicodendron); ebenso entzündlich wirken die Früchte 
von Anacardium orientale und occidentale, die sog. Elephanten- 
läuse (Volksmittel gegen rheumatische Beschwerden), dann Chrysanthe¬ 
mum, ferner die Blätter und Wurzel der Meerzwiebel (Scilla maritima) 
a»d endlich die Blätter des Lehensbaumes (Thuja occidentalis). 

Dr. Waibel-Kempten. 

Nagel Veränderungen nach Scharlach und Masern. Von Privatdozent 
br. Feer in Basel. Münchener med. Wochenschrift; 1904, Nr. 40. 

Verfasser fand bei einer Scharlachepidemie in Basel 1887/88 und 
1903/04 Veränderungen an den Nägeln der Kranken beobachtet, welche er für 
eia sehr häufiges und typisches Scharlachsymptom erklärt, das nicht nur 
pathologisches Interesse bietet, sondern einen besonderen 
Wert zur nachträglichen Diagnosestellung der Krankheit 
besitzt. 

In typischen Fällen zeigt sich 4 bis 5 Wochen nach Beginn des Schar- 




292 


Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


lachs, also fast am Ende der Abschuppung, an der Wurzel der Fingernägel 
auf der Nageloberfläche eine querverlaufende lineare, leicht konvex gegen das 
freie Nagelcnde hingcrichtcte, überall gleich weit von der Nagelwurzcl ent¬ 
fernte Furche, seltener ein entsprechender schmaler Wall (Scharlachlinie). Mit 
dem weiteren Hervorwachsen des Nagels schiebt sich auch diese Seharls chlinic 
weiter vor und ist 2 Monate nach Beginn des Scharlachs sehr deutlich ge¬ 
worden. Der normale Fingernagel wächst etwa in einbm halben Jahr von der 
Wurzel bis zum freien Hand aus (am Daumen in ca. 6 Monaten, an den übrigen 
Nägeln in ca. 5 Monaten); ebenso wandert die Scharlachlinie in etwa l j% Jahre 
bis zum freien Rande vor. Am deutlichsten und häufigsten sind die Scharlach¬ 
veränderungen an den Daumennägeln, um so deutlicher, je kräftiger und 
stärker der Nagel und je älter das Kind bezw. die Person und je intensiver 
das Exanthem ist. Manchmal ist die Linie nur andeutungsweise vorhanden. 
Auch an den Füßen, besonders an der großen Zehe, wurde diese Scharlach¬ 
linie beobachtet. 

Aehnliche Nagelveränderungen wie bei Scharlach hat Verfasser auch bei 
Masern gefunden, doch sind diese Veränderungen hier viel schwächer aus- 
gebildet als bei Scharlach. 

Die beschriebenen Nagulveränderungcn gestatten bei Scharlach und 
Masern ziemlich genau die Zeit abzusekätzen, welche seit Beginn der Krankheit 
verflossen ist, sobald man sich vergegenwärtigt, daß der Nagel 6—6 Monate 
zu seiner Erneuerung bedarf. 

Außer bei Scharlach und Masern hat Verfasser diese Nagelveränderungen 
nie bei Allgemeinerkrankungen beobachtet; doch soll Dr. Hagcnbach nach 
einem schweren akuten Gelenkrheumatismus an allen Fingernägeln ähnliche 
Veränderungen wahrgenommen haben. 

Zur Erklärung der Entstehung dieser Nagcllinie bemerkt Verfasser, daß 
gleichzeitig mit der Erkrankang und späteren Abstoßung der ganzen Epidermis 
auch eine entsprechende Störung die epitheliale Keimschicht der Nagelwurzel 
betrifft, wodurch die gleichmäßige Bildung des Nagels in diesem Zeitpunkt unter¬ 
brochen wird, was zu der querverlaufenden Furche oder zu dem Walle führt, 
welche 4—6 Wochen nachher sichtbar werden. Dr. W a i b e 1 - Kempten. 


Zur Kasuistik der kongenitalen Onychogryphosis. Von Dr. Müller, 

Assistent der Universitätsklinik für Haut- und Geschlechtskrankheiten zu Stra߬ 
bürg. Münchener med. Wochenschrift; 1904, Nr. 49. 

Man versteht unter Onychogryphosis nach Heller „eine durch ver¬ 
schiedene Ursachen hervorgerufene anormale Wachstumstendenz des Nagels, 
welche unter mehr oder weniger starker Beteiligung einer vom Nagelbett aus¬ 
gehenden Hornproduktion zu Veränderungen der ganzen Nagclplatte in ihren 
verschiedenen Durchmessern führt und fast immer mit einer Zunahme der 
Konsistenz und der Kohärenz der einzelnen Nagelplatten einhergeht.“ Diese 
durch direkte oder indirekte Reizung des Nagelorgans veranlagte trophische 
Störung wird beobachtet nach Traumen, veränderter Stellung der Nagelphalanx 
bei Hallux valgus, bei verschiedenen Hautkrankheiten, bei Pocken, Lepra, 
Syphilis, Trichophytie, bei Erkrankungen des zentralen und peripheren Nerven¬ 
systems und danach auftretenden Verletzungen, bei Varizen, varikösen Ekzemen 
und Unterschenkelgeschwüren (hier an den Zehennägeln), im Alter mit seiner 
größeren Tendenz zu pathologischen Hornbildungen. 

Zu den wenigen bisher berichteten Fällen von kongenitaler Onychogry¬ 
phosis bringt Verfasser einen Fall, welcher bei einer an Psoriasis leidenden 
Patientin vorkam, die neben einer kongenitalen Alopezie resp. Hypotrichosis 
onychogryphotische Nagelveränderungen aufwies. Dr. Wa i b e 1 - Kempten. 


Akzidentelle Vakzination der Nasensehleimhaut« Von Dr. Lublinski, 
Sanitätsrat in Berlin. Münchener med. Wochenschrift; 1904, Nr. 62. 

Fälle von gelegentlicher Uebertragung der Vakzine durch unbeab¬ 
sichtigte Impfung eines anderen Menschen sind zahlreich bekannt 
geworden. So beobachtete Werner ein über den ganzen Körper verbreitetes 
Vakzineexanthem bei einem 2 1 /»jährigen Mädchen, das wegen Ekzems nicht 
geimpft worden war. Die zufällige Uebertragung hatte von einem eben ge¬ 
impften Bruder ihren Ausgang genommen. Dasselbe beobachtete Plonsk 



Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften. 


293 


geuau im gleichen Fall. Ebenso berichtet Richter von der Uebertragnng 
der Vakzine auf ein siebenmonatliches, an Kopf- and Oesichtsekzom leidendes 
Mädchen von den Pastein eines anderen, eben mit Erfolg geimpften Kindes, 
ll&ls, Kampf and Extremitäten zeigten sich vollständig frei, während das ge¬ 
schwollene Gesicht and die Kopfhaut von etwa 800 zum Teil konfluierenden 
Pusteln bedeckt waren. Das Kind starb. 

Diese and andere Fälle zeigen die große Gefährlichkeit ekze¬ 
matöser Kinder, weshalb Verfasser solche Kinder schon seit vielen Jahren 
nicht eher impft, als bis das Ekzem vollständig abgeheilt ist and die Haut 
wieder ihre vollkommene Glätte nnd Geschmeidigkeit bekommen hat. 

Sehr interessant ist die häufige Uebcrtragung auf die Genitalien. 
Von den übrigen Körperstellen scheint das Gesicht am häufigsten der In¬ 
fektion za verfallen. Anf der Schleimhaut ist akzidontello Vakzi¬ 
nation von besonderer Bedeutung, wenn die Conjunctiva be¬ 
troffen wird, da durch Uebertragang auf das Auge dessen Sehkraft ge¬ 
fährdet werden kann. Verfasser berichtet ferner eingehend über 4 Fälle 
Ton Nasenhöhleninfektion. Im letzten von ihm selbst beobachteten 
Falle trocknete eine Fraa die stark absondernden Impfpusteln ihres geimpften 
Kindes aus Versehen mit dem Taschentuch ab und wischte dann ihre damals 
häutig blutende Nase damit ab. Die Frau war früher nicht revakziniert worden. 

Diese Impfschädigungen verdanken ihre Entstehung nur einer Fahr¬ 
lässigkeit seitens der Beteiligten and können der Impfung als solcher nicht 
zur Last gelegt werden. Immerhin empfiehlt es sich, Personen, die mit 
frisch geimpften Kindern amgehen, die größtmögliche Vor¬ 
sicht und die peinlichste Sauberkeit auch andern, namentlich 
au Ekzem oder Prurigo leidenden Kindern gegenüber anzu¬ 
empfehlen, da nicht alle diese gelegentlichen Ucbertragungen harmlos ver¬ 
laufen, sondern in einzelnen Fällen letal enden können und, wie aus der Lite¬ 
ratur hervorgeht, auch letal endeten. Deshalb sind auch die erfahrensten 
Impfärzte im Gegensätze zu Unna gegen die Impfang ekzematöser 
Kinder. 1 ) Dr. Waibei-Kempten. 


Ueber Prophylaxe and Therapie der Angeneitemng der Neu¬ 
geborenen. Von Prof. Dr. R. G re eff-Berlin. Zeitschrift für ärztliche Fort¬ 
bildung; 1904, Nr. 11. 

Keine andere Erblindungsursache erreicht in der Blindenstatistik die 
hohe Ziffer wie die Augencitcrung der Neugeborenen, trotdzem diese eine 
absolut und in jedem Falle heilbare Erkrankung ist. Ueber die Gefährlichkeit 
dieser Augeneiterong, die, sich selbst überlassen, zar Erblindung führt, muß 
das Publikum durch populäre Belehrung aufgeklärt werden, wie es ja schon 
vielfach geschehen ist. 

Wichtig ist die Anzeigepflicht der Hebammen und allgemeine Belehrung 
dahin, daß bei einer Augeneiterung der Neugeborenen lieber hundertmal ver¬ 
geblich, als einmal za wenig zum Arzt geschickt wird. 

Die Vorschriften in den Lehrbüchern für Hebammen, betr. die Prophy¬ 
laxe hält Verfasser in maneher Hinsicht für verbesserungsbedürftig. Die vor- 
gcschriebcne 2 proz. Höllensteinlösung ist nach G.s Ansicht viel zu stark, *) da 
hiernach Eiterungen and Hornhauttrübungen auftreten können. Eine I / 4 P roz - 
Lösung genügt sicher zur Prophylaxe, da einmal dünnere Lösungen viel besser 
und tiefer in.dos Gewebe eindringen, als starke, und außerdem nach v. Behrings 
Untersuchungen (Deutsche med. Wochenschrift; 1887) schon durch eine Silber¬ 
lösung von 1 : 7500 die Gonokokken abgetötet werden. Auf diese bakteriolo¬ 
gischen Untersuchungen müßte die Gesetzgebung Rücksicht nehmen und das 
•'redesehe Verfahren in dieser Hinsicht verbessern. Therapeutisch schlägt 


') In Bayern dürfen z. B. zufolge einer Min.-Entschl. vom Jahre 1899 Kinder 
und andere Personen, welche mit Hautausschlägen oder entzündlichen Ohrcn- 
affcktionen behaftet sind, erst nach Ablauf dieser entzündlichen Erscheinungen 
der Impfung unterzogen werden. 

*) Vergl. auch Dauber: Zur Prophylaxe der Ophthalmoblenorrhoea 
neonatorum. Münchener med. Wochenschrift; 1904, Nr. 7. Referat: Diese 
Zeitschrift; 1904, S. 398. 



294 


Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


G. häufige Ausspülungen des Auges mit 0,1 prozentigen Lösungen vor; 
die Technik könne sich jede Mutter und Hebamme leicht aneignen. 

(Die Hebamme dürfte wohl besser nicht zu dieser Behandlung zuge¬ 
lassen werden. Ref.) Dr. Pf lanz- Adlershof-Berlin. 


Die Prostitution und die Dienstboten. Von Dr. W. Hanauer- 
Frankfurt a./M. Monatsschrift für Soziale Medizin; Jahrg. 1904. 

Aus der Auffassung heraus, daß bei der Bekämpfung der Prostitution 
der anthropologisch - soziale Gesichtspunkt gegenüber dem sanitär-prophylak¬ 
tischen bisher im Hintergrund geblieben sei, regt der Verfasser das Studium 
der Aetiologie der Prostitution an. Eine zielbewußte Prophylaxe und Therapie 
können erst dann einsetzen, wenn man den Anteil der einzelnen Berufsarten 
an der Prostitution, sowie ihre sozialen Verhältnisse eingehend festgestellt 
habe. Nach 8 Statistiken, aus Berlin, Frankfurt a./M. und Paris, beträgt der 
Anteil der Dienstboten an der Prostitution zwischen 80 und 60 Prozent. Die 
Gründe für diese enorme Beteiligung findet der Verfasser in der gesamten 
wirtschaftlichen, sozialen und rechtlichen Lage dieses Standes, speziell der 
Dienstmädchen. Wirtschaftlich sind sie schlecht gestellt; denn sie erhalten 
ein Drittel weniger Lohn als eine Fabrikarbeiterin; ihre Beköstigung und 
Wohnung läßt „durchweg viel zu wünschen übrig“, ihre Arbeitszeit ist zu 
lang, dazu kommt noch die lieblose Behandlung seitens vieler Hausfrauen. In 
sozialer Beziehung sind sie schlecht gestellt, weil ihnen der Segen der sozial¬ 
politischen Gesetzgebung fast ganz versagt geblieben ist; auch ihre rechtliche 
Lage ist eine ungünstige, weil sie noch immer unter der Gesindeordnung stehen. 

Daß ein solcher Stand, der rechtlich und sozial um 100 Jahre zurück¬ 
geblieben ist, ein großes Kontingent zur Prostitution stellt, ist nach dem Ver¬ 
fasser gar nicht verwunderlich. Als spezielle Gründe führt Verf. noch an; 
Verführung durch männliche Familienglieder und die Dienstbotenzeugnisse. 
Aus Gedankenlosigkeit, aber auch gehässiger Weise „um Rache zu nehmen“, 
werden von den Frauen Zeugnisse ausgestellt, welche es den Dienstmädchen 
unmöglich machen, andere Stellen zu finden und sie zwingen, den Dirnenberuf 
zn ergreifen! Nur oberflächliche Urteiler können also in dem familiären Ver¬ 
hältnis der Dienstmädchen zur Herrschaft einen Schutz vor Verführung und 
somit einen Wall gegen die Prostitution erkennen. 

Die Reformvorschläge ergeben sich von selbst: Beseitigung der Gesinde¬ 
ordnung, Abschaffung der Dienstbücher, Ausdehnung der Fürsorgegesetzgebung 
auf die Dienstboten. Und dann die Hauptsache: Das sogenannte patriarcha¬ 
lische Verhältnis ist zu beseitigen; der Dienstbote soll nicht mehr „Haussklave“, 
sondern ein freier Mensch sein, der sich seiner Fortbildung, dem geselligen 
Verkehr, gemeinnützigen Vereinen widmen kann, der seine eigene Wohnung 
und seine eigene Beköstigung hat. Dann wird das Ziel, die Dienstboten von 
der Prostitution fern zu halten, erreicht sein! 

Referent vermag dem Verfasser bei diesen Vorschlägen nicht zu folgen. 
Gewiß ist es nötig, einen Stand, den man hygienisch nach irgend einer Seite 
beeinflussen will, genau in seinen Lebensbedingungen nach allen Richtungen 
zu kennen. Dazu gehört aber eine unbefangene Beurteilung der Gesamtlage 
nach der günstigen wie nach der ungünstigen Seite hin; man darf nicht das, was 
sich als das schlechteste bei ausnahmsweise schlechten Bedingungen entwickelt 
hat, zum Ausgangspunkt der Beurteilung machen. 

Sehen wir die angegebene Statistik! Paris scheidet nach den vom Ver¬ 
fasser selbst angeführten besonderen Verhältnissen (Verbindung von Bordell¬ 
besitzern und Stellenvermittlern) für unsere Verhältnisse aus. Bleiben Berlin 
und Frankfurt a./M., welche als Großstädte für die Beurteilung der allgemeinen 
Dienstbotenlage und ihres Verhaltens zur Prostitution gewiß nicht als ma߬ 
gebend gelten können. In Klein- und Mittelstädten, besonders auf dem Lande, 
ist's sicherlich anders, schon deshalb, weil sich Dienstboten, welche der Pro¬ 
stitution verfallen, nach den Großstädten ziehen. Die Zahlen der Großstadt 
sind gewissermaßen die Quintessenz eines großen, von der Großstadt beeinflußten 
Bezirks. Immerhin soll zugegeben werden, daß die Beteiligung der weiblichen 
Dienstboten an der Prostitution noch eine bedauerlich große bleibt. 

Ist es aber nun wirklich in erster Linie die Notlage, welche die Dienstboten 
der Prostitution in die Arme treibt ? Verfasser schildert diese Notlage in sehr 



Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


295 


schwarzen Farben, nach Ansicht des Referenten viel za schwarz, doch ist das 
Sache persönlicher Erfahrung and subjektiven Ürteils. Die Fälle jedenfalls, 
wo die Notlage allein ein Dienstmädchen zar Prostitution treibt, sind gewiß 
die seltneren. Dnd bei diesen ist die Hebung des Standes darch rechtliche 
und soziale Gleichstellung mit den übrigen Gewerbetreibenden als Heilmittel 
zu begrüßen, wie sie überhaupt schon aus Gründen der Billigkeit lebhaft zu 
wünschen ist. 

Ganz anders verhält es sich mit der Beseitigung des „patriarchalen“ 
Verhältnisses. Wenn dieses in rechter Art, den heutigen Lebensverhältnissen 
angepaßt und individuell geübt wird, so ist es der grüßte Segen für die Dienst¬ 
boten, der größte Feind der Prostitution. Wir geben mit ihm den Dienst¬ 
mädchen, wenn wir es recht zu üben verstehen, das, was wir unseren Töchtern 
geben, den festen Schatz des Hauses gegen die verderblichen Einflüsse des 
Lebens draußen, die nötige Stütze für den noch nicht gefestigten Charakter, 
der sonst so leicht der lockenden Außenseite der Verführung, wie sie nament¬ 
lich die Großstadt so mannigfach bietet, erliegen würde. 

Es sind nicht in erster Linie die größere Charakterstärke, die bessere 
Moral, welche Töchter guter Familien selten einen Fehltritt begehen lassen, 
sondern die festen Bande der Ordnung, der Sitte und hergebrachten Lebens¬ 
anschauung in der Familie, welche sie davor bewahren. Gewiß hat dieses 
partriachalische Verhältnis teils durch Schuld der „Herrschaft", teils durch die 
moderne Lebensführung vielfach gelitten, oft wird es gar nicht, oft nicht in 
der rechten Art geübt. Das ist aber kein Grund, es fallen zu lassen, sondern 
our ein Grund, auf Besserung zu sinnen, es den heutigen Lebensbedingungen 
inzupassen. Referent fürchtet auch nicht, daß man es ganz fallen lassen und 
den letzten Reformvorschlag des Verfassers annehmen wird; denn was sollte 
man wohl mit einem Dienstboten anfangen, der außer dem Hause wohnt, ißt 
and Verkehr pflegt? Er würde wohl selten zu haben sein, wenn man seiner 
Dienste bedarf. Dr. Steinkopff, Liebenwerda. 


Die Gesetzgebung auf dem Gebiete der Infektionskrankheiten und 

der Staatearzneikunde. (Präventive legislation in forensie medicine.) Von 
Clark Bell, Esq.-New-York. The medico-lcgal journal; XXII, Nr. 2 r 1904, 
S. 121-127. 

Der in der staatswissenschaftlichen Gesellschaft von Texas gehaltene 
Vortrag erinnert zunächst daran, daß die Maßregeln, die der Staat zur Be¬ 
kämpfung der gemeingefährlichen Krankheiten, Cholera, Gelbfieber und Pocken, 
darchzuführen berechtigt ist, gar oft für den einzelnen oder eine Gruppe von 
Individuen das schlimmste Unglück bedeuten. Zum Nutzen der Gesamtheit 
wird die ganze Macht des Staates bei der Durchführung dieser durch das 
Gesetz gebilligten Regulative und Beschränkungen herangezogen; das private 
kocht des Individuums wird hintangestellt, bei der Trennung des Familien¬ 
lebens, der Anordnung der Isolierung, der Ausführung der strengen Quarantäne¬ 
gesetze wird dieses Recht sogar verletzt. Trotz dieses Eingriffs in das 
ordentliche Recht des Bürgers haben die Gerichte der Vereinigten Staaten in 
Fällen, in denen die Krankheit des Einzelnen eine Gefahr für das öffentliche 
Wohl bildet, die von den Verwaltungsbehörden getroffenen Maßregeln aufrecht 
erhalten. 

Der Autor plädiert nun auch für die Heranziehung der Gesetzgebung 
bei Bekämpfung der Tuberkulose. Bei den Einladungen zu dem amerikanischen 
Taberkulosekongreß 1900 hatte er verschiedenen Autoritäten die Frage vor¬ 
gelegt: Welches ist auf dem Gebiete der Staatsarzneikunde, insoweit sie mit 
ihr vertraut geworden sind, im 19. Jahrhundert der größte Fortschritt gewesen? 
Darauf hatte Dr. Baker, der Chef des State board of health des Staates 
Michigan, jenes Staates, in dem die Anzeigepflicht bei Tuberkulose 1893 bereits 
eingeführt ist, geantwortet: „Der bedeutendste Fortschritt ist die Unterstützung, 
die das Gesetz in der Beschränkung jener Krankheit gibt, die die meisten 
Todesfälle zur Folge hat“. So hofft der Autor, daß die Regierungen die Be¬ 
kämpfung der Tuberkulose auf dem Wege der Gesetzgebung weiterhin 
sich zur Aufgabe machen werden. Dr. Mayer-Simmern. 




296 


Besprechungen. 


Der Laie und der Fachmann gegenüber den Problemen der öffent¬ 
lichen Gesundheitspflege. Von J. Lcderlo, T. Scdgwick und Clark 
Bell. Ebenda. Seite 213. 

Der Artikel bespricht die auf der Sektion für öffentliche Gesundheits¬ 
pflege auf dem internationalen Kongreß in St. Louis gehaltenen Vorträge. 

1. Ernst J. Ledcrlc, früher Commissioner of public health der Stadt 
New-York, von Beruf Chemiker, führte etwa folgendes aus: 

In der Person des Hygienikers hat sich ein neuer Stand ausgebildct. 
Man habe zwar die Gesundheitspflege als Domäne der Aerzte angesehen; 
da indessen die Schule, die der Arzt bei seiner Ausbildung durchmacht, ihn 
nicht zu einem guten Verwaltungsbeamten erzieht, so dürfte ein gut aus- 
gebildeter Laie auf dem Gebiete der öffentlichen Gesundheits¬ 
pflege die besten Resultate erzielen, wenn ihm bei rein ärztlichen Dingen 
sachverständiger ärztlicher Rat zur Seite steht. 

Ein ideales Gesundheitsamt sollte daher aus einem ärztlich gebildeten 
Bakteriologen, einem geschulten Ingenieur und aus einem „man of affairs“ be¬ 
stehen, der besonders mit Rücksicht auf seine Tüchtigkeit in Verwaltungs¬ 
sachen und die Weite seiner Ansichten ausgesucht ist. 

Allerdings muss sich zu dem Stande des „Sanitarian“ eine höher 
gebildete Klasse von Menschen melden, als es zur Zeit geschieht; auch muß 
die Bezahlung eine bessere sein. Die richtige Schulung und Ausbildung dieser 
aus dem Laienstande hervorgehenden Gesundheitsbeamten dürfte Sache eines 
nationalen Gesundheitsamtes sein, von dem die Politik der Parteien fern zu 
halten ist, dem alle privaten Laboratorien zu unterstellen sind, und dessen 
Aufgabe es ist, die Fragen der Quarantäne, der Untersuchung der öffentlichen 
Schulen, der Wasser- und Millchversorgung, der Fabrik- und Kinderarbeit zu 
fördern. 

2. Prof. William T. Sedgwick, vom Massachusett Institute ol Tech¬ 
nology, hebt ebenfalls hervor, daß zur Zeit beim Unterricht der angehenden 
Aerzte die Hygiene vernachlässigt werde. Sollte ein solcher Unterricht auf 
die Dauer nicht angängig sein, so müsse sich das Publikum in bezug auf 
Gesetzgebung und Verwaltung auf dem Gebiete der öffentlichen Gesundheits¬ 
pflege anderswo Umsehen. Er erinnert daran, welche Verdienste die Chemie 
und dieingenicurwissenschaften sich um die Hygiene erworben hätten. 
Hierher gehören die chemischen Studien des Gesundheitsamtes des Staates 
Massachusett unter Br owe; die Untersuchungen der Flüsse von Illinois unter 
Palmer. Bei der Frage der Reinigung des Wassers habe der Ingenieur 
bereits viel geleistet, ebenso bei der der Beleuchtung, der Wasserversorgung, 
der Kanalisation. 

Auch Clark Bell selbst bestreitet dem Arzte das Recht, auf dem 
Gebiete der Hygiene und der gerichtlichen Medizin nur auf Grund der bis¬ 
herigen rein ärztlichen Ausbildung als Sachverständiger zu gelten. 

Dr. Mayer-Simmern. 


Besprechungen. 

Dr. Manfred Fuhrmann: Diagnostik und Prognostik der Geistes¬ 
krankheiten. A b e 1 s medizinische Lehrbücher. Verlag von Joh. Ambrosius 
Barth. Leipzig 1904. Preis: 5,75 Mark. 

Verfasser gibt in kurzen, scharf umschriebenen Skizzen eine Schilderung 
der verschiedenen Formen geistiger Erkrankungen, ohne auf theoretische Er¬ 
wägungen cinzugehen. Er ist seiner Aufgabe gerecht geworden, ein Buch zu 
schreiben, das den Studierenden und Acrzten genügt. Der Praktiker will fest¬ 
stehende Krankhcitsbilder, an denen er seine Fälle vergleicht, und darum be¬ 
schränkt sich der Verfasser in richtig abwägendem Urteile auf die Wiedergabe 
des sicher Feststehenden, wobei im wesentlichen die Differentialdiagnostik be¬ 
rücksichtigt wird. 

Die im allgemeinen Teile sorgfältig bearbeiteten Kapitel über die Unter¬ 
haltung mit dem Kranken und die Untersuchung sind sehr lehrreich; im 
speziellen Teile sind die einzelnen Psychosen nach ihrer Häufigkeit mehr oder 
weniger ausführlich behandelt worden. Mit besonderer Genauigkeit ist die 
Diagnose der Paralyse und der Dementia praecox dargestellt, letztere im 



Tagesnachrichten. 


297 


großen and ganzen in Uebereinstimmang mit den Lehren Eraepelins. Der 
Begriff der Dementia praecox im Sinne Kraepelins ist sehr umfangreich 
und schließt eine ganze Reihe heterogener Prozesso in sich, die früher oder 
später Toneinander abgetrennt werden müssen. In dem Kapitel über Asso¬ 
ziationen sind die Lehren Sommers-Gießen weiter ansgebant. Soviel über 
den Inhalt. Die Ausstattung des Buches ist vorzüglich. 

Dr. Rump-Osnabrück. 


Tagesnachrichten. 


Das preußische Ministerialblatt für Medizinal- und medizinische Unter¬ 
richts - Angelegenheiten bringt in Nr. 8 nachstehenden Bericht über die 
Genickstarre in Oberschlesien: Im letzten Drittel des November vorigen 
Jahres traten im nördlichen Teile der Stadt Königshütte und in 
dem benachbarten Orte Neu Heiduk des Landkreises Beuthcn einige Fälle 
Ton epidemischer Genickstarre auf, denen bald vereinzelte Fälle in einigen 
Orten der Kreise Beuthen Land und Tarnowitz folgten. Eine Entstehungs- 
Ursache ließ sich nicht feststellen. Die sofort angeordneten Maßnahmen — 
Absonderung der Erkrankten, und zwar tunlichst in Krankenhäusern, Aus¬ 
schließung der gesunden Kinder aus erkrankten Familien vom Schulbesuch, 
Desinfektion der Kleidung, Wäsche und Bettzeug der Erkrankten — vermochten 
die Entstehung einer Epidemie und die Weiter Verbreitung der Seuche nicht zu 
verhindern. Bis Ende Dezember stieg die Zahl der Erkrankten in Königshütte 
auf 15, in Beuthen auf 3, im Landkreise Beuthen (in Neu Heiduk) auf ö. Im 
Januar breitete sich die Epidemie in den befallenen Orten und in der Umgebung 
langsam, im Februar sehr viel schneller aus. In der Woche vom 13. bis 
19. Februar betrug die Zahl der Neuerkrankungen im Regierungsbezirk Oppeln 
in 7 Kreisen, in der Woche vom 20. bis 26. Februar 106 in 8 Kreisen, in 
der Woche vom 6. bis 12. März 125 in 11 Kreisen, in der Woche vom 13. bis 
19. März 166 in 11 Kreisen, in der Woche vom 20. bis 26. März 147 in 
13 Kreisen. 

Von Beginn der Epidemie bis zum 31. März erkrankten (starben) an 
Genickstarre: 

1. Im Regierungsbezirk Oppeln 1065 (569), und zwar in den Kreisen: 
Stadtkreis Beuthen 52 (20), Landkreis Beuthen 203 (98), Cosel 6 (5), Falken¬ 
berg 1 (1), Stadtkreis Gleiwitz 6 (1), Landkreis Gleiwitz 4, Grotkau 2 (1), 
Stadtkreis Kattowitz 34 (23), Landkreis Kattowitz 219 (134), Stadtkreis 
Königshütte 292 (169), Kreuzburg 7 (3), Lublinitz 6 (3), Neiße 2 (1), Neu¬ 
stadt O.S. 4 (2), Stadtkreis Oppeln 5 (2), Landkreis Oppeln 12 (4), Pleß 71 
(33), Rosenberg 2, Rybnik 20 (5), Groß Strehlitz 13 (5), Tarnowitz 35 (21), 
Zabrze 70 (38). Von den 25 Kreisen des Bezirks blieben nur die Kreise 
Leofachutz, Stadtkreis Ratibor und Landkreis Katibor verschont. 

2. Im Regierungsbezirk Breslau 16 (9) und zwar in den Kreisen: 
Stadtkreis Breslau 2 (2), Landkreis Breslau 4 (3), Brieg 1, Oels 2, Ohlau 
4 (3), Landkreis Schweidnitz 2. 

Vereinzelte Fälle von Genickstarre kamen auch bei Mannschaften des 
TL Armeekorps vor, und zwar erkrankten in der Zeit vom 11. Februar bis 
24. März in Brieg 3, Lambsdorf 1, Ohlau 3, im ganzen also 7, von denen 4 
starben. 

Die Erkrankungen betrafen hauptsächlich das jugendliche Alter. Von 
-DOS Erkrankten im Bezirk Oppeln, deren Alter sich genau feststellcn ließ, 
Waiden im Alter 


von 0 bis 

1 Jahr 

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11 Jahr 

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zus. 87 


103 



298 


Tagesnachriehten. 


Kinder unter 16 Jahren waren also 903 = 89,t °/o; im Alter Ton 0 bis 
6 Jahren, also vor dem schalpflichtigen Alter, standen 583 = 58* °/ 0 , im Alter 
von 6 bis 14 Jahren, also im schalpflichtigen Alter, 311 = 90,» °/ 0 ; über 15 Jahre 
alt waren dagegen nar 103 = 10,» °/ 0 der Erkrankten. 

Die znr Bekämpfung der Epidemie angeordneten Maßregeln stützten sich 
aaf den Erlaß des Münsters der Medizinalangelegenheiten vom 23. No¬ 
vember 1888. 

1. Die dort nar für Aerzte vorgeschriebene Anzeigepflicht wurde 
allgemein eingeführt 2. Die Kranken worden streng abgesondert, and 
zwar tunlichst in Kr&nkenhäasern. Dies wurde wesentlich erleichtert darch 
die große Anzahl und teilweise vorzügliche Beschaffenheit der in dem Industrie¬ 
gebiet vorhandenen Krankenhäuser, namentlich darch die Knappschaftslazarette, 
welch letztere ausnahmsweise auch für Kinder zar Verfügung gestellt wurden. 
Bis Ende März konnten 95 °/ 0 der Erkrankten in Krankenhauspflege genommen 
werden. 3. Schulkinder aus Häusern, in denen Fälle von Genickstarre 
vorkamen, wurden für die Dauer der Erkrankung und noch 14 Tage nach der 
Genesung bezw. dem Tode des Erkrankten vom Schulbesuch ausgeschlossen. 
Schtüschließangen wurden vermieden; nur zweimal wurde eine Schulklasse vor¬ 
übergehend geschlossen, weil in dem betreffenden Schulhause eine Erkrankung 
vorgekommen war. 4. Streng durchgeführt wurde die Desinfektion, was 
wesentlich erleichtert wurde durch die erhebliche Anzahl an geschulten Des¬ 
infektoren und leistungsfähigen Desinfektionsapparaten, die im Bezirk vorhanden 
waren. 5. Im bakteriologischen Institut in Beuthen — Direktor Professor 
Dr. vonLingelsheim — wurden die erforderlichen Untersuchungen von 
Nasen- und Bachenschleim, Lumbalpunktionsflüssigkeit usw. der Erkrankten — 
bis Ende März von 760 — mit dem Erfolg vorgenommen, daß ausnahmslos der 
Diplococcus intracellularis Weichselbaum-Jäger gefunden wurde. Anfang 
April wurde das Personal der Station um 1 Assistenten und 1 Diener verstärkt. 
6. Die Impfung der Kinder im Bezirk Oppeln wird verschoben bis nach dem 
Erlöschen der Epidemie. 7. Eine gemeinverständliche Belehrung über die 
Erkrankung ist an die Bevölkerung verteilt worden. 8. Den Kreisärzten in 
Beuthen und in Kattowitz ist je 1 Kreisassistenzarzt für die Dauer der Epi¬ 
demie beigegeben worden. — Bei der Behandlung der Kranken hat sich 
nach der Angabe der Aerzte namentlich die Anwendung von heißen Bädern 
und die mehrmalige Wiederholung der Lumbalpunktion bewährt. 


Die Hauptversammlung der Deutschen Gesellschaft für Volksbider 

findet unter dem Ehrenpräsidium Se. Königl. Hoheit des Herzogs Dr. Carl 
Theodor in Bayern am 31. Mai 1905, vormittags 10 Uhr, im alten Bat- 
hause zu München statt. Auf der Tagesordnung stehen folgende Vorträge: 
I. Mitteilungen über ästhetische Anforderungen an moderne Badeanlagen. 
Beferent: Prof. C. Hocheder -München. — II. Die Münchener Bäder. Beferent: 
Bauamtmann jBichard Schachner-München. — III. Künstliche Wellen- 
erzeugung für Bassin- und Wannenbäder. Beferent: Dipl. - Ingenieur H. B e c k: 
n a g e 1 - München. — IV. Das Bad in kunstgeschichtlicher Beziehung. Befe¬ 
rent: Dr. Eugen Holländer-Berlin. Außerdem sind nicht weniger als 
30 Gegenstände und Fragen zur Besprechung angemeldet Unmittelbar an die 
Sitzung schließt sich eine Besichtigung des Müllerschen Volksbades 
und des Freilichtbades in München an. Für den Abend 9 Uhr ist ein 
gemeinsames Abendessen mit Damen in Aussicht genommen und für den 
folgenden Tag, Donnerstag, den 1. Juni, ist, sofern die Witterung 
günstig, ein Ausflug in das Gebiet der Quellwasserversorgung vorgesehen. 


VI. Jahresversammlung des Allgemeinen Deutschen Vereins für 
Schulgesundheitspflego am 14. und 15. Juni 1905 in Stuttgart. Auf der 

Tagesordnung stehen außer Beratungen über a. Satzungen, b. Neuwahl des 
Vorstandes und c. andere geschäftliche Angelegenheiten folgende Vorträge: 
I. Anfang und Anordnung des fremdsprachlichen Unterrichts. Pädagogischer 
Beferent: Prof. Dr. Vietor-Marburg. Medizinischer Beferent: Dr. Jäger- 
Schwäb.- Hall. — II. Ueber Schüleruntersuchungen. Aerztl. Beferent: Stadtarzt 
Dr. Gastpar. — III. Der ungeteilte Unterricht (Kürzung der einzelnen Unter¬ 
richtsstunden und Verlegung des wissenschaftlichen Unterrichts auf den Vor- 



Tagesnachrichten. 


299 


mittag). Pädagogische Beferenten: für höhere Schnlen: Oberachaldirektor Dr. 
Heintzm&nn-Elberfeld, für Volksschulen: Sektor M ü 11 e r - Eilenburg. Me- 
dbdoischer Referent: Dr. med. et. phiL Willy Hellb&rt, Nervenarzt - Karlsruhe. 


Von dem Geschäftsführer der am 29.—30. September in Meran statt- 
findenden 77. Versammlung der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und 
Aente wird mitgeteilt, daß die allgemeinen Sitzungen der diesjährigen 
Tagung am 25. und 29. September abgehalten und in denselben Gegenstände 
von allgemeinem Interesse behandelt werden sollen. Für den 28. September 
vormittags ist eine Gesamtsitzung der beiden wissenschaftlichen 
Hauptgruppen geplant, in der Prof. Langley-Cambridge über die neueren 
Erfahrungen in der Nerrenlehre, Prof. Correus-Leipzig und Prof. Dr. 
Heider-Innsbruck über Vererbungsgesetze sprechen werden. Für den 28. Sep¬ 
tember nachmittags sind für jede der beiden Hauptgruppen gemeinsame 
Sitzungen vorgesehen. Die Themata sind noch nicht fest bestimmt. Die 
Abteilungssitzungen sollen am 25. September nachmittags, am 26. und 
27. September vor- und nachmittags, sowie eventl. am 28. September nach- 
oittags abgehalten werden. 

Der Vorstand der Abteilung für gerichtliche Medizin bittet, 
Vorträge und Demonstrationen wenn möglich bis zum 13. Mai bei dem Bezirks¬ 
arzt Dr. Neuhauser in Meran anzumelden. 


Schenkung zu wissenschaftlichen Zwecken. Der Kommerzienrat Richard 
Passavant-Gontard hat der Stadt Frankfurt die Summe von 100 000 Mk. 
rar Verfügung gestellt, die für wissenschaftliche Studien auf dem Gebiete der 
Medizin, vor allem für die Tuberkulosebekämpfung, verwendet werden soll. 


Hprechsaal. 

Anfrage des Kreisarztes Schl, ln L. 1. Können im landwirtschaft¬ 
liehen Betriebe Verunfallte, welche einer Krankenkasse nicht ange¬ 
boren, von der Berufsgenosenschaft gezwungen werden, sich auch 
nährend der ersten 13 Wochen nach dem Unfall der Heilbehandlung in 
ehern Krankenhanse zu unterziehen! 

Antwort: Ja, auf Grund des § 23, Abs. 1 in Verbindung mit § 27, 
Abs. 3 des Unfallversicheruugsgesetzes für Land- und Forstwirtschaft vom 
90. Juni 1900. 

2. Inwieweit kann die Gemeinde von der Berufsgenossenschaft ersatz¬ 
pflichtig gemacht werden, wenn sie — fahrlässig oder nicht fahrlässig — 
lieht für ärztliche oder für nicht anszelchende ärztliche Behandlung des 
Unfallverletzten Sorge getragen hat! 

Antwort : Das Unf&llversicherungsgesetz enthält darüber keine Bestim¬ 
mung; dagegen können derartige Ansprüche auf Grund des Bürgerl. Gesetz¬ 
buches (§ 823, Abs. 2) gemacht werden. Es ist dabei aber Voraussetzung, 
daß die Gemeinde Kenntnis von dem Unfall erhalten und der Unfallverletzte 
dm Anspruch auf Heilverfahren (§ 27 d. Ges.) erhoben hat. 

Anfrage des Krelsartes W. in D. Wo finden sich die Unterlagen 
dafür, dass die Ausstellung der Gesundheitszeugnisse für den Eintritt ln 
des Reichs- und Staatsdienst, speziell für den Eintritt ln den Postdlenst 
and den niederen Gerichtsdienst (Gerichtsdiener) ausdrücklich den Kreis¬ 
ärzten Vorbehalten sind und demgemäss die Gebühren für diese Zeug¬ 
nisse als pensionsfähig in das Gebührenverzeichnls aufzunehmen sind! 

Antwort: Die Unterlagen sind, speziell für den Postdienst usw. 
durch die Verfügung des Staatssekretärs des Reichspostamts vom 1. Ja¬ 
nuar 1900 bezw. den Vorschriften der „Allgemeinen Dienstanweisung für Post- 
und Telegraphie“ gegeben, nach der die Bewerber für die mittlere Beamten- 
inufbahn und für den Unterbeamtendienst bei der Reichs-Post- und Telegraphen¬ 
verwaltung ein von einem Postvertrauensarzt oder einem Staats-Medi¬ 
zin albeamten ausgestelltes Zeugnis über ihren Gesundheitszustand beizu- 
briigen haben. In dem Min.-ErL vom 20. April 1901 (s. Beilage zn Nr. 16 
der Zeitschrift, 1901) ist außerdem ausdrücklich anerkannt, daß die von dem 



300 


Versammlungen nnd Berichtigung. 


Kreisärzte zum Zwecke der Bewerbung im Post- und Telegraphendienste er¬ 
statteten Gesundheitszeugnisse als amtsärztliche anzusehen sind. Für den 
Eintritt in den mittleren oder unteren Justizdienst wird dagegen allge¬ 
mein nur „der Nachweis der erforderlichen körperlichen Rüstigkeit“ verlangt; 
das von einem Kreisarzt derartig ausgestellte Zeugnis ist somit nnr dann als 
„amtsärztliches“ anzusehen, wenn die betreffende Behörde ausdrücklich 
ein solches verlangt hat. 


Bayerischer Medizinalbeamten-Verein (E. V.) 

Landes - Versammlung zu Würzburg 

am 3. Juni 1005. 

Tagesordnung: 

1. Neueste Forschungen über Infektionskrankheiten. Referent: Prof. 
Dr. Lehmann-Würzburg. 

2. Geistige Minderwertigkeit im schulpflichtigen Alter und Hülfsschulen. 
Referent: Prof. Dr. Weygandt-Wtirzburg. 

3. Quantitative Bestimmung des Luftgehaltes der Lungen. Referent: 
Prof. Dr. Stumpf-Würzburg. 

4. Die amtsärztliche Revision der Rczepttaxierung. Referent: Bez.-Arzt 
Dr. Graßl-Viechtach. 


Württembergischer Medizinalbeamtenverein. 

Die vierte Jahres •Versammlung des Wdrttemberglsohen 
Medl Sin aibeam te nvereins wird am Sonntag, den 14. Mai 190 5 
nachmittags 3 Uhr in Stuttgart im kleinen Saal des Oberen Museums 
(Kanzleistraße 11) abgehalten werden. 

Tagesordnung: 

1. Geschäftliches. 

2. Neuwahl des Vorstandes gemäß § 5 der Satzungen. 

3. Ueber Verbreitung und Bekämpfung des Abdominaltyphus in Württem¬ 
berg. Referent: Ober-Med.-Rat Dr. v. R e m b o 1 d - Stuttgart. 

4. Ueber die Schularztfrage vom Standpunkt des Medizinalbeamten. 
Referent: Med.-Rat Dr. Blezinger-Cannstatt. 

Nach Schluß der Versammlung findet eine zwanglose Vereinigung der 
Vereinsmitglieder im Stadtgarten statt. 


Berichtigung. In der in Nr. 7 dieses Jahrgangs erschienenen Arbeit 
von Herrn Dr. E. Huhs über „die desinfektorische Wirkung des Form&lins 
auf tuberkelbazillenhaltigen Lungenauswurf* sind die, die L in gn er sehen Des¬ 
infektionsapparate betreffenden Preisangaben irrtümlicherweise zu hoch an¬ 
gegeben. Der Preis des Lin gn er sehen Desinfektionsapparates ist ink). voll¬ 
ständigen Zubehörs &0 Mark. 

Die Angabe, daß der Preis des Roepk eschen Ammoniak - Entwicklers 
die Anschaffungskosten anderer kompletter Ammoniak - Entwickler nicht über¬ 
steige, beruht ebenfalls auf einem Irrtum; denn der Roepkesehe Ammoniak- 
Entwickler kostet Mark 23,50, der von der Firma Lingner konstruierte 
Mark 15,00. 

Es ist ferner ein Irrtum, daß der Lingner sehe Ammoniakentwickler 
aus verbleitem Eisenblech besteht. Er ist aus doppelseitig emailliertem starkem 
Eisenblech konstruirt; aus Kupfer deshalb nicht, weil Kupfer bekanntlich von 
Ammoniak sehr angegriffen und schnell zerstört wird. 

Die Anschaffungskosten für den Lingnerschen Formaldehyd - Apparat 
inkl. Ammoniakentwickler stellen sich demnach nur auf M. 35.—. 

Dresdener ohemlsohes Laboratorium Lingner. 


Verantwort!. Redakteur: Dr. Rap mun d, Reg.- u. Geh. Med.-Rat in Minden i. W. 
J. C. C. Bruns, Hersogl. Büchs, u. F. Bcb.-L. Hofbucbdrncksral ln Mlndsn. 




1905. 


18. Jahrg. 


Zeitschrift 


für 


MEDIZINALBEAMTE. 


ZeitralbUtt fir gerichtliche Medirii ud Psychiatrie, 

Sr Sntfiche 8achverstaiidigefltatigkeit in Unfall- und InYaliditätmcke«, sowie 
fr ljgieie, efeatJ. Sanitatswesen, Medizinal - Gesetzgebung ud Rechtsprechung. 

Eeransgegeben 

TOA 

Dr. OTTO RAPMUND, 

fcofterAAgs- mnd Geh. M*di*in*Lrat In Mlnd—. 


Verlag von Fischers mediz. Buehhandlg, H. Kornfeld, 


HnogL Bayer. Hof- u. ErshersogL Kammer-BuobhindlM*. 

Berlin W. 35, Lützowstr. 10. 

Imrile nahmen die Y erUf »handlang sowie alle Annonoen - Expeditionen des ln- 
und Auslandes entgegen. 


Nr. 10. 


Knebelst 


1. ud 18. jedes Monats. 


15. Mai. 


Ruhrepidemie in Duisburg im Jahre 1904. 

Von Kreisarzt Dr. Bahr in Duisburg. 

Am 7. Angast 1904 erkrankte die Ehefrau des Restaurateurs 
8p. in Duisburg-Hochfeld, Brückenplatz 30, an Ruhr. Bezüglich 
der Diagnose bestanden zunächst Zweifel; die Kranke war etwa 
sieben Tage lang in einem Zimmerchen untergebracht, das unmit¬ 
telbar neben dem gemeinsamen Hausflur nnd dem Schanklokal 
lag. So ist es gekommen, dass dieser eine Krankheitsfall zum 
Ausgangspunkt für eine kleine Epidemie werden konnte. 

Am 8. August erkrankte in der Eigenstrasse 20 eine Frau E. 
an Ruhr. Der Fall war nicht gemeldet, er wurde erst bei den 
Ermittelungen betreffs der anderen Fällen von mir festgestellt. 
Der Ehemann dieser Kranken pflegte die Sp.sche Restauration zu 
besuchen. Während Frau E. zu Bett lag, kam Frau B., die in 
demselben Hause wohnte, um zu helfen und zu pflegen; bei diesen 
Besuchen hatte sie ihr kleines Kind bei sich. Das Kind starb am 
10. August an Rohr. Am 15. legte sich Frau B. selbst, und am 
16. August eine Frau 0., Immendabl 10, welche die Bett- und 
Leibwäsche des verstorbenen Kindes gewaschen hatte. 

Am 19. August erkrankte in der Linkstrasse 26 die Frau 
des Kaufmanns P., der in der gleichen Fabrik mit dem Ehemanne 
der Frau E. tätig war und auch mit den Fabrikarbeitern in 
direkte Berührung kam. In der Eigenstrasse verbreitete sich 
die Rohr noch weiter: In dem neben Nr. 20 liegenden Hause Nr. 18 
bekam am 18. August ein Knabe Th., der mit den E.’schen Kindern 
*ni der Strasse gespielt hatte, die Ruhr; am 13. September er- 








302 


Dr: Bahr. 


krankten in dem gegenüberliegenden Hanse Nr. 23 zwei Kinder Br., 
die täglich mit den Kindern der gegenüberliegenden Häuser ge¬ 
spielt hatten. 

Hiermit war der eine Strom der Infektion erschöpft; von 
dem Hanse Brückebplatz Nr. 30 nahmen jedoch noch zwei weitere 
Gruppen von Erkrankungen ihren Ansgang: 

Die eine Gruppe betraf die in demselben Hause wohnende 
Familie A., von der zunächst der 72 Jahre alte, Reichsstrasse 
Nr. 117 wohnende Schwiegervater H., der seine Kinder am 
Brückenplatz häufig besucht hatte, die Ruhr bekam; er wurde in 
das Krankenhaus Bethesda übergeführt und ist daselbst am 11. No¬ 
vember an Herzlähmung gestorben. Seine Frau war inzwischen 
zu A. gezogen, hat aber ihren schwerkranken Mann häufig im 
Krankenhause besucht und erkrankte am 23. Aug. an der Ruhr; 
sie starb noch vor ihrem Mann. Am 25. Aug. erkrankte dann 
ihr Enkelkind A. an Ruhr, das sich aber bald erholte. Weiterhin 
erkrankte der für H., bei dem sich eine Lähmung des Schliess- 
muskels eingestellt hatte, zur Reinhaltung und Pflege an¬ 
genommene besondere Wärter Sch. Er hatte H. fast vier 
Monate hindurch gepflegt und gesäubert, bis er am 5. November 
selbst die Ruhr bekam. Endlich gehört zu dieser Gruppe noch 
ein Erkrankungsfall, der sich in einer ganz anderen Stadtgegend, 
Pulverweg Nr. 24, einstellte. Hier erkrankte die Frau des städti¬ 
schen Bureau- Assistenten Ba., deren Ehemann auf dem Rathaus 
in demselben Zimmer und an demselben Pulte mit dem städtischen 
Desinfektions - Aufseher Ho., der bei Sp. arbeitete, und in der 
Heerstrasse zuvor die Zimmer ausgemessen hatte etc. 

Die dritte Gruppe von Ruhrfällen, die sich an den Fall Sp. 
anschliesst, betraf drei Fälle: Am 15. August bekam die Hökersfrau 
Be., Wanheimerstr. 2, die Ruhr. Sie wohnte im Nachbarhause des 
Hauses Brückenplatz 30 und hatte direkten Verkehr mit diesem 
gehabt. Bereits am 16. August erkrankte dann Frau Schi., Heer¬ 
strasse 132, die wiederum häufig bei Be. zu tun hatte, und am 
31. Aug. wurde bei einem Kinde Eb., das durch Fall aus einem Man¬ 
sardenzimmer des Hauses Wanheimerstrasse 2 beide Oberschenkel 
gebrochen hatte und nach dem Krankenhause geschafft war, hier 
festgestellt, dass es gleichzeitig an Ruhr erkrankt war. Das 
Kind war mit Frau Be. verwandt, und hatte in deren Hause ver¬ 
kehrt resp. gewohnt. 

Gleichfalls in Hochfeld, unweit des Brückenplatzes, kamen 
ausserdem noch drei Ruhrerkrankungen vor, doch war hier ein 
direkter Zusammenhang mit den übrigen Fällen nicht nachzu¬ 
weisen: Am 26. August starb in der Liebfrauenstr. 14 ein Kind 
Bro. angeblich an Brechdurchfall. Die Frau des Invaliden St., 
Wanheimerstr. 90, die das Kind gepflegt hatte, legte sich am 
27. August mit Ruhr, und am 9. September erkrankte der Vater 
des Kindes Bro. an Ruhr. 

Schliesslich erkrankte am 20. September noch eine Frau SchL 
in Hochfeld, Werthauserstr. 77, an Ruhr, die für fremde Leute 













304 


Dr. Bahr: Bahrepidemie in Duisburg im Jahre 1904. 


wasch and plättete, so dass man wohl annehmen darf, dass auch 
sie darch infizierte Wäsche die Krankheit bekommen hat. 

Es frägt sich nan noch, woher die zuerst erkrankte Frau Sp. 
die Bahr bekommen hatP Nach ihrer Genesung machte sie in 
dieser Hinsicht folgende Mitteilungen: Wenige Tage vor ihrer 
Krankheit sei ein gewaltiges Gewitter mit Regengüssen nieder¬ 
gegangen ; die Leute hätten ihr Lokal förmlich gestürmt, um einen 
Unterschlupf zu finden. Unter diesen Gästen sei ein Mann ge¬ 
wesen , der dem Arbeiterstand angehörte, mit einem etwa 7 Jahre 
alten Mädchen. Beide hätten sich etwa */ 4 Stunden im Lokal 
aufgehalten, und in dieser Zeit sei das Kind nicht weniger als 
8—10 mal auf das Klosett gegangen. Die Möglichkeit, dass dieses 
Kind die Bahr hatte, ist nicht ausgeschlossen; Frau Sp. wenigstens 
nimmt an, dass sie durch dieses Kind angesteckt worden seL 

Anderseits besteht auch die Möglichkeit, dass Frau E., 
Eigenstr. 20, die zuerst erkrankte Person gewesen ist, und dass 
durch deren Ehemann die Buhr in das Sp.sche Haus am Brücken¬ 
platz gekommen ist. 

Ausser den genannten Fällen sind nur noch drei Ruhrfälle 
in Duisburg vorgekommen. Der eine Fall trat am 1. September 
in der Düssernstrasse 9 bei der Frau eines Angestellten der städti¬ 
schen Hafenbahn auf. Die beiden anderen, Ende Oktober vorge- 
' kommenen Fälle betrafen Kinder eines Kaufmanns in der Luther¬ 
strasse, der Geschäftsreisender ist. In diesen drei Fällen war der 
Weg der Infektion nicht nachzuweisen. 

Betrachtet man diese kleine Epidemie in Hochfeld etwas 
genauer, so bietet sie manches Beachtenswerte: Zunächst weist 
sie mit zwingender Notwendigkeit wieder auf die Tatsache hin, 
dass bei der Bekämpfung der Buhr alles darauf ankommt, die 
ersten Fälle schnell und sicher zu isolieren. Das abwartende 
Verhalten der behandelnden Aerzte gegenüber dem ersten Krank¬ 
heitsfall ist hier geradezu verhängnisvoll geworden. Hätte man 
die ruhrverdächtige Frau nicht 7 Tage in dem Zimmer neben der 
Wirtschaft gelassen, dann wären 16 Familien von der Buhr ver¬ 
schont geblieben. 

Bezüglich des Kontaktcharakters der Buhr sind vier Momente 
hervorzuheben. 

1. Am meisten gefährdet sind diejenigen Personen, die mit 
der Wartung und Pflege der Kranken betraut sind, die also mit 
den Franken in direkte Berührung kommen: (Frau B., Frau St., 
Wärter Sch.) 

2. Die Infektion kann auch durch Gegenstände, namentlich 
durch Leib- und Bettwäsche der Kranken erfolgen. (Waschfrauen 
0. und Schl.) 

3. Gesunde Zwischenträger können die Ruhrkeime in die 
Häuser bringen. (Ehemänner E., P. nnd Ba.) 

4. Von Buhr anscheinend genesene Personen können noch 
lange Zeit nach dem Ueberstehen der Krankheit, wenn klinische 
Krankheitszeichen nicht mehr nachzuweisen sind, die Buhr ver¬ 
breiten. Der Wärter Sch. hat z. B. den alten H. fast vier Monate 



Dr. Lentz: Bemerkungen z. d. Artikel: Paratyphusepidemie im Er. Kreuznach. 305 

hindurch täglich sauber halten mttssen (9. August bis 5. November), 
seine Ansteckung erfolgte erst, als bei H. keine Zeichen von 
Bohr mehr nachzuweisen waren. Er war übrigens von dem 
Chefarzt des Krankenhauses besonders instruiert, und auf die ihm 
drohende Gefahr aufmerksam gemacht worden. Solange er mit 
der erforderlichen Sorgfalt und Vorsicht verfuhr, hat er sich gegen 
die Bohr geschützt, sobald er sich jedoch vor Ansteckung sicher 
fühlte, und sorgloser bei der Desinfektion seiner Hände verfuhr, 
bekam er die Bohr. 


Einige kurze Bemerkungen zu der Abhandlung des Herrn 
Kreisarztes Dr. Lembke: Eine Paratyphusepidemie im 

Kreise Kreuznach. 

Ton Kreisassistenzarzt Dr. Lentz, Leiter der Kgl. bakteriologischen Unter¬ 
suchungsanstalt in Saarbrücken, früher in Idar a. d. Nahe. 

Herr Kreisarzt Dr. Lembke‘Kreuznach berichtet in Nr. 8 
dieses Blattes über eine kleine Paratyphusepidemie im Kreise Kreuz¬ 
nach. Er erwähnt dabei, dass bei 15 der Kranken durch den 
positiven Ausfall der Blutuntersuchung die Diagnose Paratyphus 
gesichert worden sei. Ob auch durch den Nachweis von Paratyphus¬ 
bazillen der Beweis für die Richtigkeit der Diagnose gebracht 
wurde, sagt er nicht, und setzt sich damit berechtigten Zweifeln 
bei Klinikern und Bakteriologen aus; denn Stern, v. Drigalski 
und Jürgens, deren Arbeiten über Paratyphus heute noch grund¬ 
legende Bedeutung haben, sprechen sich gerade dahin aus, dass 
aus einem, auch anscheinend ganz eindeutig positiven Ausfall der 
Blutuntertuchung die Diagnose Paratyphus nicht gestellt werden 
könne, dass bei vielmehr ganz eindeutiger Paratyphusreaktion des 
Blutserums eines Kranken ein echter, durch Eberth-Gaffkysehe 
Bazillen verursachter Typhus vorliegen könne. 

Ohne auf die Richtigkeit dieser Behauptung näher eingehen 
zu wollen, halte ich es doch für meine Pflicht, hier zur Stütze 
der Ansicht Lembkes zu berichten, dass der vollgiltige Beweis 
für das Bestehen einer Paratyphusepidemie iu Sobernheim 
b. Z. erbracht worden ist. 

Dem Königl. bakteriologischen Institut in Idar a. d. Nahe, 
das vom Oktober 1903 bis zum September 1904 auch für die 
Kreise Meisenheim, Kreuznach und Simmern des Regierungsbezirks 
Koblenz Untersuchungen auf Typhus ausfuhrte, gingen im Sep¬ 
tember und Oktober 1904 aus Sobernheim Proben von 4 verdächtigen 
Kranken zu (soweit ich das aus den Bezeichnungen Lembkes 
mitnehmen kann, von den Fällen nur Nr. 3, 9 und 13 sowie 
einem Ga., vielleicht Nr. 7 in Lembkes Tabelle). Bei allen 4 
Fällen gelang der Nachweis der Paratyphusbazillen im Stuhlgang, 
bei Ga. fand sich ausserdem eine ausgesprochene Serumreaktion 
auf Paratyphusbazillen. Es hat sich also in Sobernheim tatsächlich 
um eine Paratyphusepidemie gehandelt. 

Aus den Untersuchungen der Anstalt in Idar sowie den 
Nachrichten, welche dieser von der Königl. bakteriologischen 



808 Dr. Friedei: Bemerkungen z. d. Artikel: P&ratyphuflepidemie L Kr.Kreuznach. 

Untersuchungsanstalt in Kaiserslautern i. d. Pfalz zugiiigen, 
glaube ich auch, die weitere Vermutung Lern bk es bestätigen 
zu können, dass der Paratyphus auf dem Wege fiber den Kreis 
Meisenheim nach Sobernheim eingeschleppt worden ist Im Jahre 
1903 kamen nämlich in den Orten der Nordwestpfalz mehrfach 
Paratyphusfälle zur Beobachtung, und im Spätherbst 1908 wurde 
der Paratyphus nach Odenbach (pfälzischer Ort bei Meisenheim) 
eingeschleppt. Im Frühjahr 1904 trat er dann in Meisenheim, 
wenige Wochen später auch in Desloch und Baumbach (Orte im 
Eireise Meisenheim, letzterer wenige Kilometer von Sobernheim 
entfernt) auf. Besonders in Baumbach gewann er eine anscheinend 
erhebliche Ausbreitung. Eine Verschleppung von hier nach dem 
nächsten grosseren (Industrie*) Orte Sobernheim konnte somit nicht 
überraschen. 

Ob allerdings die Sobernheimer Epidemie nur die wenigen 
Fälle umfasst hat, welche Lembke aufzählt, erscheint mir nach 
meinen in Idar gesammelten Erfahrungen unwahrscheinlich. In 
dieser Anstalt kamen in den l a / 4 Jahren meiner dortigen 
Tätigkeit etwa 60 Paratyphuskranke zur Untersuchung. Von 
diesen ergaben nur 20 eine positive Blutreaktion, während sie bei 
den übrigen, meist nur leicht und vorübergehend Kranken auch 
bei wiederholter Untersuchung nicht in die Erscheinung trat. 
Fast stets konnten aber in der Umgebung von ausgesprochenen 
Eiranken eine ganze Beihe von Personen ermittelt werden, die 
kurze Zeit, oft nur 1 Tag lang, an kaum beachteten Krankheits¬ 
erscheinungen, Kopfschmerzen, Unbehagen, leichter Durchfall, 
gelitten hatten, in deren Exkrementen die Untersuchung wochen-, 
ja monatelang Paratyphusbazillen ergab. Mehrfach konnten mit 
allergrösster Wahrscheinlichkeit gerade auf solche kaum krank 
gewesene Infizierte, bei denen Widal stets negativ war, weitere 
Infektionen znrückgeführt werden. Ich habe dadurch den Ein¬ 
druck gewonnen, dass die Infektiosität des Paratyphus eine ausser¬ 
ordentlich grosse, die Uebertragung von Paratyphusbazillen von 
Mensch zu Mensch eine sehr häufige ist. Dass diese Ansicht 
noch nicht allgemein geteilt wird, liegt m. E. nur daran, dass 
die Verbindung zwischen den einzelnen schweren Erkrankungen 
an Paratyphus in der Begel durch eine grössere Zahl ganz leichter 
Kranker oder auch gesund bleibender Infizierter vermittelt wird, 
deren Infektion nur durch sehr sorgfältige Untersuchung von Stuhl 
und Urin der betreffenden Individuen erkannt werden kann. 


Einige weitere Bemerkungen zu der Abhandlung 
des H. Kreisarztes Dr. Lembke: Eine Paratyphusepidemie 

im Kreise Kreuznach. 

Von Kreisassistenzarzt Dr. Frledel - Coblenz. 

Auch das bakteriologische Laboratorium der Begierung in 
Koblenz hat zweifelsfrei festgestellt, dass die Epidemie durch 
Paratyphus-Bazillen verursacht war: Es gingen im Oktober 1904 



Dr. Bauer: Oie Hebammentasche. 


307 


3 ßtnhlproben von 3 Erkrankten ein, von denen einer starb; in 
alles von den Paratyphnsbazillen nachgewiesen. Die Untersuchung 
mb er 4. Stuhlprobe im November, von einem Rekonvaleszenten 
stammend, fiel negativ aus. Die Blutreaktionen scheinen mir 
übrigens zum grossen Teil durchaus eindeutig zu sein. Bei 12 
der Erkrankten waren die Agglutinationswerte folgende: 


1:1000 Paratyph. -f- 
1 : 200 , + 

1 : 500 
1 : 200 
1 : 60 
1:1000 „ 


1: BOTyph. — 
1:60 , - 

1:60„- 
1: 60 „ - 

1 : 20 „ - 

1 : 10 . - 


1:1000-Paratypb, 
1: BO „ 

1: 300 „ 

1: 100 
1:1000 
1: 400 


; 1:100 Typh. —; 
; 1 : 20 . 

; 1 : 50 „ 
; 1:20 , 

; 1 : 20 „ 

; 1 : 20 , 


Unter den 150 Typhus- und 25 Paratyphuserkrankungen aus 
dem Reg.-Berirk Koblenz, die seit dem Bestehen des bakteriolo¬ 
gischen Laboratoriums bis jetzt zur Untersuchung gelangt sind, 
konnte überhaupt in keinem Fall ein Ueberwiegen der Mitagglu- 
tinadon über die spezifische nachgewiesen werden. Gegenteilige 
Befände scheinen danach doch nicht häufig zu sein. 


Die Hebammentasche. 

Von Medizinalrat Dr. Bauer, Kreisarzt in Mörs. 

Vor ca. 9 Jahren ist von der Hebammen - Lehranstalt in Cöln 
eine Tasche ausgegangen, die einen wesentlichen Fortschritt be¬ 
deutete und in der Praxis sich gut bewährt hat. Sie war in 
folgender Weise eingerichtet: 

Ihre Hauptbestandteile bildeten zwei länglich - viereckige Nickelmetall* 
toeken mit abgerundeten Ecken und Kanten, die schacbtelartig ineinander 
f*&en, so daß der ttbergreifende obere Teil als Deckel das Ganze schloß. Das 
utere Becken hatte eine lichte Länge von 28,6 cm, eine lichte Breite von 
16,4 cm und eine lichte Höhe von 9,7 cm, auf der Innenseite eine Skala fttr 
1, l'it, 2, 2'/t, 3, 3‘/*t 4 Liter. Das obere Becken hatte eine lichte Länge 
tob 29, eine lichte Breite von 16,9 und eine lichte Höhe von 7,3 cm. In der 
Me von etwa 3,B cm ragten 4 stumpfe runde Zapfen von etwa 0,4 cm Länge 
öden Innenraum vor, während an einer Längsseite eine Skala von 1, 1 */», 2, 
2*K S Liter die Maße für den Bauminhalt abgaben. 

Die beiden Kasten waren aus Nickelblech .derart hergestellt, daß auf 
gestanzten Boden mit aufgekremptem Bandteil ein rechteckig gebogenes, 
nr an einer Schmalseite vernietetes und verlötetes Blechband angelötet war. 
Ich vermute, daß wegen der Sprödigkeit des Nickelmetalles das Ganze nicht 
direh Stanzen hergeatellt werden konnte. 

In dem von den beiden Metallkasten umschlossenen Baum waren die 
Gerätschaften der Hebammen untergebraebt, und zwar fand man, wenn man 
den Deckelkasten abhob, zunächst eine Tasche aus braunem Segeltuch von der 
Wkunten Briefumschlagform mit zwei Innentaschen, von denen die eine zwei 
Soadnhren, für */« Minute und 3 Minuten, zwei Glasröhren für den After, einen 
üszimalthermometer und ein Nageleisen, die andere einen nensilbernen Katheter, 
twd winkelig gebogene Glasröhren mit gebauchten runden Enden für Scheiden* 
•wjpttlnngen, von welchen die eine nur eine zentrale Endöffnung, die andere 
Hfer dieser noch vier seitliche, im ganzen fünf Oeffnungen hatte; ferner ein 
Augen tropf röhrchen mit Gummihütchen, eine Nabelschnurscheere und N&bel- 
biodehen derart enthielt, daß ein fortlaufendes breites Band unter festgenähten, 
® zweckentsprechenden Abständen befindlichen Bandbrücken fortlief, so daß 
Ais einzelnen Gegenstände unter lüftbaren und wieder anziehbaren Bandbügeln 
feügthalten wurden, und die beiden Tascbenabteile durch eine Schleife der 
hda Enden geschlossen werden konnten. 







308 


Dr. Bauer. 


Nach Herausnahme dieser Tasche fand man einen rechtwinkeligen Draht- 
btlgel, welcher der Länge nach den Innenraom überspannte, aber rar Seite 
geneigt lag, nnd senkrecht gestellt, sich als Griffbügel von einem durch¬ 
löcherten Blechboden mit niedrigen Seitenrändern erwies, der dnrch eine auf- 
rechtstehende, herausnehmbare Blechwand von etwa 3,5 cm Höhe, der Länge 
nach in einen größeren nnd kleineren Baum geteilt war nnd auf welchem fol¬ 
gende Gegenstände ruhten: 

Im vorderen größeren lag der Irrigator aus vernickeltem Blech mit 
einem Deckel verschlossen, in dessen Hohlraum eine verlötete Blechbüchse für 
sterile Wattekugeln sich befand, daneben der Gummischlauch und ein Bade¬ 
thermometer; in dem hinteren schmaleren befanden sich eine Bürste, ein me¬ 
tallener geschlossener Behälter für Seife, eventuell eine Büchse mit Vaselin. 
An einer Schmalseite des durchlochten Plechbodens war in etwa 2,5 cm Höhe 
ein wagerecht in einen Ausschnitt der aufrecht stehenden Blechwand einge¬ 
lassenes und ebenfalls herausnehmbares Blechstück angebracht, mit passend 
durchlochten Oeffnungen für die Gläser für Lysol, Hoffmannstropfen, Höllen¬ 
steinlösung, Meßglas etc. Sämtliche Gegenstände mit Einschluß der Blech¬ 
scheidewände konnten mit Leichtigkeit entfernt und der übrigbleibende durch¬ 
lochte Blechboden mit Bügelgriff zum Auskochen der Instrumente in dem mit 
Zapfen versehenen Deckelbecken verwendet werden. Der ganze Inhalt war in 
dem geschlossenen Blechkasten so gut geborgen, daß die Unterbringung der 
einzelnen Gegenstände auch in der Praxis sich als zweckmäßig und geschützt 
erwies. 

Der geschlossene Kasten wurde in einer starken, braunen Segeltuch¬ 
tasche verwahrt, welche seitlich noch Außentaschen hatte und durch Druck¬ 
knöpfe verschlossen wurde. Auf diese geschlossene Segeltuchtasche wurde 
dann eine zweite besondere Segeltuchtasche von Briefumschlagformat aufge¬ 
lagert, welche eine reine Schürze, zwei reine Handtücher und ein gut ver- 
paktes Paket sterile Watte enthielt und mit der Beckentasche durch zwei 
Beisedeckenriemen verbunden wurde, deren handlicher Griff das Tragen der 
nicht ganz zehn Pfund wiegenden Tasche erleichterte. Diese außerhalb des 
Beckenkastens gelagerte Segeltuchtasche enthielt, wenn die Hebamme zur 
Kreißenden, zur Wöchnerin ging, nur reine Wäsche, wenn sie von ihr ging, 
nur gebrauchte Wäsche, aber wohlgemerkt, außerhalb des Beckeninnenraumes, 
so daß die gebrauchte Wäsche von diesem getrennt und in der besonderen 
Auflagetasche isoliert blieb. Auch die an der Beckentasche angebrachten 
Seitentaschen konnten noch verschiedene Gegenstände nach Wahl aufnehmen. 

Ich rechne es dem Direktor der Cölner Hebammenlehranstalt 
Herrn Dr. Frank als ein grosses Verdienst an, dass er diese 
vollständig desinflzierbare, auskochbare Tasche in die Praxis ein* 
führte, vor allem auf ein schönes, geschmackvolles Aeussere, auf 
Leder- etc. Arbeit verzichtete, nur das Praktische und den einen 
Hauptzweck, die Sterilisierbarkeit, im Auge behielt. 

Gleichwohl ist dies nicht der einzige und eigentliche Vorzug 
der seitherigen Cölner Tasche. Das Schwergewicht ihres Wertes 
lag in einem anderen Umstande: Die Hebamme wurde mit 
einem Schlage frei und unabhängig von den Näpfen, 
Schalen und Schüsseln des Publikums. Sie führte ihre 
eigenen und zwar desinfizierten Becken für das Waschen der 
Hände und Arme, für die Bereitung der Lysollösung mit sich, 
wurde mit einem Male selbständig, von der Not und Unzulänglich¬ 
keit des Lebens befreit. Sie wusste, dass sie jetzt nur treu und 
gewissenhaft zu sein brauchte, um die vorschriftsmäßige Rein¬ 
haltung ihrer Gefässe auch wirklich durchzuführen, dass sie nicht 
mehr in Notlagen versetzt werden konnte, deren Ueberwindung 
im Sinne einer durchzuführenden Asepsis unter Umständen geradezu 
unmöglich war. Ich will hier nicht die Zustände schildern, die 



Die Hebammentasche. 


809 


das wirkliche Leben in bezug auf Waschnäpfe, Töpfe, Kessel etc. 
bot nnd noch bietet, wie die Hebamme, wenn sie anch bei einer 
grossen Mehrzahl der Fälle brauchbare Schalen und Schflsseln etc. 
finden mochte, doch bei einer beträchtlichen Minderzahl der Familien 
in so grosse Verlegenheit geriet und geraten musste, dass eine 
keimfreie Reinhaltung der Gefässe nicht nur ausgeschlossen, 
sondern die Gefahr der Infektion der Gebärenden, der Wöchnerin 
geradezu nahe gerückt war. 

Von diesen Mängeln, den unbeschreiblichen und unberechen¬ 
baren Missständen des wirklichen Lebens wurde die Hebamme 
nicht nur befreit, sondern auch in eine aseptische Region entrückt, 
deren Erhaltung lediglich nur noch von ihrer Gewissenhaftigkeit 
abhängig blieb! In der Tat ein ausserordentlicher Fortschritt 1 
Indem die beiden Becken noch die Behälter für die übrigen Ge¬ 
rätschaften und Mittel wurden, welche die Hebamme mit sich 
führen musste, wurde eine besondere kofferartige Ledertasche er¬ 
spart und ein Ganzes geschaffen, welches einfach und praktisch 
war, das Notwendigste, aber zugleich auch das Beste bot, was 
Wissenschaft und Praxis dem Leben bieten konnten. 

Die Cölner Tasche hat hier am Niederrhein mehr und mehr 
Eingang gefunden und da, wo sie von gewissenhafter Hand ge¬ 
braucht wurde, auch sichtbaren Segen verbreitet. Wir hätten noch 
Jahrzehnte mit der Cölner Tasche und Lysol weiter arbeiten 
können nnd dann wahrscheinlich statistische Ergebnisse aufzu¬ 
weisen gehabt, welche das überhaupt Erreichbare auch als wirk¬ 
lich erreicht erscheinen liessen. 

Nun kommt die Desinfektion mit Sublimatlösung 
and behauptet ihr Vorrecht gegenüber dem Lysol. Mit Nachdruck 
wird gesagt: „Wenn es richtig ist, dass wir in dem Sublimat 
das zuverlässigste Desinfektionsmittel der Hände be¬ 
sitzen, so ist es falsch, dieses Mittel den Hebammen vorzuent¬ 
halten. K Ich würde den Vorsatz auch bejaht, aber für den Schluss¬ 
satz eine objektivere Fassung, etwa derart vorgeschlagsn haben: 
,so ist es zunächst angezeigt, zu ermitteln, welche tatsächlichen 
Hindernisse im wirklichen Leben der Sublimateinführung entgegen- 
ittnden.* Hier wäre der Ort gewesen, wo man eine Anfrage bei 
simtliehen Anstaltsdirektoren und auch — bei den dem wirklichen 
Leben nahestehenden Kreisärzten veranlassen konnte, oder auch 
Basste, um zu ermitteln, dass der Einführung des Sublimats nicht 
etwa Vorurteil, Mangel an gutem Willen, an Bildung oder Bildungs- 
fthigkeit der Hebammen, sondern bedenkliche Mängel und Unzu¬ 
länglichkeiten des wirklichen Lebens entgegenstehen. 

Ich würde, wenn gefragt, mein Gutachten dahin abgegeben 
haben, dass, zunächst abgesehen von der Gefahr der Verbreitung 
eines so gefährlichen Giftes durch die Hebammen, die Desinfektion 
mit Sublimat nur dann ausführbar und durchführbar erscheint, 
wenn das Grundprinzip der Cölner Tasche beibehalten, die Heb¬ 
amme mit den nötigen Gefässen für die Ausführung der Des¬ 
infektion aasgerüstet wird und gerade mit bezug auf die nament- 



810 


Dr. Bauer. 


lieh gegen Seife so empfindliche Sublimatlösung vor den Näpfen, 
Schalen nnd Schüsseln des Publikums erst recht bewahrt bleibt. 

Hat das neue Hebammenlehrbuch diese Frage gelöst oder 
ist die Situation noch schwieriger geworden P 

Das Lehrbuch spricht von vier (I) Schalen, welche die Heb¬ 
amme nötig hat. Auf Seite 79 ist von zwei Schalen die Bede, 
von denen die eine für das Waschen der Hände, die andere für 
die Sublimatlösung bestimmt ist; auf Seite 154 wird eine dritte 
Schale für die Reinigung der Geschlechtsteile gefordert, und auf 
Seite 81 noch eine reine Schüssel oder eine reine Flasche für die 
Bereitung der Lysollösung. 

Also eventuell vier Schalen! Nähmen wir nur drei brauch¬ 
bare an, welche die Hebamme im Haushalte jeder Bremsenden 
vorfinden müsste. Welche optimistische Voraussetzung! 

Es ist keine Frage, dass eine Gebäranstalt über eine reiche 
Auswahl von keimfreien, geradezu idealen Schüsseln, Schalen und 
Flaschen verfügt. Aber, wenn einmal die Hebammen die Schüsseln, 
Schalen und Flaschen, die ihnen das wirkliche Leben bietet, in 
einer Anstalt vorzeigen könnten, welch ein Schrei der Entrüstung 
würde diese keimfreien Hallen durchgellen! Wie wüi de der Opti¬ 
mismus, der stillschweigend auch nur annähernd ähnliche ideale 
Zustände voraussetzte, einem entmutigenden Pessimismus weichen 
müssen! Es gibt Familien, in denen sich auch nicht eine brauch¬ 
bare Schüssel vorfindet, andere, welche vielleicht eine «Schale* 
darbieten, die erst gründlich mit Sand und Seife gereinigt nnd 
dann noch ausgekocht werden müsste, wozu aber die Hebamme 
nicht immer und überall die nötige Zeit und Gelegenheit (Kessel) 
findet, wieder andere, die, wie ich wiederholt erlebt habe, Salat¬ 
oder Essschüsseln (!) zur Verfügung stellen, und ausserdem recht 
viele, deren Waschschüsseln ganze Ringe von alter angetrockneter 
Seife aufweisen. Und nun sollte die Hebamme, welcher das Lehr¬ 
buch eingehende, präzise Vorschriften gibt, eine peinliche Beob¬ 
achtung zur Pflicht macht, auch wenn sie gründliche Kenntnisse 
und den besten Willen hat, sie anzuwenden, unter dem Druck 
einer drängenden Geburt mit allem Wissen und Können an solchen 
äusseren Missständen, an solchen unqualifizierbaren Waschnäpfen 
scheitern und sich mit einer «Desinfektion* begnügen müssen, 
welche wegen der äusseren Umstände «leider* nicht anders ausr 
führbar war?! 

Das Lehrbuch zählt im § 194 die Instrumente und Mittel 
auf, welche die Tasche enthalten muss, aber von der unerlässlichen 
Ausrüstung der Hebamme mit den nötigen Gefässen, Becken oder 
Schalen ist mit keinem Worte die Rede! Hier ist eine wesent¬ 
liche Lücke zu finden. Das im übrigen gediegene Buch war in 
dieser Hinsicht längst von der Cölner Tasche überholt; es würde 
auf der Höhe der Zeit gestanden haben, wenn es das Cölner 
Grundprinzip mit aufgenommen und die notwendige Ausrüstung 
der neuen Hebammentasche mit mindestens drei entsprechenden 
Becken vorgesehen hätte. Dass die Hebamme aber gerade für die 
Sublimatlö8ung eventuell wieder auf die Schüsseln und Schalen 



Die Hebammentasche. 


311 


im Publikum angewiesen blieb, war für mich ein bedenklicher 
Rückschritt. Der Gedanke war mir unerträglich! Ich habe be¬ 
reits am 3. Dezember 1904 in der Versammlung der Kreisärzte 
in Düsseldorf meine Bedenken geäussert und versprochen, mir 
Mähe zu geben, um das Prinzip der Cölner Tasche auch für die 
Neuordnung der Dinge zu erhalten und auch für die Sublimat¬ 
lösung zu erweitern. 

Es trat aber eine neue Schwierigkeit in den Vordergrund: 
Sublimat zerstört wie bekannt Metalle; die Cölner Becken konnten 
deshalb nicht für eine Sublimatlösung verwendet werden. Auch 
musste man annehmen, dass die Sublimatlösung selbst in metallenen 
Becken verändert, ihre desinfizierende Wirkung beeinträchtigt 
wurde. Guter Rat war teuer! Ich wandte mich an verschiedene 
Firmen, liess mir Taschen kommen, prüfte diese und von anderen 
Firmen eingesandte Zeichnungen und Beschreibungen und formu¬ 
lierte für drei Hauptfirmen die Aufgabe, welche nach meinen An¬ 
forderungen durch die zu schaffende Tasche zu lösen wäre. 

Von diesen ging das Medizinische Warenhaus in Berlin be¬ 
reitwillig auf meine Vorschläge ein, stellte vielfache Versuche mit 
metallischen und nicht metallischen Stoffen an und kam, nachdem 
Olas und Porzellan, weil zu schwer und zu zerbrechlich, als nicht 
verwendbar befunden war, auf meinen ursprünglichen Vorschlag, 
Papiermache zu verwenden, zurück. Das Medizinische Warenhaus 
konstruierte verschiedene Taschenmodelle, behielt aber zuletzt das 
einfachste, meines Erachtens zweckmässigste Stülpmodell bei, 
welches hier in den Abbildungen dargestellt ist. 

Die ganze Tasche, Fig. 1, wiegt etwa 4 kg 600 g. Zwei 
braune Segeltuchbehälter werden durch zwei kräftige Riemen mit 
Handgriff zusammengehalten. Die kleinere aufliegende Segeltuch- 
tascbe enthält Schürze und Handtücher. 



Fig. 1. 


Die grosse Segeltuchhülle, welche vorn durch eine abnehm¬ 
bare Lederschnalle geschlossen wird, hat auf ihrer hinteren Seite 
noch eine grosse Tasche, durch Druckknöpfe zu schliessen, für 
Tagebuch und Lehrbuch und umschliesst zwei grosse Becken aus 
Weissblech, welche als Gehäuse der ganzen Tasche und Behälter 
für die übrigen Utensilien dienen. 






312 


Dr. Bauer. 


Fig. 2. 




Das vorstehende Bild (Fig. 2) 
stellt die leere Hülle, die Wäsche¬ 
tasche und den Stülpblechkasten 
dar, während das nachstehende 
Bild (Figur 3) die herunterge¬ 
nommene Deckelstülpe (Länge 
19 Vj cm, Breite 16 1 /« cm, Höhe 
10 cm) und das untere Becken 
(Länge 19 cm, Breite 16 cm, Höhe 10 cm) zeigt, auf welchem ein 



Fig. 3. 


drittes, etwas kleineres Becken (Länge 18,3 cm, Breite 15 1 /* cm, 
Höhe 5 ‘/t cm) aus Papiermache für Sublimatlösung ruht. 


Fig. 4. 



Im Bild 4 sieht man die drei Becken 

























Die Heb&mmentosche. 


818 









0 





und den Inhalt des unteren Beckens, wie er gelagert ist. Unter dem 
W&ttepaket liegt im Becken der Irrigator aus vernickeltem Blech, 
in diesem die Büchse mit Fig. 5 . 

Jodoform wattekugeln und 
der rote Gummischlauch. 

Für die Einlagerung der 
Wattein dem Karton hat 
das Warenhaus die zweck¬ 
mässige Einrichtung ge¬ 
tröden, dass die Watte 
bandartig hervorzuziehen 
nndabzutrennen ist, wäh¬ 
rend die übrige Watte un¬ 
berührt in dem Futteral 
geborgen bleibt. Neben 
derWatte liegt eine graue 
zosammengerollte Segel- 
tnchtasche, deren Inhalt 
Bild 5 enthüllt. 


Bild 6 zeigt den Inhalt des unteren Beckens auseinander- 


Fig. 6. 




gestellt. Das Blechgestell für die Arzneimittel enthält die Flaschen 
für Alkohol, Lysol, Hoffmannstropfen, Höllensteinlösung aufrecht- 


I 





















































814 


Dr. Bauer: Die Hebammentaache. 


stehend mit gut schliessenden Glasstopfen, die durch eine 
Federkl&mmer in ihrer Lage erhalten werden, eine wesentliche 
Verbesserung: die Flaschen können nicht auslaufen. Ausserdem 
sieht man in dem Gestell noch ein aufrechtstehendes Metallkäst* 
chen für Seife und unten ein horizontal liegendes für Nabelläpp¬ 
chen, die in und mit dem Metallkästchen in kochendem Wasser 
oder heisser Luft leicht desinfiziert werden können. 

In bezug auf den Gummihandschuh sei hier eingeschaltet, 
dass ich denselben in einem Umschlag von Pergamentpapier habe 
bergen lassen, welcher die Aufschrift trägt: „Nur unmittelbar vor 
dem wirklichen Gebrauch zu öffnen.“ Ausserdem erhält die Heb* 
amme noch einige Reservepergamentumschläge, die wieder in 
anderen Kuverts geborgen sind, welche die Aufschrift tragen: 
„Zu öffnen, wenn der wieder sterilisierte Handschuh geborgen 
werden soll.“ Diese Verwahrungsart hielt ich deshalb ffir not¬ 
wendig, weil der Gummihandschuh ein Gegenstand der Neugierde, 
eine Sehenswürdigkeit ist, welche, wie ich mich überzeugt habe, 
von Hand zu Hand wandert und niemals keimfrei bleiben dürfte, 
wenn man ihn nicht sorgfältig schützt. Das Pergamentpapier 
gestattet wegen seiner Durchsichtigkeit den Handschuh zu sehen. 
Die Reserveumschläge birgt die Hebamme in ihrem Schrank. Es 
sei hier erwähnt, dass die Hebammen meines Kreises schon seit 
1883 sich einen verschliessbaren Schrank mit drei Fächern für 
ihre spezifischen Hebammensachen haben anschaffen müssen. In 
dem einen Fache haben sie die reine Wäsche, Schürzen und Hand¬ 
tücher, in dem anderen ihre Tasche und Instrumente, Desinfektions¬ 
mittel, in dem dritten das Lehrbuch, das Tagebuch, Zuschriften vom 
Kreisarzt, jetzt noch die Reserveumschläge lür den Gummihand¬ 
schuh zu bergen. Dieser Schrank ist unerlässlich, zumal jetzt nach 
Einführung des Sublimats; er sollte allgemein eingeführt werden. 

Wie sich die Papiermachö-Becken in der Praxis bewähren, wie 
lange sie halten werden, muss die Erfahrung lehren. Auf jeden 
Fall lassen sie sich leicht und ohne grosse Opfer wieder ersetzen. 
Vor der Hand ist wenigstens erreicht, dass die Hebammen gerade 
in bezug auf die empfindliche Sublimatlösung von den Wasch¬ 
becken des Publikums freigemacht, im ganzen mit drei Becken 
ausgerüstet und auch für die Neuordnung der Dinge wieder so 
unabhängig von den Unzulänglichkeiten des wirklichen Lebens 
geworden sind, wie sie es vorher bei der Desinfektion mit Ljsol 
durch die Cölner Tasche geworden waren. 

Die neue Warenhaus-Tasche ist, wenn auch in vielem ver¬ 
schieden, im ganzen nach dem Vorbild der alten Cölner Tasche 
die einfachste Einrichtung, die es geben kann. Es ist das Ver¬ 
dienst des Medizinischen Warenhauses, meine Vorschläge eingehend 
geprüft, wo sie sich als zweckmässig erwiesen, auch angewendet, 
die Tasche im ganzen und einzelnen praktisch, die innere Aus¬ 
rüstung handlich und übersichtlich gestaltet zu haben. Auch der 
Preis ist ein mässiger; er beträgt für die Tasche mit allen Ge¬ 
räten: 87 Mark; ohne Geräte, jedoch mit den drei Schalen: 
12 Mark; der Segeltuchüberzug mit Schürzentasche und Tragriemen 



Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften. 815 

kostet: 7,50 Mark. Ein Vergleich mit anderen Taschen dürfte 
was (Jewicht, Einrichtung und Ausrüstung, Sterilisierbarkeit, 
Preiswürdigkeit anlangt, unschwer die Vorzüge der neuen Waren- 
haostasche erkennen hissen. 


Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 

Gerichtliche Medizin und Psychiatrie. 

Neues über die Stryehnlnwirkung. Von Dr. M. Martin. AerztL Sach* 
verständigen - Zeitung; 1905, Nr. 7. 

Bisher war man der Anschauung, daß das Strychnin seine krampf- 
erregende Wirkung auf das Rückenmark und seine Ausläufer erat entfalte, 
wenn es in das Blut übergegangen sei, daß es dagegen auf die nervösen 
Organe direkt gebracht, wirkungslos sei. 

Durch Tierversuche hat nun Martin festgestellt, daß die subkutane 
und peranale Beibringung des Strychnins hinsichtlich der Heftigkeit und 
Schnelligkeit etwa dieselben Erscheinungen zeitigen. Ihre Wirkung wird über¬ 
troffen von der intravenösen Injektion; sie alle übertrifft jedoch bei weitem 
die intradurale Injektion mittels Lumbalpunktion. Dr. Troeger-Adelnau. 


Welches Yolum Leuchtgas muss man der Luft saftigen, um ein für 
Tiere toxisches Gemisch zu erhalten! Von Nestor Grähant. (Travail du 
laboratoire de pbys. g£n6rale du Masöum d'histoire naturelle.) Comptes rendus 
de la soc. de bioL; LVH, 1904, Nr. 37. 

Der Autor erinnert an das aktuelle Interesse, welches die aufgeworfene 
Trage zur Zeit in Frankreich beansprucht und beantwortet dieselbe dahin, daß 
ein Gemisch von 10 Litern Leuchtgas und 290 Litern Luft, etwa im Verhält¬ 
nis 1:80 für den Hund sehr gefährlich ist und den Tod eines Menschen 
verursachen kann. 

In einem ersten Versuche ließ Gröhant einen Hund in einer stärkeren 
Konzentration (1 :10) das Luft - Leuchtgasgemenge einatmen. Nach 8 Minuten 
trat leichte Aufregung, nach 8—9 Erregung und Klagen, reichliche Harn¬ 
entleerung ein, nach 19 Minuten Stockung der Pfoten, Atemstillstand, nach 
22 vorübergehender Wiederbeginn der Atmung, nach 23 definitiver Atemstill- 
staad, nach 24 Minuten Herzstillstand und Tod ein. 

14 Minuten nach Beginn der Vergiftung waren der Carotis 46 ccm Blut 
entzogen worden. In diesem Blute wies der Autor auf 100 ccm Blut berechnet 
16,1 ccm Kohlenoxyd bei 0° und 760 mm Druck nach. 

Der Vena cava inferior nach dem Tode durch Punktion entnommenes 
Blot enthielt in 100 ccm 18,6 ccm CO. 

In einem weiteren Versuche ließ Verfasser einen Hund ein Gemisch von 
Leuchtgas und Luft im Verhältnis 1: 80 einatmnn. Nach einer halben Stunde 
Stande trat Rötung der Haut des Abdomens ein. Das Karotisblut, das eine 
8tande und 15 Minuten nach Beginn der Vergiftung aspiriert wurde, enthielt 
sogar 17,5 ccm CO auf 0° und 760 mm Druck berechnet. Obwohl die Dose 
der toxischen sehr nahe war, erholte sich das Tier wieder, nachdem es reine 
Loft einatmen durfte. 

Sogar bei Einatmung eines Gemenges von 1 Liter Gas auf 299 Liter 
Luft gelang es dem Autor, nachdem das Tier 2 Stunden lang diesem Gemenge 
usgesetzt gewesen war, in 100 ccm Blut 4 ccm CO nachzuweisen, eine Quan¬ 
tität, die 4 mal geringer ist, als die toxische Dose. (Vergl. auch die Referate 
iu Vierteljahrsschr. f. ger. Med. 3. F., 1903, Bd. XXVI, S. 185 und in dieser 
Zeitschrift, 1903, 8. 467. _ Dr. Mayer-Simmern. 


Biss Verletzung zweier Aeste der Vena saphena. Drohende Ver- 

blutnag. Eigenartiges Verfahren der Blutstillung. Von Kreiswundarzt z. D. 
Dr. Moritz Mayer in Simmern. Münchener med. Wochenschrift; 1904, Nr. 17. 
Verf. hatte in einem Aufsatz'): „Zur forensischen Bedeutung der durch 


*) Siehe Referat in dieser Zeitschrift; 1901, S. 199. 



816 


Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften. 


chemische Mittel erzeugten Eiterung“ (Viertelj&hrschr. f. ger. Med., 8. F„ 
1901, XXI) darauf hingewiesen, daß in der Wundbehandlung Balsame aller 
Art zwar praktisch wirksam seien, aber gelegentlich mannigfache Reizerschei¬ 
nungen aller Art, Entzündungen, Oedeme, Schwellungen der Umgebung, 
Eiterungen in der Haut und in der Tiefe hervorrufen können. 

Der hier beschriebene Fall erläutert das Gesagte. Eine Hirtin war von 
ihren Hunden an 4 Stellen des rechten Unterschenkels ins Fleisch gebissen 
worden. Es trat eine außerordentlich heftige Blutung ein. Aerztliche Hülfe 
war weit entfernt. Die Torläufige Blutstillung gelang den Angehörigen durch 
Anwendung eines Hausmittels, eines perubalsamhaltigen Balsams. Die Blutung 
war bedingt worden durch vollständige, nahezu quere Durchtrennung zweier 
längs verlaufender Acste der Vena saphena. War die Blutstillung tatsächlich 
eine Folge der Anwendung des Balsams, so traten gleichzeitig auch jene oben 
erwähnten Reizerscheinun^en auf und es bildeten sich echte Unterschenkel¬ 
geschwüre aus, die allmählich heilten. Die Reizwirkung scheint eine essentielle, 
notwendige Eigenschaft der styptischen Mittel zu sein. Autoreferat. 


Schadenersatz wegen Ansteckung mit Lungentuberkulose. Von 

Dr. K. Wolf. Vierteljahrsschrift für gerichtliche Medizin; Bd. XXIX, 1. Heft 
Die Hinterbliebenen eines an Lungentuberkulose verstorbenen Poet¬ 
assistenten erhoben bei dem Postfiskus Ansprüche auf Schadenersatz und be¬ 
gründeten sie damit, daß sich der Verstorbene durch zwei tuberkulöse Post¬ 
sekretäre im Dienst die Ansteckung zugezogen habe. Diese habe notwendig 
erfolgen müssen, weil der Verstorbene jahrelang fast täglich mit den beiden 
erkrankten Beamten im gleichen Dienstraum habe verkehren, insbesondere den 
gleichen Fernsprechapparat habe benutzen müssen. Der Postfiskus hätte recht¬ 
zeitig dafür Sorge tragen müssen, daß jene beiden an ansteckenden Krankheiten 
leidenden Beamten nicht durch weitere dienstliche Beschäftigung die Ursache 
zur Erkrankung bisher gesunder Beamten wurden. In dem Gutachten des 
Verfassers wird ausgeführt, daß eine Uebertragung von Tuberkelbazillen durch 
den Fernsprechapparat ausgeschlossen sei — dieser wurde übrigens täglich mit 
8 prozentiger Karbolsäure abgerieben —, da eine Infektion des Apparates nur 
durch etwa beim Sprechen sich loslösende Tröpfchen in Frage komme und der 
Weg der am Schalltrichter angeklebten Bazillen zur Lunge des Sprechenden 
noch ein sehr weiter seil Gleichwohl wäre eine Uebertragung der Tuberkel¬ 
bazillen von den kranken Beamten auf den Verstorbenen durch Tröpfchen in 
anderer Weise zwar wenig wahrscheinlich, aber nicht gänzlich ausgeschlossen. 
Durch Aufstellung von Spucknäpfen mit Wasserfüllung und durch die An¬ 
ordnung, daß erstens die Fußböden täglich naß aufgewischt und daß zweitens 
die Fernsprechapparate ebenfalls täglich mit einer keimtötenden Lösung ge¬ 
reinigt wurden, habe die Postbehörde alles getan, was hygienischerseits zur 
Verhütung der Uebertragung von Krankheiten zu fordern war. Die schwind¬ 
süchtigen Beamten ihrer Krankheit wegen aus dem Dienst zu entfernen, war 
die Behörde nicht berechtigt, da ein entsqrechendes Medizinalgeset« nicht 
existiert. Prof. Ziemke-Halle a.8. 


Ein Fall von Chorea ln forensischer Beziehung. Von Dr. Nerlich. 
Aerztl. Sachverst.-Zeitg.; 1905, Nr. 3. 

Ein Mann war früher wegen Sittlichkeitsverbrechens im Zuehthanse 
gewesen und, nachdem er von psychiatrischer Seite als an „angeborenem 
Schwachsinn mit Chorea“ leidend begutachtet worden war, in eine Irrenanstalt 
überführt worden. Der Mann und seine Angehörigen versuchten nun auf 
Grund des § 51 des St.-G.-B. eine Revision des Prozesses herbeizuzführea. 
Dies veranlaßte N erlich, sich eingehend mit dem Falle zu beschäftigen. Br 
kam zu folgenden Resumö: K. stammt aus einer Familie, in welcher Veitstanz 
erblich ist; er selbst ist zwar nur ein mäßig befähigter Schüler gewesen, hat 
sich aber doch geistig gut entwickelt. Während er sich stets einer guten 
Gesundheit erfreute, erkrankte er nach dem Jahre 1897, d. h. im Alter tob 
ungefähr 32 Jahren, an ungewollten Muskelzuckungen, welche bald den Charakter 
einer ausgesprochenen Chorea annahmen und Ende 1900 in voller Blüte standen. 
Bei Begehung des Sittlichkeit#verbrechen im Jahre 1900 benahm er sich eben¬ 
so wie später in den ersten 1 */ t Jahren der Strafhaft durchaus geordnet und 



Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften. 


817 


sveekmifiig; ent im August 1902 zeigen sich bei ihm die ersten Zeichen einer 
psychischen Alienation, welche durch das Auftreten von Wahnvorstellungen 
beeinträchtigenden Inhalts gekennzeichnet ist. Einige Monate später — im 
Oktober 1902 — gelingt es, bei ihm einen mäßigen Grad geistiger Schwäche 
festzustellen, welche weiterhin innerhalb zweier Jahre bereits zu völliger Ver¬ 
blödung geführt hat. Wir haben hier also das Bild einer, wenn auch seltenen, 
so doch wohlbekannten Form des Veitstanzes vor uns, welche zum erstenmale 
im Jahre 1872 von Huntington beobachtet und beschrieben worden ist, näm¬ 
lich das Bild der Dementia choreica progression. Dr. Troeger-Adelnau. 

Zar JHJTerentialdlagnose der choreatischen Geistesstörung. Von Dr. 
L8tuppel, Assistenzarzt der psychiatrischen Universitätsklinik in Gießen. 
Minchener med. Wochenschrift; 1905, Nr. 10. 

Bei den zahlreich mitgeteilten Fällen von Chorea will es scheinen, daß 
die rein psychiatrische Seite derselben nicht in eben dem Maße gewürdigt 
worden ist wie die übrigen Beziehungen. Während doch die Art der mit 
Chorea einhergehenden reu psychischen Alterationen eine recht vielgestaltige 
za «ein scheint, hat man bisher aphoristisch an der Zweiteilung indieSyden- 
basische und Huntingtonsche Form festgehalten. Verf. kommt unter 
Mitteilung von zwei einschlägigen Fällen zu der Anschauung, daß ein präjudi- 
zierendee Einschachteln der Symptome choreatischer Geistesstörung in diese 
oder jene der zwei verschieden benannten Formen von Chorea, wenigstens was 
die Symptomatologie anlangt, auf die Dauer sich nicht durchführen lassen 
wird, da die bisherigen Systematisierungsversuche mehr einer dogmatischen 
als der objektiv analysierenden Methode entsprechen. 

_ Dr. Waibel-Kempten. 

Die Geistesstörungen der Epileptiker iu gerichtlich - medizinischer 
Bedeutung. Von Dr. Helm, 8tabsarzt bei der Kaiser - Wilhelms - Akademie. 
Deutsche Medizinalzeitung; 1904, Nr. 71 und 72. 

Verl Jbespricht in einem sehr interessanten Aufsatze obiges Thema, hebt 
bervor, daß die Zahl der Epileptiker im Deutschen Reiche 100000 beträgt, 
und daß von diesen etwa nur '/• im Vollbesitze der geistigen Fähigkeiten 
bleibt, während 10 °/o einer dauernden Ueberwachung bedarf. Er verbreitet 
akh zunächst über das Wesen, den Verlauf und die gerichtliche Bedeutung 
der epileptischen Geistesstörungen und bespricht L die vorübergehenden und 
IL die dauernden Geistesstörungen. 

In dem ersten Abschnitte über dievorübergehenden Geistesstörungen 
behandelt er 1. das präepileptische Irresein, 2. das postepileptische Irresein, 
1 die psychisch-epileptischen Aequivalente und 4. das protrahierte epileptische 
oder p«stepileptische Delirium. 

Bei den dauernden Geistesstörungen spricht Verf. über die epileptische 
Degeneration, schildert ihre Entstehung, erwähnt die zuerst eintretende 
Cbarakterveränderung, die folgende Abnahme der geistigen Kräfte, die Er- 
acbwerung des Denkens und den Verlust aller moralischen, ästhetischen und 
rechtlichen Anschauungen usw. Bisweilen kommt es zu einer förmlichen Ver¬ 
blödung. 

Bei nachgewiesener Geistesstörung gelten die Zurechnungsfähigkeit und 

fl*__in«_i_1« _ 




Weiter unterzieht Verf. seiner Besprechung die Geistesstörungen der 
Epileptiker in ihren Beziehungen zum Strafrecht und betont hier 1. den Straf¬ 
ausschließungsgrund, 2. den Grund zur Aussetzung des Verfahrens und zur 
Aissetzung der Strafvollstreckung und 8. den Grund zur unbeeidigten Ver¬ 
nehmung. Die Punkte 4 und 5 betreffen die epileptische Geisteskrankheit im 
Liebte des § 176 Abs. 2 und des § 224. 

Der letzte Abschnitt ist der Geistesstörung der Epileptiker in ihren 
Beziehungen zum bürgerlichen Recht gewidmet. Hervorgehoben sei 
aoeh der im „Schlüsse* ausgesprochene Satz: Die Hauptkennzeichen der 
Geistesstörung der Epileptiker sind: Der Zusammenhang mit den epileptischen 
Krampfanfällen, die traumhafte Beschaffenheit des Bewußtseins und die fehlende, 
■■genaue oder lückenhafte Erinnerung, die Reizbarkeit der Stimmung, das 
Vonriegen depressiver Vorstellungen, der Wechsel zwischen Stumpfheit und 


318 Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 

Erregung, das gelegentliche Aultreten schreckhafter Sinnestäuschungen und 
Wahnvorstellungen und die Neigung zu Ausschweifungen aller Art 

_ Dr. Hoffmann-Berlin. 

Ein Fall von Simulation epileptischer Krämpfe bei einem 18Jährigen 
Schulknaben. Von Dr. Aronneim-Gevelsberg L W. Münchener med 
Wochenschrift; 1906, Nr. 10. 

Die Simulation von Epilepsie ist besonders häufig bei Unfallverletzten, 
bei Invalidenrentenbewerbern, bei Militärpflichtigen und bei Schülern. 

Verl berichtet über einen Fall von Epilepsiesimulation, welcher einen 
11 Jahre alten Schüler (Metzgermeisterssohn) betraf, der schon seit Wochen 
an Appetitlosigkeit, Abmagerung, 8chwindelanfällen, Mattigkeit und Blässe 
litt Er ist dann angeblich plötzlich hingefallen und hat allgemeine Kon¬ 
vulsionen mit längerer Bewußtlosigkeit bekommen. Verl gab dem Kranken 
in der Annahme, daß der Anfall reflektorisch durch Bandwurm hervorgerufen 
sei, Extractum Filicis 'worauf der Bandwurm (Taenia mediocanellata) prompt 
abging. Nach kurzer Zeit bekam der Knabe nochmals einen epilepsieähnliehen 
Anfall, erhielt dann Brompräparate und wurde, da er auch in der Schule einen 
Krampfanfall bekam, längere Zeit vom Schulbesuche befreit Während eines 
Aufenthaltes auf dem Lande bekam er keinen Anfall, dagegen stellten sich 
diese Anfälle wiederum bei Beginn der Schulzeit ein, oft */> Stunde anhaltend, 
aber keine Müdigkeit Unterlassend. Auch wurde nie unwillkürlicher Abgang 
von Stuhl und Urin beobachtet; ebensowenig Bißwunden der Zunge; niemals 
Spuren sonstiger Verletzung, keinerlei sensible, motorische, vasomotorische und 
psychische Storungen. Erbliche Belastung lag nicht vor. auch hatte der Knabe 
nie eine Kopfverletzung erlitten. Später traten die Anfälle häufiger au!, manch¬ 
mal 3 mal am Tage und regelmäßig früh, wenn die Geschwister geweckt 

wurden. Endlich glückte es dem Verfasser, Zeuge eines „Anfalles* zu sein. 

Der Kranke lag im Bett, an Kopf, Armen und Beinen mit nassen Tüchern um¬ 
wickelt, mit den Zähnen knirschend, mit den Füssen gegen das Bettende 

tretend, mit den Händen rythmisch auf die Bettdecke schlagend, sich nach 

rechts und links drehend oder sich nach vorn krümmend, die Backen auf¬ 
blasend, die Augenlider fest geschlossen haltend. Sein Gesicht war nicht blasser 
als in gesunden Tagen, nicht zyanotisch. Sämtliche Bewegungen waren will¬ 
kürliche, nicht krampfhafte. Die Pupillen reagierten prompt auf LichteinfalL 
der Hornhautreflex war normal. Plötzlich riß der Knabe mit lautem Schrei 
die Augen auf, setzte sich aufrecht und sah höchst verwundert um sich. 
Verl ersuchte den Jungen, der keine Spur von Müdigkeit und Schwindel 
zeigte, sofort das Bett zu verlassen und sagte ihm, daß er jetzt niemals mehr 
einen Krampfanfall bekomme und wieder die Schule regelmäßig besuchen solle, 
was er sofort versprach. Mit dieser verbalen Behandlung des Verf. wurde 
die manuelle des Vaters in der Form von ein paar derben Ohrfeigen verbunden, 
die der Knabe im Bewußtsein seiner 8chuld ohne Klagen hinnahm. Er bekam 
bis heute keinen Anfall mehr. 

Der Fall beweist, wie vorsichtig man mit der Diagnose »Epilepsie* sein 
muß, bevor ein Anfall ärztlich beobachtet wurde. Es ist unter keinen Um¬ 
ständen zulässig, die Diagnose nur auf die Versicherungen und Beschreibungen 
des Kranken oder seiner Angehörigen hin zu stellen; sie muß vielmehr 
in allen Fällen, in welchen typische Anfälle von dem begutachtenden Arzte 
nicht beobachtet worden sind, in suspenso bleiben und eventuell die Kranken¬ 
hausbehandlung verlangt werden. Dr. W a i b e 1 - Kempten. 

B. Sachverständigentätigkeit in Unfall- und Invaliditäts¬ 
sachen. 

Zwei Fälle von isolierter Lähmung der Muscnli rhomboldet nach 
Operationen. Von Dr. Marcus-Posen. Aerztl. Sachverständigen-Zeitung; 
1906, Nr. 8. 

In beiden Fällen waren Drüsen am Halse herausgeschnitten worden; es 
fand sich Verschiebung des Schulterblattes im ganzen nach oben und außen, 
so daß namentlich der untere Winkel von der Wirbelsäule abgerückt war 
und der innere Band des Schulterblattes sich flügelförmig vom Thorax abhob. 
Bei dem letzten Teil der Armerhebung von 160—180 Grad traten die Mose. 



Kleiner» Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften. 


319 


Am MIm nicht in Wirksamkeit Dieses Fehlen des allerletzten Teiles der 
Anaethebang ist die einzige durch die Bhomboideus - Lähmung bedingte Funk¬ 
tionsstörung, die ohne praktische Bedeutung ist Dr. Troeger-Adelnau. 


lieber Herren* and Geisteskrankheiten nach elektrischen Unfällen. 

Yen Dr. A. Eulenburg in Berlin. BerL klin. Wochenschr.; 1906, Nr. 2 u. 3. 

Als elektrischer Unfall ist jede Schädigung, die durch Uebergang von 
Elektrizität auf den menschlichen Körper verursacht worden ist, zu bezeichnen 
(durch atmosphärische Entladungen oder durch technische Anwendungen der 
Elektrizität, Starkstromanlagen usw.). Diese Unfälle können zu den gewöhn¬ 
lichen Formen der funktionellen Unfallneurosen, der traumatischen Hysterie, 
Neurasthenie und Hypochondrie, mit oder ohne gleichzeitige lokalisierte Formen 
traumatischer Nervenerkrankung Veranlassung geben. Bei den Telephonistinnen* 
Unfällen handelt es sich nicht um wirkliche elektrische Unfälle — am wenig* 
iten um ein Eindringenvon Starkströmen in den Körper —, vielmehr kommen sie 
dadurch bei jüngeren, anämischen und nervös disponierten Beamtinnen zustande, 
daß diese bei Benutzung des Kopffernhörers plötzlich intensiven Schallwir* 
fangen ausgesetzt wurden, wie es in Form der durch ferne Gewitter erzeugten 
ksaflartigen Erschütterungen sich ereignet. Es sind „Emotions-“ oder -Schreck- 
seerosen . E. führt mehrere derartige Fälle an und beschreibt 8 Fälle, in 
denen nach Uebergang von Hochspannungsstrom auf den Körper und ebenso nach 
einem erlittenen Blitzschlag erst längere Zeit nach dem Unfall, nach 7—8 Mo¬ 
naten und nach 2—8 Jahren sich progressive Paralyse entwickelte. In anderen 
fällen entwickelte sich das Bild der multiplen Sklerose, in einem Falle eine 
progr essi ve Gehinrindenerkrankung, die E. als chronisch degenerative, fort¬ 
schreitende, kortikale Enzephalopathie bezeichnet. 

Für die Würdigung der Schwere und der Gefährlichkeit elektrischer 
Verletzungen handelt es sich nicht allein um die als elektromotorische Kraft 
sich äußernde Spannung, die Höhe der Voltziffer; es kommen daneben eine 
Bähe andere Faktor«, das Verhalten der Leitungswiderstände, die aus 
8ot»nTing und Summe der Leitungswiderstände nach der Ohmschen Formel 
rieh berechnende absolute Stromstärke, die aus dieser und der Querechnitts- 
größe resultierende Stromdichte in den durchflossenen Körperteilen, die indi- 
ridielle Empfindlichkeit und anderes in Betracht. In manchen Fällen wurden 
■dt über 500 Volt hinausgehende Spannungen ohne ersichtlichen Nachteil er¬ 
tragen, in anderen, wo die Verhältnisse besonders ungünstig lagen, führten 
senon Ströme von 100 Volt den Tod herbei. Als Führer und Wegweiser auf 
dfmm schwierigen Gebiet der Elektropathologie wird das Werk von „Jelli- 
seck: Die Erkrankungen durch Blitzschlag und elektrischen Starkstrom in 
UWseher und forensischer Darstellung, Stuttgart 1908, Verlag von Friedr. 
Eike*, empfohlen. _ Dr. Bäuber-Köslin. 


Ein Fall von Schrecklähmung. Von Dr. E. v. Leyden und Nacht 
trag von Privatdozent Dr. Paul Lazarus, vorgetragen in der Gesellschaf¬ 
ter CharitAärzte am 12. Januar und 2. Februar 1906. Berliner klin. Wochen¬ 
schrift; 1906, Nr. 8. 

v. L. stellt ein 16 Jahre altes Dienstmädchen vor, das infolge eines 
ftttzliehen intensiven Schreckens (Einbruch) 60 Stunden nach dem psychischen 
uralt eine Lähmung des ganzen Körpers vom Halse abwärts mit Funktions¬ 
störung der Sphinkteren und vollständiger Lähmung der Extremitäten mit 
Anästhesie, Analgesie selbst für starke faradische Stöme und völligem Er¬ 
löschen der Lageyorstellung. 

Es handelte sich um eine funktionelle Erkrankung, hervorgerufen durch 
rine Erschütterung der zerebralen resp. spinalen Ganglienzellen, die zu einer 
Hemmung der normalen Leitungsvorgänge im sensiblen und motorischen System 
ftfate. Einen ähnlichen Fall beschreibt C har cot. 

v. L. erwähnt hierbei noch einige Fälle organischer Erkrankungen: Mye¬ 
litis, nach Schreck bei der Belagerung von Straßburg. 

Dr. Bäub er-Köslin. 



320 


Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften. 


Ueber einen Fall Ton traumatischer Hysterie mit ungewöhnlicher 
Häufung Ton Symptomen. Von Dr. G. Fla tau-Berlin. AerztL Sachverst.- 
Zeitung; 1906, Nr. 7. 

Bei einem jungen Mädchen, in dessen Familie nervöse Erkrankungen 
nachweisbar waren, und das einmal infolge eines Nervenshocks an krampf¬ 
artigen Attacken und anderen Beschwerden gelitten hatte, entwickelte sich, 
nachdem es etwa 1 '/* Jahre gesund und arbeitsfähig gewesen war, im Ab¬ 
schluß an ein Kopftrauma durch Fall eines Bügeleisens eine ziemlich schwere 
Hysterie mit Ausfalls- und Reizerscheinungen. Die Ausfallserscheinungen be¬ 
trafen vor allem die linke Seite und bestanden in motorischer Schwäche, Anal¬ 
gesie, Anaesthesie, Störung des Lagegeftthls bis genau zur Mittellinie, hoch¬ 
gradige konzentrische Einengung des Gesichtsfeldes (röhrenförmiges Gesichts¬ 
feld), Herabsetzung bezw. Verlust von Geruch, Geschmack, Herabsetzung der 
Hörschärfe, Parese der Augenmuskeln, linksseitiges Doppelsehen. 

Dr. Troeger-Adelnau. 

Ueber einen Fall traumatischer Nervenerkrankung mit Paralysis 
agitans ähnlichen Symptomen. Von Dr. G. Flatau in Berlin. ArztL Sach- 
versk-Ztg.; 1905, Nr. 4. 

Eine Frau stürzte eine Treppe hinab und blieb bewußtlos liegen. Sie 
hatte Verletzungen an der rechten Kopfseite und auf der Nase; der rechte 
Arm war gebrochen, am rechten Beine waren blutunterlaufene Stellen. Es 
stellte sich ein nervöses Leiden ein, dessen hauptsächlichstes Zeichen ein 
Tremor der Hände war. Die Differentialdiagnose schied zunächst B Sclerosis 
multiplex“ aus und ließ auch im Laufe der Beobachtung die Diagnose B Para- 
lysis agitans“ fallen, um endgültig „Hystero-Neurasthenie mit dem besonders 
ansgeprägtem Symptom des Zitterns“ zu lauten. Die Zeichen hierfür waren: 
Schreckhaftigkeit, Aengstlichkeit, Schwindel beim Herabsteigen der Treppe, 
Mattigkeit, Ermüdbarkeit neben großer Empfindlichkeit gegen Licht und 
starkes Geräusch, Erhöhung der Sehnenphänomene, Herabsetzung der groben 
Kräfte an der oberen und unteren rechten Extremität, Ueberempfindlichkeit 
für Schmerzreize auf der rechten Körperhälfte und Herabsetzung der Tem¬ 
peratur. Dr. Troeger-Adelnau. 


Ueber traumatische Herzklappen zerre issung. Von Eugen Fraenkel- 
Hamburg-Eppendorf. Münchener med. Wochenschr.; 1905, Nr. 16. 

Die Frage, ob im konkreten Falle nicht eine traumatische, sondern eine 
sog. spontane Klappenruptur vorliegt, kann nur durch solche Fälle sicher be¬ 
antwortet werden, bei denen entzündliche Veränderungen an den gerissenen 
Klappen fehlen, bei denen man es also mit einer ganz reinen^ eine sonst ge¬ 
sunde Klappe betreffenden Ruptur, zu tun hat. Verfasser berichtet über einen 
hierher gehörenden Fall von echter traumatischer Klappenzerreissung, der sich 
überdies dadurch auszeichnet, daß er die Klappen der Arteria pulmonalis be¬ 
trifft, für welche bisher ein einwandfreies anatomisches Material fast gar nicht 
vorlag. Der Verletzte, ein 68jähriger Mann, war eine Stunde vor seiner 
Aufnahme ins Krankenhaus von dem Gerüst der 5. Etage eines Neubaues auf 
ein darunter befindliches Schutzdach mit der linken Seite aufgefallen und eine 
halbe Stunde nach der Aufnahme gestorben. Bei der Sektion wurden Frak¬ 
turen an sämtlichen Rippen der linken Seite mit Zerreißung der Pleura und 
konsekutivem beträchtlichem Haematothorax, multiple Einrisse an der Milz 
und Leber, sowie an beiden Nieren mit reichlichem Austritt von Blut sowohl 
in die freie Bauchhöhle, als in das retroperitoneale Fettgewebe festgestellt. 
Die Untersuchung des Herzens ergab eine multiple, bis linsengroße, frische 
subepikardiale Blutung bei völlig intaktem Myokard. Das Organ von ent¬ 
sprechender Größe, die venösen Ostien normal weit, ihre Klappen durchaus zart. 
Auch die Semilunarklappen der Aorta waren von guter Beschaffenheit. Die Aorta 
war, besonders mit Rücksicht auf das hohe Alter des Verstorbenen, auffallend 
zart und elastisch. An der Pulmonalis wies deren vorderes Klap¬ 
pensegel einen in der Mitte zwischen freien Rand und Inser¬ 
tion gelegenen, queren, etwa das mittlere Drittel derKlappe 
einnehmenden' leicht wellig verlaufenden Riß aul Seine Ränder 
waren frisch hämorrhagisch infiltriert, besonders stark am Uebergang des 



Kleinere Mittellangen and Referate ans Zeitschriften. 


821 


*’ rechten Bißwinkels in das angrenzende, unverletzte Klappengewebe. Samt* 

r liehe Klappentaschen der Artena pulmonalis waren äußerst zarter Beschaffen¬ 

heit, ebenso die Wandungen der Arteria pulmonalis in Stamm und Aesten. 

I Als das bei weitem interessanteste Ergebnis hat somit die Autopsie die 

partielle Zerreissung einer völlig gesunden Taschenklappe 

- zo tage gefördert, in einer Reinheit, daß Zweifel über die traumatische 

-■ Entstehung dieser Klappenläsion nicht aufkommen können. 

” Wie entstand der Riß? Zunächst dürfte durch den jähen Fall aus so 

großer Höhe auf die linke Brnstseite, welcher zu einer akuten Zertrümmerung 
sämtlicher Rippen der linken Seite geführt hat, eine höchst akute, mit stttr- 
■- mischer Kompression der linken Lunge einhergehende Raumbeengung der ent- 

- sprechenden Thoraxhälfte unter gleichzeitiger, kurzdauernder Verdrängung 

des Herzens nach rechts hin stattgefnnden haben. In Zusammenhag damit 
maß es zu einer beträchtlichen Steigerung des Blutdrucks im Oebiet der Ar¬ 
teria pulmonalis und zur Behinderung des Abflusses des Blutes aus den Lungen 
(wegen der Verlagerung nach rechts) gekommen sein. Dadurch war die Ar- 
teriapulmonalis während der Diastole abnorm mit Blut gefüllt; es ist dann in 
dem übermäßig gedehnten Rohr, dessen Flüssigkeitssäule durch den gewaltigen 
Fall in heftigster Weise erschüttert worden ist, der Riß einer Klappe herbei- 
geführt worden. Diese Annahme läßt sich natürlich nicht mathematisch richtig 
beweisen; unklar bleibt immer, warum in diesem Fall gerade eine Ruptur der 
Folmonalklappe entstand. _ Dr. Wai bei -Kempten. 

Beitrag zur Frage der Entstehung eines Aortenaneurysmas nach 
VnlUL Von Kreisarzt Dr. Kr oh ne in Düsseldorf. AerztL Sachverst-Ztg.; 
1906, Nr. 4. 

Ohne die Bedeutung der Syphilis für die Entstehung eines Aneurysmas 
zu verkennen, ist K r o h n e der Ansicht, daß auch das Trauma die ernsteste 
Aufmerksamkeit als Entstehungsursache verdient. Die Art des erlittenen Un- 
> falle», Größe und Umfang der einwirkenden Gewalt, der zur kritischen Zeit 

. vorhandene Gesundheitszustand, und schließlich die genaue Zeitfolge der ein- 

i tretenden Krankheitserscheinungen müssen in allen Fällen sicher festgestellt 

und ihrer speziellen Bedeutung nach gegeneinander abgeschätzt werden. 
Krohne spricht dann ferner die Ansicht aus, daß in zahleichen Fällen nicht 
die meist vermutete eigentliche Verwundung der Intima — also etwa ein durch 
die Verletzung entstehender kleiner Einriß derselben —, sondern allein schon 
3 die besonders heftige, eine bestimmte Stelle des Gefäßes treffende Erschüt- 

; terung für die Entstehung des Aneurysmas das entscheidende Moment bilden 

, ( kann und wird, weil es für ein solches Gefäß, auch wenn es nur leicht ver- 

. letzt ist, keine Ruhe, keine Erholung giebt, wie etwa für eine gequetschte 

j Hand usw. 

1 . Der Fall K r o h n e s wurde zunächst ärztlich nicht erkannt und verschie- 

" \ deutlich gedeutet. Erst als Heiserkeit auftrat, wurde die Wahrscheinlichkeits- 

, [ diagnose Aneurysma der Aorta gestellt, die dann durch die Sektion bestätigt 

I I wurde. Der Betreffende war in sehr erregtem Zustande mit der linken Brust 

in voller Wucht vor die Kante einer halbgeöffneten Türe gestoßen. 
p _ Dr. Troeger-Adelnau. 

» 

; Ein Fall von doppelter Aortenruptur dureh C ober ans trengung. Von 

i Dr. A. Br unk. KgL hygien. Institut in Posen, pathoL-anat. Abteilung. Aerztl. 

■; Sachverst-Ztg; 1906, Nr. 6. 

; Ein gesunder 38 jähriger, außerordentlich muskulöser Kutscher fiel seinen 

i- Pferden, die aufbäumten und hochgingen, in die Zügel und versuchte mit aller 

r, Kiner Kraft die Pferde herunterzureißen. Hierbei fühlte er plötzlich einen 

' riechenden Schmerz in der oberen Brustgegend; zugleich stellten sich Un- 

i | Wohlsein und Kopfschmerzen ein. Diese Symptome blieben in etwas geringerem 

ji Grade als zuerst bis zum nächsten Tage. An diesem Tage fuhr er und saß 

(■ auf dem Wagen. Die Pferde scheuten; um sie zu halten, mußte er an der 

| heiae mit aller Kraft ziehen und reißen. Plötzlich stellte sich dabei von 

i 1 aenem ein stechender Schmerz in der Brust ein, aber diesmal viel heftiger, 

t i ab am Tage vorher. Es kam schweres Erbrechen hinzu, ihm wurde schwarz 

t i vor Augen and er sank vom Wagen. In seine Wohnung gebracht, hielt das 



322 


Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


Erbrechen noch 12 Stunden lang an. Patient konnte in den ersten Stunden 
nichts sprechen und sehen. Der Arzt dachte an Deus, ohne jedoch objektive 
Symptome irgend einer Erkrankung zu finden. Am nächsten Morgen war das 
Befinden des Kranken etwas besser; das Erbrechen hatte aufgehört, Sehen 
und Sprechen war wieder möglich. Patient klagte nun über ein ganz eigen¬ 
artiges Gefühl in der Brust, das ihn sehr beängstigte. Mittags verlangte er 
Kaffee und trank diesen im Bett; gleich darauf trat ganz plötzlich der Tod ein. 

Die Todesursache war, wie die Sektion ergab, eine Verblutung in den 
Herzbeutel. Die Blutung stammte aus einem in den Herzbeutel perforierten 
Aneurysma dissecans, das der Hinterwand der Aorta ascendens analog und von 
der Adventitia der Aorta und dem Epikard gebildet wurde. Die Verbindung 
des Aneurysmas mit dem Lumen der Aorta wurde hergestellt durch zwei Ein¬ 
risse in Intima und Media der Aorta, von denen der eine quergestellt, 7,6 cm 
lang war und dicht über den Klappen lag, während der zweite 4 cm lange 
Biß vor der Abgangsstelle der Art anonyma und der Art carotis comm. 
hin lag. 

Brunk nimmt die Entstehung des Bisses dicht über den Klappen bei 
der ersten Anstrengung an, vielleicht in geringerer Ausdehnung, als er bei 
der Sektion gefunden wurde. Die Stelle über den Klappen ist gewissermaßen 
eine typische. Im Anschluß an diesen ersten Einriß mag sich nun langsam 
die Aneurysmabildung an der Aorta ascend. ausgebildet haben. Bei der zweiten 
Anstrengung gaben die Bißecken nach, der Biß erreichte seine ganze, riesige 
Ausdehnung. Das Aneurysma, das jetzt eine sehr weite Eingangspforte hatte, 
wurde rapide großer. Als Blindsack, der in der Richtung des Aortenstromes 
lag, war er hohem Innendrucke ausgesetzt; durch diesen ist schließlieh 
eine Perforation des Aneurysmas in die Aorta zurück veranlaßt worden, kurz 
vor dem Abgänge der ersten großen Gefäße, wo ein weiteres Fortschreiten 
des Aneurysmas auf größere Widerstände stieß. 

Dr. Troeger-Adelnau. 


Entstehung einer sackartigen Erweiterung (Aneurysma) der Ober¬ 
schenkelblutader durch Unfall (Ausgleiten mit einem rosse beim Um¬ 
kippen eines sehwerbeladenen Lowrykastens). Obergutachten, erstattet unter 
dem 18. Juli 1904 von San.-Bat Prof. Dr. Thiem und Oberarzt Dr. Schmidt 
in Cottbus. AmtL Nachrichten des B.-Vers.-Amts; 1905, Nr. 8. 

Besonders auffällig ist eine sackartige (5 cm breit und 20 cm breit) 
Erweiterung an der Hauptblutader des Beines, der Schenkelblutader (Vena 
femoralis). Diese Erweiterung reicht von der Stelle, wo die Schenkelblutader 
aus der Tiefe zwischen den Oberschenkelmuskeln hervortritt (also von der Ein¬ 
trittsstelle der Vena saphena) bis dorthin, wo sie in das kleine Becken geht. 
Dieser Abschnitt bildet das Sammelrohr für alles (venöse) Blut, welches aus 
dem Beine nach dem Herzen zurückfließt. Ueber diesem Teile der Schenkel¬ 
ader liegt eine Fortsetzung der Muskelbinde des Oberschenkels und unter 
dieser lockeres Gewebe. 

Bei großen Anstrengungen, z. B. beim Heben von schweren Lasten wird 
durch den Druck der Bauchpresse nicht allein das ZurückstrOmen des Blutes 
aus den Blutadern des Beines nach dem Herzen erschwert, sondern das Blut 
aus dem kleinen Becken auch nach dem Oberschenkel zurückgepreßt. Da die 
Krampfadern am Bein ohnehin schon stark gefüllt sind, vermögen sie nicht 
mehr alles zurückfließende Blut aufzunehmen. Es muß sich also das aus dem 
Becken zurückgepreßte Blut im oberen, locker eingebetteten Teile der Schenkel¬ 
blutader durch Ausbuchtung dieser Platz suchen. Hier kann ein Einriß in die 
Venenwand von innen her erfolgen, an welchen sich durch weitere Ausbuch¬ 
tung infolge des Blutdrucks alsdann eine sackartige Erweiterung (ein soge¬ 
nanntes Aneurysma) anschließt. Das verhältnismäßig lockere Bindegewebe an 
dieser Stelle begünstigt, wie erwähnt eine solche Ausbuchtung, welche durch 
das Ausrutschen des Beines unter Umständen auch von leichten Einrissen in 
die Oberschenkelbinde begleitet sein kann. Gewaltsame plötzliche Dehnungen 
der Blutadern sind tatsächlich wiederholt infolge einmaliger hochgradiger Ver¬ 
mehrung des Blutdrucks beobachtet worden (z. B. nach Heben eines schweren 
Geschützes, beim Beiten schwieriger Pferde). Sie waren von einem stechenden 
Schmerze in der Tiefe der Weichteile begleitet. Man wird deshalb bei W. 



Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften. 


«ne gewaltsame Entstehung einer sackartigen Erweiterung der Oberschenkel* 
■der dicht unterhalb der Leistenbeuge als wahrscheinlich ansehen müssen, 
vorausgesetzt, daß ein Unfall sich wirklich in der Weise zugetragen hat, wie 
W. dies beschreibt 1 ) 

W. hat sicher schon vor dem angeblichen Unfall Krampfadern im unteren 
Teile des linken Beines gehabt Es ist aber wahrscheinlich, daß durch die 
Ausbuchtung der Schenkelblutader der Rückfluß des Blutes aus dem Herzen 
Ina ersehwert, damit der Blutdrubk in den Krampfadern noch mehr erhöht 
wurde und so die Verschlimmerung der Krampfadern schneller vor sich ging, 
als dies bei der natürlichen Fortentwicklung des Leidens der Fall gewesen 
wäre. Es ist sehr auffallend, daß W. seit dem Unfalltage nicht mehr gearbeitet 
bst (abgesehen Ton dem dreistündigen Versuch am nächsten Tage), ohne daß 
soest irgend eine plötzliche Erkrankung bei ihm eingetreten ist Er muß doch 
äsen Grund gehabt haben, weshalb er plötzlich aulnörte zu arbeiten. 

Am linken Oberschenkel sind die Muskeln abgemagert, sonst liegen 
krankhafte Veränderungen, besonders an dem Hüftgelenk nicht vor. 

W. übertreibt ohne Zweifel seinen hinkenden Gang. Aber die Möglich* 
keit daß er Schmerz in der linken Leistenbeuge hat, kann doch nicht bestritten 
werden, zumal der Schenkelnerv (Nervus cruralis) dicht unter der sackartigen 
Erweiterung der Oberschenkelblutader liegt und durch sie gereizt werden kann. 

Unseres Erachtens ist W. durch diese Veränderung an der linken 
8eheakelblutader um >/■ in seiner Erwerbsfähigkeit beschränkt 

Das Rekursgericht hat das vorstehende Obergutachten in Verbindung 
mit den sonstigen Feststellungen zur Begründung des geltend gemachten 
Unfallentschädigungsanspruchs für ausreichend erachtet und deshalb unter 
Aufhebung der Vorentscheidungen die Beklagte dem Grunde nach zur Ent¬ 
schädigung des Klägers verurteilt_ 

Die Blitzgefahr für Personen. Obergutachten, erstattet unter dem 
7. November von Prof. Dr. Her gesell in Straßburg. Amtl. Nachrichten des 
lL-Vera-Amts; 1905, Nr. 8. 

.Die Beantwortung der Frage, ob die im Freien sich enthaltenden 

Personen einer größeren Blitzgefahr ausgesetzt sind, als die in geschlossenen 
Bäumen, kann in ganz bestimmter positiver Weise nicht beantwortet werden. 
Im allgemeinen jedoch ist unzweifelhaft zu bejahen, daß Personen, welche sich 
im Freien befinden, in allen Fällen dann einer erhöhten Blitzgefahr ausgesetzt 
sind,.wenn sie sich an freien exponierten Punkten befinden, da die¬ 

selben durch Beeinflussung bezw. Auseinanderdrängung der Flächen gleicher 
Spannung Veranlassung zur Bildung der Blitzbahn geben können, als auch 
durch Erzeugung des Jonenstroms die Elektrostriktion der Atmosphäre 
uad damit den Blitzkanal hervorrufen. Personen, die im Innern von Gebäuden 
befindlich sind, sind im allgemeinen nur durch den Blitz gefährdet, wenn sie 
sieh in der Nähe der an diesen Gebäuden befindlichen metallischen Leitungen, 
wie Waaser-, Gasleitungen usw. befinden, da sie leicht durch ihre Nähe und 
spätere Angehörigkeit zur Blitzbahn die Selbstinduktion der Leitung vermin¬ 
dern können. Sie sind umsomehr gefährdet, wenn das Gebäude, in welches der 
Blitzschlag erfolgt ist, sich unter ähnlichen Bedingungen befindet, wie sie 
vorhin für im Freien befindliche Personen auseinandergesetzt sind, also wenn 
die Gebäude exponierte Punkte der Erdoberfläche sind, welche die Potential- 
flächen zusammendrängen und Spitzenentladung verursachen. 

Durch die obigen Auseinandersetzungen dürfte die Frage, ob die Blitz- 
dchtung vom naturwissenschaftlichen Standpunkt aus dem Zufalle folgt, oder 
ob sie bestimmten Naturgesetzen unterworfen ist, in dem Sinne zu beantworten 
sein, daß das letztere der Fall ist. Auch dürfte in jedem Falle anzunehmen 
sem, daß „immer da, wo der Blitz einschlägt, ein den Blitz anziehender be- 

*) Darnach will der Verletzte, der seit Jahren Krampfadern an beiden 
Beinen hatte, beim Umkippen eines mit 80 Ctr. Steinkohlen beladenen Lowry- 
kasteas mit dem linken Fuß ausgeglitten sein und sofort einen heftigen Stich 
in der linken Leistenbeugung verspürt haben, der ihn zur Einstellung der 
Arbeit zwang. 





324 


Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften. 


sonderer Tatbestand Torgelegen hat, and daß demgemäß die Blitzgefahr gerade 
an jener Stelle großer gewesen ist, als an anderen Orten“. Die Erkennung 
der Ursachen, welche das Anftreten des Blitzes in bestimmten Fällen herben 
geführt haben, dürfte vielfach jedoch, besonders nachträglich, sehr schwer sein, 
da eben viele Umstände Zusammenkommen, welche die Blitzbahn beeinflussen. 
Lassen sich die Ursachen für die Bichtang des Blitzes nach der getroffenen 
Stelle also auch nicht mehr feststellen, so berechtigt dies doch nicht dazu, 
zu bestreiten oder zu bezweifeln, daß gerade an dieser Stelle verschiedene 
Umstände für das Einschlagen des Blitzes zusammengetroffen sind, daß also 
die getroffene Person der Blitzgefahr in erhöhtem Maße ausgesetzt war. 

Von der Hand zu weisen ist die Annahme, daß einzelne Personen kör¬ 
perlich für die Anziehung des Blitzes besonders — mehr als andere Personen 
— veranlagt seien und lediglich deshalb ohne Rücksicht auf die begleitenden 
und umgebenden Umstände und namentlich ohne Rücksicht auf den Ort ihres 
Aufenthalts — eine besondere Anziehungskraft auf den Blitz ausüben konnten, 
während für andere Personen unter genau denselben Verhältnissen keine oder 
eine geringere Blitzgefahr vorliegen sollte. 

Zum Schlüsse verschiedene Tatsachen, welche im vorliegenden Falle die 
Blitzgefahr erhöht haben: Die getroffene Person bildete auf etwa 80 Meter 
im Umkreise den höchsten Punkt im Gelände; sie trug eine durch Regen be¬ 
netzte Heugabel, die hierdurch nahezu ein ebenso guter Leiter geworden war, 
wie eine mit Eisen beschlagene; durch starke Niederschläge waren der Erd¬ 
boden und sämtliche darauf befindlichen Gegenstände gut leitend gemacht 
worden; insbesondere können ein vom Gewitterregen durchnäßter Heuwaggen 
und ein Spritzenhans, die sich in einer Entfernung von etwa 30 Metern be¬ 
fanden, die umgebende Luft für den Durchgang der Entladung noch besonders 
vorbereitet haben. 


Gebärmutter-Vorfall und Unfall. Rekurs-Entscheidung des 
Reichsversicherungsamts vom 22. September 1904. 

Beim Ziegelkarren glitt eine Frau auf dem durch Regen aufgeweichten 
Boden aus. An diesem Tage setzte sie ihre Arbeit noch fort und holte sich 
erst am nächsten Tage einen Krankenschein. Augenzen gen waren nicht dabei 
gewesen. Das Schiedsgericht erkannte auf direkte Unfallfolge und sprach 
eine Rente von 25o/ 0 zu. Das Reichsversicherungsamt entschied entgegen¬ 
gesetzt. Es führte u. A. aus: 

„Wie die ärztliche, vom Reichsversicherungsamt als richtig anerkannte 
Erfahrung lehrt, entstehen Gebärmuttervorfälle bei Frauen, die, wie die Klä¬ 
gerin, mehrfach geboren haben und schwere körperliche Arbeiten verrichten 
müssen, aus einer durch diese Vorgänge geschaffenen krankhaften Veranlagung 
der Geschlechtsorgane in der Regel allmählich, zuweilen in jahrelanger, oft 
sich kaum bemerkbar machender Entwicklung; hat diese Entwicklung einen 
gewissen Grad erreicht, so kann, ähnlich wie bei einem durch krankhafte Er¬ 
weiterung der Bruchpforte allmählich sich ausbildenden Leistenbruche, jede 
körperliche Kraftleistung, eine ganz leichte tägliche Verrichtung ebensogut, 
wie eine außergewöhnliche Anstrengung, das Vorfällen der Gebärmutter vor 
die äußere Scham herbeiführen. Es kommt aber auch in Betracht, daß die 
Klägerin, wenn der Gebärmuttervorfall wirklich infolge eines Ausgleitens trau¬ 
matisch entstanden wäre, höchstwahrscheinlich so heftige Schmerzen em¬ 
pfunden haben würde, daß sie die Arbeit sofort hätte einstellen müssen.“ 

Dr. T ro e g e r*Adelnau. 


Zum Begriff „Uebergangs-“ oder „Gewöhnungsrente“. Rekurs¬ 
entscheidung vom 21. Oktober 1904. Amtl. Nachrichten des Reichs- 
versicherungsamts; 1905, Nr. 2. 

Zunächst ist festzustellen, daß die durch den Bescheid vom 9. Juni 
1902 zugebilligte Rente keine Gewöhnungsrente im Sinne dieses in der Recht¬ 
sprechung der Unfallversicherungs-Instanzen ausgebildeten Begriffs gewesen 
ist. Allerdings spricht die Formel des gedachten Bescheids ausdrücklich von 
der Gewährung einer „Gewöhnungsrente“; die Gründe ergeben aber ausdrück¬ 
lich, daß die Rente auf Grund des ärztlichen Gutachtens des Dr. H. vom 
4. April 1902 zugebilligt wurde. Da nun in diesem Gutachten positive Unfall- 



Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften. 


826 


felgen festgestellt sind, durch welche die Erwerbsfähigkeit des Klägers um 
10 •/, eingeschränkt sei, so war auf Grand dieses Gutachtens für eine Zubilli¬ 
gung von 10°/ o überhaupt kein Raum. Eine Gewöhnungsrente ist nur denk¬ 
bar, wenn beim Pehlen nachweisbarer oder meßbarer Unfallfolgen eine Rente 
zngebilligt wird, weil angenommen wird, daß der Verletzte trotz anscheinend 
voller Erwerbsfähigkeit noch Zeit brauche, um sich nach der Verletzung wieder 
an die Arbeit zu gewöhnen, oder wenn aus demselben Grunde eine höhere als 
die nach dem objektiven Befund an sich gebotene Rente gewährt wird. Ein 
Micher Fall lag hier nicht vor. Das allein zulässige Verfahren wäre vielmehr 
gewesen, wenn die Beklagte jene Rente vom 16. März 1902 ab bis auf weiteres 
ragebilligt, und, sobald ihrer Ansicht nach die Wiederherstellung der Erwerbs- 
flliigkeit des Klägers durch Beseitigung der positiven Unfallschäden oder durch 
Anpassung und Gewöhnung eingetreten war, durch neuen Bescheid auf Grund 
des § 88 des Gew.-Unt-Vers.-Ges. die Rente eingestellt hätte. 

Gummibeine sind für Verletzte) welche auf Erwerb durch körper¬ 
liche Arbeit angewiesen sind) im Ulgemeinen nicht zweckdienlich und 
demzufolge die Berufsgenossenschaft nieht zu ihrer Lieferung verpflichtet. 
Bekursen tScheidung des Reichsvereicherungsamtes vom9. No¬ 
vember 1904. Kompaß; 1905, Nr. 5. 

Es kann dem Schiedsgericht nicht entgegengetreten werden, wenn es 
das Verlangen des Klägers, daß ihm ein Gummibein anstatt eines Stelzfußes 
geliefert werde, für unberechtigt erklärt. Ob tatsächlich der Dr. 0. ihm die 
behauptete Zusicherung gegeben hat, konnte dahingestellt bleiben; denn aus 
dieser kann der Kläger in keinem Falle einen rechtlichen Anspruch gegen die 
Beklagte herleiten, da dem Dr. 0 eine Vertretungsbefugnis für die Beklagte 
aicht zusteht, seine etwaigen Erklärungen für diese also unverbindlich sind. 
Es ist aber weiter eine unbesteitbare Erfahrungstatsache, daß für solche Per¬ 
sonen, welche, wie der Kläger, auf Erwerb durch körperliche Arbeit angewiesen 
sind, Gummibeine als Ersatz für verlorene Glieder im allgemeinen nicht zweck¬ 
dienlich sind. Sie sind bedeutend schwerer als Stelzbeine und behindern mehr 
als diese den ausgiebigen Gebrauch des Beines. 


Periodische Geistesstörung in Invalldenrentensaehen. Entschei¬ 
dung des Reichsversicherungsamts vom 8. Oktober 1904. 

Nicht darauf kommt es an, ob sich die Erwerbsfähigkeit dauernd wieder 
Aber ‘/* der normalen erheben wird, sondern darauf, ob die Erwerbsfähigkeit 
dauernd unter 1 /$ gesunken ist, und eventuell seit welchem Zeitpunkt letzteres 
dagetreten ist. _ 

Ueber den wünschenswerten Inhalt der ärztlichen Gutachten und 
der Muster dazu. Schreibendes Reichsversicherungsamts vom 
11. Januar 1905. Amtl. Nachrichten des R.-Vers.-Amts; 1905, Nr. 8. 

Was die Mitwirkung der Aerzte an geht, so wird schon von einer Aen- 
derung des Musters für die ärztlichen Gutachten ein gewisser Fortschritt zu 
erwarten sein; das gegenwärtige Muster ist unzulänglich. Für seine Um¬ 
gestaltung wird der Vorstand aus den bei anderen Versicherungsanstalten ein- 
gefährten Mustern ohne Mühe wertvolle Fingerzeige gewinnen können. Vor 
allem wird es darauf ankommen, den Arzt durch die vorgedruckten Fragen zu 
einer sorgfältigen Scheidung zwischen subjektiven Beschwerden, objektivem 
Befand und ärztlicher Beurteilung (in dieser Beziehung würde z. B. das Muster 
der Landesversicherungsanstalt N. N. zu vergleichen sein), sowie zu einer ein¬ 
gehenden, bestimmten, anschaulichen, die Nachprüfung ermöglichenden Dar- 
Sagssg des objektiven Befundes zu nötigen, insbesondere auch durch Angabe 
von Zahlen und Maßen, soweit das möglich ist. ln den Akten gewisser Ver- 
ocherungsanstalten kommen überhaupt kaum je ärztliche Gutachten vor, in 
denen ucht die Umfangsmaße von Ober- und Unterarmen, der Beine, des 
Brustkorbes bei Ein- und Ausatmung, die Zahl der Atemzüge und der Puls¬ 
schläge, Körpergewicht, Größe und dergleichen nachgewiesen wären. 

Soweit sich die Vollständigkeit der Gutachten in diesen und ähnlichen 
Beziehungen nickt durch das Muster erreichen läßt, empfiehlt sich vielleicht 
für einige Zeit die Beilegung eines gedruckten Begleitschreibens, sowie eine 



326 


Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften. 


Vereinbarung mit der Aerztekammer dahin, daß Gatachten, die gewisses 
Mindestforderungen nicht genügen, kostenfrei vervollständigt werden müssen. 

Im übrigen braucht kaum bemerkt su werden, daß die ärztlichen Gut¬ 
achten unter allen Umständen der freien richterlichen Beweiswftrdiguag 
unterliegen. _ 


C. Bakteriologie, Infektionskrankheiten und Öffentliches 

Sanitätswesen. 

Beitrag sur bakteriologischen Untersuchung der Fleischkenserven. 
Von Prof. Dr. E. Pfuhl, Generaloberarzt in Berlin. Zeitschr. für Hygiene 
und Infektionskrankheiten; Bd. 48, H. 1. 

Es werden nur diejenigen Fleischkonserven berücksichtigt, die aus 
frischem oder gepökeltem Fleisch von gesunden, ausgesuchten Tieren her¬ 
gestellt und durch Kochen in luftdicht verschlossenen Büchsen sterilisiert sind. 
Diese Konserven erfüllen nur dann ihren Zweck, wenn sie für eine Reihe von 
Jahren haltbar sind und nach dem Genuß weder Infektionskrankheiten noch 
Vergiftungen hervorrufen. Da es feststeht, daß in den Fällen, wo derartige 
Konserven verderben oder gesundheitsschädlich wirken, darin lebende Bakterien 
gefunden werden, dagegen solche Konserven, die keine lebenden Bakterien 
enthalten, die genannten Mißstände nicht zeigen, so muß ganz allgemein die 
Forderung aufgestellt werden, daß die Büchsenkonserven vollständig frei von 
lebenden Keimen sind. Es kommt weniger darauf an, daß bei der Untersuchung 
der Konserven auf Keimfreiheit die gefundenen Bakterien genau bestimmt 
werden, solange man daran festhält, daß jede mit Keimen irgendwelcher Art 
verunreinigte Büchse verworfen werden muß. Wichtig ist es dagegen, zu 
untersuchen, ob die gefundenen Bakterien Sporen bilden oder nicht. Werden 
Bakterien gefunden, ale keine Sporen bilden, so muß noch festgestellt werden, 
ob die Sterilisation ungenügend gewesen ist, oder ob die Bakterien erst nach 
der Sterilisation, etwa durch undicht gewordene Falznähte, eingedrungen sind, 
damit danach aie entsprechenden Maßnahmen getroffen werden können. Vor 
jeder bakteriologischen Prüfung hat eine Anreicherung derart stattzufinden, daß 
die Konservenbüchse in dem Brutschrank bis 87° kommt und dort einige Zeit 
gehalten wird. Je länger die Büchsen im Brutschrank gelassen werden können, 
desto sicherer gelingt die Anreicherung; das mindeste solle eine Zeitdauer von 
11 Tagen sein. Zunächst werden die Büchsen angestochen und gleich mit Pi« 
petten Proben von Brühe und verflüssigter Gelatine entnommen. Hierauf 
werden die Büchsen mit einer Wattekappe bedeckt und in den Brutschrank 

S estellt. Eine weitere Untersuchung ist jedoch nur notwendig, wenn sich ans 
en ersten Proben keine Bakterien entwickeln. Inzwischen können sich auch 
die aeroben Bakterien besser entwickeln. Stets kommt es darauf an, festzu¬ 
stellen, ob die in der betreffenden Konservenfabrik vorhandenen Kompressier- 
kessel bei der gewohnten Temperatur und Dauer des Nachkochens aucn solche 
Büchsen zu sterilisieren vermögen, deren Inhalt absichtlich mit sporenhaltigeu 
Erdproben verunreinigt worden ist Erweisen sich die Erdproben als sterili¬ 
siert, so kann angenommen werden, daß auch die übrigen Konserven derselben 
Kochung steril sind. Jedenfalls ist es außerdem notwendig, daß die in¬ 
folge der Sterilisation undicht gewordenen Büchsen sehr sorgfältig heraus- 
gesucht werden. Dr. Engels-Stralsund. 


Untersuchungen Aber den Einfluss der Herstellung, Verpackung 
und des Kochsalzgelialtes der Butter auf ihre Haltbarkeit mit besonderer 
Berücksichtigung des Versands ln die Tropen. Von Dr. A. Kern, wissen¬ 
schaftlichen Hilfsarbeiter im Kaiserl. Gesundheitsamte, auf Grund von gemein¬ 
schaftlich mit D. Max Müller, technischen Hilfsarbeiter im Kaiserl. Gesund¬ 
heitsamte, ausgeführten Versuchen. Arbeiten ans dem Kaiser!. Gesundheits¬ 
amte (Beihefte zu den Veröffentlichungen des Kaiserl. Gesundheitsamts). 
XXII. Band, 1. Heft. Berlin 1904. Verlag von Julius Springer. 

Für die Haltbarkeit von Dauerbutter ist die Höhe des Kochsalzgehaltes 
nicht ausschlaggebend; Butter ohne Kochsalzzusatz hält sich aber sehr schwierig. 
Die haltbarste Butter wurde aus zweimal pasteurisiertem, saurem Balun unter 
Anwendung von Reinkulturen und unter Zusatz von 8 °/o Kochsalz dargestellt, 
wobei 2,2 */• Salz in der fertigen Butter verblieb. Unter solchen Vorsiehts- 



Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften. 


327 


miBregeln hergestellte Butter war auch bei einem 12°/o übersteigenden 
Wassergehalt haltbar. Die geeignetsten Verpackungsgefäße sind luftdicht 
rendüossene Glasbüchsen. Die Lagerung der Butter im Kühl* oder Eisranme 
des Schiffes ist für ihre Konservierung von großem Wert. 

Mit dem Versand von Butterschmalz in die Tropen sind nachfolgende 
Erfahrungen gemacht worden: 

1. Aus zweimal pasteurisiertem, saurem Rahm hergestelltes Butter» 
schmalz ist in geeigneter Verpackung lange Zeit haltbar. Butterschmalz ist 
für den Versand in die Tropen deswegen sehr geeignet, weil sich aus dem* 
selben auf einfache Weise in kurzer Zeit Butter zurückbilden läßt. 

2. Als Versandgefäße sind luftdicht verschlossene Flaschen von der 
Fort der Weinflaschen aus dunkelbraunem Glas zu empfehlen. 

3. Die Haltbarkeit des Butterschmalzes wird durch Lagerung im Kühl* 
raune des Schiffes erhöht. 

4. Aus von der Tropenreise zurttckkommenden Butterschmalzproben 

vude einwandsfreie Tafelbutter hergestellt. Dr. Rost «Rudolstadt 


Untersuchungen über die Haltbarkeit der Margarine mit besonderer 
Btriekslehtignng des Versands ln die Tropen. Von Dr. A. Kraus, wissen* 
sthiitlichen Hilfsarbeiter im Kaiserl. Gesundheitsamte. Ebenda. 

Die Ergebnisse der betr. Versuche berechtigen zu der Schlußfolgerung, 
hß Margarine und Margarineschmalz bei geeigneter Aufbewahrung und Ver- 

Ä Monate hindurch haltbar ist. Zur Verpackung für den Versand in 
_>en sind luftdicht verschlossene Glasgefäße oder auch gut verzinnte 
Blechdosen geeignet Für den Versand von Schmalz empfiehlt sich die Verwen* 
tag von luftdicht verschlossenen Flaschen. Die Lagerung im Kühlraum des 
Schiff« ist für die Frischerhaltung der Margarine unerläßlich. 

_ Dr. Rost-Rudolstadt 

Ueber die Verwendung der schwefligen Säure als Konservierungs- 
■tttoL Insbesondere den jetzigen Stand der Beurteilung geschwefelten 
Nmbstes. Von A. Beythien. Zeitschrift für Untersuchung der Nahrungs- 
md Oenußmittel; Bd. 8, H. 1, S. 86. 

Beythien zieht auf Grund seiner Ausführungen folgende Schlüsse: 
Di freie schweflige Säure erst in der Menge von 80 mg pro Tag giftig wirkt, 
octelbe im Wein aber nur spurenweise enthalten ist, während der Hauptanteil 
üb io Form aldehydschwefliger Säure vorfindet, die nur geringe schädliche 
Egouchaften besitzt, so sind in Uebereinstimmang mit § 2 des Weingesetzes 
geringe Mengen schwefliger Säure zuzulassen, größere dagegen nach § 12 des 
AM. G. zu beurteilen. — Was die schweflige Säure im Hopfen und Bier be¬ 
kifft, so wird man der Zulassung des Hopfenschwefelns unter Voraussetzung 
der Deklaration zustimmen können. Jedoch folgt hieraus noch kein Beweis 
w die Unschädlichkeit der schwefligen Säure, was man ersehen kann aus den 
rahlreichen diesbezüglichen Bestimmungen über das zum Konsnm gelangende 
— Ueber die Frage, ob der Zusatz von schwefliger Säure zum Fleisch, 
uibesondere zum Hackfleisch, gesundheitsschädlich sei, haben sich fast alle 
nihnrngsmittelchemiker in bejahendem Sinne geäußert, da schon geringste 
Morgen Präservesalz, so z. B. 0,1 °/o mit nur 0,026 °/o SO t im Laufe der Zeit 
«hwere Schädigungen verschiedener Organe, besonders der Lungen und Nieren, 
hervorrufeil. — Von hoher praktischer Bedeutung ist endlich die Frage, ob die 
Verwendung der schwefligen Säure zur Herstellung von Obst- und Gemüse- 
tomservea statthaft ist. Diese Methode ist jedenfalls neueren Datums und soll 
•eben Erhaltung der Farbe eine Abtötung der Milben bezwecken. Verfasser 
m m getrockneten Früchten amerikanischen und italienischen Ursprungs mit 
Aunaime von Aepfeln und Pflaumen ganz enorme Mengen von schwefliger 
bis zu 0,362 °/o gefunden. Da aus dem Vorhandensein u n geschwefelter 
Aenfel und Pflaumen zu schließen ist, daß diese Manipulation zur Konservierung 
•kht erforderlich ist, und da ferner gerade die teuersten und hellsten Sorten 
410 stärksten geschwefelt befunden wurden, so scheint die Farbenverbesse- 
jpg Hauptzweck des Schwefelns zu sein. Jedenfalls empfiehlt B. «unter Be- 
HuBjjchtipag des stetig wachsenden Konsums und der zunehmenden Bedeutung 
Dörrobstes für die Volksernährung an den Herrn Reichskanzler das Er* 



328 


Kleiner« Mitteilungen nnd Referate aus Zeitschriften. 


suchen zu richten, bei dem Kaiserlichen Gesundheitsamt« Untersuchungen Aber 
die etwaige Gesundheitsschädlichkeit des geschwefelten Dörrobstes anzuregen 
und je nach dem Ausfall derselben geeignete Maßnahmen zu treffen.“ 

Dr. Symanski -Hagenau LE. 


Ueber das Verhalten der schwefligen S&ure in Nahruga- nnd Ge- 
nussmitte ln. Von W. Kerp. Zeitschrift für Untersuchung der Nahrungs¬ 
und Genussmittel. Bd. 8, H. 1, S. 63. 

Die im Kaiserlichen Gesundheitsamt daraufhin angesteilten Untersuchungen 
haben ergeben, daß die Bestimmung der schwefligen Säure am sichersten nach 
dem Destillationsverfahren zu bewirken ist. Der Zusatz von schwefliger Säure, 
namentlich bei Dörrobst, erfolgt, um ihm ein schöneres Aussehen zu verleihen. 
Praktisch von Bedeutung ist, daß der Gehalt an schwefliger Säure beim Lagern 
des Obstes an der Luft in kaum nennenswerter Weise zurückgeht, dagegen bei 
der küchengemäßen Zubereitung sich verringert und zwar nach Maßgabe der 
zum Wässern und Kochen benutzten Wassermengen. 

Tierexperimente haben ergeben, daß die gebundenen schwefligsauren 
Salze eine ihnen eigentümliche pharmakologische Wirksamkeit nicht besi t zen, 
sondern daß sie diese dem abgespaltenen Natriumbisulfft verdanken. 

Dr. Symanski-Hagenau LE. 


Zur Kenntnis der Blei-Zinnleglemngen. Von Dr. Otto Sackur. 
Hilfsarbeiter im KaiserL Gesundheitsamte. Arbeiten aus dem Kaiserlichen 
Gesundheitsamts; XXII. Bd., 1. H. 

II. Mitteilung: Die Konstitution der Blei-Zinnlegierungen, 

Es wird an der Hand älterer Beobachtungen gezeigt, daß Blei und Zinn 
keine chemische Verbindung und kein unbegrenzt isomorphes Gemisch bilden 
können, dagegen war das Auftreten fester Lösungen von beschränkter gegen¬ 
seitiger Löslichkeit wahrscheinlich. Es ergab sich, daß Blei in Legierungen 
von über 10 °/o Blei dieselbe Löslichkeit besitzt, wie als reines Metall, in 
bleiftrmeren Legierungen eine kontinuierlich mit dem Gehalt abnehmende Zinn 
besitzt in allen Legierungen von über 3 °/« Zinn seinen unveränderten Lösunga- 
druck. Daher ist die Löslichkeit des Zinns in festem Blei kleiner, als die des 
Bleis in festem Zinn. Die festen Legierungen sind wahrscheinlich als Gemenge 
gesättigter und ungesättigter fester Lösungen von wechselndem Gehalt an¬ 
zusehen. 

in. Mitteilung: Die Angreifbarkeit der Blei-Zinnlegierungen 
durch verdünnte Säuren. 

Beines Blei wird von verdünnten Säuren nur bei Gegenwart von Sauer¬ 
stoff, reines Zinn auch bei Gegenwart von Sauerstoff durch verdünnte Essig- 
und Milchsäure nur spurweise angegriffen. Konzentriertere Säuren wirken auf 
reines Zinn stärker lösend, jedoch weniger als auf BleL Die Angreifbarkeit 
von Blei-Zinnlegierungen wächst in verdünnten Säuren stetig mit dem Gehalt 
der Legierung an Blei; es wird hierbei fast nur Blei und wenig Zinn auf¬ 
gelöst. Von konzentierteren Säuren wird umgekehrt mehr Zinn als Blei auf¬ 
gelöst. In diesen Lösnngen ist die Angreifbarkeit mit Ausnahme der an Blei 
sehr hochprozentigen Legierungen nahezu unabhängig von ihrer Zusammen¬ 
setzung. Erhöhung der Temperatur und Beimengung von 2 °/o Kupfer ruft 
keine wesentliche Veränderung der Angreifbarkeit hervor. 


Untersuchung der bleiglasierten irdenen Geschirre in sanitärer 
Hinsicht. Mitteilung aus dem Hygienischen Institut der neurussischen Uni¬ 
versität zu Odessa. Von Mag. J. M. Brück mann. Zeitschrift für Unter¬ 
suchung der Nahrungs- und Genussmittel; Bd. 9, H. 1, S. 1. 

Bußland besaß im Gegensatz zu anderen Staaten bis in die jüngste Zeit 
nur eino experimentelle Arbeit auf diesem Gebiet von Prof. Chlopin. Der 
Verfasser hat seine Untersuchungen an dem gewöhnlichen irdenen Geschirr 
angestellt, das seiner Billigkeit wegen sich namentlich bei der russischen Land¬ 
bevölkerung einer großen Verbreitung erfreut. Die Bleiglasurmischungen werden 
von den Töpfern in ganz willkürlichen Mengen zugesetzt. Von im ganzen 108 
untcrsuchteu Geschirren gaben nur 4 beim ersten Auskochen kein Blei, alle 
übrigen dagegen geringe Spuren bis zu 4055(1)mg metallisches Blei auf 1 Liter 
ab. Die Durchschnittszahl der Bleiabgabe von 108 Geschirren nach */* stündigem 



Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften. 


889 


Kochen mit 4 prozentiger Essigsäure betrug 126 mg auf 1 Liter. Von den 
sonstigen Untersuchnngsergebiussen ist als wichtig hervorzuheben, daß Ge¬ 
schirre, die beim ersten Auskochen kein Blei abgaben, auch beim zweiten 
und dritten Auskochen keines abgaben. Das meiste Blei gaben dicke, glatte, 
glänzende Glasuren ab, die beim Anfeuchten Wasser aufsaugten und dadurch 
um eine Schattierung dunkler erschienen. Sehr ungünstig in dieser Hinsicht 
erwiesen sich auch dicke, rauhe Glasuren, während dünne, glatte, glänzende 
das wenigste Blei abgaben. Bröcklige Glasuren sind als gefährliche zu be¬ 
zeichnen. Gut gebrannte Geschirre gaben einen hellen, schlecht gebrannte 
•inen dumpfen Ton beim Anklopfen von sich. Bote Glasuren enthielten das 
wenigste Blei. Da die Bleiabgaoe nach dem Auskochen mit Essig sich meist 
vermindert, so ist das Auskochen der neuen Geschirre mit Essig zu empfehlen. 
Zur Aufbewahrung von sauren oder allmählich Säure entwickelnden Lebens¬ 
mitteln dürfen bleiglasierte Geschirre nicht benutzt werden, resp. nur dann, 
wenn man sich durch eine einfache Probe davon überzeugt hat, daß das Ge¬ 
schirr kein oder nur wenig Blei abgibt. Man füllt hierzu das Gefäß mit 
heißem farblosen Essig, läßt es eine Stunde so stehen und gießt nun die 
Flüssigkeit ha ein farbloses Trinkglas. Sodann gießt man einige Tropfen einer 
Sehwmelleberlösung hinzu. Leichte Trübung allein zeigt die Abwesenheit von 
Blei an, während Braunfärbung bezw. braunschwarze Färbung mit Niederschlag 
das Vorhandensein von wenig bezw. viel Blei andeutet. Geschirre, die letztere 
Reaktion geben, dürfen nicht zu den oben genannten Zwecken benutzt werden, 
da schon die tägliche Zufuhr von nur 1 mg Blei genügt, um eine Person nach 
äiigen Monaten krank zu machon. Bisher besteht in Rußland noch kein Ge¬ 
setz für die Herstellungsweise von bleiglasierten Geschirren. 

Dr. Symanski-Hagenau iE. 

Ueber Verwendung von Wassergas und anderen Gasen ln Fabriken. 
(Gewerbliche Kehlenoxydvergiftung.) Von Dr. Arthur Whitelegge, 
Chief inspector of factories. Home Office memorandum. Public health X VII, 
November 1904; S. 82. 

In seiner Besprechung der Bo e sei er sehen Arbeit über Verwendung 
und hygienische Bedeutung des Wassergases erinnert Geh. Med.-Bat Dr. Roth 
(Vierteljahrsschr. i. ger. Med. 1901, XXI, Seite 869) daran, daß speziell in 
Deutschland nur äußerst selten Fälle von akuter Kohlenoxydvergiftung durch 
Wassergas beobachtet sind. Für England gibt nach Whitelegge der Jahres¬ 
bericht der Gewerbeinspektoren Aufschluß. In den Jahren 1899 bis 1908 ist 
über 61 Fälle von CO Vergiftungen aus Fabriken berichtet; 17 davon sind 
tödlich verlaufen; 43 waren auf Wassergas oder verwandte Gase (Dowson 
gas, Mond gas, Power gas, Producer gas, Blast furnace gas) zurückzuführen. 

Verantwortlich für diese Vergiftungen sind eine Reihe von Umständen 
zu ■HU".fiwn. Es fehlen Rettungseinrichtungen. Die Arbeiter kennen das Gas 
ssd seine Gefahren, die frühesten Symptome der CO-Vergiftung zu wenig. 
Dem Gase fehlt jeder Geruch, obwohl nach Ministerialverfügungen jüngeren 
Datums den Gewerbeinspektoren bereits zur Pflicht gemacht worden war, in 
Fabriken und Werkstätten, an die Gas verteilt wird, auf die Beimengung stark 
riecbender^Körper zum'Gase zu achten. Ferner kommt in Betracht, daß die 
Arbeiter in so gefährlichen Räumen allein arbeiten; schließlich sind technische 
Fehler anzuschuldigen. 

In ähnlicher Weise wie der Ministerialerlaß vom 31. Dezember 1896 
(Beilage zu dieser Zeitschrift, 1897, S. 29), faßt*nun die Darstellung White- 
fegges die vorbeugenden Gesichtspunkte zusammen. Die Symptome der 
CO-Vergiftung werden geschildert. Ein Zylinder mit komprimiertem Sauer¬ 
stoff, mit'.Gummigasrohr und Mundstück versehen, sollte dauernd in Bereitschaft 
stehen. Die Arbeiter sollten frühzeitig mit;der Art, den Sauerstoff abzugeben 
und künstliche Respiration auszuführen, vertraut gemacht werden. Sie sollten 
besouders'davor gewarnt werden, den Patienten der Kälte auszusetzen. 

Der Autor teilt den Inhalt von Plakaten mit, welche euerseits die 
Powergas-Aktiengesellschaft nach Beratung mit dem ärztlichen Gewerhe- 
inapektor inj ihren Betriebsräumen aufgestellt hat, und anderseits als Merk¬ 
blatt von den vereinigten Portland-Zementwerken entworfen worden sind. 

Dr. Mayer-Simmern. 



330 Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. " 

Welche Anforderungen sind vom hygienischen Standpunkte aa die ^ 
Unterbringung der Mannschaften auf Kauffahrteischiffen su stellen! Von 
Dr. Karl Pfitz. Vierteljahrsschr. f. gerichtliche Medizin und öffentL Sanität* ^ 
wesen; IV. Heft, 1904. 

Während von fast allen seefahrenden Nationen durch Gesetze und Ver* ^ ■ 
Ordnungen in genügender Weise dafür gesorgt worden ist, daß die Zwischen» 
deckspassagiere an Bord überseeischer Dampfer in hygienisch erträglicher 
Weise untergebracht werden, sind für die Unterbringung von Mannschaften 
auf Kauffahrteischiffen noch keinerlei Bestimmungen getroffen worden. Es ist ... 
dies um so auffallender, als die Passagiere gewöhnlich nur 2—4 Wochen aa ’ •” 
Bord sind, während der Mannschaftsraum für das Personal jahrelang, ja häufig >. 
zeitlebens derjenige Ort ist, wo sich dasselbe von seinem überaus aufreibenden . / 
Dienst erholen soll. Verf. stellt folgende Forderungen auf: Das Mannschafts- 7t. 
logis soll von Bilge-, Lade-, Heiz-, Maschinen-, Kohlen-, Proviant- und Vorrats- ,** 
räumen nach Möglichkeit isoliert und nicht unter der Wasserlinie liegen. Der 
Fußboden soll mit leinölgetränktem Holze oder ähnlichem Material belegt sein. ~j 
Die Wände sollen glatte Holzbekleidung mit hellem Farbenanstrich haben. ^ 
In den Tropen soll auch die Außenwand hell gestrichen sein. Liegen bewohnte 
Räume unmittelbar unter einem obereren eisernen Deck, so ist dasselbe mH 
einer 7 cm dicken Holzbebohlung zu bekleiden. Für den Kopf der Besatzung ^ ’ 
sind mindestens 5 cbm Rauminhalt (bei 2 m Höhe und 2 qm Bodenfläche) zu 
gewähren. Zur Lüftung müssen Ventilatoren dienen, die genügend groß sind ^ ;; 
und für künstliche Lufterneuerung genügende Vorrichtungen besitzen. Ge- y - 
nügende Heizvorrichtung und natürliches Licht, ebenso ohne Belästigung funk- ^- 
Monierende künstliche Lichtquellen sind ferner nötig. Die Kojen, im Mininm n \ r " 
1,88 m lang und 0,6 m breit, sind aus mit heller Farbe gestrichenem Eisen ^ i 
herzustellen; Es sollen nicht mehr als zwei Schichten übereinander vorhanden 
sein, die untere mindestens 15 cm vom Fußboden, die obere mindestens 75 cn 
von der Decke. Zum Kochen sowie zur Aufbewahrung feuchter Kleidung müssen ^-*- 
vom Wohnraum gesonderte Gelasse sein, sowie für je 20 Mann der Besatzung 
pahe beim Logis über Deck je mindestens ein Klosettsitz und ein Baderaum 
mit genügender Einrichtung für kalte und warme Duschen vorhanden sem. >: 

_ Dr. Israel-Fischhausen. ‘ ? sö: 


Verhütung der Selbstentzündung von Benzin. Von Oberregierungsrat 
Bittmann -Karlsruhe. „Concordia“, Zeitschrift der Zentralstelle für Arbeiter- 
Wohlfahrtseinrichtungen. Berlin 1904; VI. Jahrg., Nr. 20. 

Die von Zeit zu Zeit in der Presse gemeldeten unaufgeklärten und ver- ' 
hängnisvollen Benzinbrände führt man neuerdings auf Selbstentzündung des 
B. durch Reibungselektrizität zurück, da solche beim Spülen von Wolle iu 
Benzin beobachtet und mittels des Elektroskops sicher nachgewiesen worden 
ist. Richter, Direktor einer chemischen Waschanstalt in Karlsruhe, hat nun W 
in wasserfreiem Magnesiumolent, — von ihm zur Dokumentierung seiner 
Priorität „Richterol“ genannt, — das tauglichste Mittel erkannt, die Leitfähig- * 
keit des Benzins zu erhöhen. Wenn auch der absolute Wert einer Lösuig - ^ 
dieses Oels inbezug auf Leitfähigkeit gering ist, so genügt er doch, um größere 
elektrostatische Ladungen schnell zur Erde abzuleiten und somit der Selbst- 
entzündung vorzubeugen. B. hat einen .Benzinfeuer-Warner“ genannt« 
Apparat hergestellt, der selbsttätig durch Klingelzeichen das Auftreten elek- ^ 
frischer Zustände in der Maschine oder Spülwanne der Benzinwäschereiea 
meldet und die Bedienung der Apparate auffordert, den versäumten Zusatz 
des Richterols nachzuholen. Das Instrument, das mit den bekannten elek- > 
frischen Speiserufern in Kesselhäusern zu vergleichen ist, arbeitet so empfind* 
lieh, daß es schon auf die Annäherung einer leise geriebenen Siegellackstange, -''. ä 
selbst nach Dazwischenschieben einer Glas- oder Hartgummiplatte, in Funk¬ 
tion tritt _ Dr. Rost-Rudolstadt ^ 

Die Taubstummen im Deutsehen Reiche nach den Ergebnissen der 
Tolknihluug von 1900. Medizinal - Technische Mitteilungen aus dem Kaiser!. 
Gesundheitsamte (Beihefte zu den Veröffentlichungen des KaiserL Gesundheit*- ^ 

aints). Neunter Band, erstes Heft. Mit 8 Tafeln. Berlin 1904; Verlag voa 1,/ 

J. Springer. 



Besprechungen. 


831 


In 18166 Gemeinden wurden 48760 taubstumme Personen ermittelt. 
Huron lebten 81448 oder 64,6 °/ 0 ln Preußen, 6494 = 11,8 °/o in Bayern, 
W6 ss 4,9 °/o in Sachsen, 2218 = 4.5 °/o in Württemberg, 2147 **» 4,4 °/o in 
Bsden, 1386 = 2,7 °/o in Elsaß-Lothringen, 908 = 1,8 9 jo in Hessen; alle 
Ihrigen Bundesstaaten hatten weniger als je 600. Auf je 10000 Einwohner 
tamiaet sich die Ziffer der ortsanwesenden T. in Baden auf 11,6; 
Württemberg 10,2; Meiningen 9,3; Preußen 9,1; Bayern 8,8; in den übrigen 
Budesstaaten einschließlich der Beichslande bleibt diese Zahl unter dem Beicns- 
ducbsehnitt Ton 8,6. Ordnet man die Staaten nach der Ziffer ihrer orts- 
tebttrtigen T., so ergibt sich nachstehende Beihenfolge: Baden 11,6; 
Meiihgeu 9,9; Württemberg 9,6; Waldeck 9,3; Buldolstadt 9,2: Preußen 9,0; 
B*jtn 8,8. Auffallend niedrige Ziffern zeigen Sachsen, Anhalt, Altenburg, 
OMaVorg und die Hansestädte. Her weitaus größere Teil ist mindestens 
nit frühester Kindheit, sehr warschednlich aber schon von Geburt an taub¬ 
stem gewesen. Hie Bedeutung gewisser Krankheiten für die Entstehung 
du Gebrechens im späteren (Kindes-) Alter ist geringer anzuschlagen, als bis- 
ber angenommen wurde. Es liegt nahe, das häufige Vorkommen der an- 
geborenen Taubstummen bezw. der fötal entstandenen Taubheit auf patho'o- 
osche Belastung von seiten der Eltern zurückzuführen. Has männliche 
Qtschlecht überwog bei weitem: 64,1 zu 46,9°/o; ebenso die semitische Basse 
nd die «lavische Bevölkerung. Has Auftreten der T. bei mehreren Mitgliedern 
eher und derselben Familie kam in Württemberg, Hessen, Schwerin, Braun- 
xtaig, Beuß j. L., Lippe und den Hansestädten häufiger als in den übrigen 
Budeestaaten vor; in Preußen waren die westelbischen Provinzen darin be¬ 
willigt. Familien mit mehr als je 4 Taubstummen fanden sich nur in 
Pnsfiea (38, darunter in Berlin allein 6, in Halberstadt 8), Bayern (1), 
heben (2), Lippe (1). 86,7 •/« waren ledigen Standes; unter je 100 Taub- 
rtounen männlichen Geschlechts befanden sich nur 16,6, unter je 100 weib- 
«hen Taubstummen nur 12,8 Verheiratete, Verwitwete oder Geschiedene. Hie 
ffrterjuchung hat keinen Anhalt dafür gegeben, daß die Taubstummenhäufigkeit 
tacb terrestrische Bedingungen, wie Höhenlage oder Bodenbeschaffenheit beeht- 
nft wird; das wesentliche ätiologische Moment wird neben der Belastung in 
ktlkhea ns günstigen materiellen Verhältnissen und gesundheitlichen 8chädfich- 
Httea xu suchen sein. Beweisend hierfür ist das häufige Vorkommen im Osten 
ud die geringfügige Belastung vieler wohlhabender Ackerbau- und Industrie- 
betirke und namentlich der großen Städte trotz der Bichtigkeit ihrer Ein- 
wwenchaft. Hr. Bost - Rudolstadt. 


Besprechungen. 

Br. Emil *■*—«irr, Assistent der k. k. psychiatrischen und Nervenklinik 
ta Herrn Prot v. Wagner in Wien: Dl« hysterlsohm Gtointan- 
Mörengen. Eine klinische Studie. Leipzig und Wien 1904. Verlag von 
**•»* Deuticke. Preis: 9 Mark. 

Du vorliegende Werk betrachtet die Hysterie in erster Linie als eine 
jtyekoBe, richtiger gesagt, als eine Neuropsychose, der neurotische und psyche- 
jjKbe Symptome in bald stärkerem, bald geringerem Maße beigemischt sind. 
Gnae das Studium dieser so zahlreichen Störungen zeigt, wie eng Nervenheil- 
™de ud Psychiatrie verbunden sind, und wie gerade letztere den Ausgangs- 
lukt zur Kenntnis der anscheinend rein nervösen Symptome der Hysterie 
■bea muß. Nach dem Verfasser entsteht die Krankheit auf dem Boden einer 
Myehopathischen Konstitution unter Einwirkung accessorischer, somatischer 
•j® jwychischer Schädigungen; das Auftreten hysterischer Symptome ist ab- 
von äußeren Beizen und durch solche beeinflußbar. Besonders charak- 
bnstmdi ist daher für die Hysterie die erhöhte Suggestibilität neben einer 
renrersHit der Empfindungsqualitäten im weiteren Sinne. Hiese letztere 
■Met «ich besonders ausgeprägt im Sexualleben, dem stets eine ganz besondere 
mdmtung in der Behandlung und Beurteilung der Hysterie beigelegt worden 
während die Willensäußerungen beeinflußt werden durch das Vorherrschen 
w» eigenen Ichs und egoistischer Vorstellungen. Bei der Erörterung der e&a- 
juam Krankheitsbilder geht B. von dem Bild des hysterischen Anfalles aas, 
w er durch Mitteilung dreier Fälle, darunter einen bei einem 8 jährigen 



332 


Besprechungen. 


Schalkinde, erläatert; ihm nahe verwandt ist das hysterische Delirium, dem 
jedoch Symptome von Konvulsionen der charakteristischen Art abgehen, ln 
diesen Delirien spielen Erinnerungen und Szenen aus früherer Zeiten, die die 
Kranke aufs neue zu durchleben scheint, eine hervorragende Bolle. Die Ab¬ 
trennung dieser Störungen von den Dämmerzuständen begegnet erheblicheren 
Schwierigkeiten, immerhin ist die Einengung und Trübung des Bewusstseins 
hier das hervorstechenste Symptom. 

Verfasser gedenkt in diesem Zusammenhang des forensisch wichtigen 
Gans ersehen hysterischen Symptomkomplexes. Von weiteren akuten Störungen 
werden die hysterische Melancholie, der Stupor, insbesondere auch die somnam¬ 
bulen Zustände und die Fälle von Etat second der Franzosen erörtert, in denen 
die Kranken gewissermassen eine doppelte Persönlichkeit zu bilden scheinen. 
Weniger Bemerkenswertes bieten die chronischen Psychosen, für die die Bei¬ 
mischung zahlreicher hysterischer Symptome psychischer und somatischer Natur 
das Charakteristikum darstellen. Sehr lehrreich sind die Kapitel über Aetio- 
logie der Hysterie, in dem Verfasser besonders der nicht seltenen hysterischen 
Schulepidemien der Kinder gedenkt, und über Wesen der Krankheit. Hier 
wird, unter Anlehnung an Janet, der näheren Beziehungen zwischen dem 
hysterischen Geisteszustand und dem hypnotischen gedacht, die beide in der 
außerordentlich erhöhten Suggestibilität ihre gemeinsame Wurzel haben. In 
therapeutischer Hinsicht betont B. prinzipiell, daß jede Eheschließung Hysteri¬ 
scher möglichst zu verhindern sei. In einem Schlußkapitel weist Verfasser auf 
die forensische Seite der Krankheit hin, besonders auch auf die großen dia¬ 
gnostischen Schwierigkeiten, da nicht selten hysterische Psychose und bewußte 
Simulation ohne scharfe Grenze ineinander übergehen, und ferner gerade beim 
Hysterischen die Neigung zur Uebertreibung, Verstellung und Lüge „quasi 
die normale Beaktion“ bildet. — Das lehrreiche Buch, aus dem hier nur 
weniges hervorgehoben werden konnte, kann warm empfohlen werden. 

Dr. Pollitz-Münster. 


Dr. C. Feistmantel : Trinkwaaser and Infektionskrankheiten. Epi¬ 
demiologie, UnterBuebungsmethoden, Sterilisierungsverfahren. Verlag voa 
G. Thieme. Leipzig 1904. 

Das kleine Werk behandelt im ersten Abschnitte einige epidemiologische 
Daten und die Bedeutung der einzelnen, für eine durch Wasser erfolgte Ver¬ 
breitung von Infektionskrankheiten in Betracht kommenden Momente. Der 
wichtigste zweite Teil behandelt den Nachweis der Infektionskeime im Wasser. 
Die vielfachen, in früheren Jahren geübten Verfahren bakteriologischer Wasser¬ 
untersuchung sind heute mit vereinzelten Ausnahmen darauf reduziert, den 
direkten Nachweis vermuteter Infektionskeime anzustreben. Auch der Un¬ 
geübte wird aus der Zusammenstellung der notwendigsten Behelfe und des 
Untersuchungsganges für den Nachweis der wichtigsten, bei einer Wasserunter¬ 
suchung in Betracht kommenden Mikroben ein erfolgreiches Arbeiten aus dem 
Buche erlernen können. Was der Verfasser über den Nachweis von Cholera 
im Wasser sagt, steht fest. Für den Nachweis von Choleravibrionen ist du 
Anreicherangsverfahren mittelst Peptonwasser längst erprobt. Für die Identi¬ 
fizierung der aus dem Wasser gezüchteten Choleravibrionen wurde in letzter 
Zeit ihr Mangel an hämolytischen Fähigkeiten nutzbar gemacht. Eingehend 
ist der Nachweis der Typhusbazillen beschrieben. Durch Nachprüfung der in 
den letzten Jahren von verschiedenen Seiten empfohlenen Verfahren bevorzugt 
Verfasser am meisten die Ausfällung mit dem von Schüder-Sallef emp¬ 
fohlenen Beagentien (Natrium hyposmfit und Bleinitrat) unter Benutzung von 
Conradi-v. Drigalski Agarplatten, und die Titration des Wassers durch 
ein Chamberlain-Filter. Aufnahme des Filterrückstandes mit einigen Kubik¬ 
zentimetern Kochsalzlösung, Zusatz von 1—2 Tropfen stark agglutinierendes 
Serums und Verarbeitung des Zentrifugenrückstandes ebenfalls mit Conradi- 
v. Drigalski Platten. Die dritte Abteilung enthält die chemische, physi¬ 
kalische und mikroskopische Untersuchung und die Lokalinspektion. Letztere 
ist etwas kurz besprochen; auch dürfte es einem Ungeübten schwor fallen, mit 
den knapp gehaltenen Anweisungen über die üblichen Untersuchungsmethodea 
unter Angabe der notwendigen Beagentien und Geräte auszukommen. Die 
Bedeutung der chemischen Befunde wird vom Verfasser mit Hecht hervor- 



Tagesnachriohten. 


888 


«hohen, wobei gewiß für die Beurteilung de* Wassers die lokalen and geo- 
ugischea Verhältnisse ihre Wichtigkeit behalten. Dr. Bn mp-Osnabrück. 


T&gesnachrichten. 

Am 28. and 20. April hat in Hannover die XXII. Hauptversamm- 
Ing des Preuzelsehen Kedlztnalbeamtenvereins unter zahlreicher Beteiligung 
»uitgefundeu. Leider war der Vorsitzende, Reg.-u. Geh. Med.-Rat Dr. Rap- 
md, durch einen Tranerfall in seiner Familie zum ersten Male seit dem 
Bestehen des Vereins verhindert, an der Versammlung selbst teilzunehmen; 
er kannte nar der Vorstandssitzung am Tage zuvor beiwohnen, ln seiner 
Vertretung leitete Reg.- u. Med.-Rat Dr. Wodtke die Verhandlungen, za 
taei als Vertreter des Herrn Ministers Herr Geh. Ober-Medizinalrat Professor 
Br. Schmid tmann erschienen war. 

Die Tagesordnung war vom Vorstand überaus glücklich gewählt, so 
foß sowohl die eingehenden, gediegenen Referate, als auch die Diskussion ein 
Muerul zntage förderten, das von bleibendem Werte sein dürfte. 

Der Ortsausschuß unter Vorsitz des Herrn Reg.- und Geh. Med.-Rats 
Br.Quertler hatte keine Mühe gescheut, um den Vereinsmitgliedern nicht 
nur Sehenswertes, sondern auch Angenehmes zu bieten. Insbesondere war auch 
für die Damen vorzüglich gesorgt worden. — Die Stadt Hannover hatte der Ver¬ 
sammlung einen Führer gestellt und ihr in entgegenkommender Weise die 
südlichen Anstalten zur Besichtigung geöffnet, die als mustergültig in ihrer 
Art zu betrachtep sind. — Am 30. April besuchte eine kleinere Zahl der Fest- 
teilaehmer unter der liebenswürdigen Führung des H. Reg.- u. Med. - Rats Dr. 
Arbeit die altehrwürdige Stadt Hildesheim. 

Der offizielle Bericht über die Versammlung wird voraussichtlich bereits 
Anfang Juli erscheinen. Es wird deshalb von einem ausführlichen vorläufigen 
Bericht Abstand genommen. 


Aus dem prenesieoheii Abgeordnetenhaus«. Die Jnstizkommission 
hat beschlossen, dem Plennm zu empfehlen, eine Petition um Erlaß eines Ge¬ 
setzes zum Schutz der Mineralquellen der Staatsregierung als Material zu 
überweisen. — Einen gleichen Beschluß hat die Gemeindekommission in bezug 
ao( eine Petition um Verbesserung der Einkommens* und Altersversorgungs- 
rcrttltnisse der Hebammen gefaßt. 


Das mit einem Kostenaufwand von 700000 Mark erweiterte hygienische 
Institut der Universität Berlin (Hessische Straße Nr. 8—4) ist am 2. d. M. feier¬ 
lich eröffnet worden. Der Direktor des Instituts, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Rubner, 
ff*A ia seiner Festrede einen U eberblick Uber die geschichtliche Entwickelung 
des hygienischen Unterrichts in Deutschland und besprach sodann die Aufgabe, 
welche die Entwickelung des modernen Gesellschaftslebens an die Hygiene stellt. 

Die diesjährigen Fortbildungskurse für die preussiseben Kreisärzte 
Süden in der Zeit vom 2.—19. Mai und vom 22. Mai bis 9. Juni statt. 


In Frankfurt a. KL hat jetzt die Stadtverordnetenversammlung die 
«ricktang einer Akademie für praktische Medizin abgelehnt und nur die 
notwendige Erweiterung einzelner medizinischer Institute und Krankenanstalten 
«gestimmt. _ 


Au Württemberg« Die Kammer der Abgeordneten bat bei der Be- 
JJtug des Kultusetats der Errichtung einer ordentlichen Professor dar 
“Jfflene an der Universität Tübingen xugwtimmt- 

Im Orossherxogtum Hessen ist der zweiten Kammer eine Gesetzes* 
tolüf« «gegangen, di« eine Begelpng dea Handels mit «Uten in der Weise 
Mttrickiigt, daß zu demselben, soweit er nicht in Verbindung mit dem Apo- 
"tkengewerbe betrieben wird, eine besondere Genehmigung erforderlich, und 
“*** (u versagen ist, wenn ein Bedürfnis nicht nachgewiesen werden kann, 
ist du ZnterlämJgkeit des .Gewerbetreibenden zu prüfen. 



834 


Tagesnachrichten. 


Die XXX. Versammlung des Deutschen Vereins Ar öffentlich« Ge¬ 
sundheitspflege findet in den Tagen vom 18. bis 16. September 1905 
in Mannheim statt. Anf der Tagesordnung stehen: 

Mittwoch, den 18. September: X. Typhusbekämpfung. Beferenten: 
Stabsarzt Dr. ▼. Drigalski (Kassel), Bog.- and Med.-Bat Dr. Springfeld 
(Arnsberg). II. Die Bedeutung öffentlicher Spiel- and Sportplätze für die 
Volksgesandheit. Beferenten: Sanitätsrat Dr. Schmidt (Benn), Oberbaurat 
Klette (Dresden). . 

Donnerstag, den 14. September: UL Müllbeseitigung und Müll- 
Verwertung. Beferent: Dr. Thiesing (Berlin). IV. Schwimmbäder and 
Braasebäder. Beferenten: Sanitätsrat Dr. Kabierske (Breslau), Stadtbaorat 
Beigeordneter Schnitze (Bonn). 

Freitag, den 15. September: V. Selbstverwaltung and Hygiene. 
Beferent: Beg.- and Geh. Med.-Bat Dr. Both (Potsdam). 

Samstag, den 16. September: Ein gemeinsamer Aasflag, voraas¬ 
sichtlich in das Neckartal oder nach Baden-Baden. 


Ein internationaler medizinischer Unfallkongress wird nnter dem 
Ehrenvorsitz Sr. Majestät des Königs der Belgier vom 29. Mai bis 

4. Juni in Lüttich im Anschluß an die Weltausstellung abgehalten werden. 
Vorträge sind bei H. Dr. Poels - Brüssel, U Bue Marie Thöröse, anzumelden, 
der Teilnehmer - Beitrag beträgt 10 Franks. ' 

Bayerischer Medizinalbeamten-Verein (E. V.) 

Landes-Versammlung zu Würzburg 

am 3. Juni 1905. 

in den Gesellschafisräumen der „Harmonie* (Hofstraße). 
Tagesordnung: 

Freitag, den 2. Juni, abends 7 Uhr: Vorstandssitzung. 

abends 8 Uhr: Gesellige Vereinigung zur Begrüßung (mit Damen). 
Samstag, den 3. Juni, vormittags 8'/» Uhr: 

1. Eröffnung der Versammlung, Geschäfts- und Kassenbericht. 

2. Die neueste Forschung über Infektionskrankheiten. Beferent: Prof. 
Dr. Lehmann-Würzburg. 

8. Wie haben sich die Gesetzesparagraphen des B. G. und der Zivil¬ 
prozeßordnungsnovelle, welche sich auf die Entmündigung beziehen, 
in der gericbtsärztlichen Praxis bewährt und welche Erfahrungen 
werden von seiten der ärztlichen Sachverständigen in bezug auf die 
Handhabung des Gesetzes gemacht? Beferent: Landgerichtsarzt Dr. 
Bur gl-Nürnberg. 

4. Die quantitative Bestimmung des Luftgebaltes der Lungen. Befe¬ 
rent: Landgerichtsarzt Prof. Dr. Stumpf-Würzburg. 

5. Geistige Minderwertigkeit im schulpflichtigen Alter. Beferent: Prot 
Dr. W r eyg an dt-Würzburg. 

6. Die Bcvision der Bezepttaxierung durch die Bezirksärzte. Beferent: 
Bez.-Arzt Dr. Graßl-Viechtach. 

Nach Schluß der Sitzung: Gemeinschaftliches Essen (mit Damen*. 

Mit dem Wunsche, daß die Mitglieder sich recht zahlreich beteiligen 
werden, zeichnet für die Vorstandscbaft des „Bayerischen Medizinal bebmten- 

^ erc *“ 8 Dr. Anger er, Vorsitzender. 

Dr. Hof mann, Kreis Vorsitzender. Dr. Hermann, Schriftführer. 

Neu eingegangene Bücher. 1 ) 

Vierteljahr 1905. 

Baumm, Dr.: „Praktische Geburtshilfe“. Einführung in. das neue preußische 
Hebammenlehrbuch (1904). Kl 8’. 124 S. Berlin, Verlag von Elwin 

Staude, Preis: 1 M. 


*) Eine eingehendere Besprechung der die Leser der Zeitschrift interess¬ 
ierenden Bücher bleibt Vorbehalten. 




-Neu ein gegangene Bücher. 


886 


Blume, Dr., Med.-Bat, Philippsbarg L/B.: „Der 8chnellverband in Beziehung 
znr ersten Hilfe bei ünglttcksfällen wie auf dem Schlachtfelde. 

Bornträge r, Dr., Regierungs-u. Med.-Rat: „Die nene preußische Gebühren¬ 
ordnung für Aerzte und Zahnärzte“. KL 8°. 82 8. Würzburg. A. Stübers 
Verlag. Preis : 1,20 M. 

Brauer, Prot Dr. Lud.: „Beitrag zur Klinik der Tuberkulose". Bd. III, H. 8, 
(Arbeiten von Wild, Rüge, Arnsperger, Teutschl&nder) Preis' 
2,50 M. Bd. ID, H. 4 (Arbeiten von Brüning, Eber, Teutschl&nder: 
Ostenfeld, Neißer) Preis: 8,50 M. Würzburg). A. Stabers Verlag. 

Braun, Dr. Eduard: „Reichsgesetz beetreffend Verkehr mit Wein, weinhaltigen 
und weinähnlichen Getränken* KL8°. 160 S. Verlag von Karl Hage¬ 
mann, Berlin W. 8. Preis geb.: 2 M. 

Darapsky, B.: „Enteisenung yon Grundwasser*. KL 8°. 104 S. Verlag 
yon F. Leineweber; Leipzig. 

Dornblüth, Dr. Otto: „Diätetisches Kochbuch*. EU 8°. 861 S. A. Stübers 
Verlag, Würzburg. 

Ebstein, W. und Schreiber, Dr. E.: „Jahresbericht über die Fortschritte 
der inneren Medizin im In- und Auslande*. Bericht über das Jahr 1901. 
I. IL und IIL Heft. Gr. 8°. 480 S. Verlag yon Ferd. Enke; Stuttgart. 
Preis: 4 M. pro Heft. 

Feis, Dr. Oswald: „Die Walderholungsstätten und ihre yolkshygienische Be¬ 
deutung". G 8°; 31 S. Verlag yon Oskar Coblentz, Berlin. Preis: 2 M. 

Fromme, Landgerichtsdirektor, Magdeburg: „Die zivilrechtliche Verantwort¬ 
lichkeit des Arztes für sich und seine Hilfspersonen*. Berliner Klinik, 
Heft 201. Berlin 1905. Fischers med. Buchhandlung. Gr. 8*, 
51 Seiten. Preis: 1,20 Mk. 

Haberda, Prof. Dr. A.: „üeber die Berechtigung zur Einleitung der künst¬ 
lichen Fehlgeburt". Gr 8 0 , 16 Seiten. Verlag yon Braunmüller-Wien. 

Haase, Dr. Hago, Med.-Rat, Danzig: „Gesundheitswidrige Wohnungen und 
deren Begutachtung". 11 9 ( , 102 S. Verlag yon Julius Springer- 
Berlin. Preis: 1,60 Mk. 

Hecker, Dr. R. und Tr um pp, Dr. I., Priyatdozenten, München: „Atlas und 
Grundriß der Kinderheilkunde*. Mit 48 farbigen Tafeln und 144 schwarzen 
Abbildungen. Kl. 8°, 482 S. J. F. Lehmanns Verlag, München. Preis: 
geb. 16 Mk. 

Hensgen, Dr. Me<L-Bat, Siegen: „Leitfaden für Desinfektoren*. Zweite ver¬ 
änderte Auflage. Kl 8°, 77 S. Verlag yon Richard Schoetz-Berlin. 
Preis: 1,50 Mk. 

Hermanides, Dr. S. R., Zeist (Holland): „Bekämpfung der ansteckenden 
Geschlechtskrankheiten als Volksseuche*. Gr. 8 °, 162 S. Verlag yon Gustav 
Fischer-Jena. Preis: 4 Mk. 

Juristisch-p sychiatrische Grenzfragen. Zwanglose Abhandlungen. 
IL Band, Heft8—5: „Fahnenflucht u. unerlaubte Entfernung.“; yon Ober¬ 
arzt Dr. 81 i e r. Gr. 9°, 1108. Verlag yon Mar hold-Halle Preis: 3 M. 
IL Band, Heft 6: „Die Reform des Verfahrens im Strafprozeß"; von Prof. 
Mittermaier in Gießen. „Die Forschungen zur Psychologie der Aus¬ 
sage“ ; von Prof. Dr. Sommer in Gießen. Gr. 8 *, 69 S. Preis: 1,20 Mk. 

Kehr, Prof. Dr. Hans: „Die in meiner Klinik geübte Technik der Gallenstein¬ 
operationen mit einem Hinweis anf die Indikationen und Dauererfolge*. 
Gr. 8°, 395 S. J. F. Lehmanns Verlag, München. Preis: brosch. 16 Mk., 
geb. 18 Mk. 

Klinisches Jahrbuch. Vierzehnter Band. Verlag yon Gustav Fischer- 
Jena. Enthaltend: „Beiträge zur Bekämpfung der Ankylostomiasis"; von 
Dr. Dieminger (0,60 Mk.). „Die Verbreitung der Lepra in Deutschland 
und den deutschen Schutzgebieten"; yon Prof. Dr. M. Kirchner(0.60 M.); 
„üeber die Tagesbeleuchtung der Schulzimmer; von Med.-Rat Dr. M. M o r i t z 
(0,60 M.). „üeber Typhusscbutzimfnngen"; yon Prof. Dr. Gaffky, Prof. Dr. 
W. Kolle, Stabsarzt Dr. H etsch u. Stabsarzt Dr.Kutscher. „Die Ty¬ 
phusepidemie in Ems während des Sommers 1904*; von Dr. Petschull 
(1,50 Mk). 

Kobert, Prof Dr.: „Üeber Giftfische und Fischgifte“. Gr. 8°, 36 S. Verlag 
von Ferdinand Enke in Stuttgart. Preis: 1 Mk. 

Kobrak, Dr. E., Kinderarzt, Berlin: „Aerztlicher Wegweiser durch das Säug- 



886 Neu eingegwgeue Büchfr. 

lingsalter fflr jupge Matter.“ 154 S. Verleg ypp M. Liiienthal- 
Berlin. Prpis: 8 Mk. 

Bepkeu, C., Apotheker: „Pie Apothekengesetzgebung“. EL 8,*, 64 S. Selbst¬ 
verlag de* Deutschen Apotheker-Vereins; Berlin. 

Lignitz, y., General der Infanterie: „Zar Hygiene des Krieges“. 103 S. 
Verlag von E. 8. Mittler & Sohn. Preis: 1,60 Mk. 

Martin, Pr. Max: „Die Anästhesie in der ärztlichen Praxis“. Gr. 8°, 35 S. 
I. F. Lehiqanns Verlag, München. Preis: I Mk. 

Manse, Dr. Carl, Cassel: „Handbuch der Tropenkrankhejten“. I. Band, mit 
124 Abbildungen. Gr. 8°, 364 S. Verlag yon J. Ambrosius B a r t h - Leipzig. 
Preis: brosch. 12 Mk., geb. 13,20 Mk. 

Meyers Großes Konversationslexikon. Sechste gänzlich neubear¬ 
beitete und vermehrte Auflage. Verlag des Bibliographischen Instituts in 
Leipzig und Wien. Band VIII und IX. 

Nickel, Dr., Kreisarzt in Perleberg: „Die Gesundheitspflege auf dem Lande“. 
Veröffentlichungen des Deutschen Vereins für Volkshygiene. Heft VIL 
Kl. 8“, 65S. Verlag von B. Oldenburg, München u. Berlin. Preis : 40 Pt 

Oehmke, Th., Keg.- und Baurat a. D.: Ueber Luft und Lüftung der Woh¬ 
nung und verwandte Fragen“. München u. Berlin. Verlag von B. Olden¬ 
burg. Gr. 8°, 35 S. Preis: 0,60 Mk. 

Bumpf, Dr. E., Heilstätte Friedrichsheim: „Merkbüchlcin für den Lungen¬ 
kranken in der Heilstätte. Kl. 8°, 99 S. Verlag der Badischen Landcs- 
zcitung in Karlsruhe i./ß. Preis: 10 Pf. 

Schottelius, Prot Dr., Freibarg i./B.: „Bakterien, Infektionskrankheiten und 
deren Bekämpfung“. Bibliothek der Gesundheitspflege; Bd. 2. Kl. 8®, 
237 S. Verlag vonE. H. Moritz-Stuttgart. Preis: brosch. 2,50, geb. 3 M. 

Schubert, Dr. Paul, Hofrat, Nürnberg; „Das Schularztwesen io Deutsch¬ 
land“. Hamburg und Leipzig 1905. Verlag von Leopold Voß. Kl. 8°, 
163 S. Preis: 2,50 Mk. 

Spude, Dr. H., Arzt in Pr. Friedland: „Die Ursache des Krebses und der 
Geschwülste im allgemeinen“. Gr. 8°, 90 S. Verlag von Gose und Tetz- 
1 aff-Berlin. Preis: 2 Mk. 

Starck, Prof. Dr. Hugo, Heidelberg: „Die direkte Besichtigung der Speise¬ 
röhre. Oesophagoskopie“. Gr. 8®, 219 S. A. Stübers Verlag in Würz¬ 
burg. Preis: brosch. 7 Mk., geb. 8 Mk. 

Stoll, Dr. Hans, Bad Nauheim: „Alkohol und Kaffee in ihrer Wirkung auf 
Herzleiden und nervöse Störungen“. Kl. 8°, 29 S. Verlag des Beichsmedi- 
zinalanzeigers, Leipzig. Preis: 0,50 Mk. 

Sturm, Dr. A., Justizrat: „Die strafbaren Unterlassungen, insbesondere die 
fahrlässigen Unterlassungen der Aerzte, Heilkünstler, gewerbsmäßigen 
Gesundbeter und Kurpfuscher“. Gr. 8°, 52 8. Carl Hey manns Verlag in 
Berlin. Preis: 1 Mk. 

Vogl, Dr. Anton v., Generalstabsarzt z. D.: „Die wehrpflichtige Jugend 
Bayerns“. Gr. 8°, 96 Seiten. J. F. Lehmanns Verlag, München. Preis 
2,80 Mk. 

Walther, Prof. Dr. Heinrich, Gießen: „Leitfaden zur Pflege der Wöchnerinnen 
und Neugeborenen“. Zweite Aaflage. Kl. 8°, 161 8. Verlag von J. F. 
Bergmann-Wiesbaden. Preis: 2,40 Mk. 

Zuckerkandl, Dr. Otto, Wien: „Atlas und Grundriß der chirurgischen 
Operationslehre*. Mit 46 farbigen Tafeln und 309 Abbildungen im Texte. 
498 8. J. F. Lehmanns Verlag in München. Preis: geb. 12 Mk. 


Notiz. 

Der Herausgeber dieser Zeitschrift lat vom IL Val hfl Ende 
Juni Infolge einer amtlichen Studienreise nach Dänemark und 
Mohweden verreist. Postsachen werden ihm ayrw riaohgesohlokt, 
die Absender müssen Jedoch entschuldigen, wenn die Antwort 
auf Briefs und sonstige Anfragen unter giesen Umständen 
später als sonst erfolgt. Rpd. 

Verantwortl. Redakteur: flr pap mu n d, Bug.* U- Geh- ps^.-pajt in Minden L W. 
J e. c. anss. HsnogL mm*. *. j. in tunkte- 



18. Jihrg. 


1905. 


Zeitschrift 

für 

MEDIZINALBEAMTE. 


MnlMstt IBr geiicktlide l«4izii u4 Psychiatrie, 
fr inffiche Saehrentiidigentitigkeit ia Unfall- nd InvaliditatesacbeB, sowie 
fr Ijm offntL Saaftitewecea, Medizin] - foetigebiiog u4 Mtepreehnig. 

Herausgegeben 

TOB 

Dp. OTTO RAPMÜND, 

mild Oth. Madldiilnt im Mindern. 


Verlag von Fischer s mediz. Buchhandlg, H. Kornfeld, 

HanogL Bayer- Hof- u. Erxbenogl. Kammar-Bnohhindlar. 

Berlin W. 35, Lützowstr. 10. 


Inamlt 


<Un 


VoriaphaBdluc sowie nDe Annonoen- Expeditionen des In- 
mnd Anstande» entfegen. 


Nr. 11. 


Knekelat 


1. u« 15. Jeüea Moitto. 


1. Juni. 


Aerztiiche Gutachten bezüglich Wiederaufhebung einer 

Entmündigung. 

▼on Dr. Carl Becker in München. 

Das nachstehende Gutachten betrifft einen einfachen and 
; Umliegenden Fall von Geistesschwäche. Es ist vielleicht nicht 
nungebracht, anstatt eines besonders interessanten und schwierigen 
auch einmal , ein solches za veröffentlichen, da gerade derartige 
Fälle häufiger an den ärztlichen Sachverständigen herantreten 
nd Ton ihm zn begntachten sind. Den eigentlichen Anlass zu 
hr Veröffentlichung gab mir aber der nachstehende Bericht über 
tie8itznng der Aerztekammer für Hannover im II. Jannar-Heft 
fa ärztlichen Vereinsblattes: 

Einem psychopathisch erblich schwer belasteten, an klassischer Paranoia 
Mttden and deshalb entmündigten Manne wurde zwecks Aufhebung der Ent- 
■tsdignng Ton drei Aerzten bestätigt, daß er geistig völlig normal nnd dis- 
. jcöüoMfähig sei Das Regierungspräsidium in Lünebarg leitete die Gutachten 
u tie Aerztekammer mit folgendem Begleitschreiben: „Es unterliegt keinem 
jfoifel, daß solche ohne Kenntnis der einschlägigen Verhältnisse lediglich anf 
i j*tud einer einmaligen Untersuchung and einer mehr oder weniger langen 
. Dttenedung abgegebenen Bescheinigungen über die geistige Gesundheit eines 
| jtaudien mindestens ungenaa, meistens anzutreffend oder falsch sein müssen, 
ja Wert ärztlicher Gutachten, auch den Gerichten gegenüber, bedenklich 
tabdrlcken, das Ansehen des ärztlichen Standes schädigen, die vielfach 
»Brechenden Zweifel über die Rechtssicherheit bei Entmündigungen verstärken 
ad den Entmündigten im Kampfe gegen das vermeintliche Unrecht zu fort* 

( patzten Eingaben and Beschwerden veranlassen and überhaupt nicht zur 
Am kommen lassen. Indem ich voraussetze, daß die Aerztekammer meine 
Aafasug teilt, stelle ich ergebenst anheim, die Aerzte des Kammerbezirkes 
5* daa Bedenkliche und Unzulässige solcher Bescheinigungen hinzuweisen.“ 
i üs * Aerztekammer beschloß einstimmig, an alle Aerzte der Provinz unter 











338 


Dr. Becker. 


Bezugnahme auf den vorliegenden Fall die Mahnung zu richten, sich in ähn¬ 
lichen Fällen der allergrößten Vorsicht und Gründlichkeit zu befleißigen. 

Diese Vorsichtsmassregel ist auch in dem von mir berichteten 
Falle ansser Acht gelassen worden. Wäre dem nach einer ein¬ 
maligen kurzen Unterredung aasgestellten, aber gleichwohl mit 
apodiktischer Sicherheit ohne jegliche Begründung abgefassten 
Gutachten entsprochen und die Entmündigung wieder aufgehoben 
worden, so wäre das Vermögen der betreffenden Person jetzt 
sicher verschleudert und sie selbst würde über kurz oder lang 1 
die Unterstützung der Armenpflege beanspruchen müssen. 

Es dürfte daher angebracht erscheinen, einige Bemerkungen 
über die ärztlichen Zeugnisse bei Wiederaufhebung einer 
Entmündigung vorauszuschicken; das Entmündigungsverfahren 
selbst soll hier unbesprochen bleiben. 

Nach § 6 des Bürgerlichen Gesetzbuches kann entmündigt 
werden, wer infolge von Geisteskrankheit oder von Geistesschwäche 
seine Angelegenheiten nicht zu besorgen vermag. Die Entmün¬ 
digung ist wieder aufznheben, wenn der Grund der 
Entmündigung wegfällt. Das formelle Verfahren regelt 
sich nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung: 

Die Wiederaufhebung der Entmündigung erfolgt auf Antrag des Ent¬ 
mündigten oder desjenigen gesetzlichen Vertreters des Entmündigten, welchem 
die Sorge für die Person zusteht, oder des Staatsanwalts durch Beschluß des 
Amtsgerichts (§ 675). Der Antrag soll die Angabe der ihn begründenden 
Tatsachen und die Bezeichnung der Beweismittel enthalten (§ 647). Das Ge¬ 
richt kann vor der Einleitung des Verfahrens die Beibringung eines 
ärztlichen Zeugnisses anordnen (§ 649). Das Gericht hat unter Be¬ 
nutzung der in dem Antrag angegebenen Tatsachen und Beweismittel von 
Amtswegen die zur Feststellung des Geisteszustandes erforderlichen Ermit¬ 
telungen zu veranstalten und die erheblich erscheinenden Beweise aufzunehmen. 
Zuvor ist dem Entmündigten Gelegenheit zur Bezeichnung von Beweismitteln 
zu geben, desgleichen demjenigen gesetzlichen Vertreter, welchem die Sorge für 
die Person zusteht, sofern er nicht die Entmündigung beantragt hat (§ 653). 
Der Entmündigte ist p ers önlich unter Zuziehung eines oder 
mehrerer Sachverständigen zu vernehmen; die Vernehmung darf 
nur unterbleiben, wenn sie mit besonderer Schwierigkeit verbunden oder nicht 
ohne Nachteil für den Gesundheitszustand des Entmündigten ausführbar ist 
(§ 654). Die Wiederaufhebung der Entmündigung darf nicht 
ausgesprochen werden, bevor das Gericht einen oder mehrere 
Sachverständige über den Geisteszustand des Entmündigten 
gehört hat (§ 655). Dagegen kann nicht, wie bei dem Entmündigungsver¬ 
fahren (g 656) eine Beobachtung in einer Heilanstalt angeordnet werden. 

Tritt an einen Arzt das Ersuchen heran, einem Entmündigten 
behufs Beantragung der Wiederaufhebung der Entmündigung ein 
Zeugnis über seine geistige Gesundheit auszustellen, so muss er 
sich vor allem vergegenwärtigen, dass der Entmündigungs bereits 
ein abgeschlossenes, peinlich genau vorgeschriebenes Verfahren 
vorausgegangen ist, in dem ein oder mehrere Sachverständige ihr 
Gutachten über den Geisteszustand abgegeben haben. Schon die 
Kenntnis dieser gesetzlichen Vorschriften und die Achtung vor 
den früheren sachverständigen Gutachten müssten ihn zu einer 
gewissen Vorsicht mahnen und ihm zu bedenken geben, dass 
unter Umständen seine Aufgabe schwieriger und verwickelter sein 
kann, als bei der Einleitung des Entmündigungsverfahrens. Denn 



Aentliche Gutachten bezüglich Wiederaufhebung einer Entmündigung. 839 

er hat nicht nur in negativem Sinne festzustellen, dass an dem 
Untersachten jetzt nicht mehr eine Geisteskrankheit oder Geistes¬ 
schwäche nachzuweisen ist, infolge deren er seine Angelegenheiten 
nicht zu besorgen vermag, sondern er hat auch in positivem Sinne 
sich bestimmt dahin auszusprechen, dass der Grund der Ent¬ 
mündigung in Wegfall gekommen ist. Dies kann er aber nur 
ton nach einer genauen Kenntnis des früheren Krankheitszustandes; 
es muss daher vor allem dringend empfohlen werden, 
niemals ein Zeugnis behufs Einleitung des Wieder¬ 
aufhebungsverfahrens auszustellen, ehe man sich 
nicht durch Einsichtnahme der Akten über den frü¬ 
heren Erkrankungszustand eingehend informiert hat. 
Die Nichtbefolgung dieser einfachen Vorsichtsmassregel führt, wie 
das obige Beispiel wiederum zeigt, nicht selten dazu, dass offen¬ 
bar noch geisteskranken Personen Gesundheitszeugnisse aus¬ 
gestellt werden. Das Studium der Akten macht darüber klar, 
welche Krankheitsform früher vorlag, ob es sich nur um eine 
vorübergehende, heilbare Störung oder um einen schweren, nach 
allgemeiner Erfahrung länger dauernden und zu Rückfällen neigen¬ 
den Krankheitszustand handelte; es behütet daher den Arzt davor, 
die Angaben des Entmündigten über seine Genesung oder die der 
Angehörigen, die oft weniger aus falschem Mitleid als, wie im 
nachstehenden Falle, aus Egoismus das Verfahren betreiben, ohne 
weiteres zu akzeptieren, veranlasst ihn demgemäss zu einer 
schärferen Prüfung des gesamten psychischen Verhaltens und 
lässt ihn Remissionen oder Dissimulationen der Krankheitserschei- 
nnngen weniger leicht übersehen. 

Bekanntlich kann es bei einer nur einmaligen Beobachtung 
meist leichter gelingen, eine geistige Störung nachzuweisen, als 
die geistige Gesundheit festzustellen. Um letztere bestimmt be¬ 
haupten zu können, wird niemals eine einzelne, wenn auch länger 
dauernde und eingehende Beobachtung genügen, sondern es ist 
eine wiederholte, zu verschiedenen Zeiten und unter verschiedenen 
Umständen vorzunehmende Untersuchung und eine genaue Ver¬ 
folgung des gesamten psychischen Gebahrens während eines 
längeren Zeitraumes geboten. Der Arzt, der den Entmündigten 
nicht schon länger in Beobachtung hatte, sollte sich daher nie¬ 
mals durch den Antragsteller, seine Angehörigen oder 
seinen Rechtsbeistand dazu drängen lassen, auf Grund 
einer einmaligen oder kurzen Beobachtung das Zeug¬ 
nis Uber geistige Gesundheit auszustellen; er sollte 
dies immer von einer länger dauernden eingehenden 
Prüfung abhängig machen. 

Hat sich der Arzt auf diese Weise von der Genesung des 
Erkrankten, von der Wiederherstellung seiner früheren psychischen 
Persönlichkeit und von dem Wegfalle der Entmündigungsgründe 
überzeugt, so soll er dies nicht in einem kurzen lapidaren Satze 
aussprechen, sondern er soll auch eingehend das psychische 
Verhalten des Entmündigten schildern und seine 
Schlussfolgerungen wissenschaftlich begründen; denn 



340 


Dr. Becker. 


nur hierdurch erlangt sein Gutachten einen Wert und die ge- 
bohrende Berücksichtigung, wenn es dem Bichter, der die Wieder- 
authebung der Entmündigung zu beschlossen und die für die 
Ueberzeugung leitend gewesenen Gründe in dem Urteil anzugeben 
hat, einerseits eine freie Beweiswürdigung ermöglicht, anderseits 
auch ihn von dem Wegfall der Entmündigungsgründe zu über¬ 
zeugen vermag. 

Ich lasse nun nachstehend mein Gutachten im Wortlaute 
folgen und möchte nur noch beifügen, dass der Antrag auf Wieder¬ 
aufhebung der Entmündigung von einem in psychiatrischen Fragen 
nicht unbewanderten Rechtsanwälte gestellt war. Bei der späteren 
Vernehmung der Entmündigten, wozu ich als Sachverständiger 
zugezogen war, hatte ich noch Gelegenheit, durch weitere Fragen¬ 
stellung und Proben die geistige Schwäche und die leichte Be¬ 
stimmbarkeit der betreffenden Person dem Amtsrichter darzulegen. 
Der Antrag auf Wiederaufhebung der Entmündigung wurde 
daraufhin durch Gerichtsbeschluss abgelehnt. 

Die Priyatiere N. N., geb. den 4. Februar 1856, welche durch Beschluß 
des KgL Amtsgerichtes J. vom 27. Oktober 1893 entmündigt worden ist, hat 
unterm 6. April 1901 durch Bechtsanwalt Dr. A. Antrag auf Wiederaufhebang 
der Entmündigung gestellt und hat ein Zeugnis des praktischen Arztes Dr. K. 
vom 28. Mai 1901 yorgelegt, wonach sie yon ihm untersucht und geistig voll¬ 
kommen normal befunden wurde. 

Zufolge Auftrages des Kgl. Amtsgerichtes München IL habe ich heute 
die N. eingehend beobachtet und erstatte hierüber nachstehendes Gutachten: 

Die N. gibt auf alle Fragen prompt Antwort, spricht deutlich und laut, 
zeigt immer heiteres Temperament und lacht bei jeder Gelegenheit. 

Mach ihrer Stellung befragt, gibt sie an, früher in H. bedienstet ge¬ 
wesen zu sein. Dort habe ihr der Pfarrer von B. zugeredet, sie solle ihr Geld 
der Kirche vermachen, sie sei noch jung und ledig und brauche kein Geld; 
sie habe aber erklärt, Bie brauche das Geld für sich und gebe keines her. 
Anch der dortige Bürgermeister habe verlangt, sie solle 200 Mark für die 
Kirche hergeben, das habe sie gleichfalls verweigert; deshalb und weil sie sich 
von ihrem JJienstherrn nicht fleischlich benutzen ließ, sei sie bei den Leuten 
als eine schlechte Person hingestellt und geschlagen worden, so daß sie krank 
war und den Dienst aufgeben mußte. Gegenwärtig stehe sie bei L. in C. in 
Dienst und erhalte 8 Mark Lohn im Monat; sie könne waschen, kochen und 
putzen. Daß sie entmündigt sei, wisse sie erst seit 6 Jahren. Das hätte es 
nicht gebraucht, weil sie ihren Verstand habe, ihre Kleider selber kaufen und 
machen lassen könne. Der damalige Amtsrichter habe sie gar nicht gefragt 
und habe ihr Geld gleich mit dem ihrer Schwester zusammengetan; letztere 
sei damals auch entmündigt worden und später in der Blödenanst&lt gestorben. 
An die Aufhebung der Entmündigung habe sie bisher nicht gedacht, aber ihre 
Base (Schwester der Mutter), Frau P. in G., habe ihr zugeredet, die Entmün¬ 
digung aufheben zu lassen, habe sie auch zum Anwalt geschickt und die 
Kosten für denselben vorgeschossen. Die Base habe ihr auch erklärt, das 
leide sie nicht, daß es so bleibe wie bisher; sie sei alt genug, könne ja das 
Geld zählen und müsse das Geldbüchel selbst in die Hand kriegen; das wäre 
ja dumm, wenn das Geld in B. bliebe, das sei überhaupt ein Dreck, daß sie 
entmündigt sei. Auch lasse die Base sie nicht mehr fort, denn in B. habe 
man sie aushungern wollen, blos um ihr Geld zu bekommen. Eine Vormund¬ 
schaft brauche sie nicht, denn sie sei schon 46 Jahr alt und wolle sich auf 
dem Gericht nicht so dumm anschauen lassen. 

Ihr Vermögen bestehe in 4öü0 Mark Geld, einem Kleiderkasten, Klei¬ 
dern und Schürzen. Wo das Geld angelegt sei, wisse sie nicht, man habe ihr 
gesagt, beim Baiffeissen-Verein. Zinsen habe sie noch keine bekommen, die 
kämen immer wieder dazu; die Base habe gesagt, es seien 200 Mark Zinsen, 
das sei ein schönes Häuf! Geld, wenn man darüber nachdenke. Sie wolle, daß 



Aerztliche Gutachten bezüglich Wiederaofhebong der Entmündigung. 841 


das Geld Ton J. nach M. komme, und daß sie damit machen könne, was sie wolle; 
sie müßte das Büchl selbst in die Hand bekommen, damit sie sich davon Geld 
nehmen könne, wenn sie alt sei und nichts verdienen könne. Die Base habe 
zu ihr gesagt, so lange sie gesund sei, dürfe sie noch arbeiten, wenn sie aber 
krank sei, solle sie nnr zu ihr kommen, sie werde gepflegt, bis sie sterbe, und 
bekäme auch die Leiche und den Grabstein bezahlt. 

Gefragt, was sie nach Aufhebung der Entmündigung vorhabe, erklärte 
sie, sofort ein Testament machen zu wollen: ihrem Bruder vermache sie 
200 Mark, mehr nicht; sie sei ihm nicht böse und habe ihm von ihrem Arbeite* 
Verdienste nach und nach 60 Mark geschenkt, aber wenn sie kein Testament 
mache, bekäme das Geld ihr Bruder, der sei aber verheiratet und brauche es 
nicht. Auch der Kirche vermache sie nichts, außer wenn es die Base meinte; 
denn das würde diese beleidigen, wenn sie es ohne ihren Willen täte. Aus 
ihrem Vermögen sollten außer den 200 Mark für den Bruder die Verpflegungs- 
kosten, die Leiche und der Grabstein bezahlt werden, alles übrige solle die 
Base bekommen; ihren Bruder gehe das nichts an. Auch wenn dieser sich 
bereit erkläre, sie später zu verpflegen, traue sie ihm nicht; sie traue nur der 
Base. Heiraten hätte sie schon oft können, oft auch schon reiche Männer, 
weil sie zu allen Arbeiten geschickt sei; aber jetzt möge sie nicht mehr, sie 
bleibe bei der Base. Wenn sie die Base nicht hätte, wüßte sie nicht, wie sie 
leben solle; sie müsse zu ihrem Fortkommen jemand haben. 

In gesundheitlicher Beziehung gibt sie an, sich immer wohl und arbeits¬ 
fähig zu fühlen. Eine schwere Arbeit könne sie nicht verrichten, sie wisse 
nicht warum; sie könne nur eine leichte Stolle annehmen. Zum Himmel deu¬ 
tend erzählt sie lachend, wenn ein Gewitter am Himmel stehe, bekomme sie 
Kopfweh und Brechreiz; der Kopf sei wie verschlagen, man glaube es gar 
sieht, daß so etwas vorkomme. Bier könne sie nicht vertragen; ein Quartel 
gehe noch, aber eine Halbe mache ihr den Kopf heiß und durcheinander. 

Auf die Frage, was die Entmündigung bedeutet, antwortet sie, daß man 
kein Geld kriege, sich immer erst eines geben lassen müsse und kein Testament 
machen dürfe. 

Von Zinsen weiß sie nur, daß es 3 und 4°/o gibt, mehr nicht; die Base 
hätte gesagt, in M. bekäme sie 4 Prozent. Wieviel 100 Mk. Zinsen tragen, 
weiß sie nicht; da stelle sie sich dumm an, das habe sie noch nicht aus¬ 
gerechnet. Wie viel Zinsen ihr Vermögen ergebe, wisse sie erst recht nicht; 
ne habe gehört von 200 Mk., ob es wahr ist, wisse sie nicht; beim Dienen 
müsse man arbeiten, da könne man nicht rechnen. 

Eine Uhr habe sie einmal gehabt, die habe ihr ein Knecht gestohlen; sie 
kaufe sich aber wieder eine. Auf der vorgezeigten Taschenuhr erkennt sie 
den großen und kleinen Zeiger, mit dem Sekundenzeiger kennt sie sich nicht 
aus. Die Uhr steht auf 10*/* Uhr; sie gibt die Zeit richtig an; nun rücke 
ich vor ihren Augen die Zeiger auf 4 Uhr und frage wieder, wieviel Uhr es 
jetzt ist. Da fängt sie laut an zu lachen, jetzt sei sie ganz dumm, wie gehe 
denn nur diese Uhr, das laufe gerade umeinander, ach Gott, sie sei ein EseL 
Sie kann die Zeit nicht ablesen; als ich ihr sage, die Zeiger ständen auf 4 Uhr, 
schaut sie ganz erstaunt zum Himmel empor, ob es denn schon so spät sein könne, 
sie habe versprochen, um 12 Uhr zu Hause zu sein; der Sohn der B. wolle 
mittags fortgehen, nun warte er zu Hause auf sie, da müsse man gerade lachen. 

Vorgelegte Geldstücke zählt sie mit Ausnahme eines Talers, den sie 
wiederholt für ein Fünfmarkstück erklärt, richtig, unter lautem Lachen und 
mit Befriedigung über ihre Geschicklichkeit. Die Base probiere oft das Geld¬ 
zählen mit ihr und da bringe sie es immer fertig. 

Ich lege ihr Briefmarken vor und frage, was das sei; sie sagt, so was 
habe sie schon einmal geholt; Wapperln (gemeint sind Invalidenmarken) seien 
es nicht, sie stelle sich dumm an, das Wort käme ihr nicht ins Maul. Beim 
nennen des Wortes „Briefmarken* ruft sie mit lauter Freude: „Ja, das ist’s 
und nit in den Kopf gekommen.“ Den verschiedenen Wert der einzelnen Brief¬ 
marken kennt sie nicht, alle kosten nach ihr 10 Pfennig. 

Ein Eisenbahnbillet erkennt sie nicht; als ich ihr sagte, was das sei, 
lachte sie; manchm al sei man gar viel zu dumm, auch wenn man gleich 
alles weiß. 

Lesen tue sie gerne, wenn ich ihr etwas zum Lesen geben wolle, müsse 



842 Dr. Angerer: Die Schularztfrage in besonderer Beziehung 

sie lachen, das geniere sie nicht; ans einer Zeitnng liest sie sehr langsam, die 
einzelnen Worte bnchstabierend und falsch aassprechend. Beim Bechnen sei 

sie auch dabei, das mache ihr nichts, da lache sie dazu. Also 6 + 4 = ? 

Antwort: „36“. 7 X 4 = ? Antwort: „76 oder 66“. 6X7 = ? „Wieder 66“. 

100 — 10 ? „10“. 12 4-12 = ? „Da muß ich erst studieren, das geht nicht 

so geschwind, das maß ich aasrechnen.“ Anfgefordert, das anf dem Papier 
ansznrechnen, schreibt sie die Ziffern untereinander, zählt zuerst die Zehner, 
dann die Einer znsammen and schreibt hin: „20“. Das Bechnen falle ihr 
schwer, aber wenn sie einmal hineinkomme, gehe es schneller. Beim Anfertigen 
der beiliegenden Schriftstücke äußert sie, es gehe ihr yon der Hand, besser 
als sonst; sie stelle sich überhaupt nicht dumm an. 

„Wie heißt der König von Bayern?“ Auf diese Frage antwortete sie, 
„das wisse sie nicht, da habe sie nicht aufgepaßt, da müsse sie sich aaslachen 
lassen“. Beim Nennen des Prinzregenten meint sie, von dem habe sie schon 
einmal gehört, aber auch nicht aufgepaßt; vom Deutschen Kaiser wisse sie 
auch nichts. Daß wir in Bayern wohnen, München die Hauptstadt ist, Bayern 
einige Kreise hat, jetzt Sommer und der Monat Juni ist, weiß sie; auch das 
Vaterunser and einige andere Gebete kann sie hersagen. Die Preise der Lebens¬ 
mittel gibt sie ungefähr richtig an. In München kenne sie sich gut ans, sie 
habe allein den Weg hergefunden and gehe auch allein nach Hanse. Die 
Frauentürme, deren Bild ich ihr zeige, sind ihr anbekannt. 

Aas vorstehenden Beobachtungen ergibt sich mit Sicherheit, 
dass die N. an einem beträchtlichen Grade von Schwachsinn leidet. 
Derselbe ist nicht gerade so hochgradig, dass sie nicht die Stelle 
einer bäuerlichen Dienstmagd versehen und sich in einer solchen, 
keine besondere geistige Tätigkeit erfordernden Stellung gut fort¬ 
bringen könnte. Jedoch steht sie hinsichtlich ihrer geistigen 
Fähigkeiten weit hinter den Bauerntöchtern und Dienstboten 
zurück. Ihre Interessen sind nur den nächsten Bedürfnissen zu¬ 
gewendet und in ihrer Gehirntätigkeit werden nur die einfachsten 
Begriffe verarbeitet, ihre Schulkenntnisse stehen auf niederster 
Stufe. Ihre Beziehungen zur Aussenwelt haben sich bisher ein¬ 
fach gestaltet; grösseren Anforderungen, insbesondere auch schon 
solchen, wie sie an städtische Dienstboten gestellt werden, würde 
sie nicht gewachsen sein. Insbesondere erscheint sie auch nicht 
befähigt, ihre pekuniären Angelegenheiten selbständig und richtig 
zu führen und ihre Interessen wahrzunehmen. Dabei ist auch zu 
beobachten, dass ein Nachteil nicht sowohl aus ihren selbst¬ 
gewollten Handlungen als aus ihrer leichten Bestimmbarkeit und 
hierdurch ermöglichten Ausbeutung erwachsen kann. Demgemäss 
geht das Gutachten dahin, dass die Gründe, welche die frühere 
Entmündigung veranlassten, nicht in Wegfall gekommen sind, und 
dass die N. infolge von Geistesschwäche ihre Angelegenheiten 
nicht zu besorgen vermag. 


Die Schularztfrage in besonderer Beziehung zur amtlichen 
Tätigkeit der Bayer. Bezirksärzte. 

Von Dr. Ernst Angerer, königl. Bezirksarzt in Weilheim i. Oberbayern. 

Seit einer Reihe von Jahren macht sich in allen Kultur¬ 
staaten eine mächtige Bewegung zu einer ausgedehnteren Be¬ 
tätigung der Schulhygiene bemerkbar. Diese Bewegung hat 
ihren Ursprung sicherlich nicht darin, dass die hygienischen Ver- 



zur amtlichen Tätigkeit der Bayerischen Bezirksärzte. 


343 


hältnisse unserer Schulen sich verschlechtert haben, sondern zu¬ 
nächst darin, dass mit der Zunahme und Ausbildung der medi¬ 
zinischen Wissenschaft die Erkenntnis der Krankheitsursachen 
und damit die Anforderungen an die Hygiene sich bedeutend ge¬ 
steigert und vermehrt haben. 

Der erste internationale Kongress für Schulhygiene, der unter 
ausserordentlicher Anteilnahme aller Kulturstaaten im verflossenen 
Jahre in Nürnberg tagte, hat die überraschende Tatsache zur 
allgemeinen Kenntnis gebracht, dass diese Bewegung in ausser- 
deutschen Ländern schon viel grössere und bedeutendere Erfolge 
erzielt hat; sie hat insbesondere gezeigt, dass Staaten, welche man 
erst seit kurzer Zeit zu den Kulturstaaten zu zählen berechtigt 
ist, in schulhygienischer Hinsicht die grössten Erfolge zu ver¬ 
zeichnen haben. 

In Bayern ist die ärztliche Beaufsichtigung der Schule schon 
seit langer Zeit behördlich angeordnet. So bestimmt bereits das 
organische Edikt vom 8. September 1808, dass die Gerichtsärzte 
auf die Schule eine besondere Aufmerksamkeit zu richten haben. 
Diese generelle Bestimmung über ärztliche Schulaufsicht wurde im 
Laufe der Zeit durch eine Reihe weiterer Verordnungen und 
Ministerialentschliessungen ergänzt, welche alle teils die Hygiene 
des Schulhauses, teils die Hygiene der Schüler betreffen. In der 
Ministerialentschliessung vom 16. Januar 1867, „Gesundheitspflege 
in den Schulen betreffend“, ist dann in einer für die damalige 
Zeit geradezu überraschenden Vollständigkeit das geschaffen worden, 
was man jetzt an anderen Orten als Dienstanweisung für beson¬ 
ders angestellte Schulärzte aufgestellt hat. Die Entschliessung 
beginnt mit folgenden Worten: 

„Es ist eine unleugbare Tatsache, dass der Aufenthalt in der Schule bei 
dem verstärkten Umfange der Lehrgegenstände und bei dem fttr die Aneignung 
derselben erforderlichen größeren Zeitaufwande nicht selten auf die körperliche 
Entwicklung und Ausbildung, sowie auf die Gesundheit der Schuljugend einen 
nachteiligen Einfluß ausübt. Um den bestehenden Mängeln und Gebrechen ab- 
mhelfen und die wünschenswerte Verbesserung herbeizuführen, sieht sich das 
unterfertigte Staatsministerium zu folgenden allgemeinen Anordnungen veranlaßt“. 

Es folgen nun genaue Vorschriften über die zweckmässige 
bauliche Aufführung von Schulhäusern, über Beleuchtung, Be¬ 
heizung und Lufterneuerung in den Schulzimmern, über die Kon¬ 
struktion und Stellung der Schulbänke und der sonstigen Ein¬ 
richtungsgegenstände, sowie über die Herstellung geeigneter Ab¬ 
ortanlagen. 

Es wird besonders angeordnet, dass über die bis jetzt an¬ 
geführten Punkte die König!. Bezirksärzte die etwaigen Gebrechen 
in Banitätspolizeilicher Beziehung den zuständigen Lokalbehörden 
zur geeigneten Abhilfe oder, wenn diese eine solche Abhilfe zu 
leisten nicht imstande sein sollten, den Königl. Kreisregierungen zur 
angemessenen Verfügung zur Anzeige bringen sollen. Es wurde 
weiter angeordnet, dass bei Errichtung neuer oder bei Erweiterung 
nnd Reparatur bereits bestehender Schulhäuser die Bezirksärzte 
den Anforderungen der Gesundheitspflege eine vorzügliche Auf¬ 
merksamkeit zu widmen haben und stets mit ihren Erinnerungen 



844 Dr. Anger er: Die Schol&ntfr&ge in besonderer Bestehung 

hiezu zu yernehmen sind. Zu diesen Untersuchungen soll auch ein 
gehörig 'gebildeter Bautechniker zugezogen werden, der dem 
Bezirksarzt mit seinen Kenntnissen und Erfahrungen zur Seite 
zu stehen hat. 

Ausser diesen bauhygienischen Vorschriften sind auch Be¬ 
stimmungen getroffen über Reinigung und Ueberfüllung der Schul¬ 
klassen, gesundheitsgemässe Bekleidung der Schiller, über 
ärztliche Beurteilung zum Schulbesuche körperlich und geistig 
noch nicht reifer Kinder, dann über angemessene Steigerung des 
Unterrichtes, Vermeidung der Ueberanstrengung der Kinder, ge- 
sundheitsgemäs8e Körperhaltung derselben, Vorschriften zur Scho¬ 
nung der Augen, Vorschriften über körperliche Uebungen, Turnen, 
Gartenbeschäftigung, Schülerausflöge. Zusammengefasst enthält 
also die Ministerialentschliessung vom 16. Januar 1867 allgemeine 
Vorschriften über die Hygiene des Schulhauses, über die Hygiene 
der einzelnen Schüler, über die Hygiene des Unterrichtes — genau 
das Programm, wie es jetzt an anderen Orten für die Dienstleistung 
neu geschaffener Schulärzte aufgestellt worden ist. 

Ueber die Ausführung dieser Vorschriften enthält der Schluss¬ 
satz der Entschliessung noch eine besondere Bestimmung in 
folgenden Worten: 

„Das unterfertigte Staatsministeriom vertrant dem Pflichteifer and der 
Einsicht der Schulbehörden and Lehrer, daß sie die körperliche nicht minder 
wie die geistige Pflege der ihnen an vertrauten Jugend zum Gegenstände ihrer 
unausgesetzten Sorgfalt machen und gewissenhaft bestrebt sein werden, den 
hier im Interesse des körperlichen Wohles und der Gesundheit der Jagend 
gegebenen Anordnungen in jeder Beziehung nachzukommen.“ 

Mit diesen Schlussworten wird auch den Lehrern und Schul¬ 
vorständen eine unausgesetzte hygienische Ueberwachung der 
Schüler zur Pflicht gemacht. 

Aus diesen Schiassworten will man 'auch heute noch von 
einer gewissen Seite für den Lehrer die Pflicht ableiten, die 
hygienischen Verhältnisse der Schule zu überwachen, verbindet 
mit dieser Pflicht von selbst auch das Können des Lehrers und 
behauptet, dass eine besondere schulärztliche Aufsicht weder 
notwendig, noch geboten sei. Für die damalige Zeit war man 
gewiss berechtigt, hinsichtlich wissenschaftlich hygienischer Kennt¬ 
nisse Lehrer und Arzt nahezu auf die gleiche Stufe zu steUen. 
Heutzutage aber verlangt die Durchführung einer rationeUen 
Schulhygiene umfassende Untersuchungsmethoden und gediegene 
Spezialkenntnisse in der Hygiene, welche nur durch eingehendes 
Studium der gesamten Medizin erworben werden können. Die 
meisten hygienischen und sanitären Uebelstände können ziemlich 
sicher durch eine verständige Beaufsichtigung der Schule und 
der Schüler sowie durch richtige Verwendung geeigneter Vor¬ 
kehrungen behoben und ferngehalten werden. Die rasche und 
entsprechende Wahl dieser Mittel setzt* jedoch eine richtige Er¬ 
kenntnis und Beurteilung der zu bekämpfenden [und abzustellenden 
Gebrechen und Mängel voraus. 

Nun beginnen die schädlichen Einflüsse der Schule nicht sofort, 



nir amtliehen Tätigkeit der Bayerischen Bezirksinte. 


846 


sondern häufig erst sehr spät; Gesundheitsstörungen sind für den 
Laien auch nicht immer leicht und rasch erkennbar, namentlich, 
wenn sie sich langsam entwickeln und in ihren ersten Erscheinun¬ 
gen nur unmerklich und schleichend zu Tage treten. Es gehört 
oft ein umfassendes technisches Wissen dazu, den Zusammenhang 
derselben mit bestimmten äusseren Einflfissen nachzuweisen und 
zu deuten. Einer Betätigung der Schulhygiene nach solchen Ge¬ 
sichtspunkten steht aber die grosse Mehrzahl der Lehrer kennt¬ 
nislos gegenüber. Dieses Wissen sowie die unerlässliche prak¬ 
tische Erfahrung besitzt nur der Arzt. — Es wird jedoch später 
noch erörtert werden, dass der Lehrer den fflr die Schulhygiene 
aulgestellten Arzt in seiner Tätigkeit unterstützen muss, dass 
dieser Arzt nur unter Mithilfe des Lehrers seine schulärztliche 
Tätigkeit zur vollen Wirksamkeit entfalten kann. Auch dieser Ge¬ 
sichtspunkt ist in der angezogenen Ministerialentschliessung zum 
Ausdruck gebracht in der Weise, dass Arzt, Lehrer und Schulvor¬ 
stand als die berufenen Förderer und Wächter der Schulgesund¬ 
heitspflege gemeinsam aufgestellt wurden. 

Es soll zunächst untersucht werden, inwieweit die amtlichen 
Aerzte — die Bezirksärzte — im Sinne obiger Entschliessung 
sich bisher an der Ausführung dieser schulhygienischen Vorschriften 
beteiligt haben und mit welchem Erfolge. Weiterhin soll unter¬ 
sucht werden, ob die bis heute erlassenen amtlichen Bestimmungen 
auch jetzt noch den Anforderungen der Schulhygiene entsprechen; 
desgleichen, ob die Ausführung derselben durch die hierzu ver¬ 
pflichteten Bezirksärzte geschehen kann, oder ob hierzu besondere 
Schulärzte erforderlich sind. 

L Die bisherige Tätigkeit des Bezirksarztes in der 
Schulhygiene: Neben den grundlegenden und allgemeinen 
Bestimmungen des organischen Ediktes vom£8. September 1808 
und der Ministerialentschliessung vom 16. Jauuar 1867, die Gesund¬ 
heitspflege in den Schulen betreffend, haben noch eine Reihe be¬ 
sonderer Verordnungen den Bezirksärzten spezielle Verpflichtungen 
in der Handhabung der Gesundheitspflege in den Schulen auferlegt, 
die sich nicht nur auf die allgemeine Hygiene des Schulhauses, 
sondern auch auf die Hygiene des Schülers und die Hygiene des 
Unterrichtes erstrecken. Die Haupttätigkeit des^ Bezirksarztes 
in der Ausübung der Schulhygiene bestand jedoch bisher lediglich 
in der Abgabe seines Gutachtens bei neu zu erbauenden Schul¬ 
häusern; er wurde hierzu amtlich aufgefordert und hatte in erster 
Linie den Bauplatz, dann den Baugrund^, für das"'zu erbauende 
Schulhaus zu besichtigen und weiter ein sachverständiges 
Gutachten über die Baupläne sowie” späterhin] über die zweck¬ 
mässige Einrichtung des Schulhauses abzugeben. Nach Fertig¬ 
stellung des Neubaues musste er denselben nochmals besichtigen, 
sich darüber äussern, ob das Haus in hygienischer Hinsicht dem 
Plane entsprechend gebaut und ob es soweit ausgetrocknet sei, 
dass dasselbe seiner Bestimmung^ ohne Schaden für die Gesund¬ 
heit nnn übergeben werden könne. Nach dieser Richtung haben 
stattliche Bezirksärzte ihre Fachkenntnis zweifellos mit vielem 



346 Dr. Angerer: Die 8chul&rztfrage in besonderer Beziehung 

Erfolge zur Anwendung gebracht; es wird kaum ein neugebantes 
Schalhaus bestehen, bei welchem nicht die Bezirksärzte den ban- 
hygienischen Anforderungen mit Erfolg Rechnung getragen haben. 

Eine weitere Tätigkeit bestand darin, dass die Bezirksärzte, 
wenn sie gelegentlich eines anderen Dienstgeschäftes, z. B. Impfung 
oder Untersuchung eines gemeingefährlichen Geisteskranken usw. 
in die Gemeinde kamen, dann auch dem Schulhause einen Besuch 
abstatteten und hierbei die allgemeinen sanitären Verhältnisse 
desselben einer Besichtigung unterzogen. Um den Unterricht nicht 
zu stören, wählte man zu solchen Besichtigungen in der Regel 
eine Zeit, wo gerade kein Unterricht gegeben wurde. Man besah 
sich das Lehrzimmer, dessen Reinlichkeit, kontrollierte, ob eine 
VentilationsVorrichtung vorhanden und im brauchbaren Znstande 
war, besah sich den Ofen und die Schulbänke, nahm das räumliche 
Ausmass der Schulzimmer vor und notierte sich die Anzahl der 
in diesem Schulzimmer untergebrachten Kinder. Man frag auch, 
wie viele Schüler dermalen krank seien und an welchen Krank¬ 
heiten. Dann besichtigte man den Abort, auch den Brunnen und 
schliesslich die Lehrerwohnung. Die sanitären Missstände wurden 
entweder in gesondertem Berichte oder als Gegenstand des Jahres¬ 
berichtes dem Königl. Bezirksamte oder der Königl. Kreisregierung 
mitgeteilt; doch musste man sich bei einer späteren Besichtigung 
überzeugen, dass die beregten Missstände nur selten beseitigt 
waren, sondern in der gleichen Weise fortbestanden. Die Nicht¬ 
beseitigung der Beanstandungen hat den Bezirksärzten das 
Interesse an der Schulhygiene nicht erhöht, zumal wenn es sich 
um Missstände handelte, die für die Gesundheit grosse Gefahren 
bedeuteten, deren Beseitigung aber mit ganz geringen Geldmitteln 
hätte erfolgen können. Besichtigte man einmal eine Schule während 
des Unterrichtes, so war der Bezirksarzt entsetzt über die schlechte 
Haltung der Kinder, welche zum Teil durch vollständig unge¬ 
eignete, der Körpergrösse des Kindes nicht im entferntesten an¬ 
gepasste Subsellien verursacht wurde; man machte dem Lehrer 
Vorstellungen über die herrschende Unreinlichkeit in der Schule, 
die schlechte Luft und übergrosse Wärme in den Schulzimmern. 
Die Entgegnungen des Lehrers Hessen erkennen, dass auch er 
mit diesen Zuständen nicht einverstanden, aber gegen dieselben 
ebenso machtlos war als der Bezirksarzt. 

Man bekam in allen Schulen den Eindruck, dass der Lehrer 
zunächst über den als zwecklos angesehenen, nur störenden Besuch 
nicht erfreut war, und dass er nur das eine Bestreben hatte, die 
Kinder mit dem vorgeschriebenen Lehrplan in Einklang zu bringen. 
Hin und wieder nahm ein Lehrer Gelegenheit, dem Bezirksarzt 
einen Schüler zu zeigen, der dem Bestreben, ihn mit dem Lehr¬ 
plan in Einklang zu bringen, den grössten Widerstand entgegen¬ 
setzte und der dem Lehrer bei der Prüfung jedenfalls kein Lob 
von der Schulbehörde eingetragen hatte. Schon die Augenfällig¬ 
keit körperlicher Abnormitäten überzeugte den Arzt, dass man es 
hier mit einem schwach begabten, geistig minderwertigen Kinde 
zu tun hatte; doch was konnte der Bezirksarzt hier ändern, solange 



rar amtlichen Tätigkeit der Bayerischen Bezirksamts. 847 

er nicht die Berechtigung besass, den Schulvorständen ein ausschlag¬ 
gebendes Urteil darüber abzugeben, wie weit dieser Schüler im 
Lehrplan gebracht werden kann und darf. Mit bedauerndem 
Achselzucken überliess man den Lehrer und seinen schwachsinnigen 
Schüler der ferneren Zukunft. 

Alle diese Schulbesichtigungen wurden wie gesagt in der 
Begel nur gelegentlich anderer Dienstgeschäfte ausgeführt; sonstige 
Scholen wurden nur besucht, soweit sie am Wohnsitze des Amts¬ 
arztes oder doch in nächster Nähe desselben sich befanden, so 
dass sie ohne besonderen Zeitverlust und ohne besondere Kosten 
erreicht werden konnten; denn für beides erhält der Bezirksarzt 
keine Entschädigung,.wenn er zur Besichtigung nicht einen direkten 
amtlichen Auftrag hat. Es gibt deshalb in jedem Bezirke Schulen, 
die mangels eines durch besondere Verhältnisse veranlassten Auf¬ 
trages Dezennien hindurch einer amtsärztlichen Besichtigung nicht 
unterzogen worden sind. Vielfach haben Bezirksärzte einmal 
während ihrer Amtstätigkeit in einem Bezirke ohne speziellen 
amtlichen Auftrag auf ihre eigenen Kosten, lediglich um einen 
Gesamtüberblick über die Schulen ihres Bezirks zu erhalten, die 
sämtlichen Schulen desselben einer genaueren amtsärztlichen Be¬ 
sichtigung unterstellt und diese höchst anerkennenswerten, Opfer 
an Zeit und Geld erfordernden Untersuchungen mehrfach schon 
veröffentlicht (Tischler, Waibel, Dreyfuss). Alle diese Unter¬ 
suchungen hatten das gemeinsame Ergebnis, dass die Schulen auf 
dem Lande insgesamt den Anforderungen der Gesundheitspflege 
nicht entsprechen; Dreyfuss-Kaiserslautern schliesst seinen 
Bericht über die von ihm angestellten Schuluntersuchungen im 
Bezirksamtssprengel Kaiserslautern mit folgenden Worten: 

„Ans den zahlreichen Mängeln, die wir konstatierten, geht zweifellos 
hervor, daß auch die ländlichen Volksschalen einer hygienischen beständigen 
Aufsicht nicht weniger bedürfen als die städtischen, und daß darum von ärzt¬ 
licher Seite mit allem Nachdruck die Forderung erhoben werden muß nach 
ländlichen Schulärzten“. 

Soweit die Verhältnisse auf dem Lande. 

Inwieweit sich die Bezirksärzte in den grossen Städten mit 
der Hygiene der Volksschulen beschäftigen, ist mir aus eigener 
Erfahrung nicht bekannt. Meine Erkundigungen hierüber haben 
jedoch ergeben, dass angesichts der vielen Schulen die Tätigkeit 
der Bezirksärzte dort noch eine geringere ist, als auf dem Lande. 
Sie beschränkt sich ebenfalls zunächst auf die hygienische Begut¬ 
achtung der Pläne der Neubauten und auf die Schliessung bezw. 
Wiedereröffnung der Schule bei epidemischer Ausbreitung an¬ 
steckender Kinderkrankheiten. 

Durch die MinisterialentschlieBsnng vom 25. Juli 1898 wurde 
den Amtsärzten auch zur Pflicht gemacht, die Mittelschulen 
und Internate bei denselben alljährlich auf Einladung des 
Anstaltsvorstandes einer gründlichen amtsärztlichen Besichtigung 
zu unterziehen. In grossen Städten, wie z. B. München, mit der 
grossen Anzahl von Mittelschulen und Internaten sind die Bezirks¬ 
ärzte mit der alljährlichen Besichtigung aller dieser Schulen und 
Anstalten so sehr in Anspruch genommen, dass für eine schul- 



848 


Dr. Angerer: Die Schalarztfrage in besonderer Beziehung 


hygienische Tätigkeit in den Volksschulen wohl nicht viel Zeit mehr 
zur Verfügung steht, jedenfalls nicht mehr soviel Zeit, um bei 
der noch erheblich grösseren Anzahl von Volksschulen etwas Er- 
spriessliches leisten zu können. Doch auch hier kann ein besonderer 
Erfolg noch nirgends diesen Besichtigungen zugeschrieben werden, 
schon mit Rücksicht auf den Inhalt der Entschliessung, welche 
besagt, dass der Zweck einer intensiveren, amtsärztlichen Mitwir¬ 
kung nicht der sein soll, offenkundige, der Unterrichtsverwaltung 
längst bekannte Mängel immer wieder zu erörtern, sondern dass 
nur angestrebt werden soll, mit den gegebenen Mitteln eine tun¬ 
lichste Besserung der sanitären Missstände herbeizuführen. Es 
ist nun allgemein bekannt, dass gerade in den Mittelschulen und 
den damit verbundenen Internaten die gröbsten sanitären Missstände 
vielfach vorhanden sind, zu deren Beseitigung die gegebenen 
Mittel niemals ausreichen können; die Pflicht des Amtsarztes kann 
hier nur darin bestehen, die Missstände immer wieder und so lange 
zu erörtern, bis deren Beseitigung erfolgt ist. 

n. Welche Anforderungen stellt gegenwärtig die 
Gesundheitspflege an die Schnle ? Mit der zunehmenden 
Entwicklung der wissenschaftlichen Hygiene und ihrer praktischen 
Anwendung auf alle Verhältnisse des Lebens wurde auch die 
Schule in das Arbeitsprogramm der Gesundheitslehre eingefügt 
und bald gelangte der jüngste Zweig dieser Wissenschaft, die 
Schulhygiene, zu einer ganz besonderen Bedeutung. Mehrfach 
stellten sich die Aerzte der Schulhygiene zur Verfügung, umfang¬ 
reiche Massenuntersuchungen von Schulkindern förderten nie ge¬ 
ahnte Zustände nach der Richtung zu Tage, dass ungeeignete 
hygienische Verhältnisse des Schulhauses und des Schulbetriebes 
tatsächlich empfindliche Störungen der Gesundheit der Schüler 
veranlassen können. Schon im Jahre 1869 gab der Altmeister 
Virchow in seiner Broschüre „Ueber gewisse, die Gesundheit 
benachteiligende Einflüsse der Schule“ als erster den Anstoss 
zu weiteren und nachprüfenden derartigen Untersuchungen. 
Die im Jahre 1880 folgende Veröffentlichung des Breslauer 
Ophthalmologen Cohn über seine gründlichen und umfangreichen 
Augenuntersuchungen Breslauer Schulkinder interessierten auch 
weitere Kreise für die Ergebnisse derartiger Untersuchungen. 
Seit dieser Zeit sind eine Reihe solcher Arbeiten veröffentlicht 
worden, welche unzweifelhaft bewiesen haben, dass die Schule 
grosse Gefahren für die Gesundheit und die Entwicklung der 
Kinder mit sich bringen kann. Mittlerweile sind aber die For¬ 
schungsergebnisse der Hygiene nicht mehr Alleingut der Aerzte 
geblieben; die Lehrsätze der Gesundheitspflege haben sich immer 
mehr mit dem täglichen Leben verknüpft und zusehends das 
allgemeine Interesse erweckt; deshalb stellen jetzt nicht mehr die 
Aerzte allein, sondern auch die Lehrer und Schulvorstände und 
nicht zuletzt die gebildeten Eltern schulpflichtiger Kinder an die 
Schule besondere hygienische Anforderungen. Ganz allgemein 
erhebt sich der Ruf nach einer ausgedehnteren und regelmässigeren 



sor amtlichen Tätigkeit der Bayerischen Bezirkeinste. 848 

schalärztlichen Aufsicht, nach einer Mitwirkung hygienisch ge¬ 
bildeter Sachverständigen im Schulbetriebe. * 

Fast in allen modernen Eulturstaaten besteht die gesetzliche 
Pflicht für die Eltern, ihren Kindern eine entsprechende Schulbil¬ 
dung zu verschaffen und zwar ist unter dieser Schulbildung der¬ 
malen derjenige Unterricht und diejenige Erziehung zu verstehen, 
▼eiche die Volksschule gibt, zu deren Besuch der Staat einen gesetz¬ 
lichen Zwang ansübt. Als Folge dieses Zwanges besuchen nahezu 
alle Kinder diese Schule, nur ein minimaler Teil erhält den gleichen 
Unterricht in Instituten oder durch privaten Unterricht. Nachdem 
die Kinder durch den gesetzlichen Schulzwang zu länger dauerndem 
Aufenthalte in dem Schulhause gezwungen werden, erwächst der 
Schulbehörde die verantwortliche, wenn nicht geradezu gesetzliche, 
so doch ethische Verpflichtung, dafür Sorge zu tragen, dass dieses 
Hausmit seinen Einrichtungen keine Misstände aufweist, welche 
der Gesundheit und der körperlichen Entwicklung der Kinder Schaden 
zufflgen können. Die Schulbehörde hat die Pflicht, derartige 
Missstände abzustellen, und die Eltern müssen eine diesbezügliche 
Verpflichtung der Schulbehörde umsomehr verlangen, als ihre 
Kinder, noch unmündige Personen, die in diesen Missständen 
liegenden Gefahren für ihre Gesundheit nicht selbst erkennen 
können, sich derselben aber, auch wenn'sie die Erkenntnis der 
Gefahr für die Gesundheit besitzen würden, in Folge des Schul¬ 
zwanges nicht entziehen können. 

Mit Rücksicht darauf muss die Gesundheitspflege an die 
Schule generelle und spezielle oder individuelle Anforderungen 
stellen. Die ersteren beziehen sich auf die gesundheitlichen 
Interessen der Gesamtschule, d. h. deren wesentlichen Komponenten, 
der Schülerschaft und der Lehrerschaft; die letzteren be¬ 
ziehen sich auf die Interessen des Einzelschülers und Einzel- 
lehren hinsichtlich gesundheitlicher Fragen, soweit sie mit der 
8chule und dem Unterricht verknüpft sind. 

Eb ist allgemein bekannt, welch nachteiligen Einfluss auf die 
Gesundheit das Bewohnen eines ungesunden Hauses mit sich bringt, 
es muss deshalb bei Erbauung eines Schulhauses auf all 
das Rücksicht genommen werden, was den Bau zu einem gesund- 
heitsgemä88en gestalten wird. Es ist nicht nur der Bauplatz, 
und der Baugrund nach den Regeln der Gesundheitslehre zu be¬ 
urteilen, auch die Bauweise, die Baumaterialien, der Bauplan 
sind mit Rücksicht auf die Hygiene und mit dieser in Rück¬ 
sicht auf den besonderen Zweck und die zu erwartende Fre¬ 
quenz dieses Hauses geeignet auszuwählen und zu bestimmen 
(Situation und Orientierung des Hauses). In gleicher Weise ist 
die Einrichtung des Hauses, die Anlage des Abortes und die Be¬ 
schaffung des Trinkwassers den hygienischen Anforderungen ent¬ 
sprechend zu gestalten. Werden alle diese Anforderungen der 
Hygiene bei dem Baue des Schulhauses berücksichtigt, so wird 
dasselbe als ein gesundes Schulhaus zu bezeichnen sein und als 
solches der Gesundheit der Kinder nicht schaden können voraus¬ 
gesetzt, dass die zur Erwärmung, Lufterneuerung, Beleuchtung 



360 Dr. Angerer: Die Schalarztfrage in besonderer Beziehung 

and Reinhaltung' geschaffenen Vorrichtungen der Hygiene ent* 
sprechend in St£nd gehalten and die in dieser Hinsicht gegebenen 
Vorschriften genau befolgt werden. 

Nicht alle Schulkinder sind aber in solchen, nach den neuesten 
Forschungsergebnissen der Hygiene gebauten, eingeteilten und 
eingerichteten Schulhäusern untergebracht; die grosse Mehrzahl *) 
von Schulkindern sitzt noch in Schulzimmern, welche diesen 
Anforderungen durchaus nicht entsprechen und Missstände auf- 
weisen, welche die Gesundheit der Kinder direkt zu schädigen ver¬ 
mögen. Auch an die schon bestehenden Schulhäuser muss die 
Gesundheitspflege die gleichen Anforderungen stellen, wenn anch 
hier in bezug auf die Anpassung an die Forderungen der Ge- 
sundheitslehre die finanzielle Leistungsfähigkeit der Schulgemeinde 
in betracht zu ziehen ist. Das Interesse der Gesundheitspflege 
verlangt diesen Schulhäusern gegenüber die Fesstellung der vor¬ 
handenen sanitären Missstände und die, wenn auch allmähliche 
Beseitigung derselben. Bis zur Besserung der dringlichsten Mängel 
muss immer auf das Gesundheitsschädliche derselben hingewiesen 
und insbesondere durch Aufklärung und Belehrung der massge¬ 
benden Personen dahin gewirkt werden, dass das Gesundheits¬ 
schädliche eingesehen und dann aus eigenem Antriebe beseitigt wird. 

Für den einzelnen Schüler ist hinsichtlich der Schul¬ 
gesundheitspflege folgendes zu berücksichtigen: Zunächst muss 
festgestellt werden, in welchem Zustande der körperlichen und 
geistigen Entwicklung der Schüler in die Schule eintritt. Diese 
Feststellung muss verlangt werden, damit für schon beim Schul¬ 
eintritt bestandene Gebrechen und Leiden nicht später einmal der 
Schulbesuch angeschuldet und zur Verantwortung gezogen werden 
kann. Die beim Eintritt in die Schule festgestellten Gebrechen 
erheischen weitere Fürsorge nach 3 Richtungen: erstens müssen 
sie dem Schulbetriebe angepasst werden, dann muss Sorge ge¬ 
tragen werden, dass sie die Mitschüler nicht gefährden und end¬ 
lich dürfen sie durch den Schulbesuch nicht verschlimmert, sondern 
sollten gebessert werden. Hier das richtige vorzukehren, kann 
nur Sache des Arztes sein. 

Aber nicht nur die neu eintretenden Schulkinder sollen hin¬ 
sichtlich ihrer Gesundheitsverhältnisse beachtet werden, auch die 
älteren Schüler verlangen nach dieser Richtung eine gewisse 
Fürsorge. Zunächst wird es sich um die eigentlichen Schulkrank¬ 
heiten handeln, um Gebrechen und Störungen, welche im Schul¬ 
betriebe ihre veranlassende Ursache haben; aber auch die anderen 
Krankheiten der Schüler, welche nicht direkt durch den Schul¬ 
besuch entstanden sind, verlangen eine gewisse sachverständige 
Beachtung nicht allein im Interesse der Gesundheit des einzelnen 
Schülers, sondern auch im Interesse der übrigen Schüler, ja der 
Allgemeinheit. 

Dass die Gesundheitspflege hinsichtlich der Reinigung und 
Reinhaltung der Schulzimmer weitgehende Anforderungen 


‘) Siehe Seite 847. 



zur amtlichen Tätigkeit der Bayerischen Bezirksärzte. 351 

stellen muss, ist selbstverständlich; denn die Reinlichkeit, die 
möglichste Beseitigung des gefährlichen Schulstaubes ist von 
grösster Bedeutung für die Gesundheit der Schulkinder. Die jetzt 
in den Schulen bestehenden Reinigungsarten entsprechen durchaus 
nicht den Anforderungen der Gesundheitslehre. Es muss tägliche 
feuchte Reinigung des Fussbodens und der Einrichtungsgegen¬ 
stände verlangt werden, wenn man den Staub auch wirklich ent¬ 
fernen und nicht nur, wie dies beim Kehren der Fall ist, dislozieren 
wilL Wie schon oben bemerkt, muss auch die Erwärmung des 
Schulzimmers und insbesondere die Lufterneuerung den Anfor¬ 
derungen der Gesundheitslehre jederzeit entsprechend eingerichtet 
sein und auch gehandhabt werden. 

Die Gesundheitspflege hat auch bestimmte Anforderungen an 
die Gesundheit des Lehrers und der Lehrerfamilie zn 
stellen; es ist für die Gesundheit der Kinder selbstredend höchst 
gefährlich, wenn der Lehrer selbst an einer übertragbaren Krank¬ 
heit leidet und mit dieser noch seinen Beruf ausübt. Die jüngst 
erschienene Todesanzeige eines an Lungenschwindsucht ver¬ 
storbenen Volksschullehrers, der, wie es in der Anzeige hiess, 
trotz seines schweren Leidens bis kurz vor seinem Tode seine 
Berufspflichten erfüllte, kann als eine schwere Anklage für die 
betreffenden Schulbehörden gelten. Auch dieser Fall beweist, 
wie notwendig eine intensivere ärztliche Mitwirkung in der Schule 
gefordert werden muss. Ebenso sind übertragbare Krankheiten 
in der Lehrerfamilie zu beachten und zu fordern, dass zur Ver¬ 
hinderung der Uebertragung einer in der Lehrersfamilie bestehen¬ 
den ansteckenden Krankheit der Lehrersfamilie ein gesonderter, 
getrennter Eingang zur Verfügung steht, falls die Lehrer wohnung 
sich im Schulhause befindet. 

Eine weitere allgemeine Forderung der Schulhygiene besteht 
noch darin, dass der zur Handhabung derselben verpflichtete Arzt 
jode Gelegenheit, insbesonders die Lehrerkonferenzen des Be¬ 
zirkes dazu benützt, durch geeignete Vorträge, durch Besprechung 
praktischer Fälle die Kenntnisse des Lehrers in der Hygiene zu 
erweitern und dessen Interesse für die Schulhygiene zu wecken 
nnd zu erhalten. 

Mag sich die ärztliche Schulaufsicht noch so ausgedehnt 
gestalten, eine Reihe für die Gesundheit der Schüler höchst be¬ 
deutsamer -Verhältnisse kann nur der Lehrer beachten, kann nur 
der Lehrer so gestalten, dass sie den Ansprüchen der Gesund¬ 
heitslehre entsprechen, vor allem die Lufterneuerung und die 
Reinigung. Was die Reinigung betrifft, so kann diese der Lehrer, 
such wenn er wollte, solange nicht den hygienischen Anforderungen 
entsprechend gestalten, als er resp. seine Angehörigen und sein 
Dienstpersonal hierzu verpflichtet sind. Erst wenn die Reinigung 
besonderen, von der Schulgemeinde aufgestellten und von ihr be¬ 
zahlten Personen übertragen sein wird, wird der Lehrer auf die 
notwendige Reinigung dringen und sie auch in seinem Schulzimmer 
erreichen können. Was aber Heizung und Ventilation betrifft, 
so überzeugt der erste Besuch in einer Schule, dass noch nicht 



862 Dr. Angerer: Die Schalarztfrage in besonderer Beziehung 

alle Lehrer von der Bedeutung einer gesunden Atmungsluft für 
die Erhaltung der Gesundheit genügend unterrichtet sind; denn 
sonst würden sie schon aus eigenstem Interesse für eine andere 
Luftbeschaffenheit sorgen, als wie sie uns beim Betreten eines 
Schulzimmers gewöhnlich entgegentritt. 

Zum Schlüsse muss noch der Wunsch ausgesprochen werden, 
dass die Ministerial-Entschliessung vom 16. Dezember 1875, welche 
vorschreibt, dass zu den Sitzungen der Ortsschulkommission, 
in welchen Fragen der Gesundheitspflege behandelt werden, der 
Amtsarzt einzuladen sei, um mit Sitz und Stimme beizuwohnen, 
auch wirklich in Vollzug gesetzt wird, was bisher noch nirgends 
je der Fall gewesen ist. 

Wenn wir das bisher Gesagte in Zusammenhalt setzen mit 
dem, was die in Bayern erlassenen Vorschriften über die Betätigung 
der Schulgesundheitspflege anordnen, so können wir sehen, dass 
wir tatsächlich in Bayern seit langer Zeit schon eine den An* 
forderungen der Neuzeit nahezu genügende Dienstanweisung für 
schulärztliche Tätigkeit besitzen, dass aber die Ausführung 
dieser Dienstanweisung durch die hierzu amtlich verpflichteten 
Bezirksärzte niemals und nirgends dem Sinne der erlassenen 
Vorschriften und auch nicht den Ansprüchen der modernen Schul* 
hygiene entsprochen hat. 

Wer soll nun die Ausführung dieser für die Schulhygiene 
erlassenen Bestimmungen besorgen P Ist der durch Verordnung 
hierzu verpflichtete Bezirksarzt dazu imstande, oder ist es not¬ 
wendig, dass hierfür besondere Aerzte, Schulärzte aufgestellt werden P 

Wenn man nur die Bestimmung der Ministerial-Entschliessung 
vom 16. Januar 1867 über die Gesundheitspflege in den Schulen 
berücksichtigt, so ist die Ausführung der dort angeführten An¬ 
ordnungen auch nur dann möglich, wenn sämtliche Schulen ohne Aus¬ 
nahme regelmässig in gewissen Zeitabschnitten einer eingehenden 
BesichtigungdurchdenBezirksarzt unterstellt werden. Wäre 
jede Schule des Bezirkes beispielsweise vielleicht alle 5 Jahre 
einmal zu besichtigen, so könnte der Bezirksarzt dieser Aufgabe 
um so leichter nachkommen, weil er für das einzelne Jahr nur 
eine mit Rücksicht auf seine sonstige Inanspruchnahme bestimmte 
Anzahl von Schulen zur Besichtigung bestimmen könnte, und weil 
er für diese Tätigkeit, wenn diese generell behördlich angeordnet 
würde, eventuell auch seine Diäten liquidieren könnte. 

In solcher Weise sind durch das Gesetz vom 16. September 
1899 „Die Dienststellung des Kreisarztes betreffend“ die Amts¬ 
ärzte des Königreiches Preussen zur Wahrnehmung der Schul¬ 
hygiene verpflichtet. In der Dienstanweisung für die Königlichen 
Kreisärzte ist bestimmt, dass der Kreisarzt innerhalb eines in 
der Regel fünfjährigen Zeitraumes jede Schule seines Bezirkes 
abwechselnd im Sommer und im Winter in bezug auf ihre Bau¬ 
lichkeiten und Einrichtungen, sowie in bezug auf den Gesund¬ 
heitszustand der Schüler unter Benutzung eines allgemein einge¬ 
führten Besichtigungsformulares unter Zuziehung des Schulvorstandes 
und des Schularztes einer Besichtigung zu unterziehen hat. 



zur Amtlichen Tätigkeit der Bayerischen Bezirksärzte. 


353 


Diese Bestimmung genügt zweifellos, wenn es sich bei der 
Besichtigung nur um die Feststellung bauhygienischer Missstände 
handeln soll; eine alle 6 Jahre vorzunehmende Besichtigung einer 
Schale ist aber vollkommen unzulänglich, falls auch die Gesund- 
heit8verhältni8se der Kinder einer ärztlichen Aufsicht unterstellt 
▼erden sollen. Und hierin liegt der Angelpunkt der modernen 
Schalhygiene. Will die Schule den modernen Anforderungen der 
Schulhygiene, wie sie im Vorhergehenden erörtert worden sind, 
genfigen, so ist alljährlich mindestens einmal, wenn man aber 
▼irkUch etwas damit bezwecken will, alljährlich 2 mal, je im 
Soouner und im Winter jede Schule amtsärztlich zu besichtigen. 
Diese Forderung stellen nach den hierorts bisher von mir ge¬ 
machten Wahrnehmungen die Aerzte, die Lehrer, die intelligenten 
Eltern der Schulkinder und Schulbehörden mit Ausnahme der 
Lokal- und Distriktschulinspektoren, welche nach autoritativer 
und für viele andere massgebender Anschauung eines in meinem 
Bezirke amtierenden Lokalschulinspektors die ärztliche Schul¬ 
aufsicht als eine „unnötige Belästigung“ der Schulkinderbezeichnen. 

Eine Betätigung der Schulgesundheitspflege in dieser Aus¬ 
dehnung, jährliche zweimalige Besichtigung aller Schulen kann 
aber der Bezirksarzt ebensowenig übernehmen, als der Kreisarzt 
in Preussen mit Ausnahme der wenigen vollbesoldeten Kreisärzte, 
die aber dann mit anderen Dienstgeschäften schon so beschäftigt 
sind, dass ihnen eine so erhebliche dienstliche Mehrbelastung 
nicht übertragen werden kann. In Bayern können die Amts¬ 
ärzte eine solch ausgedehnte schulhygienische Tätigkeit aber 
schon deshalb nicht ausüben, weil sie dadurch unmöglich mehr 
die Zeit zur Besorgung ihrer ärztlichen Praxis finden würden. 
Nach den dermaligen Besoldungsverhältnissen der Amtsärzte sind 
diese aber auf die ärztliche Praxis angewiesen, da sie ohne die 
Erträgnisse aus derselben nicht imstande wären, sich und ihre 
Familie zu erhalten. 

Aus der allgemeinen Forderung nach einer intensiveren Aus- 
ftbung der Schulhygiene einerseits und aus der faktischen Unmög¬ 
lichkeit der Besorgung derselben durch die hierzu verpflich¬ 
teten amtlichen Aerzte anderseits, hat sich von selbst die Ein¬ 
richtung besonderer, auf Kosten der Schulgemeinde bestellter 
Schulärzte herausgebildet, mit welchen nunmehr schon mehr 
als 100 deutsche Städte mit über 600 Schulärzten bereits versehen 
lind. Mit diesen Schulärzten rechnet auch schon das preussische 
Kreisarztgesetz, indem, wie es in der Dienstanweisung für Kreis¬ 
ärzte heisst, bei der kreisärztlichen Schulbesichtigung auch der 
Schularzt beizuziehen ist. 

Wie sich auch die ärztliche Schulaufsicht in Zukunft ge¬ 
stalten mag, soviel steht fest, dass die Bezirksärzte der grossen 
Städte mit Rücksicht auf die grosse Anzahl der dort vorhandenen 
Schulen und Schüler die Betätigung einer Schulhygiene niemals 
in erfolgreicher Weise übernehmen können; die grossen Städte 
lind immer gezwungen, für ihre Schulen eigene Schulärzte auf¬ 
zustellen. 




354 Dr. Angerer: Dia Schularztfrage in besonderer Beziehung 

So schwer nun die Frage za entscheiden ist, wer als Schul* 
arzt in einer grossen Stadt aufzustellen ist, ob ein oder mehrere 
Aerzte, ob amtlich oder nur im Nebenamt, mit welchem Honorar 
und mit welcher Tätigkeit —, so leicht und von selbst erledigt sich 
diese Frage für den ländlichen Bezirk. Hier kann nur der Be¬ 
zirksarzt als der zuständige und berufene Schularzt in Frage 
kommen, denn es ist unmöglich, dass sich kleinere Schulgemeinden 
einen eigenen Schularzt bestellen; auf dem Lande kann nur ein 
Schularzt in der räumlichen Ausdehnung eines Distriktsverbandes 
entsprechend beschäftigt werden, höchstens, dass bei besonders 
ausgedehnten Distrikten Hilfskräfte zu beantragen wären. 

Eine solche ausgedehnte schulärztliche Tätigkeit kann aber, 
wie schon bemerkt, der Bezirksarzt mit Rücksicht auf die Be¬ 
sorgung und Erhaltung seiner privatärztlichen Tätigkeit nicht 
ausf&hren; eine solche schulärztliche Tätigkeit würde ihn im 
Sommer und im Winter jeweils gewiss drei Monate beschäftigen, 
in der Weise, dass er, soweit es die übrigen dienstlichen Ge¬ 
schäfte zulassen, allwöchentlich mehrere ganze oder halbe Tage 
von seinem Wohnort entfernt in äusseren Gemeinden zubringen 
muss. Die Rücksicht auf die sonstigen Dienstgeschäfte kann nm 
so leichter genommen werden, nachdem für die Schulbesichtigungen, 
welche, wenn sie ihren vollen Zweck erreichen sollen, unvorher¬ 
gesehen und unangemeldet zu geschehen haben, keine voraus¬ 
bestimmten Termine anzusetzen sind, die Abhaltung derselben 
vielmehr ganz allein im Willen und Rönnen des Amtsarztes ge¬ 
legen ist. Für diese Tätigkeit muss aber der Amtsarzt auch 
hinreichend und in einer Weise entschädigt werden, dass er dann 
auf die Erträgnisse der Privatpraxis verzichten kann. Die finanzielle 
Entschädigung dieser Tätigkeit ist in den ländlichen Bezirken 
ebenso Sache der Schulgemeinden wie auch in den grossen Städten; 
denn die Gemeinde ist zunächst interessiert; das Wohlergehen 
ihrer Schulkinder ist zunächst ihre Sorge. Aus Zweckmässigkeits¬ 
gründen wird die Entschädigung wohl am besten durch die 
Distriktsgemeinde übernommen. Wenn man erwägt, dass Distrikts¬ 
gemeinden für die Naturalverpflegungsstationen zur Unterstützung 
armer Wanderer alljährlich Summen von 12—15000 Mark aus¬ 
gegeben und damit tatsächlich nicht viel anderes erreicht haben, 
als das Stromertum und die Arbeitsscheue mit ihren für die All¬ 
gemeinheit so gefährlichen Auswüchsen zu unterstützen, so kann 
man nicht annehmen, dass die Distrikte zur Einführung einer so 
segensreichen Einrichtung, wie sie der Schularzt bedeutet, ledig¬ 
lich aus finanziellen Rücksichten ihre Mithilfe verweigern werden. 

Sollten indes der Uebernabme dieser Belastung auf die 
Distriktsgemeinden unüberwindliche Hindernisse im Wege stehen, 
so müsste dieselbe den Gemeinden zur Pflicht gemacht werden 
und zwar mit Rücksicht darauf, dass eine Ueberwachung der 
hygienischen Verhältnisse der Schule und der Schüler durch den 
Amts- resp. Schularzt ebenso notwendig ist, als die Ueberwachung 
und Kontrolle des Unterrichts und der rein schaltechnischen Ver¬ 
hältnisse durch die amtlich bestellten Schulinspektoren. Die Be- 




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zur amtlichen Tätigkeit der Bayerischen Bezirks&rzte. 


355 


Zahlung der schulärztlichen Tätigkeit sollte nach dem gleichen 
Modus geschehen wie er bei der öffentlichen Impfung eingeführt 
ist: Für jedes Kind und für jede Besichtigung sollte ein noch 
zu bestimmender, immer nur Pfennige heissender Betrag, ent¬ 
weder von jeder Gemeinde für die Anzahl ihrer Kinder oder vom 
Distrikte für alle Schulkinder desselben entrichtet werden. Meines 
Erachtens ist dieser Vergleich mit der Impfung wohl angebracht 
und berechtigt. Auch hier wird jedes Kind nicht nur zu einer 
ärztlichen Untersuchung, sondern auch zur Erduldung eines ope¬ 
rativen Eingriffes von Staatswegen gezwungen; sogar auch jene 
Kinder, deren Eltern zu den Impfgegnern gehören, müssen sich 
dem gesetzlichen Impfzwange fügen. Im Interesse der Allgemein- 
beit gibt es keine Ausnahme und keinen Dispens von dem gesetz¬ 
lich festgelegten Impfzwange und jede Gemeinde hat für jedes 
geimpfte Kind den Betrag von 80 Pfennig an den Bezirksarzt zu 
bezahlen. Bei der schulärztlichen Untersuchung könnte aber, wie 
später gesagt werden soll, jedes Kind von derselben befreit werden, 
wenn es den schriftlichen Nachweis erbringt, dass ein anderer 
Arzt, der Hausarzt, dem betreffenden Kinde gegenüber die An¬ 
forderungen der angeordneten schulhygienischen Massnahmen zur 
Ausführung bringt. 

Dies dürfte meines Erachtens der einzige Weg sein, auf 
welchem man die schulhygienischen Anforderungen auch bei den 
Landschulen erfüllen kann, und dass die Landschulen eine ärzt¬ 
liche Beaufsichtigung ebenso, wenn nicht noch mehr als die Stadt¬ 
schulen erheischen, wird keiner weiteren Erörterung für jene be¬ 
dürfen, welche die Schulverhältnisse auf dem Lande kennen. Die 
Einführung eines auf solche Weise geregelten, regelmässigen und 
einheitlichen schulärztlichen Dienstes in den ländlichen Bezirken 
des Königreiches würde die ganze Schularztfrage mit einem Schlage 
ihrem Ziele nahe gebracht haben. Die Landschulen bedeuten die 
überwiegend grosse Mehrzahl; während der städtische Schul¬ 
arzt und dessen Einführung ausser der finanziellen Seite keine 
besonderen Schwierigkeiten mehr darbietet, war der typische 
Schularzt für die Landgemeinden bisher noch nicht gefunden. Dass 
für die Städte unter allen Umständen eigene Schulärzte angestellt 
werden müssen, kann nach dem bisher Gesagten nicht wohl um¬ 
gangen werden. Man ist auch überall mit der Beratung dieser 
Frage in den massgebenden Kreisen lebhaft beschäftigt, allein bei 
dem Mangel praktischer Erfahrung ist man über die Art der Ein¬ 
richtung noch nicht im klaren. Soll man amtliche Schulärzte an- 
rtellen oder Schulärzte im Nebenamte P Wieviele Kinder sollen 
einem Schulärzte unterstellt werden, welches Honorar ist dafür 
dem Schulärzte anzuweisen P 

Das sind die hauptsächlichsten Fragen, die aber ihre end¬ 
gültige Lösung erst dann erhalten können, wenn man nach einiger 
Zeit über die einzelnen Systeme praktische Erfahrungen gesammelt 
haben wird. Zunächst sollten den einzelnen Schulärzten immerhin 
4000—5000 Schulkinder zur schulärztlichen Aufsicht zugewiesen 
werden, um bei grösserem Beobachtungsmateriale auch ein grösseres 



356 


Dr. Arbeit. 


Interesse wachzuhalten. Sind entsprechend der vorhandenen Ge* 
samtschülerzahl mehrere Schulärzte erforderlich, dann soll einem 
derselben die Oberleitung übertragen werden. Was die Honorar¬ 
frage betrifft, so würde meines Erachtens die Summe von 3000 U. 
für den Schularzt und 4000 Mark für einen leitenden Schularzt als 
entsprechend anzusehen sein. Immer müsste der Schularzt mit 
quasi Beamteneigenschaft angestellt werden, ein generelles Verbot 
der Ausübung ärztlicher Privatpraxis sollte damit aber nicht ver¬ 
knüpft werden. Der Arzt muss, um sich ein richtiges ärztliches 
Urteil zu bewahren, immer mit der praktischen Ausübung seines 
Berufes in Fühlung bleiben,* anderseits ist nicht einzusehen, 
warum der Arzt, der seine Pflichten als Schularzt nach allen 
Seiten hin erfüllt, die freie Zeit, die ihm durch raschere und ge¬ 
schicktere Arbeitsleistung übrig bleibt, nicht zu einer anderen 
Berufsarbeit sollte verwenden dürfen. Der leitende Arzt muss 
beurteilen können, ob der Schularzt seine Pflicht erfüllt; ist 
dies nicht der Fall, so eignet er sich nicht zum Schularzt, and 
für diesen Fall muss vertragsmässig die Möglichkeit geschaffen 
sein, ihm die übertragene Fanktion auch wieder entziehen za 
können. 

(Schloß folgt.) 


Bemerkungen zur Stellung der Kreisärzte. 

Von Med.-Bat Kreisarzt Dr. Arbeit - Marienborg, (Westpr.). 

Die gegenwärtig in den Reg.-Bez. Oppeln und Breslau herr¬ 
schende Genickstarre hat in der Sitzung des Abgeordnetenhauses 
vom 6. April 1905 Anlass zu einer Interpellation gegeben, in 
deren Beantwortung der Herr Kultusminister wie schon bei anderen 
ähnlichen Gelegenheiten mit Worten der Anerkennung der opfer¬ 
willigen kreisärztlichen Mitarbeit gedachte. Und wenn eine 
Cholera-Invasion sich wieder ereignen sollte, so werden die Kreis¬ 
ärzte ihre Privatpraxis und Nebenämter im Stich lassen und sich 
in den Dienst der Allgemeinheit stellen, denn das ist ihre Pflicht 
Aber es kann nicht unausgesprochen bleiben, dass eine solche 
Situation für die Dauer unhaltbar ist. Der Staat hat der Ge¬ 
samtheit wie den Kreisärzten gegenüber die Pflicht, die Kon¬ 
sequenzen der begonnenen Medizinal-Reform vollinhaltlich za 
ziehen und nicht zu zögern, die gänzliche Loslösung seiner Be¬ 
amten von allem nebenamtlichen Beiwerk mit Nachdruck zu fordern 
und durchzusetzen. Je weiter und langsamer dieser Vorgang sich 
hinausschiebt, um so wahrscheinlicher ist es, dass von der gross¬ 
zügig entworfenen Dienstanweisung allmählich praktisch nicht 
viel mehr übrig bleibt als die auf die sachliche Ausfüllung der 
„Formulare“ gerichtete Tätigkeit. 

Der diesjährige Etat hat von der im § 3 des Kreisarzt¬ 
gesetzes gegebenen Möglichkeit mit der Neueinstellung von 2 
vollbesoldeten Kreisarztstellen (Cöln, Bielefeld) wieder den be¬ 
scheidensten Gebrauch gemacht. An dem diesjährigen Mehr des 



Bemerkungen zur Stellung der Kreisärzte. 


357 


Etats der dauernden Medizinalausgaben von 102000 M. (Gesamt: 
3863000 M.) sind die nicht vollbesoldeten Kreisärzte nicht be¬ 
teiligt; sie bilden 93 °/ 0 der Kreisärzte. Praxis und Nebenämter 
als Krankenhausdirigenten, Bahn-, Gefängnis- Vertrauensärzte sind 
bei nicht wenigen die schwer schätzbaren notwendigen Quellen 
der materiellen Existenz. Aber im allgemeinen bleibt neben der 
Bewältigung der Aufgaben der Dienstanweisung und allem Beiwerk 
mit Raterteilungen, Belehrungen, Vorträgen in Lehrer-Konferenzen, 
landwirtschaftlichen Vereinen, Attestschreiben, Gutachten für Un- 
l&ll und Invalidität weder Zeit, noch Lust und Energie zur Aus¬ 
übung von Privatpraxis. Bei Durchsicht der Selbsteinschätzung 
der nicht vollbesoldeten Kreisärzte, die bis 1901 noch von ihrer 
Praxis lebten, würde der Herr Finanzminister finden, dass diese 
Einkünfte im Laufe der wenigen Jahre seit Emanation des Kreis¬ 
arztgesetzes auf ein Minimum zurückgegangen sind; ihr Rückgang 
beziffert sich nach 3 jährigem Durchschnitt beim Verfasser auf 
90 °/o seines früheren Einkommens aus ärztlicher Tätigkeit. In 
seinen staatlichen Einkünften bleibt der nicht voll besoldete 
Kreisarzt neben seinem pensionsfähigen Einkommen von durch¬ 
schnittlich 2250 M. und pensionsfähigen Gebühren im wesentlichen 
auf die Tagegelder- und Dienstreisen - Ueberschüsse angewiesen; 
denn Stellenzulagen erhalten nur die Hälfte der nicht vollbesoldeten 
Kreisärzte. Ob aber sein Ansehen als Staatsbeamter dadurch 
gefördert wird, mag dahingestellt bleiben; in der Beurteilung des 
Publikums sinkt er jedenfalls sehr leicht zum Diätenschlucker 
herab. Sein Einfluss auf hygienische Entschliessungen der Be¬ 
völkerung muss darunter leiden. Im Abgeordnetenhause, Sitzung 
vom 8. März 1905, äusserte sich der Abgeordnete Wallenborn 
über die schon beim Etat des Finanzministers berührten, „ganz 
unheimlich anschwellenden Ziffern der Diäten und Reisekosten 
der Kreisärzte“ (Zuruf: Sehr richtig!), die von 859000 M. im 
Jahre 1899 auf 848000 M. im Jahre 1903 gestiegen seien; diese 
Ziffern gäben doch „zu denken“; es sei der Erwägung wert, diese 
Bezüge anders zu regeln, etwa durch Pauschalvergütung. Da 
hierauf keine Entgegnung folgte, erhielt das hohe Haus den 
Eindruck einer rapide sich steigendem Diäten- und Reisewut der 
Kreisärzte. Und wie verhält sich’s mit jener „ungeheuren“ End¬ 
summe? Auf die 503 Kreisärzte ergibt sich durchschnittlich ein 
Betrag von 1700 M. brutto, also ebensoviel, wie der Kreisbau¬ 
inspektor für seine Dienstreisen bezieht; dabei muss erfahrungs- 
femäss der Kreisarzt beruflich viel mehr ausserhalb sein, von 
Gefährdung seines Lebens durch Epidemien ganz abgesehen. 
Eine Pauschalvergütung würde sich bei der Ungleichheit der 
Verhältnisse in epidemiologischer Hinsicht kaum verallgemeinern 
lassen; sie wäre auch vom Standpunkte der Seuchenbekämpfung 
ein gewagtes Experiment von eventuell „unheimlichen“ Folgen. 
• Jene Kritik im Abgeordnetenhause beweist neben manchen 
indem Vorgängen dort, dass es immer noch Aufsehen erregt, 
wenn für die Volkswohlfahrt selbst bescheidene Summen in Ansatz 
stehen. Wenn der Kreisarzt aber nicht ein „verknöcherter Bu- 



868 


Dt. Arbeit. 


reaukrat“ werden nnd den Aufgaben der öffentlichen Gesundheits¬ 
pflege gewachsen sein soll, dann gehört er nicht an den Arbeitstisch 
allein, sondern vorzugsweise nach aussen, denn hier kann er gar- 
nicht genug Umschau halten. 

Und ist es nicht bezeichnend, wenn in derselben Sitzung 
des Abgeordnetenhauses auf die dankenswerte Anregung des 
Abgeordneten Dr. Rügenberg zugestanden werden musste, dass 
durch das Gesetz über die amtliche Stellung der Kreistier&rzte 
vom 24. Juni 1904 die pensionierten Kreistierärzte ein doppelt 
so hohes Ruhegehalt (1800 M.) beziehen, als die auf Wartegeld 
gestellten ehemaligen Kreisphysiker! Mit Recht hob der für den 
Medizinaletat gleichfalls stets nachdrücklich eintretende Dr. 
Martens die Unbilligkeit hervor, dass die kleineren, schwer zu 
besetzenden Kreisarztstellen eine pensionsfähige Stellenzulage er¬ 
halten und dass daher diejenigen Kreisärzte, die einen geringeren 
Wirkungskreis haben, die höchsten Pensionen, die in grossen 
Kreisen beschäftigten die geringsten beziehen. Er hätte hinzufügen 
können, dass demzufolge die Kreisärzte, die sich ihrer Pensionierung 
nahe fühlen, bemüht sein müssen, in letzter Stunde sich auf solche 
Stellen versetzen zu lassen. 

Auf die bevorzugte Stellung der Kreistierärzte im diesjährigen 
Etat ist schon in Nr. 2 dieser Zeitschrift für 1905, Seite 96 hin¬ 
gewiesen. Warum, so dürfen wir fragen, werden die Kreisärzte 
mit anderem Masse gemessen? Die Wehrkraft der Nation galt 
ja noch immer höher als ihr Viehstand! Nicht als ob eine Be¬ 
vorzugung des Veterinär-Etats stattfände! Er beziffert sich 
gemäss Kap. 103, Tit. 1—17® der Staats-Verwaltungsausgaben 
auf 3243839 M. gegenüber 3803 792 M. für das Medizinalwesen 
bei einer Gesammtausgabe des Kultusministers (Staatsverwaltung) 
von 164032 655 M. An dieser Summe ist das gesamte Unterrichts¬ 
wesen mit etwa 151 Millionen beteiligt, auf das Medizinal wesen 
entfallen nur 2,65 °/ 0 ! Dass der Herr Ressortminister für seine 
Medizinalabteilung materiell so kümmerlich gestellt ist, darf zum 
mindesten als rückständig bezeichnet werden, wenn man sich der 
kürzlich vom Grafen Douglas programmatisierten Aufgaben des 
preussischen Staates erinnert. Das „Volkswohlfahrtsamt“ wird 
den Beweis erbringen, dass die ihm innewohnende weitausgreifende 
Tendenz nur von ganzen Kräften geleistet werden kann; aut erit, 
aut non erit. Die im Anträge der 33. Kommission des Abgeord¬ 
netenhauses zur Vorberatung des Antrages Douglas 1 ) an erster 
Stelle genannten beiden Forderungen, die das Abgeordnetenhaus in 
der Sitzung vom 6. April einstimmig angenommen hat, setzen die 
Mitarbeit der staatlichen Gesundheitsbeamten voraus, wenn anders 
ein lebenskräftiges, die Volksgesundheit und das Volkswohl andauerd 
und nachhaltig beeinflussendes Gebilde entstehen und praktisch 
weitergestaltet werden soll. Neben dem Techniker und Ver¬ 
waltungsbeamten wird der Mediziner in der weitaus grössten Zahl 
der die Kräftigung des Volkskörpers bezweckenden Probleme das 


*) Siehe Zeitschrift für Medizinalbeamte; 1906, S. 116. 



Bemerkungen zur Stellung der Kreisärzte. 


359 


erste Wort haben. Je selbständiger und dnrchgebildeter die 
Sachverständigen, nm so gewissenhafter ihr Bat, um so stärker 
der Enderfolg. Kraftvolle und zutreffende Worte hat in jener 
Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 6. April 1905 zum Anträge 
Douglas der neue Minister des Innern, HerrDr. v. Bethmann- 
Hollweg gesprochen: 

„Die Förderung nationaler Volkswohlfahrt bildet den Kern jeglicher 
staatlichen Tätigkeit. Die tüchtigsten Beamten sind die, welche den Schwer¬ 
punkt ihrer Tätigkeit in der Erfüllung sozialer Aufgaben erblicken. Viel ist 
bisher in der Fürsorge für Schwache und Kranke getan, aber wir werden das 
für die Gesunden Unterlassene nachholen müssen. Denn die Zukunft unseres 
Vaterlandes steht und fällt mit der Frage, ob es gelingt, ein körperlich ge¬ 
sundes Deutschland heranzubildcn. Die Fortbildung der Volkswohlfahrtspflege 
ist eine ernste Lebensaufgabe des preussischen und deutschen Volkes“. 

Sollen die Forderungen der Hygiene hinübergeleitet werden 
in das gesamte volkswirtschaftliche Dasein der Nation, so ist 
es wesentlich Aufgabe der Kreisärzte, diese Vermittelung anzu- 
bahnen, das Verständnis für diese Seite unserer modernen Kultur 
in die breiten Volksschichten hineinzutragen. In diesem Sinne 
war vom Herrn Medizinalmmister die Reform inauguriert, in 
diesem Sinne ist die Beschleunigung ihrer Fortführung gemäss 
§ 3 des Kreisarztgesetzes geboten. Sehr beachtenswert sind die 
Ansführangen in der dem Etat für Eisass - Lothringen beigegebenen 
„Denkschrift zur Reform des Medizinalwesens“. 1 ) 

„Der Kreisarzt darf nicht durch die Mühen ausgedehnter privatärztlicher 
Praxis in seiner amtlichen Tätigkeit und in seinem Studium, welche die volle 
Arbeitskraft eines Mannes fordern, gehemmt werden. Dazu kommt, dass er, 
solange er Konkurrent in der ärztlichen Praxis ist, die notwendige Mitwirkung 
der praktischen Aerzte vielfach vermissen wird und dass er bei der Ausführung 
gesundheitspolizeilicher Massnahmen unabhängig von der Bevölkerung sein muß“. 

Aus der beigegebenen Uebersicht der Kosten für die Med.- 
Beamten erster Instanz geht hervor, dass in Hessen die im Haupt¬ 
amte angestellten Kreisärzte mit 5700 M. Durchschnittsgehalt mit 
Wohnungsgeld, Amtsunkosten am besten gestellt sind. 

Die Schwierigkeiten, mit denen die preussische Medizinal- 
Verwaltung zu kämpfen hat, sind jedem älteren Kollegen bekannt; 
sie sind in den Beratungen des Abgeordnetenhauses wiederholt in 
drastischer Weise zum Ausdruck gekommen, wie die Angriffe 
gegen die Kreisärzte, selbst gegen die Bezirksinstanz beweisen. 
Man hat in Laienkreisen keine rechte Vorstellung von den Auf¬ 
gaben und der Tätigkeit der Kreisärzte. Die auszugsweise Wieder¬ 
gabe der kreisärztlichen oder der Jahresberichte der Reg.- Med.-Räte 
nach Analogie der Gewerberäte durch die Presse würde manches 
schiefe Urteil richtig stellen. Die jährliche Zusammenfassung des 
Stoffes in der vom Herrn Minister veranlassten Ausgabe „das 
Gesundheitswesen in Preussen“ findet sich in den Händen nur 
Weniger, ihr Inhalt ist der grossen Masse und den unteren Ver¬ 
waltungsbehörden, besonders den selbstverwaltenden fast gänzlich 
unbekannt, was bei der grossen Reichhaltigkeit des dargebotenen 
bedauerlich erscheint. Auf keinem Gebiet ist Unwissenheit und 


') Siehe Zeitschr. f. Medizinalbeamte; 1905, S. 116,117. 



360 


Dr. Arbeit. 


Dilettantismus breiter als auf dem medizinischen — „der Geist 
der Medizin ist leicht za fassen,“ — und kein Beruf ist törichten, 
kritiklosen Angriffen mehr ausgesetzt als der des Mediziners, so¬ 
lange es überall gesundheitlich gut geht. Erst wenn die Nöte 
sozialen Elends und der Seuchen über die Menschheit stürzen, 
erst dann kommt das zagende Eingeständnis „Jarpos yap dcvrjp 
dtvTa^io? dcXXtov“. 

Die Abstandnahme von der Vollbesoldung der Kreisärzte war 
seiner Zeit durch die aus Abgeordnetenkreisen vorwiegend ge- 
äusserte Befürchtung bedingt, ein von der Praxis losgelöster 
Gesundheitsbeamter laufe Gefahr, Bnreaukrat zu werden. Es ist 
schon darauf hingewiesen, dass der Umfang der durch die Dienst¬ 
anweisung gestellten Aufgaben sehr praktischer Natur die Aus¬ 
übung ärztlicher Tätigkeit fast gänzlich verbietet. Aber bei der 
Unauskömmlichkeit der amtlichen Kompetenzen ist die Mehrzahl 
der Med.-Beamten unter Drangeben ihres persönlichen Einflusses 
und Ansehens gezwungen „mitzunehmen, was sich darbietet.* 
Darüber darf doch im Allgemeinen kein Zweifel bei uns herr¬ 
schen, ein vielbeanspruchter „Doktor“ kann kein gewissenhafter 
Kreisarzt sein, ein beschäftigter Kreisarzt kann nicht noch neben¬ 
bei „kurieren“. Schon die Anforderungen, welche der § 36 der 
Dienstanweisung an die Emsigkeit, den Fleiss, die Umsicht, die 
Energie und Ausdauer des Kreisarztes stellt, sind von einem mit 
Nebengeschäften belasteten Med.-Beamten kaum zu bewältigen. 
Wieviel bleibt ferner auf dem Gebiete der Wohnungshygiene der 
Mitarbeit des Gesundheitsbeamten! Auch das dem Kreisärzte 
erschlossene Gebiet der Gewerbehygiene findet bisher, soweit 
ersichtlich, eine dürftige Berücksichtigung seitens der Medizinal- 
Beamten. Wo nimmt ein mit Privatpraxis beschäftigter Kreisarzt 
die Zeit her, diesen Gebieten seine Aufmerksamkeit zuzuwenden, 
die einmal gefundenen Missstände im Auge zu behalten, ihre Ab¬ 
stellung selbst prüfend zu kontrollieren? Bei der Reorganisation 
der sozialpolitischen Gesetze im Sinne einer einheitlichen Zusammen¬ 
fassung, wie sie Graf v. Posadowsky kürzlich im Reichstage 
besprochen, ist die „Angliederung“ des Kreisarztes in den zu 
schaffenden Unterbau neben dem Gewerbebeamten gedacht, als 
„wirksames örtliches Organ für die Sozialpolitik des Staates*, 
also eine erweiterte, über das Schreiben von Gutachten hinaus¬ 
gehende Tätigkeit des Medizinalbeamten! Die von dem Herrn 
Staatssekretär bei dieser Gelegenheit an der bestehenden Organisation 
der sozialpolitischen Gesetze geübte Kritik könnte man wörtlich 
übertragen auf die durch die Medizinal-Reform geschaffenen un¬ 
vollkommenen, unfertigen Verhältnisse bezüglich der Kreisärzte. 
Herr v. Posadowsky äusserte ungefähr: 

„Wir haben oben einen Biesenaufbau im Beichsversicherungsamt, ohne 
eigentlichen Unterbau, da man die schwerwiegenden Aufgaben einfach den 
bisher bestehenden Behörden aufgebürdet; diese können die Arbeitslast nicht so 
bewältigen, wie erforderlich ist. Wenn wir res integra hätten, würden wir 
uns heute anders organisieren. Unterdeß haben wir ans mit kleinen Mitteln 
beholfen“. 

Der Vergleich ist nicht schwierig: Der Riesenaufbau in der 




Bemerkungen zur Stellung der Kreisärzte. 


861 


weitumfassenden grosszügigen Dienstanweisung, die den Kreisärzten 
damit gegebene Arbeitslast, die unzureichende Stellung der den 
Unterbau bildenden kreisärztlichen Organe. Und wenn trotzdem 
die Kreisärzte mit Hintenansetzung ihrer Privateinkünfte wie 
selbstverständlich ihre Pflicht tun, so kann es nur mangelndes 
Verständnis sein, dass von „ungeheuerlichem“ Anschwellen der 
Diäten und Missliebigkeit der Kreisärzte gefabelt wird. Man 
fürchtet das Eindringen sozialdemokratischer Tendenzen auf das 
platte Land: nun, die kreisärztlichen Bemühungen um Assanierung 
der Ortschaften, um Besserung der Schulverhältnisse, der Inst- 
häuser, ihre persönliche, eindringliche, von den Arbeitern, besonders 
deren Frauen anerkannte Art des Verkehrs mit ihnen ist der 
kräftigste Schutz gegen die sich breitmachende Unzufriedenheit 
jener im Allgemeinen leicht zu befriedigenden Kreise unseres 
Volkes — leicht, wenn man ihnen Verständnis entgegenbringt. — 
Ein sehr aktuelles Interesse hat der Staat daran, den an¬ 
dauernden Nachlass der Geburtenziffer durch ein Herabdrücken 
der Sterbeziffer auszugleichen. Seit 25 Jahren iBt die auf 1000 
Einwohner entfallende Geburtsziffer in Preussen in sichtlichem 
Böckgange 1 ); die Geburtenziffer 40 auf 1000 Einwohner kommt 
nicht mehr vor. Wenn sich trotzdem in den letzten 10 Jahren 
die Ueber8chÜ88e der Geburten über die Sterbefälle im Ver¬ 
gleiche mit den Jahrgängen von 1816 ab auf einer Höhe ge¬ 
halten, die immer noch einen Bevölkerungszuwachs von etwa */* 
Millionen jährlich gewährleistet, so ist das lediglich dem erheb¬ 
lichen Sinken der Sterbeziffer zu verdanken. Dass dies aber im 
wesentlichen ein Verdienst der verbesserten sanitären Verhält¬ 
nisse ist, sollte bekannt und anerkannt sein. Im vorigen Jahre 
wurde von einem Mitglieds des Herrenhauses der Wunsch 
ausgesprochen, dass mit Rücksicht auf die „grosse Säuglings¬ 
sterblichkeit“, der Herr Kultusminister doch mehr Bedacht auf 
auf eine bessere Unterweisung der angehenden Aerzte in der 
Behandlung der Säuglingskrankheiten nehmen möchte. Nun, dass 
eine soziale Erscheinung nicht mit Mitteln aus der Apotheke 
kuriert wird, sollte nicht mehr unbekannt sein. Welchen 
Einfluss die Verbesserung der hygienischen Verhältnisse mancher 
Orossstädte gerade auf die Säuglingsverhältnisse gehabt hat, 
zeigt die Statistik von Berlin, Breslau, Königsberg. Neben ein- 
zichtsvollen Bürgern sind es zumeist Aerzte gewesen, denen der 
Hauptanteil an diesem Kulturwerke zufällt. Und auf dem platten 
Lande ist der Kreisarzt der gegebene Pionier der Wohlfahrt der 
Arbeiter neben dem für diese Fragen mitinteressierten Geistlichen 
und Lehrer. Die Einschränkung der obligaten Gesundheits- 
kommis8ionen auf die Städte müsste eine Erweiterung in dem 
Sinne erfahren, dass in jedem Amtsbezirk jährlich eine Kommissions- 
aitzung stattzuflnden hätte, an welcher in erster Linie die Ge¬ 
meindevorsteher, ausserdem die Geistlichen und Lehrer teilnehmen 
könnten; denn bei den Ortsbesichtigungen mit ihrer lang aus- 


*) Siehe Statist. Jahrb.; 1904, S. 11. 



362 


Dr. Köhler. 


gedehnten Arbeit bleibt der Kreisarzt grösstenteils allein. Aber 
nm autoritativ auf die Bevölkerung einznwirken, reicht die Stellung 
des nicht vollbesoldeten Medizinalbeamten nur selten zu. 

Gegenüber den bei der Beratung des Seuchen-Gesetzentwurfs 
vom 1. Februar 1905 gefallenen Aeusserungen seitens hervor¬ 
ragender Abgeordneter über die Kreisärzte ist es „die höchste 
Zeit“, den Kreisärzten in Preussen „eine den Ansprüchen der 
öffentlichen Gesundheitspflege entsprechende Stellung einzu¬ 
räumen“. 1 ) Sie sind verantwortlich für lückenlose Durchführung 
der Dienstanweisung; eine solche setzt aber eine Tätigkeit im 
Hauptamte voraus und deshalb ist die Vollbesoldung die Kon¬ 
sequenz der Reform. Ihre Hinzögerung bedeutet Stagnation; 
ein weiteres Abwarten ist für die Zukunft gegenüber der stets 
wachsenden Bevölkerung, der steigenden industriellen Entwicklung 
nicht ohne schwere Nachteile für das öffentliche gesundheitliche 
Wohl denkbar! 


Die Besoldung und Pensionierung der vollbesoldeten und 
nichtvollbesoldeten Kreisärzte. 

Eine kritische Betrachtang von Geh. Med. - Bat Dr. Köhler, Kreisarzt 

in Landeshut. 

Der Abschnitt VI der Dienstanweisung enhält die Be¬ 
stimmungen über das Diensteinkommen, die Pensionsverhältnisse, 
die Versorgung der Hinterbliebenen der Kreisärzte.*) Nach dem 
§ 24 der Dienstanweisung besteht das Diensteinkommen der voll- 
besoldeten Kreisärzte in einem festen Gehalt, das von 8600 M. 
nach Dienstaltersstufen von je drei Jahren auf 4200, 4700, 5200 
steigend den Höchstbetrag von 5700 Mark erreicht. Dazu tritt 
ein pensionsfähiger Wohnungsgeldzuschuss, dessen Höhe durch die 
Klasseneinteilung der Orte bestimmt wird und etwa 500 Mark 
beträgt. 

Eine nichtpensionsfähige Amtsunkostenentschädigung von 
durchschnittlich 750 Mark soll dazu dienen, den Aufwand für 
Miete, Beheizung, Beleuchtung der Bureauräume, für die Bureau¬ 
bedürfnisse, Apparate etc. und die Ergänzung der Bibliothek ent¬ 
sprechend der fortschreitenden Entwickelung der ärztlichen und 
hygienischen Wissenschaft zu bestreiten. 

Die Pensionsverhältnisse sind geregelt nach dem Pensions¬ 
gesetz vom 27. März 1872 unter Berücksichtigung der Abände¬ 
rungen durch die Gesetze vom 31. März 1882, 30. April 1884 und 
vom 20. März 1890. 

Nach dem § 25 der Dienstanweisung besteht das Dienst¬ 
einkommen der nichtvollbesoldeten Kreisärzte in einem Ge¬ 
halt, welches von 1800—2700 Mark steigt. Die Steigerung im 


*) Siehe Zeitschr. f. Medizinalbeamte; 1905, S. 100. 

*) Siehe dazu die Erläuterungen im zweiten Bande des von dem Herrn 
Heg.- and Geh. Med.-Rat Dr. Rap man d heraasgegebenen Sammelwerkes: 
„Der beamtete Arzt“. 



Besoldung n. Pensionierung d. vollbesoldeten u. nichtvollbeeoldeten Kreisärzte. 863 

Gehalt erfolgt wohl nach Massgabe des Dienstalters, aber nicht 
in Form von Alterszulagen, sondern nach Massgabe eintretender 
Vakanzen in zwei weiteren Stufen auf 2250 und 2700 Mark, so 
dass sich je ein Drittel sämtlicher Kreisärzte in den Sätzen von 
1800, 2250 und 2700 Mark befindet, und von allen der für den 
nichtvollbesoldeten Kreisarzt festgesetzte Gehaltsdurchschnittssatz 
von 2700 Mark erreicht wird. Daneben sind ffir 263 Stellen je 
nach der Besonderzeit der Verhältnisse persönliche pensionBfähige 
Zulagen festgesetzt und zwar ffir 76 Stellen je 600 Mark, 161 
Stellen je 900 Mark und 26 Stellen je 1200 Mark. Ausserdem 
treten als pensionsfähig noch diejenigen amtsärztlichen Gebühren 
hinzu, die von den vollbesoldeten Kreisärzten an die Staatskasse 
abzuführen sind. Welche Gebühren von den vollbesoldeten an die 
Staatskasse abzuffihren und bei den nichtvollbesoldeten als pen¬ 
sionsfähig anzusehen und von beiden Beamten in das Gebühren¬ 
verzeichnis aufzunehmen sind, darüber sind weder im Gesetz, noch 
in der Dienstanweisung bestimmte Vorschriften gegeben. Nur in 
der Denkschrift zur Ausführung des Kreisarztgesetzes heisst es: 

.Als Gebühren sind anznsehen Vergütungen, welche zur ausschließlichen 
and alleinigen Zuständigkeit des Kreisarztes gehören und zu deren Vornahme 
er kraft seines Amtes berechtigt und verpflichtet ist.“ 

Dadurch ist gesorgt, dass die Bäume nicht in den Himmel 
wachsen und die Gebühren bei der Pensionierung der nichtvoll¬ 
besoldeten Kreisärzte ffir den Staatssäckel keine gefahrdrohende 
Höhe erreichen. 

Die Höhe der Gebühren ist in den Kreisarztbezirken ausser¬ 
ordentlich verschieden, schwankt in den Sätzen von 400—2000 M. 
and darüber. Daraus resultiert eine erschreckende Ungleich¬ 
heit des Diensteinkommens und der Pension der nichtvollbesoldeten 
Kreisärzte bei gleicher Pflichterfüllung. Ein nichtvollbesoldeter 
Kreisarzt, dem eine persönliche pensionsfähige Zulage — und deren 
gibt es 214 — nicht zuteil geworden ist, hat sich bei seiner 
Pensionierung damit zu bescheiden, dass ihr seine Besoldung, 
welche höchstens 2700 Mark beträgt, unter Hinzurechnung des 
Durchschnitts seiner Gebühren aus den letzten drei Jahren seiner 
Amtstätigkeit zugrunde gelegt wird. Waren die Gebühren gering, 
so ist seine Pension minimal. Erwägt man ferner, dass der Kreis¬ 
arzt in einem schon vorgerückten Lebensalter in sein Amt gelangt 
and seine Dienstjahre vom Moment seiner Anstellung bezw. seiner 
Vereidigung angerechnet werden, so erhellt daraus, dass er zu 
einer erheblichen Anzahl von Dienstjahren überhaupt nicht ge¬ 
langen und demgemäss seine Pension nur eine minimale Höhe 
erreichen kann. Im übrigen gelten auch für den nichtvollbesoldeten 
Kreisarzt die Bestimmungen des Pensionsgesetzes vom 27. März 
1872 mit seinen gesetzlichen Abänderungen. 

Das Gesetz vom 12. Mai 1873 bestimmt: „Den unmittelbaren 
Staatsbeamten, welche eine etatsmässige Stelle bekleiden und ihre 
Besoldung aus der Staatskasse beziehen, wird ein pensionsfähiger 
Wohnungsgeldzuschuss gewährt.“ Gleichwohl erhalten die 
nichtvollbesoldeten Kreisärzte, für die diese Bestimmung zutreffend 



364 


Dt. Köhler: Die Besoldung and Pensionierung 


ist, keinen Wohnungsgeldzuschuss, wohl aber durchschnittlich eine 
Amtsunkostenentschädigung von 250 Mark. Angeblich ist 
diese geringe Bemessung im Gegensatz zu der der voll besoldeten 
Kreisärzte dadurch gerechtfertigt, dass die nichtvollbesoldeten 
Kreisärzte meist schon entsprechende Einrichtungen, wie Sprech¬ 
zimmer etc. für die Ausübung ihrer Privatpraxis zu halten genötigt 
sind. Sie habenJ jedoch die Verpflichtung, mit dieser Entschädi¬ 
gung dieselben J Auslagen zn decken, wie die vollbesoldeten 
Kreisärzte. 

Der grosse Unterschied zwischen dem Diensteinkommen der 
vollbesoldeten und nichtvollbesoldeten Kreisärzte einerseits und 
anderseits der nichtvollbesoldeten untereinander soll nun dadurch 
ausgeglichen werden, dass dem vollbesoldeten bis auf dringende 
Fälle und Konsultationen mit anderen Aersten die ärztliche 
Praxis untersagt ist, während dem nichtvollbesoldeten die Er¬ 
laubnis zn praktizieren gegeben wird, jedoch mit der Einschränkung, 
dass die ihm durch die Dienstanweisung auferlegten Pflichten da¬ 
durch nicht vernachlässigt werden. Ferner glanbte man, das 
Diensteinkommen der vollbesoldeten Kreisärzte im Verhältnis zn 
dem der nichtvollbesoldeten in der geschehenen Weise normieren 
zu sollen, weil zu vermeiden sei, dass tüchtige Medizinalbeamte 
sich nicht veranlasst fänden, auf vollbesoldete Stellen zu verzichten, 
weil ihnen die Stelle eines nichtvollbesoldeten Kreisarztes ein 
reichlicheres Mass von Einnahmen sichere. In bezng auf die 
Pensionierung der nichtvollbesoldeten Kreisärzte war für die Be¬ 
stimmungen wiederum der Gedanke ausschlaggebend, dass ihre 
Pensionsquote eine höhere sein könne, als die der vollbesoldeten; 
denn es wird ausdrücklich hervorgehoben, dass die Pension eines 
nichtvollbesoldeten die eines vollbesoldeten Kreisarztes von gleichem 
Dienstalter nicht übersteigen dürfe! — 

Ueberall macht sich also die Meinung geltend, dass infolge 
der Privatpraxis und der pensionsfähigen Gebühren die Stellung 
des nichtvollbesoldeten Kreisarztes eine weit bessere sein werde, 
als die des vollbesoldeten. 

Die Erfahrung hat nnn gelehrt, dass die An¬ 
schauungen, welche das System der Besoldung der 
Kreisärzte und insbesondere der Pensionierung der 
nicht vollbesoldeten gezeitigt haben, völlig irrig sind. 

Die Praxis der nicht vollbesoldeten Kreisärzte wird durch 
den Umfang ihrer Dienstpflichten lahmgelegt; denn die Amta¬ 
geschäfte haben selbst in kleinen Kreisen eine derartige Aus¬ 
dehnung gewonnen, dass sie auch hier die volle Arbeitskraft des 
Beamten in Anspruch nehmen. Der Kreisarzt, der heute einen 
Schwerkranken übernimmt und morgen oder übermorgen nicht in 
der Lage ist, ihn zu besuchen, der oft genötigt ist, seine Sprech¬ 
stunden auszusetzen, sieht in kurzer Zeit seine Praxis und das 
dadurch erzielte Einkommen auf ein Minimum reduziert. Hatte er 
früher die Leitung eines grossen oder grösseren Krankenhauses, 
so liess sich auch diese nicht mehr mit der Erfüllung seiner 
Dienstpflichten vereinigen; wurde ihm ein anderer Wohnsitz an- 



der vollbesoldeten and nichtvollbesoldetenjgKrelsärzte. 


365 


gewiesen, so ist er überhaupt nicht in der Lage und nicht im¬ 
stande, sich mit Ausübung der ärztlichen Praxis zu beschäftigen 
oder eine solche zu erwerben. Warte- und Sprechzimmer sind 
mit der Zeit Bureauräume geworden. Demzufolge ist jetzt der 
nichtvollbesoldete Kreisarzt mit tausend Freuden bereit, die Stelle 
eines vollbesoldeten zu übernehmen, zumal diesem ein Assistenz¬ 
arzt zur Seite steht, der sich mit ihm in die Amtsgeschäfte teilt. 
Es ist mir ein Fall bekannt, dass ein vollbesoldeter Kreisarzt 
unter diesen Umständen noch die Leitung eines grossen Kranken¬ 
hauses beibehalten konnte. 

So sehen wir denn die Beamten ein und derselben Kategorie 
von gleicher Ausbildung und mit gleichem Pflichtenkreise ver¬ 
schieden geschätzt und bewertet, das System der Besoldung und 
Pensionierung der nichtvollbesoldeten Kreisärzte aufgebaut auf 
irrigen, unhaltbaren Voraussetzungen — ein System der Willkür 
und der Ungerechtigkeit, das in unserem engeren preussischen 
V&terlande nicht seines gleichen findet. Im Interesse der Ge¬ 
rechtigkeit ist die Aufhebung dieses Systems geboten und an seine 
Stelle ein anderes, dem umfangreichen, verantwortungsvollen 
Pflichtenkreise entsprechendes zu setzen. 

Es könnte dies dadurch geschehen, dass die niohtvollbesoldeten 
Kreisarztstellen in vollbesoldete umgewandelt werden — die ein¬ 
fachste Lösung. Sollte es zurzeit jedoch aus finanziellen Bück- 
sichten nicht angängig erscheinen, dass sämtliche nichtvollbesoldete 
Kreisärzte mit gleichem Masse gemessen werden, so gewähre man 
wenigstens sämtlichen, nicht nur einem Bruchteile, eine persönliche, 
pensionsfähige Zulage, deren Abstufung durch die Höhe der Ge¬ 
bühren in den einzelnen Kreisarztbezirken bestimmt wird. Vor allem 
erscheint es aber, um die Ungerechtigkeit in den Pensionsverhält¬ 
nissen der vollbesoldeten und nichtvollbesoldeten Kreisärzte zu 
heben, geboten, die Pension des nichtvollbesoldeten der Pension 
des vollbesoldeten Kreisarztes von gleichem Dienstalter gleich¬ 
zustellen. 


Besprechungen. 

Prot Dr. H. Senator, Geh. Med.-Bat und Dr. 8. Xaminer: Krank 
holten und Ehe. I. F. Lehmanns Verlag. München 1904. Gr. 8° 
857 8. Pr.: 18 Mk. brosch., 20 Mk. geh. 

Die Herausgeber haben sich mit einer Beihe bekannter Aerzte, darunter 
unsere namhaftesten Kliniker, verbunden, um in dem Werke „Krankheiten und 
Ehe* eine Darstellung der Beziehungen zwischen Gesundheitsstörungen und 
Ehegemeinschaft zu geben. Die Ehe verdient im Sinne der allgemeinen Ge¬ 
sundheitspflege und Erhaltung der Volkskraft die allergrößte Beachtung. „Sie 
kann einerseits eine Quelle von Krankheiten und eine Ursache zur Ver¬ 
schlimmerung schon bestehender Krankheiten werden, wie anderseits Krank¬ 
heiten oder körperliche Mängel störend und schädlich auf die Ehe einwirken 
können, und endlich kann wiederum die Ehe die Heilung oder Besserung 
krankhafter Zustände herbeiführen.* In diesen Worten Senators liegt die 
Bedeutung der Ehe und das Programm des vorliegenden Werkes. Der all¬ 
gemeine Teil enthält außer der Einleitung des ersten Herausgebers folgende 
Arbeiten: 1. Hygienische Bedeutung der Ehe (Gruber-München); 2. ererbte 
und angeborene Krankheiten und Krankheitsanlagen (Orth-Berlin); 3. Bluts- 



366 


Besprechungen. 


Verwandtschaft in der Ehe and deren Folgen für die Nachkommenschaft 
(Kr aas-Berlin); 4. Klima, Basse and Nationalität in ihrer Bedeatang für die 
Ehe (Havelburg-Berlin); 6. sexuelle Hygiene in der Ehe (Fttrbringer- 
Berlin); 6. Menstruation, Schwangerschaft; 7. Wochenbett and Laktation (Koss- 
m a n n - Berlin). Der spezielle Teil behandelt 8. Konstitationskrankheiten und 
Ehe (Senator - Berlin); 9. Blatkrankheiten and Ehe (B o s i n - Berlin); 

10. Krankheiten des Gefäßapparates and Ehe (v. Leyden and Wolff-Berlin); 

11. Krankheiten der Atmungsorgane and Ehe (Kaminer-Berlin); 12. Krank¬ 
heiten der Verdauungsorgane and Ehe (Ewald-Berlin); 13. Nierenkrankheiten 
und Ehe (Bichter-Berlin); 14. Krankheiten der Bewegungsapparate and 
Ehe (Hoffa-Berlin); 15. Beziehung der Ehe zu Augenkrankheiten mit 
besonderer Backsicht auf die Vererbung (Abelsdorff-Berlin); 16. Haut¬ 
krankheiten und Ehe (Ledermann-Berlin); 17. Syphilis und Ehe (Leder¬ 
mann - Berlin); 18. Trippererkrankungen und Ehe (Neisser -Breslau); 19. Er¬ 
krankungen der tieferen Harnwege, physische Impotenz and Ehe (Posner- 
Berlin); 20. Frauenkrankheiten, Empfängnisunfähigkeit and Ehe (Blumreich- 
Berlin; 21. Nervenkrankheiten and Ehe (Eulenbarg-Berlin); 22. Geistes¬ 
krankheiten und Ehe (Mendel-Berlin); 23. Perverse Sexaalempfindung, psy¬ 
chische Impotenz and Ehe (Mo 11-Berlin); 24. Alkoholismas, Morphinismus 
and Ehe (A. Leppm&nn and F. Leppmann-Berlin); 25. Gewerbliche 
Schädlichkeiten und Ehe (A. Leppmann and F. Leppmann-Berlin); 
26. ärztliches Berufsgeheimnis und Ehe (Placzek-Berlin); 27. die sozial¬ 
politische Bedeatang der sanitären Verhältnisse in der Ehe (Eberstadt - Berlin). 
Aus der Mannigfaltigkeit und Verschiedenheit dieser Themata erhellt ohne 
weiteres, daß die Ehegemeinschaft mit allen ihren Folgezuständen ein außer¬ 
ordentlich großes Feld für die Betätigung der Volkshygiene and der ärztlichen 
Fttrsorge darbietet; die Namen der Autoren gewährleisten die sachgemäße 
and erschöpfende Behandlung der Materie, auf die im einzelnen hier nicht 
eingegangen werden kann. Wer — in amtlicher oder privater Tätigkeit — 
Gelegenheit hat, den sanitären Verhältnissen der Ehegemeinschaften eine 
gesteigerte Fürsorge angedeihen zu lassen, der wird im vorliegenden Werk 
Anregungen and Hinweise finden, eine Unsumme von Krankeiten und Elend zu 
verhüten und viele Ehen glücklicher za machen. Gerade in unserer Zeit scheint 
mir das vorliegende Werk eine besondere Beachtung za verdienen. Die Ehe¬ 
probleme sind heute moderner denn je. In Tageszeitungen und Zeitschriften, 
in der Belletristik and Bomanlitcratar and nicht zam wenigsten auf den 
Brettern, die die Welt bedeuten, tritt ans eine Fülle von Gedanken und ein 
Ueberflaß von Vorschlägen entgegen, die schließlich alle dahinzielen, die Ethik 
der Ehe zu vertiefen. Und doch gibt es wie za allen Zeiten so auch heute 
kein notwendigeres und sicheres Fundament für die Ehegemeinschaft als die 
körperliche Tüchtigkeit der Eheschließenden. Leider stirbt der alte 
Hausarzt, dessen Urteil für die Erteilung des Ehekonsenses von ausschlag¬ 
gebender Bedeutung war and sein sollte, immer mehr aus; dos gesundheitliche 
Moment ist damit für die Ehe Nebensache geworden. Nicht zum wenigsten 
aas diesem Grande gibt es heate so viele unglückliche, ansittliche Ehen, so 
viele Eheirrungen and Ehescheidungen. Es ist darum den Verfassern zum 
Verdienst anzurechnen, daß sie in der vorliegenden, hervorragend erschöpfen¬ 
den und übersichtlichen Form die Aufmerksamkeit auf das Grandthema Krank¬ 
heit und Ehe lenken. Möchte ihr Werk bei Aerzten and aach in Kreisen, 
denen sozialpolitische Ideen, betr. die Fortpflanzung des Menschengeschlechtes 
und Stärkung der Volkskraft naheliegen, die weiteste Verbreitung finden. 

_ Dr. Boepke-Melsungen. 


Lehmanns medizinische Atlanten. Bd. 10. Prof. Dr. Lehmann und 

Dr. Venmann in Würzbarg: Atlas und Grandriß der Bakterio¬ 
logie and Lehrbuch der speziellen bakteriologischen Dia¬ 
gnostik. HI. Auflage. Teill: Atlas, Teil II: Text. München 1905. 
Preis: 16 Mark. 

Vorstehendes Werk ist nnn schon in dritter, sorgfältig durchgearbeiteter 
Auflage erschienen. Der Text gliedert sich in einen allgemeinen und einen 
speziellen Teil. Der allgemeine Teil befaßt sich mit den Haupteigenschaften 
der Bakterien, soweit sic praktisch wichtig und vor allem, soweit sie zur 



Besprechungen. 


867 


Diagnose verwertbar sind. Aach die Anfertigung von Nährböden, die gebräuch¬ 
lichsten Färbe-Vorschriften und andere Dinge der bakteriologischen Technik 
werden genügend gewürdigt. Der spezielle Teil ist auf botanischer Basis auf 
gebaut. Ein Vorzug dieses Teiles ist, daß derselbe eigentlich aus den eigenen 
Untersuchungen und Erfahrungen der Verfasser heraus entstanden ist. Die 
Verfasser haben sich angelegen sein lassen, möglichst selbst Untersuchtes und 
nnd Geprüftes zu bringen und nicht nur einen gedrängten Auszug aus der 
überaus reichlich schon existierenden Literatur. Dieser Umstand macht das 
Werk doppelt wertvoll. Dabei ist auch die Literatur bis zum 1. August 1908 
kritisch verwertet worden. Viele Kapitel sind gegen früher bedeutend um¬ 
gearbeitet oder ganz neu geschrieben worden. Der Atlas bringt eine Fülle 
gut gelungener Abbildungen. Der Darstellung von Bakterien sind 6 neue 
Tafeln gewidmet. Mit wenig Ausnahmen haben wir nur Originale im Atlas. 
Das in zwei Bänden vorliegende Werk verdient die weiteste Verbreitung, da 
dasselbe sowohl für den Anfänger, wie für den Vorgeschrittenen zur Einführung 
bezw. zum weiteren Studium der Bakteriologie sehr geeignet ist. Vor allem 
dürfte Lehmann-Neumann ein gern gesehenes Werk in den bakteriologi¬ 
schen Untersuchungsstellen sein, denen nicht Mittel zur Anschaffung größerer 
und umfangreicher Werke auf dem besprochenen Gebiete zur Verfügung stehen. 

_ Dr. E n g e 1 s - Stralsund. 


Htm.Soheleax- Kassel: Geschichte der Pharmaaie. Berlin 1904. 

Verlag von Julius Springer. 

Mit bewundernswertem Fleiße und Geschick hat der Verfasser eine Fülle 
fachgeschichtlichen Stoffes zusammengetragen und gesichtet; Bibel, Papyrus¬ 
rollen, Inschriften der Tempelwände, Sanskrithandschriften etc. sind ausgebeutet, 
um eine möglichst eingehende Schilderung der ersten Anfänge der Heil- 
nnd Arzneikunde bei den Völkern des grauen Altertums zu geben; nicht 
minder sorgfältig und mit Bienenfleiß wurde aber auch aus den reichen 
Schätzen in- und ausländischer Bibliotheken, aus Fachblättern und verschie¬ 
denartigen Zeitschriften alles auf Arzneibereitung Bezügliche gesammelt 
nnd in knappster Form so übersichtlich geordnet, daß trotz der erdrückenden 
Stofffülle der Leser mühelos ein klares Bild der geschichtlichen Entwickelung 
der Pharmazie bis auf die neueste Zeit gewinnt. Es darf wohl mit Hecht 
behauptet werden, daß das vorliegende neue Buch die vollständigste bisher 
geschriebene Geschichte der Pharmazie darstellt, aus der nicht nur der strebsame 
jnage Pharmazeut reiche Belehrung schöpfen kann, sondern das auch der ältere 
Apotheker als wissenschaftliche Lektüre und als Nachschlagebuch lieb ge¬ 
winnen wird, wenn er erst gesehen hat, daß es ihn kaum jemals bei einer 
Frage in Stich läßt. 

Obgleich das umfangreiche Werk in erster Beihe für die Fachgenossen 
des Verfassers geschrieben ist, so kann indessen auch der Arzt, der für die 
Geschichte der Heilwissenschaften Interesse hat, und insbesondere der Medizinal¬ 
beamte vieles darin Anden, was ihm Belehrung und in der dargebotenen 
klaren, bisweilen sogar humorvollen Form auch Genuß gewähren wird. Waren 
ja doch ?on alters her bis ins 13. Jahrhundert hinein — bis zu der hochwichtigen 
Verordnung Friedrichs II im Jahre 1224, die zuerst eine Scheidung der 
Medizin von der Pharmazie, Anlage und Ueberwachung von Apotheken ver¬ 
fügte — beide Wissenschaften so eng miteinander verquickt, daß sich die 
^schichte der Medizin dieses Zeitraumes mit der der Pharmazie nahezu deckt. 
Aber auch aus der Geschichte der späteren Zeiten kann der beamtete Arzt 
so manche interessante Einzelheit aus der Entwickelung des Apothekenwesens 
^fahren, die nicht allgemein bekannt iBt und die er anderwärts vergeblich 
suchen dürfte. Er lese nur die Abschnitte über die begreiflichen Bestrebungen 
der deutschen Arzte und Apotheker, aus den Unannehmlichkeiten der Bunt- 
scheckigkeit einzelstaatlicher Arzneibücher heraus zu einem einheitlichen 
•Dniversalarzneibuche“ zu gelangen, und die zur Herausgabe der Pharmacopoea 
germanica 1872, endlich des Arzneibuches für das Deutsche Reich 1890 führten — 
über die gleichen Strömungen hinsichtlich der Arzneitaxen — die historische 
Eatwickelung der Apotheken-Gesetzgebung, von der ersten preußischen Apo- 
uekerordnnng vom 11. Oktober 1801 bis zur Betriebsordnung vom 18. Febrnar 
1902 — endlich über die höchst interessanten Beformbewegungcn, die auf Auf- 



868 


Besprechungen. 


hebung und Ablösung der Privilegien hinzielten, teils) Staatsapotheken, teils 
PerBonalkonzession, teils Gewerbefreiheit forderten und erbitterte Kämpfe 
zwischen den verschiedenen Lagern, in Presse und Parlamenten zeitigten — 
und er wird befriedigt sein über die Fülle des Gebotenen. Nicht minder reich¬ 
haltig sind die dem Kurpfuschertum und dem Geheimmittelunwesen gewidmeten 
Abschnitte. 

Wer das Buch erst näher kennen gelernt hat, kann ihm nur von Herzen 
eine weite Verbreitung, auch über den Apothekerstand hinaus, wünschen. Vor 
allen Dingen möge der buchhändlerische Erfolg zeigen, daß der deutsche 
Apothekerstand trotz des immer mehr überhandnehmenden Hastens und Jagens 
nach kaufmännischem Gewinn doch noch Männer genug unter sich zählt, die 
nicht nur als Kaufleute oder Gewerbetreibende, sondern ebensowohl auch als 
Angehörige eines „gelehrten“ Berufes sich fühlen, die in den Mußestunden sich 
gern in die Geschichte ihres altehrwürdigen Standes vertiefen, um daraus Be¬ 
lehrung und Anregung, aber auch Stolz und rechte Liebe zum erwählten Berufe 
zu gewinnen. Dr. Gottschalk-Bathenow. 

Dr. Paul Th. Mftller, Privatdozent für Hygiene an der Universität Graz: 

Vorlesungen (Iber Infektion und Immunität. 1904. Verlag von 

Gustav Fischer in Jena. 

Das Müll ersehe Werk gehört unstreitig zu den besten Bearbeitungen 
des z. Z. bekannten Gebietes der Infektions- und Immunitätslehre; es gewährt 
einen umfassenden Ueberblick über den gegenwärtigen Stand der Bakterien¬ 
forschung, jenes Gebietes, das in neuerer Zeit so großes Interesse beansprucht 
und in den Vordergrund unseres therapeuthischen Handelns gestellt wird. In 
ungemein scharfsinniger Weise behandelt der Verfasser die Biologie der Mi¬ 
kroben und schildert, dabei immer auf den Grundsätzen EhrlichB fußend, 
die mannigfachen Systeme und Hypothesen über Wirkungsweise, Stoffwechsel, 
Toxinwirkungen der Bakterien; besonders eingehend entwickelt er die Lehre 
von den bakteriziden und hämolytischen Wirkungen der Körpersäfte und gibt 
eine außerordentlich klare Darstellung von dem Wesen und Zustandekommen 
der Toxinimmunität. Aus den vielen geistreichen Versuchen und Forschungen 
zahlreicher Autoren zieht der Verfasser mit logischer Schärfe seine Schlüsse 
und stellt die hervorragende Wirkung einiger Immunsera auf den Tierkörper 
fest, welche fast plötzlich den Kampf mit den eingedrungenen Mikroorganismen 
aufnehmen und siegreich zu Ende führen. 

So klar und einleuchtend dies schwierige Gebiet auch durchforscht und 
behandelt ist, so aussichtsvoll die Nutzanwendung der bisher nur im Reagens¬ 
glase oder im Tierkörper gemachten Erfahrungen auch für den menschlichen 
Körper erscheint, so wenig dürfen wir uns in Sicherheit wiegen und unsere 
Hoffnung einzig auf die neuen, aus den Fortschritten der Bakteriologie resul¬ 
tierenden Behandlungsmethoden setzen und dabei, wie es ja leicht denkbar 
ist, andere bewährte Methoden außer Acht lassen. „Alle jene Methoden des 
Laboratoriums sind doch nur Behelfe, da sie künstlich die Krankheit nach- 
ahmen; sie können nur das Aeußere der Dinge treffen, aber sie werden nie den 
Kernpunkt der Sache, das Entstehen und Werden der Funktionsstörung, den 
kunstvollen Ausgleich, wie ihn der unter besonderen Bedingungen stehende 
und kämpfende menschliche Organismus bietet, vorführen; sie werden mit dem 
eigentlichen Mechanismus und dem Wesen der Regulationsvorgänge, denen 
wir als Symptome am Krankenbette begegnen, nie identisch sein. Das Ex¬ 
periment bereichert wohl die wissenschaftliche Erkenntnis, es darf aber nicht 
prätendieren und die Richtschnur des praktischen Handelns am Krankenbett 
sein.“ (Prof. 0. Rosenbach, Arzt c./a. Bakteriologie). 

Allen denen aber, die sich mit den wichtigen und interessanten For¬ 
schungsergebnissen der Bakteriologie bekannt machen wollen, dürfte dies aus¬ 
gezeichnete Buch Müllers in erster Linie zu empfehlen sein. 

Dr. Rump-Osnabrück. 

Prof. Dr. Max Gräber -München: Tuberkulose und Wohnungsnot. 

Verlag „Bodenreform“. Berlin NW. 23. Preis: 0,50 M. 

Verfasser bewertet nach einer kurzen, aber entschiedenen Ablehnung der 
v. Behring sehen Lehre über Tuberkuloseentstehung in sehr treffender, ob- 



Tagesnaehriehten. 


369 


jektiver Weise unsere modernen Bestrebungen zur Ausrottung der Tuberkulose 
als Volkskrankheit: Die Heilstättenbewegung, die Fürsorgestellen, die Grün¬ 
dung von Asylen für unheilbare Schwindsüchtige und deren Isolierung. Bei 
aller Wichtigkeit und prinzipieller Richtigkeit dieser Maßnahmen bleibt aber 
Grubers Ansicht dennoch die Wohnungsreform die unentbehrliche 
Vorbedingung für den erfolgreichen Kampf gegen die Tuberkulose. Die für 
den Wohnungsbau im Großen erforderlichen Geldsummen wären wohl aufzu- 
bringen, wenn man den durchaus gang baren W eg der Bodenreform einschlagen 
wollte. _■* r 38l-Dr. Roepke-Melsungen. 


Dr. Otto w. Sohroon, Professor der pathoL Anat. in Neapel: Der neue 
Mikrobe der Itungenphthlae und der Unterschied swrisohen 
Tuberkulose und Sohwlndsuoht. Verlag von Carl Haushalter. 
München 1904. KL 8°, 84 S. Preis: 2 Mk. 

Schroen erklärt in einem vor der medizinischen Fakultät der Univer- 
ntit gehaltenen und mit 21 mikro-photographischen Demonstrationen erläuterten 
Vorträge Tuberkulose und Schwindsucht für zwei ätiologisch verschiedene 
Krankheitsprozesse. Die Tuberkulose werde durch den „Baumgarten- 
Koch sehen Bacillus“ hervorgerufen, während der Mikrobe der Schwindsucht 
oder Phthise „ein verzweigter, arboreszierender, fruktifizierender Fadenpilz sei 
von einer solchen Größe, daß er dem kleinen Tuberkelbazillus gegenüber wohl 
mit mehr Recht ein Makrobe als ein Mikrobe bezeichnet zu werden verdient“. 
TnberkelbaziUus und Mikrobe der Phthise produzieren spezifische Krystalle, 
durch die der qualitative Unterschied zwischen Tuberkulose und Phthise noch 
ganzbesonders bestätigt wird. Dies sind die springenden Punkte der Schroen* 
sehen Darlegungen. Die Botschaft hör’ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube, 
um so mehr, als Schroen am Schlüsse gesteht, daß er die heute besprochene 
und in Präparaten demonstrierte Untersuchung als eine noch nicht ab¬ 
geschlossene, sondern noch im Werden begriffene vorgelegt habe. Also warten 
wir ab! Dr. Roepke-Melsungen. 


Tagesnaehriehten. 

Ans dem Belohn tage. Der Reichstag hat in seiner Sitzung vom 
10. Mai die in der Internationalen Sanitätskonferenz zu Paris am 3. Dezember 
abgeschlossene Uebereinkunft, betr. die Bekämpfung der Pest und der Cholera, 
angenommen. Der Abg. Schräder sprach die Bitte aus, daß die verbündeten 
fiegierungen ihre Bemühungen darauf richten möchten, die Türkei und Bul¬ 
garien zum Anschluß an die Konvention, der sie bisher nicht beigetreten sind, 
tu veranlassen. _ 


Dem Bundesrat sind die Grundsätze zugegangen, welche das Reichs¬ 
gesundheitsamt aufstellte, um möglichst über das ganze Reichsgebiet hin den 
Staaten Anhaltspunkte für eine gute, d. h. im Sinne der Wissenschaft best- 
rerstandene Wasserversorgung an die Hand zu geben. 


Der preußische Kultusminister hat durch Erlasse vom 20. und 28. April 
i J. eine eingehende Berichterstattung über die Genickstarre angeordnet. *) 
Bausch erkrankten (starben) im Reg.-Bez. Oppeln in den letzten 9 Wochen 
Tom 6.-12. März: 12ö (60), 13.—19. März: 166 (88), 20.-26. März: 147 (84), 
27.März bis 2. April: 187 (99), 3.-9. April: 216 (116), 10.-16. Aprü: 182 (111), 
17.-23. April: 207(112), 24.—30. April: 207 (94), 1.-7. Mai: 210 (100). Vom 
1. Januar bis 30. April erkrankten (starben) im ganzen Staat 1936 (994); davon 
in der Provinz Schlesien allein 1814 (932), in Ostpreußen 18 (8), Westpreußen 
16(9), Brandenburg 27 (11), Pommern 6 (2), Posen 6 (3), Sachsen 7 (4), Schles- 


*) Siehe Beilage Rechtsprechung u. Medizinal - Gesetzgebung zur heu¬ 
tigen Nummer, S. 79. 



370 


Tagesnachriohtea. 


wig-Holstein 8 (8>, Hannover 9 (6), Westfalen 21 (10), Hessen-Nassau 4 (2), 
Rheinprovinz 5 (3), Hohenzollern 1 (1). 


Die vom 14.—15. Mai d. J. in Bern abgehaltene Internationale 
Arbeiterschutz-Konferenz hat folgende Grondzüge eines inter¬ 
nationalen Uebereinkommens bezüglich des Verbots der Verwendung vea 
vreissem (gelbem) Phosphor in der Zündholzindastrie angenommen: Art. 1. 
Vom 1. Januar 1911 an ist die Herstellung, die Einfuhr und der Verkauf von 
Zündhölzern, die weißen (gelben) Phosphor enthalten, verboten. Art. 2. Die 
Urkunden über die Ratifikation sollen spätestens am 31. Dezember 1907 hinter¬ 
legt werden. Art. 3. Die Regierung von Japan wird eingeladen werden, bis 
zum 31. Dezember 1907 ihren Beitritt zu diesem Uebereinkommen zu erklären. 
Art. 4. Das Uebereinkommen tritt in Kraft, wenn die bei der Konferenz ver¬ 
tretenen Staaten und Japan beigetreten sind. 

Die Konferenz ist auch über die Festsetzung der Grundzüge eines inter¬ 
nationalen Uebereinkommens betreffend das Verbot der gewerblichen Nacht¬ 
arbeit der Frauen zu einer Einigung gelangt. 


Betreffs des Verkehrs mit Geheimmitteln bringt die amtliche Berliner 
Korrespondenz (Nr. 22 vom 12. Mai d. Js.) folgende Notiz: „Die unter den 
Bundesregierungen vereinbarten Vorschriften über den Verkehr mit Geheim- 
mittein und ähnlichen Arzneimitteln sind seit mehr als einem Jahre in Kraft 
und haben, soweit Nachrichten vorliegen, zu einer wesentlichen Einengung des 
Handels mit den von den Vorschriften betroffenen Mitteln geführt. Daß es aa 
Umgehungsversuchen nicht fehlen würde, war vorauszusehen; namentlich durch 
Aenderung des Namens unter geringfügiger Aenderung der Zusammensetzung 
hat man versucht, solche Mittel dem Wirkungsbereich der ergangenen Ver¬ 
ordnungen zu entziehen. Auch hat sich eine verstärkte Reklame für neue 
oder in die Geheimmittellisten zunächst nicht aufgenommene Mittel bemerkbar 
gemacht. Es erscheint deshalb an der Zeit, eine Revision dieser Listen vor¬ 
zunehmen. Das Reichsamt des Innern hat Verhandlungen hierüber mit den 
Bundesregierungen eingeleitet.“ J ) 

Die 9. Generalversammlung des Deutschen Zentralkomitees zur Er¬ 
richtung von Heilstätten für Lungenkranke findet am 9. Juni d. Js. im 

Plenar-Sitzungssaale des Reichstagshauses statt. Es werden Vorträge gehalten 
werden vom Beigeordneten Mann köpf f-Remscheid Uber die Entwickelung 
der Auskünfte- und Fürsorgestellen für Tuberkulöse in Deutschland, vom Re¬ 
gierungsrat Dr. Weber vom Kaiserlichen Gesundheitsamt-Berlin über die 
Resultate der neuesten Tuberkulose-Forschungen, von Dr. A. Kayserling: 
die Bedeutung der Volksbelehrung im Kampfe gegen die Tuberkulose. Auf 
Wunsch wird den Mitgliedern zur Reise nach Berlin und zurück von der 
Geschäftsstelle ein Fahrtausweis zur Erlangung der Fahrpreisermäßigung (auf 
die Hälfte) übersandt. 


Die erste Tagung der Deutschen Gesellschaft für gerichtliche Medizin, 
welche seit der kurzen Zeit ihres Bestehens schon 223 Mitglieder zählt, wird 
am 25.-28. September a. c. zu Meran zugleich mit der daselbst tagenden 
77. Versammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte stattfinden. 

Folgende Diskussionsgegenstände sind auf die Tagesordnung gesetzt 
worden: 1. „Tod durch Elektrizität“. Referenten: Prof. I)r. Krattcr-Graz 
und Dr. Je 1 lin ek- W r ien. 2. „Morphinismus in strafrechtlicher Beziehnng“. 
Referenten: Dr. v. Kaan-Meran und Prof. Dr. S t r a ß m a n n - Berlin. 3. „L)er 
Geisteszustand jugendlicher Krimineller“. Referenten: Prof. Dr. An ton- Graz 
und Prof. Dr. P u p p e-Königsberg. Von der Aufstellung weiterer Diskussions¬ 
gegenstände ist Abstand genommen, damit die für die Verhandlungen der Ge¬ 
sellschaft zur Verfügung stehende Zeit nicht übermäßig durch die Diskussions¬ 
gegenstände absorbiert wird. 

*) Eine Folge dieser Verhandlungen ist jedenfalls der in der heutigen 
Beilage (Rechtsprechung und Med. - Gesetzgebung, S. 81) abgedruckte Erlaß 
des preuß. Ministers der usw. Med.-Angelegenheiten vom 6. Mai d. J. 



Tagesnaehriehten. 


871 


Vorträge oder Demonstrationen sind unter Mitteilung der Themas bald¬ 
möglichst H. Prof. Dr. Puppe-Königsberg anzumelden. 


77. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte in Meran vom 
24. — 30. September d. J. Der Vorstand der Abteilung fttr Hygiene, 
Bakteriologie und Tropenhygiene bittet Vorträge und Demonstrationen 
an den Universitätsprofessor San.-Bat Dr. Lode in Innsbruck, Bürgerstraßeßl, 
sobald als möglich einzusenden, da das vorläufige Programm bereits im Juni 
zur Versendung gelangen soll. 


Der VH. Deutsche Samaritertag findet vom 80. Juni bis 2. Juli in 
Kiel unter dem Ehrenpräsidium Sr. KönigL Hoheit des Prinzen Heinrich 
Ton Preußen statt. Exz. t. Esmarch wird die Hauptsitzung eröffnen 
mit einer Ansprache über die Entwickelung des Samariterwesens. Weitere 
Vorträge werden halten: Exz. y. Bergmann-Berlin: Der Arzt und seine 
Gehilfen; Dr. Boediger -Frankfurt a. M.: Bettungsschwimmen; Professor 
Dr. George Meyer- Berlin: Die Zentralisation des Bettungswesens; San.-Bat 
Dr. V o g e 1 - Eisleben: Ueber das Samariterwesen im Bergbau. 

Die Jahresversammlung Bayerischer Psychiater findet am 13. und 
14. Juni 1905 in München statt. Vorträge: 1. Privatdozent Dr. Alz¬ 
heimer-München: „Ergibt sich ein annähernd gleicher Krankheitsprozeß bei 
allen Geisteskrankheiten mit anatomischem Befund? 2. Dr. Ast-München: 
„Einig e Fälle von induzirtem Irresein,. 8. Dr. Busch-München: „Experi¬ 
mentelle Untersuchungen über die Wirkungen verlängerter Bäder. 4. San.-Bat 
Dr. F a u s e r - Stuttgart: „Zur Psychologie des Symptoms der rythmischen Be¬ 
tonung bei Geisteskranken." 5. Privatdozent Dr. Gau pp-München: „Die 
Depresaionszustände des höheren Alters." 6. Prof. Dr. Gudden-München: 
,Ueber Schlaftrunkenheit." 7. Prof. Dr. Kraepelin-München: „Fragestel¬ 
lungen in der klinischen Psychiatrie.“ 8. Prof. Dr. Nissl-Heidelberg: „Psy¬ 
chiatrische Fehldiagnosen." 9. Dr. Nitzs che-München: Thema Vorbehalten. 
10. Dr. Banke-München: „Ueber eine besondere Form von Entwicklungs¬ 
hemmung der Großhirnrinde." 11. Dr. Behm-München: „Weitere Erfahrungen 
über Lumbalpunktion." 12. Dr. Beichart-Würzburg: „Ueber die Bestim¬ 
mung der Schädelkapazität an der Leiche." 13. Prof. Dr. Specht-Erlangen: 
„Chronische Manie und Paranoia.“ 14. Dr. Strantzky-Wien: „Zur Lehre 
ron der Sprachverwirrtheit.“ 16. Dr. Weiler-München: „Demonstration 
eines neuen Pnpillenmeßapparates". 16. Direktor Dr. Vocke-München: „Li¬ 
quidationen in Strafsachen." 17. Prof. Dr. Weygandt-Würzburg: „Ueber 
Mongolismus." 


Spreohaa&L 

Anfrage des Kreisarztes Dr. G. in St.: Ist eine Entscheidung 
dahin ergangen, daß der Beamte bei Dienstreisen für die Hin- 
ond die Bückreise Berechnung ein und desselben Weges be¬ 
anspruchen darf? Oder ist der Beamte verpflichtet, wenn er 
i. B. Hin- und Bückreise mit der Bahn an einem Tage nicht 
aasführen kann, die Hinreise mit der Bahn, die Bückreise auf 
dem Landwege zu machen bezw. zu berechnen? Ist er also 
sicht berechtigt, in solchem Falle Hin- und Bückreise nach 
dem Landwege zu berechnen? 

Antwort: Nach F2 der Ausftthrungsbestimmungen zu den Vorschriften 
aber die Tagegelder und Beisekosten der Staatsbeamten vom 11. November 1903 
(G. S. S. 243) erfolgt die Berechnung der Beisekosten ohne Bücksicht darauf, 
welchen Weg der Beamte tatsächlich eingeschlagen und welches Beförderungs¬ 
mittel er benutzt hat, nach demjenigen Wege, welcher sich für die Staatskasse 
aater Mi tber üc ksichtigung des Tagegelderbezuges als der 
mindest kostspielige darstellt und nach dem Zweck der Boise und den Um¬ 
ständen des besonderen Falles auch von dem Beamten wirklich hat benutzt 
werden können. Der Beamte ist demnach nicht berechtigt, wenn er z. B. auf 
der Hinreise den billigeren Eisenbahnweg und auf der Bückreise aus besonderen 
Gründen den teueren Landweg benutzt hat, auch für die Hinreise die Beise- 



372 Tagesordn. der IV. Hauptversammlung des .Deutschen Mediz.-Be&mtenverems. 

kosten aai dem teueren Beförderungsmittel za berechnen. Nor in dem Falle, 
daß bei Benutzung des billigeren Eisenbahnweges bei dem Bäckwege sich die 
Zahl der Beisetage und damit der Tagegelderbezug um mehr erhöhen würde, 
als die Ersparnis an Beisekosten gegenüber der Benutzung des teueren Land¬ 
weges beträgt, ist die Berechnung nach diesem zulässig. 

Deutscher Medizinalbeamten- Verein. 

Die 

Vierte Hauptversammlung 

findet tun 

Freitag und Sonnabend, den 8. und 9. September 

in 

Heidelberg 1 

statt. 

Vorläufige Tagesordnung: 

1. Eröffnung der Versammlung. 

2. Geschäfts- und Kassenbericht. 

3. Gerichtsärztliche Wünsche mit Rfieksteht auf die bevorstehende Neu¬ 

bearbeitung der Strafprozessordnung. Beferenten: Prof. Dr. Heim¬ 
berger-Bonn, Gerichtsarzt Prof. Dr. Straßmann-Berlin, Prot 
Dr. Aschaffenburg-Halle a. S. und Gerichtsarzt Dr. Hoffmann- 
Berlin. 

4. Die Beaufsichtigung der Geisteskranken ausserhalb der Anstalten. 

Beferent: Privatdozent Dr. W. Weber, Oberarzt der Prov.-Heil¬ 
and Pflegeanstnlt Göttingen, Korreferent: Prof. Dr. P. Stolper, 
Kreisarzt in Göttingen. 

5. Abwässer-Reinigung. Beferenten: Prof. Dr. Thumm, ordentl. Mitglied 

der Königl. Versuchsanstalt für Wasserversorgung und Abwässer- 
beseitignng in Berlin (vom hygienisch-technischen Standpunkte), 
Beg.- und Med.-Bat Dr. Salomon -Coblenz(vom gesundheitspoli- 
zeilichen und verwaltungsrechtlichen Standpunkte). 

(>. Die epidemische Genickstarre und Ihre Bekämpfong. Beferent: Med.- 
Bat Dr. Platten, medizin. Hülfsarbeiter an der Königl. Begieruog 
in Oppeln. 

7. Vorstandswahl. 

Mit Bücksicht auf den ersten Gegenstand der Tagesordnung und den 
am 1. Sitzungstage der vorjährigen Versammlung gefaßten Beschluß (siehe 
Seite 103 des Berichts) werden die Vereinsmitglieder ergebenst gebeten, 
etwaige Wünsche und Vorschläge In bezug auf die Revision der 
Strafprozessordnung dem Schriftführer des Vereins, Herrn Med.-Bat Br. 
Flinzer in Plauen i. Voigtl., bla nm 15. Juni mitzuteilen. Ebendahin 
sind auch sonstige Wünsche bezüglich der Generalversammlung za richten. 

Minden, den 26. Mai 1905. 

Der Vorstand des Deutschen Medizinalbeamten-Vereins. 

Im Auftr.: Dr. Bapmund, Vorsitzender, 

Bef.- q. Geh. Med.-Rat in Minden. 

Berichtigung. In dem Artikel von Dr. Bauer: .Hebammentasche* 
muß es Seite 712 heißen: Die Deckelstülpe hat eine Länge von 29,5 cm, 
eine Breite von i7 cm und eine lichte Höhe von 9 cm; das untere Becken 
mißt 29, 16 und 9,5 cm im Lichten; das Sublimatbecken 27*/«, 16*/* und ö 1 /» cm. 


Verantwort! Redakteur: Dr. Rapmund, Reg.- n. Geh. Med.-Rat in Mindeni. W. 

J. C. C. Bruns, HerzogL Sftcha. u. F. 8ch.-L. Hofbuchdrucksr«! ln Mindss. 





18. Jahrg. 


1905. 


Zeitschrift 

für 

MEDIZINALBEAMTE. 


ZeitralMatt fir gerichtliehe lelizii u4 Psyehhtrie, 
fir intiicbe Saehverstiadigentitigkeit in Unfall- ui Imliditataachea, sowie 
Sr Bjgieae, ofeatL Saaititewescn, ledizinal - Gesetzgebung u4 Eedtspreeknng. 

Herausgegeben 

TOI 

Dr. OTTO RAPMÜND, 

Kegiermngw- and Geh« XedUtnalrmt im Mlada. 


Verlag von Fischers mediz. Buehhandlg, H. Kornfeld, . 

HmogL Bayer. Hof- u. BnhenogL Kmmmr - BnohhlmUar . 

Berlin W. 85, Lützowstr. 10. 

InnenUo nahmen die VerUfshandlang sowie alle Annonoen - Expeditionen des ln* 

and Aaslandes entgegen. 


Nr. 12. 


Emhelnt am 1. und IS. Jeden Monat». 


15. Juni. 


Ueber versuchten Kindesmord. 

Von Dr. Lewinsky in Br&nnsberg, staatsärztl. approbiert. 

Die unverehelichte Katharine T., 89 Jahre alt, hatte ihre 
Schwangerschaft vor den Mitbewohnern des Hanses verheimlicht, 
sich demzufolge auch, als bei Beginn der Gebart die Schmerzen 
unerträglich worden, einen Arzt verbeten und nur nach dem 
Geistlichen verlangt, da sie glaubte sterben zu müssen. Nach 
ihren eigenen Angaben hat sie dann in Gegenwart des Geistlichen, 
ohne das dieser etwas merkte, ein Kind geboren und gefühlt, dass 
sieh dieses zwischen ihren Scheukeln bewegt hat. 3—4 Stunden 
nach der Geburt des Kindes ist sie dann aus ihrem Bette abge¬ 
standen, hat im Flur eine Holztruhe bei Seite geschoben, mit dem 
Spaten eia Loch in den Erdboden gegraben und in diesem Loche 
das inzwischen verstorbene Kind, an dem sich noch Nabelschnur 
und Mutterkuchen befanden, vergraben. Nach Auffinden eines 
blntigen Lakens hat sich die T. zu einem Geständnis herbei¬ 
gelassen. Der hierauf hinzugerufene Arzt fand an dem ausge- 
gr&benen Kinde eine Glückshaube, d. h. es waren die Eihäute, in 
denen das Kind geboren war, über den Kopf in Form einer Haube 
gestülpt. Die Sektion der Kindesleiche hatte im wesentlichen fol¬ 
gendes Ergebnis: 

Die Oberflächen der Lungen zeigten sich glatt, die Farbe des obern 
Unken Lnngenlappens war blaßrot, deutlich marmoriert, die des untern linken 
Lappens gleichmäßig blaurot. Dieser Lappen fühlte sich derb an. Bei der 
Torgenommenen Lnngenprobe schwamm der finke Lungenflügel auf dem Wasser, 
während der rechte unterging. Ebenso sanken die meisten Stücke der rechten 
Lange unter; nur einzelne hielten sich auf dem Wasser. Beim Einschneiden 











374 


Dr. Lewinsky. 


in dieselben, stiegen aal Druck nirgends Luftbläschen empor. In gleicher 
Weise verhielten sich die kleinsten Stückchen des linken Unterl&ppens. Da¬ 
gegen stiegen bei Druck und Einschnitten in den überlappen der linken Lunge 
unter Wasser ebenfalls Luftbläschen empor. Einschnitte in das Lungengewebe 
der blauroten Teile ergaben ein festes Gewebe von leberartiger Konsistenz, 
nirgends knisterte dasselbe. Auch entleerte sich bei seitlichem Druck auf die 
Schnittflächen nirgends Schaum oder Luftblasen, sondern nur einzelne Bluts¬ 
tropfen. Die Schnittfläche des linken oberen Lungcnlappens zeigte dagegen 
lufthaltiges Gewebe, das bei Druck knisterte und Schaum entleerte. 

In dem vorläufigen Gutachten sprachen sich die Obduzenten 
dahin aus, dass das Kind gelebt habe und dass der Tod durch 
Erstickung eingetreten sei. In dem hierauf gerichtsseitig ge¬ 
forderten motivierten Gutachten wurde um Berücksichtigung der 
Frage ersucht, ob der Teil der Lunge, der nicht geatmet habe, 
— etwa */< der ganzen Lunge — infolge des Abschlusses der 
Luft (durch das Zudeck der Angeschuldigten) luftleer gebieben sei. 

Dass das Kind mit einem Teile seiner Lungen geatmet hatte, 
dafür sprach das Ergebnis der bei der Sektion ausgeführten 
Lungenprobe. Die in dem oberen linken Lungenlappen befindliche 
Luft konnte nur durch Atembewegungen des Kindes nach der 
Geburt in die Lunge gekommen sein, da die sonst für die Schwimm¬ 
fähigkeit der Lungen in betracht kommenden Möglichkeiten: Bildung 
von Fäulnisgasen oder zuvoriges Lufteinblasen im vorliegendem 
Falle auf Grund des Sektionsbefundes und der anamnestischen 
Daten auszuschliessen waren. 

Es entstand somit zunächst die Frage, ob die luftleeren Teile 
der Lunge vor der Geburt des Kindes sich in einem Zustande 
befunden hatten, der die Einatmung von Luft nach Austritt aus 
den mütterlichen Geschlechtsteilen unmöglich gemacht hatte. Diese 
Frage musste verneint werden, da sich keine Krankheitsprozesse 
des Lungengewebes (Pneumonia alba u. dgl.) nachweisen Hessen, 
auf Grund deren die Entfaltung desselben nach der Geburt hätte 
unterbleiben müssen. Aus welchem Grunde hatte sich nun das 
Lungengewebe nach der Geburt des lebenden Kindes nicht mit 
Luft gefüllt? 

Luftleere der ganzen Lunge oder einzelner Teile des 
Lungengewebes bei einem sonst lebenden Kinde kann erfahrungs- 
gemäss persistieren, wenn die Atembewegnngen unmittelbar nach 
Austritt aus den mütterlichen Geschlechtsteilen unterbleiben, weil 
das Kind zu schwach ist, um diese Atembewegungen auszuführen; 
Im vorliegenden Falle war jedoch der Kräftezustand des Kindes 
hinsichtlich seiner Muskelbeschafienheit ein durchaus normaler. 

Bei langsam verlaufendem Gebärakt oder wenn die Lage 
des Kindes eine Unterbrechung des Zuflusses vom mütterlichen 
Blute zum kindlichen Organismus erzeugt, besonders wenn die 
Nabelschnur durch Teile des Kindes gedrückt wird oder wenn 
eine vorzeitige Ablösung des Mutterkuchens eintritt, muss ferner 
dass Kind vor oder beim Austritt aus den Geschlechtsteilen 
ersticken, weil einerseits der Sauerstoff des mütterlichen Blutes 
abgeschnitten ist und es anderseits noch keine atmosphärische Luft 
einatmen kann. Für diese Annahme lagen aber ebenfalls keine 



Ueber versuchten Kindesmord. 


875 


sicheren Anhaltspunkte vor, wenn sich auch schwer ermessen 
lässt, wann der Beginn der Geburt angesetzt und wie lange diese 
gedauert hatte. Immerhin war die T. Erstgebärende und befand 
sieh in einem Alter (38 Jahr), in dem der Geburtsakt schwer 
and lange Zeit zu verlaufen pflegt. 

Luftleere der Lungen oder Lungenteile kann weiterhin auch, 
venn Atembewegungen nach der Geburt erfolgt sind, bei solchen 
Kindern beobachtet werden, die in den Eihäuten geboren werden 
oder wo Teile der Eihäute die natürlichen Atmungspforten wie 
Nase nnd Mund verlegen. Die Geburt in den Eihäuten selbst 
ist ein ziemlich seltenes Ereignis, hingegen lehrt die Erfahrung 
in der Geburtshilfe und gerichtlichen Medizin, dass die Verlegung 
von Nase und Mund durch Eihautstücke öfter vorkommt. 

Der nach der Geburt zu gezogene Arzt Dr. S. hat nun die 
bestimmte Angabe gemacht, dass das Kind der T. mit einer Glücks- 
haube geboren sei, d. h. dass die Eihäute resp. Teile derselben über 
dem Gesichte gelegen haben. Er hat allerdings nicht mehr genau 
gewusst, ob die Eihäute noch über den Mund reichten; es ist 
jedoch mit ziemlicher Sicherheit anzunehmen, dass dies der Fall 
gewesen ist. Das Kind hat 3—4 Stunden lang nach der Geburt 
zwischen den Schenkeln der Mutter gelegen und ist erst dann von 
dieser fortgebracht. Da die T. in Gegenwart des Geistlichen ge¬ 
boren hat und die Geburt geheim halten wollte, dürfte sie die 
Oberschenkel kräftig und krampfhaft zusammen gehalten haben, 
um so das Kind nicht entschlüpfen zu lassen; hierbei können die 
Eihäute abwechselnd Mund und Nase bedeckt haben und dann 
wieder verschoben worden sein, jedenfalls spricht das Fehlen des 
Schreiens einerseits, auch die bei der Sektion nachgewiesene 
mangelhafte Lungenatmung anderseits dafür, dass ein Hindernis für 
diese bestanden hat. Es können zwar Nase und Mund des Kindes 
von den Schenkeln der Mutter bedeckt gewesen sein und das 
Kind kann durch hilflose Lagerung mit dem Gesicht auf eine 
luftundurchlässige Unterlage erstickt sein. Gerade die mangel¬ 
hafte Füllung der Lungen mit Luft deutet aber auf ein anders¬ 
artiges Hindernis, das einen gewissen minimalen Luftzutritt zu 
den Lungen gestattet, weiteren Luftzutritt aber verhindert hat. 
Dazu ist die Glückshaube besonders geeignet; denn sie kann sich 
ventilartig bei jeder Einatmung auf die Atemöffnung legen 
und so den Luftzutritt abschliessen. Auch bei dem von Hof mann, 
(Atlas der gerichtlichen Medizin, Tab. 7; München 1898, Leh¬ 
manns Verlag) erwähnten Falle von Geburt in der Glückshaube 
sind partiell lufthaltige Lungen festgestellt. 

Der Frage des Richters, ob die drei Viertel der Lungen, 
die nicht geatmet haben, infolge des Abschlusses der Luft (durch 
das Zudeck der Angeklagten) luftleer geblieben sind, wird zum 
Teil schon aus vorstehenden Erörterungen beantwortet. Wir haben 
es im vorliegendem Falle keinesfalls mit rein atelektatischen 
Lungen zu tun; denn solche fötalen Lungen sind gleichmässig 
blassbraun, der Wasser- und Milchchokolade ähnlich. Hier war 
die Farbe des luftleeren Lungenparenchyms aber dunkelblau, was 



8T6 


Dr. Lewinsky. 


nur daher röhren konnte, dass sich dieses in der Geburt in einem 
Zustande von Erstickung befunden hatte, die durch Verdeckung 
der Atemöffnung des Kindes durch Eihautstücke herbeigeführt 
war. Das lässt sich auch aus dem Geburtsverlauf mit an Sicher¬ 
heit grenzender Wahrscheinlichkeit folgern. Derselbe war sicherlich 
protrahiert und nicht ganz leicht; durch eine Unterbrechung des 
Zuflusses mütterlichen Blutes zum Kinde, sei es durch Druck auf 
die Nabelschnur oder durch vorzeitige Lösung des Mutterkuchens, 
wird das Kind schon in der Geburt Atembewegungen gemacht 
und werden sich dadurch die vorliegenden Eihäute in den mütter¬ 
lichen Geburts wegen eng an Mund und Nase des Kindes gelegt 
haben. Grade der grosse Blutreichtum solcher fötalen Lungen 
spricht mit der grössten Wahrscheinlichkeit nicht für eine Asphyxie 
durch aspirierte Stoffe, sondern für eine solche durch Verlegung 
der Atmungsöffnungen mit Eihautstücken. Hof mann sagt z. B. 
in seinem Lehrbuch der gerichtlichen Medizin (1895, S. 788 u. 784): 

„In dem Falle, in welchem die betreffenden Substanzen (Schleimmaasen) 
nur in den Kehlkopf eindrangen oder noch mehr dann, wenn trotz vorzeitiger 
Atembewegungen gar keine Medien aspiriert werden konnten, z. B. weil die 
Respirationsöffnungen durch die Wände der Geburtswege oder durch Eihänte 
verlegt oder weil die Luftröhre durch starke Streckung des Halses 
(Gesichtslage) oder feste Umschließung desselben durch die Nabelschnur un¬ 
durchgängig war, muß natürlich die Blutüberfüllung in den Lungen den höchsten 
Grad erreichen, da unter solchen Umständen den Brustraum auszufüllen, dem 
Blute allein zufällt“. 

Ebenso wie die Eihäute das Gesicht des Kindes während 
des Geburtsaktes umhüllten, haben sie auch nach der Gebart 
zwischen den Schenkeln der Mutter auf dem Gesichte des Kindes 
gelegen. Indessen dürfte durch die wenn auch geringen Be¬ 
wegungen der Mutter nach der Geburt und durch die Bewegungen 
des Kindes selbst ein Teil der Eihäute sich zeitweilig von Mund 
und Nase entfernt haben; dadurch hat das Kind Atembewegungen 
ausgeführt und dem Teile der Lunge (dem 4. Teile), der während 
der Geburt normal geblieben war, regelrecht Luft zugefühlt. 

Es ist allerdings keineswegs auszuschliessen, dass das Zu¬ 
decken resp. Zugedeckthalten des Kindes durch die Bettdecke 
seitens der Mutter den Abschluss der Luft von den Atmungs¬ 
werkzeugen des Kindes verursacht hat; denn tatsächlich hat es 
8—4 Stunden lang unter dem ziemlich schweren und von der 
Mutter in der Absicht, die Entbindung zu verheimlichen, recht 
fest gehaltenen Zudeck gelegen; es kann dieses auch gegen das 
Kind gedrückt und so direkt an Nase und Mund angepresst sein, 
sodass die Erstickung lediglich durch die äusserst mangelhafte 
Sauerstoffzufuhr unter der Decke eingetreten ist. 

Was nun die juristische Beurteilung des Falles anbetrifft, 
so handelt es sich hier um die Frage, ob und inwiefern die An¬ 
geklagte mit Tödtungsvorsatz gehandelt hat. Hat sie das Kind 
unter dem Zudeck gehalten und zwischen den Schenkeln ein- 
gepresst, in der Absicht, es auf diese Weise zu ersticken, oder 
hat sie den Tod des Kindes, als sie aus ihrem Bette aufstand, 
nicht erkannt und es in der Absicht vergraben, es auf diese 
Weise zu tödten? 



Ueber versuchten Eindesmord. 


877 


Trifft eine dieser beiden Voraussetzungen za, so ist die Ver- 
nrteilnng der Angeklagten wegen versuchten Eindesmordes nach 
der ständigen Praxis des Reichsgerichts gerechtfertigt; im letzten 
Falle würde es sich allerdings nur um einen sogenannten Versuch 
am absolut untauglichen Objekt, dessen Beurteilung eine der heiss 
umstrittensten Fragen der Jurisprudenz bildet, handeln. Nach 
dem Urteil des I. Strafsenats des Reichsgerichts vom 10. Juli 1880 *) 
ist jedoch auch ein solcher Versuch strafbar. Hier handelte es sich 
also um die Frage: Sind die an einem neugeborenen Kinde zu 
dessen Tötung von der Mutter vorgenommenen Handlungen auch als 
Versuch straflos, wenn dasselbe bereits tot zur Welt gekommen 
ist? Im Schwurgerichte war wegen hinreichenden Verdachts des 
vollendeten Kindesmords die Frage an die Geschworenen gestellt. 
Da es aber nach dem ärztlichen Gutachten zweifelhaft war, ob 
das Kind nach der Geburt gelebt hatte, war von dem Staatsanwalt 
eine Hilfsfrage wegen Versuchs der Tötung beantragt, deren 
Stellung jedoch das Gericht aus dem Rechtsgrunde ablehnte, weil 
der Versuch der Tötung einer Leiche als eines absolut untauglichen 
Objektes nicht strafbar sei. Auf Revision des Staatsanwalts 
fegen das freisprechende Urteil des Schwurgerichts erfolgte Auf¬ 
hebung des letzteren und Zurückweisung der Sache zur weitern 
Verhandlung aus folgenden Gründen: 

„Die Revision des Staatsanwalts war begründet, das Schwurgericht hat 
die von demselben beantragte Hilfsfrage aus dem Rechtsgrunde abgelehnt, 
daß ein Versuch an einem absolut untauglichen Objekt nicht begangen werden 
kümte. Dieser Grund ist aber ein irriger. Im Begriffe des Versuchs ist die 
gedachte Beschränkung weder ausdrücklich noch indirekt ausgesprochen. Sie 
folgt aber auch ebensowenig aus innern Gründen; denn für den Versuch im 
Gegensatz zur Vollendung ist nur die Vorstellung des Täters, welche die Aus¬ 
führung des Entschlusses veranlaßte, entscheidend und die Möglichkeit und 
Unmöglichkeit der Vollendung und der objektiven Beschaffenheit des durch 
das Verbrechen betroffenen Gegenstandes gleichgültig. Es gilt in dieser Frage 
dasselbe, was betreffend den Versuch mit absolut untauglichen Mitteln vom 
Reichsgericht in dem Urteil der vereinigten Strafsenate vom 24. Mai 1880, 
abgedruckt in Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Bd. I, S. 439 
ausgesprochen ist.“ (Fruchtabtreibung mit untauglichen Mitteln). 

Anders würde der Fall gelegen haben, wenn die Angeklagte 
T. bis zu dem Augenblicke, wo sie aufgestanden war, nichts mit 
Tötangsvorsatz getan und den Tod des Kindes erkannt hatte, ehe 
sie es vergrub. Alsdann konnte von keinem Kindesmorde die 
Bede sein, sondern höchstens fahrlässige Tötung in Frage kommen, 
da man die Angeschuldigte hätte für verpflichtet erachten müssen, 
ihr Kind sofort zu besichtigen, von etwaigen Eihäuten zu befreien 
und in eine rein atmosphärische Luft zu bringen. 

Die T. wurde wegen versuchten Kindesmordes und Beiseite¬ 
schaffung eines Leichnams zu 7 Monaten Gefängnis und zu 8 
Tagen Haft verurteilt. 


•) Siehe Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen, Band I, 
Seite 451. 



878 


Dr. Angerer: Die Schnlarztfrage in besonderer Beziehung 


Die Schularztfrage in besonderer Beziehung zur amtlichen 
Tätigkeit der Bayer. Bezirksärzte. 

(Schluß.) 

III. Die Tätigkeit des Schnlarztes im allgemeinen: 
Angenommen, dass für die grösseren Städte eigene Schulärzte v 
angestellt, für die ländlichen Bezirke aber die Bezirksärzte ' 
mit der Ausführung der schulhygienischen Vorschriften betraut : 
werden, so wird zunächst festzuhalten sein, dass die hy- ~ 
gienische Begutachtung des Bauplatzes und der Baupläne jeder- “j 
zeit zu den dienstlichen Obliegenheiten des k. Bezirksarztes ge- ; 
hören muss. Die Tätigkeit des eigens angestellten Schularztes, : ; 
sowie des Bezirksarztes als zuständigen Schularztes für seinen : : 
Bezirk müsste sich nach drei Richtungen hin entwickeln, nämlich ü 

1. in der schulhygienischen Tätigkeit; 

2. in der schulärztlichen Ueberwachung der Schule, 

3. in der Unterweisung der Lehrer, Eltern und Kinder in 
der Gesundheitslehre. 

Die Bchulhygienische Tätigkeit erstreckt sich auf die 
Beachtung und Abstellung aller unhygienischen Verhältnisse des V. 
Schulhauses und seiner Einrichtungen. Die Hygiene des Hauses, ^ 
des Schulzimmers, der Aborte, des Trinkwassers, der Heizung, 
Beleuchtung und Ventilation des Schulzimmers, sowie die Kontrolle 
über die richtige tägliche Ausführung der letzteren bilden den 
Hauptteil der schulhygienischen Ueberwachung durch den Schularzt ~ 

Der schulärztliche Ueberwachungsdienst soll die 
Tatsache eines körperlichen Gebrechens oder eines sonstigen ab- 
normen körperlichen oder geistigen Zustandes eines Schülers fest- V' 
stellen und diesen abnormen körperlichen oder geistigen Zustand .j' 
des Schülers so dem Schulbetriebe anpassen, dass er weder die 
Interessen des kranken Schülers, noch die des Lehrers und Lehr- 
planes, noch die Interessen der anderen Schüler schädigt; alles, ' 
was darüber hinausgeht, ist nicht Sache der Schule und des Schul- 1 
arztes. Wird z. B. eine Schwerhörigkeit konstatiert, so hat sich 
der Schularzt zunächst nicht darum zu kümmern, in welchen 
pathologischen Veränderungen des Ohres diese ihren Grund hat; 
der Schularzt hat den Lehrer nur von diesem Gebrechen zu ver- ; 
ständigen, damit dieser den Schüler nach der gefundenen Schwäche 
berücksichtigt. Ebenso verhält es sich, wenn z. B. Kurzsichtig¬ 
keit zu konstatieren war. Es ist nicht Sache des Schularztes, 
den Grad derselben oder eine passende Brille zu bestimmen, er 
hat dem Schüler zunächst nur einen solchen Platz in der 
Schule anzuweisen, auf welchem er mit Rücksicht auf seine 
schwachen Augen dem Unterricht mit Erfolg beiwohnen kann. 

Die Ursachen dieser Störungen festzustellen, ist Sache des Haus¬ 
arztes, der, wenn er es für notwendig erachtet, einen Spezialarzt 
zu Rate ziehen kann. Schadhafte Zähne sind der Ernährung des 
Kindes hinderlich und damit auch der körperlichen und geistigen 
Entwickelung — deshalb hat auch der Schularzt auf die Be- 



«nr amtlichen Tätigkeit der Bayerischen Bezirks&rxte. 879 

schaffenheit der Z&hne der Kinder zn achten. Hier ist die Auf¬ 
gabe des Schularztes, den Kindern Ratschläge zu geben über die 
Pflege und Erhaltung derselben. Ein konstatierter Unterleibs¬ 
bruch oder die Anlage zu einem solchen verpflichtet den Schularzt, 
diesen Schüler der erforderlichen Berücksichtigung bei körper¬ 
lichen Uebungen zuzuführen. Ein geistig minderwertiges Kind 
ist nach Feststellung seiner Geistesschwäche vor unrichtiger Be¬ 
urteilung zu schützen; auf Grund der ärztlichen Beurteilung kann 
seine geistige Entwickelung mit der geistig normaler Kinder nicht 
den gleichen Schritt halten, wodurch nicht nur die Beurteilung 
der Kinder, sondern auch des Lehrers und Erziehers in die rich¬ 
tige Bahn geleitet wird u. s. f. Das als krank oder gebrechlich 
oder abnorm erkannte Kind hat selbstredend noch das weitere 
Interesse, die Krankheit oder das Gebrechen wieder los und voll¬ 
ständig gesund und normal zu werden. Dieses Interesse ist wohl 
begründet und berechtigt, doch ist es weder Aufgabe der Schule, 
noch des Schularztes hier weiter einzugreifen, als es der Schul¬ 
betrieb erfordert; jeder weitere Eingriff müsste der Schule und 
dem Schulärzte unvermeidliche Kollisionen bereiten. Die ärztliche 
Behandlung von Krankheiten und Gebrechen kann niemals Aufgabe 
des Schularztes sein; der Schularzt hat jedoch die Pflicht, den 
Sehüler bezw. dessen Eltern auf das Leiden, falls es nicht ohne¬ 
dies schon bekannt sein sollte, aufmerksam zu machen und die 
Anregung event. auch die Vermittelung zu übernehmen, es einer 
ärztlichen Behandlung zuzuführen. Sind die Eltern infolge Mittel¬ 
losigkeit hierzu nicht imstande, so ist der Schularzt befugt, die 
öffentliche oder private Wohltätigkeit für den Schüler zu Hilfe zu 
raten; mancher Freiplatz in einer Klinik oder Heilanstalt wird 
solchen armen Geschöpfen offen stehen, und mancher wird auf 
solche Weise von seinem Leiden oder Gebrechen befreit und zu 
einem arbeitstüchtigen Menschen erzogen, der sonst als unfähiger 
Krüppel der heimaüichen Armenpflege zur Last fallen müsste. 

Aus diesen Erörterungen folgt die Notwendigkeit einer sorg¬ 
fältigen ärztlichen Untersuchung aller jener Kinder, welche neu 
in die Schule eintreten, sowie die Aufzeichnung des Befundes in 
einem Gesundheitsbogen, der den Schüler von Klasse zn Klasse 
begleitet. In allen späteren Besichtigungen ist der betreffende 
Schüler, bei dem ein abnormer Befund notiert worden ist, wieder 
dv&ufhin zu untersuchen, während die übrigen Schüler, bei denen 
ein normaler Befand bei der ersten Untersuchung konstatiert 
werden konnte, auch späterhin und solange nicht eingehend unter¬ 
sucht werden, als nicht auf Grund der Beobachtung des Lehrers 
oder nach Angabe der Eltern oder des Kindes selbst sich die 
Vermutung oder die Gewissheit ergibt, dass sich seit der ersten 
Untersuchung eine krankhafte Veränderung eingestellt hat; von 
da ab ist auch dieses Kind der besonderen schulärztlichen Aufsicht 
und Fürsorge zugewiesen. 

Ein so geregelter schulärztlicher Ueberwachungsdienst muss 
die von anderen geforderte spezialärztliche Ueberwachung der 
Schüler als nicht notwendig und entbehrlich bezeichnen. Abge- 



880 


Dr. Angerer: Die Schnlarztirage in besonderer Beziehung 


sehen davon, dass es schul technisch geradezu unmöglich sein wird, 
in der Schule eine Reihe von Spezialftrzten mit langwierigen und 
komplizierten Untersuchungen und mit einer Anzahl von Instru¬ 
menten und Apparaten tätig sein zu lassen, ist es für die Schule 
ganz belanglos, zu wissen, welchen pathologisch-anatomischen 
Veränderungen dies oder jenes Gebrechen seine Entstehung ver¬ 
dankt. Die Schule hat nur soweit Interesse an den Krankheiten 
oder Gebrechen der Schüler, als dieselben mit der Schule und 
den Anforderungen des Schulbetriebes in Verbindung stehen. 
Spezialärzte für Nase, Ohren, Augen, Zähne, chirurgische und 
psychiatrische Spezialisten können überhaupt als Spezialschulärzte 
nur für jene grossen und Grossstädte in Betracht kommen, wo 
solche überhaupt vorhanden sind, auf dem Lande ist die An¬ 
stellung derartiger Spezialärzte für die Schulen ohnedies unmöglich, 
weil sie nicht zur Verfügung stehen. Und wenn die schulärztliche 
Tätigkeit auf dem Lande ohne spezialärztliche Mithilfe anskommen 
muss, so wird sie auch für die Städte entbehrt werden können, 
zudem bei deren Inanspruchnahme die Schule bald mehr einem 
klinischen Institute, als einer Schule gleichen würde. Für die 
Schule und ihre Zwecke muss lediglich die Feststellung des ab¬ 
normen Zustandes und die Anpassung desselben an den Schul- 
betrieb gefordert werden mit der weiteren sachverständigen, d. h. 
schulärztlich bestimmten Fürsorge, das vorhandene Leiden durch 
den Schulbetrieb nicht zu verschlechtern, sondern eventuell durch 
Vermittelung einer ärztlichen Behandlung zu bessern oder za 
heilen. Eine solche schulärztliche Tätigkeit würde, und das muss 
die Hauptsache sein, den praktischen Anforderungen genügen, und 
dazu muss die Schule ihre Einwilligung geben. Die genaueren 
spezialärztlichen Untersuchungen und Feststellungen wären nur 
notwendig für wissenschaftliche und statistische Zwecke, hierzu 
kann aber die Schule zunächst nicht veranlasst werden; nicht das 
darf der Zweck der schulärztlichen Aufsicht sein, Material zu 
wissenschaftlicher Forschung zu sammeln, sondern lediglich prak¬ 
tische Gesichtspunkte müssen den schulärztlichen Dienst und seine 
Ausführung bestimmen. 

Die erste und eingehende schulärztliche Untersuchung aller 
neu eintretenden Schüler ist der grundlegende und wichtigste Teil 
der schulärztlichen Ueberwachung. Ohne die Vornahme dieser 
Untersuchung wird die ganze schulärztliche Tätigkeit keinen 
ganzen Erfolg erzielen; deshalb ist auf die Ausgestaltung und 
Einrichtung dieser ersten Untersuchung das grösste Augenmerk 
zu richten. Es muss demnach gefordert werden, dass dem Arzte, 
der diese Untersuchung vorzunehmen hat, auch das notwendige 
anamnestische Material über jeden einzelnen Schüler zur Ver¬ 
fügung steht. Um dieses zu erreichen, wurde der Vorschlag ge¬ 
macht, den Kindern einen Fragebogen zuzustellen, den sie be¬ 
antwortet bei der Anmeldung mitzubringen hätten. In diesem 
Fragebogen sind eine Anzahl Fragen enthalten, welche über früher 
durchgemachte Krankheiten, über bestehende Gebrechen und Ab¬ 
normitäten des Körpers und des Geistes Aufschluss geben, und so 



nr amtlichen Tätigkeit der Bayerischen Besirks&rzte. 881 

den untersuchenden Arzt unterstützen sollen in der Aufnahme des 
Befundes und in der richtigen gesundheitlichen Gesamtbeurteilung 
des einzelnen Kindes. 

Solche Fragebogen sind für ländliche Verhältnisse nicht 
branchbar, denn die grosse Mehrzahl der zur Beantwortung der 
Fragen in Betracht kommenden Angehörigen des Kindes ist nicht 
imstande, brauchbare Angaben zu machen. Viel wertvoller werden 
sieh die Angaben des Lehrers gestalten, die er bei der Anmeldung 
der Kinder von den hierbei anwesenden Angehörigen erhält, und 
noch wertvoller werden die Angaben des Lehrers sein, die er auf 
Grand einer mehrwöchentlichen Beobachtung des Kindes in der 
Schale gemacht haben wird. Um den Lehrern einen Anhaltspunkt 
za geben, die anamnestischen Verhältnisse des Kindes möglichst 
vollständig zu erhalten, ist die Abfassung eines solchen Frage¬ 
bogens zum Gebrauche für den Lehrer sehr notwendig und 
wünschenswert. 

Es ergibt sich also die zweckmässige Forderung, die 
schulärztliche Untersuchung der Kinder erst mehrere Wochen 
nach Beginn des Schuljahres auszuführen, um die inzwischen ge¬ 
machten Beobachtungen und Aufzeichnungen des Lehres bei der 
ärztlichen Untersuchung verwerten zu können. Ausserdem ist es 
von besonderer Wichtigkeit, diese Beobachtungen und Aufzeich¬ 
nungen vom Lehrer machen zu lassen, da dieser hierbei von selbst 
auf den Zusammenhang geistiger oder körperlicher Minderwertig¬ 
keit mit der geistigen Leistungs- und Bildungsfähigkeit seines 
Schülers aufmerksam gemacht wird, — ein wichtiges Moment, 
am den Lehrer für die ärztliche Tätigkeit in der Schule zu inter¬ 
essieren und zur Mitarbeit an derselben heranzubilden. Der Lehrer 
war auch bisher schon verpflichtet, über besondere gesundheitliche 
Verhältnisse des Schülers in dem Manuale oder Absentenbuche 
geeignete Vermerke zu machen. Diese Vermerke, die aber nicht 
immer und nicht regelmässig gemacht wurden, konnten indes 
niemals eine absolute Bedeutung erlangen, weil sie lediglich Laien- 
vennerke waren; wie ganz anders werden sich in Zukunft solche 
unter sachverständiger und amtlicher Aufsicht und Ergänzung 
gemachte Vermerke im späteren Leben des Schülers verwenden 
lassen. 

Es wurde schon oben betont, dass der Schularzt nur dann 
imstande sein kann, eine erspriessliche schulärztliche und schul¬ 
hygienische Tätigkeit zu entfalten, wenn er vom Lehrer hierin 
unterstützt wird. Der Lehrer allein ist ebensowenig imstande in 
der Schulhygiene etwas zu leisten, als der Arzt allein; nur wenn 
beide zusammen helfen und, sich gegenseitig unterstützend und 
ergänzend, sich an der gleichen Arbeit beteiligen, kann segens¬ 
reich gewirkt werden. Für die erfolgreiche Mitarbeit des 
Lehrers im schulärztlichen und schulhygienischen Dienste be¬ 
stehen ja jetzt weit günstigere Verhältnisse, als wie vor einigen 
Jahren, als die schulärztliche Bewegung ihren Anfang nahm. Da¬ 
mals standen die Lehrer dieser Einrichtung sehr misstrauisch 
gegenüber, nicht nur, dass sie diese für unnötig und undurch- 



888 Dr. Angerer: Die Scholarstfrage in besonderer Bestehung 

fahrbar erklärten, es wurde von seiten der Schulbehörden und der 
Lehrerschaft sogar der Versuch gemacht, darzulegen, dass der 
Lehrer selbst imstande sei, die hierzu erforderlichen Anordnungen 
zn treffen, und dass der Arzt hierzu nicht nötig und entbehrlich 
sei. Die Lehrer betrachteten anfangs diese Einrichtung als eine 
neue nicht fachmännische Einmischung in die Schule und fürchteten 
neue unliebsame Störungen und Beigaben zu ihrem ohnehin 
schon schweren Beruf. Die Stellung der Lehrerschaft zur 8chul- 
arztfrage ist aber im Laufe der Zeit eine ganz andere geworden; 
die Lehrerschaft steht jetzt fast ausnahmslos der Einrichtung 
einer regelmässigen und geordneten schulärztlichen Tätigkeit sehr 
sympathisch gegenüber, weil bei ihr die Einsicht zur Geltung 
gekommen ist, dass die Schule zur Lösung ihrer hygienischen Auf¬ 
gabe der geordneten und ständigen Mitwirkung des sachver¬ 
ständigen Arztes nicht mehr entbehren kann. 

Wird die schulärztliche Tätigkeit richtig aufgefasst und mit 
Takt und Verständnis ausgeübt, dann bedeutet sie sicherlich keine 
Störung und keinen Eingriff in die Hechte und die Autorität des 
Lehrers, was früher von diesen befürchtet wurde. Im Gegenteil 
sie wird den Lehrer in der Erziehung der Jugend nur unter¬ 
stützen, sie wird, was besonders zu betonen ist, dem Lehrer einen 
grossen Teil seiner Verantwortung abnehmen. — Viele Misserfolge 
der Schule wurden bisher allein auf Rechnung des Lehrers gesetzt 
und bei dessen Qualifikation schädigend notiert, während sie ihre 
eigentliche Ursache in einer abnormen krankhaften Funktion der 
geistigen Tätigkeit des Schülers batten, eine Folge des nicht ent¬ 
sprechenden Auseinanderhaltens von Nichtwollen und Nichtkönnan. 

Hier wird in Zukunft die schulärztliche Tätigkeit klare 
Verhältnisse schaffen können. 

Durch die schulärztliche Ueberwachung wird die Mitwirkung 
des Lehrers in der Schulhygiene nur angeregt und erfolgreich 
erweitert. Seine berechtigten Forderungen hinsichtlich der Be¬ 
achtung jener hygienischen Vorschriften, für die er auch in Zu* 
kunft trotz des Schularztes und neben demselben immerhin die 
einzige Kontrolle ausüben kann und muss (Reinigung, Heizung, 
Ventilation u. a. m.), werden im Amts* resp. Schulärzte den be¬ 
rufensten Vertreter und Förderer finden; was er bis jetzt aus 
eigener Kraft nicht erreichen und durchsetzen konnte, wird den 
vereinten Kräften um so leichter gelingen. Nur wenn Arzt und 
Lehrer gemeinsam ohne Rücksicht auf die Wahrung eigener Rechte 
ihr Bestreben dahin richten, die körperliche und geistige Erziehung 
der Schüler möglichst gleichmässig zu vollenden, werden sie beide 
den Endzweck ihres Berufes erreichen — die Gesundheit, die 
Kraft und die Leistungsfähigkeit der kommenden Geschlechter 
zu erhöhen. 

IV. Die Ausübung des schulärztlichen Dienstes auf 
dem Lande im besonderen: Nach den bisherigen Erörterungen 
ergibt sich von selbst die Notwendigkeit, dass der schulärzt¬ 
liche Dienst in den grossen Städten ein anderer sein muss, 
als der in ländlichen Schulen. Die allgemeinen bisher beeproche- 



s«r amtlichen Tätigkeit der Bayerischen Besirksirste. 888 

nen Grandsätze and Grundregeln gelten für beide in gleicher 
Weise, die spezielle Aasftbnng nnd Anwendung derselben hat sich 
jedoch den jeweils besonderen Verhältnissen geeignet anzupassen; 
darum wird diesen entsprechend die Ausübung der schulärzt¬ 
lichen Vorschriften in den Städten eine andere sein müssen als 
anf dem Lande. Zunächst muss festgestellt werden, dass die 
grossen Städte hygienisch einwandfreie Volksschulhäuser haben 
mit den besten Einrichtungen. Für Beaufsichtigung und Instand¬ 
haltung des Hauses, für Reinigung desselben, Bedienung der 
Heizung und Ventilation ist ein eigens unterrichtetes und ver- 
läauges Personal angestellt, es wird deshalb die schulärztliche 
Tätigkeit in den Städten nach diesen Richtungen hin nicht be¬ 
sonders viel zu tun haben. Dagegen ist hier bei der grossen 
Anzahl der Kinder und deren Verkehr mit einem grossen Be- 
▼Wkerungskörper grosse Aufmerksamkeit hinsichtlich der Weiter- 
Terbreitung ansteckender Krankheiten erforderlich, deshalb wird 
hier nicht nur die erstmalige eingehende Untersuchung der Lern- 
anfinger oder sonst neu in die Schule eintretenden Kinder, sondern 
auch eine Öfter zu wiederholende Besichtigung der Schüler und 
Beachtung ihres jeweiligen Gesundheitszustandes notwendig sein. 

Auf dem Lande hingegen ist die Hygiene des Schalhauses 
nnd seiner Einrichtungen, die Kontrolle der gesundheitsgemässen 
Heizung und Ventilation mit als die Hauptaufgabe der schulärzt¬ 
lichen Tätigkeit zu bezeichnen, während die Verhütung der Aus¬ 
breitung ansteckender Krankheiten in den einzelnen im Verhältnis 
zn den Städten schwachbesuchten Schulen der kleinen Dorf¬ 
gemeinden den Schularzt nur wenig und selten beschäftigen wird. 
Böden gemeinsam ist wieder die Verbreitung der hygienischen 
Grundsätze, die geeignete Belehrung der Lehrer, Kinder und An- 
gehörigen derselben in der Gesundheitslehre. Und hier wird 
viederum die Tätigkeit des ländlichen Schularztes eine ausge¬ 
dehntere nnd auch erfolgreichere sein, als die des städtischen 
Schularztes. Der ländliche Schularzt steht der kleinen Anzahl 
der Bewohner eines Dorfes gegenüber und ist viel leichter im- 
■tande, auf diese mit hygienischem Unterrichte hinzuwirken, als 
der städtische Schularzt auf die Massenbevölkerung der Grossstadt. 

Nach diesen Gesichtspunkten wird sich die Tätigkeit des 
Schularztes anf dem Lande und in der grossen Stadt verschieden 
*a gestalten haben. 

Mit den ländlichen Verhältnissen mehr vertraut will ich 
versuchen, die Tätigkeit eines Schularztes auf dem Lande nach 
Kinen einzelnen Anforderungen zu schildern in der Annahme, dass 
auf dem Lande die regelmässige und geordnete schulärztliche Auf- 
aicht zunächst eingeführt werden sollte, weil fürs erste hier das 
grössere Bedürfnis besteht und weiterhin der Schularzt hier schon 
amtlich bestellt ist, es also nur noch der besonderen Dienst¬ 
anweisung für seine Tätigkeit bedarf. Es muss hier bemerkt 
werden, dass, wie aus den Mitteilungen des Bayer. Statistischen 
""reaus, 1004, Heft 4, hervorgeht, von den 7448 Volksschulen 
dis Königreichs nur 441 auf die Städte, dagegen 7002 auf das 



884 


Dr. Angerer: Die Schularatfrage in besonderer Beziehung 


Land entfallen, dass die Stadtschulen von 218891, die Landschalen 
dagegen von 703147 Schülern besucht waren. Weitaus die grosse 
Mehrzahl der Schnlen and der Schüler trifft auf das Land,* 
deshalb kann die Einrichtung einer besonderen schulärztlichen 
Aufsicht nur dann einen allgemeinen Erfolg haben, wenn diese 
Einrichtung zunächst und zuerst für die Landschulen eingeführt 
worden ist. 

Die schulärztliche Tätigkeit auf dem Lande sollte sich in 
folgender Weise gestalten: 

Ungefähr zwei Monate nach Beginn eines neuen Schuljahres 
haben die ärztlichen Besichtigungen der einzelnen Schulbäuser 
des Amtsbezirkes durch den Bezirksarzt ihren Anfang zu nehmen. 
Dieser Zeitpunkt des Beginnes der regelmässigen Besichtigungen 
muss deshalb so gewählt und eingehalten werden, um dem Lehrer 
Zeit zu geben, seine neueingetretenen Schüler kennen zu lernen, 
weil die inzwischen gemachten Beobachtungen des Lehrers über 
die körperliche und geistige Beschaffenheit der Schüler für die 
ärztliche Untersuchung ein wertvolles Material abgeben. Bei der 
schulärztlichen Besichtigung selbst wird zunächst das Schulhaus, 
dann die Lehrzimmer, die Lehrerwohnung, die Abortanlage, der 
Brunnen, Qarten, Spielplatz genauestem in Augenschein ge¬ 
nommen und die hierbei gemachten Beobachtungen in das For¬ 
mular I (s. Anlage I) eingetragen. Dieser Bogen I wird für jede 
Schule nur einmal angelegt und bleiben die Einträge dort solange 
unverändert stehen, bis nicht eine erhebliche bauliche Verände¬ 
rung oder ein vollständiger Neubau eine entsprechende Aenderung 
oder Neuanlage dieses Bogens notwendig machen. Nach dieser 
allgemeinen Besichtigung erfolgt die ärztliche Besichtigung aller 
Schüler, zunächst jener, welche neu in die Schule eingetreten sind 
und welche einer eingehenden ärztlichen Untersuchung zu unter¬ 
stellen sind. Schon vor der ärztlichen Besichtigung hat der Lehrer 
für jeden Schüler einen eigenen Gesundheitsbogen nach Formular II 
(s. Anlage II) angelegt, und auf diesem nicht nur die Personalien 
des Schülers, sondern auch seine eventuellen Kenntnisse und Be¬ 
obachtungen über Erblichkeits- oder sonstige für die Beurteilung 
des Schülers verwertbare Familienverhältnisse, über körperliche 
Gebrechen, bereits überstandene Krankheiten, über auffallende 
Gewohnheiten oder sonstige Auffälligkeiten eingetragen, ebenso 
die Grösse und das Gewicht des einzelnen Schülers. Dieser 
Bogen wird ausgefüllt vor der ärztlichen Untersuchung des 
Schülers dem Arzte vorgelegt. Es ist für die richtige Beurteilung 
der gesundheitlichen Entwickelung des einzelnen Kindes von 
grösstem Werte, Einblick zu erhalten in die häuslichen familiären 
Erziehungs-, Eniährungs- und Wohnungsverhältnisse, das Milieu 
kennen zu lernen, in welchem das Kind ausserhalb der Schule 
lebt. Eine Nichtbeachtung dieser Verhältnisse heisst den schul¬ 
ärztlichen Anforderungen nur zur Hälfte genügen. 

Der Arzt besichtigt nun den Schüler hinsichtlich seines all¬ 
gemeinen Eindruckes, Peinlichkeit des Körpers und der Kleidung 
und seines allgemeinen Ernährungszustandes. Dann misst er den 



rar amtlichen Tätigkeit der Bayerischen Bezirksärzte. 


885 


Brustumfang, untersucht Augen und Sehschärfe, Ohren und Gehör, 
Mund, Nase und Sprache, besichtigt die Zähne und Rachenorgane, 
untersucht Herz und Lungen und forscht nach vorhandenen kör¬ 
perlichen Gebrechen. Das Ergebnis dieser Untersuchung wird 
in Bogen II, den eigentlichen Gesundheitsbogen, eingetragen. 
Dieser Bogen hat für jedes Jahr einen eigenen Abschnitt zur 
Konstatierung des Befundes bei der ärztlichen Untersuchung und 
zu einem alljährlichen Vermerk des Arztes ftber den jeweiligen 
> Gesundheitszustand, über Besserung oder Verschlechterung der 
konstatierten Störungen; er wird am Schlüsse der Schulzeit er¬ 
gänzt durch Ratschläge für die Berufswahl in Berücksichtigung 
der allgemeinen Entwickelung und Anlagen des Schülers. Es 
muss hier bemerkt werden, dass, solange keine gesetzliche Hand¬ 
habe besteht, man die Kinder zu dieser schulärztlichen Unter- 
rachung nicht zwingen kann; es muss deshalb jenen Eltern, welche 
ihre Kinder vom Schulärzte nicht untersuchen lassen wollen, ge¬ 
stattet sein, die Ausfüllung dieses Gesundheitsbogens auch ihrem 
Hausarzte überlassen zu dürfen. Während der Bogen I in der 
amtsärztlichen Registratur verbleibt, wird der Bogen II dem 
Zeasurbogen des Schülers beigelegt und von der Schule anfbewabrt. 
Ich versage mir, hier näher auszuführen, welch enorme Wichtig¬ 
keit, ja, welch entscheidende Bedeutung für das Schicksal eines 
Menschen dieser Gesundheitsbogen als amtliches Material über die 
jugendlichen Gesundheitsverhältnisse desselben im Laufe der Zeit 
gevinnen mag; man denke nur an die Aushebung zum Militär, 
an gerichtliche Untersuchungen, spätere geistige Erkrankungen, 
das Entmündigungsverfahren und dergleichen. Ich möchte aber 
nicht versäumen, hier besonders hervorzuheben, wie ungemein 
i ■' vorteilhaft es für alle beteiligten Faktoren sein muss, wenn der 
Iehrer bei von auswärts einwandernden Schülern sich aut Grund 
dieses Bogens sofort ein richtiges Urteil über die gesundheitlichen 
Verhältnisse des zugegangenen Schülers zu bilden vermag. In 
das Formular III werden die Gesamtergebnisse jeder Schul- 
bwichtigung eingetragen, die Ergebnisse, wie sie sich aus der 
jeweils bestehenden Besetzung des Schulzimmers und dem jeweils 
bestehenden allgemeinen Gesundheitszustände der Kinder am Tage 
der Besichtigung feststellen Hessen. Ausserdem wird hier auch 
. ; bemerkt, in welchem Zustande der Reinlichkeit sich das Schul- 
rimmer und die Lehrerwohnung am Tage der Besichtigung be- 
5 fanden haben und welcher Art die Luftbeschaffenheit des Schul- 
nmmers während des Unterrichtes war. Der letzte Punkt dieses 
Bogens, „Was wird zur Aenderung vorgemerkt“, enthält die Be¬ 
anstandungen aller Art und bezeichnet von selbst die weitere 
Tätigkeit des Schularztes. 

Es hiesse nun die Tätigkeit des Schularztes vollständig falsch 
«Hassen, wenn die Vermerke dieses letzten Punktes sogleich in 
| der Weise zur Ausführung gebracht werden wollten, dass der 
,. Schularzt sofort die Aenderung oder Abschaffung der Vorgefundenen 
«wmtandungen durchsetzen wollte, wenn er sofort neue SubselHen, 
wdere Aborte, grössere Fenster, grössere Schulräume, kurz gleich 

'i 





386 Dr. Angerer: Die Schularzt!rage im besonderer Beziehung 

ein neues Schalhaus verlangen würde. Das könnte die ganze 
Wohltat der schulärztlichen Besichtigung in Frage stellen; die 
Rücksicht auf die finanzielle Leistungsfähigkeit der Schulgemeinde 
verlangt ein allmähliches Vorgehen. Zunächst sollten nur die 
fühlbarsten Mängel beseitigt werden, die noch bestehenden sani¬ 
tären Missstände aber müssen immer und immer wieder betont 
und konstatiert werden; dieselben dürfen nicht mehr aus dem Auge 
gelassen und die massgebenden Personen müssen immer wieder 
auf das Gesundheitsschädliche des Missstandes aufmerksam gemacht 
und darüber solange belehrt werden, bis sie sich der Abstellung 
willfährig erzeigen. Vieles könnte gebessert werden unter Auf¬ 
wand ganz geringer Summen, wenn man sich die Aenderung auch 
angelegen sein liesse und nicht alles getan zu haben glaubt, 
wenn man lediglich den Missstand konstatiert hat, sich um die 
Aenderung desselben aber weiter nicht mehr kümmert. Dann 
wird man freilich nach Jahren immer wieder den gleichen Befand 
konstatieren müssen. 

Der mit solchen schulärztlichen Verpflichtungen bestellte 
Bezirksarzt müsste als solcher mit Sitz und Stimme im Lehr¬ 
körper und als ständiges Mitglied der Schulkommission in den 
Rahmen der Schulorganisation eingefügt werden; er müsste auch 
2 u allen regelmässigen Lehrerkonferenzen des Bezirkes eingeladen 
werden und dafür Sorge tragen, dass die Tagesordnung derselben 
schulhygienische Themata zur Beratung und Diskussion enthält 
Auf diese Weise wird er mit. dem Schulwesen immer mehr be¬ 
kannt werden und seine Forderungen immer mehr den allgemeinen 
Forderungen des Unterrichtswesens anpassen können. 

Diese vorgezeichnete, sicherlich sehr erspriessliche Tätigkeit 
des Schularztes kann aber für die ländlichen Bezirke nur im Ver¬ 
ordnungswege bestimmt und eingeführt werden. — Die Einführung 
einer solchen nur der Initiative der Schulgemeinde überlassen, 
hiesse die Einrichtung einer schulärztlichen Tätigkeit aut ewig 
verschieben. Keine Gemeinde wird sich zu einer immerhin kost¬ 
spieligen Einrichtung entschlossen, wenn nicht sogleich und zwar 
klingender Erfolg erwartet werden kann. — Deshalb kann die 
Einrichtung und Einführung eines schulärztlichen Dienstes in den 
ländlichen Schulen nur auf behördliche Anordnung geschehen; die 
Einführung ist gesichert, wenn die ländlichen Schulgemeinden 
ebenso wie in der Stadt die Kosten dieses ärztlichen Ueber- 
wachungsdienstes zu übernehmen bereit sind. Die Einführung 
eines so gestalteten schulärztlichen Dienstes müsste aber noch 
weitere höchst segensreiche Erfolge auch für die Allgemeinheit 
erzielen. Zunächst würde durch die Ausübung einer solchen 
schulärztlichen Tätigkeit der Amtsarzt in eine regelmässige und 
enge Beziehung zu den Schulgemeinden und deren Bewohner 
treten. Er würde die nach der Schulbesichtigung noch zu Gebote 
stehende Zeit des Tages benutzen, um auch die sonstigen sani¬ 
tären Verhältnisse des Ortes einer Würdigung zu unterziehen; er 
könnte Einfluss üben auf die Ernährung, Lebensweise und Woh¬ 
nungsverhältnisse der Einwohner, könnte in Vorträgen, für die 



sar amtlichen Tätigkeit der Bayerischen Bezirksärzte. 


887 


•j gewiss, wenn die Tageszeit richtig ausgewählt wird, ein zahl- 
.• t reiches nnd dankbares Auditoriam erwartet werden kann, die Ge- 
sundheitaverhältnisse der Bewohner erfolgreich beeinflussen durch 
: Umsetzen der wissenschaftlichen Hygiene in die Praxis. Im regen 
Verkehr mit den Bewohnern seines Bezirkes würde er auf diese 
■: - Weise zum hygienischen Wanderlehrer, znm sachverständigen Be- 
-v rster in gesundheitlichen Dingen, znm Gesnndheitsbeamten seines 
■; Bezirkes sich entwickeln. Man betrachte nur die Erfolge, welche 
. die Landwirtschaft mit der seit Jahren betriebenen Belehrung nnd 
, Aufklärung der Landbevölkerung durch Vorträge von Wander- 
i khrern and entsprechende Flugschriften etc. erzielt hat, nnd man 
j darf hoffen, dass anch die gleichen Erfolge mit der hygienischen 
' Belehrung des Volkes zu erzielen sein würden. 

i Znm Schlüsse soll noch erwähnt werden, dass eine solche 
; Ausdehnung des amtsärztlichen Dienstes dem Bezirksarzt eine 
i neue, zeitraubende nnd auch körperlich anstrengende Tätigkeit 
yj mveist, die ihn so in Anspruch nehmen würde, dass er für die 
i t Besorgung privatärztlicher Geschäfte nicht viel Zeit mehr übrig 
f bitte. Die Erträgnisse ans der schulärztlichen Tätigkeit würden 
, | ihn zwar, was das Gehalt betrifft, in die gleichen Verhältnisse 
- : stellen, in welchen seine Altersgenossen in anderen Berufsarten 
. 1 sah befinden, — immerhin würde das Wegfallen der Privatpraxis 
i' I für manchen die Veranlassung sein, sich um eine amtsärztliche 
. 1 Austeilung nicht mehr zu bewerben. Es würden fortan nur solche 
. j Aerzte eine Anstellung im amtsärztlichen Dienste anstreben, welche 
in sich den Beruf fühlen, sich ganz in den Dienst der öffentlichen 
Gesundheitspflege zu stellen; für diese hat dann der Wegfall 
| der privatärztlichen Tätigkeit die grösste Bedeutung hinsichtlich 
l am unbehinderten Ausübens ihrer gesamten amtsärztlichen Ob- 
[ lügenheiten. 

Meine Ausführungen fasse ich in folgende Schlusssätze zu- 
sammen: 

1. Die schulärztliche Aufsicht liegt im Interesse der Schule, 
der Schüler und der Allgemeinheit. 

2 . Die in Bayern geltenden Vorschriften entsprechen im 
allgemeinen den Anforderungen der Schulhygiene, sie bedürfen 

i mr einer Erweiterung in bezug auf Berücksichtigung der Ge- 
sandheitsverhältnisse der einzelnen Kinder. 

3. Znr Beachtung der schulhygienischen Vorschriften sind 
i Arzt und Lehrer verpflichtet. 

4. Als Aerzte sind hier verpflichtet die Bezirksärzte. 

5. Mehr als 5000 Schüler sind dem Bezirksarzte nicht zu 
'“terstellen. 

6 . In Schulgemeinden, in denen erheblich mehr Kinder vor- 
huden sind, werden dem Bezirksarzt Hilfsärzte in Form eigener 
Schulärzte beigegeben. 

7. In grossen Städten muss die Aufstellung besonderer Schul¬ 
kate mit besonderer DiensanWeisung gefordert werden. 



Dr. Angerer: Die Schularztfrage in besonderer Beziehung 


Formular I.') 

Ergebnisse 

der amtsärztlichen Besichtigung der Schale za . 

am.19 


1. Wann wurde das Schalhaas erbaut 
and wer ist Eigentümer? 

2. Lage, Umgebung and Grüße des 
Schalhauses; befinden sich in der 
Nähe schädliche Aasdünstangen 
oder störende, lärmende Betriebe; 
ist es freistehend, oder von anderen 
Gebinden eingeschlossen. Beschaf¬ 
fenheit des Zugangsweges zum 
Scholhaose. 

3. Konstruktion des Schul¬ 
hauses. Zustand der Mauern, des 
Daches, Fenster, Türen; Feuchtig¬ 
keit der Mauern, Infiltration durch 
Abortinhalt oder Haus- und Ablei¬ 
tungswässer ; Zustand der Dach¬ 
rinnen, Keller, Gänge, Treppen und 
Treppengeländer. Allgemeine Ord¬ 
nung und Reinlichkeit im Hause 
und in der nächsten Umgebung des¬ 
selben. 

4. Schulzimmer. 

Wieviele; Flächen- und Kubikinhalt 
eines jeden, Anstrich der Decken 
und Wände; Zahl und Grüße der 
Glasfläche der Fenster, deren Ver¬ 
hältnis zur Flächengröße des Schul- 


., Kgl. Bezirksarzt. 

zimmere, Anlage und Situation der 
Fenster, Schutz gegen direktes 
Sonnenlicht; Zustand und Beschaf¬ 
fenheit der Oefen, Schutz gegen 
strahlende Wärme; welches Heiz¬ 
material; Beschaffenheit der Fu߬ 
böden; VentUationsvorrichtungcn. 

5. Beschaffenheit der Bänke. 
Welches System, Stellung derselben 
zum Licht und zum Katheder. 

6. Kleiderablage. 

7. Abort an läge. Allgemeiner Zu¬ 
stand der Aborte, Reinlichkeit, Ven¬ 
tilation, Zustand der Grube; Lage 
dos Abortes; Pissoirs. 

8. Trinkwasser. 

9. Spielplatz und Schulgarten. 

10. Schulfremde Räume. Auf¬ 
enthaltsraum für die auswärtigen. 
Schüler während der Mittags¬ 
pausen. 

11. Gemeindeamtliches Zimmer. 

12. Lehrerwohnung. Anzahl der 
Zimmer; Lage derselben zu den 
Schulzimmern; Eingang zur Lehrer¬ 
wohnung ; Aborte, Wirtschafts¬ 
räume. 


Formular U. *) T 

Schule in. A ' 

Schulärztliche Aufzeichnungen über d . . Schüler. 

geboren am.zu. 

Eintritt in die Schule am. 1. Schulärzliche Besich¬ 
tigung am. 

Beobachtungen des Lehrers über zu berücksichtigende Erb- 
lichkeits- und Familienverhältnisse, körperliche Gebrechen, Krankheiten, auf¬ 
fallende Gewohnheiten, geistige Auffälligkeiten usw. 


Körpergröße . . ., Körpergewicht . . . ., Brustumfang . . . 

Allgemeiner Gesundheits- und Ernährungszustand. 

Prüfung des Gehörs., Prüfung des Sehvermögens. 

Endurteil und Bemerkungen: 

.. Kgl. Bezirksarzt. 


Schulärztliche Besichtigung am. jj 

Körpergröße . . . ., Körpergewicht . . ., Brustumfang ... 

Allgemeine Ernährungs- und Gesundheitsverhältnisse. 

Endurteil und Bemerkungen: 

., Kgl. Bezirksarzt. 

Folgen noch 6 gleichlautende Spalten wie II für das III, IV., V., VL, 
VII. Schuljahr; bei dem VII. Schuljahr wäre bei Bemerkungen noch die 
Berufswahl hinzuzufügen. 


*) Nur einmal für jedes Schulhaus anzulegen und giltig so lange, als 
keine größeren baulichen Veränderungen vorgenommen werden. 

*) Für jeden neu eintretenden Schüler anzulegen und jedos Jahr fortzu¬ 
führen (Beilage zum Zensurbogen; zu den Schulakten). 






















Di. Bichter: Die Tuberkulose in der Schule uaw. 


889 


Ftmalar HL 1 ) 

Ergebnis 

der amtsärztlichen Besichtigung der Schule zu 
vom.19 


1 . Anzahl der Schulkinder im Schul* 
zimmer: 

Trifft auf den Kopf qm: 
s s • » cbm: 

1 Beinlichkeit des Schulzimmers und 
der Schfiler; Haltung der Schüler, 
besonders beim Schreiben; Luftbe- 
sehaffenheit im Schulzimmer: 

3. Wieviele Kinder fehlen: 

Waran krank, an welchen Krank* 
heiten: 


Wieviele Kinder sind kurzsichtig: 
„ „ „ schwerhörig: 

, , , körperlich 

gebrechlich: 
„ „ „ schwächlich 

od. kränklich: 
9 . 9 geistig min- 

derwertig: 

4 . Zustand der Lehrerwohnung: 

5. Was wurde zur Aenderung vorge¬ 
merkt: 

., Kgl. Bezirksarzt 


Die Tuberkulose in der Schule, betrachtet vom Standpunkte 

des Medizinalbeamten. 

Von Dr. Bichter, Reg.- und Geh. Medizinalrat in Dessau. 

Wenn man die statistischen Daten mit Bezug auf das Vor* 
kommen der Tuberkulose in den verschiedenen Lebensaltern be¬ 
trachtet, so ergibt sich die erfreuliche Tatsache, dass die schul¬ 
pflichtige Jugend sehr wenig von Tuberkulose heimgesucht wird. 
Die schwachen und zur Tuberkulose disponierten Kinder sind bis 
mm vierten resp. fünften Jahre weniger der Lungen- wie der 
Hirahauttuberkulose erlegen; das zur Schule kommende Menschen- 
material ist mithin schon einmal in dieser Richtung gesichtet, ehe 
die ersten Schädlichkeiten der Zivilisation in Form des öffentlichen 
Schulbesuchs an dasselbe herantreten. Es macht hier die Art der 
Lebensführung, auch das Wohnen in der Stadt oder auf dem Lande 
keinen Unterschied. Nach Leubuscher*) sind in den Meiningi- 
sehen Industriedistrikten, in welchen die Tuberkulose eine grosse 
Bolle als Krankheits- und Todesursache spielt, die Schulkinder 
auch in den ärmsten Gegenden, denen eine reiche schulhygienische 
Einrichtung nicht zu Gebote steht, nicht zahlreicher an Tuber- 
knloee erkrankt, wie in anderen, in dieser Beziehung weit günstiger 
gestellten Gegenden Deutschlands. Leubuscher hat bei wieder¬ 
holten Untersuchungen der Schuljugend in den verschiedenen Be¬ 
zirken des Meininger Landes unter 1200—1500 untersuchten 
Bindern nur immer zwei tuberkulöse gefunden. Nach den mir 
Torliegenden statistischen Zahlen von Gehrhard (Handbuch der 
Kinderkrankheiten), sowie dem entsprechenden Teile des Ver- 
valtungsberichtes der Stadt Nürnberg vom Jahre 1900, endlich 
«och nach dem Berichte über den Tuberkulosekongress in Berlin 
(1899, S. 52), welcher die entsprechenden Verhältnisse in der Schweiz 
beleuchtet, stellt sich zweifellos heraus, dass in der Altersklasse 

*) Alljährlich auszufüllen and zwar für jedes Scbolzimmer. (Za den 
Akten des Bezirksarztes.) 

*) Staatliche Schulärzte. Berlin 1902. Verlag von Reoacher & 
Beichard. 






390 


Dr. Bichter. 


von 5—15 Jahren die Sterblichkeit an Lungentuberkulose am 
geringsten ist. Wenn wir nun nicht daraus ohne weiteres den 
Schluss ziehen können, dass auch die Zahl der an Tuber¬ 
kulose kranken Kinder eine ebenso geringe ist, so können 
wir doch sicherlich dem Satze Steinhards 1 ) voll beistimmen, 
welcher wörtlich lautet: „Die Schulpflicht fällt gerade in die¬ 
jenige Altersperiode hinein, welche die geringste Krankheits- und 
Sterblichkeitsziffer an Tuberkulose aufweist.“ 

Man könnte somit nach Vorstehendem annehmen, dass die 
Bekämpfung der Tuberkulose bei den Schulkindern nicht die 
Schwierigkeiten bietet, wie bei Personen in anderen Lebensver¬ 
hältnissen. Ganz so leicht und erfolgreich ist der Kampf jedoch 
hier auch nicht; denn der kindliche Organismus bietet der Tuber¬ 
kuloseinfektion eine Anzahl Angriffspunkte, die nur ihm eigen¬ 
tümlich sind, und die bei der oft langen Zeit des Euhens der 
aufgenommenen Bazillen im Körper mitunter erst nach Jahren, 
lange nach Verlassen der Schule, wenn noch andere Schädlich¬ 
keiten auf den Körper einwirken, ihre verderbliche Wirkung 
entfalten. 

Abgesehen von den der Vorstufe der Tuberkulose angehörigen 
skrophulösen Gelenkentzündungen, kalten Abszessen, einzelnen 
Arten von Schwellungen der Schleimhäute im Nasenrachenraum 
und der damit öfter im Zusammenhänge stehenden chronischen 
Erkrankungen des inneren und Mittelohres, äussert sich die Tuber¬ 
kulose bei Schulkindern zunächst in der floriden Form, die allemal 
das Wegbleiben des Patienten aus der Schule zur Folge hat, weil 
der Schwächezustand desselben sehr bald ein hochgradiger wird; 
dann gibt es latente Formen, ohne dass sich eine besondere Organ¬ 
erkrankung durch die Untersuchung feststellen lässt, wie aus den 
Sektionsberichten über die an anderen Krankheiten als Tuberkulose 
gestorbenen Kinder ersichtlich ist. Diese letzteren Fälle bieten, 
sobald sie Bazillen im Auswurf entleeren, für die anderen Kinder 
immereine gewisse Gefahr; denn nach Westenhöffer 9 ) ist bei 
Schulkindern eine der häufigsten Eingangspforten zur Aufnahme 
des Tuberkelbacillus die bei dem Zahnwechsel geschaffene Ver¬ 
letzung der Mundschleimhaut, von wo mit dem Lymphstrome der¬ 
selbe in die Drüsen des Halses, der Luftröhren, eventuell aueh 
des Gekröses gelangt. Die Entwickelung der Tuberkulose bei den 
Kindern schildert W. folgendermassen: „Bei einem Teil bleibt die 
Tuberkulose auf die Halsdrüsen beschränkt, bei einem anderen 
bricht eine erweichte Bronchialdrüse in einen Bronchus durch, 
und es entwickelt sich Lungentuberkulose; eine fernere Zahl er¬ 
liegt der Miliartuberkulose, bei einem grossen Teile bleibt vor¬ 
läufig die Krankheit latent.“ 

Aufrecht 9 ) nimmt als sehr häufige Eingangspforte des 
Bacillus die Mandeln an, allerdings nur hauptsächlich im frühen 


l ) Steinhardt: Tuberkulose and Schale. Vortrag, gehalten in Nttrnberg 
am 31. März 1903. 

') Berliner klin. Wochenschrift; 1904, Nr. 7 and 8. 

*) Ueber die Lungenschwindsucht. Magdeburg, 1904. 



Tuberkulose ln der Schale, betrachtet rom Standpunkt des Medizinalbeamten. 891 

Kindesalter, eine Anschauung, die yon der bis jetzt geltenden 
wesentlich abweicht, wonach die Mandeln als eine Art Schatz¬ 
wehr gegen das Eindringen von Bazillen zu betrachten seien, 
mdem nach geschehener Invasion sich eine Entzftndnng und Infil¬ 
tration derselben entwickeln solle, die den Bacillus vom weiteren 
Vordringen abhalte. 

Auch die Rekonvaleszenten von schweren Krankheiten, wie 
Typhus, Nephritispneumonie etc., bieten der ihnen noch monatelang 
anhaftenden allgemeinen Schwäche wegen der Infektion weniger 
Widerstand; ganz speziell sind bei den in der Klasse vorhandenen 
Hustern mit bazillenhaltigem Auswurf die Kinder nach über¬ 
standenen Masern, Scharlach, Diphtherie, Influenza gefährdet, weil 
die bei der Abschuppung ihrer Epithelien entkleideten Schleim¬ 
häute der Luftwege und des Halses noch kein abgehärtetes Epi¬ 
theliom, eventuell noch Lücken in demselben besitzen. Auch die 
Singstunden bieten des tieferen Atmens wegen Gelegenheit zur 
Infektion. Man mag nnn der Anhänger der Verstaubungstheorie 
von Cornet sein, oder der Flügge sehen Tröpfcheninfektion bei- 
stmmen, die Möglichkeit, sich in der Schule zu infizieren, ist 
sicherlich nach beiden Richtungen hin vorhanden. 

Wenn der Staat durch den Schulzwang seine Bürger nötigt, 
ihre Kinder den Schulen znznffthren, so erwächst ihm auch die 
Pflicht, mit aller Kraft dahin zu wirken, dass vermeidbare Schäd¬ 
lichkeiten aus den Schulen entfernt werden. Aber der Staat allein 
erhält nicht überall die Schalen; es sind die Städte grösseren und 
kleineren Umfanges, die Dorfgemeinden, Vorstände von Patronats- 
mtd Privatschulen ebenso verpflichtet, die Schädlichkeiten für die 
Gesundheit der Schüler nach allen Kräften ausznschalten. Zur 
Erreichung dieses Zieles gehören im allgemeinen die Sorge für 
Beleuchtung, passende Sitze, Heizung, Reinlichkeit, Lüftung der 
Sehulzimmer, die Sorge für Aufbewahrung der Oberkleider in be¬ 
sonderen Räumen ausserhalb der Schulzimmer, entsprechende Be¬ 
aufsichtigung und Schutz der Kinder vor starkem Temperatur¬ 
wechsel in den Unterrichtspausen, Einrichtung luftiger Spielplätze 
und möglichst staubfreier Turnhallen, ausreichend lange Ferien, 
m weiteren Sinne die Gelegenheit zum Besuche von Ferien* 
kolonien, Waldschulen, Sonderklassen für Minderbefähigte, ent¬ 
sprechende Einteilung des Lehrplans etc. etc. — Die Erfahrungen 
des täglichen Lebens bestätigen, dass da, wo diesen Anforderungen 
nach Kräften Folge geleistet wird, die Jugend kräftig heranwächst 
und die Schädlichkeiten des Schulunterrichtes so gut überwindet, 
dass sie, in der Mehrzahl wenigstens, für den Kampf des Lebens 
geistig und körperlich genügend kräftig die Schule verlässt. 

Die Tuberkulose erfordert zu ihrer Fernhaltung aus den 
Schulen aber noch mehr: das ist die Fernhaltung der Lehrer und 
Schüler, resp. Lehrerinnen und Schülerinnen vom Unterricht, so¬ 
bald sie nachgewiesenermassen Bazillen aushusten. Auf dieser 
Forderung muss von unserem Standpunkte .unnachsichtlich, ohne 
in irgend einer Weise zu individualisieren, bestanden werden. 
Wer Bazillen aushustet oder sonstwie anders ab- 



392 


Dr. Richter: Die Tuberkulose in der Schale usw. 


sondert, gehört nicht in die Schule, auch nicht in eine 
Schulpension oder Alumnat. Die pekuniäre Seite, die even¬ 
tuelle grössere Belastung des Schuletats kann und darf bei be¬ 
stehendem Schulzwang nicht nach der Richtung hin in Betracht 
gezogen werden, diese Forderung abzulehnen. 

Die Kosten werden tatsächlich nicht so gross sein, wie es 
ängstlichen Gemütern scheinen möchte; denn es handelt sich doch 
auch hier nur um die schleichend verlaufenden Fälle, welche dem 
Lehrer und Schüler gestatten, die Schule zu besuchen. Wer von 
Miliartuberkulose befallen wird, geht nicht mehr zur Schule, weder 
zum Lehren, noch zum Lernen. 

C. Fischer 1 ) führt in einer Abhandlung, welche die Ge¬ 
legenheit zur Ansteckung mit Tuberkulose in der Geschichte der 
Lungenkranken behandelt, 11 Fälle von Schülern und Schülerinnen 
an, die Objekt der Ansteckung seiner Ansicht nach gewesen sind. 
Er führt die Ansteckung bei Mädchen auf Küssen seitens einer 
kranken Nonne in einer Klosterschule zurück, bei anderen Schülern 
auf das Nebeneinandersitzen mit einem kranken Kameraden, der 
viel hustete und mit dem Auswurf unreinlich umging, ein anderer 
teilte den Schlafsaal mit einem tuberkulösen Schulgenossen, end¬ 
lich war ein Lehrer als Ursache angeschuldigt, welcher, schon 
lange hustend, dauernd vor dem Platze eines Kindes während der 
Lehrstunden Platz zu nehmen pflegte. 

Die Feststellung, ob Jemand Tuberkelbazillen absondert, 
bietet keine Schwierigkeit mehr, zumal jetzt, wo durch die Mög¬ 
lichkeit des Anschlusses der Ortschaften eines Regierungsbezirks 
oder einer Provinz an die bakteriologischen Anstalten der nächsten 
Universität oder Grossstadt bei etwaigem Mangel eines sach¬ 
kundigen Arztes im Orte jederzeit in diesen Anstalten die Unter¬ 
suchung vorgenommen werden kann. 

Wie gelangen wir nun dahin, das nötige Ziel, die Aus¬ 
schaltung von Lehrern und Schülern, sobald sie offene Tuberkulose 
mit Absonderung von Tuberkelbazillen haben, zu erreichen? Zu¬ 
nächst würde der Staat, resp. die Körperschaft städtischer oder 
ländlicher Art, der die Erhaltung der Schule obliegt, eine ge¬ 
naue Untersuchung der anzustellenden Lehrer und Lehrerinnen 
jeder Gattung auf Tuberkulose oder Tuberkuloseverdacht vor 
der Anstellung anordnen müssen; die Seminarien müssten die 
jetzt schon bei Aufnahme der Schüler geübten Untersuchungs¬ 
methoden verschärfen, vielleicht durch Festsetzung eines be¬ 
stimmten Brustmasses für die verschiedenen Altersstufen, mit 
strenger Ausscheidung der auch dauernd verdächtig und schwach 
bleibenden Persönlichkeiten, die eventuell auch in anderer Rich¬ 
tung dem anstrengenden Berufe eines Lehrers nicht gewachsen 
sein würden. Es ist besser, ein Aspirant oder eine Aspirantin 
des Schulamtes erleiden die Enttäuschung, nicht Lehrer bezw. 
Lehrerin werden zu können und sich einem anderen Berufe zu¬ 
wenden zu müssen, bei dessen Ausübung er bezw. sie gesund 


*) Zeitschrift für Tuberkulose; 1901, H. 5, S. 410 ff. 



Kleinere Hitteilnngen nnd Referate ans Zeitschriften. 


398 


▼erden können, statt dass sie, infolge ihrer Körperschwäche schon 
Tor Eintritt in den Beruf nur mangelhaft diensttauglich, nach 
kurzer Zeit wegen Tuberkulose das Amt aufgeben, oder mindestens 
mehrere Jahre bis zu definitiver Heilung dasselbe meiden mfissen, 
der pekuniären Seite für sich und für die Behörde dabei nicht 
zuletzt zu gedenken. 

Ob die Kosten für die Behörden und Gemeinden, denen die 
Erhaltung der Schulen obliegt, bei Ausschaltung der tuberkulösen 
Lehrkräfte beiderlei Geschlechts in der Tat erhebliche sein werden, 
steht dahin. Die Zahl der Lehrer mit offener Tuberkulose ist 
statistisch in dieser Beziehung meines Wissens noch nicht fest¬ 
gestellt. Zum Zwecke der Beurteilung der jährlichen Belastung 
des Etats, die durch Ausschaltung auch jüngerer Lehrkräfte, 
sobald sie an Tuberkulose leiden, eintritt, genügen auch allgemeine 
statistische Feststellungen nicht, dazu bedarf es absoluter Zahlen 
in bestimmten Bezirken, welche folgendes angeben müssten: „Unter 
so und so viel Lehrern sind im Verlaufe von so und so viel Jahren 
sechs, acht, zehn etc. krank gewesen. Infolgedessen ist von seiten 
der Schulbehörde durch Kurunterstützung, wohlwollende Pensio¬ 
nierung, Uebernahme in ein anderes Amt etc. die bestimmte Summe 
von — Mark aufgewendet worden, mithin beträgt die bisherige 
Belastung der Schulfonds zum Zwecke der Ausschaltung tuber¬ 
kulöser Lehrkräfte die Summe von — Mark.“ 

Nach meinen persönlichen Erfahrungen dürfte die Summe 
wohl nicht sehr erheblich sein. 

Wenn man die von Leubuscher angegebene Zahl der 
tuberkulösen Schulkinder, nämlich zwei auf 1200—1500 Schüler 
verallgemeinern darf, so dürfte der öfters vorgeschlagene Bau und 
Einrichtung besonderer Schulräume für Tuberkulöse sich erübrigen 
und dafür privater Unterricht eintreten können, dessen Kosten bei 
Unbemittelten den Gemeinden nach den bestehenden Gesetzen als 
znr Sorge für Leben und Gesundheit der Einwohner gehörig auf¬ 
erlegt werden könnten. 

Rekapitulation: 

1. Tuberkulöse Lehrer und Schüler, welche Tuberkelbazillen 
absondem, bilden eine gesundheitliche Gefahr für die in demselben 
Schulzimmer weilenden Kinder. 

2 . Tuberkulöse Lehrer und Schüler beiderlei Geschlechts sind, 
sobald sie Tuberkelbazillen absondern, vom Besuche der Schule 
auszu8chlie8sen. 


Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 

Bakteriologie, Infektionskrankheiten and öffentliches 

Sanitätswesen. 

Ueber InunnnlsierongSTersnche gegen Tnberknlose. Nach einem bei 
der 7. Tagung der Dentschen pathologischen Gesellschaft in Breslau gehaltenen 
Vortrage. Von Prof. Dr. P. Baum garten -Tübingen. Berliner klinische 
Woehenschr.; Nr. 43, 1904. 

Rinder sind durch Einverleibung menschlicher Tuberkelbazillen gegen 
eine spätere für Kontrollrinder tödliche Infektion mit Perlsuchtbazillen immun 
zn machen; die Immunität hat 2 */» Jahre vorgehalten. Es genügt schon eine 



894 


Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften. 


einmalige sabknt&ne Impfang mit menschlichen Tuberkelbazillen. Wenn ne 
nicht gelingen sollte, ein Heilserum für Menschen gegen Tuberkulose za 
finden, so bleibt immer noch die Hoffnung, dem Menschen durch ein der 
Rinderimmanisierung analoges Schutzimpfangsverfahren Immunität gegen Tuber» 
kulose zu verleihen. Als Vaccine würden hier umgekehrt Rinderbazillen, aicht 
Menschenbazillen zu verwenden sein. Dr. Räuber* Köslin. 


Veber Kaltblüte rtuberkulose. Von Dr. E. Küster, L Assistent des 
hygien. Universitätsinstitutes in Freiburg L B. Münchener med. Wochensehr.; 
Nr. 2, 1905. 

Der Taberkelbacillus kann nicht nur im Warmblüterorganismus tuber¬ 
kulöse Veränderungen setzen und behält nicht nur bei Temperaturen zwischen 
29° und 42° volle Wachstumsenergie nnd Virulenz, sondern er tritt auch im 
Kaltblüterorganismus als pathogener Mikrobe auf und findet bei den wech¬ 
selnden Temperaturen, wie wir sie bei den Poikilothermen zu beobachte* 
pflegen, seine Wachstumsbedingungen. 

Diese Tatsache ist von großer wissenschaftlicher und praktischer Be¬ 
deutung, insofern uns möglicherweise durch die Kaltblütertuberkulose ein gang¬ 
barer Weg zur Immunisierung gegen unsere wichtigste Infektionskrankheit, 
die WarmblUtertuberkulo8e, gewiesen wird. Und faktisch ist man in dem Im- 
munisierungsbestreben gegen Tuberkulose durch das Stadium der Kaltblüter¬ 
tuberkulose, insbesondere bei den Blindschleichen, Fischen (Karpfen), Schild¬ 
kröten und Fröschen ein bedeutendes Stück vorwärts geschritten. 

Verf. berichtet dann eingebend über einen originären Fall von Frosch¬ 
tuberkulose, sowie über das Resultat der mit dem Bacillus angestellten Tier¬ 
versuche und Experimente an Fröschen, Salamandern, Molchen, Eidechsen, 
Krebsen, Schildkröten, Ringelnattern, Blindschleichen, Karpfen, Barben, außer¬ 
dem von Warmblütern an Meerschweinchen, Kaninchen, Ratten und weißen 
Mäusen. 

Als wichtiges Ergebnis der Infektionsversuche bei den verschiedenen 
Tieren hebt Verf. kurz hervor, daß alle untersuchten Kaltblüter für die Er¬ 
krankung empfänglich sind, während Warmblüter wohl durch die Impfung zu¬ 
grunde gehen können, ohne dabei aber einer bazillären Infektion im eigentlichen 
Sinne zu erliegen. Am empfänglichsten erweisen sich für die Infektion dis 
Frösche, Eidechsen und Schildkröten. Verf. geht dann noch auf die Verän¬ 
derungen und Erkrankungen einzelner Organe bei verschiedenen infizierten 
Tieren ein und will seine Versuche weiter fortsetzen mit besonderem Augen¬ 
merk darauf, ob es möglich ist, den Bacillus vollkommen an den Warmblüter- 
Organismus zu adaptieren, sodaß diese Tiere durch Infektion mit wenigen 
Bazillen an deren Vermehrung zugrunde gehen. Weiterhin werden sich die 
Versuche darauf erstrecken, ob sich nähere Beziehungen zwischen der echten 
Warmblütertuberkulose und den Kaltblütertuberkulosebazillen herausfinden 
lassen, vielleicht in den Reaktionskörpern, die im Serum der geimpften Tiere 
auftreten. 

Verf. meint zum Schlüsse, daß wir in der Verwendung von Kaltblüter¬ 
tuberkelbazillen sicher einen wichtigen Schritt in der Erreichung einer aktives 
Immunität gegen Warmblütertuberkulose vorwärts getan haben. 

_ Dr. Waibei-Kempten. 


Erfahrungen mit der Spenglerschen Formaltnmethode zur Relnvüch- 
tnng von Tnberkelbaztllen ans Bakteriengemischen. Von Dr. A. Dworetz- 
ky in Moskau. (A. d. ehern.-bakteriol. Inst. d. H. Dr. Ph. Blumeathal in 
Moskau.) Zentralbl. f. Bakt.; I. Abt., Orig., 1904; Bd. 47, H. 4. 

Dworetzky hat weder mit der Spenglerschen noch mit der von 
Piatkowski angegebenen Modifikation dieser Methode der Reinzüchtnng 
von Tuberkelbazillen aus Bakteriengemischen mit Hilfe von Formalin positive 
Resultate gehabt; er befindet sich hierin in Uebereinstimmung mit Werner 
undJacquä, welche gleichfalls nur negative Resultate erzielten. Damit 
fallen auch die Vorwürfe, welche Spengler der Flüggesehen Formalin¬ 
desinfektion macht. Dr. L e n t z - Saarbrücken. 



Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften. 


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Weitere Beltrige nr Frage des Etnllnsses hoher Temperaturen anf 
Tnh erhelbaaillen in der Milch. Von Chr. Barthel and 0. Stenström. 
(MitteiL Nr. 14 a. d. milchwirtschaftlich - bakteriologischen Labor, der Aktie* 
bolaget Separator za Hamra, Schweden.) ZentralbL f. Bakt.; I. Abt., Orig. 
1904; Bd. 37, H. 8. 

Die Verfasser haben durch zahlreiche Versuche festgestellt, daß in nicht 
koagulierter Milch, wie sie in Sammelmolkereien wohl ausschließlich verarbeitet 
wird, die Tuberkelbazillen durch 1 Minuten langes Erhitzen auf 80° C sicher 
abgetötet werden. Sie halten daher das heute meist geübte Verfahren, die 
Milch im Pasteurisierapparat während mehrerer Minuten auf 80° C zu er¬ 
hitzen für genügend, eine von Tuberkelbazillen freie Milch zu erhalten. (Qanz 
abgesehen davon, daß das Pasteurisieren der Milch auch den Zweck verfolgt, 
außer den Tuberkelbazillen auch andere etwa in ihr vorhandene pathogene 
Mikroorganismen abzutöten, übersehen die Verfasser, daß wir heute noch kein 
Verfahren besitzen, welches uns ermöglicht, eine sichere Kontrole darüber aus- 
raüben, ob auch die ganze im Pasteurisierapparat befindliche Menge Milch über¬ 
haupt oder doch genügend lange die erforderliche Temperatur erreicht. Bei 
den meisten heute in Betrieb befindlichen Pasteurisierapparaten ist es zum 
wenigsten recht fraglich, ob sie diese Bedingung erfüllen. Anmerk, des Bef.) 

_ Dr. L e n t z - Saarbrücken. 

Der Tuherkelbaelllus im Blate nneh Aufnahme infektiöser Nahrung. 

Von Ch. Bisanti und L. Panisset. (Laboratoire de bactfiriologie de 
rEarie d’Alfort.) Comptes rendus de la soc. de biol.; 1905, LVIII, Nr. 8. 

Im Gegensätze zu B. Klimenko, über dessen Arbeit S. 21 des laufen¬ 
den Jahrgangs berichtet ist, kommen die Autoren zu dem Ergebnisse, daß in 
dm Darm eingeführte Mikroben auch die unversehrte Dannwand passieren und 
in den Kreislauf eindringen können. 

Als Testmikroben wählten sie den Tuberkelbacillus. Einem Hunde, der 
94 Stunden Lang auf Wasserdiät gestellt worden war, reichten sie eine Suppe, 
welcher sie Tuberkelbazillen in großer Quantität — eine halbe Kartoffelkultur 
— beigefügt hatten. 4—5 Stunden nach der Mahlzeit wurde das Tier getötet. 
Du dem Herzen entzogene Blut wurde durch Fluornatrium ungerinnbar 
gesucht und zentrifugiert. Die Trennungsschicht zwischen Blutkörperchen 
nnd Plasma wurde abgehoben und durch Na01 -Lösung auf das ursprüngliche 
Blutvolum verdünnt. Diese Flüssigkeit diente als Impfmaterial für Meer¬ 
schweinchen. Die zum Versuche benutzten Hunde waren, wie die Autopsie 
ergab, gesund gewesen, Eingeweideläsionen fanden sich nicht. Die mit jener 
Blutflüssigkeit geimpften Meerschweinchen dagegen erkrankten an der Impf¬ 
stelle an langsam - heilenden Geschwüren und später in 4 von 6 Fällen an 
generalisierter Tuberkulose. 

Auch die Ljmphe des Ductus thoracicus von jenen Versuchshunden 
machte zwei Meerschweinchen tuberkulös. Dr. Mayer-Simmern. 


Ueber Splittersputa Tuberkulöser. Von Dr. Carl Spengler in 
Davon. Zeitachr. t Hygiene u. Infektionskrankheiten; Bd. 49, H. 8. 

Es gibt, wie Verfasser angibt, bei Lungentuberkulösen Sputa, in denen 
au nur Tuberkelbazillen - Splitter und keine normalen Stäbchen nachzuweisen 
zustande ist. Die Diagnose auf „Splitter“ ist nur sicher zu stellen, sobald 
die Splitter in Gruppen gefunden werden. Eine Beihe instruktiver Bilder 
zeigen deutlich die Entwicklungsstadien solcher Splitter, welche als Art punkt¬ 
förmiger, säurefester Gebilde zusammenliegen. Nach den Beobachtungen und 
Erfahrungen Spenglers stellen die Splitter Involutionsformen der Tuberkel- 
bazillen dar mit erheblich herabgesetzter Lebens- und Entwicklungsfähigkeit 
and entsprechend geringer Virulenz. Ganz allgemein sagt Verfasser von den 
8plittern, daß sie eine an der Grenze der Vitalität angelangte Wuchsform der 
Tuberkelbazillen bezw. Perlsuchtbazillen darstellen. Ihre Anreicherung gelingt 
nr unter äußerst günstigen Wachstumsbedingungen. Eine weitere Frage von 
Bedeutung ist, „kommen Splitter vornehmlich bei Perlsucht- oder menschlichen 
Tuberkelbazillen vor?“ Die Untersuchungen Spenglers sagen, daß bei 
Perlsueht die Splitterbildung zur Begel gehört, wenn der Nährboden ungünstig 



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Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften. 


ist, bei menschlichen Tnberkelbazillen dagegen nicht, obgleich gerade hier die 
Körnung der Stäbchen, gewissermaßen die Vorstufe der Körnerisierung, dar 
Splitterbildung, ganz charakteristisch tat und bei Perlsncht nicht. Einstweilen 
läßt sich nicht sicher entscheiden, ob die Splitterspata für Perlsncht* oder 
menschliche Tnberknloseinfektionen sprechen. Verfasser neigt za der Ansicht, 
daß Splitterbefand fttr Perlsachtinfektion beim Menschen spricht. Einstweilen 
scheint Verfasser jedoch die toxische Diagnose zuverlässiger als die mikro* 
skopische. Dr. Engels*Dammersbach. 


Kuhpockenlymphe and Tuberkulose. Von Dr. A. Carini, Chef der 
Vaccine*Abteilung d. Inst. z. Erforsch, d. Infektionskrankheiten in Bern (Dir. 
Prof. Tavel). Zentralbl. f. Bakt.; I. Abt., Orig., 1904; Bd. 37, H. 2. 

Auf Grund ausgedehnter Untersuchungen kommt Carini in Ueberein* 
Stimmung mit älteren Autoren zu dem Schlosse, daß durch Kuhpockenlymphe, 
welche von tuberkulösen Tieren gewonnen worden ist, Tuberkulose beim Impf* 
akt nicht übertragen werden kann. Gleichwohl hält er es für ratsam, nur 
Lymphe gesunder Tiere zu verwenden, um allen Verdächtigungen der Impf* 
gegner die Spitze abbrechen zu können. Dr. Lentz-Saarbrücken. 


Ueber den Einfluss der Inhalation schwefliger Säure auf die Ent* 
wieklung der Lungentuberkulose. (Ein Beitrag zum Studium der Gewerbe* 
krankheiten). Von Dr. Carl Kisskalt, Privatdozenten und Assistenten des 
hygienischen Instituts zu Gießen. Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrank¬ 
heiten; Bd. 48, H. 2. 

Kisskalt stellt an der Hand von Tierversuchen fest, daß die schwef¬ 
lige Säure einen schädlichen Einfluß auf die Lungen und tuberkulöse Prozesse 
derselben ausübt. Verfasser nimmt beim Menschen eine ähnliche Beeinflussung 
an; die menschliche Tuberkulose dürfte sogar gerade wegen der kom¬ 
plizierenden Schleimhauterkrankungen durch die Einwirkung der schwefligen 
Säure in noch höherem Maße verschlimmert werden als die deB Tieres. Was 
die Menge der eingeatmeten schwefligen Säure betrifft, so war sie nicht größer, 
als sie in der Praxis leicht Vorkommen kann. Dr. Engels-Gummersbach. 


Ueber Darmtuberkulose der Kinder lu Waldenburg (Sehl.). Von 
Dr. B. Richter, Arzt in Waldenburg. BerL klin. Wochenschr.; 1904, Nr. 45. 

Nach den fünfjährigen Beobachtungen des Verf. bei 1200 Familien der 
dort ansässigen Steinkohlenbergarbeiter herrscht unter den dortigen Kindern 
die Darm-Mesenterialdrüsentuberkulose in hohem Maße. Ein tödlicher Aas¬ 
gang ist selten. Die Behauptung v. Behrings, daß die in der Jagend statt- 

f ehabte Infektion mit Tnberkelbazillen vor späterer Ansteckung schützt and 
en Körper tuberkuloseimmun macht, scheint durch die Verhältnisse in jener 
Gegend bestätigt zu werden, da unter den Bergarbeitern und ihren Familien 
die Lungenschwindsucht relativ selten ist. Dr. Bä aber-Köslin. 


Verbreitung und Bekftmpfang der Lungentuberkulose lu der Stadt 
Posen. Von Prof. E. Wernicke, Direktor des Königl. byg. Instituts in Posen. 
Festschrift für Bobert Koch. 

Wernicke bespricht kurz die zur Bekämpfung der Tuberkulose seitens 
der Provinzialverwaltung, sowie der Stadt Posen ins Leben gerufenen Ein¬ 
richtungen, sowie die dasselbe Ziel erstrebende Tätigkeit des Königl. hygieni¬ 
schen Instituts, mit dem in nächster Zeit ein Ambulatorium für Lungenkranke 
verbunden werden soll. 

Er weist sodann an der Hand einer Statistik der Todesfälle und eines 
Stadtplans von Posen, in welchem die Todesfälle eingezeichnet sind, nach, daß 
immer wieder in denselben Häusern der Stadt Todesfälle an Tuberkulose (bis 
zu 28 in 11 Jahren in ein und demselben Hause) Vorkommen, während andere, 
jenen benachbarte und im übrigen gleichartige Häuser verschont bleiben. Er 
schließt daraus mit Becht, daß für die Entstehung und Verbreitung der mensch¬ 
lichen Tuberkulose in erster Linie der tuberkulöse Mensch verantwortlich ge¬ 
macht werden muß, und daß enges Zusammenwohnen in unzureichenden and 



Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften. 


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hygienisch unzulänglichen Wohnungen das Entstehen der Tuberkulose be¬ 
günstigt. Dr. Lentz-Saarbrücken. 


Ueber die Anzelgepfilcht bei Tuberkulose. Von Professor Dr. Martin 
Kirchner, Geh. Obermedizinalrat. Ebenda. 

Kirchner sieht in der Erwähnung der Schwindsucht im § 90 des 
Preußischen Regulativs vom 8. August 1885 ein Zeichen dafür, daß der Ver¬ 
fasser des Regulativs von der Ansteckungsfähigkeit der Lungentuberkulose 
überzeugt gewesen sein muß. Gleichwohl reichen die im Regulativ gegen die 
8chwindsucht vorgesehenen Maßnahmen nicht entfernt aus, einen irgendwie 
wirksamen Kampf gegen diese Krankheit aufzunehmen oder durchzuführen. 
Die Sterblichkeit an Tuberkulose hielt sich bis in die Mitte der 80 er Jahre 
auf annähernd der gleichen Höhe. Erst die auf die Entdeckung des Tuberkel¬ 
bacillus durch Robert Koch sich gründende genauere Kenntnis vom Wesen 
der Krankheit und der Art ihrer Verbreitung und die hierdurch ermöglichte 
Belehrung weiter Volksschichten haben es im Verein mit der Erziehung der 
gesunden und kranken Bevölkerung zu hygienischem Denken und Handeln und 
der Heilstättenbehandlung der Schwindsüchtigen erreicht, daß in Preußen einer 
Sterblichkeit an Tuberkulose von 809,5 von 100000 Lebenden im Jahre 1876 
im Jahre 1901 eine solche von nur 191,7 von 100000 gegenübersteht. 

Mit gesetzlichen Maßnahmen ging man zuerst 1898 in Amerika gegen 
die Tuberkulose vor, und in schneller Folge schloß sich diesem Vorgehen eine 
große Reihe anderer Staaten an, so Baden, Sachsen-Altenburg, der preußische 
Begierungsbezirk Wiesbaden, die Stadt Trier, das Königreich Sachsen, Nor¬ 
wegen, Italien, der australische Staat Queensland, Oesterreich, das Großherzog¬ 
tum Hessen, der schweizerische Kanton Graubünden. 

Der Entwurf des neuen Preußischen Ausführungsgesetzes zum Reichs- 
gesets, betr. die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten, vom 30. Juni 
1900 sieht die Anzeigepflicht für Todesfälle an Lungen- und Kehlkopftuber- 
knloee und für Erkrankungen in den Fällen vor, in denen ein an vorge¬ 
schrittener Lungen- und Kehlkopftuberkulose Erkrankter seine Wohnung 
wechselt. Der § 5, Abs. 2 des betreffenden Entwurfs sieht jedoch vor, daß in 
besonderen Fällen das Staatsministerium die Anzeigepflicht bei Lungen- und 
Kehlkopftuberkulose vorübergehend über den im § 1 dieses Gesetzes bezeich¬ 
nten Umfang erweitern kann. 

Als einzige Maßnahme sieht der Gesetzesentwurf die Desinfektion vor; 
Isolierung oder gar zwangsweise Verbringung Tuberkulöser in ein Kranken¬ 
haus, die das norwegische Gesetz zuläßt, steht den Behörden nicht zu. Aber 
uit der Einführung der Anzeigepflicht ist der Anfang einer zweckmäßigen Be¬ 
kämpfung der Tuberkulose gemacht, und wir dürfen mit Kirchner hoffen, 
daß weitere öffentliche Belehrungen und weitere hygienische Erziehung der 
Bevölkerung dazu beitragen werden, diesen Kampf auch zu einem erfolgreichen 
a gestalten. _ Dr. Lentz-Saarbrücken. 


Untersuchungen über die Möglichkeit der Uebertragung von Krank¬ 
heitserregern durch den gemeinsamen Abendmahlskelch nebst Bemerkungen 
Iber die Wahrscheinlichkeit solcher Uebertragung und Vorschlägen zu 
ihrer Vermeidung. Von Dr. 0. Roepke, Chefarzt der Eisenbahnheilstätte 
Stadtwald bei Melsungen und Dr. E. Huss, Assistenzarzt daselbst. Deutsche 
nediz. Wochenschr.; 1905, Nr. 8 u. 4. 

Um den Bedenken, die sich schon seit langem gegen den gemeinsamen 
Abendmahlskelch sowohl in hygienischer wie ästhetischer Hinsicht erhoben, 
haben, eine sachliche Grundlage zu geben, haben die beiden Verfasser eine 
Beihe von Versuchen angestellt. Indem sie die in der evangelischen Kirche 
tbliehen Formen bei der Abendmahlsspendung wahrten, ließen sie in 4 Versuchs¬ 
reihen 5—7 in verschiedenen Stadien der Taberkulose sich befindende Pfleg¬ 
finge der Heilstätte aus dem Kelche trinken und beobachteten dabei die s. Z. 
vom Reichsgesundheitsamte zur Verhütung von Infektion bei der gemeinsamen 
Abendmahlsfeier empfohlenen Maßnahmen. Es wurden demzufolge die am 
Kelchesrande haftenden Weinreste teils, nachdem der Gefäßrand mit einem 
sterilen Tuche abgerieben war, teils vorher und die nach dem Kelchgrunde wieder 
msammenfließenden Tropfen mit sterilen Gazebäuschchen abgetupft und das 



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Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften. 


gewonnene Material anf Meerschweinchen und Kaninchen übergeimpft. Von 
10 Meerschweinchen wurde bei 8 nach vorgenommener Sektion teils lokale, 
teils allgemeine Tuberkulose festgestellt. Auf Grund dieser Versuche stellen 
Verfasser folgende Schlußsätze auf: 

„1. Unsere experimentellen Versuche beweisen, daß bei Benutzung eines 
gemeinsamen Abendmahlskelches durch den Trinkakt 

a) die Uobertragung von Krankheitserregern auf den Abendmahlskelch 
stattfindet, die durch Abwischen des Gefäßrandes mit einem reinen Tuche nicht 
beseitigt wird; 

b) Krankheitserreger in den Wein des Abendmahlskelches abergehen, 
sodaß vor einer Uobertragung derselben auf die nächstfolgende Person auch 
das Drehen des Kelches nach jedesmaliger Darreichung nicht schätzt 

2. Die unter a und b gegebenen Infektionsgelegenheiten machen bei 
kritischer Abwägung aller in Frage kommenden Faktoren das Vorkommen von 
Krankheitsfibertragung durch den gemeinsamen Abendmahlskelch wahrscheinlich. 

3. Bei der Abendmahlsfeier ist die obligatorische Austeilung des Weines 
im gemeinsamen Abendmahlskelch fakultativ zu gestalten, indem die Kirche 
durch Bereitstellung von Einzelkelchen in genügender Anzahl und hygienisch 
einwandsfreier Beschaffenheit die Einzelkelchfeier ermöglicht und überdies den 
Gebrauch eines eigenen Kelches gestattet. 

4. Die Anschaffung von Einzelkelchen ist eine dringende Notwendigkeit 
fttr die Kirchen in den Bade-, Kurorten und Sommerfrischen für Lungenkranke, 
ferner fttr die Krankenhäuser, Lungenheilstätten, Heimstätten, Heilstätten fttr 
Geschlechtskranke und dergleichen. Der eigene Abendmahlskelch, d. h. der 
Einzelkelch, den sich jeder zur Abendmalsfeier mitbringt, bildet die idealste 
Lösung der schwebenden Abendmahlsfrage. 1 * 

Nach Ansicht der Verfasser wird die Forderung des Einzelkelches weder 
die Zahl der Abendmalsgäste wegen der entstehenden Kosten einschrfinken, noch 
sich auch sonst als schwer durchführbar erweisen. Mit Recht sagen sie: 

„Es wird unserer Industrie nicht schwer fallen, bei allgemein hervor¬ 
tretendem Bedürfnis einen schlichten, würdigen Einzelkelch für billiges Geld 
herzustellen. Es unterliegt auch fttr uns keinem Zweifel, daß, falls die Geist¬ 
lichkeit sich unserem Vorschläge zustimmend und fördernd gegenfibersteilen 
würde, der Einzelkelch überraschend schnell neben dem Gesangbuche ein 
ständiges Konfirmationsgeschenk an die jeweiligen Konfirmanden bilden würde. 
Und wie das Gesangbuch die aus dem Elternhause nach der Konfirmation aus¬ 
tretenden Kinder überall hin in die Welt begleitet, so würde es dann auch 
der Einzelkelch tun und, statt vom Abendmahlstisch fernzuhalten, an denselben 
heranziehen 1 Man unterschätzt in manchen Kreisen vielleicht auch die Kritik 
der breiten Volksschichten : In populären Schriften und Vorträgen, insbesondere 
in den Heilstätten, wird bei jeder gebotenen Gelegenheit immer wieder vor 
der gemeinsamen Benutzung von Trinkgefäßen in und außer dem Hause 
gewarnt, in der Kirche soll das strikte Gegenteil immer weiter verlangt 
werden ? Für den Arzt, der auch Seelenarzt zu sein sich bemüht, ist es längst 
kein Geheimnis mehr, daß in den gebildeten und in hygienischen Dingen meist 
überängstlichen Kreisen zahlreiche gut evangelische Christen dem Abendmahl 
fernblciben, weil sie die nicht wegzudisputierenden Infektionsgelegenheitea 
durch die gemeinsame Kelchbenutzung fürchten. Oder aber sie gehen zum 
Abendmahl und drängen sich dann förmlich nach den ersten Plätzen am Abend¬ 
mahlstisch, um ja zuerst und nicht etwa in der Reihe nach kranken oder 
körperlich ungepflegten Glaubensbrüdern aus dem gemeinsamen Kelch trinken 
zu müssen. Solche Beobachtungen beweisen erst recht die allgemeine, fast 
instinktive Scheu vor der gemeinsamen Kelchbenutzung und lassen erwarten, 
daß die Abendmahlsfeiern nicht nur eine moralhygienische Vertiefung, sondern 
auch eine zahlenmäßige Zunahme erfahren werden, wenn es jedem freisteht, 
wie mit seinem eigenen Gesangbuche, so auch mit seinem eigenen Abendmahls¬ 
kelche zur Kirche zu pilgern. Dessenungeachtet kann in jeder Kirche auch 
die Abendmahlsfeier unter Benutzung des gemeinsamen Abendmahlkelches ab¬ 
gehalten werden für diejenigen Gemeindemitglieder, die an der alten Sitte 
festbalten wollen, gemäß dem Gebote der evangelischen Kirche: „Kein Zwang 
in Glaubenssachen I“ Jedenfalls sollte jede Kirche aber auch eine größere 
Anzahl von Einzelkelchen anschaffen und sie vor Beginn der Feier an bequem 



Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


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zugänglicher Stelle und in hygienischer Hinsicht einwandsfrei gereinigt auf« 
stellen an lassen, damit allen, welche einen Einzelkelch nicht besitzen, trotz¬ 
dem die Möglichkeit der Einzelkelchfeier geboten ist.“ 

ln der Eisenbahnheilstätte Stadtwald sind auf Empfehlung des General- 
Superintendenten D. Fab er Einzelkelche ans Kaiserzinn in sehr geschmack¬ 
voller und schlichter Ausstattung angeschafit. Bekanntlich ist man in ähnlicher 
Weise auch bereits in einzelnen größeren Städten vorgegangen. Rpd. 


Tuberkulose und Irrenanstalten. (The relation of insanity to tuber- 
eulosis)) Von Dr. R. H. Hutchings, Med. Superintendent, St. Lawrence 
State Hospital. The medico- legal jonrnal; 1904, XXII, Nr. 2. S. 179. 

In dem im Anschluß an den amerikanischen internationalen Tuberkulose- 
kongreß gehaltenen Vorträge teilt Verf. einige bemerkenswerte Daten mit. 

Das St. Lawrence Hospital für Geisteskranke des Staates New-York 
zählt zur Zeit 1710 Patienten; hiervon weisen 77 mehr oder weniger stark 
tuberkulös erkrankte Atmungsorgane auf. Unter 1370 Todesfällen, die seit 
Eröffnung der Anstalt im Jahre 1890 vorgekommen waren, entfielen auf Tuber¬ 
kulose 145. In den ersten 5 Jahren des Bestehens der Anstalt, wo die Räume 
noch nicht überfüllt waren und der Zugang ein geregelter war, entfielen auf 
Tuberkulose 7,6 °/ 4 sämtlicher Todesfälle; in den letzten 5 Jahren dagegen, 
während deren die Anstalt überfüllt, der Luftraum ein ungenügender war, 
13,5*/*. Am stärksten ergriffen waren Kranke mit Dementia praecox, die das 
Zimmer nicht verlassen konnten, am wenigsten solche Patienten, die sich in 
freier Luft mit Gartenarbeit beschäftigen durften. 

Geplant ist der Neubau eines Pavillons, der nur zur Aufnahme tuber¬ 
kulöser Kranker bestimmt ist _ Dr. Mayer-Simmern. 


Zur Yerhfitung des Puerperalfiebers. Eine Studie aus der Praxis von 
Br. Heinrich Dörfler in Regensburg. Münchener medizinische Wochenschrift; 
1905, Nr. 9 und 10. 

Verfasser verbreitet sich in längeren Ausführungen über die Frage der 
Bekämpfung und Verhütung des Puerperalfiebers. Ausgehend von der An¬ 
schauung, daß in der Praxis die Hauptqnellc des septischen Puerperiums die 
Hebammen sind, sucht er an der Hand seiner Erfahrungen Beweise hierfür zu 
erbringen und andernteils moderne Vorschläge zur Sanierung dieses Miß- 
standes zu machen. Da es nicht möglich ist, im Rahmen eines Referates auf 
die Einzelnheiten der interessanten Arbeit einzugehen, müssen wir uns darauf 
beschränken, die Schlußsätze des Verfassers mitzuteilen, welche er zur Sanierung 
dm Hebammenwesens und zur Verminderung der puerperalen Erkrankungen 
und ihrer Folgezustände als dringliche Forderungen aufstellt. 

1. Der Genitalkanal der Kreißenden ist theoretisch zunächst als aseptisch 
zu bezeichnen. Deshalb ist jede Berührung einer Kreißenden oder Frisch- 
entbondenen tunlichst zu vermeiden. 

2. Die erfahrungsgemäß vorhandene Selbsthilfe und Selbststeuerung der 
Natur wird durch jede unnötige, nicht streng aseptische Berührung der Wöch¬ 
nerin gestört. 

3. Die strengste Asepsis der Hände der geburtshelfenden Personen ist 
deshalb Grundbedingung für die Hilfeleistung bei einer Geburt. Vor Beginn 
der geburtshilflichen Tätigkeit (profuse lebensgefährliche Blutungen aus¬ 
genommen) sind die äußeren Genitalien nach Vorschrift zu behandeln. 

4. Für die Hebammen ist die Verwendung von Gummihandschuhen ge¬ 
setzlich festzulegen, also obligatorisch zu machen, unter amtlicher Kontrolle 
und Strafe. 

5. Die strengste Aseptik und Sterilität aller mit dem Genitalkanal der 
Kreißenden und frisch entbundenen Wöchnerin in Berührung kommenden 
Gegenstände ist genau durchzuführen, ihre Vernachlässigung unter Strafe 
zu stellen. 

6. Spülungen vor und nach der Geburt sind nur auf Anordnung und 
unter Kontrolle eines Arztes unter strengster Asepsis zu gestatten, im 
übrigen polizeilich zu verbieten. 

7. Die vaginalen Untersuchungen vom Beginne der ersten Woche ab 
bis zur Beendigung der Geburt und Nachgeburtsperiode sind den Hebammen 



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Kleinere Mitteilungen nnd Referate ans Zeitschriften. 


ebenfalls nnr unter Verwendung von keimfreien Gummihandschuhen au ge¬ 
statten und so selten wie möglich vorzunehmen. Die Hebamme darf erst 
zwei Stunden post partum die Wöchnerin verlassen. 

8. Die Berufsfreudigkeit der Hebamme soll durch staatliche Garantie 
der Gebührenauszahlung lediglich für die Geburtsleistung selbst und durch 
Gewährung von Prämien gehoben werden, sowie durch Einrichtung von Unter¬ 
stützungskassen für Invalidität, Krankheit und Sterbefall. 

9. Alljährlich sind in jedem Bezirksamte dreitägige Repetitionskurse 
durch den Bezirksarzt, einen Frauenarzt oder Geburtshelfer in der Handhabung 
der Anti- und Aseptik am Kreiß- und Wochenbette abzuhalten. 

10. Auch die Wochenbettpflegerinnen müssen durch einen Kursus der 

Aseptik und Antiseptik approbiert sein und unter staatliche Aufsicht gestellt 
werden. Dr. Waibel -Kempten. 


Hebammen - Lehrbuch nebst Bemerkungen Aber den Hebammen- 
unterricht. Von Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Ahlfeld. Monatsschr. f. Geburts¬ 
hülfe und Gynäkologie; 1905, Bd. 21, H. 1. 

Das Besprechen des neuen Lehrbuchs durch Ahlfeld rechtfertigt eine 
eingehendere Wiedergabe, wenn auch der Gegenstand in dieser Zeitschrift 
bereits mehrfach erörtert ist. 

Ahlfeld äußert zunächst folgende zwei Bedenken prinzipieller Natur 
gegen das neue Lehrbuch: 

1. Er ist im Laufe seiner 30jährigen Tätigkeit als Hebammenlehrer zu 
der Ueberzeugung gekommen, daß bei der Ausbildung der Hebammen mit 
Drill nichts zu erreichen ist. „Nur das wirkliche Verständnis und damit auch 
eine größere Freiheit des Handelns gewährleistet einen Erfolg für die Zu¬ 
kunft.“ Diese gedeihliche Freiheit hat das neue Hebammenlehrbuch den Heb¬ 
ammen versagt. Der in ein starres Schema des Handelns eingezwängten Heb¬ 
amme sind die Hände häufig gebunden, wenn sie durch selbständiges Ein¬ 
greifen sich nützlich betätigen könnte. Anderseits gerät , auch der Hebammen- 
lehrer und Medizinalbeamte leicht in Konflikte, wenn er Maßnahmen lehren 
8oU ; die seiner inneren Ueberzeugung widersprechen. Diese Einengung der 
Freiheit steht auch mit der sonst zur Hebung des Hebammenwesens geplanten, 
Heranziehung gebildeter Elemente, Vertiefung des Unterrichts usw. nicht 
gerade im Einklang. 

2. Das neue Lehrbuch rechnet zu wenig mit den Verhältnissen auf dem 
platten Lande. Weil man der Hebamme keine Freiheit des Handelns einräumt, 
muß überall, oft ganz unnötiger Weise der Arzt geholt werden, z. B. im Falle 
der neben dem Kopf vorliegenden Nabelschnur bei bereits abgestorbenem Kind 
(§ 849). 

Auf die Besprechung des Lehrbuches selbst eingehend, hebt A. zunächst 
die gut gelungene Darstellungsweise des Buches hervor. Er wendet sich 
gegen die Aeußerung, daß das neue Buch mehr enthalte, als in 6 Monaten be¬ 
wältigt werden kann. Den Marburger Schülerinnen bringt das Buch nichts 
neues, denn das, was jetzt in dem erweiterten Lehrbuch festgelegt ist, war 
schon lange der Gegenstand des Unterrichts in Marburg. 

Von den Einzelheiten, auf die A. in der Besprechung eingeht, soll nur 
einiges erwähnt werden; vieles andere ist bereits in den vorhergehenden Be¬ 
sprechungen erörtert worden. Daß die neue Desinfektionsordnung keine Gnade 
vor A. finden würde, war zu erwarten. Auf die Gefährlichkeit der Sublimat¬ 
pastillen weist auch er warnend hin, „eine unverantwortliche Verantwortung“ 
werde den Hebammen auferlegt. 

Einen Rückschritt sieht er in der Behandlung des Nabelschnurrestes. 
Auch mit der Leitung der Nachgeburtsperiode, insbesondere der frühen Heraus¬ 
beförderung derselben, kann er sich nicht befreunden. 

Für die Heranziehung des Arztes bei Kindbettfieber vermißt er die 
Angabe einer Temperatur, bei deren Ueberschreiten sofort der Arzt heran¬ 
gezogen werden muß. — Für die Abschaffung des alten Metallkatheters liegt 
nach A. keine Veranlassung vor; gegen den Jacques Patentkatheter spricht 
der hohe Preis und die Gefahr der Berührung der Schleimhaut mit den Fingern. 



Kleinere Mitteilungen und Referate atu Zeitschriften. 


401 


— „Das Schema für das offizielle Tagebuch ist so unpraktisch, wie es nur 
Tom grünen Tische kommen kann.“ 

Auf die übrigen ziemlich zahlreichen Einwendungen will Referent nicht 
eingehen. Nach Ahlfelds Ansicht würde das neue Lehrbuch einen erheb* 
liehen Fortschritt darstellen, wenn es vor seiner Veröffentlichung weiteren 
Fachkreisen zur Begutachtung vorgelegt worden wäre. 

Dr. Dohrn-KasseL 


Plazenta!öenng und Gummihandschuhe. Zugleich eine kurze Dar¬ 
stellung des jetzigen Standes der Lehre von der Händedeslnfektion. Von 
Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Ahlfeld in Marburg. 

Entgegen der Ansicht von Baisch und Wormser, daß der Gebrauch 
der Gummihandschuhe die Morbiditätsstatistik nach manueller Plazentalösung 
wesentlich verbessere, steht Verfasser auf Grund seiner Erfahrungen auf dem 
Standpunkt, daß bei der Entstehung des Fiebers nach Plazentalösungen in 
wohlgeleiteten Anstalten nicht die Beschaffenheit der Hand, sondern cüe Be- 
Khaffenheit des Inhaltes des Uterovaginalschlauches den Ausschlag gibt Er 
sah Fieber nach Eingehen in den Uterus während und gleich nach der Nach¬ 
geburtsperiode in der Regel nur dann entstehen, wenn die vorausgegangenen 
Geburtsvorgänge schon an und für sich Fieber im Wochenbett veranlassen 
können, besonders aber, wenn die Temperatur schon während der Geburt in 
die Höhe gegangen, 88° beinahe erreicht, wohl auch überschritten hatte. 


Ahlfeld widerlegt dann den weiteren von den vorgenannten Autoren 
gemachten Einwnrf, daß es auch mit der von ihm empfohlenen Heißwasser- 
Seifen-Alkoholdesinfektion unmöglich sei, die Hände ebenso sicher zu sterili¬ 
sieren wie den Gummihandschuh. Er stützt sich hierbei auf die von ihm ange- 
stellten Versuche, bei denen in 40 von 75 Fällen die Desinfektion der Hand 
mittels Alkohols eine so tiefgehende war, daß selbst nach einer Stunde und 
darüber mittels verschiedener zur Verwendung gekommenen Methoden Keime 
an der Hand nicht nachgewiesen werden konnten. Allerdings decke sich mit 
der Behauptung, daß sich mittels der Heißwasser - Seifen - Alkoholmethode die 
Hand bis in die Tiefe der Haut steril machen lasse, keineswegs die Garantie für 
diesen Erfolg. Der Prozentsatz der erreichten absoluten Steriliesirung hänge 
vielmehr von vielen Faktoren ab; die in Marburg angestellten Versuche an 
den Händen der Hebammenschülerinnen lieferten jedoch den Beweis, daß nur eine 
kleine Zahl dieses Ziel nicht erreicht. Aber auch wenn die Tiefenwirkung mit¬ 
tels der Heißwasser - Alkoholmethode im Einzelfalle keine absolute wäre, so sei 
dock immerhin die Hautoberfiäche bis zu einem Grade steril, so daß ohne Gefahr 
für die Kreißende eine geburtshilfliche Untersuchung und Operation stattfinden 
könne. Keine andere Händedesinfektionsmethode, auch nicht die Desinfek¬ 
tion mittels 1 °/o<>iger wässeriger Sublimatlösung, erreiche nur annähernd ein 
solches Resultat. Und wende man das Sublimat in alkoholischer Lösung an, 
die Hand aber auf die Dauer nicht vertrage, dann sei es wieder der Al¬ 
kohol, der mittels seiner Tiefenwirkung in die Haut die günstige Wirkung 
ud eine solche auch ohne Sublimat erziele. Ahlfeld hofft durch Fortsetzen 
experimenteller Versuche der Heißwasser - Alkoholdesinfektion den Weg zu 
tunen. In dem neuen Hebsunmenlehrbuch habe sie allerdings noch keinen Platz 
gefunden; eine gewisse Anerkennung, wenigstens des Alkohols, findet Verfasser 
jedoch darin, daß den Hebammen Alkoholgebrauch befohlen ist, wenn die 
Hiad „trotz aller Vorsicht doch einmal mit verdächtigen Stoffen in Berührung 
gekommen ist, wie z. B. übelriechendem Wochenfluß.“ Demnach bleibe also 
doch als ultimum refugium der Alkohol. Rpd. 


Seifenkresol 'contra Lysol. Von Geh. Me<L-Rat Prof. Dr. Ahlfeld 
io Harburg. Deutsche mediz. Wochenschr.; 1904, Nr. 51. 

Den Bemühungen des Verfassers war bekanntlich s. Z. die Einführung 
dea weit billigeren und ebenso wirksamen Seifenkresols statt des Lysols (ge¬ 
lingen. Durch das neue Hebammenlehrbuch ist nun als einziges Händedesm- 
ÜJMnz Sublimat eingeführt und als Ersatzmittel ausnahmsweise nur Lysol ge¬ 
stattet. 

Heber die Gründe für diese Abänderung hat sich der Verfasser des 



409 


Kleinere Mitteilungen nnd Referate aus Zeitschriften. 


nenen Lehrbuches, Prof. Dr. Runge, wie folgt geäußert: »Als zweites Des- 
inficiens sollte das Seifenkresol gewählt werden. Allein genaue, in verschie¬ 
denen Instituten ausgeftthrte Untersuchungen lehrten, daß das im Handel be¬ 
findliche Seifenkresol kein einheitliches Präparat ist, daß seine desinfizierende 
Kraft zu wünschen übrig läßt, daß es endlich im kalkhaltigen Wasser dicke 
Niederschläge erzeugt. Da der Kredit der Karbolsäure heute sozusagen er¬ 
schöpft ist, so war man bis auf weiteres auf das Lysol angewiesen, das sich in 
seiner desinfizierenden Kraft bewährt und in l°/ 0 iger Lösung zu Ausspülungen, 
Waschungen etc. gewählt wurde, sowie für die Instrumente anzuwenden ist, 
wenn das Kochen unmöglich ist.“ ‘) Ahlf eld ist der Ansicht, daß von diesen 
drei Einwänden gegen das Kresol keiner zu Recht bestehe. Die Zusammen¬ 
setzung des Kresols sei durch die Pharmakopoe ganz genau vorgesch rieben, 
seine Gleichartigkeit daher tatsächlich größer als die des in einer nicht unter 
einer Kontrolle stehenden Fabrik hergestellten Lysols. Die beiden anderen 
Vorwürfe seien aber für das Lysol genau so zutreffend, wie für das Seifen¬ 
kresol. Erst mit einer 2—3°/ 0 igen Lösung könne man einen desinfizierenden 
Einfluß auf die Bakterien der Haut nach weisen. In kalkhaltigem Wasser lie¬ 
ferten beide Präparate den gleichen Niederschlag. Ahlf eld hofft deshalb, 
daß die Erlaubnis des Gebrauchs des Seiienkresols für Hebammen bald wieder 
erfolgen werde. Rpd. 


Bakteriologische Untersuchungen zur Heisswasser-Alkoholdesinfek¬ 
tion» Von Prof. Dr. 0. Sarvey in Tübingen. Deutsche mediz. Wochenschr.; 
1905, Nr. 1. 

Sarvey hat die von Ahlf eld angestellten Versuche mit der Hei߬ 
wasser-Alkoholdesinfektion genau nach dessen Vorschriften vom Beginno der 
Vorbereitungen an bis zu dem erfolgten Abschluß der Beobachtungszeit 
in 94 Fällen nachgemacht und hat dabei als Gesamtergebnis gefunden, daß 
von allen Versuchshänden nicht eine einzige durch die vorhergegangone Des¬ 
infektion steril geworden war, sondern im Ganzen wohl stark verminderter, 
aber doch mehr oder weniger erheblicher Testierender Keimgehalt festgestellt 
werden konnte. Verfasser sicht als Grund für die von ihm erhaltenen, den 
Ahlfeldschen ganz entgegengesetzten Versuchsergebnissen verschiedene Ver¬ 
suchsfelder an, die der von Ahlf eld geübten Vcrsuchstcchnik anhaften und 
trotz vorhandenen Keimgehalts der desinfizierten Hände eine Sterilität der¬ 
selben Vortäuschen. Im Wesentlichen seien diese Fehlerquellen teils auf die 
zu kleine Anzahl von Einzelprüfungen zurückzuführen, die gleichzeitig von 
derselben Versuchshand abgenommen wurden, teils auf die ausschließliche Ver¬ 
wendung der Bouillon als Nährboden, während Verfasser auch Agarplatten 
benutzt hat, sowie endlich auf die zu geringe Intensität der Keimentnahme. 
Die Ausschaltung dieser Fehlerquellen in der Versuchsanordnung habe das 
Auftreten von Handkeimen im Nährboden zur unmittelbaren Folge. Rpd. 


Die Desinfektlonskraft des käuflichen Liquor cresoli saponatns. Von 
Dr. H. Uebelmesser, Assistenzarzt im Inf.-Reg. Nr. 125, kommandiert z. 
Kgl. Württemb. Med.-Koll. in Stuttgart. (A. d. hyg. Labor, d. KgL wttrtt 
Med. - Kolleg., Med.-Rat Dr. S cheurlen.) Zentralbl. f. Bakt.; I. Abt., Orig., 
1904, Bd. 37, H. 3. 

Uebelmesser weist nach, daß die käuflichen Kresolseifenlösungen 
nur in seltenen Fällen den an sie gestellten Ansprüchen bezüglich ihrer Des¬ 
infektionskraft genügen; sie ist proportional der im Präparat enthaltenen 
Menge Kresol. Diese sollte deshalb stets geprüft werden, was nach der 
Cleßleschen Methode (Südd. Apotheker-Ztg.; 1904, Nr. 12) mit genügender 
Sicherheit gelingt. Das Deutsche Arzneibuch schreibt nur eine Prüfung des 
Rohkresols und der Kaliseife vor ihrer Mischung vor. Zwar besitzen die vom 
Reichsgesundheitsamt bei der Seuchenbekämpfung vorgeschriebenen ö prozentigen 
Lösungen auch der gewöhnlichen käuflichen Kresolseifenlösungen recht erheb¬ 
liche Desinfektionskraft, aber für die Händedesinfektion sind diese Lösungen 
nicht zu benutzen, da sie die Hände stark angreifen; hierfür können höchstens 
2 prozentige Lösungen benutzt werden. Uebelmesser fordert zur Erzielung 


‘) Deutsche mediz. Wochenschr.; 1904, Nr. 44. 



Kleiner« Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


403 


besserer Präparate außer der Prüfung des fertigen Präparates die Herstellung 
wn Kresoisdfenlösungen aus 2 Teilen Kresol und 1 Teil Kaliseife, was tech- 
usch keine Schwierigkeiten macht. Dr. Len tz-Saarbrücken. 


Ceher den Deslnfektlonswert verschiedener Handelsmarken ron 
Llqnor eresoli sapenatus des Deutschen Arzneibuches. Von Dr. Fehrs 
m Göttingen. ZentralbL f. Bakteriologie, Parasitenk. u. Infektionskrankh.; 
L Abt, Orig., Bd. 37, S. 708. 

Nach Fischer und Koske, sowie Uebelmesser haben aus ver¬ 
schiedenen Bezugsquellen stammende Präparate des Liq. eresoli sap. sehr un¬ 
gleichen Desinfektionswert. Ihre Versucnsanordnung gab einen verläßlichen 
Xafistab für praktische Verwendbarkeit des Mittels, dagegen keine genaue 
Aufklärung über das wechselseitige Verhalten zwischen ihm und den Mikro¬ 
organismen. Eingehender prüfte Verfasser im hygien. Institut zu Göttingen 
6 ron verschiedenen Firmen bezogene Kresolseifenpräparate durch abgestufte 
Mischling mit ßouillonreinkulturen (Staphyl. pyog. aureus, Strept. pyog., Cho¬ 
lera vibrio, Typhusbazillen) und nachherige Aussaat in Gelatine. Die Desin¬ 
fektionskraft war sehr ungleich; demnach auch der Gehalt an wirksamen Be¬ 
standteilen. Uebersteigt die Kaliseife den vorgeschriebenen Anteil von 60 °/ 0 , so 
geht aneh der Desinfektionswert herab; indessen waren, wie Versuche ergaben, 
die Präparate richtig gemischt. Folglich mußte der Kresolanteil in sich un¬ 
gleich zusammengesetzt sein. Durch fraktionierte Destillation der Rohkresole 
M sieh in der Tat zeigen, daß die kräftiger desinfizierenden Proben größere 
Mengen der Para- und Metakresole enthielten, während bei den weniger wirk¬ 
samen Präparaten Orthokresol überwog. Auch bei unmittelbaren Abtötungs- 
vtmehen von Typhusbazillen durch die höher (196—210°) und die niedriger 
sfedenden KresoldestiUationsprodukte erwiesen sich die ersteren, die Para- und 
Metakresole als erheblich wirksamer. 

Demnach ist Liq. eres, sapon. des Arzneibuches nicht chemisch gleich¬ 
mäßig zusammengesetzt und nicht stets zuverläßig wirksam, und zwar infolge 
der verschiedenen chemischen Zusammensetzung der Grundsubstanz. Dies gilt 
vermutlich auch für andere Präparate, in denen das Kresol durch Seife u. dgl. 
«(geschlossen ist. Da sich die Kresolpräparate anderseits dem höheren Or- 
gtusums gegenüber keineswegs indifferent verhalten, so sind sie besonders 
ftr Laienhand (Hebammen, Desinfektoren) ungeeignete Desinfektionsmittel. 
Verfasser empfiehlt nach eigenen Versuchen als Ersatz die verhältnismäßig 
billige Schwefelsäure, die in schwachen Lösungen wenig giftig ist und doch 
«ekt kräftig desinfiziert. 

Die Ergebnisse der Arbeit verdienen auch deshalb besondere Beachtung, 
*dl vor kurzem Ahlfeld in einem Aufsatz: „Seifenkresol contra Lysol“ (s. 
vorker S. 401) lebhaft dagegen Beschwerde erhebt, daß Seifenkresol in das 
nebunmenlehrbuch nicht aufgenommen sei, und Runges Ein wand, es sei kein 
®kotKches Material, als unbegründet zurückweist. 

' Dr. Georg Schmidt-Berlin. 


Heber berufliche Formalinonychien und -dermatlden. Von Dr. Ga- 
levaky-Dresden. Münchener med. Wochenschr.; 1905, Nr. 4. 

Verf. hatte innerhalb der letzten 2 Jahre 4 sichere und einen nicht ganz 
tmvaadfreien Fall von Formalinonychien in Verbindung mit Formalinderma¬ 
ßen zu beobachten bei Patienten, welche 4 und lOprozentige Formalinlösung 
gebraucht hatten (3 Aerzte, welche das Formalin zu pathologischen und histo¬ 
logischen Arbeiten verwendeten, 1 Institutsdiener vom patholog. Institut und 
1 Apotheker). In allen Fällen begann die Erkrankung erst längere Zeit nach 
Anwendung des Formalin, im allgemeinen */* res P- 3 I* Jahr nach energischem 
“beiten mit Formalin. Zuerst zeigte sich eine bräunliche Verfärbung der 
die ftllm&hlig erweichten und besenartig auffaserten, später immer mehr 
®rö*en, spröde, rissig, zackig und verdickt wurden. 

ln 2 Fällen beschränkte sich die Erkrankung auf die Nägel, in den 
® «deren Fällen ging sie als Dermatitis auf die Finger über in der Form von 
oder weniger starker ekzematöser Hauterkrankung. Auffallenderweise 
*trien die so erkrankten Nägel weich und locker und ließen sich umbiegen, 
I tihrend de beim gewöhnlichen Ekzem hart, derb und rissig sind. Die Nägel- 




404 


Kleinere Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften. 


erkr&nkang war last in allen Fällen eine schmerzhafte and stets eine äußeret 
hartnäckige, in schweren Fällen */« bis 1‘/* Jahren daaemd. Der Institats- 
diener maßte sogar seinen Beraf aufgeben. Bei einem jüngeren Kollegen blieb 
die rechte, wegen einer Wände mit einem Gummihandschuh geschützte Hand 
frei von jeder Erkrankung, während die linke nach Gebrauch von Formalin die 
typische bräunliche Verfärbung des Nagels mit Riffelung, zahlreichen kleinen 
Grübchen, Einrissen der Nagelränder zeigte. Die Formaluibraunfärbung, meint 
Verfasser, sei hervorgerufen durch Lufteintritt in die Nägel, vielleicht auch 
durch einzelne von zerstörtem Hämoglobin herrührende Blutfarbstoffelemente. 

Prophylaktisch wird sich also bei allen, die mit Formalin viel omiu- 
gehen haben, das Tragen von Gummihandschuhen empfehlen. 

_ Dr. Waibel-Kempten. 


Tagesnachrichten. 

Aus dem Preussisohnn Abgeordnetenhaus*. Der Gesetzentwurf, 
betreffend die Gebühren der Medizinalbeamten, ist von der betreffenden 
Kommission des Abgeordnetenhauses in zweiter Lesung durchberaten. Danach 
ist § 1 in der Fassung des Regierungsentwurfs angenommen und dem § 2 
folgende Fassung gegeben: „Bei andern amtlichen Verrichtungen erhalten die 
Kreisärzte Gebühren, und zwar: 1. wenn es Bich um ortspolizeiliche Interesses 
handelt, deren Befriedigung den Gemeinden gesetzlich obliegt, von den letz¬ 
teren; 2. in allen übrigen Fällen von den beteiligten Personen, in deren 
Interesse die Verrichtungen erfolgen.“ Die Abstimmung über § 3 ist noch 
ausgesetzt; § 4 hat nachstehenden Zusatz erhalten: „Die Gemeinden und 
sonstigen Beteiligten sind befugt, mit den Kreisärzten die Gewährung von Pan- 
schalcntschädigungen zu vereinbaren.“ Die übrigen Paragraphen (5—12) haben 
keine Aenderung erfahren. Ob der Gesetzentwurf noch vor das Plenum des Ab¬ 
geordnetenhauses kommen und in dieser Session überhaupt zur Verabschiedung 
gelangen wird, erscheint nach Lage der Verhältnisse allerdings zweifelhaft 


Die am 30. u. 31. Mai d. J. stattgehabte Beratung des preußischen 
Herrenhauses über den Gesetzentwurf, betr. die Bekämpfung übertrag¬ 
barer Krankheiten hat zwar zur Annahme des Gesetzes geführt, jedoch 
mit einigen Abänderungen der vom Abgeordnetenhause beschlossenen Fassung, 
die vom gesundheitlichen Standpunkte z. T. als Verschlechterung des 
Gesetzes angesehen werden müssen. Von Seiten des Berichterstatters, Ober¬ 
bürgermeister Ehlers-Danzig, wurde die Annahme des Gesetzes mit den 
von der Kommission vorgeschlagenen Abänderungen empfohlen; der General 
v. Leszczynski bat dagegen um Ablehnung des Gesetzes, da es den Land¬ 
gemeinden zu große Lasten auferlege und hier auch, namentlich die gefor¬ 
derte Isolierung von Kranken, undurchführbar sei. Der Kultusminister 
Dr. Studt betonte demgegenüber, daß das Gesetz gerade den Landge¬ 
meinden erhebliche Erleichterungen in finanzieller Hinsicht bringe und auch 
nach vielen anderen Seiten hin einen großen Fortschritt in Vergleich zu 
den bisherigen Vorschriften bedeute. Der frühere Staatsminister Dr. Frhr. 
v. Lucius-Ballhausen pflichtete dieser Ansicht nicht bei, sondern erblickte 
in dem Gesetze nicht nur eine wesentliche Belastung der Gemeinden, sondern 
auch ein außerordentlich tiefes Eingreifen in die persönliche Freiheit des Ein¬ 
zelnen. Desgleichen wurde von ihm wieder auf den Uebereifer der Kreisärzte 
hingewiesen und befürchtet, daß diese durch die ihnen im Gesetze eingeriumten 
Kompetenzen bei ihren Vorschlägen noch mehr als bisher über die Grenzen des Un¬ 
annehmbaren und Zulässigen hinausgehen würden. Im Gegensatz hierzu wurde 
vom Graf v. Oppersdorff die Annahme des Gesetzes in der vom Abgeord- 
netenhause angenommenen Fassung warm befürwortet; die Befürchtung betreib 
etwaiger Uebergriffe der Kreisärzte hielt er für unbegründet, gegen dieselben 
schütze im übrigen nicht nur das Verwaltungsstreitverfahren, sondern auch 
der Landtag selbst, „denn bei der kritischen Aufmerksamkeit, mit der gerade 
die Herren Kreisärzte in den verschiedenen Parlamenten verfolgt würden, 
könne es niemals zu großen Ausschreitungen in dieser Richtung kommen.* 

Bei der Spezialdebatte entspann sich eine längere Erörterung bei $ L 
Hier hatte die Kommission vorgeschlagen, die Anzeigepflicht bei Verdacht 
von Rotz und Rückfallfieber zu streichen; Frhr. Dr. Lucius T. 



Tagesnachrichten. 


405 


Ballhausen beaatragte, diese Streichung auch auf die verdächtigen Fälle 
tob Kindbettf ieber and Typhus zu erstrecken, während Graf ▼. Oppe rs- 
derf bat, die Anzeigepflicht auch auf die verdächtigen Fälle von epide- 
■iseher Genickstar re auszudehnen. Von seiten des Regierungsvertreters, 
Geh. Ob. - Med. - Rat Dr. Kirchner, wurde der Antrag des Grafen 0 p p e r s - 
dort warm befürwortet und auf die Notwendigkeit der Anzeigepflicht bei 
verdächtigen Erkrankungsfällen hingewiesen, falls der Kampf gegen die in 
Betracht kommenden Seuchen mit Erfolg durchgeführt werden sollte. Aber 
trotz dieser eingehenden Ausführungen, in denen namentlich auch darauf hin* 
gewiesen wurde, daß sich mit Hülfe der bakteriologischen Untersuchungsmethoden 
ia kürzester Zeit die Diagnose bei derartigen verdächtigen Krankheitsfällen fest« 
stellen lasse und daß die Anzeigepflicht bei diesen Erkrankungen eine der wich¬ 
tigsten und wirksamsten Waffen der Medizinalverwaltung für ihre Bekämpfung 
büde, wurde der Antrag des Freih. Dr. Lucius v. Ballhausen angenommen. 
Damit ist also die im §1 vorgesehene Anzeigepflicht nicht nur bei 
verdächtigen Erkrankungsfällen von Rotz-undRückfallfieber, 
sondern auch von Typhus und Kindbettfieber gestrichen. Da¬ 
gegen wurde ein weiterer Antrag des Frhr. La eins v. Ballhausen, wo¬ 
nach auch die im § 6, Absatz 1 vorgesehene Bestimmung betreffs der amt¬ 
liehen Ermittelungen bei Verdacht von diesen vier Krank¬ 
heiten gestrichen werden sollte, vom Antragsteller selbst zurück¬ 
gezogen, nachdem sowohl von seiten des Herrn Kultusministers wie seines 
Kommissars, des Geh. Ob.-Med.-Rats Dr. Kirchner, als von seiten des 
Oberbürgermeisters Dr. Bender-Breslau und des Grafen v. Oppersdorf 
darauf hingewiesen war, daß dieser Antrag keineswegs als Konsequenz des zu 
§ 1 gefaßten Beschlusses anzusehen und die Beibehaltung der betreffenden 
Bestimmung unbedingt notwendig sei, um ein polizeiliches Einschreiten auch 
bei verdächtigen Erkrankungsfällen überhaupt zu ermöglichen. Eine von der 
Kommission vorgeschlagene mehr redaktionelle Aenderung des § 6 in dem Satze, 
,wenn der beamtete Arzt unter Berufung auf seine Pflicht erklärt“, die Worte 
»unter Beruf ung auf seine Pflicht“ als überflüssig zu streichen, wurde angenommen. 

Zu § 8 (Schutzmaßregeln) hatte Graf v. Seidlitz-Sandreczky 
eilen Antrag gestellt, wonach nicht nur bei Diphtherie und Scharlach, wie im 
Gesetz vorgesehen ist, sondern bei allen übrigen ansteckenden Krankheiten 
eine zwangsweise Unterbringung kranker Personen in einem Krankenhause 
oder in einem anderen geeigneten Unterkunftsraum gegen den Willen des 
Haushaltungsvorstandes nicht erfolgen darf, wenn nach der Ansicht des be- 
juateten Arztes oder des behandelnden Arztes eine ausreichende Absonderung 
in der Wohnung sichergestellt ist. Der Antrag wurde jedoch nach lebhafter 
Debatte, in welcher sich der Kultusminister und sein Kommissar Geh. 
Oh.-Med.-Rat Dr. Kirchner, Graf v. Oppersdorf, v. Jerin-Geseß, Ober¬ 
bürgermeister Dr. Bend er-Breslau und der Berichterstatter Oberbürgermeister 
Ehlers gegen, Freih. Dr. Lucias v. Ballhausen, Prof. Dr. Loenig und 
der Antragsteller für den Antrag aussprachen, abgelehnt. Dagegen wurde ein 
Aatrag des Frhr. Dr. Lucius v. Ballhausen zu Nr. 5 des § 8, (Des¬ 
infektion bei Tuberkalose), die von der Kommission hinzugefügten Worte 
»nach Entfernung des Krankens aus der Wohnung oder bei Todesfall“ zu 
streichen, angenommen; desgleichen fand die von der Kommission vorgcscblngene 
Aenderung des § 8 Nr. 1 (Schutzmaßregeln bei Diphtherie) statt „Hausarzt“ 
»behandelnder Arzt“ zu sagen, die Zustimmung des Herrenhauses, 
«ährend ein Antrag des Grafen v. Oppersdorf, bei §8, Abs. 2 Nr. 2 (Ma߬ 
regeln bei G enickstarre) noch die Worte „Fernhaltung von dem Schul- und 
Unterrichts besuche“ hinzuzufügen, abgelehnt wurde. Dasselbe Schicksal traf 
den nachstehenden Antrag des Grafen v. Haeseler zu § 9: 

„Bei Syphilis, Tripper und Schanker kann eine zwangsweise 
Behandlung der erkrankten weiblichen Personen allgemein angeordnet 
werden, wenn dies zur wirksamen Verhütung der Ausbreitung der Krank¬ 
heit erforderlich erscheint,“ 

nachdem sich der Rcg.-Kommissar Geh. Ob.-Med.-Rat Dr. Kirchner dagegen 
ausgesprochen und den Antrag als zu weitgehend, der Denunziation Tür und 
Tor öffnend bezeichnet hatte. 

Die §§ 10—31 wurden unverändert in der vom Abgeordnetenhause be¬ 
schlossenen Fassung angenommen, nur mit einer kleinen redaktionellen Aende- 



406 


Tagesnachrichten. 


rang im § 27, Abs. 2, wo statt eines „Kommas" zwischen den Worten Ein¬ 
kommen- and Bealsteuer das Wort „and" eingefügt ist. Za § 30 wurde 
ein Antrag des Grafen v. Oppersdorf angenommen, der mit Bücksicht darauf, 
daß es in den Hohenzollernschen Landen keinen Provinzialrat gibt, bezweckt, 
daß hier gegen die Entscheidung des Bezirksausschusses direkt Beschwerde 
bei dem Oberyerwaltongsgericht eingelegt werden kann. Eine längere Debatte 
entspann sich dagegen bei § 32 (Aufbringung der Kosten für Her¬ 
stellung von sanitären Einrichtungen bei dringender Gefahr), 
bei dem die Kommission zwei Aendernngen vorgeschlagen hatte, einmal, daß 
die Anordnung derartiger Maßnahmen „nur nach Anhörung der betr. 
Kommunalbehörde erfolgen sollte" (Abs. 1), und zweitens, daß die 
Kosten nur dann vom Staate getragen werden sollten, „wenn die Anord¬ 
nung als rechtlich unzulässig aufgehoben würde". Beide Vor¬ 
schläge wurden abgelehnt, obwohl sich der Finanzminister sehr energisch für 
den zweiten Vorschlag ansgesprochen hatte. Damit ist bei § 32 die im Ab¬ 
geordnetenhause angenommene Fassung wiederhergestellt. Nachdem schließlich 
noch im § 33 (Strafbestimmungen) Nr. 1 auf Antrag von Prof. Dr. Loening 
und Graf v. Oppersdorf dos Wort „wissentlich“ durch „schuldhaft" 
ersetzt wurde, erfolgte die Annahme des Gesetzentwurfes mit großer Mehrheit. 

Mit Bücksicht auf die beschlossenen Aendernngen muß das Gesetz noch 
einmal dem Abgeordnetenhause zur Beschlußfassung vorgelegt werden. Hoffent¬ 
lich wird hier die Anzeigepllicht bei verdächtigen Erkrankungen an 
Typhus, Wochenbettfieber, Bückfallfieber und Botz wiederhergestellt; denn 
dem wiederholten Beschlüsse des Abgeordnetenhauses gegenüber wird voraus¬ 
sichtlich auch das Herrenhaus seine Bedenken gegen diese Bestimmung fallen 
lassen und das Gesetz auch mit derselben annehmen. 

Aus der Verhandlung des Herrenhauses verdient übrigens noch ein von 
dem Grafen v. Hutten-Czapski in der Kommission als § 8a gestellter An¬ 
trag hervorgehoben zu werden, namentlich mit Bücksicht auf die seitens des 
Vertreters der Staatsregierang hierzu abgegebene Erklärung, auf Grund deren 
der Antrag dann zurückgezogen wurde. Derselbe lautete: 

„Zur Verhütung der Verbreitung der Cholera, der Buhr, des Typhus 
und anderer übertragbarer Krankheiten durch zentrale Wasserversorgungs¬ 
anstalten wird für diese Anstalten bestimmt: 

1. Wasser aus fließenden und stehenden Gewässern darf nur nach ord¬ 
nungsmäßiger Filtration verabreicht werden. 

2. Von sämtlichen Wasserversorgungswerken sind genaue Pläne der 
Wassergcwinnungs-, Förderungs- und Aufspeicherangsanlagen, des Druckrohr- 
wic des Fallrohrnetzes nebst sämtlichen Schiebern und Anschlüssen zu führen. 
Diese Pläne sind von den technischen Leitern als richtig zu bescheinigen und 
an den durch die zuständigen Behörden bestimmten Stellen zur Einsicht für 
die Polizei- und Medizinalbehörden bereit zu halten. 

3. Wasser aus anderen, als den bescheinigten Anlagen darf den Ab¬ 
nehmern nicht zugeführt werden. 

4. Das Wasser aus jedem Wasserwerk ist täglich bakteriologisch und 
chemisch zu untersuchen und das Ergebnis der Untersuchung in hierzu be¬ 
stimmte Bücher einzutragen, die ebenfalls zur Einsicht der Polizei- und Medi- 
zinalbehörden bereit zu halten sind. 

5. Ergeben die Untersuchungen zu 4 an drei hintereinanderfolgenden 
Tagen einen übermäßigen Keimgchalt oder sonst eine starke Verschlechterung 
des Wassers, so ist entweder der betreffende Teil der Anlage bis zum Eintritt 
normaler Keimzahlen oder ordnungsmäßiger Beschaffenheit des Wassers aus¬ 
zuschalten oder sofort öffentlich vor dem Genüsse des Wassers in ungekochtem 
Zustande zu warnen. 

6. Werden bei den Untersuchungen krankheitserregende, insbesondere 
Cholera- oder Typhuskeime gefunden, so hat der Leiter des Werkes dies un¬ 
verzüglich der zuständigen Behörde anzuzeigen. 

7. Die Landespolizeibehörde bestimmt die Art der notwendigen Filtration, 
sowie die höchste zulässige Keimzahl and erläßt alle zur Ueberwachung der 
Wasserwerke notwendigen Anordnungen.“ 

Hierzu gab der Begierungskommissar folgende Erklärung ab: 

„Wenn der Herr Antragsteller im Hinblick auf die durch den Gelsen- 
kirckcner Prozeß aufgedeckten Uebelstände auf die Notwendigkeit einer 



Tagesnachrichten. 


407 


schärferen Beaufsichtigung der zentralen Wasserversorgungsanlagen hinge¬ 
wiesen hat, so habe ich zu erklären, daß auch die Königliche Staatsrejperung 
eine Verschärfung der Aufsicht für notwendig erachtet und bereits in Ver¬ 
handlungen hierüber eingetreten ist. Die allgemeinen Vorschriften, deren 
Erlaß beabsichtigt ist, werden sich neben der Beaufsichtigung auch auf 
die Anlage und den Betrieb der zentralen Wasserversorgungsanlagen zu 
erstrecken haben. Zur Vorbereitung der Verhandlungen hat der Herr Minister 
zunächst eine Feststellung der gegenwärtigen Verhältnisse der Wasscrversor- 
gnngsanlagen für notwendig erachtet und zu diesem Zwecke durch Erlaß vom 
11. Februar 1905 die Regierungspräsidenten veranlaßt, eine Besichtigung der 
bedeutenderen zentralen Wasserwerke ihrer Bezirke durch eine besonders für 
diesen Zweck zu bildende Fachkommission, bestehend aus einem Verwaltungs¬ 
beamten, dem Begierungs- und Medizinalrat und dem wasscrbautechnischen 
Referenten der Regierung, vornehmen zu lassen. Insbesondere ist dabei auch 
festzustellen, ob und in welcher Weise eine fortlaufende bakteriologische 
Prüfung der Wasserbeschaffenheit ausgeführt wird. Als Anhaltspunkte für 
die Besichtigung sind den Regierungspräsidenten zugleich „Grundsätze für 
Anlage und Betrieb von Grund- (Quell-) Wasserwerken“, welche von einer aus 
medizinischen und bautechnischen Sachverständigen zusammengesetzten Kom¬ 
mission entworfen sind, übersandt worden. Diese Grundsätze sind im Ministerial- 
biatte für Medizinische Angelegenheiten 1905, Seite 123 und folgende, ver¬ 
öffentlicht worden. 

Nach Eingang der Berichte der Regierungspräsidenten wird die Ange¬ 
legenheit zum Gegenstände kommissarischer Beratungen unter den beteiligten 
Ministerien gemacht und für den Erlaß der in Aussicht genommenen allge¬ 
meinen Vorschriften des näheren vorbereitet werden. Die Verhandlungen sind 
hiernach im vollen Gange. Einer Verquickung dieser Materie mit dem vor¬ 
liegenden Seuchengesetze kann nur dringend widerraten werden; sie ist zurzeit 
überhaupt noch nicht spruchreif und liegt abgesehen hiervon auch außerhalb 
des Rahmens der Aufgaben, deren Regelung der vorliegende Gesetzentwurf 
sich zum Ziele gesetzt hat.“ 


Bayerlaeher Medizinalbeamten-Verein. (Vorläufiger Be¬ 
richt Unter zahlreicher Beteiligung aus allen Teilen des Königreiches wurde 
am 2. u. 3. Juni in Würzburg die zweite Bundesversammlung des 
Bajer. Medizinalbeamtenvereins abgehalten. 

In der Vorstandssitzung, zu der alle 8 Kreisvertreter erschienen waren, 
gab der Vorsitzende, Bezirksamt Dr. Angerer-Weilheim, zunächst be¬ 
kannt, daß der Verein nunmehr 343 Mitglieder zählt, von welchen 178 Amts¬ 
ärzte nnd 165 für den ärztlichen Staatsdienst geprüfte Acrzte sind. Hierauf 
referierte der Vorsitzende über den Verlauf und das Ergebnis der einzelnen 
Kreisversammlungen und beschloß die Vorstandschaft, die Frage der Beteili¬ 
gung der Amtsärzte an der Kontrolle der Nahrungs- uud Genußmittel, beson¬ 
ders der Milch, zur nochmaligen Beratung in den nächstjährigen Kreisversamm- 
langen zu bestimmen. Es soll dabei in bestimmter Form zum Ausdruck 
kommen, in welcher Weise und in welchem Umfange sich auf Grund der be¬ 
stehenden Gesetze und Verordnungen die Bezirksärzte an der Kontrolle der 
Yerkaufsmilch beteiligen können und sollen. In der nächsten Landesversamm¬ 
lung soll dann hierüber ein erschöpfendes Referat erstattet werden. Was die 
Aufbewahrung der Impflisten, Leichcnschauscheine, Register und Hebammen¬ 
tabellen betrifft, wird die Vorstandschaft mit einer entsprechend motivierten 
Emgabe sich an das Kgl. Staatsministerium wenden. Als Tagesordnung für 
die nächsten Kreisversammlungen wurde bestimmt: 1. Verhütung der Weiter- 
yerbreitung ansteckender Krankheiten mit besonderer Berücksichtigung des Des¬ 
infektionsverfahrens. 2. Aerztliche Ueberwachung der Schulen und der Schüler. 

Nach eingehender Begründung stellt der Vorsitzende den Antrag, daß 
der Verein eine allgemeine, auf das ganze Land sich erstreckende Morbiditäts- 
Statistik der ansteckenden Krankheiten ins Leben rufen solle; nach längerer 
Debatte wurde dem Anträge und den Vorschlägen zur Ausführung zugestimmt. 

Nachdem mit einstimmigem Urteil aller Kreisvertreter die bisherige 
Torstandschaft nur für eine interimistische erklärt worden war, erfolgte die 
definitive Wahl der Vorstandschaft; dieselbe ergab einstimmig Bezirksarzt 
Dr. An ge rer als Vorsitzenden, Landgerichtsarzt Dr. Hermann als Schrift- 



408 


Tagesnachrichteil. 


ftthrer bezw. stellvortr. Vorsitzenden. — Die Rechnung wurde geprüft und 
dem Rechnungsführer Entlastung erteilt. 

Am Samstag, vorm. 8*/* Uhr, nahm die Landesversammlung 
ihren Anfang; dieselbe war von 71 Teilnehmern besucht, unter ihnen die Kreis* 
medizin&lräte der Reg.-Bez. Pfalz, Oberpfalz, Mittelfranken und Unterfrankeu, 
sowie der I. Bürgermeister von Würzburg, Hofrat v. Michel. Der Vorsitzende 
begrüßte die anwesenden Mitglieder und Gäste im Namen des Vereins, Kreis¬ 
medizinalrat Dr. Schmitt namens der Kgl. Regierung von Unterfranken, Hofrat 
v. Michel namens der Stadt. Die nun folgenden Vorträge und die sich den¬ 
selben anschließenden Debatten ließen nicht nur ein hohes wissenschaftliches 
Streben der Mitglieder erkennen, sondern zeigten auch den eminenten Wert 
solcher Versammlungen für die weitere Ausbildung der Amtsärzte und des 
amtsärztlichen Dienstes. 

Nach Schluß der Verhandlungen vereinigte die Teilnehmer ein gemein- 
schaftliches Essen im festlich geschmückten Ballsaale der Gesellschaft 
Harmonie, das einen sehr animierten Verlauf nahm. 

Alle Teilnehmer waren von dem Verlaufe der Versammlung sichtlich 
hochbefriedigt, und gebührt allen, die zum Gelingen dieser Versammlung beige¬ 
tragen haben, besonders dem Herrn Kreisvorsitzenden für Unterfrankeu, in dessen 
Händen das ganze Arrangement lag, großer Dank. Dr. Anger er. 


Genickstarre in Preussen. Für die Zeit vom 1. bis 15. Mai sind 
gemeldet 459 (225) Erkrankungen (Todesfälle) und zwar in der Provinz Ost¬ 
preußen 3 (2), WOstpreußen —, Brandenburg 8 (4), Pommern 2, Posen 2 (2), 
Schlesien 411 (203), Sachsen 9 (6), Schleswig-Holstein 3 (1), Hannover 2 (1), 
Westfalen 6 (2), Hessen-Nassau 2, Rheinprovinz 7 (4), Hohenzollern —. 


Im Herzogtum Meiningen hat die Staatsregierung die bisher ver¬ 
botene Feuerbestattung für zulässig erklärt und demzufolge auch den Bau 
von Krematorien gestattet. _ 

Die Hufelandsehe Gesellschaft hat folgende Preisaufgabe gestellt: 
„Es sollen im Anschluß an die W. A. Freundschen Untersuchungen die 
Ursachen der Stenose der oberen Thoraxapertur und ihre Bedeutung für die 
Entwicklung der Spitzenphthise untersucht werden.“ Bearbeitungen sind in 
deutscher Sprache bis zum 1. Mai 1906 an Prof. Dr. Strauß, Berlin (NW., 
Alexanderufer 1) unter Beifügung eines Mottos einzusenden. Die preisgekrönte 
Arbeit wird mit 800 Mark honoriert. 


Ber Internationale Tuberkulose• Kongress findet vom 2.—7. Oktober 
1905 zu Paris statt. Die Eröffnungssitzung beginnt am Montag, den 2. Ok¬ 
tober, nachm. 3 Uhr im Grand Palais des Champs-Elysees, avenue d'Antin, 
wo auch sämtliche Arbeitssitzungen stattfinden. Schlußsitzungen am 5. Ok¬ 
tober im großen Amphictheatcr der Sorbonne. Der Beitrag beträgt 26 Fr. für 
die Mitglieder des Kongresses, 10 Fr. für Familienangehörige; er ist an den 
Schatzmeister des Kongresses, M. Pierre Masson, Editeur, 220 boulevard St. 
Germ&in, Paris einzusenden. Das Generalsekrctariat des Kongresses befindet 
sich 21 rue de l’Kcole de Medicine, Paris. 


Vom 16. bis 19. Oktober d. J. findet in Paris der zweite Inter¬ 
nationale Kongress für Milchwirtschaft statt. Mit Rücksicht auf die Be¬ 
deutung der Veranstaltung, namentlich um eine der deutschen Milchwirtschaft 
entsprechende Vertretung bei diesem Kongreß herbeizuführen, richtet der 
Deutsche milchwirtschaftliche Verein an alle Beteiligten die Bitte, an dem 
Kongreß teilzunehmen, und ihre Anmeldungen alsbald an den Geschäftsführer 
desselben, Herrn Prof. Troude, 61, Boulevard Barbös - Paris, zu richten. 
Programme sind durch den Geschäftsführer des Deutschen milchwirtschaftlichea 
Vereins, Oekonomierat Boysen, Hamburg 6, Kampstraße Nr. 46, zu beziehen; 
auch ist dieser bereit, sonstige Auskunft zu geben oder zu vermitteln. _ 

Berichtigung. In Nr. 10, S. 315, Zeile 25 von oben muß es 1 : 30 
statt 1 : 80 heißen, und Zeile 30 von oben statt Stockung: „Streckung“. _ 

Verantworte Redakteur: Dr. ßapmund, Reg.- u. Geh. Med.-Rat in Minden i. W. 
J. C. C. Bruns, Herzogi. Sachs, u. F. Sch.-I.. Hofbuchdruckerei in Minden. 

















410 


Dr. Deutsch. 


Knaben J. Schwellungen der Angen und am Montag auch der Hände und Füße; 
auch hatte er nur wenig Wasser lassen können. Die Mutter ging hierauf 
wiederum zu dem M. und berichtete dieses. M. erwiderte ihr, „das wäre nicht 
Bchlimm; sie solle nur Senncsblättcr, Süßholz und Wachholder aus der Drogerie 
holen und davon einen kräftigen Tee kochen; wenn dann tüchtiges Abführen 
erfolge, solle sich die Sache schon geben.“ Die Mutter tat, wie ihr geheißen 
war. Als sich die Krankheit aber verschlimmerte und auch die beiden anderen 
Knaben Schwellungen zeigten, wurde ich am Donnerstag gerufen. — Ich konnte 
alles dieses nur schwer aus den Eltern herausholen, die offenbar große Ab¬ 
neigung hatten, mit dem Oerichte in Berührung zu kommen. Die Tochter 
Elisabeth war nicht zu Hause; ich habe sie auch nicht zu Gesicht bekommen, 
jedoch zweimal ihren Urin, den die Eltern mir brachten, untersucht. 

Ich ließ die Kranken nach dem Krankenhauso zu Neuhaus bringen und 
stellte dort noch Folgendes fest: 

Der Urin des bewußtlosen Knaben J .hatte einen Eiweißgehalt von circa 
V*°/oo; der Urin der beiden anderen Knaben zeigte nur Spuren von Albamen, 
die sowohl auf die Kochprobe wie auf Essigsäure-FerrozyankaU deutlich zutage 
traten, jedoch im Esbach quantitativ nicht sicher mehr zu bestimmen waren. 
Dagegen zeigte der zentrifugierte Harn aller drei Knaben mikroskopisch un¬ 
gemein zahlreiche Zylinder, und zwar sowohl hyaline, wie granulierte und 
Epithelialzylinder, ferner rote und weiße Blutkörperchen. Die letztere Art der 
Zylinder fand sich hauptsächlich bei dem ältesten Knaben, dessen Urin auch 
verfettete Niercncpithclien enthielt. 

Der Urin des Mädchens zeigte beide Male keine Spur von Albumen 
wohl aber jedesmal hyaline Zylinder in mäßiger Menge. Ich konnte das Mädchen 
nicht in Behandlung bekommen, wohl weil die Eltern die Kosten scheuten; 
ich mußte mich deshalb damit begnügen, den Eltern Verhaltungsmaßregeln zu 
geben. Das Kind hat keine Nachteile davon gehabt, wio ich mich l j$ Jahr 
später, als ich es wegen einer Diphtherie auf das Krankenhaus verlegte, über¬ 
zeugen konnte. 

Das jüngste Kind des B., ein Mädchen, war der Kur nicht unterzogen 
und zeigte demzufolge keinerlei krankhafte Veränderungen. 

Bei dem ältesten schwerkranken Knaben versuchte ich durch Kochsalz¬ 
infusionen, Schwitzbäder usw. einzuwirken; er starb jedoch noch in derselben 
Nacht ohne aus seinem urämischen Coma aufgewacht zu sein. Die beiden 
anderen Knaben genasen unter geeigneter Behandlung. 

Auf die von mir erstattete Anzeige hin wurde die gericht¬ 
liche Obduktion angeordnet, bei der ich auf richterliche Vor¬ 
ladung hin anwesend sein konnte. Die wesentlichen Ergebnisse 
der Sektion waren nach dem mir von dem zuständigen Kreisarzt 
H. Med.-Rat Dr. Benthaus in Paderborn bereitwilligst über¬ 
lassenen Obduktionsberichte folgende: 

A. Aeußere Besichtigung. 

1. Die Leiche des 150 cm großen, etwa II Jahre alten, ziemlich kräftig 
gebauten Knaben zeigt mäßiges Fettpolster und mittelkräftige Muskulatur. 

2. Die Hautfärbung ist im allgemeinen sehr blaß, auch zeigt sich das 
Unterhautzcllgewebe sehr wässerig, so daß fortwährend eine ziemlich klare 
Flüssigkeit aus den Schnittflächen hervorsickert. 

7. Das Gesicht sehr blaß, etwas gedunsen; Fingereindrücke in der Nähe 
der Jochbeine hinterlassen deutliche Gruben. Die Augenlider sehr blaß, wässerig 
geschwollen; kleine Einschnitte in dieselben zeigen das Gewebe sehr wässerig 
(lurchtränkt. 

12. An der Brust zahlreiche kleine punktförmige Borken, welche sich 
abheben lassen, und zeigt sich hiernach die Haut unverletzt. 

17. Hodensack ziemlich lang und vergrößert. Einschnitte in die Haut 
desselben zeigen das Gewebe sehr wässerig. 

18. An den Extremitäten finden sich sehr zahlreich die kleinen trockenen 
Borken wie an der Brust. Außerdem an den Unterarmen, ganz besonders an 
don Händen zahlreiche oberflächliche Geschwüre von Linsen- bis Erbsengröße. 
.Beide Handrücken ebenfalls geschwollen, von blaßglasigcm Aussehen; 




Vergiftung mit Perubalsam mit tödlichem Ausgange. 411 

Fingereindrücke hinterlassen starke Graben. Einschnitte zeigen das Gewebe 
sehr wässerig. 

Ebenso sind die unteren Extremitäten mit teils alten, teils neuen Ge¬ 
schwüren bedeckt; die größeren davon befinden sich hauptsächlich an den 
Füßen. Die Fußrücken und die Enkel sind in derselben Weise wie die Hände 
geschwollen. 

B. Innere Besiehtigung. 

I. Brust- und Bauchhöhle, 
a) Bauchhöhle. 

26. Die linke Niere 11 cm lang, 6 cm breit, 3 cm dick, schlaff, Kapsel 
leicht abznziehen. Oberfläche glatt und auffallend gelblich rot. An der Ober¬ 
fläche sind zahlreiche, sternförmig verzweigte Venen sichtbar. Auf dem Durch¬ 
schnitte ist die Rindeasubstanz von auffallend gelblichem Aussehen; sie ist 
rerechmälert und mißt 0,7 bis 0,8 cm. Die sind Nicrcnkegel besonders an der 
Basis auffallend dunkelrot; aus den Papillen läßt sich eine weißliche Flüssigkeit 
ansdrücken. Es wurde sofort je ein mikroskopisches Präparat von der Rinden- 
Substanz und von der Flüssigkeit aus den Papillen gemacht. Erstercs zeigte 
zahlreiche Epithelien, an welchen die Kerne nicht mehr sichtbar waren, und 
welche zahlreiche Körnchen enthielten, die sich auf Essigsäurczusatz nicht 
anflösteu, demnach aus Fett bestanden. Die Flüssigkeit aus den Papillen 
enthielt ebenfalls derartige Epithelien, welche sich zu Haufen zusammcngcballt 
und teilweise die Form von Zylindern angenommen hatten. 

28. An der rechten Nicro ebenfalls das gelbliche Aussehen der Ober¬ 
fläche und das gelblich rote Aussehen der Rindensubstanz auf der Schnittfläche 
bemerkenswert. Im übrigen wie die linke Niere. 

29. Harnblase massig ausgedehnt, enthält 60 ccm eines gelblich trüben 
Harnes; hiervon wird ein kleiner Teil entnommen, um eine Eiweißprüfung 
Torzunehmen. Der Harn wird zunächst filtriert und darauf Essigsäure - Ferro- 
zjankali hinzugesetzt; es zeigt sich eine deutlich ausgesprochene Eiweißreak¬ 
tion in Form einer weißlichen Trübung. 

Harnblase äußerlich glasig blaß; ihre Schleimhaut von blaß rötlichem 
Aussehen, ohne Verletzung. 

Dass die bei den vier Kindern Vorgefundene Nierenerkrankung 
eine Folge der Krätzeknr war, unterliegt wohl keinem Zweifel. 
Auf die Erwägung, dass die Scabies an und für sich eine Ne¬ 
phritis bervorrufen könnte, brauche ich wohl nicht näher einzu- 
fjehen, weil dahingehenden Behauptungen die nötigen Unterlagen 
fehlen. Irgendwelche sonst vorausgegangene Krankheiten sind 
von den Eltern bestimmt in Abrede gestellt; es liess sich auch 
kein Anzeichen, wie Abschuppung der Haut usw., dafür auffinden. 

Was non die zuerst angewandte Salbe betrifft, so gab der 
Angeklagte M. an, es sei Schmierseife mit etwas Essig vermischt 
gewesen. Die Eheleute B. bezeichneten sie als eine gelbe Salbe, 
die beim Reiben etwas geschäumt habe. Ob die Angabe des M. 
vollständig richtig ist, konnte leider nicht festgestellt werden, 
denn die Frau B. hatte, nachdem die Salbe verbraucht war, den 
Topf ausgewaschen; es war so nichts mehr zu finden. Auch eine 
Haussuchung bei dem M. hatte keinen Erfolg. Das Schäumen, 
von dem die Eltern berichten, spricht indess dafür, dass es sich 
hier in der Hauptsache um Seife gehandelt hat. 

Von dem weiterhin verwandten Perubalsam ist es nun ge¬ 
nügend bekannt, dass dieser Nierenentzündung bervorrufen kann, 
nud dass besonders bei Kindern nach Krätzkuren mit Peru¬ 
balsam Nephritiden auftreten. Henoch 1 ) berichtet von 6 Fällen, 


') Vorlesungen über Kinderkrankheiten; 10. Aufl., S. 632. 



412 Dr. Deutsch: Vergiftung mit Perubals&m mit tödlichem Ausgange. 

die er beobachtet hat; weitere Fälle sind von Litten 1 ) and in 
neuester Zeit von Gfassmann 1 ) mitgeteilt. Letzterer beob¬ 
achtete eine schwere Nephritis nach Gebrauch von Perubalsam 
bei einem 26 jährigen Manne. Eine tödliche Vergiftung mit Peru¬ 
balsam nach Einreibung ist bisher nicht mitgeteilt worden, nur 
Lohaus 8 ) berichtet über eine tödliche Enteritis bei einem Säug¬ 
linge, dessen Mutter sich die Brust mit Perubalsam eingerieben hatte. 

Sehr bemerkenswert ist in unseren Fällen die geringe Menge 
Perubalsam, die verbraucht wurde. Die Leute zeigten mir ein 
30 g Gläschen, welches fast gefüllt gewesen sei. Mit dieser ge¬ 
ringen Menge ist nun bei vier Menschen eine Nierenentzündung: 
hervorgerufen. Ob hier eine Verfälschung des Perubalsam mit 
ätherischen Oelen Vorgelegen hat, die Vogl 4 ) als Ursache einer 
Nierenentzündung nach Perubalsam vermutet, konnte leider nicht 
festgestellt werden. Die ein getretene, derartig verderbliche 
Wirkung kann wohl nur durch familiäre Idiosynkrasie und durch 
die Art der Anwendung erklärt werden. Die Leute waren an¬ 
gewiesen, den Balsam auf die Wunden, besonders auf die Kratz¬ 
effekte aufzutragen. Hierbei musste eine aussergewöhnlich starke 
Resorption stattfinden, während der eigentliche Zweck der Kur, 
die Abtötung der Krätzmilben, nicht erreicht wurde. Der Kur¬ 
pfuscher hatte eben die Glocken läuten gehört, wusste aber nicht, 
wo sie hingen. 

Dass grade das kräftigste Kind an der Krankheit zugrunde 
ging, liegt vielleicht, wie auch die Eltern vermuteten, daran, dass 
es als das intelligenteste die Kur am energischsten betrieb, um 
von dem Ungeziefer loszukommen. 

Bemerkenswert für unsere Fälle ist weiter der Unterschied 
zwischen chemischem und mikroskopischem Nachweis, der geringe 
Eiweissgehalt gegenüber dem massenhaften Auftreten von Zylindern. 
Die Fälle, besonders bei dem Mädchen, beweisen wieder, wenn 
auch nicht so instruktiv wie die von Kraus 6 ) und von Niedner*) 
neuerdings mitgeteilten, die Wichtigkeit der mikroskopischen 
Untersuchung des Urins. 

Bei der am 8. Mai stattgefundenen Strafkammerverhandlung 
musste von seiten der Sachverständigen ohne weiteres zugegeben 
werden, dass in der Verwendung von Schmierseife und Perubalsam 
bei einer Krätzkur keine Fahrlässigkeit zu erblicken sei, dass 
diese Behandlung vielmehr allgemein geübt würde, wenn auch 
nicht in der vom Angeklagten vorgeschriebenen Art. Falsch da¬ 
gegen sei die Behandlung der hinzugetretenen Nephritis, und es als 
Fahrlässigkeit anzusehen, dass der M. sich ohne die geringste 
Sachkenntnis mit derselben befasst habe. Daraufhin wurde der 
Angeklagte zu 6 Wochen Gefängnis verurteilt. Bei Begründung 


*) Charite-Annalen; Bd. VII, 8. 187. 

2 ) Münchener med. Wochenschrift; 1904, S. 1345. 

8 ) Berliner klin. Wochenschrift; 1892, S. 130. 

4 ) Eulenburg Realenzyklopädie; Bd. XVIII, S. 554. 

5 ) Medizinische Klinik; 1905, S. 77. 

*) Medizinische Klinik; 1905, S. 251. 



Dr. Wenglcr: Luftleere von Lange and Darm usw. 


413 


des Strafmasses hob der Vorsitzende die Gemeingefährlichkeit des 
Earpfiischertums nachdrttcklichst hervor. 

Für die ärztliche Praxis aber lehrt dieser Fall wie die 
ähnlichen, dass der Perubalsam doch nicht das so indifferente 
Heilmittel ist, wie ihn manche Autoren hinzustellen belieben. 
Dieses ist um so mehr zu betonen, als neuerdings Burger 1 ) 
und andere den Perubalsam bei Behandlung von Wunden sehr 
empfehlen. Ich kenne aus eigener Erfahrung die vorzügliche Wir¬ 
kung des Mittels bei Behandlung von Riss- und Quetschwunden, 
sowie bei schlaffen Granulationen, und möchte ihn dabei nicht 
entbehren; jedoch ist die nötige Vorsicht am Platze, besonders 
bei Kindern. Bei Nephritikern betrachte ich eine ausgedehnte 
Anwendung des Perubalsams direkt als einen Kunstfehler. 


Luftleere von Lunge und Darm bei der Leiche 
eines Neugeborenen, welches deutliche Atembewegung und 
Herzaktion gezeigt hat. 

Von Kreisarzt Dr. Wengler in Alsfeld. 

Seit einiger Zeit mache ich Bestimmungen des spezifischen 
Körpergewichtes an den Leichen Neugeborener in der Hoffnung, 
Grenzwerte feststellen zu können, innerhalb deren anzunehmen 
ist, dass das betreffende Kind geatmet bezw. nicht geatmet hat, 
oder dass die Leiche bereits in Fäulnis übergegangen ist. Mich 
leitet dabei die Erwägung, der Luftgehalt der Lunge und des 
Darmes müsse ohne Erhöhung des absoluten Gewichtes das Vo¬ 
lumen einer Kindesleiche merklich vergrössern, ihr spezifisches 
Gewicht somit vermindern. 

Die Untersuchung der in Rede stehenden Kindesleiche fand 
am 24. April 1905 in der Marburger geburtshilflichen Klinik statt. 

Auf Grund meiner früheren Bestimmungen war ich auf die 
Vermutung gekommen, dass bei einem spezifischen Gewicht einer 
Rinde8leiche, welches sich der Zahl 1,05 nähert, Luftleere von 
Longe und Darm zu erwarten sei. 

Die in Rede stehende Kindesleiche hatte nun ein spezifisches 
Gewicht von 1,058 und erreichte mit dieser Zahl den höchsten 
aller bei Totgeburten von mir festgestellten Werte. Wenn also 
auf Grund der spezifischen Gewichtsbestimmung in irgend einem 
Fall Luftleere von Lunge und Darm zu erwarten war, so musste 
es in diesem sein. — Zu meinem grössten Erstaunen und zu 
meiner nicht geringen Verwunderung berichtete mir aber die Ober¬ 
hebamme, die ich nach dem Geburtsverlauf frug, das Kind habe 
eine halbe Stunde lang geatmet. 

Herr Geheimrat Prof. Dr. Ahlfeld, der vom Augenblick 
des Austrittes des Kindes an bei der Geburt zugegen war und 
alle Beobachtungen persönlich gemacht hatte, bestätigte die Angabe, 
dass das Kind geatmet habe. Bezüglich der Zeitdauer der Atmung 
▼erwies er mich auf den Geburtsbericht. Ich war ganz bestürzt; 


') Münchener med. Wochenschrift; 1904, S. 2139. 



414 Dr. Wcngler: Luftleere von Lunge und Darm bei der Leiche eines 


denn ans dieser Tatsache ergab sich die Zwecklosigkeit meiner 
Versuche inbezug auf die Bestimmung des spezifischen Körper¬ 
gewichtes an Kindesleichen. War die Leiche eines Kindes, welches 
geatmet hatte, spezifisch schwerer als sämtliche bisher unter¬ 
suchten Totgeburten, dann war keine Aussicht vorhanden, aus 
dem geringen spezifischen Gewicht der Leiche eines Neugeborenen 
auf Luftgehalt der Lungen schliessen zu können. 

Bei der grossen Wichtigkeit, welche diese Frage für mich 
hatte, bat ich Herrn Geheimrat Prof. Dr. Ahlfeld, der Sektion 
beiwohnen zu dürfen, welche Erlaubnis mir bereitwilligst erteilt 
wurde. Die Sektion wurde am 25. April früh 9 Uhr von H. Dr. 
Happ ich in Anwesenheit des H. Geheimrat Prof. Dr. Ahlfeld 
und mehrerer Aerzte vorgenommen. Und was ergab sich? Die 
Lunge (Schwimmprobe) und der Darm (Breslausche Probe) er¬ 
wiesen sich als vollständig luftleer. Nur aus dem Magen stiegen 
bei vorsichtiger Eröffnung unter Wasser auf Druck einige wenige in 
Schleim gehüllte Luftperlen in die Höhe. 

Inbezug auf den Geburtsverlauf bemerke ich, dass die Geburt 
des völlig ausgetragenen Kindes infolge engen Beckens sehr lange 
dauerte, das Kind aber schliesslich am 23. April abends spontan 
zur Welt kam. Die Nabelschnurpulsation im Augenblicke der 
Geburt ergab 60 — 80 Herzschläge. Nach verschiedenen anderen 
Massnahmen wurden auch Schultzesche Schwingungen vorge¬ 
nommen. Ich füge die Aufzeichnungen, welche über das kurze 
Leben des Kindes gemacht wurden, in Abschrift bei. Die Beob¬ 
achtungen wurden unmittelbar einem der Herren Assistenten, der 
die Sekundenuhr neben sich hatte, in die Feder diktiert: 
„Entbindungsanstalt Marburg. 1905, Nr. 118. 

Abschrift aus dem Ocburtsberieht. 


W., kath., 26 J. 

Geburt ain 23. April 1905, N. 6 45 , dauerte 1 Tag 20 Std. 15 Min. 

Knabe, 3370 gr. schwer, 53 cm lang, zweite Schädellagc. 

Mäßig verengtes Becken (Spin. 24,5; Crist. 26,4; Troch. 29,8; Conjug. ext. 19,1). 
Kind asphyktisch geboren, nach 1 Minute abgcnabelt und in ein warmes Bad 
gebracht, wobei die ersten oberflächlichen Atemzüge gemacht werden. Nach 
8 Minuten war Gaumensegclreflex noch vorhanden. Dann wurde mit Tracheal¬ 
katheter etwas Schleim aus der Trachea gesogen. Schultzesche Schwin¬ 
gungen führten auch nicht zu einem Resultat, ebensowenig Massage des Brust¬ 
korbes usw. Erst als alle Versuche fehlschlugcn, wurden nach einer halben 
Stunde die Wiederbelebungsversuche eingestellt zu einer Zeit, wo man nur 
noch schwer eine Herzaktion nachweisen konnte. 

Folgende Aufzeichnungen über Atmung und Herzaktion wurden gemacht: 


Herzschläge 

84 { 



CO 


1. Atemzug 

2 - n 

3. tiefer „ 

4. Atemzug 
Reaktion des 

Gaumens 
ft. Atemzug 
«• 

7. 

Reaktion auf 
Reizung der 
Nase 


10 Sek. nach Beginn der Beobachtung (cn. 2 Min. pp.) 


17 

37 

49 

1 



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Neugeborenen, welches deutliche Atembewegung u. Herzaktion gezeigt hat. 415 


Herzschläge 


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32 

36 

64 

48 


8. Atemzag 

9.1 km 


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14 

15. Atemzag 

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5 60 Sek. nach Beginn der Beobachtung (ca. 2 ML pp.) 


5 40 


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Die Kraft der Herzschläge nahm sichtlich proportional der Zeit ab, wenn 
ueh die Frequenz infolge verschiedener Manipulationen bisweilen wieder zu- 
nhm. Die anfangs starke Reaktion im Gaumen bei Beizung der Nasenschleim* 
bot nahm schnell ab. 

Genaue Erhebungen ergaben, daß absolut kein Grund f&r die Annahme 
tob Lues und damit einer luetischen Lungenerkrankung besteht. Die W. ist 
tiemala in einer Behandlung gewesen, hat nie einen Genital- oder Hautaus- 
Khlag gehabt.“ 

Au8 dem Fall ergibt sich in forensischer Beziehung, dass 
die Leiche eines Neugeborenen, welches nach Angabe glaub¬ 
würdiger Personen deutliche Atembewegung und Herzaktion ge¬ 
zeigt hat, doch bei der Obduktion eine luftleere Lunge und einen 
loftieeren Darm aufweisen kann, eine Tatsache, die fiir die Be¬ 
urteilung von Zeugenaussagen ungemein wichtig ist. 1 ) 


Anhang. 

Xethode der Bestimmung des spezifischen Körpergewichtes 
der Leichen Neugeborener. 

Ich wiege die Leiche des Neugeborenen zunächst an der Luft und dann 
»och einmal vollständig unter Wasser getaucht. 

Der Gewichtsverlust, den die Leiche durch das Untertauchen erleidet, 
gibt mir ihr Volumen, das Verhältnis zwischen absolutem Gewicht und Vo¬ 
lumen ihr spezifisches Gewicht an. 

Die von mir benutzte Wage*) ist des handlichen Transports wegen zu¬ 
sammenlegbar, ihr Wagebalken in der Hohe verstellbar; an ihrem Fuße be- 
findet sich eine Klammer, mit welcher sie leicht in jede Tischplatte fest¬ 
geklemmt werden kann. 

Als Wasserbehälter dient mir jedes zur Verfügung stehende Gefäß 
(Begeniaß, Waschkessel, Mülleimer usw.); nur muß es mindestens 70 cm hoch sein. 

Der Wasserbehälter wird so an den Untersuchnngstisch gerückt, dass 
der Wasserspiegel ungefähr im Niveau der Tischplatte liegt. 

Vor dem Versuch wird mittelst Aräometer das spezifische Gewicht des 
Wissen bestimmt. 

Versuch. 


Die Wage ist zunächst entfernt von dem Wasserbehälter durch die 
Klammer in die Tischplatte geklemmt. Ich suche mir 2 passende breite Gummi¬ 
bänder ans, ähnlich denen, welche zum Zusammenschnüren von Briefschaften 
dienen. Sie sollen, rings um den Kopf geschlungen, Nasen- und Mondöft'nungen 
verschließen. Nachdem sie an der Wage genau abtariert sind, werden sie 
dem Kopf der Leiche angelegt. 


•) Herne Angaben, die Lebensäußerungen des Kindes betreffend, wurden 
von Herrn Geheimrat Prof. Dr. A h 1 f e 1 d, der Augonzeuge war, in licbons- 
wfiriiger Weise geprüft und ergänzt. 

*) Die Wage wird hergcstellt vom Mechaniker Wilhelm Schmitt in 
Gießen, Qoethestraßc. 



416 


Dr. Scholz. 


Die Leiche wird nnn mit dem Kopf in der am freien Schenkel des 
Wagebalkens befindlichen wasserundurchlässigen Schlinge so aufgehängt, wie 
man gewöhnlich die erhängten Selbstmörder yorfindet. 

Die erste Wägung kann jetzt beginnen. Bin ich mit ihr fertig, dann 
klemme ich die Wage mit der an ihrem Faß befindlichen Klammer an der dem 
Wasserbehälter entsprechenden Stelle fest, stecke den Kopf der Leiche wieder 
in die Schlinge, tauche unter und wäge wieder. 

Vor dieser zweiten Wägung gebrauche ich die Vorsicht, die Leiche 
sorgfältig unter dem Wasser mit den Händen abzureiben, um die anhaftenden 
Luftblasen zu entfernen. Sie würden, ähnlich wie ein Schwimmgttrtel wirkend, 
das Gewicht der Leiche herabsetzen. 

Ich bilde mir nicht ein, dass meine Methode die andern 
Methoden, welche die Feststellung des Luftgehalts von Longe 
und Darm zum Zweck haben, auch nur im entferntesten zu er¬ 
setzen vermöchte. Einen kleinen Nutzen dürfte sie jedoch in 
forensischer Beziehung haben und zwar nach dreifacher Richtung: 

1. Bei Verdacht auf Kindesmord wird sie unter Umständen 
auch ohne Sektion einen Anhaltspunkt geben bezüglich der Frage, 
ob Lunge und Darm luftleer sind oder nicht. 

2. Sie wird als Kontrolle der richtigen Ausführung der 
übrigen Methoden dienen können. Würde z. B. ein grosses Miss¬ 
verhältnis zwischen dem Ergebnis der spezifischen Gewichtsbestim¬ 
mung und der Schwimmprobe bestehen, dann wäre der Verdacht 
gerechtfertigt, dass der Verschluss der Zu- und Abführungsgänge 
der betreffenden Organe ein undichter war. 

3. Sie wird bisweilen mit Sicherheit das Eintreten der 
Fäulnis der Leiche feststellen, wenn nach dem Sektionsbefund 
noch Zweifel über diesen Punkt obwalten. 


Die künstliche Ernährung der Säuglinge nach dem neuen 
Hebammen-Lehrbuche (§ 265). 

Von Dr. C. Scholz in Görlitz, kreisärztlich approbiert. 

Ueber die Ernährung des Säuglings mit Kuhmilch giht 
§ 265 des neuen Hebammenlehrbuches genaue Vorschriften. Es 
heisst hier zunächst: 

„Die Kuhmilch ist ... zu stark, sie enthält viel mehr Käsestoff als die 
Menschenmilch, dagegen weniger Zucker. Um daher die Kuhmilch der Menschen- 
milch möglichst ähnlich zu machen, muß die Kuhmilch mit Wasser verdünnt 
und ihr Zucker zugesetzt werden.“ 

Nun ist es aber einleuchtend, dass durch den Wasser- und 
Zuckerzusatz die Kuhmilch nur an Menge des Käsestoffs und 
Zuckers der Menschenmilch möglichst ähulich gemacht wird, 
während die anderen Bestandteile, die durchaus nicht in einem 
der Verdünuung entsprechendem Verhältnis sich befinden, unberück¬ 
sichtigt bleiben, so vor allem das Fett, dieser wichtige Energie- 
und Kraftspender, obwohl die Kuhmilch schon an sich etwas 
weniger Fett als die Menschenmilch enthält, nach Munk 3,7 °/ 0 
statt 3,9 °/ 0 ; nach Heubner sogar nur durchschnittlich 3,5 # /o 
gegenüber 4,07 °/ 0 Fett der Menschenmilch. Auch ein anderer 
für den kindlichen Organismus sehr belaugreicher Bestandteil, der 
in der Kuhmilch schon in geringerer Quantität enthalten ist, wird 



Die künstliche Ernährung der Säuglinge nach dem neuen Hab&mmenlehrbuch. 417 


weiter verdünnt: das Eisenoxyd. Kuhmilch enthält davon 0,004°/ 00 
und Menschenmilch 0,006 °l 00 . 

Es wird dann bestimmt: 

„In den ersten 4 Wochen verdünnt man die Kuhmilch mit 2 Teilen 
Wwser.“ 

Warum gerade mit 2 Teilen? Nach Munk enthält die 
Kuhmilch 2,9 °/o Kasein und 0,5 °/ 0 Albumin, zusammen also 3,4 °/ 0 , 
die Frauenmilch nur 2,1 °/ 0 . Setze ich also zu 100 gr Kuhmilch 
200 gr Wasser, so enthalten diese 300 gr 3,4 gr. oder 1,13 °/ 0 
Eiweiss, also etwa die Hälfte des in der menschlichen Milch be¬ 
findlichen. — Nach Heubner ist allerdings die prozentuale Zu- 
, sammensetzung eine andere: 3,5 °/ 0 Kasein in der Kuhmilch und 
1,03 °/ 0 in der Frauenmilch. Bei Annahme dieses Verhältnisses 
würde die angegebene Verdünnung der Kuhmilch ein Gemisch von 
Wasser und Milch ergeben, welches ungefähr den gleichen Prozent¬ 
gehalt an Kasein wie die Menschenmilch hätte. Nun ist aber 
I Heubner weit entfernt davon, etwa eine so hochgradige Ver- 
. ' dfinnung der Kuhmilch zur Ernährung des Säuglings vorzuschlagen, 
er sagt vielmehr in seinem auf dem VIII. Internationalen Hygiene¬ 
kongress in Pest gehaltenen und in der Berliner klin. Wochenschr. 
Jahrgang 1894 Nr. 37, 38 veröffentlichten Vortrage S. 873 wört¬ 
lich folgendes: 

„Ein halbes Liter Milch wird im nächsten Stalle möglichst bald nach 
len Melken (womöglich nicht dnrchs Seihtuch gegangen!) in einem Litertopf 
(der rorher sorgfältig gereinigt ist, geholt, zu Hause ein viertel Liter Wasser 
nd 2 Eßlöffel Milchzucker sogleich zagesetzt, und dann der Litertopf gut 
lagedeckt in einen größeren Topf mit Wasser gesetzt und ans Feuer gestellt 
(Mch besser wird der Milchzucker schon während des Holens der Much im 
Viertelliter Wasser gelöst).“ 

Also 2 Teile Milch und 1 Teil Wasser! — Wie kommt nun 
Heubner zu diesem scheinbar überraschenden Vorschlag? Durch 
Experimente und Sektionen hatte er und seine Assistenten fest- 
i gestellt, „dass in den klinischen Tatsachen in keiner Beziehung 
: I eine Handhabe dafür gegeben ist, dass die Schwierigkeit der 
. | künstlichen Ernährung in der Mangelhaftigkeit der Verdauungs- 
| kraft des Säuglingsdarms gegenüber dem Kuhkasein gelegen wäre.“ 
Han war ja der Meinung und ist es vielfach noch heut, dass, da 
das Knhkasein bei der Gerinnung derbe Coagula bildet, während 
‘ das Franenkasein feinflockig aus fällt, das Kuhkasein schwerer ver¬ 
daulich sei, und es besteht die Angabe: „Das Frauenkasein wird 
▼om Magensaft wie von künstlicher Verdauungsflüssigkeit leicht 
und fast völlig gelöst, während vom KuhkaBein ein Viertel un¬ 
gelöst zurückbleibt.“ Wird dies als richtig zugestanden, so folgt 
aber gerade daraus, dass dem kindlichen Organismus eine pro¬ 
zentual grössere Menge Kuhkasein zu geführt werden muss als 
Frauenkasein, damit überhaupt bei Ernährung mit Kuhmilch 
ungefähr die genügende Menge resorbiert wird. — Die Schwierig¬ 
keit in der Ernährung der Säuglinge mit Kuhmilch liegt demnach 
nicht in der Beschaffenheit der Kuhmilch an sich, sondern, wie 
von Flügge, Heubner und anderen dargetan ist und ziemlich 
allgemein als richtig anerkannt wird, in der schwer zu vermeiden- 



418 


Dr. Scholz. 


den Verunreinigung der Kuhmilch vom Augenblick ihrer Gewin¬ 
nung bis zur Verabreichung an den Säugling. Je weniger aber 
damit „gemanscht“ zu werden braucht, desto weniger wird sie 
schädlich gemacht werden. 

Wenn nun Heubner trotz des von ihm festgestellten viel 
grösseren als früher angenommenen Unterschiedes der Frauen- 
und Kuhmilch an Kaseingehalt doch nicht mehr die vorher übliche 
starke Verdünnuug aufrecht hält, so ist es wahrlich nur ein 
kleiner Schritt bis dazu, die Kuhmilch überhaupt unverdünnt dem 
Säugling zu reichen. Und dieser Standpunkt wird sehr energisch 
von einem Breslauer Kinderarzt, Dr. Emil Schlesinger, ver¬ 
treten in einer überzeugenden Abhandlung, veröffentlicht in der 
Berliner klin. Wochenschr.; 1901, Nr. VII. Er wirft da unter 
anderen die Frage auf: „Welchen Zweck soll eigentlich die Ver¬ 
dünnung haben? Macht das hinzugefügte Wasser etwa die Kuh¬ 
milch verdaulicher?“ und anwortet: 

„Das glaubt ernstlich gewiß niemand. Wir wissen ja, daß das Wasser 
ohne irgend welchen Einfluß für die Milch bleibt und daß dasselbe — das 
hinzugefügte sowohl, wie das der Milch von vornherein angehörende — schon 
im Magen und in den oberen Darmabschnitten verhältnismäßig rasch aufgesogen 
wird, die im Verdaunngsorgan zurückbleibenden Nährstoffe der Milch aber der 
ganz gleichen Bearbeitung bedürfen, unabhängig davon, ob der Milch vorher 
viel oder wenig oder gar kein Wasser zugeschüttet worden ist.“ 

Er wirft ferner die Frage auf nach den Folgen der Ueber- 
schwemmung des kindlichen Organismus mit Wasser: 1 ) 

„Ist es so ganz gleichgiltig, daß der Säugling ein verhältnismäßig sehr 
beträchtliches Plus an Flüssigkeit durch den Körper zu treiben hat? Woher 
nimmt er die hierfür erforderlichen Kraftmengen und auf wessen Kosten kann 
er diese Kraftvergeudung bestreiten? Die Annahme liegt wohl nahe, daß 
diese bedeutend erhöhte Arbeitsleistung schließlich nur auf Kosten der körper¬ 
lichen Entwickelung erfolgen kann. Hierin ist wohl auch der Grund für so 
manche sonst unerklärliche Atrophie zu finden. . . . Die großen Wassermengen, 
die den Magendarmkanal überschwemmen, dürften auch zu Erweiterungen and 
Erschlaffungen des Magens führen, zu irgendwelcher Beeinflussung des Epithels, 
Verdünnung und Abschwächuug der Drüsen- und Darmsekrete; auch für die 
Niere dürfte diese erhöhte Arbeitsleistung nicht gleichgültig sein . . .“ 

Sollte es uach alledem nicht angebracht sein, eine Revision 
des § 265 vorzunehmen und nur eine Verdünnung konform dem 
Verfahren des H. Geh.-Rat Heubner anzuempfehlen? — Am 
Schluss des Paragraphen heisst es dann: 

„Manche Kinder verlangen indessen zu ihrem Gedeihen stärkere, selten 
schwächere Mischungen. Auch kommt es natürlich auf die Güte der Milch 
an, wie stark verdünnt werden soll. Merkt die Hebamme, daß die Ernährung 
nicht gut von statten geht, so verdünne sie die Milch mit weniger Wasser.* 

Abgesehen davon, dass zwischen dem letzten und dem ersten 
der angeführten Sätze eine kleine Inkongruenz bestehen dürfte, 

*) Diese Ueberschwemmung erfolgt deshalb, weil das Kind, um wenigstens 
eine annähernd genügende Menge von Nahrungsstoffen bei viel Wasserzusatz 
zu erhalten, ungeheuro Mengen von Nahrungsflüssigkeit vertilgt, die es sich, 
solange es kann, durch unausgesetztes Schreien erkämpft. Nun ist aber gerade 
das viele Schreien als äußerst nachteilig für die Entwicklung erkannt worden, 
sodaß auf der letzten Versammlung der Naturforscher und Aerzte in Breslau 
manche Kinderärzte zur Beseitigung desselben sogar dem Lutscher einige 
Konzessionen machten. 



Die künstliche Ernährung der Säuglinge nach dem neuen Hebammenlehrbuch. 419 


- denn es könnte ja auch einer der seltenen Fälle vorliegen, 
■ wo zum Gedeihen des Kindes eine Verdünnung mit mehr Wasser 
- T: - gezeigt wäre —, so scheinen mir hier Anforderungen an die 
Hebamme gestellt zu sein, denen sie nicht gewachsen sein dürfte. 
Sin soll die Güte der Milch beurteilen können und den Fortschritt 
’ : ’ v der Ernährung, um evtl, eine andere Art der Verdünnung der 
Milch anzuordnen, und dies in den ersten 10 Tagen nach der 

• Mündung; denn länger Betzt sie für gewöhnlich doch ihre 
Besuche nicht fort! Würde aber die Heubnersche Mischung 
empfohlen, so käme das Kind damit ziemlich lange aus, und das 
bischen Wasser würde man wohl recht bald von selbst weglassen 
-nicht zum Schaden des Kindes. Noch einen Vorteil hätte die 

• ä'j. Empfehlung der Ernährung nach Heubner: Ist ein Arzt zur 

Entbindung oder kurz darauf zugezogen worden und ordnet er 
sb: j bei Unmöglichkeit der Ernährung durch Muttermilch die Heub- 
( nersche Verdünnung an, wie es recht häufig geschehen dürfte, 
‘ möchte wohl die Hebamme leicht sich versucht fühlen — denn 
f'j ea wäre nur allzu menschlich —, mit ihrem Lehrbuch in der 
"i Hand der Wöchnerin und deren Angehörigen schwarz auf weiss 
m beweisen, wie falsche Vorschriften der Arzt gegeben habe, 
wodurch das Ansehen des Arztes ungerechtfertigter Weise ge- 
I schädigt werden könnte, zumal doch nur sehr wenige Aerzte das 
Hebammenlehrbuch studieren und die darin gegebenen Vorschriften 
! kennen, um evtl, eine vorbeugende Bemerkung zu machen. 

:i Ausdrücklich möchte ich hervorheben: Das Heil liegt nicht 
; in der Verdünnung der Milch, sondern in der Reinheit der Milch 
®>d ihrer richtigen Behandlung. Ernährung des Säuglings mit 
Vollmilch ist als rationell zu erachten. — Der dem § 265 des 
Hebammenlehrbuchs entsprechende Abschnitt in der „Anweisung 
zur Pflege und Ernährung der Kinder im ersten Lebensjahre“, 
welche seit etwa 2 Jahren in Görlitz jeder eine Geburt an- 
aeldenden Person auf dem Standesamt übergeben wird, bei dessen 

• j Fuaang wir auf das vorher übliche Verfahren glaubten einige 

Rücksicht nehmen zu sollen, lautet folgendermassen: „Die Kuh- 
milch wird, mit Michzucker versüsst, dem Kinde anfänglich etwas 
verdünnt gegeben. Bei Wohlbefinden und steter Gewichtszunahme 
des Kindes gehe man alsbald zur Ernährung mit unverdünnter 
Vollmilch über.“ Irgendwelche ungünstige Erfahrungen infolge 
Anempfehlung dieser Ernährungsart sind nicht gemacht worden, 
b» dem letzten „Bericht über die Verwaltung und den Stand der 
«emeindeangelegenheiten der Stadt Görlitz“ heisst es vielmehr, 
ein durchaus günstiges Ergebnis zeige die Sterblichkeit der Kinder 
nb ersten Lebensjahre. 

Jetzt hat der Vaterländische Frauenverein ein zu demselben 
hi ^ Un< * aa * dieselbe Weise wie unsere „Anweisung“ auszu- 
Wndigendes Merkblatt herausgegeben. Durch einen Erlass des 
üerrn Ministers vom 10. Februar 1905 werden die Kreisärzte 
Braaf hingewiesen, dass es in erster Linie ihre Aufgabe ist, den 
wammen- und Wochenpflegerinnen wiederholt zur Pflicht zu 
®ä*men, über die gesundheitsgemässe Pflege und Ernährung der 




420 


Dr. Werner. 


Säuglinge, namentlich über den Wert der mütterlichen Nahrung 
sich nicht nur selbst mit Hilfe des Hebammenlehrbuches und des 
Merkblatts sorgfältig zu unterrichten, sondern auch auf die 
Schwangeren, Wöchnerinnen, Mütter und Angehörige der Kinder 
belehrend einzuwirken, und durch Verfügung des Herrn Regierungs¬ 
präsidenten haben die Kreisärzte sich bei den Nachprüfungen 
der Hebammen über deren Kenntnisse hierüber zu unterrichten 
und die erforderlichen Belehrungen zu erteilen. — Nun betonen 
Merkblatt und Hebammenlehrbuch den Wert der mütterlichen 
Nahrung in gleich nachdrücklicher Weise; in den Angaben über 
künstliche Ernährung weichen sie aber beträchtlich voneinander 
ab, obschon auch das Merkblatt die Verdünnung der Milch an¬ 
empfiehlt. In welche Lage kommen infolgedessen die Hebammen? 
Nach § 17 ihrer Dienstanweisung haben sie bei Ausübung ihrer 
Berufstätigkeit die in dem Lehrbuch enthaltenen Regeln und Vor¬ 
schriften . . . gewissenhaft zu befolgen, also bei künstlicher Er¬ 
nährung sich nach den Vorschriften des § 265 des Hebammen¬ 
lehrbuchs zu richten, bei ihren Prüfungen und Belehrungen seitens 
der Kreisärzte scheinen aber doch wohl die Bestimmungen des 
Merkblatts berücksichtigt werden zu sollen. Um aus diesem 
Dilemma herauszukommen, scheint Einheitlichkeit der Bestim¬ 
mungen über künstliche Ernährung in Merkblatt und Hebammen¬ 
lehrbuch dringendes Erfordernis. Vielleicht führen etwaige dies¬ 
bezügliche Erwägungen zu dem Ergebnis, dass eine weniger hoch¬ 
gradige Verdünnung der Milch vorgeschlagen wird. Heubner 
hatte die von ihm angegebene Verdünnung schon im Jahre 1894 
zwei Jahre lang an mehreren hundert Kindern mit bestem Erfolge 
erprobt. 


Theoretisches und Praktisches zur Formaldehyddesinfektion 

auf dem Lande. 

Von Dr. 6. Werner, Kreisassistenzarzt in Marburg. 

Bei der weiteren Entwicklung, die das Desinfektionswesen 
durch die Ausbildung geschulter Desinfektoren in den letzten 
Jahren auch im hiesigen Bezirke genommen hat, machte sich die 
Auswahl eines für unsere ländlichen und kleinstädtischen Verhält¬ 
nisse geeigneten Formaldehyddesinfektionsapparat als eine besondere 
wichtige und nicht ganz leicht zu lösende Frage bemerklicb. 
Bedauerlicherweise kam es mehrfach vor, dass von seiten der 
Stadt- nnd Kreisverwaltungen in bester Absicht Apparate an* 
geschafft wurden, welche sich dann vor allem wegen des hohen 
Kostenpunkts der Desinfektionen als durchaus ungeeignet erwiesen, 
wodurch natürlich diese für das öffentliche Wohl so wichtige 
Frage keine Förderung erfuhr. Es ist ja tatsächlich für die sach¬ 
verständigen Berater der Verwaltungsbehörden nicht ganz leicht, 
bei dem noch mancherlei KontroTersen unterliegenden Stand der 
Formaldehyddesinfektion zu einem richtigen Urteil über die sich 



Theoretisches and Praktisches zur Form&ldehyddesinfektion auf dem Lande. 421 

eignenden Apparate und Methoden zu kommen. Besonders sind 
hierbei vielfach die Prospekte der Fabriken imstande, Verwirrung 
zu stiften, indem sie zur Empfehlung ihrer Apparate aus dem 
Zusammenhang genommene Zitate aus wissenschaftlichen Arbeiten 
bringen, welche vielleicht längst widerlegt oder doch bestritten 
sind, ihre Berechnungen und Tabellen auf nicht mehr zu Recht 
bestehende Grundsätze aufbauen und z. B. gegenüber anderen Fa¬ 
brikaten von der eigenen Methode Vorteile an Billigkeit und Zeit- 
verbrauch behaupten, ohne anzugeben, dass dieselbe sich auch mit 
einer weit geringeren Desinfektionswirkung begnügt. Auch 
die zur Empfehlung eines neuen Apparates üblichen und in ex¬ 
tenso veröffentlichten Laboratoriums - Desinfektionsversuche von 
wissenschaftlicher Seite bedürfen nach dieser Richtung vielfach 
einer vorsichtigen Beurteilung, da es jedem, der sich mit solchen 
Versuchen beschäftigt, bekannt ist, dass deren Resultate sich 
durch kleine Aenderungen in der Versuchsanordnung wesentlich 
modifizieren lassen, und dass dieselben sich vielfach doch nicht 
mit den praktischen Verhältnissen decken! 

Ausser der genügenden Desinfektions Wirkung, welche natür¬ 
lich in erster Linie in Betracht kommen muss, spielen aber für 
die praktische Brauchbarkeit eines Apparates noch verschiedene 
andere Eigenschaften eine wichtige Rolle: Kapazität, Einfachheit 
der Bedienung, Reparaturfähigkeit, Transportabilität, vor allem 
aber die Kosten der Anschaffung, Instandhaltung und des Ver¬ 
brauchs u. a. m. 

Gerade für den praktischen Medizinalbeamten, welchem wohl 
vielfach die Begutachtung dieser Fragen zufällt, wird es deshalb 
von Interesse sein, von einer Reihe von Untersuchungen Kennt¬ 
nis zu nehmen, welche die Feststellung der für unsere 
ländlichen und kleinstädtischen Desinfektoren ge¬ 
eigneten Instruktionen und Apparate bezweckten. Die¬ 
selben wurden auf der hiesigen hygienischen Abteilung, mit 
welcher die Desinfektorenschule für den Reg.-Bez. Cassel ver¬ 
banden ist, während der letzten Jahre angestellt und bezogen 
sich auf die verschiedensten Punkte der Formaldehyddesinfektion, 
sowohl auf die Wirksamkeit derselben im allgemeinen und die zur 
genügenden Wirkung notwendigen Vorbedingungen, auf die noch 
bezweifelte Einwirkung auf Tuberkelbazillen, sodann auf die ver¬ 
schiedenen Erzeugungsarten der Formaldehydwasserdämpfe und 
die Brauchbarkeit der in Betracht kommenden Ausgangsmaterialien, 
alles vom Standpunkt einer möglichst sicheren Wirkung in einer 
gerade in einfachen Verhältnissen auch wegen des Kostenpunkts 
praktisch durchführbarer Form. Es ist selbstverständlich, 
dass dabei auch die neuesten Veröffentlichungen sowie die während 
mehrerer Desinfektorenkurse gemachten Erfahrungen zu ihrer 
Geltung kamen. 

Es liegt nun nicht im Rahmen dieser Ausführungen, auf die 
Einzelheiten mit Tabellen und dergl. näher einzogehen, sondern 
es kommt mir nur auf die Mitteilung einiger allgemein wichtiger 
Gesichtspunkte an, zn welchen diese Untersuchungen geführt 



422 


Dr. Werner. 


haben, zumal dieselben in verschiedenen Punkten von verbreiteten 
Anschauungen abweichen, welche auch in dieser Zeitschrift noch 
kürzlich ihren Ausdruck gefunden haben. 

Ueber unsere günstigen Erfahrungen gegenüber Tuberkulose* 
Objekten habe ich schon im vorigen Jahrgang dieser Zeitschrift 
(Nr. 13) berichten können. Auf eine kürzlich 1 ) vor demselben 
Leserkreis gefallenen Bemerkung von Engels, in welcher er, ohne 
neues Beweismaterial zu bringen oder die Einwände gegen sein 
früheres zurückweisen zu können, die Frage von oben herab mit 
der Mitteilung abtun möchte, dass er an eine solche Wirkung 
auf Tuberkelbazillen nicht glaube, möchte ich aber bei der prak¬ 
tischen Wichtigkeit der Sache doch hinzufügen, dass auch weitere 
im hiesigen Institut von Herrn Dr. Krüger angestellt« Ver¬ 
suche, die die Eng eis sehen an Ausdehnung wiederum übertreffen, 
unsere früheren günstigen Resultate bestätigen. Da dasselbe 
auch von anderer Seite (Huhs, Noetel) in unzweideutiger Weise 
geschehen ist, wird man — trotz Engels Unglauben — aueb 
fernerhin die Desinfektion der Phthisikerwohnungen durch Formal¬ 
dehyd für eine in unserer Gegend äusserst wichtige Aufgabe der 
ländlichen Desinfektoren halten müssen. 

Was zunächst die Erzielung einer praktisch genügenden 
Desinfektios Wirkung durch Form aldehyddämpfe betrifft, 
welche sich ja leider nur auf die Oberflächen erstreckt, so ist es 
hierzu nötig, dass dieselben in einem geschlossenen 
Raum unter Gegenwart von Wasserdampf in einer 
bestimmten Konzentration eine entsprechende Zeit 
lang mit den zu desinfizierenden Gegenständen in 
Berührung kommen. 

Methoden zur Formaldehyderzeugung ohne gleichzeitig« 
Was»erverdampfung sind deshalb für sich allein desinfektorisch 
unwirksam! Diese Tatsache ist praktisch von allergrösster Be¬ 
deutung, da man noch täglich die trockenen Pastillenapparate 
(Hygiea und Aeskulap) als vermeintliche Desinfektionsapparate 
in Tätigkeit sieht! 

Aber auch wenn die Luft bis zur Sättigung mit Wasserdampf 
gefüllt ist, bedarf es zur Erzielung der genügenden Desinfektions¬ 
wirkung wie bei jedem anderen Desinfektionsmittel einer gewissen 
Konzentration der Formaldehyddämpfe, sowie einer 
gewissen Einwirkungsdauer derselben. Diese beiden Fak¬ 
toren stehen in einer Wechselwirkung zu einander insofern, als 
die Erzielung des gleichen Effekts bei einer Steigerung der Kon¬ 
zentration eine Abkürzung der Dauer ermöglicht und umgekehrt 

Ausser diesen kommen aber praktisch in jedem Falle in 
wechselnder Weise noch andere Faktoren für die Desin¬ 
fektionswirkung in Betracht, so z. B. die Temperatur des 
Raumes, die Grösse und Beschaffenheit der Oberflächen, auf welche 
sich erfahrungsgemäss die Formaldehydwasserdämpfe in Kürze 
grösstenteils niederschlagen, der Abdichtungsgrad u. a. m. Es ist 


*) 1905, Nr. 7. 



Theoretisches und Praktisches zur Formaldehyddesinfektion auf dem Lande. 423 

deshalb nicht leicht, für die Mengen des Desinfiziens and die 
Einwirkungsdauer desselben festbestimmte Werte einznsetzen, wie 
wir sie als Normen für die praktische Ausübung der 
Methode und besonders für die Instruktion des niederen Heil¬ 
personals nötig haben. Erst die ausserordentlich grosse Zahl 
von Untersuchungen aus den letzten Jahren konnte in dieser Be¬ 
ziehung in ihrer Gesamtheit eine gewisse Sicherheit bringen! Ha 
dieselben aber, je sorgfältiger sie angestellt wurden, umsomehr 
Fehlerquellen für die Formaldehyddesinfektion ausfindig machten, 
in dem Grade sogar, dass einzelne Fachmänner die praktische 
Brauchbarkeit der Methode nicht mehr anerkennen wollten, so 
ergab sich daraus die Notwendigkeit, durch Steigerung 
der Formaldehydmengen oder deren Einwirkungs¬ 
dauer di eh er aus gefundenen Schwächen des Verfahrens 
wieder auszugleichen, zumal eine wesentliche Preisvermin- 
derung der Ausgangsmaterialien dies auch praktisch möglich 
machte! 

Von diesem Gesichtspunkte aus haben die neueren Unter¬ 
suchungen, zu denen auch die unseren gehören, festgestellt, dass 
zur Erzielung einer praktisch allgemein genügenden Desinfektions¬ 
wirkung — auf eine absolut sichere gegenüber allen Keimen müssen 
wir bei der Wohnungsdesinfektion schon überhaupt verzichten — 
eine wesentliche Steigerung der seither meist üblichen, 
Ton Flügge vorgeschlagenen Formaldehydeinwirkung 
notwendig ist. Hielt man früher eine siebenstündige Einwirkung 
Y<m 2,5 gr Formaldehyd pro Kubikmeter Kaum oder als gleich¬ 
wertig eine 8 1 /* ständige von 5,0 Formaldehyd für genügend, so 
müssen wir nach dem heutigen Stand der Untersuchungen für 
durchschnittliche Verhältnisse 5,0 Formaldehyd bei 7stün- 
diger Einwirkung oder eine Erhöhung bis auf das 
Doppelte bei Abkürzung der Zeit oder dem Eintritt 
schwieriger Verhältnisse verlangen. 

Diese Forderung, welche von uns auf Grund unserer ex¬ 
perimentellen Untersuchungen aufgestellt wurde, ist seitdem auch 
▼on anderen auf modernster Grundlage beruhenden und als mass¬ 
gebend anerkannten Desinfektionsanweisnngen bestätigt worden. 
Die neue Berliner Wohnungsdesinfektion rechnet auf Grund der 
Untersuchungen des Instituts für Infektionskrankheiten 8,0 gr 
Formaldehyd bei 4 ständiger Einwirkung, was ungefähr dem obigen 
entspricht. Czaplewski-Köln verlangt etwas weniger, mindestens 
4,0 gr, aber auch für 7ständige Dauer. Vor allem aber, was auch 
tnr die Ausbildung der staatlich zu prüfenden und 
approbierenden Desinfektoren massgebend sein muss, 
s'tehen die Ausführungsbestimmungen des neuen 
Reichsseuchengesetzes in ihrem Passus über die Formal¬ 
dehyddesinfektion genau auf dem oben vertretenen Stand¬ 
punkte. Die in ihnen enthaltenen Vorschriften, welche auch sonst 
das Wesentliche der Formaldehyddesinfektion auf das Prägnanteste 
kennzeichnen, lauten wörtlich folgendermassen: 

„Zum Zustandekommen der desinfizierenden Wirkung sind erforderlich: 

Vorgängiger, abseitiger dichter Abschluß des zu desinfizierenden Kaums 



424 


Dr. Worner. 


durch Verklebung, Verkittung aller Undichtigkeiten der Fenster und Tftrea, 
Ventilationsöffnungen und dergleichen. 

Entwicklung von Formaldehyd in einem Mengenverhältnis von wenigstens 
5 gr auf 1 cbm Luftraum. 

Gleichzeitige Entwicklung von Wasserdampf bis zu einer vollständigen 
Sättigung der Luft des zu desinfizierenden Baums (auf 100 cbm Baum sind 
3 Liter Wasser zu verdampfen). 

Wenigstens 7 Stunden andauerndes, ununterbrochenes Verschlossenbleiben 
des mit Formaldehyd und Wasserdampf erfüllten Baumes; diese Zeit kann bei 
Entwicklung doppelt so großer Mengen von Formaldehyd auf die Hälfte ab¬ 
gekürzt werden.“ 

Es ist nicht zu verkennen, dass durch diese Steigerung der 
Anforderungen gewisse praktische Schwierigkeiten entstehen, zu¬ 
mal die Angaben und Tabellen der meisten Apparate sich auf die 
früheren, von Flügge angegebenen Grössen stützen. Auch der 
Kostenpunkt wird in die Höhe gerückt, doch bei den mit flüssigem 
Formalin arbeitenden Apparaten und der jetzigen Preislage des¬ 
selben nicht in dem Masse, dass die Brauchbarkeit der Methode 
dadurch gefährdet würde. Aber in erster Linie muss doch 
bei einer derartigen Massnahme die Sicherheit der 
Wirkung massgebend sein! 

Und wenn oftmals, auch bei den verhältnismässig günstigen 
Bedingungen mancher Laboratoriumsversuche (wie auch in den in 
Nr. 7 von Engels undHuhs mitgeteilten) mit geringeren Dosen 
gute Erfolge erzielt werden, so ist doch in Rechnung zu ziehen, 
dass der praktische Desinfektor draussen sehr oft mit weit grösseren 
Schwierigkeiten für die Desinfektionswirkung zu rechnen hat, mit 
niedrigen Temperaturen, mit schmutzstarrenden, schwer abzudichten¬ 
den Räumen, mit bedeutender Vermehrung der Oberflächen durch 
reichliche Gegenstände, aufgehängte Kleider und Betten u. dergl. 
Gerade in unserer Gegend kommt besonders auch der letzte Punkt 
in Betracht, da der Desinfektor vielfach nicht über einen Apparat 
für die Dampfdesinfektion von Kleidern, Betten u. dergl. ver¬ 
fügt, während eine solche z. B. bei der Berliner Wohnungsdes- 
infektion trotz der erwähnten grossen Formaldehydkonzentrationen 
ausdrücklich vorgesehen ist. 

Für derartige Verhältnisse sind aber nach unseren heutigen 
Erfahrungen die oben angegebenen Quantitäten noch keineswegs 
zu hoch gegriffen; sie müssen deshalb, da sie heute prak¬ 
tisch anwendbar sind, einer allgemeinen Normierung zu¬ 
grunde gelegt werden, wie es in den oben angeführten offi¬ 
ziellen Vorschriften geschehen ist! 

Bei der Begutachtung eines Apparates für die Wohnungs¬ 
desinfektion muss daher ganz unbekümmert um die An¬ 
gaben desFabrikanten jedesmal berechnet werden, für wie¬ 
viele Kubikmeter Raum derselbe je 5,0 Formaldehyd und Dampf 
von ca. 30 ccm Wasser zu liefern vermag. Wo aber nicht mehrere 
Apparate zur Verfügung stehen, wird man, um den gebräuchlichen 
Anforderungen nachkommen und auch einmal grössere Formaldehyd- 
quantitäten anwenden zu können, eine Kapazität für ca. 150 cbm 
Raum von einem Apparat verlangen müssen. 

Wenn man nach den obigen Auseinandersetzungen zur Er- 



Theoretisches and Praktisches zur Formaldehyddesinfektion auf dem Lande. 426 


reiehung einer genügenden Wirkung von allen Apparaten nnd 
Methoden die Erfüllung der angeführten Grundsätze für eine 
Fonaaldehyddesinfektion fordern muss, so wird man auch mit 
allen, welche denselben nachkommen können und 
wirklich nachkommen, den notwendigen Desinfektionseffekt 
erreichen können. 

In welchem Grade sich hierbei die einzelnen als besonders 
geeignet und praktisch brauchbar erweisen, hängt im Wesentlichen 
von ihren sonstigen Einzelheiten und Eigenschaften ab. Für die 
praktische Wohnungsdesinfektion kommen aus diesem 
Grande heute nur ganz wenige Methoden in Betracht: 

Während früher das Formaldehydgas zur Desinfektion haupt¬ 
sächlich aus dem festen Paraformaldehyd in Gestalt der Schering« 
sehen Pastillen nnd ähnlicher Präparate gewonnen wurde, so kann 
diese Erzeugungsart heute, zumal bei der Steigerung der Formal« 
debydquantitäten, keine Bolle mehr spielen, da der hohe Preis 
des Ausgangsmaterials die Desinfektionen zu teuer 
Sachen würde. Der hierbei gewonnene Formaldehyd stellt 
sich etwa fünfmal so teuer, als der aus flüssiger Lösung, ans 
Fannalin erzeugte. 

Wenn nun aber doch die Benutzung des Schering sehen 
»kombinierten Aeskulap" noch eine sehr verbreitete ist, so liegt 
dies einerseits wohl daran, dass bei der üblichen Verwendung 
geringer Formaldehydmengen sich der immerhin beträchtliche 
Preisunterschied nicht in so hohem Grade bemerklich macht, 
anderseits auch daran, dass vielfach die Wirksamkeit der Pastillen« 
methode für wesentlich sicherer gehalten wird. Die im Handel 
befindlichen wässrigen Formaldehydlösungen (Formalin ist der für 
eine solche etwa 40 prozentige Lösung der Firma Schering 
geschützte Namen) stehen nämlich in dem Rufe, in ihrer Zusammen¬ 
setzung unsichere, leicht zersetzliche und bei Aufbewahrung 
minderwertig werdende Präparate zu sein. Dieser nicht unwich¬ 
tige Punkt wurde von uns ebenfalls einer genaueren Untersuchung 
imterzogen, und ich konnte durch quantitative Bestimmungen der 
verschiedensten Formaline, auch nach längerer Aufbewahrung, 
teststellen, dass dies Vorurteil gegen die Handelsfor¬ 
maline durchaus unberechtigt ist. Jeder Desinfektor 
kann heute ohne Schwierigkeiten ein für seine Zwecke 
genügendes, wenn auch nicht ganz 40 prozentiges 
Präparat beziehen und ohne wesentliche Einbusse 
vorrätig halten! Von diesem Gesichtspunkte aus sind 
die mit flüssigem Formalin arbeitenden Methoden denjenigen, 
welche den festen Paraform benutzen, als völlig gleich wertig 
za betrachten, wegen ihrer bedeutenden Billigkeit aber unbe¬ 
dingt vorzuziehen. Die für die Desinfektion von 100 cbm 
Raum notwendige Formaldehydmenge kostet bei Pastillenbe- 
notzung (500 Stück) 7,50 Mk, bei flüssigem Formalin (unter Be¬ 
nutzung der Flüggeschen Tabelle, welche einen reichlichen 
Aufschlag für Verluste enthält), etwa 1,60—1,70 Mk. Unter 
diesen Umständen empfiehlt es sich, die früher so beliebten 



m 


Dt. Werner. 


Aeskulap-Apparate wegen ihrer Unrentabilit&t schleunigst auf¬ 
zugeben. 

Auch die durch Zerstäubung von Formaldehydlösungen ar¬ 
beitenden Präparate (nach Cz&plewski, Praussnitz, Lingner) 
müssen, so sehr sie sich auch anderwärtsbewährthaben 
mögen, für unsere Zwecke ausser Betracht bleiben. Ihre Kon¬ 
struktion ist, wie die aller Zerstäubungsapparate, empfindlich und 
ihre Bedienung erfordert, wie ein Blick in die Cölner Anweisung 
zur Wohnungsdesinfektion lehrt, mehr, als was wir vielfach von 
unserem Desinfektorenpersonal erwarten können. 

Es ist unbestreitbar, dass für ländliche Desinfektoren, welche 
ohne Beserveapparate, ohne Zentralstellen, wie sie bei den gross- 
städtischen Organisationen vorhanden sind, draussen allein auf 
sich angewiesen ihre Arbeit tun sollen, der einfachste, möglichst 
fest gebaute Apparat, der auch einmal rauhe Behandlung 
vertragen kann, der sich aber gegebenenfalls überall repa¬ 
rieren lässt, der beste ist! 

Diesen Bedingungen genügt unter allen in Betracht kommen¬ 
den am besten der in solider Einfachheit nicht zu übertreffende 
Breslauer Apparat mit seiner von Flügge bis in die Einzä¬ 
heiten sinnreich ausgearbeiteten Methode der Formaldehyd¬ 
gewinnung aus verdünnten Lösungen! Während bei der 
Verdampfung konzentrierter Lösungen von Formaldehyd (For¬ 
malin) dieser durch Polymerisation zum Teil verloren geht, 
so gelingt es nach den genauen Untersuchungen der Breslauer 
Schule, ihn aus einer etwa 5 fachen Verdünnung durch rasche 
Verdampfung ohne Polymerisation bis auf einen kleinen Best zu 
gewinnen, auf welchen man bei entsprechender Berechnung der 
Formalinmenge leicht verzichten kann. Dieses einfachste Mittel, 
die bei der Ausbeute des Formaldehyd aus seinen Lösungen so 
störende Polymerisation zu verhüten, benötigt nur einen verblüffend 
einfachen, aus einem Kessel und einer Heizungseinrichtung be¬ 
stehenden Apparat, sodass auch nach dieser Seite hin eine Kon¬ 
kurrenz garnicht denkbar ist. Der Breslauer Apparat hat sich 
in der Desinfektionspraxis bei ungezählten Untersuchungen während 
der letzten 5 Jahre allen anderen Methoden gegenüber bezüglich 
seiner Wirkung als ebenbürtig, im Gebrauch aber vielfach über¬ 
legen erwiesen; er besitzt eine Kapazität für reichlich 
150 cbm Baum (bei 5,0 gr F. pro Kubikmeter), gestattet dabei 
aber auch noch eventuell stärkere Formaldehydkonzentrationen, 
lässt sich auch ausserhalb des Baums aufstellen, hat bei 
starker Heizwirkung verhältnismässig geringen Spiritus¬ 
verbrauch. Eine besondere Feuergefährlichkeit habe ich nie¬ 
mals bei demselben feststellen können, obgleich ich ihn wieder¬ 
holt in engen Räumen und Tierställen mit Heu und Stroh benutzt 
habe. Er erwies sich uns bei langjährigen Gebrauch als zuver¬ 
lässig, bei Beachtung der Vorschriften selten reparaturbedürftig:, 
immer aber leicht reparabel und in den meisten Teilen 
geradezu unverwüstlich. Seine Tabellen bedürfen 
auch den neuen Forderungen gegenüber nur einer 



Theoretisches and Praktisches zur Formaldehyddeainf ktion auf dem Lande. 427 


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kleinen Modifikation bezüglich der Einwirkungs¬ 
dauer, welche bei 5,0 gr F. von 3 1 /, anf 7 Standen 
verlängert werden muss. 

Demgegenüber zeigen die in den letzteren Jahren bekannt 
gewordenen neueren Systeme „Berolina* und „Rapid-Desin- 
fektor Schneider* zur Erzielung desselben schon von dem 
Breslauer Apparat in praktisch genügender Weise erreichten 
Zwecks eine wesentlich kompliziertere Konstruktion, 
indem sie den Formaldehyd aus seiner Lösung durch in einem 
zweitem Kessel erzeugten Wasserdampf austreiben. Wenn auch 
hierbei die Ausbeute etwas grösser ausfällt 1 ), so ist die Differenz 
doch zu gering, um praktisch in Betracht zu kommen, was sich 
ineh dadurch dokumentiert, dass die mit diesen Apparaten an* 
gestellten Desinfektionsversuche keine TJeberlegenheit gegenüber 
dem Breslauer feststellen konnten. Die kompliziertere Konstruk¬ 
tion und Bedienung ist deshalb für uns nur als Nachteil gegen¬ 
über dem Breslauer Apparat zu betrachten. 

Schliesslich würde noch die Springfeldsche Methode 
in Betracht gezogen werden müssen, bei welcher die Formaldehyd- 
Kteung durch glühend gemachte Ketten zum Verdampfen gebracht 
wird. Die ursprünglich viel gerühmte Einfachheit und Billigkeit 
dieser immerhin den Charakter einer Improvisation behaltenden 
Methode erweist sich aber bei ihrer Anwendung auf etwas grössere 
Verhältnisse als durchaus nicht bemerkenswert. Dazu kommt die 
schlechte Transportabilität der etwa je 5 kg wiegenden Ketten, 
deren man für 100 cbm Raum (inkl. Ammoniakverdampfung) etwa 
5—6 bedürfen würde, die umständliche Ingangsetzung und schliess¬ 
lich Feuersgefahr und Formaldehydverluste durch leicht eintre- 
tende Entflammung der Dämpfe. 

Unter diesen Umständen fiel begreiflicherweise 
unsere Entscheidung auf den Breslauer Apparat, 
welcher seitdem bei den hiesigen Desinfektorenkursen in erster 
Linie einer einheitlichen Ausbildung zugrunde gelegt wird und 
auch durch Verfügung des Herrn Regierungspräsidenten den Ver¬ 
waltungsbehörden und Medizinalbeamten zur gleichmässigen An¬ 
schaffung empfohlen worden ist. Derselbe erscheint auch heute 
noch als der in Anschaffung, Haltung, Verbrauch von Materialien 
billigste Apparat, welcher höchste Wirksamkeit mit Einfachheit 
und vielseitiger Verwendbarkeit verbindet und insofern für den 
ländlichen Desinfektor in hohem Grade geeignet ist. 

Als bedauernswerter Mangel des Formaldehyddesin¬ 
fektionsverfahrens ist es nun immer empfunden worden, 
dass die zu seiner Ausübung notwendigen Apparate und Utensilien 
so zahlreich und voluminös sind, dass ihr weiterer Transport sich 
nur mit Hülfe von kleinen Wagen, Dreirädern u. dergl, ermög¬ 
lichen lässt. Ob sich dies aber, solange nicht eine wesentliche 
Aenderung der Methode eingetreten ist, bei einem vollstän¬ 
digen, für alle Eventualitäten genügenden Instru- 

*) Dies ist nach neueren Untersuchungen bei gleichen Wasserd&mpf- 
meagen Übrigens nicht der FalL 



428 


Dr. Werner. 


mentariam ohne Nachteil für die Sicherheit der Desinfektion 
ändern lassen wird, erscheint mir fraglich! 

Immerhin ist manches hierbei verbessernngsf&hig and nach 
dieser Seite hin verdient das neue vonRoepke angegebene 
und in Nr. 7 dieses Jahrgangs ausführlich beschriebene trans¬ 
portable Instrumentarium volle Beachtung. Nachdem ich 
selbst Gelegenheit hatte, dasselbe eingehend kennen zu lernen, 
da es Herr Dr. Roepke der hiesigen hygienischen Abteilung zur 
Demonstration bei einem Desinfektorenkursus zur Verfügung stellte, 
möchte ich den Aufsätzen von Engels und Huhs im Anschluss 
an meine obigen Ausführungen einiges hinzufDgen, zumal die 
Frage sehr nahe liegt, ob nicht dieser Apparat, welcher ja nur 
eine leicht transportable Modifikation des Breslauer 
Apparats darstellt, sich ganz besonders für die Ausrüstung der 
ländlichen Desinfektoren in unserem Sinne empfehlen würde. 

So sehr ich die sinnreichen und recht praktischen Verän¬ 
derungen bezüglich der leichten Transportabilität gegenüber dem 
Breslauer Appararat begrüsse, so muss doch beachtet werden, 
dass dadurch die Kapazität nicht unwesentlich herab¬ 
gesetzt ist. Während der alte Breslauer bei einem Fassungs¬ 
vermögen von etwa 9 1 /» Liter 160 cbm Raum reichlich, auch, 
mit gesteigerten Formaldehydquantitäten zu desinfizieren vermag, 
kann der Roepkesche Kessel mit knapp 5 Liter Inhalt höchstens 
110 cbm mit je 5,0 Formaldehyd versehen. Dies bedeutet einen 
Unterschied, der sich beim Fehlen eines Reserveapparats recht 
unangenehm fühlbar machen kann! 

Als einen besonderen Vorteil des Roepkeschen 
Apparats bezeichnet nun Engels wiederholt den neuen 
Spiritusbrenner und preist die durch ihn bedingte äusserst 
langsame Flüssigkeitsverdampfung als eine grosse Er¬ 
rungenschaft. Einen Beweis für diese Behauptungen bleibt er 
aber schuldig. Derselbe würde ihm wohl auch schwer fallen; denn 
es ist längst durch die grundlegenden Untersuchungen der Breslauer 
Schule experimentell bewiesen, dass bei langsamerem Verdampfen 
schon früher Polymerisation eintritt, während gerade durch 
heftige Verdampfung, wie sie deshalb bei dem Breslauer 
Apparat vorgesehen ist, die günstigste Ausbeute an Formal¬ 
dehyd gewährleistet wird. Dazu kommt noch, dass bei der von 
Engels geschilderten, sich durch Stunden, ja bei ganzer Füllung 
durch die ganze Desinfektionsdauer hinziehenden Verdam¬ 
pfung des neuen Apparats die spät entwickelten Formaldehyd¬ 
mengen nur ganz ungenügend kurze Zeit zur Einwirkung kommen 
können. Durch Versuche mit Vorrichtungen, welche eine äusserst 
rasche und intensive Verdampfung bewirken (Trillatscher 
Autoklav, glühende Chamottesteine u. drgl.) ist es längst bewiesen, 
dass geradedieserPunktzurErzielungdes gewünschten 
Desinfektionseffekts von grösster Wichtigkeit istL 

Dabei müsste aber eine restlose Verdampfung aller Flüssigkeit, 
wie sie Engels bei 5 Versuchen 3mal beobachtet hat, und wie 
überhaupt vorgesehen zu sein scheint, im Interesse des 



Theoretisches und Praktisches zur Fonnaldehyddesintektion auf dem Lande. 429 





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Kessels durchaus vermieden werden. Zumal bei dem neuen 
Apparat, bei dem Füsse mit Charnieren an dem Boden des Kessels 
angenietet sind, werden bei häufigerem Aasglühen Defekte unaas¬ 
bleiblich sein, welche bei dem Breslauer dadurch vermieden sind, 
dass nach seinen Berechnungen jedesmal ein genügender Flüssig¬ 
keitsrest Zurückbleiben muss. 

Was den eleganten Spiritusgasbrenner selbst betrifft, so ist 
es nieht zu bezweifeln, dass derselbe an Dauerhaftigkeit, Einfach¬ 
heit der Bedienung und sicherem Funktionieren — besonders nach 
öfterem Gebrauch mit jedesmaligem Leerbrennen — mit dem un¬ 
verwüstlichen Breslauer gar keinen Vergleich aushält. Zur 
Verdampfung einer gleichen Flüssigkeitsmenge bedarf er der fast 
dreifachen Zeit und nach den Koepkeschen Tabellen einer 
wesentlich grösseren (bei mittlerer Füllung um 60 °/ 0 ) Spi¬ 
ritusfüllung. 

Ich glaube, es wäre für den neuen Apparat am besten, wenn 
man auf diese „grossen Verbesserungen* 1 verzichtete und ihn mit 
dem einfachen, billiger, schneller und vorteilhafter funktionieren¬ 
den, dabei altbewährten Breslauer Brenner ausrüstete, bei dem 
mir, wie oben schon erwähnt, eine besondere Feuergefährlichkeit, 
welche ihm von Engels nachgesagt wird, niemals bekannt 
geworden istl 

Die Roepkeschen Tabellen stehen bezüglich der Formal- 
debydmengen auf den alten Flüggeschen Sätzen, welche mit 
ea. 4,0— 4,5 gr F. pro Kubikmeter auf 5 Stunden modifiziert sind. 
Nach den neueren Anforderungen bedürften dieselben 
bei gleichbleibender Einwirkungsdauer einer Erhö¬ 
hung um etwa 60 °/ 0 . Am praktischsten wäre auch hier die 
Annahme der altbewährten Flüggeschen Tabelle von 5,0 grF. 
aber auf 7 Stunden! 

Was zum Schlüsse das in dem Transporteimer untergebrachte 
Instrumentarium betrifft, so muss anerkannt werden, dass dasselbe 
in äusseret koropendiöser Form das Allernotwendigste — 
aber auch nur das — für die Wohnangsdesinfektion enthält! 
Für unerlässlich, zum Schutze des Desinfektors sowohl, als wegen 
der Gefahr der Seuchenverschleppung, muss ich aber die 
Hinzufügung eines vollständigen Anzugs mit Kopfbedeckung und 
Schuhen erklären, der durch Schürze und Aermel nicht ersetzt 
werden kann, ebenso einer grossen solideren Bürste zur mecha¬ 
nischen Desinfektion, deren Ersatz durch eine einfache Nagel¬ 
bürste nicht genügen dürfte! 

Aber auch bei dieser äussersten Beschränkung auf 
das Allernotwendigste ergab es sich, dass der Transport¬ 
eimer mit Inhalt nach Füllung der Flaschen ein Gewicht von 
16 kg erreichte (nicht 10 kg, wie vonHuhs angegeben wird). 
Dadurch aber wird ein weiterer Transport in der Hand 
zur Unmöglichkeit! 

Unter diesen Umständen erscheint mir das Koepke- 
sche Instrumentarium als Universalausrüstung für 
einen Desinfektor nicht als genügend! Est ist bei ihm 



480 Dr. Werner: Theoretisches und Praktisches zur Fonnaldehyddesiniektioo. 

das Möglichste an Beschränkung und Kompendiosität geleistet, 
ohne eine leichte Transportabilität für weitere 
Entfernungen zu erzielen, und ich glaube, dass wir bei 
einer Tollständigen Desinfektionsausrüstung darauf 
verzichten müssen, dieselbe durch eine Person ohne andere 
Transportmittel auf weitere Entfernungen transportieren zu können. 
Dagegen ist das Roepkesche Instrumentarium da, wo gleichzeitig 
eine vollständigere Ausrüstung für grössere Ansprüche vorhanden 
ist, ein sehr geeigneter Hülfsapparat für manche spe¬ 
ziellen Zwecke, z. B. wenn es sich um Desinfektionen kleinerer 
Ränme handelt, welche in der Nähe liegen oder mit Hülfe von 
Bahn, Post oder dgl. ohne grössere Landwege zu erreichen sind. 

Nachtrag. 

Während der Drucklegung dieses Aufsatzes ist eine Reihe 
wichtiger Arbeiten Flügges und seiner Schule über die Praxis 
der Desinfektion erschienen, 1 ) in welchen Flügge und Reichen¬ 
bach die auch von uns vertretenen Vorschriften des Seuchen- 
gesetzes bezüglich der Menge und Einwirkungsdauer des Formal¬ 
dehyds als zu weitgehend bezeichnen. Im allgemeinen genüge 
bei der Verwendung von 5,0 gr Formaldehyd pro Kubikmeter, was 
an Stelle der schwächeren Dosis von 2,5 gr F. jetzt für alle Fälle 
empfohlen wird, eine Einwirkung von 3 1 /, Stunden, und durch 
Erhöhung der Formaldehydmengen sowohl, als ihrer Einwirkungs¬ 
dauer steigere man die praktischen Schwierigkeiten der Desinfek¬ 
tionen in unberechtigter Weise! Sodann fordert aber Flügge für 
Desinfektionen bei Tuberkulose — wofür auch ihm die Wirksam¬ 
keit des Verfahrens ausser allem Zweifel steht, — schon immer die 
doppelte Einwirkungsdauer (also 5,0grF.und 7 Stunden) 
und für das Vorhandensein aussergewöhnlich vieler Gebrauchs¬ 
gegenstände, Matratzen, Kleidungsstücke u. dgl. einen ent¬ 
sprechenden Zuschlag von Formaldehyd bis anf die 
doppelte Menge (10,0)! 

Reichenbach verlangt dasselbe ferner für niedrige Tempe¬ 
raturen und Schwierigkeiten der Abdichtung; er schlägt vor, an¬ 
statt für alle Fälle weitergehende Vorschriften zu geben, mehr 
zu individualisieren und je nach der vorliegenden Krankheit und 
Beschaffenheit der Objekte die anznwendenden Massregeln im 
einzelnen Falle zu modifizieren, wozu allerdings ein intel¬ 
ligentes, gut geschultes Personal und eine ständige 
Ueberwachung durch besonders ansgebildete Beamte 
unerlässliche Bedingung sei! 

Man wird die Richtigkeit dieser Ueberlegungen durchaus 
zugeben müssen, und ich habe oben schon ausgesprochen, dass 
für eine grosse Zahl von Fällen eine geringere Desinfektions- 
wirkung, als die geforderte, genügend sein würde. Praktisch 
erscheinen mir aber die Vorschläge Reichenbachs zurzeit durch¬ 
aus undurchführbar, da einerseits eine Aufstellung spezieller Vor¬ 
schriften für die einzelnen Fälle mit der Tatsache zu rechnen 


') Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten; 1905, 50. Band. 



Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften. 481 

hat, dass wir von mehreren häufig in Betracht kommenden Krank¬ 
heiten (z. B. Scharlach, Masern, Pocken) die Erreger nnd ihre 
Widerstandsfähigkeit gegen Formaldehyd gamicht kennen. Ander¬ 
seits ist die Qualifikation des Personals, wenigstens 
nach den Erfahrungen der hiesigen Desinfektoren¬ 
kurse, keine derartige und seine genügende Ueber- 
wachung vielfach, namentlich auf dem Lande, vor¬ 
läufig noch zuwenig durchführbar, als dass wir dem¬ 
selben die Entscheidung über die in jedem Einzel¬ 
falle zu treffenden Massnahmen überlassen könnten. 
Die Schaffung einer festen, für ziemlich alle Fälle genügenden 
Norm, für deren Einhaltung die Desinfektoren ver¬ 
antwortlich gemacht werden können, erscheint zur Zeit 
noch notwendig, und bei ihrer Festsetzung wird man zur Er¬ 
reichung einer sicheren Wirkung sich nicht auf Massnahmen be- 
schränken können, welche nur zur Vernichtung leicht abtöt- 
barer Krankheitserreger oder für im allgemeinen der Desinfek¬ 
tion günstige Bedingungen genügen. Gerade für die Desinfek¬ 
tionen in kleinen Verhältnissen glaube ich auch nicht, dass die 
von Flügge mit einer Steigerung der Formaldehydmengen 
oder der Einwirkungsdauer bedachten Fälle zu den Ausnahmen 
gehören! Bei dem Mangel einer Dampfdesinfektion werden auf 
dem Lande reichliche Bett- und Kleidungsstücke fast die Begel 
bilden, auch andere Schwierigkeiten sehr häufig nicht zu vermeiden 
sein. Unter diesen Gesichtspunkten erscheinen mir die in den Aus¬ 
fährungsbestimmungen des Seuchengesetzes gegebenen Vorschriften 
den von Flügge vertretenen Anschauungen durchaus nicht so 
ferne zu stehen, aber vom praktischen Standpunkt aus ent¬ 
schieden brauchbarer, da sie auch unter den bestehenden, oft wenig 
idealen Verhältnissen die notwendige Sicherheit der Desinfek- 
tionswirkung garantieren. 


Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 

Gerichtliche Medizin und Psychiatrie. 

Eine neue Methode des Blutnachweises 7 Von Dr. Pallcske in 
Loitz i. P. Vierteljahrsschr. f. gerichtliche Medizin n. öffentL Sanitätswesen: 
3. Folge, XXIX, H. 2. 

Verfasser hat die Rieht ersehe Methode des Blntnachweises durch Wasser¬ 
stoffsuperoxyd einer Nachprüfung unterworfen; Richter gibt bekanntlich an, 
daß Blut mit HtOi gemischt das letztere unter Bildung von Schaum und Wärme 
zersetze. Die Nachprüfung ergab die Richtigkeit dieser Angaben im weitesten 
Umfange für Blut jeglicher Herkunft, von Mensch nnd Tier, — aber auch nur 
dies, während der Methode eine elektiye Bedeutung nicht zukommt. Die Re¬ 
aktion, geprüft an zunehmenden Verdünnungen von Blut mit Wasser, ergab 
positiTes Resultat bis zu 1 Tropfen Blut in 1500 g Wasser, wenn die Verdün¬ 
nung vorsichtig mit H*0* nnterscbichtet wnrde. Auch altes, angetrocknetes 
Blut reagierte positiv, wie ein Versuch mit dem trocknen Fleisch einer seit 
SO Jahren konservierten Schildkröte bewies; desgleichen Proben von Blut auf 
Leinwand, auch wenn dasselbe dnreh Kochen oder Fäulnis verändert war. 
Mundenmnskolatur ergab undeutlich -f- Resultat. Alkalisiertes Blnt reagierte 
+, augesinertes —. Speichel, Urin und Milch —, Serum -J-. 

Speziell für die gerichtliche Medizin kommt es oft darauf an, Blutflecken 
auf den verschiedensten Unterlagen nachzuweisen; dies gelingt in leichtester 



488 


Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften. 


Weise durch Betupfen oder Begießen mit HiOs, indem die Entstehung von 
weißen Gischtmassen die Anwesenheit von Blut erweist. Durch Anwendung 
des Sprayapparates gelingt nach den Angaben des Verfassers dieser Nachweis 
besonders bequem und mit größter Schonung der Blutpunkte. Erhitztes Blut 
(auf Holz und Eisen) zeigt Abnahme der katalytischen Fähigkeit. Die Gültig* 
keit der Methode wird etwas eingeschränkt durch die katalytische Fähigkeit 
gewisser Substanzen, wie Erde, sowie gewisser Metalle und Metalloxyde in Pulver¬ 
form; doch ist in diesen Fällen ein auffallender Unterschied in der Energie 
der Zerlegung des H»0» bemerkenswert. Blutähnliche Stoffe, wie Kochenille 
und Rotwein reagierten negativ. Die Versuche wurden mit frisch bereiteter 
3°/oiger Lösung von Hydrogepium peroxydatum Merck angestellt. 

Das Fazit der Untersuchungen des Verfassers ist: Das Wasserstoff* 
Superoxyd ist für die Untersuchung auf Blut für gerichtlich-medizinische 
Zwecke der Guajakprobe gleichwertig; gleich dieser ist der negative Ausfall 
der Probe für die Abwesenheit von Blut beweisend, während der positive Aus¬ 
fall das Vorhandensein von Blut wahrscheinlich macht, unter Berücksichtigung 
der oben gemachten Einschränkungen. Die Methode ist bequemer als die mit 
Gnajak; sie ermöglicht die leichte Aufspürung von vermuteten, aber schwer 
oder gar nicht sichtbaren Blutspuren. Autoreferat. 


Der gerichtsärztliche Nachweis des Todes durch Ertrinken. Von 
Dr. Revenstorf in Hamburg. AerztL Sachverst.-Ztg.; 1906, Nr. 6. 

Autor hat die Brusthöhlenflüssigkeiten von Leichen Erhängter unter¬ 
sucht, denen Leitungswasscr durch die Trachealkanüle eingegossen war. Die 
Leichen hatten sich mit einer Ausnahme in aufrechter Stellung befunden. 
Oedema aquosum in der Lunge kann durch die mit den terminalen Atemzügen 
aspirierte Ertränkungsflüssigkeit erzeugt oder an der Leiche zustande gekommen 
sein. Eine Trennung dieser beiden Möglichkeiten ist mit Hülfe des kryosko¬ 
pischen Lungenbefundes allein nicht durchzuführen. 

Als wichtigsten Befund unter seinen Resultaten hebt Revenstorf 
hervor, daß die Blutverdünnung kein sicheres Zeichen des Ertrinkungstodes 
ist. Dieses Ergebnis steht im strikten Gegensatz zu der bisherigen Anwihm*, 
daß es sich beim Uebertritt von Wasser ins Blut stets um einen vitalen Vor¬ 
gang handle. Die Versuche lehren ferner, daß eine Blutverdünnung, die sich 
auf den Inhalt des Arteriensystems beschränkt, außer durch den Submersions- 
vorgang auch an der Leiche erzeugt sein kann. Postmortal in die Luftwege 
gelangte Flüssigkeit verdünnt, wenn sie überhaupt in den Gefäßinhalt eintritt, 
nur das Blut des linken Herzens und der Arterien. Dieses Versuchsergebnis 
beruht auf einer gesetzmäßigen Leichenerscheinung. 

Für die forensische Diagnostik bemerkt Autor im einzelnen folgendes: 
Der Uebertritt vom Ertränkungsmedium in das noch kreisende Blut führt zu 
einer Verdünnung der gesamten Blutmasse, der Uebertritt in den Gefäßinhalt 
der Lungenkapillaren nach Sistirung der Zirkulation nur zu einer Verdünnung 
des Arterienblutes, d. b. des Inhaltes derjenigen Gefäßabschnitte, mit welchen 
das verdünnte Blut in Diffusionsaustausch tritt. Ist außer dem Arterienblut, 
wenn auch stets in geringerem Grade, das Venenblut verdünnt, so handelt es 
sich um Ertränkungsflüssigkeit, die während des Submersionsvorganges, d. h. 
vital in die Luftwege eindrang. Große Unterschiede in der Blutkomposition 
des rechten und linken Herzens angeblich Ertrunkener, deren Venenblut nicht 
verdünnt ist, sprechen für den Uebertritt der Ertränkungsflüssigkeit in das 
nicht mehr fließende Blut. 

Das kryoskopische Ergebnis liefert nur in wenigen Fällen einen sicheren 
Hinweis auf den Vorgang des Ertrinkens, hier muß noch die Verteilung des 
Planktons in der Lunge berücksichtigt werden. Das vom Ertrinkenden ein¬ 
geatmete Wasser verteilt sieb, dem Inspirationsstrom folgend, in der ganzes 
Lunge. Das postmortal eindringende Ertränkungsmedium wird entweder an- 
gesogen oder in die Luftwege gewaltsam hineingepreßt; seine Verteilung 
ergibt sich nach den Gesetzen der Schwere. Die gleichmäßige Verteilung der 
suspendierten Bestandteile der Erstickungsflüssigkeit über das gesamte Lungen¬ 
gewebe ist nach Revenstorfs Erfahrung eins dor sichersten Zeichen des 



Kleinere Mitteilangen and Referate ans Zeitschriften. 


483 


vitalen Kindringens deeseiben, praktisch von gr&ßter Bedeutung, da die ge¬ 
wöhnlichen Ertr&nkangsmedien durchweg verunreinigt sind. 

_ Dr. T roe ge r-Adelnaa. 


Weiterer Beitrag zar gerichtsärztlichen Diagnostik des Ertrinkungs¬ 
todes. Von Dr. Revenstorf in Hambarg. Münchener mediz. Wochenschr.; 
190b, Nr. 11/12. 

Verfasser berichtet in längeren Ausführungen über die Resultate seiner 
Untersuchungen über ein bisher nicht verwertetes Begleitphänomen des Er* 
trinkungsvorgangea: den Farbstoff aastritt infolge Einwirkung 
des Ertränk an gsmediums auf die roten Blatscheiben, and faßt die 
für die geriehtaärztliche Praxis verwertbaren Ergebnisse in folgende Schloß* 
sitze zusammen: 

1. Hämolyse des Leichenblutes tritt in den ersten Tagen post mortem 
weder auf Grand physikalischer Einflüsse (Veränderung der Zusammensetzung 
des Gefäß in haltcs), noch als Folge autolytischer Prozesso auf; der Farbstoff* 
ustritt wird vielmehr durch Bakterientätigkeit, <L h. durch die Fäulnis bewirkt. 
Die Leichenhämolyso ist eines der frühesten, makroskopisch sichtbaren Zeichen 
der eingetretenen Fäulnis. 

2. Durch die Leichenfäulnis wird das Blut der Pfortader am intensivsten 
hämolysiert, weniger intensiv das Blat des rechten Herzens and seiner za* 
fhhrenden Gefäße, am wenigsten stark das Blut das linken Herzens and des 
Arteriensystems. 

8. Gelangen auf dem Wege der Luftkanäle eindringende anisotonische 
Flüssigkeiten innerhalb der Kapillaren oder im Lungengowebe (Ekchymosen) 
io imige Berührung mit den Blutkörpern, so werden — vorausgesetzt, daß 
äse hinreichende Konzentrationsdifferenz der Suspensionsflüssigkeit von dem 
Körperinhalt erzeugt wird — die betroffenen Blutkörper aufgelöst: Erträn- 
kugshimolyse. 

4. Die Ertränkongshämolyse des Gefäßinhaltes ist im Gegensatz zu der 
gewöhnlichen Leichenhämolyse dadurch ebarakterisirt, daß das Serum des 
linken Herzens einen intensiveren Hämolysierungsgrad besitzt als das Serum 
Oes rechten. 

5. Langengewebesaft, Pleuratranssudat und Perikardialflüssigkeit, die kein 
gelöstes Hb enthalten, sind frei von Beimengungen des Ertränkungsmediums. 

6. Oedema aquosum besitzt stets ein Hb-haltiges Serum. Farbloses 
Serum erweist das Vorliegen echten Lungenödems. 

7. Die Ertränkung8hämolyBe ist ein qualitatives Kennzeichen des Er- 
triakungstodes, das die übrigen physikalischen Methoden des Nachweises von 
Ertrinkungsflüssigkeit im Blute an Schärfe übertrifft. 

8. Fehlender Farbstoffaustritt im Pfortaderinhalt neben vorhandener Er¬ 

trinkungshämolyse des Herzblutes ist 'ein sicheres Merkmal, daß die Erträn- 
kngsflüssigkeit erst nach dem Aufhören der Blutbewegung in den Herzinhalt 
diffundierte. _ Dr. W a i b e 1 - Kempten. 


Ueber akute Phosphervergiftung vom gerlchtsärztllchen Standpunkt. 
Von Dr. Klix. Friedreichs BL f. gerichtl. Medizin; 1904 a. 1906, 65. a. 
66. Jahrgang. 

Icterus and Erbrechen sind fast nie fehlende Anfangserscheinangen. 
Für eine große Anzahl von Fällen ist eine vorübergehende Besserang während des 
zweiten und dritten Tages charakteristisch. Von den gewöhnlich während des 
Lebens beobachteten Krankheitserscheinungen ist die rasch zunehmende Ver¬ 
größerung der Leber die wichtigste. Wo bei der Obduktion eine ikterische 
Fettleber im Verein mit den übrigen Organveränderungen gefunden wird, kann, 
■amentlich wenn auch die Krankhoitscrscheinungen während des Lebens ent¬ 
sprechende waren, die Diagnose einer Phosphorvergiftung gestellt werden, selbst 
wenn jede Stütze im Ergebnisse der chemischen Analyse fehlt. Es gibt aber 
•ach eine akute Atrophie nach Phosphoreinwirkung, welche von der gewöhn¬ 
lichen akuten Leberatrophie durch kein an sich ausschlaggebendes Merkmal 
zu unterscheiden ist. In den seltenen Fällen mit ganz akutem Verlauf wird 
dto Diagnose bei negativem Ergebnis der chemischen Analyse and dor amt¬ 
lichen Erhebungen nur mit Wahrscheinlichkeit zu stellen sein. Von anderen 



484 


Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften. 


Vergütungen bieten das der Phosphorver gif tun g ähnlichste Bild die nach den 
Genosse von Schwämmchen auftretenden Intoxikationenj bei welchen indessen 
die Gastroadenitis bisher vermißt wurde und die klinischen Erscheinungen 
meist erhebliche Unterschiede zeigen. Dr. Hump-Osnabrück. 


Ueber einen Todesfall nach Anwendung der offizinellen Borsalbe 
bei einer Brandwunde. Von Dr. Dopfer in Wasseralfingen. Münchener 
mediz. Wochenschr.; 1905, Nr. 16. 

Ein zweijähriges Kind hatte sich durch Uebergießen mit heißer Milch 
eine Brandwunde am rechten Vorderarm zugezogen, welche zuerst mit Mohnöl 
und dann nach Verfassers Anordnung mit der offizinellen Borsalbe (Ung. addi 
borici) in der Weise bedeckt wurde, daß man täglich einmal ein mit der 
Salbe bestrichenes Leinwandstück auf die Wunde legte. 4 Tage später meldete 
der Vater des Kindes dem Verfasser, daß das Kind bald, d. h. einige Stunden 
nach dem Auflegen der verordneten Salbe am ganzen Körper, zuerst am Bücken 
und an den Oberschenkeln eine Art „Scharlachfriesel“ bekommen habe and 
zugleich an Erbrechen und Diarrhoe, Apathie und Schläfrigkeit usw. schwer 
erkrankt sei. Verfasser fand bei dem Besuche des Kindes an der Beugeseite 
des rechten Vorderarmes eine vom Handgelenke gegen die Ellenbeuge sich 
hinziehende, 12 cm lange und 3 cm breite Brandwunde, von der sich die obere 
Epidermisschicht offenbar in Blasen abgehoben hatte. Es waren an den Wund¬ 
rändern nur mehr einige Epidermisfctzen sichtbar, das Bete Malphighi lag als 
eine dunkelrote, glatte, teils feucht glänzende, teils schon getrocknete Fläche 
zutage, darauf kleine Salbenreste, kein Eiter und keine sonstige entzündliche 
Beaktion. Die übrige Körperfläche war, mit Ausnahme des Gesichts und der 
behaarten Kopfhaut, mit einem scharlachähnlichen Exanthem vollständig be¬ 
deckt, das an den Händen und Füßen bläulich-schwarze Verfärbung und 
petechienartiges Aussehen zeigte. Temperatur in recto = 86,1; an Mund* 
und Bachenschleimhaut nichts Krankhaftes; Herz und Lungen normal, Urin¬ 
untersuchung nicht möglich. Das Kind schien bei raschem Kräfteverfall und 
bei ziemlich freiem Sensorium moribund und starb */* Stunde später, also am 
4. Tage nach Anwendung der Borsalbe. Von der Borsalbe waren 100 g auf¬ 
geschrieben und ca. 80 g aufgebraucht. Die Sektion wurde mit Ausnahme 
des Kopfes gestattet und ergab 24 Stunden p. m. völlig negativen Befund. 

Epikritisch bemerkt Verfasser, daß die Brandwunde als solche weder 
nach ihrer Ausbreitung, noch nach ihrer Intensität (Verbrennung 1.—2. Grades) 
geeignet war, das Leben zu bedrohen. Septische Infektion, Erysipel und 
Scharlach konnten ausgeschlossen werden, und so mußte man anf dem Wege 
der Exklusion zur Annahme einer Intoxikation kommen. Obwohl die Borsäure 
im allgemeinen als ungefährlich gilt, wenigstens bei äußerlichem Gebrauch, 
findet man in der Literatur (so bei Lew in) doch einzelne seltene Fälle, in denen 
z. B. bei Ausspülungen von Körperhöhlen mit konzentrierten Lösungen In¬ 
toxikationssymptome mit Erbrechen, Pnlsschwäche, ausgebreitetem Exanthem, 
Singultus und letalem Ausgange beobachtet wurden. Bei anderen, tödlich 
endigenden Borsäureintoxikationen, darunter ein Fall, der infolge Aufstreuens 
von Borsäure auf eine Wunde letal verlief, traten gleichfalls Exantheme nnd 
Petechien auf. Die Sektion ergab in zwei Fällen bei dem einen Schwellung 
der Leber und Milz sowie Erosionen im Magen, bei dem anderen negativen 
Befund. Ob im vorliegenden Falle individuelle Intoleranz gegen Borsänro 
(Idiosynkrasie) anzunehmen sei, läßt Verfasser dahingestellt. Jedenfalls er¬ 
scheint dem Verfasser die Anwendung der offizinellen Borsalbe bei frischen 
Brandwunden von größerer Ausdehnung, ehe sich nicht eine schützende Granu- 
lationsdecke gebildet hat, nicht harmlos und wenigstens bei Kindern nicht 
ungefährlich; sie kann unter Umständen tödliche Vergiftung bewirken. 

Dr. W a i b e 1- Kempten. 


Innere Verletzungen. Von Dr. H. Hoffmann, Königl. Gcrichtsarzt 
in Berlin. Vierteljahrsschr. f. gerichtliche Medizin u. öffentl. Sanitätswesen; 
3. Folge, XXIX, H. 2. 

H. zählt 14 interessante Fälle auf, die, fast ohne jede äußere Ver¬ 
letzung, schwere, tötlich endende innere Verletzungen aufweisen. 



Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften. 


436 


Der Zweck der Veröffentlichung ist der, darauf aufmerksam zu machen, 
wie selten die hofiere Verletzung der inneren zu entsprechen braucht 

Selbstverständlich sind die inneren Verletzungen nicht immer so erheb- 
liehe; es kann sich aber häufiger, als wir denken, ereignen, daß der 
begutachtende Arzt Schmerzen, Beschwerden des Untersuchten für simuliert 
oder übertrieben hält, die doch auf kleineren, nicht nachweisbaren inneren 
Verletzungen beruhen. _ Autoreferat. 


Ein Beitrag mir Lehre von den feineren Gehlrnverinderungen nach 
ScHdeltraumen. Von Prof. Dr. N. Din kl er, Oberarzt am Luisenhospital 
in Aachen. Archiv für Psychiatrie ; 89. Bd., 2. H., 1905. 

Nach einem Sturze gegen eine Mauerkante mit nachfolgender kurzer 
Bewufitlo8igkeit und glatter Heilung einer unbedeutenden Wunde trat bei 
einem stets gesunden Manne eine zunehmende Verblödung ein, mit Symptomen 
kindisch-albernen Wesens, hochgradigem Verluste des Erinnerungsvermögens 
and Unsauberkeit. Die Obduktion ergab besonders im Großhirn zahlreiche 
Stecknadelknopf- bis bohnengroße Höhlen, die z. T. mit seröser Flüssigkeit 
gefüllt waren, ferner einen Erweichungsherd, Erweiterung der Ventrikel. Mi¬ 
kroskopisch fand sich Veränderung an den Gefäßen, vielfach Untergang von 
Ganglienzellen und Anhäufung roter Blutkörperchen als Ausdruck feiner Blu¬ 
tungen. Verf. rechnet seinen Fall in die Gruppe von Störungen, dio französische 
Autoren als foyers lacunaires de d6sint6gration bezeichnen. Die Befunde sind 
aa einer Reihe lehrreicher Abbildungen dargestellt. Dio interessante Beob¬ 
achtung sollte immer wieder aur Vorsicht in der Annahme der Simulation bei 
scheinbar leichten Kopftraumen mahnen. Dr. Pollitz-Münster. 


Aus der Begutachtung Marine - Angehöriger. Von Prot Dr. E. M ey e r 
in Königsberg. Aus der Klinik des Geh. Med.-Rat Prot Dr. Siemerling in 
Kiel Archiv für Psychiatrie; 39. Bd., 2. H. 

Verfasser gibt eine sehr lehrreiche Kasuistik von 18 Begutachtungen 
Ton Karinesoldaten, die in der Kieler Klinik beobachtet worden waren. Ein¬ 
seines sei daraus hervorgehoben: Im zweiten Falle trat bei einem bisher 
braachbaren Soldaten eine zunehmende Vernachlässigung in seinem Dienste, 
Unbotmäfiigkeit, allgemeine geistige Leistungsunfähigkeit mit Andeutung von 
Beeinträchtigungsideen hervor, die als Symptome einer beginnenden Hebephrenie 
zu deuten waren. Die Unfähigkeit solcher Kranker, sich den militärischen 
Verhältnissen einzuordnen, ihr oft albernes, läppisches Wesen verführt ebenso 
leicht zu Mißhandlungen und gehäuften Bestrafungen, wie anderseits zur An- 
aahme der Simulation. Wesentlich einfacher lag der Fall eines Fahnenflüch¬ 
tigen, der bei seiner Einstellung ausgesprochene Zeichen angeborenen Schwach¬ 
sinns darbot. In einem andern (sechsten) Falle bestand dieser letztere im 
Verein mit hochgradiger, unmotivierter Erregbarkeit; die Handlungen selbst 
waren z. T. im Zustande eines pathologischen Rausches begangen worden. 
Der Kranke war in direkter Linie schwer belastet und hatte früher ein erheb¬ 
liches Kopftrauma durchgemacht. In einem siebenten Fall bestand hochgradige 
Affekterregbarkeit unter Hervortreten hysterischer Symptome. Referent hält 
es für ebenso wahrscheinlich, daß es sich um einen hebephrenen Prozeß ge¬ 
handelt habe. Von großem Interesse ist ein eingehend mitgeteilter Fall von an¬ 
geborenem Schwachsinn, der sich vorzüglich in unstätcr Lebensführung, Ueber- 
xhätzung der eigenen Leistungsfähigkeit und Kritiklosigkeit, Lügenhaftigkeit 
uad triebartigen Handlungen bei leidlichen Schulkenntnissen äußerte. Mehrere 
Beobachtungen beziehen sich auf Hysterische, die in der Marine nicht ganz 
selten zu sein scheinen, während nur zwei Fälle von Epilepsie erwähnt werden. 
Den epileptischen Dämmerzuständen sind manche Fälle des pathologischen 
Bausches nahe verwandt. Verfasser teilt vier derartige Beobachtungen mit, 
Ton denen sich zwei auf Sittlichkeitsverbrechen seitens junger Fähnriche be¬ 
ziehen; beide waren stark belastet. In beiden Fällen hatte sich der Rausch¬ 
zustand durch eine veränderte Bewußtseinslage bei äußerlich geordnetem Ver¬ 
halten geäußert, so daß, wie Verfasser mitteilt, den Gerichten nur schwer die 
Uebeneugung von dem Krankhaften des Zustandes beizubringen war. In vier 
weiteren Beobachtungen war eine ausgesprochene Geistesstörung nicht nach¬ 
zuweisen, drei davon boten bemerkenswerte nervöse Symptome, z. T. hyste- 



486 


"Kleinere Mitteilungen nnd Referate ans Zeitschriften. 


rischen Charakters; nur in einem von all seinen Fällen, das erscheint der Erwäh¬ 
nung wert, hält der Verfasser eine Simulation für möglich, ohne sie jedoch 
bestimmt anzunehmen. Dr. Pollitz-Münster. 


Znr Geschichte und Kritik der sogenannten psychischen Zwangs« 
anstände. Von Br. Wolfgang Warda, ding. Arzt der Heilanstalt Villa 
Emilia in Blankenburg L/Th. Ebenda; 1. u. 2. H. 

Warda zeigt in einer umfangreichen historischen Einleitung ein Bild 
der geschichtlichen Entwicklung der Lehre von den psychischen Zwangszu¬ 
ständen. Die erste Schilderung des Dälire du toucher findet sich unter der 
Bezeichnung Monomanie raisonnante bei Esquirol, der den Kampf des 
Kranken gegen seine Vorstellungen und die Einsicht fttr deren Absurdität 
richtig hervorhebt. Später gab Baillarges diesen Zuständen die Bezeichnung 
Monomanie avec conscience, ein anderer Autor nennt sie Monomanie intellec- 
tuelle. Als wohl charakterisiertes Krankheitsbild findet sie sich bei F a 1 r e t 
und Legrand du Säule, die den Namen Maladie du doute avec le dälire 
du toucher einführen; weitere Fortschritte machte die Lehre unter der Ein¬ 
wirkung Legrands, besonders Krafft-Ebings, der zuerst den Ausdruck 
Zwangsvorstellungen brauchte, Griesingers und vorzüglich Westphals, 
nachdem letzterer versucht hatte, diese Zustände als abortive Verrückt¬ 
heit von der eigentlichen Verrücktheit abzutrennen. Für die weitere For¬ 
schung genügt aber die von Westphal gegebene Definition und klinische 
Abgrenzung nicht mehr. Verfasser hält die Erklärung Freuds für die glück¬ 
lichste, nach der die Zwangsvorstellungen Jedes Mal verwandelte, aus 
der Verdrängung wiederkehrende Vorwürfe sind, die sich imm er auf eine 
sexuelle, mit Lust ausgeführte Aktion der Kinderzeit beziehen“. In erster 
Linie sind es also stets Selbstanklagen oder Mißtrauen in sich selbst, die stets 
rudimentär in den Zwangszuständen nachweisbar sind. Verf. gibt seiner¬ 
seits eine weitläufige Definition, die aber nichts wesentlich Neues enthält. 
Weiterhin beschäftigt er sich mit den Formen des Zwangsaffektes der Phobien 
oder der Versuchungsangst, die durch zahlreiche Beobachtungen erläutert wird, 
dem impulsiven Irresein, dessen nahe Verwandtschaft zu ersterer Form beson¬ 
ders betont wird, während das affektlose Zwangsdenken als ein Symptom der 
geistigen Erschöpfung betrachtet wird. Die sexuellen Psychopathien Krafft- 
Ebings scheidet der Verfasser dagegen aus dem Bilde der Zwangsneurose 
ganz aus. _ Dr. Pollitz-Münster. 


Die Unterschrift der Paralytiker. Von Dr. Feil eben fei d-Berlin. 
Aerztl. Sachverst.-Ztg.; 1905, Nr. 6. 

Für die Lebensversicherungen erlangt die Unterschrift der Paralytiker 
eine besondere Bedeutung, wenn Schriftstörungen als frühzeitige Erscheinung 
beobachtet werden, namentlich zu einer Zeit, da andere Symptome noch fehlen. 

Auf Grund des Materials einer Lcbensversicherungsgesellschaft kommt 
Feilchenfeld zu dem Resultat, daß häufig schon frühzeitig in der Schrift 
Zeichen der beginnenden Paralyse zu beobachten sind. Um diese zu erkennen, 
macht F. den Vorschlag, daß der Versichernde außer seinem Namen, da 
letzterer meistens noch bei vorstehender Erkrankung gut geschrieben wird, 
auch noch die Straße und Nummer seiner Wohnung hinzufüge. 

Dr. Troeger-Neidenburg. 


Beiträge nur Lehre von der Epilepsie. Von Dr. J. Finkh, I. Assi¬ 
stenzarzt der psychiatrischen Klinik zu Tübingen. Archiv für Psychiatrie; 
39. Bd., 2. H. 

Verfasser behandelt das Gebiet der Epilepsie unter Verwertung von 
250 Beobachtungen der Tübinger Klinik und einer u m fassenden Literatur. 
Bekannt ist die Bedeutung der erblichen Belastung für den Ausbruch der 
Epilepsie; nach Verfasser ist sie in '/« der Fälle nachweisbar. Die Häufigkeit 
von Aura-Zuständen beim Beginn des Anfalls wird verschieden hoch ange¬ 
geben, von einzelnen Autoren bis 76 0 /o, in den Fällen des Verfassers bei 87,8 °/o 
von genuiner Epilepsie. Unter den epileptischen Zuständen verdienen die perio¬ 
dischen Anfälle von gereizter Verstimmung ohne Bewußtseinstrübung, ferner 



Besprechungen. 


437 


der periodische Wandertrieb ein besonderes Interesse; hierher gehören auch 
unmotiviert aaltretende Watanfälle, die nicht selten mit tiefem Schlaf, wie 
epileptische Krampfanfälle, abschließen, and isoliertes Aaftreten von Halluzi- 
nationen, besonders des Gesichtssinns. In 44°/o seiner Fälle nimmt Verfasser 
eine traumatische Epilepsie an, deren Charakter meist recht schwer ist. In 
einem großen Teil der Fälle stellen sich psychische Störungen und Demenz ein. 
Als Spätepilepsie läßt Verfasser diejenigen Fälle gelten, in denen die epilep¬ 
tischen Symptome zaerst nach dem 25. Lebensjahre aaftreten; ihr Verlaaf ist 
im allgemeinen milder, in einen Teil der Fälle spielt ätiologisch die Arterio¬ 
sklerose eine Bolle. Dr. Pollitz-Münster. 


Ein Beitrag zur Paranoiafrage. Von Dr. Siefert in Halle a./8. 
Ans der psychiatrischen and Nervenklinik in Halle (vorm. Prof. Dr. Hitzig). 
Ebenda; H. 2. 

Der sehr instruktive Fall einer langsam fortschreitenden Paranoia wird 
mitgeteilt, deren erste Symptome sich als reine hypochondrische Depression 
mit allmählich hinzatretenden melancholischen Elementen darstellte. Ans 
diesem ersten Znstandsbilde ging unter Aaftreten von Halluzinationen und 
phantastischen Wahnideen ein „sekundär - paranoischer 4 Prozeß hervor. Veii. 
weist auf die Schwierigkeiten der Diagnose und besonders der anfangs anschei¬ 
nend günstigen Prognose hin; er knüpft an die klinische Seite seines Falles 
eine Seihe interessanter Betrachtungen über die Beziehungen zwischen Paranoia 
und Melancholie, die er als „total differente psychische Prozesse“ aufgefaßt 
wissen wilL Damit fällt auch der von einzelnen Autoren immer wieder auf¬ 
gestellte Begriff der sekundären Paranoia. Dr. Pollitz-Münster. 


Besprechungen. 

Br. J. Bambonaek, Sanitätskonzipist bei der Landesregierung in Klagenfurt: 
Luftverunreinigung und Ventilation mit besonderer Rtloksioht 
auf Industrie und Gewerbe. Mit 48 Abbildungen und einer Tafel. 
Verlag von A. Hartleben, Leipzig, G. 8°, 251 S. 

Das vorliegende Werk erörtert einleitend die theoretischen Fragen der 
Vatilation und daran anschließend die Art der Luftverunreinigung im Gewebe 
«ad den Schutz gegen diese Schädlichkeit unter besonderer Berücksichtigung 
der Großindustrie, speziell der Metallbearbeitung, der Phosphorindustrie, der 
chemischen Großindustrie, der Textilindustrie und der Holzbearbeitung. Das 
gesamte Material ist systematisch angeordnet und erleichtert die Orientierung 
aber einschlägige Fragen. _ Dr. Boepke-Melsungen. 

Br. Theodor Woyl- Berlin: Handbuch der Hygiene. IV. Supplement¬ 
band. Soziale Hygiene. Verlag von Gustav Fischer. Jena 1904. 
G. 8* 1062 S. 

Der vierte Supplementband des W eyIschen Handbuches behandelt die 
„soziale Hygiene“, die in ihren Anfängen bis auf die Naturvölker zurückgreift 
uad in unserer heutigen Zeit eine Erweiterung und inhaltliche Vertiefung an¬ 
genommen hat, wie sie uns durch die im vorliegenden Werk behandelten 
Themen vollständig und sachlich geboten wird. Die einzelnen von bekannten 
Antoren bearbeiteten Abschnitte betreffen: „Assanierung und Abwehr 
gemeingefährlicher Krankheiten* (Dr. Th. Weyl); Alkoholis- 
mns“ (A. Grotjahn); „Nahrungswesen“ (Dr. P. Mombert); „Armen¬ 
wesen* (Dr. Buchl); „Wohnungswesen“ (Dr. B. Eberstadt-Berlin);, 
„Fürsorge für Säuglinge“ (Privatdozent Dr. H. Finkelstein -Berlin); 
„soziale Fürsorge für Kinder im schulpflichtigen Alter“ (Dr. 
Sehmid-Monnard-Halle a. S. und Prof. Dr. A. Hartmann-Berlin);. 
„Fürsorge für die schulentlassene Jugend (Hans Sack, ordenü. 
Lehrer in Berlin); „Arbeiterschutz“ (Prof, nnd Geh. Beg.-Bat K. Hart¬ 
mann-Berlin); „W ohlfahrtseinrichtungen für Arbeiter und deren 
Familien (Stadtrat Fl es ch-Frankfurt a./M.); „Krieg und Frieden“ 
(Stabsarzt Dr. G. Schwiening in Berlin); „soziale Hygiene und Ent- 



488 


Besprechungen. 


&rtungsprobleme(A. Grotjahn) and das Schlußkapitel »zur Geschichte 
der sozialen Hygiene aus der Feder des Herausgebers". Die 
Fülle des behandelten Stoffes läßt an dieser Stelle eine eingehendere Be¬ 
sprechung nicht zn. Es genüge deshalb der Hinweis, daß die Wey Ische so¬ 
ziale Hygiene einzig in ihrer Art dasteht und zu einer Zeit ganz besondere 
Beachtung seitens der Aerzte, Verwaltungsbeamten, Volkswirte und aller 
sozialhuman denkender Männer verdient, in der man die Errichtung eines 
Volkswohlfahrtsamtes an zentralerstelle gemäß des DouglasschenAntrages 
mit allgemeiner Zustimmung aufgenommen hat Bpd. 


Dr. B. Wehm er, Heg.- und Geh. Med.-Bat in Berlin: Bnsyklopldinohes 
Handbuch der Hygiene. Unter Mitarbeit von Prof. T. W. Büsing, 
Prof. K r o 11 i c k und vieler anderer hervorragender Fachmänner. Mit 439 Ab¬ 
bildungen. Leipzig und Wien 1904. Verlag von A. Pichlers Witwe and 
Sohn. Gr. 8°, 1056 S. Preis: geh. 25 Mk., in Leinwand gebunden 27 ML 
Nunmehr liegt das ganze Werk vor, auf das bereits nach Erscheinen 
der ersten Abteilung im Jahrgang 1903, Seite 774 dieser Zeitschrift ausführ¬ 
licher hingewiesen worden ist. Auch die vorliegende II. Abteilung rechtfertigt 
nach Auswahl und Behandlung des Stoffes vollkommen unser früheres 
günstiges Urteil, die vorzüglichen Abbildungen sind sogar verhältnismäßig noch 
viel zahlreicher als in der I. Abteilung. Um den Lesern auch eine rasche 
Orientierung über kleinere Einzelfragen zu ermöglichen, sind ein ausführliches 
Sachregister von Einzelworten sowie ein nach Gruppen geordnetes Artikel¬ 
verzeichnis am Schlüsse des Werkes beigegeben. Möchte der Wunsch des 
Herausgebers in Erfüllung gehen und „das Buch mit seinen in manchen Dingen 

f anz neuen und eigenartigen Anregungen vor allem der heranwachsenden Jugend 
egen bringen". _ Bpd. 


Dr. Adolf IiOMor, Professor in Breslau: Stereoskopischer gerichts- 
ftrmtlioher Atlas. Vierte Abteilung, Tafel 151—200. Breslau 1905. 
Schlesische Verlagsanstalt von S. Schottländer. Preis: 15 Mark. 

Die vierte Abteilung des vorzüglichen Atlanten umfaßt die in forensi¬ 
scher Hinsicht interessanten Verletzungen am Schädel infolge von Traumes 
und Geburtsvorgängen (Tafel 151—156), Lungenbefunde bei Totgeborenen besw. 
nach der Geburt Verstorbenen (157—159), Geburtsgeschwülste (160), ferner die 
nach Aetzungcn und Vergiftungen entstehenden Veränderungen der äußeres 
Haut des Mundes, der Speiseröhre, des Magens der eineinen Darmabschnitte, 
der Blase und des Herzens (161—185), schließlich dio Hautverbrennungen, Ver¬ 
änderungen durch postmortale Hitzeeinwirkung und sonstige Leichenbefunde 
(186—200). Die Bilder sind scharf charakteristisch und in hervorragendem 
Maße geeignet, in gerichtsärztlich wichtigen und schwierigen Fragen aufklärend 
und belehrend zu wirken. _ Bpd. 


Friodrloh Deu&uer : Röntgenologisches Hilfsbach. Mit 32 Ab¬ 
bildungen. A. Stübers Verlag. Würzburg 1905. Gr. 8°, 185 Seiten. 
Preis: brosch. 8,50 M., geb. 4,20 M. 

Das vorliegende Werk enthält eine Sammlung von Abhandlungen selbst¬ 
ständigen Inhalts, die der Verfasser aus seiner Tätigkeit in den bekannten 
Aschaffonburger Röntgcnkursen heraus geschrieben hat. Das erste Kapitel 
über den gegenwärtigen Stand des Böntgenverfahrens ist geeignet, Lücken 
physikalisch-technischer Natur in der Praxis des Röntgenopraphen aaszugleichen. 
Auch die technischen Erörterungen und Urteile über Röntgenröhren, Blende- 
verfahren, Stromquellen, Unterbrecher, Funkenlänge und dergl. mehr sind für 
den Mediziner, der den Gang am Röntgenapparat nicht nur mechanisch, sondern 
mit Einsicht beeinflussen will, sehr wertvolL Ein Anhang behandelt in knapper 
Form das Thema „Radioaktivität und Naturanschauung." Der Text wird durch 
32 Abbildungen erläutert. _ Dr. Boepke-Melsungen. 

Dr. Alexander Ctarwitaoh, Privatdozent der Anatomie in Bern: Morpho¬ 
logie and Biologie der Zelle. Mit 23 Abbildungen im Text. Gr. 8', 
437 S. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Preis: 9 Mk., geb. 10 ML 
G.s Werk schildert in einer auch bei bescheidenen biologischen Kennt- 



Kleinere Mitteilungen nnd Referate ans Zeitschriften. 


489 


nissen verständlichen Weise die Zelle als solche nnd ihr Eigenleben. Die Dar¬ 
stellung des Zelllebens zerfällt in die Schilderung seiner biologischen Elemente: 
I. «Statik and Dynamik der Zelle"; II. „stoffliche Tätigkeit der Zelle"; 
IU. «Fortpflanzung der Zelle" und in die Betrachtung der „Zelle als Organta- 
mns nnd Individuum“. Zahlreiche und instruktive Abbildungen erläutern den 
Text, dem Literaturverzeichnis, Sach- und Autorenregister angefügt sind. 

Dr. R o e p k e • Melsungen. 


Tagesnachrichten. 

Unter dem Vorsitz der Obermedizinalräte Prof. Dr. v. Orasshey und 
Prof. Dr. v. Bollinge r hat sich jetzt auch ein bayerisches Landeskomitee 
für Krebsforschung konstituiert. Als Schriftführer fungiert Dr. Kolb- München. 


In der am 17. Juni d. J. im Preußischen Kultusministerium abgehaltenen 
Generalversammlung des Zentralkomitees für ärztliches Fortbildungswesen 
in Prenssen erklärte Ministerialdirektor Alt hoff betreffs der Akademien 
für praktische Medizin, daß die Regierung kein Interesse an der Gründung 
weiterer Akademien habe, bevor nicht an der Cölner und Düsseldorfer Akademie 
genügende Erfahrungen gesammelt worden seien. Auch nachdem dies geschehen, 
wurden weitere Akademien nur im Einverständnis mit den ärztlichen Standes- 
vertretongen eingerichtet werden. Die Regierung wünsche eine ausreichende 
Besoldung der Professoren und im Interesse der praktischen Aerzte die Be¬ 
schränkung auf die konsultative Praxis. Den Praktikanten werde freigestellt 
bleiben, ihr praktisches Jahr an der Akademie oder in einem dazu ermächtigten 
Krankenhause abzuleisten. Die Spezialistenfrage erheische dringend eine Lösung, 
die aber nicht ohne Mitwirkung der ärztlichen Standesvertretung gesucht werde. 
Die Errichtung von Po liklinik en an Akademien sei nur dann gutzuheißen, wenn 
ausschließlich notorisch Arme dort Hilfe finden sollten. 


Der am 23. und 24. Juni d. J. in Straßburg i. E. abgehaltene 
8. Deutsche Aerztetag hat am ersten Tage nach dem von Dr. S troff er- 
Leipzig erstatteten Referate über die Rechte und Pf lichten des Kass en- 
arstes folgende Resolution angenommen: „Indem der 33. Deutsche Aerztetag 
zu den Ausführungen seines Referenten über die Rechte und Pflichten des 
Kassenarztes seine vollkommene Zustimmung erklärt, spricht er von neuem 
aas, daß er nach wie vor unerschütterlich fest auf dem Boden der Beschlüsse 
der letzten Aerztetage von Königsberg, Berlin, Cöln und Rostock steht. Er 
hält demgemäß eine gesetzliche Regelung der Kassenarztfrage für un¬ 
erläßlich und unaufschiebbar und spricht seine Ueberzeugung darin aus, daß 
Bit dem von Dr. Beck er-Hessen in der vorigen Session des Deutschen 
Reichstages eingebrachten Anträge ein gangbarer Weg dazu gewiesen war. 
In übrigen erwartet der Deutsche Aerztevereinsbund von allen seinen Mit¬ 
gliedern und der gesamten ärztlichen Standesvertretung, daß sie in unablässigem 
weiteren Ausbau der Organisation des ärztlichen Standes die wirksamen Mittel 
der Selbsthilfe zur Besserung der Lage der Kassenärzte und damit zur Hebung des 
guzen ärztlichen Standes tatkräftig und unermüdlich zur Anwendung bringen." 

In der zweiten Sitzung referierte Dr. Hau8mann-Dortmund über die 
Akademien für praktische Medizin. Der Aerztetag nahm hierauf 
folgende Anträge an: 

„Der 33. Deutsche Aerztetag hält im Interesse des Aerztestandes wie 
der Akademie eine Revision der Bestimmungen, Einrichtungen und Verhältnisse 
der Kölner Akademie für dringend erforderlich und zwar in Verbindung mit 
dem Allgemeinen ärztlichen Verein." 

„Der 33. Deutsche Aerztetag sieht in der Errichtung der Akademien 
keine nennenswerte Unterstützung des aus eigener Kraft der Aerzte bisher in 
genügender Weise gchandhabten Fortbildungswesens der praktischen Aerzte, 
keine besondere günstige Gelegenheit der Ausbildung junger Mediziner zu 
praktischen Aerzten, wohl aber eine für den Zusammenhang des ganzen ärzt¬ 
lichen Standes und für das bestehende bewährto Universitätswesen gefährliche 
Einrichtnag. Das bisher bekannt gewordene Programm der Cölner und der 



440 


Tagesnachrichten. 


geplanten Düsseldorfer Akademie, sowie die geheimnisvollen and sich vielfach 
widersprechenden sonstigen Verlautbarungen über weitere Pläne veranlassen 
den Aerztetag, vor Weiterführung und Neugründung weiterer Akademien zu 
warnen." 


Tagesordnung der diesjährigen, am 7.-9. Juli in München stattfindendea 
Generalversammlung des Deutschen Vereins für Volkshjgtene: Freitag, 
den 7. Juli, vormittags 9*/» Uhr: Sitzung des Zentralausschußes; vormittags 
11 Uhr: Geschäftssitzung im Saale des alten Rathauses; um 6 Uhr: Besichti¬ 
gung hygienischer Sehenswürdigkeiten; abends 8 Uhr: zwangloses Zusammen¬ 
sein aller Teilnehmer auf dem Franziskanerkeller. Sonnabond, den 8. Juli, 
vormittags 9 Uhr: Oeffentlicho Versammlung im Saale des alten Rathauses. 
1. Begrüßungsreden. — 2. „Mietskaserne oder Familienbaus?" von H. Ober- 
Medizinalrat Prof. Dr. Gr uber-München. — 3. „Ueber Anbau und Verwertung 
von Obst und Gemüse in volkshygienischer und volkswirtschaftlicher Beziehung." 
Referenten: a. H. Geheimrat Prof. Dr. Rubn er-Berlin, b. H. Konsulent 
lür Obst- und Gartenbau Friedrich Rebholz-München. — 4. „Erkältung und 
Abhärtung durch Luit und Wasser" von H. Privatdozent Dr. Hecker- 
München. — 6. „Die Bedeutung der Volkshygiene für die Volkswohlfahrt" von 
H. Dr. K. Beerwald-Berlin. — 6. „Die volkshygienischen Einrichtungen ia 
München" von H. D. J. Weigl-Müuchen. Nachmittags 2 Uhr: Gemeinsames 
Essen im Ratskeller (separierter Raum). Das trockene Couvert zum Festessen 
kostet 4 Mk. Sonntag, den 9. Juli: Gemeinsamer Ausflug ins Quellen¬ 
gebiet der Münchener Wasserversorgung. 


Ein beklagenswertes Geschick. Der Kreis-Assistenzarzt Dr. Wagner 
war vor kurzem wegen der in Schlesien epidemisch herrschenden Genickstarre 
nach Reuthen geschickt worden, woselbst ihn seine Frau besuchte. Kaum dort 
eingetroffen, erkrankte diese und verstarb innerhalb 24 Stunden an Genick¬ 
starre. Dr. Wagner selbst kehrte hierauf nach Köslin zurück; bald darauf 
traten bei ihm Erscheinungen hervor, die auf Gemütskrankheit schließen liefiea; 
sodaß sich seine Ueberführung nach einer Heilanstalt als notwendig erwies. 


Genickstarre ln Preussen. Für die Zeit vom 15.—31. Mai sind ge¬ 
meldet 348 (215) Erkrankungen (Todesfälle) an epidemischer Genickstarre und 
zwar in der Provinz Ostpreußen 1 (1), Westpreußen 2, Brandenburg 14 (8), 
Pommern 3 (1), Posen 1, Schlesien 304(195), Sachsen 3 (1), Schleswig-Holstein 
1 (1), Hannover 5 (4), Westfalen 8 (3), Hessen-Nassau —, Rheinprovinz 5 (1), 
Hohenzollorn 1. Von den 348 (215) Erkrankungen (Todesfällen) entfielen also 
304 (195) auf die Provinz Schlesien und nur 44 (20) auf die übrigen Teile der 
Monarchie. Seit dem Beginn der Epidemie (November v. J.) kamen in 
Preußen 2761 Erkrankungen und 1442 Todesfälle an epidemischer Genick¬ 
starre zur Anzeige, von denen 2528 (1330) auf die Provinz Schlesien, 233 
(112) auf den übrigen Staat entfielen. 


Todesfälle. Am 14. v. M. ist der Geh. Ober-Med.-Rat Dr. Krieger 
in Straßbarg L Eis. im Alter von 70 Jahren verstorben. Er ist viele Jahre 
hindurch technischer Leiter des Elsaß-Lothringischen Medizinalwesens gewesen 
und hat sich als solcher nm dessen Entwicklung große Verdienste erworben, 
die ihm ein bleibendes Andenken, insbesondere bei seinen Berufsgennossea, 
sichern. 

Am 20. v. M. ist das langjährige Mitglied des preuß. Abgeordneten¬ 
hauses, San.-Rat Dr. Martens in Burg (Dithmarschen) verstorben. In ihm 
haben die Medizinalbeamten einen ebenso warmen wie geschickten und 
energischen Vertreter ihrer Interessen im Landtage verloren; sein Andenken 
wird daher von ihnen stets in hohen Ehren gehalten werden! 


Verantwort!. Redakteur: Dr. Rap mund, Reg.- u. Geh. Med.-Rat in Minden i. W. 

J. 0. C. Bruns. HsrsogL Siebs u. F. 8*h.-L. Hofbuch druck««! ln Minden. 



18. Jahrg. 


1905. 


Zeitschrift 

fttr 

MEDIZINALBEAMTE. 


Keitrilblitt für gerichtliche Medizin ud Psychiatrie, 

Hr ärztliche Sachrerstandigentätigkeit in Unfall- and loraliditatssaebei, sowie 
lir IjgicM, efeitL Siutitswtteo, Mediziial - Gesetzgebung ud Rechtsprechung. 

Herausgegeben 

toh 

Dr. OTTO RAPMÜND, 

Be^leraoft- and Geh. Medizinalrat in Minden« 


Verlag von Fischers mediz. Buchhandlg, H. Kornfeld, 

HarsogL Bayer. Hof* tl EnhexsogL Kammer-Baehatodler. 

Berlin W. 35, Lützowstr. 10. 

Inserate nehmen die Terlngshandlnng sowie alle Annonoen - Expeditionen dee In- 
nnd Auslandes entgegen. 


Nr. 14. 


Eriehelnt am 1. and 15. Jeden Monat«. 


15. Juli. 


Tod durch Elektrizität. 

Von Dr. Berg, Gerichtsarzt in Essen. 

Seit der erschöpfenden Abhandlung Kratters über den Tod 
durch Elektrizität 1 ) haben sich die Einzelbeobachtnngen zwar 
vermehrt, aber etwas grundsätzlich neues ist nicht zutage geför¬ 
dert worden. Insbesondere ist die Frage, unter welchen Umständen 
Ströme gleicher Spannung bei annähernd denselben Leitungs¬ 
widerständen das eine Mal tötlich wirken und das andere Mal 
nicht, durchaus noch ungeklärt. Unter diesen Umständen ist es 
nit Dank za begrüssen, dass die Deutsche Gesellschaft für gericht¬ 
liehe Medizin als ersten Verhandlungsgegenstand auf die Tages¬ 
ordnung ihrer ersten Tagung dieses Thema gesetzt hat. 

Nicht bloss, nm die Kasuistik zu mehren, sondern auch nm 
einige theoretische und sanitätspolizeiliche Bemerkungen daran 
zu knüpfen, will ich einen recht auffälligen Todesfall infolge 
elektrischer Stromberührnng, den ich kürzlich gerichtsärztlich zu 
begutachten hatte, hier knrz darlegen: 

Ein benachbartes Eisenwerk, das mit elektrischer Kraft betrieben wird, 
erhält Drehstrom von 500 Volt Spannung von außerhalb durch eine Draht* 
leitnng zugeführt. Die Drähte sind durch Isolatoren auf einen eisernen 
Träger befestigt, der an der Außenwand des Fabrikgebäudes in das Mauer* 
werk eingelassen ist. Dieser Träger ist infolge der Porzellan • Isolatoren für 
gewöhnlich natürlich stromlos. Um aber bei Bruch eines Isolators den Ucber- 
tritt des Stromes in das Mauerwerk zu hindern, ist der Träger mit einer Draht¬ 
leitung versehen, die an der Mauer abwärts in einen mit Wasser gefüllten 
und mit einer eisernen Platte abgedeckten Erdschacht führt. 

An einem regnerischen Tage, den 4. Mai d. J., machte sich der 16 jährige 


*) Eine forensisch - medizinische Studie. Leipzig nnd Wien; 1896. 






442 


Dr. Berg. 


Arbeitsbarsche H. wie schon öfters das Vergnügen, „sich za elektrisieren*. 
Er sagte za einem anderen Lehrling, er solle einmal an den Draht anfassen. 
Um ihm Mat za machen, berührte er selber den Erdleitangsdraht erst mit den 
Fingerspitzen der rechten Hand, dann mit der ganzen rechten Hand, ließ jedoch 
den Draht wieder los, ohne etwas za sagen. Darauf faßte er nochmals za, 
rief sofort aa! au! and fiel mit der linken Schulter gegen die Mauer, wobei 
er den Draht krampfhaft festhielt. Ein gerade vorübergehender Schlosser lief 
in das Fabrikgebäude and schaltete den dem Draht benachbarten Motor aas 
in der Annahme, daß dieser mit dem Draht in Verbindung stände, woraof H. 
den Draht losließ und sofort zar Erde fiel. Inzwischen hinzugeeilte Minner 
fanden ihn bewaßtlos, aber noch schwach atmend. Wiederbelebangsversache 
hielten den Tod nicht aaf. Ein Arzt wurde nicht gerufen. 

Die gerichtliche Leichenöffnung fand am 11. Mai d. J. statt. An 
der Haut der noch gat erhaltenen Leiche waren nirgends Veränderungen zu 
entdecken, aach an den Handflächen und Faßsohlen nicht. Das Gesicht war 
blaß, das Gehirn blutarm und nicht ödematös, ebensowenig die Hirnhäute. 
Im Längsblatleiter 2, in den qaeren je 3 ccm flüssiges Blat. Herz 11: 10 : 4 
cm groß, schlaff. Kranzadern nur hinten prall gefüllt. Vorn auf der Mitte 
der linken Kammerwand eine Gruppe mohnkorngroßer subepikardialer Petechien. 
In beiden Vorkammern 5 and 2 ccm locker geronnenes Blat; beide Kammern 
leer. Aas den großen Gefäßen entleerten sich noch 50 ccm flüssiges and ge¬ 
ronnenes Blat. Herzfleisch hellhraanrot, trübe, weich. Beide Langen mit 
alten pleuritischen Verwachsungen, schwer, derb elastisch, Oberfläche dankel¬ 
blaurot, Schnittfläche dankelkirschrot, glatt, spiegelnd eben, mäßiges fein- 
sch&umiges Oedem. Trachealschleimhant bis hinab zar Mitte mit Mageninhalt 
überzogen (Wiederbelebungsversuche!). Magen prall gefüllt mit 1000 ccm 
festbreiigen Inhalts. Baachorgane nicht sonderlich blatreich. 

Der Befand ist recht wenig bezeichnend nnd nicht gut anders 
denn als Erstickung za deuten. K r a 11 e r fährt ganz allgemein die 
Todesfälle durch Stromberührung auf eine innere Erstickung infolge 
primärer Lähmung des Atmungszentrums zurück und vergleicht 
damit den Tod durch Morfinwirkung. Ein Vorkommen von Herz- 
schok, d. h. reflektorischem primärem Herzstillstand hat er nicht 
beobachtet, hält aber Tod in Schok und auch durch Hirndruck¬ 
steigerung infolge von Blutungen für möglich. In Kratters 
Tierversuchen trat zuerst Atmungslähmung ein, während das 
Herz noch fortschlug. 

Briaud kommt in einer älteren Abhandlung 1 ) gleichfalls 
zu der Annahme, dass der Strom durch bulbäre Asphyxie tötet 

Die neueren Tierversuche sind nicht eindeutig. Cunningham 
stellte fibrilläre Herzkontraktionen, aber nicht Herzlähmung fest; 
er erklärt den Tod durch Anämie des Zentralnervensystems; 
Prövost und Battelli durch Vaguslähmung; Conradi durch 
Schädigung der Nervenzellen im Gehirn.*) 

Die bisher veröffentlichten Obduktionsbefunde kommen darin 
überein, dass sie wenig charakteristisch sind. Hautverbrennungen 
werden meist erwähnt, fehlten in unserm Falle ganz. Ihre Aus¬ 
breitung ist ziemlich gleichgültig; bei leichten Verbrennungen 
kann der Tod eintreten, bei schwereren keine weitere Schädigung 
sich zeigen. Der Befund an den inneren Organen gestattet kaum 
die Diagnose der Todesursache. 


’) La mort et les accidents causes par les coarants Slectriqaes de haute 
tension; Lyon 1892. 

*) Siehe Litteratarangaben bei Jessen: Zar Kenntnis der St&rkstrom- 
verletzangen. Münchener mediz. Wochenschrift; 1902, S. 182. 



Tod durch Elektrizität. 


448 


Bei den mit dem Leben davongekommenen waren die Folgen 
sehr verschiedenartig: Völlige Genesung nach Durchströmung von 
4500 Volt erzählt d’ A r s on v a 1 l ), fortschreitende Gehirnerkrankung 
naeh 500 Volt Eulenburg 9 ), Hysterie nach Berührung mit 
gerissenem Strassenbahndraht Ho che 8 ); auch Augenschädigungen 
sind mehrfach beschrieben. 

Therapeutisch sei auch hier auf die Wichtigkeit der künst¬ 
lichen Atmung hingewiesen. d’Arsonval gelang es sogar, durch 
diese einen von 4500 Voltstrom getroffenen, stundenlang bewusst¬ 
losen Menschen zu retten. Auch in dem vorliegenden Falle, davon 
bin ich überzeugt, hätte ärztlich angestellte künstliche Atmung 
das Leben erhalten können. 

Es mögen zu diesem Fall einige epikritische Bemerkungen 
angefügt werden. Wie die Leichenöffnung zweifellos ergab, war 
der Gestorbene ein junger, gesunder, kräftiger Mensch. Von dem 
tötenden Strom kann man sich keine auch nur annähernd sichere 
Vorstellung machen. Dir Erdleitung mit dem Träger der isolierten 
Drähte wurde von Sachverständigen sofort nach dem Unglücks¬ 
falle und auch später bei den gerichtlichen Ermittelungen mit 
dem Galvanoskop geprüft und stromlos gefunden. Der über den 
Vorfall vernommene Gewerbeinspektor gab sein Gutachten dahin 
ab, dass es sich bei dem feuchten Wetter um einen sog. vaga- 
bondierenden Strom in dem berührten Draht gehandelt haben muss. 

So mystisch dem Nichtfachmann auch diese Annahme erscheinen 
mag, so wird man sie in Ermangelung einer anderen Erklärung 
annehmen müssen; denn nur durch solchen plötzlich auftretenden 
and wieder verschwindenden Strom — die Ausschaltung des be¬ 
nachbarten Motors ist wohl ohne Einfluss auf das Verschwinden 
des Stromes gewesen — wird die Tatsache erklärt, dass der Draht . 
sonst stromlos ist, ja noch wenige Sekunden vorher ohne Schaden 
von dem Verunglückten angefasst werden konnte. 

Wie stark solch ein vagabondierender Strom, der sich von 
einem 500 Volt-Drehstrom abzweigt, sein kann, darüber habe ich 
nichts erfahren können. Sicher ist nur, dass er mehrere Minuten 
den Körper des H. durchströmt hat, und dass durch das feuchte 
Wetter, die durchnässte Kleidung, die nassen Nagelschuhe des auf 
der eisernen Deckplatte Stehenden ein ungewöhnlich geringer 
Leitangs widerstand dargeboten worden ist. 

Mag auch gern zugegeben werden, dass ein solches Zu¬ 
sammentreffen ungünstiger Umstände sehr selten ist, so wird doch 
*n erwägen sein, ob solche Erdleitungen nicht besser mit einer 
isolierenden Hülle umkleidet werden. Aus dem Gutachten des 
Gewerbeinspektors ersehe ich, dass eine solche Schutzvorrichtung 
weder vorgeschrieben, noch üblich ist. 

Dass auch Techniker selbst leicht einer unachtsamen Be¬ 
rührung zum Opfer fallen können, beweist eine weitere gerichtliche 

') Compt. rendus; 1894, 20. Mai. 

! ) Naturforscher • Versammlung. Hamburg 1901. 

*) Deutsche mediz. Wochenschr.: 1899 S. 19, sowie AerztL Sachverst.- 
Ztg.; 1901, 8. 18. 



444 B. Grünzweig u. A. Pacbonski: Untersuchungen über die Empfindlichkeit 

Obduktion, die ich am 7. Juni d. J. an der Leiche eines am 
5. gestorbenen Monteurs zu verrichten hatte. Dieser war in einem 
schmalen Gang mit dem rechten Vorderarm an einen Transformator 
mit 5000 Volt geraten und war sofort mit einem Schmerzruf hin- 
gestürzt. Seine Mitarbeiter hielten ihn sogleich für tot, der hinzn- 
gerufene Arzt bestätigte das Ableben. Als bemerkenswert hebe 
ich aus dem Protokoll hervor, dass am rechten Arm eine 5:2 cm 
grosse braunrote, harte Hautstelle die Hautverbrennung anzeigte. 
Das Gehirn mit seinen Häuten war auffällig blutarm, die Pia an 
der Konvexität stark ödematös, das Herz leer und schlaff, die 
Lungen schwer, luftleer, die Schnittfläche schwarzrot, geleeartig 
glatt, auf Druck reichlich dunkles Blut entleerend, das Gewebe 
von solcher Konsistenz, dass der Finger Löcher einstossen konnte. 
Da eine derartige Splenisation am häufigsten als Folge einer Herz¬ 
erlahmung angetroffen wird (hypostatisches, blutiges Lungenödem), 
so wird man hier eher einen Herztod als eine Erstickung im Sinne 
Kratters annehmen müssen. 

Beachtenswert ist auch in diesem Fall, dass der getötete 
Monteur sich nicht im eigentlichen Stromkreis, sondern im Neben¬ 
schluss befunden hatte, und ferner, dass auch hier keine Schatz¬ 
vorrichtung vorhanden war. Die Technik wird m. E. nicht am* 
hin können, auf solche Unglücksfälle Rücksicht zu nehmen und 
für sichere Isolierung aller Teile mit hochgespannten Strömen zu 
sorgen. 


Untersuchungen Uber die Empfindlichkeit einiger chemischer 
Kohienoxydnachweismethoden im Blute. 

Aus dem gerichtlich - medizinischen Institute der k. k. Jag.-Univ. 
in Krakau (Vorstand: Prof. Dr. Wachholz). 

Von B. GrOnzweig und A. Pacbonski, stad. med. 

Häufige Fälle von akut verlaufender Kohlenoxydvergiftong 
rufen oft viel zu geringe anatomische Veränderungen hervor, als 
dass man auf Grund dieser Veränderungen schon aus dem Sek¬ 
tionsbefund diese Vergiftung konstatieren könnte. Wie allgemein 
bekannt, ist ausser der hellroten Farbe des Blutes, der Toten¬ 
flecke und der inneren Organe der Sektionsbefund im übrigen 
negativ. Es wäre demnach verfehlt, die Diagnose auf diese Merk¬ 
male allein zu stützen, weil auch andere Vergiftungen sowie Kälte 
dieselben Merkmale erzeugen. Man könnte also irrtümlich anf 
Tod durch Erfrieren erkennen, während der betreffende Mensch 
durch Vergiftung umgekommen war; namentlich im Winter ist 
ein solcher Irrtum möglich, da sich hier die Fälle von Kohlenoxyd¬ 
vergiftung häufiger ereignen. In allen Fällen, in denen der 
Sektionsbefund das oben beschriebene Bild darbietet und den 
Verdacht auf CO-Vergiftung erregt, soll man deshalb zur Blnt- 
untersuchung schreiten; denn diese allein kann unsere Zweifel 
beseitigen und unsere Mutmassungen bestätigen. 

Die allgemein gebrauchten Methoden zum Nachweis des 
Kohlenoxyds im Blute beruhen auf der Spektralprobe oder anf dem 



einiger chemischer Kohlenoxydnachweismethoden im Blute. 445 

Farbenverhalten des Niederschlages, welchen man im Blnt durch 
Zusatz von Ei weise fällenden Chemikalien erziehlt; letztere nennt 
man chemische Proben. Solche Proben gibt es viele, aber nicht 
alle eignen sich im gleichen Maasse zn praktischen Zwecken und 
zwar aus dem Grunde, weil wir bei der Untersuchung, die 
sich auf dem Vergleiche der Färbung der Niederschläge stützen 
soll, gezwungen sind, ein zweites kohlenoxydfreies Blut zu be¬ 
nutzen, das wir vom Tiere oder von anderen Leichen er¬ 
langen können. Der Vergleich verschiedenartigen Blutes kann 
niemals verlässlich sein, denn, da bei einem kleinen CO-Gehalt 
im Blute der Unterschied in den Farben der Niederschläge schon 
an und für sich gering ist, so haben wir — wenn wir zum Ver¬ 
gleiche fremdes Blnt benutzen, sei es das Blnt eines nach langem 
Siechtum gestorbenen Menschen oder eines Tieres — schon gar 
keinen Anhaltspunkt hierfür, wieviel wir von dem Unterschiede 
in der Farbe der Niederschläge auf Kosten der von Natur aus 
verschiedenen Farbe dieses anderweitigen Blutes setzen sollen. 

Li man wollte diese Ungenauigkeit dadurch vermeiden, dass 
er das zu prüfende Blut mit einem entsprechenden Volumen von 
Wasser verdünnte, mit Luft es stundenlang schüttelte, um es von 
Kohlenoxyd zu befreien und auf diese Weise zum Vergleiche zwei 
Arten von Blut eines und desselben Menschen zu erlangen, das 
eine mit, das andere ohne Kohlenoxyd. Dieses Verfahren erweist 
sich aber insofern nicht vollkommen erfolgreich, als das CO mit 
dem Hämoglobin in einer so innigen Verbindung steht, dass es 
angeachtet einer grossen Verdünnung und eines langen Schütteins 
immer noch teilweise im Blnte zurückbleibt. Erst weitere Unter¬ 
suchungen über das Verhalten des CO zu den Hämoglobinderi- 
raten, welche ergaben, dass das CO mit dem Methämoglobin nur 
in einer losen, mechanischen Verbindung steht, brachten Wach- 
holz und Sieradzki auf den Gedanken, sich der Umwandlung 
des Hämoglobins im zu untersuchenden Blute in Methämoglobin 
behufs leichterer Befreiung einer (Vergleichs-) Blutportion vom CO 
zu bedienen. Die von ihnen vorgeschlagene Methode beseitigt 
die früheren Mängel auf ganz einfache Weise; denn durch Hinzu¬ 
tun von Ferricyankalinm verwandelt sich das CO-Hämoglobin in 
Methämoglobin und CO, welches mit dem letzteren nur in einem 
losen, mechanischen Zusammenhänge steht, und somit durch ein 
10—15 minutenlanges Schütteln mit Luft leicht vollständig ent¬ 
fernt werden kann. Auf diese Weise können wir einen Teil des 
Blutes vom CO-vergifteten Menschen zu Vergleichszwecken von 
dem eventuell vorhandenen CO befreien. Dieses Verfahren haben 
die beiden genannten Forscher mit der Methode Kunkel-Schulze 
verbanden und als eine Modifikation der sog. Tanninprobe 
veröffentlicht. 

Die positiven Resultate, die mit dieser Methode erzielt 
wurden, brachten den Gedanken auf, ob sich nicht auch bei an¬ 
deren CO-Nachweismethoden die Umwandlung des Hämoglobins in 
Methämoglobin erzielen liesse. Auf Anregung von Prof. Wachholz 
unternahmen wir entsprechende Versuche. Diese Versuche haben 



446 B. Grünzweig u. A. P&chonski: Untersuchungen über die Empfindlichkeit 


wir mit den Proben von Eatayama, Salkowski und Hoppe- 
Seyler ausgeführt, indem wir gleichzeitig ihre Empfindlichkeit 
mit der Tanninprobe verglichen. Ferner versuchten wir das 
Tannin durch andere Beagentien zu ersetzen, die das Eiweiss 
fällen, bis jetzt aber nicht angewendet worden sind, nämlich 
durch Formaldehyd, Aceton und durch Erwärmen. 

Zu unseren Untersuchungen benutzten wir CO-Blut, welches 
wir auf folgende Art bereiteten: ein gewisses Volumen defibri- 
nierten Blutes sättigten wir mit CO so lange, bis wir im Spek¬ 
troskop ganz scharf begrenzte Absorptionsstreifen des COHbs er¬ 
hielten, welche trotz Zusatz von Schwefelammonium im Ueber- 
schuss keine Veränderung zeigten. Dieses Blut enthielt somit 
kein Oxyhämoglobin, sondern nur CO-Hb. Aus diesem Blute, 
welches also 100 °/ 0 CO Hb enthielt, bereiteten wir durch ent¬ 
sprechendes Mischen mit CO freiem Blute Blutmischungen, die 
10°/ 0 , 5°/o und 1 °/ 0 CO Hb enthielten. 

Die spektroskopische Untersuchung erlaubte die Anwesenheit 
von CO nur in Blutmischungen von höherem CO Hb-Gehalte als 
25 °/q festzustellen. Darans folgt, dass die Spektralprobe sich 
nur in jenen Fällen eignet, in denen sich grössere Mengen CO 
im Blute vorfinden. In den Fällen, in welchen der Sektionsbe¬ 
fund infolge von geringem Kohlenoxydgehalt im Blute negativ ist 
und trotzdem der Verdacht auf CO-Vergiftung besteht, kann also 
das Spektralverfahren nicht entscheiden, da ungeachtet der statt¬ 
gehabten Vergiftung durch CO, der kleine Gehalt desselben im 
Blute nicht mehr erbracht werden kann. 

Viel verlässlicher sind in dieser Hinsicht die chemischen 
Proben. Nun kombinierten wir die älteren Methoden mit dem be¬ 
reits schon erwähnten Verfahren von Wachholz und Sieradzki. 
Die Essig-Probe von Eatayama führten wir folgender- 
massen aus: 

In zwei Reagenzgläsern oder Fläschchen bereiteten wir eine Mischung 
von jo 5 Tropfen 100 °/ 0 CO Hb enthaltenden Blntes, 10 ccm Wasser und 
10 Tropfen einer 10°/ o igcn Ferricyankaliumlösung. Indem jetzt der Inhalt 
eines der Fläschchen event. Reagenzgläser kräftig mit Lnft durch 10—16 Mi¬ 
nuten geschüttelt wurde, setzten wir beiden Mischungen je 2 Tropfen Schwefel* 
ammonium und je 10 Tropfen Essigsäure zu. — Nach Zusatz von Essigsäure 
entstanden in beiden Blutproben Niederschläge, welche einen deutlichen Farben¬ 
unterschied wahrnehmen ließen. Der Niederschlag des mit Luft geschüttelten 
Blutes wies eine olivenbraune, des anderen eine schön ziegelrote Farbe auf. 

Daraus folgt also, dass die von Wachholz-Sieradzki 
zur Vertreibung des Kohlenoxyds aus dem Blute angegebene 
Methode, die bis jetzt nur in der Tanninprobe Anwendung fand, 
sich auch in der Probe Eatayamas und, wie wir das weiter 
unten beweisen werden, auch in anderen Proben als bewährt er¬ 
wiesen hat. 

Indem wir auf die oben angeführte Weise das Blut, welches 
10°/ o , 5 °/ 0 und 1 °/ 0 CO Hb enthielt, untersuchten, konstatierten 
wir, dass je ärmer das Blut an CO Hb ist, desto schwächer der 
Farbenunterschied ausfällt, und desto schneller die rote Farbe 
verschwindet, so zwar, dass bei 10 °/o COHb-Gehalt das geschüttelte 



einiger chemischer Kohlenoxydnachweismethoden im Blnte. 


447 


Bint einen braunen, das nicht geschüttelte einen helleren, mit einer 
deutlich roten Schattierung versehenen Niederschlag liefert; der 
anfangs sehr deutliche Unterschied schwindet nach Ablanf von 
einer Stunde. Bei 5°/ 0 CO Hb-Gehalt sind die Niederschlftge 
Ähnlich gefärbt, wie bei 10 °/ 0 ; der Unterschied ist deutlich, ver¬ 
wischt sich aber schnell. Das 1 °/ 0 CO Hb haltige Blut zeigt nur 
einen minimalen, jedoch immer noch bemerkbaren Unterschied. 
Das geschüttelte Blut gibt nämlich einen grauen, das nngeschftttelte 
einen rötlichgrauen Niederschlag. 

Das Befreien des Blutes von Kohlenoxyd durch Umwandlung 
des Hämoglobins in Methämoglobin erwies sich auch bei der 
SehwefelwaBserstoffprobe von Salkowski erfolgreich. 

Die Probe Hoppe-Seylers beruht, wie bekannt, auf der 
Anwendung der Natronlauge, welche das Hämoglobin in alkalisches 
Hämatin umwandelt; während unterdessen Hämoglobin dieser Um¬ 
wandlung gleich nach Zusatz von Na OH unterliegt, ist Kohlen- 
oxydhämoglobin gegen die Einwirkung der Natronlauge viel wider¬ 
standsfähiger und bewahrt infolgedessen durch längere Zeit seine 
hellrote Farbe. Erst wenn eine vollständige Umwandlung in al¬ 
kalisches Hämatin stattfindet (ungefähr nach 3 Stunden), ähnelt 
die Farbe dieser Lösung jener des alkalischen Hämatins, welches 
ans dem CO-freien Blute gewonnen wird. Diesen Farbenunter- 
sehied kann man also nur während dieser kurzen Zeit beobachten. 
Wenn wir aber bei diesem Verfahren neben Na OH auch Schwefel- 
ammonium an wenden und auf diese Weise das Hämoglobin in 
Himochromogen umwandeln, so bleibt der Farbenunterschied 
dauernd bestehen, da das Hämochromogen mit CO eine ähnliche 
Kohlenoxydhämochromogen genannte Verbindung eingeht, welcher 
jedoch eine hellrote Farbe und ein eigen charakteristisches Spek- 
tom zukommt. Dies erzielten wir durch folgendes Verfahren: 

Je 2 ccm CO haltiges Blut wurden mit 8 ccm Wasser verdünnt und 
dieser Lösung 20 Tropfen Ferricyankaliom hinzugefügt. Die Austreibung des 
Kohlenoxyds aus einem der Probegläser führten wir auf die oben beschriebene 
Weise aus, worauf wir beiden Lösungen je 5 Tropfen Schwefelammonium 
ud je 2 ccm Natronlauge zusetzten. Der Farbenunterschied des geschüt¬ 
telten und ungeschüttelten Blutes, welcher sich schon vor dem Hinzutun der 
Natronlauge bemerkbar machte, trat nach Zusatz derselben noch deutlicher 
hervor: Das CO haltige Blut war 4 kirschrot-, das CO freie braungefärbt. 

Die Tanninprobe wurde nach Wachholz-Sieradzki aus- 
geführt, wobei wir die jetzt erhaltenen Resultate mit den, welche 
uns die früher erwähnten Methoden lieferten, verglichen. 

Unsere weiteren Experimente beruhten auf Anwendung des 
Formaldehyds als fällendes Mittel. Indem das ganze bei der 
Ausführung der Tanninprobe benutzte Verfahren aufrecht erhalten 
blieb, gebrauchten wir an Stelle des Tannins Formalin. Anfangs 
benutzten wir zu diesem Zwecke eine 40°/o Formalinlösung, 
da diese aber zu stark reduzierend wirkte, kamen weiter zur 
Anwendung 20 # /o, 10 °/ 0 , dann 2 °/ 0 und 1 °/ 0 Lösungen, wobei 
mit den letzgenannten (2 °/ 0 und 1 °/ 0 ) die deutlichsten Farben¬ 
unterschiede erzielt wurden. Hier muss noch bemerkt werden, 
dass das Verhalten des Blutes nach Hinzutun von Formaldehyd 



448 B. Grttnzweig u. A. Pachonski: Kohlenoxydnachweismethoden im Blute. 

ein verschiedenes ist, als bei Anwendung anderer zu demselben 
Zwecke benutzten Reagentien. Es stellte sich nämlich heraus, 
dass sowohl mit Luft geschütteltes, wie un geschütteltes Blut eine 
rote, geschütteltes, also CO freies sogar eine hellere Farbe behält, 
während unterdessen bei Anwendung aller anderen Reagentien die 
rote Farbe und bei geringem CO-Gehalt die hellere Farbe nur 
für CO-haltiges Blut charakteristisch ist. Erst nach Ablauf von 
ungefähr 5 Minuten erfolgt eine Aenderung der Verfärbung; das 
Blut, welches seines CO-Gehaltes beraubt wurde, erhält eine 
chokoladenbraune, das CO haltige Blut eine rote Färbung. 

Bei Ausführung dieser Formaldehydprobe mit 10°/o CO Hb hal¬ 
tigem Blute vermissten wir den roten Stich in dem entstehendem 
Niederschlage; derselbe war nur in der CO haltigen Blutportion 
heller braun gefärbt, als in der CO freien, und auch dieser Unter¬ 
schied schwand gänzlich nach Ablauf von ungefähr einer Stunde. 
— Bei dem Gehalt von 1 °/ 0 CO Hb im Blute blieb eine Ein¬ 
wirkung des Formaldehyds ganz aus. 

Da wir uns überzeugt hatten, dass schwächere Lösungen 
von Formaldehyd besser als stärkere wirken, trachteten wir, die 
reduzierende Kraft desselben abzuschwächen, wobei jedoch die 
Fähigkeit zum Fällen von Eiweiss beibehalten werden sollte. Zu 
diesem Zwecke kombinierten wir Formaldehyd mit Aceton, von 
welchem wir je 5 Tropfen auf 10 ccm Formaldehydlösung be¬ 
nutzten. Ungeachtet dessen war das Endresultat sowohl hier, als 
bei Benutzung des Acetons allein nicht befriedigend. 

Tourdes und Mötzquer behaupten in ihrem Werke: 
Traitö de Mödicine lögale (Paris 1896, S. 648), dass stark er¬ 
wärmtes, arterielles, jedoch CO-freies Blut dunkler wird, während 
CO-haltiges Blut seine hellrote Farbe behält. Wir versuchten also 
bei der Methode Wachholz und Sieradski das Kochen als ein 
zum Fällen des Eiweisses geeignetes Verfahren anzuwenden; der 
Erfolg war jedoch nicht besonders günstig. Es entstanden zwar 
olivenbraune Koagulationsmassen in dem CO-freien Blute und rost¬ 
braune in dem CO-haltigen, aber der Unterschied zwischen ihnen 
war so gering, dass man daraus gar keine Schlüsse ziehen konnte, 
besonders wenn der Gehalt an CO-Hb geringer als 100 •/» war. 

Wenn wir zum Schluss die Empfindlichkeit all dieser Proben 
unter einander vergleichen, kommen wir zu dem Resultate, dass 
zum Nachweise von CO, welches den ganzen Hämoglobingehalt 
sättigt, eine jede der oben genannten Methoden sich eignet, da 
sogar die weniger empfindlichen genügende Unterschiede bieten. —- 
Bei dem Gehalt von 10 % CO-Hb treten auffallende Unterschiede 
nur bei der Essig-, Tannin- und Formaldehydprobe hervor, während 
Natronlauge, Aceton und Kochen durchweg negative Resultate 
liefern. — Bei 5 % und 1 % CO-Hb erwies sich nur die Tannin- 
und Esgigprobe als noch verlässlich. Wenn man also bei dem 
Blute, das wenig Kohlenoxyd enthält, positive Resultate erzielen 
will, muss man bei der Untersuchung die zwei letzten Methoden 
mit der Modifikation von Wachholz und Sieradzki anwenden. 




Dr. Ollendorff: Zur forensischen Unterscheidung von Menschen- a. Tierblat. 449 


Beitrag zur Technik des Marx-Ehr nroothschen Verfahrens 
zur forensischen Unterscheidung von Menschen* und 

Tierblut. 

ÄQ8 der Unterrichtsanstalt für Staatsarzneikunde zu Berlin 
(Direktor: Prof. Dr. F. Strassmann). 

Ton Dr. Kurt Ollendorff, Assistent a. d. Maison de Santä za Schöneberg-Berlin. 

In Nr. 7 and 16 der Mfinchener medizinischen Wochenschrift 
veröffentlichten Marx und Ehrnrooth 1904 „eine einfache Me¬ 
thode zur forensischen Unterscheidung von Menschen- und Säuge¬ 
tierblut“, welche die Verfasser als »Vor- und Hilfsprobe“ dem 
biologischen Verfahren von Wassermann-Schütze und Uhlen- 
huth, der Präzipitinprobe, zur Seite stellen. Das Verfahren 
beruht, um es noch einmal kurz zu sagen, auf der von Landois 
gemachten Entdeckung, dass das Blutserum einer Tierart imstande 
ist, die roten Blutkörperchen einer anderen, nicht allzu nahe ver¬ 
wandten Tierart unter gleichzeitiger Auflösung zu agglutinieren, 
dass homologe Sera dagegen diese Erscheinung nicht hervorrufen. 
Am Schluss ihrer zweiten, oben erwähnten Mitteilung empfehlen 
Marx und Ehrnrooth in einer Anmerkung eine Modifikation 
der Technik für ältere und weniger konzentrierte Blutlösungen. 

Während in den mitgeteilten Versuchen die Technik so ge- 
handhabt wurde, dass eine möglichst konzentrierte Blutlösung auf 
dem Objektträger mit einem kleinen Tropfen des eigenen Blutes 
verrührt wurde, um dann mit einem Deckgläschen belegt zu 
werden, ist die angegebene Modifikation folgendermassen: 

Ein Tropfen der ebenfalls mit 0,6°/ o iger Kochsalzlösung hergestollten 
Blutlösung wird auf den Objektträger, ein kleiner Tropfen des der eigenen 
Fingerspitze entnommenen Blutes auf das Deckgläschen gebracht, dann beides 
sufein&nder gedeckt. In den Bandpartien treten dann nach Angabe der Au¬ 
toren die Unterschiede der verschiedenen Blutarten am deutlichsten zu Tage. 

Ausgehend von dieser Modifikation in der Technik des Ver¬ 
fahrens stellte ich Versuche an. Zu diesen benutzte ich in Sub¬ 
stanz getrocknetes Blut vom: 

Menschen, das 1 Jahr 2 1 /, Mon. alt war Hammel, das 1 Jahr 2 Monat alt war 
Affen, »1,2 „ „ „ Schweb, „ 2 „ 2 . „ „ 

Hund, „ 3 „ 4 1 /» „ , „ Ente, »3,4» » * 

^*®d, » 2 „ 2 „ „ „ 

Bezüglich der Technik ist folgendes zu bemerken: Von 
jeder der angegebenen Blutarten stellte ich mir mit 0,6°/ o iger 
Kochsalzlösung eine Lösung her, die ich einen bis mehrere Tage 
aasziehen liess, bis sie braunrote Färbung zeigte. Ich stellte 
dann mit jeder der Lösungen der Reihe nach folgende Versuche an : 

A. Objektträger-Deckglas-Methode. 

1. Eb Tropfen der betr. Lösung kam auf den Objektträger. Ein kleiner 
Tropfen des eigenen Blutes kam auf das Deckglas. 

2. Ein Tropfen der betr. Lösung kam auf das Deckglas. Ein kleiner 
Tropfen des eigenen Blutes kam auf den Objektträger. 

B. Verrtthrmethode. 

8. Eb Tropfen der betr. Lösung wurde auf dem Objektträger mit einem 
kleben Tropfen des eigenen Blutes verrührt. 



460 Dr. Ollendorff: Beitrag zur Technik des Marx - Ehrnroothschen Verfahren» 


C. Zusatzmethode. 


4. Ein Tropfen der hetr. Lösung wurde dem eigenen Blnte auf dem 
Objektträger, der mit einem Deckglas belegt war, von dessen Bande ans 
hinzugesetzt. 

6. Einem auf dem Objektträger befindlichen und mit einem Deckglas 
belegten Tropfen der betr. Lösung wurde von dessen Bande ans ein Tropfen 
des eigenen Blutes hinzugesetzt. 

Die Resultate, die ich mit den verschiedenen Blutlösungen 
dabei erzielte, waren folgende: 

I. Lösung von Mjenschenblut: 


1. Versuch 




A -.1 
A 

A -. 
A -.1 
A-.j 


Objektträger-Deckglas-Methode. 
V errührme thode. 
Zusatzmethode. 


Bei den Versuchen war teilweise Geldrollenlagerung, teil¬ 
weise polygonale Gestaltung der Erythrozyten zu beobachten. 
Betrachtet man die Präparate sofort nach der Herstellung, so sieht 
man — ausser bei Versuch 3 — zuerst die verschiedensten 
Formen auftreten, bald löffelbiskuitartig, bald hantelförmig u. a. m. 
Sobald sich jedoch der Blutstropfen mehr über die Fläche verteilt 
hat, erhalten die roten Blutkörperchen ihre frühere Form wieder 
und sind deutlich als nicht agglutiniert zu erkennen. Infolge der 
weniger gedrängten Lage der Erythrozyten an der Peripherie 
des Blutstropfens ist hier der Unterschied zwischen menschlichem 
und tierischem Serum am deutlichsten zu erkennen. Man muss 
also, um ein klares Bild zu gewinnen, besonders die Randpartien 
und solche Stellen mustern, an denen nicht zu viele Erythrozyten 
liegen, da man den Unterschied vom Tierblut, wie gesagt, bei 
reicher Menge nicht gat erkennen kann und infolge des Klebe- 
gehaltes des Serums hier die roten Blutkörperchen leicht mitein¬ 
ander verkleben können, so dass eine Verwechselung mit Agglu¬ 
tination nahe liegt. Das Ausbleiben der Hämolyse ist an allen 
Stellen zu erkennen. 


II. 

Lösung v 

1. Versuch 

H —; A — 

2. * 

H —; A — 

3. „ 

H —; A — 

4. „ 

H —; A — 

5. „ 

H —; A — 


| Objektträger-Deckglas-Methode. 
Verrührmethode. 

} 


Zus&tzmethode. 
III. Lösung von Hundeblut. 


! £ Objektträger-Deckglas-Methode. 

; A —. Verrührmethode (80 Min. beobachtet), 
j ^ Zusatzmethode. 

Es ist zu bemerken, dass Versuch 3 — die Verrührmethode 
— bis zu 30 Minuten beobachtet wurde; während die HämolyBe 
aber bereits nach ungefähr 5—10 Minuten deutlich zu sehen war, 
blieb die Agglutination bei dieser Verrührmethode noch nach 30 Min. 


1. 

2 . 

3 . 

4. 

5. 


Versuch 


H 

H 

H 

H 

H 


l ) Zeichenerklärung: H = Hämolyse, A = Agglutination, -|- = positiv, 
— = negativ. 









zur forensischen Unterscheidung von Menschen- und Tierblut. 451 


tos, ▼Ährend sie sowohl bei der Objektträger-Deckglas-, als auch 
bei der Zusatzmethode sogleich auftrat. 

IV. Lösung von Binderblut: 


1. Versuch 
2 - , 

3- . 

4 - , 

6. . 


H 

H 

H 

H 

H 




A 
A 
A 

U:} 


Objektträger-Deckglas-Methode. 
Verrührmethode (30 Min. beobachtet). 
Zusatzmethode. 


Besonders der 5. Versuch ergab sehr deutliche Bilder. 


V. Lösung von Hammelblut: 

^ Objektträger-Deckglas-Methode. 

A —. Verrfthrmethode (30 Min. beobachtet). 
^ Zusatzmethode. 

Alle diese Präparate zeigten die Agglutination in sehr aus¬ 
gesprochener Weise, während sie bei der Verrfthrmethode wiederum 
«usblieb. 

VI. Lösung von Schweineblut: 


1. 

2 . 

3. 

4. 

5. 


Versuch 


H 

H 

H 

H 

H 


1. Versuch 

2 - b 

3. » 

4. . 

ö. . 

Auch bei der 


H + 
H -- 
H -- 
H -- 
H -- 


A 
A 
A — 

it 


methode keine Agglutination. 


Objektträger-Deckglas-Methode. 

, Verrührmethode (30 Min. beobachtet). 

| Zusatzmethode. 

Schweineblutlösung gab allein die Verrfthr- 


VII. Lösung von Entenblut: 


1. Versuch 
2- . 

3. * 

4. 0 

5 . - 


H 

H 

H 

H 

H 



Objektträger-Deckglas-Methode. 
Verrührmethode (30 Min. beobachtet). 
Zusatzmethode. 


Dies waren die wiederholt und mit verschieden konzentrierten 
Lösungen angestellten Versuche; die Erscheinung der Hämolyse 
war besonders deutlich bei den Versuchen 5 zu beobachten. Bei 
den Versuchen 3 — der Verrfthrmethode — war kein 
einziges Mal Agglutination zu erkennen, während bei den 
Versuchen 1 und 2, der Objektträger-Deckglas-Methode, 
venn ich so sagen darf, sowie 4 und 5, der Zusatzmethode, 
Agglutination in allen Versuchen sehr deutlich und schnell 
zutage trat. Da nun aber konzentriertes Serum und auch Lösungen 
davon bis zu einer gewissen Verdünnung auch bei der Verrühr- 
methode deutlich die Erscheinung der Agglutination zeigen, so ist 
wohl anzunehmen, dass sowohl die Objektträger-Deckglas-, als 
auch die Zusatzmethode insofern mehr zu empfehlen sind, als sie 
auch bei schwächeren Lösungen, bei denen die Leistungsfähigkeit 
der Verrfthrmethode bereits überschritten ist, noch gestatten, eine 
sichere Entscheidung zu treffen, ob Menschen- oder Tierblut 
vorliegt. 

Ueber die Grenzen der Leistungsfähigkeit der Verrfthrmethode 
hei den verschiedenen Sera habe ich Versuche an gestellt, die ich 













452 Dr. OLlendorff: Zar forensischen Unterscheidung von Menschen- u. Tierblat. 

demnächst zu veröfientlichen mir noch Vorbehalte. Ich möchte 
jedoch gleich hier noch eine Erfahrung mitteilen, die ich bei meinen 
Versuchen inbezug auf die Konservierung der Sera gemacht 
habe. Marz und Ehrnrooth sagten in ihrer zweiten von mir 
anfangs erwähnten Mitteilung, dass über Chloroform aufbewahrtes 
Serum bald seine Wirksamkeit verliert. Diese Erfahrung habe 
ich auch gemacht; schon nach 2 Wochen waren die Sera — mit 
einigen wenigen Ausnahmen — nicht mehr agglutinationsfähig. 
Anders dagegen stand es mit Formalin; ich setzte dem frischen 
Serum 4prozentiges oder lOprozentiges Formalm — nicht ab¬ 
gemessene Mengen, einige Kubikzentimeter — hinzu, es trat keine 
Trübung, kein Niederschlag ein, und bisher, noch nach 8 Wochen, 
erfolgt bei Behandlung mit meinem Blute Agglutination ebenso 
deutlich wie bei demselben Serum, als es frisch war. Näheres 
über meine diesbezüglichen Erfahrungen mitzuteilen, behalte ich 
mir gleichfalls vor, ebenso über die Quantität, in der man das 
Formalin hinzusetzen muss, um dem Serum seine Wirksamkeit 
zu erhalten. 

Um zu prüfen, ob es mir gelang, mit den beschriebenen 
Methoden — der Objektträger-Deckglas- und der Zusatzmethode 
— auch eine sichere Entscheidung zu fällen, ob es sich um Tier¬ 
oder Menschenblut handelte, stellte ich mir Lösungen der ver¬ 
schiedenen Blutsorten her, die ungefähr dieselbe Färbung anf- 
wiesen, sodass makroskopisch an der Farbe der Lösungen Unter¬ 
schiede nicht zu erkennen waren. Ich untersuchte dann die Lö¬ 
sungen nach Behandlung mit meinem Blute mikroskopisch nach 
den angegebenen Methoden, und es gelang mir — namentlich deut¬ 
lich beim Vergleich der verschiedenen Präparate — mit Bestimmt¬ 
heit die Präparate mit homologem Serum von denen mit hetero- 
logem zu trennen. Durch vorher gemachte Markierungen an dem 
Boden der Reagenzgläser, welche die Blutlösungen enthielten, 
konnte ich meine mikroskopisch getroffenen Entscheidungen noch 
kontrollieren. 

Auf Grund dieser, wie bereits gesagt, zu wiederholten Malen 
und mit verschieden konzentrierten Blutlösungen angestellten Ver¬ 
suche glaube ich, wohl sagen zu dürfen, dass sowohl die Objekt¬ 
träger-Deckglas-Methode als auch die Zusatzmethode bei älteren 
und weniger konzentrierten Blutlösungen der Verrührmethode 
überlegen und vorzuziehen sind. Zur Handhabung der Technik 
ist noch folgendes hinzuzufügen: Bei den ersten derartigen Ver¬ 
suchen ist häufig dadurch die Entscheidung erschwert, dass man 
zu grosse Tropfen des eigenen Blutes verwendet, ein Nachteil, 
unter dem auch ich anfangs zu leiden hatte. In diesem Falle ist 
es besser und empfehlenswert, eine Blutkörperchenaufschwemmung 
des eigenen Blutes herzustellen, indem man zu seinem Blute 4 bis 
5 mal so viel 0,6 prozentiger Kochsalzlösung hinzutut und diese 
Aufschwemmung für die Versuche verwendet. 



Dr. Richter: Künstliche Ernährung der Säuglinge. 


453 


Kurze Bemerkung zu dem Aufsatz von Scholz Ober die 
künstliche Ernährung der Säuglinge. 

Von Med.-Rat Dr. Richter in Remscheid. 

Die Ausführungen von Scholz in Nr. 13 dieser Zeitschrift 
sind durchaus zutreffend. Viele Aerzte — darunter auch ich — 
haben seit langer Zeit in ihrer Praxis in gleichem Sinne gewirkt, ohne 
dass diese Wirksamkeit zu einer Öffentlichen Erörterung gekommen 
wäre. Es wird gar viel gedruckt, aber nicht immer das beste. Es 
ist auch vielen Taktikern seit lange bekannt, dass die Frauenmilch 
fettreicher ist, als Kuhmilch. Ich habe das vor vielen Jahren, soviel 
ich mich besinne, schon in einem Aufsatze über die künstliche 
Ernährung von Kindern mit Ziegenmilch in der Berliner klinischen 
Wochenschrift ausgesprochen. Leider bin ich nicht mehr im Besitze 
eines Separatabzuges, sodass es nicht unmittelbar von mir n&ch- 
gewiesen werden kann. Der richtige Schluss, der aus der Tat¬ 
sache der verhältnismässigen Fettarmut der Kuhmilch für die Er¬ 
nährung von Säuglingen mit Kuhmilch zu ziehen wäre, dürfte 
nun der sein, dass man der Kuhmilch etwas Fett, etwa in Gestalt 
eines Bahmgemenges, zuzusetzen hätte. Das habe ich seit Jahren 
getan und dabei namentlich rachitische Kinder sich rasch erholen 
sehen. Ich werfe diese Anregung in die Debatte, da ich es für 
dringend geboten halte, dass die Kinder-Ernährungsfrage einer 
gründlichen Revision unterzogen wird. Was das Fett in der Ver¬ 
dauung leistet, ist denen bekannt, die bei Gallensteinen Fettknren 
machen. Sollte es nicht möglich sein, dass es anch im Darm des 
Kindes eine Rolle bei der Verdauung des Käses spielt, die noch 
näher zu studieren sein möchte P Fettkäse verdauen sich bekannt¬ 
lich leichter als Mager-(Trocken-) Käse. 


Kleinere RRftteilungen und Referate aus Zeitschriften. 

A. Sachverständigentätigkeit in Unfall-und Invaliditäts¬ 
sachen. 

Der Unterricht in der versicherungsrechtlichen Medizin. Von Prof. 
Dr. Stolper, Kreisarzt in Güttingen. Aerztliche Sachverständigen-Zeitung; 
1906, Nr. 7. 

Die Versammlung des Vereins für Versicherungs-Wissenschaft vom 
3.Oktober 1904 hat sich auf Anregung des Staatssekretärs Dr. Graf v. Posa- 
dowsky mit der Frage beschäftigt, wie diese künftighin am besten gefördert 
werden könne. Das Referat, betreffend Förderung der Versicherungs - Medizin, 
erstattete Prof. Flor schütz-Gotha. Da dies unter fast ausschließlicher Be¬ 
tonung der Lebensversicherungs-Medizin geschah, so bringt Verfasser 
eiae Ergänzung der Wünsche für die gesamte „versicherungsrechtliche Medizin“, 
wie er dieselbe nannte. Nach seiner Auffassung hat der Staat das größte 
Interesse an der Ausbildung seiner für die Durchführung der Arbeiter-Ver- 
licherungsgesetze so wesentUch in Betracht kommenden Aerzte in allen Zweigen 
der versicherungsrechtlichen Praxis, in erster Linie in bezug auf das Unfall- 
znd Invaliden-Versicherungsgesetz. Leistet die Gesamtheit der Aerzte erst 
hier Ideales, so wird sie auch den Anforderungen der privaten Unfall- und 
auch der privaten Lebens-Versicherungs-Gesellschaften mehr als bisher ge¬ 
recht werden. 

Dier Unterricht muß auf allen Universitäten, hier zweckmäßig von dem 
Vertreter der gerichtlichen Medizin übernommen werden, wie Stolper dies 



454 


Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


schon früher (Aerztl. Sachv.-Ztg. 1902) empfohlen hat. Doch auch auf Handels¬ 
hochschulen, technischen Hochschulen und Bergakademien wird in Zukunft eine 
Vorlesung über die Praxis der Arbeiterversicherungagesetze und zwar durch 
einen Mediziner eingeführt werden müssen. Eia solcher ist am ehesten in der 
Lago durch Demonstration von überzeugenden Eällen den künftigen Ver- 
waltungsbeamten der Berufsgenossenschaften, der Lands-Versicherungsanstalten 
und Schiedsgerichte, sowie den künftigen Betriebsleitern die für die Unfall- 
und Invalidenversicherungspraxis, aber auch die aus dem Krankenversicherungs¬ 
gesetz sich ergebenden Fragen zu vermitteln. 

Also nicht blos auf Mediziner, sondern auch auf Studierende aller 
Fakultäten soll sich dieser Unterricht in der versicherungsrechtlichen Medizin 
erstrecken, wie ja auch die Juristen mit anerkanntem Nutzen gerichtliche 
Medizin seit langer Zeit regelmäßig zu hören pflegen. Im einzelnen führt 
Stolper aus, wie er sich im Rahmen der Universitäten diesen Unterricht 
denkt, und gibt dem Wunsche Ausdruck, daß die Institute für gerichtliche 
Medizin in Zukunft als „Institute für gerichtliche und versicherungsrechtliche 
Medizin“ bezeichnet und ausgebaut werden mögen. 

Die Uebertragung des Lehrauftrags für gerichtliche Medizin auf die 
Kreisärzte in den kleineren Universitätsstädten (Greifswald, Marburg, Göttingen) 
hält er für eine sehr glückliche Maßnahme. Für die Fortbildung in der Lebens¬ 
versicherungsmedizin dürften sich Kurse an den neuen Akademien für praktische 
Medizin (Cöln, Düsseldorf), die Florschütz in Vorschlag bringt, sehr wohl 
eignen. _ Autoreferat. 


Zum Kapitel der Niohtbeeintrfichtigung der Erwerbsfähigkeit nach 
dem Unfall-Versicherungsgesetz nicht unterliegenden Verletzungsfolgen. 
Von Oberarzt Dr. N o n n e - Hamburg - Eppendorf. Aerztliche Sachverständigen- 
Zeitung; 1905, Nr. 7. 

Autor führt in Abbildungen 15 Verletzungen vor, in denen von vorn¬ 
herein keine „Begehrungs-Vorstellungen“ aufkommen konnten, da es sich bei 
den Verletzungen entweder nicht um „Betriebsunfälle“ im Sinne des Gesetzes 
oder um solche Unfälle handelte, die vor dem Inkrafttreten des Unfallver¬ 
sicherungsgesetzes die Personen erlitten hatten. Wenn nun Nonne auch 
selbst sagt, daß die Bilder dem Arzte, der viel mit der Begutachtung der 
Reste von Unfallschäden zu tun hat, nichts Neues sagen, daß sie nur die jetzt 
allgemein anerkannte Tatsache bestätigen, daß das in reinster Absicht geschaffene 
Uniallversicherungsgesetz zu Konsequenzen geführt hat, die die Urheber des 
Gesetzes nicht ahnten und nicht ahnen konnten, so möchte Referent sie doch 
jedem Kollegen auf das wärmste zum Vergleich mit Rentenbeziehern seiner 
Erinnerung empfehlen. Dr. Troeger-Adelnau. 


Erstickung durch Fremdkörper oder Kehlkopfverletzung 1 Betriebs¬ 
unfall 1 Von Dr. E. Becker, Kreisarzt in Hildesheim. Aerztl. Sachverst- 
Zeitung; 1905, Nr. 10. 

Ein Arbeiter fiel auf eine Schiebkarre und verletzte sich an der Nasen¬ 
wurzel und in der Gegend der Augenbrauen. Er arbeitete hierauf wieder kurze 
Zeit, mußte dann aber wegen schlechten Befindens die Arbeit niederlegen. Anf 
dem Wege zum Arzte traten Atembeschwerden auf, die sich so steigerten, 
daß nach etwa 2 Stunden der Tod eintrat. — Bei der Sektion fand sich außer 
allen charakteristischen Erscheinungen der Erstickung ein Stück Kautaback 
von fast 4 cm Länge und 1 cm Durchmesser in der Fossa glosso - epiglottica, 
wodurch der Tod ohne weiteres erklärt zu sein schien. Demgemäß lautete das 
vorläufige Gutachten. Vom Rcichsversicherungsamt zu einem Obergutachten 
aufgefordert, sah Becker die einschlägige Literatur durch. Hier fand er, 
daß in seltenen Fällen Kehlkopfverletzungen auch entstehen können, ohne daß 
die einwirkende Kraft die vordere Halsgegend direkt trifft. Beim starken 
Zurückbiegen des Kopfes wird nämlich der Kehlkopf der Wirbelsäule genähert 
und stark gegen sie gedrängt. Da nun normalerweise die hintere Kehlkopf¬ 
wand und die Grube zwischen Zunge und Kehldeckel von einem sehr eng¬ 
maschigen und blutreichen Netze von Blutgefäßen versorgt wird, welche in 
ein außerordentlich lockeres und dehnbares Bindegewebe eingelagert sind, so 
ist es bei Brüchigkeit der Blutgefäße im Greisenalter (es war ein älterer Mann 



Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


455 


gewesen), einigermaßen verständlich, daß Qefäßverletznngen auch schon hei 
weniger starker Gewalteinwirknng (hier vermutlich Fall auf den Kopf mit 
stark rückwärts geneigter Halswirbelsäole, wodurch der Kehlkopf gegen letztere 
gepreßt wird) zustande kommen können. Becker gab daher nachträglich die 
Möglichkeit zu, daß die gefundenen Weichteilschwellungen mit hinzugetretenen 
Blutergüssen bei dem Verstorbenen infolge des fraglichen Sturzes den Ver¬ 
schluß des Kehlkopfeinganges bewirkt haben. Dr. Troeger-Adelnau. 


Ueber renalpalpatorische Albuminurie und ihre Bedeutung für die 
Diagnose von Dystopien sowie von Tumoren Im Abdomen. Von Prof. 
J. Schreiber in Königsberg. Zeitschrift für klin. Medizin; 1904, Bd. 65. 

Die Untersuchungen Schreibers haben für die Gutachtertätigkeit ein 
besonderes Interesse. 

Bei manuellen Druck auf die Niere, z. B. hei Untersuchung von Nephrop¬ 
tosen, tritt vorübergehend Eiweisausscheidung auf (renalpalpatorische Albu¬ 
minurie). Es genügt schon die Kompression des Nierenpols, um diese Erschei¬ 
nung auszulösen. Tritt demnach bei der Palpation zweifelhafter Tumoren Al¬ 
buminurie auf, so ist damit ein wichtiger Anhaltspunkt für einen Zusammen¬ 
hang mit der Niere gewonnen. Anderseits muß man sich zur Vermeidung 
falscher Diagnosen (Nephritis) das Phänomen der Eiweisausscheidung nach 
Palpation der Niere stets vor Augen halten. 

Die Albuminurie nach manueller Kompression der Niere ist ca. 10 Mi¬ 
nuten bis 2 Stunden nach Auslösung der Erscheinung zu finden. Mikroskopisch 
enthält der Urin zahlreiche epitheliale Elemente, häufig rote und weiße Blut¬ 
körper, dagegen keine Epithel-, Blut- oder granulierte Zylinder. Hierdurch 
sowie durch die Flüchtigkeit der Erscheinung unterscheidet sich die palpa- 
torische Albuminurie von der wahren Albuminurie. 

Die Entstehungsweise der Eiweißausscheidung ist nicht ganz klar. In 
Betracht kommen: Uebergang von Serum in den Urin infolge des ausgeübten 
Druckes, Expression von Lymphe, Gewebsläsionen, Blutdruckveränderungen. 
Vielleicht wirken auch mehrere dieser Ursachen zusammen. 

Dr. Doh rn-Cassel. 


Trauma und Diabetes melitus und Glykosurie. Von Prof. Dr. K a us ch. 
Aus der König!. Chirurg. Klinik in Breslau. Zeitschrift für klinische Medizin; 
1904, Bd. 55. 

Der Zusammenhang zwischen Trauma und Diabetes wird zwar sehr häufig 
augegeben, jedoch halten sehr viele Fälle der Kritik nicht stand. Folgende 
Grunde lassen sich vielfach gegen einen Zusammenhang geltend machen: 
1. Der Diabetes hat bereits vor dem Unfall bestanden; 2. es bestand vor dem 
Unfall ein Diabetes decipiens (Glykosurie ohne vermehrte Harnausscheidung, ohne 
gesteigertes Durst- und Hungergefühl); erst nach dem Trauma stellten sich die 
das BUd vervollständigenden Erscheinungen ein; 3. der Diabetes trat zwar nach 
dem Trauma, aber unabhängig von diesem auf. Hierher gehören besonders die 
Fälle, in denen die Erscheinungen erst jahrelang nach dem Unfall auf traten. 

An der Hand einer umfassenden Zusammenstellung der in der Literatur 
niedergelegten sowie der in der Breslauer chirurgischen Klinik beobachteten 
Fälle kommt K. zu dem Resultat, daß der traumatische, echte Diabetes überaus 
selten ist, und ein völlig einwandsfreier Fall überhaupt nicht bekannt ist. 
Allerdings kann er die Möglichkeit solcher Fälle nicht ganz bestreiten; bei der 
Begutachtung ist aber die größte Skepsis am Platze. 

Häufig sind dagegen die Fälle traumatischer, ephemärer Glykosurie, 
d. h. solcher Fälle, in denen die Glykosurie wenige Tage nach dem Unfall 
indauert und dann spurlos wieder verschwindet. Dr. D oh r n - Cassel. 


Ueber daz gleichzeitige Vorkommen von manifester Syphilis und 

Tabes* Von Dr. C. Adrian. Zeitschrift für klin. - Medizin; 1904, Bd. 55. 

Verl hat aus der Literatur 96 Fälle zusammcngestellt, bei denen zu¬ 
gleich mit der Tabes manifeste syphilitische Erscheinungen an der Haut oder 
den inneren Organen festgestellt werden konnten. Demnach ist die Kombination 
von Tabes und manifester Syphilis keineswegs so selten, wie bisher von den 
Gegnern des ursächlichen Zusammenhanges beider Erkrankungen angeführt wurde, 



456 


Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


Entsprechend der größeren Häufigkeit der Syphilis bei Männern ist auch 
die Kombination von Tabes und manifester Syphilis hier häufiger. Es ließ 
sich nicht feststellen, daß die vorausgegangene Syphilis bei den später an 
Tabes Erkrankten einen besonders leichten Verlauf genommen hat, wie das 
vielfach behauptet wird. Dagegen war cs auffällig, daß die Syphilis in den 
von Tabes gefolgten Fällen, besonders bei ihrem ersten Ausbruch, ungenügend 
oder überhaupt nicht behandelt wurde. Dr. Dohm-Cassel. 


Heber die Bedeutung und den Wert der Arbeitsbehandlung Nerven¬ 
kranker. Von Dr. Geißler. Aus dem Sanatorium für Nerven- und innere 
Krankheiten in Konstanz. Münchener mediz. Wochenschr.; 1905, Nr. 21. 

Die Litteratur über Arbeitstherapie ist noch gering und außer 
von Irrenanstalten, wo die Beschäftigung der Kranken als ein wertvolles Be¬ 
handlungsmittel gepflegt wird, liegen noch recht wenige praktische Erfahrungen 
vor. Außer Mitteilungen von Moebius, Monnier und von Vogt hat uns 
erst M. La ehr im vorigen Jahre eine Arbeit gebracht, in welcher die Er¬ 
fahrungen der Heilstätte Schoenow bei Berlin über die systematische 
Therapie der Arbeitsbchandlung niedergelegt sind. Die Beschäftigungen, die 
daselbst in erster Linie für Männer herangezogen werden, sind Gartenarbeit, 
Tischlerei, Schnitzerei und Buchbinderei, in einzelnen Fällen auch Bureauarbeit. 
Das Sanatorium Konstanzerhof -gewährt die Möglichkeit der Arbeitsbehandlung 
mit Tischlerei- und Gärtnereiarbeiten und auch mit Schnitzerei. Verfasser 
stellt dann einen Vergleich an zwischen der Klientel in seinem Sanatorium 
und in dem Sanatorium Schoenow und hebt hervor, daß die Durchführung 
der Arbeitsbehandlung Nervenkranker in den Sanatorien (wie z. B. in seinem 
Sanatorium), deren Kranke sich aus höheren Gesellschaftskreisen rekrutieren, 
im allgemeinen mit größeren Schwierigkeiten verbunden ist, wie im Hause 
Schoenow mit seinen Kranken aus im allgemeinen minder bemittelten 
Kranken. Diese Schwierigkeiten beruhen hauptsächlich darin, daß es nicht 
immer möglich ist, die Eigenart der Arbeiten zu berücksichtigen und die 
rechte bezw. einigermaßen zusagende Arbeit zu finden. 

Verfasser sucht nun in eingehenden Ausführungen wissenschaftlich zn 
erklären, warum die Arbeitsbehandlung für viele ein treffliches Kurmittel ist 
Arbeitstherapie stellt den aktiven Vorgang psychischer Beeinflussung dar, worin 
ihre immense Bedeutung, aber auch zugleich ihre schwache Seite liegt. Wie 
Patienten bisweilen allen ärztlichen Bemühungen psychischer Beeinflussung 
nur taube Ohren entgegenbringen, wie auch die rationellste physikalische Heil¬ 
methode unter den günstigsten äußeren Verhältnissen ohne Nutzen sein kann, 
so wird auch die Arbeitstherapie unter Umständen versagen. Kurz, auch die 
Arbeitskur ist nicht, wie manche sie hinzustellen bemüht sind, ein Universal¬ 
mittel, sie kann vielmehr nur auf die gleiche Stufe, wie all die übrigen Be¬ 
handlungsmethoden gestellt werden. Man erzielt mit ihr Erfolge und Mi߬ 
erfolge, wie mit all den anderen Mitteln und Methoden, weil eben der Nerven¬ 
kranke unberechenbar ist in seiner Beeinflußbarkeit. 

Immerhin haben wir in dieser Kurmethode ohne Zweifel ein mächtiges 
Behandlungsmittel, welches eine Bereicherung unseres therapeutischen Schatzes 
im schweren, bisweilen aussichtslosen Kampf gegen eine Krankheit bedeutet, 
welche tiefe Wanden dem Lebensmut und Lebensglück vieler Menschen schlagt, 
viele Existenzen völlig untergräbt. 

ln allen Kuranstalten sollte diese besondere Behandlungsform neben all 
den bewährten Methoden (Wasser-, Mast-, Diät-, Elektrizität«-, Freiluftkuren 
usw.) Berücksichtigung und Pflege finden. Dr. Waibel-Kempten. 


Hysterische Unfallerkrankungen bei Telephonistinnen. Von Dr. 

Boehmig, Nervenarzt in Dresden. Münch, med. Wochenschr.; 1905, Nr. 16. 

Verfasser hat im Laufe der Jahre eine Anzahl Telephonistinnen in Be¬ 
handlung gehabt, die durch Blitzschlag in die Leitung oder durch einen sog. 
Induktorschlag getroffen wurden. Nach Mitteilung von 9 ausführlichen Kranken¬ 
geschichten, auf welche, da eine genaue Darstellung der Einzelheiten in einem 
Referate nicht möglich ist, im Original verwiesen werden muß, kommt Ver- 



Kleinere Mitteilungen and Referate aus Zeitschriften. 


457 


fssser za dem Schlosse, daß in keinem der Fälle — trotz jahrelangen Bestehens 
— organische Veränderungen nachweisbar waren und es sich also um unzweifel- 
hafte traumatisch - hysterische, respektive neurasthenische Störungen handelte. 
Nach der Ansicht des Verf. sind ferner die von ihm beobachteten Fälle, bei 
denen er schon wenige Stunden nach dem (Jnfall die schweren Erscheinungen 
der Neurose konstatieren konnte, ein Beweis mehr gegen die noch heute ver¬ 
tretene Annahme der Entstehung dieser Neurose durch „Begehrungsvorstellungen“ 
oder Suggestion infolge häufiger Untersuchungen. Dr. Waibel-Kempten. 

Aerztllches Obergutaehten aber den Gesundheitszustand des Ar« 
betten B. Von Geh. Med.-Rat Prof. Dr. E. Hitsig in Halle. Zeitschrift 
für Psychiatrie; 39. Bd., 3H. 

Die Ausf&hrungen Hitzigs sind für jeden, der Unfallgutachten zu 
bearbeiten hat, höchst instruktiv. Der Fall selbst, an den er seine Bemerkungen 
anknfipft, bietet nicht Auffälliges: Ein Arbeiter kämpft um Unfallrente nach 
einem unbedeutenden Trauma, indem er mit wenig Geschick ein Bückenmarks¬ 
leiden, Intelligenzstörungen u. a. m. vorzutäuschen suchte. Seine subjektiven 
Beschwerden und Krankheitssymptome werden auf Grund zahlreicher, sehr ein¬ 
gehender Untersuchungen eingeteilt 1. in solche, die vorhanden sind oder waren, 
1 in offenbar simulierte, 3. in solche, bei denen es zweifelhaft blieb, ob sie 
ganz oder nur teilweise simuliert waren. 

H. führt aus, daß die Vorgänge, die den Unfall herbeiführten. stets nach 
eidlichen Zeugenaussagen dargestellt werden, die oft auf recht schwan¬ 
kendem Boden stehen, den Behörden wie dem begutachtenden Arzte aber 
als Unterlage dienen müssen. Der Sachverständige ist also auf seine eigene 
kritische Würdigung der Krankheitserscheinungen in erster Linie angewiesen, 
ln vielen Fällen, so auch im vorliegenden — ist der Kläger wirklich krank, 
wenn auch nicht infolge des angeblichen Traumas; er hält sich daher in seinen 
Rechtsansprüchen für benachteiligt und zum Betrage berechtigt. „Hat der 
Geschädigte erst einmal angefangen zu simulieren, so ist es erfahrungsgemäß 
überaus schwer, ihn zum Geständnis oder zum Aufgeben der Simulation zu 
bewegen.“ Es ist also besonders Aufgabe der Vertrauens- und Kassenärzte, 
manchen berechtigten Wünschen der Kranken entgegenzukommen. Schließlich 
wendet sich H. gegen die von manchen Autoren immer wieder vorgeschlagenen 
Mittel zur Entlarvung von Simulanten, deren Anwendung bei einem vorein¬ 
genommenen Begutachter leicht zu der unrichtigen Schlußfolgerung führt, daß 
ialsche Angaben stets auf bewußter Täuschung beruhen müssen. „Die einzigen 
und wahren Mittel zur Aufdeckung und richtigen Beurteilung der Simulation 
bestehen in der kunstgemäßen und wiederholten Anwendung der üblichen 
klinischen Untersuchungsmethoden auf den Einzelfall.“ In manchen Fällen 
wird der Gutachter rein subjektiven Beschwerden gegenüber die Möglichkeit 
einer Krankkeit zugeben müßen, ohne zu einem positiven Ergebnis zu gelangen; 
in solchen Fällen wird er der Behörde nahelegen, „sich wenigstens zeitweise 
zugunsten des Geschädigten auszusprechen“. Dr. Pollitz-Münster. 

Grad der Erwerbsverminderung eines Kohlenhauers beim teilweisen 
Verlust der Sehkraft auf einem Auge. Urteil des Beichsversiehe 
rungsamts vom 4. Januar 1905. 

Nach dem bedenkenfreiem Gutachten des Dr. H. besitzt das linke Auge 
des Klägers normale Sehschärfe, ist frei von entzündlichen Erscheinungen und 
daher als gesund zu erachten. Das verletzte rechte Auge hat das Sehvermögen 
auch nicht vollständig verloren, sondern der Kläger ist imstande, mit demselben 
noch Finger in einer Entfernung von einem halben bis zu einem ganzen Meter 
zu zählen. Dieser Best der Sehkraft ist aber für das allgemeine Orientierungs¬ 
vermögen des Klägers, auch bei Ausübung seiner Tätigkeit als Kohlenhauer, 
von wesentlicher Bedeutung. Daher kann der Ansicht, daß der Kläger wie 
ein Einäugiger zu enschädigen sei, nicht beigetreten werden; vielmehr ist das 
Rekursgericht der Ueberzeugung, daß im vorliegenden Falle die Beeinträch¬ 
tigung der Erwerbsfähigkeit des Klägers durch eine Teilrente von 20°/o hin¬ 
reichend ausgegeglichen wird. Zu einer Entscheidung über die von der Be¬ 
klagten angeregte allgemeine Frage war daher kein Anlaß gegeben. 

_ Kompaß; 1905, Nr. 12. 



458 


Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften. 


Eine blosse Möglichkeit genügt nicht zum Beweise des nnkebllchen 
Zusammenhangs zwischen dem Unfälle nnd dem Tode (Infolge von Bauchfell¬ 
tuberkulose). Urteil des Reichsvers.-Amts vom 1. Dezember 1904. 

Nach dem durch die Leichenöffnung festgestellten Befunde ist der Förder¬ 
mann P. an einer über das ganze Bauchfell gleichmäßig verbreiteten Tuber¬ 
kulose gestorben, die nach sämtlichen vorliegenden, vom Schiedsgericht näher 
bezeichneten ärztlichen Gutachten schon vor dem Unfall bestanden hat. Daß 
sie durch den Unfall eine raschere Entwickelung genommen habe, ist nach den 
ärztlichen Gutachten zwar möglich, angesichts der Geringfügigkeit der Ver¬ 
letzung 1 ), und des Sitzes des Krankheitsherdes aber nicht wahrscheinlich. Eine 
bloße Möglichkeit genügt jedoch nicht zum Beweise des ursächlichen Zusammen¬ 
hangs zwischen dem Unfall und dem Tode P.s. Die Witwe kann daher aus 
Anlaß des letzteren von der Beklagten keine Entschädigung erhalten. 

_ Kompaß; 1905, Nr. 9. 

Die Möglichkeit des orsKcblicben Zusammenhanges zwischen Unfhll 
nnd Erkrankung (tuberknlöse Hfiftgelenksentzflndung) genügt allein 
nicht zur Begründung eines Rentenanspruches. Urteil des Reichs- 
Versicherungsamts vom 4. Januar 1905. 

Der Geh. San.-Rat Prof. Dr. B. ist allerdings im Gegensatz ra den 
Sachverständigen Dr. K. und Med.-Rat Dr. L. der Ansicht, daß die tuberkulöse 
Hüftgelenksentzündung des Klägers in dem Unfälle vom 5. Juli 1901 ihre Ur¬ 
sache habe. Diese Ansicht erleidet aber durch die Tatsache eine wesentliche 
Erschütterung, daß der Kläger nach der Auskunft der Gewerkschaft vom 
5. Oktober 1901 bis 16. September 1902 regelmäßig gearbeitet und während 
dieser Zeit für jede Schicht 4 Mark verdient hat. Dieser Lohn steht dem von 
dem Kläger vor dem Unfälle verdienten durchschnittlichen Lohn von 4,09 M. 
nur um ein geringes nach und läßt erkennen, daß der Kläger in der fraglichen 
Zeit völlig arbeits- und erwerbsfähig gewesen sein muß und daß somit die 
Verbindung zwischen dem Unfall und dem Ausbruch der Hüftgelenkentzündong 
fehlt, die der Prof. B. auf Grund der eigenen Mitteilungen des Klägers an¬ 
nehmen zu sollen geglaubt hat. 

Das R.-V.-A. hat daher Bedenken getragen, sich dem Gutachten dieses 
Sachverständigen anzuschlicßen und hat deshalb noch das Obergutachten der 
Bonner Universitätsklinik eingeholt. In diesem Gutachten aber wird ausgeführt, 
daß der streitige ursächliche Zusammenhang zwar im Bereiche der Möglichkeit 
liegt, aber nicht mit einem höheren Grad von Wahrscheinlichkeit bejaht werden 
könne. Der Obergutachter betont, daß tuberkulöse Leiden sich in der Mehrzahl 
ohne eine vorangegangene Verletzung entwickeln, und daß sie im Falle einer 
Verletzung regelmäßig an der getroffenen Körperstelle und innerhalb eines 
nach Wochen oder Monaten zu bemessenen, nicht zu langen Zeitraums in die 
Erscheinung treten. Mit Recht weist der Sachverständige darauf hin, daß die 
Hüftgelenksgegend selbst bei dem Unfälle nicht getroffen worden ist, daß 
höchstens eine, und zwar nicht schwere Erschütterung des ganzen Körpers, 
von der allerdings auch die Hüftgelenke betroffen worden sein dürften, statt¬ 
gefunden haben könne, und daß wesentlichere Beschwerden erst 8 bis 10 Monate 
nach dem Unfall sich eingestellt hätten. Diesen überzeugenden Ausführungen 
ist das R.-V.-A. gefolgt. Die Möglichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, 
die hiernach vorliegt, genügt aber allein noch nicht zur Begründung eines 
Rentenanspruches. _ Kompaß; 1905, Nr. 12. 

Grad der Erwerbsverminderung beim glatten Verlast des reckten 
Armes lm unteren Drittel des Oberarmes. Urteil des Reichsver- 
sicherungsamts vom 9. Dezember 1904. 

Der Senat ist den Ausführungen der Berufsgenossenschaft beigetreten. 
Gegenüber der Ansicht des Schiedsgerichts, daß nach der ständigen Recht¬ 
sprechung des R.-V.-A. für den Verlust des rechten Armes eine Teilrente von 
75 °/o und schon für den Verlust der rechten Hand im allgemeinen eine Rente 
von 66 ‘'/s bis 75 °/o gewährt werde, ist zu bemerken, daß eine bestimmte Regel 
für solche Abschätzungen nicht besteht, diese vielmehr nach den besonderen 
Umständen des einzelnen Falles stattfinden, und daß in Entscheidungen des 

') Geringe Quetschung der linken 6. bis 8. Rippe. 



Kleinere Mitteilungen und Referate an« Zeitschriften. 


459 


B.-V.-A. für den Verlost des rechten Armes zwar häufig eine Rente von 75 °/o, 
oft aber auch eine geringere Rente festgesetzt worden ist. Im vorliegenden 
Falle hat der Senat, da es sich hier am den glatten Verlost des rechten 
Armes (im unteren Drittel des Oberarms) handelt, keine erschwerenden Umstände 
rorliegen and der Kläger sich noch im rüstigen Alter von 41 Jahren befindet, 
in Uebereinstimmong mit der Berufsgenossenschaft angenommen, daß er nor 
am 66*/» °/* in seiner Erwerbsfähigkeit geschädigt ist. 

_ Kompaß; 1905, Nr. 9. 

B. Bakteriologie, Infektionskrankheiten and Öffentliches 

Sanität s wesen. 

Ueber die Verhütung und Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten. 

Von Prof. Dr. Lesser. Klinisches Jahrbuch; 1904, Bd. 13, H. 8. 

Die Haoptqaelle der Ansteckung mit Geschlechtskrankheiten ist die 
Prostitution; hierauf müssen sich unsere Maßnahmen in erster Hinsicht richten. 
Allgemein gesundheitliche Vorkehrungen (Wohnungshygiene, Alkoholbekämpfnng, 
Besserang der Erwerbsverhältnisse) lassen nar allmähliche Erfolge gegen die 
Verbreitung der Geschlechtskrankheiten erwarten. In Anbetracht der großen 
Gefahr brauchen wir aber schnell and gründlich wirkende Maßnahmen. 

Za diesen gehört zunächst die persönliche Prophylaxe. Da wir 
doch nun einmal mit der Tatsache rechnen müssen, daß sich ein Teil jonger 
Lette dem Umgang mit Prostituierten hingibt, and wir die Möglichkeit haben, 
sie bis zu einem gewissen Grade vor Schaden zu bewahren, ist es Aufgabe des 
Arztes auf diese Sicherheitsmaßregeln aufmerksam zu machen. Durch Rein* 
hchkeit, Desinfektion, Gebrauch von Präservativs gelingt es, wie es sich z. B. in 
der Marine gezeigt hat, häufig genug Gefährdete vor Krankheit zu bewahren. 

Die Durchführung allgemein prophylaktischer Maßnahmen er¬ 
heischt zunächst einen tüchtig durchgebildeten Aerztestand und gut eingerichtete 
Krankenhäuser für Geschlechtskranke. Wie wenig letztere Forderung bisher 
erfüllt rät, rät sattsam bekannt. 

Zur Durchführung der gegen die Prostitution gerichteten Maßregeln 
■ofi zunächst eine sichere rechtliche Grundlage geschaffen werden. Die Regle¬ 
mentierung muß bestehen bleiben, bedarf aber einer gründlichen, mehr die 
hygienische Seite ihrer Aufgaben hervorhebenden Reform. Für größero Städte 
wire folgende Einrichtung zweckmäßig: 

Die Prostituierten erhalten in einer Art Poliklinik Gelegenheit zur un¬ 
entgeltlichen Behandlung. Der in ihr Erkennungsbuch eingetragene Vermerk 
der behandelnden Poliklinik rät ein Freibrief für die Prostituierte gegen die 
Sittenpolizei. Fehlt derselbe, so wird sie der Sittenpolizei unterstellt. Will 
eine inskribierte Dirne von der Sittenpolizei in die rein ärztliche Kontrolle der 
Poliklinik übergehen, so wird sie erst gestrichen, wenn sie 3 Monate lang die 
irztlichen Anordnungen pünktlich befolgt hat. Sie verliert ihren Freibrief, 
warn sie erkrankt und den Eintritt in das Krankenhaus verweigert. Im übrigen 
hat jedoch die Sittenpolizei mit der rein ärztlichen Behandlung in der Poliklinik 
gar nichts zu tun. Auf diese Weise würde auch die Rückkehr in geordnete 
Verhältnisse, die für die Inskribierten sehr schwierig rät, am leichtesten möglich 
seht Auch eine hygienische Erziehung würde sich in einer ärztlich geleiteten 
Anstalt ohne polizeilichen Charakter am besten durchführen lassen. 

Von der Kasernierung der Prostitution erwartet L. erheblichen Nutzen 
«egen Verminderung des entsittlichenden Einflusses und der Ausschaltung der 
Verführung durch öffentliche Provokation. Dr. Dohm-Cassel. 

Darf der Arzt zum ausserehe liehen Geschlechtsverkehr raten t Von 
Dr. Hirsch. Zeitschrift für Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten; 1905. 
Baad 3, Heft 4. 

In einer Aufsehen erregenden Arbeit von Marcuse rät dem Arzt das 
prinzipielle Recht zugestanden, sowohl dem männlichen, als auch dem weib¬ 
lichen Patienten gegenüber den außerehelichen Geschlechtsverkehr anzuraten. 
Hirsch tritt dem energisch entgegen. 

Marcuses auf theoretischen Erörterungen beruhendes Zugeständnis 
würde in der Praxis auf das Weib angewandt völlig undurchführbar sein. Der 
Weg, auf dem der Mann leicht zur Durchführung des ihm angeratenen Heil- 



460 


Kleinere Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften. 


Verfahrens gelangen kann, ist der Frau wegen der daraus entspringenden 
sozialen Schädigungen ein für alle Mal versperrt. Wie kann es der Arzt ver¬ 
antworten, wenn bei der Unsicherheit der antikonzeptionellen Mittel Schwanger¬ 
schaft eintritt? Macht doch auch die Anwendung dieser Methoden an sich oft 
schwere nervöse Erscheinungen, die das Grundleiden schlimmer statt besser 
machen. Den Grund der nervösen Störungen beim Weibe bildet weniger die 
Nichtbefriedigung der Wollust, als vielmehr Mangel an Liebe und die Sehn¬ 
sucht nach Kindern. Letztere kann aber bei dem Gebrauch von Vorbeugungs¬ 
mitteln keine Befriedigung finden; deshalb kann der angeratene Geschlechts¬ 
verkehr auch nimmer therapeutisch erfolgreich sein. 

Ein Heer weiterer Gegengründe läßt sich ins Feld führen. Wie kann 
der Arzt sich rechtfertigen, wenn sich die Patientin, die als Weib der ge¬ 
schlechtlichen Infektion — anders als der Mann — schutzlos preisgegeben ist, 
nach der Befolgung seines Rates mit einem Tripper oder gar Syphilis zu 
ihm kommt? 

Alle diese Einwände sagen klipp und klar, daß die von Marcuse ge¬ 
gebene Antwort weder theoretisch richtig, noch praktisch durchführbar ist. 

Dr. D o h r n • CasseL 


Ueber sexuelle Abstinenz. Von Dr. Loewenfeld. Zeitschrift für 
Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten; 1906, Bd. 3, H. 5—6. 

Die Deutsche Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten 
hat sich bei der Abfassung ihres Merkblattes auf den Standpunkt gestellt, daß 
Enthaltsamkeit im geschlechtlichen Verkehr in der Regel nicht gesundheits¬ 
schädlich ist. Diese Auffassung ist jedoch nicht unerheblichem Widerspruch 
begegnet. Loewenfeld bringt zur Klärung der Streitfrage neues Material 
bei, das er an Männern gebildeter Stände gesammelt hat. Er teilt die Absti¬ 
nenten bezüglich der Folgen ihres Verhaltens in vier Gruppen ein: 1. solche, 
die keinen manifesten gesundheitlichen Nachteil erfahren, 2. solche, bei welchen 
die Abstinenz mehr oder weniger erhebliche Molesten nach sich zieht, 3. solche, 
die unter dem Einfluß der Abstinenz in ausgesprochene Krankheitszust&nde 
verfallen, 4. solche, bei welchen die sexuelle Triebsrichtung durch die Abstinenz 
beeinflußt wird. 

L. gibt demnach die Möglichkeit einer Gesundheitsschädigung durch die 
Abstinenz zu. Sie tritt aber nur ein, falls eine neuro-psychopathische Belastung 
vorhanden ist. Bei anderen Leuten, besonders solchen, die mit einer lebhaften 
Libido ausgestattet sind, kann die Abstinenz nur zu transitorischen Störungen 
führen, die durch entsprechende hygienische Maßnahmen zu beseitigen sind. 

Die Entstehung homosexueller Triebe durch die Abstinenz halt L. bei 
normal veranlagten Individuen für ausgeschlossen. Dagegen ist die Ver¬ 
stärkung homosexueller Neigungen bei nicht normal Veranlagten gelegentlich 
zu beobachten. 

Verfasser meint, daß die sexuelle Abstinenz bis zu einem gewissen 
Alter (24.—25. Lebensjahr) der Gesundheit und körperlichen Entwickelung 
eher nützlich, als schädlich ist. In späteren Jahren kann sie allerdings eine 
schwere Bürde werden, die auch zu vorübergehenden Störungen, aber nie zu 
dauernden Gesundheitsstörungen führt. Wir sind deshalb nicht berechtigt, zur 
Vermeidung dieser Störungen den außerehelichen Geschlechtsverkehr m An¬ 
betracht der ihn umgebenden Gefahren anzuraten. 

Alle Versuche, die vita sexualis in eine den physiologischen Bedürfnisse! 
entsprechende Bahn zu lenken, sind bisher an der Ungunst der sozialen Ver¬ 
hältnisse gescheitert. Man steht nach wie vor zwischen zwei Reihen von 
Uebeln; auf der einen Seite: Masturbation, Prostitution, Geschlechtskrankheiten, 
außereheliche Konzeptionen, Kindesabtreibung, außereheliche Nachkommenschaft 
mit ihren peinlichen Folgen für die Beteiligten und die Verhältnisse ohne Kon¬ 
zeption, aber mit moralischen und materiellen Schädigungen, endlich auch 
zahlreiche unüberlegte und unglückliche Heiraten, — auf der anderen Seite 
die sexuelle Enthaltsamkeit mit ihrer Beeinträchtigung des Lebensgenasses 
und ihren gelegentlichen gesundheitsstörenden Wirkungen. Zwischen diesen 
Uebeln haben wir die Wahl; als das kleinere müssen wir als Aerzte der großen 
Masse der Unverheirateten die sexuelle Enthaltsamkeit empfehlen. 

Dr. Dohrn-CasseL 



Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


461 


Ueber die nationale Bedeutung unserer Enthaltsamkeltsbewegnng. 

Von Br. BOsler. Reichenberg 1905. Selbstverlag. 

Aus vollem Herzen heraus und zugleich in deutlicher Erkenntnis der 
großen Schwierigkeit seiner Aufgabe vertritt der Verfasser, Stadtarzt in 
Beichenberg in Böhmen, die Forderung, daß jeder Einzelne in der Alkoholfrage 
als Vorbild zu wirken berufen ist. «Wir sind weniger verantwortlich für 
unsere eigenen Sünden, aber mehr verantwortlich für die Sünden anderer, als 
unsere Juristen zu glauben scheinen.“ 

Die frische Schreibweise macht das Lesen zu einem Genuß. 

Dr. Schenk-Berlin. 

Beitrag rar Kenntnis der Polyneuritis alcoholica. Von Ahlen. 
Dissertation. Kiel 1904. 

Die Fälle von Alkoholneuritis haben das Gemeinsame, daß die Lähmungs¬ 
erscheinungen von der Peripherie nach dem Zentrum an Intensität verlieren, daß 
ferner fast stets ganze Muskelgruppen erkranken, und daß schließlich die Streck¬ 
muskeln meist in höherem Grade befallen werden als die Beugemuskeln. Eine 
gleichzeitige Unterschenkel- und Vorderarmlähmung wird als charakteristisch 
rar die Alkoholneuritis angesehen. Den Lähmungserscheinungen gehen ein¬ 
leitende Symptome in der Gestalt von Taubheit der Finger und Zehen, Kribbeln 
und Brennen, abwechselnd mit Kältegefühl und Blässe, reißenden und zie¬ 
henden Schmerzen (Wadenkrämpfen) vorher. Bei langer Dauer stellt sich Ab¬ 
magerung der betreffenden Glieder und krampfhafte Beugestellung ein. Die 
elektrische Erregbarkeit der befallenen Muskeln zeigt alle möglichen Verän¬ 
derungen. Häufig treten im Verlaufe der Neuritis auch charakteristische 
psychische Störungen alkoholischer Natur auf. Namentlich stellt sich oft die 
Korsakowsche Psychose ein: Erinnerungsfälschungen in bezug auf die Zeit 
und dementsprechend verworrenes Irrereden. 

Dieses Krankheitsbild illustriert die Dissertation durch den Fall eines 
31jährigen Gastwirtes. _ Dr. Schenk-Berlin. 

Der Arzt und der Alkohol. Von Dr. Kassowitz. Wiener mediz. 
Wochenschr.; 1904, Nr. 3. 

Der Wiener Kinderarzt ist seit vielen Jahren Abstinent; er enthält 
sieh des Alkohols gänzlich, nicht nur aus wissenschaftlichen Gründen und um 
des guten Beispiels willen, sondern auch, um sich möglichst lange arbeitsfähig 
und genußfähig zu erhalten. Als ein Sechziger ist Kassowitz bei seiner Al- 
koholabstincnz imstande, an einem Tage 100 km per Bad oder 40 km zu Fuß 
zurückzulegen. Aus der fortwährenden Steigerung der schädlichen Folgen des 
Alkoholgenusses entnimmt er das Recht, von einem totalen Mißerfolg der 
Xlßigkeitsbestrebungen zu sprechen. Der hohe Konsum alkoholischer Ge¬ 
tränke speziell bei medizinischen Kongressen und Versammlungen ist auch 
ihm besonders aufgefallen (wie auch Forel und anderen abstinenten Aerzten). 
Die von Kassowitz in aller Stille angestellten Recherchen ergaben das er¬ 
schreckende Resultat, daß der frühe Tod vieler ärztlichen Autoritäten eine 
iadirekte Folge des Alkoholismus ist. 

Von einer völligen Ausrottung des Alkoholismus durch die Abstinenz¬ 
bewegung kann auch nach Kassowitz nicht die Rede sein. Immerhin hält 
er die Abstinenzbestrebungen für aussichtsvoller als die Bekämpfung des 
sozialen Elendes, der Tuberkulose oder des Krebses. 

Dr. Schenk-Berlin. 

Trunksucht und Temperens ln den Vereinigten Staaten. Von Dr. 
Laquer. Grenzfragen des Nerven- u. Seelenlebens; Wiesbaden 1905, Heft 84. 

Verfasser hat aus der an der Berliner medizinischen Fakultät beste¬ 
henden Gräfin Louise Bose-Stiftung die Mittel erhalten, die Alkoholfrage in 
der 8chweiz und in den Vereinigten Staaten zu studieren. Die Ergebnisse 
seiner Schweizer Reise hat er im 2. Heft des Jahrgangs 1904 des „Alkoholismus“ 
niedergelegt. Die vorliegende Schrift bringt in sehr anziehender, manches 
Neue bietender Form die Studien und Eindrücke der Beise nach Nordamerika. 
Nach einer fesselnden Schilderung Beiner Beise gibt Laquer zunächst eine 
Geschichte der Entwicklung der Temperenzbestrebungen in Amerika und eine 



462 


Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


Uebersicht Ober den Alkohol-Unterricht in den amerikanischen Schulen. Da¬ 
rauf behandelt er besonders die beiden zur Unterdrückung des Alkoholismus 
in Amerika getroffenen Hauptmaßregeln: das Staatsverbot (prohibition) und 
die Bezirkswahl (local Option). Die radikalen Prohibitionsgesetze herrschen 
zurzeit nur noch in den vier sehr dünn bevölkerten Agrarstaaten Maine, New- 
Hampshire, Kansas, North-Dacota, die nur den 25. Teil der Bewohner 
der Vereinigten Staaten umfassen. Auch werden die Gesetze insbesondere 
in den Städten teils öffentlich, teils heimlich vielfach umgangen. In den Pro¬ 
hibitionsstaaten dürfen Spirituosen nur zu ärztlichen und technischen Zwecken 
verkauft werden und zwar durch Vermittlung eines besonderen Staatskommissars. 
Dieser Kommissar erhält für sein in ärztlichen und technischen Alkolhol- 
getränken angelegtes Kapital eine Vergütung von 10°/„. Mit der Qualität des 
Kommissars schwankt die Größe des 10 °/„ ab werfenden Lagers von Alcoholids 
ganz außerordentlich. So betrug sie im Staate Maine 1887 : 20000 Dollars, 
1898: 131000 Dollars, 1898 : 39000 Dollars. Auch bestehen in den vier Pro¬ 
hibitionsstaaten Winkelschenken. Die Apotheker und Drogisten verkaufen 
Whisky auch für nicht ärztliche Zwecke. In den Städten Maines werden 
durchschnittlich jährlich auf 1000 Einwohner 33 wegen öffentlicher Trunkenheit 
verhaftet. Die Frage: Wirkt das Staatsverbot überhaupt verbietend ? muß nach 
Laquer kurzerhand mit nein beantwortet werden. 

Der amerikanische Verbrauch an alkoholischen Getränken ist in den 
letzten beiden Jahren gestiegen, der deutsche gefallen. Immerhin stellt sich 
das Verhältnis Amerika : Deutschland auch jetzt noch wie 2 : 3. Dem Ame¬ 
rikaner fehlt bei seiner Rastlosigkeit gänzlich der deutsche Hang zum Hocken 
in der Kneipe; der Früh- oder Dämmerschoppen ist nicht einmal dem Namen 
nach bekannt. Weder Kopf- noch Handarbeiter nehmen während der Arbeit 
Alkohol zu sich; auch wirkt der stark verbreitete Sport und der reichliche 
Obstgenuß dem Alkoholgenuß entgegen. Die Tatsache, daß die Amerikaner, 
trotzdem sie dieselben Fleischmengen verzehren wie ihre englischen Vettern, 
viel seltener an Gicht erkranken wie diese, erklärt Laquer ebenfalls durch 
den Umstand, daß die Amerikaner ihre hohen Rationen Fleisch durch Obst¬ 
und Fruchtgenuß auszugleichen gewohnt sind. Der amerikanische Arbeiter 
verbraucht durchschnittlich nur 2,3 °/ 0 seines Einkommens für alkoholische Ge¬ 
tränke. Einer der Gründe für diese Erscheinung ist auch die ausgesprochene 
Gegnerschaft eines großen Teils der amerikanischen Gewerkschaften gegen 
die Kneipe. Dr. Sc henk-Berlin. 


Ueber den Einfluss der Alkoholica anf die sekretorische und moto¬ 
rische Tätigkeit dos Magens. Von Dr. Ernst Meyer. Klin. Jahrb.; Bd. 13. 
Jena 1904. Verlag von G. Fischer. 

Meyer berichtet zunächst ausführlich über die bisher angestellten Ver¬ 
suche zur Feststellung der Wirkung des Alkohols und der alkoholischen Ge¬ 
tränke auf den Magen. Die Endergebnisse der von ihm selbst am Menschen 
angestellten Versuche sind in der Hauptsache folgende: 

1. Der Alkohol übt einen gewissen vermehrenden Einfluß auf/die Säure¬ 
produktion im Magen. 

2. Diese Säureproduktion steigert bei mäßigen Alkoholdosen nicht nen¬ 
nenswert den Prozentgehalt an Säure im Mageninhalt. 

3. Auf die Entleerung der verschiedenen Nahrungsstoffe aus dem Magen 
übt der Alkohol einen verschiedenen Einfluß. 

4. Die Entleerung der Kohlehydrate aus dem Magen wird durch Alkohol 
gehemmt, die der Fette dagegen beschleunigt; auf die Entleerung der Eiwei߬ 
stoffe ist der Alkohol ohne Einfluß. 

5. Bier und Wein hemmen die Entleerung von Weißbrot aus dem Magen 
stärker als Kognak in entsprechender Konzentration. 

6. Die Entleerung von Fleischspeisen aus dem Magen wird durch Wei߬ 
oder Rotwein nicht gehemmt, durch den Weißwein eher leicht beschleunigt 

Dr. Schenk-Berlin. 


Ueber Alkohol als Nahrungsmittel. Von Dr. Goldard. The Lancet; 

1904, 22. Oktober. 

Goldard kommt auf Grund einer großen Reihe von Versuchen zudem 



Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


463 


Schlosse, daß der Alkohol nur dann als Nahrungsmittel angesehen werden 
kann, wenn er in sehr kleinen Mengen verbraucht wird. Größere Dosen würden 
dagegen au mindestens 60 % wieder ausgeschieden und können deshalb nicht 
ab Nahrungsmittel angesehen werden. Dr. Schenk-Berlin. 


Untersuchungen „alkoholfreier Getränke“. Von Dr. R. Otto und 
B. Tolmacz. Zeitschr. für Untersuchung der Nahrungs- u. Genußmittel; 
Bd. 9, H. 5, S. 267. 

Die Verfasser bezweckten mit ihrer Arbeit die chemische Zusammen- 
setrang und sonstige Eigenschaften der alkoholfreien Getränke kennen zu 
lenen, ihren Wert als Nahrungs- bezw. Genußmittel festzusetzen, sowie auch 
etwaige unerlaubte Zusätze und Verfälschungen nachzuweisen. Im ganzen ge¬ 
langten 16 derartige Produkte zur Untersuchung. Nur 4 von diesen (Apfel- 
aoste aus dem kgl. pomologischen Institut, alkoholfreier Birnenwein „Nektar“ 
der Kellerei Nektar in Worms a. Rh., alkoholfreier „Gravensteiner“ (naturrein) 
um Flach & Co. in Geestemünde) sind als gute und einwandfreie reine Ge¬ 
tränke zu bezeichnen; als noch brauchbar die folgenden: „Donaths Natur- 
Bont* aus Aepfeln, desgL aus Kirschen (mit 0,42 g Alkohol in 100 cc), desgL 
su Heidelbeeren (mit 0,47 g Alkohol), desgl. aus Preißelbeeren (mit 0,26 g 
Alkohol) und „Apfelin“. — Als minderwertig und schlecht fanden Verfasser: 
Froktil“ aus Donaths alkoholfreien Naturmosten (ein künstlich aus Dörrobst 
hergestelltes Produkt mit Zusatz von Zitronen- und Kohlensäure, sehr teuer!); 
alkoholfreier „Traubensaft“ von H. Lampe & Co. in Worms, ein Kunstpro- 
dnkt aus Dörrobst mit 0,37 g Alkohol in 100 cc; alkoholfreier „Burgunder“ 
m Flach & Co. in Geestemünde; „Apfelblümchen“, schmeckt nach schlech¬ 
tem Dörrobst; Bilz „Limetta“ von Fr. Hartmann in Lage (Lippe) und 
Hildesheim, ein Kunstprodukt aus Wasser, Zucker, Säure, aromatischen Stoffen 
ttnr„ das nichts mit frischem Obst zu tun hat; „Agathon“, konzentriertes 
alkoholfreies Getränk von Flach & Co. in Geestemünde, noch minderwertiger 
Ja du vorige; „Pomril“, ein minderwertiges Kunstprodukt aus Dörrobst. — 
Ab minderwertig und schlecht ist mithin fast die Hälfte der untersuchten 
Produkte zu bezeichnen, und viele der Getränke werden, so namentlich die 
Bit Phantasienamen bezeichneten, wie „Fruktil“, „Pomril“, Bilz „Limetta“ 
ssw. nicht aus reinem frischen Obst, sondern aus Dörrobst fabriziert, und 
•teilen häufig nur mit Kohlensäure imprägnierte Mischungen von Zucker, Säure 
md aromatischen Stoffen usw. dar. Dr. Symanski-Hagenau. 


Ueber die Beurteilung des Wassers vom bakteriologischen Stand¬ 
pakt. Von R. Emmerich. Ebenda; Heft 1. 

Emmerich sucht in dieser Abhandlung eine neue Theorie aufzubauen, 
db mit der M et schnik off sehen Phagozytentheorie eine gewisse Aehnlichkeit 
besitzt. Er schreibt nämlich das Zugrundegehen pathogener Keime im Wasser, 
bsbesondere Typhusbazillen, dem Vorhandensein von gewissen geißeltragenden 
Flagellaten „Bodo saltans und Bodo ovatus“ zu. Auf Grund von Versuchen 
nd theoretischen Erwägungen über die Tätigkeit dieser Mikroorganismen be- 
fcuptet v. E. wörtlich: „Man könnte also — man höre und staune! — 1000 
TypWstühle täglich in den Brunnen des hygienischen Instituts [(zu München) 
der solche Flagellaten beherbergt] werfen, — die darin enthaltenen Typhus- 
taQlen wären bis zum nächsten Tage daraus verschwunden.“ (Ein weiterer 
Kommentar hierzu dürfte überflüssig sein. Ref.) 

_Dr. Symanski-Hagenau. 

Der gegenwärtige Stand der Beurteilung von Trink- und Abwasser 
oeh der «komischen Analyse. Von J. König. Ebenda. 

Nach König kommt der chemischen Analyse ihre volle Bedeutung zu 
wwohl bei der Beurteilung von Trink- und Brauchwässern, wie auch bei Be- 
"rtdhuig der Wirkung von Wasserreinigungsanlagen. Zur Erkennung nicht 
offensichtlicher Verunreinigungen von Wasserversorgungsquellen hält K. die 
coemUche Analyse für zuverlässiger, wie die bakteriologische, und zwar be- 
w®ders in solchen Fällen, wo die Verunreinigungen ihren Ursprung in orga- 
■hdien, fäulnisfähigen, aus menschlichen Wohnungen bezw. Ortschaften und 
Os technischen Betrieben stammenden Stoffen haben; für einzig maßgebend 



464 Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften. 

hält Verfasser die chemische Analyse bei Verunreinigungen rein mineralischer 
Art oder chemisch eigenartigen Substanzen. In der Hauptsache greift K. 
wiederum den Passus in der Dienstanweisung für die preuß. Kreisärzte 
yom 3. März 1901, Nr. 3 an, wonach der Schwerpunkt in der Beurteilung eines 
Wassers weniger auf die chemische und bakteriologische, als auf die örtliche 
Besichtigung gelegt werden solle. Die Verordnung sei aus wissenschaftlichen 
wie praktischen Gründen unhaltbar und verwerflich. (EL schüttet hier wieder 
das Kind mit dem Bade aus. Selbstverständlich ist diese Bestimmung für 
jeden denkenden Beamten cum grano salis zu verstehen; und natürlich wird 
jeder gewissenhafte Medizinalbeamte, wo auch nur im geringsten die Sachlage 
es gebietet, eine chemische sowohl, wie bakteriologische Untersuchung des 
Wassers vornehmen und, sobald sich hierbei Resultate ergeben, die eine ge¬ 
nauere Aufklärung wünschenswert machen, entweder selbst oder wenn er 
hierzu nicht in der Lage ist, durch das nächste hygienische Institut eine 
genaue Untersuchung vornehmen lassen. Nur dem alten früheren Usus, rich¬ 
tiger gesagt Abusns, wonach nach oberflächlicher oder gar keiner Lokalbe¬ 
sichtigung eine Flasche des zu untersuchenden Wassers irgendwohin zur 
Untersuchung übersandt wurde, soll auf diesem Wege auch vorgebeugt werden. 
Ref.) Wenn jetzt K. zum Schluß wiederum die vollständige Begutachtung 
einer Wasserversorgungsquelle in die Hand der Chemiker und Hydrotechniker 
legen will, so ist er sicher auf falschem Wege, da ein solcher nicht stets, 
wie K. annimmt, die biologische Vorbildung bezw. Befähigung besitzt, die K. 
ihm durchaus vindizieren möchte. Dr. Symanski-Hagenau. 


Die Trinkwasserversorgung und die Entw&sserungs- und Abfuhr¬ 
anlagen, welche an Im Gebirge gelegenen Badeorten erforderlich sind. 
Von Dr. Karl Kompe in Friedrichrode. Deutsche Medizinal-Ztg.; 1905, 
Nr. IV, V, VI, VII. 

Verfasser gibt uns in der sehr lesenswerten Arbeit reiches Material über 
obiges Thema. Er faßt das Resultat seiner Arbeit in 14 Thesen zusammen, 
von denen wir die wichtigsten hervorheben wollen, wobei wir betonen, daß 
das, was der Verfasser für Kurorte verlangt, auch für andere Orte dringend 
notwendig erscheint. 

Bei der Frage Trinkwasserversorgung kommen Quellwasser und 
Grundwasser (event. Talsperre) in Betracht. Beim Quellwasser ist darauf zu 
sehen, daß dasselbe auch wirkliches, unverdächtiges Quellwasser ist. — Der 
Anschluß sämtlicher Haushaltungen eines Ortes an die Wasserleitung ist 
durch Ortsstatut zwangsweise zu regeln. Eine Zweiteilung der Wasserleitung 
in Trink- und Gebrauchs wasser ist unbedingt zu verwerfen. 

Zur Reinigung des Trinkwassers eignet sich besonders die Filtration 
und die Ozonisierung. 

Ist die Gemeinde steuerschwach, so empfiehlt sieh staatliche Beihülfe. 

Die weiteren Thesen befassen sich mit der Beseitigung der Abgänge: 
Dringend wird die Anlage einer Kanalisation empfohlen; perhorresziert 
dagegen das Grubensystem. Zur Reinigung der Kanalwässer eignet 
sich für kleinere Verhältnisse das biologische Verfahren, für größere die 
Rieselwirtschaft. 

Die Abfuhr für Müll, Haus- und Straßenkehricht muß in der Hand 
der städtischen Verwaltung liegen, ein Wunsch, dem wir nur beitreten können. 

Dr. Hoff mann-Berlin. 


Die Girungsprobe bei 46° als Hilfsmittel bei der Trinkwasser- 
untersuchung. Von Prof. Dr. C. Eijkmann. (A. d. hyg. Inst. d. Universität 
Utrecht.) Zentralbl. f. Bakt.; I. Abt., Orig., 1904; Bd. 87, H. 5. 

Noch immer herrschen große Meinungsverschiedenheiten darüber, ob der 
Befund von Stäbchen aus der Gruppe des Bact. coli in einem Wasser dessen 
Verunreinigung mit menschlichen oder tierischen Fäces beweist. Einigkeit 
herrscht indes zwischen den Vertretern der beiden sich hier gegenüberstehenden 
Richtungen insoweit, als fast allgemein zugegeben wird, daß mit Ausnahme 
einiger weniger, sehr reiner Grund- und Quellwässer in jedem Wasser Coli- 
Stäbchen sich nachweisen lassen, wenn nur genügende Mengen Wasser unter¬ 
sucht werden. Wäre mit diesem Nachweis ohne weiteres der Beweis erbracht, 



Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 466 

faß das betreffende Wasser durch Fäkalien verunreinigt ist, so wäre damit 
uch die Möglichkeit erwiesen, daß ein solches Wasser bei günstiger Gelegen¬ 
heit auch durch pathogene Keime infiziert werden kann. Jener Beweis ist 
jedoch in den meisten Fällen nicht erbracht oder nicht zu erbringen, da durch- 
us nicht alle zu der Gruppe des Bact. coli gehörigen Stäbchen aus mensch¬ 
lichen oder tierischen Fäces stammen. Eine Entscheidung, ob Bact. coli der 
letzteren Arten vorlicgen, läßt sich dadurch herbeiführen, daß man die be¬ 
treffenden Arten bei 46° C kultiviert. Coli aus menschlichem oder tierischem 
Darm sind nämlich sehr wärmebeständig, während andere Arten selten noch bei 
Temperaturen über 87° gedeihen. 

Um nun eine schnelle Entscheidung darüber herbeizuführen, ob ein Wasser 
als verunreinigt und verdächtig anzusehen ist, empfiehlt Eijkmann, 100 bis 
1000 ecm des fraglichen Wassers (bei sehr verunreinigtem Wasser genügen 
sehon wenige ccm) in eine 1 prozentige Peptonlösung zu verwandeln, außer¬ 
dem 0,5 •/o Kochsalz und 1 °/o Traubenzucker hinzuzufügen und dies Gemisch 
im Gährungskolben 1—2 X 24 Stunden bei 46° C sich selbst zu überlassen. 
Tritt Gährung ein, so spricht dies mit großer Wahrscheinlichkeit für eine 
Verunreinigung mit menschlichen Fäces. Dr. Lentz-Saarbrücken. 


Bedeutung der Untersuchung auf anaerobe Bakterien bei der Trink- 
vasaeranaljse. Von H. Vincent. (Laboratoire de bactäriologie du Val. 
de-Graäce.) Comptes rendus de la soc. de biol. LV1II; 1905, Nr. 20, 9. Juni. 

Der Autor hat in seinem Laboratorium die im Trinkwasser enthaltenen 
uaeroben Bakterien regelmäßig untersuchen und studieren lassen. Die quan¬ 
titative und qualitative Bestimmung derselben gibt sehr wertvolle Winke über 
die Brauchbarkeit eines Wassers. Der Sachverständige, der sich dieser Prüfung 
begibt, bringt sich um ein wertvolles, diagnostisches Hülfsmittel, das der 
gewöhnlichen Methode nach Koch oder Miquel, die aeroben Mikroben zu 
isolieren, gleich geordnet ist. 

Die Anaeroben finden sich reichlich in den Dejektionen von Menschen 
ud Tieren, in allen faulenden pflanzlichen oder tierischen Massen. Als Nähr¬ 
boden empfiehlt sich Peptongclatine mit Zusatz von 1 °/o Traubenzucker, gefärbt 
dureh indigschwefelsaures Natron. Die Gelatine wird gekocht, auf 80° gebracht, 
dun mit dem zu untersuchenden Wasser versetzt. Die Mischung wird in lange 
Vignalsche Röhren aufgesogen. Diese werden mit Siegellack verschlossen 
aad durch kaltes Wasser abgekühlt. 

Bei reinem Wasser mit 10 bis 100 Aeroben im Kubikzentimeter ist die 
Zahl der Anaeroben oft weniger als die Einheit. In Schmutzwässern finden 
sich bis 100—500 Kolonien im Kubikzentimeter. 

Von anaeroben Arten hat Verfasser bestimmt: Bac. liquefaciens parvus 
o. magnus (Liborius), Bac. pseudo-tetanicus (Vaillard und Vincent), 
Bac. gpinosus (Lüderitz), Vibrio rugula, B. radiatus; Bac. anaerobius II- 
Saafelme, Bac. solidus. Dr. Mayer- Simmern. 


Nachweis and Bestimmung des Mangans im Trinkwasser. Von G. 
Baumert u. P. Huldefließ. Zeitschr. f. Untersuchung der Nahrungs- u. 
Oeuußmittel; Bd. 8, H. 8, S. 177. 

Da bei Ausscheidungen von Mangan in Wässern es zu den gleichen 
übles Folgen (Rohrverstopfungen) kommen kann, wie bei eisenhaltigen Wässern, 
^ kt auch der Nachweis von Mangan von hohem praktischen Interesse. Die 
Verfasser stellten ihre Untersuchungen bei einem Wasserwerk an, das sein 
Wasser dem Untergründe von Wiesen entnahm und seinen Betrieb einstellen 
noBte, weil das Rohrnetz, wie man annahm, von Eisenausscheidungen im. 
L*afe einiger Monate verstopft war. Spätere Untersuchungen ergaben, daß 
fcser vermeintliche Eisenschlamm in der Hauptsache aus Crenothrix Kühniana 
Bsd Mangan bestand; beim Erwärmen mit Salzsäure entwickelte er lebhaft 
Cblor, enthielt also reichlich byperoxyd. Mn-Verbindungen. Zum Nachweise 
bedienten sich die Verfasser des umgekehrten Verfahrens, das man zum Nach- 

des Sauerstoff im Wasser verwendet, wobei dasselbe mit Mn-Chlorür und 
jodkaliumhaltiger Natronlauge mit Salzsäure angesäuert, und die darin gelöst 
gewesene 0-äquivalente Jodmenge mit Thiosulfatlösung titriert wird. Zur 
Baaibernden Bestimmung des Mangan genügt es, 10 cc des zu unter- 



466 


Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften. 


suchenden Wassers mit einigen Tropfen einer 10°/ o igen Ammoniumpersulfat- 
lösung und verdünnter Salpetersäure zu vermischen. Hierzu setzt man Silber¬ 
nitrat im Ueberschuß und schüttelt. Eine sofort oder nach einigen Minuten 
auftretende Rotfärbung gibt einen Qehalt von ca. 0,5 mg Mn im Liter an. 
Geringere Mengen bis zu 0,1 mg und darüber weist man nach, indem man 
das Wasser nach Schütteln mit Kalilauge, mit Jodkali, Salzsäure und Stärke¬ 
lösung versetzt. Sofortige Blaufärbung deutet den Gehalt an Mn an. Die 
Entfernung des Mn aus dem Wasser erfolgt wie bei der Enteisenung durch 
Rieselung mit nachfolgender Filtration. Es konnte hierdurch in einem Falle 
beispielsweise der ursprüngliche Gehalt des Rohwassers mit 1,166 mg auf 
0,032 mg reduziert werden. _ Dr. Symanski-Hagenau. 

Eine neue Methode zur Prüfung eines Trinkwassers anf Ammoniak. 

(Nouveau proc6d6 de recherche de l’ammoniaque: application ponr caractäriser 
la puretä des eauz.) Von A. Trillat und Turchet. Comptes rendus de 
la soci6t6 de biol.; 1905, LVIII, Nr. 6. 

In ein Reagensglas giebt man 20 ccm des zu untersuchenden Wassers, 
8 Tropfen einer 10°/ o igen Jodkalilosung, 2 Tropfen einer konzentrierten Eau 
de Javellelösung. Bei Anwesenheit von Ammoniak tritt sofort Braunfärbung 
ein; selbst bei einer Verdünnung von 1 : 100000. Die braune Färbung beruht 
auf Bildung von Jodstickstoff. Da Jod oder KJ mit Ammoniak direkt zu¬ 
sammengebracht, keinen Jodstickstoff liefern, so muß als Zwischenprodukt erst 
Chlorjod erzeugt werden. Dieses aber gibt in Anwesenheit einer kleinen Menge 
Alkali nach der Formel: 3 CI J + N Hi + 3NaOH = 3 NaCl + N J. -f 3 H.O 
die gewünschte Reaktion. Sie übertrifft die Reaktion auf NHs mit dem 
Neßlersehen Reagens an Feinheit, ist eindeutig für Ammoniak beweisend 
und in HiS haltigen Wässern, wo das Neßler sehe Reagens überhaupt nicht 
anwendbar ist, recht wohl zulässig. 

(Falls eine Nachprüfung die Richtigkeit dieser Angaben bestätigt, so 
wäre bei der Zerbrechlichkeit der mit Neßlerschem Reagens gefüllten Kap¬ 
seln des vorzüglichen Burrougs Wellcome & Cie.schen Wasserkastens 
und bei dem Preise dieses Reagens ein Ersatz durch Jodkali und Eau de 
Javelle gewiß recht wünschenswert. Ref.). Dr. Mayer-Simmern. 


Milchhygienische Untersuchungen. Von Prof. Dr. Ko Ile. Klinisches 
Jahrbuch; Bd. 13, H. 8. Verlag von G. Fischer in Jena. 

Die unter Kolles Leitung von Kutcher, Meinicke und Friedei 
angestellten Untersuchungen behandeln folgende Themata: 

1. Die Widerstandsfähigkeit der Erreger der wichtigsten 
Darmkrankheiten in Milch gegen Erwärmen auf verschiedenen 
Temperaturen. 

Resultat: Die verarbeiteten Krankheitserreger (Bact. typhi, paratyphi, 
enteritidis, coli, Dysenterie-Fl einer, Shiga-, Choleravibrionen) können in 
der Milch mit Sicherheit abgetötet werden, wenn letztere 10 Minuten auf 60 4 C. 
erwärmt gehalten wird. Bemerkenswerte Unterschiede in der Widerstands¬ 
fähigkeit der untersuchten Bakterien waren nicht vorhanden. Im Großbetriebe 
wird die Abtötnng der Bazillen auf diese Weise sicher erreicht werden, weil 
bei der Erwärmung größerer Milchmengen eine viel längere Zeit gebraucht 
wird, um die Temperatur von 60° zu erreichen. Im Haushalte kommt für 
diesen Zweck nur das kurze Kochen der Milch in Frage. 

2. Untersuchungen über die bakteriziden und entwicke¬ 
lungshemmenden Wirkungen der rohen und der auf ver¬ 
schiedene Temperaturen erwärmten Milch gegenüber denoben 
genannten Bakterien. 

Resultat: Entwicklungshemmende Eigenschaften der frischen, 
rohen Milch konnten nur in geringem Grade gegenüber den Dysenterie¬ 
bakterien festgestellt werden; dieselben fehlten jedoch gegenüber den übrigen 
untersuchten Bakterien. Die bakterizide Wirkung der rohen Milch gegen¬ 
über den Cholera Vibrionen wird durch Kochen zerstört, durch Erhitzen auf 
60° abgeschwächt. Gegenüber den anderen angeführten Bakterien besitzt die 
frische und erwärmte Milch keine keimtötende Wirkung. Die Behauptung 



Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


467 


Behrings Aber die bakteriziden Eigenschaften der Milch konnten nicht be¬ 
stätigt werden. 

8. Untersuchungen Aber die Wirkung des Formaldehyds 
anf die Haltbarkeit der Milch, die Milchbakterien und die 
pathogenen Bakterien. 

Resultat: Bei Formaldehydzusatz (1 : 25000 bezw. 1 : 40000) ließen 
sich sowohl in gekochter, als auch in roher Milch nach 3 tägigem Aufenthalt 
bei Zimmertemperatur oder auf Eis alle untersuchten Bakterienarten nach- 
weisen. Die bis dahin geringe Bakterienentwicklung nimmt bei gleichbleiben¬ 
dem Geschmack und Aussehen der Milch vom dritten Tage ab ein schnelleres 
Tempo an. Der Formaldchydzusatz wirkt besonders hemmend auf die Milch- 
saurebakterien ein. Die Formaldehydmilch wird länger an der Gerinnung ge¬ 
hindert, trotzdem die Bakterienentwicklung eine ungeheure sein kann. Abge¬ 
sehen von der durch Behring keineswegs widerlegten Giftigkeit des Formal¬ 
dehydzusatzes ist derselbe insofern sehr bedenklich, als er durch das Erhalten 
des frischen Aussehens und Geschmacks der Milch über gefährliche Eigen¬ 
schaften derselben den Konsumenten hinwegtäuschen kann. 

Dr. Dohrn-Ca88eL 


Ueber den Nachweis ron Formol ln der Milch. Von E. Nicolas. 
Comptes rendus de la soc. de bioL; 1905, LVIII, Nr. 15. 

Der Autor empfiehlt folgende Methode: Man fällt das Kasein der 
Milch durch 10°/ o ige Essigsäure oder Milchsäure und filtriert. Dem Filtrat 
werden einige Krystalle Amidol zugesetzt. Enthält die Flüssigkeit Formol 
und zwar sogar 1 : 500000 und weniger der 40°/ 0 igen Formaldehydlösung, so 
tritt eine deutliche Beaktion: grüne Fluoreszenz, ein. 

Die Probe weist den Zusatz von Formol auch zu anderen Nahrungs¬ 
mitteln nach. Sie beruht darauf,. daß die Metadiamine mit den Aldehyden 
tberhaupt eine grüne Fluoreszenz liefern, so das Metaphenylendiamin, das 
Kamidophenol Ce Hs (OH) (NHs) und sein salzsaures Salz. 

Läßt man in einer formaldehydhaltigen Flüssigkeit eine genügende 
Mage Diamidophenol sich auflösen, so färbt sich die Lösung mehr oder weniger 
rasch gelb oder gelborange und wird fluoreszierend. Bei Beleuchtung im auf¬ 
fallenden Lichte auf dunklem Hintergründe ist die Fluoreszenz besonders 
deutlich. Der Zusatz von Essigsäure und Milchsäure stört die Beaktion nicht; 
die Wärme beschleunigt den Eintritt. 

Die Ausfällung des Kaseins kann auch durch Zusatz von gesättigten 
Na CI- oder MgSOi-Lösungen zur Milch bewerkstelligt werden. Man fügt als¬ 
dann Essigsäure zu, filtriert, setzt dem Filtrat das Beagens zu und erwärmt. 
So tritt die Probe am raschesten ein. Dr. Mayer-Simmern. 


Ueber die VerSnderungen der Zusammensetzung der Weine durch 
Schönen mit Hausenblase, Gelatine, Eiwelss und Spanischer Erde. Von 

Prot Dr. K. W indisch und Dr. T. Böttgen. Ebenda; S. 130. 

Die Verfasser fanden, daß die chemische Zusammensetzung der Weine 
durch die Schönung im allgemeinen wenig beeinflußt wird; namentlich gilt 
dies yon den gebräuchlichsten Schönungsmitteln: Hausenblase und Gelatine. 
Es tritt hierdurch nur eine Gerbstoffverminderung ein. Zu bemerken sei 
jedoch, daß starke wiederholte Gelatineschönungen allerdings soviel Gerbstoff 
entziehen können, daß dadurch die Beantwortung der Frage, ob einem Wien 
Tresterwein beigemischt ist, erschwert werden kann. Beachtenswert ist, daß 
gute Spanische Erde (ein Verwitterungsprodukt des Feldspathes) die Weine 
fast gar nicht verändert. Nach den Untersuchungen anderer Autoren ist Tier¬ 
kohle ein ungeeignetes Mittel, da sie die chemische Zusammensetzung der 
Weine sehr erheblich beeinflußt. Dr. Symanski- Hagenau. 


Beitrag zur Untersuchung und Beurteilung kandierten Kaffees. 
Von Dr. EL Orth. Zeitschr. f. Untersuchung der Nahrungs- u. Genußmittel; 
Bd. 9, H. 3, S. 137. 

Unter kandiertem Kaffee ist ein solcher zu verstehen, dem beim Bösten 
eine gewisse Menge Zucker hinzugefügt wird, der während dieser Prozedur in 
Karamel verwandelt wird. Dieses Kandieren verfolgt meistens den Zweck, 




468 


Tagesnachrichten. 


den gerösteten Kaffee besser za konservieren (Aroma), teils aach den, am 
hierdurch den verschiedenen Geschmacksrichtangcn der Konsumenten besser 
za entsprechen. Bei ordnungsgemässem Verfahren soll ein derartiger Kaffee 
ein schön dunkel- bis schwarzbraunes Aussehen haben und nach erfolgter Ab¬ 
kühlung keine klebrige Beschaffenheit aufweisen. Bei entsprechender Dekla¬ 
ration ist gegen einen solchen Kaffee vom hygienischen Standpunkt nichts eu- 
zuwenden. Jedoch soll nach den „Vereinbarungen zur einheitlichen Unter¬ 
suchung und Beurteilung von Nahrangs- und Genußmitteln für das Deutsche 
Reich 1899/1902" der Höchstgehalt des abwaschbaren Ueberzuges derartiger 
Kaffees höchstens 4 °/ 0 betragen. Verfasser hat nun in 32 Versuchen (im Gro߬ 
betriebe) nachzuprüfen versucht, ob eine solche Vorschrift bei dem üblichen 
Verfahren (nach Hilger) streng eingehalten werden kann, und dabei gefunden, 
daß eine vom kaufmännischen Standpunkte als vollwertig zu betrachtende 
Handelsware oft einen höheren Gehalt als 4°/ 0 , ja in den meisten Fällen sogar 
über 5°/, aufweisen kann; daher ist die Innehaltung dieser Maximalzahl feea 
der üblichen Methode nicht möglich. Dr. Sy man ski- Hagenau. 


Tagesnachrichten. 

Das preusnlaohe Abgeordnetenhaus hat in seiner 8itzung am 
30. Juni das Seuehengesetz ohne Debatte mit den vom Herrenhaus be- 
schlossenen Aenderungen (s. Nr. 12 der Zeitschrift S. 406) angenommen. Damit - 
ist das wichtige Gesetz endlich verabschiedet, allerdings in einer nach mancher - 
Richtung hin nicht den Anforderungen der öffentlichen Gesundheitspflege mit- - 
sprechenden Fassung. Namentlich gilt dies betreffs der durch das Herrenhaus 
beseitigten Anzeigepflicht bei verdächtigen Erkrankungen an Typhus und 
Wochenbettfieber. Immerhin bedeutet das Gesetz einen großen Fortschritt; 
seine Durchführung wird jetzt um so weniger auf Schwierigkeisen stoßen, 
als der Staat bei leistungsunfähigen Gemeinden einen erheblichen Teil dm 
Kosten mit zu tragen hat. __ 

Das Gesetz betr. die Gebühren der Medizinalbeamten ist dagegen ii ’’ 
derselben Sitzung nicht zur Verabschiedung gelangt, sondern nochmals voa 
der Tagesordnung abgesetzt und zwar lediglich aus dem Grunde, weil sieh 
namentlich die konservative Partei und ein großer Teil des Zentrums nicht 
entschließen konnten, der Regierung die Machtvollkommenheit des § 7, wonach 
der Tarif von dem zuständigen Minister festzusetzen ist, einzuräumen, obwohl . 
man bei den Kreistierärzten bekanntlich ein derartiges Bedenken nicht gehabt 
hat. Selbst ein Antrag des Abg. Graf Praschma (Zentr.), wonach der .fest¬ 
gesetzte Tarif sowie etwaige Aenderungen dem Landtage, wenn er versammelt 
ist, sofort, andernfalls bei seinem nächsten Zusammentreten vorzulegen und 
die Aenderungen außer Kraft zu setzen sind, soweit der Landtag seine Zu¬ 
stimmung versagt", vermochte ebensowenig die Bedenken der Konservativen * i 't 
gegen § 7 zu zerstreuen, wie die sachgemäßen Ausführungen des Abg. Gamp 
und des Herrn Ministers, mit denen diese den durch die Abg. Winkler (kons.) ; ■ 
und v. Savigny (Zentr.) vertretenen ablehnenden Standpunkt bekämpften. Hit < 
Recht hob der Herr Minister Dr. Studt hervor, daß der Entwurf nach eilige; 
henden Erörterungen in der Kommission einstimmig angenommen und nur in zwei 
untergeordneten Punkten abgeändert sei. Die in § 7 vorgesehene Bestimmung, 
daß der Tarif durch den zuständigen Minister festzusetzen sei, bedeute keine»- : u 
wegs eine ganz außerordentliche gesetzgeberische Maßnahme, sondern bewege 
sich durchaus in dem Rahmen der innerhalb der letzten Jahrzehnte geübten gesets- , v>1 , 

f eberischen Praxis. In verschiedenen neueren Gesetzen, in denen Gebühren für ^ 
taatsbeamte vorgesehen seien, sei der Gebührentarif stets von der ministerielles 
Festsetzung und nicht von der Genehmigung des Landtags abhängig gemacht; 
auch bei dem im Vorjahre beschlossenen Gesetz über die Dienstbezüge der 
Kreistierärzte vom 24. Juni 1904 sei dies der Fall. Gerade der Umstand, d»ß 
s. Z. im Gesetz von 1872 die Gebühren der beamteten Aerzte gesetzlich 
festgelegt seien, habe zu sehr lästigen Uebelständen bei der praktischen An¬ 
wendung geführt, wie das auch ausdrücklick von der Kommission anerkannt 
sei Die beiden Körperschaften des Landtags könnten eben nicht als geeignet 
angesehen werden, um besondere Fragen technischer und wissenschaftlicher 
Natur, die hierbei im wesentlichen in Betracht kommen, im einzelnen zu er* 



Tagesnachrichten. 


469 


ledigen. Eine Festsetzung des Tarifs durch den Landtag sei auch nicht er¬ 
forderlich; denn die meisten Dienstreisen und Amtsgeschäfte würden von den 
Kreisärzten im Aufträge des Landrats oder des Regierungspräsidenten ausge¬ 
führt und die Kosten daher auf die Staatskasse übernommen. Tatsache sei es 
außerdem, daß nach den vorliegenden statistischen Notizen sich die Tage¬ 
gelder un d Reisekosten der Kreisärzte ganz erheblich nie¬ 
driger in ihrer Gesamtheit gestalten, als diejenigen der 
Kreistierärzte. Ferner sei nach dem Gesetzentwürfe in gewissen Fällen 
eine Pauschalierung der Gebühren der Kreisärzte möglich, die sich auch für 
die Gemeinden empfehle. Die Tarifsätze seien in der Kommission eingehend 
erörtert worden; die hier gemachten Bedenken hätten sich aber nur darauf 
bezogen, daß die Tarifsätze in einzelnen Fällen zu niedrig, aber nicht zu hoch 
bemessen waren. Die Absicht einer erheblichen Erhöhung der Tarifsätze liege 
der Medizinalverwaltung völlig fern. 

Abgesehen von den gerichtsärztlichen Gebühren, namentlich für Obduk¬ 
tionen uud für größere Gutachten bringt auch der Tarif tatsächlich keine Er¬ 
höhungen, sondern vielfach nicht unerhebliche Ermäßigungen, indem er .Ge¬ 
bührensätze vorsieht, die z. T. niedriger als die bisherigen und auch niedriger 
als die der ärztlichen Gebührenordnung sind. Die Medizinalbeamten werden 
deshalb, abgesehen von den Gerichtsärzten, keinen großen finanziellen Schaden 
erleiden, wenn der Gesetzentwurf erst im nächsten Jahte zur Verabschiedung 
gelangt Da der Gesetzentwurf nicht abgelehnt, sondern nur von der Tages¬ 
ordnung abgesetzt und der Landtag vertagt ist, so steht zu erwarten, daß er 
gleich zu Anfang der Herbstsitzung wieder zur Beratung gelangt und nicht 
bis zum Schluß aer Session zurückgestellt wird. 


Erhebungen, betr. Arbeiterselinlz. Mit Rücksicht darauf, daß die 
Xetallschleifer bei ihrem Gewerbe infolge Einatmung von Staub, insbe¬ 
sondere Metallstaub, gesundheitlich schwer geschädigt werden — es handelt 
sich dabei hauptsächlich um Erkrankungen der Lungen, insbesondere Schleifer- 
tsthma und Lungentuberkulose — ist vom Reichsamt des Innern der Frage 
näher getreten, ob der Erlaß von Vorschriften zur Bekämpfung dieser Gesund- 
hdtsgefahr für das ganze Reichsgebiet auf Grund des § 1 der Gew.-Ordn. ge¬ 
boten ist. Die Bundesregierungen sind deshalb um Erhebungen über die Zahl 
der Trocken- und Naßschleifereien, über die Zahl der in ihnen beschäftigten 
männlichen, weiblichen und jugendlichen Schleifer und auch um Angaben über 
die Zahl der an Lungenleiden erkrankten Schleifer ersucht, soweit sich darüber 
tos der Statistik der Krankenkassen Auskunft geben läßt. Gleichzeitig sind 
ihnen die Grundzüge derartiger Vorschriften zur Begutachtung mitgeteüt. 


Auch zur Bekämpfung der aus der Verwendung von Blei drohenden 
Gcrandheitsgefahren hat das Reichsamt des Innern die Bundesregierungen 
(nacht, durch die Gewerbeaufsichtsbeamten feststellen zu lassen, wieviel Blei- 
erkrankungen der Arbeiter in Feilenhauereien infolge der Benutzung von 
Unterlagen aus Blei und Bleilegierungen beim Hauen der Feilen sowie infolge 
Anlassens und Härtens der letzteren in Bleibädern beobachtet worden sind. 
Gleichzeitig ist eine Aeußerung darüber erbeten worden, ob die Verwendung 
An Bleies und seiner Legierungen zu Unterlagen ganz oder teilweise ver¬ 
boten werden kann. 


Tagesordnung zur 77. Versammlung Deutscher Naturforscher und 
Amte in Meran vom 24. bis 80. September 1905. 

A. Allgemeine Sitnungen. 

Sonntag, den 24. September, vormittags 10 Uhr: Sitzung des 
Vorstandes der Gesellschaft im Hotel Erzherzog Johann. — 11 */* Uhr: Sit- 
nng des wissenschaftlichen Ausschusses ebenda. — Nachmittags 3 Uhr: Vor¬ 
stellung im Volksschauspielhause: „Andreas Hofer“. — Abends 8*/* Uhr: Be- 
grftßungsabend für Damen und Herren in der Festhalle; Militärkonzert. 

Montag, den 25. September, Vormittags 10 Uhr: Erste allgemeine 
Versammlung in der Festhalle (Herzogs-Rudolfstraße): 1. Eröffnungsrede. 
4 Begrüßungsansprachen, 8. Vortrag des Herrn Prof. Dr. W. Wien-Würz- 



470 


Tugesnachrichten. 


bürg: „Ueber Elektronen“. 4. Vortrag des Herrn Dr. Nocht-Hamburg: 
„Ueber Tropenkrankheiten“. — Nachmittags 3 Ohr: Abteilungs-Sitzungen. — 
Abends 8*/* Uhr: Volksliederabend in der Festhalle; Konzert einer Musik¬ 
kapelle. 

Dienstag, den 26. September: Vor-und Nachmittags: Abteilungs- 
Sitzungen. — Abends 6 Uhr: Festmahl in der Festhalle. (Anmeldungen hierzu 
bis Montag, den 25. September in der Hauptgeschäftsstelle [Kurhaus, Lesehalle] 
erbeten. Preis Mk. 6 = K. 6.— ohne Wein.) — 8'/» Uhr: Konzert einer 
Musikkapelle auf der Promenade vor dem Kurhause. 

Mittwoch, den 27. Septembe r, vormittags 8 '/* Uhr: Erste Geschäfts¬ 
sitzung in der Festhalle: Wahl des Versammlungsortes und der Geschäfts¬ 
führer für 1906. — Neuwahlen in den Vorstand und in den wissenschaftlichen 
Ausschuß. — Kassenbericht. — Vormittags 10 Uhr: Gesamtsitzung der beiden 
wissenschaftlichen Hauptgruppen in der Festhalle, a) Herr Prof. Dr. A. G uta¬ 
rne r-Jena: Bericht über die Tätigkeit der in Breslau eingesetzten Unter¬ 
richtskommission der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Aerzte. b) Vor¬ 
träge: 1. H. Prof. Dr. Correns-Leipzig: „Ueber Vererbungsgesetze“. 

2. H. Prof. Dr. Heider-lnnsbruck: „Ueber Vererbung und Chromosomen*. 
8. H. Prof. Hatschek-Wien: „Neue Theorie der Vererbung“. — Nach¬ 
mittags: Abteilungs - Sitzungen. — Abends 8 */* Uhr: Bilder aus dem Tiroler 
Leben in der Festballe. Zusammengestellt vom Volksschriftsteller Karl WoIf. 

Donnerstag, den 28. September, vormittags: Abteilungs - Sit¬ 
zungen. — Nachmittags 3 Uhr: Gemeinschaftliche Sitzung der medizinischen 
Hauptgruppe in der Festhalle: „Ueber Natur und Behandlung der Pellagra*. 
Referenten: Hofrat Prof. Neuß er-Wien, Dr. med. Adriano Stur li-Wien, 
Med.-Rat Prof. Dr. Tuczek-Marburg, Prof. Dr. Ludwig Merk• Innsbruck, 
Statthaltereirat Dr. Ritter v. Haberler-Innsbruck. — Abends 8'/» Uhr: Fest¬ 
abend auf der Promenade vor dem Kurhause, gegeben von der Kurvorstehung 
Meran. Festillumination und Bergbelcuchtung. 

Freitag, den 29. September, vormittags 8*/* Uhr: Eventuelle 
zweite Geschäfts - Sitzung in der Festhalle. — 10 Uhr: Zweite allgemeine Ver¬ 
sammlung in der Festhalle. Vorträge: 1. H. Prof. Dr. H. Molisch-Prag: 
„Ueber Lichtentwickelung in den Pflanzen.“ 2. H. Prof. Dr. Dürck-München: 
„Ueber Beri-Beri und intestinale Intoxikationskrankheiten im Malayischen Ar¬ 
chipel.“ 3. H. Direktor Dr. N eißer-Lublinitz: Individualität und Psychose“. 
4. H. Josef Wimmer-Wien: „Mechanik der Entwickelung der tierischen 
Lebewesen*. — Nachmittags: Erforderlichenfalls Abteilungs-Sitzungen. — 
3 Uhr: Veranstaltungen auf dem Sportplätze Meran-Meis. Bauernrennen und 
Rangeb. — Abends 8*/» Uhr: Abschiedsabend in der Festhalle. Militärkonzert. 

Samstag, den 30. September: Ausflüge: Fragsburg, Lebenberg, 
Schönna, St. Leonhard, Tirol. Auskünfte hierüber m der Hauptgeschäftsstelle, 
Kurhaus, Lesehalle. — Abends 8'/* Uhr: Konzert in der Festhalle. 

Sonntag, den 1. Oktober, nachmittags 3 Uhr: 2. Vorstellung im 
Volksschauspielhause: „Andreas Hofer“. 

B. Abteilungs - Sltaungen. 

1. Gerichtliche Medisin. (Zugleich Tagung der „Deutschen Gesell¬ 
schaft für gerichtliche Medizin“.) Einführende: Dr. Neuhauser, k. k. 
Bezirksarzt in Meran, Univ.-Prof. Dr. Ipsen-Innsbruck. Schriftführer: Dr. 
Spöttl-Meran, Dr. Molitoris-Innsbruck. — Sitzungsraum: Speisesaal im 
Hotel Stadt München, Burggrafenstraße 15. Verpflegungsstätte: ebendaselbst 

Diskussionsthemata: a. „Tod durch Elextrizität“. I. Referent: 
Kratter-Graz; II. Referent: Jellinek-Wien. b. „Morphinismus in straf¬ 
rechtlicher Beziehung“. I. Referent: v. Kaan-Meran; II. Referent: Straß- 
mann-Berlin. c. „Der Geisteszustand jugendlicher Krimineller“. I. Referent: 
Anton-Graz; II. Referent Puppo-Königsberg L Pr. — Angemeldete 
Vorträge: 1. Dohrn und Scheele-Cassel: Beiträge zur Lehre von des 
Degenerationszeichen. 2. Horoszkiewicz-Krakau: Thema Vorbehalten. 

3. Ipsen-Innsbruck: a. Ueber den Nachweis von Atropb; b. ein Beitrag zur 
Lehre vom Kindsmord. 4. Kratter und Pfeiffer-Graz: Kasuistisches aus 
dem Institut für gerichtliche Medizin der Universität Graz. 6. L epp mann- 



Tagesnachrichten. 


471 


Berlin: Thema Vorbehalten. 6. Molitoris-Innsbruck: a. Ueber das Ver¬ 
halten einzelner Alkaloide im Vogeltierkörper; b. über die Fäulnis von Lungen 
Neugeborener. 7. Pfeiffer -Graz: Neue Beiträge zur Kenntnis der Präzipitin¬ 
reaktion (Spezifizität der Reaktion.) 8. Reut er-Wien: a. Ueber den Nach¬ 
weis von Kohlenoxydgas im Leichenblut; b. Demonstration postmortaler epi¬ 
duraler Blutextravasate von verkohlten Leichen. 9. Richter-Wien: a. Nach¬ 
weis von Bakterien in Blutspuren und seine forensische Bedeutung; b. Wider¬ 
standsfähigkeit von Leichengeweben und Leichenorganen gegenüber äußeren 
Gewaltseinwirkungen. 10. Stolper-Göttingen: Zur Verhütung der Unfall¬ 
neurosen. 11. Stumpf-Würzburg: Weitere Mitteilungen über die quantitative 
Bestimmung des Luftgehaltes der Lungen (mit Demonstrationen). 12. Wach- 
holz-Krakau: Zur Kohlenoxydvergiftung. 

10. Hygiene, einschllesalioh. Bakteriologie und Tropen¬ 
hygiene. Einführende: Univ.-Prof. Dr. Lode-Innsbruck, Statthaltereirat Dr. 
T. Haberler, Landessanitätsreferent in Innsbruck, Dr. Foppa, Landes- 
nnitätsinspektor. Schriftführer: Dr. A. Lustig-Meran, Dr. v. Wunsch¬ 
heim-Innsbruck, Dr. Reibmayr-Innsbruck. —Sitzungsraum: 5. Klasse des 
k. k. Obergymnasiums, Renn weg 1. Verpflegungsstätte: Festhalle, Herzog- 
BadolfBtr&ße. 

1. Bail-Prag: Thema Vorbehalten. 2. Balln er-Innsbruck: Thema 
Vorbehalten. 3. Bamberger-Wien: Pneumatogen, ein neues System von 
Atmungsapparaten. 4. Frhr. v. Dungern-Freiburg i. Br.: Zur Frage der 
Identität von Menschen- und Rindertuberkulose. 5. Grünbaum -Leeds: Einige 
Beobachtungen betreffs der Opsonina. 6. Heim-Erlangen: a. Ein neues Ver¬ 
fahren zum schäferen Nachweis von Verunreinigungen des Fluß- und Tiink- 
wassers; b. einfachstes Bakterienfilter. 7. L in dn er -Cassel -Wahlershausen: 
Zwei neue Protozoen als Parasiten im Tierkörper. 8. Lode-Innsbruck: Thema 
Vorbehalten. 9. R. 0. Neumann-Heidelberg: Ueber das gelbe Fieber und 
(eine Bekämpfung. 10. Frhr. v. Pirquet-Wien: Ueberempflndlichkeit und 
beschleunigte Reaktionsfähigkeit. 11. Raibmayr-Innsbruck: Thema Vor¬ 
behalten. 12. Remy-Bonn: Die Immunitätsfrage unter besonderer Berttck- 
nehtignng der bei der Pflanze beobachteten Immunitätserscheinungen. 
13. Trommsdorff-München: Ueber den Mäosetyphusbazillus und seine Ver¬ 
wandten. 14. Weyl-Charlottenburg-Berlin: Zur Geschichte der sozialen 
Hygiene im Mittelalter. 15. v. Wunschheim-Innsbruck: Weitere Mittei- 
hugen über die Aetiologie der Hundestaupe. — Die Abteilung ist eingeladen: 
voa Abteilung 20 (Kinderheilkunde) zu: Camerer jun. - Stuttgart: Unter¬ 
suchungen über die Säuglingsernährung in Arbeiterkreisen. Moro-Wien: 
Ueber die Bedeutung der physiologischen Darmflora. Voigt-Hamburg: Die 
Verwendung der Kaninchenlymphe zur Menschenimpfung. 


Die 84. Hauptversammlung des Deutschen Apotheker • Vereins findet 
an 21 und 25. August 1905 in Breslau statt. Auf der Tagesordnung 
stehen a. a: Zulassung von weiblichen Personal als Hülfskräfte, Dispensations- 
reeht der Tierärzte, Reichs-Betriebsordnung, soziale Fürsorge der Apotheken- 
bentier für das Hülfspersonal. 


Genlekstarre ln Prenssen. Für die Zeit vom 31. Mai bis 15. Juni sind ge¬ 
neidet 848 (215) Erkrankungen (Todesfälle) an epidemischer Genickstarre und 
«war in der Provinz Ostpreußen 1, Westpreußen —, Brandenburg 6 (2), 
Pommern 1 (1), Posen 1, Schlesien 169 (112), Sachsen 3 (1), Schleswig-Holstein 
1 Hannover 2, Westfalen 6 (2), Hessen-Nassau 3 (t), Rheinprovinz 5 (3), 
HohenzoUern —. Von den 101 (123) Erkrankungen (Todesfällen) entfielen also 
169 (112) auf die Provinz Schlesien und nur 32 (11) auf die übrigen Teile der 
Monarchie. Seit dem Beginn der Epidemie (November v. J.) kamen in 
Preußen 3000 Erkrankungen und 1584 Todesfälle an epidemischer Genick¬ 
starre zur Anzeige, von denen 2726 (1457) auf die Provinz Schlesien, 274 
(127) auf den übrigen Staat entfielen. 




472 


Sprechsaal. 


Bitte an die Leser der Zeitschrift. Ich beabsichtige eine möglichst 
vollständige Zusammenstellung der z. Z. in Deutschland bestehenden und im 
Entstehen begriffenen Säuglings-Milchküchen und Säuglingsheime 
zu verfassen und über deren Einrichtung, Betrieb und Erfahrungen zu berichten. 
Ich bitte deshalb alle diejenigen Kollegen, die von solchen Einrichtungen Kennt¬ 
nis haben, mir baldigst auf einer Postkarte die Adressen mitzuteilen, damit ich 
dann dorthin einen Fragebogen senden kann, dessen Ausfüllung mir die nötigen 
Grundlagen geben soll. Physikus Dr. Sieveking, 

Hamburg 17, Botenbaumchaussee 211. 


Spreoha&aL 

Anfrage des Kreisarztes Dr. H. ln B.: Sind Privatpraxis be¬ 
treibende Militärärzte nur zur Anzeige dieser Absicht, oder 
auch zur Vorlage ihrer ärztlichen Legitimationspapi er e(bes w 
nur der Approbation allein oder auch des Doktordiploms) bei 
dem zuständigen Kreisarzt verpflichtet? 

Antwort: Durch Erlaß des Kriegsministeriums vom 8. Januar 1876 
(Armee-Verord.-Bl. S. 11), in Erinnerung gebracht durch Erlaß vom 18. Novbr. 
1882 (Arm.-V.-Bl. 8. 210) sind die Militärärzte darauf aufmerksam gemacht, 
daß die Polizeiverordnungen über die Meldepflicht der Aerzte auch von den¬ 
jenigen Militärärzten zu beachten sind, die Zivilpraxis ausüben wollen. Die¬ 
selben haben sich demnach bei dem Kreisärzte zu melden und die gleichen 
Papiere vorzulegen, wie die Zivilärzte. Welche Papiere vorzulegen sind, hängt 
von dem Wortlaute der in dem betr. Regierungsbezirke geltenden Polizeiver- 
Ordnung ab. Im Beg.-Bez. Minden wird z. B. mündlich oder schriftlich Mel¬ 
dung unter Vorlegung der Approbation oder einer beglaubigten Abschrift 
derselben, sowie unter Angabe des Wohnortes und der persönlichen Verhält¬ 
nisse (Geburtsjahr, Religion, Datum und Ort der Promotion, Militärverhältnisse, 
Besitz von Titeln usw.) verlangt. Es ist also nur die Vorlage der Approbation 
vor geschrieben, während betreffs der übrigen persönlichen Verhältnisse ent¬ 
sprechende Angaben des sich meldenden Arztes genügen. 


Anfrage des Kreisarztes Med.-Rat Dr. E. in 6.: Ist der Titel 
„geprüfte Orthopädin“ als ein arztähnlicher Titel anzusehen? 

Antwort: Nein! Der Titel ist nicht geeignet, das Publikum über 
die Eigenschaft seiner Trägerin irre zu führen. Bisher ist auch von Seiten 
der Gerichte in diesem Sinne entschieden. 


Anfrage des Kreisassistenzarztes Dr. K. inW.: Darf in Preußen 
die Remuneration der Kreisassistenzärzte zur Kommunal¬ 
steuer nur zur Hälfte herangezogen werden? 

Antwort: Ja! Nach § 41 des preuß. Kommunalabgabengesetzes vom 
14. Juli 1893 kommen für die Heranziehung der unmittelbaren und mittelbaren 
Staatsbeamten usw. zu Einkommen- und Aufwandssteuern bis zum Erlaß eines 
besonderen Gesetzes (das noch nicht ergangen ist) die Bestimmungen der Ver¬ 
ordnung, betr. die Heranziehung der Staatsdiener zu den Kommunalauflagen 
in den neuerworbenen Landesteilen vom 23. September 1867 (G.-S. 8.1648) 
mit der Maßgabe zur Anwendung. Nach §§ 4 und 5 dieser Bestimmungen 
darf das Dienst ei nkommen nur mit der Hälfte seines Betrages der 
Veranlagung zugrunde gelegt werden; außerdem dürfen an direkten Kom¬ 
munalauflagen aller Art äußersten Falles im Gesamtbeträge bei Besoldungen 
von 760—1600 Mark nicht mehr als l 1 /* °/ 0 des gesamten Diensteinkommas 
jährlich gefordert werden. Die Remuneration des Kreisassistenzarztes sowie 
etwaige Gebühren für amtsärztliche Geschäfte stellen dessen Dienstein¬ 
kommen dar und können demgemäß nur bis zur Hälfte zur Kommunalsteuer 
herangezogen werden, bezw. äußersten Falls nur bis 1’/*°/« ihres Gesamt¬ 
betrages, falls dieser nicht mehr als 1600 Mark beträgt. 


Verantwortl. Redakteur: Dr. Rap mun d, Reg.- u. Geh. Med.-Rat in Mindeni. W. 
J. 0. C. Bruns. HerzogL Sich«, u. F. fleh.-L. Hofbucbdruckerel in Minden. 



18 . Jahrg. 


1905. 


Zeitschrift 

MEDIZINALBEAMTE. 


ZeitnIMatt Rr gerichtliche Iclizii u4 Psychiatrie, 

Kr arztliehe Saehferstudigeatatigkeit in Unfall- nnd Inraliditatssaehen, sowie 
Kr Hygiene, ifeatL Saiititswesen, ledizinal-Geeetzgebug u4 Reehtsprechug, 

Herausgegeben 

TOD 

Dr. OTTO RAPMOND, 

Regierung«- and Geh. Medisin*lr«ft In Minden« 


Verlag von Fischers mediz. Buohhandlg., H. Kornfeld, 

HtraogL Bayer. Hof- u. BniunogL Kammer-BnahMadler. 

Berlin W. 35, Lützowstr. 10. 

lammte nehmen die Verlagahendhing sowie alle Annoncen - Expeditionen de« In¬ 
end Auslandes entgegen. 


Nr. 15. 


Krschelat mm 1. nid IS« Jedem Hemmte 


1. August. 


Weitere Erörterungen Uber die „Meldepflicht bei Kindbett- 
fieberfällen“ als Ergänzung zu Dr. Nickels Aufsatz in 
Nr. 8 dieser Zeitschrift. 

Von Prot Dr. Walther-Gießen, Frauenarzt und Hebanunenlehrer. 

Die interessanten Mitteilungen des H. Kreisarzt Dr. Nickel 
in Nr. 8 dieser Zeitschrift sowie die Besprechung auf der Haupt¬ 
versammlung des Preussischen Medizinalbeamtenvereins *) dürften 
geeignet sein, die Diskassion über die Frage der Meldepflicht 
von Kindbettfieberfällen 1 ) anzaregen and damit weiteres Material 
za sammeln. Für ans Hebammenlehrer sind gerade Belehrungen 
ans dem Schosse der Herren Kreisärzte ausserordentlich 
wertvoll; aber auch die eigenen Erfahrnngen der geburtshilf¬ 
lichen Praxis lassen sich hier verwerten; sie geben mir bei 
Prüfung des § 481 and 482 des neuen preussischen Heb&mmen- 
lehrbnches wie des § 28 der neuen Dienstanweisung zu ähnlichen 
Bedenken Anlass, wie sie in Nr. 1 dieser Zeitschrift auch H. 
Kollege Mann 8 ) ausgesprochen hat. Gerade Dr. Nickels Mit- 
teflungen regen mich in der Beziehung zur Mitteilung einiger 
Erfahrnngen ans meiner konsultativen Praxis an, zumal sich eine 
Beihe von Fällen mit denjenigen Dr. Nickels fast vollkommen 
decken: 

Am 27. April 1896 wurde ich von H. Kollegen Z. zu einer schwerkranken 

') Siehe den der heutigen Nummer der Zeitschrift beigefügten offiziellen 
Bericht über die XXII . Hauptversammlung des Preußischen Medizinalbeamten- 
rereina. 

*) Mann: Die Prophylaxe der puerperalen Wundinfektionskrankheiten 
etc. Zeitachr. L Medixinafbeamte; 1905, Nr. 1. _ 











474 


Dr. Walther. 


Wöchnerin Frau H. nach auswärts gerufen; der Kollege hatte die Patientin 
bereits seit 14 Tagen in Behandlung, hatte den Fall vorschriftsmäßig angezeigt 
und die Hebamme veranlaßt, daß sie ihre Gerätschaften desinfizieren ließ und 
sich weitere Instruktionen bei dem Kreisärzte holte, vor allem, daß sie nach¬ 
träglich noch den Fall als „Kindbettfieber“ selbst anzeigte. Ueber den Fall 
selbst erfuhr ich folgendes: Frau H. war am &. April von der Hebamme vor jetzt 
etwa 5 Wochen entbunden worden, spontane Geburt, nach mehreren Tagen, 
angeblich vom fünften Tage ab Fieber, welches tagelang anhielt; ob es mit 
einem Schüttelfrost eingesetzt hatte, konnte nicht ermittelt werden. Erst nach 
8 Tagen Zuziehung des genannten Kollegen. Trotz aller Maßnahmen keine 
Besserung. Bei meiner Zuziehung Ende der vierten Woche konnte ich alle 
Erscheinungen der Septiko-Pyaemie klinisch wie anatomisch feststellen: hohes 
Fieber (41°, Puls 140), Abdomen nicht schmerzhaft, Parametrien frei; am 
Herzen keine Geräusche. Das rechteEUenbogengelenk zeigte eine deut¬ 
liche Schwellung und Fluktuation, das linke Kniegelenk desgleichen 
geschwollen, in der Kniekehle sehr schmerzhaft; pemphigusartige Blasenbil¬ 
dung auf der Haut. Wiederholte Schüttelfröste. Nach dem Krankheitsverlaufe 
stellte ich von vornherein die Prognose sehr ungünstig; trotz geeigneter Behand¬ 
lung seitens des Herrn Kollegen, wie zu erwarten, Exitus in der 6. Woche. 

Der behandelnde Kollege hat nun nachgeforscht, wo eine etwaige In¬ 
fektionsquelle hier möglicherweise zu suchen war. Durch Zufall hörten wir, 
daß die betr. Hebamme in ihrer Praxis mehrere, sicherlich zwei fieberhafte 
Fälle gehabt hatte, die sie aber weiterhin nicht beachtet hatte. Sie berief sich 
bezüglich des ersten Falles auf den damals behandelnden Arzt. Dieser Fall I 
ist wiederum in bezug auf die Auffassung dessen, was als „Wochenbettfieber* 
speziell leichtes Fieber zu gelten hat, charakteristisch: 

Die betreffende Wöchnerin hatte am 4. Tuge Fieber, das Fieber soll noch 
mehrere Tage bestanden haben. Der hier zugezogene Arzt hatte es als durch 
.„Kotstauung entstanden* erklärt und den Fall, trotzdem die Frau mehrere 
Tage fieberte, nicht angezeigt; natürlich unterließ auch die Heb¬ 
amme die Anzeige (NB. nach dem neuen preußischen Hebammenlehrbuch 
hätte sie ja auch Becht!). Sie verfehlte dadurch gegen § 20 der hessischen 
Dienstanweisung. Sie wurde zu Fall II gerufen, entband diese Frau; auch 
diese fieberte mehrere Tage. Von da übernahm sie den oben beschriebenen Fall 

Es erscheint mir sehr wahrscheinlich, dass hier ein kausaler 
Zusammenhang zwischen den Fällen I und II und dem tödlich 
verlaufenen Fall bestand und dass die Weiterttbertragung hätte 
verhütet werden können, wenn der Arzt bei dem doch nicht nur 
ein Tag, sondern mehrere Tage bestehenden Fieber die Hebamme 
aut die etwaigen Gefahren einer Uebertragung aufmerksam gemacht 
und die Hebamme dadurch vor der Uebernahme neuer Geburts¬ 
hilfe sich und ihre Gerätschaften vorschriftsmässig desinfiziert 
hätte. Der Fall I gab noch zu weiteren Erörterungen zwischen 
Arzt und Kreisgesundheitsamt Anlass, auf die ich nicht weiter 
eingehen kann. Jedenfalls hätte m. E. hier der Arzt die kleine 
Vorsicht beobachten können, bei dem ersten Fall, der zu den 
sog. leicht fieberhaften Fällen von Wochenbettfleber (Kolpitis, 
Endometritis ?) gehörten, welche oft genug nicht gehörig ge¬ 
würdigt werden, die Hebamme darauf aufmerksam zu machen, vor 
der Uebernahme der nächsten Geburt die vorgeschriebenen Vor- 
sichtsmassregeln zu beobachten. 

Der Fall lehrt aber wiederum, wie Vieles nunmehr nach 
dem § 481 des neuen Hebammenlehrbuchs von der Beurteilung 
des Einzelfalles durch den Arzt abhängt, wenn, wie in den 
Fällen des H. Kollegen Nickel, immer noch von „Influenza 8 im 
Wochenbett gesprochen, oder, wofür ich unten ein Beispiel anführen 
werde, gar von „Milchfieber“; auf diese Weise kann der Weiterver- 



Weitere Erörterungen über die Meldepflicht bei Kindbettfieber uaw. 476 

breitung von puerperaler Infektion auf andere Tür und Tor ge* 
öffnet werden. 

Es scheint auch mir daher, dass der § 481 des neuen Lehr- 
baehes zu Missverständnissen Anlass geben kann; ich muss dabei 
allerdings bemerken, dass ich den Grundsatz seither nicht nur 
meinen Studierenden und den Hebammenschülerinnen gelehrt, 
sondern auch selbst in der Praxis stets beobachtet habe, lieber 
einen „Wochenbettdeber verdächtigen“ Fieberfall mehr anzuzeigen, 
als einen zu wenig, damit nicht etwa andere Frauen durch etwaige 
Uebertragung durch die Hebammen in Mitleidenschaft gezogen 
▼erden. Es erniedrigt ja das Ansehen des Arztes in keiner 
Weise, wenn er inbezug auf die Anzeigepflicht vorsichtig ist. 
In diesem Sinne habe ich auch stets bei Konsultationen die Kol¬ 
legen veranlasst, den betr. Fieberfall noch nachträglich anzu¬ 
zeigen, da wir Aerzte doch die Verpflichtung in uns fühlen sollten, 
die staatlichen Medizinalbehörden in der Ausübung ihrer Tätigkeit 
za unterstützen und nicht ihnen entgegenzuarbeiten. Meiner An¬ 
sicht nach ist es nicht übertrieben, „jeden länger dauernden 
Fieberfall im Wochenbett“ als anzeigepflichtig anzusehen; be¬ 
züglich der bekannten Eintagfleberfälle ist die Entscheidung er¬ 
heblich leichter. 

In dieser Hinsicht scheint die hessische Dienstanweisung 
vom Jahre 1888 § 20 den Verhältnissen in der Praxis noch am 
ehesten zu entsprechen. Dort heisst es am Schlüsse: 

»Von jeder schweren, überhaupt jeder fieberhaften Erkran¬ 
kung, welche bei einer Wöchnerin innerhalb der beiden ersten Wochen nach 
der Entbindung eintritt, soll die Hebamme persönlich oder schriftlich dem 
Kreisarzt Anzeige machen usw.“ 

Es ist nicht leicht gewesen, in dem neuen Lehrbuch diesen 
Poskt, welcher bei extremer Auffassung der Anzeigepflicht zu 
unangenehmen Unzuträglichkeiten führen kann, so zu formulieren, 
dam er den Verhältnissen der Praxis immer entspricht. Der Ver¬ 
gaser des (im übrigen ausgezeichnet gearbeiteten!) 
Lehrbuches, Prof. Dr. Runge, spricht dies selbst in der Be¬ 
sprechung des Lehrbuches 1 ) aus, indem er in betreff der Vorschriften 
zor Verhütung und bei Entstehung des Kindbettfiebers sagt: 

»Dieser Teil bereitete der Kommission die größte Mühe. Man mußte 
die denkbar größte Sicherheit schaffen gegen die Uebertragung des Kindbett¬ 
fiebere, aber auch den Wortlaut mit den Vorschriften des in Aussicht stehenden 
Ludscuchengesetzcs in Einklang bringen. Den Hebammen sollte wie bisher 
die Anzeigepflicht beim Kindbettfieber auferlegt werden. Um dabei aber 
Kollisionen mit dem Arzt etc. oder peinliche Situationen zwischen Arzt und 
Kreisarzt möglichst zu vermeiden, war eine besonders geschickte Fassung des 
fatr. Paragraphen zu wählen. Ob hiermit allen Anforderungen genügt ist, 
sei dahingestellt; an dem ehrlichen Willen, ihnen gerecht zu werden, hat es 
wahrlich nicht gefehlt.“ 

Dass die jetzige Fassung des § 481 des neuen Lehrbuches*) 

’) Zentralbl. f. Gynäkologie; 1901, Nr. 44. 

*) § 481 des neuen preuß. Lehrbuches heißt: 

»Die Hebamme hat bei Fieber im Wochenbett einen Arzt zu for¬ 
dern, wenn die Temperatur über 38,5° beträgt, und am nächsten 
Jage nicht unter 88° sinkt. Folgt auf den Ficbertag zwar ein fieber¬ 
freier Tag, geht aber am 8. Tag oder später die Temperatur wieder über 88°, 
80 k»t sie das Gleiche zu tun.“ 



476 


Dr. Walther. 


und des § 28 der Dienstanweisung zu Gefahren in bezug anf die 
Uebertragung führen kann, das hat Ahlfeld 1 ) an folgendem sehr 
lehrreichen Beispiel gezeigt: 

„Frau M. hat am 8. Wochenbettstage vormittags 40,0, abends 40,4. 
Nach der Instruktion darf die Hebamme den nächsten Tag abwarten. Am 
4. Tage Morgens 37,8; folglich braucht die Hebamme nicht zum Arzt zu 
schicken. Erst nach dem Abendbesuch, wo die Messung 39,6 ergibt, ist die 
Hebamme verpflichtet, einen Arzt zu rufen, der nun wahrscheinlich am 3. Tage 
morgens eintrifft. Die Hebamme kann dann sehr wohl, während sie eine Kind¬ 
bettfieberkranke pflegte, eine, auch zwei neue Entbindungen vorgenommen 
haben, ohne daß sie gegen die Instruktion verstieß. Augenscheinlich ist hier 
vergessen worden, eine Fiebertemperatur anzugeben, bei der ungesäumt, ohne 
den nächsten Tag abwarten zu dürfen, der Arzt gerufen werden muß.“ 

Ahlfeld sagt weiter: 

„Bei der Ungenauigkeit über diesen Punkt im alten Lehrbuch haben 
wir im Unterricht so gelehrt, daß bei Messungen der Temperatur zwischen 
88,0 und 38,5 bestimmt wird, und wenn auch nur einmal sie 38,6 übersteigt, 
dann ein Arzt zu Bäte gezogen werden soll.“ 

Bezüglich der Anzeige an den Kreisarzt, die erst von der 
Aussage des behandelnden Arztes, ob tatsächlich Kindbettfieber 
vorlieg'e, dieselbe abhängig zn machen, sagt Ahlfeld: 

„Die Praxis wird erst entscheiden lassen, ob dies der richtige Weg ist, 
um die noch ungelöste Frage zu beantworten, auf welche Weise mit einiger 
Sicherheit die wirklichen Kindbettfieberfälle von den verdächtigen geschieden 
werden. Bisher hat dieser Weg nicht zum Ziele geführt.“ 

Runge 8 ) schreibt in bezug auf diesen Punkt: 

„Berechtigt ist dagegen Ahlfelds Tadel über die Vorschrift betr. die 
Herbeirufung eines Arztes bei Fieber im Wochenbett (§ 481). Der Pa¬ 
ragraph lehrt, daß die Länge und Gründlichkeit einer Diskussion keineswegs 
immer ein gutes Ergebnis hat. Denn wohl über keinen anderen Paragraphen 
des ganzen Lehrbuchs ist so viel debattiert worden, wie über diesen. Es ist, 
wie Ahlfeld richtig bemerkt, unterlassen, einen Temperaturgrad anzugeben, 
bei welchem unter allen Umständen sofort der Arzt gerufen werden muß.“ 

Es dürfte danach also keinem Zweifel unterliegen, dass 
wir entgegen dem Lehrbuch darin Recht tun, die Hebammen so 
zu unterrichten, wie Ahlfeld es gethan hat, wie übrigens wir 
bisher in gleicher Weise den Schülerinnen gesagt haben: den Arzt 
zu rufen, sobald eine zweimalige Messung das Vorhandensein von 
Fieber nachgewiesen hat. Das Herabgehen der Temperatur unter 
38,0 beweist meiner Ansicht nach garnichts gegen Fieber; in der 
Mehrzahl der Fälle deutet eine Ä erhöhte Temperatur“, z. B. 37,6 
oder 37,7 morgens an, dass Yoraussichtlich abends wieder Fieber 
auftreten wird. Wollte die Hebamme ihre Meldung an den Arzt 
Yom zweiten Tage abhängig machen, so hiesse das, einen Fall 
verschleppen; gerade bei Verschleppung von Puerperalfieber¬ 
fällen kommt aber erfahrungsgemäss die Therapie oft zu spät. 

Hat die Hebamme den Fall dem Arzte gemeldet, so hängt 
ja allerdings von der Auffassung des Arztes es ab, ob wirklich 
Puerperalfieber vorliegt oder nicht, davon aber wieder, ob die 
Hebamme die vorgeschriebenen Vorsichtsmassregeln befolgt oder 
nicht. Wie wichtig das aber für Fälle ist, in denen, wie auf dem 

*) Monatsschr. f. Geb. u. Gyn.; XXL, 1. Jan. 1905: Besprechung des 
neuen Hebammenlehrbuchs. S. 129. 

*) Bunge: „Das deutsche Hebammenlehrbuch“. Deutsche medizinische 
Wochenschr.; 1905, Nr. 7. 



Weitere Erörterungen Uber die Meldepflicht bei Kindbettfieber usw. 477 

Lande, die Frauen auf nur eine einzige Hebamme angewiesen 
sind, das mag der folgende Fall zeigen, den ich in der konsulta- 
tiren Praxis sah. Der Fall lehrt zugleich, wohin die Auffassung 
eines leichten Fieberfalles als „Milchfieber“ führen kann: 

Im Orte D. erkrankt Frau B. (die Schwester eines Arztes, der mich in 
letzter Linie noch konsaltierte) am 3./4. Tage des Wochenbettes an Fieber. 
Die Hebamme schickt zam Arzte. Derselbe lehnt in der Nacht es ab, nach 
dem weit entfernten Orte za fahren, schreibt Fiebcrpalvcr auf; am folgenden 
Tage kommt er za der Wöchnerin, erklärt die Erkrankung für „Milchfieber*. 
Es werden Fieberpalver weiter verordnet. Von Wochenbettfieber ist nicht die 
Bede; die Hebamme geht daher rohig inzwischen za anderen Kreißenden. Eine, 
roo ihr entbundene Frau, fiebert leicht, kommt aber zur Genesung. Inzwischen 
wu Kollege X., der Bruder der Patientin, gerufen und stellt schweres Wochen* 
bettfieber fest. Er veranlaßt am folgenden Tage meine Zuziehung. Ich konnte 
mit dem Kollegen nur noch bestätigen, daß es sich um eine schwere, demnächst 
mm Exitus führende Infektion handeln würde. Jegliche Therapie machtlos. 
Die Wöchnerin stirbt nach zwei Tagen unter Erscheinungen der Sepsis. Wir 
reranlassen, daß die Hebamme sofort diesen Fall dem Kreisarzt anzeigt 
and ihre Tätigkeit so lange einstellt, bis der Kreisarzt die diesbezüglichen 
Anordnungen getroffen hat. Außer der zweiten Wöchnerin hatte — es war dies 
wohl ein Zufall — die Hebamme keine andere Frau inzwischen entbunden; 
wären andere Fälle zur Entbindung gekommen, so hätte sie zweifellos mehrere 
and durch die Virulenzsteigerung der Bakterien wohl eine der späteren schwer 
infiziert, von Fall zu Fall übertragen, wenn wir nicht energisch eingeschritten 
wären. Ich machte damals die Hebamme darauf aufmerksam, daß wir die 
Fälle eben anzeigen, um die Frauen, welche in der nächstfolgenden Zeit ihrer 
Entbindung entgegen sehen, vor Gefahren zu schützen. Sie berief sich auf 
dm Arzt. Sie war im Recht. 

Der Fall zeigt, wie die Beurteilung des Einzelfalles dem 
Arzte eine grosse Verantwortlichkeit aalbürdet. Ich kann in 
dieser Beziehung immer wieder darauf hinweisen, dass meiner 
Ansicht nach auch bei den verdächtigen Fieberfällen eine 
Anzeige erfolgen solle, wenigstens der Arzt die Hebamme auf die 
Gefahren der Uebertragung aufmerksam machen und sie ermahnen 
soll (laut § 29 der preuss. Dienstanweisung), so lange sich jeder 
Tätigkeit zu enthalten, bis der Fall klargestellt ist. 

Dass dieser Punkt der „Anzeigepflicht seitens des Arztes 
bei Kindbettfieberfällen“ auch forensische Bedeutung gewinnen 
kann, das konnte ich vor einigen Jahren in einer Gerichtsverhand¬ 
lung als Sachverständiger bestätigen; auf die Einzelheiten dieses 
Falles kann ich an dieser Stelle jedoch nicht eingehen. Es handelte 
och um einen Kollegen, welcher, abgesehen von Diphtherie- und 
Seharlachfällen, auch Kindbettfieberfälle niemals angezeigt hatte. 
Ich äusserte mich, vom Gerichtshof befragt, dahin, dass der Arzt 
Mhr wohl verpflichtet ist, sobald er auf Grund seiner klinischen 
Beobachtung den Eindruck gewonnen hat, dass es sich um Kind- 
bettfieber handelt, diesen Fall dem Kreisgesundheitsamt zur An¬ 
zeige zu bringen; die Rücksichtnahme auf die eigene Praxis oder die 
durch den Fall etwa betroffene, geschädigte Hebamme muss zurück- 
atehen gegenüber der Rücksicht auf die Frauen, gegenüber der 
unbedingten Pflicht, bei eingetretenem Infektionsfalle alle übrigen 
Frauen, die auf die Hilfe der betr. Hebamme angewiesen sind, 
zu schützen! Auch ist meiner Ansicht nach der zuständige Kreis¬ 
arzt hier berechtigt, bei widerstrebendem Verhalten eines solchen 
Arztes energische Schritte zu tun. Der Arzt muss eben, wie 



478 


Dr. Walther. 


auch Fritsch in der „gerichtsärztlichen Geburtshilfe* S. 181 
sagt, hier »die Behörden unterstützen*. 

Ich sprach bisher natürlich in der Hauptsache von Infektions¬ 
fällen nach rechtzeitiger Geburt Leider sind im Vergleich dazu 
die fieberhaften Abortfälle, sei es putrider, sei es putrid¬ 
septischer Abort, sowohl im Lehrbuch als auch in der Dienstan¬ 
weisung nicht genügend beachtet. Ein Erlebnis aus der kon¬ 
sultativen Praxis dürfte die Bedeutung dieser Fälle illustrieren: 

In einem Orte X erkrankten mehrere Wöchnerinnen schwer fieberhaft; 
bei der einen wurde ich za Bäte gezogen, der Arzt hatte alle erdenklichen 
Vorsichtsmaßregeln bei der Gebart beobachtet; er schien mir völlig schuldlos 
an dem lethal verlaufenden Falle za sein. Bezüglich der Hebamme hörte ich, 
daß dieselbe zwei kranke Wöchnerinnen gehabt hatte and, ehe diese beiden 
Fraaen von ihr entbanden waren, eine fieberhafte Fehlgeburt geleitet 
hatte. Der kausale Zusammenhang zwischen diesen Fällen schien mir gegeben, 
wenn nach nicht bewiesen. 

Dieser Fall hat in mir aber die Ansicht bestärkt, welche 
ich schon früher ausgesprochen habe, dass es notwendig ist: dass 
1. die Hebammen auch die Fälle von Fehlgeburten in ihr 
Tagebuch eintragen, 2. die fieberhaften Fehlgeburten 
dem Kreisarzt anzeigen, also genau so behandeln, wie 
Kindbettfieberfälle. § 477 des neuen Lehrbuches klärt die 
Hebamme über solche Gefahren auf. Meiner Ansicht muss aber 
eine derartige Vorschrift in die Dienstanweisung aufgenommen 
werden; für Hessen ist dies vorgesehen. 1 ) 

Ich gehe nun noch einen Schritt weiter und möchte auf 
Grund von einer Erfahrung, die ich bezüglich einer Wochenpflegerin 
machte, der Erwägung der Herren Kreisärzte anheimgeben, ob 
es nicht angängig ist, zu verlangen, dass eine Pflegerin bei 
der Pflege von Kindbettfieberfällen sich denselben 
Vorschriften unterwirft, wie eine Hebamme. Ich habe 
dies in dem Leitfaden für Wochenpflege’) ausgesprochen. Als 
Beispiel der folgende Fall: 

Die Pflegerin X. hatte eine, wie erst nachträglich festgestellt wurde, 
an Erysipel erkrankte Wöchnerin gepflegt und wurde von da nach Gießen » 
Frau X. zur Pflege gerufen. Sie folgte natürlich sofort dem Bufe. Die»« 
zweite Wöchnerin erkrankte an schwerem Erysipel. Der Kunst der Aerxte 
gelang es, die Frau zu retten. 


*) Sehr lehrreich ist in dieser Beziehung ein Passus aus Fritsch: 
Gerichtsärztliche Geburtshilfe. Stuttgart 1901. Verlag von Ferd. Enke. Er 
sagt S. 181: 

„Ich erlebte einen eigentümlichen Fall, der zur Verurteilungführte. 
Sie hatte einen jauchenden Abort behandelt und ohne Desinfektion meh¬ 
rere Kreißende bedient. 2 starbenI 4 erkrankten schwer! (vergL meine 
obigen Mitteilungen). In der Gerichtsverhandlung sagte die Hebamme: „Sie habe 
ja Kindbettfieber nicht beobachtet, eine Abortierende sei keine Wöchnerin, sie 
habe nicht wissen können, daß auch das Fieber einer Abortierenden 
Kindbettfieber sei“. Dieser Fall ermahnt uns Hebammenlehrer so recht 
deutlich, im Unterrichte darauf hinzuweisen, daß die Berührung mit jauchigen 
Aborten ebenso gefährlich ist, wie diejenige mit Wochenfluß einer 
Wöchnerin mit Kindbettfieber! Ich mache sowohl bei dem Lehr¬ 
gang für Schülerinnen als auch bei den Hebammennachkursen seit Jahren auf 
diesen Punkt aufmerksam!“ 

*) Walther: Leitfaden zur Pflege der Wöchnerinnen und Neuge¬ 
borenen; S. 120. II. Auflage. Wiebaden 1905. Verlag von J. F. Bergmann. 
Vergl. auch Mann: Die Pflege der Wöchnerin; S. 128. Paderborn 1904. 




Weitere Erörterungen über die Meldepflicht bei Kindbettfieber usw. 479 


Meiner Ansicht nach konnte das Erysipel nur durch die 
Pflegerin übertragen worden sein; das Gleiche ist aber auch ein* 
mal möglich bei Kindbettfieber, falls die Pflegerin mit eitrigen 
oder fauligen Absonderungen in Berührung kam. — Existiert 
irgendwo eine Vorschrift für Pflegerinnen? Nein! Ich glaube aber, 
dass man eine solche Vorschrift, wie das in manchen Bundesstaaten *) 
bereits geschehen ist, auf dem Verordnungswege erlassen kann. 

Zum Schlüsse möchte ich in bezug auf die Anzeigepflicht 
hervorheben, dass das Preussische Hebammenlehrbuch auf etwaige 
Verordnungen seitens der Regierungspräsidenten, in Hessen sei¬ 
tens der Kreisämter und auch die Dienstanweisung keinen Ein¬ 
fluss hat; diese bleiben natürlich, wie auch Kollege Nickel 
S. 243 sich ausspricht, in Kraft. 

Die Anzeigepflicht halte ich persönlich demnach für not¬ 
wendig, nicht nur bei Kindbettfieberfällen, sondern auch bei kind- 
bettfieber-verdächtigen Fällen, d. h. ('wie Kollege Nickel 
sich ausdrückt) bei allen Fällen, bei denen „die Möglichkeit der 
Uebertragbarkeit auf andere vorliegt“. Zu diesem Behufe ist 
aber eine rechtzeitige Benachrichtigung des Arztes 
durch die Hebamme unbedingt erforderlich’). 

Die gleiche Vorsicht ist notwendig: 1. Seitens der Heb¬ 
ammen, falls sie einen fieberhaften Abort in Behandlung 
haben, sei es einen putriden oder putrid septischen, weil sie ge¬ 
mäss § 303 des alten Lehrbuches und § 482 des neuen Lehr¬ 
buches mit übertragbaren Keimen in Berührung gekommen sind; 
2. seitens der Wochenpflegerinnen, falls sie die Pflege 
kindbettfieberkranker Frauen selbst geleitet haben. 

Sollten in dieser Hinsicht die Vorsichtsmassregeln beobachtet 
▼erden, so glaube auch ich, dass der Weiter Verbreitung von Kind¬ 
bettfiebererkrankungen auf diese Weise wirksam entgegengearbeitet 
▼ird. Wenn ich auch einen etwas extremen Standpunkt bezüglich 
der Anzeigepflicht vertrete, so glaube ich doch anderseits, dass er 
behufe Erziehung der Hebamme zu gewissenhafter Pflichterfüllung 
in pädagogischer Hinsicht nichts schadet. Bisher habe ich bei 
meinen Schülerinnen nach dieser Art strenger Erziehung keinen 
Schaden, sondern stets nur Vorteil gesehen! 

Ich bin mir bewusst, dass ich bei manchen Kollegen viel¬ 
leicht auf Widerspruch stossen werde — dies regt aber gerade 
in dieser praktisch wichtigen Frage die Diskussion an. Für eine 
Belehrung in diesen Punkten seitens erfahrener Kreisärzte bin 
ich stets dankbar! 

*) In der Provinz Westfalen hat der Oberpräsident eine „Ordnung 
für staatlich geprüfte Wochenpflegerinnen 11 erlassen, deren § 10 sagt: „Die 
Vorschriften über dasVerhalten der Hebammen zarVerhütang 
des Kindbettfiebers gelten auch für die geprüften Wochen¬ 
bettpflegerinnen.* 

*) Vielleicht gelingt es bei der Neubearbeitung des Lehrbuches eine, in 
bezug auf die Herbeirufung des Arztes präzisere Fassung dem § 481, Abs. 2, 
»wie § 28, Abs. 1 der neuen Dienstanweisung zu geben, auch eine neue Tem¬ 
peraturgrenze anzugeben, bei der ungesäumt, ohne den folgenden Tag 
abzuwarten, der Arzt zu benachrichtigen ist. 



480 Dr. Roepke: Bemerkungen za dem Aufsätze dej Kreisassistenzarztes 


Bemerkungen zu dem Aufsätze des Kreisassistenzarzles 
Dr. Werner in Marburg: „Theoretisches und Praktisches 
zur Formalindesinfektion auf dem Lande“ in Nr. 13 dieser 

Zeitschrift, Seite 420 ff. 

Von Dr. 0. Roepke, Chefarzt der Eisenbahn-Heilstätte Stadtwald bei Melsungen 

Im vollen Einverständnis mit der von Gaffky anf der 
zweiten Versammlung der Tuberkulose-Aerzte vertretenen Ansicht, 
dass wir uns hüten sollen, das gebräuchliche Formalinverfahren 
zu diskreditieren und dadurch beim Publikum Misstrauen gegen 
unsere Massregeln überhaupt zu erzeugen, habe ich es geflissent¬ 
lich vermieden, die Gründe darzulegen, die mich vor etwa Jahres¬ 
frist bestimmten, trotz der vorhandenen Formalin-Desinfektions¬ 
apparate, an die Konstruktion eines neuen Instrumentariums zur 
Wohnungsdesinfektion heranzugehen. Ich habe mich darauf be¬ 
schränkt, die fertigen Apparate dem mir durch seine streng sach¬ 
lichen Arbeiten auf dem Gebiete der Formalindesinfektion bekannten 
Kollegen Engels und meinem Assistenten fluhs zur experimen¬ 
tellen Nachprüfung vorzulegen; ihre Ergebnisse sind in Heft 7 
dieser Zeitschrift veröffentlicht. Wenn ich nun heute, so wenig 
angenehm es ist, in eigener Sache das Wort zu nehmen, trotzdem 
aus der Reserve heraustrete, so geschieht es aus verschiedenen 
Gründen. Erstens sind die theoretischen Ausführungen Werners 
über mein Instrumentarium in mehreren wichtigen Punkten nicht 
zutreffend, zweitens bedarf die Hymne Werners auf den Bres¬ 
lauer Apparat wesentlicher Einschränkung, und drittens fühle ich 
mich verpflichtet zu berichten, in welchem Umfange ich den von 
verschiedenen Seiten, insbesondere auch von Werner erfolgten 
Anregungen, mein Instrumentarium zu verbessern, entsprochen 
habe. Ich will hierbei Werner nicht auf das Gebiet theoreti- 
sierender Auseinandersetzungen folgen. Nur dadurch, dass ich 
mich auf zahlenmässige Tatsachen und Versuchsergebnisse be¬ 
schränke, deren Kontrolle jedem „praktischen Medizinalbeamten* 
leicht möglich ist, hoffe ich trotz der Fülle der Literatur über die 
Formalindesinfektion noch Interesse bei dem Leserkreis dieser 
Zeitschrift zu finden. 

Werner verlangt für den ländlichen und kleinstädti¬ 
schen Desinfektor einen Formalinverdampfungsapparat, der 
eine Kapazität für ca. 150 cbm Raum besitzt. Dem gegenüber 
wird jeder Praktiker, ohne den Massstab zur Hand zu nehmen, 
betonen müssen, dass es auf dem platten Lande und auch in 
kleinen Städten Privatwohnungen gar nicht gibt, in denen das 
zum Wohnen oder Schlafen bestimmte Zimmer auch nur einen 
annähernd grossen Luftraum aufweist. Sind derartig grosse 
Räume wirklich vorhanden, so pflegen sie als öffentliche Sitzungs¬ 
säle, Tanzsäle, Geschäfts- und Repräsentationsräume zu dienen 
und kommen als solche für die „Wohnungsdesinfektion* nicht in 
Frage. Wie es mit der Grösse der Wohn- und Schlafräume in 
praxi bestellt ist, darüber informieren die folgenden Zahlen, die 



Dr. Werner: Theoretisches and Praktisches zur Formalindesinfektion asw. 481 


auf meine Veranlassung von dem zuständigen Desinfektor und 
meinem Maschinenmeister in der Kreisstadt Melsungen ermittelt 
worden sind. In 4 älteren Häusern betrug — nach den Vor¬ 
schriften des Desinfektors unter Abrundung der Längsmasse und 
des Kubikinhalts nach oben berechnet: 

die Grösse der Wohnzimmer: 50 cbm — 50 cbm — 70 cbm — 70 cbm 
„ „ „ Schlafzimmer: 80 „ — 40 „ — 40 * — 40 „ 

In 4 Neubauten betrug bei gleichem Berechnungsmodus 
die Grösse der Wohnzimmer: 50 cbm — 70 cbm — 60 cbm — 50cbm 
„ „ „ Schlafzimmer: 60 „ — 50 „ — 50 „ — 60 „ 

In der nächstgrossen Stadt des Kreises Melsungen und in 
zwei benachbarten Dörfern war das Ergebnis meiner Feststellungen 
ein ähnliches: Meist waren die Wohnungen noch kleiner; in keinem 
Falle aber gelang es meinen Beauftragten, in unserem Kreise 
abgesehen von den grossen Räumen im alten Melsunger Schloss, 
ein Privatwohn- oder Schlafzimmer mit einem Rauminhalt von nur 
annähernd 120 cbm ausfindig zu machen, auch nicht trotz aus¬ 
gesetzter Belohnung für den Fall dieses Nachweises. In meiner 
Arztvilla, die wegen ihrer grossen und hohen Räume allgemein 
anffällt, fassen die grössten Wohn- und Schlafzimmer — nach 
Desinfektorenvorschrift ausgemessen — 90, 100, 110 und 120 cbm. 
Das ist Praxis, und ihr gegenüber die Forderung Werners, dass 
der Formalinapparat für 150 cbm grosse Räume vorgesehen sein 
muss, graue Theorie! Es übersteigt auch eine Kapazität für 
120 cbm die durchschnittlichen Raumgrössen so erheblich, dass 
ne selbst bei dem Vorhandensein aussergewöhnlich vieler Ge¬ 
brauchsgegenstände, Matratzen, Kleidungsstücke usw. einen ent¬ 
sprechenden Zuschlag von Formaldehyd zu verdampfen gestattet, 
zumal solche Ueberfülle sich doch gewöhnlich nur in kleinen 
Räumen bemerkbar machen wird. 

Werner scheint auch folgenden Passus aus der dem Bres¬ 
lauer Apparat beigegebenen Gebrauchsanweisung ganz übersehen 
zu haben: „Selbst bei Räumen zwischen 100 und 150 cbm 
empfiehlt es sich gegebenenfalls zwei Apparate zu benutzen 
und jeden mit der halben erforderlichen Menge Formalin, WasBer 
und Spiritus zu beschicken.“ Wenn also der Breslauer Apparat 
uneingeschränkt nur für 100 cbm Rauminhalt anzuwenden 
ist, so erscheint es doch erst recht nicht angängig, meinen Appa¬ 
rat zu beanstanden, der nach den Feststellungen von Huhs selbst 
in voll ausmöblierten Zimmern von 120 cbm Raum¬ 
inhalt die denkbar beste Desinfektionswirkung, d. h. 100% Ab¬ 
tötung der ausgelegten Staphylokokken- und Streptokokken-Ob¬ 
jekte gewährleistet! 

Weiter behauptet Werner, dass die durch meinen Apparat 
verdampften Formaldehydmengen „nach den neuen Anforderungen“ 
einer Erhöhung bedürfen. Mit den „neueren Anforderungen“ sind 
die Vorschriften zur Ausführung des Reichsseuchengesetzes ge¬ 
meint, nach welchen bei 7 stündiger Einwirkungsdauer wenigstens 
5 g Formaldehyd und 30 ccm Wasser auf 1 cbm Raum zu verdampfen 
und. Diesen Vorschriften genügt aber mein Apparat 



482 Dr. Roepke: Bemerkungen za dem Aafaatze des Kreisassistenzarztes 


vollkommen, wenn der tatsächliche und nicht der 
vom Desinfektor berechnete Rauminhalt zur Anrech¬ 
nung kommt. Dass letzterer erheblich grösser sein muss, als 
der tatsächliche Kubikinhalt des Raumes, ist selbstverständlich, 
weil der Desinfektor nach den Vorschriften das Höhen-, Breiten- 
und Längsmass des Zimmers auf den nächst höheren halben 
Meter und die durch Multiplikation der erhöhten Masse ge¬ 
fundene Kubikmeterzahl auch noch auf den nächst höheren 
Zehner abzurunden hat. Beträgt z. B. die Länge des Raumes 
5,8 m, die Breite 8,7 m und die Höhe 3,6 m, so ist die tatsäch¬ 
liche Grösse des Zimmers 77 1 /* cbm, während der Desinfektor 
6X4X4 = 96 = 100 cbm ausrechnet und demgemäss auf 7 7 1 /« 
cbm die für 100 cbm in der Tabelle vorgesehenen For- 
malin- und Wassermengen zum Verdampfen bringt. Der 
Unterschied zwischen dem tatsächlichen und dem vom Desin¬ 
fektor herausgerechneten Kubikraum ist ein so auffallender, 
regelmässiger und beträchtlicher, dass er bei Aufstellung meiner 
Tabellen von vornherein in Betracht gezogen werden konnte. Die 
Grösse des Unterschiedes geht aus den folgenden Zahlen hervor, 
bei denen der tatsächliche Rauminhalt von 28 verschiedenen Zim¬ 
mern in Melsungen, in meinem Arzthause und in der Heilstätte 
Stadtwald dem Kubikinhalt gegenflbergestellt ist, der für die 
Desinfektion als massgebend angenommen wird: 


ft. 

b. 

c. 

d. 





n . Tatsächlicher 
urt Kubikraum 

Desinf.- 

Kubikr. 

Zu viel be¬ 
rechneter 
Kubikr. 

a. 

b. 

c. 

d. 

Melsungen 

21 

30 

9 

Melsungen 

57 

70 

13 cbm 

yi 

31 

40 

9 

Heilstätte 

57 

70 

13 . 

n 

34 

40 

6 

w 

58 

70 

12 . 

«» 

36 

40 

4 

Melsungen 

60 

70 

10 . 

ji 

36 

50 

14 

Heilstätte 

64 

80 

16 , 

fi 

39 

50 

11 

ft 

72 

90 

18 „ 

n 

40 

50 

10 

ft 

72 

100 

28 „ 

yi 

41 

50 

9 

fl 

73 

90 

17 , 

fl 

41 

50 

9 

Arzthaus 

75 

90 

15 , 

rt 

42 

50 

8 

fl 

79 

100 

21 „ 

fl 

48 

60 

12 

Heilstätte 

86 

110 

24 , 


49 

60 

11 

Arzthaus 

88 

110 

22 , 

•t 

50 

60 

10 

Heilstätte 

89 

110 

2t . 

n 

56 

70 

14 

Arzthaus 

95 

120 

25 « 


Aus dieser Zusammenstellung geht hervor, dass Räume, die 
nach der Berechnung des Desinfektors 60 cbm gross gelten, tat¬ 
sächlich nur 50 cbm und darunter messen, solche von 100 cbm 
tatsächlich um 20 cbm und mehr kleiner sind usw. Danach kommen 
also gemäss meiner Tabelle: 

auf 50 cbm tats. Rnuminh. 750 ccm Form&lin, d. b. anf 1 cbm 6 g Formaldebyd 
„ 80 „ „ „ 1200 „ „ d.h. * 1 „ 6 g 

„ 95 „ „ 1400 „ n d.h. B 1 „ 5,9 g , 

feiner: 

auf 50 cbm tats. Rauminh. 1500 ccm Wasser, d. b. auf 1 cbm 30 ccm Wasser 
, 80 „ „ „ 2400 „ . d. b. „ 1 „ 30 „ , 

„ 95 „ „ * 2800 „ . d.h. , 1 „ 29,5 „ „ 

Während also das in meinem Apparat zur Verdampfung 



Dr. Werner: Theoretisches and Praktisches zur Formalindosinfektion usw. 483 


kommende Wasserquantum der Vorschrift des Seuchengesetzes 
entspricht, überwiegt die Formaldehydmenge sogar die dort ge¬ 
forderte Zahl von 5 g auf 1 cbm, obwohl diese nach Flügge 
»unberechtigt hoch gegriffen ist, da durch kein Experiment er¬ 
wiesen ist, dass die früher empfohlenen halb so grossen Mengen 
zu gering seien“. 1 ) 

Es bleibt also nur übrig, die Einwirkungsdauer des ver¬ 
dampften Formalins auch bei meinem Apparat von mindestens 
5 Stunden auf 7 Stunden heraufzusetzen, um selbst den 
von autoritativer Seite als zu weitgehend bezeichneten Ausführungs¬ 
vorschriften zum Seuchengesetz genüge zu tun. Das kann natür¬ 
lich ohne weiteres geschehen und würde für die Wohnungs¬ 
desinfektionen bei Tuberkulose und bei reichlichem 
Wohnungsinhalt das wünschenswerte Plus desinfektorischer 
Einwirkung unter allen Umständen garantieren. 

Werner hebt ferner das grössere Fassungsvermögen 
des Breslauer Apparates mit 9 1 / > Liter gegenüber dem meinigen 
mit ca. 5 Liter als Vorzug des ersteren hervor. M. E. kommt 
es aber gar nicht darauf an, wieviel Flüssigkeit in den Formalin¬ 
kessel zum Verdampfen hineingefüllt werden kann, sondern einzig 
und allein darauf, wieviel von dieser Flüssigkeit durch 
die Spirituslampe verdampft wird. Zu meinen ver¬ 
gleichenden Feststellungen standen mir drei verschiedene Bres¬ 
lauer Apparate zur Verfügung und zwar je ein ganz neues Exem¬ 
plar von der Firma G. Haertel in Breslau, vom Medizinischen 
Warenhause in Berlin und von der Metallwarenfabrik H. Boie in 
Göttingen. Der Spiritusbrenner des ersten Apparates fasst höchstens 
1400 ccm Spiritus, der des zweiten höchstens 1500 ccm, der des 
dritten höchstens 1700 ccm. Mit diesen Spiritusmengen lassen 
sich aber tatsächlich nur 4 bis höchstens 7 Liter Flüssig¬ 
keit verdampfen. Was nützt es also, dass die Breslauer 
Apparate 9 1 /, Liter Flüssigkeit fassen, wenn durch die höchst zu¬ 
lässige Spiritusmenge diese Flüssigkeit nicht verdampft wird, 
sondern zum vierten Teil, ja bis zur Hälfte und mehr im Kessel 
zurückbleibt P Ueberhaupt habe ich durch Dutzende von Ver¬ 
suchen mit jedem der drei Apparate immer wieder eine Unregel¬ 
mässigkeit und Unbeständigkeit hinsichtlich des 
Quantums der verdampften Flüssigkeit feststellen können, 
die mich die Breslauer Apparate anders, d. h. ungünstiger zu be¬ 
urteilen zwingt, als es von Werner geschieht. Der eine Apparat 
rerdampfte einmal die Flüssigkeit vollständig, ein andermal die 
gleiche Menge unter den gleichen Bedingungen nur zum dritten 
Teil, der andere Apparat wies regelmässig erhebliche Rückstände 
auf, sogar bis über 50% (!) der eingefüllten Flüssigkeit, und im 
dritten Apqarat blieb bei einem Versuche kein Rückstand, bei 
einem anderen mit einer kleineren oder grösseren Flüssigkeits¬ 
menge ein solcher von 20 % des ursprünglichen Quantums zurück. 


') C. Flügge: Einige Vorschläge zur Verbesserung von Desinfektions- 
▼onehriften. Zeitschrift für Hygiene and Infektionskrankheiten. Fünfzigster 
Baad, drittes Heft 



484 Dr. Boepke: Bemerkungen zu dem Aufsatze des Kreisassistensarztes 


Man kann also nach meinen Beobachtungen, die sich von jeder¬ 
mann leicht nachpr&fen lassen, bei Benutzung der Breslauer 
Apparate und Tabellen nicht mit der Verdampfung einer jedes¬ 
mal bestimmten Flüssigkeitsmenge rechnen. Das hat m. E. 
seinen ganz plausiblen Grund darin, dass die gleiche Tabelle 
über Spiritus-und Formalin-Wasserfüllung für verschieden ge¬ 
formte und konstruierte Breslauer Apparate in Anwendung kommt; 
und zweitens liegt in der mächtigen, offenen Flamme, mit 
welcher der Spiritus im Breslauer Apparat verbrennt und einmal 
hier, einmal da zwischen Kessel und Mantel hindurchschlägt, die 
Unmöglichkeit begründet, den Heizeffekt mit der wünschens¬ 
werten Genauigkeit zu berechnen undfür alle Wieder¬ 
holungsfälle richtig zu dosieren. 

Dazu kommt noch die zweifellose Feuergefährlich¬ 
keit des offenen Spiritusbrenners im Breslauer Apparat, die von 
Engels 1 * 3 ), Dieudonnö*), Mayer undWolpert*) betont wird, 
von Huhs und mir zusammen in einem Fall und von mir allein 
in einem zweiten Fall in geradezu beängstigender Weise beob¬ 
achtet wurde. Beide Mal brannte der 86proz. (!) Spiritus nicht 
nur an der Oberfläche mit bläulicher Flamme, sondern — wahr¬ 
scheinlich infolge von zu starker Ueberhitzung und Entzündung 
der Spiritusdämpfe — im ganzen Brenner und an den unteren 
Oeffnungen der senkrechten Hülsen des Brenners so lichterloh, 
dass der ganze Formalinapparat in Flammen stand. Beide Mal 
blieb nichts anderes übrig, als mit nassen Scheuertüchern am 
Apparate Wache zu stehen; dieses war glücklicherweise möglich, 
weil in dem einen Versuch Wasser, in dem anderen wässerige 
Methylenblaulösung verdampft wurde. Dass eine Feuersgefahr 
keineswegs ausgeschlossen ist, wie Werner behauptet, geht ja 
auch daraus hervor, dass die Anleitung zur Aufstellung des Bres¬ 
lauer Apparates mit ihr rechnet: entweder ist im Umkreis von 
mindestens V, m um den Apparat ein freier Baum zu lassen, oder 
der Apparat ist ausserhalb des Zimmers aufzustellen, wenn wegen 
Kleinheit oder Ueberfüllung des Zimmers seine völlig „ feuersichere* 
Aufstellung innerhalb des Baumes nicht möglich ist. Flügge 4 ) 
empfiehlt neuerdings auch noch, in den Mantel unter der Spiritus¬ 
flamme etwas Wasser zu giessen. Nach dem, was ich zu beob¬ 
achten Gelegenheit hatte, wird allerdings der freie Baum im Um¬ 
kreise des Breslauer Apparates auf mindestens 1 m erweitert 
werden müssen. Das geschieht in der Praxis wohl auch meist, 
und lediglich dieser Vorsicht dürfte es zuzuschreiben sein, wenn 
trotz der bisherigen vielen Desinfektionen mit dem Breslauer 


l ) Engels, Zeitschrift für Medizinalbeamte; 1905, H. 7. 

*) Dieudonnö: Hygienische Maßregeln bei ansteckenden Krankheiten. 
Würzburger Abhandlungen; IV. Bd., 7/8. H. 

3 ) Mayer und Wolpcrt: Ueber die Verfahren und Apparate zur Ent¬ 
wickelung von Formaldehyd für die Zwecke der Wohnungsdesinfektion. Archir 
für Hygiene; 43. Bd. 

4 ) Flügge: Einige Vorschläge zur Verbesserung von Desinfektions- 
Vorschriften. Zeitschrift für Hygiene; 50. Bd., 3. H. 



Dr. Werner: Theoretisches nnd Praktisches znr Formalindesinfektion usw. 485 


Apparat Unglücksfälle nicht bekannt geworden sind. Wo also die 
Räume so klein oder flberittllt sind, dass ein freier Abstand von 
1 m rings nm den Breslauer Apparat nicht angängig ist, — nnd 
das wird relativ häufig der Fall sein —, da muss als kleines 
Uebel die Aufstellung des Breslauer Apparates ausserhalb des 
Zimmers gewählt werden, ein Uebel wegen der Formalin¬ 
belästigung der Hausbewohner, der ungleichmässigen Verteilung 
des Formaldehyds im Zimmer und der ununterbrochen notwendigen 
Bewachung des Apparates durch den Desinfektor. Mein Apparat 
kann dagegen dank seiner absoluten Feuersicherheit in jedem 
Baum, selbst dem kleinsten oder ttberfttlltesten, aufgestellt werden. 

Ich komme zu dem Einwand Werners, dass die rasche, 
heftige Verdampfung des Formalins durch den offenen Brenner 
im Breslauer Apparat der langsamen Verdunstung durch meinen 
Spiritusbrenner vorzuziehen sei, weil durch den ersteren Modus 
die „günstigste Ausbeute an Formaldehyd gewährleistet“ werde. 
Reichenbach hält die raschere Formaldehydentwickelung für 
besser, da „es auf diese Weise zu höheren Konzentrationen des 
Formaldehyds“ kommt. Ich will mich auch hier von der Theorie 
fernhalten und mit dem Hinweis auf den alten chemisch-physi¬ 
kalischen Erfahrungssatz beschränken, dass ein fortgesetzt frisch— 
quasi in statu nascendi — einwirkendes Desinfektionsmittel in¬ 
tensivere bakterizide Eigenschaften zu äussern pflegt, als ein fertiges 
Präparat, selbst in höheren Konzentrationen; übrigens hat ja das 
Experiment über die Leistungsfähigkeit meines Apparates bereits 
entschieden, und zwar nach den Ergebnissen der von Engels 
und Huhs angestellten Versuchsreihen in durchaus günstigem 
Sinne (vergl. Nr. 7 dieser Zeitschrift). Nur auf einen praktischen 
Besichtspunkt muss ich noch näher eingehen, den Werner an¬ 
scheinend ganz ausser Betracht gelassen hat, dass nämlich für die 
Formaldehydeinwirkung die Art der Verdampfung eine wesentlich 
höhere Bedeutung hat, als die Zeit der Verdampfung. Nicht 
darauf beruht die desinfektorische Wirkung, dass das Formalin¬ 
wasser rasch und heftig aus dem Kessel herausgetrieben wird, 
sondern darauf, dass es tatsächlich verdampft wird. Und wie 
steht es in dieser Hinsicht mit dem mir von Werner besonders 
empfohlenen Breslauer Apparat der Firma Boie in GöttingenP 
Nach wenigen Desinfektionsversuchen fand ich den Deckel dieses 
Apparates in ganzer Ausdehnung mit einem schwärzlichen Pulver 
bedeckt; das Pulver ist Formaldehyd, das verspritzt, polymerisiert 
und durch die Hitze des Deckels gebräunt bezw. geschwärzt ist. 
Darauf füllte ich denselben Apparat mit Wasser und beobachtete, 
sobald das Wasser im Kessel die Siedehitze erreicht hatte, dass 
die Flüssigkeit nicht nur fortgesetzt in Tropfen aus der Aus- 
strtmungsdttse heraustrat und an deren Anssenseite herunterfloss, 
sondern auch in kurzen Intervallen unter hörbarem Geräusch aus 
der Düse herausgeschleudert wurde und auf den heissen Deckel 
niederfallend verzischte. Damit war der Beweis erbracht, dass die 
Flüssigkeit aus dem von Werner selbst empfohlenen Breslauer 
Apparat — und zwar dank der mächtigen offenen Spiritusflamme — 





486 l)r. Boepke: Bemerkungen zu dem Aufsätze des Kreisassistenzarztes 

nicht ausschliesslich verdampft, sondern zom erheblichen Teil 
verspritzt wird. In weiteren Versuchen sachte ich den Grad 
der Vorspritzung festznstellen, indem ich den Apparat mit wässe¬ 
riger Methylenblaulösung füllte, den Fussboden im grossen Um¬ 
kreise nm den Apparat mit weissem Papier belegte und in ver¬ 
schiedener Höhe oberhalb und seitwärts von der Ausströmungsdüse 
weisse Kleidungsstücke befestigte. Das Ergebnis war, dass ganz 
unabhängig davon, ob der Kessel des Boi eschen Breslauer Appa¬ 
rates mit 2000 oder 5000 ccm Flüssigkeit gefüllt war, 
der Fussboden in einem Umkreise von 1 m und das Kleidungs¬ 
stück in einem Abstande von 1,60 m oberhalb der Ans- 
strömungsdüse mit dichten Spritzern bedeckt war. Letztere 
zeigten selbst in dieser Höhe noch eine Grösse von über */* cm 
im Durchmesser, so dass das Kleidungsstück aussah, als ob es 
mit einem in Methylenblaulösung getauchten Maurerpinsel an¬ 
gespritzt wäre. Noch einfacher ist der Versuch, wenn man mit 
einer weissen Weste angetan den Apparat selbst beobachtet, wie 
ich es ahnungslos getan habe — aus der weissen Weste war eine 
blaugesprenkelte geworden. Danach ist der Breslauer Apparat 
der Firma Boie tatsächlich nicht als ein Formalin-Ver¬ 
dampfungsapparat anzusprechen! Ist aber, wie gar nicht zu 
bezweifeln, das in Tropfen verspritzte Formalinwasser 
für die desinfektorische Wirkung völlig unwirksam und ausserdem 
für die zu desinfizierenden Gegenstände nachteilig, so dürfte das 
Empfehlen und Eintreten für den Breslauer Apparat der Firma 
Boie gegenüber anderen wirklichen und ausschliesslichen Formalm- 
verdampfungsappar&ten zum wenigsten nicht angezeigt sein. 
Der vom Medizinischen Warenhaus gelieferte Breslauer Apparat, 
der in der Form des Kessels ganz dem der Firma Boie ent¬ 
spricht, verspritzt die Flüssigkeit annähernd in der gleichen Aus¬ 
breitung und Stärke, während der Breslauer Apparat der Firma 
Haertel, vor den beiden anderen durch einen stärker gewölbten 
Deckel ausgezeichnet, erheblich weniger spritzt. Indes sieht man 
auch bei dem Haertelschen Modell die Flüssigkeit beständig 
aus der Ausströmungsdüse heraussteigen und an ihrer Aussenseite 
herunterlaufen; ferner findet man nach dem Versuch den Deckel 
des Kessels ziemlich dicht mit grossen Spritzern und das 1 m 
oberhalb der Ausströmungsdüse ausgebreitete Objekt mit kleineren 
Spritzern bedeckt. Diesen Beobachtungen gegenüber lehrt die 
Kontrolle meines in Betrieb gesetzten Apparates, dass, selbst wenn 
der Apparat mit der höchst zulässigen Flüssigkeitsmenge be¬ 
schickt ist, weder ein einziger Tropfen den Apparat ver¬ 
lässt, noch ein einziger Spritzer die allernächste 
Nähe seitlich oder oberhalb vom Apparate trifft; hier 
findet tatsächlich eine ausschliessliche Verdampfung der For¬ 
malinflüssigkeit statt, d. h. die ausschliessliche Entwickelung von 
Formaldehyddämpfen, die Entwickelung des Formaldehyds 
in der Form, in der es einzig und allein eine desinfektorische 
Wirkung ausüben kann. Dazu kommt, dass nach den Unter¬ 
suchungen von Rubner und Peerenboom die ruhige Ver- 



Dr. Werner: Theoretisches und Praktisches zur Formalindesinfektion usw. 487 


dnnstung eine sehr viel bessere Verteilung des G-ases 
in der Zimmerluft bewirkt, als die Versprayung. Letztere 
vird auch von Proskauer und Elsner 1 ) entschieden verworfen, 
was daraas her ergeht, dass die genannten Antoren bei der Be* 
sehreibang ihres Formalindesinfektionsapparates „Berolina“ aus¬ 
drücklich schildern, in welcher Weise „das Einspritzen von Flüssig¬ 
keitstropfen in den Dom und damit das Versprayen von Flüssigkeit 
durch das Ausströmungsrohr beim Funktionieren des Apparates 
verhindert wird“. Proskauerund Elsner 1 ) haben bei Versuchen 
mit dem Breslauer Apparat weiter beobachtet, dass nach den Des¬ 
infektionen Möbel, Kleidungsstücke, Wände, Fussboden, Fenster 
recht feucht, schlecht lackierte Möbel mit einem feuchten, 
klebrigen Belag (Formaldehyd und durch Ammoniakdämpfe 
aufgeweichte Lackschicht) bedeckt, und von 12 ausgelegten Staphy¬ 
lokokkenobjekten nur 6 steril waren. Beichenbach ist ge¬ 
neigt, die gerügten Mängel äusseren Umständen und der Versuchs¬ 
anordnung zur Last zu legen. Das mag für die Erklärung der 
Abtötang von nur 50 Prozent der exponierten Proben angängig sein. 
Doch den Grund für die starke Durchfeuchtung der 
Kleidungsstücke etc. und für die Beschädigung schlecht 
lackierter Möbel wird man nach meinen obigen Beobachtungen 
nicht mehr in Aussenumständen, sondern in erster Linie in der 
Spritzwirkung des Breslauer Apparates zu suchen haben, 
die durch die kolossal heizende Flamme des offenen Breslauer 
Brenners bedingt ist. Hält man nach allem daran fest, dass es 
gar nicht auf die Schnelligkeit ankommen kann, mit welcher 
Formalinwasser aus dem Kessel ins Zimmer gebracht wird, 
sondern dass für die desinfektorische Wirkung die Dampfform 
entscheidend ist, in der das Formaldehyd aus dem Kessel aus- 
tritt und sich im Baume verbreitet, so wird man mit Engels in 
dem Spiritusgasbrenner meines Apparates einen „grossen Vorteil“ 
sehen, weil durch diesen die ruhige Verdunstung des For- 
malins, die ausschliessliche Entwickelung von For¬ 
maldehyddämpfen gewährleistet wird. 

Hinsichtlich des Transporteimers und Zubehörs sind 
die von Werner und von anderer Seite mir geäusserten Wünsche 
berücksichtigt worden, soweit sie mir berechtigt erschienen. So 
sind zu der Ausrüstung hinzugekommen eine grosse Scheuerbürste, 
ein Kleisterpinsel, eine Flasche mit Liquor Cresoli saponatus für die 
Fusboden- und Wäschedesinfektion — letzteres an Stelle der 
Sablimatpastillen, die für den eigenen Gebrauch des Desinfektors 
nach der Arbeit reserviert bleiben —, eine Mosettigtasche für 
Hand- und Wischtücher und ein Schwamm -Bespirator. Dahin¬ 
gegen halte ich nach wie vor einen vollständigen Anzug mit Kopf¬ 
bedeckung und Schuhen für den Desinfektor für überflüssig. Wenn 
der Desinfektor, wie jeder Mann vor Vornahme einer „schmutzigen“ 
Arbeit, den Bock ablegt, die Hemdärmel hochstreift, die Schutz¬ 
ärmel darüber zieht, eine grosse, lange, hinten schliessende Schürze 


') Festschrift zum 60jährigen Geburtslage Robert Kochs. 



488 Dr. Boepke: Bemerkungen za dem Aafa&tze des Kreis asaistonzarztes 


umlegt und den Schwamm-Respirator vor den Mund bindet, dann 
nach getaner Arbeit Hände, Arme, Kopf und Gesicht mit einer 
Sublimatlösung wäscht, die Kleidung mit in Sublimat angefeuchteter 
Bürste reinigt und die Stiefel, insbesondere die Sohlen auf den 
feuchten Kresolseifen - Tüchern kräftig abreibt, so ist m. E. des 
guten genug geschehen. Genügen diese Vorsichtsmassregeln nach 
Dieudonnö 1 ) bei allen ansteckenden Krankheiten für Aerzte und 
Krankenpflegepersonen, so reichen sie, bei Hinzunahme des 
Schwamm-Respirators wegen der erhöhten Staubinhalationsgefahr, 
auch für die Desinfektoren. 

Was schliesslich das Gewicht des Transporteimers betrifft, 
so wog er ohne Formalin, Ammoniak und Spiritus 10 kg, wie 
Huhs s. Z. nach Wägen des Modells angegeben hat. Nach Füllung 
der Flaschen und Hinzukommen der genannten Teile übersteigt 
sein Gewicht auch jetzt nicht 16 kg. Ein weiteres Herabdrücken 
des Gewichtes erscheint mir ausgeschlossen, es müsste dann auf 
Kosten der Haltbarkeit und Dauerhaftigkeit der ein¬ 
zelnen Gegenstände geschehen, und das ist m. E. unter allen Um¬ 
ständen zu vermeiden. Aber verliert denn der Apparat durch ein 
Gewicht von ca. 16 kg für den gefüllten Transporteimer und ca. 
4 kg für die gefüllte Segeltuchtasche den Charakter der leichten 
Transportabilität? Vergegenwärtigen wir uns doch die Weg¬ 
strecken, die für den Desinfektor in praxi in Frage kommen: 
in kleineren Orten der Transport innerhalb derselben, in grösseren 
Städten der Transport bis zur nächsten Haltestelle der Strassen- 
bahn, bei Desinfektionen ausserhalb des Wohnortes der Transport 
bis zum Bahnhof und von dem Bahnhof der Ankunftsstation bis 
zu der zu desinfizierenden Wohnung oder der Transport bis zu 
den Abgangsstellen der Personenposten. Und selbst in so ganz 
verlassenen Gegenden des platten Landes, die durch keine Strassen-, 
Voll- oder Sekundärbahn, keine Personenposten dem täglichen und 
bequemen Verkehr erschlossen sind, selbst dort wird der Desin¬ 
fektor häufig Gelegenheitsfuhrwerk für die Hin- oder Rückreise 
benutzen können, ganz abgesehen von den regelmässigen Fahr¬ 
gelegenheiten, die er an bestimmten Tagen der Woche auf jeder 
Strasse antreffen wird. Man fasse den Begriff der Transportabilität 
doch nicht so eng, dass nun auch der Desinfektor unter allen Um¬ 
ständen verpflichtet sein soll, den Apparat überall hin selbst zu 
tragen. Der Transport des Breslauer Apparates nebst Zubehör 
erfordert die Benutzung eines besonderen Wagens oder Karrens, 
der sich, ganz abgesehen von den mindestens 125 M. betragenden 
Anschaffangskosten, nur auf guten Wegen eine kurze Strecke 
durch den Desinfektor fortbewegen lässt; eine Mitnahme solchen 
Vehikels durch Strassenbahn, Eisenbahn, Post, Gelegenheitsfuhre 
oder dergleichen ist gar nicht möglich. Demgegenüber ist doch mein 
Instrumentarium so kompendiös und handlich, dass es überall 
und mit allen dem öffentlichen Verkehr dienenden 


•) Dieudonn6: Hygienische Maßregoln bei aasteckenden Krankheiten. 
Würzburger Abhandlangen; IV. Bd., 7/8. Heft. 



Dr. Werner: Theoretisches und Praktisches zur Form&lindesinfcktiou usw. 489 


? Mitteln mitbefördert werden kann. Hierin beruht der 
j ausserordentlich grosse Vorzug, zu dem jetzt noch der weitere 
: kommt, der allen Wünschen Rechnung trägt und darin besteht, 
dass der Transporteimer zum Tragen auf dem Rücken 
eingerichtet ist (s. Abbildung). Die Tragevorrichtung ist in 
derselben Art und Anordnung gewählt wie bei den Militärtornistern 
und Rucksäcken, so dass das Aufnehmen und Ablegen des Trans-- 
porteimers ohne fremde Hilfe leicht mög- 
■ lieh, und die Last, ohne sich zu verschie- 
| ben oder irgendwo zu drücken, gleichmässig 
dem Rücken anliegend und auf beiden 
' Schultern verteilt ist. Es bleibt jetzt dem 
' Desinfektor die Wahl überlassen, bei kur- 
; zen Entfernungen oder bei Benutzung von 
Strassenbahnen, Eisenbahnen, Fuhrwerken 
; den Transporteimer an dem Tragegriff in 
• der Hand zu transportieren, oder aber für 
viele, stundenlange Wegstrecken auf den 
; Rücken zu sehn Edlen. Für den letzteren 
Fall wird man den Einwand einer zu 
1 schweren Belastung des Desinfektors um 
so weniger erheben dürfen, als das Ge¬ 
wicht des Transporteimers noch nicht das 
des feldmarschmässig gepackten Tornisters 
erreicht 

Da Kupfer durch Ammoniak — nach 
den chemischen Analysen allerdings nur in 
einem praktisch ganz belanglosem Masse — 
angegriffen wird, ist an Stelle des kupfer¬ 
nen Ammoniakentwicklers ein solcher aus verbleitem Eisenblech 
getreten. Letzteres ist unbegrenzt haltbar und lässt ausserdem 
eine Preisermässigung von 3,50 Mark pro Apparat zu. Der Preis 
des Transporteimers erhöht sich durch das Hinzukommen von 
Scheuerbürste, Kleisterpinsel, Flasche für Kresolseifenlösung, Mo- 
settigtasche, Schwamm-Respirator und Tragevorrichtung um 
4,50 M., so dass der Gesamtpreis der Ausrüstung nur um 1 M., 
von 109 auf 110 M., steigt. 

Ich bin bisher nicht so anmassend gewesen, mein Instru¬ 
mentarium als eine „Universalausrüstung“ für den Desinfektor zu 
bezeichnen. Aber anderseits glaube ich nach dem Gesagten guten 
Grand zur Ablehnung des Wern er sehen Urteils zu haben, dass 
es ein „Hilfsapparat, wenn auch ein sehr geeigneter, für manche 
spezielle Zwecke“ sei. Vielmehr wird man bei objektiver Be¬ 
urteilung und Prüfung meinen Apparat zum allermindesten 
als einen gleichwertigen und wegen seiner ungemein 
leichteren Transportfähigkeit als einen notwendigen 
Ersatz der Breslauer Apparate anerkennen müssen. Mir 
erschien es, um mit Dütschke 1 ) zu reden, „als eine dankbare 

*) Verhandlungen auf der Versammlung der preußischen Medizinalbenmtcn 
in HnanoTer 1906. 




490 


Dr. de Bary. 


Aufgabe, an die Konstruktion eines leicht transportablen Desin¬ 
fektionsapparates “ heranzugehen, weil erst mit der Lösung dieser 
Frage die Wohnungsdesinfektion die hygienisch und demnächst 
gesetzlich gebotene Ausdehnung gewinnen kann. Wenn ich das 
Problem auch noch nicht ganz zur allgemeinen Zufriedenheit 
gelöst hatte, so glaube ich ihm doch heute einen nicht unbe¬ 
deutenden Schritt näher gekommen zu sein. In dieser Annahme 
bestärkt mich das Urteil von Romeick 1 ), eines auf dem Gebiete 
der Wohnungsdesinfektion gewiss „praktischen“ Medizinalbeamten, 
dem mein Apparat gerade für das Land „der brauchbarste und 
empfehlenswerteste“ zu sein scheint. — 

Zum Schlüsse drängt es mich, den Medizinalbeamten, ins¬ 
besondere Herrn Kreisassistenzarzt Dr. Werner, für das Interesse 
zu danken, mit welchem sie mein Instrumentarium anfgenommen 
und zu verbessern sich bemüht haben. 


Ueber die Stellung der Kreisärzte in Elsass- Lothringen. 

Von Med.-Bat Dr. de Bary in Thann i/E. 

I. 

Die Absicht, in folgenden Zeilen über die Stellung der Kreis¬ 
ärzte in Elsass-Lothringen zn schreiben, verdankt ihren Ursprung 
im wesentlichen 3 Vorkomnissen der letzten Zeit. Das erste ist 
die erfreuliche Tatsache, dass die reichsländischen Kreisärzte, am 
24. Juni d. J. unter Leitung des Herrn Geheimrat Dr. Höffel zu 
einer Besprechung vereinigt, sich einstimmig zum Eintritt in den 
Deutschen Medizinalbeamtenverein, Zusammenschluss unter sich 
und zn regelmässigen Versammlungen verbunden haben. Das 
zweite Vorkommnis hängt mit dem dritten näher zusammen und ist 
die Tatsache, dass in dieser Zeitschrift (Nr. 8, 4 und 11 von 1905) 
die beabsichtigte Reform des Medizinalwesens in E.-L. besprochen 
ist, es also füglich die Kollegen auch interessieren wird, zu erfahren, 
was aus der Reform geworden. Das dritte ist die eben hieran sich 
reihende Tatsache, dass die geplante Neugestaltung gänzlich miss¬ 
lungen ist, sodass die kreisärztliche Stellung bei uns beginnt, sehr 
schwankend zn werden, „geradezu unhaltbar geworden ist“, „in 
der Luft schwebt“, wie sich ein Kollege ausdrückte! 

Eben diese unerwartete Wendung in der Lage, die statt 
gehoffter Besserung eintrat, hat mit einem Schlage erreicht, was 
der redlichen Bemühung des Einzelnen, der eifrig zur Mitglied¬ 
schaft für den Verein warb, nicht gelang. Es ist meiner Ansicht 
nach nicht allein die missglückte Vorlage hier bei uns, sondern 
noch ganz allgemeine, in die heutige Zeit passende Beobachtungen, 
die sich aus unserer Geschichte ergeben und die ebenso sehr das 
allgemeine Interesse erwecken werden, wie es die an und für sich 

*) Die praktische Durchführung der Desinfektion auf dem platten 
Lande. Vortrag auf der Versammlung der preußischen Medizinalbeamten in 
Hannover 1905. 



Üeber di« Stellung der Kreisärzte in Elsaß-Lothringen. 


491 


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ja vorzügliche, dem Gesetzentwurf für unsre Medizinalreform bei- 
gefügte Denkschrift x ) bei den Lesern der Zeitschrift gewiss ge* 
fanden hat. Hatten die anderen Bundesstaaten schon ihre alte 
Bahnen, auf denen Modernes im Medizinalwesen nur hinzuzubanen 
und einzufügen war, so hatte das Reichsland keine solche Ueberlie- 
ferung; dafür aber kann man an unserer, der Geschichte der Kreis¬ 
ärzte in E.-L., um so bessere Studien machen über eine von Anfang 
an leicht zu übersehende Organisation und ihre Entwicklung. Da 
ausserdem Eisass-Lothringen in letzter Zeit ernsthaft danach 
strebt, Bundesstaat im richtigen Sinne zu werden, ist dieser Teil 
seiner Staatseinrichtungen gewiss für alle amtsärztlichen Kollegen 
ebenso wie für Behörden im Reiche lehrreich. 

Um ein brauchbares Bild zu geben, fange ich für heute 
damit an, dass ich lediglich eine Darstellung dessen gebe, was 
bei der „Reform“ herauskam; denn das bildet die Grundlage für 
den Augenblick und soll für diese Arbeit der Ausgangspunkt 
sein, an den sich dann die Entstehung der Kreisarztstellung, ihre 
Geschichte und die Fortschritte ihrer Entwicklung ansclüiessen 
werden. 

Die erschöpfende und gewiss vorzügliche Darstellung der 
vorgenannten Denkschrift zeigt, dass man in Kreisen unserer Regie¬ 
rung sich klar ist, dass das Medizinalwesen einer Aenderung bedarf, 
bei der vor allem die Kreisärzte anders gestellt werden müssen. Ob 
man sich dessen an allen Stellen bewusst geblieben ist, mOge der 
Leser aus dem folgendem entnehmen. Aus dem Entwurf, der durch 
die Bearbeitung in einer Kommission wesentlich umgestaltet ist, ist 
mm so gut wie nichts gerade für die Kreisärzte herausgekommen. 
Eine geringe Erhöhung der Reisekosten, das ist alles! Einzel¬ 
heiten dazu gebe ich später; man hat im übrigen einen dritten 
Hedizinalreferenten bewilligt, der schon lange nötig war, dann 
eine neue Stelle geschaffen, den „Landesgesundheitsinspektor“. 
Dieser soll „nach Anweisung des Ministeriums — diesem ist er 
unterstellt — den gesundheitspolizeilichen Dienst in den einzelnen 
Kreisen überwachen“. Wie das der „Reiseonkel“, wie ein im Par¬ 
lament sitzender Kollege diesen neuen Beamten nannte, machen soll, 
das scheint noch nicht bekannt; jedenfalls ist es ein Novnm, das viel¬ 
leicht recht schon ausgestaltet werden kann, etwa in der Weise, 
dass es einen Posten darstellt, von dem aus der Staat soziale Medizin 
in die Hand nimmt. Damit würde dann E.-L. an der Spite mar¬ 
schieren mit solcher Einrichtung. Freilich war sie nicht so gemeint, 
nie es scheint, sondern ihre Entstehung ist fast einem Zufall zu ver¬ 
danken, insofern der Vater dieses Gedankens in der guten Meinung, 
etwas Nützliches zu bewilligen, wohl die in Frankreich vorhandene 
Stellang eines Inspectenr de l’assistance publique im Auge hatte, 
dabei aber übersah, dass in das Gefüge des Medizinalwesens, wie 
vir es haben und das sich eben auf den Kreisärzten aufbaut als 
unterste Stufe, ein solcher Inspektor nicht hineinpasst, besonders, 
wenn man den Posten als einen nicht definitiven mit einem Arzte 


*) Sehe Nr. 4 dieser Zeitschrift; S. 116. 




402 Dr. de Bary: Uebcr die Stellung der Kreisärzte in Elsaß •Lothringen. 


besetzt, der zam ersten Mal im Staatsdienst tätig ist. Wie soll denn 
da, was andere Jahre lang schon bearbeitet, überwacht werden 
und warum? 

Unter den Gründen, welche bei der Ablehnung der vorge¬ 
schlagenen Medizinalreform eine Rolle spielten, hörte man fol¬ 
gendes nennen: 

Einmal den wohlbegreiflichen, bekannten, der überall kommt 
bei einer Forderung, die Geld kostet: Man scheute die Erhöhung 
der Ausgaben. Sodann will man bei uns keine neue Beamten¬ 
gruppe schaffen. Diese Abneigung gegen „Beamte" mag ihre 
Gründe haben, hier gehören sie nicht her, das ist Sache der 
Politik. Als Aerzte aber müssen wir hier, wie es scheint, unter 
vielleicht begründeten Zuständen leiden, für Dinge, an denen doch 
wir nicht schuld sind. Das sieht also ganz ähnlich aus wie ander¬ 
wärts auf sozialem Gebiete, wo heutzutage der Arzt meist schlecht 
wegkommt. Es braucht kaum hervorgehoben zu werden, dass 
der Schaden, der durch unzulängliche Verhältnisse der Amtsärzte 
hier fürs Ganze entsteht, doch nicht nur von diesen letzteren, son¬ 
dern eben auch vom Ganzen gebüsst wird, genau so wie es auf 
dem Gebiet der Krankenkassenverhältnisse sich zeigt. Endlich 
gilt hier noch als Ablehnungsmotiv eine angeblich vorhandene 
Unkenntnis der Bevölkerung über das, was der öffentliche Ge¬ 
sundheitsdienst will und soll, ein ungenügendes Verständnis 
überhaupt für die Notwendigkeit sanitären Staatsdienstes. Dass 
die Bevölkerung so wenig Verständnis hierfür habe, wird zunächst 
auf Grund langjähriger Erfahrung hier bestritten, mehr als ander¬ 
wärts ist das nicht der Fall; die Bevölkerung ist für Belehrung 
sehr empfänglich und für Hilfe dankbar, wenn man mit ihr um¬ 
zugehen versteht! Wenn für diese Notwendigkeit und den Nutzen 
solcher Organisation irgendwo die Einsicht fehlt, so ist das sicher 
nicht in der grossen Masse der Bevölkerung der Fall, das könnte 
man aus Verhandlungen des Landesausschusses selbst beweisen. 
Angenommen aber auch, es sei da oder dort beim Volke diese 
Kenntnis sehr weit zurück, so ist es doch erst recht Aufgabe 
seiner Leitung, durch Schaffung guter Organisationen für Ver¬ 
breitung der nötigen Wissenschaft zu sorgen. Dieser Verantwort¬ 
lichkeit waren sich nach den Berichten die Herren Abgeordneten 
auch ausgesprochenermassen zum Teil wenigstens bewusst. 

Ein weiteres Projekt, das von Deputierten, wie von der 
Regierung anscheinend auf dem Boden dieser Ablehnung ent¬ 
worfen, ein Zusammenziehen von Kreisarzt-Stellen, Verminderung 
also der Zahl mit Vergrösserung der Bezirke, führt hinüber zum 
Eingehen auf unsere derzeitige Stellung überhaupt und wird des¬ 
halb, weil heute nur von dem Schicksal der Vorlage gesprochen 
werden sollte, ein anderes Mal zur Sprache kommen müssen. 



Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


498 


Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 

Bakteriologie, Infektionskrankheiten and öffentliches 

Sanitätswesen. 

Windpocken bei Erwachsenen. Von Sanitätsrat Dr. Malert, Kreis- 
physikus in Waren. Acrztliche Rundschau; 1904, Nr. 60. 

Verfasser hat drei Fälle von Varizellen bei Erwachsenen beobachtet, die 
ihn veranlassten im Fragekasten des „Aerztlichen Zcntralanzeigcra“ die Acrzte 
so bitten, ihm etwa beobachtete, einwandsfreie Fälle von Varizellen bei Er¬ 
wachsenen mitzuteilen, am auf diese Weise za prüfen, ob diese doch nicht 
billiger Vorkommen, als in den Lehrbüchorn allgemein angenommen wird. Es 
sind ihm darauf 10 solche Fälle mitgeteilt, die an der Hand der darüber ge¬ 
wachten Angaben kurz beschrieben werden. Er kommt demzufolge za dem 
Schloß, daß Varizellen bei Erwachsenen zwar relativ selten, aber nicht so 
•eiten Vorkommen, als bisher vielfach angenommen wird, nnd daß wahrschein¬ 
lich eine in größerem Maßstabe angestcllte statistische Erhebung noch einen 
bedeutend größeren Prozentsatz von Windpocken bei Erwachsenen ergeben 
würde. Die mitgeteilten Fälle zeigen übrigens, daß unter Umständen die 
Diflerenti&ldiagnose zwischen Varizellen and echten Pocken recht schwierig 
•da kann, and daß deshalb die Hilfe einer einwandsfreien bakteriologischen 
Diagnose sehr wünschenswert ist._ Bpd. 

Zar DifTerentinldlagnose zwischen Variola and Varizellen. (Diagnostic 
experimental de la variole et de la varicelle.) Von Paal Salmon. Aas dem 
Laboratorium von Prof. Metschnikoff. Comptes rendas de la soc. de biol.; 
LVHL B<L, 1905, Nr. 6. 

Der Antor hatte bereits 1897, nach Gaarneri, nachgewiesen, daß die 
Kaninchenkornea in charakteristischer Weise aaf Variolagift reagiert, nicht 
dagegen aaf Varizellen. 1 ) In der Klinik des Dr. Martin hat S. seine Versuche 
wiederholt. Er empfiehlt in Epidemiezeiten, wo klinische Irrtümer zahlreich 
aad, die Methode anzuwenden, am za verhindern, daß ein nicht pockenkranker 
Mensch in eine Variolastation geschickt wird: Nach 24 Standen, deutlich nach 
18 Stunden, treten aaf der Korneaoberfläche klare, durchscheineude Erhöhungen 
ui Später bilden sich Bläschen, dann entsteht auch eine Entzündung der 
Bindehaut. Die Erhöhung stellt im kleinen ein Gebilde dar, das mit Phlyktaene 
bei Keratitis phlyktaenulosa verglichen werden kann. Die Untersuchung des 
Auges soll mit der Lupe und bei fokaler Beleuchtung vorgenommen werden. 
Die Impfung der Hornhaut wird am besten mit einer Schreibfeder oder einem. 
Iapfmesser vorgenommen. Es werden auf einer oder beiden Hornhäuten drei 
Strafen oder drei Stiche aasgeführt. Dieselben müssen sehr oberflächlich 
• ein — nur das Epithel darf geritzt werden. Eine Verletzung der 
Kornea selbst ist annötig. 

Vor einer Impfang der Haat oder der Schleimhäute hat die Methode 
den Vorzug einer rascheren Diagnose; die Hautpastol wird erst am dritten 
Tage nach der Inokalation deutlich. Dr. Mayer-Simmern. 


Eine Diphtherieepidemie ln ursächlichem Zusammenhänge mit Kuh- 

poeken. An outbreak of diphtheria traceable to nlcers on cows' teats. Von 
Dr. Wm. Robertson, med. off. of health, Leith. Public health; XVII. Bd., 
1905, Seite 246. 

Während auf dem Kontinente die Kohpocken eine sehr seltene Er¬ 
krankung sind,*) kam im letzten Sommer nach Schottland eine große Zahl an 
Kuhpocken erkrankter Milchkühe ans dem Norden von England. Die Milch 
der kranken Kühe warde zunächst anstandslos verkauft, da die Besitzer die 
Kuhpocken nicht für eine ernste Krankheit ansahen. Ihr einziger Kammer 
*ar der, daß die Hände der melkenden Personen an Kahpocken erkrankten 
n»4 so zur Arbeit nnt&aglich worden. Unter 64 Kühen einer bei Leith ge¬ 
legenen Farm, die mit ihrer Milch hauptsächlich aristokratische Familien der 

') In bezog aaf Vaccineinokalation der Kaninchenkornea vergleiche das 
Referat Jahrgang 1901 dieser Zeitschrift, S. 100. 

*) VergL z. B. Manke; s. diese Zeitschrift, 1898, S. 773. 




496 


Kleinere Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften. 


nnd zwar jedesmal in kleinen, zeitlich getrennten Epidemien aofgetreteaen 
Röteln, geht dann auf die einzelnen Symptome, die Ansbreitangsweise and vor 
allem auf ihre merkwürdigen Verschiedenheiten näher ein and ventiliert als¬ 
dann die Frage, ob man auf Grund der verschiedenen Krankheitsbildcr, be¬ 
sonders in bezug auf das Exanthem und die Höhe des Fiebers nsw. berechtigt 
ist, von verschiedenen Krankheiten oder verschiedenen Arten der Röteln (mor- 
billiforine, scarlatiniforme usw.) sprechen darf. 

Vcrf. kommt nach eingehenden Ausführungen za dem Schlosse, dass das 
Vorkommen weitgehender Variationen der Röteln, solange die Aetiologie noch 
ganz unbekannt ist, nicht zar Aufstellung neuer akuter Exantheme führen 
darf, es sei denn, dass das Fehlen gegenseitiger Immunität nachgewiesen wird. 

_ Dr. Waibel-Kempten. 


Zur Verhütung der epidemischen Cerebrosplnalmenlngltls. Von Dr. 
Otto Dornblüth in Frankfurt &./M. Münch, med. Wochenschr.; 1906, Nr. 81. 

Die Eigentümlichkeit, daß die gefürchtete Krankheit fast ausschließlich 
vor dem 30. Lebensjahre vorkommt, teilt sic mit der gewöhnlichen Angina 
tonsiliaris, die auch bei den besonders dafür Disponierten mit der physiologischen 
allmählichen Rückbildung des lymphatischen Apparates der Rachengegend mit 
dem 30. Jahre fast immer verschwindet. 

Bei der gebotenen Bekämpfung der Cerebrospinalmeningitis, deren Er¬ 
reger anerkanntermaßen von der Nase und den Rachenraum her in den Sch&del- 
raum cindringen, sollte daher den Rachenorganen die größte Sorgfalt gewidmet 
werden, besonders wären die als Bakterienherde dienenden Rachen Vegeta¬ 
tionen möglichst früh operativ za entfernen. Es wäre sehr interessant, bd 
den Meningitisfällen genau auf den Befund im Rachen zu achten, ganz beson¬ 
ders auch bei den erkrankten Erwachsenen. 

Verfasser empfiehlt nach seinen Erfahrungen besonders heiße Bäder (38 
bis 40° C.), in schweren Fällen mehrmals täglich, und die Lumbalpunktionen. 

Dr. Waibel-Kempten. 


Ueber meine bisherigen Befunde bei der Genickstarre. Dr. Wes ten- 
hoeffer, Privatdozent, Stabsarzt a. D. in Berlin. Schlesische Aerzte-Korre¬ 
spondenz; 1905, Nr. 19. 

Verfasser war bekanntlich vom Kultusminister beauftragt, bei der im 
oberschlesischen Industriegebiet herrschenden Genickstarrepidemie pathologisch- 
anatomische Studien zu machen. Er hat sich hierbei die Lösung folgender 
Fragen zur Aufgabe gestellt: I. Feststellung der Eintrittspforte des Krankheits¬ 
erregers. II. Feststellung seines Weges nach der Schädclhöhle. III. Welche 
praktischen, besonders therapeutischen Maßnahmen ergeben sich aua I und II? 

Bei den von ihm ansgefübrten 29 Sektionen fand er in allen Fällen 
eine erhebliche Schwellung und Rötnng der Rachentonsille und der hin¬ 
teren Pharynxwand. An dieser Schwellung waren in einigen Fällen auch 
die Choanen und die hinteren Abschnitte der Muscheln beteiligt, besonders bei 
Erwachsenen, während die vorderen Abschnitte der Nase mit Ausnahme eines 
einzigen Falles stets frei waren. Entsprechend dieser Entzündung des obere« 
Rachenraumes fand sich in über 60 °/„ der Fälle mehr oder weniger ansgeprägte 
Mittelohrentzündung. In 5 Fällen wurde Empyem der Kieferhöhlen und 
in 7 Fällen gleiche Affektion der Keilbeinhöhlen festgestellt, während die 
Sicbbcinzcllcn nur in einem einzigen Falle entzündet gefunden wurden. Die 
Gaumentonsillen waren in wechselnder Stärke beteiligt, immer aber er¬ 
heblich weniger als die Rachentonsille. Konstant fand sich dagegen eine 
erhebliche Schwellung der Nacken- und Halslymphdrüsen, oftbisiur 
Clavicula hinab, sowie eine nicht akut entzündliche Schwellung fast «Iler 
Lymphdrüscn des Körpers. Im übrigen fanden sich die bei Infektionskrank¬ 
heiten gewöhnlich zu beobachtenden Veränderungen der sonstigen Organe, im 
wesentlichen also paremchymatöse Degenerationen des Herzens, der Nieren, der 
Leber und Schwellung der Milz. — Meningitis wurde in allen Stadien vom 
ersten Beginn bis zur vollen Ausbildung der sogenannten „grünen Haube 1 und 
als Ausgangspunkt stets die regio hinter der Sehnervenkreuzung über der Hypo- 
pbosis festgestellt, daher auch Strabismus als erstes Zeichen der klinischen 
Beobachtung. Ob die Krankheitserreger durch den Keilbeinkörper oder die 



Kleinere Mitteilangen and Referate aas Zeitschriften. 


495 


Ton Wichtigkeit ist Aas diesem Grande h&lt Otto eine Aenderang der zur« 
seit bestehenden Vorschriften für die Behandlung pestinfizierter Schiffe and 
ihrer Ladung für notwendig, da sie sich nicht genügend gegen die an Bord 
solcher Schiffe befindlichen Ratten richten. Vor allem kommt es auf eine sorg¬ 
fältige Beseitigung etwa in der Ladung vorhandener Rattenleichen an. 

Dr. Lentz-Saarbrücken. 


Nene epidemiologische Erfahrungen Aber die Pest in Egypten. Von 

Prof. Dr. Emil Gotschlich, Sanitätsinspektor von Alexandrien. Ebenda. 

Gotschlich hat in Egypten zwei epidemiologisch ganz verschiedene 
Formen der Pestepidemien beobachtet, die Sommer- and die selteneren Winter¬ 
epidemien. Der Trp der Sommerepidemien ist die relativ gutartige ßeulenpest, 
die sporadisch aoftritt and in der Regel keinen Zusammenhang der Fälle unter¬ 
einander erkennen läßt; der Typ der Winterepidemie ist dagegen die bösartige 
nnd hochinfektiöse Lungenpest. Katarrhe der Atemwege, sowie das dichte 
Zusammenleben der Menschen im Winter begünstigt die Weiterverbreitung der 
Lungenpest. Eine Eigentümlichkeit der Sommerpest ist das alljährliche Wieder- 
suftreten der Pest am dieselbe Jahreszeit an denselben Orten. Sehr sorgfältige 
Beobachtangen haben non ergeben, daß die Kurven der Sommerepidemien 
genau das Bild der Karve der Rattenvermehrang zeigt, so zwar, daß die 
Atme der ersteren Karve am ca. 14 Tage bis 4 Wochen aaf die Akme der 
letzteren Karve folgt. Da sich bekanntlich die Pest bei Ratten monatelang 
latent halten kann, so schließt Gotschlich aas dem Uebereinstimmen der 
beiden Karven folgendes: Bei einer Rattenpestepizootie sterben die meisten 
Batten; nur einige resistente Individuen überleben und haben z. T. latente 
Pest. Wenn non eine Vermehrung der Ratten erfolgt, die am stärksten im 
Kai and Juni stattfindet, so entsteht ein neues Geschlecht, auf das non durch 
jene an latenter Pest leidenden Ratten die Pest übertragen wird; die Folge 
kt ein Aafflackern von Rattenpest, in deren Gefolge es za vereinzelten In¬ 
fektionen von Menschen kommt; hier treten zunächst nur Fälle von Beulenpest 
auf, die nicht infektiös ist; kommt es aber in einem schweren Falle auch zu 
Lungenpest oder Pestseptikämie, so ist die Gelegenheit zu zahlreichen In¬ 
fektionen gegeben, für die die besonderen Verhältnisse, die der Winter mit 
lieh bringt, die Grundlage geben. Aas dieser Ueberlegung heraus empfiehlt 
Gotschlich für die Bekämpfung der Pest Vernichtang der Ratten and die 
itreng8te Isolierung aller Fälle von Beulenpest. Da die erstero Forderung 
aber nicht leicht za erreichen ist, empfiehlt er, an Orten, an denen die Pest 
immer wieder aaf tritt, die sogenannte * generalisierte Desinfektion“ ganzer Ort¬ 
schaften vorzunehmen Aaf diese Weise ist Gotschlich an vielen Orten 
Egyptens der Pest völlig Herr geworden. Dr. Lentz-Saarbrücken. 


Beobachtungen Aber eine Epidemie der tropischen Malaria in Mostar. 
Tob Dr. Richard Fibisch, k. k. Oberarzt. Münchener med. Wochenschrift; 
1905, Nr. 8. 

Verfasser berichtet über 8 in den Monaten September and Oktober 1904 
im Garnisonspitale in Mostar beobachtete Fälle von maligner Malaria and liefert 
gleichzeitig ein wichtiges Argument für die „Mttckenmalariatheorie“. Bei dem 
Suchen nach der Infektionsquelle fand er nämlich in der Nähe der Militär- 
baracken einen etwa B Schritte langen, 1 Schritt breiten, etwa 5 cm tiefen, in 
seinem letzten Drittel mit Wasserpflanzen erfüllten Tümpel, welcher voll 
von Anopheleslarven war. Die Bratstätte warde sofort petrolinisiert. 
Buch der Abtötung der Larven warde der Tümpel zerstört, das Wasser in 
einem engen offenen Kanal weitergeleitet, wo die stete Bewegung das Auf¬ 
kommen der Larven unmöglich machte. Die Mücken, die sich also in der 
nächsten Nähe der Malariakranken entwickelten, hatten reichlich Gelegenheit 
■ich zn infizieren and die Infektion weiter za verbreiten. Nach dem Zerstören 
des Tümpels kam im Spitale keine Infektion mehr vor. 

Dr. Waibel-Kempten. 


Beobachtungen Aber Rötelnepidemien. Von Dr. H. Bahr dt, früherem 
Assistenten der Poliklinik in Marburg. Münch, med. Wochenschr.; 1905, Nr. 20. 
Verl berichtet über 3 in den Jahren 1900, 1903 und 1904 in Marbarg 



496 


Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


und zwar jedesmal in kleinen, zeitlich getrennten Epidemien aufgetreteses 
Köteln, geht dann auf die einzelnen Symptome, die Ausbreitungsweise und vor 
allem auf ihre merkwürdigen Verschiedenheiten näher ein und ventiliert als¬ 
dann die Frage, ob man auf Grund der verschiedenen Krankheitsbildcr, be¬ 
sonders in bezug auf das Exanthem und die Höhe des Fiebers usw. berechtigt 
ist, von verschiedenen Krankheiten oder verschiedenen Arten der Röteln (mor- 
biliiforino, scarlatiniforme usw.) sprechen darf. 

Verf. kommt nach eingehenden Ausführungen zu dem Schlüsse, dass das 
Vorkommen weitgehender Variationen der Röteln, solange die Aetiologie noch 
ganz unbekannt ist, nicht zur Aufstellung neuer akuter Exantheme führen 
darf, cs sei denn, dass das Fehlen gegenseitiger Immunität nachgewiesen wird. 

_ Dr. Waibei-Kempten. 


Zur Verhütung der epidemischen Cerebrospinalmeningitis. Von Dr. 
Otto Dornblüth in Frankfurt a./M. Münch, med. Wochenschr.; 1906, Nr. 31. 

Die Eigentümlichkeit, daß die gefürchtete Krankheit fast ausschließlich 
vor dem 30. Lebensjahre vorkommt, teilt sie mit der gewöhnlichen Angina 
tonsillaris, die auch bei den besonders dafür Disponierten mit der physiologischen 
allmählichen Rückbildung des lymphatischen Apparates der Rachengegend mit 
dem 30. Jahre fast immer verschwindet. 

Bei der gebotenen Bekämpfung der Cerebrospinalmeningitis, deren Er¬ 
reger anerkanntermaßen von der Nase und den Rachenraum her in den Schädel- 
raum eindringen, sollte daher den R&chenorganen die größte Sorgfalt gewidmet 
werden, besonders wären die als Bakterienherde dienenden Rachen Vegeta¬ 
tionen möglichst früh operativ zu entfernen. Es wäre sehr interessant, bei 
den Menin gitisfallen genau auf den Befund im Rachen zu achten, ganz beson¬ 
ders auch bei den erkrankten Erwachsenen. 

Verfasser empfiehlt nach seinen Erfahrungen besonders heiße Bäder (38 
bis 40° C.), in schweren Fällen mehrmals täglich, and die Lumbalpunktionen. 

Dr. Waibel-Kempten. 


Ueber meine bisherigen Befände bei der Genickstarre. Dr. W es ten- 
hoeffer, Privatdozent, Stabsarzt a. D. in Berlin. Schlesische Aerzte - Korre¬ 
spondenz; 1905, Nr. 19. 

Verfasser war bekanntlich vom Kultusminister beauftragt, bei der im 
oberschlesischen Industriegebiet herrschenden Genickstarrepidemie pathologisch¬ 
anatomische Studien zu machen. Er hat sich hierbei die Lösung folgender 
Fragen zur Aufgabe gestellt: I. Feststellung der Eintrittspforte des Krankheits¬ 
erregers. II. Feststellung seines Weges nach der Schädelhöhle. III. Welche 
praktischen, besonders therapeutischen Maßnahmen ergeben sich ans I und II? 

Bei den von ihm ausgeführten 29 Sektionen fand er in allen Fälle« 
eine erhebliche Schwellung und Rötung der Rachentonsille und der hin¬ 
teren Pharynxwand. An dieser Schwellung waren in einigen Fällen auch 
die Choauen und die hinteren Abschnitte der Muscheln beteiligt, besonders bei 
Erwachsenen, während die vorderen Abschnitte der Nase mit Ausnahme eines 
einzigen Falles stets frei waren. Entsprechend dieser Entzündung des oberen 
Rachen raumes fand sich in über 60 °/ ft der Fälle mehr oder weniger ausgeprägte 
Mittelohrentzündung. In 5 Fällen wurde Empyem der Kieferhöhlen und 
in 7 Fällen gleiche Affektion der Keilbeinhöhlen festgestellt, während die 
Sicbbcinzellen nur in einem einzigen Falle entzündet gefunden wurden. Die 
Gaumentonsillen waren in wechselnder Stärke beteiligt, immer aber er¬ 
heblich weniger als die Rachcntonsille. Konstant fand sich dagegen eise 
erhebliche Schwellung der Nacken- und Halslymphdrüscn, oft bis zur 
Clavicula hinab, sowie eine nicht akut entzündliche Schwellung fast aller 
Lymphdrüscn des Körpers. Im übrigen fanden sich die bei Infektionskrank¬ 
heiten gewöhnlich zu beobachtenden Veränderungen der sonstigen Organe, im 
wesentlichen also paremchymatöse Degenerationen des Herzens, der Nieren, der 
Leber und Schwellung der Milz. — Meningitis wurde in allen Stadien vom 
ersten Beginn bis zur vollen Ausbildung der sogenannten „grünen Haube* und 
als Ausgangspunkt stets die regio hinter der Sehnervenkreuzung über der Hypo- 
phosis fest gestellt, daher auch Strabismus als erstes Zeichen der klinischen 
Beobachtung. Ob die Krankheitserreger durch den Keilbeinkörper oder die 



Kleinere Mitteilungen nnd Referate aus Zeitschriften. 


497 


Kdlbeinhöhlen hindurch oder, was auch möglich ist, von der Paukenhöhle 
durch die canalicnli carotico - tympanici längs der Carotis in die Gegend der 
Sella turcica und der hypophisis gelangen, ist schwer festzustellen. Daß aber 
die Infektion auf dem Lymphweg und nicht auf dem Blutweg stattlinden muß, 
dafür sprechen nach dem Verfasser hauptsächlich zwei Momente: erstens die 
Bildung der „grünen Haube“, welche ein geronnenes eitriges Gerinnsel an der 
Oberfläche darstellt, und zweitens der Umstand, daß die Tiefe der Furchen 
entweder stets frei von Eiterinfiltration bleibt oder erst sekundär der Eiter 
dorthin vordringfc. Insbesondere fand sich die Fossa Sylvii stets frei, während 
sie bekanntlich bei Meningitis tubcrculosa den Hauptsitz der Tuberkeln bildet. 

Die bakteriologische Untersuchung ergab bei drei bald nach dem Tode 
sezierten Leichen zweimal den Menningococcns in der Racbentonsille, im Ohr- 
eifcer und in einem bronchopneumonischcn Herd, einmal Diplococcus in der 
Baehentonsille und im Ohreiter; die Befunde stimmen also bakteriologisch nicht 
miteinander überein, so daß vorläufig die Frage nach dem Krankheitserreger 
als noch nicht einwandsfrei gelöst betrachtet werden muß. Die aus dem Sek¬ 
tionsbefunde sich ergebende Folgerung, daß die epidemische Genickstarre mit 
emer Entzündung der Rachentonsille bezw. der hinteren Pharynxwand beginnt 
nnd daß dort der Krankheitserreger eindringt, wird auch durch die Unter¬ 
suchungen des Kreisassistenzarztes Dr. Wagner an lebenden Kindern, die die 
ersten Krankheitszcichen darboten, bestätigt; denn in allen Fällen wurde hier 
eine entzündliche Rötung und Schwellung, nicht nur des Pharynx mit massen¬ 
hafter Schleimsekretion, sondern oft auch eine richtige Angina festgestellt. 
Daraus ergiebt sich in therapeutischer Hinsicht die Notwendigkeit einer 
energischen Behandlung der Rachentonsille, am besten vielleicht mit Silbcr- 
losungen, z. B. Protargol oder Argonin, eventuell ihre operative Entfernung. 
Außerdem empfiehlt Verfasser die Inzision der Membrana obturatoria post. 
(Ligament, atlanto-occipit.) behufs dauernder Drainage des Cavum cranii. Auf 
Omni seiner Untersuchungsergebnisse ist nach Ansicht des Verfassers die 
Schlußfolgerung berechtigt, daß die epidemische Genickstarre mit Vorliebe 
Kinder, und unter diesen hauptsächlich diejenigen befällt, die in ihrem Lymph- 
gefäßsystem geschwächt sind, eine allgemeine Lymphdrüsenschwellung be¬ 
sitzen, insbesondere hypertrophische Rachentonsillen haben. Da ferner die 
Krankheitserreger in die hinteren Nasenabschnitte und in die Rachentonsille 
licht gut anders als durch die Atmung gelangen können, so stelle die Genick¬ 
starre eine Inhalationskrankhcit dar. Demzufolge sei ein ganz besonderes 
Augenmerk auf die Wohnungsverhältnisse zu richten, da die Wahrscheinlich¬ 
keit, daß mit dem in der Wohnung aufgewirbelten Staub der Krankheits¬ 
erreger eingeatmet werde, eine sehr große sei. Im Einklang damit stehe auch 
Uß nach den bisherigen Erfahrungen die Schulen bei der Uebertragung keine. 
Me spielen. _ Rpd. 


Meningismus typhosus und Meningotyphus. Von Dr. S t ä u b 1 i 
Archiv f. klin. Medizin; 1905, Heft 1—2. 

Unter Meningismus typhosus faßt Verfasser solche im Laufe des Typhus 
wftretende Reizerscheinungen zusammen, welche ohne anatomisch sichtbare 
Veränderungen der Hirnsubstanz verlaufen. Sie sind durch eine von den 
TyphugbaziUen ausgehende toxische Wirkung zu erklären. Verfasser führt 
iwei zu dem geschilderten Bilde gehörige Fälle an, die beide schwere zerebrale 
Störungen zeigten. Der eine Kranke mit schweren aphatischen Störungen kam 
iur Genesung, der andere, mit der seltenen Komplikation einer eitrigen Media¬ 
stinitis starb. Am Zentralnervensystem waren keine Veränderungen nachweisbar. 

Als Meningotyphus grenzt Verfasser diejenigen Fälle scharf ab, in denen 
flwig und allein der Typhusbacillus Entzündungsprozessc des Zentralnerven¬ 
system verursacht. Diese Fälle sind zum Unterschied von den meist durch 
jßachinfektion entstandenen „Meningitiden bei Typhus“ äußerst selten. Vcr- 
«wer hatte Gelegenheit, einen solchen zu beobachten. Es gelang ihm in ein¬ 
wandsfreier Weise den Nachweis zu erbringen, daß in diesem Fall der Typhus- 
kacillus ohne Mitwirkung anderer Bazillen eitererregend wirkte. Der Typhus- 
®*cillu8 ist somit den selbstständigen Erregern eitriger Hirnhautentzündung 
*uzurechnen. Dr. D o h r n - Cassel. 



498 


Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften. 


Beitrag rar Frage der agglutinierenden Eigenschaften des Serums 
Tjphuskranker auf Paratjphua- und verwandte Bakterien. Von C&nd. med. 
Grünberg und Privatdozent Dr. Rolly, Assistent der medizinischen Klinik 
zu Leipzig. Münchener med. Wochenschrift; 1905, Kr. 3. 

Die Verfasser hielten es bei dem schwankenden und verschiedentlich 
nicht unwesentlich sich widersprechenden Angaben der Autoren in der vor- 
würfigen Frage der Mühe wert, das Serum von 40 klinisch sicheren Typhus¬ 
kranken auf der Höhe seiner Agglutinationsfähigkeit sowohl gegenüber dem 
Bact. typhi, als auch dem Bact. paratyphi A und B, dem Bact. coli, Bacterium 
enteritis Gaertner, Bact. botulinis van Ermengem genauer zu prüfen. Sie 
kommen an der Hand einer ausführlichen tabellarischen Aufzeichnung ihrer 
Versuche zu dem Schlüsse, daß der Gruber-Widalschen Reaktion 
eine streng spezifische Wirkung nicht zukommt, daß das 
Blutserum Typhöser unter Umständen dem Bac. typhöses 
Eberth verwandte Bazillen ebenfalls selbst in stärkerer Ver¬ 
dünnung noch zu agglutinicren vermag. Danach würde unter Um¬ 
ständen bei typhusverdächtigen Fällen die bakteriologische Untersuchung allein 
imstande sein, die Diagnose zu sichern. Dr. Waibel-Kempten. 


Zur Typhusdlagnose mittels des Typhusdlagnostlkuins vou Ficker. 
Von Dr. Selter in Bonn (a), Dr. Flatau und Dr. Wilke in Kiel (b) und 
Dr. Eichler in München (c). Münchener med. Wochenschrift; 1905, Nr. 6. 

a. Dr. Selter hat eine Reihe von Blutproben Typhuskranker mittels 
des Fick er sehen Diagnostikums untersucht, daneben jedesmal die Aggluti¬ 
nationsprobe nach Gruber-Widal in der Verdünnung von 1:50 und 1:100 
gemacht und in der Hauptsache gefunden, daß die Reaktion mit dem Ficker- 
schen Typhusdiagnostikum unsere diagnostischen Mittel bei Typhus um ein 
wichtiges vermehrt hat, das auch dem praktischen Arzte ermöglicht, auf der 
Höhe einer fieberhaften Erkrankung in zweifelhaften Fällen mit der gleichen 
Sicherheit wie mit der Gruber-Widalschen Reaktion die Diagnose auf 
Typhus zu stellen. Die Reaktion mit dem Fick er sehen Diagnostikern kann 
aber die Gruber-Widalsche nicht ersetzen; sie tritt nicht nur später auf, 
sondern verschwindet auch früher; letzteres ist aber wichtig im epidemiologi¬ 
schen Sinne, wenn es sich darum handelt, den Ursprung einer Typhuserkrankung 
festzustellen. 

b. Dr. Flatau und Dr. Arthur Wilke fassen ihre Untersuchungs¬ 
ergebnisse aus der medizinischen Klinik und dem hygienischen Institut zu Kiel 
ebenfalls dahin zusammen, daß Fickers Typhusdiagnostikum die lebende 
Typhuskultur zu ersetzen durchaus imstande sei. Es leiste aber nicht mehr 
als der Original-Widal, indem auch bei ihm die Reaktion eret nach einer 
Reihe von Krankheitstagen positiv werde, kann jedoch besonders für die Praxis 
als wertvoll empfohlen werden. 

c. Dr. Eichler-München hat die Haltbarkeit und Verwertbarkeit des 
Fick er sehen Typhusdiagnostikums in tropischen Gegenden bezw. auf einer 
längeren Ostasienreise im Jahre 1904 geprüft. Er hält danach seine Haltbar¬ 
keit und Verwendbarkeit auch in tropischen Gegenden für erwiesen,und 
bezeichnet es als ein Mittel von unschätzbarem Nutzen für Schiffsärzte zur 
Feststellung der Typhusdiagnose. Da die Methode zur Anstellung dieser 
makroskopischen Serumreaktion sehr leicht zu erlernen und ohne weitere Hilfs¬ 
mittel anzustellen ist, sollte das Diagnostikumkästchen in keiner Schiffsapotheke 
mehr fehlen. Verfasser hat nur den einen Wunsch, daß die Firma Merk 
statt eines großen, 10 oder 20 ccm fassenden Fläschchens Diagnostikumflüssig- 
keit mehrere kleinere, immer gerade nur für einen Versuch ausreichende 
Fläschchen, ähnlich den Diphtherieheilserumgläsern, liefern würde mit Rücksicht 
auf die nicht volle Garantie für das Stenlbleiben des Präparates bei mehr¬ 
maliger Benutzung ein und derselben Flasche. Dr. Waibel-Kempten. 


Zur Technik der Gruber-Widalschen Reaktion. Von Dr. Schottelius, 
Assistent des path.-anatom. Instituts der Universität in München. Münchener 
med. Wochenschrift; 1905, Nr. 15. 

Die Tatsache, daß immer wieder neuere und einfachere Methoden zur 



Kleinere Mitteilungen nnd Referate ans Zeitschriften. 


499 


Blutentnahme empfohlen werden, läßt schließen, daß alle bisherigen 
Methoden sich nicht als völlig zweckentsprechend erwiesen haben. 

Anch Verfasser gibt wiederum eine nene Methode an. 

Nach Anlegung eines kleinen Hantschnittchens am Ohrläppchen wird 
ha hervorquellende Blut — etwa 10 bis 15 Tropfen — mit einem kleinen, dicht 
gewickelten Gaze- oder Schwammtnpfer aufgesogen. Als Griff des Tupfers 
dient ein Kork- oder Gummipfropfen, in dessen Unterseite die den Tupfer 
tragende Glas- oder Metallnadel eingebohrt ist. Der beschickte Tupfer wird 
nach der Blutentnahme mit dem Pfropfen wieder fest auf das zugehörige Glas« 
röhrchen aufgesetzt, signiert und an die Untersuchungsstelle abgesandt. 

Mittels einer kleinen rasch laufenden Zentrifuge gelingt es leicht, das 
Plasma des aufgesogenen und im Tupfer geronnenen Blutes annähernd voll¬ 
ständig aus demselben herauszuzentrifugieren, wobei sich gleichzeitig die spe- 
hfftch schwereren Blutkörperchen an der Spitze des Glases sammeln, von der 
Semmschicht überlagert. Letztere wird sodann mittels einer lOOteiligen 
Kapillarpipette abgesogen und wie gewöhnlich (oder mit Hilfe des Pfaund- 
lerschen Serienmischers) weiter verarbeitet. Eventuell kann man auch — im 
Laboratorium — den ganzen auszentrifugierten Inhalt des Röhrchens in eine 
Kapillare saugen, diese nochmals zentrifugieren und den das Serum enthaltenden 
TeU mit der Feile herausschneiden. 

Verfasser gibt dann noch einige weitere Versuchsmaßregeln an die Hand 
md erwähnt zum Schluß, daß die beschriebenen Tupfer mit Glasröhrchen von 
der Firma Kat sch-München für 25 Pf. zu beziehen sind. 

Dr. Waibel-Kempten. 


Endemisches Auftreten von myeloider Leukaemie. Aus der Heidel¬ 
berger chirurgischen Klinik von Dr. Ludwig Arnsperger, Assistenzarzt der 
K li nik . Münchener med. Wochenschrift; 1905, Nr. 1. 

In den letzten 2 Jahren kamen in der chirurgischen Klinik zu Heidelberg 
3 Fälle von typischer myeloider Leukämie zur Beobachtung, welche alle 3 das 
■ehr oder weniger ausgeprägte Blutbild der myeloiden Leukämie mit großem 
Müztumor darboten und sämtlich aus Ortschaften des unteren Enztales zwischen 
Pforzheim und Mühlacker stammten. 

Weitere Nachforschungen in dieser Gegend ergaben noch 2 Fälle, bei 
denen durch Blutuntersuchung die myeloide Leukämie festgestellt wurde, und 
Mch weitere von den Aerzten des dortigen Bezirkes mitgeteilte 6 Fälle, bei 
daen infolge fehlender Blutuntersuchung die Diagnose der Leukämie nicht 
ndiergestellt, aber in 2 bezw. 3 Fällen sehr wahrscheinlich war. 

Diese 11 Fälle stammen aus einem relativ kleinen Bezirk. Ein der¬ 
artiges „endemisches“ Vorkommen der Leukämie ist bis jetzt nirgends erwähnt. 
Da die Leukämie in der betreffenden Gegend zweifellos selten vorkommt, bleibt 
die Tatsache der außergewöhnlichen Anhäufung bestehen, auch wenn man von 
allen nicht sichergestellten Fällen absieht. 

Ausschlaggebende Faktoren für die Pathogenese der Krankheit konnte 
Verfasser nicht nachweisen, insbesondere nicht in bezug auf Familienbeziehungen, 
Uter, Geschlecht und Beruf. In hygienischer Beziehung bestanden in den 
■leisten Fällen sehr ungünstige Wohnungs- und Familienverhältnisse. Eine 
direkte Infektion war in keinem Falle wahrscheinlich. Die Wasserversorgung 
der betreffenden Dörfer ist schlecht. Als erwähnungswert hält Verfasser die 
Tatsache, daß früher das Enztal häufig der Schauplatz schwerer Typhusepide- 
aüawar. Möglicherweise prädisponieren irgendwelche toxische oder mecha- 
«ische Läsionen der Milz (Fall 9) vielleicht zur Leukämie. 

Die vorliegende Beobachtung einer Reihe gleichartiger Fälle in einem 
agbegrenzten Landstrich und im Zeitraum weniger Jahre scheint dem Ver- 

gewichtig für einen parasitären Ursprung der Leukämie zu sprechen, 
*ie ihn verschiedene Autoren in der Neuzeit fordern oder annehmen. 

Vielleicht läßt sich in größeren Kliniken bei Durchsicht ihres Materials 
ebenfalls ein gehäuftes Vorkommen von Leukämiefällen nachweisen. 

Dr. W a i b e 1 - Kempten. 



500 


Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


Die Milzbrandsporenbildung auf Fellen and Ihre Desinfektion. Von 

Prof. E. r. Es mar cli in Göttingen. Festschrift für Hob. Koch. Jena 1903. 

Untersuchungen, die v. Esmarch an Fellen von milzbrandinfizierten 
Meerschweinchen anstellte, lehrten ihn, daß bei der Behandlung, welche Tier¬ 
felle im allgemeinen erfahren, die Bedingung zur Sporenbildung bei etwa in 
den Fellen vorhandenen Milzbrandbazillen meist gegeben sind. Da Milzbrand¬ 
sporen selbst durch den Gerbprozeß nicht abgetötet werden, so sind solcho 
Felle selbstverständlich eine große Gefahr für alle, die mit ihnen zu hantieren 
haben. Versuche zur Unschädlichmachung der Milzbrandsporen in solchen 
Fellen ergaben, daß hierzu 1—2 tägige Behandlung mit Karbollösung 1:100, 
ferner 7 stündige Einwirkung einer l°/oo igen Sublimat- (+ Kochsalz 1 °/ 0 )-Lösung 
genügte. Ganz besonders gute Resultate erzielte v. Esmarch aber mit 
l°/oigen Formalin-Wasserdämpfen von 70°, welche in 8 Minuten die Milz¬ 
brandsporen in Fellen abtöteten. Er empfiehlt eine Nachprüfung dieses Ver¬ 
fahrens im Großbetriebe. Dr. Lentz-Saarbrücken. 


1. Ueber Milzbrandantitoxin. Von Prof. Julio Mendez in Buenos 
Aires. (A. dem Inst. f. Expcrimentalhygienc in Buenos Aires). 

2. Beitrag zur Serumbehandlung bei Anthrax. Von Prof. Jro 
Ban di, Privatdozent d. Hyg. und Bakteriolog. an der Universität Bologna 
Zentralbl. f. Bakt.; X. Abt., Orig., 1904; Bd. 37, H. 8. 

Mendez berichtet über 1234 Fälle von Milzbrand beim Menschen, bei 
welchen sein Milzbrandserum zur Anwendung kam. Die Mortalität betrug nur 
4,19 0 o Er stellt jetzt ein Serum her, von dem 3 ccm die Heildosis von 1500 
Immunitätseinheiten enthalten. Im Anschluß hieran beschreibt er seine Me¬ 
thode, die Wertigkeit des Milzbrandserums zu bestimmen. 

Ban di hat 2 schwere, anscheinend rettungslos verlort ne Fälle von 
Milzbrand mittelst intravenöser Injektion großer Mengen (30 bezw. 160 cm) 
Antikarbunkclserums behandelt und bei beiden schnelle Heilung erzielt, die 
bereits eine Stunde nach der ersten Injektion durch starken Schweißausbruch 
eingeleitet wurde. Er schreibt wie auch Mendez die Wirkung des Serums 
seinem Gehalt an Antitoxinen zu und stellt es auf eine Stufe mit dem Diph- 
thcrieheilserum. Dr. L e n t z - Saarbrücken. 


Erfahrungen aus der Praxis mit einer neuen Methode zum Nach¬ 
weise von Milzbrand und weitere Untersuchungen darüber. Von Tierarzt 
Dr. Marxer. Zeitschrift für Fleisch- und Milchhygiene; 1905, H. 5. 

Verfasser beschreibt eine neue Methode zur Aufbewahrung milzbrand¬ 
verdächtigen Materials bis zur definitiven Untersuchung. Es werden Gyps- 
stäbchen, welche in einem Rcagensglas untergebracht werden können, an ge¬ 
feuchtet und dann mit dem verdächtigen Material in Berührung gebracht Es 
entwickeln sich bei den veränderten Ernährungsverhältnissen auf dem Gypa- 
stäbchen Sporen. Zur Untersuchung wird etwas von der infizierten Oberfläche 
des Gypsstäbchens in ein Bouillonröhrchen abgeschabt und weiter auf das 
Vorhandensein von Milzbrandbazillen bearbeitet. Die Methode gibt neben dem 
Vorteil der Einfachheit die Möglichkeit, bei geeigneter Aufbewahrung des 
Gypsstäbchens bei 18—22° noch nach langer Zeit lebensfähige Milzbrandbazillen 
nachweisen zu können. Ueber die Sporulation der Milzbrandbazillen auf Gyps- 
stäbchen sind vom Verfasser Untersuchungen angestellt worden, mit dem Er¬ 
gebnis, daß die Auskeimung der Sporen zwar am schnellsten bei 37° erfolgt, 
daß aber eine Temperatur von 18—22° die besten Verhältnisse für eine lange 
Lebensfähigkeit der Sporen — bis zu 12 Monaten — darbietet. 

Dr. Stoffels -Düsseldorf. 


Besprechungen. 

Dr. Pfeiffer, Reg. u. Geh. Med.-Rat in Wiesbaden: Jahresbericht über 
die Fortschritte und Leistungen auf dem Gebiete der Hygiene 
für das Jahr 1908 . Braunschweig 1904. Verlag von Vieweg & Sohn. 
Gr. 8“, 575 S. 

Der vorliegende Jahresbericht bringt die Ergebnisse fleissiger, gewissen- 



Besprechungen. 


501 


hafter und erfolgreicher Arbeit, die im Jahre 1902 auf dem Gebiete der Hygiene 
geleistet ist, in der bekannten Übersichtlichen und kritischen Darstellung. Das 
Kapitel Gefängnishygiene hat an Stelle des Geh. Med.-Bats Dr. Baer in Berlin 
der Kreisarzt Dr. Petschull, Arzt am Zuchthause in Diez a./L. übernommen, 
während für die Bearbeitung der Bauhy^iene an Stelle des ausgeschiedenen 
Stadtb&urats a. D. Brix in Wiesbaden der Königl. Bauinspektor Schümann 
in 'Berlin gewonnen wurde. Die Bitte des Herausgebers um reichlichere Zu¬ 
wendung von einschlägigen Werken und Abhandlungen sei an dieser Stelle 
wiederholt. _ Epd. 


Dr. Carl Kex, Prof, der Botanik in Halle a./S.: Das Mikroskop und 
seine Anwendung. Berlin 1901. Verlag von Julius Springer. Gr. 8°, 
392 8. 

H. hat Hägers Handbuch der praktischen Mikroskopie in der vorliegen¬ 
den neunten Auflage nach Umfang und Inhalt amgearbeitet und erweitert. 
Hierbei wurde er unterstützt durch Begierungsrat Dr. Appel (Pflanzenkrank¬ 
heiten), Prof. Dr. Stolper (medizinisch - histologische Materie) und Privat- 
dozent Dr. Brandes (Zoologie). Das Werkchen umfaßt die beiden Abschnitte 
? Mikroskop“ und „mikroskopische Objekte“. Dnrch Schilderung der letzteren, 
insbesondere der praktisch wichtigen aus dem Pflanzen- und Tierreich stammen¬ 
den mikroskopischen Objekten füllt das „Mikroskop“ eine Lücke aus, die sich 
im Laboratorium des Praktikers — zumal beim Fehlen botanischer und zoolo¬ 
gischer Spezialwerke — sehr bemerkbar machte. Papier, Druck und die 401 
in den Text gedruckten Figuren verdienen wegen ihrer Vorzüglichkeit ganz 
besondere Anerkennung. Dr. Eoepke-Melsungen. 


■um: Die Pflege der Wöchnerin und des Säuglings. II. Auflage. 

Paderborn 1904 (Albert Pape). 

Es ist ein erfreuliches Zeichen, daß man in den letzten Jahren der Aus¬ 
bildung der Wochenpflegerinnen seine besondere Aufmerksamkeit zugewandt 
hat Bildet doch die Wochenbetthygiene einen gewichtigen Faktor in der 
Hygiene des weiblichen Geschlechtslebens! Es sind daher in den letzten 
10 Jahren eine Eeihe kleiner Lehrbücher der Wochen- und Kinderpflege er¬ 
schienen, welche den, wohl allenthalben jetzt (in Frauenkliniken, Hebammen¬ 
lehranstalten, Wöchnerinnenasylen) eingerichteten vierteljährlichen Lehrkursen 
zur Grundlage dienen. Unter diesen Büchern scheint mir das vorliegende 
Büchlein, welches bereits in II. Auflage vorliegt, einen ganz hervorragenden 
Platz einzunehmen. Ich kenne unter den jetzt vorhandenen derartigen kleinen 
Lehrbüchern keines, welches in einer so klaren, präzisen und doch ausführlichen 
Form die Pflege der Wöchnerin und des Kindes in den ersten Lebenswochen 
Torträgt. Auch wenn der Verfasser (— das einzige, womit ich nicht mit ihm 
übereinstimme —) auf die Belehrung über anatomische und physiologische Be¬ 
griffe, soweit sie die Wöchnerin und das Neugeborene angehen, verzichtet, 
welche Belehrung, wie Löhlein in der Vorrede zu meinem Leitfaden der 
Wochenpflege sagt, für den Unterricht nicht überflüssig erscheint, so halte ich 
das Mann sehe Buch doch für den Unterricht für durchaus ausreichend, ja für 
reichlich ausführlich. Die einzelnen Abschnitte sind klar disponiert, die Vor¬ 
tragsweise ist allenthalben der Auffassungsgabe der Pflegerinnen genügend 
augepaßt. Nach einer kurzen Einleitung über die Aufgaben der Wochenpflegerin 
werden in Abschnitt I die Verrichtungen im allgemeinen (Temperaturmessung, 
Desinfektion etc.), in Abschnitt II und UI die Pflege der gesunden bezw. 
kranken Wöchnerin, in IV und V die Pflege des gesunden und des kranken 
Kindes vorgetragen. Einzelne Abschnitte, wie z. B. die Pflege des kranken 
Kindes sind so ausführlich gehalten, daß das Buch sich nicht nur für Wochen¬ 
bettpflegerinnen im engeren Sinne, sondern auch für Kranken- und Kinder¬ 
pflegerinnen eignen dürfte. Anhangsweise bringt der Verfasser einen Abdruck 
der vom Oberpräsidenten der Provinz Westfalen erlassenen Ordnung für staat¬ 
lich geprüfte Wochenbettpflegerinnen. Es wäre zu wünschen, daß in anderen 
Provinzen, ebenso aber in anderen Bundesstaaten ähnliche staatliche Ordnungen 
für Pflegerinnen erlassen würden. — 'Das Großherzogtum Baden und Hamburg 
sind ja mit gleichem Beispiele vorausgegangen. Wünschenswerter erscheint es 
mir aber, wenn für Pflegerinnen eine allgemeine für alle Staaten gültige ein- 



602 


Tagesnachrichten. 


heitüche Verordnung erlassen würde, ein Grand dagegen scheint mir nicht vor- 
zoliegen, besonders da die Pflegerinnen im Gegensatz zu den Hebammen Frei¬ 
zügigkeit in den einzelnen Bandesstaaten genießen. 

Daß in der genannten Ordnung die Pflegerin nnter Aalsicht des Kreis¬ 
arztes gestellt wird and man verlangt, daß sie sich bei Kindbettfieberfällen 
denselben Vorschriften unterwirft, welche für Hebammen gelten, kann ich nor 
als einen erfreulichen Fortschritt in der Wochenbetthygiene begrüßen! 

Jedenfalls wünsche ich dem Mann sehen Bache die weiteste Verbreitung, 
aber nicht nur in den Kreisen der Wochenbett- and Krankenpflegerinnen, 
sondern auch in Aerztekreisen and bei Studierenden, denen ein Stadium eines 
solchen gemeinverständlichen Lehrbuches (ebenso wie das Stadium des Heb¬ 
ammenlehrbaches!), ehe sie in die Praxis gehen, meiner Ansicht nach von 
großem Nutzen sein würde! Prof. H. Walther-Gießen. 

Dr. Baaaun: Praktische Gebnrtshülfe. IV. Auflage. Berlin 1905. Verlag 
von Elwin Stande. 

Die von dem bekannten Hebammenlehrer Dr. Ban mm (Direktor der 
Lehranstalt in Breslau) verfaßte praktische Gebnrtshülfe, „ein Wiederholungs¬ 
buch für Hebammen“ liegt nun bereits in vierter Auflage vor, dieses Mal zu¬ 
gleich als „Einführung in das neue preußische Hebammenlehrbuch“. Wer 
Gelegenheit gehabt hat, das Büchlein nicht nur lernend, sondern auch lehrend 
zu benutzen, der wird mir zugeben, daß es wohl kaum ein zweites Büchlein 
geben wird, welches bei prägnanter Kürze und Klarheit in der Anordnung des 
Stoffes doch so viel Belehrendes bietet. Das Büchlein soll, wie Verfasser selbst 
sagt, nicht die Arbeit sparen, es regt vielmehr reichlich zum Nachdenken und 
Nachlesen an; es setzt zwar ein gründliches Studium des Lehrbuches voraus, 
regt dabei aber wieder zum Nachlesen an. In diesem Sinne ist es als Kom¬ 
pendium in erster Linie für Hebammen zu empfehlen; aber auch dem Lehrer - 
bietet es bei Repetitionen einen praktischen Leitfaden und vor allem für den 
Kreisarzt eine ausgezeichnete Disposition zur Abhaltung der Nachprüfungen. 

Gerade die neueste Auflage möchte ich den Herren Kreisärzten für den , 

Zweck, in Kürze die Hebammen mit dem Inhalte des neuen Lehrbuchs bekannt h 

zu machen, empfehlen, ohne daß damit ausgedrückt sein soll, daß es das 
Studium des Lehrbuches überflüssig machen könnte. Anlehnend an das neue 
Lehrbuch enthält das Büchlein einen kurzen Auszug aus demselben; neu hin¬ 
zugekommen ist der Abschnitt „Krankheitslehre und Krankenpflege“. — Im 
Anhänge sind einige geburtshilfliche Grundregeln und die bemerkenswertesten 
Punkte aus der neuen Dienstanweisung zusammengestellt. Dem Büchlein 
wünsche ich, nachdem ich es im Unterrichte für Repititionen schätzen gelernt 
habe, die weiteste Verbreitung in den Kreisen der Hebammen, wie auch der 
Herren Kreisärzte. Dr. H. Walther-Gießen. 

Tagesnachricbten. 

Internationaler Tuberkulosekongress ln Paris vom 2. bis 7. Ok¬ 
tober 1906. Der Kongress gliedert sich in 4 Abteilungen, in welchen folgende 
Referate gegeben werden: 1. Abteilung. Innere Pathologie: 1. Die 
neuen Behandlungsmethoden des Lupus. Ref. Jeanselme und Chatin, * 
H. Forchhammer - Kopenhagen, Prof. L e s s e r - Berlin. 2. Die Frühdiagnose 
der Tuberkulose durch die neuen Verfahren. Ref. M. H. Achard-Paris, 

Prof. Mariani-Genua, Dr. C. Theodor Williams-London. — 2. Abteilung. 
Chirurgische Pathologie: 1. Vergleichende Studien über die ver- \ 
schiedenen Tuberkulosearten. Ref. Prof. Dr. A r 1 o i n g - Lyon, Prof. Dr. K o s s e 1 - 
Gießen, Prof. Theobald Smith. 2. Ueozoekale Tuberkulose. Ref. Dr. De- 
moulin-Paris, Prof. R o u x - Lausanne, Prof. Depage und Dr. Pinchart- 1 
Brüssel. 8. Chirurgische Eingriffe bei Tuberkulose der Hirnhäute und der 
Hirnmasse. Ref. Prof. Dur et-Lille, Prof. Ale ssandri-Rom. 4 . Tuberkulose 
und Trauma. Ref. Dr. Villemin-Paris, Dr. Friedländer-Wien. — 

3. Abteilung. Schutz und Hilfe beim Kinde. 1. Verhütungsma߬ 
regeln in der Familie. Ref. Dr. Marfan-Paris, Prof. Dr.Heubner-Berlia. $ 

2. Schutz der Schulkinder. Ref. Dr. Armaingaud-Bordeaux., Prof. d'Es- ; 

S ine-Genf. 8. Seesanatorien. Ref. H. Armaingaud-Bordeaux, Professor 
’Espine-Genf. 4. Die Schulversicherungen und ihre antituberkulöse Bolla 




Tages-Ordn.üb. d. Hauptversammlung d. Deutschen Medizinalbeamtenvereins. 608 

Bet H. Cavö et Savoire-Paris. — 4. Abteilung. Schutz und Hilfe 
beim Erwachsenen. Soziale Hygiene. 1. Die ätiologischen Faktoren 
der Tuberkulose; ökonomische Bedingungen in der sozialen Aetiologie der 
Tuberkulose. Bef. Dr. R o m m o - Paris, Dr. Newsholme* Brighton, Professor 
M. Sternberg. 2. Versicherungen und Krankenkassen im Kampfe gegen die 
Tuberkulose. Referenten H. Eduard Fttster-Paris, H. Bielefeld-Berlin, 
K C. H. Oarl and-London. 8. Bolle der Armenapotheken und Sanatorien 
im Kampfe gegen die Tuberkulose. Bef. Dr. Courtois-Suffit und L a u b ry, 
R Bang-Sikelborg, H. Böco-Brüssel. 4. Gesundheitliche Verbesserung und 
Lüftung der Wohnung. Bef. H. Keith, D. Yung-London. 6. Hygiene der 
Tuberlralösen in den Gemeinschaften: Ateliers, Fabriken, Bureanx, Armee und 
Marine. Bet H. Kelsch-Paris, Me. Thibault-Paris. H. Boulin-Lyon. 
& Desinfektion der Wohnung von Tuberkulösen (administrative Regulierung 
und praktische Maßregeln). Bef. Dr. A. J. Martin, Dr. Dunbar-Hamburg, 
E Abba-Turin. — Das deutsche Nationalkomitee besteht aus den Herren: 
Prot v. Leyden, Geheimer Medizinalrat, Bendlerstraße 80, Berlin W., Vor¬ 
sitzender; Dr. Nietn er, Eichhornstraße 9, Berlin, Schriftführer; Dr. Althoff, 
Ministerialdirektor; Prof. Dr. Frankel, Geheimer Medizinalrat; H. G a e b e 1, 
Präsident des Reichsversicherungsamts; H. K ö h 1 e r, Präsident des Kaiserlichen 
Gesundheitsamts. — Der Mitgliederbeitrag beträgt 25 Fr., für außerordentliche 
Mitglieder (Familienangehörige) 10 Fr. — Die französischen Eisenbahnen ge¬ 
währen zum Besuch des Kongresses eine Fahrpreisermäßigung von 50 Prozent. 
Das St an gen sehe Reisebureau hat sich bereit erklärt, für gute Unterkunft 
in Paris Sorge zu tragen. Es ist zu diesem Zwecke wichtig, die voraussicht¬ 
liche Zahl der Teilnehmer zu wissen; die beabsichtigte Teilnahme ist daher 
dem Deutschen Kongreß - Komitee (Berlin W. 9, Eichhornstraße 9) schon jetzt 
unverbindlich mitzuteilen. 


Deutscher Medizinalbeamten - Verein. 

Vierte Hauptversammlung 

in 

Heidelberg 1 . 


Tagesordnung: 

Donnerstag, den 7. September: 

8Uhr abends; Gesellige Vereinigung zur Begrdeeung (mit Damen) 
in der Stadthalle. Ballsaal (Eingang Portal IV, Bienenstraße). 

Freitag, den 8. September: 

9 Uhr Tormittegs: Erete Sitzung Im Kammermuelksaal der Stadt¬ 
halle (Eingang Portal VI; Neckarseite). 

1. Eröffnung der Versammlung. 

2. Geschäfts- und Kassenbericht. 

3. Geriehtsärztllche Wünsche mit Rücksicht auf die bevorstehende Neu¬ 

bearbeitung der Strafprozessordnung. Referenten: Prof. Dr. H e i m - 
berger-Bonn, Gerichtsarzt Prof. Dr. Straßmann-Berlin und 
Prof. Dr. Aschaffenburg-Cöln a./Rh. 

Nach Schluß der Sitzung: Besichtigung der Milchküche der Luisen- 
Heilanstalt und des Krematoriums auf dem städtischen Friedhofe. 

B Uhr nachmittags: Festessen (mit Damen) im Ballsaal der Musikhalle 
(Preis des trocknen Gedecks: 4 Mark). 





504 Tage*-Ordn. üb. d. Hauptversammlung d. Deutschen Medizinalbeamtenvereins. 

Sonnabend, den 9. September: 

0 Uhr vormittags: Zweite Sitzung Im Kammermusiksaal der 
Stadthalle. 

1. Die Beaufsichtigung der Geisteskranken ausserhalb der Anstalten. 

Referent: Privatdozent Dr. W. Weber, Oberarzt, der Pror.-Heil¬ 
and Pflegeanstalt Göttingen, Korreferent: Prof. Dr. P. Stolper, 
Kreisarzt in Göttingen. 

2. Vorstandswahl; Bericht der Kassenrevisoren. 

3. Abwässer • Reinigung mit Rücksicht auf die Reinhaltung der Wasser- 

lilufe. Referenten: Dr. Thumm, ordentl. Mitglied der Königlichen 
Versuchsanstalt für Wasserversorgung und Abwässcrbeseitignng in 
Berlin (vom hygienisch-technischen Standpunkte), Reg.- nnd 
Med.-Rat Dr. Dütschke-Erfort (vom gesundheitspolizei¬ 
lichen und verwaltungsrcchtlichen Standpunkte). 

Nach Schluß der Sitzung: Mittagessen nach freier W&hL 

3 Uhr nachmittags: Besichtigung des alten Heidelberger 

Schlosses und gemeinschaftlicher Ausflug in die Umgebung. 1 ) 

Wohnungen werden am besten direkt bestellt; jedoch ist auch H. 
Gerichtsarzt a. D. Dr. Long&rd-Heidelberg erbötig, solche zu besorgen. Be¬ 
stellungen an ihn sind unter Angabe etwaiger Wünsche in bezug auf Lage 
uud Preis der Zimmer, Zahl der Betten rechtzeitig zu richten. 

Empfehlenswerte Hotels sind: Hotel „Victoria“, Zimmer von 3 
bis 4 Mark an, Frühstück 1 Mark 25 Pf.; „Europäischer Hof“, Z. von 
4—7 Mark, Frühstück 1 Mark 50 Pf.; Hotel „Prinz Carl“ f*, Z. von 2—6 
Mark, Frühstück 1 Mark 20 Pf.; „Schloßhotel“, Z. mit Frühstück von 
5 Mark an; „Grand-Hotel“ *, Z. von 3 Mark an, Früsttick 1 Mark 20 Pf.; 
Hotel „Schrieder“, Z. von 2,50—5 Mark, Frühstück 1 Mark 20 Pf.; Hotel 
„Metropol“ f, Z. von 3 Mark an, Frühstück 1 Mark 20 Pf.; „D&rmstftdter 
Hof“, Z. von 2,50—3 M., Frühstück 1 Mark; Hotel „Lang“, Z. von 2,50 bis 

4 Mark, Frühstück 1 Mark; Hotel „Harrer“ t, Z. mit Frühstück von 2,50 
Mark; Hotel „Reichspost“, Z. von 2,50—4 Mark, Frühstück 1 Mark.*) 

Die Mitglieder werden dringend ersucht, alsbald nach ihrer Ankunft in 
Heidelberg sich im Anmeldebureau zu melden, das sich in der Stadthalle 
befindet und am Donnerstag von 4 Uhr nachmittags an geöffnet ist. 

Minden, den 1. August 1905. 


Der Vorstand des Deutschen Medizinalbeamten-Vereins. 

Im Auftr.: Dr. Rapmund, Vorsitzender, 

Reg.- n. Geh. Med.-RAt ln Minden. 


*) Das Nähere über die Besichtigungen und den Ausflug wird am 
Sitzungstage bekannt gegeben. 

*) f Hotels des Deutschen Offizier-Vereins. *) Hotels des Waarenhauses 
für deutsche Beamte. 


VcraiitworH. Redakteur: Dr. Rapmund, lieg.- u. Geh. Mcd.-Kat in Minden i W. 
J. C. C. Iiruns. IKerzojd- Sächn. u. K. Scli.-L. llofbuchdruokerH in Minden. 



18. Jahrg. 


Zeitschrift 


1905. 


für 


MEDIZINALBEAMTE. 


Zentnüblatt für gerichtliche Medizin und Psychiatrie, 
fir ärztliche Sachrerstandigentatigkeit in Unfall- und Invaliditätesachen, sowie 
dr Hygiene, öffentL Sanitatswesen, Medizinal-Gesetzgebung und Rechtsprechung 

Heraasgegeben 

von 

Dr. OTTO RAPMÜND, 

Regierungt- und Ooh. Medlztnalrat In Minden. 


Verlag von Fischers mediz. Buehhandlg, H. Kornfeld, 

HetrxogL Bayer. Hof- n. ErxhenogL Kammer-Buchhftndlar. 

Berlin W. 35, Lützowstr. 10. 

Innerate nehmen die Yerlagsliandlung sowie alle Annoncen-Expeditionen des In- 
nnd Anslandes entgegen. 


Nr. 16. 


Ersekelat am 1. «ad IS. Jeden Monate 


15. August. 


Schwere innere Verletzungen bei minimalen oder gänzlich 
fehlenden Läsionen der Körperoberfläche. 

Von Med.-Bat Dr. EmU Stern, Gerichtsarzt in Breslau. 

Schlantm&nn 1 ) and H. Hoff mann 1 ) haben neuerdings 
schwere innere Verletzungen bei nur geringen Sparen änsserer 
ömlteinwirkung beschrieben. Diesen für den Gerichtsarzt inter¬ 
essanten und wichtigen Beobachtangen möchte ich folgende an- 
raihen, welche bei forensischen Sektionen des Jahres 1904 ge¬ 
wonnen sind: 

1. Starz aas der Höhe des ersten Stocks. Fraa F. im Dorfe B. des 
Kreises B. wurde von ihrem dem Tranke ergebenen Ehemann auf den ge¬ 
pflasterten Hof hinabgestürzt. Tod nach 12 Standen. Aeaßerüche Ver¬ 
letzung: Wenig umfängliche Bißwunde über dem rechten Schalterblatt. 
Bei der 8ektion wurden 2 Qaerbrüche des Brustbeins und Brach der 4. Bippe 
rechts, sowie Zertrümmerung des Halsmarks festgestellt. 

2. Beim Bedachen eines 5stöckigen Hauses war ein 34 Jahr alter 
Klempner auf das Steinpflaster herabgestürzt. Der Tod trat sofort ein. 
Kenfiere Verletzungen fehlten vollständig. Die Legalsektion 
er gab: Querbrach des Brustbeins und der 8. Bippe beiderseits, Zertrümmerung 
ta 4. Halswirbels, dessen Bruchstücke nach vorn verschoben waren und das 
Halsmark zerquetscht hatten. 


’lSchlautmann: Zwei interessante Obduktionsergebnisse. Zeitschr. 
I Med.-Beamte; 1904, Nr. 3. 

__ *)H.Hoffmann: Innere Verletzungen. VierteljahrBSchr. f. ger.Med., 
HL Folge, XXIX. Bd., 2. H. 



606 


Dr. Schlieben. 


3. Auch die Sektion eines aas beträchtlicher Höhe herabgestürzten 
Maurers bot kein Zeichen äußerer Verletzung, während die Sektion 
Zertrümmerung des 4. Halswirbels, Dislokation der Bruchstücke und Zerquet¬ 
schung des Halsmarks zeigte. 

4. Ein unbekannter, etwa zwischen 30 und 40 Jahre alter Mann war 
zwischen den Gleisen der Eisenbahnstation 0. tot aufgefunden worden, ohne 
eine Spur äußerer Verletzung zu bieten. Bei der Legalsektion fand 
sich: Fraktion des Brustbeins und sämtlicher Rippen, Haemopericardium, Quer¬ 
riß beider Vorhöfe des Herzens an der Vorderfläche und dicht über Querfurche 
Zerreißung der Aorta ascendens, der Arteria pulmonal, Ruptur des linken 
Leberlappens. Mit großer Wahrscheinlichkeit mußte angenommen werden, 
daß Denatus in selbstmörderischer Absicht sich dem herankommenden Zuge 
entgegengestellt und durch den Anprall der Lokomotive zu Tode ge¬ 
kommen war. 

5. Der 30 Jahr alte Herrn. J. war beim Rangieren zwischen die Puffer 
zweier Eisenbahnwagen gekommen und hierauf plötzlich gestorben. Aeußere 
Verletzungen fehlten vollständig. Die gerichtliche Sektion ergab: 
Vollständige Abreißung des Herzens, welches frei in der linken Brusthöhle 
sich vorfand. Die Rißfläche verlief ziemlich wagerecht dicht über den Vorhof- 
kammermündungen. Außerdem fand sich Zerreißung dez Herzbeutels und der 
Bauchschlagader und zahlreiche Leberrisse. 

Es leuchtet ein, dass sehr oft die erhobenen, ganz unerheb¬ 
lichen oder gänzlich fehlenden Verletzungsspuren der Körperober¬ 
fläche über die Schwere etwa vorhandener Verletzungen der 
inneren Organe keinen Schluss zulassen. Eine „gerichtliche 
Leichenschau* 1 ohne folgende Sektion wird deshalb in den seltensten 
Fällen hinreichen, um die Todesursache festzustellen oder die 
Frage des Verschuldens einer anderen Person an dem Tode des 
Verstorbenen zu entscheiden. 


Ueber Formysol, ein neues Desinfiziens. 

Von Kreisassistenzarzt Dr. Schlieben, Leiter der bakteriologischen Dnter- 
suchungsanstalt bei der Königlichen Regierung in Schleswig. 

Die Zahl der chemischen Desinfizientien, welche geeignet 
sind, die Mikroorganismen abzutöten, ist zwar eine überaus grosse, 
doch haben nur relativ wenige von ihnen eine praktische Be¬ 
deutung, namentlich diejenigen, welche in kurzer Zeit ihre Wirkung 
entfalten, ohne die zu desinfizierenden Objekte zu schädigen. 
Unseren meisten und bekanntesten Desinfizientien haftet aber im 
allgemeinen der grosse Uebelstand an, dass sie eine stark toxische 
Wirkung besitzen; ich erinnere nnr an das Sublimat, das sogar 
in einer Verdünnung von 1 : 1000, in welcher es noch sporenhaltige 
Mikroorganismen, z. B. die Milzbrandsporen, abtötet, für den 
Menschen nicht als unschädlich zu betrachten ist. Während 
ferner die Karbolsäure in stärkerer Konzentration zur Verätzung 
der Haut und zu dem gefürchteten Karbolgangrän führen kann 
und in sehr verdünnter Lösung überhaupt sich als unwirksam 
erweist, und die Phenolsulfonsäuren der Karbolsäure, die Kresole, 
das Lysol, die Seifenlösung des Phenols, das Solveol n. a. eine 
mehr oder minder erhebliche Aetzwirkung auf die Gewebe ansüben, 
besitzen wir dagegen in dem Formaldehyd ein Desinfiziens, das 



Ceber Formysoi, ein neues Desinfiziens. 


B07 


trotz seiner ganz eminenten bakterientötenden Eigenschaft nur in 
ganz geringem Grade giftig wirkt. In konzentrierter Form, in 
der 40 °/ 0 Lösung von Formaldehyd in Wasser, Formalin oder 
Formol (HCOH) genannt, wirkt das Formaldehyd zwar noch 
ätzend, aber doch ist diese Aetzwirkung nur eine ganz oberfläch¬ 
liche, welche niemals in die Tiefe der Gewebe einzudringen 
vermag. Diese geringfügigen Nachteile des Formalins können 
ausserdem durch geeignete Zusätze von Glyzerin und Wasser 
wieder gehoben werden, ohne jedoch die Desinfektionswirkung zu 
schwächen. 

Versuche mit der internen Darreichung des Formaldehyds 
sind bei den verschiedensten Infektionskrankheiten vorgenommen 
worden und haben, wie Bosenberg 1 ) gezeigt hat, sich gut be¬ 
währt gegen Angina, Scharlach, Erysipel und Pyämie, ohne irgend¬ 
welche Nierenreizung herbeizuführen, da der Urin stets frei von 
pathologischen Bestandteilen blieb. Die äussere Anwendungsweise 
des Formaldehyds ist angezeigt in der Wundbehandlung, da 
Lösungen in geringer Konzentration weder toxische, noch ätzende 
Wirkungen hervorgebracht haben. 

Das Formysoi, ein neues, von der Firma Th. Hahn & Co. 
io Schwedt a. 0. in den Handel gebrachtes Desinfiziens, in welchem 
die Wirkung des Formaldehyds zur Geltung kommt, ist eine klare, 
leicht gelblich gefärbte, flüssige Glyzerin-Kaliseife, welche mit 
zweierlei Zusätzen, nämlich mit einem Zusatze von 10 °/ 0 Formalin 
und einem solchen von 25°/ 0 hergestellt ist; das 10°/ 0 tige Formysoi 
besitzt demnach 4 °/ 0 , und das 25°/ 0 tige Formysoi 10°/ 0 Formal¬ 
dehydgehalt. Die verschiedene Herstellung mit einem 10 °/ 0 und 
25 */ 0 Formalingehalt ist deshalb gewählt worden, weil man das 
Formysoi zu dem einen Zwecke mit weniger Formaldehydgehalt 
und zu dem anderen Zwecke hochprozentiger verwenden wird. Da 
sich das Formalin leicht verflüchtigt, so ist beim Gebrauche des 
Formysols auf diesen Umstand Bücksicht zu nehmen; denn bei un¬ 
genügendem Verschluss der Flasche würde der Formaldehydgehalt 
ganz erheblich nachlassen. 

Die von mir ausgeführte bakteriologische Untersuchung des 
Fonnysols erstreckte sich auf 1. Milzbrandsporen, 2. Staphylococcus 
pyogenes aureus, 3. Bacterium coli, 4. Bacillus typhi und 5. Bacillus 
diphtheriae; sie ergab eine starke Einwirkung auf pathogene Bak¬ 
terien, welche nach relativ kurzer Zeit in ihrer Entwickelung 
gehemmt und vollständig abgetötet wurden. Zur Prüfung wurden 
mit Milzbrandsporen imprägnierte Seidenfäden eine bestimmte Zeit 
lang der Wirkung des unverdünnten Formysols ausgesetzt, dann 
in sterilem Wasser abgespült und in sterile Bouillonröhrchen über¬ 
tragen, in den Brutschrank bei 37 0 gebracht, am folgenden Tage 
besichtigt und von den Bonillonkulturen alsdann weitere Gelatine¬ 
stichkulturen und Gelatineplatten angelegt. Die Prüfung der 


*) Bosenberg: Ueber den Wert des Formaldehyds für die interne 
Therapie. Therapie der Gegenwart. Februar 1905. 



508 


Dr. Schlieben. 


Wirkung auf die übrigen genannten Bakterien erfolgte in ähn¬ 
licher Weise, indem sterile Seidenfäden mit der zu prüfenden 
frischen Bakterienaufschwemmung behandelt, dann in die Formysol- 
lösung eine bestimmte Zeit übertragen, hierauf mit sterilem Wasser 
abgespült und in sterile Bouillonröhrchen übertragen wurden, 
welche bei Bruttemperatur von 37° aufbewahrt wurden. Am 
nächsten Tage Besichtigung der tags zuvor hergestellten Bouillon- - 
kultur, und daraus Herstellung von weiteren Gelatinestich- und 
Gelatineplattenkulturen. Von der Bouillonaufschwemmung da* 
Diphtherieb&zillen wurden verschiedene Strichkulturen auf schräg 
erstarrtem Löfflers Blutserum angelegt und vereinzelte Glyzerin¬ 
agarplatten - Oberflächenstriche hergestellt. Beifolgende Tabelle 
ergibt die Resultate der bakteriziden Wirkung des 10- und 25proz. 
unverdünnten Formysols: 


10°/ 0 Formysol. 


Bakterienart. 

Zeitdauer 
der Ein¬ 
wirkung 
des 

Formysols 

Bouillon¬ 

aufschwem¬ 

mung 

Qelatine- 

stricb 

l 

Gelatine¬ 

platte 

a) Milzbrandsporen 

10 Min. 

getrübt 

wächst 

wächst 

15 „ 

ff 

7t 

ff 


20 „ 

ff 

7t 

7t 


25 „ 

ff 

7t 

7t 


30 „ 

ff 

yt 

ff 


40 „ 

r» 

7t 

ff 


60 „ 

leichte Trüb. 

7t 

ff 


60 „ 

klar 

kein Wachstum 

kein Wachstum 

b) Stapbylococcos 

2 n 

getrübt 

wächst 

wächst 

pyog. aureus 

3 w 

ff 

ff 

ff 


6 * 

» 

7t 

ff 


6 7t 

klar 

kein Wachstum 

kein Wachstum 


10 „ 

ff 

7t 

ff 


15 , 

ff 

7t 

ff 

c) Bacterium coli 

5 it 

trübe 

wächst 

wächst 


8 „ 

ff 

7t 

ff 


10 ff 

klar 

kein Wachstum 

kein Wachstum 


15 „ 

ff 

» 

ff 


20 jf 

7t 

91 

ff 

d) Bacillus typhi 

1 7t 

trübe 

wächst 

wächst 


3 „ 

71 

ff 

ff 


5 , 

klar 

kein Wachstum 

kein Wachstum 


10 „ 

ff 

ff 

ff 

e) Bacillus diphthe- 

3 " 

trübe 

' 8triohktiltar auf 

CHyserinagar-Obtr- 

7 . r 
nae 

5 „ 

7t 

Löfflers Blutserum 

trübe 

wächst 

fliehe Bflftrieh 

trübe 

wichst 


8 n 

7t 

ff 

ff 


10 ff 

w 

ff 

* 

ff 


15 ft 

klar | 

kein Wachstum 

kein Wachstum 


20 „ 

7t | 

ff 

ff 


25 „ 

1 

7t | 

ff 

ff 


I 





Ueber Formysol, ein neues Desinfizicns. 
26 # / 0 Formysol. 


609 



Zeitdauer 




Bazillenart. 

der Ein¬ 
wirkung 
des 

Bouillon- 

aufschwem- 

mung 

Gelatine¬ 

strich 

Gelatine¬ 

platte 


Formysols 



a) Milzbrandsporen 

10 Min. 

getrübt 

wächst 

wächst reichlich 

16 * 

n 

1» 

II 


20 , 

91 

n 

• 


26 , 

klar 

kein Wachstum 

kein Wachstum 


80 , 

91 

* 

II 


40 . 

n 

M 

91 


60 , 

n 

n 

99 


60 „ 

99 

ff 

9» 

b) Staphylococcus 

2 . 

getrübt 

wächst 

wächst 

pyogenes aureus 

3 - 

n 

91 

99 

6 „ 

klar 

kein Wachstum 

kein Wachstum 


6 „ 

T» 

9» 

9» 


10 „ 

99 

n 

n 


16 ji 

n 

* 

n 

c) Bacterium coli 

6 „ 

! trübe 

wächst 

wächst 


8 „ 

klar 

kein Wachstum 

kein Wachstum 


10 , 

n 

n 

91 


16 „ 

n j 

9» 

91 

d) Bacillus typhi 

20 „ 

1 1 

n 

J» 

9» 

1 , 

Trübung | 

wächst 

ger. Wachstum 

3 - 

klar 

kein Wachstum 

kein Wachstum 


6 . 

n 

ff 

91 

e) Bac. diphtheriae 

10 . 

n 

n 

91 

3 , 

Trübung 

1 

Strlchkalfor auf 
Löffler« Blataernm 

Qlyxtrln*gar-Ober- 

fliohenstrlch 


1 

1 

wächst 

wächst 


6 „ 

8 n 

10 „ 

* ! 

ff 

»1 

I 

k?ar 

ff 

kein Wachstum 

'kein Wachstum 

1 

16 , 

n 

9» 

n 


20 , 


n 

99 


26 . 

1 

91 

99 


Die bakteriologische Prüfung des Formysols ergab demnach 
folgende Einwirkung auf Mikroorganismen. Es wurden abgetötet: 


durch 10% Formysol: 

1. Milzbrandsporen in 60 Minuten. 

2. Diphtheriebazillen .16 „ 

3. Colibazillen .10 „ 

4. 8taphylokokken .6 „ 

5. Typhnsbazillen .6 „ 


durch 26% Formysol: 

in 25 Minuten. 

» 10 „ 

„ 8 . 

. 6 , 


Ans vorstehenden bakteriologischen Versuchen hat sich die 
8 krke desinfizierende, d. h. keimtötende Wirkung des Formysols 
ergeben, so dass wir in demselben ein neues Desinfiziens haben, 
welches den übrigen an Wirksamkeit in nichts nachsteht. Ausser¬ 
dem scheint das Formysol vor den übrigen Desinfizientien den 
Vorzug zu haben, dass es die Hände und Instrumente nicht an- 
peijft and keine Aetzwirkungen erkennen lässt, so dass es zur 
Itemlektion der Hände und Instrumente, zur Behandlung eiternder 
Wanden, zur Desodorierung jauchiger Sekrete und zur Behänd- 







610 


Dr. Kirstein. 


lang parasitärer Hautkrankheiten, besonders des behaarten Kopfes 
durchaus geeignet erscheint. 


Ein Besteck für die Blutentnahme bei typhusverdächtigen 

Personen. 

Von Dr. Fritz Kirstein, kommissarischer Kreisarzt in Olpe L W. 

Ebenso wie Herr Kreisassistenzarzt Dr. Friedel-Coblenz, 
habe auch ich s. Z. als Leiter einer bakteriologischen Aussenstation 
für Typhnsbekämpfung, sowie in meiner jetzigen Stellung ein 
kompendiöses Besteck zur serodiagnostischen Blutentnahme bei 
typhus verdächtigen Personen vermisst und ein solches auf Grund 
meiner Erfahrungen zusammengestellt. 

Was zunächst das Instrument angeht, mittels dessen das 
Blut gewonnen werden soll, so dürfte es am zweckmässigsten 
sein, eine sogenannte Blutentnahmefeder zu verwenden, wie solche 
auch von den im Westen des Reiches errichteten Typhusstationen 
zur Blutentnahme benutzt werden. Das Instrument besteht in 
einer kachierten, verstellbaren kleinen Lanzette, die mittels Feder¬ 
kraft hervorgeschleudert werden kann. Um den aseptischen Grund¬ 
sätzen leichter gerecht zu werden, habe ich die Lanzette der Blut* 
entnahmefeder des Bestecks wie bei den Lindenborn sehen Impf¬ 
messern aus Platin-Iridium herstellen lassen; sie ist also aus- 
glühbar. Gewöhnliche Lanzetten oder Skalpelle zu verwenden, 
ist bei zahlreicheren Entnahmen nicht ratsam, da beim Anblick 
eines Messers sich manche Personen, insbesondere Kinder, der 
Untersuchung entziehen, und da ferner mit diesen Instrumenten 
manchmal unnötig grosse Schnitte gemacht werden. 

Am besten wird zur Blutentnahme ein Ohrläppchen gewählt, 
das vorher mit einem in Alkohol getränkten Wattebausch gründ¬ 
lich gereinigt wird. Eine Anzahl steriler Wattebäusche sind in 
einem in einige Fächer geteilten Metallkästchen des Bestecks 
untergebracht. 

Der Alkohol (96 %) befindet sich in einem metallenen Be¬ 
hälter, der mit zwei Tuben versehen ist. Durch den einen der¬ 
selben ist ein Docht geführt. Eine Teilung des Alkoholbehälters 
durch eine Scheidewand für die doppelte Zweckbestimmung des¬ 
selben halte ich weder für nötig, noch für praktisch. 

Ist das Ohrläppchen mit Alkohol gereinigt, so macht man 
mit der durch Ausglühen sterilisierten Blutentnahmefeder einen 
oder mehrere Einstiche und fängt das austretende Blut in einem 
kleinen (50: 8 mm innen) mit Gummistöpsel versehenen sterilen 
Glasröhrchen und zwar bis ca. zur Hälfte desselben auf, was einer 
Menge von ca. 1 ccm entspricht. 

Das Besteck enthält 8 derartige Röhrchen. Die dieselben 
verschliessenden Gummistöpsel werden durch Auskochen sterilisiert 

Die Verwendung der vielfach benutzten Kapillaren möchte 
ich nicht empfehlen, da sich diese leicht durch Blutgerinnsel ver¬ 
stopfen und dadurch oft viele Kapillaren nötig werden, um eine 



Ein Beateck für die Blutentnahme typhusverdächtiger Personen. 611 


emigermaasen genügende Blut- bezw. Serammenge zu erhalten. 
] Ausserdem ist noch ein Verkleben der Enden der Kapillaren mit 
t Wachs oder Siegellack erforderlich. Dies alles ist zu umständlich 
' und stellt daher an die Geduld des die Blutentnahme bewirkenden 
Arztes unnötige Anforderungen. 

Zu der neuerdings auch von Ficker (vergl. Fickers 
Typhusdiagnostikum) zur Erzielung einer grösseren Blutmenge 
empfohlenen Entnahme mittels eines Schröpfkopfes geben eine 
Beihe von Personen und speziell bei Kindern viele Eltern nicht 
ihre Einwilligung. Die Methode ist daher, namentlich auch bei 
Massenuntersuchungen, nicht gut durchführbar. 

Ist die Entnahme mittels der Blutentnahmefeder beendet, so 
wird die Schnittfläche mit etwas steriler Watte bedeckt und das 
i sine Ende des Wattebausches in die Ohrmuschel gedrückt. Auf 
diese Weise bleibt der Wattebausch, der mit etwas Blut noch 
verklebt, genügend lange und fest haften. 

Bei ca. 300 Blutentnahmen, die ich auf diese Weise vornahm, 
habe ich niemals eine Wundinfektion sich anschliessen sehen. Die 
Anspressung des Serums geht in den Böhrchen, die natürlich noch 
signiert werden müssen, gut vor sich. 

Die beschriebenen zur Blutentnahme erforderlichen Utensilien 
sind in einem vernickelten, flachen (ca. 

15 mm hohen) Metalletui mit Charnier- 
deckelund Vorleger untergebracht, das 
bequem in der Tasche getragen werden 
kann. Die Grössenverhältnisse des Be- 
. steckes sind aus der nebenstehenden 
Figur ersichtlich. Das Etui enthält also, 
um es nochmals zusammenzufassen, fol¬ 
gendes: 

1 Blutentnahmefeder mit ausgltthbarer 
Platin - Iridium - Lanzette, 

1 Behälter mit Fächern für sterile Watte- 
häosche, 

1 Alkoholbehälter mit 2 Taben and 1 Docht, 

8 Glasröhrchen mit Gummistöpseln. Mehr 
wie 8 Böhrchen dürften nar in sel¬ 
tenen Fällen mitzuführen sein. 

Der Preis des Besteckes, dessen 
Anfertigung die Firma F. & M. Lautenschläger, Berlin N., 
übernommen hat, stellt sich auf ca. 26 Mark. 


Die Stellung der Kreisärzte in Eisass-Lothringen. 

Von Med.-Bat Dr. de Bary, Kreisarzt in Thann i. E. 

II. 

Um eine geschichtliche Darstellung der Institution der Kreis¬ 
tet« in Elsass-Lothringen zu geben, genügt natürlich nicht die 
einfache Angabe von Zahlen. Damit wäre die Arbeit ebenso kurz 
und schnell erledigt, als sie umgekehrt einen den Bahmen dessen, 








512 


Dr. de ßary. 


was in einer Fachschrift an Banm gewährt werden kann, weit 
übersteigenden Umfang annehmen müsste, falls man auch nur 
einigermassen vollständig alles anfzählen wollte, was an Verord¬ 
nungen und Aufträgen im Laufe der Zeit für die Kreisärzte ent¬ 
standen ist. In dem ausgezeichneten Jahrbuch der Medizinal- 
Verwaltung in Eisass - Lothringen ist dieses Studium, wenn man 
alle die verschiedenen Bände durchsieht, erschöpfend nach jeder 
Richtung hin zu bewirken. An dieser Stelle kommt es vor allem 
darauf an, die wesentlichen Daten und Erlasse zu geben, und hieran 
des weiteren sachliche Folgerungen zu reihen, die dazu dienen 
sollen, den Lesern, Kollegen wie auch Behörden, das zn zeigen, 
was die speziellen Verhältnisse charakterisiert. Es ist zu hoffen, 
dass ein solcher Ueberblick zur Klärung der Situation hilft, die 
zurzeit entschieden bis zu einem kritischen Augenblick angekommen 
ist, wie wir dies bereits früher kurz hervorgehoben haben und 
später noch weiter ausführen werden. 

Ehe die Kreisärzte in Eisass-Lothringen geschaffen wurden, 
gab es im Lande schon beamtete Aerzte, die Kantonalärzte. 
Diese stammen aus französischer Zeit; sie sind Bezirksbeamte 
und den Bezirkspräsidenten unterstellt. Die Kantonalärzte wurden, 
nachdem sich ihre Einrichtung in einem Departement (dn Loiret) 
gut bewährt hatte, im Jahre 1855 allgemein eingetührt, besonders 
weil sich der damalige französische Kaiser speziell dafür inter¬ 
essierte, dass namentlich für den ärmeren Teil der Landbevölkerung 
ein regelmässiger ärztlicher Dienst notwendig sei! Ihre wesent¬ 
liche Stellung ist also die von Armenärzten. Man hat ihre Zahl 
während der Deutschen Regierung stellenweise vergrössert, so dass 
augenblicklich in Unter-Eisass 64, in Ober-Eisass 53 und in 
Lothringen 49 Kantonalärzte vorhanden sind, gegen 48, 47 und 45 
im Jahre 1888. Für die Kantonalärzte gibt es eine Kantonalarzt- 
Ordnung, die für Lothringen 1890, für Eisass 1891 erlassen wurde; 
sie regelt ziemlich gleichlautend alles, was die Dienstfragen der 
Kantonalärzte betrifft, mit Ausnahme der Gehälter, deren Höhe 
und Art der Verteilung mir nicht genau bekannt ist. Die Dienst¬ 
obliegenheiten werden darin getrennt in: armenärztliche, impf¬ 
ärztliche, medizinalpolizeiliche, gerichtsärztliche (Jahrbuch der 
Medizinal-Verwaltung in Elsass-Lothringen; 5. Bd.). 

Nach der Annektion im Jahre 1871 erhielt Elsass-Lothringen 
zunächst eine Verwaltungseinrichtung analog der einer preussi* 
sehen Provinz: an der Spitze stand der Oberpräsident, an der 
Spitze jedes der drei Bezirke (Unter- und Obereisass, Lothringen) 
der Bezirkspräsident; die Bezirke wurden wieder in Kreise ein¬ 
geteilt, mit dem Kreisdirektor als obersten Beamten. 

Was nun die Kreisärzte anbetrifft, so bildet die Einleitung 
zu ihrer Anstellung ein Erlass des Oberpräsidenten vom März 1872, 
in dem die Absicht kund gegeben wurde, im Interesse der öffent¬ 
lichen Gesundheitspflege jedem Kreisdirektor einen Kreisarzt als 
Ratgeber für alle die betreffenden Fragen beizugeben — „wenn 
dazu Mittel im Etat gewährt werden“. Als Remuneration war 
eine solche von 1500 Mark im Jahre in Aussicht genommen. 



Die Stellung der Kreisärzte in Elsaß •Lothringen. 


518 


Nach einer im Juni 1872 ergangenen Instruktion sollte dem Kreis¬ 
arzt folgendes obliegen: 

1. Bearbeitung aller Medizinalangelegenheiten des Kreises. 

2. Ständiges Mitglied (Schriftführer) im Kreisgesundheitsrat. 

3. Ueberwachung der den Gewerbebetrieb der Medizinalpersonen be¬ 
treffenden Vorschriften. 

4. Besichtigung der Öffentlichen Anstalten. 

5. Erstattung periodischer Gesundheitsberichte. 

6. Bearbeitung der Sterblichkeitsstatistik. 

7. Abhilfe bei Epidemien. 

8. Sanitätspolizei. 

9. Prüfung und Begutachtung Ton Neubauten, Spitälern, Schulen, Schlacht- 
iüuera, Wasserleitungen usw. 

10. Beaufsichtigung der Apotheken. 

11. Ueberwachung des Impfwesens. 

12. Aufsicht der Hebammen. 

An der Stelle, der ich dies entnehme (Archiv für öffentliche 
Gesundheitspflege in Elsass-Lothringen; 2. Bd., S. 202), ist dann 
noch bemerkt, dass der Kreisarzt jährlich eine Remuneration von 
1200 Mark erhalte und 800 Mark für Reisen. Tatsächlich erhalten 
aber jetzt die meisten Kreisärzte weniger; wie dies kommt ist mir 
«bekannt. Für Reisen ausserhalb seines Kreises kann der Kreis¬ 
int nach den für Beamte geltenden Bestimmungen liquidieren; 
derartige Reisen kommen aber sehr selten vor. 

Im März 1875 wurde dann vom Reichskanzler eine Prüfung 
als Vorbedingung für die Anstellung als Kreisarzt vorgeschrieben 
®d die sonstigen Bedingungen hierfür bekannt gemacht. Diese 
Prüfungsordnung entsprach im ganzen derjenigen fürPreussen; 
ebenso wie hier zerfiel die Prüfung in eine solche in gerichtlicher 
Medizin und Öffentlicher Gesundheitspflege. Der Erlass sah im 
$10 noch vor, dass innerhalb der nächsten 2 Jahre nach Ermessen 
des Oberpräsidenten auch Aerzte ohne Erfüllung dieser Bedingungen 
«gestellt werden könnten. 

Zeitlich folgte jetzt die im Juni 1879 im Gesetzblatt für 
Bass-Lothringen Nr. 9 veröffentlichen Verordnung zur Aus¬ 
führung der Reichsjustizgesetze. Dieselbe lautet in § 17: 

,Gerich tsärzte (Str.-P.-O. § 87) sind die Kreisärzte und die Kantonal¬ 
st*- Im Falle des Bedürfnisses können auch andere Aerzte durch den Präsi¬ 
dien des Oberlandesgerichts und den ersten Beamten der Staatsanwaltschaft 
«i diesem Gerichte zu Gerichtsärzten für bestimmte Bezirke bestellt werden.“ 

Im Anschluss hieran wurde dann im Amtsblatt des Mi¬ 
nisteriums für Elsass-Lothringen die Bekanntmachung für 
üis Verfahren der Aerzte bei gerichtlichen Leichen¬ 
öffnungen veröffentlicht, die im § 2 bestimmt: 

«Sind zu der Leichenöffnung zwei Gerichtsärzte zugezogen, so werden 
® e in dieser Anweisung dem Gcrichtsarzto zugewiesenen Obliegenheiten von 
dem Kreisärzte und, wenn diese Eigenschaft keinem oder beiden Aerzten bei- 
whnt, von dem den Lebensjahren nach älteren, die des zweiten Arztes von 
dem Kantonalarzte bezw. jüngeren Arzte wahrgenommen.“ 

Von Bedeutung für die Stellung der Kreisärzte war das Jahr 
1884; hier wurde nämlich im Landesausschuss, dem Parlament des 
iteichslandes, von einem Abgeordneten, einem Kantonalarzte, der 
Antrag gestellt, die Kreisärzte abzuschaffen, und ihren Dienst den 
Kantonalärzten in der Weise zu übertragen, dass ein Kantonal- 




614 


Dr. de Bary. 


arzt jeweils bei der Kreisdirektion als Referent mit einer jähr¬ 
lichen Remuneration von 500 Mark fungiere. Die Motive waren 
im wesentlichen Sparsamkeit für den Landesetat, dann offenbar 
Mangel an richtiger Erkenntnis der Notwendigkeit besserer sani¬ 
tärer Einrichtungen, schliesslich wohl anch rein politische An¬ 
sichten, die hier ausser Betracht gelassen werden können. In 
ausgezeichneter Weise wurde von dem damaligen Unterstaats¬ 
sekretär der Justiz die Notwendigkeit der Kreisärzte als Gerichts- 
ärzte wegen der Anforderungen der Reichsjustizgesetze verteidigt, 
und ebenso glänzend vom Staatssekretär der hygienische Teil ihres 
Dienstes, so dass die als überflüssig erklärte Einrichtung schliess¬ 
lich aufrecht erhalten wurde. Nicht unerwähnt sei hierbei, dass 
der damals schon sehr tätige Verein der Aerzte des Landes, der 
ärztlich-hygienische Verein, durch bewährteste Mitglieder sich für 
die Beibehaltung der Kreisärzte aussprach und dass der derzeitige 
höchste medizinische Fachbeamte als Kreisarzt sich bei der Ver¬ 
einssitzung dahin erklärte, dass ohne jede Anssicht auf gesetzliche 
Fixierung der Institution er persönlich keinen Wert anf erneute 
provisorische Genehmigung derselben legen könne (Archiv, 1884, 
Bd. 9). Für die gerettete Institution erschien hierauf 1885 eine 
Verordnung, welche die Prüfungs- und Anstellungsbedingungen 
neu regelte. Sie war eingehender als die von 1875, hatte die 
gleiche Anlehnung an die preussische, lässt jedoch ausser den 
Prüflingen vor der Elsass-Lothringischen Kommission auch die in 
anderen Bundesstaaten staatsärztlich geprüften Aerzte zu. Nach 
genauer Angabe aller Bedingungen gibt sie in § 17 dem Mi¬ 
nisterium endlich die Befugnis, auch einheimische Aerzte ohne 
diese Bedingungen auf Grund praktischer Tätigkeit für qualifiziert 
als Kreisarzt zu erachten! Eine Uebergangszeit von zwei Jahren 
wie bei der Verordnung von 1875 fehlt hier. 

Betreffs der „Gerichtsärzte“ sei folgendes hervorge¬ 
hoben : Während die Reichsjustizgesetze diesen Begriff schafften und 
wohl alle Bundesstaaten sich demgemäss so eingerichtet haben, 
dass sie als solche lediglich Aerzte mit besonderem Nachweis der 
erforderlichen Befähigung verwenden, sind in Eisass-Lothringen 
die einzigen Aerzte, die in dem betreffenden Fache geprüft sind, 
in der Minderzahl gegenüber solchen, die keine besondere Quali¬ 
fikation dafür besitzen, abgesehen vielleicht von Spezialstadien, 
die sie privatim gemacht haben. Denn es gibt im ganzen nur 
23 Kreisärzte neben 166 Kantonalärzten, die einfach zu Gerichts¬ 
ärzten ohne besondere Prüfung ernannt sind. Zum Kantonalarzt 
braucht man nämlich keine weitere Eigenschaft als: Ortsansässig¬ 
keit, Approbation und erfolgreiche Bewerbung um eine vorhandene 
oder neu zu schaffende Stelle. Ist nun — was doch wohl Niemand 
bestreiten wird — die gerichtliche Medizin ein wissenschaftlich« 
Spezialfach, so ist es doch berechtigt, zu fragen, warum die einen 
eine Prüfung dazu ablegen müssen, die andern nicht. Jedermann 
wird auch zugeben, dass praktische Erfahrung unserer Wissen¬ 
schaft Grundlage ist und dass es bei der Zersplitterung in der 
Verteilung der Fälle, die bei jener Anordnung unvermeidlich ist, 



Die Stallung der Kreisärzte in Elsaß • Lothringen. 


616 


nicht wohl za erwarten steht, dass dem einzelnen die erwünschte 
dauernde Uebung im Fache überall erhalten bleibt. Die Erledi¬ 
gung der gerichtsärztlichen Geschälte muss auf diese Weise leiden 
ond hinter der in anderen Staaten zurückstehen. Dazu kommt 
noeh eins: Meiner Ansicht nach muss eine Tätigkeit wie die 
gerichtsärztliche, insbesondere auch bei den Obduktionen, einer 
gewissen wissenschaftlichen Oberbegutachtung unterstellt sein. 
Die ständige Berührung mit Nichtärzten erfordert eine solche 
Autorität, um nach Möglichkeit subjektive und persönliche Ansichten 
über den Wert der Arbeiten und über die Beurteilung der Sache 
selbst auszuschliessen. Auch muss der wirkliche Fortschritt in 
Wissenschaft und Technik eine Stelle haben, die ihn leitet und 
das Gute vom Ueberflüssigen trennend, ihn allgemein einführt und 
fördert. Das kann aber der einzelne nicht machen; und zwar um 
so weniger, je mehr das ganze Material unter viele verteilt ist. 
Ich glaube deshalb auch nicht, dass bei uns allzuviele in dieser 
Sichtung auf der Höhe weiter zu arbeiten in der Lage sind ausser 
dem Lehrer des Faches an unserer Universität, der, zugleich als 
Landgerichtsarzt fungierend, ein hervorragender Chirurg ist. Fort* 
büdQngskurse würden aber bei der grossen Zahl von Gerichtsärzten 
zu teuer sein. Ferner ist selbst für Aerzte, welche die staatsärztliche 
Prüfling bestanden haben, ein System erschwerend, das ihnen nach 
der Prüfung oft für sehr lange Zeit jede Gelegenheit znr prak¬ 
tischen Betätigung nimmt, weil eben nicht die staatsärztlich ge¬ 
prüften Aerzte zu den Verrichtungen herangezogen werden, son¬ 
dern neben den angestellten und geprüften Kreisärzten die vielen 
ttdern nicht geprüften Kantonalärzte. Wie soll da in einem prak¬ 
tischen Fache ein geschulter Nachwuchs entstehen? Man muss 
deshalb vollkommen dem „beamteten Arzte“ zustimmen, der in 
Nr. 115 d. J. der „Strassburger Post“ sich dahin ausspricht, dass diese 
jetzige Einrichtung der Gerichtsärzte geändert werden müsse. 

Im Oktober 1896 erschien ein Erlass der Justizabteilung 
des Ministeriums, der verfügte, „dass den Kreisärzten, die auf dem 
Gebiete der gerichtlichen Medizin geprüft sind und zur Abgabe 
▼on Gutachten berufen seien, Gelegenheit geboten werden solle, 
«ch mit gerichtsärztlichen Fragen zu beschäftigen und besonders 
such Obduktionen zu machen. Sie seien deshalb tunlichst als 
zweiter Arzt (s. oben) zuzuziehen. Die Vorschrift, wonach bei 
vorhandenen zwei Gerichtsärzten, wenn darunter ein Kreisarzt, 
dieser an erster Stelle fungiere, finde keine Anwendung, wenn 
der andere ein „besonderer“ Gerichtsarzt sei (s. oben), da wirke 
der Kreisarzt als 2. Arzt mit“. Diese Verordnung erfolgte, nach¬ 
dem sich mehrere Kreisärzte beschwert hatten, weil sie nie zn 
Sektionen gerufen wurden; die Gerichte kamen meist gleich mit 
zwei Aerzten angereist. Es kann hiernach Vorkommen; dass der 
in Fach geprüfte Kreisarzt als 2. Arzt neben einem nicht ge¬ 
prüften zu tun hat; denn es ist nirgends geschrieben, dass die 
besonderen Gerichtsärzte aus den Reihen der Examinirten ge¬ 
nommen werden! Dass die anderwärts den Amtsärzten durch die 
Art, wie sie bei Gericht zugezogen werden, erwachsenden Ge- 



616 


Dr. de Bary. 


bfthren den hiesigen Kreisärzten fehlen, darauf will ich nicht 
weiter eingehen, obwohl sie eine Besserung ihrer Einnahmen 
bilden würden, ohne dem Lande Mehrkosten zu machen. Für die 
Notwendigkeit einer anderweiten Regelung der gerichtsärztlichen 
Tätigkeit dürfte die wissenschaftliche Seite der Sache genügen. 
Um die Formen za lernen, in die medizinische Befände za bringen 
sind, damit Nichtärzte sie verstehen oder andere Dienststellen 
sich ein Bild der Sache machen können, ist eingehendes Stadium 
der gerichtlichen Medizin and eine besondere Prüfung in dieser Hin¬ 
sicht nötig. Sobald man dies and überhaupt die Staatsmedizin als ein 
Fach anerkennt, bei dem bestandene Prüfung zu gewissen Quali¬ 
fikationen führt, so ist selbst, wenn die Amtsärzte nur mit Hy¬ 
giene und nicht mit gerichtlichem befasst werden, nicht zu ver¬ 
stehen, warum die einen erst nach Spezialstudium und Prüfung, 
die andern auch ohne solches diese Tätigkeit ausüben sollen. 

Hinsichtlich des hygienischen Teils der Kreisarzt- 
Stellung kann ich mich kurz fassen. Im „Volk“ ist diese Stellung 
nicht unbeliebt; sie würde jedenfalls noch fester eingewurzelt 
sein, wenn die von anderen Seiten verursachten Schwankungen 
nicht vorgekommen wären und eine Organisation möglichst ziel¬ 
bewusst von Anfang an durchgeführt worden wäre. Aehnlich wie 
es auch anderswo gewisse Kreise sind, die den Kreisarzt deshalb 
nicht befestigt wünschen, weil er zum allgemeinen Wohl ihnen 
den Hof säubern lassen würde, geht es auch hierzulande. Dass 
nach den Vorgängen im jetzigen Zeitpunkt die bekannte Vorlage 
scheiterte, ist bei der geschilderten Sachlage nicht mehr so be¬ 
fremdend. Wir können einstweilen hoffen, dass bei dem Aller¬ 
höchsten Wohlwollen, dessen sich die Eisass - Lothringer erfreuen, 
die Allerhöchste Stelle sich auch hier einmal für die dem Volk 
den grössten Nutzen bringende und bei ihm, wie gesagt, nicht 
unbeliebte Kreisarzteinrichtung interessiert, und in ähnlicher Weise 
vorgeht, wie im Jahre 1854/55 der französische Kaiser bei Schaf¬ 
fung det Kantonalärzte vorgegangen ist. Wir haben in Eisass- 
Lothringen tatsächlich eine ganz besondere Lage. Seit 1872 ist 
keine neue Instruktion für die Kreisärzte erlassen; eine „Kreis¬ 
arztordnung“, etwas analoges wie die Kantonalarztordnung, fehlt, 
ebenso ein Medizinalkollegium. Ein solches würde nicht nur für den 
gerichtsärztlichen Teil der kreisärztlichen Tätigkeit, sondern auch 
für die hygienischen Aufgaben in wissenschaftlicher Hinsicht einen 
gleichmässigen Gang sicherstellen und verhüten, dass jeder Kreta* 
direktor eine verschiedene Handhabung auf diesem Gebiete für 
gut befindet. Vergegenwärtigt man sich die Instruktion für die 
Kreisärzte von 1872, so liegt ihnen in gesundheitspolizeilicher 
Hinsicht so ziemlich alles ob, was nur denkbar ist. Umgekehrt 
sind ihnen aber Nebeneinkünfte, die anderswo die Amtsärzte 
haben, fast alle, ebenso wie auf gerichtsärztlichem Gebiete, ab¬ 
geschnitten. Der Kreisarzt hat also für ein nicht pensionsberech¬ 
tigtes Einkommen von 1800 Mark im Jahre, bei 4—^wöchent¬ 
licher Kündigung, den verantwortungsvollsten Dienst! Das Geld 
hat doch den alten Wert nicht mehr; überall hat man Gehälter, Ge- 



Die Stellung der Kreisärzte in Elsaß - Lothringen. 


517 


bohren usw. aufgebessert, weil es nötig und logisch war. Manche 
Gebühren, deren Erhebung in Elsass-Lothringen zeitweise untersagt 
war, sind jetzt allerdings in der neuen Aera wieder aufgefrischt; 
ein solcher Wechsel wird aber vom Publikum nur unangehm em¬ 
pfanden und die Folgen davon haben die Kreisärzte zu tragen, 
deren dadurch ihre amtliche Tätigkeit erschwert wird. Diese ist an 
and für sich schon keine leichte, denn man darf nicht vergessen, 
dass sie Aerzte und als Kreisärzte die Vertrauensärzte der Re¬ 
gierung sind, die die Vermittlung zwischen dieser und den prak¬ 
tischen Aerzten einerseits, dem Publikum anderseits besorgen sollen; 
dazu gehört aber sehr viel Takt und besonders auch lokale Orts- 
und Personalkenntnis. Deshalb ist auch mit Recht allenthalben 
der Kreis, die kleinste Zone, als Arbeitsfeld zugrunde gelegt. 
Geographische und andere Gründe mögen vielleicht in einzelnen 
Fällen das Zusammenlegen mehrerer Kreise in ein Arbeitsfeld 
statten, ja als geboten erscheinen lassen, ohne eine gesetzlich 
filierte Institution dürfte dies jedoch recht schwierig sein. 
Jedenfalls wird aber eine solche Zusammenlegung in manchem 
Falle nur auf Kosten der Güte der Leistungen gehen; denn 
je grösser das Feld, um so weniger Lokalkunde möglich! 
Ebenso ist zu betonen, dass auch der staatsärztliche Dienst, wie 
jedes andere Staatsfach, erfordert, dass ein mit seiner Praxis 
einigermassen vertrauter Nachwuchs beschafft werde. Anderwärts 
lind die Organisationen überall so zugeschnitten, dass auch da, 
vo vollbesoldete Amtsärzte vorhanden sind, andere nach über¬ 
standener Prüfung nebenamtlich tätig sind, und so die einschlägigen 
Verhältnisse kennen lernen. Rücken sie dann später in eine amtliche 
Stellung endgültig ein, so sind sie völlig auf dem Laufenden. Bei 
hm ist dies nicht so: Man macht das Examen, oft auf eine be¬ 
stimmte Stelle hin, und wenn der Inhaber nicht geht, so ist man 
je nach dem 10—20 Jahr ohne amtsärztliche Arbeit, wird nirgends 
herangezogen, es sei denn, dass man zufällig eine Kantonalarzt¬ 
stalle erhält. Mindestens sollten die staatsärztlich geprüften Aerzte 
bei erledigten Kantonalarztstellen bevorzugt werden, so dass diese 
gleichsam einen Durchzugsposten für sie bilden; eine Neuerung, 
die ausserdem den Vorzug hat, dass sie nichts kostet. Auch das 
Zulassen nicht reichsländischer und nicht geprüfter Aerzte zu 
Kreisärzte teilen müsste formell aufgehoben werden; denn soviel 
mir bekannt ist, sind einheimische Aerzte, welche die staatsärzt¬ 
liche Prüfung bestanden haben, genug da. 

Tatsächlich werden die Kreisärzte in Elsass-Lothringen mit 
ebendenselben Arbeiten beauftragt, wie anderswo die Amtsärzte, 
und ebenso wie diese werden sie fort und fort mit neuen Dingen 
betraut. Wenn sie nun trotz ihre unzulänglichen Stellung alles 
bisher, so gut es ging, gemacht haben, so ist dies nur ein Beweis, 
dass die Regierung bis jetzt immer Leute gefunden hat, die auch 
mit selbstgebrachten Opfern noch ihre Pflicht tun, wie dies ja die 
Aerzte auch auf dem Gebiet der modernen Krankenversicherung 
vielfach tun müssen. Es hat aber alles seine Grenzen! Wenn 
jetzt ein Kollege frisch als Arzt und Kreisarzt anfangen will, so 



618 Dr. de Bary: Die Stellung der Kreisärzte in Elsaß-Lothringen. 


bekommt er nur schwer eine Praxis; weil er fort and fort reisen 
and schreiben mnss, „weil er nie da ist“, holt man ihn eben nicht, 
ausserdem stellt die Konkurrenz dem Publikum Aerzte genug zur 
Verfügung. Ohne ärztliche Praxis kann aber ein Kreisarzt nicht 
existieren; denn von dem genannten Stelleneinkommen allein kann 
Niemand leben. Bleiben die Verhältnisse unverändert, so wird man 
bald einmal keinen Kreisarzt mehr finden; auch Versetzungen sind 
bei den gegenwärtigen Verhältnissen fast unmöglich. Die Zu¬ 
stände werden also noch unzugänglicher werden, da die Mehrzahl 
der Kreisärzte älter wird und nicht immer so leistungsfähig bleibt, 
wie bis jetzt, wo infolge ihrer relativ jugendlich frischen Arbeits¬ 
kraft, alles noch seinen möglichst ungestörten Gang gegangen ist 
Eine anderweitige Regelung der Stellung der Kreisärzte liegt 
aber nicht nur im Interesse von Elsass-Lothringen selbst, sondern 
kann auch ein Aber die reichsländischen Grenzen hinausgehendes In¬ 
teresse beanspruchen. Um das als Grenzland mit ganz besonders 
grossen Truppenmengen belegte Reichsland aus durchsichtigen 
Gründen so viel als möglich vom Typhus zu befreien, geschieht, 
was nur denkbar. Zu der Typhusbekämpfung gibt das Reich 
grosse Summen; hätte man sicher gestellte Kreisärzte als Lokal- 
beamte gehabt oder neu geschaffen, so würde der erwünschte 
Erfolg in der Typhusbekämpfung sicherer und weit schneller erzielt 
worden sein. Man hat bakteriologische Anstalten und Institute 
eingerichtet, Bakteriologen entsandt und auch kein Bedenken ge¬ 
tragen, dem Kreisärzte eine Masse von Arbeit l ) aufzuerlegen; eine 
dementsprechende Entschädigung hat er aber nicht erhalten. 
Er kann zwar Tagegelder berechnen, soweit „Mittel zur Ver¬ 
fügung sind“; für alle sonstigen Dienstleistungen, bei denen Zeit, 
Praxis, Ruhe, Gesundheit, ja das Leben aufs Spiel gesetzt werden, 
steht ihm jedoch, obwohl es einigermassen billig wäre, keine Ent¬ 
schädigung zu. Es ist vorgekommen, dass ein Kreisarzt für solche 
Arbeit bei einer Epidemie, die nahezu ein Jahr dauerte, von den 
„verfügbaren“ Mitteln soviel bekam, dass nach Abzug seiner 
Auslagen ihm als Honorar für sich bei so und so viel Reisen in 


*) Jeder Fall von Typhus, den ein Arzt behandelt, wird dem Kreisarzt 
gemeldet; dann muß dieser Abschrift absenden an: die Militärbehörde, die 
bakteriologische Anstalt, den Reichskommissar für Typhusbekämpfuqg, bezw. 
den neuen Landesgesundheitsinspektor, dann wöchentlich an den Bezirkspri- 
sidenten, demselben monatlich noch einmal, dann monatlich der Straßb. Med.- 
Zeitung, wenn auch nicht obligatorisch. In jedem Fall muß der Kreisarzt hin- 
reisen, um die Ursachen festzustellen; er muß die Desinfektoren überwachen 
und, wenn Vertreter der Bakteriologie kommen, diesen die Qegend zeigen; 
erscheinen Militärs, weil Uebungen beabsichtigt sind, so liegt ihm die gleiche 
Pflicht ob; dabei muß er außerdem berichten, ob und wo man sorgenlos üben kann. 
Dann soll vierteljährlich die Zahl der Typhus-Todesfälle gemeldet werden, und 
neuerdings ist ein Fragebogen eingeführt, der sage und schreibe 17 Seiten in 
Aktenformat hat. Wenn etwa 8 Fälle nach diesem Bogen zu bearbeiten sind, 
so hat man damit allein genug pro Tag oder es leidet eben die Güte der 
Leistung. Wird von irgend einer Seite, insbesondere von militärischer Seite, 
eine Wasserversorgung als Ursache von Infektionen vermutet, so werden 
dadurch noch weitere eingehende Arbeiten und Untersuchungen sowie Reisen 
verursacht; kurz man hat die schwerste Lage, die nur möglich. 



Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften. 


519 


etwa 7 Kilometer hin nnd 7 her eine Mark and etliche Pfennige pro 
Fahrt blieben. Unter diesen Umständen ist es nicht zu verwundern, 
trenn die Dienstfrendigkeit vergeht nnd wenn man unwillkürlich 
an die unzulängliche Bezahlung der Krankenkassenärzte erinnert 
wird. Das Reich hätte sicherlich auch Mittel für die Kreis¬ 
ärzte gehabt, wenn man sie für nötig zur Bekämpfung erklärt 
hätte. Mit Lokalkenntnissen ausgestattet und einem Bakteriologen 
zur Seite, um namentlich in zweifelhaften Fällen die wissenschaft¬ 
lichen Feststellungen auszuführen, würden die Kreisärzte sicherlich 
jeden Typhusherd erfolgreich verdrängen; ohne Kreisärzte oder 
venn diese nicht so schaffen können, wie sie wohl möchten, bringt 
man nichts fertig. 

Sollen wir Eireisärzte nicht nur unsere Bevölkerung, sondern 
weh die Truppen mit schützen helfen, so werden wir vielleicht 
auch hoffen dürfen, dass künftighin unsere Arbeit entsprechend 
anerkannt wird; denn wir sind nicht wie die benachbarten 
preassischen Kollegen, in deren Kreisen der Typhus in gleicher 
Weise bekämpft wird, beamtenmässig gestellt und werden des¬ 
halb auch schwer das erreichen, was zu erlangen wäre, wenn 
vir nicht auf Praxis und um derentwillen auf das Publikum er¬ 
heblich angewiesen wären. Und wie auf dem Gebiete der Typhus- 
beklmpfung, so ist auch auf andern Gebieten der öffentlichen Ge¬ 
sundheitspflege unsere Stellung eine unhaltbare. Vielleicht davon 
später einmal! 


Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 

A. Gerichtliche Medizin und Psychiatrie. 

Das ätherische SenfSl als Mittel rar Konservierung anatomischer 
Präparate. Von L. Dor-Lyon. Aas dem L&boratoriam des Prof. Poncet. 
Comptes rendas de la soc. de biol. LVIII, 1905, Nr. 11. 

Im Anschluß an den Ziemkeschen Vortrag aof der Hauptversamm- 
huig des Preußischen Medizinalbeamtenvereins: „Die Konservierung anato¬ 
mischer Präparate und ihre Bedeutung für die gerichtliche Medizin“ möge 
da Beferat der Dorschen Mitteilung an dieser Stelle gestattet sein. 

D. empfiehlt folgende Lösung: 01. sinapis 40 Tropfen, 1 Liter 7 °/oo Na CI- 
Läswig; eine Viertelstunde bis zur Klarheit der Mischung tüchtig zu schütteln. 

Die Vorteile sind: Zunächst der billige Preis; denn 10,0 01. sinapis 
kosten 80 Pfg.; auf 1 g kommen 84 Tropfen. Die Lösung konserviert 
aicht nur, sondern desodoriert auch in vorzüglicher Weise. In 200 g hatte 
der Autor z. B. zwei Kadaver totgeborener Kaninchen gelegt; nach 2 Monaten 
uh die Haut noch so frisch aus, waren die tiefergelegenen Organe noch so 
gut wie in der Norm gefärbt, daß es aussah, als ob die Präparate eben frisch 
i» die Lösung gegeben worden wären. Allerdings löst sich Hämoglobin in 
der Flüssigkeit auf, so daß stark vaskularisierte Teile sich entfärben. Aus 
dem Bot wird aber nie ein Braun oder Gelb, wie etwa bei Alkohol und bei 
tünchen Formolmischungen. 

Zorn Schatze der Hände bei Obduktionen, die zur heißen Jahreszeit vor- 
genommen werden müssen, empfiehlt der Autor seine Senföllösung ebenfalls. 

(Referent möchte daran erinnern, daß ein anderes ätherisches Oel — das 
Terpentinöl — bereits lange in ähnlichem Sinne angewandt worden ist. Nach 
Hnsemann empfiehlt Foulis Waschungen mit Terpentinöl vor Sektionen 
ili Prophylaktikum des Leichengiftes.) Dr. Mayer- Simmern. 


Heber die Quecksilber-Vergiftungen mit besonderer Berücksichtigung 
der Sublimat • Vergiftungen vom gerichtsärztlichen Standpunkte. Von 



520 


Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


Dr. W. Wolff, prakt. Arzt in Minden. Deutsche Medizinalzeitung; 1905, 
Nr. 36 bis 39. 

Verfasser stellt die bisher bekannten Selbstmorde durch Sublimat zu¬ 
sammen, woraus sich ergibt, daß diese doch nicht allzu selten sind. Er be¬ 
spricht sie ausführlich, erörtert weiter die Gelegenheitsursache der Vergiftungen, 
auf die der Gerichtsarzt ein wachsames Auge haben muß, erläutert sodann die 
Wirkung des Quecksilbers, die verschiedenen Wege, auf denen das Gift in den 
Körper gelangt, und schildert hierauf recht anschaulich das Krankheitsbild wie 
den Obduktionsbefund bei an Quecksilber-Vergiftung Verstorbenen, um im 
letzten Abschnitt dem physikalisch-chemischen Nachweis des Quecksilbers seine 
Aufmerksamkeit zu schenken. Dr. Hoffmann-Berlin. 


Ein Fall von Erblindung nach Atoxylinjektionen bei Lichen ruber 
planus. Von Dr. Bornemann, Sekundärarzt im städtischen Krankenhanse 
(Hautstation) in Frankfurt a. M. Münchener med. Wochenschrift; 1905, Nr. 22. 

Verfasser berichtet eingehend über einen Fall von einer durch Atoxyl- 
vergiftung hervorgerufenen Veränderung der Sehnerven mit dem ophthal¬ 
moskopischen Bilde der Atrophie, welche sich bei einer an Lichen ruber planos 
leidenden 58 jährigen Frau im Anschlüsse an mehrere Wochen hindurch fort¬ 
gesetzte Injektionen mit einer 20 proz. Atoxyllösung (Metaarsensaureanilid) 
entwickelte. Eine sichere Entscheidung, welchem der beiden Komponenten des 
Atoxyls, ob dem Arsen oder dem Anilid oder event. beiden zusammen die Ver¬ 
giftungserscheinungen zuzuschreiben sind, kann man nicht fällen. Wahrschein¬ 
lich handelte es sich nach des Verfassers Meinung um eine Summation der 
Wirkung beider schädlichen Substanzen. Zum Schlüsse mahnt Verfasser noch 
vor einer kritiklosen Anwendung des Atoxyls. Dr. Waibel- Kempten. 


Zur Frage der Folgeerscheinungen, namentlich aber der Krumpf- 
zustände nach Theophyllingebranch. Von Prof. Dr. Herrn. Schlesinger- 
Wien. Münchener med. Wochenschrift; 1905, Nr. 23. 

Verfasser verbreitet sich zuerst über die therapeutischen Wirkungen des 
Theophyllins als eines vorzüglichen Diureticums und bespricht dann die toxi¬ 
schen Eigenschaften dieses Mittels. Magenbeschwerden und Durchfälle 
sind nach Thcophyllingebrauch häufig. Von besonderer Wichtigkeit jedoch ist 
die Tatsache, daß sowohl Theophyllin, als seine Verbindungen beim Mensches 
bisweilen universelle Krampfzustände vom Charakter der epileptischen mit 
Bewußtseinsverlust und nachfolgender Amnesie hervorrufen können. Die Neigung 
zum Auftreten der Konvulsionen schwindet aber, wenn das Leben erhalten 
bleibt, mehrere Tage nach dem Aussetzen des Mittels. 

Schließlich empfiehlt Verfasser noch einzelne Versuchsmaßregeln, wonach 
man bei Theophyllinum purum (sive Theozin) in der Regel nicht Über 0,8 g, 
bei Verschreibung von Theophyllin, natrium und Theophyllin, natrio - aceticum 
nicht über 0,5 g pro die hinausgehen und das Mittel nicht mehrere Tage ohne 
Unterbrechung anwenden soll. Dr. Waibel-Kempten. 


Arzneiexanthem nach Aspirin. Von Dr. Freund in Danzig. Münch, 
mediz. Wochenschr.; 1905, Nr. 15. 

Verfasser berichtet über 8 Fälle seiner Praxis, bei denen nach Aspirin¬ 
gebrauch ein stark juckendes und stechendes Bläschenexanthem mit Bötung 
der Haut auftrat. In allen Fällen heilten die Bläschen in 8—14 Tagen unter 
Puder ab. _ Dr. Waibei-Kempten. 


Obduktionsbefunde bei Erhängten. Von Dr. Lochte. Vierteljahre¬ 
schrift für gerichtliche Medizin; Bd. XXIX, 2. H. 

Verfasser hat 80 Fälle von Erhängten, welche im Hamburger Hafen- 
k rankenhaus zur Obduktion kamen, in bezug auf den anatomischen Befand 
näher untersucht. Er fand, daß die Einteilung der Strangfnrchen in typische 
und atypische für die Erklärung des Obduktionsbefundes ohne Bedeutung ist, 
daß der Grad der Kompression des Halses aber wesentlich ist. Von ihm ist 
die Stärke der Lungenhyperämie abhängig. Zyanose und mehr oder minder 
ausgesprochenes Lungenödem sind nur bei unvollständiger Kompression des 



Kleinere Mitteilangen und Referate aas Zeitschriften. 


521 


Halses za erwarten, bei vollständiger Kompression findet man zarückgesnukene 
Langen und wahrscheinlich eher blutarme als blutreiche Langen. Ein unvoll¬ 
ständiger Abschluß der Luftwege gehört nicht zu den Seltenheiten, er ist mit 
Wahrscheinlichkeit in allen Fällen von Lungenödem and sicher in den Fällen 
anzanehmen, in denen Mageninhalt aspiriert wurde. Im Qehirn, in den Langen 
and auf der Schleimhaut des Magendarmkanals kann es zu größeren Blutungen 
kommen, welche ihren Grund in Blutstauung und Erkrankung der Gefä߬ 
wände haben. • Prof. Dr. Ziemke-Halle. 


Mord oder Selbstmord! Von Prof. S. Ottolenghi und Dr. R. Ser- 
ratrice. Vierteljahrsschrift für gerichtliche Medizin; XXX. Bd., 1. H. 

Eines Morgens fand man einen Mann, nachdem er kurz vorher 
ein Mädchen, das seine Liebe verschmähte, zu überfallen versucht hatte, im 
Badezimmer der Herrschaft mit zwei Schußwunden, darunter einer sehr schweren, 
u der Tür erhängt. Blutspuren an der Badewanne und ihren Hähnen legten 
den Qedanken nahe, daß sich ein Verletzter in dem Raum bewegt und das 
Blot abgewaschen habe; sie erregten deshalb ebenso wie die weit entfernt vom 
Getöteten an die Wand gelehnte Schußwaffe den Verdacht, daß eine fremde Person 
u der Tat beteiligt war. Alle anderen Befunde, sowie die äußeren Umstände 
ließen sich aber mit der Annahme, daß ein kombinierter Selbstmord vorliege, 
h Einklang bringen. Einen solchen nahmen die Verfasser auch als wahr- 
icheinlieh an. Prof. Dr. Ziemke-Halle. 


Angeborene Hyperplasie der einen Longe bei gleichzeitiger Bildung 
der anderen. Von Dr. Erwin v. Gr aff, früheren Assistenten des pathoL- 
tutom. Institutes zu Prag. Münch, mediz. Wochenschr.; 1905, Nr. 13. 

Verfasser berichtet über einen Fall von Hyperplasie der linken Lunge 
W gleichzeitiger rudimentärer Bildung der rechten Lunge, beschreibt dann 
eingehend die anatomischen und topographischen Verhältnisse der betr. Brust¬ 
wageweide und faßt dann seinen Befand in folgende Sätze zusammen: 

1. Abnorm große linke Lunge mit Verlagerung ihrer beiden Lappen, die 
da vorderer und hinterer unterschieden werden müssen und nicht nur den 
haken Thoraxraum vollständig ausfüllen, sondern auch noch über die Mittel- 
hsie nach rechts reichen. 

2. Verlagerung des Herzbeutels mit dem Herzen und der Thymus in 
fr rechte Thoraxhöhle. 

4. Symmetrisch gebildeter Thorax mit Verkleinerung seiner Höhle in 
Kikrechter Richtung durch beiderseitigen Zwerchfellhochstand. 

4. Rudimentäre Größenausbildung der rechten Lunge, die von einer sehr 
kleinen Arterie versorgt wird, einen engen Bronchus besitzt und am Orte ihrer 
äal&ge verblieben ist, ohne mit der Pleura in Beziehung zu treten, d. h. zur 
Büdnng eines Pleuraüberzuges resp. Pleurasackes zu führen. 

5. Rudimentärer rechter Pleuraraum, der leer ist. 

ln ätiologischer Beziehung handelt es ich darum, ob das Mißverhältnis 
der beiden Lungen durch Entwicklungsstörungen bedingt ist, die außerhalb 
der Langen in der Anordnung des Herzens und der großen Gefäße gelegen 
frd, von der ja die ganze Entwicklung des Perikards und der Pleurasäcke 
abbängt, oder ob die Ursache in den Langen selbst zu suchen ist. In diesem 
Falle wäre dann zu untersuchen, ob die Größenunterschiede unabhängig von 
fraader sind oder ob eine Wechselbeziehung zwischen beiden Lungen besteht, in 
welchem Fall dann die Frage zu beantworten wäre: Ist das Zurückbleiben 
der rechten Lunge oder die abnorme Größe der linken Lunge das Primäre ? 

Es steht außer allem Zweifel, daß die abnorme Größe der linken Lunge 
der Grand für die Verlagerung des Herzens und der Thymus in die rechte 
Thoraxhöhle ist. Und wenn dem so ist, dann ist die abnorme Größe der linken 
uinge indirekt auch der Grund für die Behinderung des Heraustretens der 
roehten Lange aas ihrer frühfötalen Lage und das dadurch veranlaßte rudi- 
awntäre Wachstum derselben. 

Verfasser untersucht dann noch weiter, ob die abnorme Größe der linken 
Longe nicht als vikarierende Hypertrophie aufzufassen ist, und kommt zu dem 
Schüsse, daß dies nicht der Fall und somit nur die eine Möglichkeit anzu- 



522 


Kleinere Mitteilangen nnd Referate ans Zeitschriften. 


nehmen ist, daß die Hyperplasie der einen Lange ange¬ 
boren ist. _ Dr. Waibel-Kempten. 


Die prophylaktische Anwendung ron Sekalepräparaten während der 
Gebart. Von Dr. Pr asm an n, Assistenzarzt der Universität«- Frauenklinik 
in Berlin. Ans der Königlichen Frauenklinik in Berlin. Münchener medizin. 
Wochenschrift; 1905, 2. 

Der Verfasser plaidiert für die, auch von anderer Seite neuerdings 
empfohlene prophylaktische Anwendung der Sekalepräparate, am besten in 
Form der perkatanen Anwendung (in der Gegend der Glutaei) einer 15proz. 
Ergotinlösung kurz vor Aastritt des Kindes and zwar 1. bei allen ope¬ 
rativen Geburten, 2. bei Mehrlingsgebarten (Zwillinge, Drillinge) and über¬ 
mäßige Ausdehnung des Uterns (Hydramnion), 3. bei Uterus myomatosus, 4. bei 
Uterus arcuatns, 5. schon bestandener Wehenschwäche der ersten und zweiten 
Geburtszeit, 6. da, wo bei früheren Geburten schon atonische Nachblutung be¬ 
stand, 7. bei Kaiserschnitten. Die von manchen gefürchtete spastische Kontraktion 
des Kontraktionsringes hat Verfasser nie gesehen. Die Resultate sprechen ent¬ 
schieden dafür, einen Versuch in dieser Richtung zu machen. (Referent hat schon 
seit Jahren diese, auch von seinem Lehrer Löhlein gegebene Anwendung des 
Ergotin mit gleichem Erfolg in vielen Fällen durchgeführt 1) Bei 3295 poli¬ 
klinischen Geburten wurden nur 59 mal atonische Nachblutungen beobachtet, 
eine erstaunlich geringe Zahl; dabei während dieses Jahres (1. Okt. 1903 bis 
1. Okt. 1904) 293 Zangenoperationen mit nur einem Fall atonischer Nachblutung! 
102 mal Zwillinge mit einem Fall von Blutung. Die Resultate sind außer¬ 
ordentlich günstig. Prof. Dr. Walther-Gießen. 


Drei ln einem kurzen Zeitraum hintereinander in foro verhandelt« 
Fälle von Puerperalfieber. Von Dr. Kob. Vierteljahrsschrift für gerichtliche 
Medizin; Bd. XXX, 1. H. 

Es ist eine alte Erfahrung, daß der exakte Nachweis eines Puerperal¬ 
fiebers als Folge einer Fahrlässigkeit des Pflegepersonals nur höchst selten zu 
führen ist. Die vom Verfasser mitgeteilten Fälle liefern hierfür neue kasuisti¬ 
sche Belege. An geklagt waren in allen drei Fällen Hebammen, welche, teil¬ 
weise in Verbindung mit Aerzten, die Geburt geleitet hatten. Nachgewieses 
wurden bei der Obduktion die anatomischen Veränderungen der puerperalen 
Sepsis, ohne daß irgend welche spezifischen Befunde, z. B. Verletzungen, auf 
die Qnelle der Infektion hinwiesen. In dem einen Fall wurde der Vorwurf 
der Fahrlässigkeit damit begründet, daß die Hebamme die Nachgeburt an der 
Nabelschnur herausgezogen habe. Mit Recht wurde diese Manipulation als 
unwesentlich für das Zustandekommen der Infektion bezeichnet, zumal dieses 
Ziehen erst erfolgt war, als die Nachgeburt schon völlig gelöst in der 
Scheide lag. 

Mit Bestimmtheit wird ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einer 
Handlung oder Unterlassung und der eingetretenen Infektion nur dann be¬ 
wiesen werden können, wenn die Quelle der Infektion klargestellt ist, und eine 
Fahrlässigkeit tatsächlich festgestellt wird. Prot Dr. Ziemke-Halle. 


Ueber kriminellen Abort. Von Prof. Dr. Puppe- Königsberg. Monats¬ 
schrift für Geburtshilfe und Gynäkologie; Bd. XVI, M&rz 1905, H. 3. 

In der Sitzung vom 23. Januar 1905 der Ost- und Westpreußischen Oe* 
Seilschaft für Gynäkologie zu Königsberg berichtete Prof. Puppe über seine 
Erfahrungen bei kriminellem Abort. P. teilt die Abtreiber in professionelle und 
gelegentliche ein und bespricht des weiteren die Mittel, die zur Abtreibung 
benutzt werden. Sehr verdächtig sind schon die bekannten Inserate in den 
Zeitungen der Großstädte („Rat und Hilfe bei Frauenleiden“). Bei 16 Fällen 
wurden äußere, bei 7 innere Abtreibungsmittel angewandt. Unter den 16 Fällen 
wurde 2 mal durch Eihautstich, 14 mal durch Injektion von Flüssigkeit in die 
Geschlechtsteile die Abtreibung bewerkstelligt. Zum Eihautstich wurden die 
verschiedenartigsten Instrumente benutzt, z. B. gespitzte Holzstücke, Harn* 
röhrenbougies (Referent kennt einen forensischen Fall, in welchem die gericht¬ 
lich schwer bestrafte Hebamme einen neusilberuen Katheter benutzte). Die Ein¬ 
spritzungen werden häufig als heiße Einspritzungen im Bade gemacht, z. B. in 



{Heinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften. 


523 


einem Falle durch eine Masseuse, angeblich wegen „Stuhlverstopfung“, und 
bewirken mit „Dickdarmmassage“ den Abort Vielfach im Gebrauch sind; 
Bähungen der Geschlechtsteile, beiße Dämpfe, Kamillendämpfe, heiße Fußbäder, 
also thermische Reize, kombiniert mit heißen Teeaufgüssen innerlich. Andere 
benutzten scharfe Seifenlösungen (grüne Seife oder Waschseife) zu Einspritzungen. 
Von Instrumenten sind die zinnernen Spritzen, ähnlich den früheren Klystier¬ 
spritzen der Hebammen, noch vielfach angewandt; sie werden meist in sitzender 
Stellung der betreffenden Person in die Scheide oder den Uterus eingeführt. 
Oft kommen dabei Verletzungen, wie auch Infektionen vor. — Der ursächliche 
Zusammenhang zwischen der angewandten Manipulation und der Fehlgeburt 
ist oft schwierig mit Sicherheit zu erbringen. P. sah in 2 Fällen tötlichen 
insgang (in einem Fall Luftembolie bei der Einspritzung, im anderen Infektion). 
Von internen Mitteln zählt P. eine ganze Reihe auf, u. a. Aloe, Bleiessig 
(innerlich als Bleiwasser), Zimtropfen, Kamillentee, Saffranpulver, Lebensbaum¬ 
tee, Pennyroyalpillen (in Amerika im Gebrauch), meist verbunden mit Bähungen, 
heißen Senf-Fußbädern. 

In der an den äußerst interessanten Vortrag sich anschließenden Dis- 
kushra wurde die Frage der Abtreibung in diagnostischer, dann auch in kasuisti¬ 
scher Hinsicht noch wesentlich ergänzt. Prof. Winter wies auf die Schwierig¬ 
keit hin, eine objektive sichere Diagnose des kriminellen Aborts zu stellen. 
Bezüglich der Infektion ist diejenige des Ei-Innern und solche im Uterus zu 
unterscheiden; die erstere, meist als Intoxikation ist weniger gefährlich, als 
die Infektion des mütterlichen Gewebes, z. B. bei gleichzeitiger Verletzung, 
die meist zur Sepsis führt. Am wichtigsten für die Diagnose ist die Verletzung; 
meist sitzen solche an der hinteren Wandung oder im Scheidengewölbe. (Re¬ 
ferent sah eine solche im hinteren Scheidengewölbe mit Verletzung des Darmes 
durch einen spitzen Haken.) In manchen Fällen ist der Uterus auffallend 
tolerant gegen Abtreibungsversuche wie auch gegen (fälschlich ausgeführte) 
Operationen, z. B. Ausschabung bei bestehender Schwangerschaft, eine Beob¬ 
achtung, die z. B. von Rosinski, Schroeder, Köstlin u.a.bestätigt wurde. 

Hammerschlag erwähnt, daß eine Hebamme, die als Abtreiberin be¬ 
ttraft wurde, in der Regel bis zum vierten Schwangerschaftsmonat wartete und 
dann erheblich sichere den Eihautstich auszuführen im Stande war. Be necke 
via darauf hin, daß selbst auf den Sektionstisch der absolut sichere kausale 
Zusammenhang zwischen Manipulation und Abort schwer zu beweisen ist. Er 
erwähnte einen Fall, in dem durch ein eisernes Instrument der Fundus von einer 
Ahtreiberin perforiert wurde, und die Sterbende noch gestanden hatte, daß sie 
bei einer Abtreiberin gewesen sei (man vergl. dazu die instruktiven Tafeln in 
Hoffmanns Atlas der gerichtl. Medizin, Lehmanns Atlanten, Bd. XVÜ>. 
Auch Köstlin-Danzig kennt Hebammen, welche zum Zwecke der Abtreibung 
Milchglasspecula und Sonden benutzt haben. Bezüglich der Anzeige seitens des 
zagerufenen Arztes wurde von Puppe wie von Winter zugegeben, daß, falls 
km tötlicher Ausgang erfolgt, der Betreffenden der Schutz des § 300 zu Hilfe 
steht, daß aber, falls tötlicher Ausgang z. B, durch septische Peritonitis erfolgt, 
eiae Anzeige sehr wohl berechtigt ist. Prof. H. Walther-Gießen. 


Zur Kasuistik der Verletzungen der weiblichen äusseren Genitalien 
iireh Sturz oder Stoss. Von Dr. Leers. Vierteljahrsschrift für gerichtliche 
Medizin; XXX. Bd., 1. Heft. 

Verletzungen an den weiblichen äußeren Geschlechtsteilen legen die 
Vermutung eines gewaltsamen Eingriffes von fremder Seite nahe. Es ist daher 
gerichtsärztlich zu wissen wichtig, daß solche Verletzungen, wenn auch selten, 
auch Zufälligkeiten entstehen können. Der mitgeteilte Fall betrifft ein 
16jähriges Mädchen, welches auf die Kante eines Holzschemels fiel. Die Folge 
varen gänseeigroße Hämatome der großen und kleinen Schamlippen, kleine 
zahlreiche unregelmäßige oberflächliche Epitheldefekte und tiefergehende Risse. 
Der sichelförmige Hymen war unverletzt. Schon nach fünf Tagen waren die 
Beschwerden beim Heben so gering, daß die Arbeit wieder aufgenommen wurde. 
Der Heilverlauf ging ohne Störung vonstatten. 

Prof. Dr. Ziemke-HaUe. 



524 


Kleinere Mitteilungen nnd Referate aus Zeitschriften. 


Zorn § 176 des Straf-Gesetzbuchs. Von Geh. Med.-Rat Dr. Hermann 
Kornfeld, Gerichtsarzt in Gleiwitz. Archiv für PBych.; 39. Bd., 3. H. 

Verfasser teilt ein Gntachten mit, in dem die Frage znr Erörterung 
stand, ob ein Barsche bei einer von ihm gemißbrauchten Frauensperson die Geistes¬ 
krankheit erkennen konnte. Er weist darauf hin, daß in dem genannten Para¬ 
graphen neben der Geisteskrankheit ein Zustand der Willenlosigkeit und der 
Bewußtlosigkeit als gleichwertig angenommen werden und daß demnach die 
Geisteskrankheit eine derartige sein muß, daß sie auch dem wenig erfahrenen 
Laien ersichtlich wird. Im vorliegenden Falle war die Frauensperson zweifellos 
schwachsinnig; ihr Defekt äußerte sich in unselbständiger Lebensführung, 
starker Einengung ihrer Interessen und ihres Verständnisses für die gewöhn¬ 
lichen Lebensverhältnisse; sie fiel wohl als sehr dumm und beschränkt, nicht aber 
als geisteskrank im Sinne der Laien auf. K. kommt daher zu dem zutreffenden 
Schlüsse, daß der Angeschuldigte ihren Zustand nicht erkennen konnte. 

Dr. Pollitz-Münster. 


Die Sittllchkeltsverbrecher. Von F. Leppmann. Vierteljahrsschrift 
für gerichtliche Medizin; XXX. Bd., 1. H., und Bd. XXIX, 2. H. 

An der Hand von 90 Fällen, welche in der Strafanstalt Moabit interniert 
waren, behandelt Verfasser in einer hoch interessanten Studie die Sittlichkeits¬ 
verbrecher vom kryminalpsychologischen Standpunkt aus. Die seelische Artung, 
die vielfach dauernd krankhafte Züge aufweist, spielt eine ganz besonders 
wichtige Rolle bei den Sittlichkeitsverbrechen. Geistesschwäche, wenn auch 
in der Minderzahl der Fälle so erheblich, daß der Schutz des § öl zugebilligt 
werden kann, als Zwischenglied Onanie oder Trunksucht, ferner geistige Minder¬ 
wertigkeit, Epilepsie, Hysterie, Neurasthenie und Trauma waren häufig nach¬ 
zuweisen. Anderseits ergaben sich keine Anhaltspunkte für die Annahme, daß 
es einen angeborenen besonderen Drang zum Sittlichkeitsverbrechen gibt, ln 
der Regel sind Zufälligkeiten und soziale Verhältnisse, wie Arbeitslosigkeit, 
Mangel an Aufsicht der Kinder, Schlaf burschen wesen, Wohnungselend, mit- 
bestimmend, oft ausschlaggebend für die Entstehung. Unsere gegenwärtige 
Strafrechtspflege nimmt nicht genug Rücksicht auf die seelische Eigenart der 
Sittlichkeitsverbrecher. Bei ihrer eminenten Gemeingefährlichkeit ist ein ab¬ 
soluter Schutz der Gesellschaft gegen die Unverbesserlichen erforderlich, der 
auch durch noch so lange, aber reichlich begrenzte Strafen nicht erreicht 
werden kann. _ Prof. Dr. Ziemke-Halle. 

Ueber die zur strafrechtlichen Behandlung zurechnungsfähiger 
Minderwertiger gemachten Vorschläge. 10. Landesversammlung der internst- 
kriminalist. Vereinigung, 27. Deutscher Juristentag. Von Geh. Med.-Rat Prot 
Dr. M o e 1 i - Berlin. Archiv für Psych., 39. Bd., 3. H. 

Nachdem sich in letzter Zeit die juristischen Kreise in erfreulicher Weise 
mit dem Problem der Unterbringung geistig minderwertiger Verbrecher be¬ 
schäftigt und die Notwendigkeit seiner Lösung, entsprechend einer alten Forderung 
der Aerzte, anerkannt haben, muß auch die Frage der praktischen Durchführung 
weiter geklärt werden. Der Jurist Kahl will die strafsvollzugsfähigen Minder¬ 
wertigen im Strafvollzüge belassen, dann weiter beaufsichtigen, die Strafvollzugs¬ 
unfähigen in Sicherungsanstalten auch über den Strafvollzug hinaus internieren. 
Er wünscht „eine organische Verbindung zwischen Strafvollzug und sichernder 
Verwaltungstätigkeit“. Kr ohne und Finkelnburg glauben auch ohne be¬ 
sondere Vorkehrungen eine entsprechende individualisierende Behandlung im 
Strafvollzüge leisten zu können, während Leppmann besondere Annexe an die 
Strafanstalten mit selbständiger ärztlicher Leitung vorschlägt. Letzteres hält auch 
Moeli für am geeignetsten. Er zeigt an einer Reihe Beispiele, wie schwierig 
gerade in diesen Fällen eine richtige Beurteilung und Begutachtung werden 
kann. Die Unterbringung solcher als zurechnungsfähig erkannter Minder¬ 
wertiger in Irrenanstalten nach dem Strafvollzüge hält er für unzweckmäßig 
und lehnt die dahin zielenden Vorschläge von Seufert und der krim. Ver¬ 
einigung entschieden ab, da sie der Aufgabe und der ganzen Organisation dieser 
Anstalten entgegenstehen. Dr. Pollitz-Münster. 



Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


526 


Die verminderte Zurechnungsfähigkeit. Von Prot F. 8traßmannn. 
Vierteljahrsschrift für gerichtliche Medizin; XXX. Bd., 1. H. 

Verfasser will nicht eine erschöpfende Behandlung des vielumstrittenen 
Kapitels von der verminderten Zurechnungsfähigkeit geben, sondern nur einige 
ganz persönliche Qedanken über diese Frage äußern, welche auf dem Boden 
seiner umfangreichen gerichtsärztlichen Tätigkeit erwachsen sind. Er ist kein 
Anhänger des Begriffs der verminderten Zurechnungsfähigkeit und hält ihn 
für entbehrlich, ln bezug auf die strafrechtliche Behandlung dieser geistigen 
Zwischenstufen bekennt er sich zur Alternative: entweder Strafe oder Ver¬ 
wahrung, verwirft dagegen die von Liszt u. a. vorgeschlagene Kombination 
beider Behandlungsarten, ln logischer Konsequenz unterscheidet er dann auch 
rar zwischen Zurechnungsfähigen und Unzurechnungsfähigen. Zu jenen rechnet 
er die leichteren Fälle psychischer Abweichung und will ihrer Eigenart durch 
Reformen im Strafvollzug (individualisierende Behandlung etc.) und durch all¬ 
gemeine Aenderungen im Strafgesetzbuch (grundsätzliche Einführung mildernder 
Umstände, Herabsetzung der Strafminima, bedingte Beurteilung) gerecht werden. 
Die schwereren Fälle der verminderten Zurechnungsfähigen will er als voll 
iminrechnungsfähig behandelt wissen, ln bezug auf ihre Behandlung schließt 
er sich den Vorschlägen der internationalen kr iminalis tischen Vereinigung an. 
Er hält also dafür, daß ihre vorläufige Unterbringung erforderlichenfalls vom 
Strafrichter angeordnet, die endgültige Verfügung über ihr Schicksal aber vom 
Entmflndigungarichter getroffen werden soll. Prot Dr. Ziemke- Halle. 


Chronische Paranoiker in Verwaltung«-, straf« und zivilrechtlicher 
Beziehung. Nach einem Vortrag in der psychologisch-forensischen Vereinigung. 
Tos Dr. L. W. Weber, Oberarzt und Privatdozent in Göttingen. Allgemeine 
Zeitschrift für Psych.; 62 Bd., 1 u. 2. H. 

Beide Fälle bieten ein besonderes Interesse; der eine Patient ist trotz 
vielleicht auch infolge einer wohlcharakterisierten Paranoia als vielgesuchter 
Kurpfuscher tätig, der andere, infolge seiner religiösen Paranoia, eine Art 
kirchlicher Reformator geworden, der sich eine kleine Gemeinde Gläubiger ge¬ 
schaffen hat, zu der auch Leute besserer Lebensstellung gehören. Bei beiden 
bestand die Krankheit seit über 20 Jahren, ohne daß ein Defekt der Intelligenz 
sieh eingestellt hätte; ihre frühere Entmündigung wurde daher schließlich 
wieder aufgehoben und ihre Geschäfsfähigkeit anerkannt. Verfasser erörtert 
des weiteren die Frage der Gemeingefährlichkeit dieser Patienten unter Hin¬ 
weis auf die Dehnbarkeit des oft wiederkehrenden Anstaltsbegriffs und die 
tag damit zusammenhängende Frage der Anstaltspflegebedürftigkeit, die er 
Ihr seine Kranken nicht anerkennt. Dr. Pollitz-Münster. 


Die Geistesstörungen Infolge von Kopftrauma in gerichtlich-medizi- 
Mseher Beziehung. Von Dr. Martineck, Oberarzt. Deutsche Medizinal- 
Zeitung; Nr. 28, 29, 80, 31 und 32. 

Drei Punkte sind nach Ansicht des Verfassers vor allen Dingen bei 
Besprechung dieses Themas zu erörtern nötig, nämlich: 

1. Welcher Art sind die infolge von Kopftrauma auftretenden Geistes¬ 
störungen ? 

2. Haben diese Geistesstörungen in ihrer Entwickelung oder in ihrem 
Verlauf besondere charakteristische Eigentümlichkeiten gegenüber Geistes¬ 
störungen anderer Aetiologie, Eigentümlichkeiten, durch welche ihre Beziehungen 
su einem Kopftrauma für den Gutachter ersichtlich werden ? 

3. Welche allgemeinen Gesichtspunkte sind für die Konstruierung des 
Kausalnexus zwischen Geistesstörung und Kopftrauma nach dem heutigen 
8taade der Wissenschaft maßgebend? 

Martineck unterscheidet hierbei das primär-traumatische Irresein von 
den sekundär-traumatischen Erscheinungen. Er betont mit Recht die Frage 
welche Gesichtspunkte maßgebend sind für die Aufstellung des Zusammenhanges 
zwischen Kopfverletzung und Geisteskrankheit. Einen sicheren ursächlichen 
Zusammenhang kann man doch nur dann annehmen, wenn die Kopfverletzung 
ganz allem entweder unmittelbar oder nach einer ununterbrochenen Kette von 
mehr oder weniger deutlich ausgeprägten Prodromal-Symptomen die Ent- 



526 


Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften. 


stehong einer Geistesstörung bewirkt. Sonst kann das Traoma nur als Gelegen* 
heitsnrsache oder als prädisponierende Ursache wirken. 

Verfasser bespricht non die gerichtlich - medizinischen Fragen, die sich 
ergeben in solchen Fällen, in denen ein Mensch durch die Sebald eines anderen 
infolge eines Kopftraomas eine Geistesstörung erleidet, and zwar in bezng auf 
die strafrechtliche, als auch in bezng auf die zivilrechtliche Beurteilung. Zu 
berücksichtigen sind auch die mit der fortschreitenden Charakterdegeneration 
einhergehende abnorme Reizbarkeit und Intoleranz gegen Alkohol. Schwierig 
ist es oft, Folgezustände von Traumen als krankhafte za erkennen and sie in 
bezog auf die Zurechnungsfähigkeit richtig za beurteilen. 

Krafft-Ebing fordert, daß jeder Angeklagte, der eine Kopfverletzung 
überstanden habe, gerichtsärztlich untersucht werden müsse. Natürlich wird 
die Tatsache allein, daß ein Kopftrauma irgend einmal stattgefunden hat, niemals 
ausreichen zur Anwendung des § 51 des 8t.-G.-B. Auch Selbstmord nach einer 
Kopfverletzung wird der gerichtsärztlichen Beurteilung nicht selten unterliegen. 

Dieselbe Bedeutung, welche die Zurechnungsfähigkeit im Strafrecht hat, 
hat die Geschäftsfähigkeit im Bürgerlichen Gesetzbuche. Verfasser behandelt 
die einzelnen Fragen, die in zivilrechtlichem Sinne hier gestellt werden, und 
bei denen die Kopfverletzungen eine Rolle spielen können. 

Dr. Hoffmann -Berlin. 


R. Sachverständigentätigkeit in Unfall- und Invaliditäts¬ 
sachen. 

Traumatische Geistesstörung. Idiop. öligem. Paralyse! Alkoholische 
Pseudoparalyse! VonDr.H. Korn fei d-Gleiwitz. Aerztliche Sachverständigei- 
Zeitung; 1905, Nr. 13. 

Ein 42jähriger Arbeiter stürzte mit einem Korbe voll Bierflaschen von 
der obersten Stufe der Kellertreppe in den Keller hinab. Festgestellt wurde: 
daß X. seit dem Sturze von der Treppe bis zum Tode (etwa 1 Jahr später) 
arbeitsunfähig war, daß er seitdem progressiv, mit geringen Nachlässen, dement 
wurde, daß ferner die Sektion Veränderungen der weichen Hirnhaut und im 
Gehirn ergeben hatte (Trübung und wässerige Durchtränkung der weichen 
Hirnhaut und Hirnhöhlenwassersucht), weiterhin, daß X früher starker Trinker 
war und seit vielen Jahren schon den Eindruck eines geistig minderwertigen 
Menschen gemacht hatte. 

Kornfeld kommt zu dem Urteil, daß nach dem Sturze eine chronische 
Affektion der weichen Hirnhaut und Ausscheidung in die Hirnhöhlen begann, 
welche progressiv unter dem Bilde der Paralyse bis zum Tode verlief. 

Dr. Tr oeger-Adelnau. 


Ueber die versicherungsärztliche Untersuchung des Herzens. Ton 
Dr. L. F e i 1 c h e n f e 1 d. Aerztliche Sachverständigen - Zeitung; 1905, Nr. 13. 

Der Autor schlägt folgenden Fragebogen vor: 

a) Ergibt die Palpation eine Erschütterung der ganzen Herzgegend? 

b) Wo ist der Spitzenstoß in aufrechter, etwas nach vorn geneigter Haltung 
zu fühlen? 

c) Ist der Spitzenstoß a) nur durch Auskultation wahrnehmbar ? ß) deutlich 
fühlbar? y) verbreitert? 8) stark hebend? 

d) Welche Herzgrenzen ergibt die leise Perkussion (beim Stehen oder Sitzen)? 
a) nach oben? ß) nach rechts? y) nach links (Entfernung in Zentimetern 
von der Mittellinie des Sternum)? 

e) Ist der Perkussionsschall des Herzens leicht oder intensiv gedämpft? 

f) Sind die Herztöne rein, rhythmisch, gut akzentuiert? 

g) Sind die Herztöne stark klopfend oder gespalten? 

h) Bestehen Geräusche am Herzen oder an den großen Gefäßen? 

i) Wie ist die Beschaffenheit des Pulses? Wieviel Schläge in der Minute 
(beim Sitzen)? Sind sie isochron mit dem Herzschlage? Und an beiden 
Radialarterien gleich? 

k) Wie ist der Zustand der Blutgefäße? 

l) Sind Zeichen einer Insuffizienz des Herzmuskels vorhanden? 

m) Halten Sie das Herz für gesund? 

n) Oder welcher pathologische Zustand besteht etc. 

■- Dr. Tr oeger-Adelnau. 


Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften. 


627 


Tod durch Lungenhermchlag infolge übermässiger Hitze und Ein¬ 
atmen giftiger Gase; ursächlicher Zusammenhang mit einem Unfall an¬ 
erkannt. Rekurs-Entscheidung des Reichs versicherungsamts 
Tom 22. Dezember 1904. 

Nach der Ueberzeugung aller Augenzeugen, mit Ausnahme des uneidlicq 
rernommenen Hüttenyogtes N., ist Sch. infolge Einatmens der Dämpfe zu¬ 
sammengebrochen und verstorben. Zar gleichen Ansicht mußte auch das 
IL-V.-A. gelangen. Sch. war bereits seit Jahren vor dem Unfälle ein herz¬ 
leidender Mann. An dem Unglückstage herrschte an der Arbeitsstelle des Sch. 
eine übermäßige Hitze. Dieser und der direkten Einwirkung schädlicher Glase, 
welche die Atmung im höchsten Grade erschwerten, wenn nicht unmöglich 
machten, war er besonders ausgesetzt, als plötzlich infolge Durchstoßens der 
Trichterverstopfung, die vermutlich darunter inzwischen stark angesammelten 
Oase, Dämpfe und heiße Luft unmittelbar zu ihm aufstiegen. Es unterliegt 
nach ärztlicher Erfahrung keinem Zweifel, daß schon die dadurch verursachte 
Unmöglichkeit der Einatmung von Luft verbunden mit dem Eindringen der 
schädlichen Stoffe in die Atmungsorgane bei einem herzkranken Manne, wie es 
Sch. war, zumal nach vorangegangener stärkster Anspannung der Herztätigkeit 
infolge der Arbeit in der Hitze, einen das Leben gefährdenden Chok des HerzenB 
herbeiführen konnte und hier augenscheinlich herbeigeführt hat, ohne daß es 
der genaueren Untersuchung bedarf, aus welchen chemischen Stoffen die Gase 
md Dämpfe zusammengesetzt waren, die dem Trichter entströmten. Wenn 
sofort nach der Einwirkung dieser Schädlichkeit der Zusammenbruch und un¬ 
mittelbar danach der Tod infolge von Herz- und Lungenschlag — wie durch 
die ärztliche Feststellung bei der Leichenöffnung erwiesen — eingetreten ist, 
so muß mit einer an Gewißheit grenzenden Wahrscheinlichkeit angenommen 
werden, daß der Tod durch jenen Vorgang, also einen Betriebsunfall herbei- 
geführt worden ist. Die entgegengesetzte Annahme, daß der Herz- und 
Langenschlag auch ohne wesentliche Mitwirkung jenes Ereignisses, lediglich 
im Verlauf der Herzklappenfehlers eingetreten sein würde, hat bei der ganzen, 
durch die eidlichen und glaubhaften Angaben vieler Zeugen klargestellten 
Sachlage nicht die Wahrscheinlichkeit für sich. Kompaß; 1905, Nr. 10. 


Grad der Erwerbsverminderung bei Verlust des linken Armes ober¬ 
halb des Ellenbogengelenks. Rekursentscheidung des Reichsver- 
sicherungsamts vom 21. Februar 1905. 

Der Kläger hat sich seit der früheren Festsetzung der Renten 66*/* \ 
zweifellos bereits in gewissem Grade an den veränderten Zustand, insbesondere 
lach an den Gebrauch des ihm von der Beklagten gewährten künstlichen 
Arms, der nicht allein einen besseren Anblick gewährt, sondern auch zu mancherlei 
Hilfeleistungen, zum Beispiel beim Schreiben dienlich ist, gewöhnt, so daß eine 
Herabsetzung der dem Kläger erstmalig gewährten Rente auf 60 J / n gerecht¬ 
fertigt ist. Aber eine volle Gewöhnung an die veränderten Verhältnisse ist 
ooch nicht eingetreten; namentlich ist die seit der früheren Rentenfestsetzung 
verflossene Zeit noch nicht genügend gewesen, um den Kläger den Uebergang 
zu einem anderen Beruf, zum Beispiel zu dem nach seinen persönlichen Ver¬ 
hältnissen anscheinend für ihn in Betracht kommenden Beruf eines Schreibers zu 
ermöglichen. Dazu ist natürlich für einen Schmied von Beruf eine längere Aus¬ 
bildung erforderlich, zu der sich freilich für den Kläger zweifellos hinreichende 
Gelegenheit auch ohne Aufwendung besonderer Kosten bieten wird. Es wird 
Sache des Klägers sein, sich nunmehr der Ausbildung als Schreiber oder zu 
einem sonstigen passenden Berufe mit Eifer zu unterziehen, da für die Beklagte, 
wenn der Kläger in angemessener Zeit infolge fehlerhaften Verhaltens seiner¬ 
seits, die zur Ausübung des Schreiber- oder sonstigen für ihn in Betracht kommen¬ 
den Berufs erforderlichen Fähigkeiten nicht erlangt haben sollte, unter Um¬ 
ständen die Voraussetzungen einer weiteren Rentenherabsetzung gegeben sein 
würden. Kompaß; 1905, Nr. 14. 


Erwerbsverminderung liegt bei glattem Verlust des linken Mittel- 
flogen nicht mehr vor. Rekurs-Entscheidung des Reichsver¬ 
sicherungsamts vom 15. Dezember 1904. 

Das R.-V.-A. hat keinen Anlaß gefunden, die schiedsgerichtliche Ent- 



628 


Kleinere Mitteilungen nnd Referate ans Zeitschriften. 


scheidnng abzuändern. Nach dem Gutachten des praktischen Arstes Dr. Sch* 
in Saarbrücken yom 29. Joli 1904 ist anzunebmen, daß jetzt völlige Angewöhnung 
des Klägers an den durch den Unfall vom 18. Dezember 1902 herbeigeführtea 
veränderten Zustand erfolgt ist und die Folgen des Unfalls soweit beseitigt 
sind, daß es sich nur noch um den glatten Verlust des linken 
Mittelfingers handelt. Hierdurch wird der Kläger nicht in wirtschaftlich 
abmeßbarem Grade in seiner Erwerbsfähigkeit beeinträchtigt. Die Einstellung 
der Rente ist daher zu Recht erfolgt (§ 88 des Gewerbe-Unf.-Vers.-Ges.). 

_ Kompaß 1906, Nr. 10. 


Erwerbsbeschränkung liegt bei glattem Verlust von 1 */* Glied des 
rechten Mittelfingers nicht mehr vor. Rekurs-Entscheidung des 
Reichsversicherungsamts vom 21. Dezember 1904. Ebenda. 


C. Bakteriologie, Infektionskrankheiten und öffentliches 

Sanitätswesen. 

Die Widerstandsfähigkeit verschiedener Bakterlenarten gegen Trock¬ 
nung und die Aufbewahrung bakterienhaltigen Materials, insbesondere 
beim Seuchendienst und filr gerichtlich • medizinische Zwecke. Von 
Prof. L. He im-Erlangen. Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten; 
1906, Bd. 60. 

Die vorstehenden Untersuchungen Heims verdienen ein ganz hervor¬ 
ragendes Interesse nicht nur hinsichtlich der Erweiterung unserer Kenntnisse 
von der Biologie der Mikroorganismen, sondern auch in gerichtlich-medizinischer 
Beziehung. 

H. hatte nämlich bei Untersuchungen mit Pneumoniekokken die Beob¬ 
achtung gemacht, daß die mit dem Blut infizierter Versuchstiere getränkten 
Seidenfäden im Exsikkator (über Chlorcalcium und unter Luftabschluß) auf¬ 
bewahrt, meist längere Zeit entwickelungsfähig blieben, ja, daß sich mitunter 
ihre Virulenz über 1 Jahr lang erhalten ließ. Daraufhin systematisch an- 
gestellte Versuche ergaben, daß wohl vereinzelte Bakterienarten (z. B. Cholera, 
Geflügelpest, Schweineseuche, Prodigiosus) im Exsikkator zugrunde gingen, 
während weitaus die Mehrzahl der untersuchten Mikroorganismen wie Tetanus, 
Tetragenus, Milzbrand 2 Jahre und darüber, andere, wie Mäusetyphus, Diph¬ 
theriebazillen, Xerosebazillen, Staphylo- und Streptokokken und Schweinerotlauf 
1 Jahr und darüber, an Seidenfäden angetrocknet und im Exsikkator aufbewahrt, 
ihre Virulenz völlig behalten hatten. Dabei hat es sich herausgestellt, daß 
es am besten ist, wenn die betreffenden Mikroorganismen in einem eiweißhaltiges 
Substrat an Seidenfäden angetrocknet aufbewahrt werden, da dasselbe offenbar 
bei der Trocknung die geeignete Schutzhülle um die Keime bildet. 

Dio praktische Bedeutung der Heim sehen Beobachtungen ist eine 
außerordentlich große nicht nur für bakteriologische Institute, die ihre sämt¬ 
lichen Kulturen bisher stets mit großem Aufwand von Zeit und Geld häufig 
umstechen mußten, um stets virulentes Material zur Hand zu haben, sondern 
auch in gerichtlich-medizinischer Beziehung, da diese Methode die besten 
Dienste bietet zur Aufbewahrung von baktcrienhaltigen Körperflüssigkeitea 
(Blut, Magen- und Darminhalt, Eiter) und Organsäften (z. B. Milzsaft), die 
weiter bakteriologisch untersucht werden müssen. 

Für gerichtliche Sektionen hat H. ein kleines (bei F. & M. Lauten¬ 
schläger in Berlin erhältliches) Instrumentarium zusammen gestellt; dasselbe 
ermöglicht bei der Sektion z. B. (in Fällen von Wund Vergiftung oder Typhus) 
Darminhalt oder (bei der traumatischen uud puerpalen Sepsis oder Pyaemie) Blut 
aus verschiedenen Organen oder Eiter etc., an sterile Seidenfäden anzutrocknen, 
die in einem nach Chlorkalium beschickten und mit Gummiklappe luftdicht 
verschlossenen festen Reagenzglas alsdann an das zuständige bakteriologische 
Institut eingesandt werden, wo noch nach Tagen und Wochen die betr. Mikro¬ 
organismen herausgezüchtet werden können. Dr. Merkel-Erlangen. 


Ueber die Bakteriämie nnd die Bedeutung der bakteriologischea 
Blutuntersuchung filr die Klinik. Von Privatdoznnt Dr. Georg Joch mans- 
Breslau. Zeitschrift für klinische Medizin; 1904, Bd. 64, H. 6—6. 



Kleinere Mitteilangen nnd Referate ans Zeitschriften. 


629 


Am häufigsten treten in das Blnt über die Streptokokken, Staphylo¬ 
kokken, Pneumokokken, Gonokokken, Typhös- and Kolibazillen. Für die Dia¬ 
gnose, Prognose and Symptomatologie mancher Erkrankungen hat der Nachweis 
der Bakteriämie große Bedeutung. 

Die Streptokokken gelangen entweder primär oder erst sekundär 
ins Blut. Zu den Primärinfektionen gehört in erster Hinsicht die Puerperal- 
sepsis; gleichwohl gelang es dem Verfasser in mehreren sichergestellten Fällen 
nicht, den Nachweis von Bakterien im Blut zu erbringen. Die Sekundär- 
iafektionen (bei Scharlach, Diptherie, Typhus, Tuberkulose) sind prognostisch 
insofern sehr viel ungünstiger, als hier der bereits durch das Grundleiden ge¬ 
schwächte Organismus sehr viel weniger imstande ist, der Infektion Widerstand 
zu leisten. 

Die Untersuchungen des Blutes auf Streptokokken bei schwerem Gelenk¬ 
rheumatismus (18 Fälle) brachten stets ein negatives Ergebnis. Verfasser 
bestreitet daher die ätiologische Bedeutung der Streptokokken für den Gelenk¬ 
rheumatismus. 

Ebenso lehrten ihn bei ausgedehnten Blutuntersuchungen von Scharlach- 
filkn (161 Lebende und 70 Leichen), daß die Streptokokkenätiologie des Schar¬ 
lachs nicht haltbar ist. 

Staphylokokken wurden in 7 Fällen als Erreger septischer Er¬ 
krankungen nachgewiesen. Alle sieben starben. Die Staphylokokken zeigen, 
ia Gegensatz zu den Streptokokken, eine grosse Neigung zu eitriger Me¬ 
tastasenbildung. 

Pneumokokken wurden in 6 von 18 untersuchten Pneumonien nach¬ 
gewiesen. Der Uebertritt von Pneumokokken ins Blut ist demnach keineswegs 
so konstant, wie es vielfach dargestellt wird. 

Der Uebertritt von Gonokokken ins Blut ist prognostisch sehr un¬ 
günstig zu beurteilen. Von den beobachteten drei Fällen gingen zwei zugrunde. 

Typhusbazillen wurden von dem Verfasser, dank Anwendung einer 
zweckmäßigen Methodik, in 83,3 °/ 0 der Fälle im Blute nachgewiesen. Sie 
fehlten stets in den fieberfreien Perioden. Es scheint demnach ein inniger 
Zusammenhang zwischen Bakteriengehalt des Blutes und Fieber zu bestehen. 
Dagegen besteht kein Zusammenhang zwischen Bakteriengehalt des Blutes 
ud der Schwere der Darmveränderungen. In 2 Fällen mit auffallend großem 
Gehalt des Blutes an Typhusbazillen waren nämlich die Darmveränderungen 
au ganz minimal (in einem Fall nur zwei Geschwüre). 

In 6 Fällen waren die Bazillen im Blute schon zu einer Zeit nach¬ 
weisbar, zu der die Widalsche Reaktion negativ ausfiel. 

Dr. Dohm-Cassel. 


Zur Frage der Bakterlzldie durch Alkohol. Von Dr. Victor Ruß, 
I nnd K. Oberarzt (A. d. bakt. Labor, d. K. und K. Militärsanitätskomitecs 
in Wien. [Vorstand: Oberstabsarzt Dr. L. Kamen.]). Zentralbl. f. Bakt.; 
L Abt, Orig., 1904; Bd. 37, H. 1 und 2. 

Ruß kommt auf Grund seiner Untersuchungen an Bact. coli, Staphylo- 
coccos pyog. aur., Bact. diphtheriae und Milzbrandsporen zu dem Schlüsse, daß 
absoluter Alkohol ohne Wirkung auf Bakterien ist, yerdünnter Alkohol da¬ 
gegen sporenfreie Bakterien abtötet, und zwar feuchte Bakterien schneller als 
getrocknete; Sporen werden durch Alkohol überhaupt nicht geschädigt. Auf 
die Bakterien wirkt der Alkohol nicht sowohl durch Wasserentziehung, als 
vielmehr durch seine Eigenschaft als Protoplasmagift schädigend. 

Für die Desinfektion der Haut mittelst absoluten Alkohols ist es not¬ 
wendig, die Haut zunächst anzufeuchten bezw. mit Wasser und Seife gründlich 
n waschen. Dr. Lentz-Saarbrücken. 


Krebs und Sarkom am gleichen Menschen. Von Dr. H. Landau- 
Berlin. Münchener med. Wochenschrift; 1905, Nr. 14. 

Verfasser berichtet über einen 38jährigen, kräftigen brünetten Mann, 
welcher fast gleichzeitig an einem Adenokarzinom des Mastdarmes mit teils 
gallerttigem, teils fibrös-derbem Stroma, sowie an einem Fibrosarkom der rechten 
Mamma litt. 

Eine Erklärung für das gleichzeitige Auftreten mehrfacher verschiedener 



530 


Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften. 


Tumoren wird nur dann zu geben möglich sein, wenn man einmal weiß, warum 
and wie der einzelne Krebs, das einzelne Sarkom entsteht. Von den 20 
bekannt gewordenen derartigen Fällen hat fast jeder Autor sich Mühe 
gegeben, seinen Fall unter den Gesichtswinkel der verschiedenen Krebstheorien 
za bringen; herausgekommen ist dabei nicht mehr, als daß sie alle keinen 
Aufschluß geben, am wenigsten freilich die Parasitentheorie. 

Dr. Waibei-Kempten. 


Die Heilung des Trachoms durch Radium. Vorläufige Notiz von Ob.- 
Med.-Rat Prof. Dr. Hermann Cohn in Breslau. Berliner Hin, Wochenschrift; 
1905, Nr. 1. 

ln einem Glasröhrchen von 3 cm Länge und 2 mm Durchmesser wurde 
ein Radiumkrystall von 1 mgr. Schwere eingeschmolzen, ln drei Fällen von 
Trachom wurde jeder Korn im uuteren und oberen Augenlide mit diesem Glas¬ 
röhrchen berührt. Die Körner wurden jeden Tag 10—15 Minuten belichtet 
und verschwanden in überraschend kurzer Zeit, während sie vorher vom Verf. 
und anderen Kollegen mit schmerzhaften Mitteln monatelang vergeblich be¬ 
handelt worden waren. Diese 3 Fälle sind sicher, schnell and schmerzlos 
geheilt worden, von schädlichen Folgen war nichts zu bemerken. 

Dr. Räuber-Köslin. 


Der SSugllngs-Skorbut ln Berlin. Von H. Neumann. Berliner 
klin. Wochenschrift; 1905, Nr. 1. 

Darch die längere Einwirkung eines etwaigen Hitzegrades oder die 
kürzere einer starken Erhitzang oder darch die aufeinander folgende, wenn 
auch weniger intensive Einwirkung beider wird die Milch in einer solchen 
Weise verändert, daß ihre ausschließliche Darreichung während mindestens 
5 Monaten zum Säuglings - Skorbut führt. Da die Molkereien aus milchtech¬ 
nischen Gründen immer mehr zur Pasteurisation übergehen, und ein nochmaliges 
Aufkochen die Milch zu sehr denaturiert, so verlangt Verf. die Ausübung eines 
gesetzlichen Zwanges, daß die pasteurisierte Milch als solche beim Verkanf 
gekennzeichnet wird. Dr. Räuber-Köslin. 


Bemerkungen zur Ziehkinderfürsorge. Von Dr. Effler-Danzig. 
Jahrbuch für Kinderheilkunde; 1904, Bd. 10, H. 3. 

In Danzig, wo Verfasser die Funktionen eines städtischen Ziehkinder¬ 
arztes versieht, hat man ebenso wie in Leipzig, Halle, Dresden, Straßbarg und 
Berlin besondere Maßnahmen zur Bekämpfung der hohen Säuglingssterblichkeit 
getroffen. Die Organisation der Ziehkinderfürsorge ist folgende: 

Bis zum sechsten Lebensjahr werden alle Kommunalpflegekinder, unehe¬ 
lichen Kinder und diejenigen ehelichen Kinder, die in Haltepflege gegeben 
sind, beaufsichtigt. An der Spitze des Unternehmens steht ein Arzt, dem je 
sechs Helferinnen mit je einem Bezirk zur Seite stehen. Alle unehelichen Ge¬ 
burten werden dem Armenamte gemeldet. Dieses entsendet eine der besonders 
vorgebildeten Helferinnen in die Pflegestelle. Ueber jedes Kind wird ein Personal¬ 
bogen angelegt; ebenso wird auch über die Ziehmütter ein besonderes Buch ge¬ 
führt. — Der Arzt hat die Oberaufsicht und Revisionen sowie Besichtigungen der 
Kinder wahrzunehmen. Bei den Besichtigungen, die in den verschiedenen Schal¬ 
räumen der Stadt vorgenommen werden, werden die Kinder untersucht gewogen 
und die Ziehmütter mit Ratschlägen bezüglich der Ernährung versehen. Kranke 
Kinder werden unter Umgehung des oft unbeliebten Weges durch die Armen- 
verwaltnng poliklinischer Behandlung zugeführt. Auch die Ammenvermittelong 
geht zugleich mit diesen Maßnahmen einer besseren Regelung entgegen. Die 
unehelichen Mütter dürfen erst dann als Ammen gehen, wenn sie mindestens 
6 Wochen ihr eigenes Kind genährt haben. Dr. Dohrn-CasseL 


Still vermögen. Von Dr. G. Martin, Assistenzarzt der Königlichen 
Landes - Hebammenschule in Stuttgart. Archiv für Gynäkologie; 1905, Bd. 74, 
Heft 3. 

Die Klagen über den Rückgang des Stillvermögens unserer Frauen er¬ 
tönen heutzutage lauter denn je. M. zeigt an dem Material der Stuttgarter 
Hebammenschule, daß die Klagen keineswegs berechtigt sind, soweit dabei die 



Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften. 


681 


physische Leistungsfähigkeit der Frauen in Betracht kommt. Bei immer 
strengerer Einschränkung aller Kontraindikationen gelang es dort in den letzten 
Jahren, 100% aller Mütter zum Selbststillen zu bringen 1 Diese Tatsache 
spricht sehr gegen die angeblicho Degeneration der weiblichen Brustdrüse. 
Theoretisch führt M. als Gegenbeweis an, daß der Wurmfortsatz trotz jahr- 
tansend lang erloschener Funktion zum Leidwesen der Menschheit bisher nicht 
Terschwunden ist. Um so weniger ist an ein Schwinden der Brustdrüse bei 
weit kürzerem und nur hie und da zu verzeichnendem Nichtgebrauch zu denken. 

Selbst die unscheinbarsten Brustdrüsen ließen sich bei Anwendung ge¬ 
nügender Reize zu ausgiebigster Produktion bringen. In einem Falle gelang 
es nach fast l'/imonatigem Aussetzen durch permanentes Ansaugen des Kindes 
die Tätigkeit der Brust wieder zu genügender Leistung zu bringen. 

Von den angeblichen Nachteilen des Selbststillens konnte nie etwas be¬ 
merkt werden. Dagegen traten die Vorteile nicht nur an den Kindern, sondern 
auch an den Müttern sehr deutlich hervor. Die Involution der Geschlechts¬ 
organe wurde wesentlich beschleunigt. Die Kompensationsstörungen bei Herz¬ 
fehlern glichen sich schneller aus; bei Nierenkranken verschwand das Eiweiß 
schneller. Selbst Syphilis bildete keine Gegenindikation mit Rücksicht auf die 
immunisierenden Eigenschaften der Milch; die Frauen nährten in solchen 
Fällen mit dem Warzenhütchen. Die Gefahr der Tuberkuloseübertragang 
durch die Milch hält M. im Vergleich zu den übrigen zahlreichen Ueber- 
tragungsmöglichkeiten mil Recht für sehr gering. Nur bei vorgeschrittener 
Tukerkulose wurde nicht gestillt. Dr. Dohrn-Cassel. 


Ueber Luftverunreinigung, Wfirmestauung und Lüftung in ge¬ 
schlossenen Räumen. Von Geh. Med.-Rat Prof. Dr. C. Flügge-Breslau. 
Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten; Bd. 49, H. 8. 

Zahlreiche, mit feineren Prüfungsmethoden und unter genauer Berück¬ 
sichtigung der thermischen Verhältnisse an gesunden und kranken Menschen 
angestellte Versuche haben ergeben, daß die chemischen Aenderungen der 
Luftbeschaffenheit, welche in bewohnten Räumen durch die gasförmigen Ex- 
krete der Menschen hervorgerufen werden, eine nachteilige Wirkung auf die 
Gesundheit der Bewohner nicht ausüben. Wenn in geschlossenen, mit Menschen 

e ten Räumen gewisse Gesundheitsstörungen, wie Eingenommenheit des 
. s, Ermüdung, Schwindel, Uebelkeit usw. sich bemerkbar machen, so sind 
diese Symptome lediglich auf Wärmestauung zurückzuführen. Die thermi¬ 
schen Verhältnisse der uns umgebenden Luft — Wärme, Feuchtigkeit, Be¬ 
wegung — sind für unser Wohlbefinden von erheblich größerer Bedeutung als 
die chemische Luftbeschaffenheit. Auch das erfrischende Gefühl, welches bei 
ausgiebiger Lüftung geschlossener Räume oder im Freien empfunden wird, 
resultiert nicht sowohl aus der größeren chemischen Reinheit der Luft, sondern 
aus der besseren Entwärmung des Körpers. Eine Ueberwärmung unserer Wohn- 
räume muß daher tunlichst vermieden werden. Während dies im Hochsommer 
oft schwer durchzuführen ist, gelingt es in den übrigen Jahreszeiten relativ 
leicht. In erster Linie müsssen die Heizeinrichtungen stets so betrieben werden, 
daß die Temperatur die oberste Grenze von 21° C. niemals überschreitet; 
namentlich ist dies in öffentlichen Räumen, wie Schulen, scharf zu kontrollieren, 
ln der Regel soll die Temperatur der beheizten Räume zwischen 17 und 19° C. 
liegen, ln überwarmen Räumen kann oft schon durch künstliche Zirkulation 
der Luft ohne Zufuhr von Außenluft eine gewisse Abhilfe geleistet werden. 
Durch Lüftung in überwarmen Räumen Abhilfe zu schaffen, ist im Winter 
während der Benutzung des Zimmers durch Menschen gefährlich und zu ver¬ 
meiden, weil durch die Einwirkung kalter Luftströme auf die vorher über¬ 
wärmte Haut leicht Erkältungskrankheiten entstehen. Dagegen kann durch 
periodische Lüftung der Räume zu unbewohnter Zeit der Ueberwärmung wirk¬ 
sam begegnet werden. Für die in Wohnräumen vorkommenden Ge¬ 
rüche, welche vorzugsweise den Zersetzungen auf Haut und 
Schleimhäuten, sowie denKleidern derBewohner entstammen, 
ist eine gesundheitsschädliche Wirkung nicht nachgewiesen. 
Dagegen erzeugen diese Gerüche beim Betreten der Räume Ekelempfindung 
und sind deshalb tunlichst zu beseitigen. Dies kann teils geschehen durch 
Vorbeugung und Desodorisierung, teils durch kontinuierliche Aspirationslüftung 



532 


Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


oder durch periodische Zulüftung des unbewohnten Zimmers. Die Lüftung 
hat nicht die Aufgabe und Ist nicht imstande, bewohnte Räume von Staub und 
Kontagion zu befreien. _ Dr. Eng eis'Gummersbach. 


Das Verhalten Kranker gegenüber verunreinigter Wohnungsluft. 

Von Privatdozent Dr. W. Ercklentz in Breslau. Aus dem hygienischen In¬ 
stitut der Universität Breslau. Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrank¬ 
heiten ; Bd. 49, H. 3. 

Die eingehend beschriebenen Versuche, welche auf Veranlassung Flügges 
angestellt wurden, lassen unzweideutig erkennen, daß nur die thermi¬ 
schen Verhältnisse der Umgebung kranke und hervorragend empfindliche 
Menschen zu beeinflussen imstande sind, während ein Einfluß der chemischen 
Verunreinigung der Luft durch persönliche Exkrete des Menschen sich nicht 
geltend macht. Des näheren wird dann noch beschrieben die Einflüsse ver¬ 
unreinigter Luft auf die verschiedenartigen Kranken. 

_ Dr. Eng eis-Gummersbach 


Ueber den Einfluss wieder eingeatmeter Exsplratlonslnft auf die 
Kohlensänre-Abgabe. Von Privatdozent Dr. Bruno Hey mann, Assistent am 
hygienischen Institut in Breslau. Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrank¬ 
heiten ; Bd. 49, H. 3. 

Auf Grund eingehender Versuche kann es nach Verfasser keinem Zweifel 
unterliegen, daß wir, auch in reinster Zimmerluft, unter den Bedingungen des 
alltäglichen Lebens sehr häufig mit eigenen Exspirationsprodukten derartig 
verunreinigte Luft atmen, daß ihr Kohlensäuregehalt die für Wohnräume als 
zulässig geltende Grenze von 1 pro mille wesentlich überschreitet. Eine Be¬ 
einträchtigung des Körpers durch eine so allgemein verbreitete, geradezu un¬ 
vermeidliche Häufung von Exspirationsprodukten können wir unmöglich an- 
nehmen. Das Gleiche lehren Untersuchungen, welche Paul und Ercklentz 
über die Wirkung eines sehr stark gesteigerten Gehalts der Luft an Exspi¬ 
rationsprodukten angestellt haben, und welche bei gesunden und kranken 
Menschen zu völlig negativen Resultaten geführt haben. Insbesondere bekämpft 
Verfasser die entgegengesetzt lautenden Ergebnisse Wolperts. 

Dr. E n g e 1 s - Gummersbach. 


Die Wirkungen der Luft bewohnter Räume. Von Dr. med. L. Paul, 
früheren Assistenten am hygienischen Institut der Universität Breslau. Zeit¬ 
schrift für Hygiene und Infektionskrankheiten; Bd. 49, H. 3. 

Das Ergebnis der zahlreichen Versuche Pauls ist, daß wohl nicht mehr 
daran gezweifelt werden kann, daß die unangenehmen Symptome, wie sie sich 
in Versammlnngsräumlichkeiten, Kirchen, Schulen usw. gelegentlich einstellen, 
unabhängig von der Einatmung der betreffenden Luft zustande kommen, und 
daß demgemäß die chemischen Verunreinigungen der Luft nur 
eine ganz untergeordnete Rolle spielen können. Dagegen haben 
die Versuche gelehrt, daß eine um so größere Bedeutung dem phy¬ 
sikalischen Verhalten der Luft in den genannten Oertlichkeiten bei¬ 
gemessen werden muß. Zweifellos sind es vorzugsweise die in den 
genannten Räumen herrschenden Temperatur-, Feuchtigkeits-und Luftbewegungs¬ 
verhältnisse, welche eine ausreichende Wärmeabfuhr von seiten des menschlichen 
Körpers verhindern, und so zu den bekannten, am besten nach Verfasser mit 
dem Sammelnamen „Wärmestauungssymptome“, zu bezeichnenden un¬ 
angenehmen Erscheinungen führen. Die Prophylaxe hat deshalb besonders 
das Augenmerk auf die richtigen Temperatur- und Feuchtigkeitsverhältnisse 
zu richten, desgleichen auf die Ventilation; dabei spielt die chemische Be¬ 
schaffenheit der frischen Luft eine wenig große Rolle, mehr ihr Einfluß auf 
Temperatur und Feuchtigkeit. Dr. Engels-Gümmersbach. 


Ueber die Schntzmassregoln zur Verhiltnug von Berufskrankheiten 
der Arbeiter bei Fabrikationen mit Staubentwickelung. Von Dr. K. Zibell, 
praktischer Arzt, staatlich geprüft. Vierteljahrsschrift für gerichtliche Medizin 
und öffentliches Sanitätswesen; Jahrg. 1905, L Heft. 



Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


533 


Das Ergebnis seiner Arbeit faßt Verfasser in folgenden Sätzen zusammen: 
Die verschiedenen Staubarten sind für die ihnen ausgesetzten Arbeiter um so 
gefährlicher, je spitzer und scharfkantiger die einzelnen Bestandteile sind. 
Die Staubentwickelung wird am besten verhindert durch Einführung nasser 
Arbeitsprozesse. Während der Arbeit entstandener Staub wird am zweck¬ 
mäßigsten durch Exhaustoren unschädlich gemacht. Ventilation der Arbeits¬ 
räume und Ausrüstung der Arbeiter mit Respiratoren können nur als Notbehelf 
1 betrachtet werden. Für jeden Arbeiter sind mindestens 10—15 cbm Luftraum 
erforderlich. Die Fußböden der Arbeitsräume müssen zwecks leichter Reinigung 
dicht und fest sein. Die Arbeiter in Betrieben mit Staubentwickelung sind 
mit Arbeitsanzügen auszurüsten; diese müssen möglichst faltenlos sein undaus 
dichtem glatten Stoff bestehen. Die Benutzung der Waschgelegenheiten ist 
den Arbeitern durch die Arbeitsordnung zur Pflicht zu machen. In jedem Be¬ 
trieb mit Staubentwickelung sollten Brausebäder vorhanden sein. Das Ein¬ 
nehmen der Mahlzeiten in den Arbeitsräumen ist zu verbieten; es müssen zu 
diesem Zweck besondere Speiseräume eingerichtet sein. Von den Arbeitgebern 
ist für Beschaffung guten Trinkwassers zu sorgen. Das Ausspeien auf den 
Boden ist streng zu verbieten. Zur Durchführung der Schutzmaßregeln ist 
eine gründliche Belehrung der Arbeiter erforderlich. In Fabriken mit Staub¬ 
tet Wickelung sollten Arbeiter unter 16 Jahren und Arbeiterinnen unter 18 Jahren 
nicht eingestellt werden. Alle Arbeiter sind vor der Einstellung einer ärzt¬ 
lichen Untersuchung zu unterwerfen; Lungenkranke und Brustschwache sind 
auszuscheiden. Für alle Betriebe mit Staubentwickelung muß eine periodische 
ärztliche Untersuchung gefordert werden. Die Arbeitszeit darf ein Maximu m 
Ton 10—11 Stunden nicht überschreiten. Ueberstunden sind möglichst einzu¬ 
schränken. Ein öfterer Wechsel zwischen staubiger und nicht staubiger Arbeit 
ist sehr zu wünschen. Die Anwendung der Bleichromate zum Färben sollte 
gesetzlich verboten werden. Durch Ziegenhaare kann Milzbrand übertragen 
werden; deshalb ist auch die Forderung einer Desinfektiono derselben in die 
Bestimmungen des Bundesrats aufzunehmen. Die Lumpen sollen vor dem 
Zerreißen desinfiziert werden; Lumpen aus notorischen Seuchengegenden dürfen 
sieht eingeführt werden. In der Lumpenindustrie sollten nur geimpfte und 
j wiedergeimpfte Arbeiter eingestellt werden. Bei der Beaufsichtigung der Fa- 
1 bnken sind die Medizinalbeamten mehr heranzuziehen, als dies bisher geschieht, 
i Die Gewerbegesetzgebung ist einheitlicher zu gestalten. 

Dr. Israel-Fischhausen. 


1 Die chronische Vergiftung des Anges mit Blei. Von L. Lewin 

' Berliner klin. Wochenschrift; 1904, Nr. 60. 

Leider nnr selten berücksichtigte Sehstörungen, die als Folge chronischer 
(Mitwirkung auftreten, entstehen u. a. beim Arbeiten mit Schwefelkohlenstoff 
(Vulkanisieren von Kautschuk, Darstellung von Kondoms), Brommethyl, Queck- 
( Silber, Holzgeist, Arsenik oder Arsenverbindungen, Dinitrobenzol, Kohlenoxyd, 
j Schwefelwasserstoff, Anilinfarbstoffen. Eine oft verhängnisvolle Rolle spielen 
| Bleiverbindungen. Die hierdurch entstandenen Sehstörungen sind den Aerzten 
| nicht allgemein bekannt; methodische Untersuchungen von Bleiarbeitern mit 
| dem Augenspiegel werden nicht vorgenommen, oft scheitert solche Absicht an 
dem unüberwindlichen, der Engherzigkeit entstammenden Widerstande der 
! Ftbrikherren. Keiner der verschiedenen Blei - Berufszweige bleibt frei; in jeder 

t Form kann das Blei die Augen schädigen (vergl. Lewin und Guöllery, 

Die Wirkungen von Arzneimitteln und Giften auf das Auge, Hirschwald 1905). 
! Besonders leiden diejenigen Arbeiter, die von Jugend auf lange Schichten vor 
dem Ofen gemacht haben, wie Schmelzer, Silberarbeiter und dergl. Die Ver¬ 
hältnisse werden immer trauriger, weil das Blei immer weiter in der Technik 
■ und Industrie vordringt, und viel mehr Arbeiter und Arbeiterinnen als früher 
in die Fabriken und Werkstuben gedrängt werden. Die Erkrankungen des 
i Anges können sehr verschieden sein, von der vorübergehenden Blindheit an bis 
. xu der Entzündung des Sehnerv, der Netzhaut, mit gleichzeitiger Aus¬ 
scheidung von Eiweiß durch den Harn, bis zu der Halbsichtigkeit, zu den 
Augenmuskellähmungen und Augenmuskelkrämpfen, bis zu den Veränderungen 
der äußeren Augenteile, die in Gestalt von Hornhauttrübungen bei Arbeitern 



584 Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 

in Bleisalzfabriken beobachtet wurden. Ein Bleisanm braucht dabei nicht 
vorhanden zu sein. 

Das Elend derjenigen, die ihres Augenlichtes durch Blei ganz beraubt 
werden, ist erschütternd. Dr. Raub er-Köslin. 


Beitrag zur Vereinfachung der Helllgkeitsprflfung ln geschlossenen 
Räumen. Von Dr. Walter Albrand, Assistenzarzt der Irrenanstalt Sachsen¬ 
berg in Mecklenburg-Schwerin. Berliner klin. Wochenschrift; 1904, Nr. 52. 

Der kleine Apparat, dessen Tubus 60 cm lang, 5 cm breit und 6 cm 
hoch ist, ist leicht in einer Hand in beliebiger Höhe zu halten, während die 
andere Hund den die Paraffinkerze tragenden Schieber trägt. Die Beleuch¬ 
tungswerte des auf der äußeren Seite eines rechtwinkligen Prismas befindlichen 
und in der Helligkeit zu messenden Kartons sind außen auf einer mit einer 
Schiene verschieblichen Skala an einer Marke abzulesen, nachdem ein auf der 
inneren am Tubus zugekehrten Prismafläche sich befindender Vergleichskarton 
durch Annäherung bczw. Entfernung der Normalkerze mittelst der Schieber 
auf gleiche Helligkeit mit dem äußeren Karton eingestellt ist. Das dem 
Wingen sehen Apparat ähnelnde Instrument gestattet höhere Beleuchtungs¬ 
grade zu messen. Man kann mit ihm noch Helligkeiten von 2500 M. K. be¬ 
stimmen, doch sind die Messungen nur genau bis zu einer Helligkeit von 400 
M. K. Der einfache, billige und leicht zu beschaffende Apparat gestattet, 
eine schnelle Orientierung über die Beleuchtungsverhältnisse an Arbeitsplätzen, 
ähnlich wie der Win gen sehe, aber in größerem Spielraum der Beobachtung. 

Dr. Räuber-Köslin. 


Schulärztliche Tätigkeit und Augenuntersuchungen. Von Dr. Rad- 

ziejewski. Zeitschrift für ärztliche Fortbildung; 1905, Nr. 6. 

Da von den allgemein praktizierenden Aerzten eine völlige Beherrschung 
der Augenheilkunde, insbesondere der schwierigeren Untersuchungsmethoden, 
nicht zu verlangen ist, ist die Anstellung von Schul a u g e n ärzten unbedingt 
erforderlich. Die Feststellung von Sehstörungen bei Schulkindern bedeutet an 
sich kaum einen Fortschritt; erst durch die eingehende Ergründung der Ur¬ 
sache der Störung lassen sich zweckmäßige prophylaktische und therapeutische 
Maßnahmen ermöglichen. Aus R.s Programm über die Regelung der Tätig¬ 
keit der Schulaugenärzte sind die drei wesentlichsten Punkte folgende: 

1. Jedes Kind muß zugleich mit dem Impfschein sofort beim Eintritt 
in die Schule ein Gesundheitsattest mitbringen, besonders hinsichtlich der Sch¬ 
und Hörleistungen, sowie der geistigen Kapazität resp. etwaiger weiterer 
Organerkrankungen. 

2. Sobald — während der Schulperiode — Angehörige oder Lehrer be¬ 
obachten, daß die erforderliche Körperhaltung, Aufmerksamkeit etc. nachlassen, 
müssen Augen, Ohren, Nervensystem vom Schul- (Augen- usw.) Arzt untersucht 
werden. In ärztlich zu bestimmenden Intervallen finden Wiederholungen der 
Untersuchungen statt. 

3. Bei Entlassung aus der Schule: Ausstellung eines Attestes über körper¬ 

liche und geistige Beschgffenheit, u. a. auch durch den Schul- (Augen-) Arzt, 
für die Angehörigen zum Zweck der Unterstützung durch ärztlichen Rat hin¬ 
sichtlich der Auswahl eines Berufes. Dr. Dohrn-Cassel. 


Die Aufgaben des Schularztes ln augenhygienischer Hinsicht. Von 

Dr. Hübner. Reichs-Medizinal-Anzeiger; 1906, Nr. 6. 

Die Zahl der nicht völlig Behtüchtigen Kinder nimmt von den unteren 
Klassen nach den oberen stetig steigend zu. So z. B. betrug auf dem Real¬ 
gymnasium zu Meiningen die Zahl der Sehstörungen auf der Sexta 24 # /„; in 
der Prima stieg sie bis auf 83 °/o. — Die exquisite Schulkrankheit ist die 
Kurzsichtigkeit. Ihre Ursache ist meist die andauernde Naharbeit besonders 
bei schlechter Körperhaltung. Die Folge der Naharbeit ist angestrengte Kon¬ 
vergenz, Erhöhung des Augeninnendrucks, Ausbuchtung des hinteren Skleral- 
pols, Verlängerung der Augenachse — Myopie. 

Was ist gegen die Zunahme der Augenleiden, welche den nationalen 
Wohlstand und die Wehrkraft des Volkes ernstlich bedrohen, zu tun? Neben 



Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


535 


den Schulärzten sind Schulaugenärzte anzustellen. Diese haben besonders 
folgende Aufgaben zu erfüllen: 1. Voruntersuchung sämtlicher neueintretender 
Schulrekruten auf Sehleistung, Farbensinn, einschließlich äußere Untersuchung 
der Augen. 2. Genaue augenärztliche Untersuchung und Ueberwachung aller 
Kinder, bei denen diese Voruntersuchung keine normale Sehleistung oder 
sonstige Abweichungen yon der Norm ergeben hat, einschließlich Verordnung 
der betreffenden Brillen. 3. Prüfung der Helligkeit. 4. Ueberwachung des 
Schulgestühls unter Berücksichtigung des Einflusses der Steilschrift. 5. Ueber¬ 
wachung der typographischen Ausstattung der Schulbücher, einschließlich der 
Schiefertafelfrage. 6. Abhaltung von Elternabenden und Erteilung etwaiger 
Ratschläge bei der Berufswahl. _ Dr. D o h r n - Cassel. 


Epileptische Schulkinder. Von Dr. W. Weygandt. Nach einem 
auf dem L internationalen Kongreß für Schulhygiene zu Nürnberg am 5. April 
1904 gehaltenen Vortrage. Psychiatrisch-neurologische Wochenschrift 1904; 
Nr. 27, 28 u. 29. 

Verfasser gibt eine kurze geschichtliche Uebersicht über die Kenntnis 
epileptischer Krankheitszustände. Die Anfänge des Leidens treten nach Lütt 
in 35 °/o, nach Lange in 53,4 °/ 0 der Fälle vor dem 10. Lebensjahre in Er¬ 
scheinung. In einer Statistik yon 70 eigenen Fällen des Verfassers fiel der 
Krankheitsanfang 35 mal ins erste, 24 mal ins zweite Lebensjahrzent. Die 
Zusammenstellung berücksichtigt Heridität und andere angebliche und wahr¬ 
scheinliche Ursachen, den Typus der epileptischen Krankhejtserscheinungen, 
die begleitenden körperlichen und geistigen Störungen und ihre Bedeutung für 
das praktische Leben der Betroffenen. Da ca. 2 °/oo aller Menschen an Epilepsie 
leidet, deren Beginn in den meisten Fällen in das schulpflichtige Alter 
fällt, gewinnt diese Erkrankung eine hohe Bedeutung für die Schule. 
Verfasser berichtet eingehend über die Erfahrungen, die er in seinen 
Fällen über Störungen im Schulbetriebe gemacht hat, und macht prak¬ 
tische Vorschläge, wie epileptische Kinder yon den Lehrern zu behandeln 
seien. Seine Stellungnahme zu den neueren Bestrebungen, die epilepsiekranken 
Kinder aus den Normalschulen auszusondern, dokumentiert er in den Schlu߬ 
sätzen des Vortrages: „Angesichts der mannigfaltrigen Erscheinungsweise 
der Epilepsie im kindlichen Alter ist eine Absonderung des Unterrichts für 
alle epileptischen Schulkinder nicht am Platze, sondern es empfiehlt sich eine 
Individualisierung, indem geistig Defekte in Idiotenanstalten oder Hilfs¬ 
schulen, sozial Bedenkliche in die Fürsorgeerziehung gehören, Kinder mit ge¬ 
häuften Anfällen in rein ärztliche Behandlung, während Kinder mit ver¬ 
einzelten Symptomen in der Normalschule unter Ueberwachung eines ent¬ 
sprechend informierten Lehrers verbleiben können.“ Auf die in der Debatte 
zu diesem Vortrage von Ber gh an-Braunschweig vertretene gegenteilige An¬ 
sicht, insbesondere auf dessen Forderung nach Sonderschulen für Epileptische 
«widert Verfasser, daß weder die Notwendigkeit, noch die Durchführbarkeit 
dieser Sonderschulen bewiesen sei. Denn einerseits lehre die Statistik, daß die 
ftberaus große Mehrzahl epileptischer Schulkinder tatsächlich gar keine Störungen 
im Schulbetriebe hervorruft, anderseits könne man die Unwahrscheinlichkeit 
der Durchführung jener Forderung daran ermessen, daß bisher nur in den 
wenigsten Städten Sonderschulen für Schwachsinnige errichtet seien, deren 
Zweckmäßigkeit doch unbestritten sei, und die ein viel dringenderes Bedürfnis 
dantellen. _ Dr. Fritz Hoppe-Allenberg. 


Die Schwerhörigkeit in der Schule. Referat und Korreferat von 
Qeh.San.-Rat Dr. Arthur Hartmann-Berlin und Geh. Med.-Rat Professor 
Dr. Passow-Berlin auf der am 9. und 10. Juni <L J. abgehaltenen 14. Ver- 
lammlung der Deutschen otologischen Gesellschaft. 

Prof. Dr. A. Hartmann führt aus, daß, je mehr das Sprachverständnis 
gemindert sei, um so mehr werde die geistige Entwickelung beeinträchtigt. 
Die hochgradig schwerhörigen Schulkinder blieben meist viele Jahre lang in 
den untersten Klassen sitzen oder sie würden in den Hilfs- oder Nebenklassen 
mit den Schwachsinnigen zusammen unterrichtet und in diesen auch als schwach- 
rinnig betrachtet. In Berlin seien einer Klasse für Schwerhörige von 12 schwer¬ 
hörigen Kindern 4 als schwach befähigt übergeben worden; nachdem diese aber 



536 


Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


als Schwerhörige unterrichtet seien, hätten sie sich als geistig ganz normal 
erwiesen. Nach zahlreichen statistischen Erhebungen sei etwa der vierte Teil 
der Schulkinder in schwächerem oder stärkerem Grade schwerhörig und bei 
4—5 Prozent der Kinder das Hörvermögen so geschwächt (Hörweite für 
Flüstersprache 2 m und weniger), daß ihr Fortkommen in der Schule erschwert 
sei, so daß sie besondere Berücksichtigung erfordern. Die Krankheitsprozesse, 
welche der Schwerhörigkeit zugrunde liegen, seien hauptsächlich (etwa 50Proz.) 
die auf Nasen- und Rachenkrankheiten beruhenden Affektionen der Eustachisches 
Röhre, sodann die Eiterungsprozesse und ihre Ueberbleibsel. Etwa 1 Prozent 
der Kinder habe eiternde Ohren und ebensoviele Durchlöcherung des Trommel¬ 
felles nach abgelaufener Eiterung. — Bei der Aushebung zum Militärdieast 
habe in Preußen die Zahl der wegen Ohrenleiden nur zum Landsturm Taug¬ 
lichen oder dauernd zum Militärdienst Untauglichen im Jahre 1903 40ö7 
= 1,07 Proz. der Militärpflichtigen betragen. 

Als Maßregeln, die bezüglich der Schwerhörigen in der Schule zu treffen 
seien, empfiehlt Hartmann: 

1. Die mit Schwerhörigkeit behafteten Kinder sind durch die Hörprüfung • 
sämtlicher Kinder festzustellen. 

2. Es ist darauf hinzuwirken, daß die Schwerhörigen von einem sach¬ 
verständigen Arzte untersucht werden und daß, wenn dies erforderlich, eise 
Behandlung des der Schwerhörigkeit zugrundeliegenden Ohrenleidens stattfindet 

3. Anweisung des Sitzplatzes in der Nähe der Stelle, von der ans der 
Lehrer zu unterrichten pflegt. 

4. Das besser hörende Ohr soll dem Lehrer zugewendet sein. 

5. Das schwerhörige Kind muß in verstärktem Maße kontrolliert werden, 
ob es das Yorgetragene verstanden hat. 

6. Fehler, welche auf das Nichthören zurückzuführen sind, heim Diktat ... 
oder heim mündlichen Rechnen dürfen dem Schwerhörigen nicht angerechnet 
werden. 

7. Es soll dem Schwerhörigen ein geweckter, intelligenter Mitschüler 
beigegeben werden, der ihm Nichtverstandenes erklärt. 

8. Die Mitschüler und die Eltern müssen darauf hingewiesen werden, 
mit dem Schwerhörigen möglichst viel sprachlich zu verkehren, und denselben 
veranlassen, sich möglichst viel an der Unterhaltung zu beteiligen. 

9. Ist das Mitkommen in der Schule erschwert, so müssen Nachhilie- 
stunden gegeben werden. 

10. Bei höheren Graden von Schwerhörigkeit, wenn Flüstersprache nu •• 
auf eine Entfernung von */* m und weniger vernommen wird, muss Einzelnster- - 
rieht gegeben werden, oder es müssen besondere Klassen für Schwerhörige gt- - 
bildet werden, in welchen 10 bis höchstens 15 Kinder zusammen unterrichtet 
werden. (In Berlin bestehen gegenwärtig 6 Klassen für Schwerhörige. In 
einem Schulkreise mit 23000 Kindern wurden 3 Klassen mit 30 Kindern ge- - 
bildet; jede Klasse ist in zwei Abteilungen geteilt.) 

11. Kann den hochgradig schwerhörigen Kindern kein Einzelunterricht : 
oder kein Unterricht in Klassen für Schwerhörige erteilt werden, so müssen sie 

in die Taubstummenschule gebracht werden. Am besten eignen sich hier» v- 
solche Anstalten, an welchen nach dem Vorgänge von München den Höf- 
Testen beim Unterricht besondere Beachtung geschenkt wird. 

Der Korreferent, Prof. Dr. Passow, äußerte sich dahin, daß der Hör* 
untericht sich infolge der günstigen Erfolge immer mehr 
Anhänger erwerbe. Die bisherigen Erfahrungen hätten jedoch ergeben, 
daß der Taubstummenunterricht überhaupt einer gründlichen Revision bedürft. 

Die Totaltauben müßten unbedingt von denen getrennt werden, die noch Höf* 
reste besitzen, und letztere in getrennten Anstalten unterrichtet werden. Dj* 
Einrichtung solcher Anstalten lasse sich leicht dadurch ermöglichen, dsfi*« 
statt neuer Taubstummenanstalten, die sowieso nötig seien, hergestellt würde». 

Die Hauptschwierigkeit bilde die Auswahl der geeigneten Schüler; um darüber 
bestimmte Vorschläge zu machen, müßten erst Erfahrungen gesammelt w erden 
Durch die Abtrennung der Totaltauben werde sich auch die Gebärdensprache 
der Taubstummen kontrollieren lassen, und eventuell eine Einheitsgebira**- 
spräche geschaffen werden können; denn die Taubstummen greifen zu gern flü <t 
Gebärdensprache zurück, und für viele Totaltaube erscheine sie vielleicht noch 



Besprechungen. 


587 


fas emsig Richtige. Er wolle diese jedoch keineswegs an Stelle des Lautier- 
nnterriehts setzen, sondern sie nnr, da sie sich mit Rücksicht auf die Total* 
tauben nicht unterdrücken lasse, gewissermaßen offiziell anerkannt sehen. 

Rpd. 


Versuch des Entwurfes eines Planes zur Entwieklnng der Medizinal« 
reforn» ln Prenssen. Von Med.-Rat Dr. Richter in Remscheid. Aerztl. 
Sachverst.-Zeitung; 1905, Nr. 10. 

Die öffentliche Gesundheitspflege und gerichtliche Medizin sind zu trennen. 
Der Kreisarzt soll die erforderlichen Kenntnisse nachweisen in der öffentlichen 
Gesundheitspflege, der Staatsarzneikunde, der Irrenheilkunde, der Unfall- und 
Verw&ltnngäknnde; der Gerichtsarzt (am Sitz des Landgerichts) in der gericht¬ 
lichen Medizin, der Irrenheilkunde, der Unfallkunde. 

Kreisarzt und Gerichtsarzt sollen ein Gehalt, von 3 zu 8 Jahren um je 
500 Mk. steigend, von 3000—5000 Mk. beziehen; Mietsentschädigung ist zu 
gewähren. Die Dienstaufwandentschädigung für Kreisärzte begreift in sich die 
Besichtigung von Drogenhandlungen, Schulen, Ortschaften usw.; die Reise¬ 
kosten für ansteckende Krankheiten werden besonders liquidiert, da eine Ab¬ 
lösung nicht durchführbar sein wird; die Gebühren verbleiben den Kreisärzten. 
Die Ausübung der Praxis ist verboten; die Pension wird nach den sonst für 
Staatsbeamte gültigen Grundsätzen geregelt und zwar aus dem Gehalt und der 
in Augenblick der Versetzung in den Ruhestand gezahlten Mietsentschädigung. 

Referent ist auch der Ansicht, daß die Kreisärzte in absehbarer Zeit Voll« 
Beamte werden müssen. Man scheint dies mit Hilfe der sozialen Gesetze durch¬ 
führen zu wollen; denn als diese vor einigen Monaten im Landtage zur Beratung 
Müden, äußerte der Herr Minister Graf v. Posadowski-Webner, er habe 
den Gedanken, ob es nicht rationell sei, in jedem Kreise eine neue Behörde zu 
errichten, die sich aus dem Kreisärzte, dem Gewerbebeamten und einem Ver¬ 
waltungsbeamten zusammensetze. Ihnen gemeinsam sei die Handhabung der 
sozialen Gesetze zu übertragen. Dr. Troegcr -Adelnau. 


Besprechungen. 

Profi Dr. C. Hauwerek: Sektionsteohnik für Studierende und 
Aerste. Vierte vermehrte Auflage. Mit 69 teilweise seitigen Abbildungen. 
Gr. 8°, 264 8. Verlag von Gustav Fische r in Jena. Preis: brosch. 5 Mk., 
geh. 6 Mk. 

N. hält entgegen den zutage tretenden Bestrebungen der deutschen pa¬ 
thologischen Gesellschaft an der Sektionstechnik V i r c h o w s fest, da es seiner 
Ansicht nach für die gründliche pathologisch - anatomische Ausbildung der Stu¬ 
dierenden zunächst weit förderlicher ist, „die Organe einzeln in die Hand zu 
nehmen und nach Herzenslust untersqphen zu können, als der nnhandlichcn 
Masse zusammenhängender Organe gegenüberzustehen“. Letzteres resultiert 
ans der Zenker sehen Technik, die auf die Erhaltung des organischen Zu¬ 
sammenhanges das Schwergewicht legt. N. behandelt im ersten Abschnitt die 
,Sektionstechnik“, im zweiten „die Angabe des Sektionsbefundes“; hier wie 
dort wird der Klarlegung der Verhältnisse an Ort nnd Stello sowie der An¬ 
passung der Technik an die Sonderbedürfnisse des Einzclfallcs vollauf Rechnung 
«tragen. Die vorliegende vierte Auflage ist noch durch eine kurze Darstellung 
der Befunde bei Vergiftungen und durch eine Anzahl neuer Abbildungen, die 
durchweg sehr instruktiv sind, vervollständigt. Im Anhang sind die staatlichen 
Vorschriften für Gerichtsärzte wiedergegeben in ihrer Buntschcckigkeit der 
für Preußen, Sachsen, Württemberg, Baden und Sachsen-Weimar-Eisenach 
verschieden lautenden Obduktionsregulative. Das neue preußische Regulativ 
vom 4. Januar konnte dabei leider nicht mehr berücksichtigt werden; gleich¬ 
wohl wird auch die neue Auflage den preußischen Gerichsärzten und 
Medizinalbeamten ein sehr brauchbarer Führer bei den Sektionen sein können. 

Dr. Roepke-Meisungen. 


Br. sei W. Mettmann, Arzt in Neaenbarg: Ueber den sogenannten 
Weiohselsopf. Leipzig 1904. Verlag von Benno K o n e g e n. Kl. 8 °, 69 S. 
Nachdem der Autor, die in der Literatur niedergelegtcn Theorien über 



538 


Besprechungen. 


den Ursprung der Plic&kr&nkheit, einer kritischen Besprechung unterzogen 
hat, werden die Anschauungen der Plikaschriftsteller über das Wesen der 
Wichtelkrankheit und im Anschluß hieran die ärztichen Ansichten mitgeteilt, 
und zwar zuerst die der Anhänger der Plicalehre, sodann die derjenigen Aerzte, 
welche die Eigenschaft als selbständige Krankheit in Abrede stellen. Verfasser 
geht dann auf das Symptomenbild des Wichtelzopfes über und schließt mit 
therapeutischen Bemerkungen, die dieselben sein müssen wie bei anderen Neu¬ 
rosen. _ Dr. Boepke-Melsungen. 

Dr. Alexander Gorwltsoh, Privatdozent der Anatomie in Bern: Mor¬ 
phologie und Biologie der Zelle. Mit 23 Abbildungen im Text. 
Gr. 8°, 487 S. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Preis: 9 M., geh. 10 M. 

G.s Werk schildert in einer auch bei bescheidenen biologischen Kennt¬ 
nissen verständlichen Weise die Zelle als solche und ihr Eigenleben. Die 
Darstellung des Zelllebens zerfällt in die' Schilderung seiner biologischen 
Elemente — I. „Statik und Dynamik der Zelle“; II. „Stoffliche Tätigkeit der 
Zelle“; III. „Fortpflanzung der Zelle“ — und in die Betrachtung der „Zelle 
als Organismus und Individuum“. Zahlreiche und instruktive Abbildungen 
erläutern den Text, dem Literaturenverzeichnis, Sach- und Autorenregister 
angefügt sind. _ Dr. B o e p k e - Melsungen. 


Prof. Dr. Sommer- Gießen: Kriminalpsychologie und strafrechtliche 
Psychopathologie auf naturwissenschaftlicher Grundlage. Leip¬ 
zig 1904. Verlag von Johann Ambrosius Barth. 

Die Bichtung des vorliegenden Buches ist in erster Linie eine diagno¬ 
stische. Es stellt einen Versuch dar, auf Grundlage der einfachen Erfahrung«« 
an psychiatrischen Fällen die in den angeführten Gutachten enthaltenen straf¬ 
rechtlichen Analysen aufzubauen und so gewissermaßen eine kriminalpsycho¬ 
logische Klinik zu schaffen. Aus dem psychiatrischen Gebiet sind nur diejenigen 
Punkte genauer behandelt, die für die Kriminalpsychologie grundlegende Be¬ 
deutung haben, speziell die Anfälle von Geistesstörung, der angeborene Schwach¬ 
sinn und diejenigen erworbenen Schwächezustände, die deutlich ihren endogenen 
Charakter erkennen lassen. 

Besonderer Wert ist auf die sehr ausführlich gehaltenen Gutachten 
gelegt, die ausnahmlos von juristischer Seite anerkannt sind. Anstatt der sonst 
gebräuchlichen scharfen Einteilung in Befund und daran geknüpftes Urteil hat 
Verf. bei den einzelnen Beobachtungen und Untersuchungen gleich ihre Be¬ 
deutung und Wichtigkeita useinandergesetzt; Beobachtungsmatcrial und Schloß 
sind dagegen stets getrennt. Das Verständnis wird durch diese Methode 
besonders für den Laien wesentlich erhöht. In den Gutachten über Schwach¬ 
sinnige ist über die gestellte strafrechtliche Frage hinaus die praktische Auf¬ 
gabe der Fürsorge erörtert. Ferner sind den Gutachten die erreichbaren Fest¬ 
stellungen über das spätere Leben der*Untersuchten und die sich daraus er¬ 
gebende Kritik beigefügt. Als Beispiele sind stets solche Fälle gewählt, 
welche der Diagnose größere Schwierigkeiten entgegenstellten, so daß sich Ge¬ 
legenheit zur eingehenden Besprechung aller einschlägigen Fragen ergibt. 

Abgesehen von einer eingehenden Besprechung der bestehenden gesetz¬ 
lichen Vorschriften macht Verfasser noch eine Beihe von Vorschlägen, die 
nach jeder Bichtung hin größte Beachtung verdienen. So befürwortet er eine 
gerichtliche Einweisung der Alkoholisten und Morphinisten in staatliche An¬ 
stalten. Ferner betont er zu der Frage der Unterbringung krimineller Geistes¬ 
kranker, daß den Personen, die während des Strafvollzuges geistig erkranken, 
die Zeit der psychiatrischen Behandlung, auch wenn sie außerhalb der Straf¬ 
anstalt geschieht, angerechnet werden sollte. 

In dem Abschnitte Uber sexuelle Perversitäten spricht Verf. sich dahin 
aus, daß das Leiden der Homosexuellen lediglich durch eine Gesetzgebung 
entsteht, welche die Aenßerungen des angeborenen Triebes verbietet und diese 
Abart des Menschengeschlechtes ächtet. Nur durch Aufhebung der Straf¬ 
bestimmung mit Einschränkung nach Analogie der Gesetzgebung über allo¬ 
sexuelle Handlungen kann man den anthropologischen Tatsachen gerecht werden. 

Weiterschlägt er vor, den Begriff der geistigen Schwäche, nicht die ver¬ 
minderte Zurechnungsfähigkeit in das Strafgesetzbuch emzuführen. Außerdem 



| Tagesnachrichten. 539 

l 

müßte das Gericht veranlaßt werden, im einzelnen Falle in dem Urteil aus- 
zusprechen, was zur Vermeidung gemeinschädlicher Handlangen hei den einzelnen 
Personen mit geminderter Zurechnungsfähigkeit geschehen soll. 

Für die Erziehungs- oder Besserungsanstalten wünscht Verf. eine mehr 
psychiatrische Leitung, da viele Kinder in das Mittelgebiet der psychopathischen 
Minderwertigkeit gehören. 

Bezüglich der angeborenen Verbrecher wird die Ansicht vertreten, daß 
I es eine relativ kleine Gruppe von Menschen gibt, bei denen sich Krankheits- 
! prozesse oder pathologische Zustände bekannter Art nicht nachweisen lassen, 
während sie einen Hang zu verbrecherischen Handlungen besitzen. Diese endo¬ 
genen Verbrechernaturen dürfen nicht als Geisteskranke bezeichnet werden, sie 
gehören in Detentionsanstalten. 

» Nach Besprechung der Psychologie des Strafvollzuges sowie der Arten 

i and Typen der Verbrecher, wendet sich Verfasser zu der weiteren Entwicklung 
der Kriminalpsychologie. Er wünscht eine Durchdringung des ganzen Straf¬ 
prozesses mit psychologischer Methode, bespricht die Formen falscher An¬ 
schuldigung, Selbstanzeigen, polizeiliche Mißgriffe, Zeugenaussagen und die 
Tätigkeit des Untersuchungsrichters. Um Fehlurteile zu vermeiden, hält er 
eine gesetztlich vorgeschriebene Nachprüfung aller Urteile, welche längere 
| Freiheitsstrafen erkennen, durch die Jastizaufsichtsbehörde mit genauer Unter- 

i suchung der gesamten geistigen Beschaffenheit des Täters unter Berücksichti¬ 

ge seines Vorlebens für das beste Mittel. 

Zum Schluß wird ein Schema zur Untersuchung rechtbrechender Per- 
] sonen entworfen. 

Der Verf. hat sich mit diesem Werke, dem dio weiteste Verbreitung zu 
wünschen ist, ein großes Verdienst erworben. Es ist ungemein klar und in¬ 
teressant geschrieben, enthält eine Menge wichtiger Einzelheiten und beachtens¬ 
werter Vorschläge, die auf reicher Erfahrung und genauer Beobachtung ba¬ 
sieren. Diese Eigenschaften werden es sowohl für den Arzt, als für den Juristen 
bald zu einem unentbehrlichem Hülfsmittel auf diesem schwierigen Gebiete 
machen. _ Dr. Schütte -Osnabrück. 

Tagesnachrichten. 

An der Universität Breslau ist jetzt der Bau eines gerichtsärztlichen 
lastituts ernstlich ins Atige gefaßt; dio dazu erforderlichen Verhandlungen 
sind bereits eingeleitet. Das bei der Universität Königsberg i. Pr. neu 
eingerichtete gerichtsärztliche Institut ist jetzt fertig gestellt und eröffnet. 

Laut Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums 
des Innern vom 31. Juli 1905 sind Gesuche um Zulassung zu der im 
Jahre 1905/06 stattfindenden Prüfung für den ärztlichen Staatsdienst nnter 
Vorlage der Originale des Approbationszeugnisses und des Doktordiploms der 
medizinischen Fakultät einer Universität des Deutschen Beichcs bei Vermeidung 
des Ausschlusses von der Prüfung spätestens bis zum 30. September d. J. 
bei der für den Gesuchsteller zuständigen Königlichen Kreisregierung, K. d. L, 
einzareichen. _ 

Im Großherzogtam Hessen ist unter dem 19. Juni d. J. eine neue 

Dienstanweisung für Hebammen erlassen. 

TodesfaU. Bei dem am 7. d. M. erfolgten schweren Eisenbahn* 
Unglück in der Nähe von Spremberg ist auch ein langjähriges Mitglied des 
Preußischen und Deutschen Medizinalbeamtenvereins, der praktische Arzt 
Br. Neetzke-Landshnt mit seiner Frau und einem 6jährigen Knaben ums 
Leben gekommen. _ 

Ueber den in dieser Zeitschrift s. Z. angekündigten psychiatrischen 
Portbildnngskursus in Uchtspringe wird uns von einem Teilnehmer, San.- 
Äat Dr. Hülsmann in Tangerhütte folgendes berichtet: An dem Kursus 
haben 25 Aerzte in den verschiedensten Altersstnfen und Lebensstellungen 
teilgenommen; etwa die Hälfte davon hatte in dem Anstaltshotel Wohnung 
genommen. Letzteren war Gelegenheit geboten, morgens an den Visiten 




540 


Tagesnachrichtea 


sich za beteiligen, sowie die eingehendere Beobachtang and Begutachtung ein¬ 
zelner Fälle za übernehmen. Aach war für sie ein theoretisch - praktischer 
Kars über Stoffwechsel -Untersuchungen bei Geisteskranken and Epileptikern 
vom Oberarzt Dr. Hoppe im reich ausgestatteten Anstalts - Laboratorium ver¬ 
anstaltet. Jeden Abend von 6—8 Uhr hielt Herr Direktor Alt Vorträge, in 
denen er das Gesamtgebiet der Psychiatrie vorzugsweise nach der praktischen 
und forensischen Seite behandelte, reich illusteiert aus dem großen Anstalts¬ 
material. Seine lichtvolle und geistsprühende Darstellungsweise, die Auswahl 
und die Art der Demonstration der Krankheitsfälle aller Kategorien gewährte 
den Besuchern nicht nur einen wissenschaftlichen, sondern zugleich auch künst¬ 
lerischen Genuß. Sämtliche Teilnehmer waren von der ihnen so zuteil gewordenen 
Förderung, von dem angenehmen kollegialen Verkehr untereinander und mit 
den Anstaltsärzten, sowie auch von der vorzüglichen Verpflegung sehr be¬ 
friedigt, wie dies bei dem Abschiedsessen allseitig zum Ausdruck kam. 


Der 7. Kongress des Deutschen Vereins für Volks- und Jagendspiele 
findet vom 15. bis 18. September in Frankfurt a. M. statt. Anf der Tages¬ 
ordnung stehen folgende Vorträge: 1. „Ueber die Beziehungen zwischen Schale 
and Heer“: Generalarzt a. D. Dr. Meis ne r-Berlin; 2. „Ueber die Erziehung 
zar Selbständigkeit“: Prof. Dr. Koch- Braunschweig und Studiendirektor Prof. 
Ray dt-Leipzig; 8. „ Ueber die frühere und die jetzige Schwimmmethode in 
Frankfurt a.M.“ : Turninspektor W. Weidenbusch-Frankfurt a. M.; 4. .Ueber 
die körperlichen Anlagen, ihre Entwickelung und Ausbildung“: Prof. Dr. 
Finkler-Bonn, Direktor des hygienischen Instituts der Universität; ö. 
„Ueber den Plan eines allgemeinen obligatorischen Spielnachmittags“: Abg. 
von Schenckendorff-Görlitz. Für die Nachmittage beider Vortragstage 
sind verschiedene Spielvorführungen, mit Rudern, Schwimmen usw. vorgesehen. 


Vom 16. bis 1 9. Oktober d. J. findet in Paris der II. internationale 
Milchkongress des „Milchwirtschaftlichen Weltbundes“ statt. Der erste 
wurde vor 2 Jahren in Brüssel abgehalten; seine Verhandlungen wäre» 
wichtig und bedeutungsvoll. Man hofft, für die dritte Tagung im Jahre 1907 
Berlin vorschlagen zu können, doch wird statutengemäß nur dasjenige Land, 
welches jetzt die meisten Interessen dokumentiert, gewählt werden dürfen. 
Die Herren Kollegen werden auf diese wichtige Versammlung auch deshalb 
aufmerksam gemacht, um auf dem Kongreß etwaige Referate zu erstatten. 
Diese werden möglichst bald schriftlich vom Sekretär des Kongresses, Herrn 
Prof. M. J. Troude, Paris 18, Boulevard Barbes 61, erbeten, welcher auck 
Anmeldungen entgegennimmt. Der Beitrag kostet 10 Francs, wofür innerhalb 
Frankreichs Reiseermäßignngcn u. a. Erleichterungen gewährt werden. Die 
6 Abteilungen des Kongresses befassen sich mit der gesamten Milchhygiene 
(Milcherzeugung, Behandlung und Verarbeitung der Milch, Milchwirtscbaftliche 
Gesundheitspflege, Milchwissenschaft, Gesetzgebung, Milchhandel). Nähere Am- 
kunft, Drucksachen usw. sind bei Herrn Oekonomierat C. Boysen, Hamburg 6, 
Kampstraße 46, erhältlich. 


Der von dem ungarischen Minister des Innern ausgesetzte Gesamt- 
Preis von 2000 Kronen für das beste Werk oder die beste Abhandlung über 
die Pathologie und Therapie der Körnerkrankheit wird nach den Vorschlägen 
der aus den Prof. DrDr. Schmidt-Rimpler (Halle a. d. S.), Heß (Würt- 
burg), Emil v. Groß (Budapest) bestehenden Kommission nicht zur Verteilung 
gelangen. Betreffs der Thcrapieder Körnerkrankheit haben sich die Preisrichter 
jedoch einstimmig dahin ausgesprochen, daß die Arbeiten von Herrn Geheimen 
Med.-Rat Prof. Dr. K u h n t in Königsberg in Preußen die besten sind und es 
gerechtfertigt ist, diesem den Preis von 1000 Kronen zuzuerkennen. Die zweite 
Hiilfte des Preises (für pathologische Krankheit) konnte dagegen keiner Arbeit 
zuerkannt werden. 

Ikruckfehlerberichtigung. Auf S. 108 des offiziellen Berichts 
über die XXII. Hauptversammlung des Preußischen Medizinal beamten- 
Vereins muß cs auf Zeile 10 und 19 von oben statt Cleve, „Clerc “ heißen. 

Verantwort!. Redakteur: Dr. Rapmund, Reg.- u. Geh. Med.-Rat in Minden i W. 

J. C. C. Bruns, Herzog!. Säcbs. o. F. Scb.-L. Uofbucbdrnckerel in Minden. 



18. Jahrg. 


Zeitschrift 


1905. 


für 


MEDIZINALBEAMTE. 


Zentralblatt für gerichtliche Medizin und Psychiatrie, 
fir intliche SachTerstandigentatigkeit in Unfall- nnd Inraliditatssaehen, sowie 
: fir lygiene, offentL Sanitatswesen, Medizinal-Gesetzgebung nnd Rechtsprechung 

I Herausgegeben 

TOB 

Dp. OTTO RAPMÜND, 

Begtaronfi- and Gab. Medizinalrat ln Minden. 


i 

• i 




Verlag von Fischers mediz. Buchhandlg, H. Kornfeld, 

HersogL Bayer. Hof- u. EnherxogL Kammer-Bnchlitodler. 

Berlin W. 35, Lützowstr. 10. 


Inserat« nehmen die Verlagshandlung sowie alle Annoncen-Expeditionen des In- 
nnd Auslandes entgegen. 


Nr. 17. 


Rreeheint am 1. and 15. Jedem Biomate 


1. Septbr. 


Oer Unterleibstyphus in Detmold im Sommerund Herbst 1904. 

Nach dem vorhandenen amtlichen Material dargestellt 
v«n Med.-Bat Dr. Yolkhausen, Kreisphysikus in Detmold 

I. Oertliche Verhältnisse. 

Detmold, die Residenz des Fürstentums Lippe, hat nach der 
letzten Volkszählung vom Dezember 1900 eine Einwohnerzahl 
Ton 11898 Seelen, und zwar 5831 männliche und 6137 weibliche 
Personen, die sich auf 1271 Häuser und 2620 Haushaltungen ver¬ 
teilen. Es kommen also im Durchschnitt auf ein Haus 9,4, auf 
jede Haushaltung reichlich 4 Personen und auf jedes Haus etwa 
2 Haushaltungen. Ende 1904 wird es reichlich 13000 Einwohner 
nnd eine Häuserzahl von 1300 gehabt haben, so dass auf jedes 
Hans 10 Einwohner entfallen. 

Die Stadt liegt zwischen den Ausläufern des Teutoburger 
Waldes in dem nach Nord-West offenen Werretale in sehr ge¬ 
schützter Lage. 1 ) Sie ist Residenz des Grafregenten, Sitz der 
obersten Verwaltungsbehörden (eines Landgerichts, zweier Amts¬ 
gerichte, des Oberverwaltungsgerichts, des Kreisverwaltungs¬ 
gerichts), Garnison des Stahes und des 3. Bataillons des 55. Regi¬ 
ments, für das eine neue grosse Kaserne nebst Zubehör am Nord- 
vest&usgange der Stadt gebaut ist. Sie besitzt ferner ein mit 
Realgymnasium verbundenes Gymnasium, Landesseminar, Landes¬ 
bankenhaus, Landesstrafanstalt, ist wenig Fabrikstadt — es sind 
nur drei oder vier Fabriken, mehrere Sägewerke und zwei Bier- 


') Siehe Harte A auf Seite 548. 




542 


Dr. Volkhausen. 


brauereien da —, wird hauptsächlich von Beamten, Rentnern und 
pensionierten Beamten nnd Offizieren bewohnt. Als Ausgangs¬ 
punkt für Touren in den Teutoburger Wald wird Detmold stark 
von Reisenden besucht, da es sowohl von Altenbeken und Hameln, 
als auch von Herford und Bielefeld leicht mit der Eisenbahn er¬ 
reicht werden kann. 

Detmold hat, selbst in der Altstadt, breite, mit Kopfpflaster 
und beiderseitigen Gehbahnen versehene Strassen — einige aller¬ 
dings noch mit Beschotterung —, während die verschiedenen neuen 
Stadtteile sämtlich villenartig angelegt sind. Durchzogen wird die 
Altstadt von den alten Feuerkanälen unter den Gehbahnen, die 
bei der Neustadt von dem sogenannten Kanal gespeist werden 
und in die Werre münden. In diese Kanäle, die grösstenteils 
verstopft sind, fliessen Regenwasser, Spülwasser, oft auch wohl 
Fäkalien hinein, teilweise fliessen diese auch direkt in die gleich zu 
beschreibenden Flussläufe. Solange die jetzt im Bau begriffene 
Kanalisation mit Zwangsanschluss nicht fertig ist, werden die 
Fäkalien meistens in zementierten Gruben gesammelt und in städti¬ 
schen Wagen abgefahren, oder aber mit dem Viehdünger gemein¬ 
sam verwahrt und verwandt. Die Stadt besitzt ferner eine Gas¬ 
anstalt und einen Schlachthof, dessen geklärte Abwässer unterhalb 
Detmolds in die Werre münden. Für Reinlichkeit auf den Strassen 
sorgen zwei Sprengwagen und eine Reinigungsmaschine. 

Die Stadt wird von der Werre und einem linksseitigen Neben¬ 
flüsse derselben, der Berlebecke, berührt bezw. durchflossen. Die 
Werre, ein linksseitiger Nebenfluss der Weser, entspringt ungefähr 
12 km oberhalb Detmold bei dem Dorfe Wehren, fliesst dann durch 
die Dörfer Meinberg (Fürstliches Bad), Wilberg, — wo sie die teil¬ 
weise durchgeführte Kanalisation von Meinberg aufhimmt — Schme¬ 
dissen, Schönemark, Kemminghausen, Spork nach Detmold, dessen 
östlichen Teil sie durchfliesst, wobei sie allerhand Abwässer der 
Stadt aufnimmt. Vor ihrem Einflüsse in Detmold ist sie zu Bade¬ 
zwecken teichartig angestaut. In Detmold nimmt sie den Abfluss 
des Burggrabens und unterhalb der Stadt den sogenannten 
Knochenbach, den alten Lauf der Berlebecke auf. Die Werre hat 
wenig Wasser; Fabriken sind in ihrem Tale bis Detmold nicht. 
Die oberhalb Detmolds auf dem rechten Werreufer liegende Bier¬ 
brauerei Falkenkrug hat seit einigen Jahren für ihre Abwässer 
hinreichend Rieselfelder zur Verfügung. Die Berlebecke, ein 
linker Nebenfluss der Werre, entspringt im Teutoburger Walde 
in der allen Touristen wohlbekannten Berlebecker Quelle, fliesst 
durch das Dorf Berlebecke, wo sie zum Mühlenbetriebe nutzbar 
gemacht wird und die Abwässer einer Papiermühle aufnimmt, 
über Heiligenkirchen, wo sich ihr rechts die von Horn kommende 
Wienbecke zugesellt, nach Detmold. Kurz oberhalb Detmolds ist 
sie bei der sogenannten Obernmühle hoch gestaut. Der grösste 
Teil des Wassers fliesst von hier als Kanal durch die Allee an 
der Neustadt vorbei, wobei der Inhalt mancher Rohre und Kanäle 
aufgenommen wird, sodann um den westlichen Teil der Detmolder 











544 


Dr. Volkhausen. 


Altstalt zum Burggraben, der das Fürstliche Schloss von drei Seiten 
umgibt, und von dort zur Werre. Das rechte Bett der Berlebecke 
heisst von der Obernmühle ab Enochenbach. Dieser enthält zur 
Sommerzeit stellenweise mitunter kein Wasser, wenn nicht vom 
Stau nachgespült wird, fliesst durch die Gärten der nordwestlichen 
Villenstadt und mündet unterhalb Detmolds in die Werre. So weit 
dieser Bach in der Stadt fliesst, ist er grösstenteils auf beiden 
Seiten gemauert. Aus diesen Mauern lugen allerlei heimliche und 
unheimliche Rohre hervor, die ihren Inhalt in sein Bett entleeren, 
so dass es stellenweise sehr verschmutzt ist. Auch zwei Bier¬ 
brauereien, Neuer Krug und Aktienbierbrauerei, entleeren ihren 
Inhalt in diesen Wasserlauf. 

Die Wasserversorgung der Stadt geschieht durch eine 
Hochquellenleitung vom Teutoburger Walde, ein hochherziges Ge¬ 
schenk des verstorbenen Grafregenten Emst zur Lippe-Biesterfeld. 
Da diese Wasserleitung in unserer Epidemie eine grosse Rolle zu 
spielen berufen ist, so dürfte es angezeigt sein, sie etwas genauer 
zu schildern: 

In geologischer Hinsicht setzt sich der Tentohnrger Wald im wesent¬ 
lichen ans drei, in der Eichtang SO. nach NW. streichenden Höhenzügen zu¬ 
sammen, die durch Längstäler voneinander getrennt und durch ihren verschieden¬ 
artigen geologischen Aufbau charakterisiert sind. Der nördlichste dieser 
Höhenzüge besteht aus Schichten der Muschelkalkformation — Hiddesser Berg, 
Königsberg —, der mittlere baut sich aus den Sandsteinen der unteren Kreide¬ 
formation (Neokom) und Flammmergel (Gault) an — Grotenburg, Stemberg —, 
der südlichste und ausgedehnteste gehört der oberen Kreide, dem Pläner an 
(Winfeld, Gauseköte). — Die Berlebecker Quellen liegen im Gebiete des Pläners 
und entspringen in einem Quertale, das Muschelkalk und Neokomsandstein im 
Dorfe Berlebeck durchbricht und in der Bichtang Wiggengründe—Gauseköte in 
das Plänergebiet eindringt. Als das Entwässerungsgebiet, dem die Quellen ihre 
Entstehung vordanken 1 ), kommt in erster Linie der amphithcatralische Talkessel 
in Betracht, der sich vom Winfeldo nach den Quellen hinabzieht, wahrschein¬ 
lich aber auch noch ein Teil des Winfeldes und seiner Umgebung. Die sämt¬ 
lichen Gcbirgsschichten, diehier zutage treten, gehören der unteren und mitt¬ 
leren Abteilung der oberen Kreide (Cenoman und Turon) an und bestehen aus 
einem brüchigen, vielfach zerklüfteten und wegen seiner großen Durch¬ 
lässigkeit für Wasser seit lange bekannten Kalksteine. In diesen Plänerkalken 
sickern die atmosphärischen Niederschläge, ohne sich an bestimmte Schichten 
zu binden, bis zu großer Tiefe ein; erst wenn sie auf eine undurchlässige 
Schicht stoßen, werden sie auf dieser zutage geführt. So erklärt es sich, daß 
Quellen am ganzen Südabhange des Teutoburger Waldes so gut wie ganz 
fehlen und erst in einiger Entfernung vom Fuße des Waldes in einer durch¬ 
schnittlichen Meereshöhe von ca. 160 m zahlreich und in großer Ergiebigkeit 
auftreten (Emsquellen). Bäche, die in das Gebiet des Pläners eintreten, ver¬ 
lieren ihr Wasser mehr und mehr und versiegen unter Umständen gänzlich, 
z. B. die Strote bei Kohlstädt (am Südwestabhange des Teutoburger Waldes) 
und der Schnakenbach, der am Tönsberg bei Oerlinghausen (am Nordostab- 
hange des Teutoburger Waldes, etwa in der Mitte zwischen der Grotenburg 
und Bielefeld) entspringt und verschwindet, sobald er den Pläner erreicht. 
Mit dieser Durchlässigkeit des Gesteins muß auch bei den Berlebecker QueUen, 
die ihre Wasserzufuhr allein dem Pläner verdanken, gerechnet werden. Die 
Quellmündung steht im Cenomanpläner — das charakteristische Leitfossil, 
Ammonit es varians, kam in Menge zutage, als s. Z. der Stollen vorgetrieben 
wurde, in dem die städtische Wasserleitung ihren Ursprung nimmt. Unter 
dem Cenomanpläner aber liegen die Cenomanmergel, die in der Nähe etwas 
weiter talabwärts beim Bau der elektrischen Bahn aufgeschlossen sind. Diese 


*) Siehe die Karte A auf Seite 543. 



Der Unterleibstyphus in Detmold im Sommer und Herbst 1904. 646 


Mergel sind viel weniger durchlässig, als die zerklüfteten Kalke; sie bilden 
die Grundlage, auf der an zahlreichen Stellen auf der Nordseite des Teuto¬ 
burger Waldes — so auch bei Berlebeck — Quellen auftreten. 

Ueber die Plänerschichten legt sich am Nordfuße des Teutoburger Waldes 
eine Plugsandschicht von verschiedener Mächtigkeit, die sich bis in die un¬ 
mittelbare Umgebung der Berlcbecker Quellen verfolgen läßt. Dieser Flugsand 
ist nach Abschluß der Diluvialzeit durch die herrschenden Südwestwinde in 
den Tälern, die sich von der Senne zum Kamme des Gebirges hinaufziehen, 
aufwärtsgetrieben und diesseits des Kammes im Druckschatten des Windes 
niedergefallen. Wo dieser Sand die Plänerkalke in genügend dichter Schicht 
bedeckt, bildet er eine natürliche Filtervorrichtung, wo er aber fehlt, da dringt 
das Wasser unfiltriert in den Plänerkalk ein. Nun ist nicht zu bezweifeln 
und in zahlreichen Fällen experimentell festgestellt, daß sich unter der fort¬ 
dauernden Einwirkung des Wassers im Plänerkalke zahlreiche, weit verzweigte 
und untereinander kommunizierende Spaltensysteme gebildet haben, so daß die 
unterirdischen Wasserläufe, auch wenn sie getrennt zutage treten, doch in 
mannigfacher Verbindung unter einander stehen. — Der Untergrund von Det¬ 
mold selbst ist lehmhaltiger Kies und Schottere; über dem Schotter liegt 
eine etwa */* m dicke Sandschicht 

Wie schon erwähnt, erhält die Stadt Detmold den Bedarf an Trink- und 
Gebrauchswasser aus dem Berlebecker Quellgebiet 1 )* Von den drei 
vorhandenen Quellen wurde die am tiefsten gelegene gewählt. Als Wasserfassung 
wurde ein Stollen in den Kalkstein getrieben, dessen Sohle etwa 2 m tiefer 
liegt, als der frühere Austritt der Quelle, so daß diese versiegte, als die wasser¬ 
führenden Spalten angeschlagen wurden. Der Stollen ist ca. 60 m lang, 
seine hintere Hälfte liefert kein Wasser. Der Querschnitt ist in nebenstehender 
Skizze angegeben. Das Wasser sammelt sich in dem mit Sandsteinplatten ab¬ 
gedeckten unteren Teil des Stollens, von wo es in dem 250 mm weiten Schlitz¬ 
rohr zur Quellkammer gelangt. Der Stollen ist aus Ziegelsteinen mit Zement¬ 
mörtel hergestellt und innen mit Zement verputzt. An seinem hinteren 
Ende befindet sich ein besteigbarer Luftschacht, der ca. 3 m über Terrain 
geführt und gegen Unfug durch eine geeignete Abdeckung vollkommen ge¬ 
schützt ist. 

Die Quellkammer ist schematisch in nachfolgender Skizze C.*) ange¬ 
geben: Das Wasser gelangt zunächst in die Vorkammer A und läuft von da 
über die Mauer B in die Hauptkammer; durch die mit einem Siebkopf und Schieber 
versehene Rohrmündung D gelangt das Wasser dann durch eine 250 mm starke 
und ca. 6,6 km lange eiserne Gußrohrleitung zum Hochbehälter. Das von der 
Stadt nicht gebrauchte Wasser läuft durch den Ueberlauf E in die Berlebecke. 
Der Auslauf befindet sich in der Nähe der Endstation der elektrischen Straßen- 
b ahn ; er ist durch ein Sieb geschützt. Durch dieselbe Leitung können die Quell- 
kammern mittelst des Schiebers F entleert werden. Im vorigen Sommer wurde 
etwa ein Drittel der Wasserlieferung in Detmold gebraucht, während etwa 
zwei Drittel durch den Ueberlauf in die Berlebecke gelangten. Es braucht 
daher eine andere Quelle (die sogenannte Hirschsprungquelle) '), die sich oberhalb 
hart an dem Wege Berlebeck — Kreuzkrug — Lippspringe befindet und eben¬ 
falls im Besitze der Stadt ist, auf absehbare Zeit noch nicht in Betrieb ge¬ 
nommen zu werden. Der Hochbehälter befindet sich westlich der Stadt 
auf dem Hiddesser Berge 8 ). Er besteht aus zwei in Beton hergestellten und 
immer wasserdicht geputzten Kammern von je 500 cbm Inhalt. Jede Kammer 
hat einen Zulauf aus der 250 mm Leitung von Berlebeck. Sind beide Kammern 
voll, so schließen zwei selbsttätige Schwimmventile die Zubringerleitung, das 
Wasser staut sich in der Leitung und die Quellen laufen in Berlebeck über. 
Jede Kammer kann für sich behufs Reinigung ausgeschaltet und entleert werden. 
Vom Hochbehälter gelangt das Wasser in einem 250 mm weiten eisernen Gußrohr 
zur Stadt. Der Druck in der Stadt schwankt nach der Höhenlage zwischen 6,6 
und 2 Atmosphären. Auf der Strecke von Berlebeck bis zum Hochbehälter 
wird kein Wasser abgegeben. 

i) Siehe Karte B auf Seite 646. 

*) Siehe Skizze C auf S. 547. 

•) Siehe Karte A auf Seite 643. 



Berlebecher (hielten nebst Umgebung. 


Dr. Volkbausen. 



































Der Unterleibstyphus in Detmold im Sommer and Herbst 1904. 647 


vce/CZ (rrundrys 


I Stofon I! 


ScJliitxrohr 


l Em g an g 


rBertebeckes. 


Entleerung 

'Üeberlauf 


xunv Hochbehälter 


Vf 

0,3£f 


Längsschnitt der üuettkamma 


Stollens 


vBdag 


Sieb. 


\Ej$bettg u*£ . 


'/SchlUerohr. 


Wübadte. 




H. TBrlcammer. D. Rohrleitung xarrvEochbehcdter. 

JO- ITbeHaafhiauer E. l/berlcutf 

C. Hcuifutkammer. JEEntteerungsrohr. G..Einlauf>des Schütz rohres 

aus dem' Stollen* in die.' 
Gu e tU cajmrtec. 



r 


bs-,_ 





. 3*1 

\<N^ 


d,SO?tü. 















548 


Dr. Volkhausen. 


Die vor Anlage der Leitung von Korpsapotheker Herrn Pohl in Mfinster 
L W. vorgenommene Untersuchung des Wassers hatte folgendes Er¬ 
gebnis. Physikalischer Befand: 

Farbe: klar. Geschmack: fehlt. 

Geruch: fehlt. Beaktion: neutral. 


Chemischer Befund (im Liter): 

Chlor: 10,65 mg. Ammoniak: fehlt. 

Schwefelsäure: äußerst geringe Spuren. Eisen: fehlt. 

Salpetersäure: fehlt, Phosphorsäure: fehlt. 

Salpetrige Säure: fehlt. Schwefelwasserstoff: fehlt. 

Organische Substanz: Verbrauch an Kali permang.: 3,38 mg. 

Gesamthärte: 9°, bleibende Härte: 1,5°. 

Die am Platze angelegten Plattenkulturen ergaben: Platte I: keine 
Kolonien im Kubikzentimeter, Platte II: 1 Kolonie, Platte III: 3 Kolonien, 
Platte IV: keine Kolonien. 

Das Wasser enthielt 0,01025 °/ 0 Kalk (auf Calciumoxyd berechnet) und 
Magnesium in kaum nachweisbaren Spuren. 

Das Wasser ist also an sich als ein nach jeder 
Hinsicht hin vorzügliches za betrachten. 

Die Sterbeziffer Detmolds berechnet sich einschliesslich 
der Totgeborenen für das Jahr 1901 auf 11,1 # / 00 , 1902 auf 11,5 °/ 00 , 
1903 auf 14,1 °/ 00 der Bevölkerung, bleibt also weit unter den 
Durchschnitt (1903: 19,9 °/ 00 in Preussen). 

Was die Infektionskrankheiten betrifft, die in den 
letzten Jahren in Detmold geherrscht haben, so verteilen sich 
diese auf die einzelnen Jahre folgendermassen: 


1880 

Typhus 

35 

Diphtherie Scharlach 

1892 

Typhus Diphtherie Scharlach 
3 3 2 

1881 

31 

— 

— 

1893 

2 

39 

— 

1882 

10 

— 

— 

1894 

8 

58 

— 

1883 

7 

— 

— 

1895 

4 

52 

8 

1884 

31 

— 

3 

1896 

1 

75 

20 

1885 

15 

— 

— 

1897 

13 

23 

1 

1886 

8 

12 

31 

1898 

20 

27 

13 

1887 

4 

9 

35 

1899 

2 

20 

22 

1888 

2 

43 

2 

1900 

— 

17 

7 

1889 

6 

26 

7 

1901 

12 

1 

11 

1890 

11 

26 

20 

1902 

— 

14 

29 

1891 

— 

16 

14 

1903 

— 

23 

97 


Das Jahr 1904 hat 16 Scharlach- und 12 Diphtheriefälle 
und, abgesehen von der grossen Typhusepidemie im Herbst, einige 
vereinzelte Typhusfälle im Frühjahr gebracht. 

Die Infektionskrankheiten der ebenfalls zu meinem Physikats- 
bezirke gehörenden benachbarten Stadt Horn (Einwohnerzahl 2063) 
stellten sich für den Zeitraum von 1895—1904 folgendermassen: 


Typhus Diphtherie Scharlach 

1895 1 8 1 

1896 18 — 

1897 2 5- 

1898 1 13 3 

1399 1 6 4 


Typhus Diphtherie Scharlach 

1900 3 2 4 

1901 8 2 — 

1902 4 4 45 

1903 3 4 4 

1904 7 6 — 


Im ländlichen Physikatsbezirke kamen an Infektionskrank¬ 
heiten von 1900 an vor: 

Typhus Diphtherie Scharlach Typhus Diphtherie Scharlach 

1900 1 — — 1903 7 50 82 

1901 21 41 6 1904 64 18 8 

1902 1 25 33 



Der Unterleibstyphus in Detmold im Sommer and Herbst 1904. 649 

Die 64 Typhusfälle im Jahre 1904 kommen grösstenteils auf 
Rechnung der Detmolder Epidemie. 

IL Entstehungsursache der Epidemie. 

Wie wir sehen, liess sich das Jahr 1904 für Detmold, was 
ansteckende Krankheiten betrifft, recht gut an. Da brach Ende 
August das Unglück mit elementarer Gewalt über die Stadt herein: 

Am 23. August war als Vorläuferin eine 15jährige Tochter 
als typhuskrank angemeldet. Ueber diesen Fall schrieb ich s. Z.: 

„Die Entstehungsursache des Typhus kann zurzeit nicht ermittelt werden. 
Es ist im Hause Wasserleitung, die Milch wird aus Hornoldendorf in ge¬ 
schlossenen Gefäßen bezogen und vor dem Genuß */« Stunde gekocht. Die 
Kranke selbst hat wenig mit anderen Kindern verkehrt (zurzeit besteht kein 
Typhus bei den Schülerinnen), hat keinen Besuch gehabt und ist selbst nicht 
verreist gewesen. Von seiten der Eltern und des behandelnden Arztes wird 
die Badeanstalt ins Auge gefaßt, da die Kranke viel gebadet hat. Doch liegt 
nach meiner Meinung hierzu keine Veranlassung vor, wenn sich der Typhus 
unter den Badenden nicht noch ausbreiten sollte." 

Es sollte aber ganz anders kommen. Die Aerzte waren schon 
vor dem 29. August einige Tage in Unruhe gewesen über eine 
verdächtige Erkrankung, die sich zahlreich in der Stadt zeigte, 
und der man nach ein paar Tagen Beobachtung den Charakter 
als Typhus nicht absprechen konnte. Vom 29. August an folgten 
nun die Meldungen Schlag auf Schlag. Die Krankheit zeigte sich 
in allen Teilen der Stadt, überfiel alle Berufsklassen, jedes Ge* 
schlecht und jedes Alter — wenn auch selbstredend mit Unter¬ 
schied. Ihre Gesamtzahl betrug unter der Zivilbevölkerung 740, 
davon entfielen nicht weniger als 563 (177, 148, 141 und 94) = 
76 %, also über s / 4 der Gesamtzahl auf die ersten 4 Wochen; ein 
derartig massenhaftes und explosionsartiges Auftreten, wie man es 
erfahrungsgemäss vorzugsweise bei durch Infektion von Wasser¬ 
leitungen verursachten Typhusepidemien findet. 

Das explosionsartige Entstehen der Seuche an verschiedenen 
Enden und Teilen der Stadt, und das rasche Anschwellen der Er¬ 
krankungsziffer Hessen von vornherein die Annahme mehrerer Herde, 
von denen sich manchmal die Weiterentwickelung einer Seuche all- 
mähUch verfolgen lässt, nicht zu. Man konnte nur an ein Agens 
denken, das sämtlichen Bewohnern Detmolds zugleich mehr oder 
weniger zugänglich war, also an Milch, Butter, Gemüse, Fleisch, 
Badeanstalt und Wasserleitung. Die Stadt bezieht aus der ganzen 
Umgegend ihre Milch und Butter. Es verkehren in ihr tägUch 
ca. 15—20 Milchführwerke. Nun war freiUch ein paar Kilometer 
oberhalb Detmolds ein Knabe zu der fraglichen Zeit an einer ver¬ 
dächtigen Krankheit — mehrtägiges Fieber, Kopfweh und Ver¬ 
stopfung — erkrankt gewesen, dessen Mutter den Falkenkrüger 
Milchwagen fuhr, desgleichen war die Frau des Fahrers der Det¬ 
molder Molkerei sicher an Typhus zu der in Frage kommenden 
Zeit erkrankt, — von einem auswärtigen Biochemiker behandelt 
und nicht angemeldet — so dass man hätte hier die Quelle wohl 
suchen können, wenn dies die einzigen MilchHeferanten gewesen 
wären. Da aber die Erkrankten sich ziemUch gleichmässig auf 



550 


Dr. Volkhausen. 


alle Milchproduzenten verteilten, so schieden Milch nnd Bntter ans 
dem Verdachte ans. Viele Erkrankte brauchten anch eigene 
Ziegenmilch. 

Gemüse wird nur zum kleinen Teil von den Einwohnern 
selbst gezogen. Das meiste wird anf dem dreimal wöchentlich 
stattfindenden Wochenmarkte gekauft und stammt aus näherer und 
weiterer Umgebung Detmolds (bis 20 km). Auf diesem Wochen¬ 
markte wird auch etwas Fleisch von auswärts verkauft, das übrige 
— der weitaus grösste Teil — muss das städtische Schlachthaus 
passieren. Gesetzt den Fall, hier wäre die Quelle der Ansteckung 
gewesen, so hätte doch nur das beim Abspiilen des Fleisches und 
Reinigen des Gemüses gebrauchte Wasser in Frage kommen können; 
Gemüse und Fleisch scheiden daher ebenfalls aus. 

Von seiten des Garnisonlazaretts wurde die hinter dem Exer¬ 
zierhause gelegene Badeanstalt beschuldigt, weil die Erkrankung 
zuerst beim Militär konstatiert war, die Soldaten sämtlich gebadet 
hatten und im Werretale oberhalb Detmolds, allerdings 5 km ent¬ 
fernt, zu der fraglichen Zeit bei einer Frau eine allerdings ärztlich 
nicht beobachtete verdächtige Erkrankung vorgekommen war, der 
man die Infektion wohl hätte zur Last legen können. Aber bei der 
Tatsache, dass der weitaus grösste Teil der Erkrankten — Kinder 
und Dienstmädchen — nicht gebadet hatte und dass die Wasser¬ 
untersuchung in Göttingen negativ ausgefallen war, konnte man 
an diesem Verdachte nicht mehr festhalten, wenn der letztere Um¬ 
stand auch nur wenig beweisend war. Dazu kam dann noch die 
Erwägung, dass Typhusbazillen auf dem 5 km langen Wege im 
Werrewasser unter der Einwirkung des Sonnenlichtes sicherlich 
nicht mehr lebens- und ansteckungsfähig bis zur Badeanstalt ge¬ 
langt wären, zumal das Gefälle sehr gering ist. 

Es blieb also nur der Stolz der Stadt, die schöne Quell¬ 
wasserleitung übrig. Schon am 29. August schrieb der Ver¬ 
fasser an die Fürstliche Regierung: 

„Dem Gesetze gemäß teile ich hierdurch mit, daß hier in Detmold der 
Typhus in erschreckender Weise haust, und zwar tritt derselbe nicht etwa in 
einem Bezirke, sondern in der ganzen Stadt zerstreut auf. . . . Ich habe sofort 
beim Magistrat beantragt, 5—6 Proben aus der Wasserleitung und aus der 
Badeanstalt zu entnehmen und an das hygienische Institut in Göttingen zwecks 
Feststellung des Keimgehaltes und event. Typhusbazillen zu schicken.“ 

Es wurden nun Proben aus der Badeanstalt, aus verschiedenen 
Zapfhähnen der Stadt, aus Brunnen, aus dem Hochbehälter und aus 
dem Quellenstollen entnommen. Die Untersuchung ergab ein sehr 
günstiges Resultat, indem weder Typhusbakterien, noch andere 
Eirankheitskeime, noch gewöhnliche Darmbakterien gefunden wurden. 
Die Keimzahl im Leitungswasser war sehr gering: 22—88 p. ccm, 
selbst im Wasser der Badeanstalt blieb dieselbe unter 900. Die 
zwei Tage später aus dem Hochbehälter und dem Quellenstollen 
entnommenen Proben enthielten eine grössere Ziffer — bis 800. 
Doch wurde von Göttingen darauf hingewiesen, dass diese erhöhte 
Zahl vielleicht ihre Ursache in der ungenügenden Eisverpackung 
der Wasserproben ihren Grund hätte. Selbstredend beruhigte uns 
diese Auskunft nicht, wenn auch Herr Prof. Emme rieh-München, 



Der Unterleibstyphus in Detmold im Sommer und Herbst 1904. 661 


der sofort von Gelsenkirchen nach hier geeilt war (8. Sept.), das 
Wasser ansschliessen zu können glaubte. Derselbe schob die 
Schuld auf die kolossale Dörre, das Sinken des Grundwassers, 
den stark durchseuchten Untergrund Detmolds und auf die Erd¬ 
arbeiten, die zu der Zeit vielfach bei der Kanalisation in Angriff 
genommen waren. Sodann wies er auf die Uebertragung durch 
Insekten hin. Und es sprach auch manches für diese Ansicht: 
Es war seit Monaten sozusagen kein Tropfen Regen gefallen, das 
Grundwasser stark gesunken; ausserdem wurde an vielen Stellen 
der Stadt gebuddelt; infolge hiervon und infolge der Dürre lag 
viel Staub in den Strassen. Die Dienstmädchen mussten 
täglich fegen, Kinder spielten viel im Staube, Soldaten machten 
Marschübungen; dazu kam noch, dass am 18. August ein unheim¬ 
licher Sturm getobt und den Staub bis in das Innerste der Häuser 
geweht hatte. Auch ist der Staub als Träger und Verbreiter der 
Bazillen wohl nicht ganz von der Hand zu weisen. Die Tatsache der 
zahlreichen Erkrankungen von Dienstmädchen, Köchinnen, Kindern 
liess sich aber besser durch das Wasser erklären — erstere 
hantieren viel mit Wasser, letztere gemessen erfahrungsgemäss 
viel Wasser —. Weiterhin deutete das Verschontbleiben der 
Fürstlichen Häuser, die eine eigene Wasserleitung haben, und das 
geringe Befallen des Stadtteils Rödlinghausen, der nicht an die 
städtische Leitung angeschlossen ist, doch immer wieder mit 
zwingender Notwendigkeit auf die Wasserleitung hin. Es wurde 
daher bereitwillig auf jeden geäusserten Verdacht eingegangen, 
auch schon der Beruhigung der Einwohner wegen. Es war geradezu 
unglaublich, von wieviel unberufenen und berufenen Seiten Mittel 
und Wege entdeckt wurden, von denen eine Durchseuchung der 
Wasserleitung zustande gekommen sei. In erster Linie wurden 
die Rohrbrüche ins Auge gefasst. Dass nur ein Bruch im Haupt¬ 
rohr bezichtigt werden konnte, lag auf der Hand, und zwar so 
nahe wie möglich nach dem Hochbehälter hin. Am 16. August 
war in der Hornschen Strasse ein solcher gewesen; die ersten 
Fälle hätten jedoch dann in dieser Strasse sein müssen. Dazu kam 
noch, dass oberhalb in der Allee Fälle aufgetreten waren; also 
konnte das Einlegen eines Rohres in der Hornschen Strasse nicht 
schuld sein. Anbohrungen der Rohrleitung können überhaupt nicht 
in Betracht kommen, da solche stets unter Druck vorgenommen 
werden. Vielfach wurde ferner auf die Hydranten hingewiesen, aus 
denen beim Oeflnen schmutziges, bezw. rötliches Wasser flösse. Dass 
sich im Strassenpflaster oberhalb der Hydranten Schmutz sammelt 
und sich in den toten Enden Eisenoxyd ansetzt, kümmerte nie¬ 
manden; erst eine amtliche Bekanntmachung, welche die Ansicht 
des Herrn Geh. Rat Koch wiedergab, brachte diese Anklage zum 
Verstummen. Von anderen wurde wiederum behauptet, dass Mitte 
August das Wasser einen Tag schlecht geschmeckt habe, und dass 
von diesem Tag die Infektion herrühre. Der schlechte Geschmack 
war Tatsache; er rührte aber von einem Teeranstriche im Hochbe¬ 
hälter her. Selbst wenn man zugeben konnte, dass der Handwerker 
Ansteckungsstoff in den Hochbehälter getragen hatte, so war dies 



552 


Dr. Volkhausen. 


doch ganz irrelevant, da der Anstrich schon im Jnli gemacht 
worden war. 

Sodann wurde darüber geklagt, dass der Hochbehälter nicht 
genügend verwahrt, sondern einer direkten Verschmntznng von 
aussen zagängig sei. Die an der Südseite des Hochbehälters be¬ 
findliche eiserne Doppeltür hat allerdings anf beiden Seiten in 
ihrem oberen Teile ein engmaschiges Drahtgitter, durch das 
Kinder ganz kleine Sternchen und dergl. vielleicht einmal werfen 
können, aber diese in das Wasser zu werfen, ist unmöglich, da 
sich zwischen Tür und Wasser noch ein breiter Vorraum befindet. 
Ebenso ist es unmöglich, dass durch die mit Kappe und Gitter 
versehenen Dunstrohre etwas hineingeworfen werden kann, zumal 
diese Bohre ebenfalls in den erwähnten Vorraum münden. Von 
mir selbst wurde auf die Tatsache hingewiesen, dass die Arbeiter 
den Hochbehälter zwecks Reinigens mit ihren schmutzigen Stiefeln 
und Geräten beträten, und dass doch trotz stundenlangem Nach- 
spülens vielleicht etwas haften bleiben könne. Die Reinigung, 
bei der etwa */, cbm reiner Sand entfernt wird, findet aber nur 
zweimal im Jahre, im April und Oktober, statt; sie konnte also 
für die Epidemie auch nicht in Betracht kommen. 

Da nun zwischen Hochbehälter und Stollen im Gebirge kein 
Rohrbruch oder Anbohrung vorgekommen war, so konnte man nur 
an Verunreinigung des Stollens selbst denken. Mehrfach wurde des¬ 
halb dieser, sowie die Gegend um denselben von ärztlichen und 
technischen Sachverständigen untersucht, besonders vom Herrn 
Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Koch und Herrn Reg.-Rat Prof. Dr. Beck, 
die, vom Reichsgesundheitsamte auf Bitten der Fürstl. Regierung 
geschickt, am 25. September hier ankamen. Vom Generalkommando 
Münster war schon vorher Herr Oberarzt Dr. Nötel als Bakterio¬ 
loge nach Detmold geschickt. Oberhalb des Stollens liegen weder 
Häuser, noch Aecker, von denen ausgehend eine Infektion hätte 
stattfinden können. Es lenkte sich daher in erster Linie, oder 
eigentlich überhaupt nur der Verdacht auf die Sommerfrische 
Johannaberg, die aus einem im Schweizerstyl erbauten Haupt¬ 
gebäude und zwei Nebengebäuden, eines oberhalb und eines unter¬ 
halb des Hauptgebäudes, besteht. Der ganze Gebäudekomplex 
liegt talabwärts und links seitlich der Quellen, aber hoch über 
ihnen und in einer Entfernung von einigen hundert Metern. 
Zwischen dem Johannaberger Hügel und dem Stollen liegt eine 
Sandgrube, die eine Sandschicht bis zu 10 m Höhe zeigt. 1 ) 
Der Sand wird vielfach zu Bauzwecken abgefahren. Aus dem 
oberen Nebengebäude gelangen die Fäkalien mit starkem Gefälle 
in Zementrohren hinter das Hauptgebäude, vereinigen sich 
hier mit den Fäkalien und Spülwässern des letzteren, um dann 
mit recht starkem Gefälle in eine grosse, zementierte, mit eisernem 
Deckel versehene Grube zu münden, welche unten hart neben der 
Strasse Berlebeck — Schlangen am Endpunkte der elektrischen 
Bahn liegt. Diese Grube, die etwa 300 Schritt unterhalb der 


*) Siehe Karte B aal Seite 546. 



Der Unterleibstyphus in Detmold im Sommer and Herbst 1904. 553 

Quellenfassung sieb befindet, liegt etwas höher, als letztere. Von 
Mer ans wird die Masse unter Chaussee und Berlebecke hindurch 
in eine Grube hoch auf einer Anhöhe am’ rechten Ufer gepumpt, 
um zu Berieselungen verwandt zu werden. Da diese Grube an der 
Strasse aber nach drei Seiten frei lag und unmöglich einen Druck 
bis Mnauf zum Stollen ausüben konnte, so kam sie weniger in Frage, 
als eine zweite, Mnter dem Hauptgebäude befindliche zementierte, 
angeblich nur zur Aufnahme von Regenwasser dienende und mit 
einem Ueberlauf nach dem Fäkalienkanal versehene Grube, weil 
erfahrungsgemäss Zementgruben im Laufe der Zeit sämtlich un¬ 
dicht werden. Bemerkt sei noch, dass die Wasserversorgung von 
Johannaberg aus dem Ueberlauf des Quellenstollens kurz oberhalb 
der Stelle gescMeht, wo sich das Wasser wieder in die Berlebecke 
ergiesst. Es wird von Mer in einen hoch oben gelegenen Wasser¬ 
turm gepumpt. 

Ausser Quelle, Stollen, Johannaberg, Rieselfeld besahen sich 
die vorgenannten Hygieniker auch die Erdfälle und die obere 
Wildsuhle. Die Erdfälle befinden sich in der SandscMcht, die das 
Tal ausfüllt, aus dem die Quellen zu kommen scheinen (s. Karte B). 
Die grössten haben ungefähr 2 m Durchmesser und 1 m Tiefe; 
sie liegen sämtlich in gleicher Richtung auf die Quellenfassung 
zu. Solche Senkungen sind oft die einzigen Zeichen für den Ver¬ 
lauf einer Quelle (s. Stille: Die Paderquellen zu Paderborn). 
Die obere Wildsuhle liegt hoch oben im selben Tale unterhalb 
des Winfeldes; sie stellt einen breiten Tümpel dar, der ständig 
Wasser Air das Wild enthält. 

Herr Geh. Rat Koch ordnete Wasserentnahme von ver¬ 
schiedenen Stellen an, wünschte Einwurf von mehreren Zentnern 
Salz sowoM in die Regengrube hinter dem Hauptgebäude von 
Johannaberg, als auch in die Sammelgrube neben der Chaussee. Er 
entnahm aus dem Hochbehälter auch Sand und etwas gefundenen 
Schlamm. Nach Lage der Sache und Prüfung aller in Betracht kom¬ 
menden Verhältnisse erklärte er die Epidemie für eine typische 
Wasserepidemie, wenn er auch zurzeit den Ort der Infektion nicht an¬ 
geben könne. Seinem Wunsche gemäss wurde sofort nach seiner 
Abreise Kochsalz zentnerweise in die beiden Gruben geschüttet 
und das Wasser des Stollens untersucht. Es wurde aber nicht 
die geringste Schwankung, bezw. Zunahme des Chlorgehalts be¬ 
obachtet. — Ich will hier gleich erwähnen, dass später noch drei 
verdeckte und versteckte Fäkaliengruben auf Johannaberg ge¬ 
funden wurden, die aber ebenfalls nicht zum Stollen ableiteten. 
Die nördliche Grube leitete nach einer talabwärts gelegenen kleinen 
Qaelle ab, was durch Kochsalzversuche festgestellt wurde. — Die 
Untersuchung des mitgenommenen Sandes und ScMammes war gleich¬ 
falls negativ. Auch eine erneute, ebenfalls in Berlin vorgenommene 
Untersuchung von Sand und Schlamm aus der Quellstube, bezw. 
aus dem linken Hochbehälter hatte kein anderes Ergebnis. Es 
fanden sich weder Typhusbazillen, noch Bakterien, die auf eine 
Verunreinigung des Wassers durch Fäkalien hindeuten konnten. 

Bald nach der Abreise der beiden Berliner Sachverständigen 



564 


Dr. Volkhausen. 


wurde angezeigt, dass sich gerade neben dem Johannaberger 
Sammelbassin unten neben der Chaussee im Wasserrohre eine 
Krümmung befinde, dass also hier der Druck nicht mehr stark 
sei, und daher vielleicht bei etwaigem Defekte eine saugende 
Wirkung zustande kommen könnte. Die fragliche Stelle wurde 
freigelegt und das Bohr, trotzdem keine Krümmung bestand, an¬ 
gebohrt. Es zeigte sich, dass im Bohr noch ein starker Druck 
herrschte, und dass das Bohr absolut dicht war. 

So waren also bis zu dieser Zeit alle Ermittelungen nach 
der Ursache der Epidemien vergebens gewesen. 

Am 19. Oktober erschien wiederum eine Kommission vom 
Kaiserlichen Beichsgesundheitsamte, bestehend aus den Herren 
Geh. Bat Dr. Ohlmü 11er, Prof. Dr. Beck und dem Chemiker 
Dr. Heise, um bakteriologische und chemische Studien zu machen, 
zu welchem Zwecke ihnen ein Saal in der zum Lazarett ein¬ 
gerichteten Gewerbeschule zur Verfügung gestellt wurde. Die 
Herren besichtigten zunächst ebenfalls die schon geschilderten 
Lokalitäten etc. Vor allen Dingen wurde das Hauptaugenmerk auf 
die noch offene, nicht abgefangene sogenannte Berlebecker Quelle 
— untere Wildsuhle — gerichtet, welche sich in geringer Entfernung 
von der Qnellenstube befindet. Die Quelle war in ihrem oberen Teile 
trocken — was sehr selten vorkommt — nur in ihrem mittleren 
Teile sprudelte noch etwas Wasser — mit spärlichen Bläschen ver¬ 
mischt — hervor. Das Wasser ist hart an der Chaussee gestaut, 
flieset durch einen sogenannten Mönch unter der Chaussee durch 
und bildet mit dem Wasser der Hirschsprungquelle die Berlebecke. 

Man kann ruhig sagen, dass der Wald vor lauter Bäumen 
nicht gesehen worden war. Der Gedanke an einer Verbindung 
beider Quellen war wohl verschiedentlich aufgetaucht, aber nie 
genügend festgehalten. Dorch ein Planktonnetz wurde sowohl im 
Hochbehälter, als auch in der Quellstube die Anwesenheit von 
Gammarus aquatilis, eines kleinen Wasserkrebschens, festgestellt, 
der auch in dem gestauten Wasser gefunden wurde. Am 24. Ok¬ 
tober wurden 50 kg Kochsalz mit dem nötigen Wasser in den 
weiten, trockenen Quellmund der unteren Wildsuhle (Berlebecker 
Quelle) geschüttet, und das Wasser des Stollens dann auf seinen 
Chlorgehalt untersucht. Derselbe stellte sich wie folgt: 


Uhr 

9 

9,15 

9,30 

9,45 

10 

10.15 

10.30 
10,46 
11 

11.15 

11.30 
11,45 
12 


Quelle I 


Quelle II 


Quelle III 


Untere 

Wildauhle 


mg mg mg 


mg 


9,5 

9,0 

8,5 

9,5 

9,0 

8,5 

10,0 

9,0 

8,5 

83,0 

58,5 

9,0 

172,0 

117,5 

18,0 

127,0 

85,0 

26,0 

64,0 

53,0 

21,0 

50,5 

38,0 

18,0 

35,0 

32,0 

16,0 

28,5 

28,0 

12,5 

25,0 

25,0 

12,5 

19,5 

23,0 

9,0 

18,0 

19,5 

9,0 


9,0 

9,0 

9,0 

82.5 
353,0 
319,0 
179,0 

99,0 

61,0 

42.5 
32,0 
30,0 
25,0 



Der Unterleibstyphus in Detmold im Sommer and Herbst 1904. 566 

Also nach ®/ 4 Standen erschien das Chlor im Stollen, und 
zwar stärker in Qaelle I und II als in III. Dagegen konnte von 
dem in der unteren Suhle aufgestautem Wasser keine Verbindung 
mit dem Stollen festgestellt werden. Hiermit war also un¬ 
widerleglich eine Verbindung der Aussenwelt, wenn 
man so sagen darf, mit der Quellstube erwiesen, wenn 
es auch fraglich blieb, ob der Ansteckungsstoff auf diese Weise 
in die Leitung gekommen war. 

Man fing auch an, den Pläner mehr zu studieren. Haupt¬ 
sächlich gab hierzu die Veranlassung das schöne Gärtner sehe 
Buch: „Die Quellen in Beziehung zum Grundwasser und zum 
Typhus“, zumal in diesem Buche mehrere Typhusepidemien, die 
sich jenseits des Teutoburger Waldes ebenfalls im Pläner abspielten, 
geschildert werden. 

Es wurde am 3. November ferner noch von Herrn Dr. 
Auerbach und Apotheker Priester ein Versuch mit Bierhefe 
gemacht, der ebenfalls vom trockenen Quellenmund aus ein positives 
Resultat hatte. 

Der November brachte starken Regen, besonders am 9. und 10. 
An diesen letzteren Tagen fing die Quelle im oberen Teile der 
unteren Wildsuhle wieder zu laufen an, zugleich trübte sich das 
Wasser im Stollen — ein Ereignis, welches bis jetzt auch nach 
dem stärksten Regen noch nie eingetreten war —; die Zahl der 
Keime stieg auf ca. 800 gegen 8—10. Beide Erscheinungen 
hielten aber nur zwei Tage an. Am 19. und 20. November wurden 
aus der Quelle II des Stollens verdächtige Kulturen ge¬ 
züchtet, die nach allen ihren Erscheinungen von H. 
Dr. Noetel für Typhusbazilllen angesprochen werden 
mussten. Das Reichsgesundheitsamt bestätigte diesen Befund 
mit dem Zusatze, dass dieselben stark virulent seien. Damit 
war das letzte Glied in die Kette der Beweisführung 
eingefügt. 

Am 20. Dezember kam H. Reg.-Rat Prof. Dr. Beck noch 
einmal wieder. Es wurde dann noch in nächster Nähe des Stollens 
Salzlösung auf die entblösste Erde geschüttet. Auch hier konnte 
sofort eine Verbindung mit dem Stollen nachgewiesen werden. 

Salz in die Erdfälle gestreut gab — von den oberen Erd¬ 
fällen aus — ebenfalls ein positives Resultat in Quelle III des 
Stollens. 

Es hiesse doch nun wirklich den Tatsachen Ge¬ 
walt antun, oder mit sehenden Augen nicht sehen 
wollen, wenn man an einer Infektion der Wasser¬ 
leitung zweifeln und leugnen wollte, dass das Leid 
durch diese über unsere Stadt gebracht sei. Dafür 
sprach auch das Auftreten der Seuche, das nicht allmählich ge¬ 
schah, sondern plötzlich mit 177 Erkrankungen in einer 
Woche einsetzte, und zwar zugleich in den verschiedensten Teilen 
der Stadt. Alle anderen Ursachen, die ausser dem Leituugswasser 
dies hätten bewirken können, waren mit Sicherheit auszuschliessen. 
Auch die Untersuchung der von H. Prof. Dr. Emmerich mit- 



656 


Dr. Volkhaosen. 


genommenen Proben von Erde, Staub usw. ans verschiedenen 
Teilen der Stadt ist sicher negativ ausgefallen; denn sonst h&tten 
wir gewiss etwas davon gehört. Ebenso stellt sich das Ver¬ 
schontbleiben der Kanalarbeiter, das immer als Gegenbeweis 
angeführt wurde, in Wirklichkeit etwas anders. Tatsache ist, 
dass diese Lente Leitungswasser aus Hydranten und An¬ 
bohrungen eimerweise getrunken haben; als Tatsache darf man 
aber auch wohl annehmen, dass viele dieser Berufsarbeiter 
den Typhus schon überstanden haben. Trotzdem sind von den 
ca. 130—140 Kanalarbeitern am 29. August einer, am 31. August 
der zweite, am 1. Sept. der dritte, am 2. Sept. der vierte, am 
12. Sept. der fünfte, und zwar in Neuwied, wohin er inzwischen 
verzogen war. Ein sechster Kranker ist endlich in Neuwied noch 
nachträglich (22. Sept.) als typhuskrank gemeldet; er hatte 
ebenfalls in Detmold am Kanal gearbeitet und sich hier infiziert. 
Von einem Verschontbleiben der Kanalarbeiter kann 
also nicht die Rede sein. Dagegen wies die auffallende 
Beteiligung der Kinder, Dienstmädchen, Köchinnen 
usw.: alles Personen, welche viel mit Wasser hantieren, bezw. 
Wasser trinken, auf das Wasser als Infektionsträger hin. 

Nicht minder spricht für eine Entstehung der Epidemie durch 
die Wasserleitung, dass alle diejenigen Häuser, die eine 
eigene Leitung hatten, verschont geblieben sind: die herr¬ 
schaftlichen Häuser (Palais, Schloss, Marstall, Wohnung der 
Fürstlichen Beamten, die Ministerwohnung und ein Privathaus in 
der Neustadt). Das Palais und Schloss sind zwar auch an die 
städtische Leitung angeschlossen, gebrauchen aber so gut wie 
gar kein städtisches Wasser. In den herrschaftlichen Häusern, 
einschliesslich Ministerwohnung, wohnten z. Z. 189 Personen; es 
hätten davon also im Vergleich zu der Erkrankungsziffer der 
übrigen Bevölkerung über 10 Personen erkranken müssen, während 
tatsächlich, wie schon erwähnt, niemand erkrankt ist. Ausser den 
herrschaftlichen Häusern sind auch die sonstigen nicht ange- 
schlossenen Häuser auffällig von der Seuche verschont geblieben. 
Diese Häuser liegen teils am Rohrnetz, teils bilden sie den 
Stadtteil Rödlinghausen und Feldmark I. 1 ) Von gegnerischer 
Seite wird allerdings die Ansicht vertreten, dass dieser Stadt¬ 
teil von der Berechnung ganz ausgeschlossen werden muss, 
weil er von der übrigen Stadt durch einen ca. 600 m breiten 
Eichenwald getrennt ist; m. E. müssen wir aber die Gemeinde 
Detmold nehmen, wie sie ist, und lediglich fragen: „Hat das 
Haus städtisches Wasser oder nicht P“ Zu der fraglichen Zeit 
waren nun in Detmold 1375 Häuser, darunter 75 unbewohnte, also 
rund 1300 bewohnte Häuser vorhanden. Nicht an die liegende 
Leitung angeschlossen waren 180, darunter 79 die ausserhalb des 
Leitungsrohres liegen; 1120 Häuser haben also Leitungswasser 
(die Fürstlichen Häuser sind in diese Rechnung mit einbegriffen). 
In wieviel Fällen hat nun in den nicht angeschlossenen 
Häusern der Typhus geherrscht und zu welcher Zeit? Beweis- 


‘) Siehe den Stadtplan am Schloß des Artikels. 



Der Unterleibstyphus in Detmold im Sommer und Herbst 1904. 557 


kräftig kann nur die erste Zeit sein; denn nachher gibt es der 
Mittel nnd Wege viele, die Seuche durch Kontaktinfektionen usw. 
zn verschleppen. Danach sind in der ersten Woche — wenn ich 
unter Ausserachtlassung des einen Falles vom 23. August den 
Beginn auf den 29. August lege — von 177 Personen 4 in Häusern 
ohne Leitung erkrankt, in der zweiten Woche von 148: 3, in der 
dritten von 141: 2 und in der vierten von 97: 7 *). Da unter diesen 
jedenfalls schon auf anderem Wege infizierte Kranke sind, so können 
nur die ersten drei Wochen in Betracht kommen, in denen von 
466 Kranken nur 9 in nicht angeschlossenen Häusern wohnten, 
während es nach dem sonstigen Verhältnis 74 sein müssten. 
Scheidet man sogar die 79 Häuser aus, die nicht am Rohrnetz 
liegen, so fallen in den ersten drei Wochen auf die übrigen 101 
Häuser nur 5 Fälle, d. h. ein Fall auf das 20. Haus; dagegen 
kommt bei den Leitungshäusern schon auf 2,4 Häuser ein Fall. 
Ausserdem befinden sich unter den eben erwähnten 9 Fällen noch 
verschiedene Schulkinder, die sicherlich bei den heissen Tagen 
Leitungswasser getrunken haben, sowie Arbeiter, die in Detmold 
gearbeitet hatten. Auch die Neustadt (9 Häuser) ist nicht ver¬ 
schont geblieben. Gleich zu Anfang der Epidemie ist aus Nr. 2 
ein nach Hause geschicktes Dienstmädchen stark an Typhus er¬ 
krankt, ebenso ist aus Haus Nr. 9, das erst am 11. August an 
die Leitung angeschlossen war, am 28. September ein Fall ge¬ 
meldet. In demselben Hause sind mit grösster Wahrscheinlichkeit 
noch zwei leichte, latente Fälle, die jedoch als Kontaktfälle anzu¬ 
sehen sind, vorgekommen. 

Sehr beweiskräftig ist ferner der Ausbruch der Krankheit im 
hiesigen Gefangenhause (Zahl der Inhaftierten 76). Von sämt¬ 
lich befallenen sind zwei Drittel zu gleicher Zeit — 7 an einem 
Tage — erkrankt — die anderen 3 am 6., 7. und 14. September. 
Wie sollen sich diese den Typhus erworben haben, wenn nicht 
durchs Wasser P Es werden freilich die Gefangenen oft ausserhalb 
des Hauses mit Dreschen, Holzfahren usw. in Detmold beschäftigt; 
von den Erkrankten ist aber laut Nachweis der Direktion kein 
einziger in der Stadt gewesen. Sieben von den zehn haben ferner 
noeh in Einzelhaft geschlafen. Späterhin ist noch ein Aufseher 
erkrankt; derselbe hatte jedoch mehrfach m Typhusfamilien 
verkehrt. 

Aehnlich liegt die Sache beim Seminar, dessen Zöglinge 
selbstredend ausgehen dürfen. Es erkrankten laut Mitteilung der 
Direktion vom 28. Aug. bis 8. Sept. 10 Seminaristen: 1 am 28. Aug., 
6 am 1. Sept. und je 1 am 4., 7. und 8. Sept.; jedoch wird seitens 
der Direktion noch bemerkt, dass diese drei letzten sich schon 
mehrere Tage vorher unwohl gefühlt und sich nur so lange hin¬ 
geschleppt hätten, um die Prüfung mitmachen zu können. Also 
erkrankten 10 Zöglinge innerhalb 8 Tagen und 6 davon an einem 
Tage; 4 Erkrankte gehörten der ersten und 6 der zweiten Klasse 
an und schliefen dementsprechend auf zwei verschiedenen Sälen. 

Auch die bei den Mannschaften dcB zum Teil hier garni- 


*) Siehe Abschnitt Statistisches S. 567. 



568 


Dr. Volkhausen. 


sonierten 55. Infanterie-Regiments aafgetretenen ersten Er¬ 
krankungen sind sehr rasch hintereinander erfolgt: in 13 Tag» 

36 Fälle. 

Wenn jemand gegenüber diesen Beweismitteln noch zweifeln 
wollte, so wird doch durch den Befand bei den Quellen jede Ein¬ 
rede hinfällig; von verschiedenen Stellen aus ist hier ein Zugang - 
von aussen zu dem Stollen festgestellt. Ausser diesen Stellen würden 
sich mit Leichtigkeit noch mehrere feststellen lassen; denn im . 
Pläner sind die Spalten, die sich, nota bene, stets noch vermehren 
können, unberechenbar. Auf der anderen Seite des Gebirges (in ' 
der Umgegend von Paderborn) sind solche Verbindungen bis auf ~ 
eine Entfernung von 12—15 km mittelst Fluoreszin festgestellt. 7 
Wenn auch solche Entfernungen hier wohl auszuschliessen sind, 
so kann doch von jeder Stelle des Tributärgebietes aus, besonders 
wo der Sand fehlt, oder sehr dünn ist, eine Verbindung mit 
dem Stollen vorhanden sein, gleichgültig, ob es die G&useköte, ' 
Wiggengrttnde, Winfeld usw. sind. 

Es ist ferner nicht nur die Möglichkeit des Hineinlangei» -■ 
von Bazillen erwiesen, sondern die Bazillen selbst, und zwar tos ■ 
der giftigsten Sorte, sind einwandfrei von H. Dr. Noetel im 
Quellwasser festgestellt. :: 

Dazu kommt noch ein weiterer Umstand. Es war immer 
als Gegenbeweis auf Johannaberg hingewiesen, indem man mit ; 
vollem Bechte sagte: „Wenn der Typhus aus dem Leitungswasser 
kommt, so hätten die Johannaberger Sommerfrischler, die doch 
das Wasser aus erster Hand beziehen, zuerst krank werden müssen; 
die drei Fälle, die im September in Hamburg bezw. Bremen nach 
einem längeren vorhergegangenen Aufenthalt in Johannaberg be- . 
obachtet sind, haben keine volle Beweiskraft, da die Befallenes 
vielfach in Detmold verkehrt haben. Es ist nun nachträglich an 
sämtliche August-Kurgäste von Johannaberg ein Fragebogen ge* 7 
schickt, der zu folgendem Ergebnis geführt hat: 

Ein Herr aas Bremen ist am 6. September abgereist and am 10. September 
an Typhus erkrankt. — Zwei Hamburger Kinder sind am 14. Aagast abgereist 
and am 23. bezw. 28. Aagast an Typhas erkrankt. — Ein Herr aas Rotterdam 
ist am 18. Aagast abgereist, kurz nachher anwohl geworden and am 1. Sep¬ 
tember an Typhas erkrankt. — Aach ein Brader der beiden Hambarger Kinder 
ist in Johannaberg 6 Tage an Fieber and Darchi&ll erkrankt gewesen, so daß 
ein dort zafäilig anwesender Arzt schon yon „typhös“ gesprochen hat. 

Selbst wenn man von dem zuletzt genannten Falle, sowie 
von mehreren sonstigen aus Johannaberg gemeldeten Magen- und 4 
Darmerkrankungen absieht, so steht doch das Auftreten von 
4 Typhusfällen in Johannaberg fest; dass einer oder der andere * 
von diesen Erkrankten einmal in Detmold gewesen ist, — einer 
hat dort Privatstunde gehabt — tut m. E. nichts zur Sache, anders « 
wäre es, wenn sie sich dort den ganzen Tag oder wenigstens 5 
längere Zeit aufgehalten hätten, was aber nicht der Fall gewesen * 
ist. Johannaberg ist also insofern glänzend gerechtfertigt, als es ) 
nicht der infizierende, sondern der mitinfizierte Teil gewesen ist 

Sind wir Aerzte glücklicher Weise auch weit entfernt von ' 
dem „Jurare in verba magistri“, so müsste man sich in H 



Der Unterleibstyphus in Detmold im Sommer and Herbst 1904. 559 


diesem Falle doch allen Tatsachen verschliessen, 
wenn man an einer Wasserepidemie nnd Infektion des 
Leitungswassers zweifeln wollte. 

Schwer oder gar nicht zn erklären ist nach meiner Meinung 
dreierlei: 

1 . Wo nnd wie sind das erste Mal die Bazillen in die Leitung 
hineingekommen ? 

2 . Wie geht es zn, dass die Einwohner von Berlebeck so 
auffallend freigeblieben nnd dass 

8 . im Dezember keine ernente Epidemie in Detmold uns- 
gebrochen ist, obwohl hier virulente Typhnsbazillen im Stollen¬ 
wasser gefunden sind? 

Als durch Hineingiessen des Salzes eine Verbindung des 
offenen Quellmundes der unteren Wildsuhle mit dem Stollen fest¬ 
gestellt wurde, schien die Sache sehr einfach: dass nämlich von 
hier aus eine Invasion des Stollens stattgefunden hat, zumal wenn 
man bedenkt, dass diese Quelle im Sommer von Tausenden von 
Touristen (Erwachsenen wie Schülern) besucht wird, dass man 
vielfach leere Flaschen, Papier mit Nahrungsresten nnd dergl. in 
derselben findet, und dass sich täglich in und an der Quelle 
Dutzende von Dorfkindern umhertreiben, die sich durch Aus¬ 
schenken von Wasser einen kleinen Nebenverdienst verschaffen. 

Der Versuch hat nur einen grossen Haken. Der Vorgang, 
den er nachahmt, hat zur fraglichen Zeit nicht stattfinden können, 
da es an Wasser fehlte. Der Quellmund war zur Zeit des Ver¬ 
suchs trocken, und zwar schon seit dem ganzen Augnst, während 
welches eine Infektion stattfinden musste, wenn wir eine solche 
mit der Epidemie überhaupt in kausalen Zusammenhang bringen 
wollen. 

Es war an Regen gefallen auf den Beobachtungsstationen 
im Augnst: 

in Hartröhren in Oesterholz am Donoper Teich 


7. Aug.: 

8,3 mm 

6. Aug.: 

3,8 mm 

6. Aug.: 

0,2 mm 

12. „ 

3,0 „ 

7- „ 

8,3 , 

7. 

n 

6,5 „ 

16. „ 

4,5 „ 

12. * 

1,5 „ 

8. 

n 

0,9 „ 

19. „ 

2,1 * 

15. „ 

2,0 „ 

12. 

i» 

2,7 * 



16. „ 

4,1 7! 

13. 

V 

2,3 „ 



19. B 

1,5 „ 

16. 

n 

4,1 „ 





19. 

n 

2,2 ff 


Die gesamte Regenmenge betrug: 


in Hartröhren in Oesterholz am Donoper Teich 
im August: 1903 1904 1903 1904 1903 1904 

118 mm 38,2 mm 121,3 mm 29,2 mm 117,6 mm 26,6 mm. 

Also 1904 durchnittlich nur ungefähr den vierten Teil vom 
vorigen Jahre. Die beiden nächsten Stationen Hartröhren und 
Oesterholz sind 6 Ion von Berlebeck entfernt. Die in den frag¬ 
lichen Tagen niedergegangenen Regenmengen — am 7. August hat 
es in Berlebeck geregnet — mögen wohl in wasserreichen Zeiten 
zur Fortschleppung von Infektionskeimen genügen, bei der un¬ 
endlichen Dürre konnten sie aber unmöglich zum Quellmunde 
flie8sen nnd von dort irgend etwas zum Stollen schwemmen, da 



660 


Br. Volkh&usen. 


sie entweder verdunsteten oder von der trockenen Erde begierig 
anfgesogen wurden, wie Sachverständige es mir versichert haben. 
Wieviel Wasser dazu gehört, um einen Zufluss zur Quelle her- 
zustellen, sieht man ja auch an dem Versuche selbst; denn es 
bedurfte einer grossen Menge Eimer Wassers, um innerhalb drei¬ 
viertel Stunde den Chlorgehalt der Stollenquelle zu erhöhen. Dazu 
kommt noch als erschwerend der Umstand, dass die zwei grösseren 
aus der Umgebung zur Quelle führenden Rinnsale erst unterhalb 
der fragliche Stelle münden. Auch von dem im unteren Teile der 
Wildsuhle gestauten Wasser aus konnte eine Infektion nicht er¬ 
folgen, da von dort keine Verbindung mit der immer noch 2 l / # m 
tiefer liegenden Stollenquelle bestand. Und je weiter von der 
Wildsuhle ab, desto unmöglicher wird die Sache bei der unend¬ 
lichen Dürre. Am ehesten könnte man noch an eine Infektion in 
nächster Nähe der Quelle denken. Doch lag hier überall eine 
30—40 cm hohe Sandschicht. 

Am plausibelsten ist noch die Annahme, dass die Infektions¬ 
keime direkt in den Stollen getragen worden sind. Eine am 
16. August unten in Berlebeck vorgenommene Auswechselung eines 
Schiebers, wobei Schmutz in die Leitung kommen konnte, kann 
ebenfalls nicht in Betracht kommen, da Johannaberg mit seinen 
4 oder 5 Typhusfällen oberhalb dieser Stelle liegt. 

Wo und wie sind nun beim zweiten Male die Ba¬ 
zillen hineingelangtP Die trockene Quelle floss wieder und 
konnte daher wohl etwas hinausschwimmen, aber nicht hinein. 
Die Bazillen sind aber in Quelle II des Stollens, welche die zweit¬ 
meiste Verbindung mit der alten Quelle — unterer Wildsuhle — 
hat, gefunden. Diese Tatsache lässt auch den Verdacht nicht 
aufkommen, dass sie vielleicht direkt in den Stollen hineingelangt 
seien. Am wahrscheinlichsten ist deshalb die Annahme, dass die 
Bazillen bei den Arbeiten an der Wildsuhle durch eine zufällig 
geöffnete Spalte die Quelle II erreicht haben. Dafür spricht auch 
die zwei Tage lang anhaltende Trübung des Wassers. Wäre diese 
allein auf Konto des Regens zu setzen, so wäre sie sicher schon 
einmal vorher beobachtet. Dies ist aber niemals der Fall ge¬ 
wesen; sie ist auch nachher nicht wieder beobachtet, wie sich aus 
den Beobachtungen des scharf kontrollierenden Rohrmeisters ergibt. 
Dazu kommt noch, dass mehrere Arbeiter an der Quelle Rekon¬ 
valeszenten vom Typhus waren, und dass im Urin des einen, sowie 
im Boden bei der Quelle Bazillen gefunden worden sind, und mehr¬ 
fach dort Fäces umherlagen. 

Das zweite auffallende ist das Verschontbleiben der fast 
1200 Einwohner zählenden Berlebecker Bevölkerung vom Typhus. 
Es sind nämlich hier viele Einwohner auf das Flusswasser an¬ 
gewiesen, da wegen der geologischen Verhältnisse nicht überall 
Brunnen angelegt werden können, bezw. bei anhaltender Dürre 
austrocknen, wie im fraglichen Sommer. Ungefähr 15 Häuser 
benutzen Flusswasser, wenn auch verschiedene Einwohner stolz 
behaupten, sie hätten ihre eigene Quelle; diese besteht dann aus 
einem Tümpel direkt neben dem Flusse. Ein anderer wieder be- 



Der Unterleibstyphus in Detmold im Sommer und Herbst 1904. 561 


zieht sein Wasser durch eine kleine Leitung von einem Mühlen- 
graben, der ebenfalls von der Berlebecke gespeist wird. Vielfach 
gemessen anch die Schulkinder das Wasser der Berlebecke, da 
diese, nur durch den Weg getrennt, an der Schule vorbeifliesst, 
and der Lehrer die Kinder nicht zu der in der Kftche befindlichen 
Pampe lässt. Offiziell sollen die Schulkinder aus einem der Schule 
gegenüber links in die Berlebecke mündenden Bache trinken; zu 
diesem Zwecke müssen sie aber die erstere auf Steinen über¬ 
schreiten, deshalb trinken sie vielfach das Wasser der Berlebecke, 
weil es einfacher und bequemer ist. Als ich das letzte Mal revi¬ 
dierte, war dieser kleine Bach, der vor seiner Einmündung ge¬ 
staut ist, trübe, da Zeug und Wäsche darin gespült war. Das 
heisst doch den Teufel durch Beelzebub austreiben. Und trotz 
alledem ist Berlebeck sozusagen typhusfrei geblieben! In Betracht 
kommt nur ein Fall; denn ein Maurer, welcher am 29. August den 
Typhus bekam, scheidet als beweisend aus, da er von morgens 
früh bis abends in Detmold gearbeitet hatte. Dieser eine Typhus¬ 
fall betrifft ein kleines 7 jähriges Mädchen oben vom Hahnberge 
in Berlebeck, das am 12. September als typhuskrank gemeldet 
wurde. Es gab an, aus der Berlebecke getrunken zu haben; die 
Angabe des Kindes bedeutet jedoch gar nichts, denn in ein solches 
lässt sich jede Antwort hineinexaminieren. Sonst war trotz eifrigen 
Forschens in den Schullisten — es war freilich vom 3.—24. Aug. 
Schulurlaub —, beim Vorsteher und Führer der Amtskrankenkasse, 
bei den in Berlebeck verkehrenden Aerzten vom Typhus, oder 
einer diesem ähnlichen oder auch nur im entferntesten auf ihn 
hindeutenden Krankheit nichts zu entdecken. 

In dem l 1 /,—2 km unterhalb Berlebeck gelegenen, ebenfalls 
von der Berlebecke durchflossenen Dorfe Heiligenkirchen ist am 
7. September ein 12 jähriger Knabe an Typhus erkrankt. Dieser 
besuchte aber das Gymnasium zu Detmold. An ein Zugrunde¬ 
gehen der Bazillen im Wasser ist auch nicht zu denken. Die in 
Berlebeck in Frage kommende Strecke ist höchstens 1 km lang, 
and ist das Gefälle des Flüsschens ein recht lebhaftes. 

Wir stehen hier ebenso vor einem Rätsel, wie vor der Tatsache, 
dass trotz des Befundes der virulenten Bazillen am 19. und 20. No¬ 
vember Detmold vollständig freigeblieben ist. Eine befriedigende 
Erklärung hierfür hat mir bis jetzt noch keiner gegeben. Von einer 
Immunität der Bevölkerung kann doch keine Rede sein, und dass 
diese infolge des Verbots nur ungekochtes Wasser getrunken haben 
soll, ist auch nicht anzunehmen, da sicherlich eine grosse Zahl 
der Einwohner jenes Verbot nicht beachtet haben. So viel steht 
jedoch fest, dass mit dem Nachweise der Bazillen und der 
durch sie gesetzten Infektion noch lange nicht völlige Klarheit 
geschaffen ist, sondern dass noch viele Fragen der Entscheidung 
harren. Die biologischen Vorgänge in der Natur sind doch vielfach 
anders, als im Brutschrank; es sprechen dabei noch Bedingungen 
mit, die wir bisher nicht kennen. Wir wollen daher bescheiden 
sagen: „Adhuc ignoramus.“ „Wir wissen es bis jetzt noch nicht.“ 
Was wir aber sicher wissen ist, dass Detmold durch seine Wasser- 



562 


Dr. Volkhausen. 


leitung im Plaänerkalk stets in Gefahr schwebt, und dass ich recht 
hatte, als ich am 11. Dezember v. J. an den hiesigen Magistrat 
schrieb: 

„Ich halte es für meine Pflicht, nach Rücksprache mit mehreren Kollegen 
folgendes Torzutragen: Der Unterleibstyphus ist, nachdem er ca. drei Monate 
hier gehaust, verschwunden. Der Verdacht, Träger des Giftes gewesen zu 
sein, bleibt nach Ausschließung aller anderen Ursachen auf unserer Wasserleitung 
haften, ein Verdacht, welcher durch eine entdeckte Verbindung der unteren 
Wildsuhle mit der Quellcnstube noch bedeutend verstärkt worden ist. Zur Gewi߬ 
heit ist er aber geworden, seit es dem Herrn Dr. Noetel gelungen ist, nach 
seiner Ansicht untrügliche Typhusbazillen nachzuweisen. Bei der bakteriologi¬ 
schen Vorbildung des genannten Herrn ist nach meiner Ansicht ein Irrtum 
seinerseits ausgeschlossen. Und selbst wenn es ein Irrtum wäre, so bleibt 
die große Möglichkeit der Infektion unserer Quelle bestehen. Daran ändert 
auch die auf Anraten der hier erschienenen Reichsgesundheitskommission vor¬ 
genommene Abfassung der noch bestehenden alten Berlebecker Quelle gar 
nichts. Was ist damit erreicht? Einer der schönsten Punkte unseres Waldes 
ist vernichtet, und dadurch eine einzige Eingangspforte zur Wasserleitung ver¬ 
schlossen. Weiter aber auch gar nichts, denn es gibt deren mit großer Wahr¬ 
scheinlichkeit eine ganze Masse. Und diese sind wahrscheinlich nicht nur in 
nächster Nähe der Quelle zu suchen . . . ., sondern in weiterer und weitester 
Entfernung. Die Spalten im hiesigen Kalke, auf welche bei Anlage der Leitung 
nicht genügend Rücksicht genommen zu sein scheint, sind ganz unberechenbar. 

.Herr Prof. Werth, dessen geologischer Autorität wir alle uns gern 

beugen können, erklärt: „In den Wiggengründen verschwände das Wasser.“ 
Weshalb soll denn von dort nicht ebenfalls ein Zufluß zur Quellenstube vor¬ 
handen sein? Weshalb nicht ferner von der Gauseköte, Poststraße, Winfeld, 
Palkenburg, Hangstein usw. ? überhaupt nicht, so weit das Niederschlagsgebiet 
der Quelle reicht, welches wir aber gar nicht einmal kennen und auch nie 
kennen lernen werden. Wir können doch unmöglich den ganzen Wald ab¬ 
fassen, oder hermetisch dem Betreten seitens der Menschen verschließen? Es 
soll mir ferner keiner mit dem Einwande kommen, eine Infektion von so ent¬ 
legenen Orten sei doch eigentlich undenkbar. Im Gegenteil, erst recht denkbar, 
überall da, wo der Sand fehlt. Nach den neuesten Untersuchungen, besonders 
des Herrn Prof. Beck tragen Typhusrekonvaleszenten viele Monate, selbst bis 
zu einem Jahre im Kot und Urin noch lebens- und ansteckungsfähige Bazillen. 
Es braucht also nur ein Tourist, der vor einem halben Jahre den Typhus ge¬ 
habt, seine Notdurft irgendwo im Walde verrichten, so kann jeder Platzregen, 
an dem es bei uns ja nicht fehlt, die Bazillen in irgend einer Kalkspalte bis 
zur Quellenstube hinabschwemmen, und wir haben die Bescherung wieder. 

Mein Vorschlag geht dahin: 

1. Die Quellen endlich in Ruhe zu lassen. Wir wissen ja, daß Ver¬ 
bindungen mit der Außenwelt da sind, und daß Bazillen nicht nur hinein¬ 
gelangen können, sondern auch wirklich hineingelangt sind. 

2. Vorkehrungen zu treffen, um das Hineingelangen entweder zur Un¬ 
möglichkeit zu machen, oder hineingelangte event. sofort zu töten. Abfassen 
der Wildsuhle, Abschließen vielleicht eines kleinen Waldteiles und fortgesetzte 
bakteriologische Untersuchungen genügen nach meiner Meinung nicht; letztere 
würden auch in den meisten Fällen post festum kommen. Das Hineingelangen 
verhütet am besten ein Filter, das Abtöten der Bazillen geschieht am sichersten 
durch Ozonisieren des Wassers, wie es in Wiesbaden und — wenn ich nicht 
irre — auch in Paderborn gehandhabt wird .... Wenn eins dieser Mittel in 
Anwendung kommt, sind wir dauernd das Damoklesschwert los und können 
Detmold wiederum überall hin als gesund empfehlen; es wird dann auch seine 
alte Anziehungskraft wieder ausüben.“ 

in. Massregeln zur Bekämpfung der Seuche. 

Jeder der beiden bedeutenden Sachverständigen — Professor 
Dr. Emmerich und Geheimrat Prof. Dr. Koch — stand auf einem 
diametral entgegengesetzten Standpunkt. Während der erstere 
nur die Boden- bezw. Grundwassertheorie gelten liess, bezichtigte 




Der Unterleibstyphus in Detmold im Sommer and Herbst 1904. 568 


der andere nur das Trinkwasser. Prof. Dr. Emmerich erklärte 
Abkochen des Wassers, Warnung vor Genuas ungekochten Wassers 
fflr vollständig unnötig, aber fleiasiges Sprengen der Strassen, 
Nässen und Fegen der Gehbahnen, Ueberschütten der ausgehobenen 
Erdmassen mit Kalkmilch für erstes Erfordernis zur Bekämpfung 
der Seuche, während Geheimrat Koch dies nicht für nötig hielt, 
sondern das Hauptgewicht auf Desinfektion der Abgänge, der 
Betten und Bäume sowie auf Evakuierung legte. Beide Herren 
reisten bald nach ihrem Erscheinen wieder ab und liessen uns 
hier zwischen Solidar- und Humoraltheorie — wenn ich so sagen 
darf — zurück, während der Typhus sich ruhig weiter entwickelte, 
ohne sich um die Meinung der Gelehrten zu kümmern. Wir ver¬ 
fuhren hier so, wie wohl jeder einsichtsvolle Mensch verfahren 
haben würde: Wir taten das eine und liessen das andere nicht. 
Es wurde daher ruhig weiter gesprengt und nass gefegt. Zur Be¬ 
ruhigung wurde sofort die Badeanstalt gesperrt. Vor allen Dingen 
wurden die Kranken isoliert und, wenn es eben ging, dem 
Landeskrankenhause überwiesen, um Kontaktfälle so viel 
wie möglich zu vermeiden. Da viele Unverheiratete — Dienst¬ 
mädchen, Gesellen usw. — erkrankten, so füllte sich das Kranken¬ 
haus bald derart, dass es keine Erkrankte mehr aufnehmen konnte, 
trotzdem dort das anscheinend Unmögliche möglich gemacht wurde 
durch Belegung der Hauskirche, geschickte Ausnutzung der anderen 
Bäume, Offenhalten der Korridortüren usw.; durch letzteres wurde 
der grosse breite Korridor quasi mit zur Vergrösserung des Kubik- 
raumes der Krankenzimmer herangezogen. Die höchste Beleg¬ 
ziffer des auf ca. 185—190 Kranke eingerichteten Krankenhauses 
stieg dadurch bis auf 305 während der Seuche (einschl. der sonstigen 
Kranken). Es musste daher zum Bau einer Notbaracke dem Kranken¬ 
hause gegenüber geschritten werden mit Gas- und Wasserleitung, 
zweiteilig für Männer und Frauen. Hierbei zeigten sich jedoch so 
viele Unzulässigkeiten, dass die neuestädtische Gewerbeschule — ein 
wie zum Krankenhause geschaffener Bau mit grossen Sälen, breiten 
Gängen, guten Unterkellerungen — zum Krankenhause eingerichtet 
wurde, selbstredend unter heftigem Widerspruche eines Teiles der 
Bürgerschaft. Die ärztliche Leitung übernahm Herr Dr. Levy 
von der Königl. Charitö in Berlin, die Pflege wurde vom Bodel- 
schwing sehen Mutterhause besorgt. Auf diese Weise konnte 
man von der Notbaracke bald wieder absehen und doch einem 
recht grossen Teil der Befallenen eine regelrechte Krankenhaus¬ 
behandlung zuteil werden lassen. Im Krankenhause waren 3 Aerzte, 
29 Schwestern und 5 Pfleger, in der Gewerbeschule 1 Arzt, 
3 Schwestern und 3 Pfleger, in der Privatpraxis mehr oder minder 
sämtliche Aerzte — auch die Spezialisten und Militärärzte —, 
in Summa 12 und ca. 15—20 Schwestern tätig. Die Zahl der 
sonstigen Pflegerinnen anzugeben, ist unmöglich. Es hiesse nun 
wirklich den Dank abschwächen, den wir diesem gesamten Heil¬ 
personal schulden, wenn ich noch ein Wort der Dankbarkeit und 
Anerkennung äussern wollte. Nur sei es mir vergönnt, den beiden 
im besten Mannesalter der Seuche zum Opfer gefallenen Kollegen 



564 


Dr. Volkhausen. 


hiermit einen Kranz der Erinnerung auf ihr frühes Grab zu 
legen. 

Mit einem Hauderer war ein Abkommen getroffen worden, 
um den Transport der Erkrankten nach dem Krankenhanse 
zu regeln. Jedem anderen Hauderer wurde das Fahren von Kranken 
verboten. 

Ferner wurde einer Dame ein kleines Bekonvaleszentenheim 
für 8 Kranke konzessioniert, in welchem sich rekonvaleszente 
Damen besserer Stände erholen konnten. Es waren in demselben 
2 Schwestern vom Hamburger Boten Kreuz tätig. 

An Bekantmachungen wurden dann successive folgende 
erlassen: 

.Die Düngergruben und Aborte in sämtlichen Häusern sind täglich mH 
einem Eimer Kalkmilch oder Lysollösung zu desinfizieren. 

Die Exkremente Erkrankter sind sofort mit Kalkmilch oder Lysollösung 
zu gleichen Teilen zu desinfizieren und dürfen erst darnach in den Abort 
gelangen. 

Die sämtlichen Brunnen sind außer Betrieb zu setzen; es darf kein 
Wasser mehr daraus entnommen werden. (Später bei Nachweis der Unschäd¬ 
lichkeit des Wasser wieder erlaubt). 

Binnsteine und Kanäle sind täglich zu reinigen. 

Höfe, Gehbahnen und Straßen sind täglich zu reinigen, vorher jedoch 
ordentlich mit Wasser zu besprengen. Die Seien auf den Straßen sind eben¬ 
falls täglich beim Straßenreinigen zu desinfizieren. 

Das Einleiten von Fäkalien und anderer unreiner Abfallwässer in die 
Flußläufe ist verboten. Das Mauerwerk in der Nähe der Ausflüsse von Kanälen 
in den Flußläufen ist täglich gründlich zu desinfizieren. 

In jedem Haushalte ist ein Eimer voll Kalkmilch ständig bereit zu halten. 
Alle Entleerungen sind in den Aborten jedesmal mit mindestens einem Tassen¬ 
kopfe dieser Flüssigkeit zu versetzen. 

In jedem Zimmer, in dem sich ein Typhus- oder typhusverdächtiger 
Kranker befindet, muß außerdem ein Eimer voll Lysollösung vorrätig gehalten 
werden, worin die benutzten Wäschestücke 12 Stunden lang auf bewahrt werden 
müssen, darnach sind sie wie gewöhnlich zu waschen. — Zur Bereitung der 
Lysollösung schütte man 800 g Lysol in einen Eimer Wasser. 

Die Fleischer haben ihre zum Verkauf gehaltene Wurst- und Fleisch¬ 
waren unter einem engen Gazebezug oder Gestell zu halten. 

Das Betasten der Backwaren ist verboten. 

Jegliche Abfuhr von Dünger und Fäkalien in die Gärten und auf die 
Felder ist nur nach eingeholter polizeilicher Erlaubnis gestattet. Das Spülen 
und Waschen von Wäsche usw. auf den Waschstegen und in den öffentlichen 
Flußläufen und Gewässern wird verboten.“ 

Ferner wurden nachstehende Verhaltungs - and Vor- 
sichtsmassregeln veröffentlicht: 

a. „Man beachte peinlichste Sauberkeit in der Behausung und am eigenen 
Körper. Hände waschen vor der Nahrungsaufnahme. 

Man vermeide besonders den Genuß von rohem Obst, Salat, ungekochter 
und saurer Milch. 

Der Genuß von Brunnen- und Flußwasser ist unter allen Umständen zu 
vermeiden, sowohl zum Trinken, wie zu Beinigungszwecken. Leitangswasser 
genieße man zur Vorsicht nur gekocht, bis die eingeleiteten Untersuchungen 
abgeschlossen sind. 

Man vermeide soviel wie möglich Berührung mit Tieren, besonders 
Hunden, und versäume nie Beinigung der Hände, falls man mit solchen in Be¬ 
rührung gekommen ist. 

Speisen und Getränke sind vor Fliegen und anderen Insekten Boviel wie 
möglich zu schützen. 

Besuche bei Kranken, besonders Typhuskranken, sind möglichst zu 
vermeiden. 



Der Unterleibstyphus in Detmold im Sommer and Herbst 1904. 666 

Es ist dringend za raten, in jedem zweifelhaften Erkrankongsfalle alle 
Entleerungen durch Zusatz yon gleichen Teilen Kalkmilch zu desinfizieren.“ 

b. „Die Reinigung der Abortgraben darf vorläufig nur durch den städti¬ 
schen Abfahrapparat erfolgen. Nach erfolgter Reinigiwg sind die Gruben 
innen mit Kalkmilch an allen Seiten gründlich zu desinfizieren. Der Raum 
um die Grube, der Hofraum und überall wo der Schlauch gelegen, ist zu des¬ 
infizieren mit einer LysollOsung nach vorhergehender Reinigung mit Wasser 
und Besen. Diese Reinigung ist seitens der Hausbesitzer oder deren Stell¬ 
vertreter unter Aufsicht eines Schutzmannes vorzunehmen; es sind aber auch 
die bei dem Abfuhrapparat beschäftigten Arbeiter beauftragt, diese Reinigung 
auf Wunsch gleich nach der Grubenentleerung vorzunehmen.“ 

c. „Wenn es auch bekannt ist, daß die Verbreitung ansteckender Krank¬ 
heiten sehr häufig durch Tiere, insbesondere Insekten erfolgt, so wird dieser 
Gefahr doch nicht genügend Beobachtung geschenkt, und ist es nicht aus¬ 
geschlossen, daß die jetzige an Insekten reiche Zeit auch zur Verbreitung der 
typhusartigen Erkrankungen in unserer Stadt mit beigetragen hat Wir machen 
daher unsere Mitbürger und ganz besonders die Hausfrauen darauf aufmerksam, 
daß möglichst wenig Speisereste aufbewahrt und diese bei der Aufbewahrung 
stets unter insektensicherem Verschluß gehalten werden sollen. Vor Benutzung 
dieser Speisereste sollen diese stets noch einmal bis zum Kochen erhitzt werden, 
um jede Bakterienentwickelung darin vor dem Genuß zu zerstören. 

Die Uebertragung von Person zu Person erfolgt vorwiegend durch die 
Exkremente und den Harn der erkrankten Personen. Es ist daher nicht nur 
die grüßte Reinlichkeitund gründliche Desinfektion der Aborte und Pissoirs, 
sondern vor allen Dingen auch der in den Schlafzimmern befindlichen Nacht¬ 
geschirre und aller damit in Berührung kommenden Gegenstände geboten. 

Die Ueberführung typhuskranker oder typhusverdächtiger Personen 
außerhalb der Stadt wird auf das strengste untersagt.“ 

Ferner wurde eine besondere Vorschrift für Desinfek¬ 
tion der Krankenzimmer usw. erlassen, die sich ziemlich genau 
mit den Anweisungen des hier geltenden Gesetzes von 1888 (Ver¬ 
fahren bei ansteckenden Krankheiten) deckt. 

Zur Kontrolle der Erlasse wurden Gesundheits-Kom¬ 
missionen gebildet und zwar 4 für Stadtquartier A, 5 für Quar- 
ier B, 7 für C und 12 für Quartier D. Diese gingen mehrfach 
umher, um sich von der Befolgung der polizeilichen Vorschriften 
zu überzeugen. 

Die Desinfektion der Betten, Kleider usw. wurde teils 
im Landeskrankenhause, teils im Desinfektionsapparate auf dem 
städtischen Bauhofe ausgeführt, auf letzterem durch einen, von 
Hamburg engagierten, offiziellen Desinfektor, nachdem der Apparat 
gründlich repariert war. Anfuhr, Abfuhr, Aufbewahrung der 
Sachen, Desinfektion der betreffenden Arbeiter wurden gründlich 
geregelt, um eine neue Infektion der Sachen zu verhüten. Dieser 
Desinfektor, der sich hier bei uns übrigens tadellos bewährt hat, 
leitete auch die Desinfektion der Krankenzimmer in den Privat¬ 
häusern mittelst Formalin. 

Auch die Fäkalienabfuhr wurde geregelt, insbesondere 
ein blechausgeschlagener Wagen angeschafft, auf welchem der 
Schlauch beim Transport zu liegen kam, um Bespritzungen der 
Strassen zu verhüten. 

Die Flussläufe wurden einer mehrfachen Revision unter¬ 
zogen, ebenso die Bäckereien und Metzgereien, wodurch 
einige bedenkliche Uebelstände abgestellt werden konnten. 

Sämtliche Schulen wurden geschlossen; das Abhalten von 



566 


Dr. Volkhausen. 


Märkten wurde verboten, und Leuten, in deren Häusern Typhus 
war, das Hausieren untersagt. 

Sodann wurden regelmässige Bekanntmachungen über 
den Stand der Seuche — Neuerkrankungen, Genesungen, Todes¬ 
fälle — erlassen, um beruhigend auf die Bevölkerung einzuwirken, 
die durch törichte Sprechsaalartikel der hiesigen Zeitungen unnötig 
erregt war. 

Zu gleichem Beruhigungszwecke wurde auch ein Typhus- 
merkblatt unentgeltlich verteilt. 

Des weiteren darf ich noch erwähnen, dass Berichtigungen 
an viele der angeseheoftten Zeitungen geschickt wurden, in denen 
Aber Gebühr aufgebauschte Artikel der betreffenden Blätter über 
den Detmolder Typhus richtig gestellt wurden. 

Zur Pflege armer Rekonvaleszenten wurde im Keller des 
Seminars eine Küche eingerichtet — vulgo Typhusküche ge¬ 
nannt, welche auf Bescheinigung der Aerzte hin an Bedürftige 
gutes Essen in dreierlei Form unentgeltlich verabfolgte. Diese 
ganz auf milden Stiftungen beruhende Einrichtung hat unendliches 
Segen gestiftet und wurde so reichlich bedacht, dass nach ihrer 
Auflösung noch eine grosse Summe übrig blieb. 

Das Wasser der Wasserleitung wurde selbstverständlich 
fortlaufend untersucht. 

Zur Verhütung der Wiederkehr eines solchen Unglücks wurde 
nach dem Vorschläge des Reichs-Gesundheitsamtes die alte Quelle 
der sogenannten unteren Wildsuhle (Berlebecker Quelle) abgefasst 
und durch einen Kanal mehr nach unten geleitet, und zugleich 
der Boden, dort wo das Wasser an der Chaussee gestaut war, 
30 cm hoch mit Ton ausgestampft. Der ganze Teil des nui 
trockenen Talkessels wurde meterhoch mit Sand angeschüttet, um 
einen natürlichen Filter zu haben, sowie Stollen und nächste Um¬ 
gebung stark mit Stacheldraht eingefriedigt. Die oben erwähntes 
Erdfälle wurden ebenfalls mit Sand zugeschüttet. 

Für die jährlich zweimal stattfindende Reinigung des Quellen¬ 
stollens und des Hochbehälters wurde eine genaue Vorschrift über 
Desinfektion der Geräte, der Arbeiter usw. ausgearbeitet, und die 
Aufsicht bei der Reinigung dem Physikus übertragen. 

Diese Massregeln konnten aber allein noch nicht genügen. 
Es wurde daher in einer Stadtverordneten-Versammlung im Prinzip 
beschlossen, noch obendrein ein Wasser-Reinigungsverfahren an¬ 
zuwenden. Zu diesem Zwecke begab sich am 11. Febr. eine Deputa¬ 
tion, der auch der Physikus angehörte, nach Paderborn, um das dor¬ 
tige Ozonwerk in Augenschein zu nehmen. Doch ist zurzeit, wo ich 
dies schreibe, die Sache noch nicht bis zur Entscheidung gediehen. 

Die Gruben in Johannaberg sind ausser Dienst gesetzt und 
zugeworfen, so dass auch von dort her den Quellen keine Gefahr 
drohen kann. 

IV. Statistisches. 

Ich will hier vorweg bemerken, dass sich meine Ausführungen 
nur auf die Zivil-Bevölkerung Detmolds beziehen, da ich 
über die Militärepidemie, die sich auch grösstenteils ausserhalb 



Der Unterleibstyphus in Detmold im Sommer nnd Herbst 1904. 667 


Detmolds abspielte, nicht genügend unterrichtet bin. Nor bei dem 
Verhältnis der Erkrankten zur Einwohnerzahl habe ich die im 
hiesigen Garnisonlazarett behandelten Soldaten mitgezählt, da die 
Garnison ebenfalls in die 13000 Seelen mit einbegriffen ist. 
Sodann war es trotz nochmals angestellten amtlichen Nach¬ 
forschungen, persönlichen Nachfragen bei Aerzten und Genesenen, 
trotz Zuhilfenahme des Adressbuches nicht möglich, die Melde¬ 
listen ganz fehler-frei zu bekommen. Die Uebersicht bietet daher, 
wenn auch nur geringe Lücken. Die Zahl der in Detmold Er¬ 
krankten ist jedenfalls in Wirklichkeit erheblich grösser, als die 
angemeldeten Fälle gewesen; eine Anzahl leichter Fälle — 
Typhus ambulatorius — ist überhaupt nicht zur Anzeige ge¬ 
langt ; ferner sind viele Personen erst nach ihrer Abreise 
von Detmold erkrankt — z. B. in Karlsbald, Bochum, Schötmar, 
Lemgo, Horn, Hannover, Heidelberg usw. — Trotz polizeilichem 
Verbote sind auch von hier Erkrankte nach auswärts ge¬ 
schafft. Die Dienstherrschaft, Prinzipale, Meister usw. liessen 
ihre Untergebenen gern nach Hause reisen, wenn sie über 
Kopfweh, oder Schwindel klagten, und schickten sie nicht erst 
zum Arzte. Sie hatten dann hinterher immer die Entschuldigung, 
die Krankheit nicht für Typhus gehalten zu haben, wenn sie poli¬ 
zeilich belangt werden sollten. Die Berichte der Seminar- und 
Gefangenhausdirektion, sowie diejenigen der Schüler stimmen 
ebenfalls nicht genau mit den amtlichen Meldelisten überein. 
Massgebend für die Statistik sind selbstredend nur die letzteren. 


Die Gesamtzahl der an Typhus erkrankten Personen 
beträgt im ganzen 780 (einschliesslich 40 Soldaten), also bei 
13000 Einwohner (diese Zahl wird Detmold Ende 1904 reichlich 
erreicht haben) 6 % der Bevölkerung. Unter der Zivilbevölkerung 
sind 740 Typhuserkrankungen vorgekommen, die sich der Zeit 
nach wie folgt verteilen: 


Am 28. August. 1 Fall 

1. Woche vom 29. August bis 4. September cinschließl. 177 Fälle. 


2 . 

3. 

4. 

5. 

6 . 

7. 

8 . 


fl 

n 

rt 

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n 

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v 


10 . „ 

Im Laufe des 


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6. 

» 

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11. 

n 

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148 

n 

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12. 

V 

7t 

18. 

ft 

ft 

141 

ft 

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19. 

fl 

71 

25. 

ft 

rt 

97 

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ft 

26. 

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2. 

Oktober 

n 

88 

VJ 

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3. 

Oktober 

fl 

9. 

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37 

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10. 

7) 

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16. 

71 

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22 

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1) 

17. 

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7t 

23. 

n 

ft 

10 

ft 

ft 

24. 

7t 

7t 

30. 

7» 

ft 

7 

V 

ft 

31. 

7t 

ft 

6. November 

rt 

4 

ft 


yy UA, yy yy \J • IWILUiUtl yy TT 

November und Dezember außerdem 8 


Zusammen 740 Fälle. 


Das explosionsartige Auftreten der Zahl der Erkrankungen 
an den einzelnen Tagen sowie der ganze Verlauf der Epidemie 
tritt am besten in den umstehenden graphischen Darstellungen 
hervor. Auffallend ist die übergrosse Schwankung an den einzelnen 
Tagen; die betreffende Tabelle sieht aus wie eine Fiebertabelle 
bei Typhus im Stadium der starken Kurven. Ueber */ 6 der Fälle 
fällt auf die ersten drei Wochen; dann (am 18. September) fällt 




568 




















> 

11 » 
V. 


Der Unterleibstyphus in Detmold im Sommer und Herbst 1904. 
"Zahl der Erkrankungen nachWochen. 


569 


4*0 




Jrc- 

mm 




die Kurve lytisch ab mit 
noch drei Steigerungen am 
20., 28. und 30. September. 

Dem Geschlechte nach 
waren von den Erkrankten 
321 = 43,3 °/ 0 männlich und 
419 = 56,7 °/ 0 weiblich; wir 
sehen also, dass das weib¬ 
liche Geschlecht das männ¬ 
liche bedeutend überwiegt. 
Ich will jedoch dazu be¬ 
merken, dass in Detmold 
das weibliche Geschlecht 
das männliche um circa 300 
übertrifft. Berg gibt in 
seiner bekannten Statistik 
das Verhältnis zwischen 
Männer und Frauen auf 62,2 
zu 37,8 °/o an. Auch bei 
Liebermeister, Fiedler, 
Schultz üb er wiegen die 
Männer. Schon bei den er¬ 
krankten Kindern macht 
sich hier der Geschlechts¬ 
unterschied geltend. Von 
den 740 Erkrankten waren 
unter 15 Jahre alt: 250 = 
33,8 °/o, über 15 Jahre: 490 
= 66,2 °/ 0 ; von den elfte¬ 
ren waren 112 = 44,8 °/ 0 Knaben und 138 = 55,2 °/ 0 Mädchen. 

Die 419 Erkrankungen des weiblichen Geschlechts 
verteilen sich auf folgende Berufe: 

1. Nicht schulbesuchende 

Kinder bis 6 J. einschl. 32 = 7,64°/° 

2. Schülerinnen . . . 100 = 23,87 n 



Wbch^( 


3. 14—löjähr. die Schule 


unter 


davon im Alter von 
20 bis 30 bis über unbe- 


ment menr oesucnenue 
Mädchen . 

6= 1,43 

n 

20 J. 

30 J. 

50 J. 

50 J. 

kannt 

4. Ehefrauen .... 

91 = 21,71 

n 

— 

19 

52 

18 

2 

5. Dienstmädchen. . . 

85 = 20,29 

n 

41 

43 

— 

— 

1 

6. Haustöchter u. ältere 
unverheiratete Damen 

54 = 12,89 

n 

29 

11 

7 

4 

3 

7. Haushälterinnen, Kö¬ 
chinnen . 

12= 2,86 

rr 

1 

10 

— 

1 

— 

8. Schneiderinnen . . . 

12= 2,86 

n 

11 

— 

1 

— 


9. Verkäuferinnen, Laden¬ 
damen . 

7= 1,67 

Ti 

4 

2 

1 

— 


10. Witwen . 

5= 1,2 

V 

— 

1 

1 

3 


11. Arbeiterinnen . . . 

5= 1,2 

Ti 

1 

4 

— 

— 


12. Krankenschwestern . 

4= 0,95 

n 

1 

2 

1 

— 


13. Wäscherinnen, Plätte- 
rinnen . 

4= 0,95 

n 

1 

3 

— 

— 


14. Lehrerinnen .... 

2 = 0,48 

Ti 

1 

— 

1 











570 


Dr. Volkhausen. 


Leider ist nur bei den wenigsten Ehefrauen der Stand der 
Männer angegeben, so dass ich von einer Mitteilung darüber Ab¬ 
stand nehmen muss. 

Das jüngste weibliche Wesen, das vom Typhus befallen, war 
1 Jahr, das älteste 60 Jahre alt. Auch in bezug auf das Alter 
der Kranken zeigt die hiesige Epidemie eine Abweichung von 
ihrem gewöhnlichen Verhalten, indem das Alter von 6—15 J. 
das am meisten leidtragende war: 

1—6 Jahren. . . 32 = 7,6 80—50 Jahren . . 65 = 15,5 

6—15 „ . . . 106 = 25,3 über 50 „ . . 25= 6,0 

15—20 „ ... 90 = 21,5 unbekannt .... 6 = 1,43 

20-30 «... 95 = 22,67 

Personen männlichen Geschlechts erkrankten, wie 
schon erwähnt: 821 = 43,3°/ 0 . Davon waren bis 15 Jahre alt: 
113 = 35%, über 15 Jahre alt: 208 = 65°/o. 

Von den Knaben bis 15 Jahren waren: 

nicht schulpflichtig 30 = 26,55 °/ 0 Lehrlinge .... 6 = 6,31 °/ 0 

Schüler .... 77 = 68,14 „ 


Von den 208 männlichen Personen über 15 Jahre waren: 





davon im Alter 

von 




unter 

20 bis 

30 bis über 

unbe- 



20 J. 

30 J. 

50 J. 50 J. 

kannt 

Handwerker und Gewerbe- 


20 

30 

24 

7 

2 

treibende. 

83 = 39,90 °/ 0 






Arbeiter. 

25 = 12,12 „ 

4 

9 

11 

1 


Lehrlinge (ohne Hand- 







lungslehrlinge) . . . 

20 = 9,62 „ 

20 

— 

— 

— 

— 

Kaufleute, Kontorpersonal 

16= 7,69 „ 

4 

7 

5 

— 

— 

Schüler . 

9= 4,33 „ 

8 

1 

— 

— 

— 

Seminaristen. 

9 = 4,33 „ 

8 

1 

— 

— 

— 

Gefangene. 

9 = 4,33 „ 

1 

5 

2 

1 

— 

Wirte, Kellner .... 

5= 2,40 „ 

1 

2 

2 

— 

— 

Studenten . 

4= 1,92 „ 

1 

3 

— 

— 

— 

Fabrikanten. 

3= 1,44 „ 

— 

— 

3 

— 

— 

Lehrer ....... 

3= 1,44 „ 

•- 

— 

2 

1 

— 

Schreiber. 

2= 0,97 „ 

2 

— 

— 

— 

— 

Aerzte. 

2= 0,97 „ 

— 

— 

2 

— 

— 

Sekretäre . 

2= 0,97 „ 

— 

— 

2 

— 

— 

Zeitungsleiter .... 

1= 0,48 „ 

— 

— 

1 

— 

— 

Rentner . 

1= 0,48 „ 

— 

— 

— 

1 

— 

Polizeidiener. 

1= 0,48 „ 

•- 

— 

— 

1 

— 

Gartendirektor .... 

1= 0,48 „ 

— 

— 

— 

1 

— 

Bankdirektor. 

1= 0,48 „ 

— 

— 

1 

— 

— 

Apotheker. 

1= 0,48 „ 

— 

1 

— 

— 

— 

Baumeister. 

1= 0,48 „ 

— 

— 

1 

— 

— 

Aufseher. 

1= 0,48 * 

— 

1 

— 

— 

— 

Techniker. 

1= 0,48 „ 

— 

— 

1 

— 

— 

Schriftsteller. 

1= 0,48 „ 

— 

— 

1 

— 

— 

Werkmeister. 

1= 0,48 „ 

— 

— 

1 

— 

— 

Katastergehilfe .... 

1 = 0,48 „ 

1 

— 

— 

— 

— 

Monteur. 

1= 0,48 „ 

— 

1 

— 

— 

— 

Kammerherr. 

1= 0,48 „ 

— 

— 

— 

1 

— 

Zeichner. 

1= 0,48 „ 

1 

— 

— 

— 

-. 

Rendant . 

1= 0,48 „ 

— 

— 

— 

1 

— 

Handwerker 

und Gewerbetreibende sind 

also am 

stärksten beteiligt; von denselben 

waren 

• 

• 




Tischler. 

... 18 

Maurer 

• • 

i • • • 

. • 

8 


Bäcker.8 Schneider . ,.8 





























Der Unterleibstyphus in Detmold im Sommer und Herbst 1904. 571 


Tapezierer.7 

Hauderer.7 

Gärtner.6 

Steindrucker, Schriftsetzer, 

Lithographen.5 

Schmiede, Schlosser ... 4 

Hetzger.3 

Schuster.2 

Zimmerer.2 


Dachdecker.2 

Barbiere.2 

Seiler.1 

Drechsler.1 

Seifensieder.1 

Buchbinder.1 

Gießer.1 

Brauer . 1 


Von den 321 männlichen Erkrankten waren im Alter von 

1-6 Jahren . . 30 = 9,35 °/ 0 30-50 Jahren . . 59= 18,38°/, 

6-15 » . . 83 = 25,86 „ üb. 60 Jahre . . 16 = 4,67 „ 

15—20 „ . . 71 = 22,12 „ unbekannt ... 2 = 0,62 „ 

20-30 „ . . 61 = 19,0 „ 

Also auch hier ist das Alter von 6—15 Jahren am meisten 
beteiligt. Der jüngste männliche Kranke war l 1 /*, der älteste 
72 Jahre alt. 

Wenn wir die beiden Geschlechter zusammen betrachten, so 
ergibt sich betreffs des Alters der Erkrankten folgendes: 

Es erkrankten im Alter von 

1-6 Jahren. . 62 = 8,38»/„ 30 -50 Jahren. . 124 = 16,76°/, 

6-15 „ . . 189 = 25,54 , üb. 50 Jahre . . 40 = 5,40 „ 

15—20 „ . . 161 = 21,76 „ unbekannt ... 8 = 1,08 „ 

30-30 „ . . 156 = 21,08 „ 

Weit über die Hälfte aller Fälle kommt demnach auf das 
Alter bis zum 20. Jahre; Verhältnis 55,7 : 44,3°/ 0 . 

Gestorben sind von den 740 Fällen 54 = 7,29°/ 0 , und zwar 
30 weibliche = 7,16°/ 0 und 24 männliche = 7,48 °/ 0 . 


Es starben 
«Wechte: 


von den Erkrankten des weiblichen Ge- 


von 

91 Ehefrauen .... 
65 Dienstmädchen . . 
54 Töchtern u. älteren 
ODTerheirateten Damen 
ICO Schülerinnen . . . 
32 Kindern unter 6 J. . 

7 Verkäuferinnen . . 

5 Arbeiterinnen . . 


10 = 10,9 < 
10 = 11,7 

3 = 5,55 
3= 3,0 
2= 6,25 
1 = 14,3 
1 = 20,0 


davon im Alter von 
unt. 20 J. 20—30 J. 30—50J. üb.50J. 


2 

6 


3 (9,12,14 J.)- 
1 (5 J.) - 

— 1 
1 (15) 


8 


Von den 30 verstorbenen weiblichen Personen starben also 


iw Alter von 


1-6 Jahren . . 2= 6,7 °/ 0 20-30 Jahren . . 10 = 33,3 °/ 0 

6—16 . . 4 = 13,3 „ 30-50 „ . . 4 = 13,4 „ 

15-20 „ . . 4 = 13,3 , über 50 „ . . 6 = 20,0 „ 

Die grösste Sterblichkeit zeigt sich danach im Alter von 
20 bis 80 Jahren. 

Die 24 verstorbenen männlichen Personen = 7,48°/» ver¬ 
teilen sich auf die einzelnen Berufe und Altersklassen wie folgt: 


Es starben von 


Handwerkern . . 8 = 9,6 , 

“ Schülern (einschl. 

«her 15 J.) ... 4= 4,65 , 

»Arbeitern. . . . 2 = 8,0 °/ 

20 Lehrlingen . . . 2 = 10,0 

2 Aerzten .... 2 = 100 



davon im Alter 


unter 

20 bis 

30 bis 

über 

un¬ 

20 J. 

30 J. 

50 J. 

50 J. 

bekannt 

— 

2 

2 

2 

2 

4 

_ 

_ 

— 

— 


2 



















572 


Dr. Volkhausen. 



Davon im Alter 

unter 
20 J. 

20 bis 
80 J. 

80 bis 
50 J. 

über 
50 J. 

na- 

bekannt 

9 Seminaristen 

. 1 = 11,1 „ 

— 

1 

— 

— 

— 

9 Gefangenen . . 

. 1 = 11,1 „ 

— 

— 

— 

1 

— 

1 Schriftsteller . 

. 1 = 100,0 „ 

— 

— 

1 

— 

— 

3 Lehrern . . . 

. 1 = 33,3 „ 

— 

— 

1 

— 

— 

4 Studenten . . 

. 1 = 25,0 „ 

— 

1 

— 

— 

— 

1 Polizist . . . 

. 1 = 100,0 „ 

— 

— 

1 

— 

— 

Es standen 

also von den 

24 Verstorbenen männlichen Ge- 


schlechts im Alter von 

6-15 Jahren. . 4 = 16,67 «/o 30-50 Jahren . . 8 = 33,33°/, 

16-20 „ . . 2 = 8,33 w über 50 , . . 3 = 12,50 , 

20—30 „ . . 5 = 20,83 „ unbekannt ... 2= 8,34 , 

Die Gesamtzahl der Verstorbenen verteilt sich auf 
die einzelnen Altersklassen wie folgt: 

1—6 Jahren. . 2= 3,70°/ 0 30-50 Jahren . . 12 = 22,22 , 

6—15 „ . . 8 = 14,82 „ über 60 Jahre . . 9 = 16,67 , 

15—20 „ . . 6 = 11,11 „ unbekannt .... 2 = 3,70 , 

20-30 „ . . 15 = 27,78 „ 

Nachstehend die Uebersichten von den verschiedenen Schalen 
mit dem Bemerken, dass diese mit den amtlichen Meldungen absollt 
nicht in Einklang zn bringen sind. Es bleibt nur die Annahne 
übrig, dass viele leichte Fälle weder ärztlich behandelt noch ge¬ 
meldet sind, und dass bei der späteren Bandfrage Kinder sich ab 
typhuskrank gemeldet haben, die es nicht gewesen sind: 

Zahl der Schülerinnen 


bezw. 

Schüler 

davon erkrankt 

gestorben 

Höhere städt. Mädchenschule . . . 

260 

27 

— 

Evangelische Mädchenschule . . . 

455 

65 

3 

Jüdische Schule (Mädchen). . . . 

6 

8 

— 

Katholische Schale (Mädchen) . . 

78 

5 

1 

Summa der Mädchen 

794 

100 

4 

Gymnasium. 

606 

59 

3 

Evangelische Knabenschule . . . 

478 

46 

1 

Katholische Schule (Knaben) . . . 

71 

1 

— 

Jüdische Schale (Knaben) .... 

2 

— 

— 

Summa der Knaben 

1057 

106 

4 

Gesamtzahl 

1851 

206 

8 


Im Gymnasium entfielen auf die einzelnen Klassen: 


Klasse 

Schülerzahl 

JLrKranKt 
in Detmold 

Ab7eSe r Zu8anmea 

tot 

01 

11 

1 

— 

1 

— 

UI 

20 

1 

— 

1 

— 

0II g 

10 

1 

1 

2 

— 

Ullg 

21 

1 

— 

1 

— 

UII r 

23 

1 

1 

2 

— 

0111g 

26 

2 

— 

2 

— 

0III r 

25 

4 

— 

4 

— 

ÜHIg 

27 

4 

— 

4 

— 

U III r 

38 

3 

1 

4 

1 

IV g 

31 

7 

— 

7 

1 

IV r 

25 

3 

1 

4 

— 

Vg 

21 

4 

— 

4 

— 

Vr 

34 

3 

1 

4 

— 

VI g 

31 

3 

— 

3 

— 

Vir 

37 

4 

— 

4 

— 

Vorschule 1 

50 

9 

1 

10 

1 

„ 2 

45 

6 

1 

7 

— 

„ 3 

31 

2 

— 

2 

— 


Summa: 506 


59 


7 


66 


3 





Der Unterleibstyphus in Detmold im Sommer and Herbst 1904. 578 


Von den 7 auswärts Erkrankten waren 

Abgereist Erkrankt Abgereist Erkrankt 


1) 2. September 


3. 

September 

5) 

7. September 


11. September 

2) 3. 


17. 

w 


6) 

7. 


25. 

9 

3) 6. 


23. 

w 


7) 

7. 


12. 

ff 

4) 7. 


15. 

* 










Bürgerschule. 







Zahl 

Erkrankt 

Im Alter Gestorben 

Im Alter 

Knaben - Klasssc 

I 


43 

6 


12—14 

1 


14 

jf 

II 


58 

6 


12—14 

— 


— 

9 

III 


69 

6 


11—13 

— 


— 

n 

IV 


59 

6 


10—12 

— 


— 

yt 

V 


78 

5 


9—11 

— 


— 

ft 

VI 


79 

8 


8- 9 

— 


— 

9 

VH 


92 

9 


7— 8 

— 


— 

Summa 


478 

46 



1 



Mädchen -Klasse 

I 


75 

18 


13-14 

1 


14 

j! 

n 


75 

17 


11—14 

1 


12 

9 

m 


80 

8 


10—12 

— 


— 

9 

IV 


74 

3 


9—10 

— 


— 

ff 

V 


71 

14 


8— 9 

— 


— 

9 

VI 


80 

10 


7- 8 

1 


7'/* 

Summa 


455 

65 



3 



Gesamtzahl 


933 

in 



4 




V. Mitteilungen über den Erankheitsverlauf. 

Die nachfolgenden Mitteilangen über Krankheitsverlauf 
uv. beziehen sich nicht allein auf die im Krankenhause be¬ 
reiten Fälle, sondern auch auf die Privatkranken der Stadt, 
hfan mir die hiesigen Kollegen die für jeden einzelnen ihrer 
Kranken von mir ausgeschriebenen ausführlichen Fragebogen mit 
grosser Liebenswürdigkeit ausgefüllt haben. 

Es ist ohne weiteres klar, dass bei einer solchen grossen 
( Anzahl von Fällen Typhenaller Art beobachtet wurden, von den 
leichtesten bis zu den schwersten, die eine Geduldsprobe für 
Kranke, Angehörige und Aerzte bildeten. Viele Fälle waren so 
' leicht, dass man sie bei sporadischem Vorkommen sicherlich nicht 
". ft* Typhus gehalten hätte, die aber unter diesen obwaltenden 
2 ; Umständen mit Hecht als Typhus angesprochen wurden, zumal 
i Influenza z. Z. völlig fehlte. Die Zahl der leichten Fälle ist bei 
- Kätnern viel grösser, als bei Frauen; es ist vielleicht ein Ver- 
: hältuis von 2 : 1. 

r Was die Anfangserscheinungen betrifft, so spielt hier— 
t *ie ja bei jedem Typhus — das Kopfweh eine grosse Rolle. Sehr 
| bäuflg wird auch Nasenbluten erwähnt, z. B. auf einem Fragebogen 
? unter 11 Fällen siebenmal; während der Dauer der Krankheit 
! vw es dagegen selten. Nur in einzelnen Fällen hielt das Nasen- 
'< bluten durch, dann aber die Nacht oft mehrere Male. 

Das fernere Hauptsymptom war ein Schmerz, der sich in 
f Kreuz-, Nieren- und Nackengegend, besonders aber im 
| Sichen lokalisierte, an letzterer Stelle oft so schlimm, dass Eltern 
j den Arzt einer vermeintlichen Diphtherie wegen holen liessen. Zu 
whcn war gewöhnlich nichts, höchstens eine leichte Rötung. 



674 


Dr. Volkhaosen. 


Eine feraere Eigentümlichkeit unserer Epidemie war die 
Verstopfung. Ich möchte wohl sagen, dass zwei Drittel aller 
Fälle mit Verstopfung bezw. nicht mit Durchfall einherging, und 
wohl noch nie haben die Einläufe bei einer Typhusepidemie eine 
solche Bolle gespielt, wie hier. 

Auffallend gross war auch die Zahl der Schwerhörigkeit 
im Anfänge, oft das einzige Symptom, weswegen die Kranken 
den Arzt aufsuchten, der dann zu ihrer Verwunderung einen 
Typhus feststellte; objektiv war im Ohr nichts nachzuweisen. 

Ein seltener Gast war dagegen Bronchitis, während sie 
sonst beim Typhus Hausfreund zu sein pflegt. Ein Kollege er¬ 
wähnt sie z. B. unter 25 Fällen nur einmal. 

In einer grossen Anzahl von Fällen fehlte ausser Fieber 
jegliches Symptom, dass die Kranken glaubten, gar nicht krank 
zu sein. Ich habe hier nicht allein die leichten Fälle im Auge. 
Viele Kinder pfiffen, sangen und waren trotz hohem Fieber 
guter Dinge. 

Milzschwellung war im allgemeinen vorhanden; bei leich¬ 
teren Fällen kein Exanthem, wohl aber in schwereren. 

Die höchste beobachtete Temperatur war 42°, die zweit¬ 
höchste 41,2. Sie hielt sich in diesem Falle noch 10 Tage 
auf 40°, dann trat der Tod auf der Höhe der Krankheit ein. 
Temperaturen von 40,8° sind auch in ein paar anderen Fällen, 
aber nur vorübergehend, beobachtet Selbstredend beziehen sich 
diese Angaben nur auf unkomplizierte Fälle. — Längere Zeit auf 
40 0 hielt sich die Temperatur auch nur in ein paar Fällen; einmal 
16, in einem anderen Falle 21 und in einem dritten Falle sogar 
27 Tage. 

Zahlreich sind sogenannte steile Kurven beobachtet; 8 tägige 
Differenzen von 36,2—38,8 und 39,2 waren z. B. keine Seltenheiten. 
Die niedrigste Temperatur war 35 0 in einem sogenannten Pseudo¬ 
kollaps. Häufig waren ferner Schüttelfröste, teils mit, teils ohne 
Temperaturerhöhung, ohne nachweisbare Ursachen und ohne nach¬ 
weisbare Folgen und ohne dass sie die Rekonvaleszenz einleiteten. 
In einem Falle sieben Schüttelfröste in 9 Tagen. Desgleichen 
liess sich jede Art von Anstieg und Abfall beobachten: rascher 
Anstieg, langsamer Abstieg und umgekehrt, rascher Anstieg, 
rascher Abfall usw. Mehrfach hat sich auch ein auffallendes Miss¬ 
verhältnis zwischen Puls und Temperatur gezeigt. 

An Rezidiven sind unter den 740 Fällen 91 = 12,8°/ 0 beob¬ 
achtet, Männer und Frauen waren fast zu gleichen Teilen daran 
beteiligt, 43 Männer und 48 Frauen, also von 821 erkrankten 
Männern 13,4 und von 419 erkrankten Frauen 11,4 °/o. 

Die von Rezidiv ergriffenen Personen standen im Alter 

bis 15 Jahren . . 25 = 27,5°/ 0 30-50 Jahren . . 11 = 12,1°/* 
16—30 „ . . 46 = 50,5 „ über 60 „ . . 9 = 9,9 , 

Es erkrankten von 490 Erwachsenen 66 = 13,5 °/ 0 , von 
250 Kindern 25 = 10 °/ 0 an Rezidiven. Nach Geschlecht und 
Beruf verteilen sich diese Rezidiven wie folgt: 



Der Unterleibstyphus in Detmold im Sommer und Herbst 1904. 67fi 


&. Weibliche Personen. 
Nicht schulpflichtige . 5 = 10,42 °/ ( 

Schulpflichtige . . . 8 = 16,67 , 

Mägde, Köchinnen etc. 17 = 35,42 , 

b. Männliche Personen. 


Nicht schulpflichtige . 1 = 2,3 °/ ( 
Schulpflichtige . . . 11 = 25,8 , 
Handwerker .... 8 = 18,6 , 
Lehrlinge m. KauflehrL 3= 7,0 , 

Ksufleute.3 = 7,0 , 

Barbiere.2= 4,7 , 

Sträflinge.2 = 4,7 , 

; Metager.2 = 4,7 , 

Kätscher, Hauderer . 1 = 2,3 , 

Lehrer.1 = 2,3 , 


Töchter, unv. Damen 10 = 20,88 % 
Frauen und Witwen . 7 — 14,58 , 
Verkäuferinnen . . 1 = 2,08 , 


8ekretär.1 = 2,3 °/ ( 

Privatier.1 = 2,3 , 

Student . 1 = 2,3 , 

Direktor.1 = 2,3 „ 

Zeitungsleiter . . . . 1 = 2,3 , 

Kellner.1 = 2,3 , 

Apotheker.1 = 2,3 , 

Arbeiter.1 = 2,3 , 

Bäcker.1 = 2,3 „ 


Der Beginn des Rückfalls schwankt zwischen zwei Tagen 
md drei bis vier Wochen. Die Dauer war 5—14 Tage; nur in 
: t 10 Fällen war sie länger, und zwar sechsmal 3—4 Wochen. 

Was nun die Frage betrifft: sind die Rezidive spontan oder 
doreh Diätfehler veranlasst, so kommen Diätfehler so gut wie gar 
nicht in Betracht. Nur fünfmal wird Diätfehler und einmal zu 
frühes Aufstehen beschuldigt. Die übrigen Rezidive sind sämtlich 
; ipratan erfolgt bei Hafersuppe, Milchdiät und ruhiger Bettlage, 
- oder bei vorgeschriebener, erlaubter Kost. So hat z. B. das 
Krankenhaus eine ganze Menge Rezidive aufzuweisen, obwohl 
Dittfehler doch hier mit Sicherheit auszuschliessen sind. 


Von Komplikationen sind Darmblutungen 50mal 
©getreten (d. h. bei 50 verschiedenen Kranken) = 6,7 °/ 0 . Diese 
M deckt sich genau mit der Berg sehen. Berg gibt zwar 
Seite 18 5,5 °/o an, doch liegt hier ein Druckfehler vor, es muss 
0)3 heissen. 

Die früheste Blutung trat am 7. Tage ein, später zu jeder 
Zeit, in der 2. Woche am meisten; in protrahierten Fällen 
wurden Blutungen in der 6., 7. und 8. Woche beobachtet. Sie 
fanden sich sowohl während der eigentlichen Krankheit, wie bei 
Rückfällen ein. Wiederholte Blutungen wurden bei Frauen 14 mal 
und bei Männern 8 mal beobachtet. Das längste Intervall war bei 
enteren 14 und bei letzteren 11 Tage. Einmal wurden bei einem 
Henne drei starke Blutungen an einem Tage, und einmal vier 
Tage hintereinander beobachtet. Die Blutungen werden bei Frauen 
einm&l als stark mit nachfolgender Anaemie, bei Männern sechsmal 
' *ls schwer bezeichnet. Die Behauptung, dass Blutung mit nach¬ 
folgendem starken Temperaturabfall stets ein böses Omen sei, 
wid. durch unsere Epidemie nicht bestätigt. Es ist Temperatur¬ 
sinken ohne bösen Ausgang, sowie Gleichbleiben der Temperatur 
mit einem solchen zur Beobachtung gelangt. Subnormale Tempe¬ 
ratur mit gutem Ausgange ist einmal bei einer 12jähr. Schülerin 
' beobachtet. 

Die 50 mit Blutungen verlaufenden Erkrankungen verteilen 
sich nach Alter, Geschlecht und Beruf folgendermassen: 
















576 


Dr. Volkhausen. 


Nicht schalpflichtige . 1= 2°/ 0 80—60 Jahren . . . 19 = 38 % 

Schalpflichtige . . . . 3 = 6 „ über 50 „ ... 7 = 14 , 

15—30 Jahren . . . . 20 = 40 , 

Die älteste Fraa war 63 and der älteste Mann 64 Jahre alt. 

In bezog auf das Vorkommen von Blutnngen bei weiblichen 
nnd männlichen Personen kann man sagen, dass sich beide Ge¬ 
schlechter ehrlich in diese geteilt haben; denn es sind 26 Frauen 
= 52 °/ 0 nnd 24 Männer = 48 °/ 0 davon befallen. Hinsichtlich 
des Berufes der davon ergriffenen Personen ergibt sich folgendes: 

Von den 26 weiblichen Personen waren 
nicht schulpflichtig . l = 3,85°/o unverheiratet (15—30 J.) 12 = 46,15«,'« 

schulpflichtig ... 2 = 7,7 „ Frauen (Witwen). . . 11 = 42,30 t 

Unter den 12 unverheirateten waren 5 Tochter, 4 Mägde, 2 Schneide¬ 
rinnen und 1 Buffetdame. 

Von den 24 männlichen Personen waren 


schulpflichtig . . . 1 = 4,17 °/ 0 Polizist.1 = 4,17 °/o 

höhere Schüler . . 2 = 8,33 * Bäcker.1 = 4,17 m 

Kaufleute .... 4 = 16,66 „ Barbier.1 = 4,17 „ 

Handwerker . . . 4 = 16,66 „ Hauderer.1 = 4,17 „ 

Aerzte.2 = 8,33 „ Fabrikant.1 = 4,17 . 

Arbeiter.2 = 8,33 „ Zeitungsleitcr . . . 1 = 4,17 , 

Lehrer.2 = 8,33 „ Rentner.1 = 4,17 „ 


Pneumonie kam 33mal zur Beobachtung, also in 4,5% 
der Fälle (von doppelter abgesehen), und zwar bei 

nicht schulpfl. Kindern 5 = 15,15°/ 0 30—50 Jahren. . . 3= 9,09°/» 
schulpflichtigen Kindern 4 = 12,12 „ über 50 „ ... 1 = 3,03 , 
15-30 Jahren . . . 20 = 60,61 „ 

Der Sitz der Pneumonie ist nicht jedesmal genau angegeben 
und deshalb von einer Zusammenstellung hier Abstand genommen. 
5 mal war die Lungenentzündung doppelt, 4 mal bei Frauen und 
1 mal bei Männern. Ihr Eintritt ist ganz verschieden; er erfolgte 
sowohl im Beginn des Typhus, als auch zu jeder anderen Zeit 
Von den 83 Fällen kommen 21 = 63,6% auf das weibliche 
und 12 = 36,4 % auf das männliche Geschlecht. Es überwiegt 
also das weibliche Geschlecht bedeutend. Dem Alter nach waren 

von den weibl. Personen von den m&nnL Persone« 
nicht schulpflichtige . . 3 = 14,28 °/o 2 = 16,7 °/ 0 

schulpflichtige .... 3 = 14,28 „ 1 = 8,3 „ 


15-30 Jahre.12 = 57,16 „ 8 = 66,7 „ 

30—50 .. 2= 9,52 „ 1= 8,8 „ 

über 50 „.1 = 4,77 „ 


Unter den 8 männlichen Personen im Alter von 15—30 Jahren 
waren 2 höhere Schüler, 4 Handwerker und 2 Lehrlinge. 

Pleuritis kam 6mal zur Beobachtung = 0,8%, 5mal bei 
Frauen, lmal bei Männern, 83,3 : 16,7%, und zwar stets nur im 
späteren Krankheitsstadium; 4mal ist sie als linksseitige be¬ 
zeichnet, 2mal fehlen die Angaben; 5mal war sie eine trockene, 
1 mal wurden 1200 ccm seröser Flüssigkeit bei einer Frau entleert. 
Von den Frauen standen 3 im Alter von 20—30 Jahren, eine 
war 50jährig, die andere 5Sjährig. Das männliche Individuum 
war 19 Jahre. 

Bronchitis war, wie schon erwähnt, lange nicht so häufig 
wie sonst beim Typhus. Im ganzen sind 76 Fälle notiert, also 
etwas über 10%. Sie verlief mit wenigen Ausnahmen leicht 

















Der Unterleibstyphus in Detmold im Sommer und Herbst 1904. 677 


Endocarditis and andere Herzerkrankungen sind 
nur beim weiblichen Geschlecht« beobachtet und zwar 4 mal 
= 0,54%. Eine genaue Bezeichnung der Erkrankungen fehlt, 
nur einmal wird die Aorta erwähnt. Die Fälle betreffen 2 Ehe¬ 
frauen von 31 und 26 Jahren und 2 ledige Mädchen von 21 Jahren. 
Alle 4 Affektionen traten im späteren Stadium auf: Ende der 
4., Mitte der 5., in der 7. und Ende der 8. Woche, und zwar Smal 
in der Rekonvaleszenz. Das Fieber stieg in diesen 3 Fällen 
regelmässig um drei Grad und darüber, um 6, 11 und 13 Tage 
anzuhalten. Im letzteren Falle sank es allmählich nach einer 
Blutung. In dem 4. Falle — protrahiert sowie mit Blutung und 
Otitis vergesellschaftet — stieg das Fieber nicht. Sämtliche 
Fälle verliefen günstig. Ein Fall mit altem Herzfehler bei einer 
81 jährigen Frau wurde vom Typhus absolut nicht alteriert. Eine 
66 jährige Frau mit Aderverkalkuug genas, ein 66 jähriger Mann 
mit dieser Erkrankung starb (mit Blutung). Ein Fräulein von 
58 Jahren und zwei rüstige Männer von 48 und 41 Jahren — 
alle drei mit Fettherz — fielen der Seuche zum Opfer. Der letzte 
Fall war noch durch Blutung im Rückfalle kompliziert. 

Thrombose ist 11 mal beobachtet, ca. 1,5%, und zwar 
8mal bei Frauen und 3mal bei Männern: 72,7 : 27,3; 5mal ist 
die linke grosse Saphenalvene, lmal die rechte erwähnt, 4 mal 
fehlt die Angabe. Interessant ist ein Fall bei einem 16jährigen 
Lehrling, der an einer Thrombose im Pfortadersystem litt mit 
nachfolgendem Ascites; der Ausgang war Heilung. Der früheste 
Eintritt der Thrombose war Ende der 2. Woche, der zweitnächste 
erfolgte in der 3. Woche, die übrigen Fälle traten in der 4. Woche 
und später ein. Nur in einem Falle Btieg die Temperatur um ca. 
8° und hielt sich 17 Tage auf der Höhe. Die Th. war stellen¬ 
weise sehr schmerzhaft und verzögerte die Genesung in jedem 
Falle bedeutend. Die früheste Jugend blieb von dieser Komplikation 
ganz verschont. Es standen im 

davon weibl. Personen männl. Personen 

schalpflichtigen Alter . 2 = 18,18 % 1 = 12,5 °/ 0 1 = 33,4 °/ 0 

15—30 Jahren .... 4 = 36,36 „ 3 = 37,5 „ 1 = 33,3 „ 

30—50 „ .... 5 = 45,46 „ 4 = 50,0 „ 1 = 33,3 „ 

Abszesse und Furunkulose sind in 22 Fällen beobachtet 
= 2,9%, und zwar 3 Fälle von starker Furunkulose, 1 Karbunkel 
tmd 18 Abszedierungen. Bis auf 2 stellten sich sämtliche Fälle 
in der Rekonvaleszenz, bezw. im Rückfälle ein. Ihr Sitz war 
überall: Haut, Unterhautzellgewebe, am Halse, Fussrücken, Ell¬ 
bogen, Kopf, Becken, Steiss, Achseldrüsen und Leistendrüsen, 
Kiefer. 

Karbunkel, und zwar am Halse, ist bei einem 63jährigen 
Herrn beobachtet. Nach Alter und Geschlecht verteilen sich diese 
Erkrankungen wie folgt: 

zusammen weibl. Personen männl. Personen 
nicht schulpfl. Kinder . 2= 9,09 °/o — °/ 0 2 = 18,18 °/ 0 

schalpflichtige „ . 3 = 13,64 „ 3 = 27,27 „ — „ 

15—HO Jahren . . . 10 = 45,45 „ 6 = 54,55 „ 4 = 36,37 „ 

30-50 „ ... 3 = 13,64 „ 1= 9,09 „ 2 = 18,18 „ 

Uber 50 „ . . . 4 = 18,18 „ 1 = 9,09 „ 3 = 27,67 


V 



678 


Dr. Volkhaosen. 


Ein 63jähriger Herr litt in der Rekonvaleszenz an Peri¬ 
ostitis, bezw. Osteomyelitis tibiae, die eine Nekrotomie nötig 
machte. 

Erysipelas ist einmal bei einer 19jährigen Schneiderin 
erwähnt. 

Parotitis ist dreimal beobachtet nnd zwar nur beim weib¬ 
lichen Geschlechte. Die ersten beiden Fälle betreffen zwei 12 
jährige Schülerinnen, welche zwischen 1. and 2. Woche bezw. in 
der 4. Woche in der Rekonvaleszenz erkrankten; im letzteren 
Falle stieg die Temperatur von 36 auf 40° nnd hielt sich zwei 
Tage aaf der Höhe. Die dritte Kranke war eine 20jährigen Magd, 
welche gleich zu Anfang an einer leichten rechtsseitigen Paro¬ 
titis erkrankte. Der Ausgang war in allen Fällen gut. 

Epididymitis ist einmal bei einem 10jährigen Schüler 
beobachtet. 

Ueber febrile Albuminurie und Nephritis finde ich 
wenig bemerkt. Ich glaube nicht, dass die Kollegen bei ihrer 
unendlichen Arbeit Zeit hatten, den Urin regelmässig zu unter¬ 
suchen, was geschehen müsste, wenn man genau über diese Dinge 
unterrichtet sein will. 

Blasenerkrankungen und dergl. zeigten sich teils als 
Blasenbeschwerden, teils als Anurie im Anfänge, die mehrfach 
die wiederholte Anwendung des Katheters nötig machte. Cystitis 
ist im ganzen 6 mal gemeldet = 0,8 °/ 0 . Sämtliche Fälle hatten 
einen guten Ausgang; 4mal bei Männern und 2mal bei Frauen. 

Partus und Abort. Soweit bekannt, waren von den erkran- 
ten Frauen 5 schwanger; das wären — wenn man von den 91 
Frauen diejenigen über 50 Jahre nnd 2 unbekannte abzieht — 7,0 °/ 0 . 
Von diesen hat eine 25 jährige nach 3 Wochen abortiert (Tod durch 
Embolie). Die zweite 24 jährige hat nach 10 tägigem leichten 
Fieber eine normale Geburt gehabt, die dritte, 28 Jahre alt, war 
im 4. Monat schwanger und hat nach der Genesung im 6. Monat 
abortiert. Bei den zwei letzten, welche im 6. bezw. im 1. Monat 
schwanger waren, sind keinerlei üble Folgen eingetreten. 

Endometritis ist einmal bei einer 52jährigen Witwe in 
der Rekonvaleszenz beobachtet. Bei einem 53 jährigen Fräulein 
vergrösserte sich und vereiterte im Typhus schnell eine Ovarial- 
zyste, deren Entfernung notwendig wurde. Tod durch Herzlähmung, 
drei Wochen nach gelungener Operation. 

Peritonitis und Perforationen. Peritonitische Reiz¬ 
erscheinungen sind mehrfach beobachtet; Peritonitis mit gutem 
Ausgange einmal bei einem 20jährigen Buchbinder; Perforations¬ 
peritonitis dagegen 7 mal = 0,9 °/ 0 und zwar 3 mal bei Frauen und 
4 mal bei Männern, die sämtlich im Alter von 20—41 Jahren standen. 
Der frühste Fall trat zwischen 2.—3. Woche, der späteste in der 
5. Woche ein. Bei einem Kranken wird ein Diätfehler beschuldigt, bei 
einem anderen gingen Blutungen vorher, bei einem dritten wurde 
starke Bronchitis, beobachtet (Perforation wahrscheinlich durch 
das starke Husten bedingt). Ein Fall wurde durch einen starken 
Schüttelfrost eingeleitet. Der Ausgang war immer der Tod. Eine 



Der Unterleibstyphus in Detmold im Sommer and Herbst 1904. 679 


Frau ist noch nachträglich — 2 Monate nach ihrer Entlassung 
ans dem Krankenhanse — an Perforationsperitonitis gestorben. 
Die Sektion ergab einen Durchbruch eines geheilten Typhusge¬ 
schwürs, dessen Grund nur von der Serosa gebildet war (dieser 
Fall ist in die 7 Fälle nicht mit hineingerechnet). — 

An Perityphlitis erkrankte eine 21jährige Magd gleich 
zu Anfang und zwar an Perityph. exsudativa mit Ausgang in 
Genesung. 

Lebererkrankungen sind 4mal notiert, sämtlich bei Er¬ 
wachsenen = 0,5 °/ 0 , dreimal bei Frauen, einmal bei einem Manne; 
alle diese Kranken waren über das 30. Jahr hinaus. Bei einer 
46 jährigen Frau bestand Icterus während des Fiebers, bei den 
beiden anderen — 33 jährigen und 51 jährigen — bestanden Kolik¬ 
anfälle, bei der 51jährigen auch mehreremale leichter Icterus 
mit palpabler und schmerzhafter Gallenblase. Der an Kolik mit 
einem Tumor in der Lebergegend erkrankte männliche Typhus¬ 
kranke war ein 35 jähriger Arbeiter. 

Schwerhörigkeit war — wie schon erwähnt — oft vor¬ 
handen. Otitis media ist fünfmal notiert 0,6—0,7 °/ 0 , Smalbei 
Frauen, 2 mal bei Männern. Eine 8 jährige Schülerin hatte doppelte 
Otitis. Der zweite Fall — Otitis sinistra — betraf ein 21 jähriges 
Fräulein, und stellte sich in der 5. Woche ein, (kompliziert mit 
Endocarditis und Blutung); der dritte betraf eine 36jährige Frau, 
bei der sich in der 4. Woche Otitis mit Durchbruch des Trommel¬ 
fells einstellte, der vierte einen 2 jährigen Sohn mit Otitis duplex, 
und der letzte einen Arbeiter, der in der Genesung mit Fieber¬ 
steigerung (40° 2 Tage lang) daran erkrankte. Der Ausgang 
war bei allen ein guter. 

Keratitis phyctaenulosa gelangte einmal bei einem Arbeiter 
im Anfangsstadium des Typhus zur Beobachtung. 

Meningitische Erscheinungen und Psychosen. Stärkere 
Beizungen und Psychosen sind 31 mal zur Beobachtung gelangt 
= 4,2% und zwar 

Fr&aen Männer Zusammen 
Starkes Verwirrtsein . . 1 1 2 

Delirien. 6 6 11 

Erregtsein. 2 1 3 

Manie. 2 1 3 

Sopor. 2 2 4 

Melancholie.— 3 3 

Aphasie.— 2 2 

Katalepsie.— 1 1 

Schwand des Gehörs, Ver- 

gerang der Nahrang .1 — 1 

Fixe Ideen. 1 — 1 

Nach dem Alter verteilen sich diese Kranken wie folgt: 

nichtschalpflichtig 2 = 6,6 °/ 0 30—60 Jahr 8 = 25,8 °/ 0 

schulpflichtig 8 = 26,8 „ über 60 Jahr 4 = 12,9 „ 

16—30 Jahr 9 = 29,0 „ 

Sehr stark an Manie erkrankte ein 4jähr. Knabe; er biss, 
kratzte, zerriss seine Bettdecke und schluckte Stückchen davon 
hinunter. 










580 


Besprechungen. 


Soporöse Zustände stellten sich nur bei Kindern ein und 
zwar bei zwei schulpflichtigen Knaben und zwei schulpflichtigen 
Mädchen; sie währten bei einigen wochenlang, unterbrochen durch 
Schreien. — Melancholie betrat 3 männliche Individuen im Alter 
von 16, 18 und 58 Jahren; einmal trat sie zu Anfang auf, ein 
anderes Mal im Rückfalle und bei dem dritten Fall in der Rekon¬ 
valeszenz. — Aphasie wurde beobachtet bei einem 6jähr. Schüer 
in der Rekonvaleszenz mit Nahrungsverweigerung (8 tägiges Er¬ 
nähren durch Klystiere) und einem 16jähr. Lehrling, der nur 
einige Tage die Sprache verlor. — Kataleptischer Zustand trat 
bei einem 35jähr. Manne auf, der 5 Tage steif lag und auf nichts 
reagierte. — Alle diese Fälle sind genesen. 

In der Rekonvaleszenz wurde mehrfach Schmerzen in den 
Füssen mit Hinken beobachtet. Ich erkläre dies durch infolge 
des Fettschwundes entstandene Lockerung der Bänder. 

Das ist dasjenige, was ich aus dem Material heraus¬ 
gelesen habe. 


Besprechungen. 

Dr. Heuberger -Nürnberg: Die Verhütung der Geechleohtnlcraiik- 
holten. (Heft VI der Veröffentlichung des Deutschen Verbands für Volks¬ 
hygiene). Im Aufträge des Vereins für öffentliche Gesundheitspflege zuNürnberg. 
bearbeitet. München 1905. Verlag von B. Oldenburg. Kl. 8°, 45 8. 
Preis: 0,30 M. 

Verfasser gibt seine langjährigen Erfahrungen als Spezialist in klarer, 
gemeinverständlicher und trotzdem wissenschaftlicher Form, um die weitesten 
Kreise aufzuklären. Zu diesem Zweck ist der Preis der Broschüre niedrigst 
gehalten; bei 46 Seiten 30 Pf. pro Exemplar und allmälig auf 15 Pf. bei 1000 
herabsteigend. Des humanitären Zweckes wegen dürfte gerade diese Broschüre 
zu empfehlen sein, zumal sie wirklich alles Wissenswerte enthält. 

Dr. Blokusewski-Niederbreisig a. Bh. 


Dr. Hudolf Abel, Beg.- u. Med.-Bat in Oppeln: Taschenbuch für den 
bakteriologischen Praktikanten. Würzburg. Verlag von A. Stüber. 
Kl. 8°, 114 S. 

Die achte Auflage des vorzüglichen Abel sehen Taschenbuches enthält die 
wichtigsten technischen Detailvorschriften zur bakteriologischen Laboratoriums¬ 
arbeit in der durch die Fortschritte der Bakterienkunde notwendig gewordenen 
Umarbeitung bezw. Ergänzung. Abels Buch ist so bekannt, daß ein genaueres 
Eingehen auf seinen Inhalt hier überflüssig ist, und zu allgemein geschätzt, 
als daß eine besondere Empfehlung an dieser Stelle nötig wäre. 

Dr. Boepke-Melsungen. 

Gesnndheltabüohleln. Gemeinfaßliche Anleitung zur Gesundheitspflege. 
Bearbeitet im Kaiserlichen Gesundheitsamte. Berlin. Verlag von Julius 
Springer. Kl. 8°, 266 S.; Preis: 1 M., geb. 1,25 M. 

Das Vorliegen der zehnten Ausgabe des „Gesundheitsbüchleins“ 1 ) be¬ 
weist am besten, daß das aus dem gesamten Bereiche der Gesundheitswissen¬ 
schaft Ausgewählte und gemeinfaßlich Wiedergegebene in der gebotenen Form 
bei den weitesten Kreisen unseres Volkes Aufnahme gefunden hat. Möge das 
vorliegende, durch zahlreiche und gute Abbildungen erläuterte Büchlein weiter 
zur Förderung der Volkswohlfahrt beitragen 1 Dr. Boepke-Melsungen. 


*) Soeben ist bereits die elfte durchgesehene Auflage erschienen. 



B. Verlängerung des S 










Besprechungen. 


681 


Dr. inr. Hngo Naumann: Die Öffentliche rechtliche Stellung der 
Aerzte. Berlin. Verlag von Struppe u. Winkler. G. 8°, 138 S.; 
Preis: 8 M. 

Im Anschluß an „die Geschichte des ärztlichen Standes" bespricht Ver¬ 
fasser die für die Privatärzte jetzt geltenden öffentlich rechtlichen Be¬ 
stimmungen gemäß der Gewerbeordnung, gemäß der besonderen Bestimmungen, 
die auf Grund der betr. Paragraphen der Gewerbeordnung erlassen wurden, 
und gemäß dem besonderen Standesrecht. Die rechtliche Steilung der Medizinal¬ 
beamten ist nicht behandelt, da diese in ihrer Eigenschaft als Staatsbeamte 
dem besonderen Beamtenrecht unterstehen. Dr. B o e p k e - Melsungen. 


Henry Graaok: Sammlung von deutschen und ausl än disc h en Ge- 
setsen und Verordnungen, die Bekämpfung der Kurpfuscherei 
und die Ausübung der Heilkunde betreffend. Jena 1905. Verlag 
von Gustav Fischer. G. 8°, 152 S.; Preis: 3 M. 

Das von der deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung des Kurpfuscher¬ 
tums und von dem Geschäftsausschusse des deutschen Acrzte-Vereinsbundes 
empfohlene Werk bringt im I. Teil eine systematische Uebersicht, im II. Teil 
den Wortlaut der betr. deutschen und ausländischen Gesetze ohne begleitenden 
Text. Die Sammlung ist in ihrer Form die einzige und erste und wird den¬ 
jenigen Aerzten und Verwaltungsbeamten ein willkommenes Nachschlagewerk 
sein, die die Kurpfuscherei im Interesse der Volksgesundheit bekämpfen und 
die Aufhebung der Kurierfreiheit, die Wiedereinführung des Kurpfuscherei¬ 
verbotes in zielbewußter solidarischer Einzel- und Vereinstätigkeit anstreben. 

Dr. Boepke-Melsungen. 


Dr. Oh. Besing, Arzt in Mörnsheim: Die 8ohalbankfrage. Verlag von 
F. Leineweber. KL 8°, 60 S.; Preis: geh. 1,20 M., geb. 1,80 M. 

Die kritischen Erörterungen und Vorschläge des Verfassers in der Schul¬ 
bankfrage, die auch in dem laufenden Jahrgang der „Zeitschrift für Medizinal¬ 
beamte“ wiederholt und von verschiedenen Seiten aufgerollt worden ist, er¬ 
scheinen für Pädagogen und Schulärzte und Baubehörden lesenswert, sofern 
sie sich über die Neubeschaffung von Schulbänken schlüssig zu machen haben. 

Dr. B o e p k e • Melsungen. 


Dr. W. Pranznltz, Professor der Hygiene in Graz: Grundzüge der 
Hygiene unter Berücksichtigung der Gesetzgebung des Deut¬ 
schen Reichs und Oesterreichs. Gr. 8°, 565 Seiten. Verlag von 
J. F. Lehmann-München. Preis: brosch. 8 Mark. 

Das bekannte Prausnitzsche Werk liegt in der siebenten Auflage 
vor dank seines Vorzuges, daß es das ganze Gebiet der wissenschaftlichen und 
praktischen Hygiene unter gleichmäßiger Berücksichtigung der einzelnen Teile 
desselben in möglichster Kürze darstellt. Das Eingehen auf Einzelheiten er¬ 
übrigt sich an dieser Stelle um so mehr, als bereits die früheren Auflagen in 
Fachkreisen eine freundliche Aufnahme gefunden haben. Besonders erwähnens¬ 
wert scheint der schöne, große Druck des Buches. 

_ Dr. Boepke- Melsungen. 

Dr. med. Robert Ostertag, Professor an der tierärztlichen Hochschule in 
Berlin: Handbuch der Fleischbeschau für Tierärzte, Aerzte und 
Richter. Gr. 8°, 781 Seiten. Verlag von Ferdinand Enke in Stuttgart. 
Preis: 18,40 Mark. 

Die vorliegende fünfte Auflage des O.’schen Handbuches berücksichtigt 
die Ausführungsbestimmungen, die der Bandesrat nach Maßgabe des Beichs- 
gesetzes, betr. die Schlachtvieh- und Fleischbeschau vom 8. Juni 1900 zu er¬ 
lassen hatte. Auch einzelne Kapitel, z. B. über postmortale Veränderungen, 
Fleischvergiftungen und Methoden der Tauglichmachung des bedingt tauglichen 
Fleisches durch Kochen und Dämpfen sind neueren Forschungsergebnissen 
gemäß umgearbeitet. Im übrigen bleibt das umfangreiche, erschöpfende Werk 
Ostertags seiner ursprünglichen Bestimmung getreu, die Tierärzte hinsicht¬ 
lich der Ueberwachung des Fleischverkehrs nach allen Richtungen hin zu in¬ 
formieren, die Aerzte mit den Grundzügen der wissenschaftlichen Fleischbeschau 



582 


Tagesnachriohten. 


vertraut am machen nmd dem Siebter ala Machschl agohnoh bei der mul die 
Fleischbeschau bezüglichen Beehtspreahuag und strafrechtlichen BeorteBrnng 
einschlägiger Fragen zu dienen. Möge das Werk in den genannten Kreisen 
die ungeteilte freudige Aufnahme finden, die es wegen der in ihm deponierten, 
qualitativ und quantitativ hervorragenden Arbeit verdient. 

Dr. B o e p k e - Melsungen. 


Tagesnachrichten. 

Die Cholera in Westpreussen. Der „Staatsanzeiger“ veröffentlicht 
folgende Bekanntmachung des Staatsministeriums: „Angesichts der in den 
letzten Tagen auf der Weichsel beobachteten Erkrankungen an Cholera, 
welche augenscheinlich durch den FlOßereiverkehr aus Bußland ein- 
gesohleppt worden sind, ist zur einheitlichen Leitung der Maßregeln zur Ver¬ 
hütung der Weiterverbreitung der Cholera durch den Flußverkehr der KOnigL 
Oberpräsident der Provinz Westpreußen als Staatskommissar rar 
die Cholerabekämpfung in dem Stromgebiet der Weichsel und der KgL 
Begierungspräsident in Bromberg als Staatskommissar für die 
Cholerabekämpfung in dem Wasserlauf der Brahe, des Bromberger 
Kanals und der Netze bis zur Einmündung in die Warthe eingesetzt worden. 
Dieselben werden alle Maßnahmen ergreifen, welche geeignet sind, die in den 
genannten Stromgebieten etwa vorkommenden Fälle von Cholera festzustellen, 
jede Verschleppung der Krankheit durch Menschen oder Flußfahrzeuge zu 
verhindern, sowie die Krankheitskeime und die Gelegenheit zu deren weiterer 
Entwickelung soweit als möglich zu tilgen.“ 

Im nichtamtlichen Teile schreibt hierzu der „Staatsauzeiger“: „Am 
28. August hat im Kultusministerium eine Beratung über die Bekämpfung 
der Ch o 1 er a stattgefunden, an welcher Vertreter der Beichsbehörden und der 
zuständigen preußischen Ministerien teilgenommen haben. Es wurde die Ein¬ 
führung einer allgemeinen gesundheitlichen Ueberwachung des Schiffs- und Floßver- 
kehrs auf der Weichsel, Brahe, dem Bromberger Kanal und der Netze bis zur Ein¬ 
mündung in die Warthe befürwortet. Die Ueberwachung ist auch sofort seitens der 
zuständigen Minister angeordnet, und der Oberpräsident der Provinz Westpreußen 
zum Staatskommissar für das Stromgebiet der Weichsel, und der Begierungs¬ 
präsident in Bromberg zum Kommissar für das Gebiet der Brahe, der Netze 
und des Bromberger Kanals ernannt worden. Zugleich sind in den beteiligten 
Begierungsbezirken die umfassendsten Bekämpfungsmaßregeln angeordnet. Die 
Anzeigepflicht für Cholera- und choleraverdächtige Erkrankungen und Todes¬ 
fälle ist in Erinnerung gebracht, die obligatorische Leichenschau durch Aerzte in 
den Stromgebieten der Weichsel, Brahe und Netze eingeführt, vor dem Genuß 
des Wassers der Ströme und vor dem Baden in ihnen gewarnt, auch sind die vom 
Bundesrat aufgestellten Batschläge an praktische Aerzte und die gemeinver¬ 
ständlichen Belehrungen für die Bevölkerung und für Schiffer erteilt und 
Stromüberwachungsstellen unter Leitung von Aerzten an 12 Stellen des 
Weichsel Stromes (Schilno, Schulitz, Kulm, Graudenz, Kurzebrack, Piecken, 
Dirschau, Einlage, Plehnendorf, Danzig, Marienburg, Platenhof) und an 4 
Stellen der Netze (Nakel, Weißenhöhe, Usch und Czernikau) mit Unterkunfts¬ 
räumen für Kranke und Verdächtige eingerichtet worden. Bis zum 30. August 
sind insgesamt 20 choleraverdächtige Erkranloungen gemeldet, von 
denen 12 als Cholera bakteriologisch festgestellt worden sind; 6 davon 
haben tödlich geendigt. Je eine dieser Erkrankungen gehört dran Gebiete 
der Warthe und Netze, die übrigen 18 gehören dem Wcichselgebict an. Die 
bisher festgestellten Fälle betreffen Flößer, die in jüngster Zeit aus Bußland 
gekommen sind, sowie Personen, welche mit solchen Flößern in unmittelbarer 
Berührung gestanden haben. 


Vom 8.—8. September d. J. wird in Amsterdam der erste Inter¬ 
nationale Kongress für Psychiatrie und Nenrologie stattfinden unter dem 
Präsidium von Prof. Jelgersma in Leyden. 


Die Augustnummer des Public Health (VoL XVII, Nr. 11, S. XIII) ent¬ 
hält die Mitteilung, daß — wohl im Ans chluß an den vom 16.—19. Oktober 



Tagesnaehrfchten. 


688 


tagenden internationalen Milchkongreß — in Paris am 20. und 21. Ok¬ 
tober d. J. ein internationaler Kongress Aber die Frage der Sftngllngs- 
milchktteken tagen wird. Im vorbereitenden Komitee sind außer den leitenden 
englischen und französischen Aerzten solche aus Madrid, Brüssel, Buenos-Air es, 
St. Petersburg und Genf genannt. Es wäre zu wünschen, daß auch Deutsch¬ 
land Vertreter dazu stellte, um seine Erfahrungen mit den fremdländischen 
auszutauschen. Meldungen sind zu richten an Dr. P. Bog er, 69. Eue 
de Berry, Paris. _ 


Der X. internationale Kongress gegen den Alkobollsmas findet vom 
11. —16. September d. J. in Budapest statt. 

Anmeldungen zur Teilnahme sind an die Adresse des Generalsekretärs 
Dr. Philipp Stein, Budapest, VII. Mucsarnok, Varosliget zu richten. Die 
Kongreßgebühr beträgt 6 Kronen. 


Auf den in Breslau am 24. und 26. August d. J. abgehaltenen 
84. Apothekertag sind u. a. folgende, auch die Medizinalbeamten interessierende 
Beschlüsse und Anträge angenommen: 

Inbezug auf die soziale Fürsorge für das pharmazeutische 
Hilfspersonal wurde der Antrag des Vorstandes, durch den dieser beauf¬ 
tragt wird, „die Vorarbeiten für die Gründung einer freien Hilfskasse oder den 
Anschluß an eine andere Kasse in die Wege zu leiten und der nächsten Haupt¬ 
versammlung zur endgültigen Beschlußfassung eine Vorlage zu machen“, ange¬ 
nommen mit folgender Besolution: „Der Vorstand wird beauftragt, dahin zu 
wirken, daß eine Ergänzung des Handelsgesetzbuches in der Weise erfolgt, daß 
in Krankheitsfällen den in den Apotheken beschäftigten Assistenten und Eleven 
die den Handlungsgehilfen und -Lehrlingen gewährten Bechte zustehen sollen.* 

Bei der Verhandlung über die Personalfrage wurde fast überein¬ 
stimmend betont, daß man den Frauen den Eintritt in den pharmazeutischen 
Beruf nicht verweigern könne. Es müsse von ihnen aber dieselbe Vorbildung 
verlangt werden, wie vom Manne. Ferner wurde ohne Widerspruch ausge- 
ftthrt, daß das Maturum als Vorbedingung für den Apotheker¬ 
beruf verlangt werden müßte. Auch hier gelangte der Antrag des Vorstandes 
zur Annahme: „Im Hinblick auf die Schwierigkeit, die zurzeit junge Mädchen 
dadurch von der Wahl des Apothekerberufs zurückhält, daß Mädchengymnasien 
in Deutschland nur in verschwindender Anzahl vorhanden sind, wird der Vorstand 
beauftragt, festzustellen, ob die Absolvierung der höheren Töcnterschule, ergänzt 
durch eine Sonderprüfung mindestens in Latein, den derzeitigen gesetzlichen 
Ansprüchen an die Vorbildung genügt. Sollte dies der Fall sein, so will der 
Vorstand bei der zuständigen Behörde dahin vorstellig werden, daß bis zur 
Einführung der Maturität als Vorbedingung für den Eintritt in den pharma¬ 
zeutischen Beruf die Absolvierung einer solchen Schule unter obiger Bedingung 
genügen soll.“ 

Hinsichtlich der Neuregelung des Apothekenwesens fand nach 
langer Debatte der nachstehende Antrag des Vorstandes Annahme: „Da die im 
Laue des letzten Jahres im preußischen Landtage sowohl, wie im Beichstage auf 
dahinzielende Fragen erteilten Antworten erkennen lassen, daß die deutschen 
Bundesregierungen einer gesetzlichen Regelung des Apothekergewerbewesens 
noch ebenso unentschieden gegenüberstehen wie vor fünf Jahren, so beauftragt 
die Hauptversammlung den Vorstand erneut, bei dem Reichskanzler und dem 
Beichstage vorstellig zu werden, daß baldigst eine Reform in Angriff ge¬ 
nommen werde, denn es wird zweifellos der Kredit des Apothekerstandes und 
auch seine gesamte Fortentwickelung durch die nun schon seit vielen Jahren 
andauernde Ungewißheit hinsichtlich der Frage, in welcher Weise und wann 
eine anderweitige gesetzliche Regelung der Besitzverhältnisse des Apotheker- 
Standes erfolgen wird, ungünstig beeinflußt.“ 

Ebenso wurde der Antrag des Vorstandes den Erlaß einer in allen 
Staaten des Reiches gleichmäßigen Apotheken-Betriebsordnung anzu¬ 
streben, bei deren Vorbereitung Vertreter der praktischen Pharmazie aus allen 
Bundesstaaten mit eigener Betriebsordnung mitwirken sollen, angenommen. 
Einstimmig wurde endlich auf Antrag des Apothekers Lücker-Berga be¬ 
schlossen, bei den maßgebenden Stellen dahin vorstellig zu werden, daß das 
Lysol dem freien Verkehr entzogen werden möge. 



684 Tagesordii. zur Hauptversammlung des Deutschen Medizinalbeamtenverd«. ; 


Deutscher Medizinalbeamten - Verein. 

Vierte Hauptversammlung 

in 

Heidelberg. 

Donnerstag, den 7. September: 

8 Uhr abends; Gesellig« Vereinigung zur BegrQssung (mit Dami 
in der Stadthalle. Ballsaal (Eingnag Portal IV, Bienenstraße). 

Freitag, den 8. September: 

0 Uhr vormittags: Erste Sitzung Im Kammermusiksaal der Stadt- j 
halle (Eingang Portal VI; Neckarseite). 1 

1. Eröffnung der Versammlung. T. 

2. Geschäfts- und Kassenbericht. . 

3. Gerichtsärztliche Wünsche mit Rücksicht auf die berorsteliende Sei-1 

bearbeitung der Strafprozessordnung. Beferenten: Prof. Dr. H e i e • I 
berger-Bonn, Gerichtsarzt Prof. Dr. Straß mann-Berlin und J 
Prof. Dr. Aschaffenburg-Cöln a./Bh. 1 

Nlch Schloß der Sitzung: Besichtigungen. [ 

5 Uhr nachmittags: Festessen (mit Damen) in der Stadthalle. j 

Sonnabend, den 9. September: ( 

0 Uhr Tormittags: Zweite Sitzung. 

1. Die Beaufsichtigung der Geisteskranken ausserhalb der Anstalten. 

Beferent: Privatdozent Dr. Weber in Göttingen. Korreferent: Put 
Dr. Stolper, Kreisarzt in Göttingen. . ' 

2. Torstandswahl; Bericht der Kassenrevisoren. | 

3. Abwässer • Reinigung mit Rücksicht auf die Reinhaltung der Wasser- 1 

läufe. Referenten: Reg.- und Med.-Rat Dr. Dütschke-Erfurt und ' 
Dr. T hu mm- Berlin j 

Nach Schluß der Sitzung: Mittagessen nach freier Wahl. I 

8 Uhr nachmittags: Besichtigung des alten Heidelberger > 
Schlosses und gemeinschaftlicher Ausflug in die Umgebung- 
Die Mitglieder werden um recht zahlreiche Teilnahme gebrtn ;■ 
und dringend ersneht, alsbald nach ihrer Ankunft in Heidelberg sich im An¬ 
meldebureau zu melden, das sich in der Stadthallo befindet und am Don- 
nerstag von 4 Uhr nachmittags an geöffnet ist. 

Wohnungen werden am besten direkt bestellt; jedoch ist auch H. 
Gerichtsarzt a. D. Dr. Longard-Heidelberg erbötig, solche zu besorgen 1 ). 
Bestellungen sind unter Angabe etwaiger Wünsche in bezug auf die Lage und 
Preis der Zimmer, Zahl der Betten rechtzeitig an ihn zu richten. ;■ 

Der Vorstand des Deutschen Medizinalbeamten-Vereins. 

Im Auftr.: Dr. R a p m u n d, Vorsitzender, 

Reg.* u. Geh. Med.-Rat ln Minden. 

*) Empfehlenswerte Hotels: Darmstädter Hof: Zimmer von 
2,50—3 M., Frühstück 1 M.; Europäischer Hof: Z. von 4—7 M., Frühst. 

1 M. 60 Pf.; Grand-Hotel*: Z. von 3 M. an, Frühst. 1 M. 20 Pf.; Hotel 
Harrerf: Z. mit Frühst, von 2,50 M. an; Hotel Lang: Z. von 2,50—4 1L, 
Frühst. 1 M.; Hotel Metropolf: Z. von 3 M. an, Frühst. 1 M. 20 Pt; 
Hotel Prinz Carlf*: Z. von 2—5 M., Frühst. 1 M. 20 Pf.; Hotel Reichs¬ 
post: Z. von 2,50—4 M., Frühst. 1 M.; Hotel Ritter: Z. von 2,50 M, Frühst. 

1 M.; Hotel Schrieder: Z. von 2,50—5 M, Frühst. 1 M. 20 Pf.; Schloss- 
hotel: Z. mit Frühst, von 5 M. an; Hotel Victoria: Z. von 3—4 M. 

Frühst. 1 M. 25 Pf. 

_ f Hotels de» Deutschen Offizier-Vereine. * Hotel« des Warenhauses für deute ehe Beamte. 

Verantwort! Redakteur: Dr. Rap mund, Reg.-u. Geh. Med.-Rat in Minden i. ^ 

J. G. C. Bruns, HerzogL Öächs. u. F. Scb.-L. Hofbuchdruckerei in Minden. 



za den Vorträgen 
der 

Vierten Hauptversammlung 

des 

Deutschen Medizinatbeamteofereins. 


Erster Sitzungstag. 

Zu B der Tagesordnung: 

Gerichtsärztliohe Wünsche in bezug auf die bevorstehende 
Reform der Strafprozessordnung. 

Referenten: Prof. Dr. Strassmann - Berlin, Prof. Dr. Aschaffenburg- 
Cöln a. Rh. and Prot Dr. Heimberger - Bonn. 

l. 

Za § 52 (Zeugnisverweigerungsrecht): 

Von der Kommission für die Reform des Strafprozesses (Pro¬ 
tokolle, II. Bd., S. 413, Nr. 53) 'wurde hinsichtlich des Zeugnis- 
verweigerungsrechtes der Geistlichen beschlossen: 

„Dass die Geistlichen vor ihrer Vernehmung über diese Be¬ 
schränkung des Gegenstandes der Vernehmung belehrt werden 
sollen.“ 

Entgegen dem Beschlüsse der Kommission (ebenda Nr. 54) 
wird es für wünschenswert erachtet, dass diese Bestimmung auch 
auf die Aerzte ausgedehnt wird. 

n. 

Zu § 56 (Unbeeidigte Vernehmung von Zeugen) ist 
die Anfügung folgender Bestimmung erwünscht: 

„Unbeeidigt sind zu vernehmen Personen, deren Anssagen 
oder Wahrnehmungen durch Geisteskrankheit oder Geistesschwäche 
beeinflusst sind.“ 

m. 

Zum Abschnitt über die „Zeugen“ soll ausserdem fol¬ 
gende Bestimmung angefügt werden: 

„Gibt der Geisteszustand eines Zeugen zu Bedenken Anlass, 


so ist ein Sachverständiger zur Beachtung und Begutachtung zu 
bestellen. Hat der Zeuge selbst das Verbrechen angezeigt oder 
den Antrag auf Strafverfolgung gestellt, so kann das Gericht zur 
Vorbereitung eines Gutachtens auf Antrag eines Sachverständigen 
und nach Anhörung eines dem Zeugen zur Wahrung seiner Inter¬ 
essen zu bestellenden oder von ihm gewählten Rechtsanwalts an¬ 
ordnen, dass der Zeuge in eine Irrenanstalt gebracht und dort 
beobachtet werde. — Gegen den Beschluss findet sofortige Be¬ 
schwerde statt; diese hat aufschiebende Wirkung. — Die Ver¬ 
wahrung in der Anstalt darf die Dauer von sechs Wochen nicht 
überschreiten.“ 

IV. 

Zu § 80 (Vorbereitung des Gutachtens von Sach¬ 
verständigen) wird beantragt, den Absatz 2 zu fassen: 

»Zu diesem Zwecke ist ihm zu gestatten, falls nicht be¬ 
sondere Hinderungsgründe vorliegen, die Akten einzusehen, der 
Vernehmung von Zeugen oder des Beschuldigten beizuwohnen und 
an diesen Fragen zu stellen.“ 


V. 

§ 81 (Einweisung eines Angeschuldigten in eine 
öffentliche Irrenanstalt behufs ärztlicher Beobach¬ 
tung und Erstattung eines Gutachtens über seinen 
Zustand) möge folgenden Zusatz erhalten: 

»Falls vom Gericht oder von dem Angeschuldigten ein Ober¬ 
gutachten verlangt wird, kann von neuem die Einweisung in eine 
der obergutachtenden Behörde oder dem als Obergutachter bestellten 
Sachverständigen zugängliche Irrenanstalt auf die Dauer von 
höchstens sechs Wochen beschlossen werden. — Der Beschluss ist 
mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar; diese hat aufschie¬ 
bende Wirkung. 

VI. 

Zu § 82 (Erstattung von Gutachten im Vorver¬ 
fahren) ist dem Absatz 2 hinzuzusetzen: 

„Bei mündlicher Erstattung eines Gutachtens sowie bei 
Augenscheins-Einnahmen, gerichtlicher Leichenschau und Leichen¬ 
öffnung (§§ 86 und 87) ist der Sachverständige berechtigt, sein 
Gutachten oder den von ihm festgestellten Sachbefund selbst zu 
Protokoll zu diktieren.“ 

VII. 


§ 85 (betreffend sachverständige 
fallen. 


VIII. 


Zeugen) soll fort- 


§ 87 (Richterliche Leichenschau) soll lauten: 

„Die richterliche Leichenschau wird unter Zuziehung eines 
Arztes, der in der Regel ein Gerichtsarzt sein soll, die Leichen¬ 
öffnung im Beisein des Richters von 2 Aerzten, unter denen sich 
ein Gerichtsarzt befinden muss, vorgenommen. Demjenigen Arzte, 
welcher den Verstorbenen in der dem Tode unmittelbar voran¬ 
gegangenen Krankheit behandelt hat, ist die Leichenöffnung nicht 
zu übertragen. Derselbe kann jedoch aufgefordert werden, der 



Leichenöffnung anzuwohnen, um aus der Krankheitsgeschichte 
Aufschlüsse zu geben. 

Behufs der Besichtigung oder Oeffnung einer schon beerdigten 
Leiche, ist ihre Ausgrabung statthaft. Ebenso ist die Entnahme 
von Leichenteilen statthaft, soweit sie zur weiteren Untersuchung 
und Beweisaufnahme erforderlich ist.“ 

IX. 

In § 91 (Untersuchungen bei Verdacht einer Ver¬ 
giftung) soll an Stelle des Wortes „Chemiker“ gesetzt werden 
„geeigneten Sachverständigen“. 


X. 

Zu § 97 (Nicht zulässige Beschlagnahme von 
schriftlichen Mitteilungen usw. der zur Verweigerung 
des Zeugnisses berechtigten Personen). 

Es ist dem Beschlüsse der Kommission für die Reform der 
Strafprozessordnung zu § 97 (Protokolle, II. Bd., S. 431, Nr. 75) 
zuzustimmen, welcher lautet: 

„Unter den im § 97 bezeichneten Voraussetzungen sollen 
nicht nur, wie schon bisher, schriftliche Mitteilungen zwischen 
dem Beschuldigten und den nach § 52 zur Verweigerung des 
Zeugnisses berechtigten Personen, sondern auch Aufzeichnungen 
der nach § 52 Verweigerungsberechtigten über Mitteilungen des 
Beschuldigten der Beschlagnahme nicht unterliegen.“ 

XI. 

Die Kommission für die Reform der Strafprozessordnung 
hat zum Abschnitt 8 hinter § 111 folgende neue Vorschriften über 
die körperliche Untersuchung vorgeschlagen (s. Protokolle, 
II. Bd., S. 439, Nr. 79—82): 

„Die körperliche Untersuchung soll verdächtigen und unverdächtigen 
Personen gegenüber zulässig sein, wenn sie für das anhängige Strafverfahren zum 
Zwecke der Feststellung des Vorhandenseins oder Nichtvorhandenseins von 
Spuren oder Folgen einer strafbaren Handlung notwendig ist. 

Im Falle der Weigerung soll es zulässig sein, die Untersuchung zu er¬ 
zwingen. 

Die Anordnung der körperlichen Untersuchung soll dem Richter, hei 
Gefahr im Verzüge auch der Staatsanwaltschaft zustehen. Die Androhung 
und die Anordnung des Zwanges soll nur dem Richter zustehen. 

Für die körperliche Untersuchung einer weiblichen Person soll weiter 
bestimmt werden, daß sie nur von einem oder mehreren Aerzten (Aerztinnen) 
vorgenommen werden darf und daß auf Verlangen der zu Untersuchenden oder 
ihres gesetzlichen Vertreters ein Angehöriger oder eine geeignete weibliche 
Person als Beistand anzuziehen ist, wenn dies ohne Gefährdung des Unter- 
uchungszweckes geschehen kann.“ 

Za Absatz 3 dieses neuen Paragraphen wird folgender 
Zusatz vorgeschlagen: 

„Gegen den richterlichen Beschluss, der den Zwang anordnet, 
ist sofortige Beschwerde zulässig; dieselbe hat aufschiebende 
Wirkung.“ 


XII. 

Zu § 116 (Untersuchungshaft). 

Nach den Gefängnis- und Zuchthausordnungen pflegt die 



Fesselung eines Strafgefangenen nur nach Anhörung des 
Arztes angeordnet zu werden. Bei Fesselung eines Untersnchungs- 
gefangenen ist die Anhörung des Arztes nicht vorgeschrieben. Es 
erscheint die Aufnahme einer entsprechenden Bestimmung im 
§116 Str.-P.-O. empfehlenswert. 


xin. 

Zu § 128 (Festnahme und Vorführung eines Ange- 
schuldigten behufs Vernehmung). 

Die Kommission für die Beform der Strafprozessordnung 
(Protokoll, II. Bd., S. 419, Nr. 102) schlägt vor, „dass an die 
Stelle der im § 118 vorgesehenen Vorführung die Einsendung der 
über die Festnahme aufgenommenen Verhandlungen tritt, wenn 
sich der Festgenommene in einem körperlichen Zustande befindet, 
welcher die Vorführung mit Rücksicht auf seinen Gesundheits¬ 
zustand nicht zulässt. In diesem Falle darf die Vernehmung so 
lange ausgesetzt bleiben, als von ihr Gefahr für Leben und Ge* 
sundheit des Festgenommenen zu befürchten ist.“ 

Es wird hierzu folgender Zusatz vorgeschlagen: „deren 
Vorliegen durch gerichtsärztlicheUntersuchungfest¬ 
zustellen ist.“ 

XIV. 

Dem § 188 (Beweisaufnahme in der Vorunter¬ 
suchung) soll als Absatz 3 zugesetzt werden: 

„Insbesondere ist in Sachen, zu deren Aufklärung ein sach¬ 
verständiges Gutachten gehört, dieses schon in der Vor¬ 
untersuchung einzuholen; auch ist dem etwaigen Antrag des An¬ 
geschuldigten, der durch ein solches Gutachten belastet wird, auf 
Einholung eines zweiten Gutachtens zu entsprechen, falls dieser 
Antrag nicht ganz unbegründet erscheint.“ 

XV. 

Zu § 203 (Vorläufige Einstellung des Strafver¬ 
fahrens bei geisteskranken oder geistesschwachen 
Angeschuldigten) soll folgende Fassung vorgeschlagen werden: 

„Vorläufige Einstellung des Verfahrens kann beschlossen 

werden, wenn dem weiteren Verfahren.der Umstand 

entgegenstellt, dass der Angeschuldigte nach der Tat in Geistes¬ 
krankheit verfallen ist, die eine Verhandlung als unaus¬ 
führbar erscheinen lässt. In jedem Falle ist ihm von Amts¬ 
wegen ein ärztlicher Sachverständiger beizuordnen, sofern er sich 
nicht selbst einen solchen gewählt oder ihn von seinen Angehörigen 
bestellt erhalten hat.“ 

XVI. 

Zu § 222 (Behindertes Erscheinen eines Zeugen 
als Sachverständigen in der Hauptverhandlung) wird 
vorgeschlagen, 

dass nach den Worten „so kann das Gericht die Vernehmung 
desselben (Zeugen oder Sachverständigen) durch einen beauftragten 
oder ersuchten Richter anordnen“ die Worte eingeschoben werden: 
„falls nicht die Vernehmung mit Gefahr für den Kranken ver¬ 
bunden ist“. 




XVII. 

§ 250, Abs. 1 (Verlesung des Protokolls über die 
frühere Vernehmung eines Zeugen oder Sachver¬ 
ständigen) soll den Zusatz erhalten: 

„Zur Verlesung des Protokolls über die Vernehmung eines 
in Geisteskrankheit Verfallenen ist ein ärztlicher Sachverständiger 
zuzuziehen.“ 

XVIII. 

Zu § 255 Absatz 1 (Verlesung von Gutachten in der 
Hauptverhandlung) soll hinzugesetzt werden: 

„In den vor den kleinen Schöffengerichten und den vor dem 
Amtsrichter verhandelten Strafsachen können auch anderweitige 
ärztliche Gutachten verlesen werden.“ 


XIX. 

Zu § 274 (Aufnahme von Aussagen der Zeugen in 
das Protokoll der Hauptverhandlung). 

Hier wird zu den von der Kommissionfür die Strafprozess¬ 
ordnung (Protokolle, II. Bd., S. 513, 515, Nr. 199—205) ge¬ 
machten Vorschlägen der Zusatz gewünscht: 

„In das Protokoll dürfen als Aussagen in direkter Bede 
nur solche aufgenommen werden, die tatsächlich wörtlich nieder¬ 
geschrieben sind; dieselben sind durch Ausführungszeichen als 
wörtlich aufgenommene Aussagen zu kennzeichnen. Handelt es 
sich hierbei um Antworten auf Fragen, so ist auch der Wortlaut 
der Frage wörtlich aufzunehmen und dies ebenfalls durch Aus¬ 
führungszeichen kenntlich zu machen“. 

XX. 

Zu § 411 (Wiederaufnahme eines durch rechts¬ 
kräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens bei in¬ 
zwischen verstorbenen oder in Geisteskrankheit ver¬ 
fallenen Verurteilten) wird folgende Fassung vorgeschlagen: 

„Ist der Verurteilte bereits verstorben oder in Geistes¬ 
krankheit verfallen und seine Widerherstellung in 
absehbarer Zeit nicht zu erwarten, so hat ohne Erneue¬ 
rung der Hanptverhandlnng das Gericht.entweder 

die Freisprechung zu erkennen oder den Antrag auf Wieder¬ 
aufnahme abzulehnen. 

Das Urteil soll ohne Erneuerung der Hauptverhandlung 
gegen den Willen des Verurteilten (entsprechend dem Beschlüsse 
der Kommission für die Beform der Strafprozessordnung, Proto¬ 
kolle, II. Bd., S. 549, Nr. 240) sowie gegen den Willen des 
Vormundes oder Pflegers eines verurteilten Geistes¬ 
kranken nicht mehr zulässig sein.“ 

XXI. 

Zu §§ 485 und 487 (Vollstreckung des Todesurteils 
und Aufschiebung einer Freiheitsstrafe bei geistes¬ 
kranken Personen). 

Nach § 485, Abs. 2 darf an geisteskranken Personen ein 
Todesurteil nicht vollstreckt werden, und nach § 487, Abs. 1 ist 




die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe aufzuschieben, wenn der 
Verurteilte in Geisteskrankheit verfällt, ferner bei anderen Krank¬ 
heiten, wenn von der Vollstrecknng eine nahe Lebensgefahr für 
den Verurteilten zu besorgen steht. Beide Paragraphen sollen 
etwa in folgender Weise ergänzt werden: 

„Steht die Auffassung der Strafvollzugsbehörde über das 
Vorliegen einer Geisteskrankheit oder das Vorhandensein einer 
nahen Lebensgefahr mit der Auffassung der Sachverständigen in 
Widerspruch, so ist ein Obergutachten einer kollegialen Fach¬ 
behörde einzuholen.“ 

XXII. 

Fttr § 493, Abs. 1 (Anrechnung der Dauer des Auf¬ 
enthalts eines Strafgefangenen in einer Kranken¬ 
anstalt auf die Strafzeit) soll folgende Fassung vor- 
geschlagen werden: 

„Ist der Verurteilte nach Beginn der Strafvollstreckung wegen 
Krankheit in eine von der Strafanstalt getrennten Krankenanstalt 
gebracht worden, so ist die Dauer des Aufenthalts in der Kranken¬ 
anstalt in die Strafzeit einzurechnen, wenn nicht der Verurteilte 
mit der Absicht, die Strafvollstreckung zu unterbrechen, die 
Krankheit oder seine Verbringung in die Krankenanstalt 
herbeiftthrt. Dies gilt auch fttr solche Verurteilte, welche 
wegen Geisteskrankheit in eine Irrenanstalt gebracht 
werden.* 

XXIII. 

§ 608 (Erstattung der Auslagen seitens des Ver¬ 
urteilten bei Privatklagen) soll folgende Ergänzung in 
Abs. 2 finden: 

„Wird der Beschuldigte auf Grund des § 51 St.-G.-B. ausser 
Verfolgung gesetzt oder freigesprochen, so kann das Gericht den 
Privatkläger nach Befinden der Umstände von der Tragung der 
Kosten ganz oder teilweise entbinden.“ 


Zweiter Sitzungstag. 

Zu 1 der Tagesordnung: 

Die Beaufsichtigung der Geisteskranken ausserhalb der 

Anstalten. 

Beferent: Privatdozent Dr. W. Weber, Oberarzt der Prov.-Heil- 
und Pflege-Anstalt Göttingen; Korreferent: Prof. Dr. P. Steiper, Kreislest 

in Göttingen. 

A. Leitsätze des Referenten. 

(Nicht zur Abstimmung bestimmt.) 

1. Die Anstaltspflegebedttrftigkeit eines Geisteskranken wird 
nicht ausschliesslich durch den Krankheitszustand, sondern durch 
äussere Umstände, die auf den Kranken einwirken, bedingt. 

2. Die Behandlung oder Pflege von Epileptikern, Idioten 
und Imbezillen ausserhalb der öffentlichen Anstalten in privater 
oder Familienpflege irgendwelcher Art muss derselben ärztlichen 
Beaufsichtigung unterstehen, wie die der anderen Geisteskranken. 



II 


3. Die öffentlichen Irrenanstalten sind in erster Linie znr 
Heilung und Pflege, nicht znr Unschädlichmachnng Geisteskranker 
bestimmt. Dieser Gesichtspunkt muss auch bei der Aufnahme¬ 
begutachtung besonders betont werden. 

4. Die allgemeinen Krankenhäuser eignen sich auch zur vor¬ 
läufigen Unterbringung, Behandlung und Pflege frischer Psychosen 
nur, wenn ihnen die Einrichtungen und das geschulte Pflege¬ 
personal der modernen Irrenanstalt zur Verfügung steht und ihr 
Leiter psychiatrisch ausgebildet ist. 

5. Eine Information der praktischen Aerzte Aber das 
für ihren Bezirk zuständige Aufnahmeverfahren ist dringend 
wünschenswert. 

6. Die Familienpflege im irrenärztlichen Sprachgebrauch ist 
nur eine freiere Form der Anstaltspflege. Die in dieser Familien¬ 
pflege untergebrachten Kranken sind Anstaltsangehörige; ihre 
Beaufsichtigung und Behandlung wird zweckmässig von der An¬ 
stalt ausgeübt. 

7. Wenn unabhängig von einer öffentlichen Zentralanstalt 
mehr als drei Geisteskranke in einer fremden Familie unter¬ 
gebracht sind, so ist dies als eine Privatanstalt zu betrachten, 
die den entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen zu unter¬ 
liegen hat. 

8. Irrenhilfsvereine müssen, wenn sie ihren Zweck erfüllen 
Bollen, in ihrer Verwaltung und Organisation völlig von den re¬ 
gionären Irrenanstalten losgelöst sein und am besten unter Leitung 
der Medizinalbeamten stehen. 

9. Eine stetige enge Fühlung zwischen den Medizinalbeamten 
und den Leitern der öffentlichen Irrenanstalten ist wünschenswert. 

10. Ueber die aus den Anstalten entlassenen Geisteskranken, 
ebenso über die im Zivil- oder Strafverfahren als geistig gestört 
in irgendwelcher Form Erklärten sollen die Medizinalbeamten 
durch Vermittelung der zuständigen Behörden oder Gerichte in¬ 
formiert werden. 

11. Bei der Beaufsichtigung entlassener Kranker ist das 
Eingreifen subalterner, uniformierter Beamter tunlichst zu ver¬ 
meiden ; auch bei der Begleitung von Kranken in die Anstalt 
sollten nicht uniformierte Beamte verwendet werden. 

12. Zur Prophylaxe geistiger Störungen ist die Elinrichtung 
von Nervenpolikliniken und Volksnervenheilstätten dringend zu 
empfehlen. 

13. Es ist wünschenswert, dass auch der Staatsanwalt ein 
Antragsrecht bei der Entmündigung wegen Trunksucht erhält. 


B. Leitsätze des Korreferenten. 

(Nicht znr Abstimmung bestimmt.) 

14. Die Beaufsichtigung der Geisteskranken ausserhalb der 
Anstalten, eine noch nicht hinreichend geordnete Aufgabe der 
Gesundheitspolizei, kann erschöpfend nur sein, wenn eine gut 
geregelte Meldepflicht an eine Zentralmeldestelle für ein um¬ 
grenztes, übersehbares Gebiet gesetzlich eingeführt wird. 

15. Als solches kommt der Wirkungslos je eines Staats- 
medizinalbeamten (Kreisarzt, Bezirksarzt) in Frage. 



16. Dem Medizinalbeamten müssen auf dem Wege über die 
Kreispolizeibehörde gemeldet werden: 

a. seitens der Anstalten alle für seinen Bezirk irgendwie 
in Betracht kommenden Entlassungen von nngeheilten bezw. 
nnr gebesserten Geisteskranken und zwar unter Mitteilung 
von Art und Voraussage der Erkrankung des Entlassenen, 
sowie von Wünschen, betreffend seine Unterbringung; anch 
die in Familienpflege Entlassenen sind zu melden. 

b. seitens der Behörden alle Feststellungen von Geistes¬ 
krankheit, sei es im Zivil-, sei es im Strafprozess. 

r $17. Der Medizinalbeamte ist mit Ermittelungs-, Aufsichts¬ 
und beschränktem Anordnungsrecht inbezug auf Geisteskranke 
ausserhalb der Anstalten auszustatten. 

18. Diese Bestimmungen haben zur Voraussetzung ent¬ 
sprechende Ergänzungen der Zivil- und Strafprozessordnung und 
einen Bundesratsbeschluss, der die Einheitlichkeit der landesrecht¬ 
lichen Anordnungen gewährleistet; dagegen bedarf es dazu keiner 
weitgehenden generellen reichsgesetzlichen Regelung im Sinne 
einer Beichsirrengesetzgebnng. 


Zu 3 der Tagesordnung: 

Abwässer-Reinigung mit Rücksicht auf die Reinhaltung 

der Wasserläufe. 

A. Reg.- u. Med.-Rat Dr. DUtschke - Erfurt: Reinhaltung der 
Wasserlanfe vom gesundheitspolizeilichen und yer- 
waltungsrechtlichen Standpunkte. 

(Rieht zur Abstimmung bestimmt.) 

1. Die in Deutschland bestehenden hochgradigen Verun¬ 
reinigungen zahlreicher Wasserläufe bedeuten eine grosse gesund¬ 
heitliche und wirtschaftliche Gefahr; sie bedürfen daher dringend 
der Beseitigung bezw. der Einschränkung. 

2. Am sichersten würde die Beinhaltung der Wasserläufe 
durch eine einheitliche gesetzliche Begelung für das ganze Reich 
erreicht werden; einer solchen stellen sich jedoch zur Zeit noch 
grosse Schwierigkeiten entgegen. 

3. Im allgemeinen bieten aber schon jetzt die gesetzlichen 
Bestimmungen und Verwaltungsmassregeln der einzelnen Bundes¬ 
staaten eine wirksame Handhabe, die Verunreinigungen der 
Wasserläufe in Deutschland zu verhüten oder erheblich einzu¬ 
schränken, wenn diese Massregeln nur konsequent von den ein¬ 
zelnen Bundesstaaten gehandhabt werden. 

4. Als die zur Zeit aussichtsvollste Verwaltungsmassnahme 
zur Verhütung und Beseitigung der Verunreinigung der Wasser¬ 
läufe müssen die regelmässigen Besichtigungen sämtlicher Wasser¬ 
läufe in den einzelnen Bezirken durch eine zu berufende Ueber- 
wachungskommission angesehen werden, bei denen die Teilnahme 
des Medizinalbeamten neben der des Wasserbau- und Gewerbe¬ 
aufsichtsbeamten obligatorisch zu machen ist. 

4. Bei einer zukünftigen gesetzlichen Neuregelung der Be¬ 
stimmungen übr die Benutzung der Wasserläufe ist den hygie- 



nischen Forderungen) die auf ein besseres Unschädlichkeitmaclien 
der den Wasserläufen zuzuführenden Abwässer, und somit anf eine 
wirksame Reinhaltung derselben hinzustreben haben,in erhöhterem 
Masse Rechnung zu tragen, als dies bislang der Fall war, wo die 
hydrotechnischen Gesichtspunkte vorzugsweise berücksichtigt sind. 

5. Bei dem Bestreben, die Verunreinigung der Flussl&ufe 
einzuschränken, hat sich bis jetzt das Ausstehen eines allgemeinen 
deutschen Wasserrechts weniger fühlbar gemacht, als das Fehlen 
bestimmt anerkannter technisch-hygienischer Grundsätze für die 
Reinigung der Abwässer. 

Wenn es daher der Technik gelingt, solche Methoden der 
Abwässerreinigung zu schaffen, durch welche nicht nur die For¬ 
derungen der Gesundheitspflege und zwar in erster Linie erfüllt, 
sondern auch die Interessen der Industrie, der Fischzucht und 
Landwirtschaft gewahrt werden und gleichzeitig eine übermässige 
finanzielle Belastung der einzelnen Gemeinden nicht zu befürchten 
steht, dann werden auch die sanitätspolizeilichen und verwaltungs¬ 
rechtlichen Massnahmen eine weit bedeutendere Wirkung ent¬ 
falten können. 

6. Aufgabe des deutschen Medizinalbeamten muss es bilden, 
sich über die Fortschritte der Technik der Abwässerreinigungs¬ 
methoden fortlaufend zu unterrichten und die Wirkungen der in 
seinem Bezirke bereits im Betriebe befindlichen Anlagen ständig 
aufmerksam zu überwachen, um so auch seinerseits mit zu einer 
Verhütung der Verunreinigung der Flussläufe beizutragen. 

Um ihn hierzu mit Rücksicht auf die ständigen Fortschritte 
der Technik zu befähigen, ist die Einführung von Fortbildungs¬ 
kursen für Medizinalbeamte zu empfehlen, wie solche an der für 
Preussen errichteten Versuchs- und Prüfungsanstalt für zentrale 
Wasserversorgung und Abwässerbeseitigung bereits eingeführt 
sind. — Auch würde die Errichtung weiterer ähnlicher Versuchs¬ 
und Prüfungsanstalten, wenigstens in den grösseren Bundesstaaten, 
wie solche für Preussen und Hamburg bereits bestehen, nur freudig 
zu begrüssen sein. 

6. Dr. Thomm, ordentl. Mitglied der Königl. Versuchsanstalt für Wasser¬ 
versorgung und Abwässerbeseitigung in Berlin: Abwasser-Reini¬ 
gung vom hygienisch-technischen Standpunkte. 

(Nicht zur Abstimmung bestimmt.) 

1. Bei der Errichtung von Abwässer-Reinigungsanlagen ist 
der Schlammbeseitigung und der Möglichkeit einer Des¬ 
infektion der Gesamtabwässer die gleiche Beachtung zu schenken 
wie der Abwasserreinigung selbst. 

2. Die zur Reinigung häuslicher und städtischer Ab¬ 
wässer benutzten Reinigungsverfahren sind in ihrer Leistungs¬ 
fähigkeit und der Art ihrer praktischen Anwendung im allgemeinen 
bekannt. Ueber die Reinigung industrieller Abwässer weiss 
man viel weniger; hier bleibt sowohl im allgemeinen, als im ein¬ 
zelnen noch viel zu tun übrig. 

8. Vor Errichtung der definitiven Reinigungsanlage empfiehlt 
sich, besonders bei grösseren Einrichtungen, die Anstellung von 
Vorversuchen. 



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nt sngäiaasz- 1 
—* «in. 






des unteren 


jhaarter rechtsseitiger Schamberg. 

Narbe, zurückgeblieben nach Entfernung des 
überzähligen dritten Beines, 
von f. warzenartige Erhöhung; Umgebung 
behaart. 





4. Die intermittierende Bodenfiltration bietet in 
bezog anf die Beseitigung der fäulnisfähigen Stoffe, sowie etwaiger, 
in einem Abwasser enthaltener Krankheitskeime die gleiche Sicher¬ 
heit wie die Landberieselung. Die Abflüsse enthalten aber 
nicht unerheblich grössere Mengen an Nährsalzen als typische 
Rieselfeldabflüsse. 

5. Die zahlreichen künstlichen biologischen Reini¬ 
gungsverfahren beruhen auf den beiden Grundtypen, Füll- 
und Tropfverfahren. Beide sind im Prinzip gleich¬ 
wertige Methoden. Bei geringem Gefälle kommt an erster 
Stelle das Füll verfahren, bei reichlichem Gefälle das Tropf¬ 
verfahren als Reinigungsmethode in Frage. 

Alle biologischen Körper sind baulich derartig zu gestalten, 
dass Luft entweder dauernd (beim Tropfverfahren) oder nur 
zu gewissen Zeiten (in der Lüftungsperiode beim Füll ver¬ 
fahren) in alle Zwischenräume des Materials eindringen kann. 
Ihr Betrieb ist derartig zu handhaben, dass Absorption und Re¬ 
generierung der Körper miteinander Schritt halten. Die Abwässer 
sind endlich so vorzubehandeln, dass die das Leben in den bio¬ 
logischen Körpern beeinträchtigenden Stoffe von diesen 
so weit als möglich ferngehalten werden. 

6. Becken, Brunnen und Türme haben eine doppelte 
Funktion zu erfüllen; sie sollen einmal die ungelösten Stoffe 
mehr oder weniger weitgehend aus einem Abwasser entfernen, 
und zweitens eine Vermischung der einzelnen Abwasserarten, 
falls erforderlich, herbeiführen. 

7. Rechenanlagen bewirken nur eine teilweise Ent¬ 
fernung der gröberen ungelösten Stoffe; am meisten 
leisten noch die Systeme, bei denen die abgefangenen Stoffe 
ausserhalb des Wassers von den Rechen abgenommen werden. 

8. Für die erfolgreiche Wirkung grösserer Reinigungs¬ 
anlagen ist es unerlässlich, dass diese wissenschaftlich 
geschulten, im Dienste der betreffenden Städte und Fabriken 
stehenden Betriebsleitern dauernd unterstellt werden; für 
kleinere Anlagen magein gut angelernter, aber dauernd kon¬ 
trollierter Klärwärter ausreichend sein. 







Za dem Artikel: „Unvollständige Doppelbildung des unteren 

Körperendes usw.“ 

I. 




a. Nabelbrach. 

b. Penis. 

c. Scrotum. 

d. Spalte. 

e. Wulste. 


f. Behaarter rechtsseitiger Schamberg. 

g. Narbe, zurückgeblieben nach Entfernung des 

überzähligen dritten Beines. 

Links von f. warzenartige Erhöhung; Umgebung 
behaart. 













18. Jahrg. 


1905. 


Zeitschrift 

für 

MEDIZINALBEAMTE. 


Zentralblatt für gerichtliche Medizin und Psychiatrie, 
für ärztliche Saehrerständigentätigkeit in Unfall- and Invaliditätssachen, sowie 
für Hygiene, offentl. Sanitätswesen, Medizinal-Gesetzgebung nnd Rechtsprechung 

Heraasgegeben 

von 

Dp. OTTO RAPMUND, 

Regtarungfl- and Geh. Medizin*lret ln Minden« 


Verlag von Fischers mediz. Buehhandlg., H. Kornfeld, 

Herzog! Bayer. Hof- u. Erzherzog! Kammer-Buchhändler. 

Berlin W. 35, Lützowstr. 10. 

Inserate nehmen die Ycrla^sh&ndlung sowie alle Annoncen-Expeditionen des In- 

und Auslandes entgegen. 


Nr. 18. 


Erscheint am 1. und IS. Jeden Monats 


15. Septbr. 


Unvollständige Doppelbildung des unteren Körperendes, 
Sinus urogenitalis und Nabelbruch bei einem 16 jährigen 

Knaben. 

Von Kreiswundarzt z. D. Dr. M. Mayer - Simmern. 

In seiner Arbeit: „Ueber zwitterhafte Menschen“ (Aerztl. 
Sachverständigen - Zeitung 1905, S. 7), fordert P. Stolper za 
Mitteilungen einschlägiger Beobachtungen anf. Die nachfolgende 
Mitteilung betrifft einen mir seit einigen Jahren bereits bekannten, 
am 25. Februar d. Js. an einem Herzleiden verstorbenen 16 jährigen 
Knaben. Er ist das dritte Kind einer kinderreichen, bäuerlichen 
Familie. Von anderweitig in derselben vorgekommenen Miss- 
bildungen oder von Geisteskrankheiten ist mir nichts bekannt. 
Die Eltern und 8 Geschwister sind gesund; ein Bruder ist 1901 
an Herzfehler nach Gelenkrheumatismus gestorben. Betreffs der 
Anamnese konnte folgendes festgestellt werden: 

Der in seiner oberen Körperhälfte wohlentwickelte Knabe wurde im 
Jahre 1889 mit einer linksseitigen Luxatio femoris, einem Nabclbruch, einer 
auffälligen Spalte in der Schamgegend und einem überzähligen Beine geboren. 
Obwohl die Harnröhrenöffnung des Penis verklebt war, soll er nach Angabe der 
Angehörigen doch Harn gelassen haben. Die Großmutter habe 3 Tage and 
3 Mächte gewacht, um zu beobachten, auf welchem Wege der Urin aus dem 
Körper geflossen sei; „noch heute aber wisse man nicht, woher der Harn ge* 
kommen sei“. Einige Tage nach der Geburt wurde von dem behandelnden 
Arzte mit einer Sonde die häutige Verklebnng der Harnröhre gelöst; Beit jener 
Zeit habe der Knabe, „wie andere Jungen“, Wasser gelassen. Am zweiten Tage 
nach der Geburt sei die obere zarte Decke des Nabelbraches geplatzt. 
Die Därme hätten, nur mit einer feinen Hülle bedeckt, bis zum 10.—14. Tag 
frei dagelegen. Allmählich habe sich wieder eine neue Haut gebildet. Nach 








586 Dr. Mayer: Unvollständige Doppelbildung des unteren Kürperendes, 


Ablauf von 3 Monaten sei der Knabe in die chirurgische Universitäts-Klinik 
nach Bonn gebracht worden. Hier sei ihm die überzählige rechtsseitige Glied¬ 
maße amputiert worden. Diese soll aus Unterschenkel, Fuß und 4 Zehen be¬ 
standen haben und nach einwärts gedreht gewesen sein. 

Der Knabe hat früh laufen gelernt und Neigung zum Herumtummeln, 
zum Spielen gehabt, wie andere Knaben auch. Iu der Schule hat er mit seinen 
Altersgenossen gleichen Schritt gehalten. Spöttereien über seine Mißbildungen, 
denen der Knabe etwa ausgesetzt gewesen wäre, sind nicht vorgekommen. 
Auch Streitfragen über sein Geschlecht sind nicht' entstanden. Seine Stimme 
war eine knabenhafte, seine Gesichtsbildung, ebenso wie der Blick seiner 
Augen, wohl etwas zarter wie bei anderen Bauernknaben. Später hat er am 
Konfirmationsunterrichte tcilgenommen. Obwohl schon damals Beschwerden 
seitens des Herzens auftraten, die einen regelmäßigen Gebrauch von Digi¬ 
talispräparaten erforderten — ich bin seit Jahren Arzt des Knaben gewesen, 
— und obwohl die linksseitige Luxatio femoris congenita ihn beim Mar¬ 
schieren hinderte, legte der stets blasse Junge den 4 km weiten Weg von 
seinem Wohnorte nach Simmern 1—2 mal wöchentlich zurück. Sein Gang 
war auffällig; der große Abstand zwischen den Innenflächen beider Ober¬ 
schenkel wurde auch durch die Kleidung nicht verhüllt. Auch beim Sitzen 
fiel diese Entfernung auf. In den nächsten Jahren hatte er sich erholt und 
ärztliche Behandlung nicht nötig gehabt. Im Jahre 1904 begann er zu 
kränkeln. Auf nichtärztlichen Bat hatte er gegen seine Atembeschwerden 
mehrere Fläschchen 01. Eucalypti benutzt, die angeblich seine Leiden linderten. 
Er wurde im Spätherbst dauernd bettlägerig. Ich wurde wieder als Arzt zu¬ 
gezogen. Unter Atemnot, Husten, Oedem, Ascites, zunehmender Herzschwäche 
verschlimmerte sich sein Befinden, bis der Tod cintrat. 

Während des Lebens hatte ich von einer genauen Unter¬ 
suchung der Genitalorgane, deren Abweichungen von der Norm 
mir bekannt waren, Abstand genommen; ihre Aufnahme hat erst 
nach dem Tode stattgefunden. Die Eltern, die an dem Knaben 
mit grosser Liebe hingen, gestatteten jedoch leider keine Sektion, 
sondern nur eine Besichtigung und photographische 
Aufnahme der Leiche 1 ). 

Die Leichenbesichtigung ergab folgenden äusseren Befund: 

Männliche Leiche von gut entwickeltem Körperbau, kräftiger Muskulatur, 
blasser Hautfarbe, mit Oedemen der Unterschenkel. Das Gesicht und der 
Brustkorb sind von jugendlich-männlichem Typus. Mammae fehlen voll¬ 
ständig. 

Am rechten Oberschenkel, 14 cm von der oberen, inneren Begrenzungs¬ 
linie entfernt, findet sich eine & cm breite, etwa */» cm hohe Narbe. An dieser 
Stelle war dem Knaben das überzählige dritte Bein im Alter von 3 Monaten 
entfernt worden. 

Der rechte Oberschenkel steht in Innenrotationsstellung, infolge ange¬ 
borener Hüftgelenksluxation. Der linke innere Knöchel steht daher etwa 8 cm 
höher, als der rechte. Der M. Sartorius springt in starker Spannung vor. 

In der Verlängerung der Medianlinie des Brustkorbs fehlt ein Nabel. 
Dagegen stellt diese Linie den größten Durchmesser eines nahezu kindskopf¬ 
großen Nabelbruches vor, der von oben nach unten 10 cm, von rechts nach 
links 9 1 /* cm mißt, dessen Inhalt sich halbkugclförmig etwa 4—5 cm weit nach 
vorn vorwölbt und dessen Decke aus dünner Haut besteht. Ein Teil der Haut 
ist dunkler gefärbt und narbig verändert, — ein Besiduum des oben erwähnten, 
in den ersten Tagen nach der Geburt cingetretcnen Verlustes des deckenden 
Häutchens. Der Bruch enthält Därme. Es besteht eine bedeutende Diastase 
der Musculi recti. 

Verlängert man die Medianlinie des oberen Bumpfendes über den Bruch 
hinaus nach abwärts, so gelangt man etwa 6 cm tiefer auf eine 9 1 /« cm 
lange, schräg von oben und außen, nach unten und innen ver- 

*) Die photographische Aufnahme ist von dem Photographen Adams- 
Simmern in meiner Anwesenheit vorgenommen. 



Siiras urogenitalis und Nabelschnurbruch bei einem 16 jährigen Knabcu. 587 


laufende Spalte. Diese ist von beiden Seiten von fetthaltigen Haut- 
wülsten umgeben, die vollständig den Eindruck großer Schamlippen machen, 
allerdings solche erwachsener Frauen an Breite, Länge und Höhe übertreffen. 
Nach oben und außen von der Spalte konvergieren zwei je an der Peripherie 
eines solchen Wulstes verlaufende Linien, die blondes, lockiges Haar tragen. 
Tastet man die H ö;h 1 e, zu der jene Spalte führt, ab, so gelangt man überall 
auf glatte, feuchte, glänzende Schleimhaut, die blaurot gefärbt ist; die Farbe 
ist als postmortale Erscheinung anzusprechen. Die Tiefe der Höhle ist an 
einer Stelle unterbrochen. Der Finger gelangt nämlich in den hinteren Partien 
auf einen Hohlgang, dessen Wände ebenfalls glatt sind, dessen Lichtung sich 
2 cm nach oben mit dem Finger verfolgen läßt. Der untersuchende Finger ist 
weder mit Kot, noch mit urinös riechender Flüssigkeit benetzt. In der Decke 
der Höhle, aber ebenfalls von Schleimhaut überzogen, findet sich eine etwa 3 cm 
lange, nahezu horizontal verlaufende, aber schräg von hinten und links nach 
vorne und rechts gerichtete, knöcherne Spange. Dieselbe erschien dem 
Gefühl nach am lateralen Ende fest, am medialen frei zu sein. Aus der Höhle 
soll während des Lebens — abgesehen von den ersten Lebenstagen — nie Stuhl 
oder Urin gekommen sein; da aber immer etwas wässerige Flüssigkeit abge¬ 
sondert wurde, war bei der Besichtigung die Umgebung etwas exkoriiert. 

In der linken Körperhälfte liegt ein 4 cm langer Penis mit Glans 
und Urethralöffnung, sowie mit Scrotum. Während der Penis der Norm ent¬ 
spricht, ist der Hodensack ohne Raphe, zeigt feine Qucrrunzeln und ent¬ 
hält nur einen Hoden. 

Hinter dem Hodensack nur durch etwa 1 cm breites Mittelfleisch getrennt 
liegt die After Öffnung. 

Der dem Penis entsprechende Schamberg ist wenig fetthaltig und 
nicht behaart. 

Nimmt man auch jetzt wieder die Mittellinie des Thorax in ihrer Ver¬ 
längerung als sagittale Achse, so weicht die Wurzel des Penis von der Sagit- 
talebene weit nach links ab. Die Entfernung von der linken Spina beträgt 
6 cm, von der rechten dagegen 13*/» cm. 

Nach dem Gesagten bestehen also zwei Symphysen. Die 
eine, rechts gelegen, in der Verlängerung der Medianlinie des 
Thorax, etwa 6 cm unter dem unteren Begrenzungsrande des 
Nabelbruches. Hier findet sich ein Schamberg, der reichlichen 
Haarwuchs trägt, dessen Kuppe aber von der Medianlinie ab¬ 
weicht und nach rechts und oben sieht. Die zweite Symphyse 
liegt links von jener Medianlinie an der Wurzel des Penis; hier 
fehlt ein Schamberg, auch ist kein Haarwuchs vorhanden. 

Die in der rechten Seite befindliche Höhle muss als Sinus 
urogenitalis angesprochen werden. Dafür spricht die allseitige 
Auskleidung durch glatte, feuchtglänzende Schleimhaut, die Be¬ 
grenzung des Eingangs durch zwei Wülste, die die Form und das 
Aussehen grosser Schamlippen haben. Die in der Decke der Höhle 
fühlbare, grade wie eine falsche Rippe nur auf einer Seite mit 
dem Knochengerüst fest verbundene Knochenspange dürfte wohl 
als zweiter, rechter horizontaler Schambeinast anzusehen sein. 
Der typische horizontale Schambeinast war an normaler Stelle. 
Von Clitoris, kleinen Labien, Hymen fehlte jede Spur; der in der 
Höhle mündende, den Finger aufnehmende Hohlgang dürfte eine 
Kloake darstellen, obwohl intra vitam Kot nie, Harn anscheinend 
nur in den ersten Lebenstagen durch den Gang entleert ist. 

Nimmt man an, dass die untere Körperhälfte aus einer 
Doppelbildung hervorgegangen ist, so würde dem rechsseitigen 
Individuum entsprechen: Die rechte untere Extremität, deren 
obere Partie zugleich mit der amputierten Extremität die linken 



588 


Dr. Vollmer. 


Gliedmassen des rechtsseitigen Individuums repräsentieren dürften, 
der weibliche Schamberg, die Schamlippen und die Höhle. Dem 
linksseitigen Individuum würden dagegen zuzuteilen sein: Die 
männlichen Geschlechtsorgane, also der eine Hoden, der Hoden¬ 
sack, der Penis und die Harnröhre, der After und die linke Ex¬ 
tremität. 

Die Seltenheit des geschilderten Falles geht am besten aus 
einem Referate Prof. Dr. Strassmanns über einen von Neu- 
gebauer beobachteten Fall hervor 1 ), der manche Berührungs¬ 
punkte mit dem in Rede stehenden bietet. Es heisst hier: 

„Von höchstem Interesse ist nun die erwähnte einzelstehende Beob¬ 
achtung, die nicht nur unter den Fällen Neugebauers, sondern in der Ka¬ 
suistik des Hermaphroditismus überhaupt ein Unikum darstcllt. Bei einem 
2'/£jährigen Kinde mit weiblichem Habitus fand sich eine Diastase der Scham¬ 
beine; die vorhandenen weiblichen Geschlechtsteile lagen exzentrisch rechter- 
scits zwischen zwei großen Schamlippen, von denen die linke viel größer war. 
Es ließen sich hier Ciitoris, Urethralöfinung, kleine Schamlippen, Hymen mit 
drei Oeffnungen und Scheide nachweiscn; hinter der Scheide mündete der After 
in den Vorhof; ging man in ihn ein, so ließ sich der Uterus mit Adnexen 
durchtasten. Durch die Harnröhre gelangte der Katheter in die stark erwei¬ 
terte Harnblase. Linkerseits fand sich ein wohl gebildetes Skrotum, dessen 
rechte Hälfte von der linken großen Schnmlippo nicht zu trennen war; hier 
lag ein 5 Pfennigstück großes härteres Gebilde; die linke Hälfte des Skrotums 
war leer. Es fand sich ferner ein Penis mit den dazu gehörigen Gebilden und 
einer Harnröhrenöffnung’, die aber anscheinend blind endete. Es ist dies die 
erste authentische Beobachtung dafür, daß äußere männliche und weibliche 
Geschlechtsteile nebeneinander Vorkommen können; von Doppelbildungen der 
gleichen Geschlechtsteile sind bereits einige Fälle bekannt.“ 


Eine Paratyphusepidemie im Kreise Simmern. 

Von Kreisarzt Dr. E. Vollmer- Simmern. 

Es scheint der dürre Sommer 1904 zur Entwickelung der 
Typhusepidemien günstig gewesen zu sein, vor allem in ländlichen 
Bezirken, wo mit der Trockenheit die Menge und die Beschaffen¬ 
heit des noch meist in Kesselbrunnen stehenden Wassers eine 
Verminderung erfährt. Diesem Umstande und der fast ausschliess¬ 
lichen Benutzung eines Schöpfbrunnens von seiten des ganzen 
Dorfes zur Versorgung mit Trinkwasser verdankt eine Paratyphus¬ 
epidemie in Michelbach ihre weitere Verbreitung, die im Ver¬ 
gleich zu den anderen Typhusfällen des Kreises aus mehr als 
einem .Grunde eine eingehendere Besprechung verdient. 

Der Anfang der Epidemie bezw. die ersten amtlich bekannt 
gewordenen Fälle bildeten die in der Familie des Wirtes A. S. 
zu Michelbach am 17. Juli 1904 aufgetretenen Erkrankungen. 
Dieser 43 Jahre alte Wirt lag mit seiner ganzen Familie an 
„Influenza“ krank, als ein Gendarm zufällig in das etwas 
isoliert auf der Höhe zwischen Neuerkirch und Wüschheim liegende 
Dorf kam und von dieser „Influenza“ im heissen Hochsommer 
hörte. Er meldete die Gruppenerkrankung pflichtgemäss an das 
Landratsamt, von dem ich sie erfuhr; durch Uebersendung der 


*) Vierteljahraachr. für gerichtL Medizin; 1896, XII, 8. F., S. 176, Sappl. 



Eine Paratyphusepidemie im Kreise Simmern. 


589 


Blutproben nach Idar an die bakteriologische Untersnchnngsstelle 
konnte ich dann die Erkrankungen als Paratyphus feststellen 
lassen. Weitere Nachforschungen ergaben, dass schon vorher 
influenzaartige Erkrankungen bei dem Ackerer Sch. und dessen 
Knecht Schn, aufgetreten, aber ihres leichten Charakters wegen 
nicht zur Anzeige gekommen waren. Der in das Dorf häufiger 
kommende Arzt aus Kastellaun, Dr. D., erklärte nun, dass in der 
letzten Zeit ähnliche Fälle in grösserer Zahl in Alterkülz und 
Michelbach aufgetreten seien. Bei allen z. Z. noch als krank zu 
ermittelnden Personen wurden jetzt Blutproben entnommen; es 
ergab sich allerdings, dass bei einer grossen Anzahl von Ein¬ 
wohnern von Alterkülz positiver Widal vorhanden war, ohne dass 
viele von diesen gezwungen gewesen wären, im Bette zu bleiben 
oder auch ihre Arbeit erheblich einzuschränken. Die Personen, 
die also in dieser Weise in der leichtesten Form, nur durch Un¬ 
behagen und leichte Durchfalle gestört, erkrankten, von denen 
aber der positive Widal festgestellt wurde, sind in beifolgender 
Liste aufgeführt. 

I. 

Erkrankungsanzeige von typhusverdächtigen Fällen. 

(Dr. D.) 

27. Juli 1904. 


I. Michelbach. 

1—1. Wirt A. S. (43 Jahre) mit Frau 
und Kindern (+); 

5 -7. Ackerer Ph. Aß. und zwei Töch¬ 
ter (+)> 

8—10. Ackerer Sch., dessen Knecht 
Schn, und Magd L. (-}-); 

11. Ackerer P. L.; 

'2—14. Manrer B., zwei Söhne von 
von 6—7 Jahren; 

13. Ehefrau P. Pe. (-{-). 

(-{-) bedeutet positiver Widal. 
von Dr. Lentz-Idar. 


II. Alterkülz. 

1--3. Schuhmacher P. mit Frau und 
Sohn (+?); 

4. Frau Sch. (im Hause W. St.); 

5. Ackerer Schl. (—j- ?); 

6. Witwe P. (-f); 

7—8. Ehefrau L. und Tochter; 

9. Schreiner R. 


(+?) zweifelhaft nach Untersuchung 


Diese Erkrankungen bildeten gewissermassen die Vorläufer 
der Epidemie von Michelbach, die einen schweren Charakter an¬ 
nahm. Am 27. Juli erfolgte die amtliche Typhusfeststellung bei S. 
Am selben Tage diejenige in der Familie A., wo zwei Mädchen 
im Alter von 9 und 16 Jahren erkrankten. Am 28. Juli erkrankte 
bezw. wurde als krank ermittelt die 17 jährige A. L., die Magd 
bei dem selber krank gewesenen Sch.; an demselben Tage die 
K., 23 Jahre alt, Schwägerin des Sch; am 31. Juli der L. in 
Neuerkirch (16 Jahre alt), ein Vetter der A. L.; am 3. Aug. 
die 36 jährige Ehefrau A. Pe. aus Michelbach. Ueber die weitere 
Paratyphusfälle vergl. die zweite Liste. 


II. 


Amtliche V c r g 1 c i c h s 1 i s t o der Typhus- und P a r a t y p h u s f ii 1 1 e: 


Nr. der Typhus- 
mcldungen. 


Alter. 

Typhus. Paratyph 

2. 

E. W. Schwarzerden 

12 

+ - 

3. 4. I 

3. u. W. D. 

12, 15 

+ 

5. 

J. H. 

20 

+ 



590 


Dr. Vollmer. 


’. der Typhos- 
meldungen. 

Vor- und 
Zuname. 

Wohnort. 

Alter. 

Typhus. 

Paratyphus. 

6. 

P. G. 

Schwarzerden 

13 

_ 

- 

— 

— 

7. 8. 

M. u. K. Alb. 

fl 

10, 11 

- 

- 

— 

_ 

10. 

S. Gö. 

Mengerschied 

20 

- 

- 

- 

- 

11. 

K. Oe. 

Horn 

14 

- 

— 

4- 

12. 

K. Kö. 

Simmern 

11 

-b (?) 

- 

- 

14. 15. 

16. 17. 

A. S. (Wirt) 

Michelbach 

43 

- 

- 

+ 

18. 19. 

A. u. G. Aß. 

fl 

16, 9 

- 

_ 

_ 

_ 

20. 

A. L. 

fl 

17 

- 


- 

- 

21. 

K. H. 

fl 

23 

- 

— 

_ 

- 

22. 

P. L. 

Neuerkirch 

16 

_ 

_ 

_ 


23. 

A. Pe. 

Michelbach 

36 

- 

— 

_ 

- 

24. 

J. V. 

Laufersweiler 

50 

+ 

- 

- 

25. 

C. M. 

» 

18 

+ 

- 

- 

26. 

W. W. 

Keidelheim 

23 

- 

— 

- 

_ 

27. 

J. Scb. 

Beckershausen 

19 

- 

— 

- 

- 

29. 

M. L. 

n 

37 

- 

— 

- 

- 

30. 

K. Lö. 

Michelbach 

21 

- 

— 

- 

_ 

31. 

Ka. D. 

fl 

40 

- 

— 

- 

- 

32. 

W. St. 

Rheinböllen 


"4” (?) 

- 

- 

33. 

Ad. L. 

Alterkülz 

18 

- 

— 

-b 

34. 

C. Ba. 

Laufersweiler 

14 

- 

i- 

- 

— 

36. 

Ja. Kl. 

n 

46 

- 


- 

— 

37. 

H. St. 

Gemünden 

16 

- 


-|- 

38. 

M. Sch. 

fl 

16 

- 

— 

-L 

41. 

J. St. 

Laufersweiler 

48 

+ 

- 

- 


In Michelbach sind die ersten Paratyphusfälle in dem 
Hanse Sch. gewesen — dieses Haus hat an erkrankten Familien¬ 
mitgliedern den Hausherrn und seine Schwägerin; an erkranktem 
Dienstpersonal den Knecht Schn, und die Dienstmagd L. Von 
dieser Haushaltung aus ist der unterhalb derselben gelegene Ge¬ 
meindeschöpfbrunnen infiziert, aus dem mit Kücheneimern das 
Trinkwasser von allen nahe gelegenen Haushaltungen geholt wird; 
daraus ergibt sich eine Gruppenerkrankung innerhalb der Familien 
Pe., Ass., S., L., von der einige Fälle leicht verliefen, die Kinder Ass. 
und S.; einige Fälle aber, und zwar die A. und K. L., Mädchen 
von 17 und 21 Jahren, schwer erkrankten und zwar so, dass ihre 
Erkrankung, wie auch die der Ehefrau A. Pe., 86 Jahre alt, in 
keiner Weise von echtem Typhus zu unterscheiden war. 

Ich will mich hier nicht auf die Fragen nach dem Unter¬ 
schiede zwischen Typhus und Paratyphus in klinischer und bak¬ 
teriologischer Hinsicht einlassen; dies ist Sache der Spezialisten 
für innere Medizin und für Bakteriologie; ich möchte nur hervor¬ 
heben, dass für den praktischen Arzt und Kreisarzt der Unter¬ 
schied in Wegfall kommt, und Typhus wie Paratyphus als gleich 
gefährliche Seuchen, die den gleichen Weg der Verbreitung durch 
Nahrungsmittel und Trinkwasser und Kontakt nehmen können, zu 
bekämpfen sind. Nur in einem Punkte ist auch für den Kreisarzt 
die Unterscheidung zwischen Typhus und Paratyphus von be¬ 
sonderem Interesse. Das ergibt sich auf Tafel II. Es folgten 
auf die lange Keihe von Paratyphusfällen in Michelbach und Um¬ 
gebung plötzlich zwei Typhusfälle in Laufersweiler, — diese 
stehen ganz ausser Zusammenhang mit den Fällen in Michelbach; 



Eine Paratyphusepidemie im Kreise Simmern. 


691 


; um traten wieder Paratyphusfälle auf, deren Zusammenhang mit 
fichelbach sich erweisen liess — man spart also dem Kreisärzte 
jopfzerbrechen bei der Suche nach Zwischengliedern in der Kette 
einer Typhusfälle, wenn ein anderer Ursprung sich schon durch 
ie telephonische Diagnose von dem bakteriologischen Institute 
ier ergibt. 

In dem einen Punkte erscheint der Paratyphus für die Weiter- 
rerbreitong gefährlicher zu sein, als leichte Fälle häufiger vor- 
tommen, als bei dem echten Typhus. Mit dem leichten Verlauf 
rächst aber die Gefahr; denn einmal entgehen diese Fälle dem 
äuge der Aerzte und kommen vielfach gar nicht zur Behandlung; 
anderseits ist es, besonders der ländlichen Bevölkerung gegenüber, 
schwer, diese von der Notwendigkeit eingreifender Desinfektions- 
m&ssregeln zu überzeugen, wenn auch der Paratyphus festgestellt 
ist. Weiss das Dorf, in den und den Häusern liegen schwere 
Typhuskranke — die, wenn die Krankheit nicht tödlich verläuft, 
erst nach wochenlangem Krankenlager genesen — dann will jeder 
vor einer derartigen Krankheit geschützt sein; er fügt sich des¬ 
halb gern in alle Vorbeugungsmassnabmen und trägt auch die 
entstehenden Unkosten. Wenn aber nach 8tägigem Unwohlsein 
die Typhuspatienten wieder Bpazieren gehen, frisch und munter 
scheinen, dann kann sich der sparsame Bauer nicht vor- 
stelleD, dass auch diese Leute als Typhusträger eine Gefahr für 
die Allgemeinheit darstellen. Je leichter der Typhus, je schwerer 
der Kampf gegen seine Verbreitung, um so lästiger werden alle 
Massnahmen empfunden! Dies geschieht nicht nur von den Laien, 
; sondern auch von dem Pflegepersonal. Die Krankenschwestern, 
die glaubten, sie sollten schwere Nachtwachen haben, erstaunten, 
als sie die verhältnismässig leicht erkrankten Patienten zu sehen 
bekamen und waren selber nicht mehr so ängstlich und strenge 
in ihrer Aufsicht. Eine Schwester reiste, ohne sich abzumelden, 
eines Tags zur Beerdigung einer Schwester in die Nachbarstadt, 
wo das Mutterhaus ist, und war erstaunt, als ihr dies verübelt 
wurde. Es bedarf die Schwesternschaft einer gründlichen Unter¬ 
weisung in der Typhuspflege. Man merkt, dass wohl Kranken¬ 
pflege im Krankenhause gelernt ist, aber die Fähigkeit fehlt viel¬ 
fach, das Gelernte in die Praxis, in die Typhuspflege in der Familie 
za übertragen. Darauf müsste mehr in den Kursen, die die 
Schwestern doch durchmachen sollten, hingewiesen werden. — 

Wenn man die Liste I und II vergleicht, dann fällt weiter 
auf, dass z. B. die Witwe P. (Alterkülz) nicht in die amtliche 
Liste gekommen ist. Bei ihr wurde positiver Widal bei subjek¬ 
tivem Wohlbefinden festgestellt, — sie wurde veranlasst, ihren 
Urin and Kot za desinfizieren, liess sich aber nicht isolieren, weil 
sie nicht im Bette zu halten war. Ebenso war es mit den Kindern 
des Maorers Br., wo allerdings der Verdacht nicht bestätigt wurde. 

Dass die Epidemie von Schwarzerden und die von Michel¬ 
bach verschiedenen Ursprung haben mussten, geht aus der Tabelle II 
hervor. Der Paratyphus fängt an mit dem Fall in Horn Ge. — der 
Fall K. war zweifelhaft; Dr. M. in Simmern hatte ihn als Typhus 



592 


W. Rettig. 


gemeldet. — Die Blutproben blieben stets negativ und Dr. Lentz- 
Idar schrieb dazu: da klinisch deutlich schwerer Typhus (trotz 
Krankenhausbehandlung Rezidiv!) spricht der anfänglich negative 
Ausfall der bakteriologischen Untersuchung mehr für Typhus, als 
für Paratyphus. — Es folgten nun die Reihe Michelbacher Para¬ 
typhusfälle; unterbrochen nur durch die Typhusfälle zu Laufers¬ 
weiler, die zu der Epidemie im Bernkasteler Kreise zu rechnen 
sind. Der Fall St.-Rheinböllen betraf einen Schiffer und blieb 
(Krankenhausbehandlung, sofortige Kreisdesinfektor-Desinfektion 
des Elternhauses, wo er eine Nacht lag) isoliert. Die Gemün- 
dener Fälle müssen zu der Michelbacher Paratyphusepidemie ge¬ 
zählt werden, wenn ein genauerer Zusammenhang auch nicht auf¬ 
zufinden war. 

Von den 43 amtlich bekannt gewordenen Typhusfällen waren 
19 sichere Paratyphusfälle. Es wird also namentlich in ländlichen 
Kreisen, wo mit lange aufbewahrtem, oft verschimmeltem Rauch¬ 
fleisch, mit alten Würsten gerechnet werden muss, wo man in 
den kleinen Drogenhandlungen und in den wenigen Privatschläch¬ 
tereien noch keine Ahnung von Sauberkeit und von der hygieni¬ 
schen Gefahr der Zersetzung organischer Substanzen hat, mehr 
als bisher auf das Nebeneinander von Typhus und Paratyphus zu 
achten sein. 


Noch einmal die Schulbankfrage. 

Von Oberbaurat a. D. W. Rettig in Berlin. 

Herr Schneider stellt in seiner prompt erschienenen Ent¬ 
gegnung vom 15. April d. Js. mehrere Behauptungen auf, welche 
erneuter Berichtigung bedürfen: 

1. „So bleibt die Stelle, wo die Eisenschiene fest in den Boden gelassen 
ist, der gründlichen Reinigung für gewöhnlich unzugänglich und dient gerade 
zur Aufspeicherung von Schmutz, der . . . 

2. Ferner erfordert das Umlegen und Wiederzurücklegen der Bänke 
eine gewisse Zeit . . . 

Anderseits kann man auch durch die anderen von mir erwähnten Hifs- 
mittel, wie Fehlen der Bankstollcn, Aufklappbarkeit der Tische usw. eine gute 
und gründliche Zimmerreinigung ermöglichen. — 

3. . . . weil es z. B. für ärmere Gemeinden darauf ankommt, daß sie 
nicht ohne zwingenden Grund genötigt werden, ihr Geld für ein Patent aus¬ 
zugeben. 

4 . . . . Daß zwei oder drei hintereinander befindliche, zu einem Ganzen 
vereinigte Sitze mehr Platz für die Reinigung beim Umlegen nach vorn oder 
hinten, als dem nach der Seite freilassen, kann wohl nicht ernstlich in Abrede 
gestellt werden. 

5. . . . mit einer wichtigen gesundheitlichen Forderung, die erst in 
neuester Zeit mehr in den Vordergrund getreten ist, nämlich mit der des ver¬ 
änderlichen Lehnenabstandes. 

6. Die Rettigbank Modell 1903 . . . hat diesen veränderlichen Lehnen¬ 
abstand nicht.“ 

Hierauf gestatte ich mir zu erwidern: 

Zu 1: Die Eisenschiene, auf welche die Umlegung der Rettig¬ 
bank sich vollzieht, hat keine „Stelle, wo sie fest in den Boden 
gelassen ist“. Diese „Stelle“ kann daher weder der gründlichen 
Reinigung für gewöhnlich unzugänglich sein, noch zur Auf- 



Noch einmal die Scholbankfr&go. 


693 


speicherang von Schmatz dienen. Die Schiene liegt vielmehr ihrer 
ganzen Länge nach flach anf dem Fassboden auf and ist beider¬ 
seits dem Besen bezw. Handfeger so bequem zugänglich, dass 
auch nicht das kleinste Stäubchen Übrig zu bleiben braucht, wenn 
das Reinigungspersonal zuverlässig arbeitet. 

Zu 2: Dass das Umlegen und wieder Zurücklegen der 
Rettigbänke eine „gewisse Zeit“ erfordert, soll nicht bestritten 
werden. Dass aber die Handhabung der anderen von H. Schneider 
erwähnten Hilfsmittel, wie Aufklappbarkeit der Tische „usw.“ 
keine oder weniger Zeit erfordern, hat H. Schneider nicht 
näher erläutert. Unter dem „usw.“ verstehe ich die Aufklappung 
auch des Sitzes und des Fussrostes jeder Bank usw. Es müssen 
daher, um den Boden für den Besen zugänglich zu machen, drei 
Umlegungen und drei Wiederzurücklegungen zur Ausführung 
gebracht werden, also sechs statt zweier bei der Rettigbank. 
Der Schluss daraus ergibt sich von selbst. 

Zu 8: Aermere Gemeinden werden — bisher wenigstens ist 
mir kein Beispiel bekannt geworden — von niemandem „genötigt, 
ohne zwingenden Grund ihr Geld für ein Patent auszugeben.“ 
Das Geld für das Patent zahlt ausschliesslich der Erfinder, und 
zwar, was H. Schneider wohl nicht weiss, im Betrage von 
5000 Mark allein dem Kaiserlichen Patentamt. Es dürfte doch 
wohl für erlaubt gelten, dass der Erfinder, dessen Erfindung die 
Leute zu benutzen gedenken, diese der Staatskasse bezahlten 
Kosten und die ihm durch jahrelange Versuche und selbstverständ¬ 
lich massenhafte Fehlversuche erwachsenen Ausgaben — im 
Falle der Rettigbank mindestens 30000 Mark, bevor nur ein 
einziger Schulsaal bestellt wurde — auch wieder einzubringen 
versucht, ganz abgesehen davon, dass er auch doch noch wie 
andere Leute etwas davon für seine alten Tage übrig behalten 
möchte. 

Zu 4: Wenn Bänke umgelegt werden, so wird der Platz, 
auf welchem sie vorher gestanden haben, frei. Und zwar genau 
der Platz, welchen die Bänke vor der Umlegung eingenommen 
haben. Wie dadurch, dass ich nach hinten oder vorn statt nach 
der Seite umlege, noch „mehr Platz“ frei werden soll, ist unver¬ 
ständlich; mehr Platz, als vorher bedeckt war, kann doch nicht 
frei werden. 

Zu 5: Dass der veränderliche Lehnenabstand eine Forderung 
der neuesten Zeit sei, ist unzutreffend; es ist vielmehr gerade 
eine solche ältester Zeit, während in neuerer und neuester Zeit 
der unveränderliche Lehnenabstand an Anhängern gewinnt (vgl. 
Kongress Verhandlungen Nürnberg, Bern). Bei mehrsitzigen Bänken 
ist die Forderung ja allerdings berechtigt, weil der Schüler, welcher 
von beiden Seiten durch einen Nachbar eingeengt ist, sich in der 
Ruhelage doch einigermassen muss rühren können; wer aber nur 
irgend kann, macht doch heutzutage keine mehrsitzigen Bänke mehr. 

Hier handelt es sich aber doch ausschliesslich um zweisitzige 
Bänke, und nicht um mehrsitzige. Das ist ja gerade der unschätz¬ 
bare Vorteil der zweisitzigen Bank — ganz abgesehen von allem 



594 


Kleinere Mitteilungen nnd Referate ans Zeitschriften. 


übrigen — dass der Schüler auf seinem Eckplatz — man denke 
nur an die Beliebtheit der Eckplätze im Theater — sich viel 
freier rühren kann, so dass ihm ein etwas geringerer Lehnenabstand, 
ein solcher, welcher für die Schreibhaltung recht ist, auch in der 
Ruhehaltung nicht lästig wird. 

Alle diese Betrachtungen sind längst abgeschlossen und 
kommen bereits vor bald zwanzig Jahren in dem von mir er¬ 
wähnten Erlass des Preuss. Min. vom Jahre 1888 u. a. zum Aus¬ 
druck dadurch, dass für zweisitzige Bänke fester Lehnen¬ 
abstand vorgeschrieben wird. 

Wenn H. Schneider anderer Meinung ist, so muss er das 
angesichts dieser wichtigen Tatsachen denn doch eingehender be¬ 
gründen, als er es getan hat, falls er nicht den Vorwurf hören 
will, dass seine Ausführungen die in vielen Punkten vollkommen 
geklärte Schulbankfrage immer wieder in Verwirrung zu bringen 
geeignet sind. 

Zu 6: Auf Seite 5, Punkt 5, Satz 8 des Eataloges der 
Firma Joh. Müller & Co. vom Jahre 1903 steht wörtlich: 

„Die Rettigbank braucht deshalb auch keine beweglichen Teile. 
Sofern . . ., empfiehlt sich die Verwendung von Rettigbänken mit veränder¬ 
licher Distanz . . .“ 

Wohlverstanden also: Die Rettigbank braucht keine be¬ 
weglichen Teile. Sie kann aber mit veränderlicher Distanz, 
mit beweglicher Platte, Klappsitz u. dgl. ausgeführt und bestellt 
werden. Das steht ganz deutlich im Katalog. Wenn nun H. 
Schneider angesichts dessen und ohne jeden weiteren Zusatz 
sagt: „Die Rettigbank hat einen veränderlichen Lehnenabstand 
nicht“, so wird er mir schon gestatten müssen, dass ich ihn bitte, 
den genannten Katalog noch einmal in die Hand zu nehmen. 

Schlussbemerkung: Herr Schneider beklagt sich da¬ 
rüber, dass ich seine Ausführungen als die Schulbankfrage von 
neuem verwirrende bezeichnet habe. Nun frageich aber: Wenn 
H. Schneider die Gemeinden warnt, die zweisitzige Rettig¬ 
bank anzuschaffen, weil sie nicht nötig hätten, ihr Geld für ein 
Patent auszugeben, — und in einem Atem ihnen empfiehlt, statt 
deren einsitzige umlegbare Bänke zu nehmen, welche nicht 
nur per Sitz mindestens 8 Mark mehr kosten, sondern auch die 
Baukosten des Schulsaals um mindestens 10 Mark per Sitz er¬ 
höhen, was Herrn Dr. Schneider jeder Sachverständige bestä¬ 
tigen wird, — ich frage, trägt eine derartige Behandlung der 
ernsten Schulbankfrage zu ihrer Klärung bei? Ich glaube, nein! 


Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 

A. Gerichtliche Medizin nnd Psychiatrie. 

Identifizierung der Leiche des amerikanischen Admirals Paul J ones, 
113 Jahre nach seinem Tode. Von Capitan and Papillaalt. Comptes 
rendus de la soc. de biol.; LIV., 1905, Nr. 26. 

Der Aufsatz bringt einen wesentlichen Beitrag zur Frage der Re- 
kognitionsiuerkmalc. 

Einer der gefeiersten Helden der amerikanischen Marine, Paul Jones 



Kleinere Hitteilnngen nnd Referate aus Zeitschriften. 


595 


starb 1792 in Paris and wurde hier aaf dem Kirchhofe für fremde Protestanten 
beigesetzt. Der Kirchhof warde später nicht mehr benutzt und mit Bauten 
bedeckt. Der amerikanische Gesandte bemühte sich, mit den zuständigen 
französischen Behörden, durch Anlegung unterirdischer, in der Tiefe des alten 
Kirchhofs gelegener Gänge, den Sarg mit der Leiche des Admirals wieder auf¬ 
zufinden. Man entdeckte 5 Blcisärge, von denen einer eine vollständige er¬ 
haltene Leiche enthielt, die man für die von Paul Jones ansprach. 

In der Sitzung der biologischen Gesellschaft vom 22. Juli 1905 konnten 
die Autoren Photographien und histologische Schnitte der Leichenorgane 
vorlegen. 

In den Schädel war alkotalische Flüssigkeit vor der 
Bestattung eingegossen worden. Da nun die Hautoberfläche be¬ 
sonders der unteren Gliedmaßen und die Oberfläche der Lungen mit kleinen 
weißen Massen von Hirschkorngröße und darüber bedeckt war, die sich als 
tyrosinhaltig erwiesen, so nehmen die Autoren an, daß sich vom Momente der 
Alkoholeinwirkung auf den Körper bis zu dem Augenblicke der Imbibition der 
Eingeweide mit Alkohol eine Art autolytischen Prozesses abgespielt hat, der 
aus Eiweißstoft’en Tyrosin erzeugte. 

Die Leiche hatte das Aussehen einer Mumie. Der Verstorbene hatte 
ein Alter von 45 Jahren erreicht und eine Größe von 1 m 70; seine 
Haare waren braun gewesen. Die braunen Haare der Leiche waren leicht 
ergrauend, die Leiche maß 1,71 m. 

Der Vergleich mit der Nachbildung einer Büste des Admirals zeigte 
vollständige Identität zwischen Büste und Leiche. Die Art der Einflanzung 
der Haare, die Form der Stirn, der Bau der Augcnbrauenbogen, der Kiefer¬ 
knochen, der Nasenwurzel, der allgemeine Prognathisrnus des Gesichtes, besonders 
des Kiefers, die Form des Kinns, die besondere Anordnung der Ohrknorpel, die 
Maße der Leiche und der Büste — alles stimmte vollständig überein. 

Schließlich kamen noch interessante anatomische Merkmale hinzu. Jones 
hatte wiederholcntlich an Lungenaffektionen, besonders linkerseits gelitten und 
hatte vor dem Tode Oedeme der unteren Gliedmaßen und des Leibes dar¬ 
geboten, die auf eine Nierenaffektion hinwiesen. 

Die Organe der Leiche erwiesen sich nun durch die Imprägnation des 
Körpers mit Alkohol so gut erhalten, daß Prof. C o r n i 1 histologische Schnitte 
anlegen konnte, die mit jenen bei frischen Autopsien gewonnenen Präparaten 
nahezu identisch waren. Die mikroskopische Prüfung ergab: normale Leber, 
bronchopneumonische Herde besonders links, vielfache Affektionen der Nieren¬ 
knäuel, die auf eine interstitielle Nephritis schließen ließen. 

Die Autoren halten ihren Fall für den ersten der Identifizierung einer 
Leiche vermittelst verschiedener Methoden 113 Jahre nach dem Tode. 

Dr. Mayer-Simmern. 


Definitive Wiederbelebung durch subdiaphragmatische Herzmassage 
ln einem Falle von anscheinendem Chloroformtod. Von L. Sencert. Aus 
der Klinik des Prof. Groß. R6union biologique de Nancy. Comptcs rendus 
de la soc. de biol.; LVIII, 1905, Nr. 23. 

Am 17. April 1905 machte Sencert bei einem 51jährigen, iktcrischon, 
kachektischen Manne mit Choledochusgeschwnlst die Laporatomie. Das Ex¬ 
zitationsstadium der Chloroformnarkose war wenig ausgeprägt; die Atmung 
war ergiebig, regelmäßig. Der Bauchschnitt wurde in der Mittellinie aus¬ 
geführt. Es traten krampfhafte Bewegungen, Kontraktur der Becti ein. Dann 
hörte die Respiration plötzlich auf. Der Operierte bot die Zeichen des Todes: 
die Wangen waren blaß, die Papillen erweitert, der Puls der Radialarterien 
war nicht zu fühlen. Künstliche Atmung, rhythmische Zungentraktionen, Haut¬ 
reize, Aetherinjektionen — alles war ohne Erfolg. 7—8 Minuten hindurch 
wurden diese Maßnahmen mit größter Ausdauer durchgeführt; die Hand des 
Operateurs blieb in der Bauchwunde. Sie konnte die Pulsationen der Aorta 
nicht mehr fühlen. 

Sencert führte nun seine rechte Hand tief gegen die Wölbung des 
Diaphragmas. Der linke Leberlappen wurde abgehoben. Er konnte mit seinen 
Fingern durch das Zwerchfell hindurch die Herzspitze und einen Teil der 



596 


Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften* 


Kammern ergreifen and begann, den Daamen nach vorn, die anderen Finger 
hinten, die Ausführung rhythmischer Herzmassage. 

Das Herz, das sich zuerst schlaff und leer anfühlte, wurde 
nach 5 Minuten langer Massage voluminös und hart. Noch einige Sekunden 
fühlte die Hand eine spontane Zusammenziehung der Kammermuskulatur; nach 
kurzer Pause traten wieder in rhythmischer Folge Herzschläge ein, — anfangs 
sehr schwach, dann immer stärker. Der Pals an der Radialis wurde fühlbar, 
nach zwei Minuten hörte und sah man die erste spontane Inspiration. Das 
Gesicht begann sich zu färben, die Pupillen wurden enger, der Pols wurde 
regelmäßig. 

Ohne weitere Maßnahmen vorzunehmen, schloß der Autor die Bauch- 
wunde. Der Mann erwachte nach einigen Sekunden. Die Wiederbelebung war 
eine vollständige. 

Verfasser gibt an, die Literatur enthalte 16 Fälle von Herzmassage bei 
„anscheinendem“ Chloroformtode; nur ein Fall, jener von Starling sei von 
Erfolg gewesen. Dr. Mayer-Simmern. 


Ist die Tragfähigkeit schwimmender Körper ein sicherer qualitativer 
oder quantitativer Nachweis und Beweis für ihren Luftgehalt. Von 
Dr. Fr. Schroen, pro pbysicatu approb., (Jettingen. Münchener medizinische 
Wochenschrift; 1905, Nr. SO. 

Verfasser glaubt auf Grund der eingehend dargelegtcn experimentellen 
und theoretischen Ergebnisse seiner Versuche die von Prof. Dr. Stumpf- 
Würzburg empfohlene neue Methode zur quantitativen Bestimmung des Luft- 
gcbaltes der Lungen') bei ihrer großen forensen Bedeutung weiterer, genauester 
Nachprüfung anempfehlen zu müssen. Vorläufig möchte Verfasser sein Urteil 
in der Richtung aussprechen, daß er einen sekundären Wert der Probe bei 
gewaltsamen Todesarten Erwachsener nicht bestreiten will, daß er sie aber bei 
Neugeborenen zur Entscheidung der Frage, ob sie gelebt haben oder nicht, 
alloin nicht empfehlen kann, da sie nur in einem speziellen Falle quanti¬ 
tativ den Luftgehalt schätzen läßt, in anderen — und das sind die wich¬ 
tigsten forensen Fälle wohl — selbst qualitativ im Stiche lassen kann 
und deshalb die übliche und vorgeschriebenc Lungenprobe der Sektionsinstruktion 
nicht zu ersetzen vermag. Dr. Waibei-Kempten. 


Ein gerichtlich-medizinischer Fall von Sturzgeburt. Von Bezirksarzt 
Dr. Federschmidt in Dinkesbühl. München med. Wochenschrift Nr. 25/1905. 

Auf Grund der Anzeige des Leichenschauers wurde gegen eine 29 jährige 
Viertgebärende, deren Kind tot aus der Abortgrube gezogen wurde, Anklage 
wegen fahrlässiger Tötung erhoben und gerichtliche Sektion angeordnet, welche 
ergab, daß das völlig reife, ausgetragene und lebensfähige Kind bei seiner 
Geburt gelebt und den Tod durch Ersticken, d. h. dadurch, daß es unmittelbar 
nach der Geburt in die Abortgrabe geriet, wo cs beim Atmen flüssigen Kot 
in die Luftröhre und in die Lungen aspicrierte, gefunden hatte. 

Die Frau wurde in der kritischen Nacht von heftigen Leibschmerzen 
und Durchfällen befallen, deretwegen sie öfters das Bett verlassen und ihre 
Notdurft verrichten mußte. 

Von einer falschen Schwangerschaftsbcrechnung ausgehend, glaubte sie 
zunächst nicht an ihre Entbindung und äußerte erst später, da die Schmerzen 
immer heftiger wurden, ihrem Manne gegenüber, daß es sich möglicherweise 
doch nicht blos um gewöhnliche Leibschmerzen, sondern auch um Wehen handeln 
könnte. Als sie ihren Mann später bat, den Topf auszulecren, forderte sie dieser 
unwillig über dieses Geschäft auf, den Abort aufzusuchen. Als sie zu 
diesem Zwecke das Bett verließ, „tat es vor ihr einen großen Platscher“, so daß 
die Stube naß wurde. Auf dem Aborte verrichtete sie ihre Notduft, zugleich 
ging aber auch die Geburt von statten, wobei das geborene Kind in die Abort¬ 
grube fiel. Die Frau wollte nun sofort ihren Mann veranlassen, das Kind ans 
dem Aborte herauszuholen, derselbe lief jedoch in der Bestürzung zur Hebamme. 
Nun rief die Gebärende eine parterre wohnende Frau zu Hilfe und bat sie mit 
einer Gabel die Abortgrube aufzumachen, sie selbst eilte in ihre im Obergeschoß 


') Siehe Referat in dieser Zeitschrift; 1905, Nr. 9, S. 257. 



Kleinere Mitteilungen nnd Referate aus Zeitschriften. 


597 


gelegene Wohnung und holte ein Beil, um damit beim Oeffnen der Abortgrube 
behilflich zu sein. Alsbald erschien die Schwiegermutter, welche das Kind aus 
dem Abort zog und die Gebärende ins Bett brachte, wo alsbald die Nachgeburt 
abging. 

Diese Darstellung über den Geburtsvorgang erschien ganz glaubwürdig 
und wurde auch von den Zeugen nicht widersprochen. 

Zweifellos trieb, als sich die Frau auf dem Aborte befand und von Kolik¬ 
schmerzen und Wehen gepeinigt, die sio in ihrer Qual nicht unterscheiden 
konnte, eine stürmische Wehe, das jedenfalls schon im Beckenausgang be¬ 
findliche Kind völlig aus den Geburtswegen, so daß es in den Abort fallen 
mußte. 

Auch der Sektionsbefund widersprach in keiner Weise dieser Darstellung. 
Die äußere und innere Besichtigung der Leiche gab keinerlei Verletzung. 

Daß es sich um eine sehr rasch verlaufene sogenannte Sturzgeburt 
handelte, geht auch daraus hervor, daß an der Leiche keine Kopfgeschwulst 
vorhanden war. 

Die Lungenprobe ergab, daß das Kind nach der Gebart gelebt und ge¬ 
atmet hatte. Im Kehlkopf und unterhalb der Stimmbänder fanden sich 
Sägemehlpartikelchen, in der Luftröhre und in deren Verzweigungen flüssiger 
Kot. Das Kind fiel zunächst auf den Grund des Abortschachtes, einen in der 
Abortgrabe vorspringenden Stein, der wie man sich überzeugen konnte, mit 
dünnen Kot beschmiert und mit Sägemehl bestreut war. Bei Atembewegungen 
des Kindes gelangten dann, vorausgesetzt, daß das Kind mit dem Munde auf 
den Grund des Abortschachtes zu liegen kam, Sägcspähno in den Mund, die 
dann, als das Kind infolge von Bewegungen der Gliedmaßen in die mit Jauche 

f efülltc Abortgrube fiel und weitere forzierte Atembewegungen machte, in den 
Kehlkopf gerieten, während die mit Kot vermischte Jauche in die tieferen Luft¬ 
wege gelangte, wodurch das Kind ersticken mußte. 

Schlußgutachten: Es handelt sich hier um eine sogenannte Sturzgeburt. 
Die Wehentätigkeit brach über die Frau in überstürzender Weise herein. Die 
Frau, die zugleich an heftigen Kolikschmerzen litt, wurde sich des Geburts¬ 
vorganges offenbar erst bewußt, als das Kind geboren und in die Abortgrube 
gefallen war. Von einer Fahrlässigkeit kann nach alledem keine Rede sein. 

Bemerkenswert ist noch die Tatsache, daß 2 vorausgegangene Gcburtcu 
der betr. Frau sehr schwere waren, die nur künstlich zu Ende geführt werden 
konnten. Dr. Waibei-Kempten. 

Ueber Schädelbrüche in gerichtsärztlicher Beziehung. Von Dr. Fritz 
Hoppe. Fricdr.-Bl. für gerichtl. Medizin 1904, 1905. 

Der Gerichtsarzt hat aus Befanden von Schädelbrüchen und ihren Be¬ 
gleiterscheinungen an der Leiche je nach der Lage der speziellen Umstände 
ein Urteil abzugeben über die Todesart und ihre Veranlassung, die Art der 
gebrauchten Waffe und ihre Führung durch den Täter, über die näheren Be¬ 
gleitumstände und die Zahl der Täter. Er muß unterscheiden, ob ein Ver¬ 
brechen, ein Unfall oder eine natürliche Todesart vorlicgt. Der Sektionsbefund 
erlaubt ihm Schlüsse, ob eine körperliche oder geistige Erkrankung, die vor dem 
Tode bestand, mit einem Schädelbruche zusammenhing. Seine sachverständige 
Aeusserung hat dem Richter die Feststellung der Ansprüche der Hinterbliebenen 
zu erleichtern. Die gerichtsärztlichen Erhebungen über Schädelbrüche und 
ihre Folgen am lebenden Menschen haben große Wichtigkeit bei der Fest¬ 
stellung des Beschränkungsgrades der Erwerbskfähigkcit und der dauernden 
oder vorübergehenden Nachteile für den Verletzten in zivilrechtlicher wie 
strafrechtlicher Beziehung. In allen forensischen Fällen, in denen der Gerichts¬ 
arzt zur Hilfe des Richters herbeigerufen wird, ist cs dessen Hauptaufgabe, 
den ursächlichen, mittelbaren oder unmittelbaren Zusammenhang zwischen der 
fraglichen gerichtlichen Angelegenheit mit dem Schädelbrüche, dessen Begleit¬ 
erscheinungen und Folgen klarzustellen. Dr. Rump-Osnabrück 

Zur Kenntnis des Quinquaudsclien Zeichens. Von Dr. Hoffmaun, 
Gerichtsarzt in Berlin und Dr. Marx, Assistent der Unterrichtsanstalt für 
Staatsarzneikunde in Berlin. Berliner klin. Wochenschrift; 1905, Nr. 19. 

„Wenn man die gespreizten Finger des zu Untersuchenden auf den 



698 


Kleinere Mitteilungen nnd Referate ans Zeitschriften. 


eigenen Handteller setzen läßt, merkt man während der ersten zwei oder drei 
•Sekunden nichts Außergewöhnliches, dann aber leichte Erschütterungen, als ob 
die Fingerknochen links gegeneinander and gegen die Flacbhand des Unter¬ 
suchers stießen. Je nach der Intensität and der Dichte and Kontinaität der 
Stöße hat man die Empfindung, die vom leichten Reiben bis zom richtigen 
Knarren und Krachen schwankt.“ 

Die an 1018 Insassen des Untersuchungsgefängnisses Moabit vor¬ 
genommenen Prüfungen führten za dem Ergebnis: 

1. Das Fehlen des Q. sehen Zeichens oder ein mäßiger Grad desselben 
lassen sichere Schlüsse auf Abstinenz oder Alkoholmißbraach nicht za. Das 
Fehlen erlaubt höchstens mit einer Wahrscheinlichkeit von 8 :2 Abstinenz 
anzunehmen. 

2. Ein intensiver Grad des Phänomens zeigt mit einer Wahrscheinlich¬ 
keit von nahezu 3 :1 den Potatortremens, mit einer Wahrscheinlichkeit von 
2 : 1 den Trinker an. 

Das Zeichen kann immer nnr im Verein mit den anderen Zeichen des 
chronischen Alkoholismus verwandt werden. Dr. Raa her-Köslin. 


Zar Bewertung des Tremors als Zeichen des Alkoholismus. Von 
Prof. Dr. Fürbrin ger-Berlin. Berliner klin. Wochenschrift; 1905, Nr. 21. 

Verfasser kommt za den nachstehenden Folgerangen: 1. Aach richtige 
Potatoren können den Tremor vermissen lassen, doch dürfte mit diesem Ausfall 
in kaum dem zehnten Teil zu rechnen sein. 2. In mäßiger Aasprägung be¬ 
rechtigt das Händezittern an sich za keinerlei Schlüssen auf Alkoholmißbraach. 
Hier boten sogar nahezu dreimal mehr Nichttrinker das Zeichen. 8. Aach der 
starke und stärkste Tremor ist an sich nicht mit hoher, wohl aber mit einer 
an das doppelte grenzenden Wahrscheinlichkeit für die Diagnose des Pota- 
toriums zu verwenden. Der Tremor bleibt eines der charakteristischen Symp¬ 
tome des Alkoholismus und maß höher bewertet werden als das Qainquaad- 
schc Zeichen, der Zangentremor and Kneifempfindlichkeit der Waden. 

Dr. Räuber-Köslin. 


Das Blerdellrlnm. Mitteilung zweier ausschließlich durch Biermißbraach 
verursachter Fälle von halluzinatorischem Wahnsinn. Von Prof. Dr. Hans 
Gudden (Klinik von Prof. Krapelin). Archiv für Psych.; 40. Bd., 1. H. 

Beide Fälle imponieren anfänglich als reine Alkoholdelirien, gelangen 
jedoch nicht zur Heilung, sondern gehen in eine chronische Hallazinose über, 
in der Halluzinationen ängstlichen nnd bedrohlichen Inhaltes das beherrschende 
Symptom bilden. Systematisierte Wahnipeen and Desorientierung sind in diesem 
Stadium nicht vorhanden, während in den massenhaften Halluzinationen der 
stets gereizten und erregten Kranken phantastische Verfolgungen, Ueber- 
schätzungen, religiöse Vorstellungen eine große Rolle spielen. Bemerkenswert 
st die Heilung in einem Falle nach 2 jährigem Bestehen der Krankheit. Diesen 
angsameren Verlauf hält Verfasser für charakteristisch für das Bierdeliriam, 
dagegen dürfte in dem ängstlichen Inhalt der Sinnestäuschungen kanm ein 
unterscheidendes Merkmal gegen das Schnapsdelirium za finden sein, wie G. 
resümierend betont. Dr. Pollitz-Münster. 


Ueber hysterische Selbstverletznng. Von Dr. Christoph Müller in 
Immenstadt. Münchener med. Wochenschrift; 1905, Nr. 24. 

Im Herbst 1903 kam eine 35 jährige hochgradig hysterische Frau in die 
Sprechstunde des Verfassers mit der Angabe, sie habe eben in einem Bissen 
Brot drei Nähnadeln geschluckt. Verfasser hielt dies aus guten Gründen 
nicht für wahr und suchte ihr beizabringen, daß die Nadeln, ohne za schaden, 
nach einiger Zeit abgehen würden. 8 Tage später wurde Verfasser in die 
Wohnung der Patientin gerufen, wobei ihm dio Frau eine neue glänzende, ge¬ 
wöhnliche Nähnadel zeigte, die sie soeben erbrochen habe; die beiden anderen 
Nadeln spüre sie noch deutlich im Magen. Verfasser schenkte dieser Angabe 
sowenig Glauben, wie der ersten und machte antcr anderem darauf aufmerksam, 
daß die betr. Nadel nach so langem Aaf enthalte im Körper doch zweifellos 
dankel oxydiert sein müßte etc. Abermals 8 Tage später wurde einem anderen 
gerufenen Kollegen ein Geschirr mit Fäzes präsentiert, in denen zwei tadellos 



Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


599 


oxydierte, große Nähnadeln steckten, die eben mit abgegangen seien. Der 
über den Fall vom Verfasser auf dom laufenden erhaltene Kollege glaubte 
ebensowenig auch an dieses Präparat, und man tröstete die Frtfu, daß nun 
alles glücklich vorüber sei etc. 

Im Herbste 1904 mußte wegen unstillbaren Gebärmutterblutungen die 
Totalexstirpation dor Gebärmutter vorgenommen werden. Beim Durchschneiden 
des rechten Ligamentum latum stieß die Schere auf einen festen Gegenstand, 
welcher sich nach näherer Orientierung aus zwei Nähnadeln bestehend erwies, 
die vollständig eingebettet waren in das verdickte Band. Die Nadeln waren 
von der gleichen Große und von gleichem Aussehen wie die seinerzeit in dem 
Fäzes vorgezcigten. Nach dem Befunde bei der Operation konnten die Nadeln 
nur von der Scheidenwandung aus ins Ligamentum latum gekommen sein, wohin 
sie entweder um Blutung hervorzurufen oder um sie gar von hier aus direkt 
in den Darm einznstechen, gebracht wurden, ein Vorgehen, das möglicherweise 
durch die bei Hysterischen häufig vorhandene Analgesie erleichtert wurde. 
Von der Scheidenwandung aus sind die Nadeln dann durch Kontraktionen der 
Scheidenmuskulatur gedrängt, nach oben gewandert und da ihnen der Weg 
durch die derbe Portio zu schwierig war, nach der Seite ins breite Mutterband 
ausgewichen. Dr. W a i b e 1 - Kempten. 


Zar Lehre vom hysterischen Irrsein. Nach einem Vortrag auf der 
Jahresversammlung des Deutschen Vereins für Psychiatrie am 24. April 1904. 
Von Dr. Raecke, Oberarzt und Privatdozent an der psychiatrischen Klinik 
Kiel. Archiv für Psych.; 40 Bd., 1 H. 

Daß die Hysterie ein psychisches Leiden ist, darüber scheint unter den 
neueren Bearbeitern Einigkeit zu herrschen, während in der Abgrenzung der 
verschiedenen Formen des hysterischen Irreseins die größten Gegensätze bestehen. 
R. unterscheidet, indem er die Gruppierung Baimanns verwirft, einfache 
und zusammengesetzte Geistesstörungen der Hysterischen, die beide jedoch 
direkt Ausfluß des zugrunde liegenden Krankheitsprozesses sind. Die Gruppe 
der einfachen Störungen umfaßt die zahlreichen, paroxysmenartig auftretenden 
Störungen: den Raptus hystericus mit seinem pathetischen, theatralischen, meist 
oberflächlichen Affekt, den Furor hystericus meist im Zusammenhang mit 
Krampfanfällen, nicht selten durch Alkohol ausgclöst und das forensisch so 
wichtige Bild der hysterischen Moria, von den Franzosen (S o u 1 a r d) als Pueri- 
lisme sehr treffend gekennzeichnet, eine Krankheitsform, die bald an das eigen¬ 
artig alberne Wesen der Katatoniker, bald an die Gans ersehen Dämmer¬ 
zustände anklingt. Hier sind die mitgeteilten, nicht kriminellen Beobachtungen 
aus des Verfassers reicher Erfahrung von größtem Interesse. Sehr häufig sind 
ferner vereinzelte Halluzinationen und nächtliche schreckhafte Visionen, sonnam- 
bule Zustände und kurze paranoide Anfälle, die B o n h o e f f e r als pathologische 
Einfälle bezeichnet hat. Wichtig sind die hysterischen Stuporzustände, denen 
Anfälle von Schlafsucht, Narkolepsie, nahe verwandt erscheinen. Die hysterischen 
Delirien zeigen ebenfalls sehr verschiedenartig abzugrenzende Symptomkomplexe, 
bald ist ihr Inhalt depressiver, bald ekstatischer Natur, oft erstreckt er sich 
auf affektbetonte Erinnerungen (Reminiszenzdelir). Die zweite Gruppe hy¬ 
sterischer Störungen setzt sich aus einzelnen Anfällen von Depression, von 
Erregung, Delirien usw. zusammen. Man kann eine depressive Form unter¬ 
scheiden, die nicht selten bei Untersuchungsgefangenen beobachtet wird, meist 
akut mit Angst, Halluzinationen, Tobsucht, Stupor, Vorbeireden, Noktam¬ 
bulismus, dazwischen auftretenden Moria-Anfällen verläuft. Die Störung kann 
monatelang dauern. Als weitere Formen unterscheidet R. sodann eine Paranoia, 
die der Pseudologia phantastica nahe steht, und eine maniakalisch-stuporöse. 
Für die Diagnose aller hysterischen Psychosen ist der Nachweis körperlicher 
Störungen, der Krämpfe, Sensibilitätsstörungen, Ohnmächten, Schwindel, Kopf¬ 
schmerz, besonders auch entsprechender Momente aus der Anamnese, sowie die 
Entstehungsursache von größter Wichtigkeit. Dr. Pollitz-Münster. 


Simulation von Sohmerzanfüllen bei einem Morphinisten. Ein Gutachten 
von Oberarzt Dr. Nerlich-Waldheim. Allgem. Zeitschr. f. Psych.; 62 Bd., 1 u. 2. H. 

In dem lehreicben Gutachten wird die Geschichte eines akademisch ge¬ 
bildeten Schwindlers mitgeteilt, der — von zahlreichen Gutachtern beobachtet 



600 


Kleinere Mitteilungen and Referate aus Zeitschriften. 


— früher morphinistisch war und sich im Strafvollzüge durch Vortäuschen 
schwerer Schmerzattaquen Erleichterungen und Vorteile zu erlangen suchte; 
Symptome geistiger Störung hat er nicht simuliert. Hysterie lag nicht vor. 
Er hatte früher an eingeklemmtem Nabelbruch gelitten und suchte die ihm 
geläufigen Symptome später darzustellen; die Kenntnis zahlreicher ärztlicher Gut¬ 
achten über sein Leiden, die ihm zugängig gemacht worden waren, kam ihm 
dabei zu statten. Immerhin dürfte der Mann seiner ganzen Lebensführung 
nach in die Kategorie der pathologischen Schwindler zu nehmen sein. 

Dr. Pollitz-Münster. 


Simulation von Geistesstörungen. Von Dozent Dr. Ernst Bischoff- 
Klosternouburg. Allgemeine Zeitschr. f. Psych.; 62 Bd., 1 u. 2. H. 

Verfasser scheint die Simulation geistiger Störung für relativ häufig zu 
halten. Er unterscheidet zwei Gruppen: 1) die Vortäuschung bestehender Geistes¬ 
krankheit, 2) die Vortäuschung von Sinnesverwirrung, z.Z. des Deliktes. Geistig 
Abnorme neigen mehr zur Simulation als Intakte, besonders Hysterische, Neu¬ 
rastheniker und Schwachsinnige, namentlich wenn ethische Defekte vor¬ 
herrschen, die den Trieb zur Lügenhaftigkeit und Verstellung an sich fördern. 
Nach Verfassers Auffassung, die Referent in keiner Weise teilt, soll dagegen die 
Verstandesschwäche die Neigung zur Simulation vermindern, aber er betont 
gleichzeitig, daO der Begutachter bei dem Nachweis etwaiger Simulation die 
zugrunde liegende Geistesschwäche nicht übersehen soll. Simuliert werden 
Bilder der Verblödung, der Verwirrtheit, auch epileptische Anfälle, Apathie, 
nicht dagegen chronische Verrücktheit, die fachmännische Kenntnisse erfordert. 
Der Nachweis der Simulation — oft recht schwierig — basiert auf dem Nach¬ 
weis, daß die dargestcllten Symptome „mit den Ausdrucksformen bekannter 
Geistcstörungen nicht übereinstimmend, eine Beweisführung, die allerdings nur 
den befriedigen wird, der die Lehre von den Geistesstörungen mit einer Anzahl 
lchrbuchmäßiger Krankbcitstypcn für abgeschlossen hält. Die vier Fälle von 
simulierter Geistesstörung, die B. mitteilt, sind recht interessant. Im ersten 
Falle handelt es sich um einen raffinierten Dieb und Schwindler, der früher 
epileptische Anfälle gehabt haben soll (I), durch phantastische Erzählungen über 
sein Vorleben Aufsehen erregte und stets in der Untersuchungshaft in Stupor 
und Verwirrtheit verfiel, die durchaus als vorgetäuscht zu bezeichnen waren. 
In der Strafanstalt bot er keine Symptome geistiger Störung mehr. In einem 
zweiten Fall wurde das Bild einer vollkommenen Apathie einige Zeit von einem 
an sich beschränkten Menschen vorgetäuscht. Der dritte Fall betrifft einen 
Lehrer, der unzüchtige Handlungen mit Schulknaben vorgenommen hatte. Er 
behauptete, homosexuell zu sein und durch den Anblick von Knaben in einen 
Zustaud von Verwirrtheit zu geraten. Daß letzteres falsch war, gelang Ver¬ 
fasser unschwer nachzuweisen. Die letzte Beobachtung bezieht sich auf einen 
zu Uebertreibung geneigten Unfallneurastheniker, der in einer kriminellen Unter¬ 
suchung Intelligenz- und Gedächtnisdefekte zu seinen nervösen Symptomen hinzu 
zu simulieren suchte. — Abgesehen von dem noch nicht ganz aufgeklärten ersten 
Falle scheinen mir die übrigen Beobachtungen doch nur die Neigung mehr 
oder weniger krankhaft veranlagter Menschen zu Uebertreibung und unwahren 
Angaben über ihren Gemütszustand zu beweisen, nicht aber zu systematischem 
Vortäuschen und Darstcllen von Geistesstörungen. Nur solches sollte aber als 
Simulation bezeichnet werden. Dr. Pollitz-Münster. 


Ueber psychische Infektion (induziertes Irresein). Von Professor 
Dr. Meyer-Königsberg i. Pr. Berliner klin. Wochenschrift; 1905, Nr. 22. 

M. führt die Erkrankung einer 46jährigen im Anschluß an eine solche 
ihrer jüngeren Schwester und einer Ehefrau im Anschluß an die ihres Mannes 
an und kommt zu dem Schluß, daß cs die Paranoia und die paranoiden Psy¬ 
chosen sind, die zur psychischen Infektion (induziertes Irresein) führen, und 
daß man, auch wo keine Disposition (durch Heredität usw.) nachweisbar ist, 
zur Erklärung der Uebertragung geistiger Störung eine solche heranziehen 
muß, da eine psychische Ansteckung einzelner, völlig gesunder Personen zum 
mindesten schwer annehmbar erscheint. 

Bei den psychischen Epidemien dagegen geben Zeitströmung und 
-Stimmung, Wunderglaube usw. die Grundlage zu psychopathischen Er- 



Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften. $01 

scheinnngen bei einer großen Zahl von Menschen ab, von denen man unmöglich 
jeden einzelnen als disponiert bezeichnen kann. Es handelt sich hier um ln« 
fektion Gesunder; jes kommt aber bei der Mehrzahl von ihnen nicht zu einer 
ausgesprochenen fortdauernden Geistesstörung, nur bei einzelnen von ihnen 
mit besonderer Empfänglichkeit nnd Anlage tritt eine solche mehr hervor. 

Dr. Räuber-Köslin. 

Simulation von Geistesstörungen. Gutachten von Dozent Dr. Ernst 
Ei sch off-Klosterneuburg. Allgemeine Zeitschrift für Psychiatrie; 62. Band, 
UI. Heft. 

Nach B.’s Erfahrungen, die schwerlich viel Bestätigung finden dürften, 
häufen sich die Fälle von Simulation der progressiven Paralyse. Die Symp¬ 
tome — psychische wie die der „ ataktischen Motilitätsstörungen“ seien leicht 
nachzuahmen. (?) Der mitgeteilte Fall, in dem bereits von einem sehr erfahrenen, 
früheren Begutachter Paralyse angenommen worden war, beweist m. E. nicht, 
daß Inkulpat gerade Paralyse simulieren wollte. Eine Reihe körperlicher 
Symptome der letztgenannten Krankheit sind übrigens vorhanden; so ist es 
möglich, daß — wie in manchen Fällen — ein geisteskranker Gewohnheits¬ 
verbrecher simuliert und übertreibt, eine Beobachtung, die nach Ansicht des 
Referenten jedenfalls häufiger ist, als eigentliche Simulation oder gar syste¬ 
matische Darstellung eines bestimmten Krankheitsbildes. 

Dr. Pollitz-Münster. 

Zur klinischen Bewertung pathologischer Wanderzustände. Ans der 

psychiatrischen Klinik zu Giessen. Von Dr. C. v. Leupoldt, KönigL Oberarzt, 
kommandiert zur Klinik. Allgemeine Zeitschrift für Psychiatrie; 62. Bd., III. H. 

Der eigenartige Symptomkomplex, den die Fälle von triebartigem 
Wandern und Entweichen darbieten, ist in letzter Zeit von E. Schulze, be¬ 
sonders aber von Heilbronner eingehend studiert worden. Letzterer Autor 
rechnet die Fälle von „Poriomanie“ nicht ausschließlich zur Epilepsie, hält sie 
eher für ein hysterisches Symptom, ohne daß man Fälle hysterischer und epi¬ 
leptischer Provenienz durch den Verlauf — speziell durch den Grad des Er¬ 
innerungsvermögens — zu unterscheiden im stände wäre. Die drei Beob¬ 
achtungen, die Verfasser in ausgezeichneter Weise analysiert, bieten^ bei 
verschiedenen Krankheitsformen das stets gleiche Symptom des impulsiven, 
pathologisch motivierten Wanderzustandes. Bei dem ersten Kranken handelt 
es sich um einen psychogen bedingten Anfall, der sich mehrfach wiederholt; 
die Basis bildet ein von Jugend auf bestehende degenerative Veranlagung 
Der zweite Kranke wanderte unter dem Einfluß von Halluzinationen; er litt an 
primärer Demenz. Im dritten Falle ist eine starke Depression — ein dys- 
phorischer Gemütszustand — bei vorhandener Degeneration, der den Wander¬ 
akt auslöst. Bei allen Kranken ist die Erinnerung an die Einzelheiten, auch 
an die Motive ihres Wanderns gut erhalten. Die eigenartige Bewußtseins¬ 
störung oder Bewußtseinsveränderung, aus der der Impuls zu Wandern resultiert, 
läßt sich, wie Verfasser nachzuweisen sucht, stets in die Elemente der Grund¬ 
krankheit auflösen. Dr. Po 11 i t z -Münster. 


Beitrag zur Frage der Spätgenesung von Psychosen. Aus der Aerztl. 
Heilanstalt Winnental. Von Dr. Julius Sigel-Stuttgart. Allgem. Zeitschrift 
für Psych.; 62 Bd., 3. H. 

Die Prognose geistiger Störungen ist mit Rücksicht auf die Bestimmungen 
des B. G. B. von großer Wichtigkeit. Entgegen der klinischen Erfahrung finden 
sich gelegentlich Fälle, in denen Heilung noch nach 13jährigem Bestehen der 
Krankheit eingetreten ist. Unter diesen Spätheilungen finden sich Störungen 
der verschiedensten Art. Nach Kräpelins Ansicht gehört ein Teil dieser 
Fälle in das Gebiet des manisch-depressiven Irreseins, ein anderer in das der 
Katatonie. Verfasser teilt drei entsprechende Beobachtungen mit, in denen 
nach 4—9 Jahren Heilung eintrat. Referent hält die beiden ersten Fälle — 
Verfasser hat keine bestimmten Diagnosen mitgeteilt — für periodische Störungen, 
bei denen erst eine noch längere Beobachtung ein definitives Urteil über die 
definitive Heilung erlauben dürfte. Dr. Pollitz-Münster. 



602 


Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften. 


Untersuchungen Aber juvenile Demenz mit einem Heilerfolg. Von 
Dr. Georg Lomer, L Assistenzarzt der Irrenanstalt Neustadt-Holstein. Allg. 
Zeitschrift für Psych.; 62 Bd., 2. H. 

L. will den unglücklichen Hebephrenen Heilung bringen, indem er sie 
der Geschlechtsorgane beraubt, aus denen ihnen ein hypothetisches Autotoxin 
ins Gehirn gelangte. Der Vorschlag ist nicht neu, ähnliches schlug Räcke 
vor, um die Verbrecher an der Fortpflanzung zu hindern. Hoffentlich entdeckt 
die eifrig forschende Psychiatrie etwas weniger drastische Mittel, als das von 
Lomer vorgeschlagene. Dr. Pollitz-Münster. 


Veber Gemeingefährlichkeit vom ärztlichen Standpunkte ans. Vor¬ 
trag von Prof. Dr. Cramer-Göttingen. Juristisch-psychiatrische Grenzfragen. 
Halle a./S. 1905. Preis 0,5 M. 

Es ist ein ernstliches Verdienst des Verfassers, daß er sich gegen 
den biegsamen Begriff der Gemein gef ährlichkeit Geisteskranker wendet, der 
nicht auf dem Boden ärztlicher Ueberlegung, sondern verwaltungsrechtlicher 
Praxis erwachsen ist. Daß ein großer Teil Geisteskranker kriminell und damit 
gemeingefährlich wird, weil er erst dann in die Irrenanstalt kommt, wenn er 
irgend eine krankhaft bedingte Straftat begangen hat, wird ausdrücklich hervor¬ 
gehoben. Cramer empfiehlt die möglichst schnelle und leichte Aufnahme 
heilbarer Kranker in die Irrenanstalten, deren Krankenhauscharakter gegen¬ 
über dem zunehmenden Vorurteil des Publikums besonders zu betonen ist. Die 
Erfahrung lehrt im übrigen, daß von Geisteskranken ein sehr kleiner Prozent¬ 
satz strafbarer Handlungen begangen wird; das Publikum vor solchen zu 
schützen, ist ohne Zweifel eine berechtigte Forderung der staatlichen Aufsicht. 
Auf der anderen Seite muß die Entlassung eines Geisteskranken einzig von 
seinem Zustand, nicht von einer früheren Straftat abhängig gemacht werden. 
Dzs Urteil darüber soll nach Cramers Auffassung nur dem Arzte zustehen. 

Dr. Pollitz-Münster. 

R. Sachverständigentätigkeit in Unfall-und Invaliditäts¬ 
sache n. 

Ueber die Ausbildung der Aerzte im Begutachtungswesen. Von Dr. 
E. Körting, Generalarzt a. D. Aerztl. Sachv.-Zeitung; 1905, Nr. 12. 

Es wird die Forderung nach einer gedruckten Anleitung für die Unfall- 
und Invaliditätsbegutachtungen anfgestellt. Die gesetzlichen Bestimmungen, 
die Einteilung des Stoffes beim Attest, der komplizierte Gang bei Begründung 
und Fassung des Schlußurteils, die Prozentbewertung bei den weniger land¬ 
läufigen Unfallsachen etc. sind Punkte, die man vor jeder einschlägigen Arbeit 
gern wieder im Gedächtnis auffrischt. Die Hauptsache ist jedoch, daß weiten 
Kreisen der Aerzte Entscheidungen nebst Begründung in großer Zahl regel¬ 
mäßig zugängig gemacht werden. Nach Anschauung der Referenten ist mindestens 
gleich wichtig, daß den Aerzten, die zu Unfall- und Invaliditätsbegutachtungen 
herangezogen werden, ein recht großes Material überwiesen wird; denn die 

S ersönliche größere Erfahrung, welche der Gutachter sammelt, gibt die beste 
fewähr für eine richtige Beurteilung. Dr. Troeger-Adelnau. 


Tuberkulindiagnose ln der Unfallbegutachtung. Von Dr. F. K ö h 1 e r, 
Chefarzt der Heilstätte Holsterhausen. Aerztl. Sachv.-Zeitung; 1905, Nr. 15. 

Aus der Tuberkulinliteratur geht mit Sicherheit hervor, daß die Zu¬ 
verlässigkeit des Tuberkulins in diagnostischer Beziehung anfechtbar ist und 
daß bei fehlender klinischer Diagnose, aber Tuberkulin-positivem Resultate, 
nicht ohne weiteres eine Lungentuberkulose angenommen werden darf. 

Für die Unfallbegutachtung ist festzuhalten, daß nach dem Ausfall der 
Tuberkulinreaktion allein sich unser Urteil über den Charakter der traumatischen 
Erkrankung nicht richten darf, vielmehr sollte in erster Linie eine gründliche 
Untersuchung und die genaue Prüfung anamnestischer und ätiologischer Mo¬ 
mente uns in der Auffassung des einzelnen Falles leiten. 

Veranlassung zu vorstehendem Aufsatz gab dem Autor ein Fall von 
traumatischer Hysterie, nach Verbrennung, mit Lokalisation der Beschwerden 
in der Brust Auf Grund seiner.Feststellungen scheint dem Autor für die 



Kleinere Mitteilangen and Referate aas Zeitschriften. 


603 


Unfallbegutachtung ein Grundsatz dahin formoliert werden zu können: Die 
Tuberkulinuntersuchung kann in Fallen von traumatischerHysterie positiv aus* 
fallen, ohne daß tuberkulöse Prozesse sich im Organismus finden, und kann 
daher, wenn die klinische Diagnose nicht auf Tuberkulose lautet, fttr die Begut¬ 
achtung solcher Fälle nicht ausschlaggebend sein. Dr. Troeger - Adelnau. 


Trauma und chirurgische Tuberkulose. Von Prof. Dr. L e d d e r h o s e. 
Aerztl. Sachv.-Zeitung; 1905, Nr. 11. 

Die Unfallgesetzgebuug bestimmt bekanntlich, daß der Versicherte auch 
Anspruch auf Rentenentschädigung hat, wenn bei der Entstehung eines Krank¬ 
heitszustandes ein Unfall nur eins von mehreren ursächlichen Momenten war. 
Dadurch ist es gekommen, daß unter der großen Zahl von Personen, welche 
wegen chirurgischer Tuberkulose Rente beziehen, sich viele befinden, bei denen 
vom wissenschaftlichen Standpunkte die traumatische Entstehung der Er¬ 
krankung sehr fraglich und selbst mehr als fraglich erscheinen muß. Als 
weitere Folge ergibt sich, daß zahlreiche Laien, aber auch manche Aerzte 
mehr und mehr zu der Auffassung hinneigen, es kämen bei der Entstehung 
der Knochen- und Gelenktuberkulose nicht nur häufig, sondern regelmäßig 
Unfälle, also traumatische Ursachen, in Betracht. 

Die Statistik und anderweitige klinische und pathologisch - anatomische 
Erfahrungen dürften zu der Annahme berechtigen, daß die Mehrzahl der 
Skelettuberkulose metastatischen Ursprungs (durch innere Herde) ist. Das 
Gesamtergebnis der experimentellen Untersuchungen läßt sich dahin zusammen 
fassen, daß es bis jetzt nicht gelungen ist, im Experiment diejenigen Bedin¬ 
gungen nachznahmen, welche beim Menschen ursächliche Beziehungen zwischen 
Trauma und Gelenktuberkulose begründen können. 

Aus dem vorhandenen statistischen Material darf man im ganzen wohl 
annehmen, daß nur V»—*/* der Fälle von tuberkulöser Erkrankung der Knochen 
und Gelenke Trauma als Gelegenheitsursachen beschuldigt werden können. 

Zum Schluß richtet Ledderhose an die Aerzte die Mahnung, niemals 
mehr als die Wahrscheinlichkeit eines solchen Zusammenhangs und auch nur 
dann ein bejahendes Urteil auszusprechen, wenn diese Wahrscheinlichkeit durch 
glaubwürdige Angabenj und einwandsfreie Tatsachen und Gründe gestützt 
werden kann. _ Dr. Troeger-Adelnau. 

Ein Fall von spontaner Subluxation der Hand nach unten. (Da- 
puy tren-Madelungschen Subluxation). Von Dr. H. Schulze, Assistenz¬ 
arzt der Privatklinik des Prof. Dr. Koelliker in Leipzig. Münchener med. 
Wochenschrift; 1905, Nr. 30. 

Verfasser berichtet über einen Fall dieser seltenen, nur in der Zeit der 
Wachstumsperiode auftretenden Erkrankung, weichein Wachstumsstörungen 
imHandgelenke besteht, die ihrerseits wieder durch mechanische Eingriffe 
hervorgerufen werden. Oft ist ein Trauma für die Entstehung der Mißbildung 
verantwortlich gemacht worden, und ist diese Annahme manchmal nicht von der 
Hand zu weisen. So fand Abadie unter 38 Fällen 7mal, Barthös unter 
7 Fällen 4 mal ein Trauma der Entstehung des Leidens vorangehen. Auch in 
dem vom Verfasser mitgeteilten Falle ist die Mitwirkung eines leichten Traumas 
(Handverdrehung) an der Ausbildung der Deformität möglich; auslösend war 
aber das Trauma nicht, da ja schon vorher das auffallende Hervortreten des 
„Knöchels“ der rechten Hand bemerkt worden war. Das dem Texte beigefügte 
Photogramm bezw. Roentgenogramm gibt ein klares objektives Bild der ab¬ 
normen, bajonettartigen Stellung der Hand zum Unterarm, des starken Hervor- 
tretens des Ulnaköpfchens und des unteren Radiusendes, sowie der Verlängerung 
der Ulna, der vollständigen Luxation derselben nach der dorsalen Seite hin, 
sowie der Krümmung der unteren Radiushälfte und des starken Hervortretens 
der dorsalen Hälfte der unteren Radiusepiphyse. Die Volarflexion geht er¬ 
heblich über die physiologische Grenze hinaus, während die Dorsalilexion 
höchstens bis zu einem Drittel der Norm ausführbar ist. Die ulnare Abduktion 
ist leicht, die radiale Abduktion ziemlich stark beeinträchtigt. Bei Bewegungen 
zurzeit keine Schmerzen. Dr. W a i b e 1 - Kempten. 



604 


Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften* 


Ueber entzündliche Fettgeschwülste an Knie- und Fussgelenken. 
Von Dr. Karl Gängele, Oberarzt der Chirurg, orthopädischen Privatklinii 
von S. R. Dr. Koehlerin Zwickau L S. Münch, med. Wochenschr.; 1905, Nr. 3*1'. 


Das von Hoffa zum ersten Male berichtete Krankheitsbild, dessen i 
anatomische Grundlage in einer fibrösen hyperplastischen Entzündung des 
unter dem Ligamentum patillae gelegenen Fettgewebes besteht, gewinnt durch 
seine Aetiologie für die Unfallslehre eine.besondere Bedeutung, insofern meist 
früher vorausgegangene Traumen zu beschuldigen sind, die häufig sehr gering¬ 
fügiger Natur zu sein brauchen, wie z. B. eine plötzliche oder heftige Rotation 
im Kniegelenk. Die Beschwerden sind typische Einklemmungserscheinongen, 
wie sie ganz ähnlich durch Gelenkfremdkörper und Meniskusverletzungen 
hervorgebracht werden. 

Bei der Untersuchung fällt zunächst das Verstrichensein der beiden 
Furchen zu Seiten der Kniescheibe auf. Dabei besteht keine diffuse Kapsel¬ 
schwellung, sondern an Stelle der Kniefurchen finden sich etwas derb sich i 
anfühlende, nicht scharf umschriebene Vorwölbungen, medial meist größer als t 
lateral. Das Röntgenbild eines Knies mit endzündlicher Fettgewebsbildung, 
in seitlicher Aufnahme mit weicher Röhre aufgenommen, zeigt einen leichten | 
Schatten zwischen der Rückseite der Kniescheibe und den Gelenkknocbeo 
(rautenförmiger Fleck von Ludloff). < 

Histologisch handelt es sich hier durchaus nicht um einfache Lipom¬ 
bildung, sondern um einen rein entzündlichen Prozeß im Fettgewebe der 
Synovialis. 

In weniger ausgesprochenen Fällen, besonders dann, wenn die entzünd¬ 
liche Wucherung keine größere Ausdehnung genommen hat, wird man vielleicht j 
die vom Patienten angegebene Beschwerde simuliert oder wenigstens über- [ 
trieben zu halten geneigt sein, zumal da das Röntgenbild eine Knochen- t 
Veränderung nicht erkennen läßt. 

Verfasser berichtet nun über einen derartigen Fall, in welchem die Vor¬ 
wölbung der Kniefurchen in beiden Knien als Kapselverdickung mit Fett¬ 
geschwulstbildung angesprochen, derselben aber eine wesentliche Bedeutung 
nicht zugesprochen wurde. Die vorgebrachten Beschwerden wurden vielmehr 
als der Ausflnß einer Gelenksneurosc (Hysterie) auf Grund einer Rentenspekulation 
betrachtet. Nach mehrwöchentlicher Behandlung mittels Massage, Elektrizität 
und medikomechanischen Uebungen wurde Patientin ohne wesentliche Besserung 
und ohne Rentenzubilligung entlassen. Nachdem die Patientin später Einspruch 
erhoben und bemerkt hatte, es läge ihr nicht daran eine Rente zu bekommen, 
sondern sie wünsche nur von ihrem Leiden befreit zu sein, wurde sie neuer¬ 
dings in der Klinik aufgenommen und operiert, wobei sich derbe, umschriebene 
Fettgeschwülste von Kleinapfelgröße vorfanden. Der Verlauf war rechts glatt, 
links bildete sich nach dem ersten Aufstehen ein leichter Erguß im Gelenke, 
welcher nach mehrwöchentlicher Behandlung vollkommen verschwand. Die 
Patientin wurde vollkommen erwerbsfähig und beschwerdefrei. 

Verfasser berichtet dann noch eingehend über zwei operierte Fälle von 
entzündlicher Wucherung des Fettgewebes am Fußgelenk. Auch hier geht 
der entzündlichen Fettgewebswucherung meist ein, wenn auch geringfügiges, 
nicht immer akutes Trauma voraus und kann z. B. durch öfters sich wieder¬ 
holendes Umknicken des Fußes, welches durch Plattfußbildung bedingt ist, 
entstehen. Man wird deshalb bei Plattfaßbeschwerden nach derlei Fettgewebs¬ 
wucherungen am Fußgelenk fahnden und eventuell geeignete Behandlung ein- 
treten lassen. Dr. Waibei-Kempten. 


Ueber eine seltener vorkommende Kalkaneusfraktur. Von Dr. 
Marcus in Posen. Aerztl. Sachverst-Ztg.; 1905, Nr. 12. 

Autor schildert eingehend den Befund bei einer durch direkte Gewalt¬ 
einwirkung — Aufschlagen von Brettern — hervorgerufenen Querfraktur des 
hinteren Fortsatzes des Kalkaneus. Die Achillessehne ist vollständig erhalten 
und funktionsfähig. Das abgebrochene Knochenstück ist sehr weit nach oben 
disloziert, aber mit dem Fersenbein doch fest verwachsen. 

_ Dr. Troeger-Adelnau. 



Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


605 


Tod einer Wöchnerin am Tage nach der Entbindung infolge von 
Wrnembolie. Ursächlicher Zusammenhang mit einem etwa ein Jahr rorher 
1 nfolge eines Betriebsanfalls anfgetretenen Herzleiden« Obergatachten 
des Geh. Med.-Rat Prof. Dr.Bamm in Berlin vom 9. Januar 1905. 

1. Es kommen im Wochenbett — auch bei fieberlosem und anscheinend 
ganz normalem Verlaufe — Gerinnungen des Blutes in den Adern und infolge 
der Fortschwemmung solcher Gerinnsel zum Herzen Verstopfungen in Blutgefäßen 
(Embolien) vor. Da sich die Blutgerinnungen bei Wöchnerinnen ausnahmslos 
zuerst in den Blutadern der Gebärmutter oder der Beine bilden, können die fort¬ 
geschwemmten Gerinnsel nur in das rechte Herz und von da in die Lunge ge¬ 
langen. Die Gefäßverstopfungen bei Wöchnerinnen betreffen deshalb, wenn keine 
weiteren Komplikationen bestehen, ausnahmslos die Lungenschlagadern. 

2. Im vorliegenden Falle handelte es sich aber nicht um die Verstopfung 
einer Lungenschlagader, sondern um die Embolie einer Gehirn arterie, welche 
nur durch die Fortschleuderung eines Gerinnsels aus der linken Herzhälfte 
entstanden sein kann. Ein derartiges Ereignis setzt entweder eine schwere 
Wochenbetterkrankung, welche jedoch nachweislich nicht bestand, oder einen 
Herzklappenfehler voraus. 

3. Da ein Herzklappenfehler seit dem 20. August 1901 zweifellos fest¬ 
gestellt ist, so stehe ich nicht an, in Uebereinstimmung mit den voraus- 
gegangenen Gutachten zu bekunden, 

„daß der Herzfehler die Ursache der Embolie gewesen ist, 
und eine Hirnembolie trotz des Wochenbetts nie eingetreten wäre, wenn 
kein Herzklappenfehler bestanden hätte.“ 

Das Reichs-Versicherungsamt hat, nachdem es zunächst durch Befragen 
des behandelnden Arztes festgestellt hatte, daß eine schwere Wochenbett¬ 
erkrankung bei der Klägerin nicht eingetreten war, auf Grund des vorstehenden 
Obergutachtens den ursächlichen Zusammenhang zwischen der Hirnembolie und 
dem Herzfehler bejaht. Die Entstehung des Herzleidens ist als ein Betriebs¬ 
unfall angesehen worden in der Annahme, daß bei der dazu bereits veranlagten 
Klägerin eine außergewöhnlich anstrengende Arbeit (wegen drohenden Un¬ 
wetters überhastetes Einbringen und Aufstapeln von Heu bei übermäßiger Hitze) 
in verhältnismäßig kurzer Zeit den Herzfehler hervorgebracht hat. Demgemäß 
ist der Rekurs der Berufsgenossenschaft gegen das sie zur Gewährung der 
Vollrente an die Klägerin verpflichtende Urteil des Schiedsgerichts zurück¬ 
gewiesen worden. Amtl. Nachrichten des Reichsvers.-Amts; 1905, Nr. 7. 


Lungenblutung infolge schweren Hebens als Betriebsanfall. Rekurs- 
Entscheidung des Reichs-Versicherungsamts vom 2. März 1905. 

Das Rekursgericht hat sich den Gründen des Schiedsgerichts ange¬ 
schlossen. Es hat, wie dieses, in dem Heben der etwa zwei Zentner schweren 
Eisenschiene auf die Schulter und den Kopf eine Tätigkeit erblickt, welche 
wohl geeignet ist, in einer Lunge, welche von einem tuberkulösen Leiden an¬ 
gegriffen ist, plötzlich eine Blutung herbeizuführen. Es hat auch angenommen, 
daß eine solche plötzliche Verursachung hier vorliegt, und daß ohne einen 
Vorgang wie die bozeichnete schwere Betriebstätigkeit eine Blutung in der 
natürlichen Fortentwickelung des Lungenleidens erst wesentlich später ein¬ 
getreten wäre. Denn der Ehemann der Klägerin war zu der Zeit, als der 
Blutsturz eintrat, offenbar noch nicht so schwer lungenleidend, daß der Eintritt 
einer spontanen Blutung schon zu erwarten gewesen wäre. Dies geht aus dem 
Gutachten des behandelnden Arztes Dr. Qu. vom 29. Juli 1903 und aus der 
Tatsache hervor, daß der Ehemann der Klägerin bis zum Eintritte der Blutung 
sich im vollen Besitze seiner Körperkräfte befand. 

Hat hiernach eine einzelne Betriebstätigkeit den Blutsturz verursacht, 
so liegt ein Betriebsunfall vor und ist die Beklagte für dessen Folgen, zu 
welchen unstreitig die Verschlimmerung des Lungenleidens und der schnellere 
Eintritt des Todes gehören, entschädigungspflichtig. Kompaß; 1905, Nr. 16. 


' Die Bedeutung ärztlicher Gutachten in Iuvalldenversicbernngssacheo. 
Revisions-Entscheidung des Reichs-Versicherungsamts vom 
8. April 1906. 

Wenn die beklagte Versicherungsanstalt zur Begründung der von ihr 



606 


Kleinere Mitteilangen and Referate aas Zeitschriften. 


eingelegten Revision rügt, das Schiedsgericht habe gegen den Akteninhalt ver¬ 
stoßen and das Recht der freien Beweiswürdignng überschritten, indem es im 
Widerspräche mit den ärztlichen Gatachten des Bezirksarztes Dr. B. festgestellt 
habe, daß die Klägerin erst seit dem 1. Dezember 1903 dauernd erwerbsunfähig 
sei, so verkennt sie die Bedeutung, die den ärztlichen Gutachten auf dem 
Gebiete der Invalidenversicherung zukommt. Die Gutachten haben den Zweck, 
daß mit Hilfe der ärztlichen Wissenschaft festgestellt wird, woran der Renten¬ 
bewerber leidet, and inwiefern er darch die Leiden an dem freien Gebrauche 
seiner körperlichen and geistigen Kräfte gehindert wird. Schon in diesen Be¬ 
ziehungen bilden die Gutachten für die rechtsprechenden Stellen keine unter 
allen Umständen bindende Richtschnur, sondern sie sind der freien Beweis- 
Würdigung zugänglich. Was den sogenannten objektiven Befund betrifft, so 
unterliegt es keinem Bedenken, daß die rechtsprechenden Stellen befugt sind, 
dem einen ärztlichen Gutachten den Vorzug vor dem anderen zu geben der¬ 
gestalt, daß auf Grund des einen ein Leiden als vorhanden angenommen wird, 
für das das andere keine Grundlage bietet, und umgekehrt. Inwiefern in dieser 
Beziehung andere Beweismittel, z. B. die Aussagen von Zeugen, za Fest¬ 
stellungen geeignet sind, denen die ärztlichen Feststellungen nicht zur Seite 
stehen, läßt sich im allgemeinen nicht sagen. Regelmäßig werden dabei aller¬ 
dings andere Beweismittel nicht die wissenschaftliche Kraft des ärztlichen 
Gutachtens aufwiegen können, denkbar sind aber auch solche Fälle. Was die 
Begutachtung der Kräftebeschränkung anlangt, so begibt sich damit der ärzt¬ 
liche Sachverständige auf ein Gebiet, das dem nicht ärztlich gebildeten Beob¬ 
achter schon zugänglicher ist. Hier werden sonstige Beweismittel, besonders 
Zeugenaussagen über die tatsächliche Leistungsfähigkeit des Rentenbewerbers, 
den ärztlichen Gutachten nicht selten in dem Grade gegenübertreten können, 
daß sie bei freier Beweiswürdigung den Ausschlag geben. Mit den Aeuße- 
rungen über die angegebenen beiden Punkte ist aber die wissenschaftliche Auf¬ 
gabe der ärztlichen Sachverständigen erschöpft. Denn die alsdann noch offene 
Frage, ob die festgestellten Leiden und deren Wirkungen auf den Kräfte¬ 
gebrauch die Fähigkeit zu einem hinreichenden Arbeitsverdienste zulassen, 
liegt nicht auf ärztlichem Gebiete. Hierüber haben vielmehr die recht¬ 
sprechenden Stellen nach ihrer freien richterlichen Ueberzeugung zu ent¬ 
scheiden. Zu schöpfen haben sie die Ueberzeugung aus den gesamten Um¬ 
ständen des Falles, wenn nötig, nach besonderen Ermittelungen, und nicht zum 
mindesten aus ihrer eigenen auf der Kenntnis des Arbeitslebens beruhenden 
Erfahrung. Gerade diese Erfahrung spielt hierbei eine wichtige Rolle, aner¬ 
kannt vom Gesetze dadurch, daß es zur Rechtsprechung in weitem Maße das 
Laienelement herangezogen hat. Wenn gleichwohl die ärztlichen Sachverstän¬ 
digen, wie es vielfach Brauch ist, auch über die Fähigkeit des Rentenbewerbers, 
den Mindestlohn zu verdienen, gehört werden, so sind die rechtsprechenden 
Stellen an derartige Schätzungen keineswegs gebunden. Der Brauch ist ander¬ 
seits aber auch nicht zu mißbilligen; denn solche Aenßerungen können für die 
Urteilsfindung wertvolle Grundlagen abgeben, wenn sie von Aerzten ausgehen, 
denen Lebenserfahrung und sozialpolitische Schalung eigen ist. Deshalb wird 
es sogar erwünscht sein, daß sich die ärztlichen Sachverständigen auch nach 
dieser Richtung aussprechen. Immer aber bleiben es Meinungsäußerungen, 
die ein unter allen Umständen entscheidendes Gewicht nicht beanspruchen 
können. 


C. Bakteriologie, Infektionskrankheiten und öffentliches 

Sanitätswesen. 

Die Resultate der prophylaktischen Impfung mit Diphtherieheilserum 
im städtischen Marlahllf-Krankenhause zn Aachen. Von Prof. Dr. F. We- 

sener, Oberarzt. Münchener med. Wochenschrift; 1905, Nr. 12. 

Bei Einführung des Diphtherieheilserums waren diesem Mittel von seinem 
Erfinder bekanntlich zwei Eigenschaften zugeschrieben, eine heilende und eine 
vorbeugende. Während die erstere sich so ziemlich allgemein Anerkennung 
erworben hat, dissentieren über die letztere die Meinungen noch bedeutend. 

Verfasser berichtet nun über die Resultate der Präventivimpfung im 
städtischen Mariahilf- Krankenhause zu Aachen und faßt dieselben in folgenden 
Sätzen zusammen: 



Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften. 607 

1. Die prophylaktische Impfung mit Diphtherieheilsernm ist ein Mittel, 
am der Weiterverbreitang der Diphtherie aal die Familienmitglieder, eventuell 
auch auf die Haosmitglieder vorzubeagen. 

3. Der Schatz, den sie verleiht, ist kein absoluter, aber doch ein recht 
sicherer; er macht eine Isolierung der Erkrankten nicht überflüssig, gestattet 
aber doch, sie weniger streng dnrchzaführen. 

8. Die Dauer des Schutzes ist eine beschränkte, im Mittel etwa 3 bis 
4 Wochen. Aber diese Schutzfrist genügt in vielen Fällen vollständig, wenn 
dafür gesorgt wird, daß die häusliche Schlußdesinfektion eine durchgreifende ist. 

4. Wenn schutzgeimpfte Personen erkranken, sei es, daß die Infektion 
trotz der Schutzimpfung erfolgt ist, sei es, daß zur Zeit der Schutzimpfung 
schon eine Infektion vorlag, so ist der Verlauf meistens ein sehr leichter. 

&. Zur Schutzimpfung genügten bei kleinen Kindern meistens und bei 
größeren oft 200 I. E. Immerhin gewährt eine größere Menge wahrscheinlich 
auch einen größeren Schutz, und würde es sich empfehlen, speziell wo jetzt 
das Heilserum billiger ist, etwas höher zu gehen und vielleicht 300—400 I. E. 
zur prophylaktischen Impfung zu verwenden, zumal ein Schaden nach den jetzt 
erforderlichen geringen Serummengen ausgeschlossen ist. 

6. Für städtische Behörden ist es sowohl vom hygienischen, wie pe¬ 
kuniären Standpunkte aus vorteilhaft, eine ausgedehnte Schutzimpfung einzu¬ 
führen und konsequent durchzuführen. Zur Durchführung derselben haben die 
Krankenhäuser und die Armenärzte, aber auch die praktischen Aerzte erfolg¬ 
reich mitzuwirken. Dr. Waibel-Kempten. 


Ueber einige Beobachtungen während der diesjährigen Cholera¬ 
epidemie ln Südrussland und rassisch Mittel-Asien. Von Prof. M. Hahn, 
München. Vortrag, gehalten in der Berliner medizin. Gesellschaft am 21. De¬ 
zember 1904. Berliner klin. Wochenschrift; 1905, Nr. 2. 

Einer schnellen und durchgreifenden Assanation Rußlands stehen, ab¬ 
gesehen von dem tiefen Stand der Volksbildung und allerlei religiösen Vor¬ 
urteilen, die geringe Bevölkerungsdichtigkeit des flachen Landes, die großen 
Entfernungen und der große Süßwassermangel entgegen. Häufig sind Ent¬ 
fernungen von 50—100 km bis zur nächsten menschlichen Ansiedelung zu 
durchmessen. Wenn einmal Typhus, Pocken usw. die Ausbreitung gefunden 
haben, da machen ein paar Cholerafälle weder auf die Bevölkerung, noch auf 
so manche Aerzte genug Eindruck, um sie zur energischen prophylaktischen 
Maßnahme anzuregen. 

Im Februar und März 1903 ergriff die Cholera, wahrscheinlich aus Syrien 
eingeschleppt, Bagdad und Basra, ging im April auf persisches Gebiet über und 
verbreitete sich in Kaschan, Teheran, Astrabad, Meschhed, folgte also ziem¬ 
lich genau den Karavanenstraßen, die nach den Hauptorten Persiens ziehen. 
Für das rassische Gebiet und damit für Europa entscheidend war das Auf¬ 
treten der Cholera in Meschhed, das als Wallfahrtsort eine Art Messe für 
die Persier darstellt. Von Meschhed gehen zwei Haupt-Karavanenwcge nach 
Transkaspien, der größere fahrbare nach Aschabad, der kleinere mündet bei 
Duschak bezw. Kaachga an der transkaspischen Bahn. Trotz des vortrefflich 
organisierten und durchgeführten Ueberwachungsdienstes der russischen Re¬ 
gierung längs der ganzen Grenze, ist doch die Cholera wahrscheinlich auf der 
kleinen, sehr frequentierten Karavanenstraße nach Transkaspien eingedrungen. 
Auch 1892 trat sie zuerst in Kaachga auf. Die Ueberwachung dieser beiden 
Karavanenstraßen in Persien erscheint mit Rücksicht auf die Choleragefahr in 
Europa ebenso wünschenswert, wie die Ueberwachung des Schiffsverkehrs im 
Suezkanal oder der Mekkapilger. 

Kosaken, die in Aschabad bezw. Kaachga in Quartier gelegen hatten, 
brachten die Cholera nach Merw, wo bis zum 13. September im Heer 89 Er¬ 
krankungen mit 24 Todesfällen und in der Zivilbevölkerung 160 Erkrankungen 
mit 126 Todesfällen gemeldet wurden. Die anscheinend größere Mortalität 
unter der Zivilbevölkerung rührt daher, daß in dieser leichtere Fälle nicht zur 
Kenntnis der Behörden gelangten im Gegensatz zum Militär. Von Anfang 
September an hat sich die Cholera in Baku und an der Wolga mehr und mehr 
ausgebreitet. Vorwiegend ergriffen wurde die muhemedanische Bevölkerung; 
zur Verbreitung der Cholera ha Baku sollen angeblich die Badstuben bei- 



608 


Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


getragen haben. Die Öffentlichen sanitären Maßnahmen bewegten sich in dem 
üblichen Rahmen, doch fehlte es an leicht desinfizierbaren Krankentransport* 
mittein; das Händewaschen nach der Defäkation wird von den Muhemedanera 
nur in unvollkommener Weise geübt, eine Maßregel, die auch in Deutschland 
noch viel zu wünschen übrig läßt. Die Schutzimpfung wurde in Betracht 
gezogen, aber mit Rücksicht auf die besonderen Verhältnisse nicht aus- 
gefülirt. Dagegen hatte .Verfasser günstige Erfolge mit akuter Alkohol« 
intoxikation (200 ccm absoL Alkohol und 800 ccm physioL Kochsalzlösung, 
hiervon dem Patienten 6—2000 ccm in Mengen ä 500 subkutan injiziert, so 
daß im ganzen 1—400 ccm Alkohol eingeführt wurden). Die drei im Stadium 
asphycticum befindlichen so behandelten Fälle genasen. 

Für die bakteriologische Diagnose bewährten sich die deutschen, durch 
Beschlüsse des Bundesrats festgestellten Vorschriften außerordentlich, ins¬ 
besondere die Agglutinationsmethode mit im Vakuum eingetrocknetem Serum 
(Kolle). 

Während der eigentlichen Epidemie mnß die Bekämpfung der Kontakt¬ 
infektionen durch Isolierung und Evakuation im Vordergrund stehen. 

Dr. Räuber-Köslin. 


Veber die agglutinierende Wirkung des Serums von Typhuskranken 
auf Paratyphusbazillen nebst Bemerkungen Aber makroskopische und 
mikroskopische Serodiagnostik. Von Dr. Körte und Dr. Steinberg, 
Assistenten der Poliklinik in Breslau. Münchener medizinische Wochenschrift; 
1905, Nr. 21. 

Die Verfasser haben wiederholt gefunden, daß das Serum mancher 
Typhuskranken bei makroskopischer Betrachtung in stärkerer Verdünnung auf 
Paratyphusbazillen als auf Typhusbazillen zu wirken scheint, daß aber die 
makroskopisch ermittelte Grenze der Agglutinationswirkung für Typhus höher 
liegt, als für Paratyphus. Schon dieser Umstand zeigt, daß für die Differential¬ 
diagnose zwischen Typhus und Paratyphus die mikroskopische Beobachtung 
der Agglutination erforderlich und der makroskopischen überlegen ist. Hätten 
sich die Verfasser begnügt, nur makroskopisch und z. B. nur in der Ver¬ 
dünnung 1 : 80 zu untersuchen, so hätte es den Anschein gehabt, als ob das 
Serum eines Typhuskranken Paratyphus höher agglutinierte als Typhus. Durch 
die mikroskopische Grenzbestimmung der Serumwirkung ergab sich aber, daß 
die Typhusbazillen in beträchtlich höherer Verdünnung agglutiniert wurden, 
als die Paratyphusbazillen. Für die Beeinflussung der Typhusbazillen bestand 
also eine „Hemmungszone“, die sich für Paratyphusbazillen nicht nach- 
weisen ließ. 

Aus den Untersuchungen der Verfasser ergibt sich demnach, daß sich 
nach wie vor die Differentialdiagnose zwischen Typhus und 
Paratyphus meist auf serodiagnostischem Wege stellen läßt, 
wenn man eine genaue mikroskopische Grenzbestimmung der 
agglutinierenden Serumwirkung vornimmt. 

_ Dr. Waibel-Kempten. 


Typhusbazillen und hypertrophische Leberclrrhose. (Cirrhoses biliaires 
d’origine äberthienne). Von A. Gilbert und P. Lereboullet. Comptes 
rendus de la soc. de biol.; LVHI., 1905, Nr. 15. 

Der Typhusbacillus kann Monate und Jahre im Organismus verweilen, 
ohne deutliche Störungen zu bedingen, aber auch ohne seine Lebensfähigkeit 
einzubüßen. Der Beweis wird durch manche Fälle posttyphöser Osteomyelitis, 
auch durch Gallensteinleiden geliefert, die mit Typhus ursächlich in Zusammen¬ 
hang stehen. Der Typhusbacillus kann katarrhalische, eitrige und zur Stein¬ 
bildung führende Krankheiten der Gallenwege verursachen. 

Die hypertrophische Lebercirrhose hat bisher weniger die Aufmerksam¬ 
keit auf sich gelenkt. Die Autoren teilen nun 5 Fälle dieser mit Gelbsucht 
einhergehenden Erkrankung mit, in deren Anamnese Typhus eine wesentliche 
Rolle spielte. Einer derselben betrifft ein 16jähriges Mädchen, das im Alter 
von 6‘/i Jahren einen schweren Typhus durchgemacht hatte und 1902 an 
Icterus, dann an Nasenbluten, Lebervergrößerung, Milzvergrößerung erkrankte. 
Das cholämische Serum enthielt Bilirubin im Verhältnis etwa von 1: 6000. Die 
Wi da Ische Reaktion war deutlich positiv (1:100). 



Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften. 


609 


Die Autoren halten das freie Intervall zwischen Typhus und Auftreten 
der Lebercirrhose nicht für so wesentlich, um an der ätiologischen Rolle des 
Typhus Zweifel zu hegen. Dr. Mayer >810006». 


Abdominaltyphus nach Austerngenuss. Haftpflicht einer Stadt¬ 
gemeinde wegen fehlerhafter Kanallsationsanlage. Aus den Verhandlungen 
des High Court of Justice. Kings Bench Division. Public healtb, XVII, 
1906, März. 

Im November 1902 fand in Winchester ein Festessen statt. Von den 
Teilnehmern erkrankten mehrere an Typhus, einige starben. Nach den Unter¬ 
suchungen des Lokal Government Board war der Tod auf den Genuß von 
Austern zurückzuführen, die an der Meeresküste bei Emsworth gewonnen 
waren. Die Austern waren von einem Großunternehmer geliefert, dessen 
Schiffe einen Wert von 17000—18000 £ repräsentierten, der im Jahre 2—3 
Millionen Austern von Cornvall, Frankreich, Holland, Amerika ins Binnenland 
einführte. Durch das Ergebnis der Untersuchungen der medizinischen Zentral¬ 
behörde hatte der Lieferant einen bedeutenden Schaden; da die Abwässer 
von Emsworth direkt in seine Austernbänke Jahre hindurch geleitet worden 
waren, auf diese Abwässer aber die Infektion der Austern zurückgeführt wurde, 
so strengte er gegen die Stadtbehörde die Klage um Entschädigung an. 

Uns interessieren besonders die Sachverständigengutachten. Dr. Bulst- 
rode, Inspektor des Medical-Department des Lokal-Government board, gab an, 
daß ein hoher Grad von Wahrscheinlichkeit für die Annahme spreche, daß die 
Austern jene Epidemie verursacht hätten. Er glaube nicht, daß die Bänke 
absichtlich nahe an die Mündung der städtischen Kanäle gelegt worden seien — 
etwa um die Austern fett zu machen; indessen habe der Besitzer die Gefahr 
nicht genug geschätzt, obwohl er wiederholt darauf aufmerksam gemacht worden 
sei. Nach der Epidemie weiter Austern von jenen Beeten zu verkaufen, sei 
ein Verbrechen gewesen. 

Dr. Klein, der bekannte Bakteriologe, gab an, die Auster trinke das 
Wasser ihrer Umgebung und halte in ihrem Körper feste Bestandteile zurück, 
die darin enthalten seien. Die flüssigen Abwässer seien noch schädlicher, als 
die festen. Von den 18 damals analysierten Schaltieren habe jedes Organismen 
enthalten, wie sie in den Abwässern gewöhnlich Vorkommen; drei hätten 
Organismen enthalten, wie sie bei der akuten Gastroenteritis gefunden wurden. 

Bei der gerichtlichen Untersuchung der Frage ergab sich, daß der Haupt¬ 
kanal früher an seiner Mündung einen Verschluß besessen hatte, der ein Aus¬ 
fließen bei niederem Wasserstande mit Erfolg verhinderte, daß dieser Ver¬ 
schluß 1895 aber entfernt worden war. Nach dem Sea fisheries act 1868 ist 
es verboten, Kanalinhalt derart zu entleeren, daß private Auster - Beete infiziert 
werden können. Der Gerichtshof erkannte daher die Haftpflicht der beklagten 
Stadtbehörde an. Dr. Mayern-Simmern. 


Ueber Ausbreitungswege des Unterleibstyphus ln l&ndllchen und 
gross»tädtlsehen Verhältnissen. Von Dr. Franz Nesemann, Reg.- und 
Medizinalrat in Berlin. Vierteljahrsschrift für gerichtliche Medizin und öffent¬ 
liches Sanitätswesen; III. Folge, XXIX. Bd., 1. H. 

Auf Grund eigener Beobachtung in amtlicher Tätigkeit und unter Be¬ 
rücksichtigung der zahlreichen Literatur schildert Verfasser die Aetiologie des 
Typhus und seine Verbreitungsweise. Er hebt hervor, daß man, um die Aus¬ 
breitung des Typhus kennen zu lernen, seine Studien in ländlichen Bezirken 
mit einer sesshaften, rein landwirtschaftlichen Bevölkerung beginnen muß. 
Dort liegen die Verhältnisse viel einfacher und übersichtlicher als z. B. in 
Industriegegenden oder gar in Großstädten. Für die Ausbreitung des Unter¬ 
leibstyphus kommt in ländlichen Bezirken in erster Reihe das Wasser in Be¬ 
tracht, und zwar nicht nur der Genuß des Wassers aus Brunnen, welche einer 
Infektion von außen ausgesetzt waren, sondern auch der Genuß und wirtschaft¬ 
liche Gebrauch des Wassers aus Flüssen, Gräben und sonstigen Wasserläufen. 
Besonders gefährlich erwiesen sich ruhende Gewässer, Gräben, Seen, Häfen. 
Als Infektionsträger war ferner verseuchte Milch anzusehen, auf Sammelmolke¬ 
reien und die durch diese entstehenden Epidemien ist besonders Acht zu geben. 
Die Hauptverbreitung findet aber der Typhus durch Kontakt, durch Verbreitung 



610 


Kleinere Mitteilnngen und Referate aus Zeitschriften. 


von Mensch za Mensch. — Für die großen Städte kommen im großen ganzen 
dieselben ätiologischen Faktoren in Betracht. Ruhendes Wasser, namentlich der 
Häfen, hat sich immer besonders gefährlich erwiesen. Dagegen hat die Ans* 
breitung der Krankheit durch Kontakt in den Großstädten bei weitem nicht 
die Bedeutung wie auf dem Lande. Es bleibt die Annahme gerechtfertigt, 
daß der Typhus yon auswärts in die Großstädte eingeschleppt wird und daß 
moderne Großstädte, wie Hamburg, Berlin und Breslau, überhaupt keinen ein* 
heimischen Unterleibstyphus mehr haben. Es liegt daher der Kampf gegen 
den Typhus auf dem Lande nicht nur im Interesse der ländlichen Bevölkerung, 
sondern auch die Großstädte haben mittelbaren Nutzen davon. 

Dr. Isracl-Fischhausen. 

Vorläufiger Bericht Uber das Vorkommen von Spirochaeten in syphi¬ 
litischen Krankheitsprodukten and bei Papillomen. Von Reg.*Rat Dr. Fritz 
Schaudinn und Privatdozent Dr. Erich Hoffmann. Arbeiten aus dem 
Kaiserl. Gesundheitsamte (Beihefte zu den Veröffentlichungen des Kaiserlichen 
Gesundheitsamtes). Berlin 1905. Verlag von Julius Springer. 

Die Verfasser stellen die Tatsache fest, daß nicht nur von der Ober¬ 
fläche syphilitischer Papeln und Primäraffekte, sondern auch in der Tiefe des 
Gewebes und in indolenten geschwollenen Leistendrüsen bei klinisch unver¬ 
kennbarer Syphilis echto, außerordentlich zarte, schwach lichtbrechende, sehr 
lebhaft bewegliche Spirochaeten in frischen und gefärbten Präparaten nach* 
weisbar gewesen sind. Gefärbt wurde auf folgende Weise: Die gut fixierten 
Deckgläser kamen für 16—24 Standen in eine stets frisch hergestellte Mischung 
von l2 t Th. Giernsas Eosiniösung (2,5 ccm l°/ 0 ige Eosinlösung anf 500 ccm 
Wasser), 3 Th. Azur I (1 : 1000 Wasser), 3 Th. Azur II (0,8 : 1000). Nach 
kurzem Abspülen werden die Deckgläser getrocknet. 

Dr. Rost- Rudolstadt. 


Deber Spirocbaete pallida bei Syphilis and die Unterschiede dieser 
Form gegenüber anderen Arten dieser Gattung. Aus dem Protozoen-La¬ 
boratorium des Kaiserl. Gesundheitsamtes und aus der KönigL Universitäts¬ 
klinik für Haut- u. Geschlechtskrankheiten zu Berlin. Von Reg.-Rat Dr. Fritz 
Schaudinn und Privatdozent Stabsarzt a. D. Dr. Hoffmann. Sitzung der 
Berliner mediz. Gesellschaft vom 17. und 24. Mai 1905. Berliner klinische 
Wochenschr.; 1905, Nr. 22. 

Die Gestalt der Spirochaete pallida ist die eines dünnen spiralig ge¬ 
drehten Fadens. Sie schraubt sich unter Rotation um ihre Längsachse bald 
nach der einen Richtung, um nach ruckweisem Stillstand in die entgegen¬ 
gesetzte sich zu bewegen. Hierzu gesellen sich biegende, schlängelnde und 
peitschende Bewegungen des ganzen Körpers, der nicht wie bei den Spirillen 
eine starre Längsachse besitzt. Die Unterscheidungsmerkmale von anderen 
Formen bestehen in der Kleinheit, Zartheit und der korkzieherartigen Auf¬ 
windung. Die Färbbarkeit ist eine geringe (Giemsasche Mischung eine 
Stunde lang). Diese Spirochaete bildete einen regelmäßigen Befund in 7 Primär¬ 
effekten, 9 Sekundärpapeln, 12 typisch erkrankten Leistendrüsen, sie fand sich 
ferner im MUzblut, in der Leber und Milz eines an kongenitaler Lues ver¬ 
storbenen Kindes; außerdem ist es Metschnikoff gelangen, in den bei Affen 
experimentell erzeugten syphilitischen Krankheitsprodukten die nämliche 
Spirochaete nachzuweisen. In einem Nachtrage von Hoffmann (Berliner 
klin. Wochenschr.; 1805, Nr. 23) wird mitgeteilt, daß Levaditi in der Blasen- 
flttssigkeit eines an Pemphigus syphiliticus leidenden Kindes Spirochaete pallida 
in großer Anzahl gefunden hat, ebenso Salmon. Ferner fanden Andere die 
Spirochaete in Milz, Lunge, Leber, Inguinaldrüsen und in sekundären Haut 
papeln Syphilitischer. Dr. Räuber-Köslin. 


Ueber das Vorkommen der Spirochaete pallida bei Syphilis. Von 
C. Fränkel. Münchener med. Wochenschrift; 1905, Nr. 24. 

Verfasser kommt auf Grund seiner Untersuchungen zu dem Schlüsse, 
daß die von Schandinn und Hoffmann zuerst beschriebenen und ent¬ 
deckten Spirochäten in der Tat als die Ursache des Syphilis anzusehen sind. 

_ Dr. Waibel-Kempten. 



Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


611 


Untersuchungen Aber Schweineseuche mit besonderer Berücksichti¬ 
gung der Immunltätsfrage. Von Prof. Dr. Beck, Reg.-Rat, and F. Koske, 
technischer Hilfsarbeiter im Kaiserlichen Gesundheitsamt. Hierzu Tafel VIII. 
Arbeiten aus dem Kaiserlichen Gesundheitsamte (Beihefte zu den Veröffent¬ 
lichungen des Kaiserlichen Gesundheitsamtes.) 22. Bd., H. Heft. Berlin 1905. 
Verlag von Julius Springer. 

Die Untersuchungen beziehen sich ausschließlich auf jene Form der 
Schweineseuche, als deren Erreger der betr. Löfflersche Bacillus gilt. Es 
sind dies kleine, eiförmige Stäbchen, ohne Dauerform, die bei + 60° in 20 
Minuten sicher absterben. Sic wachsen fakultativ anaerob und bilden auf Agar 
einen zarten, durchsichtigen Rasen von perlmutterartigem Aussehen. Ihr Gift 
haftet fest an den Bazillenleibern. Als Infektionsmittel gelten Wasser, Stroh, 
Dünger, Futter, namentlich Milch. Die Ansteckung erfolgt schon durch Auf¬ 
nahme der Bazillen von dem oberen Teile der Verdauungswege her. Die 
Immunisierung mit Serum verspricht wenig Erfolg, es ist der aktiven der Vorzug 
zu geben. Dr. Rost- Rudolstadt. 

Zur Frage der Uebertragbarkeit der Schweineseuche auf Geflügel 
und der Geflügelcholera auf Schweine durch Verfütterung. Von F. K o s k e , 

technischer Hilfsarbeiter im Kaiserlichen Gesundheitsamt. Ebenda. 

Durch Verfütterung der Schweineseuchenbakterien in Reinkultur oder 
der von kranken Tieren stammenden Organteile konnte bei verschiedenen Vogel¬ 
arten eine tödliche Allgemeininfektion hervorgerufen werden. In dem Kot der 
Fütterungstiere wurden in den meisten Fällen virulente Schweineseuchenbakterien 
gefunden. Dagegen konnte durch Verfütterung von Geflügelcholerabazillen 
oder von an Geflügelcholera verendetem Geflügel bei Schweinen eine der 
Schweineseuche ähnliche Erkrankung nicht erzeugt werden. Sichere Unter, 
schiede zwischen bellen Bakterienarten ließen sich bis jetzt nicht feststellen' 
K. empfiehlt, bei gleichzeitiger Haltung von Schweinen und Geflügel auf ge 
sonderte Fütterung, Stallung, Weideplätze zu achten. 

Dr. R o 81 - Rudolstadt. 


Welche VerSnderungen entstehen nach Einspritzung von Bakterien, 
Hefen, Schimmelpilzen und Bakteriengiften ln die vordere Augenkammer? 

Von F. Koske, technischer Hilfsarbeiter im Kaiserlichen Gesundheitsamte. 
Ebenda. 

Die Ergebnisse der Versuche lassen sich in vier Sätzen kurz zusammen¬ 
fassen : 

1. Lebensfähige Bakterien, in die vordere Augenkammer eingespritzt, 
erzeugten, selbst in sehr geringen Mengen, eine zur Zerstörung des Auges 
führende, meist eitrige Entzündung. 

2. Diese Wirkung ist auf eine Vermehrung der Bakterien und die Reiz¬ 
wirkung der Bakterienzellen und ihrer Stoffwechselprodukte zurückzuführen. 

3. Abgetötete and mit Alkohol und Aether ausgezogene Bakterien riefen 
nur vorübergehende leichte Reizerscheinungen hervor. 

4. Auch die von den Bakterien in flüssigen Nährböden gebildeten Stoffe 

riefen Entzündungserscheinungen hervor, welche aber in einiger Zeit ohne Zu¬ 
rücklassung von Veränderungen abheilten. Dr. Rost-Rudolstadt. 


Studien über Sängetiertrypanosomen. Von S. P r o w a z e k (Rowigno). 
Hierzu Tafel I—VI und 4 Textfiguren. Ebenda. 

P. hat das Rattentrypanosomen und den Erreger der Nagana- oder 
Tsetsekrankheit untersucht. Ersteres ist 7—30 p lang und von schmaler, 
lanzettlicher Gestalt, welche nach der Seite, wo die undulierende Membran 
sitzt, eine Ausbiegung zeigt. Der Zellkörper ist von einem pellikularartigen 
Periplast umgeben und führt ein Protoplasma von sehr mannigfaltigem Aus¬ 
sehen. Der Kern liegt zwischen dem ersten und zweiten Drittel des Körpers. 
Die künstlich infizierten Ratten verlieren die Freßlust, werden matt, erholen 
sich aber nach höchstens einer Woche wieder. Als Zwischenwirt gilt die 
Rattenlaus. Diese nimmt beim Saugen Flagellaten auf, welche man zuerst im 
Magendarm antrifft, wo sie irei im Blute herumschwimmen. Hier findet die 
eigentliche Reifung, Befruchtung und Pathenogenese statt. Die Parasiten 



612 


Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften. 


kommen alsdann im Enddarm zur Ruhe, durch dessen Epithel sie in die Leibes¬ 
höhle und so in den Blutstrom gelangen. Von hier werden sie nach rorn, in 
den Larynx geführt, um beim nächsten Saugakt in das Blut des Wirtstieres 
hineingepreßt zu werden. 

Der Naganaparasit unterscheidet sich von R. zunächst durch die Körper¬ 
haltung, welche gedrungener, „gewunden“ sein soll. Das geißelfreie Ende 
ferner ist stumpf, der Kern liegt fast in der Mitte usw. Die infizierten Tiere, 
Meerschweinchen und Ratten, gingen meist nach 30 Tagen unter Konvulsionen 
zugrunde. Die Entwickelungsstadien konnten nicht untersucht werden, da der 
Zwischenwirt, die Tsetsefliege, nicht zu beschaffen war. 

Dr. R o s t - Rudolstadt. 


Studien Aber Strongyloides stereoralis (Bavay) (Angnlllula intesti¬ 
nalis und stereoralis) nebst Bemerkungen über Ancylostomum duodenale. 
Von Otto Leichtenstern. (Nach dem Tode des Verfassers im Aufträge 
der Wittwe herausgegeben von Otto Schaudinn). Hierzu 4 Textfiguren. 
Ebenda. 

Die Arbeit ist ein Fragment und stellt eine Monographie der Anguillula 
dar, jenes Parasiten, welcher neuerdings öfters gemeinsam mit Ancylostomum 
bei demselben Wirt vorgefunden worden ist und zu Verwechselungen Anlaß 
gegeben hat. Dieses häufige Zusammenvorkommen von Ancylostomum und 
Anguillula hat seinen Qrund darin, daß beide Parasiten die gleiche Heimat, 
die gleichen Lebensbedingungen und die gleichen Uebertragungsgelegenheiten 
haben. Von der gemeinsamen Heimat, den Tropen, sind beide Parasiten zuerst 
nach Italien verschleppt worden und von hier aus durch die als Erd-, Tunnel-, 
Ziegeleiarbeiter überall anzutreffenden Italiener über die ganze Welt verstreut 
worden. Bei deutschen Arbeitern ist der Parasit zuerst von Leichtenstern 
1885 auf den Kölner Ziegclfeldern angetroffen worden. Die Embryonen beider 
Parasiten werden leicht miteinander verwechselt; sie können aber voneinander 
durch die Bildung des Mundrohres und der Geschlechtsorgane-Anlagen unter¬ 
schieden werden. Der Anguillula-Embryo bildet den Ausgangspunkt zur 
Filariaform. Dr. Rost-Rudolstadt. 


Cachexia and Tetania thyreopriva. Von Prof. Dr. Lan z- Amsterdam. 
Zentralblatt für Chirurgie; Nr. 13. 

Von 30 durch Lanz in Bern thyreoidektonierten Ziegen ist nur ein 
einziges Tier eingegangen. Alle anderen haben teils leichtere Formen von 
Kachexie, teils beinahe keine Ausfallserscheinungen gezeigt. Von 20 in Amsterdam 
thyreoidektonierten Ziegen sind im ganzen 9, also beinahe die Hälfte, an akuter 
oder subakutcr Tetanie eingegangen. Die einzige Erklärungsmöglichkeit dieses 
Unterschiedes findet Lanz in der Annahme des verschiedenen funktionellen 
Wertes der Schilddrüse in verschiedenen Ländern. Er erinnert daran, daß 
Kocher und Reverdin in Bern und Genf infolge der Totalexstirpation der 
strumösen Schilddrüse Cachexia thyreopriva resp. operatives Myxoedem beobach¬ 
teten, während Billroth in Wien als Folgeerscheinung der totalen Thyreoi- 
dektonie Tetanie auftreten sah. Schließlich weist Lanz auf Grund seiner 
Versuche die Annahme von Pineies zurück, daß die Kachexie zwar die 
Folge der Wegnahme der Schilddrüse sei, die Tetanie aber durch den Ausfall 
der Nebenschilddrüsen hervorgerufen werde. Dr. Fielitz jun.-Halle a./S. 


Die behördliche Kontrolle der ansteckenden Krankheiten. Von 
Dr. Howard Wilkinson, medical officer of health for the county borough of 
Dudley. Public health; XVII, 1905, Nr. 6, März. 

Anzeigepflichtig sind in England: Pocken, Cholera, Diphtherie, Croup, 
Erysipel, Scharlach, Flecktyphus, Abdominaltyphus, Febris recurrens, Wochen¬ 
bettfieber. — Bei Diphtherie ist ein großer Prozentsatz der gemeldeten 
Fälle keine echte Diphtherie, sondern einfache, septische oder lakunäre Angina. 

Als Erysipel gemeldete Fälle sind häufig ebenfalls als Fehldiagnose 
anzusehen; Wundentzündungen, Osteomyelitiden, Fälle von Lymphangitis und 
Phlebitis werden als Rose gemeldet. 

Bei Scharlach empfiehlt der Autor die Isolierung in einem Kranken¬ 
hause nur wenn es Bich um Kinder in einer Wohnung handelt, in der sich 



Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


613 


auch schwangere, der Entbindung nahestehende Frauen aufhalten müssen. Die 
Kosten für die Isolierhospitäler bei Scharlach werden nach seiner Ansicht 
zweckmäßiger für Kranke mit vorgeschrittener Tuberkulose ausgegeben. Jeder 
Scharlachfall wird in Dudley vom Sanitätsinspektor besucht; 
sorgfältige Notizen werden aufgenommen. Die Schlußdesinfektion wird in 
jedem Falle durch beamtete Desinfektoren ausgeführt, wenn der behandelnde 
Arzt die Notwendigkeit derselben bescheinigt. Unter 1097 von 
1900—1904 gemeldeten Fällen starben nur 27 (2,4 °/ 0 ). 

Bei Typhus wird sofort nach der Anzeige der Abort geleert. Der 
Patient kommt ins Krankenhaus, das Haus wird desinfiziert. Muß der Kranke 
aus irgend einem Grunde zu Hause bleiben, so empfiehlt der Autor, daß von 
der Behörde ein tragbarer, zu desinfizierender Behälter für Stuhl und Urin 
geliefert wird, der täglich von eigens angestellten Personen abzuholen ist. 1 ) 

Der Autor hebt auch die Schattenseiten der jetzigen Art der Anwendung 
der Gesundheitsgesetze in England hervor. Er betont, daß selbst der eifrigste 
und tüchtigste Medical officer of health oft Schiffbrach leiden muß, da dio 
Gesetze zu viele Maschen enthalten, durch die böswillige Zuwiderhandelnde 
durchschlüpfen können. Die Gewissensklausel des Impfgesetzes sei ein drasti¬ 
sches Beispiel. Die Gesundheitsgesetze seien nicht eindeutig genug abgefaßt; 
sie hätten zu viele Klauseln und Ausnahmen, seien nicht einheitlich kodifiziert. 
Dazu komme die Konnivenz der Ortsbehörden gegen Minoritäten. Wende sich 
aber der Medizinalbeamte in seiner Verlegenheit an die Vorgesetzte Zentral¬ 
behörde, die ihn doch beraten und leiten sollte, so erhalte er den prompten 
Bescheid, daß sie ablehnen müsse, eine Meinung zu äußern. Die bei der Be¬ 
kämpfung der ansteckenden Krankheiten von den Ortsbehörden getroffenen 
Maßregeln verbürgen daher in mancher Hinsicht nicht die Sicherheit des Ge¬ 
meinwesens und schießen in anderer Beziehung wieder über das Ziel hinaus. 

Die von Bapmund (Das öffentliche Gesundheitswesen, S. 45) ge¬ 
schilderten Gefahren der Selbstverwaltung auf gesundheitlichem Gebiete werden 
demnach auch vom Autor betont. Dr. Mayer-Simmern. 


Einige praktische Winke in bezug auf die Verwaltung von Isolier¬ 
hospitälern. Von A. Knyvett-Gordon, med. Superintendent of Monsall 
Hospital. Public health; XVII, März 1905, S. 384. 

Der Autor, der außer seiner Tätigkeit als Chefarzt des Monsall-Hospitals 
noch ein Lehramt an der Universität Manchester versieht, gibt eine hübsche 
Darstellung der Aufgaben, die dem leitenden Arzte und seinem Stabe an 
Aerzten und Wärtern in einem Isolierhospitale erwachsen. Er erinnert daran, 
daß ein solches Krankenhaus seinen Zweck noch nicht erfüllt hat, wenn es dem 
Gemeinwesen seine Infektionskranken abgenommen hat. Die Verhütung der 
Hausinfektionen ist außerordentlich schwer. Aufgenommen werden Kranke mit 
Scharlach, Typhus, Diphtherie, Wochenbettfieber, Erysipel, Tuberkulose. 
Während die Behörden für den Bau des Isolierhospitales große Summen aus¬ 
geben und dem Architekten das entscheidende Wort gönnen, dessen Alpha und 
Omega aseptische Wände und aseptische Möbel sind — wird für das Warte¬ 
personal viel zu wenig gesorgt. Wichtiger als alle Glastische und als glasierte 
Ziegel ist ein gutgeschultes Wartepersonal, und daran fehlt es meistens. 
Die Leute werden gewöhnlich zu schlecht bezahlt und zu rasch entlassen. In 
Monsall scheint ein guter Unterricht in Anatomie und Psychiatrie, in Hand¬ 
reichungen bei Operationen und Verbandtechnik erteilt zu werden. 

Bemerkenswert ist, daß die Reinigung der Hände der Schwestern durch 
Wasser und Seife, dann durch Terpentin und Holzgeist erfolgt und daß 
die Pflegerinnen insbesondere bei Berührung von Typhuskranken Gummi¬ 
handschuhe tragen müssen — ein Umstand, der mit Rücksicht auf den 
Aufsatz von Georgii (M. med. W., 1904, S. 712) erwähnt werden mag. Durch 
die Erziehung zur Reinlichkeit werden die Fälle von Hausinfektionen selten. 
Die Pfleger lernen, nicht mehr die Luftinfektion als „angenehmen Zufluchts¬ 
hafen anzusehen, in dem sich schmutzige Hände vor dem Sturm einer amtlichen 
Untersuchung bergen können.“ 


*) VergL Zeitschrift für Medizinalbeamte; 1903, S. 499. 



614 


Kleinere Mitteilangen and Referate aas Zeitschriften. 


Die Art der bakteriologischen Untersnchang bei der Aufnahme and bei 
der Entlassung wird geschildert 

Der Aufsatz ist auch für unsere Verhältnisse in hohem Grade lehrreich. 

Dr. M a y e r - Simmern. 


Neuregelung der Anstellung und amtliche Stellung der Gesundheit«- 
beamten und Sanitätsinspektoren ln England. Public health bilL Public 
healt; XVII, 1905, Nr. 5, S. 321. 

Nachdem die Jahresversammlung des British medical association in Ox¬ 
ford den Beschluß gefaßt hatte, sich wegen Regelung der Dienststellung der 
Gesundheitsbeamten und Sanitätsinspektoren an die gesetzgebenden Körper¬ 
schaften zu wenden, hat die Kommission für Hygiene und Staatsarzneikundo 
ein Gesetzentwurf aasgearbeitet. Nach diesem soll ein Gesundheitsbeamter, 
wenn er schon 3 Jahre vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes in einem Gebiete 
mit einer Einwohnerzahl von nicht weniger als 50000 angestellt war und als 
solcher sein Amt versehen hat, weiterhin in seinem Amte bleiben. Ein neu 
angestellter medical officer of healt muß dagegen im Besitze eines Diploms 1 ) 
für öffentliche Gesundheitspflege oder Staatsarzneikunde sein. Voraussetzung 
der Anstellung ist das Einverständnis der Zentralbehörde. — Sanitätsinspektor 
kann nur sein, wer in einem Bezirke mit mindestens 20000 Einwohnern drei 
aufeinander folgende Jahre vor dem Inkrafttreten des Gesetzes als solcher 
gewirkt hat oder wer im Besitze eines Diploms einer Behörde ist, die vom 
Local Government Board zur Ausstellung solcher Diplome ermächtigt wurde. 
Notwendig ist in beiden Fällen das Einverständnis der Zentralbehörde. — Die 
Beamten beider Kategorien sollen nicht mehr auf beschränkte Zeitdauer an¬ 
gestellt werden und, selbst wenn die jetzt geltenden Verträge auch das Gegen¬ 
teil besagen, nur mit Einwilligung des Local Government Board von ihrer 
Stelle entfernt werden dürfen. Die nach dem Loc. Gov. Act 1 ) von 1838 an- 
gestellten Beamten sollen von diesem Gesetz nicht betroffen werden. Während 
bisher die städtischen Gesundheitsbehörden mit Ausnahme jener von London 
nicht das Recht haben, mehr als einen Sanitätsinspektor anzustellen, soll dieses 
Recht allen Stadtbehörden von nun an zukommen. — Der Titel „Uebelstands- 
inspektor“ soll wegfallen; der Titel „Sanitätsinspektor“, der bisher nur für 
London gilt, soll überall eingeführt werden. — Der Zentralbehörde sollen die 
ihr nach den Public health acts oder dem Public health (London) act 1891 
zustehenden Rechte unverkürzt verbleiben. Dr. May er-Simmern. 


Nicht offizielle Leistungen auf dem Gebiete der öffentlichen Gesund¬ 
heitspflege. Unofficial sanitary work. Von A. S. N o r m a n, medical officer 
of health. Public health; XVII, Februar 1905. 

Der Vortrag verfolgt in mancher Hinsicht einen ähnlichen Gedanken¬ 
gang, wie der von Med.-Rat Dr. Hensgen-Siegen: „Wie kann der staatliche 
Gesundheitsbeamte seine Stellung zur Förderung der mo lernen Wohltätigkeits¬ 
bestrebungen verwerten ?“ (Offizieller Bericht über die XVI. Hauptversammlung 
des Preuß. Medizinalbeamten-Vereins 1899). Hier sei nur die Schilderung mit¬ 
geteilt, die der Autor von den beiden Arten der englischen Gesundheitsbeamten 
entwirft. Er gibt an, daß er viele Jahre hindurch für den Gedanken gekämpft 
habe, daß alle Gesundheitsbeamten vollbeschäftigt sein sollten, daß aber dem 
Kampfe der Erfolg bisher gefehlt habe. Einen Vorteil dagegen genieße auch 
der „Half-timer“, der nur einen Teil seiner Arbeitskraft dem Staate zur Ver¬ 
fügung stellte. Mit allen Bevölkerungsklassen komme er als Arzt in enge 
Berührung; bei der Geburt der Kinder sei er zugegen, könne ihre Entwicke¬ 
lung verfolgen, behandele sie in ihrer Krankheit, kenne das Milieu in dem sie 
aufwachsen und habe in bezug auf die Wahl ihres Lebensberufes ein ent¬ 
scheidendes Wort. Der „Half-timer“ habe allerdings nicht die Zeit, viel zu 
lesen; statistische Arbeit sei ihm wahrscheinlich eine Last. Da er viel umher¬ 
fahre und viel des Nachts wachen müsse, habe er dagegen zum Nachdenken 
und zur Beobachtung freie Zeit genug. Besonders auf dem flachen Lande habe 
er Gelegenheit, treffende Beobachtungen zu machen, er wisse am besten, welche 


*) Vergl. auch Zeitschrift für Medizinalbeamte; 1903, 8. 45. 
*) Rapmund: Das öffentliche Gesundheitswesen; S. 270. 



Kleinere Mitteilnngen and Referate ans Zeitschriften. 


615 


Krankheiten an bestimmten Oertlichkeiten, in bestimmten Häusern, in bestimmten 
Familien heimisch sind. Vieles hiervon ist dem vollbeschäftigten Gesundheits¬ 
beamten versagt. Allerdings habe er ärztliche Ausbildung genossen — höre 
aber in einem Alter, in dem er noch nicht Gelegenheit gehabt habe, Er¬ 
fahrungen auf dem Gebiete der praktischen Heilkunde zu sammeln auf, Krank¬ 
heiten zu behandeln. Jeder medical officer of health sollte daher eine Zeitlang 
als Arzt tätig gewesen sein, ehe er die ßeamtenlaufbahn betritt. 

_ Dr. Mayer-Simmern. 


Die hygienische Mitwirkung der Aerzte bei der Ausführung der 
deutschen sozialpolitischen Gesetzgebung. Von Dr. 0. Schwartz, Geh. 
Medizinalrat in Köln. Aerztliche Sachverständigen-Zeitung; 1905, Nr. 3. 

Autor tritt warm der Forderung E. Roths bei, welche dahin geht, daß 
die vorgeschriebene Revision der gewerblichen Anlagen durch die staatlichen 
Gewerbeinspektoren und Kreisärzte nicht nur unter Zuziehung von der Fabrik¬ 
leitung abhängiger sog. Fabrikärzte, sondern auch von den für die allgemeine 
Behandlung der erkrankten Arbeiter von den Kassenvorständen angestellten 
Aerzten ausgeführt werden möge. Er schließt den kurzen Artikel mit der 
Hoffnung, daß auf Grund der vorliegenden Erfahrungen möglichst bald eine 
gründliche Revision der deutschen sozialpolitischen Gesetzgebung stattfinden 
möge, sowohl im Interesse des Gesundheitswohls von nahezu 10 Millionen 
Arbeitern mit ihren Familien, als im Interesse der deutschen Aerzte, die in 
langjähriger Unterrichts- und Prüfungszeit ihr Vermögen aufgeopfert haben 
und vorzugsweise auf eine standesgemäße entsprechend lohnende Tätigkeit in 
der Arbeiterbevölkerung angewiesen sind. Dr. Troeger-Adelnau. 


Ueber die Notwendigkeit der Errichtung eines Volkswohlfahrtsamtes. 
Von Geh. Med.-Rat Dr. Rob. B e h 1 a - Potsdam. Deutsche Med.-Ztg.; 1905, Nr. 24. 

Verfasser spricht sich über den Begriff „sozial“ aus, über diese moderne 
Erscheinung unseres Staatswesens. Er weist auf die noch immer bestehende 
Notlage in den Großstädten hin und wünscht die Einrichtung eines Volkswohl¬ 
fahrtsamtes, dessen Aufgabe er in folgenden verschiedenen Gruppen zu¬ 
sammenstellt: 

I. Säuglingsfürsorge. II. Kleinkinderfürsorge, a) Für 
Gesunde, b) Für Kranke. III. Sckulkinderfürsorge. a) Für Gesunde, 
b) Für Kranke, Schwächliche ünd Gebrechliche, c) Für Waisen. IV. Jugend¬ 
fürsorge. a) Für Burschen, b) Für Jungfrauen. V. Männer- und 
Frauenfürsorge. 1. Wohnung und Unterkunft. 2. Ernährung. 3. Arbeits¬ 
verhältnisse, Fabrik- und Landarbeiter. 4. Wirtschaftsverhäitnisse. 5. Armen¬ 
wesen. 6. Krankenpflege, a) Stadt, b) Land. 7. Invaliden. 8. Sieche. 9. Ge¬ 
nesene. 10. Fürsorge für mit körperlichen, geistigen oder sittlichen Defekten 
Behaftete. 11. Unfall und erste Hilfe bei Unglücksfällen. 12. Besondere 
außerordentliche Notstände. 13. Gesundheitspflege, a) Oeffentliche Gesund¬ 
heitspflege. b) Private Gesundheitspflege. 14. Höhere Bildung. Ethische 
Kultur. Allgemeine Volkswohlfahrt. 15. Fürsorge für Frauen, Witwen und 
unverheiratete Erwachsene. VI. Altersfürsorge. 

Er redet der Privattätigkeit sehr das Wort, betont aber, daß eine staat¬ 
liche Aufsicht vorhanden sein müsse, weil alles Schrankenlose und Regellose 
einer ordnenden Zentralinstanz bedürfe. Auf der anderen Seite warnt er auch 
vor einem allzu starren Bureaukratismus: Jede allzu strenge Zwangsroute 
würde nur einen Mißgriff darstellen. Das Volkswohlfahrtsamt müßte den 
Stempel der Popularität an der Stirn tragen. 

Selbstverständlich wird mit der Einrichtung eines derartigen Amtes nicht 
alles Elend beseitigt, niemals wird man alle Krankheiten heilen können, niemals 
wird es eine Menschheit geben ohne körperliches Gebrechen. Ein goldenes 
Zeitalter hat es nicht gegeben und wird es nicht geben, wohl aber erhoffen 
wir ein soziales Zeitalter. Dr. Hoffmann-Berlin. 


Farbentüchtigkeit im Eisenbahndienst. Von San.-R. Dr. E. Schwech- 
t e n - Berlin. Aerztliche Sachverständigen - Zeitung; 1904, Nr. 24. 

Nagel erörterte 1904, daß nicht nur, wie bisher allgemein anerkannt, 



616 


Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


die Farbenblinden, insbesondere der Rotblinde, sowie der Grünblinde untüchtig 
zum Eisenbahndienst sind, sondern auch die sogenannten anomalen Trichromaten, 
bei welchen eine von der Norm abweichende Beschaffenheit der Sehsubstanzen 
vorhanden ist, ohne daß dabei eine herabgesetzte Unterschiedsempfindlichkeit 
vorzuliegen braucht. Während der Rot- und Grünblinde nur zwei Grundfarben 
besitzt und eben die dritte, in der er blind ist, nicht, verfügt der anomale 
Trichromat über die drei Grundfarben jedes normal Farbentüchtigen, aber 
trotzdem ist sein Farbenunterscheidungsvermögen mangelhaft. 

Fünf Gründe für die Gleichstellung der anomalen Trichromaten mit den 
wirklich Rot- und Grünblinden in der Untauglichkeit zum Eisenbahndienst führt 
Nagel an, die sich dem Rahmen eines Referats entziehen. 

Um die Farbenuntüchtigen zu erkennen, hat in Berlin eine ganze Reihe 
von praktischen Untersuchungen stattgefunden; jeder Farbenuntüchtige wurde 
am Helm holz sehen Spektralapparat kontrolliert, der bekanntlich durchaus 
sichere Resultate gibt. Es hat sich dabei gezeigt, daß weder die Görtzsche 
Farbstichprobe, noch die Stillingschen Tafeln, noch die Holmgrensche 
Wollprobe allenthalben der Probe am Spektralapparat in bezug auf die Sicher¬ 
heit des Farbenerkennens gleichkam. Dagegen hat die von Nagel erfundene 
Methode mit verschiedenfarbig gedruckten Ringen kein Fehlresultat ergeben. 
Sie ist außerdem billig und kann auf schriftliche Anweisung vom Arzte sicher 
erlernt werden. Dr. Troeger-Adelnau. 


Ueber den Einfluss der Ohrerkrankungen auf die Berufstätigkeit der 
Hebammen. Von Prof. Dr. Hang-München. Aerztliche Sachverständigen- 
Zsitung; 1904, Nr. 24. 

Es kommen zwei Gruppen von Ohrerkrankungen in Betracht, die sich 
dadurch unterscheiden, daß die eine eine akute Infektionsgefahr in sich schließt, 
während bei der anderen vermöge der Hörverminderung sich mehr die Gefahr 
auf Verzug und eine daraus resultierende Gefährdung ausspricht. Ein Zu¬ 
sammenfließen beider Gruppen kommt oft vor. 

Die erste Gruppe umfaßt alle Eiterungen des Ohres, die zirkumscripte 
Gehörgangsentzündung (Furunkulose), die akute perforativeitrige Mittelohr¬ 
entzündung und die wichtigste, die chronische Mittelohreiterung. 

Die Eitererreger kann nun die Hebamme, sei es mit ihren nicht genügend 
gereinigten Fingern, z. B. wenn sie wegen Juckens in das Ohr gefaßt hat, sei 
es direkt durch die Auskultation der Herztöne auf die Gravide übertragen, 
und manche puerperale Sepsis, deren Ursprung dem Arzte völlig unverständlich 
war, findet so ihre Erklärung. Hieraus geht hervor, daß durch die Ohreite¬ 
rungen die Fähigkeit zur Ausübung des Hebammenberufs in Frage gestellt 
werden kann, daß sie eine Berufsunfähigkeit in sich schließen können, die 
allerdings für gewöhnlich nur eine temporäre sein wird. Fälle, bei denen die 
Eiterung aus irgendwelchen Gründen nicht zum Stillstand gebracht werden 
kann und die noch dazu mit sehr hochgradiger Harthörigkeit verknüpft sind, 
dürften als dauernde Berufsunfähigkeit zu erachten sein. 

Die Kranken der zweiten Gruppe leiden entweder an den verschiedenen 
Formen der einfach katarrhalischen Mittelohrprozesse, oder der Sklerose des 
Mittelohrs, oder der nervösen Schwerhörigkeit, lauter Affektionen, die nur zu 
gerne beide Ohren sukzessive ergreifen und langsam, aber fast sicher, bis zur 
Taubheit zugrunde richten können, speziell bei Sklerose. Eine Reihe von hoch¬ 
gradig Schwerhörigen vermag nur durch Knochenleitung, die sogar verstärkt 
sein kann, die Herztöne des Kindes noch wahrzunehmen, so z. B. bei den 
chronisch katarrhalischen Mittelohrprozessen mit Adhäsionsbildung und Fixation 
resp. Schwerbeweglichkeit der Gehörknöchelchen - Kette. Für die Berufsfähig¬ 
keit ist der Schluß zu ziehen, daß Hebammen, die im höheren Grade schwer¬ 
hörig sind, von dem Zeitpunkte ab, wo sie die Herztöne nicht mehr sicher 
erkennen können, als berufsunfähig zu erachten sind. 

Zum Schlüsse empfiehlt H a u g, schon bei der Zulassung zum Hebammen¬ 
berufe auf vorstehende Krankheiten zu achten, und Frauen, die der Gruppe I 
oder II als berufsunfähig auf die Dauer anheimfallen müssen, von vornherein 
abzuweisen. Dr. Tr o eger-Adelnau. 



Besprechungen. 


617 


Ueber die antiseptischen Eigenschaften des Banches zuckerhaltiger 
Pflansenstoffe und ihre Ausnutzung. Von A. Trillat. Comptes rendos de 
la boc. de biol.; LVIII, 1905, Nr. 11. 

Die Sitte, zu Epidemiezeiten saccharoseh&ltige Wurzeln, Wachholder¬ 
beeren, Harze zu verbrennen, geht bis auf Hippokrates zurück. 

Der Begriff der Desinfektion war für frühere Geschlechter mit dem der 
Desodoration eng verknüpft. Dem Autor gelang es nun nachzuweisen, daß sich 
Formaldehyd bildet bei Verbrennung von raffiniertem Zucker, Runkelrübe, 
Pastinak, Wachholderbeeren, Benzoeharz, Engelwurz. 

Formaldehyd hat aber die Eigenschaft, mit Schwefelwasserstoff, den 
Merkaptanen, den Aminen der fetten Reihe und dem Skatol geruchlose 
Komponenten zu liefern. Die einfache, praktische Beobachtung hat daher bis 
ins vorige Jahrhundert hinein in richtiger Weise dahin geführt, bei Epidemien 
solche Substanzen anzuwenden, unter deren Einflnß der schlechte Geruch der 
benutzten Räume am ehesten schwindet; das sind eben solche Stoffe, die ver¬ 
hältnismäßig viel Formaldehyd bei der Räucherung liefern. 

Genauere Bestimmungen ergaben, daß der Rauch von Zucker enthält: 
Formaldehyd, Azeton, Methyl- und Aethylalkohol, Essigsäure, Bittermandelöl 
und verschiedene Phenolpräparate. 

Unter einer 12 Liter fassenden Glocke wurden 2 g Zucker verbrannt; 
dem Rauche wurden ausgesetzt Objekte, die beschickt waren mit Coli-, Typhus-, 
Milzbrand-, Tuberkel-, Cholerabazillen. Sterilisation war nach */* Stunde ein- 

f etreten; beim Staph. aureus nach 1 Stunde, bei Bacillus subtilis und einer 
'emperatur von 40° nach 4 Stunden. 

Der Autor setzt im Institut Pasteur-Paris seine Desinfektionsversuche 
größerer Räumlichkeiten fort. 

Schon jetzt aber hält er es für erwiesen, daß die antiseptischen Eigen¬ 
schaften des Formaldehyds bereits zu einer Zeit ausgenutzt worden sind, in 
welcher eine Isolierung und ein Studium des Formaldehyds noch nicht mög¬ 
lich war. _ Dr. Mayer-Simmern. 


Ergebnisse der Prüfung der Sichlerschen „Slnacld • Butyrometrie“. 
Von Dr. M. Klassert. Zeitschr. f. Untersuchung der Nahrungs- u. Genu߬ 
mittel; Bd. 9, H. 1, S. 12. 

K. hat die Sichlersehe Methode, die mit dem Vorzüge der absoluten Ge¬ 
nauigkeit auch den der leichten und sicheren Ausführung durch Laienhand in sich 
vereinen sollte, und wonach jedermann genau den Fettgehalt der Milch zu 
bestimmen in der Lage wäre, nachgeprüft. Das Prinzip des Verfahrens ist 
kurz folgendes: ln das betr. Butyrometer füllt man nacheinander hinein: 1. die 
Sichlersche Salzlösung (zur Lösung des Milcheiweißes), 2. die Milch, 3. das 
Sichler sehe Alkoholgemisch. Nach Schütteln und Erhitzen im Wasserbade 
soll man dann den Fettgehalt in Prozenten ablesen können. Als Vorzüge 
führt der Erfinder die Einfachheit und Handlichkeit seines Apparates und die 
Vermeidung gefährlicher Reagentien an. Vergleichende Untersuchungen des 
Verfassers mit diesem und dem Ger berschen Apparat haben ergeben, daß 
die Methode, wie sie zurzeit vorliegt, zwar unbrauchbar, jedoch durchaus ver¬ 
besserungsfähig ist und sich zu einer einwandsfreien Schnellmethode ausarbeiten 
ließe, die dann sehr wohl mit der Ger berschen konkurrieren kann. 

Dr. Symanshi-Hagenau. 


Besprechungen. 

Dr. Gustav Pahl: Der österreichische Qerichtsarat. Yademecum 
für die forensische Praxis für Aerate und Juristen. Mit 18 in 
den Text gedrukten Abbildungen und eine Tafel. Wien und Leipzig 1904. 
Verlag von Franz Dentike. 360 S.; Preis 7 Mark. 

Verfasser hat das Buch, ein Leitfaden für Aerzte und Juristen, an der 
Hand der Aufzeichnungen aus seiner Assistentenzeit und seiner 6 jährigen 
gerichtsärztlichen Landpraxis, getreu nach den Direktiven seines Lehrers 
Maschka geschrieben. Es soll den Bedürfnissen des praktischen Arztes ent- 



618 


Tagesnachriehten. 


sprechen, ihm für den jeweilig vorliegenden Fall die vom Gesetze geforderter 
Fragepunkte beständig and systematisch geordnet in Erinnerung bringen nnd 
zugleich ein Repititorium der Materien selbst darstellen. Dadurch, daß den 
schwierige Stoff in einer anch dem gelehrten Laien möglichst einfachen und 
verständlichen Form behandelt ist, hat das Buch für den Gerichtarzt an Wert 
nicht verloren. Es behandelt in einanderfolgenden Kapiteln die Pflichten und 
Funktionen des Gerichtsarztes, die Verletzungen, die Todesarten, Kindesmord, 
die gesetzwidrige Befriedigung des Geschlechtstriebes, die fragliche Zeugungs¬ 
fähigkeit, fragSche Schwangerschaft und Geburt, Fruchtabtreibung, Leichen¬ 
erscheinungen, die Sicherstellung der Identität (Anthromopetrie und Daktylo¬ 
skopie), die Untersuchung von Blutspuren. Den Schluß machen praktische 
Winke bei der Aufnahme des Lokalaugenscheins, bei der Hauptverhandlung, 
bei der Sektion, Formulare für Sektionsprotokolle, gesetzliche Bestimmungen; 
ein Kapitel medizinische Terminologie. Dr. Bump-Osnabrück. 


Stabsarzt Profi Dr. A. Dieudonnö: Hygienische Mauregeln bei 
ansteckenden Krankheiten. Würzburger Abhandlungen aus dem Ge¬ 
samtgebiet der praktischen Medizin. Würzburg 1904. Verlag von A. S t u b e r. 
Gr. 8°, 66 8.; IV. Band, 7. u. 8. H. Preis: 1,50 M. 

An die Besprechung der chemischen, physikalischen und mechanischen 
Desinfektionsmittel schließt D. das Hauptkapitel über die Ausführung der Des¬ 
infektion im allgemeinen und bei den verschiedenen Infektionskrankheiten. 
3 Anlagen betreffend Dienstanweisung für Desinfektoren und Batschläge der 
Ansteckungsgefahr bei Typhus und Tuberkulose beschließen die knappen, klaren 
Ausführungen des Autors. Dr. Roepke-Melsungen. 


E. Urban, Redakteur an der Pharmazeutischen Zeitung: Die genetallchen 
Bestimmungen über die Ankündigung von Gehetmmltteln, Arznei¬ 
mitteln und Heilmethoden im Deutschen Reiche einschlie88lioh 
der Vorschriften über den Verkehr mit Gehelmmitteln. Berlin 1904. 
Verlag von Julius Springer. Kl. 8°, 172 S. Preis: 2,60 Mark. 

Die einschlägigen Gesetze und Vorschriften sind zum Gebrauche für Be¬ 
hörden, Apotheker, Fabrikanten und die Presse nach den geltenden Recht zu¬ 
sammengestellt und hinsichtlich der Rechtslage erläutert. Rpd. 


Tagesnachrichten. 

Die am 8. und 9. September d. J. in Heidelberg abgehaltene IV. Haupt¬ 
versammlung des Deutschen Medizinalbeamten - Vereins hat einen in jeder 
Weise befriedigenden Verlauf genommen, wenn auch ihr Besuch namentlich 
aus dem Osten, wahrscheinlich infolge der dort ausgebrochenen Cholera, ein 
nicht so starker war, als im Vorjahre (es waren über HX) Teilnehmer erschienen). 
Der badische Landesausschnß hatte sich mit bestem Erfolg bemüht, den Vereins- 
mitgliedcrn mit ihren Damen den Aufenthalt in Heidelberg so angenehm als 
möglich zu machen; ebenso hatten die städtischen Behörden in bezug auf die 
Besichtigungen usw. das größte Entgegenkommen gezeigt. Vor allem haben 
es aber an beiden Sitzungstagen die Herren Referenten verstanden, die Teil¬ 
nehmer durch ihre höchstinteressanten und sachgemäßen Ausführungen zu 
fesseln und bis zum Schluß der Versammlung festzuhalten. 

Von einem vorläufigen Bericht darüber wird ebenso wie im Vorjahre 
Abstand genommen, da der offizielle Bericht voraussichtlich schon der am 
15. November d. J. erscheinenden Nummer der Zeitschrift beigegeben werden 
wird; es sei daher nur kurz erwähnt, daß die in der besonderen Beilage zu 
Nr. 17 der Zeitschrift mitgeteilten Vorschläge der drei Herren Referenten des 
ersten Tages zu „Gerichtsärtzliche Wünsche zur bevorstehenden Neubearbeitung 
der Strafprozeßordnung“ mit geringen Aenderungen angenommen wurden und 
auch die nicht zur Abstimmung bestimmten Leitsätze der Referenten am zweiten 
Tage den vollen Beifall der Versammlung fanden. 



Tagesnachrichten. 


619 


Cholera« Nachdem bereits am 7. d. 11. im preußischen Kultusministerium 
unter dem Vorsitz des dieserhalb vom Urlaub zurückgekehrten Herrn Kultus¬ 
ministers Dr. Studt eine Sitzung stattgefunden hatte, in der die zur Be¬ 
kämpfung der Cholera erforderlichen Maßnahmen eingehend erörtert waren, 
ist zwei Tage später, am Sonnabend, den 9. d. Mts., der Ausschuß des 
Reichs-Gesundheitsrats für Seuchenbekämpfung im Kaiser¬ 
lichen Qesundheitsamte zu einer Beratung über den Stand und die Be* 
kämpfung der Cholera im Deutschen Reiche zusammen getreten. Der Ver¬ 
handlung, die von dem Präsidenten des Gesundheitsamts, Dr. Köhler ge¬ 
leitet wurde, wohnten Kommissare der nächstbeteiligten Reichs- und preußischen 
Zentralbehörden bei. Das Referat erstattete Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Gaffky, 
Direktor des Instituts für Infektionskrankheiten in Berlin, der gemeinschaft¬ 
lich mit dem Geh. Ober - Med. - Rat Prof. Dr. Kirchner im Aufträge der 
preußischen MedizinalTerwaltung alsbald nach dem Bekanntwerden des ersten 
Cholerafalls das zunächst bedrohte Gebiet bereist hatte. Nach seinen Dar¬ 
legungen kann es als zweifellos gelten, daß die Seuche Mitte des vorigen Monats 
durch russische Flößer in das preußische Wei chselgebiet eingeschleppt 
worden ist, wenn es auch bei dem Mangel weiterer Nachrichten dahingestellt 
bleiben muß, wo der eigentliche Herd der Seuche zu suchen ist. In Deutsch¬ 
land ist die Krankheit seitdem längs der Weichsel und der von ihr nach 
Westen abzweigenden, aus Brahe, Bromberger Kanal, Netze und Warthe ge¬ 
bildeten Wasserstraße aufgetreten. Einschließlich der auf Infektion in diesen 
Stromgebieten zurückzuführenden Erkrankungen in Posen, Gnesen und zwei 
weiteren Fällen im ostpreußischen Kreise Rastenburg sind bis zum Tage der 
Verhandlung in Preußen 146 Krankheitsfälle bekannt geworden, von denen 39 
tödlich verlaufen sind. 1 ) 

Alle diese Fälle, die sich auf mehr als 50 Orte verteilen, lassen sich 
auf den Stromverkehr zurückführen; sie sind als vereinzelte Infektionen zu be¬ 
trachten, die Dank dem raschen tatkräftigen Vorgehen der Behörden überall 
sofort isoliert wurden und bisher nirgends zur Bildung eines örtlichen Seuchen¬ 
herdes geführt haben. In gleicher Weise sind die im Verlaufe der letzten 
zwei Wochen vorgekommenen drei Cholerafälle in Hamburg aufzufassen, 
wohin die Seuche durch einen aus dem Gouvernement Lomsha zugereisten 
Auswanderer gebracht worden ist. 

Die zur Absonderung und Pflege der Erkrankten sowie die sonst ge¬ 
troffenen hygienischen Maßregeln, besonders die sorgfältig durchgeführte Ueber- 
wachung der ebengenannten Wasserstraßen, bei welches jedes Fahrzeug 
mindestens einmal täglich ärztlich kontrolliert wird, lassen annehmen, daß es 
gelungen ist, die Seuche im Entstehen vollständig zu umfassen. Man darf 
daher zuversichtlich hoffen, daß es zu einer Epidemie nicht kommen wird. 

Nachdem der Geh. Ober-Med.-Rat und Vortragende Rat im Kultusmini¬ 
sterium, Prof. Dr. Kirchner, als Korreferent noch des näheren die seuchen- 
polizeilicueu Maßregeln der preußischen Regierung und Hafenarzt Physikus 
Dr. Nocht aus Hamburg in ähnlicher Weise das Vorgehen der Behörden in 
Hamburg dargelegt hatten, schloß sich die Versammlung der oben wieder¬ 
gegebenen Auffassung des Referenden in allen Punkten an. 

Hierauf wurden noch einige besonders wichtige Fragen, wie die Behandlung 
der aus dem östlichen Europa kommenden Auswanderer, besprochen. Auch 
hier wurden die von der preußischen Regierung und den hanseatischen Behörden 
eingeführten Kontrollmaßregeln als wirksam und ausreichend anerkannt. 

Hoffentlich giebt der Ausbruch der Cholera auch Anlaß, die Inkraft- 
tretung des von dem Landtage angenommenen preußischen Ausfüh¬ 
rungsgesetzes zum Reichsseuchengesetz, das bisher noch nicht ein¬ 
mal in der Gesetzsammlung veröffentlicht ist, zu beschleunigen. Zur Be- 


’) Inzwischen ist bis zum 13. d. M. die Zahl der Erkrankten auf 179, 
die der Todesfälle auf 65 gestiegen; ohne daß die Seuche jedoch in irgend 
einem Orte eine epidemische Ausbreitung genommen hat. Zur Verhütung 
von Choleraeinschleppung in Schlesien sind jetzt auch an der Oder 8 Strom- 
Überwachungsstellen unterhalb Breslau, Glogau und Krossen sowie eine Neben¬ 
überwachungsstelle in Brieskow, unterhalb Fürstenberg, neu eingerichtet. Bei 
diesen Ueberwachungsstellen sind 3 Kreisärzte, 1 Kreisassistenzarzt und 3 prak¬ 
tische Aerzte angestellt worden. 



620 


Tagesnachrichten. 


kämpfung der Cholera gewährt allerdings das Reichsseuchengesetz die Grand¬ 
lagen für die erforderlichen Maßregeln; dies läßt aber gleichwohl noch erheb¬ 
liche Lücken, namentlich in bezng auf die Kostenfrage, offen, die darch das 
obengenannte Gesetz aasgefüllt werden. 


Genickstarre tu Prenssen. Für die Zeit vom 1. Jali bis 15. sind ge¬ 
meldet 74 (70) Erkrankungen (Todesfälle) an epidemischer Genickstarre and 
zwar in der Provinz Brandenburg 9 (5), Posen 1, Schlesien 51 (59), Sachsen 4 (1), 
Schleswig - Holstein 8 (1), Hessen-Nassau 1, Rhein provinz 3 (3); für die Zeit 
vom 16.—31. Juli: 59 (49), davon in Brandenburg 1 (1), Posen 1, Schlesien 53 (45), 
Hannover 3 (1), Westfalen 1 (2), Rheinprovinz 1. Seit dem Beginn der Epidemie 
bis zum 31. Juli kamen in Preußen 3274 Erkrankungen und 1808 = 55,2 °/ 0 
Todesfälle an epidemischer Genickstarre zur Anzeige, von denen 2949 (1652 
= 56,0 °/ 0 ) auf die Provinz Schlesien, 324 (156 = 44,1 °/ 0 ) auf den übrigen 
Staat entfielen. 


Der Deutsche Verein für Armenpflege and Wohltätigkeit findet vom 
20. bis 23. September d. J.inMannheim statt. Anf der Tagesordnung 
stehen u. a. folgende Gegenstände: Generalbericht über die 25jährige Tätigkeit, 
erstattet vom Stadtrat Dr. Münsterberg-Berlin. — Die Bekämpfung der 
Säuglingssterblichkeit, Berichterstatter: Beigeordneter Brugger-Köln. Mit¬ 
berichterstatter : Dr. Finkeistein - Berlin, Dr. Maria Baum, Fabrikinspektorin- 
Karlsruhe. — Die heutigen Anforderungen an die öffentliche Armenpflege im 
Verhältnisse zu der bestehenden Armengesetzgebung: Senatssekretär Dr. B u ehl- 
Hamburg, Beigeordneter Dr. S ch wand er- Straßburg L Eis. 


Auf der in Hannover am 10. u. 11. September d. M. abgehaltenen Jahres¬ 
versammlung des Verbandes konditionierender Apotheker stand ebenso 
wie auf dem diesjährigen Apothekertage die Regelung des Apotheker¬ 
wesens auf der Tagesordnung. Die Notwendigkeit einer solchen wurde 
vollständig anerkannt und der folgende Antrag des Vorstandes angenommen: 
„In der Erwartung, daß es, solange nicht die Frage der Ablösung der be¬ 
stehenden Apothekenwerte entschieden ist, nicht angängig ist, daß der Verband 
mit einem bestimmten Reformplan an die maßgebenden Behörden herantritt, 
beantragt die Hauptversammlung: „Der Verband möge an die maßgebenden 
Behörden im Reich und in den einzelnen Bundesstaaten die Bitte richten: 1. 
Es möge die seit Jahrzehnten ersehnte Apothekenreform nunmehr durchgeführt 
und zwecks Austeilung eines Reformplanes die Bildung einer Kommission, be¬ 
stehend aus Vetretern der Regierungen, Juristen, Nationalökonomen, ferner 
aus besitzenden und nicht besitzenden Apothekern (diese je in gleicher Zahl) 
vorgenommen werden, 2. bis zur endgültigen Regelung der Reformfrage mögen 
aber die Regierungen unter tunlichster Vermehrung der Apotheken bei Ein¬ 
führung des Vorrtickungssysteins und Zubilligung einer angemessenen Entschä¬ 
digung des Geschäftswerts für den ausscheidenden Erstkonzossionar bezw. dessen 
gesetzliche Erben die Personalkonzession zur Anwendung bringen.“ 

Betreff der Zulassung der Frauen zum Apothekerberuf wurde be¬ 
schlossen: „Die Zulassung von Frauen mit geringerer Vorbildung, sowie die 
Schaffung eines Personals zweiter Klasse ist zurzeit nicht nur für verfehlt, sondern 
geradezu als eine schwere Gefahr für den Stand zu erachten. Erforderlichenfalls 
wird der Vorstand ermächtigt, hiergegen bei den maßgebenden Behörden mit 
aller Entschiedenheit vorstellig zn werden.“ — Bezüglich der Vor- und Aus¬ 
bildungsfrage steht „der Verband auf dem Standpunkte, daß das Maturum 
sowie ein verlängertes Universitätssudium zur Voraussetzung für den Apotheker¬ 
beruf zu machen und die (sog.) Konditionszeit in die Zeit nach dem Studium 
zu verlegen ist. Bis dahin sind sämtliche approbierte Apotheker zur Doktor¬ 
promotion und zu dem für Nahrungsmittel-Chemiker vorgeschriebenen Examen 
zuznlassen, wobei die pharmazeutische Staatsprüfung als Vorexamen für Nahrangs- 
und Genußmittel-Chemiker anzuerkennen ist.“ 


Verantwortl. Redakteur: Dr. Rapmund, Reg.- n. Geh. Med.-Rat in Minden i. W. 
J. C. C. Bruns, Herzogi. S&cba. n. F. Sch.-L. Hofbucb dr ackere 1 ln Minden. 



18. Jahrg. 


1905. 


Zeitschrift 

MEDIZINALBEAMTE. 


Zentralblatt für gerichtliche Medizin und Psychiatrie, 
für ärztliche Saehverständigentatigkeit in Unfall- und Invaliditätmehen, sowie 
für Hygiene, olentL Saaitatswesen, Medizinal - Gesetzgebung nnd Rechtsprechung 

Heraasgegeben 

von 

Dr. OTTO RAPMÜND, 

Regtarange- and Geh. Modixlnalrat In Minden. 


Verlag von Fischers mediz. Buchhandlg, H. Kornfeld, 

HeraogL Bayer. Hof- u. ErxbenogL Kammer-BpchMmüer. 

Berlin W. 35, Lützowstr. 10. 

Inserate nehmen die Verlagshandlung sowie alle Annoncen-Expeditionen des In¬ 
end Auslandes entgegen. 


Nr. 19. 


Rrgeheint mm 1« und 15« 


Jeden Monnts 


1. Oktbr. 


Wochenkarten Uber ansteckende Krankheiten an die 

praktischen Aerzte. 

Karze Mitteilang von Dr. Kircbgässer, Kreisarzt in Coblenz. 

Eine Neueinrichtung im Meldewesen der ansteckenden Krank¬ 
heiten, die nunmehr seit ®/ 4 Jahren im Stadtkreis Coblenz nnd 
dessen nächster Umgebung ohne Schwierigkeiten dnrchgeführt wird, 
möchte ich vor allem den Herren Kollegen in grösseren Städten 
zur Nachprüfung empfehlen. 

Vorausschicken will ich, was vielleicht bekannt ist, dass im 
Reg.-Bez. Coblenz bereits seit etwa 7 Jahren die praktischen 
Aerzte die Anzeigen ansteckender Krankheiten durch die Hand 
des Kreisarztes an die Bürgermeisterämter schicken. Zn diesem 
Zwecke erhalten sie mit dem Stempel und Aversionierungsvermerk 
der Regierung nnd der vorgedruckten Adresse: „An den Herrn 

Kreisarzt in.* versehene Briefumschläge nnd 

Anzeigeformulare unentgeltlich. 

Schon bei einer früheren Typhusepidemie war auf Wunsch 
des Coblenzer Aerztevereins eine Liste der mit Typhus verseuchten 
Häuser jedem Arzt zugestellt worden. Dies gab die Veranlassung, 
dass wiederholt Anträge gestellt wnrden, sämtlichen Aerzten 
regelmässig Meldungen über die in der Stadt herrschenden an¬ 
steckenden Krankheiten zugehen zu lassen. Mit Recht wurde 
darauf hingewiesen, dass bei unklarer Diagnose oder bei leichteren 
Fällen der Verdacht einer ansteckenden Erkrankung häufig erst 
entstehe, wenn man wisse, dass ansteckende Erkrankungen bei 
Hausgenossen, Nachbarn pp. vorgekommen sind. 







622 Dr. Kirchgässer: Wochenkarten ttber ansteckende Krankheiten. 


Nachdem der Herr Regierungspräsident Bich damit einver¬ 
standen erklärt hatte, dass die baren Auslagen aus der Polizei¬ 
kasse bestritten werden, habe ich mich im Interesse der Sache 
bereit erklärt, die Ausfüllung und Absendung der Meldebriefe 
jeden Samstag Abend zu übernehmen. 

Die Polizei stellte mir einen Vervielfältigungsapparat „Tipp, 
Topp“, — Meldeformulare nach beifolgendem Vordruck, — 
sowie mit den Adressen der einzelnen Aerzte, Stempel und Aversio- 
nierungsvermerk bedruckte Briefumschläge zur Verfügung. Da¬ 
durch wird die ganze Arbeit (64 Anzeigen) von meinem Sekretär 
an jedem Samstag in etwa 2 1 /, Stunden erledigt. 

Die Einrichtung bedeutet eine wesentliche Verbesserung des 
Meldewesens. Die praktischen Aerzte gewinnen mehr Fühlung 
wie bisher mit dem Kreisarzt. Aus Dankbarkeit wird mir jetzt 
manches Wissenswerte gemeldet, was nach den Bestimmungen 
nicht anzeigepflichtig ist. Es bedarf nur eines kurzen Zusatzes 
auf der Wochenkarte, um irgendwelche Wünsche, z. B. bezüg¬ 
lich Krankheitsauzeigen bei etwaigen Epidemien nicht anzeige¬ 
pflichtiger Erkrankungen usw. allen Aerzten mitzuteilen. Ebenso 
habe ich wiederholt andere Mitteilungen, z. B. betreffend Lungen¬ 
heilstätten, Erholungsheime, Bekämpfung der Säuglingssterblich¬ 
keit, Ausstellung der Totenscheine usw. hinzugefügt. 

Kurz gesagt, der Verkehr zwischen den praktischen Aerzten 
und den Kreisarzt wird durch die Wochenkarten nach jeder 
Richtung hin ohne Mühe und Zeitverlust gefördert. Schon jetzt 
nach so kurzer Zeit kann ich ehrlich sagen: Ganz abgesehen von 
dem grossen Wert der Wochenkarten bezüglich der Bekämpfung 
der ansteckenden Krankheiten, insbesondere des Typhus, möchte 
ich die Neueinrichtung wegen ihrer sonstigen Vorzüge für die 
Zukunft nicht mehr entbehren. 

Kreis Koblenz. 


Wochenkarte über ansteckende Erkrankungen. 

Jahr: 190 . Verdachtsfälle sind mit ? bezeichnet. 

Woche: . . .te vom . . ten.bis . . ten. 


Ortschaft. 

Straße. 

Nr. 

Typhus. 

Diph¬ 
therie u. 
Croup. 

|ä 

OG 

Masern. 

_ 

Kindbett- 

lieber. 


Coblenz Stadt 



! 



! 




Einige Bemerkungen zur Bekämpfung des Kindbettfiebers. 

Von Kreisarzt Dr. Helwes in Diepholz. 

Nach der nicht genug zu bedauernden Ausmerzung der Anzeige¬ 
pflicht für Wochenbettfieberverdacht aus dem neuen Preussischen 





Dr. Helwes: Einige Bemerkungen zur Bekämpfung des Kindbettfiebers. 623 

Seuchengesetze dürfte man vielleicht allgemeiner verlangen, nnn 
wenigstens in einer neuen Auflage des Hebammenlehrbuchs den 
Begriff „Wochenbettfieber“ genauer definiert und möglichst weit 
ausgedehnt zu sehen, soweit z. B. wie er auf der letzten Haupt¬ 
versammlung des Medizinalbeamten-Vereins in Hannover festgelegt 
ist. Die dort gutgeheissene Bestimmung 1 ) ist insofern glücklich 
gewählt, als sie entschieden alles umfasst, was von Wochenbetts¬ 
erkrankungen infektiös ist. Sie geht auch noch weiter; denn es würde 
z. B. Parametritis, Pflegmasia alba dolens, ja sogar Mastitis da¬ 
nach unter die anzeigepflichtigen Kindbettfieber fallen, Erkrankungen, 
von denen die beiden letztgenannten nicht infektiös sind. So dankens¬ 
wert und hochwichtig es nun auch erscheinen mag, Klarheit über 
die Ausdehnung des Begriffs „Kindbettfieber“ für die Praxis zu 
schaffen, so gibt es doch einige Bedenken, welche gegen die Auf¬ 
nahme einer derartigen Definition in das neue Hebammenlehrbuch 
sprechen. Es sei mir gestattet, hier kurz auf dieselben hinzuweisen. 

Derjenige, dem die Bestimmung obliegt, ob es sich in einem 
Falle um Kindbettfieber handelt, ist und bleibt der behandelnde 
Arzt, der auch nach den Bestimmungen des neuen Seuchen¬ 
gesetzes in erster Linie zur Anzeige verpflichtet ist. Der Arzt 
aber wird die Diagnose „Kindbettfieber“ nach den Lehren stellen, 
die ihm auf der Universität darüber gegeben sind; er wird sich 
nicht um die Bestimmungen des Hebammenlehrbuchs, das für ihn 
nicht massgebend ist, und das er meist nur dem Namen nach kennt, 
kümmern. 

Die Hebamme auf der anderen Seite wird nur schwer im¬ 
stande sein, vorausgesetzt, dass sie die ganze negative Ausdrucks¬ 
weise überhaupt versteht, einer Bestimmung nachzukommen, nach 
welcher sie jeden Fall von Fieber im Wochenbett, bei dem ein 
Zusammenhang zwischen Fieber und vorangegangener Entbindung 
nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann, zu melden hat. 
Sie selbst kann und darf nicht feststellen, welche Krankheit vor¬ 
liegt, ein Befragen des behandelnden Arztes aber im Sinne der 
obigen Bestimmung ist aus verschiedenen Gründen mit Schwierig¬ 
keiten verbunden. Der Arzt wird nämlich oft nach der ersten 
Untersuchung die Diagnose nicht mit Sicherheit stellen können; 
er wird demnach auch kein Urteil darüber haben, ob ein Zu¬ 
sammenhang zwischen der voraufgegangenen Entbindung und der 
Erkrankung besteht oder nicht. Wollte nun eine gewissenhafte 
Hebamme noch in den nächsten Tagen mit weiteren Fragen an 
den Arzt herantreten — was schon allein der Entfernungen wegen 
Schwierigkeiten hat — und ihn dann gemäss der erwähnten Be¬ 
stimmungen fragen: „Herr Doktor, können Sie einen Zusammen¬ 
hang dieser Erkrankung mit der vorangegangenen Entbindung 
mit Sicherheit ausschliessenP“, so würde der Arzt die Hebamme 
in vielen Fällen als unbequeme Fragerin betrachten und dem¬ 
gemäss behandeln. Kann man doch, genau genommen, einen Zu- 


*) Offizieller Bericht über die XXII. Hauptversammlung des Preußischen 
Medizinalbeamten-Vereins zu Hannover, S. 19. 



624 Dr. Helwes: Einige Bemerkungen zur Bekämpfung des Kindbettfiebers. 

sammenhang zwischen Lungenentzündung und vorangegangener 
Entbindung kaum mit Sicherheit ausschliessen. 

Anders gestaltet sich die Sachlage, wenn die Hebamme, wie 
dies nach Walther 1 ) in Hessen der Fall ist, jede fieberhafte 
Erkrankung, welche bei einer Wöchnerin innerhalb der beiden 
ersten Wochen nach der Entbindung eintritt, anzeigen muss; dann 
wird sich wahrscheinlich der beamtete Arzt mit dem behandelnden 
Arzt in Verbindung setzen und von diesem in den meisten Fällen 
etwas Näheres erfahren. Es wäre interessant, von den hessischen 
Kollegen zu hören, welche Erfahrungen dort beziehentlich dieses 
Punktes gemacht sind. Der behandelnde Art kann indes nirgends 
ausgeschaltet werden, auf ihn und nicht auf die Hebamme kommt es 
bezüglich der Erkennung der infektiösen Wochenbettserkrankungen 
am meisten an, wie das auch durch das neue Hebammenlehrbuch 
anerkannt ist. 

Allen diesen Bedenken gegenüber könnte man nun sagen, 
dass dieselben sich schon umgehen lassen würden, da man nie 
genau Vorhersagen könne, wie sich solche Bestimmungen in der 
Praxis gestalten; man würde durch solche Definition den Heb¬ 
ammen und vielleicht auch den Aerzten das Gewissen schärfen 
usw. Die Bedenken sind jedoch ebensowenig ganz zu übersehen, 
wie der Satz, dass man sich hüten soll, Verordnungen zu treffen, 
auf deren volle Durchführung man nicht mit Sicherheit rechnen 
kann. Dass das aber bei der eben erwähnten, auf der dies¬ 
jährigen Hauptversammlung in Hannover vorgeschlagenen Defi¬ 
nition des Kindbettflebers nicht immer möglich ist, dass man von 
den Hebammen nicht verlangen kann, jeden Fall von Wochenbett¬ 
fieber im Sinne der obigen Bestimmung zu melden, das dürfte aus 
dem Gesagten hervorgehen. 

Eine Herabsetzung der Sterblichkeit an Kindbettfieber wird 
gewiss auch ohne genaue Definition des Wortes gelingen und zwar 
durch Durchführung der auf der Medizinalbeamten-Versammlung 
geforderten Verbesserung in bezug auf Ausbildung, Ueberwachung 
und Besoldungsverhältnisse der Hebammen, wodurch diese in 
den Stand gesetzt werden, das Wesen der Desinfektion gründ¬ 
lich zu erfassen und auch nicht jede kleinste Ausgabe, z. B. für 
Neubeschaffung und Waschen von Waschkleidern und Schürzen, 
fürchten zu müssen. Vor allem scheint es mir aber auch geboten, 
eben weil die Bestimmung darüber, ob Wochenbettfieber anzu¬ 
nehmen ist oder nicht, stets bei den Aerzten liegen wird, dass 
die Aerzte und Kandidaten der Medizin auf die Bestimmungen 
über die Meldung ansteckender Krankheiten und ihre grosse Ver¬ 
antwortung dabei, speziell auch bei der Meldung des Kindbett¬ 
fiebers in den Fortbildungskursen und auf der Universität durch 
besondere Vorlesungen hingewiesen werden. 


') Zeitschrift f. Medizinalbeamte; 1905, Nr. 15, S. 475. 



Kleinere Mitteilungen und Referate an« Zeitschriften. 625 

Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 

A. Gerichtliche Medizin and Psychiatrie. 

Pulsierende Varizen an der Stirn bei abnormem Hirnsinns. Von 
Dr. F. Reiche, Oberarzt in Hambarg - Eppendorf. Münchener med. Wochen¬ 
schrift; 1905, Nr. 32. 

Bei einem an vorgeschrittener Lungentuberkulose leidenden 26jährigen 
Handlungsgehilfen fand man in aufrechter Körperhaltung und im Liegen an 
der Stirn ungefähr 8 '/* cm nach rechts von der Mittellinie und 2 Finger breit 
oberhalb der Augenbraue eine aufrecht ovale, 1*/« : 1 cm große, etwas bläulich 
verfärbte und wenig erhabene Partie, an der bei seitlicher Betrachtung eine 
leicht undalierende Bewegung wahrzanehmen war. Wurde der Kopf nach vorn 
übergebeugt, trat diese Stelle bis zur Wallnaßgröße hervor und bot nun eine 
deutliche, dem Herzschlage synchrone Pulsation. Auch längeres und starkes 
Hasten machte Anschwellung und Pulsation deutlich. Letztere ging in der 
Ruhe und bei gestrecktem Kopfe alsbald wieder zurück. Die Schwellung bildete 
sich nicht aus bezw. ließ sich mühelos zurückdrängen, wenn ein leichter Druck 
der Fingerspitze gegen die Mitte der verfärbten Stelle aqsgoübt wurde. Die 
beim Bücken auftretende umschriebene Verdickung bestand schon seit vielen 
Jahren, wurde aber in den letzten 3—4 Jahren beträchtlicher. Ein Trauma 
hatte Patient seines Erinnerns nicht erlitten. 

Die Sektion stellte fest, daß ein dicker Knäuel dilatierter VeneH in der 
Galea aponeuretica und dem Muse, frontalis der rechten Stirnseite durch ein 
breites Emissarium direkt mit einem venösen Hirnsinus in Verbindung stand 
daß es sich aber um einen abnormen, einen überzähligen Blutleiter in diesem 
Falle handelte. 

Der Sinus sagittalis superior bot normale Lage und Ausbildung. Auf 
der Höhe des Scheitels, ein wenig weiter nach vorn, als der Mitte zwischen 
dem Augulus frontalis und occipitalis des Scheitelbeins entspricht, verband 
sich rechterseits mit ihm unter rechtem Winkel ein in die fibröse Substanz der 
Dura mater eingeschlossener, starrwandiger, im Durchmesser ihm gleichstehender, 
an der Eintrittsstelle leicht verengter venöser Blutleiter, welcher nach einer 
Strecke von 4 cm sich T-förmig gabelte. Der nach hintenzu ziehende Ast ver¬ 
jüngte sich in einer Weglänge von 7 cm zur Größe einer Hirnhautvene, die 
sich weiterhin verzweigte und verlor; der in mäßigem Bogen nach vom sich 
wendende nahm nur allmählich an Lumenweite ab und führte bis zu dem oben 
erwähnten Emissarium am Stirnbein. In den Sinus mündete im ganzen Verlauf 
zahlreiche Venen ein. Das knöcherne Schädeldach zeigte im Verlauf des über¬ 
zähligen Blutleiters, zumal des horizontalen Anfangsteils, einen tiefen Sulcus 
mit starker Verdünnung der Knochensubstanz. 

Im übrigen waren alle venösen Blutleiter normal angelegt. Die weiche 
Hirnhaut hatte diffuse leptomeningitische Trübungen; das Gehirn war ohne 
pathologischen Befand. In Lungen und Darm ausgedehnte tuberkulöse Alte¬ 
rationen. 

Nach Heule und Merkel trifft man gelegentlich, soweit der Sinus 
longitudinalis superior in Betracht kommt, eine in großer Enge sich äußernde 
rudimentäre Beschaffenheit und selbst völligen Mangel dieses venösen Kanals, 
zuweilen auch ein Auseinanderweichen in zwei Arme, die sich unter Bildung 
einer Insel wieder vereinigen, oder eine Zweiteilung durch eine vertikale Scheide¬ 
wand. Dazu kommen Unregelmäßigkeiten in der Zusammenmündung mit dem 
Sinus transversus. Von überzähligen Verbindungen des oberen Längsblutleiters 
wurde ein Sinus squamo-petrosus beobachtet, der in den Sinus transversus 
mündete, und ferner ein Sinus petrosus medius, der eine Komunikation zwischen 
dem oberen Sichelblutleiter und dem Sinus petrosus superior darstellte. Die 
bisher noch nicht beschriebene Anomalie gewinnt dadurch an Bedeutung, daß 
sie durch eine ebenfalls regelwidrige Verbindung nach außen zu sehr deutlichen 
Symptomen intra vitam führte. Dr. Waibei-Kempten. 


Die Erkennung der Blutverdfinnnng Ertrunkener mittels Prüfung 
der elektrischen Leitfähigkeit des Serums. Von Dr. Revenstorf. Aerztl. 
Sachverst.-Ztg.; 1905, Nr. 14. 

Autor faßt seine Untersuchungsergebnisse in folgende Sätzen zusammen: 
1. Die Prüfung der elektrischen Leitfähigkeit des zentrifugierten Blut- 



626 


Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften. 


semms der Transsudate and der Gewebssäfte ist ein Mittel, das in Verbindung 
mit der Gefrierpunktsbestimmung eine zahlenmässige Feststellung des Fäulnis¬ 
grades der Leiche gestattet. 

2. Zur Erkennung der Verdünnung des Blutes, der Transsudate (Pleura¬ 
flüssigkeit) und des Lungensaftes Ertrunkener eignet sich die Methode nur, 
wenn frische Fälle zu untersuchen sind. 

3. Blutserum oder Gewebsflüssigkeit, die besser leitend ist, als das 
Serum eines gesunden Menschen, oder deren Leitfähigkeits-Wert innerhalb der 
physiologischen Grenze liegt, enthält entweder keine oder eine so geringe 
Menge beigemischter Ertränkungsflüssigkeit, daß die Verdünnung auch durch 
die Gefrierpunktsbestimmung nicht nachweisbar ist. 

4. Serum oder Gewebsflüssigkeit, die schlechter leitend ist, als das 
Blutserum des lebenden Menschen, hat eine Verdünnung durch beigemischte 
Ertränkungsflüssigkeit erfahren. Um Irrtümer unter allen Umständen auszu¬ 
schalten, empfiehlt es sich, das Resultat durch die Gefrierpunktsbestimmung 
zu kontrollieren. 

6. Der Vorzug der Methode liegt in der Schnelligkeit, mit welcher die 
Fälle ohne Verdünnung des Blutes und des Lungensaftes ausgeschieden und 
die Fälle mit positivem Ertrinkungsbefand aufgefunden werden können. 

Dr. Troeger-Adelnau. 


Zur Diagnose des Erstickungstodes. Von Dr. Hugo Marx. Assistenten 
an der Unterrichtsanstalt für Staatsarzneikunde der Universität Berlin. Berliner 
klini sche Wochenschrift; 1905, Nr. 23. 

Der Nachweis der aspirierten Ertrinkungsflüssigkeit besitzt eine ähnliche 
Bedeutung für die Diagnose des Ertrinkungstodes wie der Nachweis des Giftes 
bei Vergifteten. Aus den Lungenalveolen dringt die Flüssigkeit in das Blut 
des kleinen Kreislaufes und von da in das gesamte Körperblut. Die Ver¬ 
dünnung des Blutes des linken Herzens gegenüber dem des rechten Herzens 
wurde nach gewiesen. Carara bestimmte die verschiedene Konzentration des 
Blutes beider Herzhälften mittelst Kryoskopie. Die Gefrierpunktserniedrigung 
für das linke Herzblut war stets geringer bei den Versuchen als für das rechte. 
Häufig fehlt aber dieses Kennzeichen in der Praxis, da mitunter das Absorptions¬ 
vermögen des Lungengewebes bereits vor dem Stillstände des Herzens erschöpft 
sein kann. Die Resultate der Kryoskopie macht ferner die Fäulnis illusorisch. 
Bessere Resultate ergab die Kryoskopie bei Untersuchung des Lungensaftes 
aus den beim Ertrinkungstod geblähten Lungen zur Unterscheidung von Lungen¬ 
ödem. Weitere diagnostische Hilfsmittel sind zu suchen. 

Auch die hämolytischen Erscheinungen an Leichen Ertrunkener sind nicht 
sicher genug. Der Nachweis fester Substanzen und zwar in gleichmäßiger 
Verteilung (Algen und Diatomeen) in den Lungen Ertrunkener ist beweisender. 
Diese Planktonmethode Revenstorfs ist vor allem für ältere und faule 
Wasserleichen besonders zu empfehlen. Wichtig sind auch die anatomischen 
Befunde, vor allem dio Lungenblähungen, Caspers Hyperaerie, deren Entste¬ 
hungsmodus neuerdings auch von Margulies eingehende Bearbeitung gefunden 
hat. Sind wir berechtigt aus einem hohen Luftgehalt, einer deutlichen Hype¬ 
raerie auf eine wirkliche (vitale) Ertrinkung zu schließen, so dürfen wir nicht 
vergessen, nach der Ertrinkungsflüssigkeit in den Lungen zu suchen, deren 
gleichmäßige Verteilung über das gesamte Langengewebe uns gestatten wird, 
die Kette des Beweises für einen Tod durch Ertrinken zu schließen. 

Dr. Raub er-Köslin. 


Ertrinkungsgefahr und Rettungswesen an der See. Vortrag, gehalten 

am 13. März 1905 in der Balneologischen Gesellschaft in Berlin. Von Dr. 
E. Margulies-Kolberg. Berliner klinische Wochenschrift; 1905, Nr. 25. 

Beim Ertrinkungstod unterscheiden die meisten Autoren 3 Stadien, andere 
5 Phasen, nämlich 1. Stadium des Atemstillstandes, 1 Min. (1. Phase der Ueber- 
raschung 4—16 Sek., 2. Phase des Atemstillstandes 1 Min.), 2. Stadium der 
Dyspnoe 1 Min. (3. Phase der tiefen Atmung 60—150 Sek.), 8. Stadium der 
Aphyxie (4. Phase der aufgehobenen Atmung, Schwund der Sensibilität, die 
Pupillen erweitern sich 60—96 Sek., 5. Phase der terminalen Atembewegungen 
29—50 Sek.). Die Fälle von plötzlichem Tod infolge von Nervenshok oder 



Kleinere Mitteilungen nnd Referate ans Zeitschriften. 


627 


Herzlähmung scheiden ans. Der Ertrinkende erholt sich bald, wenn er im 
Stadium des Atemstillstandes ans dem Wasser geholt wird. Dieser ist weniger 
lang, wenn der Ertrinkende nach tiefer Exspiration, länger, wenn er wie ge¬ 
wöhnlich nach tiefer Inspiration nntergegangen ist. Man kann anf dieses 
Stadium mindestens 1 Minute rechnen. Im weiteren Verlauf des Ertrinkens 
dringt Flüssigkeit in die Luftwege ein, die die Aussicht auf Wiederbelebung 
wesentlich beeinträchtigt. Mach v. Hofmann erfolgt das Eindringen von 
Flüssigkeit aber in der Regel in der Phase der terminalen Atembewegungen, 
während in der 3. Phase, auf die man während 1 Minute rechnen kann, haupt¬ 
sächlich Wasser geschluckt wird. Die Aussichten auf Wiederbelebung sind 
daher sehr günstig in der ersten Minute, in der zweiten nicht ganz ungünstig, 
vom Beginn der dritten Minute ab müssen sie als immer zweifelhafter be¬ 
zeichnet werden. 

Soll der Rettungsmechanismns am Seebade funktionieren, so ist schnelles 
Handeln erforderlich. Einen Dicht unwesentlichen Einfluß auf die Dauer des 
Ertrinkungstodes üben aber noch zwei Faktoren aus. Durch das nicht selten 
bei Ertrinkenden vorkommende Auftauchen, wobei wahrscheinlich Luft ein¬ 
geatmet wird, wird die Dauer des Ertrinkungsvorganges sogar um das Doppelte 
verlängert (nach Verweilen von Versuchstieren bis zu 8 Min. unter Wasser, 
waren Wiederbelebungsversuche bisweilen noch erfolgreich). Entgegengesetzt 
wirkt der andere Faktor. Nach vorausgegangener Muskelarbeit mit Ermüdnng 
(dauerndes Schwimmen) stellt sich beim Ertrinken infolge mangelnder Sauer¬ 
stoffzufuhr ein erheblich gesteigerter Stoffverbrauch ein, der eine Verkürzung 
des Ertrinkungstodes zur Folge haben muß. Vor dem sportmäßigen Betriebe 
des Schwimmens bei Kaltseebädern kann daher nicht genug gewarnt werden. 

Wenn der Badende nicht zu fern vom Strande in Ertrinkungsgefahr 
gerät (Vertiefung im Boden, plötzliches Unwohlsein), so gelingt es leicht, ihm 
innerhalb einer Minute Hilfe zu bringen, wenn das Wartepersonal gut geschult 
und zweckmäßig verteilt ist. Wenn ein Badender bei ziehendem Seegange ab¬ 
getrieben wird, so kann nur schwimmkundiges Wartepersonal Rettung bringen, 
das seinerseits wiederum durch ein Boot eingeholt werden muß. Wenn ein 
Schwimmender nach längerem Schwimmen etwas fern vom Strande in Er¬ 
trinkungsgefahr gerät, dann wird auch die schnellste Hilfeleistung meist zu 
spät kommen. Daher sollte das Schwimmen beim Kaltseebaden — wenigstens 
über ein eng begrenztes Gebiet hinaus — von der Badeverwaltung unter Ab¬ 
lehnung der Verantwortung streng untersagt werden. 

In der Diskussion (Nr. 17 der Wochenschrift) empfiehlt Brat-Berlin 
einen von ihm angegebenen Stauerstoff - Inhalationsapparat zur künstlichen 
Atmung. Dr. R ä u b e r - Köslin. 


Die psychiatrischen und neurologischen Indikationen zur vorzeitigen 
Unterbrechung der Schwangerschaft. Von Dr. Otfried 0. Fellner, Frauen¬ 
arzt in Wien. Deutsche Medizinalzeitung; 1905, Nr. 67. 

Den anerkannten Sätzen, daß die Unterbrechung einer Schwangerschaft 
nur dann berechtigt sei, wenn sie für die Mutter bei Fortdauer der Schwanger¬ 
schaft eine hohe Gefahr bedeute, die durch die Unterbrechung der Schwanger¬ 
schaft beseitigt werden könne, stimmt Verfasser ohne weiteres bei, fügt aber 
hinzu, daß die Unterbrechung nur dann durchgeführt werden dürfe, wenn bis 
zur Lebensfähigkeit der Frucht ein so grosser Zeitraum reiche, daß durch den 
Aufschub das Leben der Mutter aufs Spiel gesetzt werde. 

Sodann schildert der Verfasser einzelne Krankheiten und ihr Verhältnis 
zur Schwangerschaft, bezw. die wechselseitige Wirkung von Schwangerschaft 
und Krankheit. Er bespricht I. Polyneuritis gravidarum, II. Chorea, III. Tetanie, 
IV. Geisteskrankheiten, V. Erkrankungen des Gehirns und des Rückenmarks, 
VI. Epilepsie und Hysterie. Was die Geisteskrankheiten angeht, so hebt Ver¬ 
fasser hervor, daß die Indolenz der Verwandten der Kranken niemals den Arzt 
zur Tötung des kindlichen Lebens berechtigten könne, und bei der Epilepsie 
wende die Einleitung des Abortes die Gefahr nicht ab, sondern befördere sogar 
den Ausbruch der Geisteskrankheit. Der gleiche Fall liege vor bei der Hysterie. 

Dr. Hoffmann-Berlin. 



628 


Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften. 


Die forensisch-psychiatrische Bedentnng des Menstraationsrorganges. 
Von Prot Dr. Wollenberg. Monatsschritt für Kriminalpsychologie and 
Strafrechtsreform; £L, H. 1. 

Beim Weibe veranlaßt die Geschlechtsreifang wie die Rückbildung der 
Zeugungsorgane zwei Lebensphasen, die besonders za psychisch-nervöser Er¬ 
krankung disponiert sind. Dazu besteht ein periodischer Wechsel der psychi¬ 
schen Leistungsfähigkeit und Erregbarkeit zusammenhängend mit der Ovulation, 
die äußerlich durch die sich daran anschließenden Menstrualblutungen erkennbar 
ist; in den Tagen kurz vor und nach Beginn der Menstruation ist das psychi¬ 
sche Gleichgewicht labiler wie sonst, was auch bei gesunden Frauen eine ge¬ 
wisse reizbare Schwäche, Launenhaftigkeit und dcrgl. bekundet. Bisweilen 
steigern sich diese leichten Störungen zu ausgesprochenen psychotischen Er¬ 
scheinungen. Man unterscheidet menstruelle Entwickelungspsychosen, die mit 
dem Beginne der ersten Blutung auftreten und nach Beendigung der Reifang 
aufhören. Die Ovulationspsychosen dagegen sind periodische Krankheiten, deren 
kurze Phasen um die Menstruation sich bemerkbar machen. Auch zirkuläre 
Formen, die sich aus regelmäßig wechselnden, manischen und depressiven Zu¬ 
standsbildern zusammensetzen, sind beobachtet. Forensisch wertvoll ist es za 
wissen, inwiefern die Menstruation einerseits die Zurechnungsfähigkeit und 
anderseits die Zeugnisfähigkeit beeinträchtigt. Die ausgesprochenen Psychosen 
machen viel weniger Schwierigkeiten als ihr Grenzgebiet zur physiologischen, 
psychischen Labilität. Auf Grund von psychologischen Versuchen an dem 
Personal der Tübinger Klinik über Auffassungsvermögen und Reproduktions¬ 
treue konnte Verfasser einen erheblichen Einfluß der Menstruation auf die 
Zeugnisfähigkeit von Gesunden nicht nachweisen. Bei geistig Minderwertigen, 
bei leicht Hysterischen, bei Degenerierten aber glaubt Verfasser kann der 
Menstruationsvorgang sehr oft das psychische Gleichgewicht nach der Seite 
der Krankheit hin verschieben. Deshalb ist es Aufgabe des Richters, diesem 
Umstände bei der Beurteilung wichtiger Aussagen solcher geistig unsicheren 
Personen genaueste Beachtung zu schenken; in manchen Fällen muß der 
psychiatrische Sachverständige zugezogen werden. Zum Schlüsse verwahrt sich 
Verfasser gegen die Auffassung, daß der physiologische Menstruationsvorgang 
an sich schon als ein Umstand gelten soll, der die strafrechtliche Verantwort¬ 
lichkeit oder die Glaubwürdigkeit Menstruierter verringert. 

Dr. Fritz Hoppe-Allenberg. 


Die posthypnotischen Aufträge in ihrer phychiatrlschen and juristi¬ 
schen Bedeutung. Von Dr. med. Oberndorfer und Dr. jur. Steinharter. 
Fr. Bl. f. gerichtl. Medizin, 1904, 1905. 

Posthypnotische Aufträge existieren und können realisiert werden; ein 
Zwang für die Realisierung, eine Sicherheit der Ausführung des Auftrages ist 
jedoch nicht zu erzielen. Die posthypnotischen Aufträge werden um so eher 
ausgeführt, je gleichgültiger für das auszuführende Individuum der Auftrag 
ist, je weniger er seinem Charakter, seiner moralischen Grundanschauung ent¬ 
gegensteht. Widerspricht er seinen sonstigen Lebensgewohnheiten, so wird der 
Widerstand gegen die Suggestion gereizt und letztere wird nicht realisiert. Es 
ist daher unwahrscheinlich, daß posthypnotische Aufträge jemals eine wichtige 
Rolle in juristischer Beziehung spielen werden; die bisher beobachteten Fälle 
bieten keinen Gegenbeweis. Der Versuch, ein Verbrechen in Posthypnose aus¬ 
führen zu lassen, würde sehr irrationell sein, da er den geistigen Urheber des 
Verbrechens in die größte Gefahr der Entdeckung bringen würde. Der Post¬ 
hypnotische, laut Auftrag Handelnde ist unbedingt als beeinträchtigt in seiner 
Willensfreiheit anzusehen. Er stellt hingegen kein absolut willenloses Instrument 
dar, so daß nach dem jetzigen Stand der deutschen Gesetzgebung neben dem 
geistigen Urheber, der als Anstifter zu betrachten ist, auch der infolge post- 
hypnostischen Auftrages Handelnde bestraft werden muß. In dieser Hinsicht 
erscheint eine Aenderung der deutschen Gesetzgebung dahin angezeigt, daß die 
geminderte Zurechnungsfähigkeit als strafmildernd und in besonders schweren 
Fällen als strafaussehließend anerkannt wird. Alle diese Schwierigkeiten lassen 
erkennen, daß posthypnotische Aufträge in keiner Weise eine unberechenbare 
Gefahr für die Gesellschaft darstellen. Der beste Boden, auf dem der Hypnotismus 
gedeiht, ist die Hysterie, doch nicht der einzige. Die Hypnose ist kein einer 



Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften. 


688 


Geisteskrankheit identischer Zostand, sondern mehr dem Schlafe mit seinen 
Träumen an die Seite za stellen, ln zivilrechtlicher Beziehang ist die Hypnose 
and noch mehr die Posthypnose von verschwindend geringer Bedeutung; übrigens 
rnt bei vorkommenden Fällen nach den geltenden gesetzlichen Bestimmungen 
genügend Schutz vorhanden. Eine Aenderung der Gesetzgebung in dieser Hin¬ 
sicht erscheint daher nicht erforderlich. Dr. Rump-Osnabrück. 


Die myasthenische Paralyse vom Standpunkt des ärztlichen Sach¬ 
verständigen ans. Von Prof. Dr. L. Br uns-Hannover. Aerztl. Sachver¬ 
ständigen-Zeitung; 1906, Nr. 14 und 16. 

Bei der myasthenischen Paralyse handelt es sich um ein auf reine mo¬ 
torische Läbmungszustände sich beschränkendes Krankheitsbild, um eine Lähmung 
oder noch häufiger Schwäche in einem großen Teile der vom Gehirn und vom 
Rückenmarke versorgten Muskeln, speziell der Augen-, Gesichts-, Kau-, Gaumen-, 
Rachenmuskulatur usw. Die Muskellähmung ist jedoch keine atrophische, cs 
fehlt daher der Muskelschwund; meist fehlen auch fibrilläre Zuckungen und 
elektrische Störungen im Sinne der Entartungsreaktion. Ein klinisch noch sehr 
wichtiges Symptom sind die Störungen der Respiration in Form asphyktischer 
Anfälle, bedingt durch ein Versagen der Respirationsmuskulatur. Ausführlich 
wurde das Krankheitsbild zuerst im Jahre 1901 von Oppenheim be¬ 
schrieben: Die myasthenische Paralyse (Bulbärparalyse ohne anatomischen 
Befand; Berlin, S. Karger). 

Die Krankheit befällt im wesentlichen jugendliche Personen, am häufig¬ 
sten zwischen dem 20. und 40. Lebensjahre und zwar meistens Frauen. Der 
Verlauf ist trotz eintretender Remissionen progressiv; das Leiden ergreift all- 
mählig immer mehr Muskelgcbiete und wird in den ergriffenen immer intensiver. 
Die Diagnose der myasth. Paralyse ist, wenn mau die Symptomatologie des 
Leidens kennt, nicht schwer. Verwechselungen mit chronischer oder subakuter 
Myelitis bulbi sind möglich, auch mit Hysterie ist das Krankheitsbild öfters 
verwechselt worden. 

Die Prognose ist eine sehr ernste; die Therapie besteht in größt¬ 
möglichster körperlicher Ruhe. Obwohl es sich um ein organisches Leiden 
und keine Neurose handelt, wird ein pathol. anat. Befand nicht erhoben. 

Von forensischem Interesse ist, daß plötzliche Todesfälle an Asphyxie 
(akutes Lungenödem) Vorkommen. So hat Oppenheim im Anschluß an eine 
elektrische Reizung der Atemmuskulatur eine schwere Asphyxie und Bruns 
ein tödliches Lungenödem sich an eine Sondcnfütterung anschließen sehen. 
Diese Manipulationen, sowie eine allgemeine Narkose werden daher bei der 
Myasthenie am besten ganz unterlassen. Eine falsche Diagnose, z. B. Hysterie, 
kann zu falscher Therapie, z. B. Anordnung körperlicher Bewegung führen. 

Dr. Tröger-Adclnau. 


Beitrag zur Lehre von der katatonischen Verrücktheit. Von Oberarzt 
Dr. A. Schott-Weinsberg. Allgemeine Zeitschrift für Psychiatrie; 62. Band, 
HL Heft. 

Die beiden Beobachtungen des Verfassers erläutern aufs neue, wie 
schwierig bei manchen Psychosen im Beginn die Diagnose werden kann. Grade 
die in den letzten Jahren von den Autoren so viel behandelte Dementia präcox 
zeigt so zahlreiche Verlaufsvarianten, daß es auch einer klinischen Beobachtung 
nicht immer zu gelingen scheint, sie richtig zu erkennen. Beide Kranke des 
Verfassers sind längere Zeit von recht sachverständiger Seite für Neurastheniker 

f ehalten worden, bis der weitere Verlauf den deutlichen Uebergang in geistige 
chwäche zeigte. Bei beiden Prozessen finden sich sehr ausgesprochene hypo¬ 
chondrische Symptome, die jedoch beim Neurasthenischen wohl zu launisch¬ 
reizbarem Wesen, aber nicht zum Verlust geistiger Leistungsfähigkeit führen, 
beim Dementen aber durch Bizarrerie und Ungeheuerlichkeit, sinnlose Er¬ 
klärungsversuche („es wird Dampf in seine Geschlechtsteile getrieben“) auf¬ 
fallen, zu denen schließlich verschwommene Verfolgungs- und Größenideen 
sich gesellen. Dr. Pollitz-Münster. 



630 


Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


Zur Prophylaxe der Roheitsdelikte. Von Medizinalrat Dr. Kürz- 
Heidelberg. Monatsschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform; 
Band II., Heft 1. 

Auf Grund einer Statistik über Körperverletzungen aus dem eigenen 
Bezirke des Verfassers wird die auffallende Wechselbeziehung zwischen Roheits¬ 
vergehen und Alkoholmißbrauch erläutert. Die nähere Betrachtung ergibt 
aber, daß der Rausch meist nur das auslösende Moment ist; die Hauptursache 
für beide Uebclstände — Alkoholisraus und Roheitsdelikte — bilden die un¬ 
günstigen sozialen Lebensbedingungen der unteren Klassen und die damit zu¬ 
sammenhängende Vernachlässigung der Jugenderziehung. Hier können nur 
weitgehende Reformen prophylaktisch helfen: Verbesserung der sozialen Lage 
des Arbeiterstandes, staatliche Ueberwachung der Kindererziehung und event. 
frühzeitiges Eingreifen der Fürsorgeerziehung, wobei besondere Erziehungs¬ 
ausschüsse und Berufsvormünder mitzuwirken haben, Vertiefung der Bildung 
durch Schule und Fortbildungsunterricht. Schließlich schlägt Verfasser als ein 
Volkserziehungsmittel die Einstellung fast aller Jünglinge in das Heer vor. 
Diejenigen, welche sich nicht zum Waffendienste eigneten, sollten dann als 
Schreiber, Krankenpfleger usw. Verwendung finden. Die pathologischen Trinker 
und Raufbolde aber, denen mit derartigen Erziehungsmitteln nicht beizukommen 
ist, sind in besonderen Internaten unter Aufsicht von medizinisch und pädago¬ 
gisch geschulten Beamten unbegrenzt solange festzuhalten, als ihre durch den 
krankhaften Geisteszustand bedingte Gefährlichkeit fortbesteht. 

Dr. Fritz H o p p e - Allenberg. 


Ueber Familienmord. Von Dr. von Muralt. Monatsschrift für Kri¬ 
minalpsychologie und Strafrechtsreform; Bd. II, H. 2. 

Verfasser teilt 4 besonders charakteristische Fälle von Familienmord 
kombiniert mit mißlungenem Selbstmord mit, die zur gerichtlich-psychiatrischen 
Beobachtung der Täter Veranlassung gaben. Die Beobachtungsresultate, die 
vorhandenen Literaturangaben, sowie die Selbstmordstatistiken führen zu folgen¬ 
den Schlüssen, die am Ende der Betrachtung zusammengefaßt werden: 

„Die in neuerer Zeit so oft vorkommenden Bluttaten, bei denen ein 
Familienhaupt seine Angehörigen tötet und an sich selbst Hand anlegt, sind 
psychologisch nicht als Mord kombiniert mit Selbstmord aufzufassen, sie haben 
vielmehr die Bedeutung eines komplizierten Selbstmordes. 

Der Täter bringt seine Familie aus altruistischen Motiven um, er will 
sie, gerade wie sich selbst, durch den Tod vor weiterem Elend schützen. Für 
den verheirateten Selbstmörder erscheint der Entschluß, mit den Seinigen zu 
sterben, nicht wesentlich stärkerer Motive zu bedürfen, als der Entschluß, sich 
allein umzubringen und die anderen im Unglück zurückzulassen. 

Die Psychologie dieser Tat ist daher die gleiche, wie diejenige des 
Selbstmordes überhaupt, und die Tat findet auch in ihrem Auftreten weit¬ 
gehende Analogien beim einfachen Selbstmord. Sie kommt sowohl bei Geistes¬ 
kranken, wie bei geistig Gesunden, wahrscheinlich aber besonders häufig bei 
psychopathisch Minderwertigen vor; ihr Hauptmotiv bei Nichtgeisteskranken 
sind Kummer und Sorgen. 

Bleibt der Täter am Leben, so sollte er, insofern er nicht unzurechnungs¬ 
fähig ist, strafrechtlich anders qualifiziert werden, als der gemeine Mörder.“ 

Dr. Fritz H o p p e - Allenberg. 


Die Depressionszustfinde des höheren Alters. Von Privatdozent Dr. 
Robert Gau pp in München. Münchner med. Wochenschrift; 1905, Nr. 32. 

Bekanntlich nehmen namentlich depressive Psychosen in der zweiten 
Lebenshälfte an Häufigkeit und Schwere zu. Einzelne Formen, wie z. B. die 
Kracpelin’sche Melancholie, manche einfachen und periodischen Depressionen 
gelten hier als spezifisch präsenile und senile Erkrankungsformen. 

Die Untersuchungen des Verf. stützen sich auf 300 Depressionszustände 
bei Kranken, die bei ihrer ersten Aufnahme in die Heidelberger psychiatrische 
Klinick das 45. Jahr zurückgelegt hatten, wozu noch 51 rein oder vorwiegend 
manische Bilder kommen. Die Gruppierung der Erkrankungen erfolgte nach 
folgender Tabelle: 

1. Nur manische Erkrankungen, 



Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften. 


631 


2. Manisch-depressiv auf erheblichem Ueberwiegen der manischen Phasen 
nach Häufigkeit, auer Dund Stärke, 

3. Manisch-depressiv mit annähernd gleicher Entwikelung beider Phasen, 

4. Manisch-depressiv mit Ueberwiegen der Depressionen, 

5. Einmalige Depression von Charakter der zirkulären, 

6. Periodische Depressionen, 

7. Melancholie, 

8. Senile Depressionen verschiedener Form, 

9. Arteriosklerotische depressive Erkrankungen, 

10. Akute Angstpsychose, 

11. Depressionsznstände bei Lues cerebri, 

12. Depressive Form der Paralyse, 

13. Traumatische Neuropsychose depressiver Färbung, 

14. Epileptische Depressionen (Angstpsychose, Verstimmungen), 

16. Zwangsvorstellungen mit periodischen Steigerungen, 

16. Andere Formen depressiver Erkrankungen. 

Verfasser bespricht nun in breiten Ausführungen die wesentlichen Ver¬ 
schiedenheiten der Formen und Verlaufsarten der einzelnen Gruppen. Da es 
jedoch unmöglich erscheint, den überaus reichen Inhalt der höchst interessanten 
Ausführungen des Verfassers im Rahmen eines Referates auch nur in den all¬ 
gemeinsten Umrissen zu skizizeren, möge hiermit auf die Orginalarbeit hin¬ 
gewiesen sein. _ Dr. Waibel-Kempten. 

Die akuten Gefängnispsychosen und ihre praktische Bedeutung. Von 

Dr. Mönkemöller. Monatsschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechts¬ 
reform; I, Seite 681. 

Verfasser gibt eine Zusammenstellung der nach der Osnabrücker Irren¬ 
anstalt überführten, akuten Gefängnispsychosen während der ersten 35 Jahre 
des Bestehens dieser Anstalt, die 115 Fälle umfaßt. Im Anschlüsse daran 
schildert er den gewöhnlichen Verlauf dieser Krankheiten, die Umstände, die 
ihnen ihr eigentümliches Gepräge aufdrücken, und insbesondere die Schwierig¬ 
keiten, die einer rationellen Weiterbehandlung nach Abklingen bezw. Heilung 
der akuten Störungen entgegenstehen und durch den Mangel an geeigneten 
Anstalten wie an gesetzlicken Handhaben begründet sind. Bevor die psychia¬ 
trischen Zukunftsträume bezüglich der kriminellen Kranken erfüllt werden 
können, kommt gegenwärtig in praxi die Prophylaxe hauptsächlich in Frage, 
um die bestehenden Uebelstände zu mildern. Deshalb fordert Verfasser ähn¬ 
lich wie Heilbronner: 1. bessere psychiatrische Ausbildung der Gefängnis¬ 
ärzte, die nicht im Nebenamte, sondern vollbcsoldet angestellt werden müßten, 
2. psychiatrische Unterweisung der Gefängnisaufseher, die sich künftighin mög¬ 
lichst zahlreich aus Irrcnanstaltswärtern zu rekrutieren hätten, 3. Vorbildung 
sämtlicher, auch der oberen (Staatsanwalt, Direktor) Gefängnisbeamten in ent¬ 
sprechenden Kursen, 4. ausgiebige, psychiatrische Untersuchung der Gefangenen 
bei ihrer Einlieferung mit Erhebung einer genauen Vorgeschichte, 5. Errichtung 
von möglichst vielen Strafanstaltsadnexen, die Verfasser für am geeignetsten 
zur Behandlung der akuten Haftpsychosen hält. Zum Schlüsse empfiehlt er, 
bei solchen bereits geheilten Gefangenen, die ihre Strafe noch nicht völlig ab¬ 
gemacht hätten und bei denen die Rückführung in den Strafvollzug einen 
erneuten Ausbruch der Psychose befürchten ließe, recht häufig das Verfahren 
wieder aufzunehmen; denn öfters könne man dann die Anfänge der Geistes¬ 
krankheit bis zur Straftat zurückverfolgen, so daß der § 51 R. St. G. B. in 
Wirkung träte, während z. Z. der Verurteilung vielleicht gar keine Zweifel an 
der Unzurechnungsfähigkeit aufgetaucht wären. Jenen Geheilten aber, bei 
denen dieses Mittel unmöglich sei und deren gesundheitliches Interesse trotz¬ 
dem eine Aufhebung der noch zu verbüßenden Strafzeit erforderlich mache, 
müßten durch Herbeiführung eines Gnadenerlasses die Fährlichkeiten aus dem 
Wege geräumt werden. Die Handhabung der vorläufigen Entlassung nach 
§ 23 R. Str. G. B. kommt deshalb gewöhnlich nicht in Frage, weil die Haft¬ 
psychosen oft bereits am Anfänge der Strafzeit cinsetzcn und nicht erst nach 
Verlauf von */♦ derselben. Dr. Fritz Hoppe-Allenberg. 



682 


Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften. 


Fürsorge für die Geisteskranke in England und Schottland. Von 

Prof. Dr. E. Meyer*Königsberg. Archiv für Psychiatrie; 39. Bd., 8. H. 

Die englische Irrengesetzgebung gibt mancherlei wertvolle Gesichtspunkte 
für eine spätere gesetzliche Regelung des Irrenanstaltswesens in Deutschland. 
An der Spitze der Organisation steht eine Aufsichtsbehörde, die mit weitgehender 
Vollmacht und Rechten ausgerüstet alle Anstalten für Geisteskranke, Schwach¬ 
sinnige, Familienpfleglinge zu überwachen und zu konzessionieren hat. Sie 
besteht aus zwei besoldeten ärztlichen und drei unbesoldeten Laien-Mitgliedern; 
keiner dieser darf aber anderweitig im Irrenwesen beschäftigt sein. Die Macht¬ 
befugnis der Kommission erstreckt sich in erster Linie auf alle privaten Ein¬ 
richtungen für Geisteskranke und wird unterstützt durch enge Beziehungen 
zu den höchsten Gerichten und durch das Recht, in gewissen Fällen selbständig 
Geldstrafen bis 2000 Mark zu verhängen. Als eine wenig lobenswerte Ein¬ 
richtung schildert Verfasser die umständlichen und peinlichen Vorschriften über 
die Aufnahme Geisteskranker in private Irrenanstalten, die die Familien viel¬ 
fach abhalten, notorisch Kranke den Anstalten zuzuführen, um das unangenehme 
ööentliche Verfahren zu vermeiden. Es besteht daher auch in irrenärztlichen 
englischen Kreisen der dringende Wunsch, an den größeren Krankenanstalten 
Irrenstationen anzugliedern, um eine vereinfachte Aufnahme zu ermöglichen. 
8ie sollen gleichzeitig als Kliniken der Forschung dienstbar gemacht werden. 
Einen sehr günstigen Eindruck gewann der Verfasser von der Einrichtung der 
öffentlichen Irrenanstalten, deren oft luxuriöse Ausstattung er besonders her¬ 
vorhebt. Auch die in Schottland studierte Familienpflege machte einen sehr 
günstigen Eindruck; fast der sechste Teil der Geisteskranken war in dieser 
Weise untergebracht. _ Dr. Pollitz-Münster. 


Praktische Erfahrungen bet Entmiindignng Trunksüchtiger. Von 
Reg.- und Geh. Med.-Rat Dr. Wehmer-Berlin. Aerztl. Sachverständigen- 
Zeitung; 1905, Nr. 15. 

Dem Artikel liegen 32 Entmündigungsfälle wegen Trunksucht im Landes¬ 
polizeibezirk Berlin zugrunde in den Jahren 1901-04. Es wird zunächst der 
dringende Wunsch ausgesprochen, daß auch den Staatsanwaltschaften (neben 
den Angehörigen und Gemeinden), gleichwie bei Geistesstörungen, so auch bei 
Trunksucht das gesetzliche Recht verliehen würde, die Entmündigung von 
Amtswegen zu beantragen. 

Aus den Lebensläufen ging hervor, daß den wegen Trunksucht Ent¬ 
mündigten das gewerbliche Fortkommen ungemein erschwert ist aus Vor¬ 
urteilen gegen sie. Aerztlich ist daher die Forderung richtig, daß auch ohne 
Entmündigung Trunksüchtige zur Heilung zwangsweise auf die erforderliche 
Zeit in Anstalten gegen ihren Willen zurückgehalten werden können und daß 
die Entmündigung erst dann eintritt, wenn alle Heilversuche vergeblich sind. 

Dauerheilung ist nur bei jugendlichen Personen zu erwarten. Mit Rück¬ 
sicht auf die wiederzuerlangende Erwerbsfähigkeit durch die Behandlung in 
einer Trinkerheilanstalt kann man annehmen, daß dies um so weniger zu er¬ 
warten ist, je älter der Trinker ist. 

Die Trunksuchtsentmündigung ist, wenn ihr auch Mängel anhaften, als 
ein Fortschritt mit Dank zu begrüßen; zu wünschen wäre, daß Bestimmungen 
getroffen würden, welche die zwangsweise Zurückhaltung Trunksüchtiger in 
den Heilanstalten, denen sie überwiesen wurden, einführten. Auch die Zeit, 
nach welcher die Entmündigung wieder aufgehoben wird, ist nach ärztlicher 
Anschauung in der Regel zu kurz bemessen. Dr. Troeger-Adelnau. 


B. Sahverständigentätigkeit in Unfall- und Invalidität-s 

8 a c h e n. 

Geschwulst im Kleinhirne; ob dnreh Einwirkungen von zweimaligem, 
sehr starkem Kurzsclilnss, insbesondere dnreh die dabei eingetretene 
Schreckwirkung entstanden oder wesentlich verschlimmert? Aerztliches 
Obergutachten von Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Flechsig in Leipzig; unter 
dem 6. September 1904 auf Veranlassung des Reichs-Versicherungsamts 
erstattet. Amtliche Nachrichten des Reichs-Versicherungsamts; 1905, Nr. 9. 



Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften. 


688 


Der Gutachter gibt zunächst an der Hand der Akten ein Bild von dem 
Krankheitsverlauf und faßt dies schließlich wio folgt kurz zusammen: 

„Der 25 jährige Mann leidet schon längere Zeit an Kopfschmerzen und 
Anämie, März 1901 erschrickt er über eine Flammenerscheinung infolge Kurz¬ 
schlusses, am Abend bestehen nach Angaben eines Zeugen Erbrechen und 
Kopfschmerz; von diesem Zeitpunkt an geht angeblich das Sehvermögen des 
rechten Auges zurück; am ö. April 1901 erfolgt wieder starker Schreck über 
Kurzschluß. Kopfschmerzen und Erbrechen steilen sich von neuem ein, außer¬ 
dem starkes Schwindclgefühl. Der Kranke muß bald die Arbeit völlig ein¬ 
stellen, und es entwickelt sich fortschreitend ein schweres Leiden, dessen 
Hauptsymptome schließlich folgende sind: Erbrechen, Hinterkopfschmerz, Un¬ 
vermögen, sich auf den Beinen zu halten (Ataxie), ohne daß wirkliche Lähmung 
besteht, Abnahme der Sehschärfe, zunächst auf ein Auge beschränkt, Puls¬ 
verlangsamung, allgemeine Störung der Körperernährung. Dieser Symptomen- 
komplex entwickelt sich bis zu seiner Vollständigkeit während einer l 8 /* jährigen 
Beobachtung.“ Er fährt dann fort: „Hält man diesen klinischen Befund zu¬ 
sammen mit dem, wie er bei der Autopsie') sich ergeben hat, so kann es 
keinem Zweifel unterliegen, daß wir ein vollkommen einheitliches Krankheits¬ 
bild vor uns haben. Die Diagnose „traumatische Neurose“ war eine irrige. 
Ich erkenne auch die Gehirngeschwulst als Todesursache an; Lungenentzündung 
der Art, wie sie bei V. bei der Sektion gefunden wurde, ist bei derartigen 
Leiden, die mit Schädigung des Atem- und Schlingzcntrums im verlängerten 
Marke einhergehen, eine häufige Folge des Hirnleidens (Schluckpneumonie). 
Ueber die Aetiologie, über den Beginn des Leidens und über die Bedeutung 
der Erscheinungen direkt nach dem Kurzschlüsse bin ich dagegen ganz anderer 
Ansicht als Dr. T. 

Dr. T. nennt den gefundenen festen Tamor ein Gliom oder Gliosarkom, 
die Zyste betrachtet er als apoplektische Zyste. Eine mikroskopische Prüfung 
dieser Diagnose ist zurzeit nicht mehr möglich, da Tumor und Zyste nicht 
aufbewahrt worden sind. Die Konstruktion des Zusammenhanges zwischen 
Unfällen und Entwickelung der Geschwulst ist jedenfalls außerordentlich 
gesucht. Dr. T. muß dazu das Auftreten von drei sehr seltenen Prozessen 
bei demselben Individuum annehmen. 

1. Das Auftreten von Hirnblutungen nach Schreck ist wohl möglich, 
aber nur denkbar bei vorhergehender Schädigung des Gefäßapparats; hier 
handelt es sich um einen jungen Mann, bei dem von syphilitischer Erkrankung, 
die am häufigsten noch bei jugendlichen Personen die Wand der Blutgefäße 
schädigen kann, nichts bekannt ist. 

2. Blutungen in das Kleinhirn sind erfahrungsgemäß sehr selten; daß 
solche speziell nach Schreck auf treten, ist empirisch nicht erwiesen. 

8. Daß Hirnblutungen, beziehungsweise die Reste einer solchen, den 
Anstoß zu Wucherung von Gewebsteilen, also zu Geschwulstbildung geben 
können, ist wohl behauptet worden, Angaben eines derartigen Zusammenhanges 
sind aber mit Vorsicht zu beurteilen. Ob nicht der Tumor vorher schon vor¬ 
handen war und erst die Blutung durch Schädigung des umgebenden Gewebes 
veranlaßt hat, wird sich stets schwer entscheiden lassen. Das geben jedoch 
auch die Anhänger dieser Theorie zu, daß ein ursächlicher Zusammenhang 
zwischen Blutung und Geschwulstbildung ein ganz seltenes Ereignis bilden dürfte. 

Es fragt sich, ob man das Wesen des Tumors nicht anders auffassen 


‘) Nach dem Sektionsprotokolle: „Hydrocephalus aller Gehirnkammern. 
In der rechten Kleinhirnhalbkugel befindet sich eine etwas über taubeneigroße 
Zyste mit gelblich klarem Inhalt und glatter Auskleidung, sich in den 4. Ven¬ 
trikel vorbuchtend und denselben vollständig abschließend. Daneben an der 
Unterwand des Kleinhirns sieht man einen kirschengroßen runden Knoten, 
mäßig fest und oberflächlich hellgelb-bräunlich-rötlich-fleckig und mit starker 
Gefäßinjektion. Der Durchschnitt des Tumors ist lappig geformt, quillt etwas 
vor, ebenfalls gelblich-bräunlich, leicht gekörnt. Der Tumor läßt sich ziemlich 
leicht ausschälen. Der rechte Opticu3 (Sehnerv) ist grau degeneriert, der 
linke flachgedrückt. Das verlängerte Mark ist ganz flachgedrückt. Ueber 
dem rechten Unterlappen der Lunge verbreitete Bronchopneumonie (Lungen¬ 
entzündung.)“ 



634 


Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften. 


kann» Meiner Ansicht nach kann man bei der Beschreibung des pathologischen 
Befundes an zweierlei denken: einmal kann es sich am Zystizerken handeln 
(Blasenwnrmfinne einer gewissen Bandwurmart [Taenia solium]). Diese Finnen 
finden sich nicht selten in der vierten Hirnkammer und ihrer Umgebung. Die 
Zyste mit klarem Inhalte wäre dann als noch wenig veränderte (resp. lebende) 
Finne aufzufassen, während der feste Tumor als abgestorbene Finne mit ein¬ 
gedicktem, beziehungsweise verkalktem Inhalt (absoleter Cysticercus) anzusehen 
wäre. Daß eine derartige Erkrankung nie durch Schreck, sondern nur durch 
Infektion mit Bandwurmeiern entstehen kann, soll gleich hier bemerkt werden. 

Die zweite Erklärung des pathologischen Befundes, die eine gewisse 
Wahrscheinlichkeit für sich hat, ist die, daß man die Zyste als erweichten Teil 
eines Tumors ansieht, eine bei Hirntumoren nicht seltene Erscheinung. In 
diesem Falle hätte es sich meiner Meinung nach nicht um Gliom, sondern um 
Sarkom gehandelt, da Gliome im allgemeinen sich nicht so leicht aus der um¬ 
gebenden Hiramasse herausschälen lassen, wie von dem vorliegenden Tumor 
berichtet wird. 

Daß Schreck Ursache zur Entwicklung einer solchen Hirngeschwulst sein 
kann, widerspricht im allgemeinen den Anschauungen, die wir über die Pa¬ 
thogenese der Geschwülste innerhalb der letzten Jahrzehnte gewonnen haben. 

Ein genaues Aktenstudium zeigt aber auch, daß die Entwicklung des 
Tumors, sei er nun parasitär oder eine wirkliche Neubildung gewesen, schon 
vor den Unfällen begonnen hat. V. ist schon vor den Unfällen wegen Kopf¬ 
schmerzen, Augenflimmern und hochgradiger Blutarmut in Behandlung gewesen. 
Kopfschmerzen sind nicht selten ein Frühsymptom der in Entwicklung begriffenen 
Geschwulst; die Blutarmut kann verschieden erklärt werden. Einmal findet 
man als Begleiterscheinung bei bösartigen Geschwülsten oft hochgradige 
Störung des Allgemeinernäherungszustandes (Geschwulstcachexie), zweitens ist 
es im vorliegenden Falle nicht unwahrscheinlich, daß schon früher die Ernährung 
durch häufiges Erbrechen gelitten hat, was V. später vielleicht aus begreif¬ 
lichen Gründen verschwiegen hat. V. hat sich zurzeit der in Frage kommen¬ 
den Unfälle sicher schon krank fühlt, sonst hätte er mit großer Wahrschein¬ 
lichkeit gleich damals die stürmischen Erscheinungen auf die Unfälle bezogen. 

Ferner ist es wichtig, daß sich angeblich gleich nach dem ersten Unfälle 
das Sehvermögen des rechten Auges verschlechtert hat. Es hat sich damals 
wohl schon um Stauungspapille gehandelt, auf die höchstwahrscheinlich auch 
das oben erwähnte Augenliimmern schon zu beziehen war. Daß im Kranken¬ 
haus in.eine dementsprechende Untersuchung wahrscheinlich 

garnicht stattgefunden hat, habe ich schon erwähnt. Wenn das Gesichtsfeld 
in dem eben erwähnten Krankenhause „nicht eingeschränkt“ gefunden wurde, 
so beweist das nichts gegen meine Annahme, da bei Stauungspapille das Ge¬ 
sichtsfeld noch lange annähernd normal bleiben kann. Erfahrungsgemäß aber ist 
Stauungspapille recht häufig ein Frühsymptom gerade bei Kleinhirngeschwtilsten. 
Diese Stauungspapille würde aber nicht zu erklären sein, wenn man sich der 
Ansicht des Dr. T. anschließen wollte; denn Stauungspapille direkt im An¬ 
schluß an Hirnblutung ist bisher noch nicht beobachtet worden. Bis zu der 
Entwicklung einer apoplektischen Zyste, die in seltenen Fällen wohl Druck¬ 
erscheinungen hervorrufen kann, vergeht aber mindestens ein Zeitraum von etwa 
einem Monat. 

Wenn V. wirklich erst direkt nach dem Unfälle die Verschlechterung 
seines rechten Auges bemerkt hat, so liegt dies wohl daran, daß er gelegentlich 
der Blendung zufällig jedes Auge einzeln geprüft hat und dadurch auf die 
Verschlechterung des rechten Auges aufmerksam geworden ist. 

Nach alledem komme ich zu dem Schlüsse, daß die durch die Sektion 
festgestellte Hirngeschwulst nicht durch die Unfälle vom März beziehungs¬ 
weise 5. April 1901 verursacht worden ist. 

Hinsichtlich der Frage, ob die Unfälle bei V. eine Verschlimmerung des 
Leidens hervorgerufen haben, bemerke ich folgendes: 

Ich will die Möglichkeit, daß durch Schreck eine Blutung in einen Teil 
des Tumors und dann sekundär Umwandlung dieses Teiles in eine Zyste er¬ 
folgen konnte, nicht ganz von der Hand weisen, muß jedoch betonen, daß eine 
derartige Umwandlung auch ohne irgend welchen äußeren Einfluß vonstatten 
gehen kann. Eine wesentliche Verschlimmerung durch die Unfälle würde ich 




Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


635 


aber auch bei einer derartigen Annahme im vorliegenden Falle nicht anerkennen 
können. Zur Zeit der Unfälle bestand höchstwahrscheinlich schon Stauungs¬ 
papille, woraus hervorgeht, daß das vorhandene Leiden damals schon fort¬ 
schreitend war. Bis zum Eintritt des Todes sind dann noch l*/4 Jahr ver¬ 
flossen, eine für den Verlauf einer derartigen Erkrankung nicht ungewöhnliche 
Dauer. Auch wenn ich die Zeugenaussagen, nach denen V. gerade an diesen 
Tagen über heftige Kopfschmerzen und Erbrechen geklagt hat, berücksichtige, 
kann ich zu keinem anderen Ergebnisse gelangen. Die heftige Schreckwirkung 
war wohl erst eine Folge des Hirnleidens, indem das kranke Gehirn viel hef¬ 
tiger auf den Schreck reagierte, als ein gesundes es getan haben würde. 

Meiner Meinung nach ist das Leiden V.s durch die beschuldigten Un¬ 
fälle auch nicht „wesentlich“ verschlimmert worden, denn selbst wenn man 
auch die heftige Schreckwirkung als momentane Verschlimmerung betrachten 
will, so kann man doch behaupten, daß der Gesamtverlauf dadurch nicht 
wesentlich beeinflußt worden ist. 

Das Reichs-Versicherungsamt hat auf Grund des vorstehenden Ober¬ 
gutachtens angenommen, daß V. bereits vor den als „Unfällen“ bezeichneten 
Betriebsvorgängen vom März und 5. April 1901 an einer Gehirngeschwulst 
gelitten hat, und daß dieses Leiden, das zu seinem Tode geführt hat, durch 
jene Vorgänge nicht wesentlich verschlimmert worden ist. Demgemäß ist der 
von V. geltend gemachte und von seinen Erben weiter verfolgte Entschädigungs¬ 
anspruch für unbegründet erachtet. 


Ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Schlaganfall und der 
Betriebstätigkeit (Emporwinden eines mit Kohlen beladenen Wagens 
mittels einer Kabelwinde). Betriebsunfall liegt vor. Rekurs-Ent¬ 
scheidung des Reichs-Versicherungsamts vom 12. April 1905. 

Das Rekursgericht ist zunächst davon ausgegangen, daß der Kläger 
zweifellos an einer Verkalkung der Gehirngefäße gelitten hat, die indes noch 
nicht erheblich vorgeschritten sein konnte; da er bis zu dem Unfall vollkommen 
gesund war, und da störende Erscheinungen, wie sie bei schwereren Gefä߬ 
erkrankungen aufzutreten pflegen, bis dahin nicht aufgetreten waren. Ins¬ 
besondere ist der Kläger, wie der Zeuge W. in glaubhafter Weise bekundet 
hat, am Morgen kurz vor dem Unfall frisch und munter gewesen und hat 
weder im Aussehen noch in seinem Verhalten einen krankhaften Eindruck ge¬ 
macht. Er hat sich also offenbar bis zum Unfälle in einem Gesundheitszustände 
befunden, der ihm die Ausführung gewöhnlicher körperlicher Anstrengungen 
gestattete. Weiterhin ist durch die Aussage des Zeugen W. festgestellt, daß 
die Kabelwinde, an der dieser und der Kläger zu arbeiten pflegten, zur Er¬ 
reichung flotter Förderung von drei Männern bedient wird, daß aber, wenn ein 
Mann krank wird, zwei Mann die Arbeit verrichten. Das Rekursgericht konnte 
der Ansicht der Beklagten, daß die von dem Zeugen und dem Kläger aus¬ 
geführte Arbeit für keinen von ihnen besonders große, körperliche Anstrengungen 
erfordert hätte, nicht beitreten. Schon der Umstand, daß die Winde unter 
Umständen von drei Personen bedient wird, spricht mit Sicherheit dafür, daß 
diese Arbeit, wenn sie von zwei Männern vorgenommen wird, für diese mit 
sehr schweren körperlichen Anstrengungen verbunden ist. Hierzu tritt aber 
noch als die Arbeit erheblich erschwerend, daß die Bauart der Kabelwinde die 
Arbeiter zwingt, bei dem jedesmaligen Niederdrücken der Kurbel in regel¬ 
mäßiger taktmäßiger Wiederholung eine gebückte Haltung anzunehmen. Hier¬ 
durch werden naturgemäß stärkere Blutansammlungen nach dem Gehirn und 
damit ein erhöhter Druck auf die Blutgefäße hervorgerufen, denen nur voll¬ 
kommen gesunde Gefäßwandungen auf die Dauer stand zu halten vermögen. 
Der von der Beklagten geltend gemachte Umstand, daß die Arbeit auch von 
einem Arbeiter allein verrichtet werden könne und tatsächlich vom Zeugen W. 
ausgeführt worden sei, läßt sich nicht zu ungunsten des Klägers verwerten; 
denn der Zeuge hat ausdrücklich hervorgehoben, daß, wenn die Arbeit von 
einem Mann geleistet würde, ein kleineres Rad eingelegt würde, daß sie aber 
auch dann noch eine sehr schwere sei und den Arbeiter zum häufigen Ausruhen 
zwinge. Der Zeuge hat auch, als der Kläger plötzlich zusammcnbrach, ledig¬ 
lich den bereits in halber Höhe befindlichen Wagen ohne Unterstützung vollends 
empor gewunden, eine Tätigkeit, die zweifellos eine ganz außergewöhnlich an- 



636 


Kleinere Mitteilungen nnd Referate ans Zeitschriften. 


strengende nnd nur durch die besonderen Umstände, unter denen sie erfolgte, 
bedingt war. Bei dieser Sachlage hat es das Bekursgericht zum mindesten 
als überwiegend wahrscheinlich angenommen, daß der Schlaganfall durch die 
Betriebstätigkeit hervorgemfen worden ist. Jedenfalls aber hat die Betriebs¬ 
arbeit zur Entstehung des Anfalles als eine von mehreren Ursachen ent¬ 
scheidend mitgewirkt. In dieser Annahme ist es noch durch das einen ähnlich 
liegenden Fall behandelnde, in den Amtlichen Nachrichten des R.-V.-A. ab¬ 
gedruckte Obergutachten des Professors Dr. Fürbringer in Berlin vom 
26. Oktober 1897') bestärkt worden, wonach die Tatsache, daß der Verletzte 
bereits seit längerer Zeit die gleichen anstrengenden Arbeiten ohne schädigende 
Folgen ausgeführt habe, nicht gegen einen ursächlichen Zusammenhang ver¬ 
wertet werden dürfe. Kompaß; 1905, Nr. 18. 


Grad der Erwerbsverminderung bei Verlust des rechten Mittel« 
Angers, fehlerhafter Haltung und Schwäche des Zeigefingers. Revisions- 
EntscheidungdesReichsversicherungsamtsvom 25. April 1905. 

Nach dem eingeholten Gutachten kann es als tatsächlich festgestellt 
erachtet werden, daß der Kläger infolge des Unfalls in dem Gebrauche seiner 
rechten Hand insofern beschränkt ist, als der Mittelfinger vollkommen fehlt 
und der Zeigefinger bei gestreckter Haltung der Hand eine von der Norm 
erheblich abweichende Stellung kleinfingerwärts angenommen hat. Die früher 
vorhandene Muskelabinagerung des rechten Armes ist geschwunden und der 
Faustschluß besser geworden, weil der Zeigefinger ziemlich fest in die Hand¬ 
fläche hinein gedrückt werden kann. . . . Die dadurch bedingte Einbuße an 
Erwerbsfähigkeit wäre getrennt auf etwa 15 und 10 °/ 0 zu veranschlagen. Nach 
den ärztlichen Feststellungen ist jedoch ohne weiteres zuzugeben, daß die 
Verhältnisse an der verletzten Hand zur Zeit des Eintritts der Entschädigungs¬ 
pflicht der Beklagten schlechter gelegen haben. Immerhin kann im Durch¬ 
schnitt die gewährte Teilrente von insgesamt 30 °/ 0 als ausreichend angesehen 
werden. Was also die Höhe des Entschädigungssatzes anlangt, so war der 
Rekurs als unbegründet zu erachten. Kompaß; 1905, Nr. 18. 


C. Bakteriologie, Infektionskrankheiten und öffentliches 

Sanitäts wesen. 

Die Durchgängigkeit des Magendarmkanals neugeborener Tiere für 
Bakterien und genuine Eiweissstoffe. Von Dr. Albert Uffenheimer aus 
dem hygienischen Universitäts- Institut. München 1905. Münchener med. 
Wochenschrift; Nr. 32. 

Verfasser gibt in vorläufiger Mitteilung die Hauptergebnisse seiner 
Studien und Untersuchungen bekannt. Aus zahlreichen Fütterungsversuchen 
mit dem Micrococcus tetragenus, dem Milzbrandbacillus, dem Tuberkelbacillus, 
sowie dem Bacillus prodigiosus bei Meerschweinchen ging hervor, daß der 
Magendarmkanal dieses Tieres, auch in der Zeit direkt nach der Geburt, für 
Mikroben nicht durchgängig ist, mit alleiniger Ausnahme des Tuberkelbacillus. 
Bei diesem folgte regelmäßig der einmaligen Verfütterung, auch von recht ge¬ 
ringen Kulturmengen, eine Erkrankung der Tiere an Tuberkulose. Ein solue 
trat aber ebenso bei alten Meerschweinchen ein; es kommen lediglich, dem ver¬ 
schiedenen Alter und der verschiedenen Größe der Tiere entsprechend, Unter¬ 
schiede in der zur Infektion erforderlichen Kulturmenge in Betracht. 

Die Fütterungsversuche mit genuinen Eiweißen ergaben, daß von einem 
spezifisch hämolytischen 8erum und von Kuhmilchkasein bei den neugeborenen 
Meerschweinchen nicht resorbiert wurde. Von Hühnereiweiß wurde nur aus¬ 
nahmsweise eine geringe Quantität ins Blut aufgenommen. Antikörper wurden 
nach der Verabreichung der 3 beschriebenen Eiweißstoffe nie gebildet. 

Bei Verfütterung von Diphtherie- und Tetanusantitoxin trat aber (bis 
auf einen einzigen Fall) bei den neugeborenen, jedoch nicht bei einem alten, 
Meerschweinchen ein Uebergang kleiner Mengen ins Blut auf. 

Aus diesen Untersuchungen ergab sich die Regel, daß beim neugeborenen 
Meerschweinchen im allgemeinen weder Bakterien noch genuine Eiweißstoffe 


■) Siehe Nr. 8 dieser Zeitschrift für 1898, S. 89. 



Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


637 


von der M&gendarmschleimliaut aufgenommen werden mit Ausnahme der Tu- 
berkelbazillen und der Antitoxine. 

Bei Kontrollversuchen an neugeborenen Kaninchen wurde der Uebergang 
von Bacillus prodigiosus und von Hühnereiweiß geprüft, wobei sich regelmäßig 
die Resorption ziemlich ansehnlicher Mengen sowohl des Bacillus, als des 
Eiweißstoffes ergab. Hierdurch ist der exakte Beweis geliefert, daß der ln* 
testinaltraktus des neugeborenen Meerschweinchens den genuinen Eiweißkör- 

5 ern und den Bakterien gegenüber ein anderes Verhalten zeigt, wie der des 
Kaninchens und anderer entfernter stehender Tierarten. 

_ Dr. Waibei-Kempten. 


Veber die Keimdichte der normalen Schleimhaut des Intestinal* 
traktus. Von Prof. M. Ficker. Aus dem hygienischen Institut der Universität 
Berlin, Direktor: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. R u b n e r. Arch. f. Hyg.; Bd. 52, H. 2. 

Ficker weist in sehr peinlich angelegten Versuchen nach, daß die 
normale Darmschleimhaut erwachsener Tiere sich bezüglich der Resorption von 
Bakterien verschieden verhält. Während bei erwachsenen Hunden und Katzen 
der Nachweis mit der Nahrung eingefuhrter Bakterien in den inneren Organen 
nie gelang, war dies bei erwachsenen Kaninchen in 3 unter 8 Fällen wenige 
Stunden nach der Fütterung der FalL Bei jungen säugenden Tieren, glcich- 
giltig welcher Gattung, konnten verfütterte Bakterien stets 1—2 Stunden nach 
der Fütterung in Blut, Leber, Milz, Mesenterialdrüsen nachgewiesen werden. 

Weitere Versuche zeigten, daß die Resorption nicht schon im Magen, 
sondern nur im Darm vor sich geht. Dr. Lentz-Saarbrücken. 


Der Einfluss hoher Temperaturen auf den Schmelzpunkt der Nähr¬ 
gelatine. Von Dr. Walter Gaehtgens. Aus dem hygienisch-bakteriolog. 
Institnt zu Strasburg i. Eis. Archiv für Hyginee; 52. Bd., H. 3/4. 

Nach den Untersuchungen des Verfassers sinkt der Schmelzpunkt steri¬ 
lisierter Nährgelatine mit zunehmender Höhe, der zur Sterilisation verwandten 
Temperatur, wie auch mit steigendem Alkaleszenzgrade der Gelatine; er steigt 
mit der Dauer, der zwischen Sterilisation bezw. Erstarren und der Wieder¬ 
verflüssigung verstrichenen Zeit. Die stärkste Herabsetzung erfährt der 
Schmelzpunkt in der ersten Viertelstunde der Sterilisation der Gelatine, wäh¬ 
rend bei länger dauernder Sterilisation die weitere Herabsetzung des Schmelz¬ 
punktes relativ viel geringer ist. Mit höherem Gclatinegehalt steigt die Kon¬ 
sistenz der Nährgelatine bedeutend, ihr Schmelzpunkt dagegen relativ nur wenig. 

Da in 20 u /oiger Nährgelatine verschiedene Bakterien schlecht gedeihen, 
empfiehlt sich die Verwendung 10°/oiger Nährgelatine, die man zweckmäßig 
mittelst steriler Nährbouillon in vorher sterilisierten Gefäßen bereitet und 
sodann einmal 35—40 Minuten lang auf 100° erhitzt. 

Dr. Lentz-Saarbrücken. 


Experimentelle Beiträge zur Theorie und Praxis der Gruber-Widal- 
schen Agglutinationsprobe. Von Dr. Robert Scheller, Assistenten am 
Königlichen hygienischen Institut zu Königsberg i. Pr. Dir.: Prof. Dr. R. 
Pfeiffer. Zentralblatt für Bakteriologie; 1. Abt., Orig. Bd. 38, H. 1. 

Scheller macht auf die Schwierigkeiten aufmerksam, welche häufig 
sich der Beurteilung der Widalschen Reaktion entgegenstellen, und führt als 
Beleg Untersuchungs-Resultate an, welche im hygienischen Institut in Königs¬ 
berg i. Pr. an Seris von Typhuskranken gewonnen wurden. Es fanden sich 
da Sera, welche bei Anstellung der Agglutinationsprobe in schwachen Ver¬ 
dünnungen so energisch Typhusbazillen agglutinierten, daß es den Anschein 
hatte, als ob der Titer der Sera sehr hoch liegen müsse, während das betreffende 
Serum in stärkeren Verdünnungen nur noch sehr schwach oder überhaupt keine 
Reaktion mehr gab. Bei anderen Seris wieder trat die Reaktion so langsam 
in die Erscheinung, daß man geneigt sein konnte, die Diagnose eines neagtiven 
Widal zu stellen, während das Serum tatsächlich bei genügend langer Beobach¬ 
tung der angesetzten Proben (bis zu 20 Stunden) sich als stark positiv erwies. 
Während andere Sera in allen angesetzten Verdünnungen trotz hohen Titers 
nur unvollkommene Agglutination ergaben, reagierten wieder andere Sera, in 
den Verdünnungen 1: 10—1 : 80 überhaupt kaum, gaben aber in stärkeren 



688 


Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


Verdünnungen gute Agglutination (Hemmung der Reaktion in schwächeren 
Serumverdünnungen). 

Derartige Abweichungen vom normalen Ablauf des Agglutinationsverlaufs 
müssen notwendigerweise den Weniggeübten zur Stellung falscher Diagnosen 
verleiten. Scheller fordert deshalb, daß mit solchen Untersuchungen nur 
Zentralstellen beauftragt werden, denen tüchtige spezialistisch geschulte Kräfte 
zur Verfügung stehen. Dr. Lentz-Saarbrücken. 


Ueber den Einfluss des Temperaturoptimums von 66° C. auf die 
Agglutination beim Flckerschen und W Maischen Versuche. Von k. u. k. 
Stabsarzt Dr. Karl Sadler. Berliner klin. Wochenschrift; 1905, Nr. 10. 

E. W e i 1 hat gezeigt, daß für die Agglutination der Typhusbazillen des 
Temperaturoptimum zwischen 50° und 56 °C. gelegen ist. Verfassers Ver¬ 
suche ergaben, daß die Agglutination sowohl beim Fick er sehen, als beim 
makro- und mikroskopischen Widalschen Versuch durch die Temperatur von 
65 °C. ungemein günssig beeinflußt wird, daß der Fick er sehe Versuch sowohl 
bei 87°C., als bei 55 0 C. dem unter gleichen Kautelen ausgeführten Widal¬ 
schen mit dem benutzten Typhusstamm bedeutend überlegen erscheint, und daß 
der Fick er sehe Versuch auch bei 55° C. rascher zum Ziele führt, als der 
mikroskopische Widal bei 87°C._ Dr. Räuber-Köslin. 

Ueber die makroskopische Agglutinationsprobe bei Typhoidfieber. 
Von Dr. G. Aaser. Aus dem epidemischen Krankenhause zu Christiana. 
BerL klin. Wochenschr.; 1905, Nr. 10. 

Verf. hat durch Behandlung von Typhuskulturen mit Tolwol ein Reagens 
hergestellt, das ähnlich dem Fick ersehen vollständig steril und ungefährlich 
eine makroskopische Agglutinationsprobe bei Typhus (nach 12—48 Stunden) 
ermöglicht. Dr. Räüber-Köslin. 


Die verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen dem Bacillus faecalis 
alkaligenes und dem Typhusbacillus. Von Dr. A. Doebert. Aus dem hyg. 
Inst, der Univ. Berlin. Dir.: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Rubner. Arch. f. 
Hyg.; 52. Bd., H. 1. 

Doebert gelang es, mittelst der Passage durch den Meerschweinchen¬ 
körper eine Kultur eines Faecalis alcaligenes in den Typhusbazillus überzuführen. 
Er sieht hierin eine Bestätigung der Angaben Altschülers, der zu dem 
gleichen Resultat gelangte durch mehrfache Weiterzüchtung eines Alcaligenes- 
stammes in Milch. 

So bestechend und einwandsfrei die Angaben Döberts auch klingen, 
kann doch nicht dringend genug vor der kritiklosen Hinnahme solcher 
Untersuchungsresultate als beweiskräftige Experimente gewarnt werden. 
Der einzige Einwand, der Doebert gemacht werden kann, mit dem aber auch 
seine ganze Beweisführung fällt, falls er begründet ist, ist der, daß er kein 
Wort darüber sagt, ob er sich in der peinlichsten Weise der Reinheit seiner 
Ausgangskultur vergewissert hat. So selbstverständlich die Erfüllung dieser 
Forderung erscheinen mag, so wenig darf sie bei der Veröffentlichung der¬ 
artiger Resultate, die unsere ganzen epidemiologischen Anschauungen auf 
den Kopf stellen müssen, einfach mit Stillschweigen übergangen werden. 
Es bleibt abzuwarten, ob nicht Doebert wie auch Altschüler das Schicksal 
S hi gas teilen werden, der glaubte, den Kruse sehen in den diesem nahe 
verwandten Flexn er sehen Dysenteriebacillus umgezüchtet zu haben, dem 
aber Referent nachweisen konnte, daß diese Umzüchtung nur infolge einer 
Verunreinigung seiner Ausgangs- (Kruse-) Kultur mit dem Flexn ersehen 
Bacillus zustande gekommen war. Dr. L e n t z - Saarbrücken 


Typhnsbaclllus und Baclllns faecalis alkallgenes, zwei nickt ver¬ 
wandte Speeles. Von Dr. Richard Tromsd orff, Assistent des hygienischen 
Instituts der Universität München. Münchener mcd. Wochenschrift; 1905, Nr. 85. 

Im Gegensatz zu den Untersuchuugsergebnissen Alt Schülers und 
Doeberts hält sich Verfasser auf Grund seiner Versuche für berechtigt, sich 
dahin auszusprechen, daß es bei Ausgang von Reinkulturmaterial nicht gelingt, 
den Bacillus fäcalis alcaligenes in einen Bacillus typhi umzuwandeln. Die 



Kleinere 'Mitteilungen and Befer&te aas Zeitschriften. 


639 


Typhusbazillcn and die Bacilli fäcalcs alcaligenes sind zwei wohl differenzierte, 
nicht verwandte Species. Im übrigen bestätigen die Serumversuche des Ver¬ 
fassers eine Verschiedenheit der durch die beiden Alkaligenesstämme erzeugten 
Agglutination, so daß man hiernach mit Altschüler und Döbert ver¬ 
schiedene Qrappen des Bacillus fäcalis alcaligenes anzunehmen berechtigt ist. 

Dr. W a i b e 1 - Kempten. 


Veber Rassenunterschiede von Typhusstämmen and Aber Hemmangs- 
kärper im Serum in ihrer Bedeutung für die (Jruber-Widalsche Reaktion. 
Aus der med. Klinik in Basel. Von Dr. Falta u. Noeggerath. Archiv für 
klinische Medizin; 1905, Bd. 83, H. 1—2. 

Zwei Typhuskranke aus der Umgebnng Basels boten die auffallende Er¬ 
scheinung, daß ihr Serum in den ersten 10, bezw. 6 Krankheitswochen die 
gewöhnlichen Laboratoriumsstämme (von Krftl in Prag und das Fick er sehe 
Diagnostikum, ebenso auch Paratyphus A und B) nicht agglatinierte. Jedoch 
worden aas einem der beiden Kranken gezüchtete Typhusbazillen von einem 
aus Frankfurt bezogenen Tvphusziegcnimmunserum agglutiniert. Letzteres 
agglatinierte auch den bisher verwandten Laboratoriumsstamm. 

Der auffallende Unterschied in der Agglutinabilität des aus dem Kranken 
gezüchteten Typhusstammes „Basel“ und des alten Laboratoriumstammes „Prag“ 
veranlaßte die Autoren noch 5 weitere Stämme verschiedenster Herkunft auf 
ihre Agglutinabilität za untersuchen. Die gewonnenen Resultate fassen sie in 
Folgendem zusammen: 

1. Nicht oder spät agglutinierende Typhen lassen sich jedenfalls zum 
großen Teil dadurch erklären, daß sic mit gerade für ihr Serum schwer 
agglutinabelen (relative Agglutinabilität) Typhusstämmen untersucht sind. 

2. Diese Fehlerquelle läßt sich durch Untersuchung mit mehreren Typhus¬ 
stämmen möglichst verschiedener Provenienz (eventuell in Mischbouillon) ver¬ 
meiden. 

3. Die Unterschiede in der relativen Agglutinabilität verschiedener Typhus¬ 
rassen kommen namentlich bei den gerade für die Frühdiagnose wichtigen 
niederen Seris in Betracht. Beim Steigen des Agglutinationstiters verwischen 
sie sich meist. 

4. Agglutinationshemmende Körper kommen offenbar in frischen mensch- 
lischen and tierischen Typhusseris recht häufig vor. 

5. Sie werden oft erst gegen das Ende der Erkrankung überhaupt nach¬ 
weisbar oder nehmen dann za; gelegentlich fehlen sie ganz. 

6. Sie sind nicht identisch mit den Proagglatinoiden Eisenbergs and 
Volks', sondern stellen vielmehr im Körper entsandene Abbauprodukte 
der Joosschen thermolabilen Agglatinine dar. 

7. Wenn sie in großer Menge vorhanden sind, können sie einen negativen 
Aasfall der Agglutination Vortäuschen. 

8. Diese Fehlerquelle läßt sich bei Anwendung sehr dichter Bouillons 

(namentlich von Mischbouillons) vermeiden. Dr D o h r n - Cassel. 


Kasuistischer Beitrag zur Pathologie des Typbas. Von Kreisassistenz¬ 
arzt Dr. Lentz, Leiter der Kgl. bakteriol. Untersuchungsanstalt in Saar¬ 
brücken. Klin. Jahrbuch; Bd. XIV. 

Bei einem 28 jährigen Mädchen, das anter der Diagnose Parametritis 
mit Sepsis in das Krankenhaus in 0. aufgenommen worden war, ergab die von 
dem behandelnden Arzte am 25. Krankheitstage veranlaßte bakteriologische 
Untersuchung Typhusbazillen im Stuhl; die gleichzeitig angestellte Wid aIsche 
Reaktion war negativ. Nachdem dann am 28. Krankheitstage eine Darmblutung 
bei der Patientin eingetreten war, agglatinierte ihr Blutserum am 32. Tage 
Typhusbazillen bis zur Verdünnung 1:100. Schon am Tage nach der Darm¬ 
blutung ging die Morgentemperatur bis 37, 1°C. herab, während sie bis dahin 
stets über 88° betragen hatte, und erhob sich nur noch einmal über 38°. 
10 Tage nach der Darmblutung begannen auch die Abendtemperaturen zu 
sinken and nach einem 8 Tage währenden Stadium decrementi setzte eine nor¬ 
mal verlaufende Rekonvaleszenz ein. Es hat hier also anscheinend die Darm- 



640 


Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


blutung nicht nur das Auftreten der Agglutinine im Blutserum der Patientin 
veranlaßt, sondern gleichzeitig auch den günstigen Ausgang der Krankheit 
eingeleitet. (Autorreferat). 

Veber chronische Typhusbazillenträger. Von Kreisassistenztarzt Dr. 
Lentz, Leiter der König! bakteriologischen Untersuchungsanstalt in Idar 
a. d. Nahe. Klin. Jahrbuch; Band XIV. 

Die Arbeiten der im Südwesten des Reichs zum Zweck der Typhus¬ 
bekämpfung errichteten Untersuchungsanstalten haben uns außer mit anderen 
epidemiologisch wichtigen Ergebnissen auch mit der Tatsache bekannt gemacht, 
daß nicht immer mit dem Ablauf der Typhuserkrankung auch die Ausscheidung 
der Typhusbazillen aufhört, daß vielmehr ein gewisser Prozentsatz der von 
Typhus Genesenen noch monate- und jahrelang Typhusbazillen ausscheidet. 
Nach den Erfahrungen der Idarer Anstalt bleiben etwa 4°/ 0 aller an Typhus 
Erkrankten chronische Bazillenträger. Mit diesem Namen werden diejenigen 
von Typhus Genesenen bezeichnet, welche noch über die 10. Woche nach Beginn 
der Erkrankung hinaus Typhusbazillen ausscheiden. Nur in seltenen Fällen 
kommt es dann noch nach Monaten zu einem Aufhören dieser Bazillenausscheidung. 
Dielängste von der Anstalt vom Beginn der Erkrankung des betreffenden Individu¬ 
ums an beobachtete Ausscheidung bestand 1 8 / 4 Jahre. Außerdem wurden bei den 
systematischen Untersuchungen noch eine Anzahl gesunder Personen aufgefunden, 
die nach einem oft viele Jahre zuvor überstandenen Typhus noch Typhus¬ 
bazillen ausschieden, ohne daß die Gelegenheit zu einer neuen Infektion vorlag. 
Die weitere Beobachtung ergab dann, daß jener Zustand chronisch war; diese 
Beobachtung währte bei einzelnen Individuen über ein Jahr lang. 

Bei einer auf Veranlassung von Herrn Geh.-Rat Koch Ende Oktober 
1904 vorgenommenen Stichprobe sandten von den 82 damals in Beobachtung 
der Station stehenden chronischen Bazillenträgern 27 ihre Stuhlproben ein; in 
allen fanden sich in gewohnter Weise die Krankheitserreger (22 mal Typhus-, 
5 mal Paratyphusbazillen). Bei derartigen auch sonst häufig vorgenommenen 
Kontrolluntersuchungen waren nur in seltenen Fällen die Bazillen gelegentlich 
in den Fäces vermißt worden, sodaß man annchmen mußte, daß bei diesen 
Individuen die Ausscheidung der Bazillen nicht dauernd gleichmäßig, sondern 
mehr in einzelnen Schüben vor sich geht; bei der großen Mehrzahl wurden die 
Bazillen regelmäßig, auch bei wochenlang täglich vorgenommenen Unter¬ 
suchungen nachgewiescu. Gewöhnlich finden sich die Bazillen bei chronischen 
Bazillenträgern außerordentlich reichlich, nicht selten fast in Reinkultur, nur 
selten sind sie ständig in so geringen Mengen vorhanden, daß zu ihrem Nach¬ 
weis erst das Anreicherungsverfahren herangezogen werden muß. 

Die große Mehrzahl der chronischen Bazillenträger sind Frauen, was 
darauf hinweist, daß chronische Stoffwechselstörungcn (bei Frauen, die häufig 
geboren haben, infolge von Enterophose, ferner auch infolge von Anämieen, 
Ueberanstrengung, Kummer und Sorgen) ein begünstigendes Moment für das 
Chronischwerdeu der Bazillenausscheidung sind; sicher spielt aber auch mangelnde 
Pflege während der Krankheit und schlechte Abwartung der Rekonvaleszenz eine 
wichtige Rolle bei der Entstehung dieses chronischen Zustandes. Das bisweilen 
bei chronischen Bazillenträgern beobachtete Bestehen von Gallensteinleiden, die 
sich erst nach der Typhuserkrankung bemerkbar gemacht haben, weist auf die 
Gallenblase als Brutstätte der Typhusbazillen hin, doch spielen hier auch wohl 
die Darmfaiten, Divertikel und der Proc. vermiformis eine Rolle. 

Die bei den chronischen Bazillenträgern gefundenen Typhus- und Para- 
thyphusbazillen zeigen in jeder Beziehung die Charakteristika der bei Typhus¬ 
kranken gefundenen Krankheitserreger. Durch die Beobachtung einer ganzen 
Reihe von Typhusinfektionen, welche z. T. mit Sicherheit, zum Teil mit großer 
Wahrscheinlichkeit auf solche Bazillenträger zurückgeführt werden konnten, ist 
der Beweis dafür erbracht worden, daß die von diesen Menschen ausgeschiedenen 
Bazillen auch menschenpathogen sind, und daß wir in den chronischen Bazillen¬ 
trägern gefährliche Infektionsquellen zu sehen haben; diese Beobachtung 
läßt aber auch einen Schluß zu über das eigentliche Wesen sogenannter „Typhus¬ 
häuser“ und „Typhusorte“. Der Anstalt ist es in der Tat auch gelungen, in 
verschiedenen „Typhushäusern“ chronische Bazillenträger aufzufinden. 

Daß es sich mit verhältnismäßig einfachen Mitteln (Belehrung der 



Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


641 


Bazillenträger ttber ihren Zustand, Lieferung von Desinfektionsmitteln aus 
öffentlichen Mitteln, behördliche Kontrolle der Desinfektion und wiederholte 
Ermahnung) erreichen läßt, die von den Bazillenträgern drohende Gefahr er* 
heblich einzuschränken, lehrt das Beispiel der Stadt 0., welche seit Menschen¬ 
gedenken ein gefährliches Typhuszentrum bildete. Während in dem epidemie¬ 
freien Jahre 1903 dort von der Station noch 23 Typhus- und 15 Paratyphusfälle 
beobachtet wurden, kamen nach Durchführung systematischer Untersuchungen 
im März 1904, bei welchen 7 Typhus- und 3 Paratyphusbazillenträger festgestellt 
wurden, bis Ende 1904 nur 4 Typhuserkrankungen zur Beobachtung, von denen 
eine von außerhalb eingeschleppt war, die 3 übrigen auf 2 Bazillenträger zurttck- 
geführt werden konnten (eine Tochter der einen, 2 Dienstmädchen einer anderen 
Bazillenträgerin). Die Versuche, mittelst medikamentöser Behandlung die Bazillen¬ 
träger von ihren Bazillen zu befreien, sind bisher fehlgeschlagen. 1 ) 

_ (Autorreferat). 

a. Weitere Mitteilungen ttber die Anreicherungsmethode für Typhus- 
und Paratyphusbazillen mittelst einer Torkultur auf Malachitgrün-Agrar. 

Von Kreisassistentenzarzt Dr. Lentz, Leiter, und Dr. Julius Tietz, 
Mitglied der Königl. bakteriologischen Untersuchungsanstalt in Idar a. d. Nahe. 
Klin. Jahrbuch; Band XIV. 

b. Ueber die Grenzen der Verwendbarkeit des Malaehitgrttnagars zum 
Nachweise der Typhusbazillen im Stuhle. Von Dr. med. K. Nowack. Aus 
dem hygienischen Institut der Universität Berlin, Direktor: Geh. Med.-Rat 
Prof. Dr. M. Bnbner. Arch. f. Hygiene; 53. Band, H. 4. 

Zu a. In Nr. 49 der Münchener med. Wochenschr. 1903 hatten Lentz und 
Tietz ein von ihnen ausgearbeitetes Anreicherungsverfahren für Typhus- und 
Paratyphusbazillen beschrieben, das im Wesentlichen eine Kombination des etwas 
modifizierten Löfflerschcn Malachitgrünagars, auf welchem das Bact. coli 
im Wachstum stark beeinträchtigt wird, mit dem v. Drigalski-Conradi- 
schen Lakmus-Milchzuckeragar darstellt. Im ersten Teil ihrer Arbeit geben 
die Verfassers nochmals eine genaue Beschreibung der Methode: Zu gewöhn¬ 
lichem 2—3°/oigem, leicht lakmussaurem Rindfleisch-*) Pepton-Agar wird Mala¬ 
chitgrün I (Höchst) 1:6000 oder Malachitgrün cryst. (Höchst) 1:22000 hinzu- 
geftigt und der flüssige Agar sofort in Petrischalen verteilt. Von dem zu einem 
dickflüssigen Brei mit 0,85°/ O iger Kochsalzlösung verriebenen Stuhl werden 
zunächst auf einer Mulachitgrün-Agarplatte 2 dicke Tropfen gut verrieben, der 
zur Verreibung benutzte Spatel alsdann auf 2 großen Platten v. Drigalski- 
Conradi-sehen Agars übertragen. Nach 20 Stunden Brütofenaufentbaltes 
werden die blauen Platten auf das Vorhandensein von Typhusbazillen geprüft. 
Finden sich diese nicht auf den blauen Platten, so werden die grünen Platten 
nach 24stttndigem Brütofenanfenthalt mit ca. 8 ccm 0,85°/oigcr Kochsalzlösung 
übergossen und der Bakterienrasen, der oft nur aus wenigen Kolonien besteht, 
durch Hin- und Herneigen der Schale abgeschwemmt. Von dieser Aufschwemmung 
wird 1 Oese auf 1—2 blauen Platten ausgestrichen, die dann nach 20stündigem 
Brütofenaufenthalt in üblicher Weise untersucht werden. Von N e i s s e r - Stettin, 
J o r n s und K1 i n g e r, sowie aus einigen anderen Typhus - Untersuchungs- 
anstalten, liegen bereits günstige Urteile ttber diese Anreicherungsmethode vor. 

Die Verfasser berichten alsdann über die Resultate, welche sie mit diesem 
Verfahren während des 1. Jahres seiner Anwendung bei dem Untersuchungs¬ 
material der Idarer Anstalt gehabt haben. Unter 416 positiven Befunden von 
Typhusbazillen waren 83 = 20 °/o, unter 148 Befunden von Paratyphusbazillen 
61 = 41,22 °/o lediglich dem Anreicherungsverfahren zu danken. Der Nachweis 
der Typhusbazillen im Stuhl und Urin gelang bei 73,2 °/o aller untersuchten 
Typhuskranken, der der Paratyphusbazillen bei 100 °lo der Paratyphuskranken. In 
den meisten Fällen gelang der Nachweis bereits bei der ersten Untersuchung. 
Für die Sicherung der Diagnose durch den Bazillennachweis aus Stuhl und Urin 
der Kranken wurde durch die Anwendung der Anreicherungsmethode gegenüber 

‘) Siehe das nachstehende Referat über die Forster-Kaysersehe 
Abhandlung, S. 642. 

*) Nach neueren Erfahrungen des Referenten gibt aus Pferdefleisch oder 
Fleisch extrakt hergestellter Agar bei der Züchtung erheblich schlechtere 
Resultate als Rindfleischagar. 



642 


Kleinere Mitteilungen nnd Referate ans Zeitschriften. 


dem einfachen y. Drigalski-Conradisehen Agar eine Resnltatverbesserung 
von 37,7 °/o bei Typhus und von 131,58 °/o bei Paratyphus erzielt. 

Zu b. N o w a c k konstatiert zunächst, daß das Malachitgrün in den für die 
Anreicherungsmethode empfohlenen Konzentrationen nicht nur das Bact. coli, 
sondern auch den Typhusbazillus nicht unerheblich im Wachstum hemmt 1 ). 
Er verwandte zu seinen Versuchen Malachitgrün 120 in der Verdünnung 
1:2000 — 2500, Malachitgrün superfein und M. extra (Höchst) in den Ver¬ 
dünnungen 1:100000 mit gleich gutem Erfolge. Die Reaktion des Agars, auf 
die Klinger sehr viel Wert legt, spielt nach Nowack keine wesentliche 
Rolle; Reaktionen von 1,8—0,8°/o Normalnatronlauge unter dem Phenolyphthalein- 
Neutralpunkt ergaben annähernd gleich gute Resultate, während bei stärkeren 
Säure- bezw. Alkaligraden das Verfahren versagte. Dextrinzusatz über l°/o 
zum Agar beeinträchtigt gleichfalls das Verfahren. 

Die Untersuchungen mit Stuhlgängen, deren Keimzahl festgestellt war, 
und denen genau abgemessene Mengen einer Typhnsbazillen-Aufschwemmung 
zugesetzt wnrden, ergab sehr günstige Resultate. Noch bei einem Verhältnis 
von 1 Typhusbacillus zu 50000 Stuhlbakterien gelang mit dem Anreicherungs¬ 
verfahren der Typhusbazillennachweis. Nowack empfiehlt zur Vorkultur 
zwei große (20 cm Dm.) grüne und 1 blaue bezw. Endoplatte zu benutzen und 
auf der ersten grünen Platte 5 große Tropfen der Stuhlaufschwemmung zu ver¬ 
reiben, um auf diese Weise mehr Material zu untersuchen. Ist dann die erste 
Platte zu dicht bewachsen, so wird zum Abschwemmen die zweite grüne Platte 
benutzt, die stets einzeln stehende Kolonien aufweist. (Wie sich Referent 
überzeugen konnte, ist diese Versuchsanordnung unter Umständen von Nutzen). 

Dr. L e n t z - Saarbrücken. 


Albuminurie bei Abdominaltyphus. Aus der mediz. Klinik der Uni¬ 
versität Straßburg. Von Volontärarzt Dr. St ölte. Archiv für klin. Medizin; 
1905, Bd. 83, H. 1—2. 

Die Häufigkeit des Vorkommens von Eiweißausscheidung bei Typhus 
wird sehr verschieden angegeben. Verfasser stellte das Material der Stra߬ 
burger Klinik daraufhin zusammen. Jeder Fall, in dem auch nur einmal 
Eiweiß nach gewiesen wurde, ist als Fall mit Albuminurie angeführt. 

Von den leichten Fällen hatten 49,2 °/ 0 , von den mittelschweren 67,4%, 
von den schweren 77,7 °/o, im Ganzen 60,8 °/ 0 Eiweißausscheidung. Eine pro¬ 
gnostische Bedeutung der Eiweißausscheidung will Verfasser nicht aner* 
kennen. Dr. D o h r n - Cassel: 


Ueber das Vorkommen von Typhusbazillen in der Galle von Typhuft- 
kranken und „Typhnsbazillenträgern“. Von Prof. J. Fo rster-Straßburg 
und Oberarzt Dr. H. Kayser, kommandiert zum hyg. Institut in Str&ßburg. 
Münch, ined. Wochenschrift; 1905, Nr. 81. 

Bekanntlich beherbergen überraschend häufig Personen, die keine Krank¬ 
heitserscheinungen zeigen, Typhusbazillen und scheiden solche mit den Ent¬ 
leerungen aus. Solche Gesunde bezeichnet man kurz als „Bazillenträger“ und 
versteht darunter Leute, welche, in der Umgebung von Typhuskranken lebend, 
Typhusbazillen im Stuhle haben, ohne krank zu sein oder Personen, welche 
nach überstandenem Typhus inonate- und selbst jahrelang, gewissermaßen als 
„chronische Bazillenträger“, Typhuskeime — meist mit mit den Fäces — nach 
außen abgeben. Begreiflich ist daher das Streben aller, welche mit Typhus¬ 
bekämpf ang zu tun haben, nach Mitteln nnd Wegen zu suchen, die betreffen¬ 
den Personen bazillenfrei zu machen. Hierzu gehört vor allem eine klare 
Vorstellung über den eigentlichen Sitz der Typhusbazillen im Körper und über 
die Art ihrer Ausscheidung. 

Die Verf. halten sich auf Grund ihrer mannigfachen Untersuchungen 
und Beobachtungen an Lebenden und Leichen im Zusammenhalte mit den 


*) Ein erheblicher Prozentsatz der schlechten Resultate Nowacks ist 
aber sicher auf Rechnung des Fleischextraktagars zu setzen, den Nowack 
verwandte; bei Anwendung von Rindfieischagar sind die Resultate, wie die 
Untersuchungen der Verfassers und von Jorns (ebenfalis im Rubnerschen 
Institut ausgeführt) lehren, bedeutend bessere. 



Kleinere Mitteilangen nnd Referate an» Zeitschriften. 


643 


Befanden anderer Aatoren za der Annahme berechtigt, daß die „Bazillenträger* 
die Typhuskeime vorzüglich in der Gallenblase beherbergen, in welche sie aof 
dem Blutwege durch die Leber gelangen. Die Gallenblase wird dann zom 
Vegetationsorte der Typhasbazillen. Die Ausscheidung der Typhesbazillen mit 
dem Stuhle beim Kranken, besonders aber beim sog. Bazillenträger, beruht 
daranf, daß sie von ihrer Vegetationsst&tte, der Gallenblase, mit der Galle in 
den Darm and von hier nach außen geführt werden, soweit sie nicht auf 
diesem Wege in dem Dünn- oder Dickdarm zugrande gehen. Vom sanitären 
Standpunkte aas erwachsen durch das vielfache Vorkommen von „Typhus- 
bazillenträgern* den Aerzten und Hygienikern neue Aufgaben and muß das 
Streben dahin gehen, die Ausscheidung von TyphusbazUlen za bekämpfen. 
Das ist eine medizinische and wie die weiteren Ausführungen der Verf. durch- 
blicken lassen, schwer lösbare Aufgabe. Im übrigen muß auf das Original 
verwiesen werden, das eine Fülle von interessanten Beobachtangen and An¬ 
regungen enthält _ Dr. Waibel-Kempten. 

Untersuchungen über die Lebensdauer von TyphusbazUlen Im Aqua- 
rtumwasser. Von Stabsarzt Dr. W. Ho ff mann, Assistenten am Hyg. Inst, 
der Univ. Berlin. Arch. f. Hyg.; Bd. 52, H. 2. 

Hoffmann impfte das Wasser eines Zimmeraquariums, in welchem Wasser¬ 
pflanzen wachsen und einige Schnecken und kleine Fische sich befanden, mit 
Typhusbazillen. Mit Hilfe der Koffein-Anreicherungsmethode gelang es ihm, 
noch nach 4 Wochen die Bazillen im Wasser und noch nach acht Wochen 
im Bodenschlamm nachzuweisen. Er rät deshalb bei Brunnen, die verdächtig 
sind, mit Typhusbazillen infiziert za sein, stets vor allem den Bodenschlamm 
des Brunnens zu untersuchen, und hält die Möglichkeit für gegeben, daß aaf 
diese Weise der Nachweis der Typhusbazillen noch gelingen wird, auch wenn 
die Infektion des Brunnens schon einige Wochen zurückliegen sollte. 

Dr. L e n t z - Saarbrücken. 

TyphusbazUlen ln dem Wasser eines Hansbrunnens. Von Dr. Edmund 
Ströszner,I. Assistent am bakteriologischen Institut der Haupt- und Residenz¬ 
stadt Budapest (Leiter Doz. Dr. B. V a s). Zentralblatt für Bakteriologie; I. 
Abt., Orig.-Bd. 38, 1904, H. 1. 

Zu den wenigen sicheren Befunden von Typhusbazillen in Wasser fügt 
Ströszner einen neuen. Bei einem Hause, in welchem nacheinander 3 Ty¬ 
phusfälle vorgekommen waren, befand sich in nächster Nähe des Abortes und 
der Dunggrube ein sehr schadhafter Kesselbrunnen, der nur von den Bewohnern 
des Hauses benutzt wurde. 4 Wochen nach Beginn der letzten Erkrankung 
an Typhus konnte Ströszner mittelst der Ficker sehen Koffein-Anreicherungs¬ 
methode Bazillen aus dem Wasser dieses Brunnenns züchten, welche adle 
Charakteristika des Typhusbazillus boten. Dr. Lentz-Saarbrücken. 

Ueber die Bedeutung des Bacterlnm coli Im Brunnenwasser. Von 
Dr. M. Kaiser, Assistent am hyg. Inst, der Univ. Graz. Arch. f. Hygiene; 
52. Bd., H. 1. 

Kaiser weist an der Hand der Untersuchung von 50 verschiedenen 
Wasserproben, die ebensovielen verschiedenen Brunnen entnommen waren, nach, 
daß die Ansicht, das typische Bakterium coli sei in Brunnenwässern allgemein 
verbreitet, irrig ist. Wenn er auch noch kein abschließendes Urteil über die 
Verwertbarkeit des Befundes von Bact. coli in einem Wasser als Indikator für 
dessen Verunreinigung durch Faekalien abgeben möchte, so scheint ihm doch 
die Bedeutung des Bact. coli als Indikator für eine Faekal-Verunreinigung 
eines Wassers große Berechtigung zu besitzen. 

Zum Nachweise des Bact. coli in den Wasserproben bediente er sich 
mit Vorteil eines 3 °/ 0 igen Heuinfnses. Dr. Lentz-Saarbrücken. 

Bronnen* oder Kontaktepidemie? Von Kreisassistenzarzt Dr. Lentz, 
Leiter der Kgl. bakterioL Untersuchungsanstalt in Saarbrücken. Klin. Jahr¬ 
buch; Bd. XIV. 

Eine im Dorfe M. aufgetretene Typhusepidemie machte zunächst den 
Eindruck einer Brunnenepidemie, da eine ganze Anzahl (12) fast gleichzeitig 



644 Kleinere Mitteilangen and Referate ans Zeitschriften. 

entstandener Typhuserkrankungen sich aof 5 Häuser verteilten, welche rings 
um den Dorfbrunnen sich gruppierten. Der gegen den Brunnen sich richtende 
Verdacht^mußte jedoch alsbald wieder fallen gelassen werden, als sich herausteilte, 
daß nicht nur die Bewohner jener 5 Häuser, sondern sämmliche Dorfinsassen 
ihr Trinkwasser aus jenem Brunnen entnahmen, während im ganzen übrigen 
Dorf keine einzige Typhuserkrankung vorhanden war. Es ergab sich denn 
auch, daß die Krankheit von einem Nachbarorte in eines jener zuerst befallenen 
Häuser eingeschleppt worden war, und daß der nahe Verkehr der Leute unter¬ 
einander — die Besitzer von 4 dieser Häuser hatten Schwestern zu Frauen — 
die Verbreitung des Typhus vermittelt hatte. Bei Entdeckung der Epidemie 
waren bereits weitere Infektionen vorgekommen, sodaß nach und nach im ganzen 
26 Dorfinsassen erkrankten. Diese 26 Fälle verteilten sich auf 10 Häuser, 
welche eng zusammen in der Mitte des Dorfes lagen, und auf ein an der 
Peripherie des Dorfes gelegenes Haus, wohin der Typhus durch ein junges 
Mädchen gelangte, das mit einem in einem der infizierten Häuser hediensteten 
Mädchen in Verkehr stand und von diesem in der für die Infektion in Frage 
kommenden Zeit einen Apfel geschenkt erhalten hatte. Bis auf einen Fall 
konnte bei allen Erkrankten die Infektion auf den Verkehr mit früher Erkrank¬ 
ten einwandsfrei zurückgeführt werden. In dem einen Falle war ein Zusammen¬ 
hang mit einem der anderen Erkrankten nicht nachzuweisen, da die Patientin 
jeglichen Verkehr mit den Nachbarn leugnete. Erwähnenswert sind 2 Infek¬ 
tionen ohne nachweisliche Erkrankungen der betreffenden Individuen; die Bazillen¬ 
ausscheidung war bei beiden nur vorübergehend. Der eine dieser Fälle betraf 
eine Krankenschwester, welche 6 Jahre zuvor einen Typhus überstanden und 
sich jetzt bei der Pflege einer Typhuskranken infiziert hatte. Ein weiterer 
Fall zeichnete sich dadurch aus, daß trotz klinisch absolut sicherer Typhus¬ 
erkrankung bei mehrfach während der ganzen Krankheitsdauer und Rekon¬ 
valeszenz wiederholten Untersuchungen weder eine positive W i d a 1 sehe Reaktion 
nachgewiesen, noch Typhusbazillen in den Ausscheidungen der Patientin gefunden 
werden konnten. (Bisher der einzige Fall dieser Art unter ca 400 vom Ver¬ 
fasser beobachteten Typhuskranken.) (Autorreferat). 


Die Verhütung der Verbreitung des Typhus durch Wasserleitungs- 
Anlagen. Auf Grund der bisherigen Erfahrungen. Von Dr. Lücke -Berlin. 
Deutsche Medizinal-Zeitung; 1905, Nr. 43 und 44. 

An der Verbreitung epidemisch auftretender Erkrankungen trägt oft 
ungeeignetes Trinkwasser die Schuld. Verfasser bespricht nun in interessanter 
und eingehender Weise die einschlägigen Verhältnisse. Er faßt das Resultat 
seiner Arbeit in 6 Leitsätze zusammen, deren wesentlichster Inhalt der 
folgende ist: 

Am häufigsten findet die Infektion eines Wasserwerkes an der Entnahme¬ 
stelle statt, entweder durch Einleitung von ungereinigtem Wasser, durch 
mangelnde Filtration oder schlechte Anlage der Brunnen usw. usw. 

Eine Infektion der Rohrleitung entsteht am häufigsten bei Rohrbrüchen 
und sonstigen Defekten. 

Erforderlich ist die Konzessionierung eines Wasserwerks, und hierbei 
muß als Bedingung angesehen werden, daß die an der Spitze stehende Persön¬ 
lichkeit eine technisch ausgebildete, zuverlässige ist, und daß selbstverständlich 
das Wasser in genügender Menge und in einwandfreier Beschaffenheit vor¬ 
handen ist. 

Das die Entnahmestelle umgebende Gebiet muß am besten Eigentum des 
Wasserwerkes sein. 

Für das Personal ist ein Regulativ auizustellen. 

Dr. Hoffmann-Berlin. 


Ueber Impfschutzverbände. Von Dr. Alfred Groth. Münchener med. 

Wochenschrift; 1905, Nr. 21. 

Verfasser bespricht zuerst die Nachteile unzweckmäßiger bezw. mehrerer 
gebräuchlicher Impfschutzverbände und meint, daß ein Impfschutzverband un¬ 
streitig von Nutzen sein kann, sofern er dem Impfling die Möglichkeit nimmt, 
die Impfpusteln zu beschädigen, jederzeit und leicht abnehmbar ist, einen 
Schutz gegen die nachträgliche Infektion bietet und für Luft gut durchgängig 



Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


645 


ist. Der Verband darf ferner nicht drttcken and die normalen Hautfonktionen 
des Impflings in keiner Weise stören. 

Einen solchen Verband liefert nach des Verfassers Angaben die Firma 
Hermann Katsch, Hofinstramentenfabrikant in München in drei Größen, and 
zwar für Kinder von unter oder etwa einem Jahre, sodann für solche Kinder, 
welche das erste Lebensjahr überschritten haben and für die 12 jährigen Kinder 
Dem Verband ist Gebrauchsanweisung beigegeben, welche eine Belehrung des 
Publikums über seine Benutzung und über die Behandlung der Pusteln be¬ 
zwecken soll. 

Schließlich bejaht Verfasser die Frage, ob die allgemeine Einführung 
eines Schutzverbandes auch für die öffentlichen Impfungen empfehlenswert sei, 
meint aber, daß hierfür weder Staat noch Gemeinde zu den Kosten heran¬ 
gezogen werden können, sondern die Anschaffung den Pflegern der Impflinge 
überlassen werden müsse unter der Voraussetzung, daß der Verband zu einem 
sehr niedrigen Preise zur Verfügung gestellt werden könnte. 

Dr. Waibei-Kempten. 


Ueber die von den Impfärzten zu befolgenden Vorschriften. Von 
Kreisarzt Dr. Solbrig, Hilfsarbeiter bei der Königl. Regierung in Arnsberg. 
Deutsche Medizinalzeitung; 1905, Nr. 55. 

Verf. meint, daß die Impfvorschriften oft nicht genügend beachtet 
würden, und daß deshalb eine Besprechung derselben wohl am Platze sei. 
Aus den allgemeinen Bestimmungen hebt er besonders die Beschaffenheit des 
Impflokals hervor, bespricht auch die durch die Bestimmungen verlangte 
Gegenwart eines Vertreters der Ortspolizeibehörde usw. Sodann verbreitet er 
sich über die Lymphe, die Aufbewahrungsart, Zusendung derselben usw., um 
sodann die Impfung selbst einer Betrachtung zu unterziehen, in deren Rahmen 
selbstverständlich auch die Impfinstrumente die gebührende Beachtung finden, 
ebenso wie die Methode der Impfung. Dr. Hoff mann-Berlin. 


Säuglingssterblichkeit und Ihre Bekämpfung. Ein Beitrag von 
Dr. Schlegtendal, Reg- und Med.-Rat in Aachen. Zentralblatt für all¬ 
gemeine Gesundheitspflege; 1905, 5. und 6. Heft. 

Den ungeheuren Verlusten an Menschenleben gegenüber, die alljährlich 
infolge der Sterblichkeit der Säuglinge zu verzeichnen sind, hat man endlich 
angefangen auf Mittel und Wege zu sinnen, um Abhilfe zu schaffen. Ein Blick 
auf die Statistik lehrt, daß von einer wesentlichen Abnahme der Säuglings¬ 
sterbefälle in Preußen noch nicht die Rede sein kann: Es starben in Preußen 
während der Jahre 1895 bis 1902 nicht weniger als 1934041 Kinder des ersten 
Lebensjahres, d. h. durchschnittlich 34,8 d / 0 aller Todesfälle entfallen auf das 
erste Lebensjahr; im Jahre 1895 waren es 35,8, im Jahre 1902 31,8 # / 0 . Zum 
Vergleich führt Sch. noch statistische Angaben aus dem Bezirk und der Stadt 
Aachen, die eine besonders hohe Säuglingssterblichkeit aufzuweisen hat, an. 

Daß „umfassende und baldige“ Maßnahmen notwendig sind, um dem 
Uebel zu steuern, bedarf diesen sprechenden Zahlen gegenüber keiner weiteren 
Begründung. Als erste und wichtigste Maßregel ist anzustreben, daß die 
Mütter wieder selbst stillen und zwar genügend lange; denn es ist sicher, daß 
bei künstlicher Ernährung sehr viel mehr Säuglinge zugrunde gehen, als 
bei der natürlichen. (In Deutschland sterben jährlich etwa 2000O0 Säuglinge 
an Magendarmerkrankungen, 150000 davon sind vorher künstlich ernährt!) 
Um die Mütter an ihre Pflicht zu erinnern, sollten Behörden und Private, be¬ 
sonders Aerzte, Lehrer, Geistliche und die Franenvereine eine nachdrückliche 
Propaganda zur Förderung der natürlichen Ernährung machen. Auch die 
Hebammen sind die berufenen Personen, die hier nützlich wirken können. 
Empfehlenswert sind Verfügungen, wie eine solche im Bezirk Aachen durch den 
Regierungspräsidenten veranlaßt ist, dahingehend, daß die Hebammen darauf 
dringen, daß die Mütter ihre Kinder solange wie möglich selbst stillen. Merk¬ 
blätter, wie sie mehrfach schon vorhanden sind (so im Reg.-Bez. Düsseldorf, 
herausgegeben vom Verein der Medizinalbeamten, vom Vaterländischen Frauen¬ 
verein u. a.), werden zweckmäßig durch die Standesämter bei der Geburts- 
anmeldung, durch Aerzte und Hebammen verbreitet. Je kürzer und eindring¬ 
licher solche Ratschläge lauten, desto besser wirken sie. Daneben kommen 



646 


Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften. 


die Maßnahmen in Betracht, die beim Fehlen der Mntterbrnst für gute Ersatz¬ 
nahrang sorgen. So wird in manchen Gemeinden des Bezirks Aachen frische 
Kuhmilch umsonst an die Säuglinge unbemittelter Familien gegeben; im Kreise 
Düren übernahmen dann noch die Hebammen die weitere Behandlung der ge¬ 
lieferten Milch, Reinigung der Flaschen und dergl. mehr. Am sichersten ist 
es, die Milch gebrauchsfertig in einzelnen Fläschchen zu verabfolgen; solche 
Kindermilchanstalten sind u. a. in Malmedy und Düren; Damen des Frauen- 
vereins üben die Aufsicht mit dem Kreisarzt. Die bisherigen Erfolge waren 
recht gute: von 27 Kindern unter 1 Jahr, die mit solcher Milch versorgt waren, 
erkrankto innerhalb 8 Monaten keins an schlimmerem Magendarmkatarrh oder 
starb gar daran. 

Sch. erwartet Beachtung, Billigung und Nachfolge solcher Bestrebungen. 

Dr. Solbrig-Arnsberg. 


Veber die Konservierung der Milch dureh Wasserstoffsuperoxyd. 

Von Oberarzt Dr. Ernst Baumann, z. Z. kommandiert zum hygienischen 
Universitäts - Institut Halle a. S. Münchener med. Wochenschrift; l‘J05, Nr. 23. 

Schon seit Jahren ist man bestrebt, die Kuhmilch freizumachen von ge¬ 
sundheitsschädlichen Stoffen und Beimengungen jeder Art und zwar teils auf 
physikalischem Wege durch Anwendung von Wärme oder Kälte (Pasteurisieren, 
Sterilisieren, Abkühlung etc.), teils auf chemischem Wege durch Zusatz von 
Soda, Borsäure, Borax, Salizylsäure, Natriumsulfat, Kalium-Chromat und -Bi- 
Chromat, Wasserstoffsuperoxyd, Hexamethylentetramin, Formalin etc. 

Verfasser schildert nun eingehend die Veränderungen, welche die Milch 
durch das bisherige, behufs Erlangung von Keimfreiheit geübte Verfahren er¬ 
leidet, sucht damit zu beweisen, daß dieses Verfahren ungenügend ist, und be¬ 
richtet dann ausführlich über seine Untersuchungen bezüglich der Wirksamkeit 
des in letzter Zeit mehrfach verwendeten Wasserstoffsuperoxyds auf die Milch. 

Auf Grund seiner zahlreichen Versuche kommt er zu dem Schlüsse, 
daß eine Schädigung der Gesundheit durch Zusatz von Wasserstoffsuperoxyd, 
welches in der Milch bekanntlich in die für den menschlichen Körper völlig 
indifferenten Stoffe Wasser und Sauerstoff gespalten wird, nicht zu befürchten 
ist, daß ferner die mit diesem Mittel versetzte Milch, abgesehen von der An¬ 
wendung als Kinderernährung, eine Frage, die praktisch noch näher zu prüfen 
ist, gut im Felde zur Versorgung von Heer und Marine, sowie zur Verwendung 
in den Tropen sich eignet. 

Bei Anwendung des Wasserstoffsuperoxyds in der Praxis ist hauptsäch¬ 
lich zu beachten, daß dieses Mittel sofort nach dem Melken zngesetzt wird, 
ehe eine Vermehrung der Keime stattlinden kann. Um eine Verdünnung der 
Milch dabei zu verhüten, kann man eine 30proz. Lösung verwenden. Es muß 
ferner eine möglichst keimfreie Milch entnähme erstrebt werden durch jedes¬ 
malige Reinigung der Euter, durch Waschen der Hände, durch Benutzung 
steriler Gefäße etc. Die wenigen etwa vorhandenen Keime und die trotz aller 
Vorsichtsmaßregeln später vielleicht in die Milch gelangenden Krankheitserreger 
werden dann sicher durch den Wasserstoffsuperoxydzusatz vernichtet werden. 

Dr. Waibei-Kempten. 


Wie hat sieh die Gesundheitspolizei gegenüber dem Verkauf pasteu¬ 
risierter Milch zu stellen! Von Prof. Dr. Oster tag-Berlin. Aerztliche 

Sachverständigen-Zeitung; 1905, Nr. 14. 

In neuester Zeit wird wieder der Versuch gemacht, Milch, die in der 
Gegend der Produktion (Dänemark usw.) pasteurisiert wird, auf weite Ent¬ 
fernungen (von Dänemark nach Berlin) zum Zwecke des Verkaufs als Voll¬ 
milch zu versenden. 

Ostertag hält es für seine Pflicht, auf die Gefahren hinzuweisen, die 
mit dem wilden, unkontrollierten Verkehr pasteurisierter Milch verbunden sein 
können. Der Säuglingsskorbut kann bei länger dauernder Verabreichung auf- 
treten; nach Flügge kann ferner die in gewöhnlicher Weise sterilisierte 
oder pasteurisierte Milch eine sehr gefährliche Giftwirkung enthalten; des¬ 
halb sollte solche Milch nur verkauft werden unter der Aufschrift: Erhitzte 
Milch, nicht keimfrei, muß unter 18° aufbewahrt oder binnen 12 Standen ver¬ 
braucht werden. Das Pasteurisieren verdeckt drittens nach C. 0. Jensen 



Kleinere Mitteilungen and Referate aus Zeitschriften. 


647 


Zersetzungsvorgänge, die ror dem Pasteurisieren bestanden haben. Viertens 
fault pasteurisierte Milch, rohe dagegen nicht. (S. das nachstehende Referat.) 

Diese Gefahren rechtfertigen nach Autors Meinung besondere Ma߬ 
nahmen; bis dahin sind die Konsumenten aufzuklären. 

Dr. T r üger-Adelnau. 


Biologisches zur Milchpastenristerung. Aus dem chemisch-bakterio¬ 
logischen Institute Yon Dr. Blumenthal in Moskau. Von Alexander 
Hippius. Jahrbuch für Kinderheilkunde; 1905, Bd. 11, H. 2. 

Durch die Pasteurisierung werden alle in der Milch vorhandenen patho¬ 
genen Keime unschädlich gemacht. Die neuerdings von R u f f m a n n erhobenen 
Einwände, daß die Gefahr einer tuberkulösen Infektion bestehen bleibt, sind 
zurttckzuweisen, weil sie durch eine fehlerhafte Versuchsanordnung be¬ 
gründet wird. 

Da auch die chemischen Eigenschaften der Milch bei der Pasteuri¬ 
sierung fast ganz unverändert bleiben, würde dieses Verfahren allen Ansprüchen 
genügen, wenn auch fernerhin noch die biologischen Eigenschaften der 
Milch bei |dcr Pasteurisierung unverändert bleiben würden. Verf. unterzog 
alle biologischen Eigenschaften der Milch gegenüber einer Dauerpasteurisation 
bei 60—65 C. während '/*—1 Stunde und gegenüber der kurzdauereden kon¬ 
tinuierlichen Pasteurisierung bei 80 C. und darüber einer eingehenden experi¬ 
mentellen Nachuntersuchung. Die wesentlichen Resultate waren folgende: 

1. Die Fähigkeit der Milch, ein spezifisches Laktoserum zu bilden, bleibt 
beim Erhitzen erhalten. Sie wird auch durch Kochen nicht vernichtet. 

2. Die bakterizide Kraft der rohen Milch (gegen B. coli und den Bact. 
prodigiosus) bleibt nach anhaltendem Erwärmen auf 60—65 C. noch recht be¬ 
trächtlich. Sie läßt sich auch nach kurzdauernder Erhitzung auf 85 C. noch 
nachweisen. In der gekochten Milch ist keine Spur von bakterizider Wirkung 
mehr vorhanden. 

3. Das oxydierende Ferment der Kuhmilch wird bei kurzdauernder 
Erhitzung der Milch auf 76 C. zerstört. Es erhält sich ungeschwächt bei der 
Pasteurisierung der Milch bei 60—65 C. und zeigt sogar eine besonders starke 
Farbenreaktion, wenn diese Pasteurisierung stundenlang fortgesetzt wird. 

4. Das fettspaltende Ferment verträgt eine Pasteurisierung der Milch 
zwischen 60—61 C.; durch die Erwärmung der Milch auf 64 C. wird es un¬ 
wirksam. 

5. Die proteolytischen Fermente sind in pasteurisierter Milch ebenso wie 
in der rohen wirksam und werden erst durch Kochen zerstört. 

Demnach bleiben die wichtigsten biologischen Eigenschaften der Roh- 
milch auch bei der regelrecht pasteurisierten Kindermilch mehr oder weniger 
ungeschwächt erhalten. Eine pasteurisierte Milch stellt somit eine fast ganz 
unveränderte Rohmilch dar, die jedoch den Vorteil der Haltbarkeit und der 
üngefährlichkeit hat. Dr. D o h r n - Cassel. 


Eine neue Methode zur Prüfung des Trinkwassers auf Ammoniak? 

Bemerkung zum Referat in Nr. 14 dieser Zeitschrift, S. 466. Von Kreisarzt 
Dr. Rathmann in Greifenhagen. 

Angeregt durch oben näher bezeichnetcs Referat (Ref. Dr. Mayer 
Simmern) über eine neue Methode, Ammoniak in Trinkwasser nachzuweisen, 
habe ich die Reaktion sofort selbst versucht. Trotzdem ich mich genau an 
die Vorschrift gehalten, gelang cs mir nicht die Reaktion in der gewünschten 
Weise zu erhalten. Es resultierte eigentlich stets das Gegenteil. 

Es war dort folgendes angegeben: In ein Reagcnsglas giebt man 20 ccm 
des zu untersuchenden Wassers, 3 Tropfen einer 10’/ c Jodkalilösung, 2 Tropfen 
einer konzentierten Eau de Javellelösung. Nach dem Referat tritt bei An¬ 
wesenheit von Ammoniak Braunfärbung durch Bildung von Jodstickstoff auf. 
— Ich habe die Reaktion nun viele Mal probiert, selbst mit destilliertem Wasser 
und stets trat die Braunfärbung ein. Ich habe mit einem Chemiker, da wir 
glaubten, daß das Mißlingen auf schlechten Reagentien beruhte, sämmtliche 
Reagentien frisch bereitet und festgestellt, daß das destillierte Wasser ein¬ 
wandfrei war. Trotzdem trat immer wieder die Braun- resp. Gelbfärbung ein, 
wenn man die Reaktion anstellte. Die Gelbfärbung verschwand erst dann, 



648 


Kleinere Mitteilungen and Referate aus Zeitschriften. 


wenn man ammoniakhaltige Flüssigkeit zugoß und zwar um so schneller, je 
größer die Verdünnung des Ammoniak war! Es tritt also das absolute Gegen¬ 
teil von dem, was man erwarten mußte, ein. 

Vielleicht liegt der Fehler in der Herstellung des Eau de javelle, denn 
theoretisch muß das Jod herausfallen, wenn chlorhaltige Flüssigkeit zu reiner 
Jodlösung tritt. Es ist auch schwer klarzustellen, welches Eau de javelle 
gemeint ist. Verlangt man in einer Apotheke Eau de javelle, so erhält man 
Liq. Natr. hypochlorosi. Nach einigen Büchern (z. B. Hager) ist das aber nicht 
Eau de javelle, sondern Liqueur de Labarraque, während die echte Javelle’sche 
Lauge Liq. Kalii hypochlorosi ist. Es ist dies aber ein erheblicher Unterschied, 
weil im letzteren noch Acid. hydrochl. pur. enthalten ist. — Andere Bücher (z. B* 
Dieterich) kennen den Unterschied garnicht, sie nennen Liq. Natr. hypochlorosi 
die Javellesche Lauge. Ich habe mit beiden Lösungen die Reaktion versucht 
und stets dasselbe unbefriedigende Resultat erhalten. — Möglich wäre nun 
noch, daß die französische Chemie noch ein drittes Eau de javelle kennt. Die 
wichtige Frage, ob wir tatsächlich in der obigen Reaktion ein Mittel haben, 
Ammoniak in Trinkwasser nachzuweisen, rechtfertigt gewiß eine weitere Er¬ 
örterung. 

Erwiderung von Kreiswundarzt z. D. Dr. M a y e r - Simmern. 

Zu den vorstehenden Ausführungen des Herrn Kreisarztes Dr. Rath¬ 
mann, die mir vom Herausgeber der Zeitschrift zur Aeusserung vorgelegt 
sind, gestatte ich mir zunächst, die einschlägigen Stellen der Originalarbeit 
von A. Trillat und Turchet im französischen Texte hierher zu setzen: 

„Le nouveau procSdö, que nous employons pour d6celer l’ammoniaque, 
est base sur la remarquable propriöte, que possede Piodure d’azote naissant de 
communiquer ä Peau une coloration noire intense, dont la visibilitfe est encore 
appröciable ä une dose de 1:600000 d’aminoniaque. 

On ne peut r6ussir ä former Piodure d’azote en mettant en contact 
directement de Piode ou de Piodure de potassium avec des traces d’ammoniaque. 
Par contre, si l’on provoque la formation intermSdiaire du chlorure d’iode, la 
räaction ä lieu instantanäment en prßsence d’une petite qualitö d’alcali, d’apr&s 
la formule suivante: 

3 Cli + Az H 8 + 3 Na OH = 3 Na CI + AzJ s + 3 H f O. 

La mise en oeuvre de cette analyse est extremement simple. II suffit 
d’additionner Peau ä analyser d’une solution d’iodure de potassium et d’y ajouter 
quelques gouttes d’une solution etendue d’hypochlorite alcalin. 

La möthode colorimetrique pourra permettre d’en evaluer l’ammoniaque 
en pr6sence des substances, qui les accompagnent (sc. dans la salive humaine, 
Purine, le suc gastrique, les jus de viande) avec bien entendu les avant&ges 
et inconvßnients inhSrents ä tous les procedes colorimetriques. 

En attendant de donner le meilleur mode opäratoire pour ces cas parti- 
culiers, nous avons appliquö specialement notre ra6thode ä caractßriscr la puretä 
d’une eau potable. Dans un tube ä essais, on met 20 centim&tres cubes d'eau 
ä analyser, on ajoute 3 gouttes d’une solution d’iodure de potassium ä 10 p. 
100 et 2 gouttes d’une solution concentröe d’un hypochlorite alcalin. (Nous 
employons Peau de Javel du commerce). La coloration brune d’iodure d’azote 
se produit immßdiatement*). 

II faut 6viter un excös de röactif qui dissoudrait rapidement Piodure 
d’azote .... 

In dem Referate hatte ich demnach den wesentlichen Inhalt des Original¬ 
artikels wiedergegeben, nur hatte ich nicht erwähnt, daß in zweifelhaften Fällen 
zur Auflösung des Jods die Flüssigkeit mit Chloroform zu schütteln ist. 

Ich habe nun gemeinsam mit Herrn Apotheker Kirchmayer- 
Simmern die Reaktion nachgeprüft und bisher nur negative Resultate erhalten. 
Da, wie Herr Kreisarzt Dr. Rath mann mit Recht angibt, die Eau de Javelle 
der Apotheken chlorhaltig ist, so entsteht zunächst bei Mischung der vorge¬ 
schriebenen Reagentien eine auf freies Jod zu beziehende Gelbfärbung. 
Nimmt man nun das Jod durch Chloroform auf, so wird dieses blauviolett; die 

*) La coloration de Piode mis en libertö ne peut etre confondue avec 
celle de Piodure d’azote; on peut dans les cas douteux agiter le liquide contenu 
dans le tube avec 2 centimötres cubes de chloroforme qui dissout Piode. 




Besprechungen. 


649 


Gelbfärbung verschwindet völlig aber erst bei Zusatz reichlicher ammoniak¬ 
haltiger Flüssigkeit. 

Prüft man nun ein Wasser, dem man kleine Mengen nicht von Ammoniak, 
sondern von Ammoniumsalzen zugesetzt hat, mit Jodkali und Eau de Javelle, 
so tritt Gelbfärbung ein. Setzt man 2 ccm Chloroform zu, so färbt sich diese 
blauviolett. Die obenstehende Flüssigkeit aber bleibt gelb. 

Verwendet man mit Quecksilber geschüttelten Liq. Natrii chlorati, so ist 
die Beaktion noch eindeutiger, da destilliertes Wasser hell bleibt, Ammonium¬ 
salzhaltiges Wasser sich aber tatsächlich braungelb färbt und diese Farbe 
behält nach Zusatz von Chloroform. 

Sollte es mir gelingen, ein reines alkalisches unterchlorsaures Salz 
zu erhalten, und sollte dieses zu positiven Ergebnissen führen, so würde ich 
dieselben an dieser Stelle mitteilen. 

Vielleicht hat die Darstellung des Herrn Kollegen Bathmann und die 
Wiedergabe der Hauptpunkte des Originalartikcls die Wirkung, daß auch 
Chemiker von Fach bei Lösung der Frage mitarbeiten. 

Nachtrag: Von Merk beschaffter Liq. Natrii chlorati stellt unter¬ 
chlorigsaures Natron in großer Reinheit dar. Mit demselben geben Ammonium¬ 
salze in starker Verdünnung eine schöne Gelbfärbung; Ammoniak selbst in 
Lösung gibt mit diesem Liq. Natrii chlorati und Jodkalilösung keine Färbung. 

Mag nun die Beaktion mit diesem Liquor für Ammonsalze auch 
wertvoll sein, so steht sie derjenigen mit dem Neßlerschen Reagens schon 
aus dem Grunde nach, weil sie für Ammoniak selbst nicht gilt. 


Besprechungen. 

B. Heys, Anstaltsgeistlicher bei der l J rov.-lrrenanstalt in Münster: Ueber 
Beeeeeenheltswahn bei geistigen Erkrankungszuständen. Pader¬ 
born 1904. Verlag von F. Schön in gh. 12 o; 147 8. Preis: 1 M. 

Was der Verfasser, Anstaltsgeistlicher an der Irrenheilanstalt Marien¬ 
thal-Münster über die einzelnen Formen geistiger Störungen, teils auf Grund 
einer sehr erfreulichen Kenntnis der psychiatrischen Literatur, teils auf Grund 
eigener vorurteilsfreier Beobachtung mittcilt, ist so zutreffend und klar, daß 
auch der Irrenarzt kaum viel daran aussetzen kann. Seine Forderungen und 
Vorschläge für die seelsorgerische Praxis bei Geisteskranken, der das vortreff¬ 
liche Werk in erster Linie gewidmet ist, werden auch den Arzt in hohem Grade 
interessieren müssen; sie sind so gut dem Krankheitszustande bei den einzelnen 
Psychosen angepaßt, daß sie kaum ärztlichen Widerspruch erfahren dürften. 
Im übrigen erweist sich der Verfasser bei Besprechung zahlreicher Fälle von 
angeblicher Besessenheit als ein recht kritischer Beurteiler, der sich in langer 
Anstaltspraxis die ärztlichen Erfahrungen in weitem Maße zu eigen gemacht 
hat. H.s Buch, dem gerade in seinem speziellen Leserkreise die weiteste Ver¬ 
breitung zu wünschen ist, erscheint besonders geeignet, mancherlei Vorurteile, 
die gegen Irrenanstalten und Aerzte vielfach noch bestehen, beseitigen und 
bekämpfen zu helfen. Dr. Pollitz-Münster. 


Helen Bradford Thompson, Direktor des pathologischen Laboratoriums 
des John Hopking College: Vergleichende Psychologie der Ge¬ 
schlechter. Experimentelle Untersuchungen der normalen Geistesfähig¬ 
keiten bei Mann und Weib. Autorisierte Uebersetzung von J. E. K Ötscher. 
Würzburg 1905. Stübers Verlag. Kl. 8°; 198 S. Preis: 3,50 M. 

Auf die interessanten Untersuchungen des Verfassers, die er an männ¬ 
lichen und weiblichen Studenten teils experimentell, teils durch Fragebogen 
angestellt hat, kann hier nicht tiefer ein gegangen werden. Das Ergebnis ist 
auffallend genug. Verfasser fand an seinem Materiale, das im Bildungsgänge ziem¬ 
lich gleichwertig war, daß nur ein sehr geringer Unterschied in der psychischen 
Organisation beider Geschlechter besteht. Wenn ein solcher tatsächlich viel¬ 
fach hervortritt, ist er das Produkt von von Jugend auf traditionell ein wirkender 
Einflüsse auf die beiden Geschlechter. Je weniger derartige Einflüsse in Zu¬ 
kunft fortwirken werden, um so geringer werden die psychologischen Geschlechts¬ 
unterschiede hervortreten. In dem umfangreichen bibliographischen Verzeichnis 



650 


Besprechungen. 


vermißt man die für das vorliegende Thema so interessante Abhandlung von 
Moobins über den physiologischen Schwachsinn des Weibes. 

Dr. Pollitz-Münster. 

Dr. F. O. R. Eaohle, Direktor der Kreispflegeanstalt Sinsheim: Die krank¬ 
hafte Willensschwäche nnd die Aufgaben der erziehlichen 
Therapie. Berlin 1904. Verlag von Fischers med. Buchhandlung; 8°; 
144 S. Preis: 4 Mark. 

Man kann das vorliegende Bach als einen Versuch betrachten, die Lehren 
0. Bosenbachs, denen der Verf. mit warmer Begeisterung anhängt, einem 
größeren ärztlichen Pablikum bekannt zu machen unter gleichzeitiger Nutz¬ 
anwendung für die Praxis. Bosenbachs Lehren der „Energeto-Pathologie“, 
d. h. psychologische Erscheinungen durch eine Energie - Physiologie zu er¬ 
klären, können hier nicht mit wenigen Worten dargestellt werden. Der Verf. 
baut auf dieser Theorie eine neue Lehre der Geistes- und Nervenkrankheiten 
auf, indem er von B.s Definition ausgeht, daß als „krankhaft zu bezeichnen 
ist, was direkt oder dureh seine Dauer den Zwecken des Organismus, d. h. 
der Erhaltung seines Einflusses auf die Außenwelt widerstreitet.“ Damit 
ergibt sich für psychische Störungen als Ausgangspunkt aller Beurteilung die 
Handlungsfähigkeit des Individuums und deren Störungen. Verf. unterscheidet 
demnach mit Bosenbach verschiedene Formen der „abulischen Insuffizienz“. 
Diese zerfällt in drei Hauptgruppen: Die defektive Insuffizienz als Folge oiner 
Störung der psychischen Harmonie durch Ausfall seelischer Elemente, die 
psychomotorische Insuffizienz charakterisiert durch Störungen im Ineinander¬ 
greifen des psychomotorischen Apparates, schließlich die motorische Insuffizienz 
als Ergebnis mangelhafter Fortleitung motorischer Impulse oder Störung der 
motorischen Sphäre selbst. Die erste dieser 3 Gruppen zerfällt wiederum in 
destruktive, affektive und originär - affektative. Dahin gehören mancherlei 
Störungen, die wir uns gewöhnt haben, wesentlich anders zu klassifizieren, 
z. B. sind „destruktive Insuffizienz“-Psychosen die Paralyse, Dementia senilis, 
sekundäre Demenz, Melancholie, Manie, Stupidität, akute halluzinatorische 
Paranonia, Dementia epileptica und alcoholica. Der Leser wird merken, daß 
hier mancherlei leise Berührungspunkte mit der Einteilung Ziehens bestehen, 
dessen Lehrbuch neben Weygandts Grundriß als einziges Lehrbuch der 
Psychiatrie unter 45 Literaturaugaben genannt wird. Der zweite größere Teil 
des Buches behandelt die Therapie dieser „Willensstörungen“; dieser Abschnitt 
wird auch bei denen volle Anerkennung finden, die sich nicht mit den theore¬ 
tischen Ausführungen des ersten Teiles befreunden können nnd die Einführung 
neuer Namen für längst Bekanntes nicht als Fortschritt anzusehen geneigt sind. 

Dr. Pollitz-Münster. 


Profi Dr. A. Eulenburg : Die Hysterie des Kindes. (Moderne ärzt¬ 
liche Bibliothek.) Berlin 1905. Heft 17; 87 Seiten. Preis: 1 Mark. 

Das in den Lehrbüchern meist nur wenig berücksichtigte Kapitel der 
Kinderhysterie findet hier aus der Feder eines erfahrenen Beobachters eine 
kurze, aber sehr lehrreiche Darstellung, die nicht nur dem Gerichtsarzte, 
sondern besonders Schulärzten von Wert sein dürfte. E. lehnt bei der Ab¬ 
grenzung des Begriffs Hysterie jede Erklärung ab, in der die Krankheit auf 
Störungen in den Generationsorganen zurückgeführt wird. Er definiert die 
Krankheit als eine Kombination von Psychoneurose mit hochgradiger In- 
pressionabilität, Konvulsibilität und abulischcr Insuffizienz. Die Krankheit 
wird bei Knaben und Mädchen in gleicherweise beobachtet, die ersten Symp¬ 
tome vereinzelt schon im dritten und vierten Lebensjahre. Diese letzteren 
teilt Verf. ein in Anfalls- und Intervallär - Symptome. Hierher sind die 
zahlreichen Bewcgungs-, Empfindungs-, Ernährungs- und psychische Störungen 
zu rechnen. Hysterische Anfälle sind kein regelmäßiges Symptom der Krank¬ 
heit, ebensowenig wie die nicht seltenen hysterischen, mit den Anfällen meist 
verbundenen, Dämmerzustände. Bei der Diagnose ist noch mehr als bei der 
Beurteilung Erwachsener die Manigfaltigkeit der körperlichen Krankheitsbilder 
der Hysterie, die leicht schwere Gehirn- und Bücken marksleiden vortäuscht, 
besonders zu beachten. Weniger leicht scheint dem Bef. eine Verwechselung 
mit den vom Verfasser erwähnten Psychosen, wie Manie, Paranoia, Katatonie, 



Besprechungen. 


651 


Dementia praecox za sein, da diese Störungen meist erst nach oder in der 
Pubertät, nicht im Elindesalter nufzntreten pflegen. Sehr wichtig ist der Ein* 
-weis, die Aussagen hysterischer Kinder auf ihre Glaubwürdigkeit in foro 
genauestens zu prüfen, besonders bei angeblichen Sittlichkeitsdelikten. Kinder 
mit schweren hysterischen Krampfzuständen will E. aus der Schule aus¬ 
geschlossen wissen, während solche mit auffälligen hysterischen Symptomen 
bis zur Heilung dieser dem Schulbesuche fern bleiben sollten. 

Dr. Pollitz-Münster. 


A. C&lmette et X. Breton: I/Ankylostomle. Maladie sociale — 
Anämie der Mineurs —. Paris 1905. Editeur: Masson et Cie. 

Bas ziemlich umfangreiche Werk, mit zahlreichen Abbildungen, bringt 
zunächst an der Hand der Literatur, die Entwickelungsgeschichte und die 
geographische Verbreitung der Ancbylostomi&sis, sodann die Naturgeschichte 
des Parasiten, die Diagnose der Krankheit, ihre Behandlungsweise und schließlich 
die Prophylaxis der Seuche, sowie sonstige in hygienischer Beziehung belang¬ 
reiche Maßnahmen. 

Wenn auch neue Gesichtspunkte von Bedeutung nicht hervortreten, so 
verdienen doch manche Darstellungen, insbesondere die Abhandlung über die 
Differentialdiagnose mittelst guter Zeichnungen der verschiedenartigen Eier der 
Darmparasiten der vollen Anerkennung; es kann deshalb schon aus diesem Grunde 
die Lektüre des Werkes empfohlen werden. 

Von besonderem Interesse für uns sind die in Belgien und Frankreich, 
nach dem Vorschläge von Malvoz in Lüttich, eingeführten Dispensaires 
d’Hyg iene sociale. In diesen Anstalten werden die Bergleute, und selbst¬ 
verständlich auch Leute anderer Borufsarten, sofern auch sie wurmverdächtig 
sind, mittelst der mikroskopischen Kotproben-Durchmusterung auf die Warmeier 
untersucht und event. sofort der Abtreibungskur unterzogen. Die Dispensaires 
unterscheiden sich von unseren sogenannten Wurmbaracken dadurch, daß die 
Behandlung dort keine stationäre, sondern eine ambulante ist. 

Leider sind mehrere, unsere Einrichtungen im rheinisch - westfälischen 
Kohlenreviere betreffenden Darstellungen nicht ganz richtig ausgefallen. So 
sind z. B. die auf S. 17 gebrachten, meiner Broschüre: „Die Untersuchung 
auf Anchylostomiasis, 1904, 7. Aufl., Verlag von W. Stumpf in Bochum“, ent¬ 
nommenen Zeichnungen an und für sich zwar richtig nachgebildet, aber anstatt 
auch meine der Tafel mit den Figuren beigegebene Erklärung mit abzu¬ 
drucken, haben die Herren Verfasser eine andere, jedoch mehrfach unrichtige 
Erklärung unter die Zeichnungen gesetzt. Die Fig. 3, 3a und 3b sind von 
ihnen als Anchylostomenlarven bezeichnet, während sie in der Tat Würmer, 
nämlich die ein freies Geschlechtsleben führende Bhabditis terricola (Ascaris 
nigrovenosa) darstellen. Die Fig. 7 und 8 zeigen keine Larven im 4. Stadium, 
wie Verfasser annehmen, sondern eine junge Larve der Bhabditis stercoralis 
und eine junge Larve der Anguillula intestinalis. Endlich stellt die Figur 9 
nicht die Mundkapsel der Larve — capsule buccale de la larve au 4 stade —, 
sondern den Kopf nebst Mundkapsel des geschlechtsreifen Anchylostomum- 
Wurms dar. 

Einzelne andere minder wichtige Unrichtigkeiten sind zu übergehen; 
bemerkt sei jedoch noch, daß unsere Knappschaftsärzte nicht, wie es auf S. 92 
heißt, einen obligatorischen Ausbildungskursus im bakteriologischen Institut zu 
Gelsenkirchen durchgemacht haben, sondern, wenn vielleicht auch nicht sämtlich, 
so doch mit ganz vereinzelter Ausnahme, in der unter meiner Leitung stehen¬ 
den klinischen Abteilung für Wurmkranke im hiesigen Elisabeth - Hospital, 
resp. in dem daselbst auf Kosten des Allg. Knappschafts-Vereins eingerichteten 
Laboratorium ausgebildet sind und noch aasgebildet werden. 

Dr. Tenholt-Bochum. 


Flugschriften der Deutsohen Gesellschaft zur Bekämpfung: der 
Geschlechtskrankheiten. Dr. O&rl Alexander -Breslau. Leipzig 1904. 

Verlag von Ambr. Barth. Heft I: Geschlechtskrankheiten and Kur¬ 
pfuscherei. 24 S. Preis: 0,30 M. 

Der bekannte Bekämpfer der Kurpfuscherei zeigt aufs Klarste, wie 
gerade auf diesem Gebiete die Schäden ganz unberechenbar sind, zumal einer¬ 
seits die Zahl derer, die sich auf Gnade und Ungnade den Kurpfuschern er- 



652 


Besprechungen. 


gibt, eine erschreckend große ist, and anderseits der Einzelne nicht nor sich 
schädigt, sondern auch durch Hintanhaltung der zweckmäßigen Behandlung 
eine Gefahr für seine Mitmenschen wird. 

Dr. Outmann- Berlin, Augenarzt: Heft 2. Bedeutung der Geschlechts¬ 
krankheiten für die Hygiene des Auges. 16 S. Preis: 0,20 M. 

Die dem Arzte bekannten Folgen für das Auge werden hier zusammen* 
gefaßt und auch dem Laien verständlich dargestellt. 

Dr. Felix Blook - Hannover: 8. Haft. Wie achütsen vir uns vor den 
Geschlesohtskrankheiten und deren ttblen Folgen? 32 S. Preis: 
0,30 M. 

Der Vortrag ist im Hannoverschen Arbeiterverein gehalten und zeigt 
Verfasser, wie man durch Aufklärung und Warnung auf die männliche Jagend 
einwirken soll, sowohl um sie von der Krankheit fernzuhalten, als auch, um 
die Erkrankten vor weiteren Folgen zu bewahren. 

Profi Dr. Carl Ropp : Heft 4. Das Geschlechtliche in der Jugend¬ 
erziehung. Preis: 0,30 M. 

Der Vortrag wurde in der öffentlichen Sitzung der Ortsgruppe Münster 
gehalten und zeigt besonders den Eltern und Erziehern, daß und wie man 
die Kinder, auch Mädchen, in zweckmäßiger Weise aufklären und warnen kann. 

Dr. Blokusewski-Niederbreisig a. Bh. 


J. R. Proksoh- Wien: Beiträge zur Geschichte der Syphilis. Bonn 
1904. Verlag von B. Haustein. Kl. 8°; 54 S. 1,50 M. 

Unter Besprechung verschiedener Syphilis-Endemien vertritt Verf. seine 
frühere Ansicht, daß die Syphilis nicht erst Ende des 15. Jahrhunderts von 
Amerika eingeschleppt sei. Seinen früheren Beweisen fügt er nichts Wesent¬ 
liches hinzu; sein Hauptgegner Iwan Bloch wird nirgends erwähnt. Jeden¬ 
falls wird die Frage dadurch nicht weiter geklärt. 

Dr. Blokusewski-Niederbreisig a. Bh. 


Dr. Wilhelm Hammer -Berlin: Die gesundheitlichen Gefahren ge¬ 
schlechtlicher Enthaltsamkeit. Leipzig 1904. Verlag von W. Mal¬ 
ende. Kl. 8°. Preis: 0,80 M. 

Die gesundheitlichen Störungen werden bezüglich Geschlechtsorgane, 
Nerven, Blut- bezw. Ernährung und Haut erörtert. Die zur Erhärtung solcher 
Störungen reproduzierten 2 Cr an ach sehen Originale: Luther ledig und 
verheiratet darstellend, lassen auch andere Erklärungen zu. Die pekuniären 
Berechnungen der freien und der ehelichen Liebe sind sicherlich nicht ein¬ 
wandsfrei. Dr. Blokusewski-Niederbreisig a. Bh. 


Dr. Max Marouze - Berlin: Darf der Arzt zum ausserehellchen 
Geschlechtsverkehr raten ? Leipzig 190t. Verlag von W. Malende. 
KL 8°; 34 S. Preis: 1,50 M. 

Ausgehend von der Annahme, daß einerseits die gesundheitlichen Folgen 
der Enthaltsamkeit zwar vielfach überschätzt, aber doch nicht ganz selten 
bestehen, anderseits aber genügende Mittel zur erheblichen Herabsetzung der 
Gefahren der Infektion und Konzeption vorhanden sind, bejaht Verfasser diese 
Frage, und zwar für beide Geschlechter, wenn auch mit gewissen Einschrän¬ 
kungen. Nach Ansicht des Beferenten ist aber zu bedenken, daß besonders 
bezüglich der Konzeption ein einziger Mißerfolg zu schwer wiegende Folgen 
hat. Dr. Blokusewski-Niederbreisig a. Bh. 


Dr. med. Fritz Jflrzn, erster Assistent des Instituts für Pharmakologie und 
physiologische Chemie der Universität Bostock: Beiträge zur Kenntnis 
der Wirkungen einiger als Volksabortiva benutzten Pflanzen, 
Tanacetuxn, Thuja, Myrlstioa. Mit drei farbigen Tafeln. Nebst einem 
Vorwort von Prof. B. Kob er t. Verlag von Ferdinand Enke. Stuttgart 
1904. Gr. 8 °, 112 Seiten. Preis: geh. 5 Mark. 

Wie alle Arbeiten vonKobert oder solche aus seinem Institut zeichnet 
sich auch die vorliegende durch Genauigkeit und Gründlichkeit aus. Im Vor* 



Tagesnaehriehten. 


658 


•Worte weist Eobert darauf hin, daß die genannten Pflanzen vom Volke ge¬ 
legentlich als Abortiva gebraucht werden, und daß außerdem Thuja eine 
verschiedenartige Wirkung auf das Blut ausäbt. 

In der Arbeit selbst gibt Verfasser zunächst eine historische Uebersicht 
Aber Vorkommen und bisherige therapeutische Verwendung der Pflanzen, über 
die bis jetzt bekannt gewordenen Vergiftungsfälle und endlich über Isolierung, 
Beindarstellung und Wirkung der wirksamen Substanz. Sodann werden aus¬ 
führlich die eigenen Versuche geschildert, die da beweisen, daß die Mittel 
keine geeigneten Abortiva sind. 

Die beigegebenen Tafeln zeigen Schnitte aus der Leber eines an My¬ 
ristizin-Vergiftung zugrunde gegangenen Kaninchen: Zentralvene ist erweitert; 
in der Peripherie jedes Acinus Anden sich Bundzellen und Austritte von roten 
Blutkörperchen. Am Bande jedes Läppchens vakuoläre Degeneration und bei 
Osmiumbehandlung intensive Schwarzfärbong. 

Dr. Hoffmann-Berlin. 


Br. H. v. Hölder, Obermedizinalrat a. D.: Pathologische Anatomie der 
Gehirnerschütterung beim Menschen. Gegründet auf Leichen¬ 
öffnungen von 87 Verunglückten, sowie 58 Selbstmördern durch Schüsse in 
den Kopf. Verglichen mit den Befunden bei mehreren durch Gehirnkrank¬ 
heiten aus inneren Ursachen Gestorbenen. Mit 14 Tafeln Abbildungen. 
Stuttgart 1904. Verlag von Julius Weise. Gr. 8°, 80 Seiten. 

Verfasser schildert die pathologische Anatomie der Gehirnerschütterungen 
und gibt seinen Beschreibungen sehr instruktive Abbildungen bei. Im ersten 
Teile werden die Erschütterungen durch mechanische Gewalten und im zweiten 
Teile die Befunde bei Schußverletzungen des Kopfes (nach Seite 8, 67, nicht 
58 wie das Titelblatt besagt) besprochen. Der dritte Teil bringt „allmähliche 
Veränderung der kapillären Apoplexien und größerer Blutung bei den einige 
Zeit nach der Verletzung Gestorbenen.“ 

Die Arbeit soll, wie es in der Einleitung heißt, eine Lücke ausfüllen, 
die noch vorhanden ist zwischen den Verletzungen der Blutgefäße des Gehirns 
aus innerer Ursache und den durch äußere Gewalt bewirkten. 

Denen, welche sich speziell für diese Frage interessieren, kann die Lek¬ 
türe der vorliegenden Arbeit nur empfohlen werden. 

* Dr. Hoffmann-Berlin. 


Tagesnachrichten. 

Die Cholera ist in der letzten Woche zwar immer noch an einzelnen 
Orten, darunter auch in Berlin, neu aufgetreten, die Erkrankungsfälle sind aber 
dank der getroffenen Maßregeln stets vereinzelt geblieben, ihre Gesamtzahl hat 
sich auch verringert. Während nämlich in der Zeit bis zum 30. August 20 Er¬ 
krankungen mit 12 Todesfällen und in den darauffolgenden zwei Wochen (bis 

13. September) 159 bezw. 53 vorkamen, sind in den letzten 14 Tagen (vom 

14. —28. September) nur noch 76 bezw. 22 zur amtlichen Kenntnis gelangt. 
Die Gesamtzahl beträgt demnach bis jetzt 255 Erkrankungen, von denen 87 
tödlich verliefen. 


Genickstarre ln Preussen. Für den Monat August sind gemeldet 
81 (72) Erkrankungen (Todesfälle) an epidemischer Genickstarre, und zwar in 
der Provinz Westpreußen„l (1), Brandenburg 6 (3), Pommern 1, Schlesien 58 (59), 
Sachsen 4 (3), Hannover 1 (1), Westfalen 5 (4), Bheinprovinz 5 (1). Von den 
81 (72) Erkrankungen (Todesfällen) entflelen 58 (59) auf die Provinz Schlesien, 
23 (13) auf die übrigen Teile der Monarchie. Seit dem Beginn der Epidemie 
bis zum 31. August kamen in Preußen 3355 Erkrankungen und 1880 Todes¬ 
fälle an epidemischer Genickstarre zur Anzeige, von denen 3007 (1711) auf die 
Provinz Schlesien, 847 (169) auf den übrigen Staat entflelen. 


Bei der am 14. —16. September d. J. in Hamburg stattgehabten 
10. Internationalen kriminalistischen Vereinigung kam u. a. die Behänd- 



654 


. Tagesnachrichtan. 


lang der vermindert Zarechnungs fähigen zur Verhandlung. Per Referent, 
Prof. Pr. v. Liazt-Berlin, hatte die nachfolgenden vier Thesen aufgestellt: 

„1. Für die Minderwertigen (mit verminderter Zurechnungsfähigkeit auf 
Grund innerer Ursachen) soll der Gesetzgeber, ob sie straffällig geworden sind 
oder nicht, wenn sie für sich selbst, für ihre Umgebung oder für die Gesell¬ 
schaft gefährlich geworden sind, Schutzmaßnahmen (besondere Beaufsichtigung, 
Internierung in Sicherangsanstalten u. a. m.) ins Auge fassen. 

2. Für die minderwertigen Straffälligen, mögen sie gefährlich sein oder 
nicht, soll neben den bestehenden Bestimmungen über die mildernden Umstände 
eine besondere, gemilderte Strafe vorgesehen werden. 

3. Was a) die geistig minderwertigen Verbrecher anbelangt, so hat das 
Strafgericht festzusetzen, ob der Zustand der Gemeingefährlichkeit vorliegt, 
und, falls das auf eine geringere Strafe lautende Urteil nicht vollstreckt werden 
kann, die vorläufige Verwahrung anzuordnen; dem ordentlichen Zivilrichter 
steht es zu, endgültig über die erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen zu ent¬ 
scheiden ; was b) die nicht verbrecherischen geistig Minderwertigen anlangt, so 
ist es imm er Aufgabe des ordentlichen Zivilrichters, zu entscheiden, ob der 
Zustand der Gefährlichkeit vorliegt., und sowohl provisorisch, wie endgültig die 
erforderlichen Maßnahmen zu treffen. 

4. Sache des ordentlichen Zivilrichters ist es ferner, in jedem Falle über 
die provisorische oder endgültige Entlassung eines geistig Minderwertigen, 
gegen welchen Sicherheitsmaßnahmen getroffen worden sind, zu entscheiden.“ 

These 1 und 2 wurden nach längerer Erörterung mit der Aenderung am 
Schluß der zweiten These: «eine besondere Strafe oder besondere Behandlung“ 
statt «eine besondere, gemilderte Strafe“ angenommen. Ueber These 3 und 4 
fand eine Abstimmung nicht statt. 


Pie diesjährige 77. Naturforscherversammlung in Meran vom 25. bis 
30. September hat sich eines sehr zahlreichen Besuches erfreut. Als nächst¬ 
jähriger Versammlungsort wurde Köln gewählt. Wir werden demnächst eine 
besonderen Bericht über die die Leser dieser Zeitschrift interessierenden Vor¬ 
träge und Verhandlungen bringen. 


Auch die in Mannheim vom 13. —16. September abgehaltene dies¬ 
jährige Jahresversammlung des Deutschen Vereins für öffentliche Gesund¬ 
heitspflege war zahlreich besucht. Ein ausführlicher Bericht darüber folgt in 
einer der nächsten Beilagen der Zeitschrift. 


Auf der am 23. September d. J. in Mannheim abgehaltenen 
25. Jahresversammlung des deutschen Vereins für Armenpflege und Wühl¬ 
tätigkeit gelangte u. a. auch die Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit 
zur Verhandlung. Pie drei Berichterstatter: Brugger, Beigeordneter in 
Ouln, Pr. Finkeistein, Oberarzt am Kinderasyl in Berlin und Pr. Marie 
Baum, großherzoglich badische Fabrikinspektorin in Karlsruhe, hatten sich auf 
folgende Leitsätze geeinigt, die nach eingehender Piskussion zur Annahme 
gelangten: 

«Es ist Pflicht des Staates wie der Gemeinden, der in Peutschland be¬ 
stehenden übergroßen Säuglingssterblichkeit auf das nachdrücklichste entgegen- 
zutreten. Insoweit an dem Absterben der Kinder im ersten Lebensjahre die un¬ 
günstige wirtschaftliche Lage des vorwiegend davon betroffenen Volksteils die 
Schuld trägt, ist auf deren Besserung nach Kräften hinzuwirken. 

Unbeschadet der hierauf gerichteten Bestrebungen müssen an positiven 
Maßnahmen schon heute gefordert werden: 

a. Pie entschiedenste Förderung der Brusternährung der Säuglinge, die 
als die vornehmste Pflicht jeder Matter bezeichnet werden muß. Soweit wirt¬ 
schaftliche Verhältnisse, Zwang zur Erwerbstätigkeit, dem Selbststillen hinder¬ 
lich sind, haben die Gemeinden im Zusammenwirken mit den Faktoren der 
Wohlfahrtspflege und Wohltätigkeit durch Gewährung materieller Unterstützung 
zur Förderung des Selbststillens helfend mitzuwirken. 



Tagesnachrichten. 


;655 

b. Verbreitung der Grundsätze einer vernunftgemäßen Säuglingshygiene. 
Im Rahmen dieser Aufgabe ist die prophylaktisch beratende Tätigkeit der 
.Aerzte weitesten Volkskreisen zugänglich zu machen. 

c. Da die künstliche Ernährung vieler Säuglinge aus verschiedensten 
Gründen nicht zu umgehen sein wird, haben die Gemeinden die Aufgabe, den 
weniger bemittelten Volkskreisen den Bezug einer einwandfreien, billigen 
Säuglingsmilch zu ermöglichen. An armenrechtlich hilfsbedürftige Personen 
ist solche Milch als neue Form der Naturalunterstützung abzugeben. Es ist 
•dabei fortgesetzt die Vorstellung zu bekämpfen, daß es für Muttermilch einen 
vollwertigen Ersatz gibt. 

d. Beaufsichtigung der unehelichen und der in fremder Pflege befind¬ 
lichen ehelichen Säuglinge durch sachkundige Aerzte unter Mitwirkung weib¬ 
licher Helferinnen, die ausreichende Kenntnisse bezüglich der Ernährung und 
Pflege des Säuglings besitzen. 

Neben diesen Maßnahmen empfiehlt sich: 

1. Die weitere Ausdehnung der gesetzlichen Fürsorge auf alle in Handel, 
Gewerbe, Haus- und Landwirtschaft tätigen Schwangeren und Wöchnerinnen 
durch allgemeine Einführung einer angemessenen Ruhezeit vor und nach der 
Entbindung unter gleichzeitiger Gewährleistung einer ausreichenden Unter¬ 
stützung. 

2. Die Sorge für Wöchnerinnen durch Ausbreitung der Haus- und 
Wochenbettpflege, sowie Unterstützung der Anstalten, welche unterkunftslosen 
Müttern für längere Zeit das Zusammenleben mit ihrem Kinde ermöglichen. 

8. Errichtung oder wenigstens materielle Unterstützung von Säuglings¬ 
heimen, Krippen und Säuglingshospitälern bezw. Säuglingsabteilangen bei 
Krankenhäusern unter sachverständiger Leitung. 

Die der Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit dienenden Maßnahmen 
sollen nicht den Charakter der Armenhilfe tragen. Die erforderlichen Mittel 
sind deshalb aus Stiftungsmitteln oder aus hierzu besonders bcreitgestellten 
Fonds zu entnehmen." 


Ueber Gesundheit» - Attaches bringt die Magdeburger Zeitung 
Tom 29. Juli d. J. folgende beachtenswerte Ausführungen von Kreisarzt 
Dr. Berger in Hannover: 

„Auf allen Gebieten schreitet die Menschheit mit Riesenschritten vorwärts, 
nicht zum wenigsten auf dem Gebiete des Gesundheitswesens und der Gesund¬ 
heitspflege. Zahlreiche Zeitschriften in den verschiedenen Ländern sorgen dafür, 
daß die Fortschritte dieser Wissenschaft in dem einen Lande schnell auch 
anderen Ländern zugänglich gemacht werden zum Heile der Menschheit, und 
auf den Errungenschaften des einen Landes baut das andere Land weiter, da 
gibt cs keine nationalen Grenzen, Hygieniker sind Kosmopoliten. Daß aber 
die wissenschaftlichen Zeitschriften nicht genügen, wenn man sich ein Bild von 
dem Gesundheitswesen eines Volkes verschaffen will, braucht nicht erst erwiesen 
zu werden, kein Buch kann so ausführlich sein, keine Zeitschrift kann den 
Stoff in jahrhundertelanger Arbeit erschöpfen; denn ganz abgesehen von der 
Menge des Stoffes sind die Fortschritte tägliche, oft unmerkliche, oft erst in 
ihren Folgeerscheinungen erkennbare. 

Das hat unser erhabene Kaiser erkannt und bahnte darum den Austausch 
von Gelehrten mit den Vereinigten Staaten an. Lebendige Anschauung und 
lebendiges Wort arbeiten sicherer und schneller als Bücher; in diesen ist alles 
gewissermaßen zu sehr fixiert, während durch jene der lebendige Strom des 
Lebens pulsiert. Was liegt näher als den Botschaften Sachverständige beizu¬ 
geben, welche die Gesundheitsverhältnisse der betreffenden Länder zu studieren 
haben? In den Vereinigten Staaten von Nordamerika habe ich soviel Inter- 
essantes, Neues, für uns Verwertbares gesehen, daß ein Gesundheit» -Attachö 
in den Staaten von großem Nutzen für unser deutsches Vaterland sein würde, 
•ebenso ist es mit England und Frankreich und anderen Staaten. 

Wenn man die Gesundheit für das größte Gut hält, so ist es eigentlich 
selbstverständlich, daß solche Gesundheits-Attaches angestellt werden, ist doch 
die Gesundheit das Grundkapital und alle anderen Werte sind nur die Zinsen 
dieses Kapitals. 

Dem Gedanken, daß die wirtschaftlichen und gesundheitlichen Ein- 



666 


Tagesnachrichten. 


rieh tan gen anderer voranstrebender Nationen zum eigenen Nutzen eingehend 
studiert werden müssen, verschließt sich ja heute niemand mehr. Und man ist 
auch zu der Ueberzeugung gekommen, daß das nur an Ort und Stelle ge¬ 
schehen kann durch entsprechende Sachverständige. Den Botschaften werden 
bestimmte Sachverständige beigegeben, aber bisher nicht auf gesundheitlichem 
Gebiete. Medizinische Sachverständige werden zum Studium in fremde Länder 
geschickt. Das reicht nicht aus, auf gesundheitlichem Gebiete noch weniger 
als auf anderem. Und diese Beisen und Besichtigungen durch Kommissionen 
sind bis jetzt die Begel. Boosevelt hat zum Studium der kommerziellen 
Verhältnisse Abgeordnete ernannt, welche als Privatleute reisen sollen; das 
letztere ist wichtig, sonst bekommen solche Kommissionen große Sachen zu 
sehen, und, da die Ausbeute eine möglichst ergiebige sein soll, so viele, daß 
ihnen der Einblick in das Wie und Warum verborgen bleibt, wenigstens zum 
großen Teil, ins Innere der Natur kann man so nicht dringen. Ob das dem 
englischen Ausschuß zum Studium der deutschen Städteeinrichtungen gelingen 
wird, bleibt abzuwarten. Mit Studien-Kommissionen ist ein bedeutender Schritt 
vorwärts geschehen, der nächstfolgende ist die Beigabe entsprechender Sach¬ 
verständiger an die Botschafter. In der „Daily News“ äußerte sich kürzlich 
ein Mitglied jenes englischen Ausschusses, Sir Thomas Pile, über deutsche 
Wohlfahrtseinrichtungcn; da findet sich manches Bichtige, aber auch manches 
Unrichtige, so, daß jede größere deutsche Stadt neben ihrer technischen Schule 
auch eine technische Universität hat. Wie glücklich wären wir, wenn wir den 
von dem Berichterstatter gemeldeten Badezwang für Schulkinder hätten; 
wenn jedes Kind in Berlin, ob es rein oder schmutzig ist, zweimal in 
der Woche ein Bad nehmen muß, so wollen wir nur wünschen, daß nicht nur 
Berlin dieser Fortschritt Vorbehalten bleibt. Das ist die Folge solcher Beisen 
im großen Stile, die ganz gewiß, auch international, nicht zu unterschätzen 
sind; doch es entstehen leicht schiefe Bilder der Verhältnisse, über die ebenso 
summarisch berichtet wird wie über die großartigen Aufnahmen und die 
Festmähler. 

Von dem Beichstagsabgeordneten Paasche war kürzlich zu hören, er 
wolle eine Informationsreise in unsere Kolonien machen, um einen Einblick in 
die tatsächlichen Verhältnisse zu bekommen. Solche Beisen sind zu kurz ; soll 
das Studium fremdländischer Verhältnisse wirklich Nutzen schaffen, so müssen 
Nachforschungen angestellt, Erkundigungen eingezogen, Gründe abgewogen 
werden, und der Beschauer muß dem Geschauten ruhig und kritisch gegenüber, 
sonst ist leicht die Folge die, daß nachher allerlei Bückfragen notwendig 
werden, die dann wieder der praktischen Anschauung ermangeln; das sieht 
man ja so oft. 

Das Ziel wird erreicht durch Sachverständige bei den Botschaften in 
den fremden Ländern, die Zeit haben, die Verhältnisse genau zu studieren und 
kritisch zu betrachten. Solche Sachverständige sind eine Forderung unserer 
Zeit, und besonders auf gesundheitlichem Gebiete dürften solche Attaches 
dringend wünschenswert sein; gesundheitliche Fragen werden allerorts lebhaft 
erörtert, im Gesundheitswesen sieht man überall riesige Fortschritte, die 
Fragen des Gesundheitswesens greifen überall tief in das praktische Leben 
ein. Besonders wird es vorläufig darauf ankommen, die gesundheitlichen Ver¬ 
hältnisse in den Vereinigten Staaten, in England und Frankreich eingehend zu 
studieren und zum Wohle unseres Vaterlandes nutzbar zu piachen. In weit- 
sehauender Weise hat unser Kaiser für den Austausch von Gelehrten, für 
Beisen von Kommissionen die Anregung gegeben. Gesundheits- Attaches 
werden weiter in dem Sinne Seiner Majestät wirken zum Wohle Deutschlands t 


Berichtigung:. In Nr. 18 muß es S. 585, 12. Zeile von unten statt 
„Nabelbruch“ heißen „Nabelschnurbrach“. — Seite 586, Zeile 16 der 
„linke“ statt „rechte“ Oberschenkel. 

Auf S. 602 muß es auf Z. 1 „Heilvorschlag“ statt „Heilerfolg“ und 
auf Z. 6 „Näcke“ statt „Bäcke“ lauten. 


Verantwortl. Bedakteur: Dr. Kap mnn d, Keg.- n. Geh. Med.-Bat in Minden i. W. 
J. C. C. Braus, HerxogL Bichs, n. F. Sch.-I* Hofbuch druckeral ln lflndsn. 





18. Jahrg. 


1905 , 


Zeitschrift 

für 

MEDIZINALBEAMTE. 

Zentralblatt für gerichtlich« Medizin u4 Psychiatrie, 

(ir ärztlich« Sachverstaadigentätigteit in Unfall- und Invafiditätssachen, sowie 
für Hygiene, SffentL Saaitatswesea, Medizinal-Gesetzgebung and Rechtsprechug 

Heraasgegeben 

TOB 

Sr. OTTO BAPMUND, 

Regiernnfi- ud Geh. Medlrinalrtt ln Minden. 

Verlag von Fischers mediz. Buehhandlg., H. Kornfeld, 

HenogL Bayer. HOT- u. BnbenogL Kanunwr-BanhtJlnifler. 

Berlin W. 35, Lützowstr. 10. 

Inserate nehmen die Verlagshandlnng sowie alle Annoncen-Expeditionen des In« 

and Auslandes entgegen. 









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Dr. Zelle. 


87,8, am 23. Juni 37,6, 37,8, am 24. früh 37,5. Das Befinden des P. war eia 
gntes; er hatte keine Schmerzen, sein Appetit war gut. Um Mittag des 24. Joni 
fühlte er sich so wohl, daß er wider das Verbot anfstand, tun den Nachtstahl 
bequemer za benutzen. Hierbei trat plötzlich ein Schüttelfrost ein; der Verband 
blatete stark durch, die Temperatur stieg mit dem Frost auf 41,5. Sofort 
Verbandabnahme. Zwischen den guthaltenden Nähten starke arterielle und 
venöse Blutung. Die Nähte wurden entfernt; es zeigte sich, daß die Unter¬ 
bindung der Arterica poplitea gehalten hatte, es blutete dagegen stark aus 
den Art. surales, die sich als hart anzufassende, Streichholz dicke besitzende 
geschlängelte Blutgefäße präsentierten. Ferner kamen aus der Tiefe der Wunde 
fortwährend große dunkle Blutwellen geschossen, die das Gesichtsfeld verdeckten 
und die Orientierung sehr schwierig machten. Durch Unterbindung der bluten¬ 
den Arterien und Umstechung der parenchymatösen Blutungen gelang es endlich, 
der Blutung Herr zu werden. Es wurde in die Wunde ungefähr */* 8 Jodo¬ 
form eingepudert, dann Jodoformgazeverband. 

Patient war sehr erschöpft; Temperatur abends 39,7; am 25. Juni früh 
Temperatur 39,7, viel Klage über Durst, Puls 180, sehr klein. Verbandwechsel. 
Aus der großen Wundhöhle wurden einige Blutklumpen entfernt, die Gewebe 
zeigten sich etwas sulzig durchtrankt, jedoch fand sich nirgends eine Spur von 
Eiter; bei der nötig werdenden Erweiterung der Wunde auffallende Indolenz 
gegen Schmerz. 

Die Pupillen waren ad maximum erweitert, ihre Beaktion fast gleich 
Null. Augenmuskeln frei, die Zunge dick weißlich belegt; Milz nicht geschwollen, 
die Leber ebenfalls nicht. Urin spärlich, hochgestellt. Kein Stuhl. Da das 
Aussehen der Wunde das Fieber nicht zu erklären schien, wurde in Bücksicht 
auf die Möglichkeit einer Jodoformvergiftung jedes Jodoformkörnchen entfernt, 
die Wunde mit sterilisiertem Salzwasser ausgespült und mit 1 °/ 0 Lysoltampons 
ausgestopft. P. erhielt stündlich Kampfer-Benzoepulver, alle 2 Stunden eine 
Kampfereinspritzung, reichlich Wein und alle halbe Stunde einen Teelöffel 
doppelkohlensaures Natron in Wasser, Temperatur mittags 89,8. Der Zustand 
verschlechterte sich zusehends; Puls kaum zu zählen, Sensorium benommen, 
leichte Delirien. Nachmittags noch einmal Durchspülen der Wunde mit Salz- 
. wasser. Abends Temperatur 38,7, Puls 140, am 26. Juni 1 Uhr früh trat der 
Tod ein. Der zur Untersuchung zurückgestellte Urin war leider versehentlich 
weggegossen worden. Sektion wurde nicht gestattet. 

Dieser, wie man mir zugeben wird, nicht ganz klare Fall 
hat mich veranlasst, die einschlägige Literatur, soweit sie mir in 
einem kleinem Landstädtchen zugänglich war, zu durchmustern. 

Wenn man den Fall als eine Wundkrankheit auffassen will, 
so kommt selbstverständlich nur die Septikämie in Betracht. Doch 
ist bei dieser ein ausgesprochener Schüttelfrost, welcher das An¬ 
steigen des Fiebers begleitet, selten. Ferner fehlte jegliches Wund¬ 
sekret, geschweige denn, dass ein dünnes, übelriechendes vorhanden 
war; auch ist die starke Erweiterung der Pupillen und ihre Licht¬ 
starrheit, kein charakteristisches Symptom der Septikämie, eben¬ 
sowenig wie die Delierien. 

Fassen wir den Fall dagegen als Jodoformvergiftung auf, 
so scheint dies der Wahrheit näher zu kommen. 

Die Jodoformvergiftung ist zwar nicht immer leicht zn 
diagnostizieren, da sie durchaus nicht ein einheitliches Bild bietet. 
Als das Jodoform von Righini und Mosetig im grossen 
Massstabe in die Praxis eingeführt wurde, verbrauchte man an¬ 
fänglich und sehr oft ganz ohne Schaden enorme Mengen desselben. 
So wandte Mikulicz bei einem 5jährigen Mädchen ohne Nach¬ 
teile 120 g, Gussenbauer bei einer Fusssektion 220 g an. Für 
gewöhnlich verbrauchte Mosetig nicht über 20—40 g, seine 
höchste Menge war 70 g. Bald wurde nun von allen Seiten Aber 



Jodoformvergiftung oder Septik&mie. 


659 


flble Folgen nach Jodoformanwendung geklagt and es klärte sich 
allmählich das Bild der „JodoformVergiftung“. Mikulicz hielt 
allerdings zuerst eine akute Jodoformvergiftung für unmöglich, 
gab aber zu, dass chronische Formen vorkämen. Seit dieser Zeit 
ist die Literatur ftber Jodoformvergiftungen zu einer geradezu 
unübersehbaren Höhe angeschwollen. 

Aus dem mir davon vorliegenden Material teile ich folgen¬ 
des mit: 

Treves 1 ) teilt dem allgemeinen Verlauf nach die Jodoformvergiftungen 
in 2 Hauptklassen: 1) Die akute Form, welche meist junge und kräftige Personen 
befällt. Die Symptome entwickeln sich sehr rasch, Kopfschmerzen, Schwindel, 
Schlaflosigkeit, hohes Fieber, sehr schneller Puls treten zunächst auf, dann 
folgt ein schweres, der akuten Manie ähnliches Delirium; unter raschem Kräfte¬ 
verfall und Coma erfolgt der Tod. 2) Die mehr chronische, bei älteren und 
schwächeren Individuen auftretende Form. Bei dieser entwickeln sich die Symp¬ 
tome sehr langsam; sie beginnen mit Mißbehagen, Appetitlosigkeit, Erbrechen, 
Depression ctc. Dabei besteht geringes Fieber und Beschleunigung des Pulses. 
Allmählich tritt ein melancholischer Zustand ein, die Kranken werden vollkommen 
willenlos, die Schwäche wird immer größer, bis der Tod eintritt. Genesung ist 
möglich, wenn das Jodoform zeitig weggelassen wird. 

Schede, einer der Hauptwidersacher des Jodoforms, warnte im chirur¬ 
gischen Zentralblatt (IX Bd., 8. H., S. 33) 1882 sehr vor dem Jodoform. Er wies 
darauf hin, daß gewisse Personen eine Idionsynkrasie gegen Jodoform hätten und 
daß das Mittels uch deshalb sehr gefährlich sei, da die Vergiftungserscheinungen 
plötzlich ohne irgend welche Vorboten auftreten könnten und zwar so stürmisch, 
daß selbst die Entfernung dos Jodoform nichts mehr nütze. Seine Beobachtungen 
faßte er in folgenden Sätzen zusammen: 1) Leichtere Störungen des Normal¬ 
befindens durch Jodoformresorption sind sehr häufig und zwar meistens mit 
hoher Temperatursteigerung einsetzend. 2) In anderen Fällen fühlen sich die 
Patienten mit oder ohne Fieber unbehaglich; sie klagen über Kopfschmerzen 
oder Appetitlosigkeit, der Puls ist klein und weich. 3) Ohne oder mit Fieber 
tritt bei gutem allgemeinen Befinden eine enorme Pulssteigerung bis 180 pro 
Minute auf. 4) In anderen Fällen ist die Pulssteigerung von einer entsprechen¬ 
den Temperatursteigerung begleitet. Mehrere Wochen lang sinkt das Thermo¬ 
meter nicht unter 40 Grad, dabei ist das Allgemeinbefinden gut, die Zunge 
feucht und rot, die Wunde stets aseptisch und kommt es zum Tode, so ist der 
Sektionsbefund negativ. 5) Zuweilen führt nach eingreifenden Operationen die 
Ausfüllung der Wunde mit Jodoform einen rasch zunehmenden Kollaps herbei 
und entscheidet den tödlichen Ausgang. 6) Am erschütterndsten ist diejenige 
relativ häufige und plötzlich auftretende Form der Intoxikation, bei der Störungen 
der Gehirntätigkeit eintreten, die sich teils unter dem Bilde der akuten Menin¬ 
gitis abspielcn, teils als wirkliche Geisteskrankheiten in die Erscheinung treten. 
Schede fügte jedoch hinzu, daß bei allen Formen von Jodoformvergiftungen 
bis zum Tode jede Temperatursteigerung fehlen kann. Von Geistesstörungen 
sah er häufig solche, die sich den schwersten Formen der Melancholie anreihten 
und die entweder als Zustand psychischer Erregung, begleitet von furchtbarer 
Angst auftrateu oder unter dem Bilde tiefster psychischer Depression verliefen. 
Im übrigen glaubte er, daß die Jodoformgazeverbände ungefährlich seien und 
daß man nur größere frische Wunden nicht mit Jodoform ausfüllen dürfe. 

König gab an, daß bei Anwendung des Jodoforms in Quantitäten unter 
10 g kaum schon Vergiftungen beobachtet worden seien und daß im allgemeinen 
das Auftreten schwerer Vergiftung mit der Menge des verbrauchten Mittels im 
Einklänge stehen.*) 

Mosetig erklärte auf dem VIII. internationalen medizin. Kongreß in 
Kopenhagen, daß er eine Idiosynkrasie gegen das Medikament nie gesehen 
habe; er leugnete zwar nicht, daß Vergiftungen vorkämen, allein er bezichtigte 
für solche: 1) die gleichzeitige Anwendung anderer antiseptischer Mittel, bc- 


») Practitioner; XXXVII; 4. S. 271. Okt. 1886. 

*) Inauguraldissertation von Nikoliö. Berlin 1881. 



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Dr. Zelle. 


sonders des Karbols; 2) die allzu große Menge des auf einmal angewandten 
Medikaments; 8) den Bestand von Nierenleiden oder von Fettherz und zog den 
Schluß, daß sich Jodoform zu Verbänden bei allen frischen und nichtfrischen 
Wunden eignet. 

Das so häufige Auftreten von psychischen Storungen erklärte Bummo 
Gaetano*) damit, daß das Jodoform vorzugsweise auf das zentrale Nerven¬ 
system wirke und wies nach, daß bei größeren Dosen allen sonstigen Störungen 
eine vom Vaguszentrum ausgehende Aktion auf die Herzbewegung vorausgeht 

Bouma*) glaubte, daß Jodoformvergiftungen von dem Gebrauche nicht 
reiner in Wasser löslicher Jodverbindungen einschließender Präparate herrfthrt 
Diese erkennt man nach ihm an dem schwarzen Niederschlage, welcher sich, 
wenn man Jodoformpulver mit destillierten Wasser schüttelt, in dem Filtrat 
bei Zusatz alkoholischer Silbernitratlösung nach 24stündigem Stehen bildet, 
während reines Jodoform nur eine schwache grauweiße Trübung hinterläßt 

Schwarz*) in Halle der eine tödliche Jodoform Vergütung von der 
Scheide aus sah, gab den Bat, dasselbe bei Gehirnaffektionen und Nieren- 
erkrankungen garnicht anzuwenden. 

Guttier 4 ) empfahl auf Grund einer Zusammenstellung von 77 Ver¬ 
giftungen folgendes: 1) Nur frische Wunden oder solche mit ungesunden resp. 
tuberkulösen Granulationen sind geeignet zur Anwendung des Jodoforms. 2) Es 
ist nur wenig Jodoform anzuwenden. 3) Bei gesunden Granulationen ist das 
Jodoform wegzulassen. 4) Bei den ersten Vergiftungserscheinungen oder gleich 
bei der Anwendung des Jodoforms sollen Alkalien oder pflanzliche Säuren innerlich 
häufig gegeben werden (Kali acetic.). Bei schweren Vergiftungserscheinungen 
soll Transfusion einer Salzlösung vor genommen werden und die Wunde durch 
Abwaschen mit reinem Wasser und Sodalösung vom Jodoform gereinigt und 
nachher mit Magnesia bestreut werden. 

Als Resultat aller Beobachtungen musste aber trotz solcher 
Unkenrufe auf dem ersten Kongress der Deutschen Gesellschaft 
für Gynäkologie im Jahre 1886 festgestellt werden, dass die Be¬ 
deutung des Jodoforms als Antiseptikum kaum durch die jedenfalls 
sehr seltenen Fälle von Vergiftung gemindert wird, falls man 
geringe Dosen von 6 bis 10 g an wendet, dass aber bei älteren 
Leuten oder bei sehr fettreichen Wunden mit Vorsicht zu ver¬ 
fahren sei. Unter dieser Voraussetzung sind Vergiftungen in der 
Tat sehr selten. 

So sah Leißring in Hamburg 6 ) bei 220 mit Jodoform behandelten 
Fällen nur einmal einen tödlichen Ausgang, der möglicherweise durch Jodoform 
herbeigeftthrt war. 

v. Mttnchow 6 ) faßt die Erfahrungen Küsters über J odofonnan wendung 
wie folgt zusammen: J. Störungen der Verdauung: wie Appetitlosig¬ 
keit, Diarrhöen, die oft mit Blut untermischt sind, Uebelkeit, Erbrechen. Diese 
Symptome stellen sich nach 24 Stunden ein und verschwinden nach einigen 
Tagen auch ohne Verbandabnahme. 2. Das Fieber: Zuweilen steigt die 
Temperatur bis 41 und hält sich wochenlang mit remittierendem Charakter, 
der Puls ist dabei klein, 100—110 Schläge, seine Qualität ist weich. 8. Die 
irritierende Wirkung auf das Gehirn. Dieselbe äußert sich in De- 
pressions- oder Exaltationszuständen; im ersteren Falle kann sich z. B. das 
Bild tiefster Melancholie, die sich oft zum Verfolgungswahnsinn steigert, ent¬ 
wickeln. 4. Die giftige Wirkung an sich: Küster erwännt zwei 
Todesfälle, ebenso Schede, Höftmann, König, Henry, Kocher und 
Czerny, ln einigen dieser Fälle waren große Massen Jodoform bis 200 g 


*) Archiv für klin. Chirurgie; 87. Bd., 1888, 8. Heft. 

*) Zentralblatt für Chirurgie; 1883, Nr. 48, S. 769. 

*) Berliner klinische Wochenschrift; 1886, Nr. 7. 

4 ) Boston Med. and Surg.-Journ.; 1886, S. 78 und 101. 

*) Berliner klinische Wochenschrift; 1882, Nr. 16. 

*) Das Jodoform in der Wundbehandlung. Inaugural • Dissertation. 

Leipzig 1882. 



Jodoformvergiftong oder Septikämie. 


661 


verbraucht, in anderen F&llen dagegen nur sehr wenige. Die gemachten 
Sektionen ergaben nie einen positiven Anhalt. 

W&rnm das Jodoform eigentlich unter Umständen giftig wirkt, 
ist noch nicht genügend aufgeklärt. Als Ursache seiner antisep¬ 
tischen Wirkung gab Binz bekanntlich an, dass dasselbe bei der Ein¬ 
wirkung auf die Körpersäfte sich zersetze, wobei das Jod, aus 
dem Jodoform zu 9 / 10 seines Gewichts besteht, frei werde. Dem 
nach sollte man meinen, dass Jodvergiftung und Jodoformvergiftung 
identisch wären. Das ist aber nicht der Fall; im Gegenteil ist 
die Form der Jodoformvergiftung zweifellos von der der Jod¬ 
vergiftung toto coelo verschieden. Nach kürzerem Jodgebrauch 
treten bekanntlich katarrhalische Entzündungen verschiedener 
Schleimhäute, besonders der Nase und ihrer Adnexe — der soge¬ 
nannte Jodschnupfen — auf, Katarrh der Augenbindehäute, des 
Mundes und des Rachens, des Kehlkopfes, des Magens und des 
Darms, bei längeren Einwirkungen zeigen sich Veränderungen 
im Stoffwechsel, Abmagerung des Fettes und der Muskeln, Schwund 
einzelner drüsiger Organe, besonders der Brustdrüsen, der Hoden 
und Schilddrüsen, endlich Veränderungen der Zirkulation, Schwäche 
des Herzschlages, verstärkte Kontraktion der Arterien und hier 
und da Steigerung der Temperatur. 1 ) 

Firgan*) zählt als Symptom der Jodvergiftung auf: 
Kollaps, Schmerzen in den Verdauungswegen, Gangrän, Haut¬ 
ausschläge allerlei Art, Speichelfluss bei chronischer Vergiftung, 
Konstriktionsgefühl im Rachen, braune oder dunkelgelbe Farbe 
des Erbrochenen, Atemnot, Beschleunigung des Pulses und Klein¬ 
werden desselben, Auftreten von Eiweiss und Blut im Urin, 
Schwund der Hoden und der Brustdrüsen, Tränenfluss, vorüber¬ 
gehende Amblyopie und Amaurose. Schnupfen, Zittern der Ex¬ 
tremitäten u. a. 

Als Zeichen der Jodoformvergiftung gibt er dagegen an: 
Gelbsucht, selten vermehrte Schweissreaktion, Fieber, Trockenheit 
im Halse, Akneausschlag, Petechien; selten Speichelfluss, meistens 
Trockenheit im Halse; Atemnot; Beschleunigung des Pulses, Ei- 
weissgehalt des Urins, Blutharnen, Pupillenerweiterung, Doppelt- 
sehen, vorübergehende Amblyopie und Amaurose, Delirien mit 
Lachen und Singen, Verwirrtheit namentlich bei Kindern, Tobsucht, 
Lähmung der äusseren Augenmuskeln und Trismus. Diese Symp- 
tomenkomplexe sind also völlig verschieden von einander, und 
ganz ausserordentlich selten ist ein Fall wieder, den Anschütz 8 ) 
beschreibt: 

Hier traten nach einer Jodoformglyzerineinspritzung Vergiftungssymptome 
auf, welche völlig von dem bekannten Bild der Jodoformintoxikation abweichend, 
täuschend denen einer schweren akuten Jodvergiftung glichen. Es entstanden 
nach einer Einspritzung von 100 ccm lOproz. Jodoformglyzerins nach einigen 
Tagen: Rötung und Schwellung der Nasenspitze, massenhafte Aknepusteln 
auf Brust, Armen, Rücken und Nase; das Zahnfleisch war stark gerötet und 
aufgelockert, auf der Mundschleimhaut bildeten sich leicht blutende Borken, 


*) So nach Herrmann. Lehrbuch der experimentellen Toxikologie. 
*) Gifte und starkwirkende Arzneimittel. Berlin 1901. 

•) Beiträge zur klinischen Chirurgie; 28. Bd., 1900, S. 233. 



662 


Dr. Zelle: Jodoformvergiftung oder Septikämie. 


die Nase war verstopft, die Augenlider waren verklebt. Der Patient wurde 
sebr apathisch. Alle diese Erscheinungen nahmen noch zu und trotz der an¬ 
gewandten Mittel trat bald der Tod ein. 

Das Lebensalter spielt nach einer Zusammenstellung (Zen- 
trslblatt für Chirurgie; 1886, Nr. 50) bei Jodoform Vergiftungen 
keine Bolle. 

Ueberblickt man den Inhalt dieser kurzen Zusammenfassung, 
so sieht man, die Vergiftungen durch Jodoform zeichnen sich vor 
allem durch eine grosse Polymorphie aus; indessen lassen sich 
doch gewisse Symptome herausschälen, die als mehr oder weniger 
charakteristisch gelten können. 

I. Die Jodoformvergiftung entsteht als unvorherzusehende 
Erkrankung bei vorhandener Idiosynkrasie, und zwar ist es bei 
solcher Abneigung ganz gleichgültig auf welchem Wege das Jodo¬ 
form in den Körper eingeführt wird. So beschreibt das Britisch- 
Medical-Journal, 22. Dezember 1900, einen Fall von Jodoform- 
Vergiftung nach Kauen von Jodoformgaze. Fox sah Vergiftungen 
allein nach dem Biechen von Jodoform eintreten. Dr. Bermann 1 ) 
schildert, wie nach dreimaligem Einblasen von Jodoformpulver ins 
Ohr eine schwere Vergiftung mit Pupillenerweiterung, hoher 
Temperatur, 120 Pulsen und Bewusstlosigkeit einsetzte. 

Ebenso wie von der Art der Aufnahme des Medikaments, 
so ist bei vorhandener Abneigung auch von der Menge des Jodo¬ 
forms die eintretende Vergiftung ganz unabhängig. Cuttier 1 ) 
beobachtete schwere Vergiftungen schon nach Vs—1 & Neuber 
nach 2 g, Dresmann nach 5 g. 

II. Ist keine Idiosynkrasie vorhanden, so werden offenbar 
ganz enorme Massen, bis 200 g und darüber, ohne Schaden ver¬ 
tragen. Tritt eine Vergiftung ein, so ist sie abhängig von der 
Menge des resorbierten Jodoforms, vielleicht von seiner Beschaffen¬ 
heit und jedenfalls von der Ausscheidung des aus ihm sich bil¬ 
denden Jods. 

III. Auffallend und merkwürdig ist, dass in der unendlichen 
Mehrzahl der Fälle, trotzdem das Jodoform 96,7 Prozent Jod ent¬ 
hält, die Jodoformvergiftung von der Jodvergiftung vollkommen 
verschieden ist. Woher diese eigentümliche Erscheinung kommt, 
ist bis jetzt noch völlig unbekannt, und zwar um so mehr, als die 
Tierversuche uns im Stich gelassen haben, indem nach Kob er t*) 
das Jodoform bei einem Tier ebenso wirkt wie die anderen Jod¬ 
verbindungen. Hieraus folgert Kunkel 4 ), dass nicht allein die 
Jodabspaltung, sondern auch noch unbekannte organische Jodver¬ 
bindungen am Bild der Jodoformvergiftung beteiligt sind. 

IV. Der Eintritt der Jodoformvergiftung ist sehr Belten ein 
ganz akuter; Mikulicz sah in zwei Fällen Vergiftungs¬ 
erscheinungen erst am 20. bezw. 21. Tage. Im allgemeinen treten 
die Vergiftungserscheinungen mit Beginn der zweiten Woche auf. 

*) Maryland Medical-Journal; 1882, August. 

*) Boston Med. and. Surg.-Journal; 1886, C. XV, Nr. 4 und 6. 

*) Lehrbuch der Intoxikationen; 1893. 

4 ) Handbuch der Toxikologie; 1899. 



Dr. Kttrbitz: Vergewaltigung im hysterischen Anfall? 


668 


Ein früherer Anfang (2—3 Tage) findet eich anscheinend bei den 
schwer verlanfenden Fällen. 

V. Am häufigsten sind schwere Gehirnerscheinnngen, und 
zwar viel seltener unter meningealen Symptomen (Krämpfen, 
Lähmungen, Nackenstarre, Erbrechen), als unter dem Bild einer 
Psychose. Unter letzteren Fällen sind die mit ausgesprochenen 
Erregungszuständen einhergehenden entschieden die häufigeren. 

VI. Neben den schweren Zerebralerscheinungen werden fast 
regelmässig erwähnt: hohes Fieber, Pulssteigerung und vor allen 
Dingen scheint Pupillenerweiterung selten vermisst zu sein. 

VII. Die mit Heilung endigenden Fälle verliefen meistens 
in 2—8 Wochen. 1 ) 

Blicken wir nun, nachdem wir uns einen kurzen Ueberblick 
über die Jodoformvergiftung verschafft haben, auf den Eingangs 
beschriebenen Fall zurück, so scheint derselbe auch als Jodo¬ 
formvergiftung gedeutet werden zu müssen. Das Fehlen jeder 
entzündlichen Wundreaktion einerseits, das plötzlich einsetzende 
Fieber, ohne dass embolische Erscheinungen von einem etwa 
eitrig eingeschmolzenen Thrombus der Arteria poplitea sich zeigten, 
die hohe Pulsfrequenz, die Delirien und vor allem die Pupillen¬ 
erweiterung machen diese Annahme mehr als wahrscheinlich. 

In Anbetracht der ausserordentlich geringen Menge Jodo¬ 
forms, welche angewandt worden war, und der völligen Nutzlosig¬ 
keit der angewandten Gegenmittel darf man auch wohl hier von 
einer vorhanden gewesenen Idiosynkrasie gegen Jodoform sprechen. 

Somit bestätigt auch dieser Fall, dass man mit der Jodoform¬ 
anwendung, so unentbehrlich sie auch geworden ist, vorsichtig 
sein muss, da man immer, wie Zeller sagt, „mit seiner An¬ 
wendung ein Gift in den Organismus setzt, dessen Wirkung man 
vorher gar nicht absehen kann 0 . 


Vergewaltigung im hysterischen Anfall? 

Ein Beitrag zur Beurteilung des Bewusstseinszustandes Hysterischer. 

(Aus der Provinzial-Irrenanstalt Treptow a. Bega. 

Direktor: Sanitätsrat Dr. Mercklin.) 

Von Dr. W. Kürbitz. 

Die von Hysterischen ausgehenden sexuellen Beschuldigungen 
anderer bieten, wie längst bekannt ist, häufig Anlass zu forensi¬ 
scher Begutachtung.*) In dem nachfolgenden Fall eines Mädchens, 
welches im Anfall vergewaltigt sein wollte, war nicht nur die 
allgemeine Glaubwürdigkeit der Beschuldigenden zu beurteilen, 
sondern besonders das Verhalten des Bewusstseins während der 
Krampfanfälle zu prüfen, da der Richter selbst zufällig einen An¬ 
fall der Kranken gesehen und während desselben eine anscheinend 


*) Zentralblatt für Chirurgie; 1886, Nr. 50. 

*) Vergl. kierzu Binswanger: Die Hysterie; Wien 1904. Cramcr: 
Gerichtliche Medizin; III. Aufl., 8.278. Gilles de la Tourette: Hysterie; 
Leipzig 1894. Ziehen: Psychiatrie; Leipzig 1902. 



Di. Kürbitz. 


aal 

ow 

ungestörte Beob&chtungsfahigkeit der Anschnldigenden rorgefnnden 
hatte. Deshalb dflrfte eine kurze Mitteilung des Falles gerecht¬ 
fertigt erscheinen. 

Anna H., 15 Jahre alt, ist erblich nicht belastet; ihr Vater ist aller¬ 
dings Trinker gewesen, doch steht nicht fest, ob er es zur Zeit der Zeogong 
schon war. Ein Bruder von 8 Jahren soll gesund sein. A. H. hat sich völlig 
normal entwickelt, ist seit einem Jahre menstruiert, und zwar stets in regel¬ 
mäßigen Intervallen, zwei Tage lang, mit geringem Blutabgang. Seit einem 
halben Jahre sind heftige Krämpfe aufgetreten, so daß sie ihre Stelle als 
Dienstmädchen aufgeben mußte. Nachdem sie sich von einem Spezialarzt für 
Hals- und Nasenkrankheiten Wucherungen im Nasenrachenraum hatte entfernen 
lassen, begab sie sich zu einem Homöopathen in Behandlung. Die Krämpfe 
traten immer heftiger auf, und zwar oft 5—6 mal wöchentlich. Auf Bat des 
Homöopathen ist sie auf's Land zu ihren Verwandten D. gegangen. Auch hier 
stellten sich Krämpfe ein, bald währten sie nur wenige Minuten, bald auch einige 
Stunden, manchmal lag sie ruhig da, anderseits schlug sie aber auch wud 
um sich, so daß sie gehalten und sogar gebunden werden mußte. Ohne Grund 
▼erließ sie D.s, begab sich zu anderen Verwandten, mit denen zusammen sie 
D.s noch einmal besuchte. Einen dritten Arzt konsultierte sie nun und kehrte 
dann zu ihrer Mutter zurück. Dieser erzählte sie einmal während 
eines Anfalls, nachdem sie schon seit 8 Wochen nicht mehr 
bei D.s wohnte, ihr Onkel D. hätte einmal mit ihr im Anfall den 
Beischlaf vollzogen, sie hätte alles ganz genau wahrnehmen 
können, doch wäre sie unfähig gewesen, sich zur Wehr zu 
setzen. Darauf strengte die Mutter sofort die Klage an. 

D., ein völlig unbescholtener Mann, stellte eine derartige Handlung bei 
seiner Vernehmung entschieden in Abrede, behauptet, seine Nichte hätte einst, 
als sie im Bett lag, und er ihr auf ihren Wunsch Wasser brachte, seine Hand 
unter der Decke an ihren Unterleib geführt und gesagt, er solle „ihr einen 
machen“. Er hätte getan, als ob er es nicht hörte und sei aus dem Zimmer 
gegangen, bald darauf habe sich ein längerer Anfall eingestellt. Seiner Frau 
habe er, als diese von einem Ausweg zurückkehrte, den Vorfall erzählt, was 
diese auch bestätigt. Vorwürfe haben sie Anna nicht gemacht, da die Anfälle 
immer schlimmer würden, sobald sie aufgeregt sei; auch der Mutter gegenüber 
haben sie geschwiegen, um nicht Zwist in die Familie zu bringen, und haben 
sie nur aufgefordert, ihre Tochter recht streng zu halten. 

Die Vernehmung der H. durch den Amtsvorsteher war zunächst unmöglich« 
denn sobald man von dem Vorfall sprach, stellten sich Krämpfe ein. Später 
gab sie vor dem Bichter folgendes zu Protokoll: 

Eines Abends, nachdem ihre Begel seit zwei Tagen vorüber war, sei sie 
mit dem Angeklagten allein gewesen, da die Tante ausgegangen war. Sie sei 
dann ins Bett gegangen und hätte einen Anfall bekommen. Ihr Onkel hätte 
sich nun zu ihr ins Bett gelegt, das Hemd hochgehoben, ihre Beine auseinander¬ 
gemacht und sein Glied in ihren Geschlechtsteil gesteckt, gesehen hätte 
sie D. aber nicht. Darauf sei er „hin- und hergehopst“, wobei sie Schmerzen 
empfunden habe. Der Anfall hätte ungefähr zwei Stunden gedauert und 
während dieser ganzen Zeit wäre der Onkel bei ihr gewesen, still gelegen 
habe er aber nicht. Später gab sie an, daß die Zeitbestimmung nicht wörtlich 
zu nehmen sei, sie hätte damit nur die lange Dauer bezeichnen wollen. Am 
folgenden Tage habe sie flüssiges, nicht trockenes Blut im Hemd wahrgenommen, 
der Fleck habe die Größe eines Handtellers gehabt. Seit diesem Attentat sei 
die Begel ausgeblieben und ihr Leib sei stärker geworden. 
Umgang mit Männern habe sie nie gehabt, wohl aber wisse sie aus Erzählungen, 
wie Mann und Frau miteinander verkehren. 

Während einer zweiten richterlichen Vernehmung, der auch ein beamteter 
Arzt als Sachverständiger beiwohnte, hört die A. H. während der Befragung 
plötzlich zu sprechen auf. Sie schließt die Augen und bleibt in starrer Haltung 
auf dem Stuhl sitzen, ohne zu schwanken und ohne Neigung herunterzufallen. 
Diese Gelegenheit benutzt nun der anwesende Sachverständige zu einer ärzt¬ 
lichen Untersuchung. Die Augenlider sind nur mit Mühe zu öffnen und 
schließen sich sofort von selbst wieder. Die Augäpfel sind nach oben gekehrt, 



Vergewaltigung im hysterischen Anfall? 


865 


die Papillen weit, verengern sich auf Lichteinfall. Beim Niederlegen auf den 
Fußboden leistet die H. keinen Widerstand; die Daumen, die sie ineinander¬ 
geschlagen hat, sind kaum za öffnen, die übrigen Finger dagegen leichter. 
Wenn man Wasser dnrch die Nase eingießt, so werden Schlnckbewegnng en 
aasgelöst; auf Anrufen erfolgt keine Antwort. Um die Geschlechtsteile za 
untersuchen, müssen die Beine gespreizt werden, was aber erhebliche Mühe 
verursacht. Der Hymen ist kranzförmig, Verletzungen oder Narben sind 
nirgends wahrzunehmen. Der Zeigefinger kann beqaem in die Scheide einge¬ 
führt werden. Die Unterlippe war ständig zwischen den Zahnreihen eingeklemmt, 
nicht verletzt. Am Schluß des Anfalls geraten die Augenlider in zitternde 
Bewegung. Schmerzäußerungen werden bei der Prüfung nicht geäußert. 

Gegen Ende der Untersuchung schlägt H. die Augen auf und ist bei 
vollem Bewußtsein. Sie behauptet unmittelbar nach dem Anfall, alle Vorgänge 
wahrgenommen zu haben; sie weiß, daß ihr die Kleider auf der Brust geöffnet 
sind, daß sie auf die Erde nach dem Fenster hin gelegt ist und daß 
ihre Geschlechtsteile untersucht sind. Daß etwas in die Scheide eingeführt 
ist, dessen ist sie sich bewußt, ob es der Finger des Arztes war, könne sie 
nicht beurteilen, wohl aber sei es anders gewesen, als damals das Glied des D. 
Gesehen habe sie in ihrem Krampfzustande niemand, gehört habe sie alles. 

Während dieses Anfalles sind die Vorgänge in der Umgebung noch 
ganz gut wahrgenommen, es liegt aber deshalb absolut keine Berechtigung zu 
der Annahme vor, daß dies seiner Zeit bei dem Anfall mit dem vermeintlichen 
Attentat auch der Fall gewesen ist. 

Auf Grand seiner Beobachtung und der Akten kam der Sach¬ 
verständige zu dem Gutachten: 

1. Die Krämpfe der H. sind nicht simulierte, auch nicht 
epileptische, sondern hysterische. 

2. Die A. H. ist während der Krämpfe völlig willenlos, auch 
nicht widerstandsfähig. Das Bewusstsein ist dagegen während 
der Anfälle erhalten, allerdings mit der Einschränkung, dass der 
Gesichtssinn nicht, oder wenigstens nur sehr wenig funktioniert. 
Hierdurch fällt eine sehr wesentliche Vorbedingung fort, um wich¬ 
tige Beobachtungen zu machen. 

3. Bei Hysterischen kommen Uebertreibungen, Sinnestäu¬ 
schungen, Lügenhaftigkeit vor; dies ist bei der H. nicht direkt 
beobachtet, doch muss immerhin mit der Möglichkeit solcher Er¬ 
scheinungen gerechnet werden. 

4. Nach dem Genitalbefand ist eine Vergewaltigung nicht 
ausgeschlossen. 

Der Untersuchungsrichter verlangte nun unter Hinweis auf 
die letzte richterliche Vernehmung, während welcher die H. im 
Anfall einen „tätigen Gefühlssinn a gezeigt habe, und nach Be¬ 
endigung des Anfalles „objektiv richtig“ schildern konnte, was 
mit ihr vorgenommen war, ein zweites Gutachten darüber, „ob 
nach Lage der Akten anzunehmen sei, dass die an hysterischen 
Krämpfen leidende Anna H. die während der Krampfanfälle von 
ihr gemachten Beobachtungen nach Beendigung des Anfalls objektiv 
richtig wiedergibt, oder ob das Bewusstsein in solchen Fällen 
hysterischer Krämpfe nur in beschränktem Masse vorhanden ist, 
so dass Irrtümer und Uebertreibungen leicht möglich und wahr¬ 
scheinlich sind.“ 

Da die Akten über die Art der Krampfanfälle zahlreiche, 
eingehende und auch ärztliche Mitteilungen enthielten (vgl. oben), 
erschien die gutachtliche Würdigung der Anfälle und ihres Ein- 



666 


Dr. Kürbitz. 


Hasses auf die Glaubwürdigkeit der H. im vorliegenden Fall auf 
Grundlage der Akten möglich. 

Das anstaltsseitig abgegebene Gutachten konnte zunächst 
auf Grund zahlreicher in den Akten enthaltener Tatsachen der 
Diagnose des Vorgutachters durchaus beitreten, dass es sich bei 
der H. um hysterische, bezw. psychogene Anfälle gehandelt habe. 
Im übrigen müsse aller Nachdruck darauf gelegt werden, dass 
das Verhalten des Bewasstseinszustandes in dem einen, von Arzt 
und Richter gesehenen Anfall für bindende Rückschlüsse auf die 
Art des Bewusstseinszustandes in früheren Anfällen nicht mass¬ 
gebend sein könne. 

Nicht immer sind die Anfälle dem ärztlich beobachteten gleich gewesen. 
Die Zeugen, welche die H. während dieser Zustände gesehen haben, berichten 
auch noch über andere Erscheinungen: „Sie riß sich die Haare aus und schlug 
mit den Armen um sich, so daß sie gehalten werden mußte.“ — „Ihr Benehmen 
in diesen Anfällen war verschieden. Manchmal lag sie ganz still und hatte 
die Augen geschlossen, manchmal schlug sie um sich, so daß sie gehalten 
werden mußte.“ — „Anna hat sich nicht halten können, wir haben sie binden 
müssen.“ — „Dann setzt sie sich oder legt sich, kneift beide Daumen ein und 
fängt mit geschlossenen Augen bald darauf an, geistliche Lieder zu 
singen. Nach einer Weile reißt sie die Augen starr auf, es treten 
Zuckungen ein und sie ist dann augenscheinlich bewußtlos; die Augen sind 
starr nach oben gerichtet. Nieder gefallen ist sie bei solchen Anfällen nicht, 
sie hat sich meines Wissens auch nicht auf die Zunge gebissen. Im Anfangs¬ 
stadium der Krämpfe — solange sie die Augen geschlossen hat — ist sie meines 
Erachtens bei Bewußtsein. Sie hat mir einmal in solchem Zustand mehrere 
Worte, die ich vorsprach, nachgesprochen.“ — Das Benehmen des Mädchens 
während der Anfälle war ein verschiedenes. Einmal lag sie ganz still mit 
geschlossenen Augen und schlaffen Gliedern da, ein andermal schlug sie um 
sich und raufte sich die Haare aus, hatte die Augen starr geöffnet, zuweilen 
sang sie auch Lieder geistlichen Inhalts. Ich habe den Eindruck gehabt, als 
ob sie in allen solchen Zuständen das Bewußtsein nicht verlor; denn wenn bei 
solchen Anfällen einmal jemand zu uns kam, so merkte sie es und fragte 
nachher, wer dagewesen wäre. Antworten gab sie nicht.“ 

Die Dauer der Anfälle ist eine verschiedene, „manchmal nur wenige 
Minuten, zuweilen auch mehrere Stunden“. Nach den Anfällen hat die H. ein 
„dösiges Gefühl im Kopf“; Unwohlsein oder Schmerzen empfindet sie nicht. 

Aus den Akten geht also hervor, dass schon den Zeugen, 
also Laien, die Verschiedenheit der Krämpfe aufgefallen ist. 
Während die Kranke manchmal ruhig dalag, schlug sie in anderen 
Fällen wild um sich, raufte sich die Haare aus und musste sogar 
gebunden werden, da sie nicht zu halten war. Auf Fragen rea¬ 
gierte sie hin und wieder gar nicht, anderseits beantwortete sie 
alles, sang geistliche Lieder und hat auch zuerst im Anfall ihrer 
Mutter von der strafbaren Handlung D.s erzählt. 

Wenn die H. behauptet, alle Vorgänge in dieser Zeit wahr¬ 
nehmen zu können, so ist dem wenig Gewicht beizulegen. Es 
muss schon zur Vorsicht mahnen, dass sie angibt, ihren Onkel 
nicht gesehen zu haben, sie habe nur gefühlt, wie er ihr sein 
Glied in den Leib steckte; es fehlt also eine unserer wichtigsten 
Wahrnehmungen, das Gesicht. Und zwar nicht nur diesmal, 
sondern auch früher; berichtet doch die Mutter, dass die Tochter 
während des Anfalls manchmal gemerkt habe, dass Besnch kam, 
doch fragte sie dann später stets nach Person und Namen. Aber 
.auch das Gefühl ist herabgesetzt, das lehrt schon der leichte 



Vergewaltigung im hysterischen Anfall? 


667 


Anfall vor Gericht, indem sie den untersuchenden Finger des 
Arztes nicht erkennt, sondern nur sagt, sie hätte eine andere 
Empfindung als damals durch D.s Glied. 

Wie sonst bei Hysterischen haben wir auch hier keine vollstän¬ 
dige Aufhebung des Bewusstseins, nur ist es in krankhafter Weise 
mehr oder weniger getrübt. Die pathologische Bewusstseinsver¬ 
änderung zeigt sich schon bei kurzen Anfällen in dem völligen 
oder teil weisen Verlust der Herrschaft über die willkürlichen Be¬ 
wegungen, ferner in einer Herabsetzung der Wahrnehmungen durch 
die Sinnesorgane. So kommt es, dass manche Kranke angeben, 
alle Vorgänge zögen „nur ungenau“, „wie im Traum“ an ihnen 
vorüber. Sowohl bei kürzeren, als auch namentlich bei längeren 
Anfällen kann aber anderseits das Bewusstsein der Hysterischen 
in stärkerem Masse verändert sein. Die Wahrnehmung der 
äusseren Vorgänge kann noch geringer werden, oder sich nur auf 
ein Sinnesgebiet beschränken, während die Aufmerksamkeit ganz 
von inneren Vorgängen, geträumten Situationen, schreckhaften, 
halluzinatorischen Erlebnissen völlig in Anspruch genommen wird. 
Derartige hysterische Traumzustände sind schon seit langer Zeit 
bekannt; so sind uns z. B. aus dem Mittelalter gar manche Fälle 
überliefert, in denen eine Hysterica sich während des Anfalls 
vergewaltigt glaubt, so z. B. oft vom Teufel. Sobald der Anfall 
vorüber ist, schildert sie mit aller Deutlichkeit seine Gestalt, das 
Eindringen seines stacheligen Gliedes in ihren Geschlechtsteil, 
oder sie beschreibt Kleidung und Kopfbedeckung eines ihr be¬ 
kannten Mannes, der sie missbraucht haben soll. Auchjbei den 
Hysterischen unserer Tage sind es oft unangenehme Situationen, 
die sie während der Anfälle durchmachen müssen; anch Angriffe 
geschlechtlichen Inhalts werden von ihnen in Anknüpfung an ge¬ 
hörte Erzählungen — auch die H. weiss von Hörensagen, wie sich 
der Beischlaf abspielt — und Eindrücke aus gesunden Tagen bis¬ 
weilen halluzinatorisch durchlebt. Für Augenblicke kann dabei 
während eines längeren Anfalls die äussere Wahrnehmung deut¬ 
licher werden, dann tritt aber wieder der frühere Traumzustand 
des Bewusstseins ein und so mengt sich tatsächlich, aber nicht 
deutlich Wahrgenommenes mit traumhaft Erlebtem zu einem 
bunten Bild zusammen. Derartig mag auch der bewusste, lange 
Anfall der H. gewesen sein, in dem das Bewusstsein — im Gegen¬ 
satz zu dem leichten Anfall vor Gericht — vermutlich stärker in 
Mitleidenschaft gezogen war, so dass in dieser Zeit nicht die Be¬ 
obachtung der Umgebung, sondern innere stark affektbetonte Vor¬ 
stellungen sie bewegten. Ihre Behauptung, zwar nichts gesehen, 
wohl aber falles gefühlt und gehört zu haben, ist ohne Belang, 
denn Hysterische unterliegen nur zu leicht Gedächtnistäuschungen 
und ihre Aussagen, selbst wenn sie durchaus bona fide gemacht 
sind, wollen sicher gestellt sein. Manche Einzelheiten der Ver¬ 
gewaltigung schildert die H. mit grosser Genauigkeit, aber wir 
sahen schon bei Erwähnung derartiger Zustände aus früheren 
Zeiten, dass deswegen? die^Situation noch keineswegs erlebt zu 
sein braucht. Wenn nun auch nach dem Befund an den Ge- 



668 


Dr. Kürbitz. 


schlechtsorganen (dehnbares Hymen etc.) die Möglichkeit eines 
Coitns nicht ausgeschlossen werden kann, so darf man, zumal die 
Anfälle oft recht schwere waren, doch die Vermutung nicht von 
der Hand weisen, dass sich der angebliche, verbrecherische Akt 
nur in ihrer Einbildung abgespielt hat. 

Als Quelle für die Entstehung falscher Anschuldigungen bei 
hysterischen Personen haben wir soeben die traumartige Bewusst¬ 
seinsveränderung während der Anfälle angesehen, aus welcher 
dann Selbsttäuschungen über scheinbar Erlebtes entspringen. Wir 
müssen aber noch auf zwei andere Momente hin weisen: 

Manchmal sind die Anklagen auf Lftgenhaftigkeit zurück¬ 
zu fahren, weise man doch, dass es Hysterische mit der Wahrheit 
oft nicht zu genau nehmen. Diese lügenhaften Angaben über un¬ 
sittliche Attentate werden gemacht, um entweder bestimmten 
Leuten zu schaden, oder auch, um sich interessant zu machen. — 
Obgleich A. H. an schwerer Hysterie leidet, haben wir aber keine 
Anhaltspunkte dafür, dass die Beschuldigung aus Lügenhaftigkeit 
erhoben wurde; denn keiner der Zeugen erwähnt eine derartige 
Charaktereigenschaft. Lügenhaft oder gar verkommen ist die H. 
nicht; auch dass sie die Hand des Angeklagten einst an ihren Leib 
geführt hat mit der Aufforderung, ihr „einen zu machen“, lässt 
noch nicht auf einen tiefen moralischen Defekt schliessen. Der Vor¬ 
gang zeigt uns nur, dass sie zur Zeit der Krämpfe — tatsächlich 
folgte bald darauf ein Anfall — Vorstellungen geschlechtlichen In¬ 
halts gehabt hat und dass einmal bei ihr die gewöhnlichen Hem¬ 
mungen für die Niederhaltung derartiger Vorstellungen und Wünsche 
versagt haben. Bei Hysterischen kann bekanntlich zur Zeit der 
Krämpfe die geschlechtliche Erregung eine hochgradige, krank¬ 
hafte Steigerung erfahren, in der dann nur zu leicht die Selbst¬ 
beherrschung verloren geht. 

Als dritte Ursache für die Entstehung falscher Anschuldi¬ 
gungen bei Hysterischen müssen wir noch der sehr häufig auftreten¬ 
den Erinnerungstäuschungen Erwähnung tun. An diese muss 
man erfahrnngsgemäss stets denken, wenn die Kranken erst nach 
längerer Zeit über einen angeblichen Baubanfall, ein sexuelles 
Attentat etc. berichten. Da Hysterische eine äusserst lebhafte 
Phantasie haben, so reden sie sich, ohne dessen gewahr zu werden, 
allerlei ein. Im Anschluss an irgend eine Nachricht, ein Erlebnis 
malen sie sich Vorgänge und Situationen bis ins kleinste aus und 
sind schliesslich fest davon überzeugt, alles wirklich erlebt zu 
haben. Bona fide werden dann derartige Gebilde ihrer Phantasie 
als Tatsachen veröffentlicht, wobei wir zwei Arten unterscheiden 
müssen: Die leichtere Form schliesst sich an Erlebtes an, das 
dann nur in mehr oder minder reichem Masse ausgeschmückt und 
verändert wird. Sind die Beschuldigungen dagegen völlig frei 
erfunden und von der Wirklichkeit durch die Kranken nicht mehr 
zu unterscheiden, dann haben wir eine schwere Erkrankung 
vor uns. 

Kommen wir nun nach dieser Abschweifung auf unseren Fall 
zurück, so müssen wir immerhin mit der Möglichkeit einer Er- 



Vergewaltigung im hysterischen Anfall P 


669 


innerungstäuschung bei der H. rechnen. Ohne Grund hat sie acht 
Tage nach dem vermeintlichen Attentat D.s verlassen, sie bald 
nachher noch einmal besucht, ohne irgendwelche Anklagen zu 
erheben. Erst 8 Wochen später macht sie während eines Anfalles 
der Matter die erste Mitteilung! Ein derartiger Tatbestand muss 
unwillkürlich anffallen und stutzig machen. 

Kann man sich nun eventuell psychologisch das Verhalten 
der Anna H. erklären? 

Seit einem Jahr war sie regelmässig menstruiert, da blieb 
die Regel aus, und sie glaubte ein Slärkerwerden ihres Leibes zu 
beobachten. Es ist nun absolut nicht unwahrscheinlich, dass sie 
durch das Sistieren der Menses beunruhigt wurde, und dass sie 
an eine Schwängerung dachte (tatsächlich war sie nicht schwanger, 
auch hat sich die Regel allmählich wieder eingestellt). Da sie 
aber noch nie mit einem Mann verkehrt hatte, so mag sie — 
vielleicht zuerst ganz flüchtig — an eine Vergewaltigung im 
Schlaf oder im Anfall gedacht haben. Diese Ueberlegungen haben 
dann mit der Zeit immer festere Gestalt angenommen. Nun war 
sie mit dem Onkel nachweislich bei einem Anfall, vielleicht aber 
auch häufiger, ganz allein im Zimmer, nnd was zuerst nur ein 
flüchtiger Gedanke war, wurde nach und nach immer mehr zur 
Wahrscheinlichkeit und schliesslich zu einer feststehenden, unum- 
stösslichen Tatsache. Mit allen Einzelheiten malte sie sich all¬ 
mählich die verbrecherische Handlung aus und vielleicht wurde 
diese Erinnerungsfälschang auch noch durch traumartige Eindrücke 
späterer Anfälle unterstützt. 

Ein derartiger Zusammenhang ist gar manchmal schon bei 
Hysterischen nachgewiesen worden und wenn unser Gedankengang 
bei der H. auch nur eine Möglichkeit zeigen soll, so darf man 
ihn doch nicht ohne weiteres in das Reich der Unmöglichkeiten 
weisen. 

Das anstaltsseitig abgegebene Gutachten schloss, wie folgt: 

1. Die H. leidet sicher an Hysterie und hysterischen Krampf¬ 
anfällen. 

2. Während der Krampfanfälle hat sich bei der H. — wie 
dies bei Hysterie stets der Fall ist — eine Bewusstseinsverände¬ 
rung gezeigt. 

3. Diese Bewusstseinsveränderung war in den einzelnen An¬ 
fällen verschieden. Die objektive Beobachtung der äusseren Vor¬ 
gänge ist während der Anfälle in verschiedenem Grade gestört 
und beschränkt gewesen. 

4. Es ist nicht bewiesen, dass der Anfall, in dem das 
Attentat erfolgt sein soll, im Verhalten des Bewusstseins dem 
vor Gericht beobachteten geglichen hat. 

5. Es ist möglich, dass bei der H. während der Anfälle zu 
Zeiten auch die äusseren Beobachtungen durch traumartige Be¬ 
wusstseinsveränderung gefälscht wurden. 

6. Es können auch sonst nach Lage der Akten bei der an 
Hysterie leidenden H. krankhaft fälschende Momente (Erinnerungs- 



070 


Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


t&nschnugen) für ihre Aussagen über das in Krampfanfällen Er¬ 
lebte nicht ausgeschlossen werden. 

Gerichtsseitig wurde hierauf das Verfahren gegen D. ein¬ 
gestellt. __ 


Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 

Bakteriologie, Infektionskrankheiten and öffentliches 

Sanitätswesen. 

Zar Kenntnis der Meningitis cerebrospinalis epidemica. Von Dr 
Göppert-Kattowitz. Berl. klm. Wochenschrift; 1905, Nr. 21 and 22. 

Verf. veröffentlicht 44 Fälle seiner Praxis. Nur 20 Fälle boten bei der 
Untersuchung die typische Nackensteifigkeit. Bei den Fällen ohne Nacken* 
Steifigkeit sind 8 Typen za antcrscheiden. Im ersten Typas beherrscht die 
Aaftreibang des Kopfes das Krankheitsbild (Fontanellenspannnng). Der zweite 
Typas ohne Nackensteifigkeit, bei denen aach die Fontanellenspannung im 
Stich läßt, zeigte sich bei schnellem Pols and beschleunigter Atmung kein 
einziges Symptom aaßer Schmerzhaftigkeit bei passiven Bewegungen. Der dritte 
Typas ist die Form mit wachsgelbcr Blässe and hohem Fieber; sie sieht den 
eitrigen Blascnkatarrhen des Säuglingsalters zam Verwechseln ähnlich. In 
einigen Fällen warde in wenigen Standen anhaltendes Unwohlsein mit Fieber 
and Kopfschmerzen beobachtet, dem vor der weiteren Erkrankung ein 10 bis 
24 Stunden anhaltendes Wohlbefinden folgte. Von Interesse sind die Fälle, 
die gleichzeitig mit Erkrankung der Atmungsorgane einhergehen; Beginn mit 
bräuneartigen oder bauchhustenähnlichem Hasten. Za beachten ist ein Symp¬ 
tom der Pupillen. Im Zustande des Sopors nämlich verengern sich die Papillen, 
erweitern sich beim Kneifen fast maximal, am sich dann sofort wieder za 
verengern. Von den 44 Fällen boten 22 klares Bewußtsein, zam Teil während 
des ganzen Verlaafs der Krankheit dar. Die Nahrungsaufnahme war oft bis 
zam Tode eine ausgezeichnete. Dr. Bäu her-Köslin. 


Pathologische Anatomie und Infektionsweg bei der Genickstarre. 

Von Privatdozent Dr. Westenhöffe r, Prosektor am städtischen Krankenhaus 
Moabit, Stabsarzt a. D. Vortrag, gehalten am 24. Mai 1905 in der Berliner 
med. Gesellschaft. Berl. klin. Wochenschrift; 1905, Nr. 24. 

Der Inhalt deckt sich im wesentlichen mit dem Bl. 496/497 dieser Zeit¬ 
schrift mitgeteilten Beobachtungen. Die Schlußsätze lauten: 1. Die Eintritts¬ 
pforte des Krankheitserregers der Cerebrospinalmeningitis ist der hintere Nasen¬ 
rachenraum, besonders die Bachentonsille. 2. Die Hirnhaatentzttndang ist 
anfangs stets eine basilare und zwar in der Gegend der Hypophysis. Sie ent¬ 
steht auf lymphogenem Weg. 3. Die Hirnhautentzündung als Zeichen der 
Erkrankung des Cavam cranii ist analog den Erkrankungen der Schleimhäute 
där Nebenhöhlen des hinteren Nasenrachenraumes. 4. Niemals oder sicher nar 
ganz ausnahmsweise entsteht die Hirnhautentzündung durch Fortleitung einer 
Erkrankung der Siebbeinzellen. 5. Die Krankheit ist eine exquisite Kinder¬ 
krankheit. 6. Die von der Krankheit befallenen Kinder und Erwachsenen haben 
deutliche Zeichen einer sogenannten lymphatischen Konstitution. 7. Die Krank¬ 
heit ist eine Inhalationskrankheit. 8. Ihre Bekämpfung ist ganz wesentlich 
eine wohnungshygienische Frage. 9. Der Meningococcus Weichselbaum- 
Jaeger wird zwar in der Mehrzahl der Fälle gefanden, doch ist ein absolut 
einwandfreier Beweis, daß er der alleinige Erreger der epidemischen Cerebro¬ 
spinalmen gitis ist, noch nicht erbracht. Die Tatsache, daß andere Kokken 
teils allein, teils gemischt mit dem Meningococcus gefanden werden können, 
sohließt die Möglichkeit nicht aus, daß alle diese Bakterien eine sekundäre 
Bolle spielen und daß der eigentliche Krankheitserreger überhaupt noch nicht 
bekannt ist (Analogie mit Streptokokkeninfektion bei Scharlach). 

Dr. Bäuber-Köslin. 


Ueber die gegenwärtige Epidemie der Genlkstarre und Ihre Be¬ 
kämpfung. Von Prof. Dr. M. Kirchner, Geh. Obermedizinalrat. Vortrag 



Kleinere Mitteilungen nnd Referate aus Zeitschriften. 


671 


gehalten in der Berliner med. Gesellschaft. Berl. klin. Wochenschrift; 1905, 
Nr. 23 and 24. 

Die epidemische Genickstarre führt ihren Namen mit Unrecht, da sie 
in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle sporadisch und nur außerordentlich 
selten in epidemischer Verbreitung auftritt. ln Preußen kommen im Jahre 
durchschnittlich 120—140 Fälle vor mit einer Mortalität von ca. 50°/o. Die 
früher 1886/87 und 1895/96 beobachteten Epidemien standen an Zahl der Er¬ 
krankungen und Schwere des Verlaufs hinter der gegenwärtig im Regierungs¬ 
bezirk Oppeln herrschenden weit zurück. Die diesjährige Epidemie erscheint 
noch viel größer, wenn man berücksichtigt, daß auch in Rußland die Genick¬ 
starre in denjenigen Teilen herrscht, die an die preußische und österreichische 
Grenze anstoßen und daß eine große Epidemie auch in Galizien und Oester- 
reichisch - Schlesien besteht. In Galizien sind vom 3. Januar bis 8. April in 
78 Gemeinden 437 Erkrankungen mit 188 Todesfällen vorgekommen, in Oester- 
reichisch- Schlesien bis Ende März in 24 Gemeinden 64 Erkrankungen mit 
21 Todesfällen. Der Ursprung ist schwierig festzustellen. Bis 7. Mai waren 
im Reg.-Bez. Oppeln 1955 Erkrankungen mit 1002 Todesfällen zu verzeichnen 
Die epidemische Genickstarre hat übergegriffen auf die Reg.-Bez. Breslau und 
Liegnitz, einzelne Erkrankungen sind im übrigen preußischen Staat vorgekommen. 

Die epid. G. trat zuerst Anfang November v. J. im Kreise Tarnowitz 
mit 2 vereinzelten Fällen auf. Hierauf weitere vereinzelte Fälle, erst im Ja¬ 
nuar begann die Epidemie sich auszubreiten, im Februar erreichte sie eine 
beträchtliche Höhe, im März und April ist sie außerordentlich verbreitet. Im 
wesentlichen handelt es sich um die Kreise: Stadtkreis Königshütte, Stadt- 
und Landkreis Beuthen, Stadt- und Landkreis Kattowitz, Zabrze, Pleß und 
Tarnowitz. Die eigenartige Verbreitung der Krankheit läßt sich erklären durch 
den Verkehr zwischen den Hütten und Gruben und den oft entfernter liegen¬ 
den Wohnhäusern der Arbeiter in dem östlich der Oder gelegenem Industrie- 
bezirk mit der dichtesten Bevölkerung des preußischen Staates. Der Prozent¬ 
satz der Erkrankungen ist dabei verhältnismäßig gering. Im Kreise Katto¬ 
witz Land waren nur 0,24 °/o, in Kattowitz Stadt 0,18 °/o, in Pleß 0,15 °/o, in 
Tarnowitz 0,13 °/«, in Zabrze 0,13 °/o und im Stadtkreis Königshütte 0,62 °/o der 
Bevölkerung erkrankt. Von sämtlichen 2087 Erkrankungen betrafen 90,5 °/o 
Kinder unter 15 Jahren, während Erwachsene nur mit 6,5 °/o der Erkrankungen 
vertreten waren. Die epid. Genickstarre ist eine Kinderkrankheit, die Empfäng¬ 
lichkeit für sie nimmt mit zunehmendem Lebensalter ab. Sie ist verhältnis¬ 
mäßig wenig ansteckend; „Genickstarrehäuser“ sind selten, Erkrankungen 
mehrerer Familienmitglieder sind auf gleichzeitige Infektion zurückzuführon. 
Der Krankheitskeim wird nicht selten durch Gesunde, die mit Erkrankten kurz 
zuvor in Berührung gekommen sind, verbreitet. Arbeiter aus verseuchten 
Orten im Industriebezirk kehrten am Sonnabend in ihr Heimatsdorf zurück, 
3—4 Tage darauf erkrankten ihre Kinder oder Kinder in der Nachbarschaft 
an epid. Genickstarre. Der Weichsel bäum sehe Diplococcus wurde von 
v. Lingelsheim gefunden in der Panktionsflüssigkeit in 56,8°/o (an 
243 Kranken), im Leichenmaterial in 49,5 % (189 Leichen), im Nasen- und 
Rachensekret in 23°/ 0 (635 Kranken), ferner im Nasen- und Rachenschleim 
Die Meningokokken scheinen schnell zugrunde zu gehen. Geringe Mengen 
von Desinfektionsmitteln genügen zur Abtötung des Mikroorganismus. Die 
von Gesunden in 9 °/o (213 Gesunde); Blutproben zeigten Agglutination in 55,2%. 
Verbreitung geschieht wahrscheinlich durch Tröpfcheninfektion. Ob der Dip¬ 
lococcus intracellularis der Erreger ist, ist noch nicht einwandsfrei festgestellt. 

Bei der Bekämpfung der Epidemie erwies sich der Min.-Erlaß vom 
23. November 1888 als sehr gut; Ausschluß der gesunden Schulkinder aus 
Häusern, in denen Kranke waren, aus der Schule, Desinfektionen und Isolierung 
der Kranken konnten gut durchgeführt werden. 

Bei der Behandlung der Kranken bewährten sich gut heiße Bäder und 
mit äußerster Vorsicht vorgenommene Lumbalpunktionen. Da nach West¬ 
höf fers Untersuchungen der Beginn der Erkrankung von der Rachenmandel 
ausgeht, so sollten alle diejenigen, die mit Kranken an epid. Genickstarre in 
Berührung kommen (Aerzte, Krankenwärter) sich davor hüten, sich von dem 
Kranken anprusten oder anhusten zu lassen, und dafür sorgen, daß die Kranken 
regelmäßig mit Desinfektionsmitteln gurgeln, dies aber auch ihrerseits nicht 
unterlassen. Dr. Raub er-Köslin. 



672 


Kleinere Mitteilangen und Referate ans Zeitschriften. 


Beobachtungen Aber die diesjährigen Fälle von Genickstarre. Von 
Prof. Dr. Grawitz-Berlin. Vortag, gehalten in der Berliner med. Gesellschaft. 
Berl. klin. Wochenschrift; 1905, Nr. 24. 

Die alljährlich beobachteten sporadischen Fälle (so 20—30 jährliche 
Fälle in den Kasernen beim Militär) führen äußerst selten za Epidemien und 
sind wenig ansteckend für die Aerzte und das Pflegepersonal; wenn sich in 
Oberschlesien die Krankheit kontagiös verbreitet hat, so müssen dort Momente 
vorhanden sein, welche ganz speziell disponierend wirken. Von 17 in kurzer 
Zeit mit der Diagnose und unter den Zeichen der Genickstarre in das 
Charlottenburger Krankenhaus eingelieferten Fällen erwiesen sich nur 8 als 
sporadische Meningitis (2 mal Diplococcus, 1 mal Streptococcus). Zur Diagnose¬ 
stellung ist histologische Untersuchung des Lumbalsekrets nötig. Die auf der 
Basis von Diplokokken oder Streptokokken entstandenen Meningitiden zeigen 
in den Lumbalsekreten die gewöhnlichen polynuklearen Eiterkörperchen, während 
die Fälle von tuberkulöser M. vorzugsweise lymphoide Zellen darbieten. Im 
Blut hingegen zeigt Genickstarre fast gar keine Vermehrung der Leukozyten, 
während die tuberkulöse M. starke Leukozytose und eine Vermehrung der 
polynuklearen Zellen zeigte. Therapeutisch bewährten sich Entleerung des 
Eiters aus dem Lumbalsacke und reichliche Zufuhr von Flüssigkeit zur An¬ 
regung der Diurese, ferner Kochsalzklystiere. Gr. wünscht, daß die amtlichen 
Anzeigen erst erfolgen sollen, wenn die Diagnose gesichert ist. Der Name 
„epidemische Genickstarre“ ist in „kontagiöse“ oder „ansteckende Meningitis* 
zu ändern. _ Dr. Räuber-Köslin. 

lieber Augenstürungen bei der Genickstarre. Erweiterte Diskussions¬ 
bemerkungen auf Grund von Beobachtungen an 100 Fällen von Genickstarre. 
Von Privatdozent Dr. Heine-Breslau, 1. Assistent. Berl. klin. Wochenschr.; 
1906, Nr. 25. 

Im Vordergrund stehen Störungen im sensorischen Leitungsapparat, 
Blutungen in der Retina, einfache Neuritis optica intraoculuris, basilare Amau¬ 
rose oder hochgradige Amblyopie. Seltener sind die kortikalen Sehstörungen. 
Auch durch Mitbeteiligung des Augeninnern können Erblindungen herbei¬ 
geführt werden, durch metastatische Prozesse, Pseudogliom oder amaurotisches 
Katzenauge. Diese metastatische Ophthalmie kann auch in leichteren Formen 
auftreten, die nicht zur Erblindung führen. Endlich werden Augenmuskelnerven- 
Lähmungen beobachtet, Abducensparesen, vollständige Lähmung sämtlicher 
Augenmuskeln und leichtere Formen der Blicklähmungen. Bemerkenswert ist 
die Seltenheit des Lidschlages zumal im Beginn der Erkrankung; Nystagmus 
und Papillenstörungen kommen mehrfach zur Beobachtung. Unter 100 Kranken 
befinden sich mindestens 20 Augenkranke mit wenigstens 30 krankhaften 
Augensymptomen, von denen 15 den Bewegungsapparat, 10 die optischen 
Leitungsbahnen und 5 das Augeninnere betreffen. Dr. Räuber-Köslin. 

Ceber Meningitis eerebrospinalis epidemica. (Weichselbaiunsche 
Meningitis.) Von Dr. Hugo Schottmüller-Krankenhaus Eppendorf. 
Münchener mediz. Wochenschrift; 1905, Nr. 34, 35 und 36. 

Verf. verbreitet sich zuerst über die Geschichte der epidemischen Cere¬ 
brospinalmeningitis und geht dann näher auf die keineswegs entschiedene 
wichtige Frage der Aetiologie ein. Hierbei hat als feststehend zu gelten, daß 
der von Weichselbaum bei eitriger Meningitis gefundene und zuerst 
näher beschriebene Micrococcus meningitidis cerebrospinalis das ätiologische 
Moment vieler Epidemien gewesen ist. Daß der Diplococcus lanceolatus 
Fränkel zahlreiche Fälle von Meningitis bedingt, ist eine bekannte Tatsache; 
indessen liegt nicht eine einzige auf einwandfreie Untersuchungen gestützte 
und hinreichend genaue Mitteilung vor, die zur Behauptung berechtigte, daß 
der Diplococcus lanceolatus Fränkel auch eine Epidemie von Genickstarre 
hervorrufen kann. 

Dagegen kann der Streptococcus mucosus (Schottmüller) ebenso 
wie der Micrococcus Weichselbaum sowohl sporadische Fälle, als Epidemien 
von Meningitis bedingen. Die durch den erstgenannten Coccus bedingten 
Epidemien sind jedoch, soweit heute ein Urteil erlaubt ist, außerordentlich 
selten, während die meisten und namentlich die großen Epidemien durch den 



Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


673 


Micrococcus Weichselbaum hervorgerufen sind, so auch die zurzeit in 
Schlesien wütende Epidemie. 

Verf. hebt zum Schlüsse der Schilderung über die Biologie des Micro* 
coccus Weichselbaum besonders hervor, daß der beschriebene Coccus ein 
sehr wenig widerstandsfähiger Mikroorganismus ist, was epidemiologisch wich* 
tig ist. Er ist besonders empfindlich gegen das Aastrocknen and geht sehr 
wahrscheinlich außerhalb des menschlichen Körpers bald zugrunde. Er ist ein 
obligater Parasit, der meist direkt von Mensch auf Mensch übertragen 
wird und zwar dürfte seine Ansiedlung zunächst in der Nase erfolgen, von wo 
aus er dann in gewissen Fällen vermutlich auf dem Ljmphwege in die Meningen 
gelangt. Bei der Uebertragung von Mensch auf Mensch spielen wohl die Finger 
die Hauptrolle, die ja so häufig in die Nase geführt werden. Das Aufflammen 
einer Epidemie dürfte sich ähnlich erklären lassen, wie bei der Influenza. 
Auch die Bazillen der Influenza kommen immer vor, nehmen aber zuweilen 
hochvirulcnten Charakter an und erzeugen dann durch irgend eine Ursache 
besonders virulent und infektiös geworden, eine Epidemie. Verf. geht dann 
zum Schluß noch auf das klinische Bild der Weichsel bäum sehen (epide¬ 
mischen) Meningitis ein, kommt dabei auch auf die Differentialdiagnose zu 
sprechen, wobei hauptsächlich in Betracht kommen können: Typhus, Tetanus, 
kruppöse Pneumonie, tuberkulöse Meningitis nsw. usw. 

Ganz am Schlüsse der Arbeit wirft Verf. noch die Frage auf, ob, nach¬ 
dem der Name epidemische Genickstarre nicht zutreffend ist, weil sie häufig 
genug sporadisch vorkommt, nicht die Normenklaturfrage am einfachsten da¬ 
durch gelößt würde, daß man die Krankheit „Weichselbaumsehe Menin¬ 
gitis“ nennt. Dr. Waibel -Kempten. 

Die Dysenterie ln Konstantinopel. Von Deycke und Re sch ad 
EffendL Für die Türkei: Selbstgelebtes und Gewolltes. Von Dr. Robert 
Rieder-Pascha. Jena 1904. Verlag von G. Fischer. Band II. 

Nach Ansicht dor Verfassers verbreitet sich die Ruhr in Konstantinopel 
in erster Linie durch direkten und indirekten Kontakt, wozu die Gewohnheiten 
und die religiösen Gebräuche der muselmännischen Bevölkerung, sowie die 
unhygienischen Einrichtungen der Häuser, speziell der Abortanlagen im Orient 
Gelegenheit bieten. Aber auch die Eigenart der Wasserversorgung Konstantinopcls, 
von der die Verfassers eine hochinteressante Schilderung geben, spielt eine Rolle 
bei der Verbreitung der Ruhr, die ohne weiteres dadurch charakterisiert wird, 
daß es den Verfassern gelang, in dem Wasser der Kirk-tschesme-Leitung die 
beiden Bazillen nachzuweisen, welche sie für die Erreger der bazillären Ruhr 
in Konstantinopel halten. 

Neben der Amöbenenteritis beobachteten sie nämlich zwei deutlich von¬ 
einander sich unterscheidende Formen von bazillärer Dysenterie, die zwei 
deutlich verschiedenen, streng charakterisierten Erregern ihre Entstehung ver¬ 
danken. Die erste Form verlief stets schwer, protahiert und war ausgezeichnet 
durch die Neigung zu rezidivicren. Aus den Stühlen der Kranken und den 
inneren Organen von der Krankheit Erlegenen konnte ein coli ähnliches, un¬ 
bewegliches Stäbchen gezüchtigt werden, dessen wichtigste kulturelle Merkmale 
waren: knopfförmiges Wachstum auf Gelatine, transparente Kolonien auf ge¬ 
wöhnlichem, blaue, durchscheinende Kolonien auf v. Drigalski-Conradisehen 
Agar, Vergährung von Traubenzucker, keine Veränderung der Milch, starke 
Indolbildung und kaum sichtbares Wachstum auf der Kartoffel. Das Serum 
der Kranken agglutinierte die Bazillen in den Verdünnungen 1:30—1:50, 
bisweilen noch höher. Es gelang leicht, durch Verfiitterung und Injektion per 
rectum von Ruhrstühlen oder Reinkultur der beschriebenen Bazillen bei Katzen 
eine typischo Dysenterie zu erzeugen; schwerer gelang dies dagegen durch 
intravenöse oder intraperitonale Injektionen. Pathologisch - anatomisch boten 
die infizierten Katzen dieselben Veränderungen, wie sie sich in menschlichen 
Dysenterieleichen fanden. Die Bazillen konnten leicht aus den Stühlen, dem 
Blut oder den Organen der infizierten Katzen reingezüchtet werden. Ein durch 
Autolysc aus den Bazillen gewonnenes Toxin war bei subkutaner Injektion 
außerordentlich wirksam und führte zu schwerer Nephritis und allgemeiner 
Lähmnng. 

Die zweite Form der bazillären Dysenterie verlief dagegen gewöhnlich 



674 


Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften. 


sehr leicht nnd ging in kurzer Zeit in Heilung ttber. In den Dejektionen der 
Kranken fand sich ein der Shiga-Kruse-Gruppe an gehörendes Bacterinm, 
das Lentz, dem die Verfasser einige der hierher gehörigen Stämme zur Art* 
bestimmung übersandten, mit dem Fl exn er sehen Bacillus identifizieren 
konnte. Bei 4 Dysenteriekranken, deren Krankheit sehr schwer verlief, fanden 
sich beide Dysenterieerreger. 

In den Stühlen, der an Amöbenenteritis leidenden Kranken fanden sich 
stets sehr lebhaft bewegliche Amöben; da diese nicht katzenpathogen waren, 
halten sie die Verfasser nach Quinke und Boos für Amöba coli mitis. Häufig 
fanden sich in den Stühlen dieser Kranken Charcot-Leydensehe Krystalle, 
während die Stühle der an bazillärer Dysenterie leidenden Kranken häufig 
Fettsäurekrystalle enthielten. Erstore enthielten große Mengen oft klumpigen 
Blutes, in letzteren fanden sich im Schleim höchstens Blutstreifen. Komplikationen 
würden selten beobachtet, nie Leberabszesse, die als die Folge einer Dysenterie 
hätten angesprochen werden müssen, dagegen bisweilen perniziöse Anämie. 

Die Therapie bei akuter bazillärer Dysenterie bestand zunächst in einer 
gründlichen Reinigung des Darms mittelst Ol. Ricini; die Kranken erhielten in 
den ersten Tagen nur Reiswasser in kleinen Portionen, daneben Bismut. subnitr. 
und Opium, auf den Leib kamen heiße Umschläge. Bei der chronischen Form 
müssen zur Hebung der Körperkräfte Milch, Reis, Eier, Rahmkäse eventl. auch 
kleine Portionen guten Fleisches gegeben werden; an Medikamenten reicht 
D e y k e in diesem Stadium Salol, Thymolpräparate und Ichthoform. Klystiere 
wendet er nur ungern an. 

Bei der Amöbenenteritris kommt neben der gleichen diätetischen Be¬ 
handlung wie sie bei der Bazillendysenterie beschrieben wurde, Rad. Ipecac. in 
großen Dosen nach vorrausgegangener Darreichung kleiner Dosen Opium und 
Kalomel in häufigen kleinen Dosen in Anwendung. 

Den Schluß der fleißigen und interessanten Arbeit bildet die Beschreibung 
der bei den Leichen an Dysenterie Verstorbener gefundenen pathologisch¬ 
anatomischen Veränderungen, deren Einzelheiten im Referat nicht wiedergegeben 
werden können. Die Verfasser halten die schweren Darmveränderungen für 
die Produkte der Giftwirkungcn, der in den Leibern der Ruhrbazillen ent¬ 
haltenen Toxine. Dr. L e n t z - Saarbrücken. 


Veber ruhrartige Erkrankungen in Deutsch-Südwestafrika. Von 

Stabsarzt Dr. Hillebrecht, Arch. f. Schiffs- und Tropenhygiene; 1905, Nr. 9. 

H. beobachtete in Südwestafrika eine Abart der Ruhr, die sich in viel¬ 
facher Hinsicht wesentlich von den bekannten Formen unterscheidet. Die 
Krankheit beginnt meist mit leichtem Fieber, starken Leibschmerzen und pro¬ 
fusen Durchfällen. Der Stuhl besteht sehr bald nur noch aus Blut und 
Schleim. Die Zunge ist grau belegt, das Bewußtsein frei. Erbrechen fehlt 
meist. Schon am 8. Tage beginnen die Erscheinungen abzuklingen; nach 
7 Tagen sind sie meist verschwunden. Charakteristisch für diese Form der 
Ruhr ist die auffallende Gutartigkeit, die fehlende Neigung, sich zu einem 
chronischen Leiden zu entwickeln und das Fehlen von sekundären Leberabszessen. 

Verfasser glaubt, daß weder Amöben, noch der Kruse-Shigasche 
Baccillus als Erreger in Betracht kommen. Eingehende bakteriologische Unter¬ 
suchungen fehlen noch. Die Ansteckung erfolgt meist durch infiziertes Trink¬ 
wasser. Dr. D o h r n - Cassel, z. Z. Czarnikau. 


Zwei seltene Beobachtungen bei Scharlach. Von Dr. Leopold Bleib - 
treu, Oberarzt in Köln. Münchener mcd. Wochenschrift: 1905, Nr. 87. 

I. Ein siebenjähriges Mädchen zeigte am 14. November 1904 typisches 
Scharlachexanthem mit erythematöser Angina, Himbeerzunge und nachfolgender 
charakteristischer Abschuppung. Am 23. Dezember wurde nach vorausgegangener 
Temperatursteigerung, öfterem Erbrechen das Auftreten eines erneuten deut¬ 
lichen Scharlachexanthems mit Angina und Himbeerzunge konstatiert. Der 
diesmalige Krankheitsverlanf war kompliziert mit leichten Schwellungen in 
beiden Handgelenken und mit einer leichten Albuminurie. Die Abschuppung 
trat wieder so intensiv auf, wie das erste Mal. Im Gegensatz zum Abdominal¬ 
typhus sind Rezidive bei Scharlach selten. Während die bisher beobachteten 
Scharlachrezidive meistens in der Mitte oder am Ende der dritten Woche auf- 



Kleinere Mitteilungen nnd Referato aus Zeitschriften. 


675 


traten, zeigte sich das Rezidiv im vorliegenden Falle am Ende der sechsten 
Woche, was gewiß zu den größten Seltenheiten gehört. 

II. Bei einem 15jährigen Mädcken trat im Mai 1905 ein deutliches 
Scharlachexanthem mit nnr wenige Tage dauerndem Fieber, Eiweißgehalt 
des Urins und charakteristischer Abschuppung auf. Am 14. Juni entdeckte 
Verfasser an beiden Knieen dicht oberhalb und seitlich der Patella an der 
inneren Seite des unteren Teiles der beiden Oberschenkel frisch entstandene, 
symmetrisch angeordnete, quergestellte, bläulich rote, annähernd parallel ver¬ 
laufende Narben, die mehr oder weniger deutlich bis zu 11 übereinander ge¬ 
lagert in Zwischenräumen von 1—l 1 /* cm verliefen. Aber auch auf beiden 
Gefäßhälften fanden sich symmetrisch zahlreiche bläulichrote, von vorn oben 
nach hinten unten verlaufende Narben, die ebenfalls wie die Narben am Knie, 
nur deutlicher wie diese, gegen die normale Oberfläche vertieft und auch zum 
Teil länger und breiter waren. Soweit Verfasser die Literatur überblicken 
kann, ist das Auftreten derartiger Striae nach Scharlach nicht beobachtet 
worden, während sie nach Typhus abdominalis bekanntlich etwas häufiger zur 
Beobachtung kommen. Dr. Waibel-Kempten. 


Ueber den Einfluss des roten Lichtes auf Scharlachkranke, welcher 
im Nürnberger Kinderhospital beobachtet wurde. Von Hofrat Dr. Cnopf. 
Münchener med. Wochenschrift; 1905, Nr. 32. 

Bekanntlich wurden schon in der Volksmedizin vergangener Jahrhunderte 
in China, Japan und Rumänien das Gesicht und die Hände Pockenkranker mit 
roten Tüchern verhüllt. 

ln neuerer Zeit wurde die Chromotherapie vielfach und zum Teil mit 
günstigem Erfolge angewendet; es kam speziell die Anwendung des roten 
Lichtes bei Blatternkranken durch Finsen und seine Schüler zur Einführung 
und zwar mit günstigem Erfolge. 

Es war bei dem Erfolge dieser Behandlung naheliegend, die Chromo¬ 
therapie auch bei exanthematischen Krankheiten (Scharlach, Masern und 
Erysipel etc.) zu versuchen. 

Verfasser machte diesbezügliche Beobachtungen bei 14 scharlachkranken 
Kindern und kommt zu dem Schlüsse, daß bei sämtlichen Scharlachkranken im 
Initialstadium ein günstiger Einfluss des roten Lichtes auf dem Scharlach¬ 
prozeß, was die Dermatitis, wie den Temperaturgang anbetrifft, vorhanden und 
dementsprechend die Rotlichtbehandlung durch den mildernden Einfluß, den sie 
auf das Initialstadium bei Scharlach aasübt, ein wichtiger Faktor der Therapie 
dieser Krankheit sei. 

Zum Zwecke der Rotlichtbehandlung wurden die 2 Fenster eines Zimmers 
auf der Separatabteilung mit Läden versehen, deren untere zwei Drittel das 
Tagelicht vollständig abschlossen, während das obere Drittel mit Ruby Christia- 
Seide nur dem roten Lichte den Zutritt gestattete. Nachts wurde das künstliche 
Licht, ähnlich wie in photographischen Dunkelkammern unschädlich gemacht, 
die Türe durch einen roten Vorhang abgeschlossen. 

Dr. Waibel- Kempten. 


Eine Masernepidemie. Von Bezirksarzt Dr. Heißler in Teuschnitz. 
Münchener med. Wochenschrift; 1905, Nr. 28. 

Verfasser berichtet ausführlich über die epidemiologischen und statisti¬ 
schen Verhältnisse einer sehr ausgedehnten und z. T. eigenartig verlaufenden 
Masernepidemie in seinem Bezirke (2881 Fälle). 

Der Verlauf der Epidemie läßt die Schließung der Schule in keineswegs 
günstiger Beleuchtung erscheinen, da die Kinder auf dem Lande, wenn sie m 
der Schale nicht Zusammenkommen, um so ausgiebiger auf der Straße und 
beim Spiele miteinander in Berührung kommen. Verfasser kommt dann auf 
den geringen Erfolg zu sprechen, den wir meistens mit unseren Maßregeln bei 
Infektionskrankheiten im allgemeinen haben, und bezeichnet neben der Indolenz 
der Bevölkerung als Hauptgrund den Umstand, daß unsere Maßregeln meist zu 
spät kommen. Bis das Amt Kenntnis von einer ansteckenden Krankheit erhält, 
bis die Mitteilung den Dienstweg durchlaufen hat und die Maßregeln in Vollzug 



676 


Kleinere Mitteilungen nnd Referate ans Zeitschriften. 


gesetzt sind, hat die Infektion meistens schon grosse Fortschritte gemacht. 
Ein Erfolg kann aber nur erwartet werden, wenn die Krankheit in ihren ersten 
Anfängen getroffen wird, d. h. wenn die Anzeigepflicht für jeden 
einzelnen Fall aller Infektionskrankheiten besteht. Mur dann 
können ansteckende Krankheiten wirksam bekämpft und Epidemien verhütet 
werden. Dann ist aber auch das Opfer für die Schule nicht zu groß und auch 
nicht mehr so groß, wie heute. Abgesehen von anderem ist dieses Ziel anzu¬ 
streben im Interesse der Erhaltung und Hebung unseres Bauernstandes, des 
Rückgrates der Bevölkerung, den die häufigen und langen Unterbrechungen 
des an sich schon allzu knappen Schulunterrichtes den größten Schaden bringen 
müssen. _Dr. Waibel-Kempten. 


Zur Aetlologie der Pneumonia crouposa. Von Dr. Hugo Schott¬ 
in tt 11 e r - Eppendorfer Krankenhaus. Münchener med. Wochenschrift; 1905, Nr. 30. 

Auf Grund mehrerer Hunderte von Beobachtungen kann Verfasser be¬ 
stätigen, daß der von A. Weichselbaum schon 1886 ausgesprochene Satz 
zu Recht besteht, daß „der pneumonische Virus kein einheitliches ist und die 
sogenannte kroupöse Pneumonie durch mehrere Arten von Bakterien hervor¬ 
gerufen werden kann“. Verfasser ist in der Lage, die Zahl der Erreger der 
primären Pneumonie(Pneumococcus- Fränkel, Diplobacillus- Friedländer), 
um einen zu vermehren in der Form des Streptococcns mucosus. 

Unter Mitteilung von mehreren Krankengeschichten, Obduktionsbefunden 
etc. geht Verfasser näher auf seine Beweisgründe ein und beschreibt dann die 
Eigenschaften des Streptococcus mucosus. Wie groß die Zahl der durch 
diesen Krankheitserreger erzeugten Pneumonien ist, kann er zunächst nicht 
beurteilen, meint aber, daß der Streptococcus mucosus häufiger als der Diplo- 
bacillus-Friedländer die kruppöse Pneumonie erzeugt. 

Weitere systematisch durchgeführte Sputumuntersuchungen werden 
hierüber Aufschluß geben können. Dr. Waibel-Kempten. 


Neuere Arbeiten Aber Epidemiologie der Tnberknlose. Von Stabs¬ 
arzt Dr. Kutscher, kommandiert zum Königl. Institut für Infektionskrank¬ 
heiten in Berlin. Berliner klinische Wochenschrift; 1905, Nr. 20. 

Aus dem umfangreichen Material der Sanitätsstatistik des Preußischen 
Staates (Cornct) geht hervor, daß sich die Lehre v. Behrings von der in¬ 
fantilen Infektion in keiner Weise mit der Statistik der Tuberkulose als Todes¬ 
ursache in Einklang bringen läßt. Die Häufigkeit der Lungenschwindsucht 
auf 10000 Lebende berechnet, fällt von 20,4 im ersten Lebensjahre ständig in 
der ersten Lebenszeit auf 4,52 Fälle im Alter von 5—10 Jahren, um dann 
wieder konstant bis zum 60—70. Lebensjahre zu Bteigen. Nach den aus dem 
FlUggesehen Institut veröffentlichten Beobachtungen lassen sich keine Be¬ 
ziehungen zwischen der Sterblichkeit an Tuberkulose und der Art der Er¬ 
nährung des Säuglings herstellen. Das Verhältnis der später tuberkulös ge¬ 
wordenen Brustkinder zu dem im Säuglingsalter mit Kuhmilch ernährten stellt 
sich wie 73 : 27. In Ländern, in denen die Kuhmilch als Säuglingsernährung 
keine oder nur eine untergeordnete Rolle spielt (Japan, Türkei, Grönland) 
zeigen sich dieselben Sterblichkeitsverhältnisse wie überall. In Berlin ist die 
Sterblichkeit an Phthise seit 1886—1900 von 31,69 auf 23,61 gesunken, während 
die Anzahl der mit Kuhmilch ernährten Säuglinge von 33,9 auf 54,8 9 /„ stieg. 
Daß in den weitaus meisten Fällen den Säuglingen abgekochte Kuhmilch, in 
der etwaige Tuberkelbazillen zugrunde gegangen sein müssen, verabfolgt wird, 
scheint v. Behring nicht genügend berücksichtigt zu haben. Um die rohe, 
wegen der bakteriziden Stoffe von ihm bevorzugte Milch haltbar zu machen, 
setzt er Formaldehyd zu. Diese bakteriziden Körper der rohen Milch versagen 
aber gegenüber der Typhus-Coli-Gruppe; daß sie für die Verhütung der 
Tuberkulose eine besondere Rolle spielen, erscheint zweifelhaft. Die ursprüng¬ 
lich keimarme Formaldehydmilch läßt schon nach zwei Tagen starke Bakterien¬ 
vermehrung erkennen bei unverändertem Geschmack. In der ganzen Säuglings¬ 
milchfrage müssen wir an dem festhalten, was bisher von einsichtigen und 
zielbewußten Hygienikern gefordert ist. Dr. Räuber-Köslin. 




Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften. 


677 


Praktische Ergebnisse der neueren Forschungen Aber die Bestehungen 
sw Ischen der Menschen* und Tiertuberkulose. Festgestellt in der Sitzung 
des Unterausschusses för Tuberkulose des Reichs - Gesundheitsrates vom 
7. Juni 1906. 

I. Tuberkulose der Haustiere. 

A. Tuberkulose des Rindes. 1. Die Tuberkulose des Rindes wird 
durch Tuberkelbazillen des Typus bovinus heryorgerufen. Sie entsteht durch 
die Ansteckung mit Tuberkelbazillen, welche yon kranken Tieren bei gewissen 
Formen der Tuberkulose ausgeschieden werden. 

2. Als Qaelle für die Ansteckung des Rindviehs kommen fast ausschlie߬ 
lich Rinder in Betracht, welche an Tuberkulose des Euters, des Darms, der 
Gebärmutter oder der Lunge leiden und mit der Milch, dem Darminhalt, den 
Absonderungen der Gebärmutter oder der Luftwege Tuberkelbazillen ausscheiden. 

8. Die Erkrankung von Rindern infolge der Aufnahme von Tuberkel¬ 
bazillen des Typus bovinus, welche bei tuberkulösen Erkrankungen von anderen 
Haussäugetieren, z. B. Schafen, Ziegen und Schweinen, ausgeschieden werden, 
ist möglich. 

4. Der tuberkulöse Mensch bietet filr das Rind in den seltenen Fällen, 
in welchen er Tuberkelbazillen des Typus bovinus ausscheidet, eine Gefahr. 

6. Die Tuberkulose der Hühner scheint für das Rind unter natürlichen 
Verhältnissen kaum eine Gefahr zu bieten. 

6. Zur Bekämpfung der Tuberkulose bei den Rindern ist in erster Linie 
die Uebertragung der Ansteckungskeime von tuberkulösen Rindern auf gesunde 
zu verhindern. 

B. Tuberkulose des Schweines. 1. Bei tuberkulösen Schweinen 
finden sich in den Krankheitsherden fast ausnahmslos Tuberkelbazillen des 
Typhus bovinus. 

2. Die Tuberkulose des Schweines hat ihren Ursprung vorzugsweise in 
der Tuberkulose des Rindes, daneben kommt Uebertragung der Tuberkulose 
von einem Schweine auf das andere vor. Auch ist nicht ausgeschlossen, daß 
die Tuberkulose anderer Haussäugetiere und der Hühner auf die Schweine 
übertragen wird. 

8. Der tuberkulöse Mensch kann die Tuberkulose auf das Schwein über¬ 
tragen, und zwar gleichviel, welchen Ursprungs Beine eigene Erkrankung ist. 

4. Als Quelle der Ansteckung kommen hauptsächlich Absonderungen 
und Körperteile kranker Säugetiere in Betracht, in welchen lebende Tuberkel¬ 
bazillen enthalten sind. Die größte Gefahr bietet die Verfütterung von Zentri¬ 
fugenschlamm aus Molkereien an Schweine. 

C. Tuberkulose der übrigen Haussäugetiere. 1. Die Tuber¬ 
kulose der übrigen Haussäugetiere leitet sich in den meisten Fällen von der 
Tuberkulose des Rindes ab. 

2. Es ist zu erwarten, daß die Bekämpfung der Tuberkulose bei den 
Rindern zu einer Abnahme der Tuberkulose bei den Schweinen und den Übrigen 
Haussäugetieren führen wird. 

D. Tuberkulose des Hausgeflügels. 1. Die Tuberkulose des 
Hausgeflügels (Hühner, Tauben, Enten, Gänse) wird in der Regel durch den 
Hühnertuberkulosebacillus erzeugt und verbreitet. 1 ) 

2. Als Quelle der Ansteckung sind in erster Linie Tuberkelbazillen ent¬ 
haltende Darmausleerungen und tuberkulös veränderte Körperbestandteile von 
krankem Geflügel zu betrachten. 

II. Tuberkulose der Mensoben. 

1. In tuberkulös veränderten Körperteilen von Menschen finden sich 
meist Tuberkelbazillen des Typus humanus. 

2. Es muß angenommen werden, daß hier die Ansteckung mit Tuber¬ 
kulose in erster Linie durch unmittelbare oder mittelbare Uebertragung der 
Tuberkelbazillen von Mensch zu Mensch erfolgt. 

3. Dementsprechend haben die zur Bekämpfung der Tuberkuloso be¬ 
stimmten Maßnahmen sich vorzugsweise gegen die unmittelbare oder mittelbare 

*) Bei tuberkulösen Papageien sind jedoch auch Bazillen des Typus 
humanus gefunden worden. 



678 Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 

Uebertragung des Ansteckungskeimes von tuberkulösen Menschen auf gesunde 
zu richten. 

4. Außerdem ist mit der Möglichkeit zu rechnen, daß mit dem Fleisch 
tuberkulöser Schweine Tuberkelbazillen des Typus humanus auf den Menschen 
übertragen werden. 

5. Die Tatsache, daß in einer Anzahl von Fällen tuberkulös veränderten 
Körperteilen bei Menschen Tuberkelbazillen des Typus bovinus nachgewiesen 
worden sind, zeigt, daß der menschliche Körper zur Aufnahme der Ansteckungs¬ 
keime aus tuberkelbazillenhaltigen Ausscheidungen (z. B. Milch) oder tuberkulös 
verändertem Fleisch der Haussäugetiere befähigt ist. 

6. Die durch Tuberkelbazillen des Typus bovinus bei Menschen hervor¬ 
gerufenen Gewebsverändcrungeu beschränken sich in einer bemerkenswerten 
Zahl von Fällen auf die Eintrittspforte der Keime und die zugehörigen Drüsen 
oder auf letztere allein. Jedoch sind Tuberkelbazillen des Typus bovinus auch 
in solchen Fällen von Tuberkulose gefunden worden, bei welchen die Er¬ 
krankung von der Eintrittspforte aus auf entferntere Körperteile übergegriffen 
und den Tod der betreffenden Person herbeigeführt hatte. 

7. Daher ist der Genuß von Nahrungsmitteln, welche von tuberkulösen 
Tieren stammen und lebende Tuberkelbazillen des Typns bovinus enthalten, 
für die Gesundheit des Menschen, namentlich im Kindesalter, nicht als unbe¬ 
denklich zu betrachten. 

8. Eine gewissenhaft durchgeführte Fleischbeschau bietet einen erheb¬ 
lichen Schutz gegen die Uebertragung der Tuberkelbazillen mit dem Fleisch 
auf den Menschen; außerdem besteht ein Schutz in der geeigneten Zubereitung 
des Fleisches (gründliches Durchlochcn oder Durchbraten). 

9. Die Möglichkeit der Uebertragung von Tuberkelbazillen mit der Milch 
und den Milchprodukten auf den Menschen wird durch wirksame Bekämpfung 
der Tuberkulose unter dem Rindvieh erheblich verringert. Die in der Milch 
enthaltenen Tuberkelbazillen können durch zweckentsprechende Erhitzung ab¬ 
getötet werden. 

10. Die Tuberkulose des nutzbaren Hausgeflügels scheint für die Ver¬ 
breitung der Tuberkulose unter den Menschen keine Rolle zu spielen. 


Tuberkulose und Schwangerschaft. Von Dr. F. Reiche, Oberarzt im 
Allgemeinen Krankenhaus Hamburg - Eppendorf. Münchener medizin. Wochen¬ 
schrift; 1906, Nr. 28. 

Verfasser konnte auf Grund seiner Untersuchungen zum erstenmal an 
größerem Material den Satz erhärten, daß Ehe und Gravidität bei Frauen mit 
leichter, umschriebener, rückgängig und obsolet gewordener Lungenschwindsucht 
keine so erhöhte Gefahren in sich schließt, daß man die extremen Schlu߬ 
folgerungen anderer Autoren (v. Ysendycks und Maraglianos) verteidigen 
und stützen müßte. Bekanntlich bczeichnete Gerhardt als geringste und 
nicht einmal immer ausreichend zu erachtende Forderung, daß jemand, der 
tuberkulös war, mindestens 1 Jahr lang wieder gesund gewesen sein muss, 
ehe er heiratet. Verfasser möchte mit Cornet die Spanne Zeit nach Rück¬ 
gang der Krankheitssymptome auf mindestens 2—3 Jahre ausgedehnt wissen, 
wobei auch in den scheinbar sichersten Fällen von seiten des Arztes die 
schlummernde Gefahr nie verschwiegen werden darf und wo immer Zweifel 
bestehen, mit allen Kräften auf Aufschub gedrängt werden muß. 

Bei noch aktiv bestehender Lungenschwindsucht ist einer Eheschließung 
die Zustimmung zu versagen, bei verheirateten Frauen die Konzeption ein¬ 
dringlichst zu widerraten. Erfolgt sie oder wird eine Lungentuberkulose erst 
während der Schwangerschaft offenkundig, so wird die Frage der künstlichen 
Schwangerschaftsunterbrechung abhängig zu machen sein von dem Grad und 
Charakter der Lungenveränderungen, von dem Stand des Gesamtbefundes, be¬ 
sonders auch von der Zeit der Schwangerschaft. 

In allen schweren Formen von Tuberkulose der Lungen, bei ausge¬ 
sprochenen Kehlkopfkomplikationen, bei hohem Fieber und bei rascher Gewichts¬ 
abnahme wird jedes aktive Vorgehen im Beginn oder in späteren Monaten der 
Schwangerschaft als zwecklos zu unterlassen sein, es müßte denn eine Vital¬ 
indikation vorliegen (behinderte Exkursionsfähigkeit des Thorax mit Atem¬ 
beschwerden und mangelhaftem Gasaustausch in den Lungen bei stark erweiter- 



Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


679 


tem and nach oben drängendem Uterus). Die künstliche Frühgeburt wird aber 
zuweilen auch noch indiziert sein unter den .Bedingungen, die für den 
frühzeitigen artefiziellen Abort maßgebend sind. Er erscheint ethisch erlaubt, 
ja notwendig, wenn in einem an sich günstigen Falle progressive Lungen¬ 
veränderungen zugegen sind, wenn die Gesamtkräfte zurückgehen oder leichte 
Fiebersteigerungen oder protrahierte Hämoptysen sich zeigen, nicht minder 
aber auch dann, wenn die häutigen digestiven Störungen, insbesondere Hyper- 
emesis in den Vordergrund treten. Fellners Empfehlung, selbst in den 
leichtesten Fällen von Larynxtuberkulose gleich im Beginn die Schwangerschaft 
zu unterbrechen, kann Verfasser nur beipflichten. 

Neben den rein ärztlichen Momenten mögen auch noch andere Gründe, 
z. B. die Eigenart der Familienverhältnisse, Berücksichtigung des Wunsches 
der Mutter etc. das ärztliche Handeln mitbestimmen. 

Dr. Waibei-Kempten. 


Bakteriologische Untersuchungen bei gonorrhoischen Allgemein- 
Infektionen. Aus der mediz. Universitätsklinik in Zürich. Von Sekundärarzt 
Dr. Proschaska. Deutsches Archiv für klin. Medizin; 1905, Bd. 83, H. 1—2. 

Die Entstehuug gonorrhoischer Nachkrankheiten und Komplikationen 
wurde bisher vielfach auf Mischinfektion oder Toxinwirkung zuruckgeführt. 
Verf. teilt 6 Fälle gonorrhoischer Allgemeininfektion mit, bei denen als alleiniger 
Erreger der Gonococcus kulturell aus dem der Armvone entnommenen Blute 
nachgewiesen werden konnte. Die Entnahme des Blutes erfolgte mit einer 
Glasspritze aus der gestauten Armvene. Zur Züchtung wurde Ascitesbouillon 
benutzt. 

Zwei Fälle kamen zur Sektion, ln dem einen (gonorrhoische Polyar¬ 
thritis) gelang es, aus den endokarditischen Auflagerungen Gonokokken zu züchten. 

ln dem zweiten handelte es sich um einen 19jährigen Schenkburschen, 
der in bewußtlosen Zustande mit den Symptomen einer Meningitis (starke 
Nackensteifigkeit, Angensymptome) aufgenommen wurde. Lumbalpunktionen 
ohne Resultat. Linkes Samenbläschen vergrößert. 

Sektion: Eiterige spinale Meningitis und eiterige Exsudate auf der Hirn¬ 
oberfläche, multiple enzephalitische Herde, lobuläre Aspirationspneumonie der 
Unterlappcn. Eiteriger Inhalt der linken Samenblase und des Ductus ejacula- 
torius. Fibröse Narbe im Hoden. Thromben der Plexus prostatici. 

ln den Ausstrichpräparaten des Eiters der Samenblase und des meningi- 
tischen Eiters wurden Gonokokken nachgewiesen. Auch kulturell wurden in 
dem Meningitiseiter und in dem Blute der Armvene Gonokokken nachgewiesen; 
ebenso auch in den angefertigten Schnittpräparaten. Andere Bakterien fehlten. 

In einem dritten Fall gonorrhoischer Sepsis gelang es, aus einem serösen 
Pleuraexudat Gonokokken zu züchten. 

Sämtliche Fälle beweisen die außerordentliche Mannigfaltigkeit der 
gonorrhoischen Infektion. Dr. Dohrn-Cassel. 


Das preusslsche Laudesgesetz, betreffend die Bekämpfung übertrag¬ 
barer Krankheiten (Preussisches Seuchengesetz). Von Dr. Martineck, 
Oberarzt beim Sanitätsamt des V. Armeekorps. Deutsche Medizinalzeitung; 
1905, Nr. 71, 72, 73. 

ln einer sehr lesenswerten Arbeit bespricht Verf. das „Preußische 
Seuchengesetz“. Er behandelt die Bedenken, die dem Gesetze entgegenstanden, 
die einmal gesetz-technischer Natur sind, sodann den Uebereifer beamteter 
Aerzte und endlich die Kostenfrage betreffen. Bei der Anzeigepflicht 
beleuchtet er die Sonderstellung, die hierbei die Tuberkulose einnimmt und 
bedauert die Streichung der aus dem Regulativ übernommenen Bestimmung, 
wonach die Aerzte Anzeige an den Truppenteil zu erstatten verpflichtet sind, so¬ 
bald sic an Geschlechtskrankheiten leidende Unteroffiziere und Mannschaften 
behandeln. Bei Besprechung des Ermittclungsverfahrens macht Verf. den 
m. E. zutreffenden Vorschlag, daß evtl, gleich auf der Meldekarte von dem behan¬ 
delnden Arzte eine Erklärung abgegeben wird, ob seinerseits der Zutritt des 
beamteten Arztes im Interesse des Kranken für bedenklich gehalten wird oder 
nicht. — Einen breiten Raum nimmt in der Besprechung selbstverständlich 
auch die Kosten frage ein, wo genau unterschieden wird zwischen den Kosten, 



6S0 Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften. 

die beim Seuchenausbruch und den Kosten, die in seuchenfreier Zeit den 
Gemeinden erwachsen. Oie Arbeit ist, wie schon gesagt, sehr ausführlich und 
ihre Lektüre nur zu empfehlen. Dr. Hof f mann-Berlin. 


Der Preussisehe Landesverein vom Roten Kreuz und die Bekämpfung 
tou Seuchen gemäss Reichsgesetz Tom 80. Juni 1900. Von Dr. Max 
Schnitze und Ergänzungsvorschlag dazu von C. A. Ewald. BerL klin. 
Wochenschrift; 1905, Nr. 17. 

Sch. empfiehlt die bekannten Vorschläge zur Abschließung von Ver¬ 
trägen, E. empfiehlt für kleinere Gemeinden oder Ortschaften bei epidemie¬ 
verdächtigen Umständen anstelle der D ö cke rsehen Baracken die Aufstellung 
von ein paar Zelten zur Beobachtung und Isolierung verdächtiger Personen 
oder eines oder des anderen Kranken auf kurze Zeit. Solche Zelte sind leicht 
sofort zu errichten. Sie sollen nur ein Provisorium sein, können aber wie 
1870/71 in Bonn für Wochen ausreichen. Dr. Raub er-Köslin. 


Zur Schularstfrage ln Hamburg. Von Dr. Fürst und Lehrer Gerken. 
Zeitschrift für Schulgesundheitspflege; 1905, Nr. 6. 

Nachdem der Senat der Stadt Hamburg beschlossen hat, die hygienische 
Beaufsichtigung der Schulen noch mehr als bisher den Stadtärzten zu über¬ 
geben und zu dem Behufe 8 neue ärztliche Hilfskräfte heranzuziehen, stellt 
die „Vereinigung für Schulgesundheitspflege“, bestehend aus Aerzten uni 
Lehrern, Leitsätze über die Schularztfrage auf, die sie dem Senat unterbreitet. 
Diese enthalten zunächst die bekannten Gründe für die Notwendigkeit der Schul¬ 
ärzte, verbreiten sich kurz Uber die Aufgaben derselben, die die hygienischen Ein¬ 
richtungen des Schulhauses und den Gesundheitszustand der Schüler umfassen, 
und wünschen die Stellung des Schularztes als fachmännischen Berater des 
Lehrers aufgefaßt zu sehen. Neu ist wohl die Art der Anstellung, die nach öffent¬ 
licher Ausschreibung durch die Oberschulbehörde auf Vorschlag des Medizinal¬ 
kollegiums geschehen soll. Auch die Dienstordnung für die Schulärzte erläßt 
die Oberschulbehörde im Einvernehmen mit dem Medizinalkollegium. Die Schul¬ 
ärzte bilden eine Vereinigung, deren Vorsitzender ein Stadtarzt ist, der zugleich 
Mitglied der Oberschulbehörde sein soll, ohne disziplinarische Befugnisse über 
die Schulärzte zu haben. — Durch diese Art der Anstellung sollen die beider¬ 
seitigen, oft ineinandergreifenden Interessen der beiden Behörden am besten 
gewahrt bleiben. _ Dr. Solbrig-Arnsberg. 


Betrachtungen über schulärztliche Statistik und Vorschläge zur 
Herbeiführung einer Einheitlichkeit in derselben. Von Dr. Samosch in 
Breslau. Der Schularzt, Beilage zur Zeitschrift für Schulgesundheitspflege; 
1905, 6, 7, 8 H. 

Auf dem ersten internationalen Schulhygienekongreß in Nürnberg im 
Jahre 1904 wurde eine Kommission gebildet, die die Aufgabe bekam, zweck¬ 
mäßige und allgemein zu empfehlende Formulare für den schulärztlichen Dienst 
zusammenzustellen; denn bei der jetzt noch so verschiedenartigen schulärzt¬ 
lichen Organisation sei eine brauchbare medizinische Schulstatistik nicht vor¬ 
handen und ohne eine solche gäbe es keine Fortentwicklung der Schulhygiene. 

Verfasser, als Mitglied dieser Kommission, hat sich der Mühe unterzogen, 
auf Grund von durch Prof. Leubuscher veranstalteten Sammlungen der in 
127 deutschen Städten und Gemeinden gebräuchlichen Formulare, mit Vorschlägen 
hervorzutreten. 

S. hält zur Schaffung einer guten Statistik folgende, einheitlich zu- 
gestaltende Formulare für erforderlich: 

1) Aufnahmebogen zur Eintragung des Untersuchungsbefundes beim 
Schuleintritt, 

2) Personalbogen zur Eintragung der im weiteren Schulleben des Kindes 
gemachten schulärztlichen Beobachtungen, 

3) Schema für den Jahresbericht. 

Von diesen Formularen bringt Verfasser mehrere verschiedene Entwürfe, 
die jedes einzelne ‘an Vollständigkeit wohl nichts zu wünschen übrig lassen. 



Kleinere Mitteilungen und Referate anB Zeitschriften. 


681 


Er erwartet, daß durch Meinangsanstansch es gelingen wird, auf Grand seiner 
Vorschläge zu einer einheitlichen Regelang dieser Frage za kommen. 

Dr. Solbrig-Arnsberg. 


Physiologische and pathologische Beobachtangen in der Dorfschale* 

Von Kreisarzt Dr. Kr ohne-Düsseldorf. Aerztliche Sachverständigen-Zeitung: 
1905, Nr. 13. 

Autor hat in 4 Dorfschalen 540 Kinder aaf den äußeren Körperstatus, 
den allgemeinen Gesandheitszastand (Skrofulöse, Drüsenaffektionon, Erkran¬ 
kungen von Langen, Herz asw.), die Sinnesorgane, das Nervensystem und den 
geistigen Status untersucht. Das Material ist nicht groß genug, am Schlüsse 
ziehen za können, immerhin liefern jedoch die Ergebnisse der Arbeit einen 
kleinen, sehr anregend geschriebenen Beitrag za der wichtigen Frage der 
Schulhygiene. _ Dr. Tröger-Adelnau. 


Die Nervenkrankheiten der Schulkinder. Von San.-Rat Dr. P. Meyer, 
Schalarzt in Berlin. BerL klin. Wochenschrift; 1905, Nr. 17. 

Von November 1900 bis Mai 1904 hat Verf. 1857 Kinder untersacht. 
Von diesen litten an nervösen Affektionen 130 Kinder (7 °/o) und zwar Mädchen 
und Knaben fast za gleichen Teilen. Schwachsinn warde bei 22, Epilepsie bei 
22, Nervosität bei 22, Kopfschmerz bei 16, Migräne bei 13, Veitstanz bei 
12 Kindern beobachtet. M. betont die Wichtigkeit, daß gleich bei der Ein¬ 
schulung seitens des Schalarztes Epilepsie festgestellt und durch einen Ueber- 
wachungsschein den Lehrkräften zar Kenntnis gebracht wird, daß bei schweren 
und häafigen Anfällen die Kinder garnicht eingcschult werden. Bei den an 
Nervosität leidenden Kindern kann der Schalarzt ebenfalls günstig einwirken. 
In Betracht kommen u. a. Ferienkolonien, Erholungsstätten, Handfertigkeits¬ 
unterricht, Fürsorge für die notwendige Ernährung und Nachtrahe, Vermeidang 
der Kinderarbeit in der Industrie, richtige Festsetzung des schulpflichtigen 
Alters mit genauer Individualisierung. Beim Kopfschmerz ist außer der ner¬ 
vösen Disposition auch die geistige Anstrengung beim Unterricht in Betracht 
zu ziehen, wie der Einfluß der Schale auf das Nervensystem der Kinder auch 
durch die Beobachtung erhellt, daß bei 1068 Kindern, die behufs Einschulung 
untersucht'wurden, nur 28 (2,6 °/o), von 770 Schülern und Schülerinnen der ver¬ 
schiedensten Altersstufen dagegen 122 (16 °/o) nervenleidend gefunden wurden. Die 
Aufgaben des Schularztes sind somit bedeutungsvolle. Dr. Räuber-Köslin. 


Die praktischen Schwierigkeiten bei der Befriedigung der hygienischen 
Forderungen an die Subsellien. Von Dr. Rostowzeff, Sanitätsarzt der 
Gouvernementslandschaft in Moskau. Zeitschrift für Schulgesundheitspflege; 
1905, Nr. 5. 

Sind auch die Normen für die Schulbänke längst festgelegt, so ist die 
praktische Durchführung der wissenschaftlichen Forderungen noch längst nicht 
erzielt. Zu diesem Resultate gelangte Verfasser auf Grund von Untersuchungen 
von 41 Volksschulen im Kreise Dmitroff im Gouvernement Moskau, welche 
sämtlich mit den nach Prof. Erismann angegebenen Schulbänken ausgestattet 
sind. Er fand nämlich, daß bei 69 */„ der Schulkinder das Größenmaß der Schul¬ 
bänke mit dem Größenmaß der Schulkinder nicht übereinstimmte (fast ein Viertel 
der Kinder saß auf Bänken, die um mehrere Nummern gegen der betr. 
Körpergröße abstachen). Die Ursache hiefür war darin zu finden, daß in den 
einzelnen Klassen oder Schalen das Verhältnis der einzelnen Subsellien immer 
zu den Größennummern der Schulkinder kein richtiges war. Um hierin Wandel 
zu schaffen, hält R. eine genauere Individualisierung statt der bis¬ 
herigen Annahme von Durchschnittsverhältnissen für geboten, indem die Schulen 
mit Schulbänken versorgt werden müssen, deren Größenmaße verstellbar 
sind. — 

Es will uns scheinen, als ob solche Forderungen vorläufig noch — bei 
uns wenigstens — unerfüllbar sind, und es schon einen wesentlichen hygienischen 
Fortschritt bedeuten würde, wenn die Volksschulen sämtlich mit Bänken aus¬ 
gestattet werden, die bezüglich der Abmessungen der Höhe, Differenz, Distanz 
usw. den Durchschnitts Verhältnissen Rechnung tragen. 

_ Dr. Solb rig-Arnsberg. 



682 


Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


Ein Beitrag zur Wachstumsphysiologie des Menschen. Nach statisti¬ 
schen Erhebungen an der Stoysehen Erziehungsanstalt in Jena. Von Dr. 
Alexander Koch-Hesse in Gr. Lichterfelde. Zeitschrift für Schulgesundheits- 
pflege; 1905, Nr. 6, 7, 8. 

Verf. hat mit großer Sorgfalt Messungen von ca. 800 Schülern der ge¬ 
nannten Anstalt vorgenommen, um dabei 1. dio Körperlänge im Vergleich zum 
Lebensalter, 2. das Körpergewicht im Vergleich zum Lebensalter und zur 
Körpergröße, 3. das jährliche Wachstum der einzelnen Schüler genauer zu 
Btudieren. 

Den Hauptwert legt er auf die Weiterbildung der bisher noch unzu¬ 
reichenden rechnerischen Methoden für Wachstumsphysiologie und Anthro- 
pometrie. 

Um einen Durchschnittswert der Körperlänge für einen bestimmten 
Moment des Lebens zu erhalten, müßte man eigentlich jedes Individuum an 
seinem Geburtstage messen. Dies ist in größerem Umfange nicht gut möglich. 
Man hat sich meist mit halbjährlichen oder monatlichen Messungen begnügt 
und danach den Durchschnitt berechnet. Verf. nahm nun bei jedem einzelnen 
Schüler etwa 10 mal im Jahre in ziemlich regelmäßigen Abständen die Messungen 
vor. In einer Liste wurde der Geburtstag und jeder Tag der Messung bei 
jedem Schüler eingetragen. Es wurden dann diejenigen 2 Zahlen der Messung 
aufgesucht, welche an Tagen notiert waren, zwischen denen der Geburtstag 
lag. Da es sich hier nur um wenige Wochen Differenz handelte, konnte in 
der Annahme, daß während dieser Zeit das Wachstum regelmäßig vor sich 
gegangen sei, durch einfaches Rechenexempel berechnet werden, wieviel der 
Einzelne an einem Tage größer geworden sei und wie groß er an seinem 
Geburtstage war. So wurden Listen mit Eintragungen der Altersstufen und 
den entsprechenden Körpergrößen angelegt. Hieraus ließ sich nach der üblichen 
Methode das arithmetische Mittel ziehen. Daneben ließ sich das wahr¬ 
scheinliche Mittel so berechnen, daß die Einzel werte jedes Jahrganges in 
einer Skala der Reihe nach untereinander geschrieben und die Zahlen abgezählt 
werden, die genau in der Mitte liegen. 

Verf. fand nun eine recht gute Uebereinstimmung beider Mittelwerte 
und zieht daraus den Schluß, daß man auf die zeitraubendere Berechnung des 
arithmetischen Mittels vielfach wird verzichten können. 

Bei der Feststellung des Körpergewichts verfuhr K. ebenso. Durch Ver¬ 
gleiche des jährlichen Größenzuwuchses mit der Gewichtszunahme kam er zur 
Bestimmung des jährlichen relativen Horizontalwachstums. 

Als Resultate seiner Untersuchungen bezeichnet Verf. den Nachweis 
„mehrerer einander entgegengesetzter Perioden im schulpflichtigen Alter und 
der sie trennenden Wendepunkte“, deren wichtigster, das Pubertätsalter, ja 
anerkannt ist, für den aber 5 rechnerische Indizien aufgestellt werden. 

Dr. S o 1 b r i g - Arnsberg. 

Die gesundheitlichen Mindestforderungen an Badeorte. Von Privat¬ 
dozent Dr. R u g e - Kudowa. Vortrag, gehalten auf dem Balneologen-Kongreß 
1905. Berl. klin. Wochenschrift; 1905, Nr. 16. 

Verf. hält sich an den Min.-Erlaß vom 24. Januar 1903 auch bezüglich 

der Definition „Kurort“. Er verlangt außer den in dem Erlaß genannten For¬ 

derungen : Anwesenheit mindestens einer Pflegerin oder einer Person, die mit der 
Pflege Schwerkranker Bescheid weiß, Sicherung ärztlicher Hülfe für die Saison, 
strenge Durchführung der Meldepflicht von Infektionskrankheiten, gutes Trink¬ 
wasser in ausreichender Menge, ein wandsfreie Einrichtung der Aborte und der 
Beseitigung aller Abfallstoffe (auch des Mülls), Kontrolle derselben und die 
Möglichkeit, gutes Eis für Kranke zu erhalten. Dr. Räuber-Köslin. 

Ueber die wirtschaftlichen und gesundheitlichen VerhUtnlsse der 
in nicht fabrtkmussig betriebenen Wäschereien, Bleichereien und Plätte¬ 
reien beschäftigen Personen. Nach den Erhebungen der Hamburgischen 

Behörden bearbeitet von Dr. Moritz Fürst. Archiv für soziale Medizin und 

Hygiene; 1905, Bd. 2, H. 2. 

Den Ausführungen F.s liegt das Material zugrunde, das bei der Besich¬ 
tigung von 280 Betrieben durch eine gemischte Kommission gewonnen wurde. 



Besprechungen. 


683 


Die Arbeitszeit betrag in der Mehrzahl der Betriebe 12 Standen. Ucber- 
standen bis 11 oder 12 Ohr nachts sind sehr häufig. Vielfach werden hierbei 
die nachlassenden Kräfte der Arbeiterinnen durch Verabfolgang von Schnaps 
seitens der Arbeitgeber wieder aufgefrischt. 

Die Arbeitsräame lassen besonders bezüglich der Ventilation za wünschen 
übrig, ln den Plättstaben wird allgemein Wäsche getrocknet, die unsaubere 
Leibwäsche wird unter den Betten aufbewahrt. 

Als Berufskrankeiten kommen besonders häufig Ekzeme an den Unter¬ 
armen yor. Sie sind meist auf die reizende Wirkung des angewandten Chlors 
zurückzuführen. Infolge des langdauernden Stehens sind Varizen, Plattfüße 
und besonders Erkrankungen der Onterleibsorgano (Prolapse) sehr häufig. 

Infektionskrankheiten sind die Wäscherinnen naturgemäß sehr stark aus¬ 
gesetzt. Infektionen durch Typhus- und Tuberkelbazillen sollen sehr zahl¬ 
reich sein. 

Sehr bedenklich sind die sittlichen Zustände unter den Angestellten der 
Bleichereien. Die Zahl der unehelichen Gebarten ist auffallend hoch. Der 
Versuch des Hamburger Franenvereins, den Plätterinnen durch Errichtung eines 
Abendheims eine Stätte zu bieten, sind derart mißglückt, daß die Anstalt wegen 
mangelnder Frequenz geschlossen werden muß. 

Dr. D o h r n - Cassel, z. Z. Czarnikau. 


Besprechungen. 

Dr. Emil Kraepelin, Professor in München: Einführung in die psychia¬ 
trische Klinik. 32 Vorlesungen. Zweite darchgearbeitcte Auflage. Verlag 
von Johann Ambrosias Barth. Leipzig 1905. Preis: gcb. Mk. 10. 

ln der Neubearbeitung des im Jahre 1900 in erster Auflage erschienenen 
Lehrbuches sind zwei Vorlesungen hinzugefügt und einige kleine Verschiebungen 
des Stoffes vorgenommen. Für die syphilitische und arteriosklerotische Ver¬ 
blödung sind einige neue Beispiele angeführt, die Lehre vom Entartungsirresein 
ist durch mehrere weitere Fälle bereichert worden. Das Buch ist bei dem 
ersten Erscheinen überall sehr günstig aufgenommen worden. Mit Hecht hat 
der Verfasser in den Vorlesungen die diagnostischen Gesichtspunkte in den 
Vordergrund gestellt und unter einer Krankheitsform vereinigt, was gleiche 
Ursache hat, in großen Zügen gleichen Gesamtverlauf, insbesondere gleichen 
Endausgang bietet. 

Ohne ein Lehrbuch der Psychiatrie zu sein, können die Vorlesungen als 
eine vorzügliche Anleitung zur klinischen Betrachtung Geisteskranker gelten. 

Dr. B um p-Osnabrück. 


Dr. Job. Brealer, Oberarzt: Die Reohtspraxin der Ehescheidung bei 
Geisteskrankheit und Trunksuoht seit Inkrafttreten des Bürger¬ 
lichen Gesetzbuchs. Halle a./S. 1905. Verlag von C. Marhold. 8°; 
58 S. Preis: 1,50 Mark. 

Die Schwierigkeiten, die bei Anwendung des § 1569 entstehen, sind vor¬ 
züglich in der Feststellung des vom Gesetz geforderten Nachweises, daß die 
eheliche Gemeinschaft aufgehoben sei, und der Umgrenzung dieses Begriffes zu 
finden. Verfasser hat sich der dankeswerten Arbeit unterzogen, die verschie¬ 
denen Auslegungen, die zahlreiche Gerichte gegeben haben, besonders solche 
letzter Instanz, an der Hand der Urteile zusammenzustellen. Außer jenem 
Begriff kann nur noch die Frage der voraussichtlichen Unheilbarkeit in 
wenigen Fällen Schwierigkeiten machen. Verfasser zeigt, daß schon die theo¬ 
retischen Definitionen sehr divergierende Ansichten über den Begriff der ehe¬ 
lichen Gemeinschaft ergeben. Er definiert: „daß das Bewußtsein der geistigen 
Zusammengehörigkeit sich in dem Wunsche, letztere oder ihre Zwecke zu för¬ 
dern, als lebendig vorhanden zu erkennen gibt“, und hält diese Begriffsbestim¬ 
mung an sich für sehr glücklich gewählt, da sie den Gerichten sowie ärztlichen 
Sachverständigen einen weiten Spielraum geben und so den verschiedenen sozialen 
Bedingungen angepaßt werden könne. Weiterhin betont er, daß die hier ge¬ 
brauchte Bezeichnung Geisteskrankheit nicht als identisch mit der des § 6 der 
Entmündigung sei, mit anderem Worte: eine Ehescheidung kann auch dann 



684 


Besprechungen. 


stattfinden, wenn eine Entmündigung wegen Geisteskrankheit nicht vorangegangen 
ist. Diese Auffassung scheinen übrigens nicht alle Gerichte zu teilen, wie die 
Ausführungen S. 14 ergeben. Zahlreiche übereinstimmende Urteile, die ein¬ 
gehend mitgeteilt werden, zeigen, daß die Gerichte besonders die geistige Ge¬ 
meinschaft sehr verschieden umgrenzen. Einzelne stehen auf dem Standpunkt, 
daß die Bezeichnung identisch sei mit geistigem Tode, worauf bereits EL 
Schnitze in seinen hier besprochenen Zusammenstellungen wichtiger Gerichts¬ 
entscheidungen hingewiesen hatte; sie verlangen den Nachweis der absoluten 
Verblödung, so daß nur noch „von einer animalischen Existenz gesprochen 
werden kann.“ Andere Gerichte haben bei Schwachsinn mäßigen Grades 
(S. 33), ferner bei Dementia praecox ohne weitgehende Verblödung die Schei¬ 
dung ausgesprochen. Die Ehescheidung Trunksüchtiger richtet sich nicht nach 
diesem Paragraphen, sondern wird meist mit Erfolg unter § 1568 untergebracht. 
Jedenfalls zeigt sich nach dreijährigem Bestehen des Gesetzes, daß die Zahl 
der Ehescheidungen wegen Geisteskrankheit wesentlich zurückgegangen ist. 

Dr. Pollitz-Münster. 


Profi Dr. K. v. Bardeleben: Handbnoh der Anatomie des Menschen. 

Verlag von G. Fischer in Jena. 

a. Prof. Budolf Flok - Leipzig: Anatomie und Mechanik der Ge¬ 
lenke unter Berücksichtigung der bewegenden Muskeln. I. Bd., 
I. Abt., I. T., 11. Lieferung des Handbuches. Gr. 8°, 512 8. Mit 162 
größtenteils farbigen Abbildungen im Text. Preis: 16 M., geb. 18 M. 

b. Profi Dr. O. J. Eberth in Halle a. S.: Die männlichen Geschlechts¬ 
organe. Gr. 8°, 310 S., II. T., Abt. 2, 12. Lieferung des Handbuches. Mit 
zum Teil farbigen Abbildungen im Text. Preis: 10 Mark. 

Der vorliegende erste Teil der F.sehen Arbeit behandelt die Ana¬ 
tomie der Gelenke und bringt die eingehende Beschreibung der einzelnen 
Gelenkteilo unter besonderer Berücksichtigung der für die Mechanik und prak¬ 
tische Medizin wichtigen Verhältnisse. Hierbei sind die Beobachtungen am 
lebenden Menschen zugrunde gelegt. An den Schluß jedes größeren Abschnittes 
werden praktische, entwickelungsgeschichtliche und vergleichende anatomische 
Bemerkungen gebracht. 

In der Eberth sehen Arbeit ist die Anatomie sämtlicher Teile und Ab¬ 
schnitte der männlichen Geschlechtsorgane in sehr ausführlicher Weise wieder¬ 
gegeben ; jedem Kapitel sind reiche Literaturangaben beigefügt. Dadurch, daß 
Verfasser über den Rahmen desskriptiver Anatomie hinausgeht, indem er den 
einzelnen Kapiteln vergleichend anatomische, physiologische und event. ethno¬ 
logische Bemerkung anschließt, wird das Werk auch für den Nicht - Anatomen 
interessant. 

Die Ausstattung beider Bände ist vorzüglich; insbesondere Bind die zahl¬ 
reichen größtenteils farbigen Abbildungen außerordentlich naturgetreu, scharf 
und instruktiv. Rpd. 

Dr. Jnliaa Kratter, o. ö. Professor der gerichtlichen Medizin an der Uni¬ 
versität Graz: Beiträge nnr Lehre von den Vergiftungen. Ge¬ 
sammelte Sonderabdrücke der Abhandlungen „Erfahrungen über einige wichtige 
Gifte und deren Nachweis“ im Archiv für Kriminal-Anthropologie und 
Kriminalistik; 1903, XIII. Bd., 8. 122; 1904, XIV. Bd., 8 . 214 und XVI. Bd., 
Seite 1. Leipzig 1904. Verlag von J. B. Hirschfeld. 

In der sehr interessanten und lesenswerten Arbeit behandelt K. im ersten 
Abschnitte die anorganischen Gifte; er will die Seltenheiten nicht als eine 
Artvon Raritätensammlung vorführen, sondern will einige neue Erfahrungen über 
altbekannte Gifte erörtern. Und das tut er im reichsten Maße. Besonders das 
erste Kapitel, welches über Arsen, dem „König der Gifte“, das „Hausgift des 
Steirers“, handelt, hat des Referenten Aufmerksamkeit besonders gefesselt. Hier 
finden wir, die wir in Gegenden wohnen, wo Arsen nicht als „Universalmittel“ gilt, 
viel Neues. K. spricht Über die Darreichungsarten, über „Vergiftungs-Irrungen, 
wo er besonders darauf hinweist, daß gewisse Bauchfellentzündungen den Arsen- 
Vergiftungen bisweilen gleichen, wie ein Ei dem anderen. 

Weiter wird der Nachweis des Arsens erörtert und daran erinnert, daß sich 



Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften. 


685 


Arsen im Körper anreichert, besonders in der Leber, dem „Giftfllter des Orga¬ 
nismus“. Bei Exhumierungen kommt es nicht nur darauf an im Erdreiche, 
welches den Sarg umgibt, Arsen nachzuweisen, sondern es muß auch die 
Löslichkeit des Arsens in der betreffenden Erdart, ihr Absorptionsvermögen für 
Arsen bestimmt werden. Endlich tritt K. der Ansicht entgegen, daß Mumi¬ 
fikation eine Spezialwirkung des Arsens sei. 

Was das Kapitel über Phosphor angeht, so ist hier wohl der wichtigste 
Satz, daß dieses Gift in Leichen kaum so viele Wochen lang sicher nachweisbar 
ist als Arsen Jahre. 

Es folgen dann die Besprechungen von Quecksilber, Blei und Kupfer. 

Die organischen Gifte schließen sich an; zunächst Kohlenoxyd, 
und zwar Kohlendunstvergiftung und Lenchtgasvergiftung. 
Findet sich in der Leiche neben hellrotem Kohlenoxydblat noch viel aus¬ 
gesprochen dunkles Blut vor, so ist meist eine Kohlendunstvergiftung als vor¬ 
liegend anzunehmen, während kirschrote Farbe des gesamten Blutes an Ver¬ 
giftung mit einem an Kohlenoxyde reichen Leuchtgase gemahnt. Kohlenoxyd 
wird im Organismus festgehalten, cs reichert sich an. Die reine Kohlen¬ 
oxydvergiftung führt zum Tode durch zentrale Atmungslähmung; es handelt 
sich um wirkliche Vergiftung, während bei der Kohlendunstvergiftung eine 
Erstickung vorliegt; der Tod tritt ein durch Kohlensäure-Anreicherung 
und Sauerstoffandrängung. 

Dem Kohlenoxyd sehr nahe steht in der Wirkung die Blausäure; 
auch sie ist ein Blutgift in dem Sinne, daß sie den Chemismus des Blutes stört. 

Charakteristische Veränderungen der Leiche setzt die Blausäure nicht, 
wohl aber fehlt kaum jemals der spezifische Bittermandelgeruch. Aus eigener 
Erfahrung kann ich hier hinzufügen, daß wir es mehrfach erlebt haben, daß 
ein mit sehr empfindlicher Nase begabter Kollege sofort beim Betreten des 
Obduktionsraumes diesen Geruch wahrnahm. 

Es folgt der Alkohol, von dem K. mit einer gewissen Verbitterung 
sagt: „Wohin immer der Europäer seinen Fuß setzte, um angeblich wilden 
Völkern die zweifelhaften Segnungen seiner höheren Kultur zu bringen, in 
Wirklichkeit um seiner Gold- und Ländergier zu frönen, — stets geschah und 
geschieht es mit der Schnapsflasche in der Hand.“ 

Alkohol ist ein Nervengift, doch kommen bei konzentrierten Lösungen 
auch Aetzungen vor. 

Essigsäure, Chloroform und Karbolsäure schließen diesen 
Abschnitt. 

Vom Chloroform wird zuerst das Großhirn, dann das Kleinhirn, hierauf 
das Rückenmark und endlich das verlängerte Mark (Atmungs- nnd Kreislauf- 
Zentrum) gelähmt. Die in der Chloroform-Narkose vorkommenden Unglücks¬ 
fälle beruhen entweder auf einem regelwidrigen Ablauf der Lähmungen oder 
auf einer Ueberempfindlichkeit (Idiosynkrasie) gegen Chloroform. Bei Chloro¬ 
formvergiftungen ist in forensischen Fällen zu beachten die individuelle Re¬ 
aktion, die verbrauchte Chloroformmenge, die Anwendungsart, die Beschaffenheit 
des Chloroforms und die Körperbeschaffenheit des Kranken. 

Karbolsäure findet jetzt seltener Anwendung, die an ihre Stelle ge¬ 
tretenen Mittel sind sämtlich Homologe des Phenols; ihre Ungefährlichkeit hat 
sich nicht bestätigt. Die Wirkung der Karbolsäure ist eine doppelte: Aetzung 
und Affektion des zentralen Nervensystems (Bewußtlosigkeit, Lähmung der 
motorischen Sphäre, Störung der Atmung und der Herztätigkeit, Abfall der 
Körpertemperatur. 

Die Pflanzengifte bieten keine charakteristischen Leichenbefunde 
dar. Der Nachweis des Pflanzengiftes ist aber schwierig, besonders auch weil 
die sich bildenden Leichenalkaloido (Ptomaine) den Pflanzengiften gleichen. 
Die Pflanzengifte müssen isoliert sowie chemisch und physiologisch identifiziert 
werden. 

Ist der Nachweis des Giftes nicht erbracht, so ist damit die Möglichkeit 
einer Vergiftung keineswegs ausgeschlossen; das Gift kann bereits wieder aus¬ 
geschieden oder zerstört worden sein. 

Atropin lähmt den pupillenverengenden Apparat, während Kokain den 
pupillenerweiternden reizt. Bei Pflanzengiften ist das Suchen nach Bestand¬ 
teilen der einverlcibten Pflanze in den Gedärmen des Gestorbenen äußerst 



686 


Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften. 


wichtig, weil der botanische Nachweis der Pflanze leichter gelingt, als der 
chemische des Giftes. 

Das physiologische Antidot des Atropins ist das Morphin; die durch 
dasselbe bewirkte Papillenverengerung ist an der Leiche nicht mehr vorhanden, 
weil mit Eintritt des Todes die zentrale Reizung des Nervus oculomotorius 
aufhört. 

Zum chemischen Nachweis des Morphins ist der Harn der vergifteten 
Person ein wertvolles Objekt. 

Ans dem Kapitel über Strychnin seien folgende Sätze angeführt: Das 
Gift wird sehr rasch resorbiert; es wird nnzersetzt durch den Ham aus* 
geschieden, der deshalb ein wichtiges Dntersnchnngsobjckt darsteilt. Diese 
Ausscheidung beginnt schon in der ersten Stunde nach der Aufnahme und 
endet wahrscheinlich längstens in 48 Stunden. Für die Annahme, daß Strychnin 
in der Leber aufgespeichert und zurückgehalten werde, findet sich kein An¬ 
haltspunkt. 

In diesem Abschnitt klagt K. über die Reformbedürftigkeit des öster¬ 
reichischen Regulativs und weist auf das preußische und auf die — fast möchte 
ich sagen als Charakteristikum der deutschen Einheit in bezug auf die Medi¬ 
zinalgesetzgebung — 26 (!!) bundesstaatlichen Regulative hin. 

Besprechungen über Veratrin und Kolchizin bilden den Schluß, 
in welchem K. die sehr beherzigenswerte Bemerkung macht, daß die forensische 
Toxikologie ein geschlossenes Ganze darstelle, die nicht nur die Chemie benutze, 
sondern auch auf Physiologie, Pharmakologie und Botanik fuße. 

Dr. Hoffmann-Berlin. 


Dr. S. Roth, Reg.- und Geh. Medizinalrat in Potsdam: Kompendium der 

Gewerbekrankheiten und Einführung in die Gewerbehygiene. 

Berlin 1904. Verlag von Richard Schötz. Gr. 8°, 271 S. 

Nach einleitenden Worten über das erspriesliche Zusammenwirken von 
„Aerzten und Krankenkassen" bei freier Arztwahl und nach allgemeinen 
kurzen Ausführungen über „Erkrankungs- und Sterblichkeitsstatistik", über 
„natürliche Schutzmittel und Lebensführung" und über „Berufskrankheiten", 
wendet sich der Autor dem eigentlichen Thema, der Schilderung der Gewerbe¬ 
krankheiten, zu. Das geschieht in der Weise, daß an der Hand der einzelnen 
Betriebe (Industrie der Metalle, der Steine und Erden, Leder-, Papier-, Nahrungs¬ 
und Genußmittel-, Konfektions-, chemische Industrie, künstliche Dungstoffe und 
forstwirtschaftliche Nebenprodukte) die diesen eigentümlichen Berufsgefahren 
und Gewerbekrankheiten unter Berücksichtigung der Art des Betriebes erörtert 
werden. Nur soweit einzelne gewerbliche Schädlichkeiten, wie namentlich St&nb, 
Gase und Dämpfe einer größeren Zahl von Betrieben eigen sind, sind diese 
zusammenhängend besprochen. Der Einwirkung der gewerblichen Anlagen auf 
die Umgebung und dem Schutze der Nachbarn gewerblicher Anlagen ist ein 
besonderer Abschnitt gewidmet, dem sich Schlußbetrachtungen über die Not¬ 
wendigkeit statistischer Einzeluntersuchungen und experimenteller gewerbe- 
hygienischer Untersuchungen, sowie über die Hineinbeziehung der Heimarbeit 
und des Handwerkes in das Gebiet der Gewerbehygiene anschließen. Somit 
findet in dem vorliegenden Werk der Arzt die wichtigsten Tatsachen auf dem 
Gebiete der Gewerbekrankheiten und Gewerbehygiene zusammenfassend dar¬ 
gestellt von autorativer, durch jahrelange spezielle Beschäftigung mit gewerbe¬ 
hygienischen Fragen besonders erfahrener Seite. Auch über den Kreis der 
Kassenärzte und Mcdizinalbeamten hinaus sollte das von sozialpolitischem und 
sozialhygienischem Geiste getragene und frisch durchwehte Kompendium in 
allen Arbeitgeber- und Arboitnchmerkreisen freudige Aufnahme finden, von 
deren Verständnis und Mitarbeit in letzter Linie der Segen der dem Arbeiter¬ 
schutz dienenden Maßnahmen abhängt. Rpd. 


Sohroeter, Geh. Oberregierungsrat u. vortr. Rat im Prenß. Ministerium für 
Landwirtschaft, Domänen und Forsten: Das Flelsohbesohaugesets. 
Zweite neubearbeitete Auflage. Verlag von Richard Schoetz in Berlin. 
Kl. 8°, 551 S. Preis: 6,50 Mk. 



Besprechungen. 


687 


Das sehr bald nach der ersten Ausgabe in zweiter Auflage erschienene 
Schr.sche Buch umfaßt das Reicbsgesetz mit den Bundesratsvorschriften für 
die Inlandsfleischbeschau, die Bandesratsbestimmnngen für die Untersuchung 
ausländischen Fleisches and das preußische Ausführungsgesetz mit den preu¬ 
ßischen Ausführungsbcstimmungcn. Sie sind teils im Wortlaut als Text ab¬ 
gedruckt, teils in den Anmerkungen an passender Stelle ihrem Wortlaut oder 
ihrem wesentlichen Inhalte nach wiedergegeben. Den mit der Durchführung 
des Gesetzes befaßten Behörden, Beamten und Sachverständigen wird die prak¬ 
tische Handhabung der Fleischbeschaugesetze durch das vorliegende Buch 
jedenfalls erheblich erleichtert. Bpd. 


Ms fern Grosses Konversation»-Lexikon. Ein Nachschlagewerk des 
allgemeinen Wissens. Sechste, gänzlich neu bearbeitete und vermehrte Auf¬ 
lage. Mit mehr als 11000 Abbildungen im Text und auf über 1400 Bilder¬ 
tafeln, Karten und Plänen, sowie 130 Textbeilagen. Leipzig und Wien, 
Bibliographisches Institut. Gr. 8°, über 13240 Seiten. 20 Bände in Halb¬ 
leder gebunden zu je 10 Mk., oder in Prachtband gebunden zu je 12 Mk. 

In Nr. 9 des vorigen Jahrganges dieser Zeitschrift ist darauf hingewiesen 
worden, wie notwendig neben fortschreitenden Fachkenntnissen ein fortschreiten¬ 
des allgemeinen Wissens zum Rüstzeug des Arztes gehört, der in unseren 
Tagen über eine rezeptverschreibende Tätigkeit hinaus zum Erzieher und Mit¬ 
arbeiter an der leiblichen und geistigen Wohlfahrt der Volksmasse berufen 
ist. In welch hervorragendem Maße Meyers Großes Konversations-Lexikon 
geeignet ist, solches allgemeine Wissen zu vermitteln, hier zu vervollständigen, 
dort nach den neuesten Forschungsergebnissen zu berichtigen, lehrt die Durch¬ 
sicht des großangelegten Nachschlagewerkes, dessen erste Hälfte mit dem so¬ 
eben erschienenen zehnten Band abschlicßt. 

Bei der Fülle der hier behandelten und den Arzt und Hygieniker be¬ 
sonders interessierende Thcmate ist cs ganz ausgeschlossen, im Rahmen eines 
Referates auch nur annähernd erschöpfend oder vollständig auf die Art und 
Form, auf die Gründlichkeit und Klarheit des Stoffes cinzugehen. Man könnte 
sich auf den Standpunkt stellen, daß der wissenschaftliche Arzt seine Kennt¬ 
nisse aus den Werken der medizinischen Literatur auffrischen oder ergänzen 
soll. Demgegenüber ist zu betonen, daß z. die Kapitel über „Arzneipflanzen“, 
über „Bad und Badewesen (Geschichtliches, Technisches, Medizinisches, moderne 
Badeanstalten enthaltend)“, über Elektrizität“, Elektromagnetismus“ usw. usw. 
in einem Spezialwerk gar nicht instruktiver behandelt sein können, als im 
„Großen Meyer“. Die Abbildungen sind im letzterem jedenfalls sehr zahl¬ 
reich, außerordentlich scharf und so gewählt, daß sie das Verständnis der 
Materie ungemein erleichtern. Und wer hat denn all die Spezialwerke in 
neuerer oder neuester Auflage immer gleich zur Handt 

Anzuerkennen ist ferner die allgemeinverständliche Art, in welcher die 
rein medizinischce Kapitel über „Blut“, „Blutbewegnng“, „Blutgefäße“, „Ein¬ 
geweidelehre“, „Entwicklungsgeschichte“, „Haar“, „Haut“, „Gehirn“, „Gewebe 
des Menschen“, „Bandwürmer“, „Bakterien“, „Astigmatismus“ usw. usw. be¬ 
sprochen sind. Solche Popularisierung seiner Wissenschaft kann der Arzt nur 
mit Freude und Stolz empfinden gegenüber der Schundliteratur, die gerade in 
bezug auf medizinische Dinge von Kurpfuschern, Naturheilkundigen, Wunder¬ 
doktoren, Reklamefirmen, wunderkräftigen Orten usw. vertreten wird. Daß in 
der vorliegenden Auflage die Abbildungen zum Kapitel „Hautkrankheiten“ 
fortgeblieben sind, ist auch als ein Vorzug aufzufassen. — Noch sehr vieles 
würde eine Hervorhebung verdienen; Ref. versagt es sich, weil er doch nicht 
dem gebotenem reichem Wissensschatz vollauf gerecht werden könnte. Aber 
die gemachten Andeutungen werden genügen, um uns Aerzten bei einem Be¬ 
dürfnis nach Aufklärung das genauere Eindringen in Meyers Großes Konver¬ 
sations-Lexikon nahe zu legen. Die medizinischen Mitarbeiter werden repäsen- 
tiert durch Dr. Busch an-Stettin, Stabsarzt Dr. Lambertz-Berlin, Prof. 
Dr. La n g e n d o rf-Rostock, Prof. Dr. L e h m a n n - Karlsruhe, Dr. Lommel- 
Jena, Prof. Dr. Matth es-Jena, Prof. Dr. Pannwitz- Berlin. — Papier, 
Druck, Ausstattung und insbesondere die Abbildungen, Bildertafeln u. dergl. 
machen dem bibliographischen Institut Ehre. Dr. Roepke-Melsungen. 



688 


Tagesnachrichten. 


Tagesnachrichten. 

Das in der nenesten Nummer der preußischen Gesetzsammlung ver¬ 
öffentlichte Gesetz, betreffend die Bekämpfung ansteckender Krankheiten, 
bat unter dem 28. August d. J. die Königliche Sanktion erhalten nnd tritt 
nach der KaiserL Verordnung vom 10. Oktober d. J. am 20. Oktober d. J. in 
kraft. Den Wortlaut des Gesetzes werden wir in der Beilage zur nächsten 
Nummer der Zeitschrift zum Abdruck bringen. 


Die Zahl der Choleraerkrankungen und TodesflUe hat in der Zeit 
vom 29. September bis 13. Oktober nur 16 bezw. 3 betragen; die Gesamtzahl 
stellt sich damit auf 271 bezw. 90. Die Seuche scheint dem völligen Erlöschen 
nahe zu sein; jedenfalls ein schöner Erfolg der getroffenen sanitätspolizeilichen 
Maßnahmen und der wissenschaftlichen Forschungsergebnisse, welche die 
Grundlage für diese Maßregeln gebildet haben. 


Personalien. Der Reg.* u. Med.-Rat Dr. Abel in Oppeln ist vorläufig 
kommissarisch in die Medizinalabteilung des Kultusministeriums einberufen 
worden; es ist aber wohl anzunehmen, daß er demnächst in die seit Abgang 
des Geh. Ober-Med.-Rats Dr. Pistor noch unbesetzte vierte Stelle eines 
Vortragenden Rates einrücken wird, allerdings wohl nicht in dessen Dezernat, 
da dieses schon seit Jahresfrist zum größten Teil dem Geh.-Ober-Med.-Rat Dr. 
Dietrich übertragen ist. 


Der vom 2.-7. Oktober d. J. in Paris tagende Internationale Tuber* 
kulosekongress hat eine außerordentlich große Beteiligung gefunden. Aus 
allen europäischen Staaten waren zahlreiche Delegierte, namentlich aus Deutsch¬ 
land erschienen und auch die meisten außereuropäischen großen Staaten ver¬ 
hältnismäßig stark vertreten, so daß die Gesamtzahl der Theilnehmer fast die 
Ziffer von 6000 erreicht hat. Nicht weniger als 40 Referate und 800 Vorträge 
waren angemeldet; den Höhepunkt der Verhandlungen bildete jedenfalls der 
in der Plenarversammlung am letzten Sitzungstage, den 7. Oktober, gehaltene 
Vortrag von Prof. Dr. v. Behring, in dem er über das Ergebnis seiner neuen 
Versuche und Arbeiten über die Behandlung der Tuberkulose und sein neues 
Tuberkuloseheilserum berichtete. Wir werden auf diesen Vortrag, 
sobald er gedruckt vorliegt, noch ausführlich zurückkommen. In der Schlu߬ 
sitzung der Internationalen Tuberkulose-Vereinigung, in der 21 Staaten ver¬ 
treten waren, wurde die neugestiftete Tu berkulose-M edaille den Pro¬ 
fessoren Dr. Robert Koch und Paul Brouardcl in Gold, den Professoren 
Bang-Kopenhagen, Biggs-Newyork, Broadlent-London und v. Schrötter- 
Wien in Silber zuerkannt. 

Der nächste internationale Tuberkulose - Kongreß wird 1908 in Amerika 
stattfinden. 


Die nächstjährige Naturforscher-Versammlung findet nicht in Köln, 
wie in der vorigen Nummer der Zeitschrift mitgeteilt wurde, sondern in 
Stuttgart statt. 


Der IV. internationale Kongress für Versichernngsmedizin findet vom 

11.—15. September 1906 in Berlin unter dem Ehrenvorsitz des Staats¬ 
ministers Dr. Studt statt. Zur Verhandlung gelangen n. a.: 1. Die früh¬ 
zeitige Feststellung des Vorhandenseins einer Veranlagung zur Tuberkulose. 
2. Die Fettleibigkeit in ihrer Bedeutung für die Versicherung. 3. Der Ein¬ 
fluß der Syphilis auf die Lebensdauer. 4. Die Impfklausel im Versicherungs¬ 
antrag. 5. Die Beeinflussung innerer Leiden durch Unfälle. 


Nfotiz. Der heutigen Nummer der Zeitschrift ist der offlsielle Be¬ 
richt über die II. Landesversammlung des Bayerischen Medi¬ 
zin albeamten vereine beigefügt. 


V erantwortl. Redakteur: Dr. Rapmund, Reg.- u. Geh. Med.-Rat in Minden i. W. 
J. C. C. Bruns, Herzogi. Sächs. n. F. Sch.-L. Hofbncbdruckorei in Minden. 




1906. 


18. Jahrg. 


Zeitschrift 


für 


MEDIZINALBEAMTE. 


ZentralMatt für gerichtliche Hedizii ui Psychiatrie, 
für Sntliehe 8achverstudigeutätigkeit in Unfall- uni Iuvaliditätssachen, sowie 
für Hygiene, dfentL Saaititswesen, Mediziul - Gesetzfeiug ob 4 Reehtspreehong 

Herausgegeben 

TOB 

Dr. OTTO RAPMDND, 

Beglenugs- nnd 0#h. Xedlalnalrat ln Minden» 


Verlag von Fischers mediz. Buehhandlg, H. Kornfeld, 

HenogL Bayer. Hof- u. BnbenogL Kammer-Buchhändler. 

Berlin W. 35, Lützowstr. 10. 

Inserate nehmen die V erlagshandlong sowie alle Annoncen-Expeditionen des In* 

and Aauandes entgegen. 


Nr. 21. 


Bmkelat am 1. ud lff. Jedem Memata 


1. Novbr. 


Zum Pemphigus neonatorum. 

Von Dr. Dreves, Kreisarzt in Walsrode. 

Das neue Hebammenlehrbuch hat auch die Schftlblasen der 
Neugeborenen einer Besprechung unterzogen; demzufolge sind die 
Hebammen jetzt angewiesen, vorkommende Erkrankungen anzu¬ 
zeigen. Es mag daher von allgemeinem Interesse sein, wenn ich 
Aber die Beobachtangen, die ich seit dem Jahre 1897 über das 
Vorkommen nsw. dieser Krankheit gemacht habe, einige Mit¬ 
teilungen mache. 

Als ich im Mai des Jahres 18 97 Ton einem halbjährigen Urlaub zuzück- 
kehrte, kam eines Tages eine der beiden hiesigen Hebammen (M.) zu mir nnd 
erzählte, daß seit einigen Wochen mehrere Neugeborene ihrer Praxis an Schäl¬ 
blasen erkrankt seien. Sie habe dieses dem hiesigen Arzt Dr. S. mitgeteilt, 
dieser jedoch ihr die Erkrankungen als angefährlich bezeichnet; soeben sei 
aber ein Kind gestorben, offenbar an Schälblasen. Dieses Kind sah ans, als 
ob es schwer verbrüht gewesen war, zwar war es abends der Hebamme nur 
durch seine geringe Trinklast aafgefallen; am anderen Morgen hatte es tot 
im Bette gelegen. Ein anderes schwächliches Kind war bereits, kurze Zeit 
nachdem sich einige, wenige Bläschen gezeigt hatten, angeblich an Durchfällen 

g estorben. Ein weiteres Kind starb, bedeckt von großen, dicht stehenden 
lasen am 18. Lebenstage, zehn Tage nach der Erkrankung. Im ganzen 
waren vom 20. April bis 19. Jnni von den während dieser Zeit geborenen 
achtzehn Kindern 9 erkrankt und davon 2 sicher, 1 wahrscheinlich an Pemphi¬ 
gus gestorben. Ein Kind ans der Praxis der zweiten Hebamme G. in W. war 
dadurch angesteckt, daß Körperwäsche ans dem Nachbarhanse bei frühzeitig 
erfolgter Geburt geholt und in diesem Hanse das oben erwähnte schwächliche 
Kind kurz vorher gestorben war. — Die Epidemie erlosch, nachdem die Heb¬ 
amme M. 8 Tage suspendiert war, ihre Instrumente, Tasche desinfiziert, ihre 
Kleidung sämtlich gewaschen, vielfach gelüftet and gesonnt waren, und sie 
selbst mehrere Vollbäder genommen hatte. 










t>r. Drewes. 


690 


Sämtliche Hebammen worden aal die Krankheit aufmerksam gemacht 
and ihnen aafgegeben, bei diesbezüglichen Beobachtangen sofort Anzeige an 
mich za erstatten. Die erste Anzeige lief daraufhin im Februar 1898 ein 
and zwar von der zweiten Hebamme G. in W. Die Krankheit verlief in diesem 
Falle leicht. Suspension der Hebamme usw. Keine weitere Erkrankung. Bei 
einem am 5. April geborenen and am 10. erkrankten Kind aas der Praxis der 
Hebamme M. war die Infektion durch die Hebamme mir unwahrscheinlich; 
jedenfalls blieben die drei folgenden Kinder aus derselben Praxis gesund. Ein 
am 21. April 1898 goborenes Kind erkrankte jedoch am 6. Tage and starb am 
10. Tage, nachdem sich die Bläschen rasch über den ganzen Körper verbreitet 
hatten. Aach hier war eine Uebertragang von Haas za Haas sehr wahr¬ 
scheinlich. Ein am 22. April geborenes Kind blieb wieder gesund, ein am 
28. April geborenes erkrankte dagegen leicht. Suspension der Hebamme usw.; 
Erlöschen der Epidemie. — Es trat dann ebenfalls in W. und in derselben Praxis 
noch ein leichter Fall auf; außerdem erkrankte in einem & km entfernten Orte 
im April ein Kind leicht in einem Hause, in dem die erste Hebamme M. aus 
W. sich vorübergehend besuchsweise aufgehalten hatte. 

1899 wurden in W. nur drei leichte, zeitlich sehr getrennte Erkran¬ 
kungen an Schälblasen beobachtet. 

Dagegen erfolgte im Jahre 1900 wieder starkes Auftreten der Krankheit 
und zwar in W. in der Praxis der zweiten Hebamme G. Das Kind einer 
anderen, mit der Hebamme dasselbe Haus bewohnenden Familie war im Juli 
an einer Bläschenerkrankung, offenbar Pemphigus, erkrankt gewesen. Es folgten 
zwei leichte Erkrankungen von Kindern, die am 25. und 27. Juli geboren 
waren. Suspension der Hebamme usw. Das nächste, am 1. September geborene 
Kind blieb gesund; ein am 2. September geborenes erkrankte dagegen vom 
14.—20. Tage, ein am 10. September geborenes am 5. Tage nach der Geburt 
und starb am 8. Tage. — Abermalige Suspension, freiwillig bis Anfang Oktober 
verlängert. Ein am 27. Oktober geborenes Kind blieb dann gesund, während 
ein am 28. Oktober geborenes am 2. Tage erkrankte und am 10. Tage starb. 
Bei diesem Kinde zeigte sich das erste Bläschen schon wenige Stunden nach 
der Geburt. Kurz vor der Geburt war eine Brotträgerin im Hause gewesen, 
deren 4 Wochen altes Kind wenige Wochen vorher an Pemphigus erkrankt 
gewesen war. — Auch ein am 15. November in der Praxis derselben Heb¬ 
amme geborenes Kind erkrankte vom 5.—14. Tage. Hier bestand viel Verkehr 
mit dem Hause der Eltern des am 25. Juli geborenen Kindes. Obwohl dies¬ 
mal keine Suspension der Hebamme erfolgte, blieben weitere Erkrankungen 
aus; jedoch muß bemerkt werden, daß die Hebamme ihre Instrumente und 
Kleidung usw. desinfizierte und daß sie zu jedem Wochenbesuch ein gesondert 
aufbewahrtes Kleid anzog, was sie allerdings auch das ganze Jahr hindurch 
getan hatte. Beide Hebammen in W. sind gewissenhaft, zuverlässig t und reinlich. 
Von 8 Kindern aus der Praxis der Hebamme G. erkrankten also im Jahre 1900 
6 und starben 2; eine Erkrankung kam außerdem in der Praxis der Heb¬ 
amme M. vor. 

In demselben Jahre trat auch in der Praxis der Hebamme in K., 8 km 
von W., die Krankheit auf. Zwei am 17. resp. 27. Mai in 2 nebeneinander 
liegenden Orten geborene Bonder erkrankten, das erstere starb am 11. Lebens- 
tage. Das zweite Kind, bei dem das Auftreten von Blasen sich während eines 
Vierteljahres vom Bauche nach oben und unten weiterschob ohne merkliche 
Störung des Allgemeinbefindens, war die Ursache, daß sämtliche Kinder in 
einem benachbarten Hause (bis ca. 8 Jahre alt) an Pemphigus erkrankten, 
ebenfalls ohne Störung des Allgemeinbefindens. Suspension der Hebamme usw. 
— Die beiden folgenden, in der Praxis dieser Hebamme geborenen Kinder blieben 
gesund; die beiden nächsten, am 28. Juni und 1. Juli in zwei anderen Ort¬ 
schaften geborenen erkrankten dagegen, der Verlauf der Krankheit war aber 
günstig. Besondere Vorsichtsmaßregeln wurden damals, weil ich auf Urlaub 
war, nicht getroffen, außer daß die Hebamme ihre Instrumente usw. selbst 
reinigte. Die nächsten Fälle traten erst bei 4 in der Zeit vom 2.—28. De¬ 
zember geborenen Kindern auf, von denen das erste und dritte erkrankte, das 
zweite war tot geboren. Zwei im Januar 1901 geborene Kinder erkrankten 
ebenfalls an Pemphigus, eins davon starb. Trotz 14 tägiger Suspension usw. 
der Hebamme erfolgten 14 Tage später abermals 2 Fälle (1 Todesfall), jedoch 



Zorn Pemphigus neonatorum. 


<91 

war hier die Infektion durch nachbarlichen Verkehr wahrscheinlich. Der drei¬ 
jährige Bruder war nämlich vielfach in dem Hause gewesen, in dem das eine 
der beiden Kinder erkrankt war, und hatte sich hier infiziert. In dem 2. Falle 
lag zwischen der ersten Erkrankung und der durch dieee eventL bewirkten 
Ansteckung ein Zeitraum von l’/s Monaten. 

Im Jahre 1901 trat ferner auch ein Fall in D. auf; in demselben Hause 
hatte eine Frau kurz vorher an einer Bläschenbildung gelitten, die der obersten 
Schicht der Epidermis noch beraubten und geröteten Stellen machten mir die 
Diagnose Pemphigus sehr wahrscheinlich. Am 26. November desselben Jahres 
erkrankten weiterhin in einem 10 km von W. gelegenen Orte ein 5 Tage altes 
Kind schwer und starb; die Aetiologie blieb unbekannt. Am 29. November 
erkrankte dann die betreffende Hebamme selbst unter ausgesprochenen Symp¬ 
tomen des Pemphigus mit schwerer Beeinträchtigung des Allgemeinbefindens. 
Die ersten Bläschen zeigten sich am 1. Arm und „brannten wie Feuer“; heftiges 
Stechen im Arm, Kopfschmerzen, Schwindel, Durchfall; Temperatur leider nicht 
gemessen. 8 Tage später sah ich die Kranke, die durch sehr elendes Aus¬ 
sehen auffiel, im übrigen sich aber wieder wohl befand. Auf der Beugeseite 
des 1. Armes waren zwei scharf umschriebene, gerötete, mit feiner Epidermis 
ttberkleidete Stellen, Ftlnfpfennigstttck resp. erbsengroß, vorhanden; außerdem 
mehrere stecknadelknopfgroße, auf geröteter Basis stehende, trübe Bläschen 
am r. Arm und 1. Bein (Beugeseite). Lange Bekonvaleszenz. Desinfek¬ 
tion der Wohnung. — Am 28. Februar 1901 abermals eine leichte Erkrankung 
in der Praxis derselben Hebamme. — Endlich eine einzelne leichte Erkrankung 
in einem entfernten Dorfe. Einschleppung von W. nicht sichergestellt, aber 
möglich, außerdem noch eine leichte Erkrankung in W. 

1902 kam nur eine Erkrankung eines Neugeborenen vor, bei dessen 
Geschwistern zu jener Zeit Pemphigus durch die Hebamme festgestellt war. 

1908 und 1904 ist nur je ein sehr leichter Fall von Schälblasen der 
Neugeborenen vorgekommen. 

Es erkrankten resp. starben 0 danach in den Jahren: 

1897 : 9 (8) 1901: 8 (1) 

1898 : 6 (1) 1902: 1 (—) 

1899 : 8 (—) 1908: 1 (-) 

1900 : 9 (8) 1904: 1 (—) 

88 (8 = 21*/* Todesfälle). 

Dass der Pemphigus eine ansteckende Krankheit ist, wird 
wohl z. Z. allgemein zugegeben. Die Uebertragong von Hans 
zn Hans zu verhindern, wird sehr erschwert durch den Verkehr 
insonderheit der grösseren Kinder, die den Ansteckungsstoff wohl 
nicht nur durch tote Gegenstände, sondern ebenso oft durch eigene, 
unbeachtete Erkrankung weitertragen. Wie leicht wird ein Bläs¬ 
chen, bei völligem Wohlbefinden des betr. Kindes, übersehen oder 
als leichte Verbrennung angesprochen! Aber auch auf Erwachsene 
muss geachtet werden; denn sie können ebenfalls die Mittels¬ 
person sein. Die Frage nach der Haltbarkeit des- Kontagiums ist 
z. Z. nicht zu beantworten. Nach meinen Erfahrungen erscheint 
es mir nicht ausgeschlossen zu sein, dass die Lebensfähigkeit 
eine sehr grosse ist, sich vielleicht über 1—2 Monate erstreckt. 
Ein Urteil in dieser Hinsicht ist allerdings dadurch erschwert, 
dass niemals mit Sicherheit die Erkrankung einer Mittelsperson 
ausgeschlossen werden und die Erkrankung des Neugeborenen 
sich über viele Wochen, ohne Störung des Allgemeinbefindens, 
hinziehen kann. Gegen die Haltbarkeit des Kontagiums spricht, 
dass m. E. schon eine 8 tägige Suspendierung der Hebamme und 
allgemeine Körper-, Kleider- und Instramentenreinigung genügt, 



Br. Breyee. 


692 

um die Ansteckungsfähigkeit auf ein Minimum sicher, wenn nicht 
anf Null herabzudrftcken. 

Bei Fällen, von denen mit grösster Wahrscheinlichkeit an¬ 
genommen werden muss, dass sie nicht yon der Hebamme infiziert 
— und diese sind m. E. zahlreicher als die von der Hebamme 
infizierten — müsste es genügen, wenn die Hebamme in einem 
gesonderten Raum eine, in der Wohnung zurückgelassene, vor- 
schriftsmässige Schürze überzieht und die nötigen Instrumente 
(Thermometer) jedesmal strengstens desinfiziert; vielleicht wäre 
es angebracht, so wie ich es bei schweren Scharlachepidemien 
bei den von mir behandelten Kindern zum Schutze meiner eigenen 
zu tun pflege, nach Benutzung die Schürze (Operationsmantel) in 
Sublimat zu tauchen, auszuringen und zum Trocknen bis zum 
nächsten Gebrauch hinzuhängen. 

Schwerere Epidemien von Pemphigus neonatorum verlangen 
entschieden sehr energische Gegenmassregeln, insonderheit die 
Suspendierung (8 Tage) der betreffenden Hebamme, die ich aus 
bekannten Gründen zwar möglichst zu vermeiden suche, die mir 
jedoch unbedingt bei wahrscheinlicher Infektion durch die Heb¬ 
amme nötig erscheint. Bei Erkrankungen im Hause der Hebamme 
Suspension bis zum Erlöschen der Krankheit und 8—14 Tage 
darüber hinaus mit sorgfältigster Desinfektion der Wohnung, Lüf¬ 
tung sämtlicher Kleider, Desinfektion der Instrumente, Körper- 
reinigung der Hebamme. Ich halte die Infektion durch die Heb¬ 
amme nur dann für wahrscheinlich, wenn zwei Fälle in deren 
Praxis sich in räumlich entfernten Häusern, die keinen Verkehr 
haben, zeigen. Jeder erste Fall muss, falls man annehmen kann, 
dass die Hebamme gewissenhaft ihrer Meldepflicht genügt, jeden¬ 
falls als wahrscheinlicher durch anderweite Infektion entstanden 
aufgefasst werden. Zu bedenken ist jedoch, dass auch ein Kind 
in den ersten 10 Tagen schon infiziert, aber erst nach der Ent¬ 
lassung aus der Behandlung der Hebamme erkrankt sein kann. 
Falls ein Mitglied der Familie eines Neugeborenen erkrankt ist, 
halte ich die Erkrankung des Neugeborenen innerhalb der ersten 
10 Lebenstage für sehr wahrscheinlich, sodass man das Neu¬ 
geborene wohl als Indikator für die Anwesenheit von Pemphigus- 
kontagium in seiner Umgebung ansehen kann. Dass hie und da 
bei sicher anzunehmender Infektion durch die Hebamme in einer 
Erkrankungsreihe hier und da ein Kind Überschlagen wird, lässt 
sich leicht erklären durch die Desinfektion der Hände usw. der 
Hebamme und durch die Reihenfolge der Wochenbesuche. Es ist 
selbstverständlich, dass mit möglichster Sorgfalt die gesamte 
Kinder- und Bettwäsche des Erkrankten in einem mit Sodawasser 
gefüllten Gefässe gesammelt und 10 Minuten gekocht werden 
muss. Ebenso nötig erscheint es, dass die Mutter bei Abwartung 
des Kindes sich selbst und die übrigen Kinder schützt durch An¬ 
legen einer grossen Schürze, Waschen der Hände und eventl. der 
Brust, denn nach den jetzigen Erfahrungen ist eine Infektion von 
Körperstelle zu Körperstelle wahrscheinlich und erst von hier aus 
entsteht eventl. eine Infektion des ganzen Körpers (Baden)!). 



Zorn Pemphigus neonatorum. 


693 


Auf Grand dieser Beobachtungen sind Okklusivverbände empfohlen. 
Ich selbst habe diese nicht angewandt, doch erscheint mir diese 
Behandlung entschieden ätiologisch richtig. 

Dr. Ball in 1 ) empfiehlt, bei einzelnen Blasen nach Abtragung 
der Blasen (ohne andere Körperstellen durch den Inhalt zu infi¬ 
zieren, Ichthargan 5,0, Tragacanth 1,5, Aqua dest. ad 50,0 auf 
die Wandfläche zu streichen, dann eine dünne Schicht Watte 
darauf zu drücken und noch einmal die Lösung daraufzustreichen. 
Bei ausgebreiteterer Form empfiehlt derselbe Autor Bardeleben- 
sche Brandbinden. Tritt durch diese keine Heilung ein, Salben¬ 
verbände mit Ung. sulfurat. rubr. Diese Methode erscheint mir 
auch zwecks Verhütung weiterer Infektion durch Lokalisierung 
des Kontagiums sehr zweckmässig und werde ich sie gelegentlich 
anwenden. — 

Es könnten vielleicht zwei Arten von Pemphigus unter¬ 
schieden werden; bei der ersten rasche Ausbreitung über den 
ganzen Körper und Tod wie bei Verbrennung, bei der zweiten In¬ 
fektion des ganzen Körpers mit schwerer Störung des Allgemein¬ 
befindens, rheumatischen Schmerzen und Durchfällen. Diese zweite 
Art finden wir in ausgesprochener Weise bei der Erkrankung der 
Hebamme in B. Diese ist auch ein Beweis dafür, dass es zum 
Schutz der Mutter wichtig sein kann, den Infektionsstoff unschäd¬ 
lich zu machen. Die Angaben der Hebamme, dass die Blasen 
wie Feuer gebrannt hätten, dass im befallenen Arm starke 
Schmerzen aufgetreten seien, sowie der begleitende Durchfall 
machten es mir sehr wahrscheinlich, dass es sich hier um eine 
Allgemeininfektion des Körpers handelte und nicht um ein zu¬ 
fälliges Zusammentreffen zweier Krankheiten. 

Bei der Schwere der Erkrankung (21 °/o Todesfälle) halte 
ich eine jedesmalige Feststellung durch den Kreisarzt an Ort 
und Stelle für geboten. Es ist m. E. Aufgabe des Kreisarztes: 

1. Zwecks Feststellung der Aetiologie Fahndung nach Pem¬ 
phigusblasen (Durchfälle, Brandblasen) a. in der Familie des Neu¬ 
geborenen, b. in Familien, die im Hause verkehren, c. bei der 
Hebamme, d. in deren Familie und e. bei den letzten Kindern in 
der Praxis der Hebamme. 

2. Verhütung weiterer Infektion durch das Neugeborene. 
Zu diesem Zwecke sind a. dem behandelnden Arzte die Okklusiv- 
verbände vorzuschlagen, falls solche nicht bereits angelegt sind, 

b. Desinfektion der Wäsche des Neugeborenen anzuordnen und 

c. der Mutter oder Wartefrau entsprechende Vorschriften zu geben. 

8. Verhütung der Weiterschleppung durch die Hebamme: 

a. Liegt Verdacht der Infektion durch die Hebamme vor oder 
muss die Hebamme, ihre Instrumente und Kleider als infiziert 
gelten, so Suspension auf 8 Tage, Auskochei der Schürzen, Kleider 
U8W., Desinfektion der Instrumente inkl. Tasche, 2—3 Vollbäder, 
Beobachtung auf etwa auftretende Blasen am eigenen Körper. 

b. Liegt Verdacht auf Infektion durch 'die Hebamme nicht vor, 


*) Therapie der Gegenwart; Juli 1904. 



694 


Dr. Wegner. 


also wenn der erste Fall von Pemphigus in ihrer Praxis auf- 
tritt, so sind folgende Vorschriftsmassregeln zn beobachten: 
a. Bei Feststellang des Pemphigus Schürze and Waschkleid 
sofort aaskochen nnd die Instrumente reinigen, 
ß. Gebrauch je ein und derselben Schürze bei den Wochen* 
besuchen jedes Kindes, Zurücklassung dieser Schürze in der 
betr. Wohnung, 

Y‘ jedesmaliges sorgfältiges Absuchen des Kindes vor jedem 
Baden nach Pemphigusblasen. Verbot der Praxis bei Auf¬ 
findung eines Bläschens bei einem 2. Kinde; 
c. Als allgemeine Vorschriften kommen endlich in Betracht: 

<x. Die Hebammen haben ihre Aufmerksamkeit auch auf das 
Auftreten von Schälblasen bei grösseren Kindern zu richten, 
ß. die benachbarten Hebammen einer Hebamme, in deren Praxis 
Sohälblasen aufgetreten sind, sind hiervon durch den Kreis¬ 
arzt zu benachrichtigen, 

y. etwa vorhandene Gemeindeschwestern oder Pflegerinnen sind 
gegebenenfalls über Pemphigus zu unterrichten nnd mit der 
Anlegung der Okklusiwerbände vertrant zn machen. 


Zur Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit 

Von Kreisarzt Med.-Rat Dr. Wegner in Lissa i./P. 

Wenn man die in der „Gesundheit“ sehr häufig veröffentlichten 
Berichte der Gesundheitskommissionen über die im Laufe dieses 
Sommers abgehaltenen Sitzungen durchsieht, so kann man als er¬ 
freuliches Ergebnis hinstellen, dass der Kampf gegen die Säuglings¬ 
sterblichkeit mit unleugbarem Erfolg aufgenommen ist. So hat 
z. B. die Kommission in Frankfurt a. M. *) beschlossen, steri¬ 
lisierte Milch unentgeltlich an die Säuglinge abzugeben. Die 
Gesundheitskommission in Breslau*) hat über die Errichtung 
von Milchküchen beraten. Die Kreisärzte sollen die Hebammen 
in den Wiederholungskursen anweisen, den Müttern von der künst¬ 
lichen Ernährung abzuraten. Stillende Mütter sollen von der Stadt 
unterstützt werden und Hebammen prämiiert werden, die in diesem 
Sinne wirken. Hier will ich noch einfügen, dass auch der dies¬ 
seitige Landrat auf meinen Vorschlag die Prämiirung solcher 
Hebammen, die für Herabsetzung der Säuglingssterblichkeit wirken, 
beim Kreisausschuss beantragen will. 

Nach dem Bericht über die Sitzung der Gesundheitskommission 
in Halle *) soll hier eine Säuglingsfürsorgestelle in der Universitäts- 
Kinder-Poliklinik des Prof. Dr. Stöltzner errichtet werden. 
Schöneberg bringt die Errichtung einer Milchwirtschaft auf dem 
Rieselfelde in Anregung. In Elberfeld 4 ) ist beschlossen, eine 
gemeinverständliche Belehrung über den Verkehr mit Milch von 
Zeit zu Zeit in den Tagesblättern zu veröffentlichen. 

Stettin 8 ) hat die Stadt in 4 Bezirke geteilt und jeden 


*) Siehe Nr. 10 der „Gesundheit“. *) Ebenda Nr. 12. •) Ebenda Nr. 13. 

4 ) Ebenda Nr. 15. *) Ebenda Nr. 11. 



Zur Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit. 


695 


einer Pflegerin unterstellt. Die 4 Pflegerinnen haben zusammen 
1397 Säuglinge zu besuchen. Täglich machen sie 15—20 Besuche 
nnd liefern ihren Tagesbesnchsbogen nachmittags 5 Uhr auf dem 
Bflrean des Gesundheitsamts ab. Ungefähr alle 15 Tage wird der 
Säugling besucht. Jede säugende Mutter erhält täglich 1 Liter Voll¬ 
milch, jedes künstlich ernährte Kind täglich 1 j 3 Liter. Alle Familien 
mit Einkommen bis zu 900 M. werden besucht. Die Besuche 
der Pflegerinnen sowie ihre Ratschläge und Belehrungen werden 
im grossen und ganzen gern angenommen; man denkt deshalb 
daran, das Institut zu einem dauernden zu machen, damit es sich 
zu einer Vertrauensstellung auswächst. Bis zum 8. Monat werden 
die Pfleglinge (nötigenfalls auch noch länger) besucht. Sämtliche 
Vollmilch wird unentgeltlich verabreicht. Neben dieser Einrichtung 
war noch eine andere getroffen, wonach Kindermilch gegen billiges 
Entgelt (1 Liter zu 15 Pf.) verabfolgt werden konnte. Diese 
Einrichtnng hat sich nicht bewährt und ist sehr wenig in Anspruch 
genommen. 

Der Gegenstand, der in den Berichten immer wiederkehrt, 
ist auch die Milch; sie beherrscht darin die Situation. Es 
ist auch nicht zu leugnen, dass die ausreichende Zufährung 
einwandfreier Milch eine ungeheure Rolle fttr Leben und Gedeihen 
der Säuglinge spielt; deshalb können auch Kuhställe, Kühe, 
Milchwirtschaften, Milchverkäufer, Transportwagen und Gefässe 
nicht streng genug überwacht werden. Das genägt aber doch 
nicht! Es müssen auch noch über viele andere Dinge hygienische 
Vorschriften gegeben, auch die Pflege, Ernährung und Wohnung 
'der Säuglinge, die Lebensführung der Eltern usw. überwacht 
werden. Ist es doch ein weiter Weg 1 , ehe die vom Milchwagen 
geholte Milch in den Magen des Kindes gelangt. Erst dann 
fängt die eigentliche Pflege und Ernährung des Kindes an. Zu 
diesem Zweck wird in den Berichten gewünscht, dass die Kreis¬ 
ärzte die Hebammen anweisen sollen, den Müttern von der künst¬ 
lichen Ernährung abzuraten; ferner dass stillende Mütter und 
gegen die Säuglingssterblichkeit wirkende Hebammen prämiiert 
werden sollen; dass eine Säuglingsfürsorgestelle eingerichtet 
wird usw. Geradezu vorbildlich ist in dieser Hinsicht Stettin 
vorgegangen mit seiner Pflegerinnenorganisation. Die Pflegerinnen 
sind nicht neu, denn die meisten grossen Städte benutzen sie für 
ihre Haltekinder. Der Fortschritt liegt darin, dass die Pflegerinnen 
alle Säuglinge (nicht nur die Haltekinder darunter) bis zu einem 
Einkommen der Eltern von 900 M. besuchen müssen und dass das 
eine dauernde und eine Art Vertrauens- und amtliche Stellung 
werden soll. Für ungeheuer wichtig halte ich es, dass die stillen¬ 
den Mütter 1 Liter Vollmilch bekommen, wodurch sie kräftig und 
säugefähig werden. Diese von den Frauen in Muttermilch um¬ 
gewandelte Kuhmilch bekommt den Säuglingen sicher viel besser 
als die Kuhmilch in Natur. 

Dass die Hebammen bei der Bekämpfung der Säuglings¬ 
sterblichkeit nicht zu entbehren sind, dieser Ansicht ist ausser 
den Gesundheitskommissionen auch das Ministerium beigetreten, 



696 


Dr. Richter. 


indem es die Kreisärzte angewiesen hat, bei jeder Gelegenheit 
die Hebammen über Pflege und Ernährung der Säuglinge zu unter- 
weisen und von ihnen zu fordern, dass sie ihrerseits wieder diese 
Lehren in die Familien tragen. Als ich vor ungefähr 1 Jahr in 
einem Vorträge in der Medizinalbeamtenversammlung aussprach, 
ausser allen anderen zutreffenden Massnahmen sei es das beste, 
das ganze Hebammenwesen würde neu eingerichtet, die Bezirke 
müssten verkleinert und besser dotiert und die Hebammen hygienisch 
noch besser vorgebildet werden, dann könnten sie die Ueber- 
wachung der Säuglinge und auch der Haltekinder mitübernehmen; 
die Hebammen seien durch Vorbildung und ihre Vertrauenstätigkeit 
bei den jungen Frauen wie bestimmt für die Säuglingsfürsorge — 
da erhob sich grosser Widerspruch. Heute ist die Sache schon 
anders; denn es ist tatsächlich insofern damit ein Anfang gemacht 
worden, als die Hebammen behördlich zum Kampfe gegen die Säug¬ 
lingssterblichkeit aufgefordert werden und dass gegebenenfalls 
ihre Prämiierung vorgeschlagen wird. Ich dürfte deshalb wohl ohne 
grossen Widerspruch, allerdings auch mit einiger Einschränkung 
meiner damaligen Forderungen folgendes vorschlagen: Auf dem 
Lande und in kleinen Städten ist es am zweckentsprechensten, 
Hebammen mit kleineren und besser dotierten Bezirken zugleich 
die Ueberwachung der Säuglinge und Haltekinder zu übertragen. 
In grösseren Städten geht das schon deswegen nicht, weil hier fast 
lauter freipraktizierende Hebammen in Tätigkeit sind. Hier müssen 
festangestellte Pflegerinnen die Ueberwachung der Säuglinge und 
Haltekinder übernehmen. Aber auch hier halte ich es noch für 
am besten, zu dieser Stellung Hebammen zu nehmen, denn ich 
glaube, in diese zum Teil sehr zarten Aufgaben finden sich diese eher 
hinein und erringen sich eher das Vertrauen der Mütter, als die 
nur einseitig für diesen Zweck vorgebildeten Pflegerinnen; haben 
die Hebammen doch den Kindern ihren Eintritt in dieses Leben 
erleichtert, sie zuerst der Mutter an die Brust gelegt und ihnen 
bei Wundsein, Augenentzündung, Erbrechen, Durchfall, Krämpfen 
usw. die erste Hilfe gewährt. Doch müssen hier Erfahrung und 
die jedesmaligen Umstände entscheiden. Wenn auch im Laufe 
der Zeit manche getroffenen Massnahmen wieder geändert werden 
müssen, weil sie sich nicht als zweckmässig erwiesen haben, so 
schadet dies nichts; Irren ist menschlich! Die Hauptsache ist, 
dass es sich regt und dass in dieser schon seit 40 Jahren viel 
besprochenen, aber trotzdem ruhenden Angelegenheit endlich der 
Anfang zur Erledigung gemacht ist. 


Ueber die Handverkaufs-Abgabe von 10°/ 0 iger Opiumtinktur. 

Von Dr. Richter, Reg.- u. Geh. Med.-Rat in Dessau. 

Die infolge des Bundesrats-Beschlusses vom 18. Mai 1896 
in allen deutschen Bundesstaaten eingefiihrten Vorschriften über 
die Abgabe starkwirkender Arzneimittel gestatten dem Apotheker, 
ohne ärztliche Verordnung Tinct. Opii crocata und Tinct. Opii einzeln 
im Handverkauf abgeben zu dürfen, sofern dies in Lösungen ge- 



Ueber die Handverkaufs - Abgabe ron 10°/ o iger Opinmtinktor. 697 

schieht, „die in 100 Gewichtsteilen nicht mehr wie 10 Gewichtsteile 
safranhaltige oder einfache Opiumtinktnr enthalten. 8 

Es ist als Grund dieser Ausnahmebestimmung anzunehmen, 
dass dem Apotheker die bisherige, eigentlich nicht gesetzliche 
Abgabe von Opiumtinktur als Bestandteil der sogenannten Tinct. 
antidiarrhoeca, Tinct. anticholerica, Choleratropfen erleichtert, und , 
eine Grenzzahl noch oben für die abzngebende Menge von Opium¬ 
tinktur hat festgestellt werden sollen. Bis zum Erlass dieser 
Bestimmung hat meines Wissens der Gehalt an Opiumtinktur in 
den Choleratropfen nur 1—2 °/o betragen, es ist also eine wesent¬ 
liche Erhöhung gegen früher eingetreten. So wohltätig und bequem 
für das Publikum bei Cholerazeiten und Sommerdiarrhoen die Vor¬ 
schrift wirken kann, so kann durch sie doch anderseits eine 
grosse Gefahr entstehen; denn die Fassung der Vorschrift in ihrer 
Allgemeinheit fordert beinahe dazu heraus, die vielen sonst be¬ 
stehenden beschränkenden Bestimmungen über Abgabe von Opium¬ 
tinktur und Opiumderivaten zu umgehen. Sie gestattet dem Apo¬ 
theker ohne weiteres Opiumtinktur als safranhaltige und einfache 
Tinktur in unbeschränkter Menge im Handverkauf abzugeben, 
sobald nur das Gewichtsverhältnis 1 : 10 gewahrt ist. Die Vor¬ 
schrift gibt eben nur die Gewichtsverhältnisse an; sie berück¬ 
sichtigt weder das Quantum, was abgegeben werden kann, noch 
auch die Flüssigkeit, in der die Opiumtinktur gelöst werden soll. 
Man kann mithin eine solche Opiumtinktnr im Handverkauf er¬ 
halten in Wasser oder Alkohol oder in anderen Medien, wie Tink¬ 
turen, Schleim, Infusen gelöst; fordert man 100 gr davon, so 
würde man demzufolge im Handverkauf ohne weiteres 10 Gramm 
der offizinellen Opiumtinktur bekommen; bei 200 Gramm würden 
es 20 Gramm sein, und niemand könnte dem Apotheker Vor¬ 
halten, er habe bei Abgabe einer derartigen Menge verdünnter 
Opiumtinktur nicht streng gesetzlich gehandelt. 

Die meisten Apothekenbetriebsordnungen, wenigstens Nord¬ 
deutschlands, schreiben vor, dass „Arzneien, welche nicht von appro¬ 
bierten Aerzten verschrieben sind, nur dann angefertigt werden 
dürfen, wenn sie lediglich aus solchen Mitteln bestehen, die auch im 
Handverkauf abgegeben werden dürfen. 8 Nur Opiumtinktur kann 
in 10 % iger Lösung jetzt im Handverkauf in jeder Apotheke ab¬ 
gegeben werden; es wird diese auch bereits von intelligenteren 
Personen, welche die Heilkunde ohne Approbation betreiben (Kur¬ 
pfuschern) verschrieben. Da die Menge nicht beschränkt ist, wird 
der Kurpfuscher natürlich nicht* 10 Gramm von gelöster Opium¬ 
tinktur verschreiben, er wird eine Lösung von 20, 40 Gramm 
verschreiben und statt der vom Arzte üblich verschriebenen täg¬ 
lich 8 mal 5—8—10 Tropfen der reinen Tinktur viertelstündlich 
15 Tropfen verschreiben, womit er sicherlich dieselbe Wirkung 
beim Patienten erzielt — je nach Wunsch der Patienten oder 
nach der Menschenkenntnis des Kurpfuschers kann er die Opium¬ 
tinkturlösung tropfenweise oder teelöffelweise verschreiben und 
einnehmen lassen —. Wer die Kreise kennt, aus welchen sich die 
Kurpfuscher bilden und ergänzen, wird auch darüber nicht in 



698 Dr. Richter: (Jeher die Handrerk&afs - Abgabe von 10 # / 0 iger Opiumtinktur. 


Zweifel sein, dass diese die ihnen durch die Vorschrift gebotene 
Gelegenheit, Opinmtinktnr unbeschränkt verschreiben zu können, 
entsprechend ausgiebig benutzen werden. 

Dass dies noch nicht in hohem Masse geschieht, liegt wohl 
daran, dass sich das Gros der Kurpfuscher überhaupt nicht nm 
die gesetzlichen Bestimmungen des Apothekenwesens bekümmert; 
die intelligenteren nutzen jedoch die ihnen gebotenen Vorteile bereits 
genügend aus und freuen sich der schönen Vorschrift, die ihnen 
gestattet, das von ihnen so viel geschmähte „Gift“ ihren davon 
oft ahnungslosen Patienten zu verschreiben, während sie mündlich 
gegen jede starkwirkende Arznei zetern. Wenn nun aber, was 
mir unvermeidlich scheint, der Missbrauch, der gesetzlicherweise 
infolge der Fassung der Ausnahmebestimmung für die beiden 
Opiumtinkturen mit dem Verordnen und der Abgabe der Lösung 
derselben getrieben werden kann, erst bei den Kurpfuschern und 
dem Publikum bekannt geworden ist — und dazu bedarf es nnr 
einiger Personen, die hoffen können, durch das Bekanntwerden ein 
gutes Geschäft zu machen — so können wir eine Wiederholung 
der Tatsachen erleben, die ihrer Zeit dazu geführt haben, die 
Abgabe von Morphium in den Apotheken ohne nochmalige^ärztliche 
Verordnung zu verbieten. 

Wenn der Neurastheniker höheren Grades, wenn die ganze 
grosse Zahl männlicher und weiblicher Hysteriker erst wissen 
und begreifen, dass sie Opiumlösung im Handverkauf in den 
Apotheken erhalten können, so wird ein grosses Jagen nach dem 
kostbaren Stoff anheben, den man ja dann auch sich täglich mehr¬ 
mals, in Städten mit mehreren Apotheken sogar an verschiedenen 
Orten ohne weiteres holen kann. Der Geschmack der Opium¬ 
tinktur in Lösung, ebenso die bösen Folgen des längeren Gebrauches 
wird keinen Opiophagen abhalten, dieselbe zu gebrauchen, eben¬ 
sowenig wie der Stichschmerz der Nadel den Morphinisten von 
der Einspritzung je abgehalten hat. 

Der nach diesem Narkoticum Bedürftige hat es jetzt auch 
noch viel leichter, sich Opium zu verschaffen, wie der Morphinist, 
der sich entweder, wie es Vorkommen soll, eines dunklen Ehren¬ 
mannes von Arzt bedienen muss, der für 20 Mark gleich eine 
Anzahl Rezepte mit verschiedenem Datum zu Morphiumlösungen 
verschreibt, oder mindestens nur durch eine Pflichtwidrigkeit eines 
Apothekers oder Drogisten zu dem gewünschten Stoffe gelangt. 

Auch die Engelmacherinnen werden nach Kenntnis der Vor¬ 
schrift sich der Lösung von Opium'tinktur noch öfter, wie es hie 
und da jetzt schon heimlich geschehen soll, bedienen; leichtsinnige 
Mütter und Pflegerinnen können nach Einflössung einiger Tropfen 
derselben sicher sein, wenn sie ihre Kinder auf einige Stunden 
verlassen, dass diese die Zeit ihrer Abwesenheit in ruhigem 
Schlafe zubringen. Der sonstigen Möglichkeiten raffinierter Aus¬ 
nutzung der leicht erreichbaren Opiumlösung zu anderen, möglicher¬ 
weise unsittlichen und verbrecherischen Zwecken soll hier nur 
Erwähnung geschehen. 

Ich glaube, dass es nach Vorstehendem im allgemeinen öffent- 



Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften. 


699 


liehen Interesse liegt, der Ausnahmebestimmung eine solche Fassung 
zu geben, dass der Missbrauch derselben ausgeschlossen ist, oder 
in die Apothekeubetriebsordnungen einen Passus aufzunehmen, der 
die Abgabe der 10 % igen Lösung von Opiumtinktur, sobald sie 
von Kurpfuschern verschrieben ist, verbietet und Vorsorge gegen 
Abgabe an jedermann trifft. 


Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 

A. Gerichtliche Medizin and Psychiatrie. 

(Jeher Spätrezidive maligner Tumoren. Von L. Arnspeyer. (Aas 
der Heidelberger chirarg. Klinik.) VII. Sapplemcntband von Zieglers Bei¬ 
trägen zor pathol. Anatomie der allg. Pathologie (Festschrift für Geh. Bat 
Arnold- Heidelberg). 

A. betont, das sich die Spätrezidive meist in der Operationsnarbe ent¬ 
wickeln; nach welch langer Zeit dies Ereignis noch eintreten kann, zeigen 
seine sehr interessanten Mitteilangen, so bei Mammakrebs noch nach 6, 8, 11, 
12, 18 and 19 Jahren, bei Ovarialtumoren nach 11 and 14, bei Stroma maligna 
nach 6, bei Mastdarmkrebs nach 5 1 /» Jahren. Dr. Merkel-Erlangen. 

(Jeher die Strychnin - Vergiftung in gerichtlich-medizinischer Be¬ 
ziehung. Von Dr. B. Lücke-Berlin. Deutsche Medizinal-Ztg.; 1905, Nr. 79. 

Bei der Strychnin-Vergiftang kommen fast alle Umstände in Betracht, 
die sonst bei der forensischen Beurteilung einer Vergiftung eine Rolle spielen. 
Als Mittel zom Mord oder Selbstmord eignet sich Strychnin wegen seines 
bitteren und schlecht za verdeckenden Geschmackes and wegen seiner auf¬ 
fälligen Wirkung wenig. Wenn trotzdem häufiger Strychnin-Vergiftungen 
Vorkommen, so liegt das wohl an der allgemein bekannten giftigen Wirkung 
des Strychnins und daran, daß Strychnin leichter zu erlangen ist, weil es viel¬ 
fach ökonomische Verwendung findet Aus diesem letzteren Grunde sind auch 
besonders in England die Vergiftungen mit Strychnin bänfig. 

Ungemein schwankend sind beim Strychnin die letalen Dosen; man 
darf nicht übersehen, daß Strychnin eine stark kumulative Wirkung hat, wenn 
diese wohl auch hauptsächlich auf eine nach jeder Dosis zurückbleibende Er¬ 
höhung der Erregbarkeit der Medulla zurückzuführen ist. 

Wichtig sind die Krankheitserscheinungen, die Krämpfe, bei 
einer Strychnin-Vergiftung, während der Sektionsbefund nichts Charak¬ 
teristisches bietet 

Neben dem chemischen Nachweis soll man den physiologischen 
nicht übersehen und weiter daran denken, daß bei Leichen besonders die 
Transsudat-Flüssigkeiten reich an Strychnin sind. Deshalb wird auch beson¬ 
ders darauf hingewiesen, daß bei Exhumierungen von Fäulnistranssudaten durch¬ 
tränkte Gegenstände der Untersuchung zugängig gemacht werden. 

Dr. Hoffmann-Berlin. 


Schwierigkeiten hei der forensischen Begutachtung von zurück¬ 
gebliebenen Nachgeburtstellen. Von Otto Küstner-Breslau. Berliner 
klinische Wochenschrift; 1905, Nr. 27. 

1. Wenn häutige Massen aus den Genitalien einer Frau herausgespült 
werden, kommen Verwechslungen zwischen Gerinnseln und Eihautteilen vor, 
besonders wenn die dünnen Gerinnsel mit einem ganz dünnen Belage dezidnalen 
Gewebes überzogen sind. 2. Eine bei der Sektion gefundene Cotyledo nimmt 
sich auf der Innenfläche des schon nennenswert zurückgebildeten Uterus erheb¬ 
lich größer aus, als im Zusammenhang auf der Placenta. 8. Wenn infolge 
endometritischer Prozesse von den Chorionzotten der deziduale Wall durch¬ 
brochen wird nad diese zum Teil in die Muscularis hineingewuchert sind, so 
bietet bei diesen Fällen von Schwerlösigkeit der Placenta die Innenfläche des 
Uterus an den betreffenden Stellen ein irreführendes Aussehen. Nach makro¬ 
skopischer Betrachtung könnte man leicht das Zurückbleiben von viel mehr 



70# 


Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


Placentagewebe vermuten, als der Wirklichkeit entspricht. Die mikroskopische 
Untersuchung gibt Aber die anatomischen Verhältnisse Auskunft. 4. Auf dem 
Boden endometritischer Prozesse entwickelt sich auch die Placenta succentu- 
riata. Betrachtet man die gelüste Placenta von der fötalen Seite, so gewahrt 
man die zur Nebenplacenta führenden durchgerissenen Gefäße. 5. Es kommt 
auch in späteren Monaten vor, daß die Trennung der Decidua nicht in der 
Ampullärschicht, sondern im Bereiche der Compacta erfolgt (beim Abort im 
4.—5. Monat regelmäßig); dann löst sich der Teil, der normal mit dem Ei ab¬ 
zugehen hat, erst im Wochenbett, mitunter fast wie ein Ausguß des Uterus. 

Diese wenig bekannten Verhältnisse sind forensisch wichtig. Die 
Hebammenlehrbttcher weisen hier Lücken auf, und der § 220 des Hebammen¬ 
lehrbuches kann bei späterem Abgehen derartiger Teile für die Hebamme ver¬ 
hängnisvoll werden, wiewohl diese bei Betrachtung der Nachgeburt nicht 
fahrlässig handelte. Auf diesem Gebiete kann durch nicht ausreichende Sach¬ 
kenntnis Unglück angerichtet, und durch leicht auszugleichende Sachkenntnis 
Unglück vermieden werden. K. verlangt, daß in den künftigen Auflagen des 
Hebammenlehrbuches die anatomischen Verhältnisse auf dem Gebiete der 
Pathologie der Placenta und der Eihäute etwas eingehendere Darstellung 
finden. Obduzenten, welche bei einer Obduktion Nachgeburtsreste im Uterus 
finden, müssen das Organ außerordentlich genau beschreiben: die Wanddicke, Ort 
wo Adhärenzen angetroffen werden, mikroskopische Untersuchung, Ausschneiden 
von derartigen Wandstücken, Schnittpräparate nach Härtung. Bei diesen 
komplizierten Verhältnissen ist eventuell Konsultation notwendig. In geburts¬ 
hilflichen Kliniken und pathologischen Instituten kommen derartige nicht all¬ 
gemein bekannte Bilder häufig zur Beobachtung. 

Ausgeschiedene bei der Sektion gefundene häutige Massen sind ebenfalls 
mikroskopisch zu untersuchen. Dr. Räuber-Köslin. 


Ein Fall von schon im Mutterleibe vollständig ansgebildeter Leichen¬ 
starre eines totgeborenen Kindes. Von Dr. Mü 11er-Ohrdruf. Korrespondenz- 
Blätter des Allgemeinen ärztlichen Vereins von Thüringen; 1906, Nr. 8. 

Verfasser berichtet über folgenden von ihm beobachteten Fall eines in 
voll entwickelter Leichenstarre geborenen Kindes: Er wurde zu einer Zwil¬ 
lingsgeburt gerufen mit dem Bemerken: das erste Kind sei geboren, bei dem 
zweiten liege ein kleiner Teil vor. — Als er ankam, berichtete die Hebamme, 
das erste Kind sei schon vor einiger Zeit rasch und lebend geboren, vor 
kurzem sei dann das Wasser des zweiten Kindes abgegangen und dabei als¬ 
bald ein Aermchen vorgefallen. Deshalb habe sie sogleich nach ihm geschickt. 
Er fand den linken Arm ziemlich weit in die Scheide vorgefallen; darüber im 
Beckeneingang etwas seitlich, nach der rechten Beckenseite gedrängt, den 
ziemlich kleinen Kopf, flach mit der oberen Fläche aufliegend, Hinterhaupt 
vorn, Stirn nach dem Kreuzbein zugerichtet. Es gelang ohne große Mühe, 
den vorliegenden Arm über den Kopf hinauf zurückzuschieben; dabei war 
schon eine gewisse Steifheit des Aermchens zu bemerken, auch zeigte es keine 
so große Neigung wieder vorzufallen wie sonst in ähnlichen Fällen, obgleich 
der Raum dazu vorhanden gewesen wäre. Mit einer einzigen kräftigen Wehe 
wurde bald darauf Kopf und Rumpf des Kindes geboren, das ohne jedes 
Lebenszeichen war. Es fiel sogleich die eigentümliche Haltung des ganzen 
Körpers auf, in welcher dieser unbeweglich verharrte. Der linke Arm war über 
den Kopf in etwas gebeugter Haltung hinaufgestreckt, der Rumpf wie von 
links her leicht bogig eingedrückt; beide Füße waren lang gestreckt auseinander- 
liegend, im Hüftgelenk ein wenig gebeugt und wie seitlich nach rechts ver¬ 
schoben. Das Kind war klein (ca. 5 Pfund), sonst gut entwickelt, zeigte gar 
keine Zeichen von Fäulnis, auch nicht an der Nabelschnur, war äußerlich un¬ 
beschädigt, speziell am Kopfe keine Verletzung bemerkbar. Es befand sich 
im Zustande voll ausgebildeter Leichenstarre, die auch im warmen Bad unver¬ 
ändert blieb, so daß später beim Einlegen in eine etwas kurze Schachtel, 
linker Arm und Beine mit einiger Gewalt in die geeignete Haltung gebracht 
werden mußten. 

Die Mutter war 8 Tage zuvor bei einem Gange aufs Feld über einen 
am Wege liegenden Rechen gestolpert und auf den Leib gefallen. Nach ihrer 
Angabe habe darnach das links liegende Kind sich nicht mehr bewegt. Ihre 



Kleinere Mitteilungen and Referate Ans Zeitschriften. 


701 


Niederkunft habe sie erst Anfang September erwartet. Verfasser nimmt an, 
daß die Gebart infolge dieses Sturzes einige Wochen za früh erfolgt sei 
Wenn aach das za zweit geborene Kind sich seitdem nicht mehr bewegt habe, 
so könne es doch erst karz vor der Gebart wirklich abgestorben sein, da es 
keine Anzeichen beginnender Zersetzung trag and in voll aasgebildeter Leichen* 
starre geboren wurde, die sonst schon wieder geschwunden sein würde. Ander* 
seits müsse Bie aber schon einige Zeit im Matterleibe aasgebildet gewesen 
sein, weil die Haltung des Körpers deutlich erkennen lasse, daß sie eingetreten 
sei, als das erstgeborene Kind noch in die Gebärmutter mit eingeschlossen 
gewesen seL _ Rpd. 


Veber chronische Alkoholpsychosen. Von Dr. Schröder. Hoche’s 
Sammlung zwangloser Abhandlangen aas dem Gebiete der Nerven* und Geistes¬ 
krankheiten; VI. Bd., H. 2 und 3. Verlag von Carl Mar hold. Halle 1906. 
Preis: 1,80 Mark. 

Auf Grund einer kritischen Betrachtung der Literatur, sowie von zehn 
eigenen Krankheitsgeschichten bespricht Verfasser die chronischen Alkohol¬ 
psychosen mit Ausnahme der Korsakow’schen Psychosen und des isolierten 
Eifersachtswahns der Trinker. Die als alkoholisch beschriebenen chronischen 
psychischen Erkrankungen zeigen die weitgehendsten Verschiedenheiten in der 
Anffassung. Der Begriff Aetiologie ist von der Mehrzahl der Autoren nur 
sehr wenig scharf gefaßt; wahrscheinlich spielen ätiologische Zwischenglieder 
and innere Ursachen eine große Bolle, über die wir allerdings so gut wie nichts 
wissen. Die Möglichkeit, daß chronische Psychosen ausschließlich darch Alkohol¬ 
mißbrauch hervorgerafen werden können, ist nicht za bestreiten, aaf der anderen 
Seite kann diese Frage aber auch nicnt mit Sicherheit bejahend beantwortet 
werden. Im allgemeinen wird za viel aaf Rechnung des chronischen Alko¬ 
holismus gesetzt; jedenfalls müssen wir ans in dieser Hinsicht die größte 
Reserve auferlegen, solange wir über die Aetiologie der Psychosen überhaupt 
so wenig unterrichtet sind. Die Trennung der Alkoholparalyse von der echten 
Paralyse ist aach anatomisch sicher möglich. Dr. Schütte-Osnabrück. 


Der „pathologische“ Rausch. Von Dr. Paul Schenk- Berlin. Deutsche 
Medizinal-Zeitung; 1906, Nr. 69. 

Verfasser beginnt seine Arbeit mit dem Satze, daß eigentlich jeder Rausch 
etwas Krankhaftes, etwas Pathologisches sei, und bestreitet deshalb die Existenz¬ 
berechtigung des pathologischen Rausches. Das Krankheitsbild, welches man 
nnter diesem Namen zusammenfasse, enthalte keinen einzigen Zug, der nicht 
bei jeder anderen Alkoholvergiftung Vorkommen könne. So führe das Wort 
-pathologischer Rausch“ eher eine Verwirrung herbei anstatt einer Aufklärung. 
Die krankhafte Veranlagung derartiger Individuen, bei denen man einen patho¬ 
logischen Rausch diagnostiziere, sei viel wichtiger. Hier sei es nötig, diesen 
pathologischen Zustand zu präzisieren; hier käme man vielleicht auch ohne 
Alkoholvergiftung zu § 61 des St. G. B. — Auch die Erinnerungslosigkeit sei 
kein absolut sicheres Zeichen eines pathologischen Rausches. Ebenso würden 
„Versuche“ nie zu einem positiven Ziele führen, weil die begleitenden Neben¬ 
umstände, denen die Hauptrolle zufalle, niemals die gleichen sein würden. 

Verfasser meint, daß jeder bestraft werden sollte, der seine Trunkenheit 
selbst verschuldet habe. Die Hauptsache sei, daß er vor dem Zustande der 
Trunkenheit die Entschlußfähigkeit des geistig Unbescholtenen besessen habe. 

Dr. Hoffmann-Berlin. 


Gibt es ein pathologisches Plagiat? Von Dr. Otto Juliusburger. 
Neurologisches Zentralblatt; 1906, Nr. 4. 

Im Anschluß an ein jüngst vorgekommenes und viel besprochenes Er¬ 
eignis weist Juliusbarger darauf hin, daß auch das psychologisch inter¬ 
essante Buch der Helene Keller „Die Geschichte eines Lebens“ einen ähnlichen 
Vorgang schildert. Dort wird geschildert wie das blinde und taube Mädchen 
mit 12 Jahren eine Erzählung schrieb und drucken ließ, die sie früher einmal 
gehört haben mußte, und von der sie annahm, es sei völlig ihre eigene und 
ursprüngliche Erfindung. Die beiden Erzählungen stimmten in Inhalt und Form 



702 


Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


tiberein. Aber wie aus den Ueberlegungen und Erklärungen der Schriftstellerin 
selbst deutlich hervorgeht, war dieses Plagiat kein bewußtes, sondern ein un¬ 
bewußtes, ein pathologisches. Juliusburger erkennt alsdann das Vorkommen 
eines pathologischen Plagiats an und kommt zur Erklärung desselben auf eine 
Sejunktionsstörung in der Gefühlssphäre zu sprechen. Pathologischerweise 
verknüpfe sich mit der Wahrnehmung bezw. mit der Vorstellung fremden Er¬ 
zeugnisses das Gefühl eigener Schöpfung. Diese Sejunktion kann durchaus 
eng begrenzt sein und mit der Zeit eine Korrektur erfahren. Ob dies ein 
Vorkommnis bei ganz besonders gearteten Individuen ist, die über ein phäno¬ 
menales Gedächtnis verfügen, oder ob dies bei allen Menschen gelegentlich 
Vorkommen kann, bleibt dahingestellt. Dr. 8. Kalis eher -Berlin. 


Ueber Sprachverwirrtheit. Von Dr. Stransky. Hoch es Sammlung 
zwangloser Abhandlungen aus dem Gebiete der Nerven- und Geisteskrankheiten; 
VI. Bd» Heft 4 u. 6. Verlag von Carl Marhold, Halle 1905. Preis: 2,80 M. 

In dem vorliegenden Werke gibt Verfasser die Resultate seiner quali¬ 
tativen Untersuchungen über einige wichtigere Formen der Sprachverwirrtheit. 
Abgesehen davon, daß man im Zustande der Schlaftrunkenheit an sich selbst 
die klassische Sprachverwirrtheit erleben kann, gelang es auch bei normalen 
Individuen künstlich, die Oberherrschaft des Interesses und der Aufmerksamkeit 
über den Vorstellungsablauf auszuschalten. Zu diesem Zwecke mußte die Ver¬ 
suchsperson an ein Stichwort anknüpfend eine Minute lang reden, was und wie 
es ihr gerade einfiel, und ihre Aufmerksamkeit dem Gesprochenen dabei nicht 
zuwenden. Etwa 100 gut gelungene Versuchsreihen konnten phonographisch 
aufgenommen werden. Bei fast allen ergab sich ein zu ganz eigenartigen 
sprachlichen Bildungen führendes Gemisch von Ideenflucht und Perseveration 
in regellosem Durcheinander; zugleich traten Kontrastassoziationen und Ver¬ 
schmelzungen auf. Aehnliche Versuche wurden bei Hebephrenen und Kata- 
tonikern angestellt. Die hier erhaltenen Sprachproben boten fast genau die¬ 
selben Elementareigenschaften bei der Analyse dar, wie die von normalen 
Personen. Es liegt also die Annahme nahe, daß auch die enteren durch den 
Mangel an Aufmerksamkeit bedingt sind. 

Verfasser erwähnt dann kurz die Sprachverwirrtheit bei den übrigen 
Formen psychischer Störung. Im terminalen Stadium der chronischen Paranoia 
findet sich nicht selten eine eigenartige Sprachverwirrtheit, die auf den ersten 
Blick den Eindruck der Ideenflucht und Inkohärenz macht. Bei näherer 
Untersuchung ergibt sich aber, daß stets eine oberste Leitvorstellung vor¬ 
handen ist. 

Die sehr lesenswerte Arbeit enthält eine Menge interessanter Einzelheiten, 
anf welche hier nicht näher eingegangen werden kann. 

Dr. Schütte-Osnabrück. 

Neurologische Untersuchungen von Radrennfahrern. Von Dr. S. Auer¬ 
bach. Neurologisches Zentralblatt; 1905, Nr. 6. 

Auerbach konnte durch eingehende Untersuchungen an Radrennfahrern 
vor und nach dem Fahren einige beachtenswerte Tatsachen feststellen. Bei 
10 Fahrern konnte eine deutliche erhebliche Verminderung oder ein Erloschen¬ 
sein der Patellarreflexe konstatiert werden, in 4 Fällen fand sich eine ungewöhn¬ 
liche Steigerung der Kniescheibenreflexe. Vier andere klagten über stärkere 
Paraesthesien an den Händen, besonders an der Volarseite. 75 Prozent zeigte 
stärkeren Fingertremor; andere klagten über schmerzhafte Krampfgefühle in 
den Oberschenkelmuskeln. Ein Teil dieser Erscheinungen wird durch übergroße 
Ermüdung und Erschöpfung zurückgeführt und durch die bekannte Edinger- 
sehe Auf brauch- oder Ersatztheorie zu erklären gesucht. 

Dr. S. Kalischer-Berlin. 


Wie beginnen Geisteskrankheiten? Von Dr. Br es ler. Verlag von 
Carl Marhold, Halle 1905. Preis: 1 Mark. 

Um festzustellen, inwieweit Nervenkranke vor dem Verfall in Geistes¬ 
krankheit und geistiges Siechtum durch rechtzeitige Behandlung bewahrt 
werden können, bespricht Verfasser nach einem Ueberblick über die Literatur 
die Frühsymptome der wichtigeren psychischen Krankheitsformen. Er kommt 



kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


703 


zu dem Resultat, daß jeder Geisteskrankheit nervöse Symptome vorangehen; 
niemals beginnt eine Psychose mit heiterer Verstimmung. Trotz der großen 
Verschiedenheit der einzelnen Geisteskrankheiten sind die Vorboten derselben 
doch in hohem Grade übereinstimmend. Die rechtzeitige Behandlung in Nerven¬ 
heilanstalten wird fraglos in einer ganzen Reihe von Fällen den Ausbruch 
einer Psyche verhindern können, besonders bei den Erschöpfungszuständen 
werden die günstigsten Erfolge erzielt werden. Die Volksnervenheilstätten 
müßten auch die Aufgabe der Trinkerbehandlung übernehmen, damit in ihnen 
auch das Grundübel der Trunksucht, die Nervenschwäche, behandelt werden kann. 

Bei den fortschreitenden Bestrebungen nach Errichtung von Volks- 
Nervenheilstätten verdient die klar und interessant geschriebene, auch dem 
Laien verständliche Arbeit die größte Verbreitung, zumal da eine zusammen¬ 
hängende Darstellung dieses Themas bis jetzt nicht existierte. 

_ Dr. Schütte-Osnabrück. 

Die Königliche psychiatrische Klinik in München. Von Dr. Krae- 
pelin. Festschrift zur Eröffnung der Klinik am 7. November 1904. Verlag 
von J. A. Barth. Preis: 2 Mark. 

Nach einem Ueberblick über die geschichtliche Entwickelung der Klinik 
spricht K. über die Organisation und Einrichtung der neuen Anstalt. Sie ist 
zunächst für 100 Betten berechnet, von der Bettbehandlung soll ausgedehnter 
Gebrauch gemacht werden, ebenso sind alle Einrichtungen zur Anwendung von 
Dauerbädern getroffen. Einige Isolierzimmer sollen nur im äußersten Notfall 
gebraucht werden. Der Alkohol als Genußmittel ist gänzlich zu verwerfen. 
Das Verhältnis von Pilegepersonal zur Zahl der Kranken muß mindestens 1 : 6 
betragen, soweit möglich soll die Schwesternpflege auch auf die männlichen 
Kranken ausgedehnt werden. K. spricht sich mit Entschiedenheit gegen eine 
Verbindung der Lehraufträge für Psychiatrie und Neurologie aus, besonders 
weil die klinische Psychiatrie bisher vernachlässigt sei und noch weite Grenz¬ 
gebiete der Bearbeitung durch den Irrenarzt harren. 

Eine Baubeschreibung der Klinik, von den leitenden Architekten verfaßt, 
ist angefügt. Dr. Schütte-Osnabrück. 


B. Sahverständigentätigkeit in Unfall- und Invaliditäts¬ 
sachen. 

Ueber Dementia paralytiea nach Unfall. Von Dr. G. Reinhold 
Neurologisches Zentralblatt; 1905, Nr. 14. 

Reinhold berichtet hier ausführlich über einen von ihm selbst beob¬ 
achteten Fall von Dementia paralytiea nach Unfall, bei welchem alle anderen 
ätiologischen Faktoren auszuschließen waren, und die Diagnose durch die 
Autopsie bestätigt werden konnte. Der Unfall bestand in einer Erschütterung 
des Rückens und der Kreuzbeingegend durch einen Fall. Die somatischen 
Krankheitserscheinungen waren ausgeprägter und mehr vorwiegend als die 
psychischen. Ein Vierteljahr nach dem Unfall wurde bereits träge Pupillen¬ 
reaktion, schwerfälliger Gang, reißende Schmerzen in beiden Armen und leichte 
Ermüdbarkeit festgestellt. 4*/* Monate danach war die Diagnose noch unsicher, 
und erst nach 10 Monaten stellten sich zerebrale Störungen ein, die auf eine 
organische Läsion hinwiesen. Der Tod erfolgte im apoplektiformen Anfall, der 
etwa 1 Jahr und 10 Monate nach dem Unfallstage eintrat. Lues war anam¬ 
nestisch nicht festzustellen, und auch der Sektionsbefund sprach in keiner 
Weise dafür, nur wies die mikroskopische Untersuchung Gefäßveränderungen 
auf, die an Endarteritis syphilitica erinnerten und auch bei konstitutioneller 
Syphilis Vorkommen können. — Reinhold möchte den vorliegenden Fall zu 
den Fällen traumatischer Dementia paralytiea rechnen, in denen Lues nicht 
voraus gegangen ist, da eine ähnliche Gefäßerkrankung ohne Lues vorkommt 
und der Gefäßatheromatose nahe steht. Gerade diese aber hat gewisse Be¬ 
ziehungen zu traumatischen Läsionen und Einflüssen; sie wurde auch bei Un¬ 
fallsneurosen funktioneller Natur durch die Obduktion festgestellt. Hier ging 
das Bild der ;Unfallsneurose allmählich in eine Dementia paralytiea über; 
letztere wird von Grashey und anderen als Unfallnervenkrankheit mit allen 
Konsequenzen angesehen. Andere Autoren, wie Mendel, Ziehen, sehen 



704 


Kleinere Mitteilungen Und Referate aus Zeitschriften. 


das Trauma als einzige Aetiologie der Paralyse für sehr skeptisch und un¬ 
gemein selten an; häufiger hat das Trauma nur eine auxiiare Bedeutung neben 
anderen und vor allem neben Lues. Das Trauma kann dabei jede Körperstelle, 
nicht nur den Schädel selbst treffen. Dr. S. Kalischer-Berlin. 


Nervendruekpunkte und Nervenmassage. Von Dr. E. Wullenweber 
Schleswig. AerztL. Sachverständigen - Zeitung; 1905, Nr. 18. 

Cornelius hat folgende Lehre aufgestellt: „Das Nervensystem wird 
fortwährend durchflutet von den Wellen eines Nervenstromes; das An- und 
Abschwellen findet in dem eigentümlichen Auf und Ab vieler nervöser Be¬ 
schwerden und ihrer Begleiterscheinungen, wie der Arzt sie täglich zu beob¬ 
achten Gelegenheit hat, seinen Ausdruck. Beim gesunden Menschen geht das 
Strömen ungehindert vor sich; beim kranken aber finden sich Hindernisse in 
kleiner oder großer Zahl, von den grobsinnlichsten angefangen bis zu den mit 
unserer heutigen Technik nicht mehr nachweisbaren Narben und Schwielen, 
herrührend von Verletzungen der Körperdecken, von Entzündungsvorgängen 
rheumatischen, arthritischen, anämischen usw. Ursprungs in den die größten 
und kleinsten Nerven umgebenden Geweben. An diesen Hindernissen staut sich 
der Nervenstrom; der schmerzhafte Druckpunkt ist da.“ Für die Behandlung 
soll nun alles darauf ankommen, die Hindernisse für den Nervenstrom hinweg¬ 
zuräumen und zwar durch ärztliche Massage. 

Wenn Autor schreibt: Merkwürdigerweise aber scheint die Druckpunkt¬ 
massage nur noch wenig Eingang bei den Aerzten gefunden zu haben, so 
findet Referent diese Tatsache nicht merkwürdig. Dr. Troeger-Adelnau. 


Ueber ulcus ventriculi traumaticum. Von Dr. Fertig in KasseL 
Münchener med. Wochenschrift; 1905, Nr. 37. 

Der vollkommen gesunde 28 jährige Knecht Sch. aus K. erhielt vor¬ 
mittags 11 Uhr, */* Stunde nach reichlich genossenem Frühstück einen Huf¬ 
schlag ungefähr gegen die Mitte des Bauches. Nach der Art des Traumas 
und den vorliegenden Krankheitserscheinungen mußte man eine innere Blutung 
oder Perforation des Darmtraktus annehmen. Bei der 2>/t Stunden nach der 
Verletzung vorgenommenen Laparotomie konnte nirgends eine Verletzung 
wahrgenommen werden, weshalb die Bauchhöhle wieder geschlossen wurde. 
Am 2. Tage nach der Operation ziemlich starker Meteorismus, etwas Erbrechen, 
Temperatur 39,6°, unblutiger Stuhl. Am 3. Tage unblutiger Stuhl, Leib 
weniger aufgetrieben, Abfall der Temperatur. Am Abend des 4. Tages auf¬ 
fallender Kollaps, etwas Bluterbrechen, anämisches Aussehen ohne Zeichen von 
Peritonitis; Puls klein, frequent. Am 5. Tage Anämie noch auffallender, 
heftiges Erbrechen mit mehr Blut. Durch Magenspülung entleerte sich eine 
große Menge Blut und Blutgerinnsel. Nun mußte die Diagnose auf trauma¬ 
tisches Magenulcus gestellt werden. Weiterer operativer Eingriff wegen des 
schlechten Zustandes des Patienten unterlassen. In der Nacht nochmals blutiges 
Erbrechen, reichlicher blutiger Stuhl, darauf bald Exitus letalis. 

Bei der Sektion fand sich keine Peritonitis und äußerlich an dem sehr 
stark gefüllten Magen keine Verletzung. Der Darm schimmerte schwärzlich 
durch und enthielt viel Blut; die übrigen Bauch- und Brustorgane intakt 
und gesund. ImjMagen selbst lag ein großer Blutkuchen, die Schleimhaut war 
ohne katarrhalische Veränderungen. An der kleinen Kurvatur saßen in einer 
Linie nebeneinander 4 ulcera; 8 kleinere von */* bis 1 cm Durchmesser hatten 
eine ziemlich runde Form, das 4., dem Pylorus zunächst gelegenen, noch 6 cm 
davon entfernt, war oval, quergestellt zur kleinen Kurvatur, 8 cm lang und 
1,5 cm breit. Die Geschwüre hatten scharfe, überhängende Ränder und durch¬ 
setzten die Magenwand vollkommen, der Abschluß nach der Peritonealhöhle 
war durch das an der kleinen Kurvatur ansitzende Ligam. hepatogastricum 

? gebildet. In der Tiefe des größeren ulcus fand sich ein kleiner, fest sich an- 
ühlender Vorsprung, der ein lumen aufwies, eine arrodierte Arterie (coronaria 
ventriculi dextra). 

Wie kamen die Geschwüre zustande? 

Der vollkommen gesunde, niemals magenleidende Mann erhielt bei ge¬ 
fülltem Magen eine schwere Kontusion des Bauches. Die kleine Kurvatur 
wurde gegen die hier nicht fern liegende Wirbelsäule gedrückt, wodurch, mehr 



Kleinere Mitteilungen nnd Referate aus Zeitschriften. 70h 

/ 

oder weniger tiefe Bisse in der Magenwand entstanden. Der Magen war 
gerade anf dem Höhepunkt seiner Tätigkeit begriffen, vielleicht kam auch 
eine Hyperazität hinzu, welche besonders noch die Heilung derartiger Schleim¬ 
hautwunden verhindern soll. Durch diese Umstände veranlaßt, haben sich 
nach eingetretener Infektion ulcera ausgebildet, deren eines nach Arrosion der 
Arterien zur tätlichen Blutung Veranlassung gab. 

_ Br. Waibei-Kempten. 


Die „rückständige“ Yersieherungsmedistn. Von Dr. Gollmer- 
Gotha. AerztL Sachverständigen - Ztg.; 1905, Nr. 17. 

Der Aufsatz ist eine Erwiderung auf den Artikel des Herrn Dr. Feli¬ 
ehe nfeld in Nr. 18 der AerztL Sachverst.-Zeitung, in welchem ein ausführ¬ 
liches Herz-Schema zur Lebensversicherungsuntersuchung auf gestellt worden 
war. 1 ). Im Gegensatz zu Feilchenfeld ist Gollmer der Ansicht, daß 
eine so detaillierte Fragestellung zwecklos ist, desgleichen das Vorschreiben 
einer bestimmten Untersuchungsmethode (leise Perkussion). Nach Gollmer 
soll man dem einzelnen Vertrauensärzte die Wahl der Untersuchungsmethoden 
überlassen, die er als Student gelernt oder in denen er in der Praxis je länger 
je mehr firm geworden ist. Auf diese Weise haben die Lebensversicherungs¬ 
anstalten nach G. zweifellos die Aussicht, die besten Diagnosen zu bekommen. 
Dieser Auffassung schließt sich Referent an. Die Formulare sind heute schon 
so umfangreich, daß eine Erweiterung wohl fraglos auf großen Widerstand 
bei den Aerzten stoßen würde, wenn nicht eine entsprechende Erhöhung des 
Honorars zugleich eintreten würde._ Dr. Troeger-Adelnau. 


Infektion als landwirtschaftlicher BetrlebsunfalL Begriff „Unfall 4 *. 
Entscheidung des KgL Württembergischen Landesversiche¬ 
rungsamts vom 4. Februar 1905. 

Bezüglich der an der Hand des Verstorbenen nachgewiesenen leichten 
Hautverletzung, welche zweifellos das Eindringen des Gifts (der „Lebewesen") 
in das Blut ermöglicht hat, kann nicht nachgewiesen werden, daß sie durch 
eine landwirtschaftliche Betriebstätigkeit verursacht worden ist. Dagegen kann 
mit Grund als bewiesen angenommen werden, daß das Eindringen des Gifts 
seine Ursache in einer der gesetzlichen Versicherung unterstehenden Tätigkeit 
des H. gehabt hat. Die ärztlichen Gutachten führen aus, daß gerade die 
luidwirtschaftliche Tätigkeit des Bauern reichliche Gelegenheit zu einer In¬ 
fektion der in Frage stehenden Art gibt, und sie nehmen übereinstimmend an, 
es sei wahrscheinlich, daß diese Gelegenheit auch hier in Wirkung getreten 
sei Erwägt man nun, daß die gefahrbringende Betriebstätigkeit den weitaus 
größten Teil der Tätigkeit eines Bauern unter den hier gegebenen Verhält¬ 
nissen ausmacht, zumal wenn die der Versicherung gleichfalb unterliegenden 
hauswirtschaftlichen Verrichtungen hinzugerechnet werden; daß der verstorbene 
H. zu der Zeit, als die Infektion erfolgt sein muß, ganz besonders mit land¬ 
wirtschaftlichen Arbeiten befaßt war, und zwar gerade mit solchen, die, wie 
die Dungarbeiten, in besonderem Maß zur Infektion geeignet sind; daß er 
ferner selbst beobachtet hat, daß die ersten Zeichen der Infektion zeitlich nach 
einer solchen Arbeit aufgetreten sind, so läßt sich nach dem regelmäßigen 
Verlauf der Dinge wohl annehmen, daß die Ausübung einer landwirtschaftlichen 
Betriebsarbeit es war, die den Giftstoff mit der vorhandenen Hautverletzung 
in Berührung gebracht und demgemäß nicht bloß die Gelegenheit, sondern die 
Ursache des (ohne die Berührung nicht ermöglichten) Eindringens in den KOrper 
gebildet hat. Gerechtfertigt ist es aber (insbesondere in Fällen, in denen 
sich naturgemäß der nähere Hergang der menschlichen Beobachtung entzieht), 
bei der Beweiswürdigung von dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge auszu¬ 
gehen, solange nicht im einzelnen Fall besondere Umstände eine andere An¬ 
nahme begründen. 

Steht aber hiernach fest, daß eine landwirtschaftliche Tätigkeit, welche 
nicht notwendig nach ihrer besonderen Gestaltung dargetan zu werden braucht, 
die Ursache des Eindringens des Giftstoffes gebildet hat, und zwar in der 
Weise, daß das einmalige, innerhalb eines kurzen Zeitraums sich vollziehende 


') Siehe Nr. 16 der Zeitschrift; 1905, S. 626. 



7Öd Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften* 

Eindringen schon die Schädigung des Körpers herbeigeführt hat, so ist damit 
der Tatbestand des Betriebsunfalls gegeben. Der Unfall im vcrsicherungs- 
tecbnischen Sinn ist die körperschädigendo, plötzliche und Tom dem Betroffenen 
unbeabsichtete Einwirkung eines äußeren Tatbestands auf den Menschen, nicht 
das äußere Ereignis oder der infolge des Ereignisses eingetretene Körper¬ 
schaden für sich allein. Unter diesem Gesichtspunkt sind stets Vergiftungen, 
welche — wie hier — eine Folge plötzlich wirkenden Eindringens von Krank¬ 
heitsstoffen in den Körper darstellen, als „Unfälle“ angesehen worden, im 
Gegensatz zu den Berufskrankheiten, bei denen erst die Uber einen längeren 
Zeitraum sich erstreckende Wiederholung der Aufnahme in ihrer Gesamtwirkung 
die Vergiftung herbeiführt. 

Mit der Aufnahme des Gifts in das Blut war bei H. die körperliche 
Schädigung vollzogen, und deren Folge war, wie die ärztlichen Gutachten un¬ 
zweifelhaft feststellen, dm Tod des Verletzten. 


B. Bakteriologie, Infektionskrankheiten und öffentliches 

Sanitätswesen. 

Ueber spontane Wachstuinshemmung der Bakterien Infolge Selbst¬ 
vergiftung. Von Dr. Conradi und Dr. Kurpjuweit in Neunkirchen. 
Münchener med. Wochenschrift; 1905, Nr. 37. 

In den Vordergrund der Forschung ist gegenwärtig das Problem gerückt, 
die vielfältigen Schutzkräfte kennen zu lernen, die zur Abwehr der Infektion 
dem Organismus zu Gebote stehen. Abseits von diesem breiten Wege führen 
die Versuche zur Beantwortung der Frage, aus welchem Grunde eine auf der 
Höhe des Wachstums befindliche Bakterienkultur spontan abstirbt. 

Aus den Versuchen der Verf. läßt sich die Tatsache entnehmen, daß die 
Bakterien von der ersten Stunde ihres Wachstums an entwicklungshemmende 
Stoffe bilden. Ihre Wirksamkeit übertrifft den antiseptischen Wert der Karbol¬ 
säure. Die Bildung der Hemmungsstoffe und die Intensität der Bakterieo¬ 
vermehrung halten gleichen Schritt. Die antiseptiBchen Bakterienprodukte 
sind weder hitzebeständig, noch alkohollöslich, sie sind diffusibel, aber nicht 
filtrierbar durch Tonkerzen. Die Verf. schlagen für die hier in Frage kommen¬ 
den Hemmungsstoffe der Bakterien die Bezeichnung „Autotoxin“ vor. 

Dr. Waibei-Kempten. 


Augenerknmkungen und gastro-intestinale Autointoxikation. Von 
Friedrich Groyer, Demonstrator der ersten Augenklinik in Wien. Münchener 
med. Wochenschrift; 1905, Nr. 39. 

Es gibt Formen der Scleritis, Ceratitis, Iritis, Iridocyditis, Retinitis, 
Chorioiditis, Chorioretinitis, Neuritis, Neuroretinitis, retrobulbären Neuritis, Ka¬ 
tarakte, der Trübungen des Glaskörpers, der Glaskörperhämorrhagien, des 
Glaukoms, der Atrophie n. optici, der Hemianopsie, der Flimmer- und zentralen 
Skotome, von Augenmuskcllähmungen und anderer funktioneller Störungen, bei 
denen anamnestisch nichts zu erheben ist, was als Ursache der späteren Angen¬ 
erkrankung angesprochen werden kann. Dagegen fand Verfasser in sämtlichen 
erwähnten Erkrankungen des Auges im Harne, in denen die Zucker- und Bi- 
weißprobe negativ ausfiel, I n d i k a n vor in verschiedenen Schattierungen, vom 
Himmelblau bis zum tiefen Dunkelviolett. Da aber Indikan nur bei Fäulnis¬ 
vorgängen im Digestionstrakte entsteht, hält sich Verfasser zu der Annahme 
berechtigt, daß im Körper solcher Menschen Darmgifte kreisen, welche bald 
dieses, bald jenes Organ des Körpers bezw. sehr häufig das Auge primär 
schädigen können. _ Dr. Wai bei-Kempten. 


Coryuebacterium psendodiphthericum commune als Erreger eines 
Hirnabszesses. Von Dr. Steinhaus in Dortmund. Münchener med. Wochen¬ 
schrift; 1905, Nr. 37. 

Angesichts der Unklarheit, die in der Frage der Pathogenität des Pseudo- 
diphtheriebacillos (Corynebacterium pseudodiphthericum commune) für den 
Menschen noch herrscht und in Anbetracht des Interesses, das einwandfreie 
Beobachtungen von Pseudodiptheriebazillen als Krankheitserreger verdienen, 



Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


707 


veröffentlicht Verf. einen derartigen Krankheitsfall, welcher einen zwölfjährigen, 
schon seit frühester Jagend an Otitis media purulenta dextra leidenden Knaben 
betraf, der wegen zerebraler Herderscheinungen an einem Hirnabszeß operiert 
wurde. In dem entleerten Eitor ließ sich ein Bacillus in Reinkultur ohne 
Begleiterscheinungen nachweisen, der nach eingehenden Untersuchungen in 
bezug auf seine morphologischen und biologischen Eigenschaften ohne Zweifel 
in die Groppe des Diphtheriebacillus eingereiht und als Erreger des Krankheits- 
Prozesses bezw. des Hirnabszesses angesehen werden mußte. Der isolierte 
Bacillus zeigte alle Eigenschaften des Pseudodiphthcriebacillus und möchte 
Verf. ihn als Corynebacterium pseudodiphthericum commune betrachten. 


Ueber Spirochaete pallida. Von G. Sobernheim und E. Tornas« 
czewski. Münchener med. Wochenschrift; 1905, Nr. 39. 

Durch die von den Verf. angestellten und eingehend berichteten Unter¬ 
suchungen ist an einem überaus reichlichen Material von neuem der Beweis 
erbracht, daß die Spirochaete pallida als regelmäßige Begleiterin der infektiösen 
Produkte der Lues angesehen werden muß, während sie anderseits in nicht¬ 
syphilitischen Prozessen ebenso regelmäßig vermißt wird. Zwar besitzen wir 
zur Zeit noch keine Reinkulturen dieses eigenartigen Mikroorganismus und 
sind somit auch noch nicht in der Lage, auf diesem Wego seine ätiologische 
Bedeutung für die Syphilis sicherzustellcn; trotzdem glauben die Verf., schon 
jetzt auf Grund ihrer eigenen Untersuchungen und aller bisher bekannt 

f ewordenen Forschungsergebnisse die Spirochaete pallida als die Ursache der 
ypbilis ansohen zu dürfen und ihrem Nachweis eine ausschlaggebende dia¬ 
gnostische Bedeutung zuerkennen zu müssen. Dr. Waibei-Kempten. 


Der Stroptokokkenbefund bol Variola und Varizellen in bezug auf 
ein difTerentlaldiagnostlschcs Verfahren. Aus dem Laboratorium der medi¬ 
zinischen Klinik der Universität und dem Laboratorium des Hospital Civil in 
Gent. Von Dr. H. De Wo eie und Dr. E. Sugg. Münchener med. Wochen¬ 
schrift; 1905, Nr. 25. 

Von den Verfassern konnte gelegentlich der Beobachtung verschiedener 
Pockenepidemien als konstanter Befund die Anwesenheit eines Streptococcus 
im Blute festgestellt werden. Dieser Streptococcus wird durch das Serum 
neugeborener Kinder oder nicht vakzinierter Individuen oder Kälber nicht 
agglutiniert, dagegen erleidet er durch das Serum vakzinierter Individuen oder 
Kälber, sowie durch das Serum Pockenkranker eine Agglutination und zwar 
in zunehmendem Maße während des Krankheits Verlaufes. 

Diese Eigenschaft deB Serums ist für den aus dem Blute Variolakranker 
gezüchteten Streptococcus eine spezifische und läßt sich bei Streptococcus¬ 
stämmen anderen Ursprungs nicht beobachten. 

Auch aus dem Impfstoff läßt sich ein noch verwandter Streptococcus 
züchten, welcher dieselben Eigenschaften aufweist. In gleichzeitig vorge¬ 
nommenen Untersuchungen wurde von den Verfassern aus durch ihre Größe 
besonders geeigneten Varizellenbläschen ein Streptococcus gewonnen, welchor 
durch Agglutination von dem Variola-Streptococcus deutlich unterschieden ist, 
aber auch wie dieser in aufsteigendem Maße im Verlauf der Erkrankung von 
dem Seram des Patienten agglutiniert wird. 

Die Verfasser berichten dann über ihre Versuchsergebnisse in einzelnen 
Fällen, darunter in zwei Fällen, welche teilweise auch das Gebiet der forensi¬ 
schen Medizin berühren. 

Im Verlaufe einer Epidemie zeigte ein 30 jähriger, seit der Jugend nicht 
mehr geimpfter Mann ein schwer gestörtes Allgemeinbefinden. Eine genaue 
Diagnose ließ sich nicht stellen und es wurde an die Möglichkeit einer Nahrungs¬ 
mittelvergiftung gedacht. 

Unter diesen Umständen trat nach 48 Stunden der Tod ein. In den 
letzten Standen waren aber die ersten Flecken eines Ausschlags aufgetreten. 
Die Sektion ergab keine Läsionen der Magen- und Darmwände, nur solche 
einer schweren Sepsis. Dieser Befand und das Bestehen der Flecken ließ die 
Diagnose Variola gravis als wahrscheinlich annehmen. Aus dem Blute ließ 
Bich nun ein Streptococcus züchten, der die Eigenschaften des Variola-Strepto- 



708 Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften. 

coccas aufwies, und das Serum des Individuums agglutinierte sämtliche Variola- 
Streptokokken. 

Auch in einem anderen Falle hatten die schweren Allgemeinsymptome 
den Verdacht einer Intoxikation erweckt, um so mehr, als bei diesen heftigen 
Erkrankungen der Tod gewöhnlich vor dem Auftreten der Eruption eintritt. 
Bei der betreffenden SO jährigen, im zweiten Monate schwangeren Frau wurde 
die gerichtliche Sektion wegen Verdachts eines künstlich eingeleiteten Aborts 
angeordnet. Da sich auch hier vor dem Tode die bekannten Symptome einer 
fleckigen Rötung in der Unterbauchgegend einstellten, so mußte an 
Variolaerkrankung gedacht werden. Die Serumdiagnose bestätigte vollauf die 
Annahme einer Variola. 

Diese Agglutinationsversuche wurden nicht nur mit den Variola-Strepto¬ 
kokken angestellt, sondern auch mit zahlreichen Streptococcusstämmen anderer 
Herkunft. Das Ausbleiben einer Agglutination dieser Streptokokken beweist 
gerade dadurch unzweifelhaft die Spezifität der Serumdiagnose, so daß man 
mit Hilfe der Agglutinationsmethode (Serumdiagnostik) eine exakte Diagnose 
stellen kann, und zwar nicht nur, um Variola und Varizellen auszuschließen, 
sondern auch, um diese beiden Erkrankungen voneinander zu unterscheiden. 

_ Dr. Waibel-Kempten. 

Ueber zwei Malariaimpfungen. Von Dr. Max Glogner-Breslau 
Archiv fttr Schiffs- und Tropenhygiene; Bd. 9, H. 10. 

Die Impfung von Kind auf Kind ist in den Tropen noch vielfach üblich. 
Verfasser konnte während seiner langjährigen Tätigkeit in den Tropen zahlreiche 
Fälle beobachten, in denen kurz nach der Impfang Malaria auftrat. 

Zwei Fälle, auf die genauer eingegangen wird, scheinen ihm für die 
Uebertragung der Malaria durch die Impfung besonders beweisend. Es war 
hier bei vorher gesunden Kindern im Anschluß an eine Impfung mit humaner 
Lymphe von malariakranken Kindern Malaria aufgetreten. Eine Uebertragung 
durch Mücken war in Anbetracht der Jahreszeit nicht anzunehmen. 

Die Impfung mit humaner Lymphe ist deshalb gerade in den Tropen 
nach Möglichkeit einzuschränken; statt dessen sollte mit Rücksicht auf die 
Gefahr der Malariaübertragung nur Tierlymphe benutzt werden. 

Dr. Dohrn-CasseL 


Die Ursachen der Zunahme des landwirtschaftlichen Milzbrandes ln 
Grossbritannien. Von Prof. Dr. Sheridan D e 16 p i n e - Manchester, Direktor 
des hygienischen Universitätslaboratoriums. Vortrag, gehalten in der engL 
Medizinalbeamtenversammlung vom 10. März 1904. PabUc he&lth XVII; 1905, 
8. 491—517. Mit 6 Tabellen und 2 Karten. 

An Milzbrand starben in England 1899: 21, 1900: 10, 1901: 12, 1902: 
18, 1903: 18 Menschen. Es erkrankten an industriellem Milzbrand in denselben 
Jahren 55, 37, 39, 38, 47 Personen; von diesen starben 14, 7, 10, 9 12. Die 
Differenz der Todesfälle gibt die Zahl der an „landwirtschaftlichem 11 Milz¬ 
brand gestorbenen Menschen an. 

Delöpine hat von 1892 an in jedem Jahre einige Fälle von Anthrax 
beim Menschen oder beim Tier gesehen. 

Im Gegensatz zu der herrschenden Ansicht, daß die Mehrzahl der Fälle 
beim Tier auf Einführung infizierter Nahrungsmittel zurückzuführen sei, ist 
der Autor der Ueberzeugung, daß es sich um persis tente Inf ektions- 
quellen handelt, die an Ort und Stelle haften. 1 ) In derselben 
Farm kann in aufeinanderfolgenden Jahren eine Epidemie nach der anderen 
auftreten — es haben eben vorausgegangene, nicht angezeigte, verheimlichte 
Fälle den Boden infiziert. Nicht die Bezirke, in denen Häute, Haare, Wolle 
Knochen, Blut am meisten fabrikmäßig verarbeitet werden, haben die meisten 
Milzbrandfälle, sondern im Gegenteil jene, wo solche Produkte nicht häufig 
eingeführt werden. 

Wie groß heute noch die Zahlen der Milzbranderkrankungen beim Vieh 
in Großbritannien sind, ergeben folgende Zahlen. Es erkrankten allein beim 

*) Vergl. auch den Aufsatz von Dr. Pilf; diese Zeitschrift, Jhrg. 1904, 
Seite 805. 



Kleinere Mitteilungen nnd Referate ans Zeitschriften. 


709 


Rindvieh 1899 : 684, 1900 : 668, 1601: 708, 1902: 746, 1908 : 809 8tttck. Der 
Autor stellt für die Zukunft noch eine weitere Zunahme in Anssicht 

Außer der Verheimlichung der Fälle, der falschen Diagnose, der un¬ 
genügenden Desinfektion ist die unzureichende Art der. Beseitigung der Ka¬ 
daver und der Abgänge, die mangelnde Kontrolle durch Sachverständige anzu¬ 
schuldigen. Delöpine empfiehlt, wie in Deutschland, dem Besitzer eine Ent¬ 
schädigung für das gefallene Vieh zu bezahlen, ferner aber auch für jede An¬ 
zeige eine Prämie („fee 11 ) auszusetzen, die ja auch bei der Anzeige der 
menschlichen Krankheiten bezahlt wird. 

Er rät außerdem, bei jedem Falle von tierischem Milzbrand den 
Bericht des Veterinärinspektors dem Distrikts- und Qrafschaftsmedizlnalbeamton 
zur Kenntnisnahme vorzulegen. Bei Milzbrand des Menschen empfiehlt er 
Anzeige an die Grafschaftsbehörde und Benachrichtigung aller jener Ver¬ 
waltungsbehörden, in deren Gebiet landwirtschaftliche Produkte, lebende Tiere 
von der Farm eingeführt wurden, auf welcher der Fall von Milzbrand vorkam. 

Aus der Diskussion sind hervorzuheben die Bemerkungen des chief in- 
spector of factories, T. N. Legge, der insbesondere über industriellen Milz¬ 
brand Erfahrungen gesammelt hatte. (Ein Referat über seine jüngste Arbeit 
bringt die Münchener med. Wochenschrift; 1905, Nr. 23.) Er führt die Er¬ 
krankungen zurück u. a. auf Wolle aus Elleinasien und Persien, auf Roßhaar 
aus China und Ostindien, erinnert an die großen, amtlich zugegebenen Zahlen 
aus Rußland und Sibirien. Dem Zentralgewerbeinspektor sind von 1899 bis 
1904 261 Fälle von industriellem Milzbrand gemeldet worden. Aehnlich wie 
die Sommerdiarrhoen in den heißen Monaten zu bedrohlicher Höhe anwachsen, 
so ist nach seiner Ansicht der Sommer für die Entwicklung des Milzbrandes 
am günstigsten. Die saprophvtische Entwicklung des Bacillus in den oberen 
Bodenschichten werde durch hohe Temperatur gefördert, ln einigen Fällen 
seien Milzbrandepidemien die direkte Folge von Verunreinigung von Flüssen 
durch Fabriken oder infizierte tierische Abgänge. 

Arnold Evans, Medizinalbeamter des Bezirkes Bradford, des Mittel- 

J unktes der fabrikmäßigen Behandlung der Wolle in West Riding, hat bei 
Lensch und Tier viele Milzbrandfälle gesehen. Er ist der Ansicht, daß Milz¬ 
brand noch häufiger vorkäme, als jetzt, wenn nicht die Verordnungen des 
Home office, daß die „ gefährliche“ Wolle verbrannt werden muß, so genau 
ausgeführt würden. Er führt einen Teil der Fälle auf Wasser zurück, das 
von Wollkämmereiwerken stammt. Ueber die Art der Untersuchungen gibt 
folgender Fall hübschen Aufschluß: In Glasgow war ein Mann an Milzbrand 
gestorben, der mit der Bereitung von Leinsamenöl beschäftigt war. Der 
Medizinalbeamte von Glasgow hatte den Redner darauf aufmerksam gemacht, 
daß manche Materialien zur Fabrikation aus Bradford stammten. Evans 
konnte nun nachweisen, daß diese aus einer Mischung von Wolle und Haaren 
bereitet wurden, die aus China und Ostrußland geliefert worden waren. 

Der Vertreter der Behörde, Prof. Stockmann vom Board of agri- 
culture, war der Ansicht, daß die Anzeigepflicht gewissenhaft erfüllt werde; 
die Zunahme der Zahl beweise nur, daß Fälle gemeldet würden, die kein Milz¬ 
brand sind. Er führt im Gegensätze zu Delöpine das Auftreten des 
Milzbrandes beim Vieh nur in seltenen Fällen auf voraufgegangene, verheim¬ 
lichte oder ungenügend desinfizierte Fälle zurück. Er denkt insbesondere an 
die Einschleppung der Krankheit durch Dünger aus fremden Ländern, durch 
bazillenhaltige Nahrungsmittel für die Tiere, wie denn Mac Fady an in solchen 
Kuchen die Bazillen positiv habe nachweisen können. 

Dr. Mayer-Simmern. 


Io welchem Moment wird das Gehirn von Menschen and Tieren) 
die von einem wutkranken Hunde gebissen sind) virulent 1 Von P. Kern¬ 
ling er. Institut imperial de Bactöriologie, Konstantinopel. Comptes rendus 
de la soc. de biol.; 1905, LVIII, Nr. 21. 

Der Autor weist nach, daß bei Menschen und Tieren, die von einem 
lyssakranken Tiere gebissen werden, die nervösen Zentralorgane früher 
virulent werden, als man bisher annahm. 



710 Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften. 

Versncbsanordnong: 25 Mehrschweinchen oder Kaninchen vom selben 
Gewicht werden subkutan oder intramuskulär mit der gleichen Menge Emulsion 
von fixem Lissavirns geimpft. Nach einigen Tagen wird eines der Tiere ge¬ 
tötet; seine Medulla oblongata wird subdural zwei Kaninchen inokuliert. Dieser 
Versuch wird täglich ausgeführt, bis die überlebenden Tiere an Wutsymptomen 
erkranken. 

Es ergab sich nun, daß die subkutan geimpften Tiere 21 Tage nach 
der Injektion an Lyssa starben, während die Einverleibung der Medulla oblon¬ 
gata eines bereits am 10. Tage getöteten Tieres beim Kaninchen Erkrankung 
an Lyssa erzeugte. 

Es können also die nervösen Zontralorgane bei Tieren, die mit fixem 
Virus subkutan oder intramuskulär infiziert worden sind, schon 11—12 Tage 
vor dem Tode des Tieres virulent sein. 

Von bisher bekannten Tatsachen lassen sich mit dem Ergebnis in Zu¬ 
sammenhang bringen: Der Nachweis von Nocard und Roux, daß 24, 48, 
72 Stunden vor dem Auftreten jeder Aenderung in dem Gebühren eines 
Hundes sein Speichel bereits virulent ist; ferner die Beobachtung von Pam- 
pouki: Eine Person starb an Wut, der Hund aber zeigt die ersten Symp¬ 
tome der Krankheit erst 8 Tage nach dem Biß. Zaccaria berichtet von 
einem Hunde, der von einem anderen gebissen wurde 13 Tage, bevor dieser 
Lyssa bekam, und dennoch an Wut erkrankte. — Da das Wutgift von den 
nervösen Zentralorganen ausgeben muß, um zu den Speicheldrüsen zu ge¬ 
langen, müssen diese vor jenen virulent sein. 

Der späte Ansbruch der Wut nach einer Verletzung, einer Erkältung, 
einer seelischen Erregung; die Möglichkeit der Heilung beim Hunde, 
der Ansteckung des Menschen durch ein gesundes Tier, die 
Intensität der Zellveränderungen an den Nervenzellen und der Neuroglia bei 
Menschen und Tieren, die der Wut erlegen sind —, stellen ebenso viele noch 
nicht völlig aufgeklärte Punkte dar, die sich leichter durch die Annahme er¬ 
klären, daß das Lyssagift im Gehirne mehr oder weniger lange Zeit vor dem 
Auftreten der Krnnkheitssymptome sich anspeichern kann, als durch die Auf¬ 
fassung, das Gift erreiche die Zentralorgane ungefähr gleichzeitig mit dem 
Ausbruch der Wut. 

(Die Darlegungen sind übrigens für den ärztlichen Sachverständigen 
schon mit Rücksicht auf das dem R.-V.-A. erstattete, in dieser Zeitschrift 
1900, S. 238 wiedergegebene Obergutachten von R. Pfeiffer von großem 
Interesse. Ref.) Dr. Mayer-Simmern. 


Ein neues Tuberkulosemlttel. Vortrag, gehalten von Prof. Dr. Beh¬ 
ring, Exzellenz auf dem Tuberkulose-Kongreß in Paris am 7. Oktober 1905.*) 

Im Laufe der letzten zwei Jahre bin ich zur sicheren Kenntnis eines 
Heilprinzips gelangt, das gänzlich verschieden ist von dem antitoxischen Prin¬ 
zip, das vor 15 Jahren von mir beschrieben wurde. 

Dieses neue Heilprinzip spielt die wesentlichste Rolle in der immuni¬ 
sierenden Wirkung meines „Bovovakzin“, welches seit 4 Jahren seine Probe 
in der praktischen Landwirtschaft als Bekämpfungsmittel der Rindertuber¬ 
kulose bestanden hat. 

Dieses Heilprinzip beruht auf der Durchdringung der lebenden 
Körperzellen mit einem gut charakterisierten Bestandteil 
Jdes unschädlich zu machenden lebenden Krankheitserregers, mit dem von mir 
sog. (kontneiösen) C. Speziell bei der Tuberkulose nenne ich diesen Be¬ 
standteil TC. In der lebenden animalischen Körperzelle erfährt das C. eine 
merkliche Umwandlung und in diesem intrazellulären, metamorphosierten Zu¬ 
stand nenne ich das wirkliche Agens, weil ich noch keine Sicherheit darüber 
habe, ob es im letzten Grade ein ponderabler Körper ist, TX. 

In dem Tubcrkclbacillus ist das TX, oder besser gesagt, das TC, als 
eine Kraft von verschiedenen ausserordentlichen Eigenschaften vorhanden. 
Es bildet in demselben die formgebende, assimilierende und absorbierende 
Kraft, mit einem Worte, es repräsentiert gleichsam das „Lebensprinzip“ der 


’) Mit Rücksicht auf die Wichtigkeit der Mitteilungen des Vortragenden 
sind diese hier im Wortlaut wiedergegeben. 



Kleinere Mitteilungen und Referate an» Zeitschriften* 


711 


Bazillen. Außerdem besitzt es noch fermentative und katalytische Eigen¬ 
schaften auch noch in den mit ihm infizierten animalischen Zellen; ee hat 
sein spezifisch wirksames Derivat bis zu einem gewissen Qrade selbständige 
Existenz and man kann hier mit Recht von einer Symbiose des TX mit 
einem analogen Bestandteil der Tierzelle sprechen, insbesondere 
mit den zelligen Elementen, welche von den Keimzentren des lymphatischen 
Gewebes abstammen. 

Die Gegenwart des TC ist einerseits die Ursache der Tub'erkulin- 
Ueberempfindlichkeit tuberkulös infizierter Individuen, und es ist ander¬ 
seits die Ursache heilsamer zellulärer Reaktionen gegenüber dem 
Tuberkulo8evirus. 

Einen langen Weg mußte ich zurücklegen und manche Hindernisse 
überwinden, bevor ich zu der hier skizzierten Auffassung des Zustandekommens 
der experimentell von mir festgestellten, willkürlich herbeigeführten Tuber¬ 
kulose-Immunität von Rindern, Ziegen, Schafen, Kaninchen und Meerschweinchen 
gelangen konnte; und ich kann hinzufügen, daß ich die richtige Auffassung 
einer zellulären Immunität, die ganz verschieden ist von der antitoxischen 
humoralen Immunität, wesentlich zu verdanken habe der intimen Kenntnis 
von Metschnikows Arbeiten über die Phagozytose. 

Wenn ich im einzelnen die experimentellen Beweise der Richtigkeit 
meiner Auffassung darlegen wollte, so müßte ich Ihre Zeit stundenlang in An¬ 
spruch nehmen. Ich habe einen Teil derselben dargelegt in dem ersten 
Rande eines Baches, das den Titel führen wird „Phthisiogenetische Probleme 
der Gegenwart in historischer Beleuchtung.“ 

Einige Stellen dieses ersten Bandes sind soeben in der bekannten Mo¬ 
natsschrift „Tuberkulosis“ (September 1905) erschienen. 

Ich will hier nur die Natur und die Wirkungsart der neuen Heilmethode 
zu schildern versuchen, die meinen wissenschaftlichen Studien über die Tuber¬ 
kulose ihre Entstehung verdankt. 

Diese meine Methode ist, wie ich glaube, berufen, die von der Lungen¬ 
schwindsucht bedrohten Menschen gegen die schädlichen Folgen der Infektion 
zu schützen. 

Wenn ich nach dieser Schilderung der neuen tuberkulosetherapeu- 
tischen Idee nunmehr übergehe zur Methode der Gewinnung des neuen 
Tuberkulosemittels, so will ich zunächst die Bemerkung vorausschicken, 
daß ich gegen die Anwendung lebender und vermehrungsfähiger 
Tuberkelbazillen bei Menschen die allergewichtigsten Be¬ 
denken habe, so daß die Uebertragung der von nur für die Bekämpfung 
der Rindertuberkulose mit meinem Bovovaccin wirksam befundenen Methode 
für mich ausgeschlossen blieb. 

Erst von dem Zeitpunkt an begann ich ernstlich mit einem zur Be¬ 
kämpfung der menschlichen Tuberkulose geeigneten Mittel zu rechnen, 
als ich in dem „TC“ einen Substanz gefunden hatte, die ihrerseits nicht 
vermehrungsfähig ist und trotzdem an Schutz und Heilwir¬ 
kung den lebenden Bazillen weit überlegen gemacht werden 
kann durch ihre sukzessive Umwandlung in das TX. 

Ich bin zur Gewinnung des TC gelangt durch Experimente in vitro 
Ich habe die aktive Immunisierung, um nach Ehrlich mich auszudrücken 
in eine „passive“ umgewandelt. 

Ich kann die Versicherung geben, daß ich selten in meinem 
Leben mehr Freude empfanden habe, als während der Tage, Wochen und 
Monate, in denen ich die eigentliche Ursache, aus welcher die Impfung zur 
Immunität führt, mit immer steigender Klarheit erkannte, dank der unzähligen 
wiederholten Tierversuche. 

Um das Resultat meiner Arbeiten in wenig Worten zusammenzufassen, 
erwähne ich, daß, um das TC von den Substanzen zu befreien, die seine thera¬ 
peutische Wirksamkeit hemmen, 3 Gruppen von Bestandteilen der Bazillen zu 
unterscheiden sind: 

1. eine Substanz, die nur in reinem Wasser löslich ist und 
welche eine fermentative und katalytische Kraft besitzt. Von dieser im Wasser 
löslichen Substanz stammen die toxischen Bestandteile des Koch sehen Tuber¬ 
kulins. Diese Substanz hat all die chromophilen, physikalischen und ehe- 



712 


Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften. 


mischen Eigenschaften des yon dem Botaniker Arthur Meyer in Marburg be¬ 
schriebenen Volutins. Ich nenne diese Substanz TV. 

Um eine Vorstellung von der toxischen Kraft des Volutins zu gehen, 
will ich mitteilen, daß 1 g dieser Substanz in trockenem Zustand wirksamer 
ist, als 1 Liter des Koch sehen Tuberkulins. 

2. eine Proteinsubstanz, nur in neutralen Salzen lOslich (z. B. 
Chlornatrium 10:100); diese Substanz ist von mir TQL benannt, de ist eben¬ 
falls giftig nach Art des Koch sehen Tuberkulins. 

8. mehrere nicht giftige Substanzen, die nur in Alkohol, Aether, 
Chloroform usw. löslich sind. 

Ist der Tuberkelbacillus von diesen 8 Substanzen befreit, so bleibt ein 
Körper, den ich als Restbacillus bezeichne. 

Durch geeignete Zubereitung — Zerkleinerung — wird derselbe 
in eine amorphe Masse yerwandelt, welch letztere nach der Einführung in 
das Unterhautzellgewebe tierischer tuberkelempfänglicher Individuen, wie Ka¬ 
ninchen, Hammel, Ziegen, Rinder und Pferde, yon Zellen aufgenommen wird, 
die aus lymphatischen Keimzentren hervorgehen. Die amorphe Substanz wird 
von den lymphatischen Zellen dieser Tiere verarbeitet und umgewandelt, und 
man kann beobachten, wie diese mit TC imprägnierten Zellen zu oxyphilen 
oder eosinophilen werden. Gleichzeitig mit der Umwandlung der Zellen 
entwickelt sich die Immunität des Organismus. 

Von fundamentaler Bedeutung für das Verständnis der therapeutischen 
TC-Wirkung ist für mich die Feststellung der Tatsache geworden, daß das 
TC, obwohl es kein vermehrungsfähiges Agens ist, die Fähigkeit zur 
Erzeugung von Tuberkeln besitzt. Die auf diese Weise erzeugten 
Tuberkel (TC-Tuberkel) verkäsen und erweichen aber niemals; sie sind von 
selbst heilbar, und sie heilen in der Weise aus, daß ihr Gewebe in etwa 
demselben Gewebe ohne Rest aufgeht, aus welchem sie hervorgegangen sind. 
Dieser Tuberkel entspricht genau der „tuberkulösen Granulalation* Laennecs. 

Man kann, im Vergleich zur Verarbeitung der Tuberkelbazillen meines 
Bovovaccin zum TX im Rinderkörper, in einer viel weniger langwierigen 
und anstrengenden Umarbeitung die Verwandlung des TC in TX der anima¬ 
lischen Körperzellen noch sehr erleichtern durch gewisse Präparationen in 
vitro, so daß schließlich ähnliche Unterschiede in der Schnelligkeit und Un¬ 
schädlichkeit der Tuberkulose-Immunisierung sich demonstrieren lassen, wie sie 
durch die Ehr lieh sehen Ausdrücke „aktiver und passiver Immunisierung* 
gekennzeichnet werden. 

Ueber diesen Teil meiner Untersuchungen werde ich genauere Angaben 
machen in dem zweiten Teil des oben bereits genannten Buches. 

Der therapeutische Teil dieses Buches soll aber nicht früher 
publiziert werden, als bis Uber die Unschädlichkeit und Nützlichkeit meines 
Tuberkulosemittels für den Menschen bestätigende Mitteilungen seitens solcher 
Praktiker vorliegen, die mehr Erfahrung besitzen als ich in bezug auf den 
Verlauf und die Prognose von einzelnen Tuberkulosefällen des Menschen¬ 
geschlechtes. 

Abgesehen von der erst noch empirisch und statistisch zu beweisenden 
Anwendbarkeit meines Tuberkulosemittels zum Zwecke einer präventiven und 
kurativen Therapie der menschlichen Tuberkulose erscheint es mir zweckmäßig 
und notwendig, daß inzwischen durch experimentell arbeitende Tuber¬ 
kuloseforscher die Richtigkeit und sichere Wiederkehr meiner Heilresultate an 
Tieren auch außerhalb meines eigenen Laboratoriums kontrolliert wird. 

Es ist bekannt, daß bis jetzt schon von verschiedenen, angesehenen Tuber¬ 
kuloseforschern Mittel 8ngekündigt wurden, die im Tierversuche und ins¬ 
besondere auch im Meerschweinchenversuche, schützende und heilende Wirkung 
ausüben sollen. Ich nenne hier vor allem das Koch sehe Alttuberkulin und 
Neutuberkulin und dann außerdem noch Maraglianos und Marmoreks 
Tuberknlosesera. Es ist aber auch bekannt, daß in meinen Laboratorien und in 
den Händen unparteiischer Tuberkuloseforscher mit diesen Mitteln die von ihren 
Erfindern gerühmten Wirkungen im Tierkörper nicht bestätigt werden konnten. 

Ich hoffe, daß diejenigen Experimentatoren, welchen ich mein He ilmi ttel 
anvertrauen will, nicht bloß ebenso gute, sondern noch bessere therapeutische 
Resultate bekommen werden, denn ich halte mein Mittel noch für vervoll- 




Kleinere Mitteilungen and Referate ana Zeitschriften. 


713 


kommnungsfähig. Aach die Art and Weise seiner Anwendang kann vielleicht 
noch mit Vorteil modifiziert werden. 

Die gegenwärtige Situation hat, wie ich ausdrücklich betonen möchte, 
außerordentlich große Aehnlichkeit mit derjenigen, in welcher ich mich vor 
15 Jahren befand, als ich das neue Diphtherieheilmittel entdeckt 
hatte. Gleich am Beginn der Entdeckung im Jahre 1889 hatte ich über ihre 
praktische Wichtigkeit nicht den geringsten Zweifel; 4 Jahre aber mußten ver¬ 
gehen, ehe meine wissenschaftlichen Forschungsergebnisse allgemeine An¬ 
erkennung fanden, und wahrscheinlich hätte die Anerkennung noch viel länger 
auf sich warten lassen, wenn nicht mein hochverehrter Freund Emil Boux 
mit seinem Vortrag in Ofen-Pest sich an meine Seite gestellt hätte als Vor¬ 
kämpfer fttr die Nutzbarmachung des Diphtherieserums zur Heilung der kinder¬ 
mordenden Diphtherie. 

Wie lange Zeit noch vergehen wird, ehe mein Tuberhulosemittel zur 
wirksamen Waffe im Kampfe gegen die menschliche Tuber¬ 
kulose geworden sein wird? Ich weiß es nicht. Das hängt von vielen 
Umständen ab; von meiner Arbeitsfähigkeit und Arbeitsfreudigkeit, von meiner 
taktischen Geschicklichkeit und von Zufälligkeiten, die nicht in meinem eigenen 
Machtbereich liegen. Möchte ein gütiges Geschick mir auch diesmal einen Mit¬ 
kämpfer mit der werbenden Kraft und der über jeden Zweifel erhabenen Un¬ 
eigennützigkeit wie Boux schenken; dann hoffe ich, wird schon der nächste 
internationale Tuberkulosekongreß wesentliche Fortschritte im Kampfe gegen 
die menschliche Tuberkulose zu verzeichnen haben! 


Die neuen dänischen Tuberkulosegesetze. Von Dr. Max Salomon. 
Deutsche Medizinalzeitung; 1905, Nr. 81. 

Dänemark ist uns weit voraus in bezug auf die Bekämpfung der Tuber¬ 
kulose. Neben ihm hat jetzt nur noch Norwegen ein Gesetz, welches sich 
speziell mit den Maßnahmen gegen die Tuberkulose befaßt. 

Von den jetzt in Dänemark erlassenen Tuberkulosegesetzen betrifft das 
erste die Vorkehrungen zur Bekämpfung der Tuberkulose. Der Ajrat hat 
nicht nur die Meldepflicht der Todesfälle, sondern es ist ihm auch auf¬ 
gegeben, Individualberichte zu erstatten. Die Befugnisse der Gesundheits¬ 
kommissionen sind erweitert; sie betreffen hauptsächlich die Desinfektion. Eine 
Beibe der weiteren Bestimmungen behandelt die Vorkehrungen gegen An¬ 
steckung; z. B. eine an Tuberkulose leidende Frau darf nicht als Amme 
in Dienst treten. Kinder dürfen nicht in Pflegeheime gebracht werden, in 
welchen ansteckende Tuberkulose herrscht. Tuberkulöse Kinder müssen 
vom Schulbesuch befreit werden. Lehrer, die an ansteckender Tuberkulose 
leiden, dürfen nicht angestellt werden. Dasselbe gilt von anderen Beamten, 
die dienstlich mit dem Publikum in eine derartige Berührung kommen, daß 
eine Ansteckungsgefahr in Frage kommen könnte. 

Das zweite ' Gesetz sichert bestimmten Krankenhäusern eine Staats¬ 
unterstützung zu. Patienten können Zuschüsse zu einer Kur in einer an¬ 
erkannten Heilanstalt erhalten, und zwar gelten diese Zuschüsse nicht als 
Armenunter8tützung. 

Dänemark hat mit diesen Gesetzen tatsächlich anderen Staaten ein nach¬ 
zueiferndes Beispiel gegeben. _ Dr. Hoff man n-Berlin. 


Ueber Massnahmen und Verfahren zur Bekflmpfung der Batten- und 
Miuseplage. Von Prof. Dr. Wilhelm Kolle-Berlin. Archiv für Schiffs-und 
Tropen-Hygiene; 1905, Bd. 9, Nr. 7. 

Seitdem die Uebertragung der Pest durch Batten und Mäuse erwiesen 
ist, wurde die Ausrottung dieser Nager eine wichtige Aufgabe der Hygiene. 
Diese Aufgabe ist aber insofern noch ungelöst, als es bisher weder auf dem 
Lande, noch auf den Schiffen ein absolut sicheres Verfahren für die völlige 
Ausrottung gibt. 

Unter den Giftpräparaten (Arsenik, Strychnin, Phosphor etc.) hat sich 
besonders die für Haustiere ungiftige Scilla maritima bewährt. — Die Versuche 
mit rattentötenden Bakterien haben keinen günstigen Erfolg gehabt; zum Teil 
deshalb, weil die verschiedenen Battenarten auch verschiedene Empfänglichkeit 
zeigen. — Die Aussetzung von Prämien hat vielfach nur dazu geführt, daß 



714 Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 

ein schwunghafter Handel mit dem Import anderwärts gezüchteter Hatten 
entstand. 

Da demnach jeder Methode bestimmte Grenzen gezogen sind, wird man 
im ganzen nur dann etwas erreichen, wenn man elektiv mehrere Verfahren 
zugleich anwendet und auch besonders durch zweckmäßige prophylaktische 
Maßnahmen der Einnistung der Hatten vorbeugt. 

Für die Vernichtung der Batten auf den Schiffen kommen vier Methoden 
in Betracht: 1. Die Einleitung von Schwefelwasserstoff (teuer, unsicher in der 
Wirkung, schädlich für die Waren). 2. Die Anwendung von Kohlensäure ist 
noch teurer und ebenso unsicher. 3. Das Claytongas (Schwefeldioxyd) hat in 
genügender Konzentration nicht nur für Hatten, sondern auch für anderes Un¬ 
geziefer eine tödliche Wirkung. Allerdings steht der schädigende Einfluß auf 
einzelne Warenarten der allgemeinen Anwendung desselben entgegen. 4. Der 
Nocht-Giernsa’sche Apparat entwickelt hauptsächlich Kohlenoxyd und 
Kohlensäure. Er arbeitet billig und sicher. Bei der Art und Geruchlosigkeit 
der entwickelten Gase erfordert er aber besondere Vorsicht. 

Dr. Dohm-Cassel. 


Staibversengung benr. Zersetzung auf Heizkörpern. Von Herbst, 
städt. Heizungsingenieur in Cöln. Zentralblatt für allgemeine Gesundheitspflege; 
1905, Heft 7 und 8. 

Die Forderungen an Zentralheizungsanlagen, soweit es sich darum handelt, 
das Versengen von Staub zu verhindern, werden von v. Esmarch, Nu߬ 
baum und anderen auf Grund von Versuchen dahin zuaammengefaßt, daß die 
Heizkörper an ihrer Oberfläche eine Temperatur von 70° (bis höchstens 60°) C. 
nicht überschreiten sollen. 

Verf. spricht nun aus der Praxis hierüber seine Erfahrungen aus. 
Während bei Feuerluftheizungen Klagen über Staubverbrennung vielfach 
berechtigt sind, da bei derartigen Anlagen einmal die Luft oft stark erhitzt 
wird (auf 100 0 C. und auch weit darüber hinaus), dann auch wegen der meist 
großen und rauhen Heizflächen der Stanb sich leicht hier festsetzt, sind doch 
die gegenwärtig üblichen Heizflächen bei Dampf- und Warmwasserheizungen 
so hergerichtet, daß wegen der vertikalen Anordnung und des glatten Anstriches 
an ihnen Staub nicht leicht hängen bleibt. Wird außerdem darauf gesehen, 
daß die Heizkörper wie andere Gebrauchsgegenstände im Zimmer vor ihrer 
Benutzung von dem etwa abgelagerten Staub gereinigt worden, so läßt sich 
leicht trotz Oberflächentemperaturen von 80° C. eine Versengung des Staubes 
vermeiden. Es darf aber auch der Heizkörper nicht, wie es manchmal geschieht, 
als Trockenvorrichtung für gebrauchte Handtücher, Strümpfe u. dgL benutzt 
werden; denn dann freilich muß Staub sich ablagern und versengen oder ver¬ 
trocknen und so die Luft verunreinigt werden. H. möchte deshalb die For¬ 
derung stellen: „Es ist auf unbedingte Reinhaltung der Heizkörper zu sehen, 
weil sonst bei jeder Heizflächentemperatur über und unter 70° bis 80° C. aus 
den auf den Heizkörpern liegenden Staubbestandteilen schädliche Folgen für 
die Gesundheit entstehen können.“ Solbrig-Arnsberg. 


Ueber Bleistaub und Bleidämpfe. Von Prof. 0. Roth. Aus dem 
hygien. bakt. Laboratorium des Polytechnikums zu Zürich. VII. Suppl. - Baad 
von Zieglers Beiträgen zur pathologischen Anatomie und allgem. Pathologie 
(Festschrift für Geh. Rat Arnold-Heidelberg). 

Daß neben der Aufnahme durch den Magen-Darmkanal eine Einverleibung 
von Bleistaub auch durch die Vermittelung der Hespirationsschleimhäute statt¬ 
finden kann, ist bereits experimentell festgestellt; diese Tatsache vergrößert 
natürlich die Vergiftungsgefahr mancher Gewerbe. 

Roth untersuchte nun, ob auf dem gleichen Weg auch eine körperliche 
Schädigung durch verdampfendes Blei (neben dem Bleis taub) für gewisse 
Gewerbe in Betracht käme, so z. B. bei der Verhüttung des Bleies und hei der 
Gewinnung des Silbers aus silberhaltigen Bleierzen in Akkumulatorenfabriken und 
in Buchdruckereien. Was den Schmelzprozeß betrifft, bo hat R. fest¬ 
gestellt, daß erst bei 650 ° chemisch nachweisbare Bleidämpfe auftreten, während 
der Schmelzpunkt des Bleies schon zwischen 325—340° liegt; beim Gießen der 
Akkumulatoren platten werden jedoch Temperaturen von 550° nicht über- 



Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


715 


schritten. Auch beim Löten der Akkum&latoren körnte die in Mundhöhe des 
Arbeiters entnommene Luft nicht bleihaltig gefunden werden (im Gegensatz su 
den Veraucbsresultaten aus der Hagener Akkumulatorenfabrik), wenn nicht 
Bleistaub erzeugende Manipulationen beim Löten vorgenommen werden, so 
z. B. bei der Reinigung der zu lötenden Metallflächen. Was den Buch¬ 
druckereibetrieb betrifft, so konnte R. weder bei der Letternanfertigung, 
noch bei dem Gießen der Stereotypieplatten, ebenso wenig während der Arbeit 
an den modernen sog. Zeilengießmaschinen das Entstehen von Bleidämpfen 
nachweisen, während für die Entstehung von bleihaltigem Staub natürlich im 
Druckereibetrieb genug Gelegenheit goboten ist. Dr. Merkel-Erlangen. 


Die Hilfe für Giftarbeiter. Vorschläge für die Belehrung über die 
Giftgefahren. Von L. Lewin. Berl. klin. Wochenschrift; 1905, Nr. 23. 

Auf dem Gebiete des Arbeiterschutzes gegen Gifte, auf dem bisher 
etwas geleistet wurde, bleibt noch unendlich mehr zu tun übrig. Gegen den 
Fortschritt in dieser Beziehung stellen sich manche Widerstände entgegen. 
Dazu gehören: nicht genügende Regelung der Arbeitszeiten, besonders hohe 
Gefährlichkeit mancher Giftbetriebe, Abneigung mancher Betriebsleitungen 
gegen Schaffung der erforderlichen hygienischen Schutzmaßregeln, wo Gesetze 
nicht zum Handeln zwingen, das Hineinbeziehen von Frauen in Giftbetriebe, 
die Fabrikation von neuen chemiscbsn Substanzen und die Unkenntnis der Gift¬ 
arbeiter über die Art und den Umfang der Gesundheitsbesch&digung, der sie 
sich aussetzen, gleichgültig, ob in der Fabrik oder in ihrem Heim das Gift 
sie angreift. 

Die Aufklärung der Arbeiter über die sie bedrohenden Gefahren läßt 
viel zu wünschen übrig; dazu kommt der große Wechsel von Arbeitern in 
manchen Giftbetrieben. Man kann einen großen Teil der Schuld an den Schä¬ 
digungen dem mangelndem Wissen der Arbeiter über das von ihnen verarbeitete 
Material und über die Grundlehren der Vergiftung zuschreiben. 

Die Belehrung durch Plakate, die der Staat zum Teil vorgeschrieben 
hat, ist nicht wirkungsvoll. L. fordert, daß die Gesundheitslehren dem Arbeiter 
in viel persönlicherer Weise beigebracht werden und zwar durch entsprechen¬ 
den Unterricht in der Volksschule, Unterricht in Fortbildungs- und besonders 
Fachschulen, durch Belehrungszcttel für Fabrik- und Heimarbeiter. 

Die Lehrer sollten in einem toxikologisch-hygienischen Kursus sich die 
nötigen Kenntnisse erwerben, an dem auch zukünftige Gewerbeaufsichtsbeamte 
teilnehmen könnten. Arbeiter, die zu keinem Fortbildungskursus gelangen und 
sich früh verdingen, Mädchen, Frauen und ältere Arbeiter, sind durch Flug¬ 
blätter zu belehren, in denen die speziellen Gifte, ihre Wirkungen und die 
Schutzmaßregeln allgemeinverständlicn abgehandelt werden. Am wirksamsten 
wird es sein, wenn der Staat die Verteilung solcher Beleb rungszettel vorschreibt. 

Dr. Räuber-Köslin. 


Fortschritte auf dem Gebiete der Gewerbehygiene ln England. 

(The effect, as shown by statistics, of british statutory regulations directed to 
the improvement of the hygienic conditions of industrial occupations.) Howard 
medal price essay. Von Leonard Ward, inspector of factories. Public health; 
XVII., 1905, September. 

Bei den Arbeiten in Kohlenbergwerken und Eisenhütten ist 
heute die Mortalität nur wenig größer, als bei der ackerbautreibenden Be¬ 
völkerung. Die Erfolge sind hauptsächlich der „Coal mines act“ von 1855 
zuzuschreiben, die strenge Ventilationsvorschriften einführte und die die Ex¬ 
plosion von Grubengasen zu verhüten suchte. Ein halbes Jahrhundert strenger 
Gesetzesbeaufsichtigung hat allein durch Verhütung von Explosionen 15000 
Leben gerettet 

In den Töpfereibetrieben zeigen sich die Fortschritte erst seit 
1890; dem Jahre, in dem zuerst die Bleivergiftung auf gesetzlichem Wege 
bekämpft wurde. Auch die Fälle von Bleiweiß- und von Phosphorvergiftung 
haben abgenommen. 

In der Textilindustrie haben sich bereits seit 100 Jahren Fortschritte 
angebahnt Der Prozentsatz der Todesfälle an Phthise und anderen Krank¬ 
heiten des Respirationsapparates in bestimmten Städten der Baumwollindustric 



716 Tagesnachrichten. 

sinkt stetig, besonders aber seit Einführung der Cotton Cloth Factoriea Aet 
ron 1889. 

▲n der Hand der Morbiditätstabellen von Textilarbeitern der Grafschaft 
Lancaster zeigt sich eine relative Abnahme der Krankheitssiffern. 

Der Autor verglich ferner Körpergewicht und Körperlänge von Kindern 
aus dem Jahre 1888 und aus 1873, und zwar von solchen, die im Textilgewerbe 
beschäftigt waren, und solchen, die es nicht waren. Allerdings waren auch 
die letzteren, die ja auch aus Fabrikgegenden stammten, nicht so gut ent* 
wickelt, wie andere unter günstigeren Verhältnissen lebenden Kinder; trotzdem 
sind die Ergebnisse für den Wert der Gesetzgebung auf dem Gebiete der Ge¬ 
werbehygiene beweisend. Dr. Mayer-Simmern. 


Was lehrt uns die neueste bayerische Blindenstatistik 1 Von Dr. 
F. Salzer, Privatdozent an der Universität zu München. Münchener med. 
Wochenschrift; 1905, Nr. 28. 

Unter dem Titel: „Die Blindenfrage im Königreich Bayern“ ist soeben 
die im Aufträge des Königl. Staatsministeriums des Innern von Anton Schaidler, 
Lehrer am Königl. Zentralblindeninstitut in München bearbeitete Blindenstatistik 
erschienen. 

Dieselbe enthält die Besultate der bei der letzten Volkszählung vom 
1. Dezember 1900 gemachten Erhebungen, ergänzt durch besondere Erhebungen 
über die Blinden in den Jahren 1901 und 1903. 

Die Arbeit ist besonders deshalb beachtenswert, weil sie die erste staatliche 
Blindenstatistik im Anschluß an die Volkszählung darstellt, bei der die Erhebung 
der Erblindungsursachen durch Aerzte (Bezirksärzte) vorgenommen wurde. Von 
der prozentualen Beteiligung der einzelnen Erblindungsursachen an der Ge¬ 
samtzahl der Blinden müssen die gesetzgeberischen und therapeutischen Ma߬ 
nahmen behufs Verhütung der überhaupt verhütbaren Erblindungen abhängen. 

Der 1. Teil des Werkes enthält eine Darstellung der Zählergebnisse 
nach Geschlecht, Alter, Staatsgehörigkeit, Familienstand und Religion. Erwähnt 
sei hier nur, daß unter 6175057 ortsanwesenden Personen in Bayern 8384 als 
blind ermittelt wurden, wobei sich in bezug auf die einzelnen Altersstufen 
herausstellt, daß dem ersten Lebensjahrzehnt bezw. der Blennorhoe neonatorum 
eine außerordentlich hohe Blindenziffer zur Last fällt. 

Der 2. Teil des Buches handelt von den Erblindungsursachen, wobei sich 
herausstellt, daß von den 3384 Blinden 7,65 °/o blind geboren und 8,09 °/o an 
Blennorrhoe erblindet sind. Es geht somit aus dieser neuesten Statistik klar 
hervor, daß eine Abnahme der Erblindungsziffer durch Blennorrhoe nicht ein¬ 
getreten ist und daß folglich die bisherigen Maßregel ungenügend sind. 

Der 3. Teil des Werkes handelt von Blindenbildung, Berufsstatistik der 
Blinden und Blindenfürsorge. Den Schluß des Buches bildet eine Tabelle über 
die im Jahre 1900 ortsanwesenden Blinden im ganzen Deutschen Reich, wobei 
34834 Personen verzeichnet sind gegen 35048 im Jahre 1871. 

Verfasser geht dann näher auf die Lehren ein, welche wir aus der vor¬ 
liegenden Statistik zu ziehen haben und kommt zu dem Schlußsätze: „Eine 
gesetzliche Verpflichtung der Hebammen zur Meldung aller Blennorrhoefälle und 
eine weniger konservative Behandlung sympathiegefährlicher Augen, welche 
einen ebenso hohen Prozentsatz Blinder stellt, wie die Blennorrhoe neonatorum, 
sind die wichtigsten Desiderate, die sich aus der bayerischen Blindenstatistik 
ergeben. Eine fortgesetzte Aufklärung des Publikums über hygienische und 
prophylaktische Fragen muß das ihrige tun.“ Dr. Waibel-Kempten. 


Besprechungen. 

Dr. Ewald Stier, Oberarzt im 2. Garde-Regt. z. F.: Fahnenflucht und 
unerlaubte Entfernung. Eine psychologische, psychiatrische und militär- 
rechtliche Studie. Juristisch-psychiatrische Grenzfragen. 2. Band, Heft 3—5. 
Halle a./S. 1905. Verlag von Carl Mar hold. Preis: 3 Mark. 

Zu einem richtigen Verständnis psychopathologischer Zustände rechts¬ 
brechender Individuen gehört, wie immer deutlicher erkannt wird, eine eingehende 



Besprechungen. 


717 


Kenntnis des Seelenlebens nicht kranker Verbrecher. Von diesem Gesichts* 
punkte ans hat Verfasser in einer höchst interessanten Studie das große Material 
an Fahnenflüchtigen im weitesten Sinne des Wortes zu analysieren versucht. 
Die Untersuchungen erstrecken sich auf 1553 Soldaten, die teils der Marine, 
teils dem Landheere angehörten. Verschiedene Motive stellt St. für die 
unerlaubte Entfernung fest; in erster Linie den erhöhten Sexualtrieb, der 
sich in gleicher Weise wie bei den Sittlichkeitsverbrechen, besonders in der 
wärmeren Jahreszeit geltend macht, als weiteres das Heimweh, das — in manchen 
Fällen krankhafter Natur — auf dem Boden wohlcharakterisierter Psychosen 
auf tritt, während ein kleinerer Teil — von den Franzosen als nostalgie per* 
sistante bezeichnet — nicht als krankhaft anerkannt werden kann. Viel häufiger 
wird, wie Verfasser zweifellos richtig bemerkt, das Heimweh zu Selbstmord* 
versuchen als zur Fahnenflucht führen. Ein bedeutender Teil aller Fahnen¬ 
flüchtigen gehört seinen Motiven nach in das Gebiet des Psychopathologischen. 
Fälle von Dementia praecox, halluzinatorischer Erregung, manisch-depressivem 
Irresein kommen hier vorzüglich in Betracht. Besondere Bedeutung für die 
forensische Beurteilung bieten die zahlreichen Fälle, in denen das Delikt auf 
dem Boden einer nicht erkannten Epilepsie auf tritt. Verfasser erinnert an die 
zahlreichen Beobachtungen, die unter dem Namen Automatisme ambulatoire, 
Fuques, Poriomanie, in der Literatur niedergelegt sind, in denen die Kranken 
bald in stärker, bald in geringer getrübtem Bewußtseinszustande, bald unter 
nachträglicher Amnesie, bald ohne solche weite zwecklose Beizen machten, .oft 
ohne der Umgebung als krank aufzufallen und ohne ihrerseits ein verständiges 
Motiv für ihr ganz planloses Weglaufen angeben zu können. Während man 
aber längere Zeit alle diese Fälle, auch ohne den Nachweis irgendwelcher 
epileptischer Antezedentien, als Epilepsia larvata auffaßte, erkennt man neuer¬ 
dings, besonders im Anschluß an Heilbr onners Untersuchungen, daß ein großer 
Teil dieser Kranken den Hysterischen- und Degenerationszuständen, ein weiterer 
verschiedenartigen Einwirkungendes Alkoholmißbrauchs zuzurechnen ist. Für die 
Beurteilung aller dieser Fälle vertritt St. in Uebereinstimmung mit E. Schnitze 
den Standpunkt, daß die bei weitem größte Zahl der Fahnenflüchtigen als militärisch 
dienstunbrauchbar, ein kleinerer, bei dem eine wohlcharakterisierte Störung 
nachweisbar, auch als unzurechnungsfähig im Sinne des § 51 des St.-G.-B. zu 
bezeichnen ist. Für die Praxis fordert er unter eingehender Motivierung u. a. 
Anerkennung einer verminderten Zurechnungsfähigkeit und Einführung der 
mildernden Umstände in das Militär-St.-G.-B. — Ein sehr eingehendes Literatur¬ 
verzeichnis, daß auch die ausländische Literatur umfaßt, ist der Abhandlung 
beigegeben. Dr. Pollitz-Münster. 


Dr. Bohweohten, Geh. Sanitätsrat in Berlin: Eisenbalmhygieiie. Von 
Dr. Otto Br ähmer, weiland Geh. Sanitätsrat in Berlin. Mit 81 Abbildungen. 
Zweite Auflage. Verlag von Gustav Fischer. Jena 1904. Gr. 8812 8. 
Preis: brosch. 10 Mark, geb. 11,50 Mark. 

Die vorliegende zweite Auflage der „Eisenbahnhygiene 11 ist von 
Schwechten unter Erweiterung und zeitgemäßer Umgestaltung der Bräh- 
mersehen Eisenbahnhygiene neu bearbeitet; sie führt daher auch den Autoren- 
Doppelnamen: Brähmer-Schwechten. Mit der Entwickelung unserer 
Eisenbahnen zu dem großartigen Schienennetz, ohne das Handel, Wandel und 
Verkehrsleben eines“ im Herzen Europas liegenden Kulturstaates heute ganz 
undenkbar wären, ist die Eisenbahnhygiene zu einem beachtenswerten Zweig 
der öffentlichen Gesundheitspflege geworden. Nachdem der Verfasser die durch 
den Bahnbetrieb für Gesundheit und Leben entstehenden Gefahren statistisch 
and klinisch in prägnanter, vielleicht etwas zu knapper Form behandelt hat, 
wendet sich das Werk seiner eigentlichen Aufgabe, der technischen Prophylaxe 
und der prophylaktischen Hygiene zu. Die betriebs- und verwaltungstechnischen 
Fragen sind von erfahrenen Eisenbahntechnikern, den Geh. Bauräten Bath- 
mann und Bork in Berlin und Schuhmacher in Potsdam, bearbeitet, und 
umfassen die drei, durch zahlreiche Abbildungen illustrierte Kapitel über An¬ 
lagen und Erhaltung der Bahn und Bahnhöfe, über Einrichtung, Untersuchung 
und Erstattung der Betriebsmittel und über Durchführung des Betriebes. Beim 
Studium dieses Abschnittes überkommt den Leser das Gefühl, daß die Betriebs¬ 
sicherheit auf deutschen Eisenbahnen eine absolute und vollkommene sein 



7l8 


Besprechungen. 


müßte — und vielleicht auch wäre, wenn der irrende Mensch aasgeschaltet 
sein könnte. — Der hygienische Teil stammt aas der Feder Schwechtens 
and ist der amfangreichste; seine Bedeutung erhellt ohne weiteres aus den 
behandelten Fragen, betr. das Verhalten der Beisendsn innerhalb des Bahn¬ 
gebietes und in den Zügen (Seuchengesetz), Wohlfahrtseinrichtungen für die 
Beamten und Arbeiter, Kettungswesen and bahnärztlichen Dienst. Läßt der 
betriebstechnische Teil des Werkes eine gewisse Raffiniertheit erkennen, mit 
der die Staatseisenbahn-Verwaltang das Reisen nicht nur gesundheitlich ge¬ 
fahrlos, sondern auch angenehm zu gestalten bestrebt ist, so wird der hygienische 
Abschnitt niemand darüber in Zweifel lassen, daß Eisenbahnbygiene heute kein 
leeres Wort mehr ist. Um so mehr muß aber Brähmer-Schwechtens 
Werk den berufenen Hütern der Eisenbahnhygiene, den Bahnärzten, zu einem 
unentbehrlichen Ratgeber and Wegweiser werden in allen den technisch-hygieni¬ 
schen Fragen, die in den bahnärztlichen Dienst hin überspielen. Wenn die 
Staatseisenbahn-Verwaltung trotz aller Gegenströmungen an der Bestellung 
besonderer Bahnärzte und Eisenbahn-Vertrauensärzte festgehalten hat, so liegt 
der Grund hierfür nicht zum geringsten Teil darin, daß sie von ihren Bahn¬ 
ärzten eine über den Rahmen ärztlicher Praxis hinausgehende Tätigkeit und 
Mitarbeit an den Fragen der Eisenbahnhygiene fordert zum Wohle der Reisenden 
und dem des Eisenbahopersonals, von dessen Rüstigkeit und Gesundheit auch 
das Leben and die Gesundheit der ersteren abbängt. Darum sollte Schwech- 
tons Eisenbahnhygiene in der Bibliothek jedes Bahnarztes vorhanden sein 
und fleißig zu Rate gezogen werden. Auch den Vertretern der öffentlichen 
Gesundheitspflege kann es in Eisenbahnfragen zum Studium dringend empfohlen 
werden. In den Kreisen der höheren Eisenbahn- und Verwaltungsbeamten aber 
wird es immer mehr zu der rechten Würdigung der Bedeutung des ärztlichen 
Bahndienstes führen. Auch in dieser Hinsicht stellt sich die wohlgelungene 
Arbeit Schwechtens dem früheren rastlosen Streben des ersten und bahn¬ 
brechenden Eisenbahnhygienikers, Otto Brähmer, würdig zur Seite. 

28 Tafeln, eine Karte und 81 Abbildungen ergänzen den Text. 

_ Dr. R o e p k e - Melsungen. 

Dr. J. Holfert, Prof. Dr. H. Thoms, Dr. E. Mylius, Prof Dr. E. CHlf, 
Dr. K. F. Jordan: Schule der Pharmanle. Dritte Auflage. Berlin 
1905. Verlag von Jul. Springer-Berlin. 

Dieses bereits in der dritten Auflage erschienene prächtige Werk nimmt 
in der pharmazeutischen Welt seit geraumer Zeit einen hervorragenden Platz 
unter denjenigen Lehrbüchern ein, die dazu dienen sollen, den angehenden 
Apotheker in die Hilfsw^enschaften seines Faches einzuführen. Es kann nicht 
zweifelhaft sein, daß dieser Erfolg hauptsächlich, einerseits durch die ver¬ 
ständnisvolle Anordnung des Lehrstoffes, beim praktischen anfangend und zum 
theoretischen übergehend, bedingt ist, anderseits durch den leicht faßlichen 
und lebendigen Vortrag des Gebotenen. Kurz and klar, sich nicht Über un¬ 
wesentliches verbreiternd, bringen die einzelnen Bände doch alles dasjenige, 
was zum pharmazeutischen Vorexamen biiligerwoise verlangt werden kann, 
und auch wohl noch etwas mehr, nach dem neuesten Stande der wissenschaft¬ 
lichen Forschung. Eine große Anzahl vortrefflicher Abbildungen, die in der 
vorliegenden neuen Auflage zum Teil verbessert, zum Teil bedeutend vermehrt 
wurden, im botanischen Teile allein um ca. 100 Abbildungen, erleichtern das 
Verständnis der einzelnen Zweige der Pharmazie. 

Das Werk zerfällt in fünf Teile. Der praktische Teil (L) ist von 
Dr. E. Mylius, der chemische Teil (II ) von Prof. Dr. H. Thoms, der physi¬ 
kalische Teil (III.) von Dr. K. F. Jordan, der botanische Teil (JV.) von 
Prof. Dr. E. Gil g, und der letzte Teil (V.), die Warenkunde, von Dr. H. Thoms 
und Prof. Dr. E. Gilg bearbeitet. 

Ist auch das Werk in erster Linie für den angehenden Apotheker be¬ 
stimmt, sei es als Lehrbuch beim Selbststudium, sei es als Leitladen beim 
Unterricht des Lehrherm, so ist doch nicht zu übersehen, daß auch der junge 
Mediziner dieses Werk mit Vorteil bei seinen chemischen, botanischen und 
physikalischen Stadien benutzen wird. Insbesondere dürfte die „Warenkunde* 



Tagesnachriehteü. 


719 


auch für ihn ein wertrolles Nachschlage* und Orientierungabuch sein, findet 
er darin doch in großer Mannigfaltigkeit »lies das, was heute noch in nnserem 
Arzneischatze Wert nnd Interesse beansprucht. Aber auch dem beamteten 
Arzt, dem die Besichtigung der Apotheken obliegt und der sich auch von dem 
8tande der Studien der Lehrlinge zu Überzeugen hat, wird in dem vorliegenden 
übersichtlichen Werke einen vorzüglichen Mafistab finden für die Kenntnisse 
der jungen Pharmazeuten. 

Wir können daher „Die Schule der Pharmazie" als eia modernes, vor¬ 
züglich angelegtes und ausgestattetes Werk allen interessierten Kreisen 
bestens empfehlen. Dr. E u m p - Osnabrück. 


Tagesnachricbton. 

Durch allerhöchsten Erlaß vom 21. September 1906, betr. Abfederung 
der Bestimmungen über das Stimmrecht der technischen Mitglieder der 
Begierungen, sowie der Regierangsassessoren in den Plenarversammlungen der 
Regierungen, ist unter Aufhebung aller entgegenstehenden Bestimmungen ein¬ 
heitlich den bei den Regierungen beschäftigten Regierungs- und Forsträten, 
den Regierungs- und Bauräten, den Regierungs- und Gewerberäten, den Re¬ 
gierangs- und Gewerbeschalräten, den Regierungs- und Schulräten, sowie den 
Regicrnngs- und Medizinalräten, ferner den Regierungsassessoren 
und denjenigen technischen höheren Beamten, die bei den Regierungen be¬ 
schäftigt sind und die den Rang der Räte vierter Klasse haben, das Stimmrecht 
in den Plenarversammlungen der Regierungen in dem Umfange beigelegt werde, 
in dem es jetzt die für den höheren Verwaltungsdienst oder das Richteramt 
befähigten, unter V zu a und b der Kabinetsordre vom 31. Dezember 1826 
aufgelührten Mitglieder haben, und den technischen Hilfsarbeitern bei den 
Regierungen, die den Rang der Räte vierter Klasse nicht haben (z. B. die als 
medizinische Hilfsarbeiter bei den Regierungen beschäf¬ 
tigten Kreisärzte), das Stimmrecht in dem Umfange beigelegt worden, 
in dem es die Regierungs Assessoren auf Grund der Kabinetsordre vom 31. De¬ 
zember 1826 a. a. 0. jetzt haben. _ 

In der heutigen Beilage ist das am 26. Oktober d. J. in Kraft getretene 
preußische Besetz vom 28. August d. J., betreffend die Bekämpfung an¬ 
steckender Krankheiten nebst den dazu unter dem 8. Oktober d. J. erlassenen 
Ausführungsbestimmungen zum Abdruck gebracht, worauf wir die 
Leser der Zeitschrift noch besonders aufmerksam machen mit dem Bemerken, 
daß Sonderabdrücke dieser Beilage von der Verlagsbuchhandlung bezogen 
werden können. 


Die Cholera ist fast völlig erloschen. In der Zeit vom 14. bis 23. Ok¬ 
tober sind nur noch 10 Erkrankungen und — Todesfälle vorgekommen, so daß 
sich die Gesamtzahl der Erkrankungen damit auf 281 erhöht. Gleichwohl hat eine 
Ende Oktober im Oberpräsidiom abgehaltene Konferenz von Vertretern der Re¬ 
gierung and den Ministerialkommissaren Geh. Ober-Med.-Rat Prof. Dr. Kirchner 
nnd Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Gaffky beschlossen, den gesnndheitspolizeilichen 
Stromüberwachnngsdienst auf der Weichsel noch bis zum Eintritt des Frostes 
beizubehalten. 


Der um die Entwicklung des Kaiserlichen Gesundheitsamts hochverdiente 
Präsident desselben, Dr. Kühler, hat sich durch Gesundheitsrücksichten ver¬ 
anlaßt gesehen, um seine Versetzung in den Ruhestand nachzosuchen, die ihm 
auch unter Verleihung des Charakters als Wirklicher Geheimer Rat mit dem 
Prädikat Exzellenz bewilligt worden ist. Im Jahre 1885 erfolgte seine Berufung 
an die Spitze des Gesundheitsamts, dem er mithin zwanzig Jahre lang vor- 
gastaadan hat. Während dieses Zeitraums hat das Gesundheitsamt eine wesent¬ 
liche Erweiterung seiner Organisation erhalten, ist doch inzwischen die Zahl 
seiner ordentlichen Mitglieder von 6 auf 20 gestiegen, außerdem sind drei 



720 


Tageenachriehten. 


Abteilungs-Direktoren hinzugekommen. Diese Erweiterung sowie die Schaffung 
völlig neuer Arbeitsräume war bedingt durch die außerordentliche Zunahme 
der dem Oesandheitsamt gestellten Aufgaben auf fast allen Gebieten des 
öffentlichen Gesundheitswesens, nicht nur in wissenschaftlicher Hinsicht, sondern 
auch in bezug auf die Mitarbeit bei Gesetzentwürfen usw. Wenn das Gesund¬ 
heitsamt all diesen Aufgaben gerecht geworden ist und sich eines großen 
Ansehens wie einer autorativen Stellung in allen beteiligten Kreisen erfreut, 
so ist dies nicht zum geringsten das Verdienst seines bisherigen Leiters, der 
•ich dadurch ein bleibendes, ehrenvolles Andenken gesichert hat. Zu seinem 
Nachfolger ist der Geh. Ober-Reg.-Rat Bumm ernannt, der seit 1892 im 
Reichsamte des Innern tätig ist und hier als Vortragender Rat insbesondere 
Medizinalangelegenheiten bearbeitet hat. 


Am 21. Oktober ist Geh. Rat Prof. Dr. Robert Koch von seiner fast 
einjährigen Forschungsreise in Ostafrika nach Berlin surückgekehrt in voller 
körperlicher Frische trotz der großen Anstrengungen und Gefahren, die mit 
seiner Reise verbunden gewesen sind. Er beabsichtigt, die nächsten Monate 
in Berlin zu bleiben, um das reiche Material, das er über die Erreger des 
Rückfallfiebers und der Trjpanosomiasis beim Menschen und Vieh in Deutscb- 
Ostafrika und Britisch-Uganda gesammelt hat, zu sichten und durchzuarbeiten. 
Dem bedeutungsvollen Ergebnisse seiner neuesten Forschungen wird jedenfalls 
von allen Beteiligten mit großem Interesse entgegengesehen. 


In Sachsen war bisher zwar die baupolizeiliche Genehmigung zur Er¬ 
richtung von Krematorien erteilt worden, doch die Feuerbestattung selbst 
nach einer Verordnung des Ministeriums unzulässig. Nun hat der Chemnitzer 
Verein für Feuerbestattung die Angelegenheit durch sein konseqaentes Vor¬ 
gehen zur endgültigen rechtlichen Entscheidung gebracht. Er legte gegen die 
Ministeri&lentscheidung beim KönigL Sächsischen Obe rverwaltungs ge rieht 
Rekurs ein, und zwar erfolgreich. Das Oberverwaltungsgericht erkannte für 
Recht, daß das Vorhandensein eines zwingenden Gebotes der Leichenbeerdigung 
und in Verbindung damit eines gesetzlichen Verbotes der Feuer¬ 
bestattung für Sachsen verneint werden müsse. 


Die nächstjährige Generalversammlung der Deutschen Gesellschaft für 
Volksbftder wird in Worms und zwar am 23. Mai 1906 (Tag vor Himmelfahrt) 
stattfinden. 


Der Geschäftsausschuß des Deutschen Aerztevereinsbundes 
hat beschlossen, daß der nächste deutsche Aerztetag Ende Juni 1906 in 
Halle a./S. abgehalten werden solL 


Im Juni 1906 findet zu Mailand ein internationaler Kongress für 
Gewerbekrankheiten statt. Aus dem reichhaltigen vorläufigen Programm der 
Verhandlungen seien erwähnt: Physiologische Kontraindikation der Nacht¬ 
arbeit; Neurasthenie bei Eisenbahnern; nicht traumatische Gewerbekrankheiten 
des Gehörs; Gewerbekrankbeiten der chemischen Betriebe; Tuberkulose und 
Arbeitergesetzgebung; Frauenarbeit und Mutterschutz; Anchylostomiaais; Al¬ 
kohol und Muskelarbeit; Tabak und Muskelarbeit usw. Anmeldungen von 
Vorträgen sind bis spätestens 31. Dezember d. J. an das Sekretariat, Prof. 
Luigi Devoto in Mailand, Via Montforte 14, zu richten. 


Infolge verschiedener Anfragen die Mitteilung, daß der fünfte Jahr¬ 
gang des Kalenders für Medizinal beamte für das Jahr 1906 
in der ersten Woche deB Dezembers d. J. bestimmt zur Ausgabe 
gelangt. Bestellungen nimmt schon jetzt die Verlagsbuchhandlung entgegen. 

Der Herausgeber. 


Verantwort!. Redakteur: Dr. Rap mund, Reg.- u. Geh. Med.-Rat in Mindeni. W. 

J. C. C. Bruns, Herzog!. Stich», u. ¥. Sch.-L. Uofbuclidrockerei in 





18. Jahrg. 


1905. 


Zeitschrift 

für 

MEDIZINALBEAMTE. 


Zeitralblatt fiir gerichtliche Hedizii ud Psychiatrie, 
fir ärztliche Sachrerständigentätigkeit in Unfall- nnd Inraliditatssachen, sowie 
fiir Hygieze, offentL Sanitätswesen, Medizinal - Gesetzgebung and Rechtsprechung 

Herausgegeben 

▼OB 

Dr. OTTO RAPMOND, 

Regientngf- und doli. Medirinalrat 1 b Minden. 


Verlag von Fischers mediz. Buehhandlg., H. Kornfeld, 

HarsogL Bayer. Ho t- n. BnhanogL Mammar-BaohMndlar. 

Berlin W. 35, Lützowstr. 10. 

Ineonte nehmen die Yerl*gsh*ndlnng sowie alle Annoncen - Expeditionen de« In« 

nnd Anslandes entgegen. 


Nr. 22. 


■raehelat ui 1 . nad IS. Jedes Komata 


15. Novbr. 


Nochmals die Ausrüstung des ländlichen und kleinstädtischen 
Desinfektors mit dem Breslauer oder dem Roepkesehen 

Formalinapparat. 

Eine Entgegnung auf die „Bemerkungen etc.“ des Herrn 
Dr. Boepke in Nr. 15. 

Von Dr. Werner, Kreisassistenzarzt in Marburg, 
ln Nr. 15 dieser Zeitschrift hat Herr Dr. Boepke versucht, 
meine Ausführungen in Nr. 13 über die Vorteile des bewährten 
Breslauer Formalinapparats and über gewisse Schwächen der von 
ihm konstruierten transportablen Modifikation desselben als unzu¬ 
treffend hinzustellen. Seine umfangreichen Auseinandersetzungen 
geben jedoch so viele Angriffspunkte nnd eine Nachprüfung seiner 
Angaben konnte diese so wenig bestätigen, dass ich es nicht unter¬ 
lassen kann, wenn auch ohne auf den polemischen Ton Boepkes 
einzugehn, den immerhin allgemein interessierenden Gegenstand 
nochmals zu berühren. 

Wenn in dem vorliegendem Aufsätze von Boepke wieder¬ 
holt meine Auseinandersetzungen als theoretisch nnd theoretisierend 
herabgesetzt werden, während er der Wiedergabe einzelner Ver¬ 
suchsergebnisse oder Zahlenangaben eine weit grössere Beweis¬ 
kraft zuspricht, so muss ich dem entgegenhalten, dass meine 
„theoretisierenden“ Ausführungen nichts anderes waren, als die un¬ 
parteiische Zusammenfassung einer grossen Menge von Versuchs¬ 
ergebnissen and Erfahrungen, die in einer mehrjährigen Beschäf¬ 
tigung mit dem Gegenstände gesammelt sind nnd sich unmöglich 
in dem Bahmen eines derartigen, nur zur allgemeinen Orientierung 



722 Dr. Werner: Nochmals die Aasrüstung des ländlichen and kleinstädtischen 


bestimmten Aufsatzes wiedergeben Hessen, und ferner, dass man 
auf keine Weise leichter zu Fehlschlüssen und Irrtfimern kommen 
kann, als wenn man zur Beurteilung eines grossen und komplizierten 
Gebiets einzelne oder doch im Verhältnis zu der Menge der auf- 
znklärenden Fragen vereinzelte Versuchsresultate oder Zahlen¬ 
angaben für massgebend erklärt. Immerhin habe ich, um diesem 
Einwand Roepkes zu begegnen, inzwischen Gelegenheit genommen, 
auf der hiesigen hygienischen Abteilung mit dem neuen Apparate 
einige Desinfektionsversuche nach den Vorschriften Roepkes zu 
machen, während meine frühere Besprechung des Instrumentariums 
sich nur auf eine eingehende Besichtigung und Untersuchung des¬ 
selben gründete, sowie die dem Breslauer Apparat von Roe pke 
gemachten Vorwürfe experimentell zu prüfen und einige Zahlen¬ 
zusammenstellungen aus der Praxis zu liefern. Ich kann nach 
dem Vorangegangenen nicht umhin, dieselben wie Engels und 
Roepke die ihrigen, in ausführlicher Weise wiederzugeben. 

Zur Vermeidung von MisVerständnissen aber, da Roepke 
wiederholt unter besonderer Kritik eines Fabrikats der Breslauer 
Apparate (Boie-Göttingen) hervorhebt, dass dieses gerade von 
mir empfohlen werde, möchte ich noch vorausschicken, dass ich 
weder zu den Autoren, noch zu den Fabrikanten des einen, wie 
des anderen Apparats irgendwelche Beziehungen, oder an dem 
Vertrieb der Apparate irgendwelches Interesse habe. Die Firma 
Boie in Göttingen wurde von mir bei Anfragen — auch Roepke 
gegenüber — deshalb als geeignete Bezugsquelle für Breslauer 
Apparate angegeben und wird von mir nach meinen jüngsten Er¬ 
fahrungen auch fernerhin empfohlen werden, weil ich durch das 
hygienische Taschenbuch von Esmarchs (3. Anfl. S. 272) mit 
der Adresse bekannt geworden, mich in mehreren Fällen davon 
überzeugt habe, dass sie richtig gebaute, technisch einwandsfreie 
Exemplare zu mässigem Preise Hefert. Ob andere Firmen das¬ 
selbe leisten, habe ich dabei niemals in Frage gezogen. 

Roepke bemängelt zunächst, dass von mir für den Apparat 
eines Desinfektors in kleinstädtischen und ländHchen Verhältnissen 
eine Kapazität für etwa 150 cbm Raum verlangt wird, wie Bie 
der Breslauer Apparat in reichlichem Masse besitzt, während der 
Roepkesche nach seinen Tabellen bis zu 120 cbm, nach den 
Normen des Seuchengesetzes nicht einmal soweit ausreicht. Als 
Begründung seines Standpunktes, dass Anforderungen über 120 cbm 
praktisch nicht in Betracht kämen, bringt er ausführlich ge¬ 
schilderte Nachforschungen und Ermittlungen aus der Umgegend 
seines Wohnorts Melsungen, wonach „die zum Wohnen oder Schlafen 
bestimmten Zimmer in Privatwohnungen auf dem platten Lande 
und in kleinen Städten“ einen solchen Luftraum niemals besitzen 
sollen. Es mag nun wohl für den Durchschnitt richtig sein, dass 
der Luftkubus derartiger Räume 80 cbm vielfach nicht übersteigt, 
allein dennoch muss eine Verallgemeinerung der Roe pke sehen 
FeststeUungen auch für ländliche und kleinstädtische Verhältnisse 
als durchaus irreführend bezeichnet werden. Wer z. B. die 
Wohnungsverhältnisse der Landbewohner in hiesiger Gegend 



Desinfektors mit dem Breslauer oder dem Boepkescben Formallnapparat. 723 


kennt, weise, dass die Bauernhäuser vielfach durch die ganze Tiefe 
hinziehende Stuben bedeutender Grosse besitzen, von welchen 
im Erdgeschoss häufig durch halbhohe Bretterwände Schlafräume 
abgetrennt sind, während sie im Oberstock ungeteilt bleiben. Diese 
bilden auch in Krankheitszeiten, da sie heizbar sind, in erster 
Linie die Aufenthaltsräume für die Kranken. Ich habe nun, nach¬ 
dem ich die Anschauungen Roepkes über diesen Punkt gelesen 
hatte, diese mir längst bekannte Tatsache durch gelegentliche 
Messungen festzulegen versucht und dabei gefunden, dass ich in 
jedem Dorfe der Umgegend von Marburg, durch welches mich 
während etwa 10 Tagen mein Weg führte, ohne besondere Schwierig¬ 
keit Wohn- und Schafräume feststellen konnte, welche dem Bereiche 
des Roepkeschen Apparats entfallen, da sie einen Luftraum von 
120 cbm und mehr besitzen. Ich will meine Notizen in folgender 
Weise wiedergeben: 


Oberrosphe 

Unterrosphe 

Cölbe 

Schröck 

99 

Moischt 


Bürgermeister 
Bürgermeister 
Pet. Erkel . . 

Bürgermeister 

Orthwein.4,6 

Jos. Nau.2 Staben za 8,2 

Joh. Jos. Fischer 10,0 : 4,4 : 2,36 

Cloos.6 Räume za etwa 4,6 

„ Bohl.2 Räume za 8,8 : 4,8 

Wittelsberg Hch. Peil.4,6 : 8,0 : 2,76 


2 Staben 

za 6,6 : 8,3 : 2,76 m 

= 140 

cbm 

6,3 : 

9,0 

2,76 

= 160 

99 

6,0 : 

9,0 

2,76 

= 170 

99 

7,6 : 

6,6 

2,1 

= 120 

99 

4,6 : 

8,6 

2,8 

= 140 

99 


4,6 : 2,8 = 


6,6 

2,8 


2,9 = 


140 

120 

120 

140 

120 


Bürgermeister 
Bodenbender. 


(anregelmäßig) ohne Abrandang = 146 


2 Räume ohne Abrandang = 
Beltershausen Bürgermeister . . 4,6 : 8,2 : 2,6 
„ Horst Witwe . . 4,8 : 9,0 : 2,7 

Marbach Herbener.2 Räume za 7,6 : 6,1 : 2,8 

(Der 


203,7 
= 130 
= 140 
= 140 

Kabikinhalt ist nach DesinfektorenTorechrift berechnet). 


Auch hier in Marburg, einer Kleinstadt von 18 000 Einwohnern, 
besitzen die meisten der sehr zahlreichen neueren Wohnungen, auch 
der Mietswohnungen, Zimmer von 120—140 cbm Luftraum, wofür 
ich mein Wohnzimmer mit 4,3 : 7,3 : 3,4 = 120 cbm und das eines 
Kollegen von der hygienischen Abteilung mit 7,5:4,8:3,2 = 140 cbm 
als Beispiele auftühren könnte. 

Erweisen sich aber schon diese Annahmen Roepkes über 
die vorkommenden Wohn- und Schlafräume als vielfach nicht zu¬ 
treffend, so ist es an und für sich falsch, dieselben allein bei 
der Frage der Ausrüstung von Desinfektoren zugrunde zu legen. 
Eine last zehnjährige ärztliche Bekanntschaft mit den länd¬ 
lichen und kleinstädtischen Verhältnissen hat mir manches Bei¬ 
spiel dafür gebracht, dass die üblichen Wohn- und Schlafräume 
durchaus nicht die einzigen Objekte für die Desinfektionen bei an¬ 
steckenden Krankheiten sind. Entgegen der Roepk eschen Be¬ 
hauptung, dass solche Räume für die Wohnungsdesinfektion nicht 
in Frage kommen, erinnere ich mich aus der eigenen Praxis sowohl 
an die Desinfektion eines Tanzsaals, in welchem ein auf dem 
Durchmarsch erkrankter fremder Schäfer in einem kleinen Dorf an 
Typhus verpflegt worden war, als auch des grossen Büreauraums 
eines Bürgermeisters nach dessen Tode an Phthise. Der hiesige Des- 









724 Dr. Werner: Nochmals die Ausrüstung des ländlichen und kleinstädtischen 


infektor hat in den letzten Monaten zweimal ganze Wohnhäuser, 
Dienstwohnungen eines Plärrers und eines Oberförsters, auf dem 
Lande desinfizieren müssen und dabei mit zwei Breslauer Apparaten 
mehrere Tage Arbeit gehabt. Er ist ferner zur Desinfektion von 
Kasernenstuben bis zu 280 cbm herangezogen worden 1 Ich erinnere 
weiter besonders an die Notwendigkeit, Schulzimmer des¬ 
infizieren zu können, welche wohl immer über 120 cbm haben, 
sodann Massenquartiere von ländlichen und anderen Arbeitern (Zieg¬ 
lern, Gruben- und Bahnarbeitern) und ähnliche bei der Seuchen¬ 
bekämpfung besonders in Betracht kommende Bäume grösseren 
Kubikinhalts, welche überall vorhanden sind. Wie wichtig ist es 
zur Durchführung wirksamer Desinfektionsmassregeln, dass man, 
wenn die Einrichtungen zur Wohnungsdesinfektion einmal getroffen 
sind, auch derartigen, nicht gerade alltäglichen Aufgaben gegen¬ 
über nicht hilflos dasteht und, wie früher, auf die kostspielige 
und zeitraubende Beschaffung von Hilfsapparaten aus der nächsten 
grösseren Zentrale angewiesen ist! 

Aber solche, aus der praktischen Erfahrung sich notwendig 
machende Erwägungen nennt Boepke kurzerhand „graue Theorie“, 
und bei den von seinem Maschinenmeister und Desinfektor vor¬ 
genommenen Ausmessungen der Wohn- und Schlafräume ruft er 
mit Stolz aus: »Das ist Praxis! B 

In vielen Fällen würde es sogar, wie auch die Erfahrungen 
des hiesigen Kreisdesinfektors bestätigen, wünschenswert sein, 
dass der Apparat des ländlichen Desinfektors noch grössere Bäume 
versorgen könnte, als 150 cbm, z. B. wenn es sich um die gleich¬ 
zeitige Desinfektion zweier in Verbindung stehender grösserer 
Stuben handelte. Allein es hat sich, worauf von Flügge schon 
vor Jahren hingewiesen worden ist, als untunlich erwiesen, in 
einem Apparate grössere Flüssigkeitsmengen zu verdampfen, als 
sie hierzu in Betracht kommen. Die Verdampfung würde dann 
zu lange dauern und die Konzentration des Desinfektionsmittels 
erst spät erreicht werden, welche nach Ansicht aller Autoren 
— bis auf Engels und Boepke — zur Erreichung der beab¬ 
sichtigten Wirkung notwendig ist. Gerade weil Flügge, der Be¬ 
gründer der Wohnungsdesinfektion durch Formaldehyd, auf diesen 
Punkt einen besonderen Wert legt, hat er empfohlen, gegebenen¬ 
falls, d. h. wenn sie zur Verfügung stehen, schon von 100 cbm 
an gleichzeitig zwei mit den halben Mengen beschickte Breslauer 
Apparate in Tätigkeit zu setzen. Die Formaldehydwasserdämpfe 
werden dann eben um so schneller mit den Objekten in Berührung 
gebracht und die Desinfektionszeit am vollkommensten ausgenutzt. 
Es ist wenig glücklich, wenn Boepke diesen Punkt gegen den 
Breslauer und zu Gunsten seines Apparats anführt, bei welchen, 
wie meine Versuche (S. 787) beweisen, infolge des ungenügenden 
Brenners zunächst eine geraume Zeit unbenutzt vergeht, bis es 
überhaupt zur Dampfentwicklung kommt (bis s / 4 Stunde) und sodann 
bisweilen die in dem Apparat vorhandenen Formalinwassermengen 
während der ganzen Desinfektionsdauer nicht vollständig 
in Dampf verwandelt werden können, aber auch bei günstigem 



Desinfektors mit dem Breslauer oder dem Boepkeschen Formalinapparat 72b 


Funktionieren des Brenners erst kurz vor Schloss der Desinfektion 
verdampft sind. 

Gerade bei diesen nicht alltäglichen, aber gewiss nicht ganz 
selten vorkommenden Fällen besonderer Beanspruchung kommt 
aber die Ueberlegenheit des Breslaner Apparats gegenüber dem 
Boepkeschen besonders zur Geltang. Sei es non, dass einmal 
auch über 150 cbm grosse Räume, z. B. Schulzimmer desinfiziert 
werden sollen, oder dass es sich wegen ungünstiger Desinfektions¬ 
verhältnisse um die Lieferung höherer Formaldehydquantitäten in 
grossen Bäumen handelt, oder dass die im Seuchengesetz bei be¬ 
sonders ansteckenden Krankheiten vorgesehene Einleitung vier¬ 
facher Formaldehydmengen vor Betreten des Baums ausgeführt 
werden soll, immer wieder wird der Breslauer Apparat zu ge¬ 
brauchen sein, während der Boepkesche bald im Stiche lassen 
muss. Neben einem um die Hälfte geringeren Fassungsvermögen 
des Kessels benötigt dieser nämlich zur Verdampfung derselben 
Flüssigkeitsmenge der drei- bis vierfachen Zeit und vermag 
4—5 Liter kaum in 5 Stunden in Dampf zu verwandeln. 

Sind durch diese Tatsachen der Leistungsfähigkeit des Bo epke - 
sehen Apparats feste und nicht zu verschiebende Grenzen gezogen, 
welche durch die höheren Kolumnen der Boepkeschen Tabellen 
schon in bedenklicher Weise forziert werden, so gewährt das 
Fassungsvermögen des Breslauer Kessels (9 Vs Liter) sowohl, als 
das seines Spiritusbrenners — entgegen den Angaben Boepkes 
— die Möglichkeit, die Flüggeschen Tabellen, welche bis zu 
150 cbm (bei 5,0 F. pro cbm) reichen, nötigenfalls auch 
einmal zu überschreiten. Flüssigkeitsmengen bis zu 7V t —8 
Liter lassen sich in ihm gut verdampfen, da der Brenner sowohl 
bei den Breslauer Apparaten der Firma Boie, als z. B.bei einem 
älteren von Schwarzlose volle 2 Liter Spiritus fasst. Hier¬ 
durch kann man aber 180 cbm Baum mit je 5,0 Formal¬ 
dehyd und bis 160 cbm mit 10,0 Formaldehyd nebst 
dem nötigen Wasserdampf versehen! Allenfalls müsste 
dann entsprechend der länger danemden Verdampfung die Des¬ 
infektionsdauer um eine Stunde verlängert werden. — Durch die 
bedeutende Heizkraft des Breslauer Brenners ist es ferner möglich, 
nötigenfalls aus dem vor der Tür aufgestellten Apparat unter 
wiederholter Füllung auch wesentlich grössere Formaldehydmengen 
in verhältnismässig kurzer Zeit in den Baum zu werfen. 

Aus diesen Ausführungen geht unzweideutig hervor, dass der 
mit dem Breslauer Apparat versehene Desinfektor so ziemlich allen 
Eventualitäten gegenüber gerüstet ist und bei einer gewissen 
Gewandtheit oder mit Hilfe des eine aussergewöhnliche Desinfektion 
anordnenden und überwachenden Arztes oder Medizinalbeamten 
auch ausnahmsweise grossen Anforderungen gegenüber nicht ver¬ 
legen zu werden braucht, während der mit dem Boepkeschen 
aasgerüstete nur die Möglichkeit hat, die üblichen Wohn- und 
Schlafräume nach den Boepkeschen Tabellen, d. h. mit geringeren 
Formaldehydmengen, als sie die Breslauer Methode liefert, zu 
desinfizieren. 



726 Dr. Werner: Nochmals die Ausrüstung des ländlichen and kleinstädtischen 


Denn wie steht es mit den Formaldehydquantitäten, 
welche bei der Roepkeschen Methode zur Einwirkung’ 
kommen P Unter der Voraussetzung, dass das benutzte Formalin 
40prozentig ist und dass die Formalinwassermenge völlig ver¬ 
dampft wird — wobei auch der Roepkesche Kessel, wie mich 
schon mein erster Versuch lehrte, defekt zu werden pflegt, — 
kommt auf den Kubikmeter Raum etwa 4,8 Formaldebyd. Dabei 
ist nun die Desinfektionsdauer auf 5 Stunden herabgesetzt! Einer 
solchen Verringerung der Einwirkungszeit würde aber nach den 
Vorschriften des Seuchengesetzes eine Quantität von etwa 8,0 Formal¬ 
dehyd entsprechen; ich habe deshalb, da auch die beiden obigen 
Voraussetzungen in der Praxis niemals zutreffen, zur Erfüllung 
dieser Normen eine Erhöhung der Formaldehydmengeu über das 
Doppelte vorgeschlagen. Wenn Roepke dafür lieber auf die 
Verkürzung der Desinfektionsdauer verzichten und wieder anf 
7 Stunden übergehen will, so ist dagegen um so weniger zu sagen, 
als gerade durch den ungünstigen Verdampfungsmodus seines 
Apparats eine Verläng erung der Einwirkungszeit direkt 
geboten ist. Nur wird er dann wieder durch die langsame 
Verdampfung seines Ammoniakentwicklers mit der überhaupt 
zur Verfügung stehenden Zeit ins Gedränge kommen! 

Sehr anfechtbar aber ist Roepkes Berechnung, wonach unter 
Berücksichtigung der beim Ausmessen der Räume vorgesehenen 
Abrundungen nach oben tatsächlich auf 1 cbm ca. 6,0 Formal¬ 
dehyd kommen sollen! Diese Abrundungen nach oben sind durch¬ 
aus nicht erst von Roepke eingeführt, sondern schon längst 
üblich, auch in der Breslauer Instruktion vorgesehen, wurden aber 
bis jetzt allgemein als zur Deckung anderer Fehlerquellen not¬ 
wendig betrachtet, welche bei der Applikation bestimmter Formal¬ 
dehydquantitäten nicht zu vermeiden sind, und die auch eben¬ 
so bei der Roepkeschen Methode Vorkommen. Soistdas 
Formalin, wie es der mit Kleinbetrieb arbeitende Desinfektor in 
die Hand bekommt, niemals 40prozentig, sondern bei Bezug von 
Apothekern und Drogisten gewöhnlich nur 85 °/ 0 , was ja auch der 
Vorschrift des Arzneibuchs entspricht, häufig aber auch noch 
geringwertiger. Was die Verdampfung der ganzen Kesselfüllung 
anlangt, so haben meine, und die Engel eschen Versuche gezeigt, 
dass bei genauer Befolgung der Vorschriften in der Hälfte der¬ 
selben noch ein Flüssigkeitsrest zurückbleibt, sodass auch dadurch 
ein Verlust an Formaldehyd entsteht, der im Gegensatz zu 
den Breslauer Tabellen nicht vorgesehen ist, obgleich 
doch ein Trockenbrennen des Kessels, wie meine Versuche zeigen, 
absolut vermieden werden muss. Schliesslich nötigt auch die 
Rücksicht auf die bei Formaldehyd so leicht eintretende Polymer- 
sation, die Quantitäten nicht zu knapp zu bemessen, sodass das 
Abrundungsplus durch diese Fehlerquellen vollauf gedeckt 
erscheint. 

Massgebend erscheinen für diese Frage auch die Feststellungen 
meiner Versuche (S. 787), aus welchen hervorgeht, dass unter Be¬ 
nutzung derselben Chemikalien die Roepkesche Methode in dem 



Desinfektors mit dem Breslauer oder dem Boepkeschen Formalinapparat. 727 


grosseren Raum 3,82 und 4,15 Formaldehyd, in dem kleineren 
4,36 nnd 4,6 pro cbm (ohne Aufrundung!) lieferte, die grosseren 
Zahlen aber beide Male unter Defektwerden des Kessels, während 
die Breslauer ohne solche Unfälle 5,22 und 5,76 produzierte. 

Man kann also unter diesen Umständen dem Boepkeschen 
Apparat, welcher bei seiner tabellenmässigen maximalen Füllung 
für 120 cbm nur etwa 4,0 Formaldehyd pro cbm zu liefern vermag, 
im Sinne der Vorschriften des Seuchengesetzes auch bei einer 
Desinfektionsdauer von 7 Stunden tatsächlich nur 
eine Kapizität für etwa 110 cbm zubilligen, bei einer 
solchen von 5 Stunden aber nur eine weit geringere! 

Die Breslauer Tabellen geben eben nach dieser Seite eine 
weit grössere Garantie, da sie darauf eingerichtet sind, dass etwa 
600 ccm Flüssigkeit übrig bleiben dürfen, ohne dass eine Ver¬ 
ringerung der gewünschten Formaldehydkonzentration zu befürchten 
ist. Die höheren Zahlen unserer Versuche erklären sich 
dadurch, dass wohl unter dem Einfluss der Sommertemperatur die 
eingestellten Spiritusmengen die Verdampfung weiter gefördert 
hatten, so dass Reste von nur 280 und 350 ccm übrig blieben. 

Eine gewisse Unregelmässigkeit und Unbeständigkeit im 
Treffen dieses Zeitpunkts wird aber niemals zu vermeiden sein, 
so lange man die Verdampfung nur durch die Ver¬ 
änderung der Spiritusinenge im Brenner reguliert! 
Bei allen Apparaten und Brennern wird die Verdampfungsleistung 
des Spiritus beeinflusst werden durch die von dem Desinfektor 
kaum zu kontrollierende Konzentration desselben, durch die 
Temperatur, die Genauigkeit der Abmessung, durch die Formen 
und Dimensionen der Apparate, die Luftzuführung und anderes 
mehr, und insofern bei verschiedenen Apparaten, aber auch bei 
demselben Apparat zu verschiedenen Malen verschieden 
sein können! 

Dass diese Unregelmässigkeiten bei dem Breslauer Apparat 
unter vorschriftsgemässer Beschickung einen so hohen Grad er¬ 
reichen können, wie sie Roepke in drastischer Weise schildert, 
habe ich niemals beobachten können, auch ist in der Literatur 
ähnliches nicht bekannt geworden. Meine Nachprüfung der Roepke- 
schen Angaben hat nur ergeben, dass bei genau gleichen Bedingungen 
die Differenzen der verdampften Mengen selbst bei grossen Füllungen 
durchaus innerhalb des in den Breslauer Tabellen vorgesehenen 
Spielraums verliefen. Niemals konnte ich z. B. beobachten, dass 
bei gleicher Beschickung einmal nur ein Drittel dessen verdampfte, 
wie das andere Mal, es müsste sich denn um ganz minimale 
Flüssigkeitsmengen gehandelt haben. Ueber diese aber macht 
Roepke leider bei der Schilderung seiner Beobachtungen keine 
näheren Angaben! 

Jedenfalls aber sind, wie mir meine Versuche be¬ 
wiesen, diese Schwierigkeiten bei dem neuen Brenner 
Roepkes, der eine besondere „Errungenschaft“ dar¬ 
stellen soll, in keiner Weise beseitigt. Die Un¬ 
regelmässigkeit seiner Leistungen war eine noch viel grössere, 



728 Dr. Werner: Nochmals die Ausrüstung des ländlichen und kleinstädtischen 

als die des Breslauer Brenners, obgleich das von mir geprüfte 
Exemplar neu war, während diese Spiritusgasbrenner gewöhnlich 
erst nach einigem Gebrauch in ihren Leistungen nachzulassen 
pflegen. Es ist das ja auch kein Wunder, da bei diesen Brennern 
zu den oben geschilderten Fehlerquellen, die sie in gleicher Weine 
besitzen, die erhebliche eines Dochts hinzukommt. Näheres hier¬ 
über ist aus der Schilderung der Desinfektions versuche (S. 737) 
zu ersehen. 

Ueber die von Boepke behauptete „zweifellose* Feuer¬ 
gefährlichkeit des Breslauer Apparats kann ich mich kurz fassen. 
Wie ich schon gesagt habe, konnte ich bei vielen Dutzenden von 
Versuchen mit demselben nichts derartiges bemerken, obgleich ich 
mehrfach Gelegenheit hatte, das Verhalten des Brenners sowohl 
beim absichtlichen Auslöschen der Flamme, als beim Brennen unter 
dem trocken, hochgradig erhitzten Kessel zu beobachten. Mehrere 
Desinfektoren, die einige Hunderte von Desinfektionen mit dem 
Breslauer Apparat ausgeführt haben, konnten mir ebenfalls keine 
Beobachtungen von Feuergefährlichkeit berichten. Ja bei Tau¬ 
senden und Abertausenden von Desinfektionen, die 
überhaupt mit dem Breslauer Apparat in der Praxis 
ausgeführt worden sind, ist bis jetzt nach den Angaben von 
Reichenbach 1 ), wie auch Boepke zugeben musste, nicht ein 
einziger Unglücksfall nach dieser Seite vorgekommen! Dies 
ist wohl der schlagendste Beweis dafür, dass die Konstruktion 
des Apparats in Verbindung mit den zu seinem Gebrauch bestehen¬ 
den Instruktionen gegen diese Gefahr eine genügende Sicherheit 
bietet, und es ist durchaus nebensächlich, dass in der Literatur einige 
wenige Laboratoriumsversuche bekannt geworden sind, bei welchen 
eine grössere Entflammung, wie Reichenbach nachweist, durch 
Gebrauch von höher prozentigen Spiritus, zu grossen Spiritusmengen 
u. dgl. vorgekommen ist. Auch die von Boepke geschilderten 
Vorkommnisse der Art werden dadurch zu erklären sein, dass 
durch verschütteten Spiritus der Brenner erhitzt und dadurch eine 
Gasentwicklung in ihm erzeugt wurde, welche die starke Ent¬ 
flammung bedingte. Allein diese Möglichkeit kann mit Sicherheit 
dadurch vermieden werden, dass man nach dem Vorschlag von 
Flügge jedesmal etwas Wasser in den Mantel des Apparats 
giesst. Bei unvorsichtiger Behandlung, namentlich 
beim Einfüllen kann übrigens Aehnliches bei jedem 
Spiritusbrenner Vorkommen! 

Bei dieser Gelegenheit schildert Roepke die von Flügge 
für enge und feuergefährliche Bäume empfohlene Aufstellung des 
Apparats vor der Tür mit Einleitung der Dämpfe durch eine Oeff- 
nung derselben als besonders misslich „wegen der Formalin¬ 
belästigung der Hausbewohner, der ungleichmässigen Verteilung 
der Dämpfe im Zimmer und der ununterbrochen notwendigen Be¬ 
wachung des Apparats durch den Desinfektor*. Offenbar schweben 
ihm dabei Erfahrungen vor, die er mit seinem Apparat gemacht 

*) Zeitschrift für Hygiene and Infektionskrankheiten; 60. Band, 1905. 



Desinfektors mit dem Breslauer oder dem Boepkeschen Formalinapparat. 729 

hat, welcher wegen des Mangels von Abdichtungen an der Einfüll¬ 
öffnung und dem Ausströmungsrohr, sowie nach unseren Erfahrungen 
nach einmaligem Trockenbrennen massenhaft Formaldehyd¬ 
dämpfe nach aussen gelangen lässt; ferner wegen des geringen 
Dampfdrucks die Verteilung der Dämpfe im Baum kaum zu bewirken 
vermag, und schliesslich durch seine äusserst langsame, stunden¬ 
lang sich hinziehende Verdampfung die Geduld des ihn „bewachen¬ 
den“ Desinfektors allerdings auf eine harte Probe stellen wird! 
Die neueren, gut gearbeiteten Breslauer Apparate sind bei guter 
Instandhaltung vollkommen dicht und bleiben es auch, wie ich 
mich überzeugt habe, wenn sie einmal trocken brennen, was hin 
und wieder nicht zu vermeiden sein wird. Bei dem Boepkeschen 
Apparat zeigte sich dagegen schon nach dem ersten, mit vorschrifts- 
mässiger Füllung ausgeführten Desinfektions versuch die Verschrau¬ 
bung der Ausströmungsdüse abgeschmolzen, auch waren aus 
der gefalzten Verbindung des Deckels mit dem Kessel'überall ge¬ 
schmolzene Tröpfchen Lot herausgetreten. Die Beparatur wurde 
von dem Kupferschmied, einem geschickten Installateur, als be¬ 
sonders schwierig bezeichnet, da die Verlötung sich auf der un¬ 
zugänglichen Innenseite des Deckels befindet, und hat bis heute 
keine völlige Dichtigkeit der defekten Stelle erreichen lassen. 
Nach dieser bei der ersten Probe wenig vertrauenerweckenden 
Erfahrung mit dem neuen Kessel stellte ich zum Vergleich einen 
von der Firma Boie-Göttingen gelieferten Breslauer Apparat auf 
eine Probe seiner Haltbarkeit, indem ich ihn etwa 10 Minuten 
lang trocken über der vollen Flamme des Breslauer Brenners 
erhitzte. Es zeigten sich hierbei ebenfalls am Band einige Tröpf¬ 
chen Lot, ausserdem schmolz an dem fast glühenden Kessel nur 
der Bleidichtungsring an der Einfüllöffnung, welcher nachher sofort 
durch einen der von der Firma unentgeltlich gelieferten Beserve- 
Bleiringe ersetzt wurde. Der Kessel selbst blieb aber 
infolge der harten Lötung aller übrigen Teile voll¬ 
ständig dicht und war sofort wieder brauchbar. 

Als grösste Schwäche des Böpkeschen Apparats ist von mir 
der äusserst langsame Verdampfungsmodus bezeichnet worden, 
da hierdurch die verwendeten Formaldehydwasserquantitäten inner¬ 
halb der praktisch in Betracht kommenden Desinfektionsdauer gar 
nicht zur Entfaltung ihrer desinfektorischen Kraft gelangen. Ich 
befinde mich bei dieser Beurteilung in vollem Einklang mit der 
einzigen mir von anderer Seite in der Literatur bekannt gewordenen 
Besprechung des Boepkeschen Apparats von Beichenbach (l.c.). 
Es ist ja so klar, dass ein Desinfektionsmittel nur dann seine 
Wirkung auf ein Objekt ausüben kann, wenn es mit demselben 
in Berührung gebracht wird, nicht aber solange es sich noch ruhig 
in seinem Behälter befindet, und ferner nicht zu bestreiten, dass 
es einen um so grösseren Desinfektionseffekt hervorruft, in je 
grösserer Menge und je längerer Zeit es einzuwirken Gelegenheit 
hat. Aus diesem Grunde hat man es seither bei der Desinfektion 
eines Baumes für das Vorteilhafteste gehalten, die als notwendig 
erkannten Formaldehydwassermengen durch Verdampfen oder Ver- 



730 Dr. Werner: Nochmals die Ausrüstung des ländlichen und kleinstädtischen 


sprayen so rasch als möglich in ihrer ganzen Menge in demselben 
zn verteilen, so dass die zu desinfizierenden Oberflächen innerhalb 
der zur Verfügung stehenden Zeit solange als möglich mit dem 
sich auf sie niederschlagenden Desinfiziens in Berührung kämen! 

Nun behaupten auf einmal Engels und Roepke, die lang¬ 
same Verdampfung des neuen Apparats sei ein ganz besonderer 
Vorteil! Eine deutliche Illustration hierzu liefern meine Des¬ 
infektionsversuche bei 120 cbm (S. 737). Während nach Boepke 
die ersten Formalindämpfe sich a / 4 Stunden nach Beginn der fünf¬ 
stündigen Desinfektion entwickeln und die Verdampfung des 
Kesselinhalts in dem einen Fall glücklich Vs Stunde vor Ende, 
in dem anderen überhaupt noch nicht bei Schluss beendet ist, 
sendet der Breslauer Apparat schon nach */ 4 Stunde seinen Dampf- 
strahl in den Baum und hat nach 1 */, Stunden die nicht un¬ 
wesentlich grösseren Formaldehydmengen in demselben verteilt, 
so dass ihnen noch 5V* Stunden zur Einwirkung bleiben! 

Engels 1 ) motiviert seine Anschauung über diesen Punkt — 
übrigens in rein theoretischer Weise — mit folgenden Sätzen: 

Das möglichst langsame Verbrennen des Spiritus, wodurch Formalin¬ 
wasser and Ammoniak bis anf geringe Beste verdampft werden, sei eine wich¬ 
tige Errungenschaft für die Formalinverdampfung, „um womöglich in langsamer 
Folge, aber dauernd den gesamten Formaldehyd aus dem Kessel iu das 
Zimmer zu treiben“. „Die Flammen brannten demnach sowohl bei dem For¬ 
malin, wie bei dem Ammoniak geraume Zeit, so daß die größtmögliche Ver¬ 
dampfung der Flüssigkeiten erfolgen konnte. Der Spiritus verbrennt infolge 
der Vergasung langsamer, daher vorteilhafter für den Desinfektionserfolg. 
Sicher ist, daß bei den Flüggesehen und Schneiderschen Apparaten, bei 
denen wir offene Feuerung haben, der Spiritus schneller verbrennt. In dem 
neuen Spiritusbrenner Boepkes sehe ich einen großen Vorteil, weil einmal 
die Feuersgefahr geringer ist, sodann aber auch der Spiritus erheblich lang¬ 
samer verbrennt, daher das Formalinwasser vollständiger verdampfen kann, 
desgleichen der Ammoniak.“ 

Das verstehe, wer kann! Es mag ja Fälle geben, wo eine 
langsame Spiritusverbrennung Vorteile bietet, nnr scheint mir dies 
auf die Verdampfung von Formalinwasser zu Desinfektionszwecken 
nicht zu passen. Und dass dadurch eine vollständigere Ver¬ 
dampfung einer Flüssigkeit bewirkt wird, ist doch nicht gut 
einzusehen! 

Boepke ergänzt auf meinen Ein wand gegen diesen Passus 
der Engels sehen Ausführungen denselben „ unter Fernhaltung 
von jeder Theorie“ mit der Produktion eines „alten, chemisch¬ 
physikalischen Erfahrungssatzes“: „dass ein fortgesetzt frisch — 
quasi in statu nascendi — einwirkendes Desinfektionsmittel inten¬ 
sivere bakterizide Eigenschaften zu äussern pflegt, als ein fertiges 
Präparat, selbst in höheren Konzentrationen“. Die Anwendung 
dieses Satzes, der sich übrigens in dieser Form wohl kaum ganz 
aufrecht erhalten lässt, auf die vorliegenden Verhältnisse ist ganz 
unverständlich. 

Gegenüber derartigen theoretischen Begründungsversuchen 
ist mir allerdings das praktische Experiment lieber, auf welches 


*) S. Nr. 7 dieser Zeitschrift Jahrgang 1905. 



Desinfektors mit dem Breslauer oder dem Boepkeschen^Formallnapparat. 731 

auch Boepke hinweist, wenngleich ich gegen seine absolute 
Beweiskraft, wie ich schon früher ausführte, vielfach Bedenken 
nicht unterdrücken kann. So erscheint es mir nicht gerechtfertigt, 
wenn Engels die Leistungsfähigkeit des neuen Apparats nach 
fünf in demselben kleinen Baum angestellten Versuchen auf 
Grund der prozentualen Abtötungsergebnisse mit der¬ 
jenigen des Schneid er sehen und Fl ügg eschen vergleicht, 
deren Prüfung er an*einem anderen Ort, zu anderer Zeit, mit 
anderen Chemikalien, mit anderen Testobjekten, kurz, unter völlig 
anderen Versuchsbedingungen vorgenommen hat! 

Auch die von Huhs 1 ) ausgeführten Desinfektionsversuche, auf 
welche sich Boepke ausdrücklich bezüglich der Vorteile seines Ver¬ 
dampfungsverfahrens beruft, beweisen ohne nähere Angaben nicht 
viel, da bei ihnen grösstenteils nur Streptokokken- und Staphylo¬ 
kokken-Testobjekte benutzt sind, welche mit Ausnahme weniger, 
besonders resistenter Stämme schon bei einer geringen Desinfektions- 
Wirkung abgetötet werden, z. B. bei höherer Temperatur schon 
mit sehr niedrigen Formaldehydquantitäten! 

Schliesslich führt Boepke zu Ungunsten des Breslauer Appa¬ 
rats noch einen Punkt an, der, soviel ich weies, vollständig neu 
ist. Durch die grosse Heizkraft des Breslauer Brenners, deren 
unbestreitbare Vorteile sich bei den seitherigen Schilderungen 
schon wiederholt gezeigt haben, soll das Formaldehydwasser nach 
den neuesten Untersuchungen Boepkes gar nicht ausschliesslich 
verdampft, sondern „zum erheblichen Teil“ verspritzt werden, 
wodurch dasselbe iür die Desinfektionswirkung ausfalle und den von 
ihm getroffenen Gegenständen Schaden zufüge. Weder B eichen- 
bach, der in jüngster Zeit alle wesentlichen gegen das Breslauer 
Verfahren gerichteten Einwände besprochen hat, muss diese Tatsache 
gekannt haben, noch wussten mir erfahrene Desinfektoren etwas 
davon Zusagen, noch ist der Firma Boie, deren Apparate nach 
Boepke diese Untugend besonders zeigen sollen, jemals darüber 
eine Klage bekannt geworden! Da auch mir selbst bei meinen 
häufigen Beobachtungen des funktionierenden Apparats diese von 
Boepke so drastisch geschilderte Erscheinung vollständig ent¬ 
gangen war, so habe ich diese „SpritzWirkung“ unter Nachprüfung 
der Boepke sehen Schilderungen eingehend untersucht. 

Ich benutzte hierzu vier Breslauer Apparate und einen 
fünften nach denselben Maassen, aber mit weiterem Ausströmungs¬ 
rohr zu Versuchszwecken gearbeiteten Kessel. Zwei derselben 
stammten von der Firma Boie-Göttingen und besassen nach An¬ 
gabe derselben genau die gleichen Abmessungen und Formen, wie 
der seiner Zeit auf Bestellung des Medizinischen Warenhauses 
an Herrn Dr. Boepke gelieferte, welcher die Untugend des Ver- 
spritzens in besonders hohem Masse gezeigt haben soll. Der 
dritte, von ziemlich genau denselben Dimensionen, war vor etwa 
5 Jahren von der Firma Schwarzlose-Berlin bezogen, während 
der vierte, ein vielgebrauchter, älterer Apparat geringeren Inhalts 


l ) Ebenda, aiehe vorher. 



732 Dr. Werner: Nochmals die Ausrüstung des l&ndlichen und kleinstädtischen 


unbekannter Fabrikation war. (Die Breslauer Apparate sind — 
gegenüber den meisten anderen Formalin-Desinfektionsapparaten — 
nicht patentiert und können von jedem Klempner gefertigt werden, 
weshalb man sich über ihre Abmessungen und Formen in jedem 
Fall orientieren muss.) 

Bei Beobachtung der Boi eschen Apparate zeigte sich nach 
Füllung mit Wasser, dass sich neben der Ausströmungsöffnung, 
welche im tiefsten Punkt einer kugelförmigen Aushöhlung der 
Düsenspitze liegt, ein Tropfen Kondenswasser zu bilden pflegt. 
Dieser sinkt beim Grösserwerden nach unten, gerät in den Dampf¬ 
strahl und wird von diesem mitgerissen, worauf er in 
kleinen Tröpfchen mehrere Zentimeter entfernt auf 
die Oberfläche des Kessels niederfällt. Bei dem dritten 
Apparat war die Kante neben der gleich weiten Ausströmungs¬ 
öffnung schmäler und weniger ausgehöhlt. Sie wurde durch die 
Feile noch scharfkantiger gemacht, und es ergab sich, dass dann 
die geschilderte Verspritzung fast ganz wegfiel, während die 
Kondenswassertropfen aussen an dem Ausströmungs¬ 
ansatz heruntersickerten. Bei dem vierten Apparate, welcher, 
wie gesagt, viel benutzt und noch mit Formalinresten gefüllt in meine 
Hände kam, glaubte ich nun, bei dem ersten Versuch ähn¬ 
liche Verspritzungserscheinungen beobachten zu können, 
wie sie Boepke schildert. Es wurden zahlreichere und grössere 
Tröpfchen mit dem Dampfstrahl herausgeschleudert, so dass die¬ 
selben sogar in der nächsten Umgebung des Apparats auf dem 
Boden sichtbar wurden, was ich bei den anderen Apparaten nur 
ausnahmsweise beobachtet hatte. Auch durch das Hineingeben 
einer Hand voll Zinkstückchen wurde die Verdampfung nicht 
ruhiger. Als ich aber am anderen Tage, nachdem der Kessel 
durch das mühsame Herausholen der Zinkstückchen unter be¬ 
ständigem Wasserspülen gründlich gereinigt worden war, 
die Verspritzung genauer studieren wollte, war sie völlig ver¬ 
schwunden und die Verdampfung eine ganz glatte! Die Er¬ 
scheinung liess sich bei keinem Füllungsgrad wieder hervorrufen! 
Es war dadurch erwiesen, dass die Flüssigkeit nur infolge irgend¬ 
welcher Beimengungen aus dem schlecht gereinigten Kessel, 
welcher Verdampfungsrückstände und Paraformreste von längerer 
Zeit her enthielt, die Verspritzungserscheinungen gezeigt hatte. 

Um nun die praktische Bedeutung der von Boepke als 
sehr erheblich bezeichneten Verspritzungen festzustellen, füllte 
ich die Kessel mit 5 Liter, d. h. etwa dem maximalen Quantum, 
mit Methylenblau gefärbten Wassers und legte über dieselben ein 
grosses Stück Asbestpappe, so dass nur das Ausströmungsrohr 
durch eine in der Mitte befindliche Oeffnung hindurchragte. Auf 
diese kamen in derselben Anordnung grosse Bogen weissen Papiers, 
welche bei den verschiedenen Versuchen nach gleicher, d. h. etwa 
der Verdampfung von 1 Liter Flüssigkeit entsprechender Ein¬ 
wirkungsdauer gewechselt wurden. Auf diesen markierten 
sich dann in anschaulicher und den Vergleich ermög¬ 
lichender Weise die verspritzten Flüssigkeitströpf- 



Desinfektors mit dem Breslauer oder dem Boepkeschen Formalinapparat. 783 


eben: Bei den Boi eschen Apparaten gruppierten sich dieselben 
in höchstens 2—2 1 /, mm grossen Fleckchen gewöhnlich aof einer 
oder zwei Seiten des Ausströmungsrohrs, entsprechend dem sich 
an einer bestimmten Stelle bildenden Kondenswassertröpfchen, 
meist unter 10 cm entfernt, znm allergrössten Teil im Bereich 
der Kesseloberfläche und nur ausnahmsweise und ganz ver¬ 
einzelt über diese hinausgehend. Bei dem schmalkantig 
abgefeilten Ausströmungsrohr des Schwarzloseschen Apparats 
waren diese Spuren nur in ganz geringer Menge vorhanden, dafttr 
markierte sich ein grösserer Farbflecken direkt um das Rohr. 
Ebenso verschwanden sie fast vollständig, wenn man das Kondens- 
wassertröpfchen durch eine den oberen Rand des Ausströmungs¬ 
rohrs eben ttbergreifende Manschette aus Filtrierpapier absaugte. 
Schraubte man dagegen das Rohr ab, so dass die etwa den 
doppelten Durchmesser besitzende Oeffnung in der Wölbung des 
Deckels lag, so waren die Tropfen geringer an Zahl, aber wesent¬ 
lich grösser an Durchmesser. Sie wurden, wie man deutlich sah, 
direkt aus der wallenden Flüssigkeit herausgeschleudert. 

Nun wurden in den Dampfstrahl in verschiedener Höhe weisse 
Papierbogen je etwa 5 Minuten hineingehalten, um die mit diesem 
in die Höhe gerissenen Flüssigkeitströpfchen aufzufangen. Es 
zeigte sich bei allen Apparaten und Versuchsmodifikationen in 
ungefähr gleicher Weise, dass bei Vs m Höhe sich in etwa 
Handtellergrösse zahlreiche, kaum einzeln sichtbare, nadelstich¬ 
grosse Pünktchen markierten, während dieselben in 1 m Höhe 
verschwunden waren. 

Zur quantitativen Bestimmung der auf diese Weise ver¬ 
spritzten Flüssigkeit setzte ich sodann mittelst eines durchbohrten 
Gummistöpsels auf das Ausströmungsrohr einen trichterartigen Auf¬ 
satz, welcher, wie die Beobachtung zeigte, alle seitlich verspritzten 
Tröpfchen auffing, so dass ihre Quantität nach Sammlung der 
herabgesickerten Flüssigkeit durch ein Ableitungsröhrchen ge¬ 
messen werden konnte. Diese Feststellung wurde bei den ver¬ 
schiedenen Apparaten, sowie auch nach regelrechter Füllung 
mit Formalinwasser vorgenommen und ergab in ungefähr gleicher 
Weise auf etwa 2 Liter verdampfter Flüssigkeit 2 1 /*—3 ccm, 
d. h. für die maximale Füllung des Breslauer Appa¬ 
rats für 150 cbm (5250 ccm) etwa 8 ccm! Eine Messung 
der in dem unteren Teil des Dampfstrahls vorhandenen feinst 
versprühten Tröpfchen war begreiflicherweise nicht möglich. 

Schliesslich suchte ich mir ein Bild von der Ausdehnung der 
Vorspritzung bei einer richtigen Zimmerdesinfektion ohne 
irgendwelche Veränderungen des Apparats und seiner Füllung zu 
verschaffen, indem ich bei den beiden später näher zu schildernden 
Desinfektionsversuchen den Kessel spiegelblank putzen liess, so 
dass man jede Tröpfchenspur auf ihm sehen konnte, und den 
Apparat durch auf der Erde ausgebreitetes schwarzes Glanzpapier 
umgab, auf welchem sich ebenfalls Formalinwasser deutlich mar¬ 
kiert. Bei dem Boi eschen Kessel (Versuch 2) fand ich anf der 
Oberfläche dasselbe Bild, wie ich es anf den Papierbogen kennen 



784 Dr. Werner: Nochmals die Ausrüstung des ländlichen und kleinstädtischen 


i 


gelernt hatte, und auf dem Glanzpapier zeigten sich einzelne, in | 
einer Richtung etwas reichlichere Tröpfchenspuren, die aber 
einen Umkreis von Vs m Abstand vom Kessel nicht 
überschritten. Bei dem Schwarzlose’sehen Apparat (Ver¬ 
such 5) entsprachen die Spuren ebenfalls genau den früheren 
Feststellungen. Auf dem Glanzpapier fast nichts, auf dem Kessel 
vereinzelte Tröpfchen, aber von dem Ausströmungsrohr herunter¬ 
ziehend eine schmale Strasse angetrockneten Paraformaldebyds, 
die etwas verbreitert am Kesselrand endete. 

Nach der geschilderten Erfahrung mit dem nach sorgfältiger 
Reinigung nicht mehr spritzenden Kessel, war es mir wahrschein¬ 
lich, dass die von Roepke beobachteten Erscheinungen durch 
etwaige Beimengungen zu der Flüssigkeit sich erklären Hessen, 
zumal ich etwas Aehnliches nur dies einzige Mal zu beobachten 
Gelegenheit gefunden hatte. Ich hatte auch bei meinen Versuchen 
entschieden den Eindruck, als wenn sich dies bei Benutzung 
stärkerer Methylenblaulösung bestätigte, ganz abgesehen von der 
deutlichen Färbung der Tröpfchenspuren, namentlich wenn das 
Methylenblau noch nicht völlig in Lösung war. Gesichert wurde 
diese Anschauung aber, als ich eine geringe Menge Seifenlösung 
zu der gefärbten Füllung zusetzte. Es gelang dann sofort, 
das von Roepke so drastisch geschilderte Resultat 
hervorzurufen, dass alle in der Umgebung des Appa¬ 
rats befindlichen Gegenstände die Spuren des Me¬ 
thylenblaus davon trugen, was mir vorher auf keine 
Weise geglückt war. 

Aus diesen Versuchen, welche von mir in den verschie¬ 
densten Modifikationen wiederholt angestellt und auch Zeugen 
demonstriert wurden, geht klar und deutlich hervor, dass die 
Roepke sehe Behauptung, bei dem Breslauer Apparat handle es 
sich nicht um eine Verdampfung von Formaldehyd, nicht zu¬ 
treffend ist. Die allerdings vorkommende Verspritzung 
ist bei einem sauber gehaltenen und dem Zweck ent¬ 
sprechend mit reinem Formalinwasser gefüllten Bres¬ 
lauer Apparat so gering, dass sie praktisch gar keine 
Rolle spielt.. Sind schon die Quantitäten, die überhaupt ver¬ 
spritzt werden, minimal, so wird noch der allergrösste Teil der¬ 
selben auf dem heissen Kessel wieder verdampft, und auch die 
geringen Mengen der vom Dampfstrom versprühten Tröpfchen 
kommen der Desinfektion zugute, da die Versprayung des Forma- 
lins zu Desinfektionszwecken eine anerkannte und praktisch durch- 
ans bewährte Methode darstellt. Beschädigungen von Objekten 
aber, auf die Roepke mehrfach hinweist, sind durch Forma¬ 
linwasser so gut wie ausgeschlossen, da dasselbe auch 
empfindliche Gegenstände gar nicht angreift. Die Be¬ 
schädigungen bei Formaldehyddesinfektionen sind in den meisten 
Fällen durch das Ammoniak verursacht! 

Es soll hierbei nicht übergangen werden, dass der Roepke- 
sche Apparat, welcher bei einer etwa 3—4 mal schwächeren Heil¬ 
quelle und 4mal grösseren Ausströmungsöffnung den Dampf ohne 



Desinfektors mit dem Breslauer oder dem Boepkeschen Formalinapparat. 735 


jeden Druck abströmen läset, fast von Verspritzung frei ist. 
Immerhin habe ich aasgespritzte Tröpfchen auch bei ihm mehrmals 
gesehen! 

Es ist kühn, wenn Roepke kurzerhand die von Proskauer 
and Elsner 1 ) gefundene Beschädigung lackierter Gegenstände 
auf die „Spritzwirkung“ des Breslauer Apparats hinschiebt, wo 
die Autoren selbst hinzufügen, dass sich diese Er* 
scheinung nur bei schlechtem Lack gefunden habe 
und durch die Verbindung des Ammoniak mit dem an 
den Oberflächen haftenden Formaldehyd bedingt ge¬ 
wesen sei! Und ebenso verhält es sich mit der starken Durch¬ 
feuchtung der Kleidungsstücke und dergl., die Roepke wiederum 
rasch durch die „SpritzWirkung“ erklärt! Ein jeder mit dem 
Breslauer Apparat arbeitende Desinfektor wird aus seiner Er¬ 
fahrung bekunden, dass diese Erscheinung — wie bei allen 
mit Formaldehydwasserdampf arbeitenden Methoden 
— bei niedriger Temperatur vorkommt, während im Sommer alles 
trocken bleibt! 

Da mir durch das Entgegenkommen des Herrn Professor 
Bonhoff ein neuer Roepkescher Apparat zu Versuchszwecken 
zur Verfügung gestellt wurde, habe ich nun noch zur Illustration 
meiner „theoretischen“ Ausführungen einige praktische Des- 
infektionsversuche angestellt. Dieselben sollten erstens über 
die praktischen Eigenschaften der einzelnen Teile und der ganzen 
Vorschrift ein Urteil verschaffen, und zweitens einen Vergleich 
bezüglich der Leistungsfähigkeit mit dem Breslauer Verfahren 
ermöglichen. Zu diesem Zweck machte ich in einem grösseren 
Raum von rund 120 cbm und einem mittleren von 80 cbm hinter¬ 
einander unter genau gleichen Versuchsbedingungen 
je eine Desinfektion nach Roepke, eine nach dem Breslauer Ver¬ 
fahren und eine zweite nach Roepke. Da es sich um genau 
gleiche Raum- und Temperaturverhältnisse, um die gleiche Auf¬ 
stellung derselben Testobjekte und dieselben Chemikalien handelte, 
auch die Nachbehandlung der Testobjekte in gleicher Weise 
auf Nährböden derselben Provenienz erfolgte, so ist aus einer 
Vergleichung der Resultate ein Schluss auf die 
Leistungsfähigkeit beider Methoden wohl gestattet. 

Das Formalin wurde als vollwertig zu Desinfektionszwecken 
von der renommierten Chemikalienniederlage einer hiesigen Apotheke 
bezogen, erwies sich aber, wie dies nach unseren Unter¬ 
suchungen bei Handelsformalinen sehr häufig vor¬ 
kommt, bei der quantitativen Bestimmung nur als 35prozentig. 
Die Reste in den Kesseln wurden nach der Desinfektion jedesmal 
auf ihren Gehalt an Formaldehyd von mir titriert, um die tat¬ 
sächlich verdampften Quantitäten hieraus feststellen zu können. 
Auch der Spiritus wurde als 86prozentig mit dem Alkoholometer 
kontrolliert 

Als Testobjekte wählte ich neben Staphylokokken Milzbrand- 


‘) Festschrift zum 60 jährigen Geburtstage Bobert Kochs. 



786 Dr. Werner: Nochmals die Ausrüstung des ländlichen and kleinstädtischem 

sporen geringer Resistenz (von Dampf in 8*/t Minuten abgetötet), 
da ein derartiges Sporenmaterial für die Beurteilung der Des¬ 
infektionswirkung bei Versuchen sich viel besser eignet, als 
z. B. Staphylokokken- oder Streptokokkenobjekte. Nach den hie¬ 
sigen Erfahrungen muss bei genügender Desinfektionswirkung’ 
eine Abtötnng der Sporen in allen freier zugänglichen Aufstel¬ 
lungen erreicht werden, während dies bei den ungünstiger unter¬ 
gebrachten von dem Formaldehyd nicht verlangt werden kann. Da¬ 
durch markieren sich die Unterschiede in der DesinfektionsWirkung 
viel greifbarer, als bei Staphylokokken und dergl., die bei höheren 
Temperaturen auch in ungünstigen Aufstellungen schon durch ge¬ 
ringere Formaldehydwirkung sämtlich abgetötet werden. Das 
Bakterienmaterial wurde in wässeriger Aufschwemmung von Agar¬ 
kulturen an Seidenfäden und Leinenläppchen frisch an¬ 
getrocknet. 

Die Aufstellung in sterilen Glasschalen wurde so gewählt, 
dass immer 3 Objekte, frei zugänglich, günstige, 1 etwas ge¬ 
deckter, mittelmässige, und 3 an entfernten und geschützten 
Plätzen ungünstige Chancen für die Desinfektionswirkung boten. 

Bei der Nachbehandlung verwendete ich auf Grund früherer 
Feststellungen */,ständige Waschung der Objekte in lproz. 
sterilem Ammoniak zur Beseitigung des ihnen anhaftenden 
Formaldehyds. Sodann wurden sie auf Nährböden — Milzbrand 
auf Agar, Staphylokokken in Bouillon — gebracht, bei Bruttempe¬ 
ratur aufgestellt und die Resultate nach 15 Tagen registriert, da 
längere Zeit nicht zur Verfügung stand. 1 ) 

Bei den Versuchen selbst wurden die einzelnen Vorgänge 
durch eine in der Tür angebrachte, mit Glas verschlossene Beob¬ 
achtungsöffnung genau verfolgt und notiert. 

Aus der nebenstehenden Tabelle (S. 737) können alle 
Einzelheiten der 6 Versuche am kürzesten ersehen 
und, was das wichtigste ist, verglichen werden. 

Hauptsächlich ist zu beachten: Die Verschiedenheit der 
tabellenmässigen Füllungen für die gleichen Raumgrössen bei den 
beiden Methoden, die Verschiedenheit der Verdampfangsvorgänge 
bei denselben; die geringen Zeitverluste bis zum Beginn der Ver¬ 
dampfung bei den Breslauer Versuchen, die grossen bei den 
Roepkeschen trotz der kürzeren Desinfektionsdauer, die baldige 
Beendigung der Verdampfung bei den Breslauer, die späte bei den 
Roepk eschen Versuchen, und dadurch bedingt die lange Ein¬ 
wirkungsdauer der grösseren Formaldehydmengen bei den ersteren, 
die kurze der geringen Quantitäten bei den letzteren. Ferner 
die Ungleichmässigkeit der Verdampfungsvorgänge 
bei gleichen Füllungen nach Roepke. Bei Versuch 1. 
Leerbrennen des Kessels nach 4 1 /, Stunden, trockene Erhitzung 
durch 10 Minuten mit Defektwerden desselben, und bei Versuch 3 
nach 5 Stunden noch 575 ccm im Kessel und 140 ccm Spiritus im 
Brennerl In der zweiten Reihe: In Versuch 4: Trockenbrennen 


l ) Anm. bei der Korrektor: Das Resultat war auch nach 80 Tagen 
dasselbe geblieben. 



Desinfektors mit dem Breslauer oder dem Roepkeschen Formalinapparat. 737 









































































































788 Dr. Werner: Nochmals die Ausrüstung des ländlichen und kleinstädtischen 

des Kessels (trotz der am fast Vs geringeren Füllung wieder) 
nach 4’/j Standen, trockene Erhitzung durch 20 Minuten und wie¬ 
derum Defektwerden. Bei Versuch 6: Erlöschen des Brenners 
nach 4 Stunden 23 Minuten, im Kessel aber noch 260 ccm 
Fiftssigkeit! 

(Ich konnte diese Beispiele für die ungleichmäßigen Leistungen 
des neuen Brenners noch vermehren. Schon bei den ersten orientierenden Ver- 
d&mpfungsrersnchen mit Wasser zeigten sie sich in der deutlichsten Weise: 
Das eine Mal waren in dem mit 4200 ccm Wasser und 1250 ccm Spiritus be¬ 
schickten Apparat nach 5 Stunden noch 800 ccm nnverdampft, der Brenner 
hatte kleine, leuchtende Flammen, ließ sich am anderen Tag erst wieder an¬ 
zünden, nachdem der halbverkohlte Docht erneuert war, das andere Mal war 
bei derselben Füllung nach 4'/» Stunden der Brenner erloschen, im Kessel 
noch 125 ccm!) 

Ferner ist in der Versuchstabelle zu beachten: Die Zeit- 
Verschwendung bei der Ammoniakentwickelung durch den Roepke- 
schen Brenner, das zweimalige Aufschmelzen des Roepkeschen 
Kessels, die aus dem gleichen Ausgangsmaterial gelieferten Formal- 
debydmengen pro Kubikmeter, und schliesslich die Desinfek¬ 
tionsresultate, in welchen das Fazit aller dieser 
Einzelbeobachtungen gezogen wird: 

Bei beiden Methoden ist in gleichem Masse bemerkbar, dass 
die Desinfektionswirkung in dem grösseren Raum geringer ist, 
als in dem kleineren. In dem ersteren erzielte die Breslauer 
Methode Abtötung der am günstigsten aufgestellten 8 Milzbrand- 
und aller Staphylokokkenobjekte, die Roepkesche beide Male 
keine Abtötung von Milzbrand, und nur solche von 6 unter 
7 Staphylokokken! In dem zweiten Raume bewirkte die Breslauer 
Methode Abtötung von 6 unter 7 Milzbrand (der eine wuchs noch 
am 12. Tage), sowie von allen Staphylokokken, die Roepkesche 
dagegen einmal von 3, das andere Mal nur von 2 Milzbrand, und 
einmal von sämtlichen, das andere Mal nur von 5 Staphylo¬ 
kokken. 

Die nach den Vorschriften des Seuchengesetzes 
auf 7 Stunden modifizierte Breslauer Methode hat 
sich demnach in beiden Versuchsreihen der Roepke- 
schen entschieden überlegen erwiesen. Es unterliegt nach 
dem Vorhergesagten wohl keinem Zweifel, dass diese Ueberlegen- 
heit auf die mit grösseren Formaldehydquantitäten und längerer 
Einwirkungsdauer arbeitende Methode, sowie auf den einen 
günstigeren Verdampfungsmodus bedingenden Breslauer Brenner 
zurückzuführen ist. Erst die praktische Berücksichtigung dieser 
beiden Pankte wird den Roepk eschen Apparat in der Des¬ 
infektionswirkung dem Breslauer gleichwertig machen, und 
erst dann für den Reflektanten noch die Frage zu entscheiden 
sein, ob er der grösseren Kapazität und vielseitigeren Verwend¬ 
barkeit des Breslauer oder der etwas leichteren Transportabilität 
des Roepkeschen Apparats für seine Zwecke den Vorzug 
geben will! 

Sollte sich Roepke noch entschliessen, diesen auch schon 
in meinem vorigen Aufsatz klar und deutlich zum Ausdruck 
gekommenen Anregungen durch Aenderung seiner Tabellen 



Desinfektors mit dem Breslauer oder dem Boepkeschen Formalinapparat. 739 

und Einführung eines geeigneten Brenners stattzngeben, 
so wird er sich nm die Brauchbarkeit seines Apparats ein eben 
solches Verdienst erwerben, als durch die jetzt von ihm publizierte 
Einrichtung, das sonst viel zu schwere Instrumentarium auf dem 
Bücken zu transportieren, welche er, als ich sie ihm vorschlug, 
vor einigen Monaten noch als durchaus unzweckmässig zurückwies. 
Andernfalls werden ihm ungünstige Erfahrungen nicht erspart 
bleiben, welche seinerzeit auch die Fabrik des Schneiderschen 
Bapid-Desinfektors veranlasst haben, von demselben Spiritusgas¬ 
brenner abzugehen und einen solchen nach Breslauer Muster ein¬ 
zuführen ! 

Auf die neuen Veränderungen des Boepkeschen In¬ 
strumentariums, welche wohl sämtlich Verbesserungen und 
Vervollständigungen darstellen, will ich nicht näher eingehen. 
Nur ist es mir nicht klar, wie durch die Hinzufügung der ver¬ 
schiedensten Dinge, darunter einer grossen Scheuerbürste, sowie 
einer Flasche mit Seifenkresol, und ohne dass anderes hinweg¬ 
gelassen werden konnte, eine Vermehrung des von mir fest¬ 
gestellten Gewichts nicht eingetreten sein soll! An der Tat¬ 
sache, dass das Instrumentarium nur das Allernot¬ 
wendigste für den Desinfektor enthält, können auch 
diese Vervollständigungen nicht viel ändern! Ich habe 
mich bis jetzt nicht davon überzeugen können, dass sich die zahl¬ 
reichen, gerade für den ländlichen Desinfektor bei der Primitivität 
seines Arbeitsfeldes notwendigen Utensilien zur Wohnungsdesin¬ 
fektion auf so kleinen Baum unterbringen und in ihrem Gewicht 
so einschränken lassen, ohne dass dadurch ihre Zahl zum Schaden 
der Leistungsfähigkeit zu sehr vermindert, oder ihre Brauch¬ 
barkeit nach Grösse und Form zu sehr herabgesetzt wird. Bei¬ 
spielsweise will ich hierzu nur anführen, dass nach Boepkes 
eigener Angabe der zum Abdichten notwendige Kleister in dem 
Deckel der in seinem Instrumentarium befindlichen Stärkebüchse 
angerührt werden soll. Dieser Deckel aber hat einen 
Durchmesser von 6 cm und einen Band von 1 cm Höhe! 

Von der wohl allgemein anerkannten Forderung, dass jeder 
Desinfektor mit einem vollständigen Schutzanzug ausge¬ 
rüstet sein muss, kann ich ferner nicht abgehen! Es ist zweifellos 
weit sicherer, den Körper und die Kleidung vor der Verunreini¬ 
gung mit infektiösen Substanzen zu schützen, als letztere nachher 
durch die von Boepke geschilderte Desinfektion, über deren 
Tragweite und Durchführung wir uns doch keine 
Illusionen machen dürfen, wieder unschädlich zu machen. 
Klagen jetzt schon manche Desinfektoren, dass sich das Publikum 
von ihnen zurückziehe, so wird dies bei Durchführung des Boepke¬ 
schen Standpunkts noch mehr der Fall sein, — und mit Becht! 

Ueber die Frage, wie weit man den Begriff der Trans- 
portabilität fassen soll, will ich mit Boepke nicht streiten! 
Seine Ausführungen, dass sich gerade sein Instrumentarium 
dazu eigne, auf der Post, Bahn und dergl. mitbefördert zu werden, 
stimmen durchaus mit dem überein, was ich am Schlüsse meines 



740 Dr. Werner: Die Ausrüstung d. ländlichen u. kleinstädtischen Desinfektor». 

vorigen Aufsatzes ansgesprochen habe. Dagegen scheint mir 
Boepke jedoch das Vorkommen „so ganz verlassener Gegenden 
des platten Landes, die durch keine Strassen-, Voll- oder Sekun- 
därbahn, keine Personenposten dem täglichen nnd bequemen (!) 
Verkehr erschlossen sind“ wesentlich zu nnterschätzen, und der 
Desinfektor, der einerseits znr Einhaltung ganz bestimmter, oft 
quälend lange werdender Desinfektionszeiten verpflichtet, ander¬ 
seits aber auf das Abwarten von Gelegenheitsfuhrwerk und seltener 
Postverbindungen an den Strassen angewiesen sein soll, scheint 
mir keine sonderlich tröstliche Erscheinung in der Entwicklung 
des ländlichen Desinfektionswesens zu Bein! 

Uebrigens ist die Transportabilität des Breslaner 
Instrumentariums auch nicht ganz so schlecht, wie sie Boepke 
hinstellen möchte, da sich Alles in den beiden grossen Gefässen 
unterbringen lässt. Auch die Anschaffung eines zweirädrigen 
Karrens ist wesentlich billiger, als Boepke angibt (der hiesige 
kostet 45 Mark), und sein Transport nicht mit besonderen Schwierig¬ 
keiten verknüpft! 

Ich will es am Schlüsse meiner Ausführungen der objektiven 
Beurteilung des Lesers gern überlassen, ob der neue Apparat, 
wie Boepke sehr selbstbewusst sagt „zum allermindesten 
ein gleichwertiger und wegen seiner ungemein leich¬ 
teren Transportfähigkeit ein notwendiger Ersatz des 
Breslauer Apparats“ ist, oder ob er, was meiner Ansicht ent¬ 
spricht, nur eine unter der Voraussetzung gewisser Ab¬ 
änderungen für bestimmte Zwecke brauchbare Er¬ 
gänzung desselben bildet, die aber als alleinige Aus¬ 
rüstung eines Desinfektors nicht genügt! 

Und wenn Dütschke, worauf sich Boepke am Schlüsse 
seines Aufsatzes bezieht, auf der Medizinalbeamten-Versammlung 
in Hannover anssprach, es sei eine dankbare Aufgabe, sich an der 
Lösung der Frage zu beteiligen, wie ein transportabler Des¬ 
infektionsapparat zu konstruieren sei, so hatte er in demselben 
Satze vorausgeschickt, dass nach seiner Ansicht eine Lösung 
dieses Problems bis jetzt — trotz des vorliegenden 
Boepkeschen Apparats — nicht gelungen sei! Auch ihm 
erschien es zweifelhaft, ob derselbe wegen seines Gewichts für 
die Desinfektoren auf dem Lande eine Verbesserung hinsichtlich 
des leichteren Transports bringen würde. Als Aushilfsmittel 
empfahl er, zur Vermeidung des Transports womöglich 
eine grosse Zahl von Formalinapparaten an den ver¬ 
schiedensten Orten anzuschaffen! 

Dieser Vorschlag ist sicher leichter durchführbar, als er auf 
den ersten Augenblick scheint! Bei dem Kleinbetrieb der 
Formaldehyddesinfektion spielen die Kosten der Anschaffung 
eine verschwindend geringe Bolle gegenüber denen 
des Materialverbrauchs und besonders des Transports; 
sie würden sich bei einer Verringerung der letzteren 
bald bezahlt machen! Handelt es sich aber dann um die 
Beschaffung einer geeigneten Ausrüstung, so wird das Boepkesche 



Dr. Boepke: Erwiderung auf vorstehenden Artikel Werners nsw. 741 

Instrumentarium allein ebenso wenig in Betracht kommen, als 
für den Berufsphotographen zu seinen Atelieraufnahmen der 
Kodak des Touristen, oder für den Elektrotherapeuten zum Sprech¬ 
stundengebrauch der Taschen-Induktionsapparat des ländlichen 
Praktikers! 


Erwiderung auf vorstehenden Artikel Werners: „Nochmals 

die Ausrüstung usw.“ 

Von Chefarzt Dr. 0. Roepke in Melsungen. 

,, Der Not gehorchend, nicht dem eigenen Triebe, sehe ich 
mich .gezwungen, auf die vorstehenden Ausführungen Werners 
zu erwidern. Ich werde mich hierbei auf die wichtigsten 
Punkte beschränken, weil ich weder Lust noch Zeit habe, einen 
Federkrieg über eine Frage zu führen, deren endgültige Ent¬ 
scheidung in der Praxis fallen muss und wird. 

Ob die von Werner auf 120 bis über 200 cbm berechneten 
Zimmergrössen für unsere heutigen Wohnungsverhältnisse zu¬ 
treffender sind als der von mir herausgerechnete Kubikinhalt, der 
für die einzelnen Wohn- und Schlafzimmer in der Regel ganz 
erheblich unter 120 cbm bleibt, das zu entscheiden kann ich 
getrost dem Praktiker überlassen. Ich glaube, dass jeder, der 
nicht gerade hessische Bauernhäuser aus dem 18. Jahrhundert 
und zu Wohnzwecken eingerichtete Institutsräume als die Typen 
neuzeitlicher menschlicher Behausungen ansieht, die Werne rachen 
Zahlen als ungemein seltene Ausnahmen ansprechen wird, welche 
die Regel, die von mir angegebenen Zimmergrössen, bestätigen. 

Dass Schulzimmer, Massenquartiere und ähnliche Räume 
über 120 cbm fassen und daher mit einem meiner Apparate nicht 
zu desinfizieren sind, ist mir wohl bekannt. Können denn aber 
solche Räume mit einem Breslauer Apparat desinfiziert werden? 
Schulzimmer messen in der Regel 9XMX3,5 m = 204,75 cbm! 
Selbst wenn wir nnn, dem Vorschläge Werners folgend, päpst¬ 
licher sein wollten als der Papst und den Breslauer Apparat, ob¬ 
wohl er nach der ihm beigegebenen Gebrauchsanweisung aller- 
höchstens für 150 cbm anzuwenden ist, zur Desinfektion von 
180 cbm als ausreichend ansehen wollten, selbst dann genügt er 
in einem Exemplar nicht für die „Notwendigkeit, Schulzimmer zu 
desinfizieren/ Also den „nicht gerade alltäglichen Aufgaben 
gegenüber“ wird der Desinfektor mit einem Breslauer Apparat 
ganz ebenso hilflos gegenüberstehen, wie mit einem meiner 
Apparate; er braucht hier unter allen Umständen zwei Apparate; 
dann ist es aber gleichgiltig, ob er zwei Breslauer oder zwei 
Roepkesche Apparate benutzt. 

Dabei hebt Werner selbst hervor, dass es sich als „un¬ 
tunlich“ erwiesen hat, in einem Apparat grössere Flüssigkeits¬ 
mengen, als für 150 cbm in betracht kommen, zu verdampfen. 
(Wie Werner übrigens dieses Zugeständnis mit seiner wieder¬ 
holten, Empfehlung, den Breslauer Apparat auch für 180 cbm an¬ 
zuwenden, in Uebereinstimmung bringt, ist mir absolut unverständ- 



742 Dr. Roepke: Erwiderung auf vorstehenden Artikel Werners: 

lieh!) Weiter erkennt Werner das Flügge sehe Postulat an, 
dass „schon von 100 cbm an gleichzeitig zwei mit den halben 
Mengen beschickte Breslauer Aparate in Tätigkeit zu setzen sind." 
Ist das aber richtig, so kann die Schlussfolgerung doch nur die 
sein, dass es, ganz abgesehen von der Art der Apparate, eher ein 
Vorteil als ein Nachteil ist, wenn man sich iür die alltäglich 
vorkommenden Zwecke eines etwas kleineren Apparates bedient, 
und wenn man ferner für die nicht alltäglichen Desinfektionen 
mit zwei oder mehreren etwas kleineren Apparaten arbeitet. 

Nach allem komme ich hinsichtlich dieses Punktes der 
Werner sehen Ausführungen zu dem Schluss, zu dem auch Werner 
logischerweise kommen müsste: es empfiehlt sich für die 
alltäglichen Desinfektionen ein auf 120 cbm berech¬ 
neter Apparat mehr als ein auf 150 cbm berechneter, 
während für die nicht alltäglichen Fälle 2, 3 oder 
mehr Apparate ä 120 cbm den Vorzug verdienen vor 
2, 3 oder mehr Apparaten ä 150 cbm. 

Die Einwirkungsdauer der entwickelten Formaldebyd- 
dämpfe ist bei meinem Apparat, wie es Werner auch bekannt 
ist, auf 7 Stunden heraufgesetzt, um den mir früher unbekannt 
gewesenen Vorschriften des Seuchengesetzes zu entsprechen. Es 
erübrigt sich also, darauf nochmals einzugehen. 

Das an sich begreifliche Bestreben, den ganzen Desinfek¬ 
tionsakt zeitlich einzuschränken, darf nicht zu einer unzureichen¬ 
den Handhabung des zweiten Teiles der Wohnungsdesinfektion, 
der Ammoniakentwicklung, führen. Eine allzu grosse Beschleu¬ 
nigung der letzteren kann nur auf Kosten ihrer Gründlich¬ 
keit zustande kommen; leidet diese aber, so werden die Formal¬ 
dehyddämpfe in den desinfizierten Räumen nur ungenügend para¬ 
lysiert, und ein vermehrter Widerstand gegen die überhaupt noch 
nicht beliebte Wohnungsdesinfektion gerade in denjenigen Kreisen, 
in denen die Desinfektion ebenso nötig zu sein pflegt, wie das 
schnelle Beziehen der Wohnung nach der Desinfektion, ist die 
unausbleibliche Folge. Darum stehe ich auf dem aus rein prak¬ 
tischen Erwägungen heraus gewiss gerechtfertigten Standpunkt: 

1. nicht mehr Formaldehyd zu verdampfen als unbedingt nötig; 

2. die Entwicklung der Ammoniakdämpfe so reichlich und gründ¬ 
lich zu besorgen, dass die Wohnung, Matratzen, Decken u. dergL 
auch gleich nach Schluss der Desinfektion wieder benutzbar sind. 
Nun ist es ein grosser Irrtum von Werner, anzunehmen, dass z. B. 
die Verdampfung von 1500 ccm Ammoniak in */« Stunde erfolgen 
kann. In dem Wern ersehen zweiten Versuch war allerdings 
mit dem Breslauer Instrumentarium die Ammoniakentwicklung 
nach 30 Minuten beendigt, dafür waren aber auch von den 
1500 ccm eingefüllten Ammoniaks nicht weniger als 
1050 ccm, also mehr als */ 8 , imKesselzurück geblieben! 
Der Desinfektor, der in einen derartig unzureichend mit Ammoniak¬ 
dämpfen behandelten Raum eintreten soll, um die Fenster zu 
öffnen usw., kann mir leid tun, nicht weniger die Wohnungsinsassen, 
die den Raum wieder benutzen sollen. Um den in 1500 ccm 



Nochmals die Ausrüstung usw. 


743 


Flüssigkeit enthaltenen Ammoniak in den desinfizierten Raum zn 
bringen, müssen mindestens */s der Ammoniakflüssigkeit verdampft 
werden; dazu bedarf es aber auch bei Benutzung eines offenen 
Brenners einer erheblich grösseren Menge von Spiritus und Zeit 
als in dem II. Versuch Werners. 

Was die Verdampfungsfähigkeit der von mir be¬ 
nutzten drei Breslauer Apparate betrifft, so beschränke 
ich mich darauf, in der folgenden tabellarischen Uebersicht die¬ 
jenigen Rückstände anzugeben, die bei drei unter den gleichen 
Bedingungen durchgeführten Versuchsreihen im Kessel zurück¬ 
geblieben waren und mir Veranlassung zu einem Urteil über die 
Unbeständigkeit und Unregelmässigkeit der Verdampfung gaben: 

Raumgröße: Flüssigkeitsmenge: Spiritus: Rückstände: 

i. ii. in. 


30 cbm 

1500 ccm 

800 ccm 

510 

ccm 

950 ccm 

290 ccm 

60 „ 

2500 „ 

600 „ 

550 


1140 „ 

0 ,, 

90 „ 

3500 „ 

900 ji 

a) 0 

b) 700 

* 

n 

1200 „ 
1300 || 

650 „ 
720 , 

120 , 

4500 „ 

1150 „ 

a) 1550 

b) 20 

v 

yt 

1550 n 
1370 „ 

? n ) ■ 

150 „ 

5250 „ 

1400 , 

360 

» 

1650 || 

900 „ 


Die Zahlen dürften wohl zu der gewünschten Orientierung 
Werners genügen. 

Das von mir beobachtete Inflammenstehen des ganzen 
Breslauer Apparates erklärt Werner ebenso einfach wie bestimmt 
durch verschütteten Spiritus; nur schade, dass diese Erklärung 
ganz willkürlich und falsch ist. Da ich in jedem Fall die Apparate 
selbst bedient habe, kann ich mit absoluter Bestimmtheit ver¬ 
sichern, dass auch nicht ein Tropfen Spiritus beim Füllen des 
Brenners verschüttet worden ist. Es wird also wohl bei meiner 
Deutung der Entflammung bleiben müssen. 

Auch die Wern ersehen Erklärungsversuche der von mir 
an den Breslauer Apparaten beobachteten Spritz Wirkung sind 
nicht zutreffend, weil 1. die ganz neuen Apparate nach der ersten 
Benutzung die stattgehabte Verspritzung des Formalinwassers 
auf dem Deckel erkennen Hessen; 2. das zur Färbung benutzte 
Methylenblau einer reinen filtrierten Stammlösung entstammte 
und mit reinem Wasser gemischt körperliche Bestandteile nicht 
enthielt; 3. die Apparate auch nach gründlicher Reinigung reines 
Formalinwasser weiter verspritzten. Ich habe mir die eine 
wahrhafte Geduldsprobe darstellende Mühe gemacht, die in den 
Breslauer Kesseln durch die Benutzung losgelöteten und zusammen¬ 
geflossenen Zinnlötstückchen und -kügelchen immer wieder heraus¬ 
zubringen — um mich von ihrer Art und Herkunft zu über¬ 
zeugen —; bei diesen Manipulationen sind die Kessel so gründUch 
gereinigt und mit Wasser nachgespült, wie es zu tun der Des¬ 
infektor kaum Zeit finden wird, trotzdem spritzten die Apparate 
weiter; ich habe zum Schluss meinen Maschinenmeister die Kessel 
ebenso reinigen, ihre Deckel blank putzen lassen und reines For- 


*) Apparat steht in Flammen; Versuch gilt nicht. 



744 Dr. Roepke: Erwiderung auf vorstehenden Artikel Werners: 

malinwasser eingerollt nnd verdampft, die Deckel waren: naek dar 
Benutzung wieder stark bespritzt bezw. mit verbrannten Paraformal- 
dehydresten bedeckt. Und ich verstehe wirklich den Wert von — 
m. E. ganz ungenauen — Messungen und Wägungen nicht, wo Auge 
und Ohr dem Zuschauer Ober die Ursache und Grösse der 
Spritzwirkung keinen Zweifel lassen können, wo es dank der 
kolossalen Heizflamme „so wallet und siedet und brauset und zischt* 
wie in und auf dem Formalinkessel des Breslauer Apparates. 
Werner rechnet ferner damit, dass die auf den heissen Deckel 
des Apparates niederfallenden Tropfen der Formalinflüssigkeit 
doch wieder verdampft werden; was geschieht aber mit der im 
grossen Umkreis auf den Fussboden verspritzten Quantität 
Formalinwassers ? 

Dass die starke Durchfeuchtung der Kleidungs¬ 
stücke nur „bei niedriger Temperatur vorkommt, während im 
Sommer alles trocken bleibt*, bestreite ich ganz entschieden. Die 
Aussentemperatur wird selbstverständlich einen Einfluss darauf 
ausüben, ob die entwickelten Dämpfe sich schneller oder langsamer, 
stärker oder geringer kondensieren. Wichtiger aber ist der Ag¬ 
gregatzustand, in welchem das Formalinwasser aus 
dem Kessel heraus in den Baum gelangt, ob es in 
trockener Dampfform oder in einer mit mehr oder weniger zahl¬ 
reichen Tröpfchen und Tropfen gesättigten Form geschieht. Bei 
der ausschliesslich trockenen Verdampfung durch meinen Apparat 
wird selbst bei niedriger Temperatur eine starke Durchfeuchtung 
der Gegenstände im Zimmer nicht stattfinden, während sie bei 
der kombinierten Dampf- und Sprayarbeit des Breslauer Apparates 
auch zu wärmerer Jahreszeit unausbleiblich ist. Um das einzu¬ 
sehen, braucht man nicht ein mit dem Breslauer Apparat arbeiten¬ 
der Desinfektor zu sein. 

Doch genug davon! Wenden wir uns zu den praktischen 
Desinfektionsversuchen Werners mit meinem Apparat 
Werner hat bei diesen Versuchen zunächst das Defektwerden 
des Formalinkessels, bestehend in Abschmelzung der Ausströmungs¬ 
düse und der Lötung des Deckels beobachtet. Wie erklärt sich das? 
Am 5. April d. J. erhielt ich vom hygienischen Institut in Mar¬ 
burg ein Schreiben mit der Bitte, meinen Apparat dem Institut 
zu Demonstrationszwecken für den Desinfektorenkurs zur 
Verfügung zu stellen und zwar möglichst umgehend, da der 
Kurs an einem der nächsten Tage beginne. Ich wies darauf das 
Medizinische Warenhaus in Berlin telegraphisch an, sofort einen : 
kompletten Apparat der Marburger Desinfektorenschule zu Demon¬ 
strationszwecken per Eilgut zu übersenden. Dies sollte so eilig 
deshalb geschehen, weil in dem betreffenden Kurs ein Desinfektor 
für den hiesigen Kreis ausgebildet wurde, und für diesen auf 
Vorschlag des Kreisarztes die Anschaffung meines Apparates vom 
Kreisausschuss beschlossen war. Da im Medizinischen Warenhaus 
ein Apparat nicht vorrätig war, wurde ein solcher auf Grund 
meines Telegrammes noch in den Abendstunden des 5. April in 
grösster Eile hergestellt und am 6. April früh per Eilgut expediert. 



Nochmals die Ausrüstung nsw. 


T45 


Es war also keine Zeit, die nötige Sorgfalt bei der Fertigstelluhg 
zu verwenden, und das Medizinische Warenhaus glaubte auf Grund 
meiner telegraphischen Angabe „za DemonBtrationszwecken* sich 
die Freiheit nehmen zu dürfen, den Apparat ganz flüchtig zu» 
sammenzabaaen, um ihn nur, was im vorliegenden Falle als die 
Hauptsache erschien, noch rechtzeitig in Marburg zu wissen. 
Dieser Apparat ist dann im August d. J. von dem Marburger 
hygienischen Institute käuflich erworben und von Werner zu 
seinen Versuchen benutzt worden. Ich will nicht das Versehen 
des Medizinischen Warenhauses beschönigen, dass es den Apparat 
hat in den Besitz des Institutes übergehen lassen; aber anderseits 
wird es bei dieser Sachlage nicht auf fallen, dass ein solcher 
lediglich zu Demonstrationszwecken in grösstem Eile 
und deshalb ohne Sorgfalt zusammengebauter Apparat 
den Anforderungen der Praxis nicht standhält. Das 
Gleiche gilt natürlich für den zugehörigen Brenner, nur noch 
in erhöhtem Masse, weil schon geringe Unachtsamkeiten bei der 1 
Zusammenstellung genügen, um ihn nicht sicher und dauernd 
funktionstüchtig zu machen; jede nicht exakte Arbeit hierbei 
wird das tadellose Funktionieren des Brenners und damit den 
ganzen Desinfektionsakt in Frage stellen. Deshalb soll auch jeder 
Brenner, bevor er aus der Werkstätte herauskommt, geprüft 
werden; ist er sorgfältig zusammengestellt und funktioniert er 
bei der Prüfung gut, so bleibt er es auch in der Praxis, wie die 
gleichen Brenner es seit ihrem mehr als einjährigen täglichen Ge¬ 
brauch in der hiesigen Heilstätte tun. Der Brenner des nach 
Marburg gelieferten Apparates ist aber auch der Kürze der Zeit 
wegen nicht geprüft worden, er sollte ja nur „demonstriert“ 
werden; also ist auch das von Werner monierte nicht richtige* 
Funktionieren des Brenners nur zu erklärlich. Haben danach im 
vorliegenden Fall die Defekte lediglich die Bedeutung einer be-' 
greiflichen und sogar entschuldbaren Zufälligkeit, so ist die von 
Werner immer wieder beliebte Verallgemeinerung ungerecht« 
fertigt. Ich möchte als Gegenstück die Tatsache anführen, dass 
nach dem Bücherausweis des Medizinischen Warenhauses nicht 
weniger als 16 Gemeinden, Kreisausschüsse und Krankenhäuser 
ein oder mehrere Exemplare meines Apparates nachbestellt 
haben, nachdem sie den zuerst bezogenen Probe¬ 
apparat monatelang in Gebrauch gehabt hatten. Die 
gelieferten Apparate müssen sich doch also in allen diesen Fällen 
praktisch in jeder Hinsicht bewährt haben. Auch mein Spezial 
kollege Kremser hat sich neulich gelegentlich des Pariser 
Tuberkulosekongresses ausserordentlich günstig über den Apparat 
ausgesprochen, der trotz ungemein starker Inanspruchnahme in 
der Sülzhayner Heilstätte und in Kremsers Privatsanatorium' 
in keiner Hinsicht versagt hat; meine ausdrückliche Frage nach 
irgendwelchen Defekten wurde mit aller Bestimmtheit verneint. 
Ich möchte aber auch nicht verschweigen, dass der Melsunger 
Desinfektor bei einer ganzen Anzahl von Desinfektionen mit 
meinem Apparate einmal eine Lockerung des Schraubenstttcket 



746 Dr. Boepke: Erwiderung auf vorstehenden Artikel Werners: 

der Ausströmungsdüse beobachtet hat, die von ihm selbst ohne 
Schwierigkeit beseitigt wurde.*) Selbst zugegeben also, dass dem 
Apparate, wie jedem neuen Gegenstand, Kinderkrankheiten 
anhafteten, die nur durch die Erfahrungen im praktische n 
Gebrauch erkannt und danach beseitigt werden 
konnten, so wird doch jetzt jeder Fachmann durch die folgen¬ 
den Hinweise von der absoluten Haltbarkeit und Feuer¬ 
festigkeit meines Formalinkessel überzeugt sein müssen: Der 
Kessel ist aus starkem Kupferblech gestanzt, der Kupferdeckel 
aufgefalzt ohne Lötung, die Schraubenstticke der Ausströmungs- 
dttse und der Einfüllöffnung sind an dem Kupferdeckel ohne Lot 
befestigt und unter dem Kupferdeckel umgelegt, so dass 
der Kupferde ekel in die Schraubenstti cke dicht hin ein¬ 
greift. Um auch ein Defektwerden der Nietungen und Schar¬ 
niere an den Klappfüssen des Kessels und jedes Undichtwerden 
am Boden des Kessels auszuschliessen, wird Apparat und Klapp- 
fussgestell gesondert in zwei Stücken hergestellt, die aber fest 
ineinanderpassen, so dass der Transport zusammen mit dem in 
gleicher Weise getrennt angefertigten Ammoniakentwickler in der 
Segeltuchtasche unverändert bleibt. Zum Ueberfluss verweise ich 
noch auf die heute von meinem I. Assistenten Dr. Huhs experi¬ 
mentell festgestellte Dauerhaftigkeit des Kessels hin: Der Kessel 
wurde für 8 Versuche mit je 100 ccm Wasser gefüllt und blieb, 
nachdem das Wasser verdampft war, das erste Mal eine halbe 
Stunde, das zweite Mal eine ganze Stunde und das dritte Mal 
vollle 2V* Stunden in trocknem Zustande der vollen 
Heizkrait des Brenners ausgesetzt; der Kessel war fort¬ 
dauernd so glühend, dass er das bekannte Leiden fr ostsche 
Phänomen zeigte; trotzdem war bei eingehendster Besich¬ 
tigung nicht die geringste Beschädigung, Loslötung, 
Abschmelzung oder dergl. zu konstatieren. Das, meine ich, genügt! 

Ich komme schliesslich noch zu den Wern er sehen Resul¬ 
taten. Dass dieselben nicht als einwandfrei gelten können, ist 
zunächst nicht die Schuld Werners, der wohl jetzt nach Kennt¬ 
nis der Sachlage selbst Bedenken tragen würde, das mit einem 
lediglich zu Demonstrationszwecken in grösster Eile und ohne 
Sorgfalt zusammeDgebauten Apparat gewonnene Resultat zu ver¬ 
allgemeinern. Der tatsächlich schon bei den ersten Versuchen 
nicht richtig funktionierende Brenner musste hinsichtlich der Art 
und Zeit der Verdampfung des Formalinwassers falsche Werte 
schaffen. 

Der zweite und noch gewichtigere Einwand gegen die Rich¬ 
tigkeit der Resultate beruht aber auf der Versuchsanordnung, in¬ 
dem Werner das mit dem Breslauer Apparat entwickelte 
Formaldehyd 7 Stunden, das mit meinem Apparat ent- 


0 Eine ähnlich winzige Lockerung habe ich übrigens auch am 
Bande des Boi eschen Formalinkessels beobachtet, der ich aber heute eben¬ 
so wie früher keine Bedeutung beimesse, weil so etwas immer einmal Vor¬ 
kommen kann. 



Nochmals die Aasrüstung usw. 747 

wickelte nur 5Stunden, also volle 2 Stunden weniger, 
auf die Testobjekte einwirken liess. Werner betont, dass er 
unter genau gleichen Versuchsbedingungen beide Methoden — die 
Breslauer und die Roepkesche auf ihre Leistungsfähigkeit hin 
geprüft hat. Ich kenne aber keine Roepkesche „Methode“, und 
ich bin tatsächlich auch nicht so „kühn“, mich als Begründer einer 
besonderen „Methode“ zu gerieren, wo ich meines Wissens nichts 
anderes getan habe, als zur Durchführung der von Flügge in¬ 
augurierten Desinfektionsmethode mittels flüssigen Formalins, der 
sog. „Breslauer Methode“, einen Apparat konstruiert zu haben. 
Die Ueberschrift des Wern er sehen Artikels spricht bezeichnender¬ 
weise nur von dem „Breslauer oder Röpke sehen Apparat“, 
und die ganzen Ausführungen Werners von Anfang bis zum 
Ende drehen sich auch nur um die beiden „Apparate“, welcher 
von beiden leistungsfähiger ist. Da konnte und musste sich 
Werner selbst sagen, dass, wenn er für den Vergleich den 
Breslauer Apparat 7 und den meinigen nur 5 Stunden arbeiten 
bezw. die entwickelten Formaldebyddämpfe in dem ersten Fall 7, 
in dem zweiten nur 5 Stunden einwirken lässt, er nicht um einen 
Deut sachlicher handelt, wie derjenige, der, um die Leistungs¬ 
fähigkeit zweier Dynamomaschinen am Amperemeter festzustellen, 
die eine 7 Stunden, die andere nur 5 Stunden laufen lässt. Zu¬ 
dem wusste Werner doch, dass ich die Dauer des Desinfektions¬ 
aktes auch für meinen Apparat auf 7 Stunden heraufgesetzt hatte. 
Sapienti sat! 

Wenn trotz alledem — trotz der zufällig nicht ein wands¬ 
freien Beschaffenheit des Apparates und trotz seiner durch Werner 
willkürlich herabgesetzten Einwirkungsdauer — die Abtötung 
der Staphylokokken - Testobjekte 70—100 °/ 0 , die der Milzbrand- 
Testobjekte 0—42 °/ 0 betrug, so charakterisieren diese immerhin 
günstigen Zahlen am besten den von Werner am Schlüsse seiner 
Ausführungen gewählten Vergleich als das, was er ist — eine 
geschmackvolle Uebertreibung. 

Mir liegt es fern, den Ausführungen Werners anders als 
sachlich entgegenzutreten. Letzteres ist, glaube ich, das gute 
Recht des Vaters, der einem in die Welt gesetzten Kinde seinen 
ehrlichen Namen gibt. Wenn man aber bei Werner z. B. lesen 
muss: „. . . wobei auch der Roepkesche Kessel, wie mich schon 
mein erster Versuch lehrte, defekt zu werden pflegt...“, so 
ist das eine logische Entgleisung. Und wenn Werner an anderer 
Stelle, um die von Huhs mit meinem Apparate ausgeführten 
Desinfektionsversuche zu diskreditieren, wohl die benutzten, an¬ 
geblich leicht abzutötenden Streptokokken- und Staphylokokken- 
Testobjekte erwähnt, aber verschweigt, dass bei den Versuchen 
auch Tuberkelbazilien in dünner Sputumschicht in 
allen Fällen abgetötet worden sind, so ist das erst recht — 
auffallend. Und das ist das unangenehmste am Federkrieg: Es 
geht die Fühlung verloren zwischen denjenigen, die von Haus aus 
von den besten Absichten beseelt demselben Zweck dienen wollen. 
Darum bescheide ich mich, hinfort zu schweigen und die Ent- 



748 Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 

Scheidung der Zakunft, der praktischen Erfahrung zu über¬ 
laden. 


111 

Mit diesen beiden Erwiderungen ist fftr die Redaktion die 
Angelegenheit erledigt. Rpd. 


Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 

Bakteriologie, Infektionskrankheiten und öffentliches 

Sanitätswesen. . . 

Unter Bezug auf das in Nr. 14 dieser Zeitschrift gebrachte Referat über 
einen von Dr. B. Otto und B. Tolmacz aus dein Proskauer pomologischen 
Institut verfaßten, in der Zeitschrift für Untersuchung 4 er Nahrungs* und 
Genußmittel Band 9, Heft 5, Seite 267 und ff. veröffentlichten Artikel „Unter¬ 
suchungen alkoholfreier Getränke“ erhalten wir von dem Vertreter der 
Firma H. Lampe & Co. Worms folgende 

Berichtigung. 

„In Nr. 14 der „Zeitschrift für Medizinalbeamte“ ist unter dqr Ueber- 
schrift: „Untersuchungen alkoholfreier Getränke“ ein Referat erschienen,, das 
sieh unter Bezugnahme auf eine von Dr. Otto und B. Tolmacz veröffentlichte 
Abhandlung über den Wert und die Zusammensetzung von alkoholfreien Ge¬ 
tränken ausläßt, hierbei auch des alkoholfreien Traubensaftes der Firma 
H. Lampe & Co. zu Worms Erwähnung tut und diesen als ein „Kunstprodukt 
aus Dörrobst“ bezeichnet. Dieser Ausdruck entspricht in keiner Weise 4hU 
Tatsachen. Die von der Firma H. Lampe & Co. hergestellten Weinmoste 
sind weder ein Kunstprodukt, noch aus Dörrobst zubereitet, dieselben sind 
vielmehr aus naturreinen und frischen Traubensäften hergestellt. Auch hat 
Dr. Otto in der oben erwähnten Abhandlung, wie er selbst in einem Schreiben 
an die Firma H. Lampe & Co. versichert hat, niemals die La mp eschen Pro¬ 
dukte mit der Bezeichnung „Kunstprodukt aus Dörrobst“ belegt, so daß die 
Bezugnahme auf die Abhandlung von Dr. Otto unrichtig ist. Dr. Otto hat 
der Firma gegenüber selbst die Naturreinheit ihrer Traubensäfte schriftlich 
anerkannt. 

Berlin, den 1. November 1905. 

Dr. JuL Lubszjnski, Rechtsanwalt, 
als Bevollmächtigter der Firma Lampe & Co.“ 

Auf Grund des Preßgesetzes sind wir verpflichtet, obige Berichtigung auf 
Verlangen der Firma H. Lampe & Co. abzudrucken, da sie den Form¬ 
vorschriften dieses Gesetzes entspricht. Damit aber die Leser der Zeitschrift 
selbst beurteilen können, ob die in der Berichtigung aufgcstellten Behauptungen,, 
soweit sie das Szymannskische Referat über die obengenannte Abhandlung 
betreffen, tatsächlich richtig sind, bringen wir nachstehend ein Antwortschreiben 
zum Abdruck, das einer der Verfasser dieser Abhandlung, H. Dr. Otto, an 
den Schriftleiter des „Korrespondenzblattes der ärztlichen Kreis- und Bezirks¬ 
vereine im Königreich Sachsen“, H. San.-Rat Dr. Schneider-Zittau, der jenen 
um Aufklärung gebeten hatte, gerichtet hat und von diesem in Nr. 21 des 
Korrespondenzblattes (vom 2. Nov. d. J.) veröffentlicht ist. Es heißt hier 
wörtlich: . , . 

„Hr. Dr. 011 o schreibt uns denn auch hierzu unter dem 22. Oktober 1905 
wörtlich folgendes: 

„Es handelt sich hier tatsächlich um ganz verschieden benannte 
Sorten des Lampeschen alkoholfreien Traubensaftes, die von uns zu ganz ver¬ 
schiedenen Zeilen untersucht sind. 

Das in Ihrem Blatte und in unserer Originalarbeit zitierte und von 
uns am 27. XI. 1903 untersuchte Lampesche Produkt war tatsächlich sehr 
minderwertig , so dass wir in unserer Originalarbeit zu folgendem Schluss ge¬ 
kommen sind, der in den Heferaten fast nie richtig wiedergegeben wird. Wir 
haben S. 274 folgendes wörtlich gesagt: 

„Nr. VIII. Alkoholfreier Traubensaft (Weisswein) von 



Besprechungen. 


749 


H. Lampe db Co. in Worms stellt sich durch seine auffallende Abwesenheit 
ton ' Fruchtgertich, durch den Karamelgeruch nach Dörrobst, den nicht an¬ 
genehmen Qeschmacic und durch den im Verhältnis zum Zucker- sehr hohen 
Säuregehalt als ein Erzeugnis dar, das mit Traubensaft w ah r scheint ich 
sehr wenig gemeinsam hat, vielmehr ein Kunstprodukt und keinen Natur¬ 
saft darstellt. Der Alkohol wurde zu 0,37 g in 100 ccm gefunden“ 

So wörtlich bei uns. — Das war also tatsächlich, wie auch die Analysen¬ 
daten zeigen, ein ganz minderwertiges Produkt. 

Nun haben wir vor ca. acht Wochen ganz andere Produkte der 
Firma mit ganz anderen Bezeichnungen untersucht (die Analysen sind 
von uns noch nicht veröffentlicht), welche allerdings ergeben haben, dass die 
jetzt von uns untersuchten Weinmoste (Riessling, Burgunder, Liebfrauenmilch , 
Tokayer, Weiss) einwandfrei und naturrein sind und die in Ihrem Briefe 
näher bezeichneten Eigenschaften besitzen. *) 

Es ist eben das früher von uns untersuchte (27. XL 1903) und in der 
Arbeit angeführte ein ganz anderes Produkt gewesen , wie auch schon aus der 
verschiedenen Bezeichnung hervorgeht, als die jetzigen, gegen welche tatsächlich 
nichts einzuwenden ist. 

Hochachtungsvoll ergebenst 
Dr. R. Otto , 

Leiter der ehern. Abt. der Versuchsstation. a 

Der Inhalt dieses Schreibens wird nach unserer Ansicht mehr als ge¬ 
nügen, um beurteilen zu können, ob seitens unseres Beferenten über die toe- 
treffende Abhandlung zutreffend referiert ist, oder nicht. Wir brauchen des¬ 
halb gar nichts mehr hinzuzufügen und überlassen die weitere Beurteilung der 
Sache ruhig den Lesern unserer Zeitschrift. Die Bedaktion. 


Besprechungen. 

Profi Dr. Dhlenhut: Das biologische Verfahren aur Erkennung 
und Üntereoheidung von Menschen- und Tierblut, sowie andere# 
Elweisssubatansen und seine Anwendung in der forensisohen 
Praxis. Aasgewählte Sammlung von Arbeiten nnd Gatachten. Verlag von 
Gustav Fischer in Jena. 1905. Preis: 3 Mark. 

Die biologische Methode zur Differenzierung verschiedener Blatarten von 
einander hat sich seit ihrer Einführung in die gerichtsärztliche Praxis nicht 
nur als zuverlässig bei richtiger Anwendung nnd Beurteilung, sondern auch 
als unentbehrlich für den gerichtlichen Sachverständigen erwiesen. Freilich 
weiß gerade der erfahrene Praktiker, welcher die Methode beherrscht, daß sie 
in der Hand des Ungeübten die Quelle von Fehlschlüssen werden kann und 
daß nur eigene praktische Uebnng die für die Beurteilung vor Gericht not¬ 
wendige Sicherheit gewährleistet. Wenn also auch, wie immer wieder betont 
werden muß, die Ausführnng derartiger forenser Blutuntersuchungen in ge¬ 
eignete Institute, in erster Linie in die gerichtlich-medizinischen Institute 
gehört, so wird doch auch der Qerichtsarzt ihre Prinzipien kennen and in der 
Lage sein müssen, ihren Wert im konkreten Falle vor Gericht beurteilen zu 
können. Diesem Zweck dient das vorliegende Büchlein in vortrefflicher Weise. 
Es enthält eine Zusammenstellung aller Originalarbeiten des Verfassers und 
literarische Hinweise auf alle in Betracht kommenden Arbeiten anderer Autoren. 
Am Schloß sind als Musterbeispiele 16 Gutachten aus der eigenen Praxis des 
Verfassers angefügt. Mit Rücksicht auf den historischen Entwickelnngsgang 
der Methode ist nicht die Form der monographischen Darstellung, welche uns 
für die Orientierung und Uebersichtlichkeit förderlicher za sein scheint, gewählt 
worden, sondern die einfache Aneinanderreihung der verschiedenen Arbeiten. 

Prof. Ziemke-Halle. 


*) i e. die Eigenschaften, wie sie in der obigen von Rechtsanwalt Dr* 
jur. Lubszynski-Berlin uns übersandten „Berichtigung“ angegeben sind 
und wie sie danach in unserem Briefe an Dr. Otto wiedergegeben waren. 

Schriftltg. 

(des sächsischen Korrespondenzblatts). 



750 


Besprechungen. 


Dr. Brenneoke, S&nitätsrat in Magdeburg: Reform des Hebammen- 
wesens oder Reform der geburtshilflichen Ordnung? Ein Beitrag 
zur Kritik der im Königreich Preußen geplanten gesetzlichen Neuregelung 
des Hebammenwesens. Magdeburg 1904. Verlag der F aber sehen Buch¬ 
druckerei. 

Die vorliegende Arbeit Brenneckes ist weit mehr als nur ein kriti¬ 
scher Beitrag zu obigem Thema, sie ist eine Zusammenfassung alles dessen, 
was ihm von den zahlreichen und mannigfachen Beformgedanken und Reform- 
Vorschlägen der letzten Jahrzehnte auf diesem Gebiete als lebens- und ent¬ 
wickelungsfähig erscheint, verarbeitet zu einer bis ins einzelne ausgebauten 
geburtshilflichen Ordnung. Das wichtigste und aktuelle daran ist das Vorwort, 
schon mehr eine Einleitung zu den nachfolgenden vier Abhandlungen und eine 
Apologie derselben in prägnantester Form, damit aber zugleich eine Kritik der 
Wege, die man im Kultusministerium einzuschlagen im Begriff steht. Die 
Abhandlungen selbst, ältere Arbeiten des Verfassers, sollen gewissermaßen die 
Bausteine für den vom Verfasser ersehnten Einheitsbau einer geburtshilflichen 
Ordnung bilden und sind bestimmt, seine ablehnende Kritik näher zu be¬ 
gründen. Die ersten beiden vom Verfasser in den Jahren 1901 und 1903 dem 
Ministerium überreichten Denkschriften behandeln die Hebammenreform und 
die Neubearbeitung des Hebammenlehrbuches. Dann folgt ein Vortrag aus 
dem Jahre 1898 über die Stellung der geburtshilflichen Lehranstalten gegen¬ 
über den Wöchnerinnenasylen im Organismus der Geburts- und Wochenbetts¬ 
hygiene, und ein im Verein für öffentliche Gesundheitspflege zu Kiel im Jahre 
1896 erstattetes Referat „Das Ziel der sozialen Entwickelung auf geburtshilf¬ 
lichem Gebiete: — Die Errichtung von Heimstätten für Wöchnerinnen“. Den 
Schluß bilden statistische Nachweise und Tabellen über Wöchnerinnensterblich¬ 
keit und ein Anhang über die erfolgreiche Wirksamkeit des Wöchnerinnenasyls 
in Magdeburg. 

Wer sich also von dem derzeitigen Stande der RefoTmfrage sowohl auf 
dem Gebiete des Hebammenwesens, als der Wöchnerinnenpflege in Preußen 
näher unterrichten will, dem sei die Brennecke sehe Arbeit zu eingehendem 
Studium angelegentlich empfohlen. Ob dann die Mehrzahl der Leser dem Ver¬ 
fasser in seinen weitgehenden Forderungen und namentlich in seiner Kritik der 
geplanten gesetzlichen Neuregelung beiznstimmen in der Lage sein wird, erscheint 
mir persönlich doch recht zweifelhaft. Dr. Steinkopff-Liebenwerda. 


Dr. Julia* Fessler, Privatdozent: Taschenbuch der Krankenpflege. 

Zweite Auflage. München 1905. Verlag von Seitz & Schauer. 

Die nach Jahresfrist notwendige Neuauflage des Buches ist nach dom 
neuesten Standpunkte der Wissenschaft durebgesehen und in einzelnen Kapiteln, 
z. B. dem Kapitel XI der inneren Krankheiten, völlig neu bearbeitet worden. 
Alle Kreise, welche sich für Krankenpflege in der Anstalt und im Hause 
interessieren, auch Laien, finden in dem reichhaltigen Inhalt des Buches Be¬ 
lehrung und Anregung, Stoff zum Selbststudium, einen Leitfaden beim Anstalts¬ 
unterricht. Die Sprache ist klar und leichtverständlich. Zahlreiche, in der 
Neuauflage vermehrte Abbildungen erleichtern das Verständnis. Der Verfasser 
hatte Gelegenheit, als mehrjähriger Assistent am Krankenhause und in zwei 
Feldzügen reiche Erfahrungen zu sammeln und für die verschiedensten Lebens¬ 
lagen praktisch zu verwerten. In seinem Buche ist vom Verfasser die Ein¬ 
teilung beibehalten worden, die bei den Unterrichtsstunden für Landeskranken¬ 
pflegerinnen und Samariter sich als die zweckmäßigste erwiesen hat. 

Dr. Rump-Osnabrück. 


Dr. Alfired Baur: Lehrbuch für den Samariterunterricht. Verlag 

von Otto Nemnich. Wiesbaden 1904. 

Ein gutes Buch, welches in anschaulicher und zum Unterrichte in den 
Schulen wie zum Selbstunterrichte praktischen Weise die Samaritertätigkeit 
behandelt, wie sie in Friedenszeiten bei plötzlichen Unglücksfällen und be¬ 
sonders im Kriege von der freiwilligen Krankenpflege aasgeübt wird. Es gibt 
wenig Bücher, in welchen der umfangreiche Stoff, die einzelnen Unglücksfälle 
und Verletzungen in so leicht verständlicher und übersichtlicher Form ge¬ 
schildert werden, und diese dabei stets im Zusammenhänge mit ihren physio¬ 
logischen Störungen erläutert werden, wie in dem vorliegenden. Der Tätigkeit 



Tagesnachrichten. 


751 


des Samariters gibt der Verfasser dabei ganz bestimmte Direktiven. Das 
Krankentransportwesen wird in eingehender Weise erläutert. Der Samariter 
erhält eine Fülle von Anregungen zur Ausübung des Improvisationsverfahrens 
beim Anlegen von Notverbänden, Lagerung und Fortschaffung der Verletzten. 
Präzise begrenzt Verfasser die Samaritertätigkeit und warnt vor eigenmächtigen 
Uebergriffen. Am Schlüsse enthält das Büchlein eine große Anzahl Tafeln 
mit sehr anschaulichen Abbildungen, welche vom Tun und Treiben ein all¬ 
gemeines Bild geben und an der Hand des Textes zur gründlichen Weiter¬ 
bildung des Samariters trefflich geeignet sind. Dr. B um p- Osnabrück. 


Dr. Fritz Brunner: Grundriss der Krankenpflege für den Unter¬ 
richt in den Diakonissenanstalten usw. Zweite Aufl. Mit 11 Fi¬ 
guren. Zürich 1905. Verlag von Schulthaß & Co. 

Das Büchlein erläutert in kurzer und knapper Form alles Wesentliche, 
was zur Ausübung der Krankenpflege seitens der Berufspflegerinnen und 
Krankenschwestern, vorzüglich in Krankenanstalten, aber auch in privater 
häuslicher Pflege wissenswert ist und zur Qrundlage dient. Es wird daher 
hauptsächlich ein Leitfaden für den Unterricht für angehende Schwestern und 
Pflegerinnen sein, jedoch auch ein geeignetes Nachschlagebuch und ein Rat¬ 
geber für Haus und Familie zur Orientierung über die wichtigsten Fragen der 
Wohnungsbygicne, Diät und Krankenpflege in der Familie wie über das Ver¬ 
halten bei ansteckenden Krankheiten, plötzlichen Erkrankungs- und Unglücks¬ 
fällen. _ Dr. Bump-Osnabrück. 


Br. Carl Kenne - Cassel: Handbuch der Tropenkrankhelten I. Band 

mit 121 Abbildungen im Text und auf 9 Tafeln. Leipzig 1905. Verlag von 

Joh. Ambrosius Barth. Gr. 8°. 354 8. Preis: 12 Mark, geb. 18,50 Mark. 

Das vorliegende Buch stellt ein für den Studierenden und Forscher, wie 
für den in den Kolonialländern tätigen Tropenarzt sehr wertvolles Sammelwerk 
dar, dessen einzelne Abschnitte von Fachmännern geschrieben sind, die durch 
wissenschaftliche Arbeit, eigene Beobachtung und praktische Tätigkeit mit dem 
Stoffe vertraut sind. Die Einteilung des Stoffes ist nach Möglichkeit auf ätio¬ 
logischer Grundlage erfolgt. Der erste bisher erschienene Band bringt im 
ersten Abschnitt eine von Privatdozent Dr. Alb. Plehn-Berlin verfaßte Ab¬ 
handlung über die tropischen Hautkrankheiten (Bildungsdefekte und Er¬ 
nährungsstörungen ; Entzündungen der Haut durch physikalische Einflüsse und 
durch bakterielle Infektion; Pilzkrankheiten; Hautaffektionen als Ausdruck in¬ 
dividueller Idiosynkrasie und solche unbekannter Aetiologie). Hier schließt 
sich an ein Abschnitt über die durch Würmer und Arthropoden (Glieder¬ 
füßler) hervorgerufenen Erkrankungen, bearbeitet von Prof. Dr. A. Loos- 
Kairo. Dann folgt eine Abhandlung über Nerven- und Geisteskrank¬ 
heiten in den Tropen von P. C. J. van Brero-Lawang und hierauf das 
wichtige Kapitel der tropischen Intoxikationskrankheiten, soweit 
solche durch pflanzliche oder tierische Gifte hervorgerufen werden. Die Krank¬ 
heiten durch pflanzliche Gifte sind von Prof. Dr. Filippo Rho-Neapel, die¬ 
jenigen durch tierische Gifte von Prof. Dr. Calmette-Lille bearbeitet. 

Es würde über den Rahmen eines einfachen Referates hinausgehen, wenn 
auf den Inhalt der einzelnen Abhandlungen hier näher eingegangen würde; 
dieselben sind in jeder Weise erschöpfend, dem neueren Stande der Wissenschaft 
gemäß bearbeitet und dürften z. Z. den besten Ratgeber auf dem Gebiete der 
Tropenkrunkheiten darstellen. Hoffentlich folgen die anderen Bände bald nach 
und lassen in bezug auf ihren Inhalt ebensowenig zu wünschen übrig, als der erste 
Band. Druck und Ausstattung des Werkes, insbesondere auch die demselben bei¬ 
gegebenen zahlreichen Abbildungen verdienen besondere Anerkennung. Rpd. 


O. Lenken: Die Apothekengesetzgebung. Ein Leitfaden zur Vor¬ 
bereitung auf die pharmazeutischen Prüfungen. Berlin 1905. Selbstverlag 
des Deutschen Apothekervereins. Gr. 8 °, 50 Seiten Text nebst ausführlichem 
Inhaltsverzeichnis. Preis: 2 Mark. 

Das kleine Büchelchen enthält in gedrängter aber übersichtlicher Form 
die der Pharmazie betreffenden gesetzlichen Bestimmungen ihrem wichtigsten 
Inhalte nach a und erfüllt den im Titel bezeichneten Zweck vollkommen. Außer 



m 


Tageanaeh richten. 


Angaben über das Medizinaledikt, die revidierte Apotbekerordnnng, Betriebs¬ 
ordnung nsw. enthält ee auch die Tabellen der Verordnung über Abgabe stark 
wirkender Arzneimittel, der Gift-Verordnung und den wichtigsten Inhalt des 
Arzneibuches. 

Auch für den Medisinalbeamten dürfte das Werkchen von Interesse und 
praktischem Nutzen sein. __Dr. Räuber- Köslin. 

Tagesnachrichten. 

Beschränkung des Handels mit Lysol. Nach einer von der Tagespresse 
gebrachten Mitteilung ist seitens der preußischen Regierung bei der Reicbs- 
regierung der Antrag gestellt, Lysol in das Verzeichnis der Gifte einzureihen, 
und damit für dessen Feilhalten und Verkauf die für die Gifte geltenden Vor¬ 
schriften Anwendung finden. _ 

Die 88. Plenarversammlung des Kßnlgl. Sächsischen LandesmedisinaJ- 
hoUegiams findet am 20. November d. J. in Dresden statt. Auf der Tages¬ 
ordnung stehen folgende Anträge: 1. Einführung des Einzelkelches bei der 
Abendmahlsfeier aus hygienischen und ästhetischen Gründen; 2. Erleichterung 
und Beschleunigung der Beförderung von Arzneimitteln an Eisenbahnen: 3. Er¬ 
gänzung des § 86 Abs. 3 der Gewerbeordnung in der Weise, daß Personen, 
deren Unzuverlässigkeit erwiesen ist, das gewerbsmäßige Behandeln von 
Kranken verboten wird; 4. Forderung eines Befähigungsnachweises für alle die 
Heilkunde gewerbsmäßig ausübenden Personen; 5. An- und Abmeldung der zu- 
und wegziehenden Aerzte bei den Vorsitzenden der ärztlichen Bezirksvereiae; 
6. Ausdehnung der ärztlichen Standes- und Ehrengerichtsordnung auch auf die 
Stellvertreter von Aerzten während der Zeit ihrer Stellvertretung; 7. Zuziehung 
von Vertretern des ärztlichen Standes bei den Beratungen über etwaige 
Aenderungen der Krankenkassen-, Unfall- und Invalidenversicherungs - Gesetz¬ 
gebung; 9. Regelung darüber, welche Zivilärzte laut § 12, 2 der Aerzteordnung 
einer staatlich geordneten Disziplinarbehörde unterstellt sind. 

Im Großherzogtum Hessen ist unter dem 19. Juli d. J. eine neue 
Dienstanweisung für Hebammen erlassen und nach dem Erlaß vom 
24. August d. J. am 1. Oktober d. J. in Kraft getreten. Durch Erlaß vom 
6. September d. J. ist ferner das neue preussische Hebammenlebrbuch 
auch für den Unterricht bei den großherzogl. hessischen Lehranstalten eingeführt. 

Cholera. Vom 22. Oktober bis 11. November sind keine Erkrankungen 
und Todesfälle an Cholera zur amtlichen Kenntnis gelangt; da sich nachträg¬ 
lich 6 Erkrankungen und 1 Todesfall als nicht durch Cholera verursacht her- 
ausgestellt haben, beträgt die Gesamtzahl 280 (89). 

An epidemischer Genickstarre sind im Monat September d. J. in 
Preußen 52 Personen erkrankt und 29 gestorben, davon entfallen 50 (20) auf 
die Provinz Schlesien. Die Gesamtziffer seit Beginn der Epidemie stellt sich 
somit auf 3402 (1909), davon 8057 (1737) in Schlesien und 847 (172) auf den 
übrigen Staat; darans ergibt sich eine Sterblichkeit der Erkrankten von 56,6 °/„ 
für Schlesien von 66,8 °/o, für den übrigen Staat von 49,3 °/o. 

Durch Urteil vom 2. November d. J. hat sich das preuß. Oberverwaltungs¬ 
gericht dem Urteil des Reichsgerichts vom 7. Juni 1899, wonach die Bestim¬ 
mungen der Reichsgewerbeordnung über die Stellvertretung (§ 45) auch auf 
das Apothekergewerbe Anwendung finden, angeschlossen und demgemäß 
entgegenstehendo landesgesetzliche Bestimmungen, z. B. § 41 der preußischen 
Apothekenbetriebsordnung vom 18. Februar 1902, für rechtlich unzuläßig erklärt. 
Der Apothekenvorstand ist demnach nicht verpflichtet, bei längerer Abwesen¬ 
heit oder Behinderung die Genehmigung zu seiner Stellvertretung bei der 
Aufsichtsbehörde nachzusuchen, sondern es genügt die Bestellung eines appro¬ 
bierten Apothekers zu seinem Stellvertreter. Wir werden auf dieses Urteil 
zurückkommen, sobald der Wortlaut desselben vorliegt. 



Neu eingegangene Bücher. 


753 


Der Geschäftsausschuß des Deutschen Aerztevereins- 
bundes hat in seiner Sitzung am 29. Oktober 1905 beschlossen, für den 
nächstjährigen Aerztetag, der in Halle a./S. in der zweiten Hälfte des Juni 
stattfinden soll, folgende Gegenstände in Aussicht zu nehmen: 

1. Stellung der deutschen Aerzte zu Krankenkassen für nicht- 
Tersicherungspflichtige Personen. 

2. Bericht von der Krankenkommission über Forderungen und 
Vorschläge der Aerzte zur Abänderung der deutschen Ar¬ 
beiterversicherungsgesetze. 

3. Eventuell: Die Hygiene als obligatorischer Lehrgegen¬ 
stand. 

Ueber die Anregung, die Spezialarztfrage auf die Tagesordnung 
zu setzen, wurde die Beschlußfassung ausgesetzt. 


Am 20. November d. J findet die Jahressitzung des preussischen 
Apotheker-Kammer-Ausschusses in Breslau statt. Auf der Tagesordnung 
stehen u. a. folgende Anträge: Verleihung des Umlagerechts an die Apotheker¬ 
kammern; Forderung des Reifezeugnisses eines Gymnasiums oder einer Real¬ 
schule als Vorbedingung zum Apothekerberufe; Aufnahme des Lysols in die 
Tab. C. und Verbot seiner Abgabe im Handverkauf; Berechtigung, Damen 
mit einer Auslassung gleich derjenigen der Diakonissen in Apotheken be¬ 
schäftigen zu dürfen; Abänderung der Bestimmungen über die Nachttaxe. 


Neu eingegangene Bücher. 1 ) 

II. und III. Vierteljahr 1905. 

Alexander, Dr. G., San.-Rat: Beitrag zur Revision des Deutschen Straf¬ 
gesetzbuches in Beziehung auf die Ausübung der Heilkunde, mit einem An¬ 
hang von Fritze, Dr. jur.: Zusammenstellung der für die Ausübung des 
ärztlichen Berufes in Betracht kommenden Paragraphen des Strafgesetz¬ 
buches. Nach den Verhandlungen der Aerztekammer für die Provinz 
Brandenburg und den Stadtkreis Berlin. Berlin 1905. Verlag von Putt¬ 
kammer u. Mühlbrecht. Gr. 4°; 46 S. 

Avellis, Dr. Georg, Frankfurt a./M.: Verhandlungen der Deutschen La- 
ryngologischen Gesellschaft. Würzburg 1905. Stübers Verlag. Gr. 8°. 
65 S. Preis: 2 M. 

Blumenfeld, Dr. Felix, Wiesbaden: Verhandlungen des Vereins süddeut¬ 
scher Laryngologen. Würzburg 1905. A. Stübers Verlag. Gr. 8°. 207 S. 
Preis: 3 M. 

Boit, Dr. Hans, Oberarzt: Einfache und sichere Identifizierung des Typhus¬ 
bacillus. Jena 1905. Verlag von Gustav Fischer. Gr. 8°. 48 S. Preis 
geb.: 11 M. 

Brauer, Prof. Dr. Ludw.: Beiträge zur Klinik der Tuberkulose. Band IV, 
H. 2. (Arbeiten von v. d. Velden, Gidionsen, Moses, Gessner, 
Höfler, Amrein). Würzburg 1905. A. Stübers Verlag. Gr. 8°. 
Preis: 4,50 M. 

Braun, Dr. med. Heinrieh, chir. Oberarzt am Diakonissenhaus und Dozent 
an der Universität Leipzig: Die Lokalanästhesie, ihre wissenschaftlichen 
Grundlagen und praktische Anwendung. Mit 127 Abbildungen. Leipzig 
1905. Verlag von Joh. Ambr. Barth. Gr. 8°. 436 S. Preis: 10 M., geb. 
11 M. 

Cohn, Dr. Toby, Nervenarzt in Berlin: Die palpablen Gebiete des normalen 
menschlichen Körpers und deren methodische Palpation. I. Teil: Obere 
Extremität. Mit 21 Abbildungen. Berlin 1905. Verlag von S. Karger. 
Gr. 8°. 216 S. Preis: 5 Mark. 

v. Düring, Prof. Dr. E.: Prostitution und Geschlechtskrankheiten. Leipzig 
1905. Verlag von Ambr. Barth. Gr. 8°. 48 S. Preis: 0,40 M. 

Ebstein, Dr. W., Geh. Med.-Rat, o. Professor in Göttingen und Prof. Dr. 


*) Eine Besprechung der die Leser der Zeitschrift interessierenden 
Bücher bleibt Vorbehalten. 




754 


Neu eingegangene Bücher. 


Schwalbe-Berlin: Handbuch der praktischen Medizin. II. Bd., 1. Hälfte. 
Mit 33 Abbildungen. Stuttgart 1905. Verlag von Ferdinand Enke. Or. 8*. 
480 S. Preis: 10 M. 

Derselbe und Schreiber, Privatdozent in Göttingen: Jahresbericht über 
die Fortschritte der inneren Medizin im In- und Auslande für 1901. Stutt¬ 
gart 1995. Verlag von Ferd. Enke. Heft 4 u. 6 je 150 Seiten; Gr. 8®. 
Preis: 4 Mark pro Heft. 

Engels, Dr., Kreisarzt in Gummersbach: Impfbuch. 1905. Druck von 
Friedr. Guyßen in Gummersbach. Kl. 8°. 

Elsaesser, Dr.: Ueber die sogenannten Bergmannskrankeiten. Verlag von 
F. W. Becker in Arnsberg. 1905. Kl. 8°. 20 S. Preis: 0,60 M. 

Falkenstein, San.-Rat Dr., Oberstabsarzt a. D.: Die Gicht an sich und 
in der Beziehung zu den anderen Stoffwechselkrankheiten, der Zucker¬ 
krankheit und Fettsucht. Berlin 1905. Verlag von E. Ebering. Kl. 4°. 
163 S. 

Flinzer, Dr. A., Med.-Rat u. Bezirksarzt in Plauen: KönigL Sächsische 
Medizinal-Gesetze. Band I u. II. Leipzig 1905. Roßbergsche Verlags¬ 
buchhandlung. Gr. 12°. 517 u. 1060 S. Preis: geb. 25 M. 

Frankel, C., Halle a./S.: Das Wesen und die Bekämpfung der Tuber¬ 
kulose. Kurze Belehrung, herausgegeben vom Deutschen Zentralkomitee 
zur Errichtung von Heilstätten für Lungenkranke. Berlin 1905. Geschäfts¬ 
stelle: Berlin W. 9, Eichhornstraße 9. Kl. 8®. 24 S. 

Frankel, C., Halle a./S.: Der Stand der Tuberkulose-Bekämpfung in 
Deutschland. Denkschrilt, dem Internationalen Tuberkulose-Kongreß in 
Paris 1905 vorgelegt vom Zentralkomitee zur Errichtung von Heilstätten 
für Lungenkranke. 1905. Selbstverlag des Deutschen Zentralkomitees. 
Berlin W. 9, Eichhornstr. 9. Kl. 4°. 431 S. 

Fürst, Dr. Moritz u. Wind sch ei d, Prof. Dr. F.: Handbuch der sozialen 
Medizin. Jena 1905. Verlag von Gustav Fischer. IV. Band: Arbeiten 
von J essen, Nonn e, Ritt er, N och t, II b er g. Gr. 8°. 478 S. Preis: 
12 M. VI. Band: Der Gewerbearzt von Prof. Dr. Sommerfeld. Gr. 8°. 
194 S. Preis: 5 M. VII. Band: Die ärztliche Ueberwachung der Prosti¬ 
tuierten von Prof. Dr. Bett mann. Gr. 8®. 200 S. Preis 7 M. VIII. Band, 
erste Abt.: Der Arzt als Begutachter auf dem Gebiete der Unfall- und Inva¬ 
lidenversicherung von Prof. Dr. Windscheid. Gr. 8“. 204 S. Preis: 5 M. 

Gesundheitswesen des Preußischen Staates im Jahre 1903, 
bearbeitet von der Medizinalabteilung des Ministeriums. Berlin 1905. Ver¬ 
lag von Richard Schoctz. Gr. 8°. 490 S. Preis: 14 M., für die Medi¬ 
zinalbeamten : 7 M. 

Goldscheider, Geh. Med.-Rat, Prof. Dr. in Berlin: Hygiene des Herzens. 
Veröffentlichungen des Deutschen Vereins für Volkshygiene. München und 
Berlin 1905. Druck und Verlag von R. Oldenbourg. Kl. 8°. 48 S. Preis: 
30 Pf. das Einzclheft. 

Gr ahn, E., Ingenieur: Die Gerichtsverhandlungen über die Gelsenkirchener 
Typhusepidemie im Jahre 1901. Berlin 1905. Verlag von R. Olden- 
b o u r g. Gr. 8 °. 79 S. Preis: 3 M. 

Grashey, Dr. Adolf: Atlas typischer Röntgenbilder vom normalen Men¬ 
schen. Kl. 4®. 92 S. München 1905. Lehmanns Verlag. Preis: 16 M. 

Grotjahn, Dr. med. A. und Kriegei, Dr. phil. K.: Jahresbericht über die 
Fortschritte und Leistungen auf dem Gebiete der sozialen Hygiene und De¬ 
mographie. IV. Band: Bericht über das Jahr 1904. Jena 1905. Verlag von 
Gustav Fischer. Gr. 8®. 434 S. Preis: 11 M. 

Grube, Dr. H. : Der vordere Scheidcnleibschnitt, seine Technik und Indi¬ 
kation. 1905. Kl. 8°. 52 S. Preis: 3 M. 

Günther. Carl, Rechtsanwalt bei dem Königlichen Landgericht in Arnsberg: 
Strafrecht und die gesetzliche Berücksichtigung der geistig Minderwertigen. 
Berlin und Leipzig 1905. Verlag von Georg Wattenbach. II. Aufl. 
Kl. 8®. 55 S. Preis; 2 M. 

Heilbronner, Dr. Karl, o. Professor der Psychiatrie an der Universität 
Utrecht: Die strafrechtliche Begutachtung der Trinker. Halle a./S. 1905. 
Verlag von Carl Marhold. Kl. 8°. 141 S. Preis: 3 M. 

Hölscher, Dr., Stabsarzt: Die otogenen Erkrankungen der Hirnhäute. Halle 
a./S. 1905. Verlag von C. Marhold. Kl. 8®. 108 S. Preis: 3,00 M. 



Nou eingeg&ngene Bücher. 


755 


Hoffmann, Dr. med. W., Stabsarzt and Assistent an den hygienischsn In- 
. stitaten der Universität Berlin: Leitfaden der Desinfektion für Desinfek¬ 
toren, Verwaltangsbeamte, Tierärzte and Aerzte. Mit 105 Abbildungen im 
Text. Leipzig 1905. Verlag von Job. Ambr. Barth. Kl. 8°. 138 S. 
Preis: 2 M. 

Jahresbericht, neunter, über den öffentlichen Gesundheits¬ 
zustand und die Verwaltung der Öffentlichen Gesundheits¬ 
pflege in Bremen in den Jahren 1893—1903. Bearbeitet vom 
vom Gesundheitsrate. 1905. Verlag von G. Winter in Bremen. 
Jahresbericht über die Staats- und Privatanstalten für 
Geisteskranke, Schwachsinnige und Epileptische auf das 
Jahr 1903. Sonderabdruck aus dem Medizinalbericht von Württemberg 
für das Jahr 1903. Herausgegeben von dem Königl. Medizinalkollegium. 
Stuttgart 1905. Druck von H. Kohlhammer. Gr. 8°. 62 S. 

Joseph, Dr. M., Berlin: Dermato - histologische Technik. Berlin 1905. 

L. Marcus, Verlagsbuchhandlung. Kl. 8°. 152 S. Preis: 3 M. 
Juristisch-psychiatrische Grenzfragen. Zwanglose Abhandlungen. 
Halle a./S. Verlag von C. Mar hold. II. Band, Heft 6: Die Reform des 
Strafprozesses von Prof. Dr. Mittermaier-Gießen und die Forschungen 
zur Psychologie der Aussage von Prof. Dr. Sommerfeld-Gießen. Kl. 8°. 
71 S. Preis: 1,20 M. — II. Band, Heft 7 u. 8: Geistesschwäche als Entmün¬ 
digungsgrund. Zwei Vorträge von Dr. Cam er e r und Oberlandesgerichtsrat 
Landauer. Kl. 8°. 44 8. Preis: 1,20 M. — III. Band, 1.—3. Heft: Das 
Geständnis in Strafsachen von Dr. jur. Lohsing. KL 8°. 148 S. Preis: 

2,50 M. — III. Band, Heft 4: Die Gemeingefährlichkeit vom ärztlichen Stand¬ 
punkte aus von Prof. Dr. A. Cramer. Kl. 8°. 17 Seiten. Preis: 0,50 M. 
— III. Band, Heft 5: Ueber die unverbesserlichen Gewohnheitsverbrecher 
und die Mittel der Fürsorge zu ihrer Bekämpfung von Dr. E. Siefert. 
Kl. 8°. 26 S. Preis: 0,80 M. 

Keidel, J., Kgl. Bezirksamtmann: Die Handhabung der MedizinalpolizeL 
Für den Gebrauch der bayerischen Polizeibehörden und Gerichte, der Aerzte 
und Apotheker. Ansbach 1905. Verlag von C. Brügel& Sohn. Kl. 8°. 530 S. 
Preis: 6,50 M. 

Kirschstein, Dr. Fritz: Aerzte, Krankenkassen und Leipziger Verband. 
Berlin 1905. Verlag von Hermann Walther. BLL 8°. 64 S. Preis: 
1 Mark. 

Klinisches Jahrbuch: Ueber Erfolge der Sauerstofftherapie unter be¬ 
sonderer Berücksichtigung der in den Gewerbebetrieben gewonnenen Er¬ 
fahrungen bei gewerblichen Vergiftungen von H. Brat. Gr. 8°. 16 S. 
Preis: 0,76 M. Beiträge zur Typhusforschung von Borntraeger, Lontz, 
Tietz, Seige, Vageder. Jena 1905. Verlag von Gustav Fischer. 
Gr. 8°. 92 S. Preis: 3 M. 

Ko ekel, Prof. Dr. E.: Das Institut für gerichtliche Medizin der Universität 
Leipzig. Festschrift. Leipzig 1905. Gebhardts Verlag. Gr. 8°. 98 S. 
Meyers Großes Konversationslexikon. Sechste gänzlich neube- 
arbeitete und vermehrte Auflage. Verlag des Bibliographischen Instituts 
in Leipzig und Wien. 1905. Band X und XI. Preis in Halbleder geb.: 
Jeder Band 10 M. 

Mittelhäuser, Dr. E.: Unfall und Nervenerkrankung. Halle a./S 1905. 

Verlag von C. Marhold. KL 8°. 84 S. Preis: 1,80 M. 

M. K. G.: Städtische Lusthäuser mit einem Vorwort von Prof. Dr. C. Frankel. 

Leipzig 1905. Verlag von Ambrosius Barth. Kl. 8°. 35 S. Preis: 0,40 M. 
MöbiuB, Dr. P.: Die Geschlechter der Kinder. I. Teil. Halle a./S. 1905. 

Verlag von C. Marhold. Kl. 8°. 32 S. Preis: 1 M. 

Me nmann, Dr. Wladyslaw, prakt. Arzt in Neuenburg: Weiteres über die 
Wichtelzopfkrankheit. Leipzig 1905. Verlag von Benno Köne gen. Kl. 8". 
32 S. Preis: 0.40 M. 

Nietn er, Dr., Oberstabsarzt a. D : Der Stand der Tuberkulosebekämpfung 
im Frühjahr 1905. Geschäftsbericht für die Generalversammlung des Zentral¬ 
komitees. Berlin 1905. Geschäftsstelle: Berlin W. 9, Eichhornstr. 9. 

N o c h t: Ueber Tropenkrankheiten. Leipzig 1905. Verlag von Ambrosius 
Barth. Gr. 12 °. 42 S. Preis: 1 M. 

Pfeiffer, Dr. Ludwig, Geh. Hof- und Med.-Rat in Weimar: Die Impfklauseln 



766 


jNeu eingegangene Bücher. 


in den Weltpolizen der Lebensversicherungs - Gesellschaften. Veröffent¬ 
lichungen des Deutschen Vereins für Versicherungswissenschaft. Heft V. 
Berlin 1905. Verlag von E. S. Mittler & Sohn. Kl. 4°. 82 S. 

Peiper, Prof. Dr. E.: Der Arzt. Einführung in die ärztlichen Berufs- und 
Standesfragen. Wiesbaden 1905. Verlag von J. P. Bergmann. KL 4°. 
287 S. Preis: 5 M. 

Plaszek, Dr. G.: Geschichte der gerichtlichen Medizin. Jena 1905. Verlag 
von Gustav Fischer. Gr. 8°. 62 S. 

Eemboldt, Dr. v., Ober-Medizinalrat in Stuttgart: Ueber Verbreitung und 
Bekämpfung des Abdominaltyphus in Württemberg. Sonderabdruck aus 
dem Württembergischen medizinischen Korrespondenzblatt. 1905. Kl. 4°. 
19 S. 

Eichter, Dr. Max, Privatdozent für gerichtliche Medizin und Landgerichts¬ 
arzt in Wien: Gcrichtsärztlicho Diagnostik und Technik. Mit 7 Figuren. 
Leipzig 1905. Verlag von S. Hirzel. Gr. 8°. 304 S. Preis: 7 M., geb. 
8 Mark. 

Böpke, Dr. med. Friedrich, Ohren-, Nasen- und Halsarzt in Solingen: Die 
Verletzungen der Nase und deren Nebenhöhlen nebst Anleitung zur Begut¬ 
achtung ihrer Folgezustände. Wiesbaden 1905. Verlag von J. F. Berg¬ 
mann. Gr. 8°. 135 S. Preis: 4,60 M. 

E u n g e, Dr. Max, Geh. Medizinalrat, o. Professor der Geburtshilfe und Gynä¬ 
kologie, Direktor der Universität und Frauenklinik zu Göttingen: Der Krebs 
der Gebärmutter. Ein Mahnwort an die Frauenwelt. Berlin 1905. Verlag 
von Julius Springer. Kl. 8“. 22 S. Preis: 0,50 M. 

Salzer, Dr. Fritz, Privatdozent an der Universität München: Leitfaden zum 
Augenspicgelkurs. München 1905. J. F. Lehmanns Verlag. KL 8°. 107 S. 
Preis: geb. 5 M. 

Schlegel. Prof. Dr. M., Vorstand des Tierbygienischen Instituts der Uni¬ 
versität Freiburg i. Br.: Die Eotzbckämpfung und die Malieinprobe beim 
Pferde. Stuttgart 1905. Verlag von Ferdinand Enke. Gr. 8°. 88 Seiten. 
Preis: 2,40 M. 

Schubert, Dr. Simon: Jüdische Aerzte und ihr Einfluß auf das Judentum. 
Berlin - Leipzig 1905. Verlag von Singer & Co. Gr. 8°. 75 S. Preis: 
1,50 M. 

Stühlen, Dr. med. August, Königl. Kreisarzt in Gelsenkirchen: Leitfaden für 
Krankenpfleger und Krankenpflegerinnen bei der Pflege von ansteckenden 
Kranken in Krankenhäusern und in der Wohnung. Berlin 1905. Verlag von 
Bichard S c h o e t z. Kl. 8 °. 65 S. Preis: 1,25 M. 

Tuberkulose-Arbeiten aus dem Kaiserlichen Gesundheits¬ 
amte. 4. Auflage. Deutsche Heilstätten für Lungenkranke. Geschichtliche 
und statistische Mitteilungen II. Berichterstatter: Dr. Hamei. Berlin 
1905. Verlag von Julius Springer. Gr. 8°. 203 S. Preis: 12 M. 

Voigt, Dr. Andreas, Professor, und Paul Geldner, Architekt: Kleinhaus 
und Mietskaserne. Eine Untersuchung der Intensität der Bebauung vom 
wirtschaftlichen und hygienischen Standpunkte. Berlin 1905. Verlag von 
Julius Springer. Gr. 8°. 324 S. Preis: 7 M. 

Wassermann, Prof. Dr. A. in Berlin: Die Bedeutung der Bakterien für die 
Gesundheitspflege. Veröffentlichungen des Deutschen Vereins für Volks¬ 
hygiene. München und Berlin 1905. Verlag von E. Oldenbourg. KL 8°. 
35 S. Preis: 30 Pfg. 

Weber, Dr. H., Sanitätsrat: Die Heilung der Lungenschwindsucht durch 
Beförderung der Kohlensäurebildung im Körper. Halle a./S. 1905. Verlag 
von C. Mar hold. KL 8°. 55 S. Preis: 1 M. 


Berichtigung:. In der Beilage Eechtsprechung zu Nr. 21 ist auf 
S. 181 im § 1 des Gesetzes vom 28. August 1903, betreffend die Bekämpfung 
übertragbarer Krankheiten „Bückfallfieber“ (Febris recurrens) irrtümlicher¬ 
weise nicht mit aufgeführt. 


Verantwortl. Redakteur: Dr. Eapmund, Reg.-u. Geh. Med.-ßat in Minden i. W. 
J. 0. C. Bruns, Herzogi. Sachs, u. F. Sch.-L. Hofbuchdrucker«! in Minden. 




18. Jahrg. 


Zeitschrift 


1905. 


f'ir 


MEDIZINALBEAMTE. 


Zentralblatt für gerichtliche Medizin nid Psychiatrie, 
für ärztliche Sachverstandigentatigkcit in Unfall- und Invaliditatssachen, sowie 
für Hygiene, offontL Sanitatswesen, Medizinal-Gesetzgebung und Rechtsprechung 

Heraas gegeben 

Ton 

Dr. OTTO RAPMÜND, 

Reglerungs- and Geh. Medizinalrat in Minden, 


Verlag von Fiseher s mediz. Buchhandlg., H. Kornfeld, 

HorzogL Bayer. Hof- u. Erzherzogi. Kammer-Biichhtocller. 

Berlin W. 35, Lützowstr. 10. 

Inaerate nehmen die Verlagshandlang sowie alle Annoncen-Expeditionen des In- 

and Auslandes entgegen. 


Nr. 23. 


Enoheint am 1. und IS. jeden Monats 


1. Dezbr. 


Die Lebensproben, insbesondere die Magendarmprobe, in 
den neuen preussischen Vorschriften für das Verfahren 
der Gerichtsärzte bei den gerichtlichen Untersuchungen 

menschlicher Leichen. 1 ) 

Von Geh. Med.-Rat Prof. Dr. E. Ungar-Bonn. 

Die am 1. März d. J. an Stelle des Regulativs vom 6. Januar 
bezw. 13. Februar 1875 getretenen neuen Vorschriften für das Ver¬ 
fahren der Gerichtsärzte bei den gerichtlichen Untersuchungen 
menschlicher Leichen haben auch einige die Lebensproben be¬ 
treffende Veränderungen gebracht. Diese Aenderungen einer 
Besprechung zu unterziehen und znzusehen, wie sich nunmehr 
der Nachweis des Gelebthabens gestaltet, dürfte nicht ohne prak¬ 
tische Bedeutung sein. 

Was zunächst die Lungenprobe anbelangt, so haben die alten, 
vortrefflichen Vorschriften des Regulativs keine wesentlichen Aende¬ 
rungen erfahren. Neu ist nur, dass unter k des § 22 ausdrücklich 
bestimmt wird, es sei beim Einschneiden in die Lungen auch auf 
die Beschaffenheit des Gewebes, wie bei jeder anderen Leichen¬ 
öffnung zu achten. 

Geblieben ist leider die Bestimmung (sub c), dass nach 
Oeffnung der Brusthöhle schon die Farbe und Konsistenz der 
Lungen za ermitteln ist. Der Umstand, dass es schon hier heisst, 
„sowie die Farbe und Konsistenz der Lungen zu ermitteln“, kann 


*) Nach einem in der Sitznng der Medizinalbearaten des Regierungs- 
Bezirks Cöln gehaltenen Vortrage. 







758 


Dr. Ungar. 


gar za leicht za einer Fehlerquelle werden. Farbe and Kon¬ 
sistenz der Langen lassen sich ja erst in genügender Weise fest¬ 
stellen, wenn die Langen aas der Brusthöhle heraasgenommen 
sind. Nan schliesst freilich jene Bestimmung sab c. nicht aas, 
dass die Obdazenten die Langen, nachdem sie aus dem Brustkorb 
heraasgenommen sind, des genaueren auf Farbe and Konsistenz 
prüfen, ja der erste Satz des § 22 der Vorschriften, welcher aus¬ 
drücklich verlangt, dass bei den Leichenöffnungen Neugeborener, 
ausser der für diese Leichenöffnungen zu berücksichtigenden be¬ 
sonderen, auch die vorher angeführten allgemeinen Vorschriften za 
beachten seien, sollte es, wie auch Orth 1 ) in seinen Erläute¬ 
rungen za den neuen Vorschriften betont, als selbstverständlich 
erscheinen lassen, dass vor dem Einschneiden eine solche Prüfung 
vorgenommen werde. Die Erfahrung lehrt aber, dass die Obdu¬ 
zenten dies gar zu häufig unterlassen, dass sie wenigstens, nach¬ 
dem sie einmal nach der Oeffnnng der Brusthöhle der Farbe und 
Konsistenz der Lungen Erwähnung getan haben, nicht mehr auf 
das diesbezügliche Verhalten der Lungen zurückkommen.*) Diese 
Gefahr ist um so grösser, als man ja gar zu leicht geneigt ist, in 
der Lungenprobe hauptsächlich eine Lungenschwimmprobe zu er¬ 
blicken und dieserhalb, indem man hauptsächlich Wert auf die 
Ermittelung des spezifischen Gewichts der Lungen legt, die anderen 
wichtigen Kriterien, welche uns die Lungenprobe an die Hand 
gibt, gar zu leicht unberücksichtigt lässt. 

Ais eine erfreuliche Errungenschaft ist es anzusehen, dass 
die Magendarmprobe in den neuen Vorschriften Erwähnung ge¬ 
funden hat. Während das Regulativ die Magendarmprobe ganz 
unberücksichtigt liess, enthalten die neuen Vorschriften wenigstens 
die Bestimmung: „Bei negativem oder zweifelhaftem Resultat der 
Lungenprobe kann die Magendarmprobe ergänzend herangezogen 
werden.“ 

Mit dieser Bestimmung werden freilich auch die neuen Vor¬ 
schriften der Bedeutung der Magendarmprobe nicht gerecht. Zu¬ 
nächst heisst es hier: „kann die Magendarmprobe ergänzend 
herangezogen werden“. Während die neuen Vorschriften sonst 
bestimmte Weisungen erteilen, stellen sie es hier dem Ermessen 
der Obduzenten anheim, ob sie die Magendarmprobe zur Er¬ 
gänzung heranziehen wollen. In diesem Sinne wird man wenigstens 
zunächst den Ausdruck „kann“ auslegen. Dass mit jenem Satze 
nur darauf hingewiesen werden soll, dass die Magendarmprobe 
noch die gewünschte Auskunft geben könne, und es als selbst¬ 
verständlich angenommen wird, dass die Obduzenten diese Möglich- 


*) Erläuterungen zu den Vorschriften für das Verfahren der Gerichts¬ 
ärzte bei den gerichtlichen Untersuchungen menschlicher Leichen. Berlin 1905. 
Seite 51 und 52. 

*) Es liegen mir zurzeit 14 dem Medizinal-Kollegium zur Revision Über¬ 
sandte Protokolle von Leichenöffnungen Neugeborener vor. In 5 derselben 
geschieht der Farbe und Konsistenz der Lungen nach deren Herausnahme aus 
dem Brustkorb nicht mehr Erwähnung, in 3 wird nur die Konsistenz berück¬ 
sichtigt, nur in 6 finden Farbe und Konsistenz nochmals Berücksichtigung. 



Die Lebenaproben, insbesondere die Magendarmprobe, usw. 


?69 


keit nicht unbenutzt lassen, wäre ja möglich. Zweifellos wird 
aber alsdann die Fassung des Satzes die Folge haben, dass ge¬ 
legentlich die Obduzenten doch der Meinung sind, es sei in ihr 
Belieben gestellt, ob sie, selbst bei negativem oder zweifelhaftem 
Resultat der Lungenprobe, die Magendarmprobe anstellen wollen. 

Nun wissen wir doch alle, dass man bei den oft unter den 
ungünstigsten Verhältnissen vorzunehmenden Leichenöffnungen gar 
zu leicht bestrebt ist, die Obduktion möglichst rasch zu beendigen 
und deshalb nicht immer geneigt ist, mehr zu tun als notwendig 
erscheint. 

Die Befürchtung, dass die Obduzenten selbst in Fällen, 
in welchen die Lungenprobe im Stiche gelassen hat, sich der 
Magendarmprobe nicht bedienen würden, hat sich mir schon als 
nicht unbegründet erwiesen. Bei der Revision der Obduktions¬ 
protokolle eines benachbarten Regierungsbezirkes musste ich fest¬ 
stellen, dass bei zwei Leichenöffnungen Neugeborener die Magen¬ 
darmprobe, obschon die Lungenprobe negativ ausgefallen war, 
keine Berücksichtigung gefunden hatte. 

Indem die Vorschriften bestimmen, dass die Magendarmprobe 
bei negativem oder zweifelhaftem Resultat der Lungenprobe heran¬ 
gezogen werde, lassen sie ausser acht, dass die Obduzenten bei 
der Leichenöffnung nicht immer wissen können, ob das positive 
Resultat der Lungenprobe die gewünschte Aufklärung wirklich 
gibt, ob hierdurch wirklich der Nachweis geliefert wird, dass das 
Kind gelebt hat. 

Folgender Fall möge dies illustrieren: Die Lungenprobe 
ergibt, dass die Lungen aufgebläht sind, wenn sich auch in beiden 
Lungen, so namentlich im linken Unterlappen grössere luftleere 
Stellen nachweisen lassen. Der Magen- und der AnfaDgsteil des 
Dünndarms erweisen sich als gleichmässig gaserfüllt und schwimm¬ 
fähig. Auf Grund dieses Befundes spricht sich das vorläufige 
Gutachten dahin aus, dass das Kind geatmet und folglich gelebt 
habe. Durch die gerichtlichen Ermittelungen wird nun festgestellt, 
dass von einer nach der Geburt des unehelichen Kindes herbei¬ 
geholten Hebamme Wiederbelebungsversuche durch Schultzesche 
Schwingungen unternommen worden sind. Darauf hiu kann in 
dem Ergebnis der Lungenprobe nicht mehr ein Beweis für das 
Gelebthaben des Kindes erblickt werden. Wäre hier nicht trotz 
des scheinbar positiven Ergebnisses der Lungenprobe die Magen¬ 
darmprobe vorgenommen und durch sie nicht nur ein Luftgehalt 
des Magens, sondern auch des Darmes, welch letzterer ja, gemäss 
der Untersuchungen von Sommer, 1 ) v. Hofmann,*) Runge, 8 ) 
Winter, 4 ) und Hann 5 ) nicht auf Schultzesche Schwingungen 
zurftckgeführt werden kann, nachgewiesen worden, so hätte man 


*) Vierteljahrsschrift für ger. Medizin etc; 1885, Bd. XLIII, S. 253. 

*) Lehrbach der ger. Medizin; 9. Auflage, 8. 793. 

■) Wiener med. Wochenschrift; 1885, Nr. 8. 

4 ) Vierteljahrsschrift für ger. Medizin etc.; 1889, Bd. LI, S. 111. 

*) Ueber die Magendarm-Schwimmprobe; Berliner Dissertation, 1889. 



760 


Dr. Ungar. 


im begründeten Gutachten den Aussprach, dass das Kind gelebt 
habe, zurückziehen müssen. 

Die Auffassung, dass es genügt, die Magendarmprobe bei 
negativem oder zweifelhaftem Resultate der Lungenprobe er¬ 
gänzend heranzuziehen, berücksichtigt aber vor allem nicht, dass 
die Magendarmprobe, und nur sie allein, uns Auskunft zu geben 
vermag über die Dauer eines kürzeren Lebens des Neugeborenen. 
Hier lässt uns die Lungenprobe, wie ich früher 1 ) gezeigt habe, 
völlig im Stich, oder gestattet höchstens gelegentlich einmal in 
Verbindung mit anderen Feststellungen einen Wahrscheinlichkeits¬ 
schluss. Selbst völlig aufgeblähte Lungen beweisen nicht, dass 
das Kind länger wie einige Augenblicke gelebt hat; anderseits 
können die Lungen trotz stunden- ja tagelangen Lebens zum 
grössten Teil luftleer angetroffen werden, ja, ihren Luftgehalt 
wieder soweit verloren haben, dass die Lungenprobe völlig negativ 
ausfällt. Auch keine der anderen Lebensproben, mit Ausnahme 
der Magendarmprobe, vermag uns über die Dauer eines kurzen 
Lebens Auskunft zu geben; sie können uns erst gewisse Anhalts¬ 
punkte bieten, wenn es sich um ein Leben von Stunden oder 
Tagen handelt. Dies gilt auch von dem Verhalten des Ductus 
Botalli, dessen Durchgängigkeit gemäss der neuen Vorschriften 
(§23h) geprüft werden muss. Wie die neueren Untersuchungen 
von Haberda 1 ) ergeben haben, ist der arteriöse Gang durch¬ 
schnittlich noch bis in die zweite Lebenswoche für eine mittlere 
Sonde, bis zum Ende der dritten Woche für eine sehr feine Sonde 
durchgängig. Hierzu kommt noch, dass ja der Ductus Botalli, 
wenn auch nur ausnahmsweise, das ganze Leben hindurch per- 
sistiert. So bleibt also zum Nachweis eines kürzeren Lebens nur 
die Magendarmprobe; sie, richtig verwertet, vermag uns in der 
Tat wertvolle Anhaltspunkte für die Beurteilung der Dauer des 
Lebens zu geben. Dieser Bedeutung der Magendarmprobe gedenkt 
auch Orth in seinen Erläuterungen. Es heisst dort Seite 52: 
„Da auf die Dauer des Lebens nach der Geburt aus der Ver¬ 
breitung der Luft im Darmkanal ein gewisser Schluss gemacht 
werden kann. . . .* 

Zur richtigen Beurteilung dessen, was die Magendarmprobe 
hier zu leisten vermag, muss man sich darüber klar sein, wie die 
Luft in den Magendarmtraktus aufgenommen wird. Breslan, 
der zuerst die Aufmerksamkeit auf die Entstehung und die Be¬ 
deutung der Darmgase beim neugeborenen Kinde lenkte, vertrat 
die Ansicht, dass die Luft durch Verschlucken in den Magen ge¬ 
langte, welcher Anschauung auch jetzt Orth in seinen Erläute¬ 
rungen § 52 Ausdruck gibt. Nachdem zuerst Kehrer 8 ) diese 
Auffassung bekämpft hatte, konnte ich den Nachweis liefern, dass 
die Luftaufnahme in den Magen des Neugeborenen vermittels des 


*) Ueber den Nachweis der Zeitdauer des Lebens der Neugeborenen. 
Vierteljahrsschrift für ger. Medizin und öffentl. Sanitätswesen; 8. Folge, XIII., 1. 

*) Die fötalen Kreislaufwege und ihre Veränderungen nach der Geburt. 
Wien 1896. 

*) Beiträge zur vergl. und experiro. Geburtskunde; 6. H., Gießen 1877. 



Die Lebensproben, insbesondere die Hagendarmprobe, osw. 76L 

bei der inspiratorischen Erweiterung des Thorax im Brnstteile 
des Oesophagas eintretenden nnteratmosphftrischen Druckes be¬ 
wirkt wird, wobei ich jedoch keineswegs die Möglichkeit aus- 
schloss, dass gelegentlich etwas Luft durch Verschlucken in den 
Magen gelange, so namentlich, wie auch Kehrer betonte, die 
kleinen von Schleim eingeschlossenen Luftbläschen. 

Dadurch, dass die Luft vermittels der Atembewegungen in 
den Magendarmtraktus gelangt, wird die Magendarmprobe auch 
als eine Atemprobe charakterisiert, welche Stellung ihr übrigens 
ja auch die neuen Vorschriften, indem sie sie in den die Ermitte¬ 
lung stattgehabter Atmung behandelnden § 23 aufgenommen haben, 
einräumen. 

Halten wir an der Erklärung, dass die Luft vermittels der 
Atembewegungen in den Magendarmtraktus gelangt, fest, so wird 
es uns verständlich, dass im grossen und ganzen ein direktes Ver¬ 
hältnis zwischen der Dauer des Gelebthabens und der Luft¬ 
erfüllung des Magens und Darmes besteht, während wir uns ein 
solches Verhalten nicht erklären könnten, wenn die Luftfüllung 
des Magens und Darmes von den mehr zufälligen Schluckakten 
herrührte. 

Ein so bestimmtes Verhältnis, wie es Breslau annahm, 
können wir freilich heute nicht mehr anerkennen. Wohl dürfen 
wir mit Breslau annehmen, dass, wenn der Magendarmtraktus 
von oben herab bis zur Hälfte mit Luft gefüllt ist, der Tod des 
Kindes nicht gleich nach den ersten Atemzügen erfolgte. Ja, wir 
können noch weiter gehen und sagen, dass, wenn der Magen und 
auch nur ein Teil des Dünndarmes so mit Luft aufgebläht sind, 
dass sie bei der Schwimmprobe mit einem Teil die Oberfläche des 
Wassers überragen, wir im allgemeinen annehmen können, dass 
das Kind in der Lage gewesen sein müsse, eine Anzahl von Atem¬ 
zügen unter Umständen auszuführen, die den Zutritt der Luft zu 
Mund- und Nasenöffnung gestatteten. Weder die einzelne inspi¬ 
ratorische Ausdehnung des Brustkorbes noch der einzelne Schluck¬ 
akt bringen so viel Luft in den Intestinaltraktus, dass durch einige 
wenige dieser Aktionen Magen und ein Teil des Dünndarms stärker 
aufgebläht würden. Wenn wir aber aus dem Ergebnis der Magen¬ 
darmprobe solche Schlussfolgerungen ziehen wollen, dürfen wir 
die wichtige Beobachtung von Hofmanns 1 ) nicht ausser acht 
lassen, dass sich in einzelnen Fällen, in denen die Lungen wegen 
Verstopfung der Bronchien oder wegen Lebensschwäche fast voll¬ 
kommen atelektatisch geblieben waren, der Magen und der ganze 
Dünndarm aufgebläht erwiesen, obgleich das Kind wenige Augen¬ 
blicke nach der Geburt gestorben war. Diese Beobachtungen, 
welche sich dadurch erklären, dass in solchen Fällen behinderter 
Luftatmung bei den inspiratorischen Erweiterungen des Brust¬ 
korbes um so mehr Luft in den Brustteil des Oesophagus auf¬ 
genommen werden kann, und sich so der Magen und Darm um so 
rascher mit Luft erfüllen, lehren uns, dass eine stärkere Luft- 


*) Lehrbuch der gerichtlichen Medizin; IX. Auflage, S. 806. 



762 


Dr. Ungar. 


anaammlung im Magen and Darm nur dann einen Schloss auf ein 
verhältnismässig längeres Gelebthaben gestattet, wenn aneh die 
Langen genügend aufgebläht sind, nnd jeder Anhalt dafür fehlt, 
dass die Luftaufnahme in die Lungen behindert gewesen sei. 

Inwieweit die Annahme Breslans, ein Luftgehalt bis über 
das Colon hinaus beweise, dass das Kind zum mindesten 12 Stunden 
gelebt habe, berechtigt ist, müssen weitere Untersochongen er* 
geben. Es liegen zu wenige einschlägige Untersuchungen vor, 
um diesen Satz als zweifellos berechtigt anzuerkennen. Immerhin 
würde ich, wiederum vorausgesetzt, dass Anhaltspunkte für eine 
Behinderung der Luftaufnahme in die Lungen fehlen, auf Grund 
eines solchen Befundes ein stundenlanges Leben des Kindes für 
wahrscheinlich erklären. 

Das Fehlen eines Luftgehaltes des Magens und Darmes oder 
eine nur wenig vorgeschrittene Autblähung des Magendarmkanals 
darf nicht ohne weiteres in dem Sinne ausgelegt werden, dass das 
Kind nur wenige Augenblicke gelebt habe. Ganz abgesehen davon, 
dass es ein Leben ohne Atmen gibt, müssen wir berücksichtigen, 
dass der Magen nicht sofort nach der Geburt lufthaltig zu weiden 
braucht, ja, dass derselbe noch völlig luftleer sein kann, wenn die 
Lungen bereits aufgebläht sind. Man darf auch nicht ausser acht 
lassen, dass, wie ich nachweisen konnte, die Luft in einem bereits 
aufgeblähten Magen und Darm der Resorption verfallen kann. 1 ) 
Immerhin wird man aber nicht fehlgehen, wenn man bei luftleerem 
oder kaum lufthaltigem Magendarmkanal ein längeres, ein viele 
Minuten langes, kräftiges Leben bei unbehinderter Luftzufuhr für 
wenig wahrscheinlich erklärt. 

Zur Klarstellung der Bedeutung der Magendarmprobe bedarf 
es noch der Besprechung zweier gegen die Beweiskraft dieser 
Lebensprobe erhobenen Einwendungen. Zunächst ist dem Einwand 
zu begegnen, dass ja auch eine intrauterine Luftaufnahme in den 
Magendarmkanal erfolgen kann, ja, dass hierbei sogar, wie ein 
von Winter 8 ) mitgeteilter Fall beweist, die Luft bis zum Colon 
hin Vordringen kann. Ebensowenig wie aber die intrauterine 
Luftaufnahme in die Lungen die Bedeutung der Lungenprobe 
schmälern kann, verliert die Magendarmprobe dieserhalb an Wert, 
da es sich in den Fällen, in denen eine intrauterine Luftaufnahme 
erfolgen kann, nicht um heimliche Geburten und somit kaum je 
um das Objekt einer gerichtlichen Leichenöffnung handelt. 

Von grösserer Bedeutung ist der Ein wand, dass der Magen* 
darmtraktus auch durch Fäulnis gashaltig und schwimmfähig 
werden könne, und deshalb die Stichhaltigkeit der Magendarm* 
probe anzuzweifeln sei. Dass sich im Magendarmtraktus schliess¬ 
lich auch Fäulnisgase entwickeln können, kann keinem Zweifel 
unterliegen. Zugegeben muss auch werden, dass hierzu nicht, 
wie Breslau meinte, stets ein hochgradig fauler Zustand des 
Darmkanals gehört, dass sich vielmehr, wie zuerst Liman und 


*) Vierteljahrsschrift für ger. Medizin; N. F., XLVI., 1, 
4 ) Vierteljahrsschrift für gor. Med. etc.; Bd. LI, S. 103. 



Die Lebensproben, insbesondere die Magend&rmprobe, usw. 768 

Skrzeczka 1 * * ) nachgewiesen haben, schon in Leichen, welche 
einigermassen in der Fäulnis vorgeschritten sind, im Magendarm- 
traktus Fäulnisgase bilden können. Alsdann sind aber der Magen 
und die angrenzenden Darmpartien nicht durch eine grössere, zu¬ 
sammenhängende Gasansammlung gleichmässig ausgedehnt, sondern 
man trifft die Fäulnisgase nur in weniger umfangreichen und. 
nicht zusammenhängenden, über den Darm zerstreuten Herden an; 
der Magen erscheint nicht bis zur vollen Rundung und so auf¬ 
gebläht, dass er auf der Oberfläche des Wassers schwimmt. 

Noch weiter sind Mittenzweig*) und Strassmann 8 ) 
gegangen, indem sie sich auf Grund je eines von ihnen beob¬ 
achteten Falles dahin aussprachen, dass auch in frischen Leichen 
der Neugeborenen im Mageninhalt schon verhältnismässig früh¬ 
zeitig Verwesungsvorgänge auftreten und zu einer Gasbildung 
innerhalb desselben führen könnten. Strassmann fugte zwar 
hinzu, dass eine derartige Erscheinung gewiss selten sei, glaubte 
sich aber dennoch berechtigt, die Stichhaltigkeit der Magendarm¬ 
probe zu verneinen. Dieser Anschauung, welche nicht ohne Ein¬ 
fluss auf das Schicksal der Magendarmprobe geblieben ist, bin ich 
seinerzeit entgegengetreten. Es würde jedoch zu weit führen, 
wollte ich aut diese Frage hier nochmals des näheren eingehen. 
Es ist dies auch um so weniger angezeigt, als Strassmann 4 ) 
selbst späterhin in seinem Lehrbuche der gerichtlichen Medizin 
die Ansicht vertritt, dass eine gleichmässige, zusammenhängende 
Luftanfüllung des Magens und Dünndarmes gegen Fäulnis spreche, 
also als Beweis des extrauterinen Lebens zu verwerten sei. Aut 
diese gleichmässige, zusammenhängende Luftanfüllung kommt es 
aber in der gerichtsärztlichen Praxis an; dass man hier der Gegen¬ 
wart einiger weniger Gasbläschen keine besondere Bedeutung bei¬ 
legen soll, hatte ich selbst bereits früher betont. 

Die Bedeutung der Magendarmprobe vermag also auch die 
Tatsache, dass sich Fäulnisgase im Magendarmtraktus ansammeln 
können, nicht herabzusetzen. 

Bezüglich der Ausführung der Magendarmprobe bestimmen 
die Vorschriften, dass der Magen, nachdem seine Schwimmfähig¬ 
keit geprüft, unter Wasser zu eröffnen sei. Geschieht dies mittels 
eines ausgiebigen Schnittes, so entleert sich nicht nur die Luft, 
sondern auch ein sonstiger Inhalt ins Wasser, so dass eine für 
die Aufklärung des Falles oft wichtige Untersuchung dieses In¬ 
halts vereitelt wird. Es dürfte sich deshalb empfehlen, zunächst 
den Magen nur durch eine weniger umfangreiche Stichöffnung zu 
eröffnen und durch diese die Luft austreten zu lassen. 

Indem ich hiermit schliesse, möchte ich noch betonen, dass 
es nicht meine Absicht war, die neuen Vorschriften einer Kritik 
zu unterziehen. Zweck meiner Erörterungen war es, auf einige 
Fehlerquellen aufmerksam zu machen und vor allem dazu beizu- 

l ) Vierteljahrsschrift für ger. Med. etc.; 1868, Bd. VIII, S. 1. 

*) Vierteljahrsschrift für ger. Med. etc.; Bd. XLVIII, S. 252. 

*) Berliner klin. Wochenschrift; 1889, Nr. 6. 

4 ) Lehrbach der ger. Medizin; S. 527. 



764 


Carlo Ferrai. 


tragen, dass der Magendarmprobe, für die ich wiederholt in Wort 
und Schritt eingetreten bin, die Beachtung zuteil werde, welche 
sie im Interesse der gerichtsärztlichen Sachverständigentätigkeit 
verdient. Ich möchte mich bezüglich der Magendarmprobe der 
Mahnung anschliessen, die Eapmund in seiner die neuen Vor¬ 
schriften betreffenden Abhandlung 1 ) ausspricht: „Man sollte sie 
aber in keinem Falle unterlassen, da sie namentlich in bezug auf 
die Dauer des Lebens wertvolle Anhaltspunkte gibt.“ 


Aus dem Institut für gerichtliche Medizin 
der Universität Genua (Direktor: Prof. A. Severi). 

Ueber Fäulnisverdauung. 

Vorläufige Mitteilung 

von Carlo Ferrai, Privatdozenten und Assistenten. 

In einer vor einigen Jahren erschienenen Arbeit*) habe ich 
auf experimentellem Wege nachgewiesen, dass der Verdauungs¬ 
prozess auch nach dem Tode noch einige Zeit und zwar in nicht 
unbedeutendem Masse fortdauert. In der Folge hat Hoffmann- 
Elberfeld, angeregt durch meine Veröffentlichung, an menschlichen 
Leichen eigene Untersuchungen in der Weise angestellt, dass er 
unmittelbar nach dem Tode mittels Schlundsonde eine Nährlösung 
in den Magen einführte, der zuvor einige Male ausgespült war.*) 
Hierbei fand er unter anderem, dass Fibrinkarmin und Hühner- 
eiweiss in den ersten 24 Stunden post mortem am intensivsten 
verdaut wurden, in den folgenden 24 Stunden die Verdauung ent¬ 
weder ganz aufhörte oder doch erheblich nachliess. Im Anschluss 
an diese von Hoffmann auf der XIX. Versammlung des Preussi- 
schen Medizinalbeamten-Vereins in Cassel vorgetragenen Ergeb¬ 
nisse, bei denen er sich wieder auf meine Untersuchungen berief, 
hob Strassmann 4 ) in der Diskussion hervor, wie dieser von mir 
gefundenen und von Hoffmann bestätigten Tatsache nicht nur 
ein theoretisches, sondern auch ein praktisches Interesse innewohne; 
denn sie mahne von neuem zu grösster Vorsicht bei der Beant¬ 
wortung der Frage nach dem Zeitpunkt des Todes aus dem Ver¬ 
halten des Mageninhaltes. Jüngst ist dann lm Strassmann- 
schen Institut die Frage, ob sich die Todeszeit und die Zeit der 
letzten Nahrungsaufname auf Grund des Mageninhaltes bestimmen 
lassen, von Sorge wieder aufgenommen und zum Gegenstand einer 
verdienstvollen und erschöpfenden Zusammenstellung gemacht 
worden. 8 ) 


*) Zeitschrift für Modizinalbcamtc; 1905, Nr. 7, S. 222. 

*) C. Ferrai: Ueber postmortale Verdauung. Vierteljahrsschr. für 
gerichtl. Medizin; 1901, XXI. 

3 ) Hoffmann: Ueber postmortale Verdauung. Bericht d. XIX. Haupt¬ 
versammlung des Preuß. Medizinalbeamtcn- Vereins. Zeitschr. für Medizinal- 
beamte; 1902. 

*) Ebenda, S. 63. 

5 ) A. Sorge: Die Verwertung des Mageninhaltes zur Bestimmung der 
Todeszeit und der Zeit der letzten Nahrungsaufnahme. Zeitschr. f. Medizinal¬ 
beamte ; 1904, 12. Heft. 



Ueber Fäulnis Verdauung. 


766 


Dieselbe Frage, und zwar besonders die postmortale Ver¬ 
dauung 1 , hat anch in einem kürzlich in Italien verhandelten Sen¬ 
sationsprozesse eine lange nnd lebhafte Diskussion veranlasst. 
Hier galt es, zu entscheiden, ob das Opfer kürzere oder längere 
Zeit vor dem Ueberfall und der Ermordung gegessen hatte. Ohne 
auch nur im geringsten auf den speziellen Fall eingehen zu wollen, 
habe ich ihn doch erwähnt, weil er erstens von neuem die grosse 
praktische Bedeutung des Problems illustriert, dann aber, weil 
er mir, der die Gerichtsärzte zuerst auf die Erscheinung auf¬ 
merksam gemacht hat, Veranlassung gibt, hier zu erklären, dass 
es zwar durchaus nicht gerechtfertigt ist, ihr jede praktische 
Bedeutung abzusprechen, dass es aber ebenso unberechtigt wäre, 
ihr allgemeine Gültigkeit beizumessen und zu glauben, dass sie 
in jedem Falle eine wesentliche Umdeutung der Befunde ver¬ 
anlassen könne. 

Die Bedeutung des Phänomens liegt m. E. vielmehr in dem, 
was Strassmann mit dem Scharfblicke des auf lange und reiche 
praktische Erfahrung gestützten Gelehrten auf dem Cassel er 
Kongress hervorgehoben hat. Durch die postmortale Verdauung 
wird das schon verwickelte, schwierige Problem noch schwieriger 
und verwickelter, und es wird notwendig, in jedem einzelnen 
Falle die zeitliche Begrenzung weit vorsichtiger und unbestimmter 
vorzunehmen, während jetzt leider diese Begrenzung viel zu knapp 
und bestimmt in der Antwort der Sachverständigen auf diese ebenso 
schwierige wie häufige Frage ausfällt. In der Tat haben mich 
eigene Erfahrung und fremde Bestätigung zu der Ueberzeugung 
gebracht, und ich bin der erste, der dies zugibt, dass die Er¬ 
scheinung allerdings in vielen Fällen einen äusserst beschränkten, 
praktischen Wert hat, den man ausser acht lassen kann. Ganz 
sicher ist dies aber nicht in gewissen Fällen, in denen besondere 
örtliche oder Temperaturverhältnisse, die Verdauungsperiode, in 
der der Tod eintrat, ganz besonders aber die Menge und vor 
allem die Art der Nahrung dahin wirken, dass die Ausseracht- 
lassung des Phänomens schwerwiegende Fehler zur Folge haben 
könnte. 

Noch eine andere Seite der Frage, auf die ich in der eben 
erwähnten Arbeit schon hingewiesen habe, die aber bisher von 
den Autoren ganz unberücksichtigt geblieben ist, besitzt grosses 
praktisches Interesse und verdient geprüft zu werden. Können 
die Zusammensetzung und der Zustand der im Magen enthaltenen 
Nahrungsmittel durch die Fäulnisprozesse so beeinflusst 
werden, dass die Verdauung weiter vorgeschritten zu sein scheint 
als sie tatsächlich im Augenblick des Todes war? Kurz, gibt 
es eine Fäulnisverdauung? 

Wir haben hier zwei Möglichkeiten auseinanderzuhalten: 
Die Fäulnis kann die Ingesta 1. in quantitativer, 2. in qualitativer 
Weise verändern. 

Zn 1. Kann es durch Fäulnis zu einer Entleerung 
des Magens kommen? Unberücksichtigt bleiben hierbei jene 



766 


Carlo Ferrai. 


partiellen Entleerungen, die in der Agone entstehen können, und 
die verdienten, einer sorgfältigen Prüfung unterzogen zu werden. 
Bei Personen, die kurz nach der Mahlzeit verstorben sind, trifft 
man nicht selten feste Speiseteile bis in die untersten Abschnitte 
des Dünndarms vorgetrieben. 1 ) Aber die Erscheinung ist sicher 
nur partiell. Uebrigens können dann, wenn es sich um frische, 
feste Speisemassen handelt, aus ihrer Anwesenheit im Darm kaum 
Irrtttmer entstehen. — 

Grössere Bedeutung könnte eine durch Fäulnis bewirkte 
Leerung des Magens erlangen, die nämlich durch den bekanntlich 
unter Umständen sehr erheblichen Druck der Fäulnisgase (partns 
post mortem) zustande kommen könnte. Ueber diesen Punkt 
wären experimentelle Untersuchungen an menschlichen Leichen 
vorzunehmen, die allerdings auf Schwierigkeiten stossen dürften, 
da hierzu ganze Leichen lange Zeit der Fäulnis überlassen bleiben 
müssten. Die Beobachtungen an Leichen, die im Zustande vor* 
geschrittener Fäulnis zur Obduktion gelangen, besitzen weniger 
Beweiskraft, weil ja gerade in solchen Fällen sehr schwer genaue 
Daten über die Zeit des Todes, über die der letzten Mahlzeit und 
über deren Menge zu erhalten sind. Immerhin sind auch solche 
Beobachtungen nicht zu verachten, weil sie uns die Vorgänge in 
ihrer natürlichen Entwicklung und nicht in künstlicher Rekonstruk¬ 
tion zeigen. Derartige Fälle scheinen nun zu beweisen, dass eine 
Leerung des Magens durch Fäulnisvorgänge nicht gerade leicht 
entsteht; denn ich habe noch in stark gefaulten Leichen mit 
riesiger emphysematöser Auftreibung häufig im Magen einen über¬ 
aus massigen Inhalt angetroffen, ohne eine Spur von Speisenüber- 
tritt in den Darm. Und übrigens — so zweifellos der Druck der 
intraabdominalen Fäulnisgase sehr hohe Werte erreichen kann — 
ist kein physikalischer Grund zu ersehen, warum dieser Druck 
vorzugsweise auf den Magen wirken und seinen Inhalt in den 
Darm austreiben sollte. Doch will ich mit diesen Bemerkungen 
die Möglichkeit des Vorganges nicht leugnen; die Entscheidung 
kann jedoch nur durch geeignete Versuche und sorgfältige Unter¬ 
suchung einer grossen Zahl von faul zur Sektion gelangenden 
Leichen erbracht werden. Besonders wertvoll sind solche, bei 
denen zufällig genaue Angaben über die Zeit des Todes und über 
die letzte Mahlzeit zu bekommen sind. 

Zu 2. Die hier in äusserster Kürze wiederzugebenden ex¬ 
perimentellen Untersuchungen, die sich zunächst aut das makro- 
und mikroskopische Verhalten beschränken, betreffen die zweite 
Frage des Problems, ob nämlich durch Fäulnis derartige 
qualitative Aenderungen des Mageninhalts hervor¬ 
gebracht werden können, dass dieser sich in einem späteren 


*) Einen schönen Fall dieser Art habe ich kürzlich bei einer Obduktion 
im Berliner Schauhaase beobachtet. Bei einem Mädchen, das plötzlich nach 
einer zu Abtreibungszwecken vorgenommenen Einspritzung einer kochendheißen 
Flüssigkeit in die Gebärmutter gestorben war, waren feste Speiseteile, und 
besonders Melonenstückchen, durch den ganzen Dünndarm, bis zum Coecum, 
gewandert. 



Ueber Fiulniaverdauung. 767 

Verdannngsstadium zu befinden scheint, als er im Augenblick des 
Todes tatsächlich war. 

Die Versuche wurden an Hunden angestellt, die einige Zeit 
vor dem Versuche mit einer aus Brot und Suppenfleisch zusammen¬ 
gesetzten, gemischten Kost gefüttert worden waren. 

In einigen Fällen untersuchte ich den Zustand des Magen¬ 
inhaltes in verschiedenen Zeitabschnitten der Verdauung: Zuweilen 
erzeugte ich Erbrechen mit Apomorpbininjektionen, gewöhnlich 
aber wurde das Tier durch Baibusstich getötet und der Magen¬ 
inhalt unmittelbar darauf auf Menge und sonstiges Verhalten 
geprüft. Da die Versuche zunächst nur die Erlangung von Ver¬ 
gleichsdaten mit denen über die Fäulnis bezweckten, wurde die 
Beobachtung nicht über die fünfte Verdauungsstunde hinaus fort¬ 
gesetzt. 

Eis wurden Hunde von möglichst gleicher Grösse benutzt. 
Die Probemahlzeit bestand aus 25 gr Weizenbrot vom Tag zuvor, 
das in warmem Salzwasser eingeweicht und mit 25 gr gehacktem, 
magerem Suppenfleisch gemischt wurde. 

Ohne die einzelnen Versuche aufzuzählen, berichte ich ganz 
kurz über die wichtigsten Tatsachen, die bei der Prüfung nach 
45 Minuten 1, 1 */*, 3 und 4*/« Stunden nach der Fütterung fest¬ 
gestellt wurden. 

Die Menge der eingeführten Nahrung erfährt in den ersten 
drei Stunden keine Verminderung; nach vier Stunden ist der 
Mageninhalt manchmal sehr weichlich, manchmal anscheinend etwas 
verringert. Das makroskopische Verhalten ändert sich allmählich: 
Anfangs ziemlich kompakt, nicht homogen durch die Gegenwart 
grosser Stücke Brot (namentlich der Kruste anhaftender) und 
Fleisch, wird er allmählich breiartiger, dann fast flüssig und 
gleichzeitig damit mehr homogen. Alle weichen Teile des Brotes 
zerfallen schliesslich, auch die der Rinde. Die Fleischstücke 
quellen an der Oberfläche nnd werden durchscheinender, beginnen 
zu zerfallen und lassen sich mit den Fingern zerdrücken. Jeden¬ 
falls finden sich auch noch nach 3 und 4 1 /* Stunden Fleischstücke, 
die zwar sehr zerkleinert und bröckelig sind, sich aber immer 
noch mit blossem Auge gut erkennen lassen. 

Bei der mikroskopis chen Durchmusterung des Mageninhalts 
sieht man die Stärkekörnchen anfangs in grossen und dichten 
Haufen liegen. Allmählich werden diese kleiner und lockerer, 
bis nach 3 und 4 1 /* Stunden die Körner frei im Präparat herum¬ 
schwimmen. Sie zeigen selten Veränderungen. Nur manchmal 
sind die Ränder etwas unregelmässig, wie angenagt. Die Muskel¬ 
fasern hängen anfangs zusammen, so dass man zur Untersuchung 
Zupfpräparate herstellen muss. Sie verhalten sich noch vollständig 
normal. Allmählich jedoch lösen sie sich voneinander los, teilen 
sich der Länge nach, zeigen unregelmässige Begrenzungslinien 
und namentlich abgerundete Enden; die Querstreifung wird häufig 
weniger deutlich, manchmal unkenntlich, während die Fibrillen, 
besonders an den Enden, auffasern. Diese Veränderungen sind 
bei den schon abgelösten und frei herumschwimmenden Fasern 



768 


Carlo Ferr&i. 


stärker als bei den noch mit anderen verbundenen. Versucht 
man Zupfpräparate von den letzteren herzustellen, so zerquetscht 
die Nadel nur, ohne zu trennen. Fettkugeln trifft man während 
der ersten Verdauungsstunden fast gar nicht an; sie erscheinen 
erst nach drei Stunden und werden später zahlreicher. 

Nach dieser Aufzählung der beim Hunde in den verschiedenen 
Verdauungsstadien nach der benutzten Fütterung zu findenden 
Veränderungen, stelle ich jetzt die Fäulnisversuche zusammen. 

A. Ein Hund erhält das bekannte Futter. Eine Stunde 
später wird er mittels Bulbusstich getötet. Die Leiche bleibt 
9 Tage lang an der Luft der Fäulnis überlassen (April, mittlere 
Temperatur 16° C.); dann wird sie seziert. 

Die Fäulnis ist ziemlich weit vorgeschritten. Abdomen stark durch Gas 
aufgetrieben; Verdauungskanal stark durch Gas gespannt Reichlicher Inhalt im 

N 

Magen. Starker Säuregehalt (100 cc = 23 cc y EOH). Keine freie HCl. Der 

Inhalt besteht aus einer ziemlich dünnflüssigen Masse, in der Speisefetzchen 
schwimmen, sowohl Brotteile, die der Binde anhaften, wie graurote Fleisch¬ 
stückchen, beide gut zu erkennen. Mikroskopisch enthält der flüssige Teil 
zahlreiche isolierte Stärkekörnchen, fast alle ganz normal, zahlreiche kleine 
fragmentierte Muskelfasern mit meist deutlicher Querstrcifung, aber unregel¬ 
mäßigen Spitzen und verschiedenen Einrissen. Die Fasern der noch erhaltenen, 
aber sehr bröckeligen Fleischstücke, erscheinen ziemlich gut konserviert; drückt 
man aber auf das Deckglas, so zerfallen sie nach allen Bichtungen in kleine 
Stückchen. 

B. Ein anderer Hund wird 45 Minuten nach Verabreichung 
des gewöhnlichen Futters getötet und 12 Tage an der Luft der 
Fäulnis ausgesetzt (April, mittlere Temperatur 17° C.). 

Fäulnis weit vorgeschritten. Die Haare lösen sich beim leichtesten Zuge 
von der Haut. Abdomen ziemlich stark geschwollen. Magen und Därme 
durch Gas enorm aufgetrieben. Im Magen reichlicher breiig-flüssiger, stark 

stinkender Inhalt. Erheblich saure Reaktion (100 ccm = 33 cc y KOH). 

In dieser Flüssigkeit lassen sich noch einige Brotstückchen unterscheiden, 
deren Krume jedoch vollständig zerfallen ist. Die zahlreichen Fleischstückchen 
sind nach Form und Masse nicht sehr verändert. Die mikroskopischen Befunde 
ähneln sehr denen des vorstehenden Versuchs. Ueberaus zahlreiche isolierte 
Stärkekörner, die nur selten gut erhalten sind. Man sieht Fettkügelchen. 

C. Ein weiteres Experiment wurde an einem aus der Leiche 
herausgenommenen und im Brutschrank gehaltenen Magen an¬ 
gestellt. Hierbei entfernte ich mich allerdings von den normalen 
Bedingungen, unter denen die Erscheinungen verlaufen; dafür 
aber war ich in der Lage, das Verhalten ein und desselben 
Mageninhaltes vor der Fäulnis und in deren verschiedenen Ent¬ 
wickelungsstadien zu beobachten. 

Ein Hund wird abends 46 Min. nach Verabreichung des gewöhnlichen 
Probefutters getötet. Am nächsten Morgen, nachdem die Leiche kalt geworden 
ist, wird der Magen herausgenommen und nach sorgfältigem Verschluß der 
Oeffnungen in einem großen Glase mit eingeschliffenem Stöpsel in den 
Brutschrank bei 32 u eingestellt. Vorher hatte ich mir jedoch Kenntnis vom 
Zustande des Mageninhaltes verschafft und gefunden, daß er teigig, ziemlich 
dick, nicht homogen war und gut erhaltene Brotstücke und sehr wenig ver¬ 
änderte Fleischstücke enthielt. Mikroskopisch: Stärkekörner in dichten Haufen, 
Muskelfasern (Zupfpräparat) in gut erhaltenem Zustande, nicht aufgefasert. 
Keine Fetttröpfchen. 



Ueber F äolnis verd auun g. 


769 


Der io den Brutschrank gestellte Mageninhalt wnrde dreimal geprüft; 
nach drei, fünf and zehn Tagen. Es fanden sich dabei die folgenden 
Aenderangen: 

Das makroskopische Aassehen änderte sich allmählich, die Masse wurde 
immer weicher and teigiger, aber nicht völlig homogen, denn, obwohl die 
weichen Teile des Brotes ganz zerfallen waren, ließen sich noch nach 10 tägiger 
Fäolnis kleine anversehrte Stücke der Ernste in ihr erkennen. Ebenso waren 
die Fleischfetzen zwar aafgeweicht and teilweise in Zerfall, aber selbst nach 
10 Tagen noch in Form von gelb-rötlichen Fasern im Mageninhalt za erkennen. 
Die Farbe wnrde immer dunkler. 

Unter dem Mikroskope erschienen die Brotbestandteile in immer weiterem 
Zerfall, so daß schließlich die Stärkekörner fast ganz von den anderen isoliert 
lagen, ohne im allgemeinen irgendwie verändert za sein. Im Verhalten der 
Muskelfasern waren erhebliche Unterschiede warzanehmen, je nachdem man 
den mehr flüssigen Teil der Masse oder die noch erhaltenen Fleischstückchen 
ontersachte. Im ersteren wiesen die Fasern mit dem Fortschreiten der Fäulnis 
immer stärkere Veränderungen auf, indem sie in kleine, anregelmäßig be¬ 
grenzte Fragmente zerfielen. Diese beruhten gewöhnlich auf querer und scheiben¬ 
förmiger Fragmentierung, seltener auf längsgerichteter Auffaserung. Die 
Querstreifung war bei einigen verschwanden oder abgeschwächt, häufiger 
jedoch stark vorhanden. Dagegen waren die Fasern der erhaltenen Fleisch¬ 
stückchen weniger verändert; sie erschienen lang, mit stets deutlicher Quer- 
streifang, bisweilen der Quere nach gerissen. Bei Druck auf das Deckglas 
sah man sie nach allen Bichtangen hin zerfallen. Die anfangs seltenen Fett¬ 
tröpfchen wurden später immer zahlreicher. 

Die Azidität des aof 100 g reduzierten Mageninhaltes verhielt sich 
wie folgt: 

Nach 3 Tagen: 100 g = 28,2 cc y KOH, keine freie HCl. 

» 5 , 100 g = 32,7 

„ 10 „ 100 g = 32,0 

Um den hermetisch abgeschlossenen Magen bildete sich im Inneren des 
Glases allmählich eine dunkle, sehr übelriechende Flüssigkeit, deren Azidität 
ebenfalls geprüft wurde: Sie betrug 

N 

nach 5 Tagen 100 cc = 22,2 cc y KOH 

„ 10 , 100 cc = 34,0 cc „ 

Soweit sind meine Untersuchungen bisher gediehen. Wenn 
ich in dieser vorläufigen Mitteilung die Hauptergebnisse zusammen* 
gestellt habe, so geschah es, weil man, wie ich glaube, auch aus 
Dinen schon, ohne die vollständige Durcharbeitung meines Ver- 
suchsplanes abzuwarten, einige betrachtenswerte Tatsachen ent* 
nehmen kann. 

Vor allem muss als unbestreitbar erklärt werden, dass durch 
die Wirkung der Fäulnis auf die Bestandteile des 
Mageninhaltes eine vollständigere Verdauung vorge¬ 
täuscht werden kann, als im Augenblick des Todes 
wirklich bestand. Die Resultate der Versuche, in denen 
ganze Leichen von Tieren nach dreiviertel bis einstfindiger Ver¬ 
dauung 9 bis 12 Tage lang der Fäulnis ausgesetzt wurden, lehren, 
dass der Mageninhalt am Ende dieser Zeit sowohl in seinem 
makro-, wie mikroskopischen Verhalten nicht mehr den Befunden 
entspricht, die man im Magen eines Tieres trifft, das nach der¬ 
selben Verdauungszeit sofort getötet wird. Ebenso sieht man 
beim Versuche in vitro die makroskopischen und mikroskopischen 
Veränderungen ebenso fortschreiten, wie der Fäulnisprozess 
fortschreitet. 



110 


t)r. Friedel. 


Jedoch ist za berücksichtigen, dass 1. diese Wirkung der 
Fäolnis zwar bemerkbar, aber doch nicht sehr erheblich ist, dass 
ganz besonders aber 2. die Tatsache ihre Bedeutung als Fehler¬ 
quelle abschwächt, dass die Fäulnisveränderungen sich rasch an 
den durch die chemische und mechanische Tätigkeit des lebendigen 
Magens, schon gelösten Stoffen vollziehen, in viel geringerem Masse 
aber an den noch nicht zerfallenen. Auf diese Weise entsteht 
zwischen den zerfallenen und flüssigen Partieen des Mageninhalts 
und den noch festen und geformten ein Missverhältnis, dass die 
Aufmerksamkeit des Gerichtsarztes erregen muss; denn es er¬ 
leichtert die Entscheidung, wieviel der am Mageninhalt vor sich 
gegangenen Veränderungen auf die Verdauungst&tigkeit, wieviel 
auf die Fäulnisprozesse entfällt. 

Anderseits ist es auch klar, dass die makroskopischen and 
vor allem die mikroskopischen Veränderungen, die der Magen¬ 
inhalt durch Fäulnis erleidet, die grösste Analogie mit den durch 
die Verdauung bewirkten auf weisen, wie Zerfall, Aufweichung, 
Mischung der verschiedenen Bestandteile, Fragmentierung der 
Muskelfasern, Annagung der Ränder, Auffaserung, Undeutlich¬ 
werden der Querstreifung, Zerfall in Qaerscheiben u. dergl. m. 

Es dürfte sich daher empfehlen, zur weiteren Klärung des 
aufgestellten Problems weitere Versuche vorzunehmen, wobei nicht 
nur zahlreichere mikroskopische Untersuchungen unter mannig¬ 
faltigeren experimentellen Bedingungen, sondern auch bakterio¬ 
logische und vor allem chemische Forschungen einzusetzen hätten. 
Denn es ist nicht unwahrscheinlich, dass durch diese am 
ehesten der Gang des Prozesses sich genau feststellen läeat. 
Ebenso darf man von ihnen diagnostische Daten und Anhaltspunkte 
erwarten, die den Zeitpunkt des Todes zu bestimmen und die 
Trennung der Fäulniswirkungen von den digestiven durchzuführen 
gestatten. In dieser Richtung sollen sich daher meine weiteren 
Untersuchungen bewegen. 


Veronal - Vergiftungen. 

Von Kreisarzt Dr. Friedei in Wernigerode. 

Am 23. Juli abends wurde ein Arzt zu einer seit acht Tagen 
bei einer hiesigen Familie zu Besuch weilenden jungen 27 jährigen 
Dame gerufen. Dieselbe hatte im Frühjahr eine Operation wegen 
Tuberkulose im linken Kniegelenk und an der Hüfte durchgemacht 
und wollte sich davon bei der ihr befreundeten Familie erholen. 
Da sie an Schlaflosigkeit litt, war ihr von einem Arzte ihrer Heimat 
Veronal in halben Grammpulvern verordnet mit der Weisung, 
nicht mehr als ein, höchstens zwei Pulver auf einmal zu nehmen. 
Am 22. Juli abends hatte sie nach eigner Angabe von den Schlaf¬ 
pulvern, die sie in einer Papierdüte ohne Signatur bei sich führte, 
Gebrauch gemacht. Mit Rücksicht darauf, dass es sich vorlie¬ 
genden Falle um eine gebildete und gewissenhafte Dame handelt, 
ist nicht anzunehmen, dass Bie gegen die Vorschrift ihres Arztes 
mehr als zwei Pulver auf einmal genommen hat. In der Nacht 



Veronal- Vergiftungen. 


in 

vom 22. zum 23. Juli nahm sie abermals das Schlafmittel. Am 
folgenden Morgen war sie heiter, gab aber an, ganz wirr im 
Kopfe za sein. Nach Tisch empfahl sie sich mit dem Bemerken, 
einmal tftchtig aasschlafen za wollen. Abends fand man sie in 
tiefem Schlaf, aas dem sie aach der oben erwähnte Arzt nicht za 
erwecken vermochte. Aaf dem Nachttisch neben dem Bett lag eine 
Papierdttte mit 2 Pulvern, die von einem hiesigen Apotheker als 
Veronalpulver festgestellt worden, so dass anzanehmen ist, dass 
der Nachmittagsschlaf abermals durch Veronal herbeigeführt wurde. 

Da der Arzt bedrohliche Erscheinungen bei der Schlafenden 
nicht feststellen konnte, so ordnete er Ueberwachung an. Am 
frühen Morgen des 24. Juli wurde er abermals gerufen und fand 
die Patientin röchelnd mit den Erscheinungen des Lungenödems 
und sehr schlechter Herztätigkeit. Trotz starker und zahlreicher 
Kampfereinspritzangen und dergl. trat am Abend desselben Tages 
der Tod ein. 

Die gerichtliche Leichenöffnung ergab im Wesentlichen 
folgendes: 

167 cm lange Leiche mit mittlerem Fettpolster und sehr schlaffer 
Muskulatur. 

Au! beiden Lungenfellen etwa 8 stecknadelknopfgroße Blutpünktchen; im 
Qewebe (Ecchymosen). 

Das Herz sehr schlaff, reichlich mit Fett bewachsen. Im rechten Vorhof 
60 Gramm geronnenes Blut, in der rechten Kammer etwa halb soviel; die 
Muskulatur, die links 9 mm, rechts 4 mm dick ist, fühlt sich weich und 
schlaff an. 

Die Lungen sind überall lufthaltig. Auf dem Durchschnitt entleert sich 
bei Druck besonders stark ans den hinteren unteren Partien eine schaumige 
Flüssigkeit. 

Zunge mit grauweißem Belag bedeckt. 

Milz 14X10X3 cm, sehr weich. 

Im Magen schwach saure Beaktion ohne irgend charakteristischen Geruch. 
Im Magengrunde zeigen sich vereinzelt, nach dem Magenansgang zu, in großer 
Menge punktförmige Blutaustritte in der Schleimhaut und zwar strichförmig 
auf der Höhe der intensiv rotgefärbten Magenschleimhautfalten. Die mikro¬ 
skopische Untersuchung ergibt an diesen Stellen starke Körnung der Drüsen¬ 
schläuche und freies Blut im Gewebe. 

Die Gefäße der weichen Hirnhaut sind bis in ihre feinsten Verästelungen 
mit Blut prall gefüllt. Gefäße der harten Hirnhaut blutreich. Im Großhirn 
auf Durchschnitt zahlreiche abspülbare Blutpunkte. Blutleiter des Schädel¬ 
grundes bis zur halben Rundung mit dunklem.flüssigem Blute gefüllt. 

Bei einer 27 jährigen, durch langdauernde Krankheit und 
operative Eingriffe unter Narkose sehr geschwächten Dame ist 
also nach Genuss von 1,5 oder doch höchstens 3 Gramm Veronal 
innerhalb 18 Stunden der Tod erfolgt unter denselben klinischen 
Erscheinungen der zunehmenden Herzschwäche mit tiefster Be¬ 
wusstlosigkeit, wie sie in den wenigen bisher bekannt gewordenen 
Fällen von Veronalvergiftung beobachtet worden sind. Die Ob¬ 
duktion hat ausser den Zeichen der Herzlähmung, starker Blut¬ 
füllung des Gehirns und seiner Häute und akuten Magenkatarrhs 
nichts Wesentliches ergeben. 

Der vorliegende Fall unterscheidet sich von den mir sonst 
bekannten Beobachtungen von Veronal-Vergiftung wesentlich durch 



772 


Dr. Friedei. Ueber Veronalvergiftungen. 


die geringe Menge des Schlafpulvers, die zur Herbeiführung des 
tödlichen Erfolges genügten. Nor eine einzige mir von einem 
hiesigen Kollegen mitgeteilte Beobachtang vermag ich ihm znr 
Seite za stellen. Hier erhielt ein an Influenza erkrankter Hand¬ 
werker wegen Schlaflosigkeit and grosser Unruhe abends 0,5 Gramm 
Veronal. Am Morgen gelang es erst nach vieler Mühe, den mit 
ganz schwachem Puls, flacher Atmong and kalten Gliedern in 
tiefer Bewusstlosigkeit Vorgefundenen Patienten ins Bewusstsein 
zurückzurufen. In allen anderen Fällen traten die Vergiftungs¬ 
erscheinungen nach erheblich höheren Dosen ein: 

So erfolgte in einem vor nicht langer Zeit in Holzminden beobachteten 
Falle im tiefsten Koma der Tod etwa 24 Standen n&ch Einnehmen von 
10 Gramm Veronal, das dem Patienten versehentlich in der Apotheke anstatt 
Kamala in einem Bandwarmmittel verabreicht worden war. (Brannschweiger 
Neueste Nachrichten.) 

ln einem anderen, in den therapeutischen Monatsheften vom Jahre 1904, 
Seite 600, veröffentlichten Falle, nahm eine 30 jährige Fraa 9 Gramm Veronal 
in selbstmörderischer Absicht. Es trat tiefer Sopor ein, die Atmung war leise 
keuchend.. Auf Anreden erfolgte keine Reaktion, auf schmerzhafte Reize wenig 
Reaktion. Erst am vierten Tage wieder völlige Klarheit. 

Etwas abweichend in klinischer Beziehung verliefen die nachstehenden 
Fälle. Nach Einnehmen von je 1 Gramm an zwei aufeinanderfolgenden Tagen 
und 3 Gramm am dritten Tage trat große Unruhe, Taumeln, Kälte der 
Extremitäten, Schwäche, Aussetzen des Pulses und Erbrechen ein. Durch 
Kampfer- und Aethereinspritzungen allgemeine Besserung nach drei Tagen, 
sonst vermutlich Tod durch Herzlähmung. (Berliner klin. Wochenschrift 1903, 
Seite 928.) 

Eine Kranke, die innerhalb weniger Tage 7,5 Gramm Veronal ein¬ 
genommen hatte, bekam abwechselnd Koma und Delirium, Exanthem, Fieber, 
Muskelschmerzen und Drüsenschwellung. (C1 a r k e im Lancet Nr. 4195, referiert 
in der Deutschen Med. Wochenschrift von 1904; Seite 219.) 

Das Veronal hat sich in den wenigen Jahren seit seiner 
Einführung in den Arzneischatz eine grosse Beliebtheit erworben. 
Im Vergleich zu seiner ausgedehnten Anwendung sind die bekannt 
gewordenen Vergiftungsfälle wenig zahlreich. Allerdings muss 
man dabei bedenken, dass die von praktischen Aerzten beobachteten 
Fälle mit günstigem Ausgang nicht immer zur Veröffentlichung 
gelangen. Immerhin halte ich es für höchst bedenklich ein Schlaf¬ 
mittel von so ausgesprochener Wirkung dem freien Verkehr zu 
überlassen. Mit der sicher zu erwartenden immer noch mehr 
wachsenden Anwendung des Mittels wird absichtliche miss¬ 
bräuchliche Verwendung (z. B. zum Kindesmord) nicht ausbleiben. 

Wenn auch der Nachweis des Mittels im Urin möglich ist, so 
wird die Feststellung einer Veronal-Vergiftung immer bei den wenig 
charakteristischen pathologisch-anatomischen Veränderungen, zumal 
in Ermangelung jeglichen anamnestischen Anhalts, schwierig sein. 

Es empfiehlt sich daher dringend, das Veronal möglichst 
bald dem freien Verkehr zu entziehen und denjenigen Mitteln ein¬ 
zureihen, die nach dem Bundesratsbeschluss vom 13. Mai 1896 
in den Apotheken nur auf Anweisung eines Arztes etc. an das 
Publikum abgegeben werden dürfen. 



Dr. Werner: Berichtigung. 


773 


Berichtigung. 

In seiner Erwiderung in Nr. 22 dieser Zeitschrift hat Herr 
Dr. Boepke bezüglich meines voranstehenden Aufsatzes in zwei 
Pankten meine Darstellung als wissentlich unrichtig hin¬ 
zustellen versucht. Er behauptet, ich habe die Einwirkungs¬ 
dauer bei meinen Versuchen mit dem Boepkeschen Verfahren, 
obgleich mir bekannt gewesen sei, dass er dieselbe 
auf 7 Stunden erhöht habe, willkürlich auf 5 Stunden 
herabgesetzt, und ferner zur Diskreditierung der Huhsschen 
Desinfektions versuche verschwiegen, dass bei denselben auch 
Tuberkelbazillen in allen Fällen abgetötet worden seien. 

Ich erkläre demgegenüber, dass es mir bis heute und somit 
auch bei der Abfassung meines Artikels im August, wie aus dem¬ 
selben verschiedentlich hervorgeht, nicht bekannt war, dass 
H. Dr. Boepke die Desinfektionsdauer bei seinem Verfahren in¬ 
zwischen für die Norm von 5 auf 7 Stunden heraufgesetzt hat. 
Ich konnte dies auch nicht wissen, da er in seiner Antwort auf 
meine diesbezüglichen Vorschläge (S. 483 dieses Jahrgangs) nur 
die Möglichkeit einer solchen Heraufsetzung zugegeben hatte, 
und zwar für Fälle, welche erfahrungsgemäss eine ausser- 
gewöhnlich grosse Desinfektionswirkung verlangen. 
Meine Versuche sind genau nach der Vorschrift angestellt worden, 
welche dem als vollwertig meines Wissens zum Katalog¬ 
preis an das Marburger hygienische Institut gelieferten Boepke¬ 
schen Instrumentarium von dem Medizinischen Warenhaus bei¬ 
gegeben war und welche auch mit der Eng eis sehen Beschrei¬ 
bung übereinstimmte (Nr. 7 dieses Jahrgangs). Von einer will¬ 
kürlichen Herabsetzung meinerseits kann also gar 
keine Bede sein! 

Auch die weitere Behauptung bezüglich meiner Wiedergabe 
der Huhsschen Versuche entspricht nicht den Tatsachen. Aus 
der Schilderung ihres Autors (Seite 208—210 dieses Jahrgangs) 
geht klar und deutlich hervor, dass nur in einem Versuch 
Tuberkelbazillen als Testobjekte verwandt worden sind, bei allen 
anderen dagegen nur Streptokokken- und Staphylokokkenobjekte, 
was genau meiner Angabe auf Seite 781 entspricht. 
Auch dieser Vorwurf ist also völlig grundlos! 

Schmalkalden, den 22. November 1905. Dr. Werner. 


Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 

A. Gerichtliche Medizin und Psychiatrie. 

Veber Veronal (Dosierung und Idiosynkrasie). Von Dr. Otto Ludwig 
Elieneberger in Emmendingen. Münch, med. Wochenschr.; 1905, Nr. 32. 

Trotz vorsichtiger bezw. geringer Dosierung erlebte Verfasser einen 
Fall von typischer Veronalvergiftung, der die Frage „Veronalidiosynkrasie“ zu 
bejahen scheint. Bei einem 33jährigen Mädchen ordinierte Verfasser am ersten 
Tage (abends) 0,25 g Veronal, am zweiten Tage morgens, mittags und abends 
je 0,25 g, am dritten Tage morgens und mittags je 0,25 g, abends 0,5 g, am 
vierten Tage morgens und mittags je 0,5 g. 

Nachdem die Patientin bereits vom zweiten Tage an nach der Veronal. 




774 


Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften. 


Verabreichung den für Veronalvergiftong charakteristischen Rauschzustand mit 
leichter Benommenheit, Erinnerangstrübnng, Schlafsacht etc. erkennen ließ, 
wurde Verfasser am vierten Tage mittags plötzlich zu der Kranken gerufen. 
Sie hatte unmittelbar nach der zweiten Veronalgabe erbrochen und lag mit 
krampfhaft nach hinten gestrecktem Kopfe, vollkommen apathisch 
zu Bette, machte einen benommenen Eindruck und klagte über Doppeltsehen, 
Müdigkeit und Schwindelgefühl. Der Dang war stark taumelnd, die Papillen¬ 
reaktion träge; es bestand leichter Körper- und starker Zangentremor, sowie 
lallende Sprache. Reflexe normal. Trotz Klysma und Abführmitteln hielten 
Benommenheit, schwankender Gang und Schlafsucht in allmählichem Abklingen 
noch nahezu drei Tage an. 

Nach drei Wochen wurde ein erneuter Versuch unter den gleichen Be¬ 
dingungen unternommen. Bereits am zweiten Tage nach Veronalgabe zeigte 
sich leichte Benommenheit und starke Schlafsucht. Am dritten Tage machte' 
die Kranke abermals einen stark berauschten Eindruck. Sie lag apathisch mit 
leicht nach hinten gebogenem Kopfe im Bett und konnte weder sich aufrichten, 
noch die Hand reichen. Die mühsam geöffneten Augen fielen andauernd wieder 
zu. Sprache schwer, etwas lallend. Pupillen weit, gleich, auf Lichteinfall 
längere Zeit starr bleibend, allmählich schwach reagierend. Gang schwankend. 
Romberg stark positiv. Puls, Atmung, Haut-, Muskel- und Sehnenreflexe ohne 
Unregelmäßigkeit. Mäßige Polyurie. Urin bereits nach der zweiten Veron&l- 
gabe neutral, nach der dritten Gabe alkalisch reagierend. Untersuchung auf 
Eiweiß, Zucker, Diazo negativ. Die beschriebenen Erscheinungen blieben bis 
zum vierten und fünften Tage. 

Ein 15 Tage nachher erneuter, nur zweitägiger Versuch ergab am 
zweiten Tage das gleiche Bild eines leichten Rauschzustandes: Schlafsucht, 
schwankender Gang, mäßige Benommenheit. Sie weigerte sich die Pulver 
weiter zu nehmen, „da sie sich sonst zu tot schlafe“. Gegen andere Narcotica 
war Patientin indifferent. 

Verfasser möchte trotz der Vergiftungserscheinungen diesen Fall nicht 
gerade auf das Sündenregister des Veronals setzen, glaubt vielmehr, daß bei 
der betreffenden Kranken tatsächlich Idiosynkrasie gegen Veronal besteht. 
Gibt es aber eine solche, so dürfte die Mahnung zur Vorsicht sicherlich am 
Platze sein, sowohl in der Dosierung der Einzelgaben, als auch in der Steige¬ 
rung der Dosen. 

Die besten Erfolge erzielte Verfasser im allgemeinen mit einer Tages¬ 
gabe von 0,75 g, indem er dreimal je 0,üö g morgens, mittags und abends 
etwa V* Stunde nach der Mahlzeit in Oblaten reichen ließ. Bei größeren 
Tagesgaben als 1,0 stellte sich einerseits keine entsprechend größere Wirkung 
ein, anderseits traten wiederholt unangenehme Nebenerscheinungen auf, wie 
Müdigkeit, Gliederschwere, Schlafsucht und leichte Benommenheit. Der 
günstige Erfolg scheint bei diesem Mittel an kleine Dosen 
gebunden zu sein. Dr. Waibel-Kempten. 


Ueber Pilzvergiftung. Von Dr. Th. A. Maaß, VoL-Assistent am 
parmakol. Institut der Berliner Universität. Berliner klin. Wochenschrift; 
1905, Nr. 26. 

Aus dem Secale cornutum wurden von chemischen Substanzen isoliert 
Sphazelotoxin, das Chrysotoxin und das Kornutin, aus dem Polyporus offi- 
cinalis Harzsäuren mit abführender Wirkung und die Agaricussäure, die der 
Träger der bekannten Schweißsekretion hemmenden Wirkung des Agarizins 
ist. Von Agaricuspräparaten sei noch erwähnt das Lithium oder Natrium 
agaricinum (Anhydroticum bei Phthise), sowie Kombinationen des Phenetidins 
mit Agarizin (anhydrotische und antipyretische Wirkung) und die Wismutsalze 
dieser Säuren (gegen Magenkatarrh). 

Während jene beiden Pilzarten für die Therapie nutzbar gemacht sind, 
können die Giftpilze nur als Schädlinge aufgefaßt werden. Ueber ihre 
Toxikologie und Chemie haben wir wenig genauere Kenntnisse. Eine Form 
der Pilzvergiftung ist die Intoxikation ex abusu, wenn von dem sehr 
eiweiß- und fettreichen Nahrungsmittel im Uebermaß genossen wird. Die 
zweite Form entsteht durch Genuß an sich ungiftiger, aber nicht frischer 
Pilze (Ptomainebildung). Die dritte Form entsteht durch Genuß derjenigen 



Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


775 


Pilse, die stets eine giftige 8ubstanz enthalten. Unaufgeklärt ist die Vor* 
giftung mit Amanita phalloides oder Agaricus phalloides bulbosus (Knollen* 
blätterschwamm); das aus ihm dargestellte Phallin kann die Ursache nicht 
sein. Ueber die aus ihm dargestellten Substanzen, das Boulbosin und Phalloidin 
fehlen genaue Untersuchungen. Erst nach 6—20 Stunden treten die Vergif* 
tungserscheinungen auf, Uebelkeit, Erbrechen, Speichelfluß, Koliken, Durch* 
fälle, brennender Durst, Prostration, Delirien, Schreie, tonische Krämpfe. Mor¬ 
talität 75 °/ 0 der Erkrankungen. Ratsam zu geben sind Abführmittel, vielleicht 
auch Tannin, kontraindiziert ist Essig. Das Ueberstehen der ersten 3—4 Tage 
verbessert die Prognose. Der Sektionsbefund ist ähnlich dem bei Phosphor¬ 
vergiftung (Verfettung des Lebergewobes, Glykosurie). 

Die Ru8sula emitica wird von ihrem Gift befreit durch einmaliges 
Aufkocben, Abgießen der Srühe und Abpressen (Estland). Die giftige Lorchel 
(Helvella esculenta), fälschlich Morchel genannt, ebenso. Die im heißen Wasser 
leicht lösliche, auch durch Trocknen zu zerstörende Helvellasäure ist ein Blut- 
gift (auch Erscheinungen von Seiten des Zentralnervensystems). Der Fliegen¬ 
schwamm, Agaricus muscarius, enthält Muskarin und Pilztoxin. 

Der forensische Nachweis der Pilzvergiftung ist schwer zu führen, 
giftige und ungiftige Pilze zeigen die gleiche Struktur. Beim Fliegenschwamm 
passiert sein Bestandteil, der die berauschende Eigenschaft des Pilzes hervor¬ 
ruft, den Körper (die ärmeren Kamschadalen trinken daher den Urin der besser 
Gestellten, die den Pilzabsud genossen haben, um sich in den Rauschzustand 
zu versetzen). Ein weiteres einigermaßen sicheres Zeichen ist die Aehnlichkeit 
mit dem Befund bei Phosphorvergiftung, wenn Vergiftung mit Amanita phal¬ 
loides in Frage kommt und Phosphor-, Alkohol- oder Chloroformvergiftung 
ausgeschlossen werden kann. 

Die Prophylaxe erfordert sorgfältige Auswahl des Pilzmaterials, 
Schwärzung eines silbernen Löffels beim Kochen, Mitkochen von Zwiebeln usw. sind 
unzuverlässig. Verfasser verlangt Warnungen, durch Anschauungsunterricht 
unterstützte Ausbildung der Schulkinder in der Pilzkunde und Kontrolle des 
Pilzbestandes der Händler durch in dem Fach der Pilze ausgebildete polizei¬ 
liche Organe. Dr, Raub er-Köslin. 

Die Rieglersehe Blutprobe und ihr Wert für die gerichtliche Medizin. 
Von Dr. med. Palleske-Loitz L P. staatsärztlich approbiert. Aerztliche Sach¬ 
verständigen-Zeitung; 1905, Nr. 19. 

Riegier hat ein Reagens zusammengestellt, welches die Gerinnung 
von Hämochromogen in alkalischer Lösung aus normalem oder verändertem 
Blut sehr erleichtert. Man bereitet das Reagens durch Lösen von 5 g Hydra¬ 
zinsulfat in 100 ccm Natronlauge (10°/ o ) und darauffolgendem Zusatz von 
100 ccm 96proz. Alkohol. Die erhaltene Mischung wird nach zweistündigem 
Stehen filtriert. „Bringt man dieses Reagens nun mit Blut oder Blutderivaten 
zusammen, so erhält man immer dieselbe alkalisch - alkoholische Hämochro- 
mogenlösung mit ihrer schönen purpurroten Farbe in den zwei charakteristi¬ 
schen Absorptionsstreifen des Hämochromogens.“ Diese so entstandene Blut¬ 
lösung zeigt nun folgenden auffallenden und charakteristischen Farbwechsel: 

Schüttelt man ein zur Hälfte mit einer Lösung von Blut in genanntem 
Reagens gefülltes Reagensglas tüchtig durch, so färbt sich die rote Lösung 
für kurze Zeit gelblich - braun. Es beruht diese Verfärbung darauf, daß die 
Blutlösung durch den in der darüber stehenden Luftsäule enthaltenen Sauer¬ 
stoff wieder oxydiert und in die alkalische Hämatinlösung umgewandelt wird; 
letztere sicht aber gelblich - braun bis grünlich aus. 

Steht die Lösung dann wieder einige Zeit still, so gewinnt das redu¬ 
zierende Prinzip des Hydrazins wieder die Oberhand über den Sauerstoff, es 
entsteht wieder alkalische Hämochromogenlösung in roter Färbung. 

Diesen auffallenden Farbenwechsel kann man nun wiederholt und beliebig 
oft durch abwechselndes Schütteln der Lösung mit Sauerstoff (Luft) und Ruhen 
der Lösung hervorrufen. 

„Dieser so leicht zu erzielende Farbenwechsel ist so charakteristisch, 
daß man daraus, selbst ohne Spektroskop, auf die Anwesenheit von Blutfarb¬ 
stoff mit Sicherheit schließen kann* (Rie gier). 

Palleske hat die Rie gl er sehe Methode auf ihre Verwertbarkeit 



776 


Kleinere Mitteilungen and Referate aus Zeitschriften. 


für die gerichtliche Medizin nachgeprüft. Das Fazit ist: „Das Hydraxi nsuifat- 
Reagens ist eine spezifische Probe auf das Vorhandensein von Blut; der positive 
Ausfall der Probe mit dem charakteristischen Farbenwechsel ist typisch für 
Blut. Die Probe ist eine willkommene and wertvolle Ergänzung der Probe 
mit Qaajaktinktur and Wasserstoffsaperoxyd, indem sie bei positivem Aasfall 
dieser Reaktionen, welche bisher nur das Vorhandensein von Blat wahrschein¬ 
lich machte, die Gegenwart von Blot zur Gewißheit erhebt“ 

_ Dr. Troeger -Adelnaa. 

Ein Fall von Akromegalie (Zerstörung der Hypophysis durch Blutung). 
Von Oberarzt Dr.Leopold Bleibtreuin Cöln. Münchenermed.Wochenschrift; 
1905, Nr. 43. 

Verfasser hatte vor kurzem Gelegenheit, auf seiner Krankenabteilung 
einen Patienten zu beobachten, bei dem er im Anfang schwankte, ob ee sich 
am einen reinen Riesenwachs, eine Gigantosomie handelte oder am eine Akro¬ 
megalie. Der Fall betrifft einen 21jährigen Mann, der bis zam September 1904 
stets gesund war and angeblich nur 5 Jahre früher durch Starz von einer Treppe 
ein Trauma erlitten hatte. Mit 17 Jahren hatte ein sehr schnelles Größen¬ 
wachstum eingesetzt (Körperlänge 1,96 m). Alle Körperteile, der Kopf, die 
Extremitäten, sind auffallend groß, aber doch dem Riesenwuchs entsprechend, 
ebenso die Schalterbreite. Einzig allein die Nase und die Lippen machen einen 
im Verhältnis übermäßig großen and unförmigen Eindruck, ebenso die Stirnteile 
oberhalb der Augenbrauen. Das ganze Gesicht hatte etwas Starres and Masken¬ 
haftes. Diagnose: Gigantosomie, beginnende Akromegalie. Nach ca 8 Monaten 
wieder ins Krankenhaus auf genommen, starb Patient einige Wochen später an 
Lungentuberkulose. Bei der Sektion fand man unter anderem nach herans- 
genommenem Gehirn die Hypophysis fast vollkommen fehlend und 
an ihrer Stelle, wahrscheinlich durch eine Blutung veranlaßt, narbiges mit 
Blutpigment erfülltes Bindegewebe and ganz bescheidene Reste der Hypophysis. 
Dieser Befand ist wegen der Beziehung zur Akromegalie äaßerst interessant; 
die pathologischen Veränderungen der Hypophysis gehören zu den konstantesten 
Befanden bei Akromegalie und vieles spricht dafür, daß eine Erkrankung dieser 
Drüse die Grundverändcrung bildet, welche die sämtlichen Krankheitserschei- 
nungen ins Leben ruft. In der Mehrzahl der Fälle ist allerdings die Drüse 
hypertrophiert and geschwulstig entartet, und zwar wurden Tumoren vom 
Typus des Adenoms, der Struma pituitaria, des Sarkoms und Glioms beschrieben. 
Hier handelt es Bich aber nicht um eine Hypertrophie, sondern um einen voll- 
ständigen Schwund der Hypophysis. Ob dieser Schwund mit dem vor dem 
Einsetzen des abnormen Längenwachstums erlittenen Trauma in ursächlichen 
Zusammenhang zu bringen ist, läßt Verfasser dahingestellt. 

_ Dr. Waibei-Kempten. 

Veber jugendliche Lügnerinnen. Von Dr. HorBtmann. Aerztliche 

Sachverständigenzeitung; 1905, Nr. 19 ‘ 

In der Provinzial - Irrenanstalt za Treptow a. .d Rega waren in den 
Jahren 1900 und 1905 zwei jugendliche Brandstifterinnen zu beobachten und 
zu begutachten. Beide Fälle stellen kasuistisches Material zur Frage der 
pathologischen Lüge dar. Im ersten Fall handelte es sich um ein „vermindert 
zurechnungsfähiges“ Mädchen, das Horstmann als einen Fall von „Pseudo¬ 
logia phantastica Delbrücks“ begutachtete. Auch das zweite Mädchen war 
geistig minderwertig, aber nicht geisteskrank. Ihren Lügen fehlte der Reich¬ 
tum blühender Phantasie, der der Pseudologia phantastica eigentümlich ist. 

Dieser Hang zum Lügen soll bei präpubischen Mädchen — namentlich 
bei erblicher Belastung, vielleicht nicht einmal höheren Grades — nicht selten 
Vorkommen; jedoch häufig nur vorübergehend auftreten. Nach vollendeter Ge¬ 
schlechtsreife, ja oft schon nach Eintritt und Regelung der Menstruation, 
schwindet dieser sittliche Defekt und zwar dauernd. 

_____ Dr. Troeger-Adelnaa. 

Ueber Strafvollzugsanfflhigkelt. Von Dr. F. Leppmann-Berlin. 
Aerztliche Sachverständigen - Zeitung; 1905, Nr. 19. 

Autor schließt mit der These: Wir erschöpfen den Begriff der Straf- 



Kleinere Mitteilangen and Referate ans Zeitschriften. 


777 


Vollzugsunfähigkeit infolge geistiger Gebrechen bei der gegenwärtigen Rechts* 
läge and den gegenwärtig bestehenden Einrichtungen für Irre wie für Gefangene 
darch die beiden Sätze: 

1. Strafvollzugsunfähig ist derjenige, welcher infolge krankhafter 

Störung der Geistestätigkeit die Ordnung der Strafanstalt dauernd und 
erheblich stört. 

2. Strafvollzugsunfähig ist derjenige, welcher infolge krankhafter 

Störung der Geistestätigkeit kein Verständnis für seine Strafe und deren Voll¬ 
streckung besitzt. _ Dr. Troeger-Adelnau. 


B. Sahverständigentätigkeit in Unfall- und Invaliditäts¬ 
sachen. 

Zwei seltene Fälle von subkutaner Sehnenierreissnng. Von Dr* 
F. Brüning, Assistenzarzt in Freiburg i. B. Münchener med. Wochenschrift; 
1906, Nr. 40. 

Verfasser berichtet über zwei äußerst seltene Fälle von subkutaner 
Sehnenzerreißung, welche beide operativ, d. h. durch Sehnennaht mit Erfolg 
behandelt wurden. 

Im ersten Falle handelte es sich um einen subkutanen Abriß der peri- 

£ hören Bizepssehno nahe ihres radialen Ansatzes und der Lacertus fibrosus. 

•er linke Bizepswalst sprang nicht normal vor und erschien nach oben ver¬ 
schoben. Nach unten brach er plötzlich ab; es folgte eine ca. zwei quer¬ 
fingerbreite Einsenkung, dann wieder ein hühnereigroßer Wulst, der für 
das abgerissene periphere Muskelstück gehalten wurde. Beim Einschneiden auf 
diese Geschwulst entleerte sich aus ihr dunkles, flüssiges Blut. Man sah nun 
in diesem angeschnittenen Hämatom die abgerissene, aufgerollte Bizepssehne. 

Nach Auffindung des peripheren Sehnenstumpfes erfolgte Anfrischung 
beider Sehnenstümpfe und Naht. 

Im zweiten Falle handelte es sich um einen subkutanen Abriß der Sehne 
des M. tibialis anticus in der Höhe des Sprunggelenkes, wobei das kolbig auf¬ 
getriebene zentrale Ende in einer leicht blutig fingierten, serösen Flüssigkeit 
gelagert und mit dem Ligam. cruciatum fest verwachsen war. Das periphere 
Ende befand sich in einer Entfernung von ca. 3 cm vom zentralen Ende, 
das sich nach Lösung der Verwachsungen heranterziehen und mit dem peri¬ 
pheren Ende vereinigen ließ. _ Dr. Waibel» Kempten. 


Ein seltener Fall von doppelseitiger Saoknlere nach Trauma. Von 
Oberstabsarzt Dr. Wolffhügel-München. Münchener med. Wochenschrift; 
1906, Nr. 42 und 43. 

Verfasser teilt einen Fall nebst ausführlicher Krankheitsgescbichte mit, 
wonach ein Kavallerist nach einem Sturze vom Pferde Schmerzen in der linken 
Nierengegend verspürt nnd am gleichen Tage noch ein 1*/* Tage dauerndes 
Blutharnen bekommt. Er macht ruhig seinen Dienst weiter, reitet täglich, 
wenn auch nur im Schritt, spürt aber beim Versuch, höhere Gangarten zu 
reiten, immer Schmerzen in der linken Nierengegend. Nach einem Monat fällt 
ihm auf, daß ihm die Säbelkoppel zu eng wird und ihm in der bisherigen 
Weite durch Druck auf die linke Nierengegend Schmerzen bereitet. Zwei 
Monate nach dem Sturz kommt er wegen Grippe ins Lazarett, wo er in den 
ersten Tagen nach seiner Aufnahme gelegentlich angibt, daß sich der Harn¬ 
drang bei ihm seltener einstellte als früher und daß die Schmerzen, die er in 
der Unken Nierengegend seit dem Sturze anfangs nur in geringem Grade ver¬ 
spürt habe, jetzt heftiger geworden seien and einen besonders hohen Grad 
dann erreichten, wenn er längere Zeit den Harn nicht mehr entleert habe; nach 
dem Harnen Ueßen dann die heftigen Schmerzen immer wieder nach. 

Beim Abt&sten des anfangs noch weichen Unterleibes findet man in der 
linken Uoterbaucbgegend in der Höhe des vorderen oberen Darmbeinstachels 
eine aaf Druck schmerzhafte verschiebbare Geschwulst, die man anfangs ge¬ 
neigt ist als Wanderniere anzusehen,’ später jedoch bestimmt als intermittierende 
Hydronephrose gekennzeichnet werden konnte. Gleichzeitig Ueßen sich vor¬ 
übergehende enorme Blasenausdehnungen feststellen. Auch rechterseits wird 
eine abnorme Dämpfung in der Nierengegend nachgewiesen, die mit Rücksicht 
auf das ätiologische Moment der Harnstauung in der Blase als Hydronephrose 



778 


Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften« 


anzusehen ist. Etwa 5 Monate nach dem Starz war eine doppelseitige Parese 
der Bauchmuskeln festgestellt worden and später durch den lang dauernden, 
besonders auf der linken Niere lastenden Druck der hydronephritischen Flüssig¬ 
keit eine Druckatrophie des Nierenparenchyms (Schrumpfniere). 

Verfasser geht dann auf die Pathogenese des Falles etwas näher ein 
und berührt hierbei hauptsächlich die Frage nach der Entstehung der einzelnen 
Krankheitserscheinungen und ünfallfolgen (Blutharnen, linksseitige Hydro- 
nephrose, Harnblasenatonie, sekundäre rechtsseitige Hydronephrose, Schrumpf¬ 
niere). Schließlich verbreitet sich Verfasser noch über den ursächlichen Zu¬ 
sammenhang zwischen Unfall und Krankheitserscheinungen und hält diesen 
Zusammenhang trotz des etwas mangelhaften Nachweises der Kontinuität der 
Krankheitserscheinun gen im vorliegenden Falle für zweifellos vorhanden. 

Dr. Waibei-Kempten. 

Schwefelwasserstoffverglftung als Unfallerkrankung. Von Professor 
Dr. Fürbringer-Berlin. Aerztliche Sachverständigen - Zeitung; 1905, Nr. 19. 

ln dem Falle Fürbringers handelt es sich um einen im Januar 1901 
verstorbenen Bergmann, dessen tödliche Krankheit Gegenstand der Beurteilung 
von sieben Sachverständigen gewesen war. Trotzdem der Sektionsbefand und 
ein chemisches Gutachten Vorgelegen, waren die Meinungen zum Teil weit 
auseinandergegangen. Die Fragestellung des R. V. A. ging dahin, ob es wahr¬ 
scheinlich sei, 1. daß die Einatmung von Schwefelwasserstoffgas, die es für 
erwiesen erachtete, Vergiftungserscheinungen bewirkt habe, 2. daß letztere das 
Herz- und Nierenleiden des Verstorbenen plötzlich verschlimmert und den Tod 
dadurch wesentlich beschleunigt hätten. 

Fürbringer bejaht beide Fragen in seinem Gutachten, das jedoch von 
Interessenten im Original nachgelesen werden muß. Die Gründe, aus denen 
Fürbringer die Veröffentlichung des Gutachtens für zweckmäßig erachtet, 
liegen einmal in der wieder von Stadeimann hervorgehobenen Seltenheit 
der Schwefelwasserstoff Vergiftung, zumal in der Unfallpraxis; sodann in der 
Schwierigkeit der Differenzierung der klinischen Erscheinungen gegen den 
Symptomenkomplex der vielgestaltigen Urämie. 

Dr. Troeger-Adelnau. 

Behufs Durchführung der Vorschrift im § 75, Abs. 8 des Unfall- 
versicherungsgesetzes für Land- und Forstwirtschaft (§ 69, Abs. 3 des 
Gewerbe-Unfallverslcherungggesetzes) hat die Berufsgenossenschaft den 
behandelnden Arzt nach erfolgloser Aufforderung zur Abgabe einer AeuBse- 
rang nötigenfalls gerichtlich als Sachverständigen vernehmen zu lassen. 
Rekurs-Entscheidung des Reichs-Versicherungsamts vom 
2. August 1905. Amtliche Nachrichten des Reichs-Versicherungsamts; 
1905, Nr. 11. 

Die Auffassung der Vorinstanzen, daß der Vorschrift im § 75, Abs. 3 
des Unfallversicherungsgesetzes für Land- und Forstwirtschaft über die An¬ 
hörung des behandelnden Arztes durch dessen zweimalige erfolglose Aufforde¬ 
rung zur Abgabe einer Aeußerung genügt sei, trifft nicht zu. Die Bestimmung 
ist zwingend, im Interesse des Verletzten getroffen und daher streng zur Durch¬ 
führung zu bringen. Bereits in zwei Rekurs-Entscheidungen, welche die Be¬ 
klagte betrafen, hat das Reichs-Versicherungsamt dargelegt, daß, wenn der 
Arzt die Abgabe des Gutachtens verweigert, der Berufsgenossenschaft nicht 
etwa die Möglichkeit fehlt, ihn dazu zu nötigen. Denn da der Arzt die Heil¬ 
kunde öffentlich zum Erwerb austtbt, so ist er nach § 407 der Zivilproze߬ 
ordnung verpflichtet, der Ernennung zum Sachverständigen Folge zu leisten, 
und kann er gegebenenfalls durch das gemäß § 164 des Unfallversicherungs¬ 
gesetzes für Land- und Forstwirtschaft um seine Vernehmung zu ersuchende 
zuständige Amtsgericht mittels der im Gesetze (§ 409 der Zivilprozeßordnung) 
vorgesehenen Zwangsmittel zur Abgabe des Gutachtens angehalten werden. 
Da er vornehmlich seine eigenen Wahrnehmungen mitzuteilen haben wird, so 
wird er unter Umständen auch nach den Vorschriften über den Zeugenbeweis 
hierzu gezwungen werden können, sofern er nicht — was in der Regel nicht 
anzunehroen und im Zwcifelsfalle durch eine ausdrückliche Befragung des Ver¬ 
letzten festzustellen ist — durch seine Mitteilungen die Pflicht zur Ver- 



Kleinere Mitteilangen and Referate aas Zeitschriften. 


779 


schwiegenheit verletzt (§§ 414, 408, 882, Abs. 1, Ziffer 5 and Abs. 8, § 385, 
Abs. 2 der Zivilprozeßordnung). Demgemäß hätte die Beklagte auch hier 
nötigenfalls verfahren müssen. 


Grad der Erwerbsvermlnderung bei Terstauchung des Endgliedes 
des linken Daumens und freier Beweglichkeit des Grundgelenks. Rekurs- 
Entscheidung des Reichs-Versicherungsamts vom20.Mai 1905. 

Das R.-V.-A. ist den Vorinstanzen beigetreten. Die Folgen der Unfall- 
Verletzung vom 14. Dezember 1903 bestehen darin, daß das Endgelenk des 
Daumens der linken Hand versteift ist. Da das Grundglied frei beweglich ist, 
der Handschlnß vollkommen gelingt und sonstige krankhafte Nebenerscheinungen 
fehlen, so maß eine Rente von 10 Proz. als durchaus angemessen und aus¬ 
reichend angesehen werden. Auch ist anzuerkennen, daß sich durch Eintritt 
der Gewöhnung seit der letzten Rentenfestsetzung eine wesentliche Besserung 
vollzogen hat. Kompaß; 1905, Nr. 21. 


Erwerbsvermlnderung bei Yerlust des linken Unterschenkels an der 
Grenze des mittleren und oberen Drittels. Rekurs-Entscheidung 
des Reichs-Versicherungsamts vom lS.Mai 1905. 

Die Herabsetzung der Rente von 75 auf 50 Proz. vom 1. November 1904 
ab hat die Beklagte damit begründet, daß der Kläger bei Annahme des seiner¬ 
zeit angebotenen Stelzfußes sich an den Gebrauch des Beines mittlerweile 
völlig gewöhnt haben würde. Das Rekursgericht hat an und für sich in Ueber- 
ein8timmung mit den Vorinstanzen die Voraussetzungen des § 88 des Gewerbe- 
Unf.-Vers.-Ges. für gegeben erachtet, hat sich aber dafür entschieden, dem 
Kläger statt der Rente von 50 Proz. eine solche von 60 Proz. zu gewähren. 
Die Beklagte ist selbst, als sie die Gewährung des künstlichen Beines ablehnte, 
davon aasgegangen, daß der Kläger ein einfacher Arbeiter gewesen sei, nur 
gröbere Arbeiten verrichtet habe und auch in nächster Zukunft auf ähnliche 
Tätigkeit angewiesen sein würde. Unter solchen Umständen ist aber der Ver¬ 
lust des Unterschenkels entsprechend höher zu bewerten, als wenn der Unfall 
einen Mann von höherem Bildungsgrade getroffen hätte. Kompaß; 1905, Nr. 21. 


C. Bakteriologie, Infektionskrankheiten und öffentliches 

Sanitätswesen. 

Ergänzungsblätter zum neuen Preusslsehen Hebammen - Lehrbuch 
(Ausgabe 1904). 

Verhältnismäßig schnell haben die mannigfachen Wünsche, die in bezug 
auf das neue Preußische Hebammenlehrbach geäußert sind, zu einer neuen Aus¬ 
gabe desselben geführt, in der diese Wünsche fast sämtlich berücksichtigt sind. 
Die wichtigsten Aenderungen, die sich in dieser Ansgabe befinden, sind gleich¬ 
zeitig als Ergänzungsblätter für die erste Ausgabe erschienen und so ein¬ 
gerichtet, daß sie an den entsprechenden Stellen eingeklebt werden können, 
und demzufolge eine Beschaffung der neuen Ausgabe unnötig machen. In 
entgegenkommender Weise werden die Blätter außerdem für die Hebammen 
unentgeltlich geliefert. 

Von den einzelnen Aenderungen verdienen besonders folgende hervor¬ 
gehoben zu werden: 

Statt des im § 92 vorgeschriebenen Jacques-Patent-Katheter 
Nr. 8 oder 9 kann jetzt auch ein gleichwertiges deutsches Fabrikat von 
gleicher Stärke oder ein Neusilberkatheter benutzt werden, dessen Güte 
und Brauchbarkeit aber durch den Kreisarzt nach seiner Anschaffung zu 
prüfen ist. 

Die Vorschriften über die Desinfektion (§ 113, Nr. 4 und 5) haben 
folgende präzisere Fassung erhaltung: 

„4. Unmittelbar vor jeder inneren Untersuchung müssen 
die Hände desinfiziert, d. h. keimfrei gemacht werden. Die Des¬ 
infektion besteht 1. in einer Waschung mit warmem Wasser, Seife nnd 
Bürste; 2. in der eigentlichen Desinfektion mit einem keimtötenden 
Mittel. Die geeignetesten Mittel sind hierzu der Alkohol und das Sublimat. 

Wir unterscheiden die gewöhnliche Desinfektion und die 
verschärfte Desinfektion. 



780 


Kleinere Mitteilungen nnd Referate aus Zeitschriften. 


Bei der gewöhnlichen Desinfektion werden die Hände nach der 
Yorgeschriebenen Waschung mit einer Sublimatlösung von 1 auf 1000 des¬ 
infiziert. Bei der verschärften Desinfektion werden nach der vor¬ 
geschriebenen Waschung die Hände erst mit Alkohol abgerieben und dann 
erst mit Sublimatlösung 1 auf 1000 bearbeitet. Der Alkohol erhöht die 
keimtötende Kraft der Desinfektion. 

Die verschärfte Desinfektion muß vor jeder inneren Untersuchung 
der Gebärenden ausgeführt werden! Sie muß ferner sofort erfolgen, 
wenn die Hebamme trotz aller Vorsicht doch einmal mit verdächtigen 
Stoffen, wie z. B. Wochenfluß einer fiebernden Wöchnerin, in 
Berührung gekommen ist. 

Die gewöhnliche Desinfektion, also mit Sublimat allein, wird bei der 
inneren Untersuchung der Schwangeren und bei der Besorgung des 
Wochenbettes ausgeführt. 

Aber mit aller Bestimmtheit muß hier die Tatsache betont werden, daß 
beide Desinfektionen unwirksam sind, wenn nicht eine sorgfältige 
Waschung der Hände ihnen vorausgeschickt wird. 

5. Beschreibung der verschärften Desinfektion. Die Heb¬ 
amme stellt sich zwei Schalen von je einem Liter Wasser auf. Die eine füllt 
sie mit heißem Wasser, die andere mit Wasser, welches kalt sein kann. In 
letztere wird jetzt eine Sublimatpastille von 1 g Sublimat geworfen, 
welche die Hebamme bei sich führt. Die Sublimatpastille löst sich in dem 
Wasser rasch auf und färbt es rot. Jetzt hat die Hebamme die Waschschale 
mit heißem Wasser und die Desinfektionsschale mit rotem Sublimatwasser vor 
sich. Von den beiden Wurzelbürsten, die sie gesondert mit sich führt, 
tut sie in die Waschschale die größere Wurzelbürste mit der Aufschrift „Seife*, 
in die Desinfektionsschale die kleinere mit der Aufschrift „Sublimat“. 

In eine dritte Schale, die eine Untertasse oder ein Teller sein kann, 
gießt sie die Hälfte des Alkohols, den sie mit sich führt (50 g), und be¬ 
deckt die mit Alkohol gefüllte Schale mit einem zweiten Teller, da der Alkohol 
sehr leicht verdunstet. In den Alkohol hat sie einen kleinen Bausch Watte 
gelegt. 

Nunmehr beginnt die Waschung der Hände und Vorderarme mit 
Seife und Bürste und heißem Wasser. Alle Teile der Hand werden sorg¬ 
sam mit Seife abgebürstet, jeder Finger einzeln, am sorgfältigsten die Gegend 
der Nägel, weil hier der meiste Schmutz sitzt. Die Vorderarme werden ab¬ 
geseift. Dieses Abbürsten und Waschen soll mindestens 6 Minuten währen. 
Wir wiederholen: Ohne gute Waschung ist die Desinfektion nutzlos. 

Nach der Waschung wird mit einem Nagelreiniger der Schmutz 
unter den Nägeln sorgfältig entfernt und danach die Hand noch einmal im 
Wasser abgespült nnd dann abgetrocknet. 

Sodann beginnt die eigentliche Desinfektion. Die trockenen 
Hände werden mit dem im Alkohol liegenden Bausch energisch abgerieben, 
ganz besonders sorgfältig wieder die Fingerspitzen und die Nagelgegend, und 
zwar jeder Finger einzeln. Der Wattebausch wird wiederholt bei dem Ab¬ 
reiben in den Alkohol getaucht. Dieses Abreiben der Hände mit Alkohol soll 
2 Minuten dauern. 

Dann werden die noch nassen Hände in die Sublimatschale getaucht 
und mit der in ihr liegenden Bürste energisch bearbeitet, wie bei der Waschung 
jeder Finger einzeln, am meisten die Nagelgegenden. Die 
Vorderarme werden mit Sublimat abgespült. Dieses Bearbeiten der Hände mit 
Sublimat dauert 3 Minuten. 

Jetzt schreitet die Hebamme mit nassen Händen direkt zur Untersuchung, 
ohne irgend einen Gegenstand vorher berührt zu haben. Sie kann 
annehmen, daß nunmehr die Hände keimfrei sind, wenn sie genau nach Vor¬ 
schrift die Hände behandelt hat und vorher keine verdächtigen Stoffe angefaßt 
hat. Nach jeder Untersuchung sind die Hände sogleich zu waschen, abzu¬ 
trocknen und mit Sublimatlösung abzuspülen. 

Beschreibung der gewöhnlichen Desinfektion. Nach der 
vorgeschriebenen Waschung und Reinigung der Nägel werden die gut ab- 
getrockneten Hände sogleich in die Sublimatschale gebracht, und, wie 
soeben beschrieben, 3 Minuten mit Sublimat und Bürste bearbeitet.“ 



Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften. 


781 


Der Haaptonterschied gegen früher ist der, daß jetzt die verschärfte 
Desinfektion (mit Alkohol and Sublimat) vor jeder inneren Untersuchung 
einer Gebärenden vorgenommen werden muß, also bei Entbindungen all¬ 
gemein zur Anwendung kommt, während die gewöhnliche Desinfektion mit 
Sublimat allein nur bei der inneren Untersuchung Schwangerer und zur Be¬ 
sorgung des Wochenbetts ausreicht. Es hätte hier wohl noch hinzugefttgt 
werden können, „soweit die Hände bei dieser Pflege nicht in Berührung mit 
dem Wochenfluß usw. gekommen sind.“ ln diesem Falle hat stets die ver¬ 
schärfte Desinfektion stattzufinden. 

In bezug auf die mitzuführenden Instr um ent e .(§ 194) sind folgende 
abändernde Bestimmungen getroffen: 

1. Das Glas für Sublimat muß fest verschlossen, mit weitem Hals ver¬ 
sehen und mit „Sublimatpastillen, Vorsicht, Gift!“ bezeichnet sein. Die 
Sublimatpastillen sollen aus der Apotheke zu 100 Stück bezogen und stets 
unter Verschluß gehalten sein. — Ob der Bezug von Sublimatpastillen aus 
den Apotheken vorgeschrieben werden kann, erscheint mit Rücksicht auf 
die bestehenden Vorschriften über den Arzneimittel- und Giftverkehr 
zweifelhaft. 

2. Die Bürsten müssen mit dem eingebrannten Worte „Seife“ (die größere) 
und „Sublimat“ (die kleinere) bezeichnet und in einem Beutel von wasser¬ 
dichtem Stoff aufbewahrt werden. 

3. Der Gummi-Katheder (s. vorher) soll in einer kleinen Blechbüchse 
mitgeführt werden. Er muß vor jedem Gebrauch 15 Minuten lang aus¬ 
gekocht werden und in dem abgekochten Wasser oder in lproz. Lysol- 
lösung bis zum Gebrauch liegen bleiben. 

4. Zwei verlötete Blechbüchsen, enthaltend je 6 sterile Jodoform¬ 
wattekugeln mit Faden (Tampons), statt einer Büchse mit 12 Tampons. 
Hier ist auf den Bezug aus einer Apotheke nicht mehr hingewiesen. 

5. Zwei Päckchen Wundwatte mit je 50 g statt einem von 100 g. 

6. Nabelläppchen sind nicht mehr erforderlich; dagegen 

7. ein nahtloser dünner, in einem kleinen Leinwandbeutel mitzuführender 
Gummihandschuh (Größe Nr. 8) neu vorgeschrieben, der durch Ans¬ 
kochen zu desinfizieren und vor dem Gebrauch in die Sublimatlösung 
1 :1000 zu legen ist. Vor dem Ueberziehen über die Hand ist stets durch 
Einfüllen Sublimat zu prüfen, ob er unverletzt ist. 

Der § 194 hat außerdem noch folgenden zweckmäßigen Schlußsatz 
erhalten: Stößt die Hebamme bei der Anschaffung oder Ergänzung dieser 
aufgeführten Instrumente und Mittel auf Zweifel oder Schwierigkeiten, so 
wende sie sich an den Kreisarzt. 

In § 217, Abs. 2 ist für die Anlegung des Nabelverbandes, die 
mit durchaus reiner Hand vorzunebmen ist, jetzt die Verwendung eines kleinen 
Wattebausches statt der Nabelläppchen vorgeschrieben. 

Im § 219 ist die Wartezeit bis zur Anwendung des Credöschen Hand¬ 
griffes von */* auf 1 Stunde verlängert, falls keine Unregelmäßigkeiten 
(Blutungen) eintreten. 

§248, Abs. 3 hat betreffs des Selbststillens der Mutter folgende 
Aenderung erfahren: 

„Fast jede Frau kann ihr Kind wenigstens während einiger Monate stillen. 
Bei vielen Frauen dauert es aber oft wochenlang, bis die für das Kind nötige 
Menge von den Brüsten geliefert wird. Während dieser Zeit ist es die 
Pflicht der Hebamme, die junge Mutter durch Zuspruch und 
Rat zu unterstützen und zu ermutigen, stattihrvon derFort- 
setzung des Stillens abzuraten, wenn in den ersten Wochen 
nicht sogleich reichlich Milch fließt. 

Frauen, welche lungenkrank sind oder an Schwindsucht leiden, ferner 
solche, bei welchen schwere Gehirnkrankheiten oder schwere Nervenkrankheiten 
(z. B. Epilepsie) bestehen, dürfen das Kind nicht stillen. 

Im § 264 ist als künstliche Nahrung des Kindes auch Ziegenmilch 
zugelassen. 

Die wichtigsten Aenderungen sind endlich in bezug auf das Kindbett¬ 
fieber. Zunächst hat §469, Abs. 5 einen Zusatz betreffs des Kindbettfieber¬ 
verdachts erhalten und lautet jetzt wie folgt: 



782 


Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften. 


„Solche Wandkrankheit, die zu einer allgemeinen Blut¬ 
vergiftung geführt hat, nennen wir nach altem Brauch and entsprechend 
der Bezeichnung im Gesetz, betreffend die Bekämpfung übertragbarer Krank* 
heiten (Landesseuchengesetz) „Kindbettfieber“, während wir alle leichteren 
Formen der Wundkrankheiten im Wochenbett als Kindbettfieberverdacht 
bezeichnen. Diese Einteilung ist aus gewissen Gründen zweckmäßig. Denn 
niemals kann man mit Sicherheit wissen, ob eine Erkrankung, welche wir als 
Kindbettfieberverdacht bezeichnen, selbst wenn sie nur mit Temperaturen von 
einigen Zehnteln über 38 0 beginnt, nicht doch noch za dem eigentlichen, meist 
tödlichen Kindbetefieber führt. Ja bei manchem Fall, welchen wir heute noch 
als „Verdacht“ bezeichnen, war, wie die spätere Beobachtung lehrt, doch schon 
eigentliches Kindbettfieber vorhanden, ohne daß wir die Erscheinungen der 
allgemeinen Blutvergiftung schon erkennen konnten.“ 

Sodann ist im § 470 vorgeschrieben, daß, wenn die Hebamme Unglück* 
licherweise doch mit Leichen, Leichenteilen, Eiter oder fauligen Ausfluß in 
Berührung gekommen ist, nicht nur die verschärfte Desinfektion auszuführen, 
sondern sich auch der Praxis bis zur Entscheidung des Kreis¬ 
arztes zu enthalten hat. 

Zu den im § 474, Abs. 1 aufgeführten Krankheiten, bei denen sich die 
Hebammen ihrer Berufstätigkeit, falls sie in ihrem Wohnhause auftreten, zu 
enthalten hat, ist noch Wundstarrkrampf hinzugekommen; ein gleiches 
ist der Fall, wenn sie selbst an eitrigem Ohren fl uß leidet oder sich mit 
Syphilis infiziert hat. 

Eine wesentliche Abänderung haben die §§ 481 und 482 in bezug auf 
die Zuziehung des Arztes und betreffs der Anmeldepflicht bei 
W o c h e n b e 11 erkrankungen erhalten und zu folgender Fassung des § 28 
der Dienstanweisung geführt: 

„Im Wochenbett hat die Hebamme auf die Hinzuziehung eines 
Arztes zu dringen: 

1. wenn die Temperatur über 38° steigt, 

2. bei jedem Schüttelfrost der Wöchnerin, 

3. wenn die Zahl der Pulsschläge sehr in die Höhe, z. B. auf 120, geht, und 
eine auffallend niedrige Temperatur besonders am Abend vorhanden ist, 
z. B. 36° oder 35,5°, was auf bestehende Herzschwäche hindeutet, 

4. sobald ein Geschwür an den äußeren Geschlechtsteilen, das sich oft hinter 
einer Anschwellung der Teile verbirgt, entdeckt wird, selbst wenn noch 
kein Fieber bestehen sollte. 

Der Kreisarzt ist zu benachrichtigen bei jedem Fieber 
im Wochenbett von mehr als 38°. Sie hat sich bis zum Eintreffen 
einer mündlichen oder schriftlichen Belehrung des Kreisarztes jeder Tätigkeit 
als Hebamme zu enthalten bei einer anderen Person. Falls ein Arzt hin zu¬ 
gezogen, so meldet sie den Namen desselben gleichzeitig dem Kreisarzt. Der 
Kreisarzt entscheidet, ob sie die erkrankte Wöchnerin weiter pflegen darf. 

Den Tod einer Wöchnerin hat die Hebamme sofort dem Kreisarzt per¬ 
sönlich oder schriftlich zu melden. 

Liegt nun aber wirkliches Kindbettfieber vor, so tritt der § 8, Absatz 1, 
Ziffer 8, Absatz 3 des Gesetzes, betregend die Bekämpfung übertragbarer 
Krankheiten (Laudesseuchengesetz) in Geltung. 

§ 29a. Notfälle. Hat die Hebamme in ihrer Praxis eine Wöchnerin 
mit Kindbettfieber oder Kindbettfieberverdacht, und kommt jetzt eine Meldung 
zur Geburt, und kann eine andere Hebamme sie nicht vertreten, so besteht 
ein Notfall. Sie desinfiziert ihre Hände mehrfach mit Alkohol und Sublimat, 
nimmt ein Bad, wechselt die Kleider, desinfiziert ihre Instrumente und begnügt 
sich mit der äußeren Untersuchung der Gebärenden. Zum Dammschuts 
und zur Reinigung der Geschlechtsteile zieht sie ihren Gummihandschuh über 
die Hand, welche die Geschlechtsteile berührt. Glaubt sie, mit der äußeren 
Untersuchung nicht auszukommen, so bittet sie einen Arzt zur Leitung der 
Gebart.“ 

So zweckmäßig diese Abänderung ist und in den beteiligten Kreisen 
gewiß volle Zustimmung finden wird, so liegt doch die Befürchtung vor, dass 
sie rechtlich unzulässig ist, weil sie mit den Vorschriften des Landesseuchen¬ 
gesetzes in Widerspruch steht; denn dieses sieht auch für die Hebammen kein e 



Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


783 


Anzeigepflicht bei Kindbettfieberverdacht vor. Das Gericht wird sich aber 
voraussichtlich dem Landesseachengesetz gegenüber genau auf den gleichen 
Standpunkt stellen wie früher gegenüber dem Regulativ vom 8. August 1836 
und demzufolge annehmen, daß durch jenes die einschlägige Materie erschöpfend 
geregelt ist und entgegenstehende Bestimmungen durch Polizeiverordnungen, 
Dienstanweisungen usw. nicht getroffen werden dürfen. Rpd. 


Bemerkungen in § 8 der Dienstanweisung für die Hebammen Im 
KSnigreleh Preussen (Hebammenlehrbuch 1904, S. 366). Von Med.*Rat Dr. 
Liedke in Tilsit. 

In Absatz 3 heißt es: Die Anzeige beim Standesbeamten unterbleibt 
bei denjenigen Todgeburten, welche vor der 28. Schwangerschaftswoche erfolgen 
oder bei denen die Länge der Frucht nicht mehr als 83 cm beträgt. 

Diese Bestimmung steht nicht im Einklänge mit den Erlassen des 
Medizinalininisters vom 26. Oktober 1893, Beilage aer Nr. 22 der Zeitschrift 
für Med.-Beamte 1903, S. 170 und der Minister des Innern und der Justiz vom 
19. Dezember 1893 (Min.-BL 1894, S. 2). Beide Erlasse, von denen letzterer 
den Standesbeamten zur Nachachtung mitgeteilt ist, daß todtgeborene mensch¬ 
liche Leibesfrüchte dem Standesamte von den Hebammen anzuzeigen sind, 
sobald dieselben den sechsten Kalendermonat in ihrer Entwickelung überschritten 
haben und zwar mit der Maßgabe, daß Früchte von mehr als 32 cm Körper¬ 
lange als schon dem 7. Kalendermonat angehörig zu betrachten sind. 

Da diese Ministerialerlasse bisher nicht aufgehoben sind und die Standes¬ 
beamten daher nach wie vor von den Hebammen verlangen können, daß sie 
todte menschliche Leibesfrüchte schon von mehr als 32 cm nicht 88 cm zur 
Anzeige bringen, so ist eine Aenderung obiger Erlasse notwendig. 

Durch das Reichsgesetz vom 14. April 1905 (R.-G.-BL Nr. 17) ist § 28 
des Gesetzes über die Beurkundung des Personenstandes X vom 6. Februar 
1875 dahin abgeändert worden, daß Todtgeburten nicht mehr am nächstfolgen¬ 
den Tage, sondern erst am nächstfolgenden Wochentage dem Standesbeamten 
von den Hebammen anzuzeigen sind. Es ist demnach auch § 3, Abs. 2, der 
Dienstanweisung für die Hebammen entsprechend abzuändern. 

Ist die im § 818 des neuen prensslsehen Hebammenlehrbuehes 1904 
ausgesprochene Forderung, hei jeder Gesichtslage die Leitung der Geburt 
einem Arzte zu fibergeben, gerechtfertigt 1 Von August Zahn. Dissertation 
Straßburg 1905. 

In den meisten Büchern der Geburtshilfe (auch in den Run£6sehen!) 
wird die abwartende Behandlung der Geburtslage empfohlen, weil diese unter 
normalen Verhältnissen auch ohne ärztlichen Eingriff günstig verläuft. In 
Widerspruch hierzu steht die Forderung, des neuen Lehrbuches, bei jeder 
Gesichtslage einen Arzt zuzuziehen. 

Verf. sucht an der Hand von 82 Gesichtslagen, die in den letzten 10 
Jahren in der Straßburger Klinik beobachtet wurden, den Beweis zu erbringen, 
daß in der weitaus größten Mehrzahl Gesichtslagen ohne ärztliche Hilfe 
glücklich verlaufen; fernerhin, daß diejenigen Fälle, die tatsächlich einen 
Eingriff erforderten, unter allen Umständen — auch wenn nicht gerade eine 
Gesichtslage Vorgelegen hätte — die Hebamme zur Inanspruchnahme ärztlicher 
Hilfe veranlaßt haben würden. 

Das Resultat war folgendes: In 69,5 °/o der Fälle war ein ärztliches 
Einschreiten nicht notwendig. Die Prognose für die Mutter wurde durch die 
abwartende Behandlung nicht verschlechtert. Die Prognose für das Kind 
wurde durch die operative Behandlung nicht derart gebessert, um den für die 
Mutter keineswegs gleichgiltigen Eingriff zu rechtfertigen. Die Gefahr, daß 
ohne strikte Indikation operativ eingegriffen wird, ist bei der jetzigen Fassung 
des g 318 besonders groß. 

Es würde daher die Abänderung des § 318 im Fehlin gsehen Sinne dahin 
zu treffen sein: Die Hebamme soll zum Arzte schicken, sobald die Geburt 
in Gesichtslage etwas langsamer verläuft, z. B. bei Erstgebärenden; sie soll 
unbedingt schicken, sobald Gefahr im Anzuge ist. Dr. Dobrn-CasseL 




784 


Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


Das aene englische Hebammengesetx. Referat, erstattet tob Dr. 
Mayer- Simmern. 

Die nachfolgenden Darlegungen beruhen auf den im Public health, 
XVII, Juni 1906 wiedergegebenen Vorträgen über „The midwives act 1902“ 
yon Dr. G. H. Fosbroke, County medical officer of health, Worcestershire 
und Edward Sergeant, County medical officer of health for Lancashire. 
Die Vorträge wurden in der englischen Medizinalbeamten-Versammlung selbst 
bezw. einer Sektion derselben gehalten; an der Diskussion nahmen teil Ver¬ 
waltungsbeamte, Vertreter der Zentralbehörde, Medizinalbeamte, Aerzte, Heb- 
ammeninspektorinnen. 

Bereits früher einmal 1 ) ist in dieser Zeitschrift des niedrigen Standes 
des Hebammenwesens in manchen Teilen Englands gedacht worden. Das neue 
Gesetz stellt nun an die Hebammen wesentlich höhere Anforderungen als früher. 

Als höchste Aufsichtsbehörde fnngiert „The central midwives board“, 
der aus 6 Aerzten, 8 Aerztinnen und einem Verwaltungsbeamten besteht. 

Der mittlere Instanz stellen die „Local supervising authorities* dar, 
die dem Grafschaftsrat beigeordnet sind, z. T. ausschließlich aus Mitgliedern 
dieser Behörde bestehen, in anderen Fällen andere Mitglieder, auch Damen, 
kooptiert haben. Die Mitwirkung der Damen an dieser Stelle hat sich als 
nützlich und fruchtbringend erwiesen. Diese neugeschaffene Behörde hat die 
Aufgabe, für das Gebiet der ‘ ganzen Grafschaft die Hebammenlisten zu 
führen, Zu- und Abgang der nach dem neuen Gesetze geprüften Hebammen 
zu kontrollieren, jeden Fall von Kunstfehler, schlechter Führung, Nachlässig¬ 
keit der Hebammen zu verfolgen, gegebenenfalls zur Verhütung der Weiter¬ 
verbreitung von Wochenbettfleber die Berufstätigkeit bis zur Dauer von 4—6 
Wochen zu untersagen. Die wesentlichen Befugnisse dieser Behörde liegen 
naturgemäß in der Hand ihres Medizinalreferenten. Zur Erleichterung der 
gewaltigen Arbeitslast wird er durch Inspektorinnen unterstützt, welche ent¬ 
weder selbst geprüfte, vorzüglich ausgebildete Krankenpflegerinnen und Heb¬ 
ammen sind oder welche rite approbierte Aerztinnen sind. Diese haben das 
Recht, die Hebammen auf ihren Rundreisen in ihren Wohnungen zu besuchen; 
sie unterrichten sie im Gebrauche der Instrumente, prüfen die Tagebücher, 
lehren sie die Regeln der Reinlichkeit, besuchen sogar mit den Hebammen 
zugleich die Wöchnerinnen, die eben in Pflege stehen. — In Manchester ist 
diese ärztliche Inspektorin in ihrer Amtswohnung im Stadthause regelmäßig 
zu bestimmten Stunden zu sprechen und gibt hier den Hebammen über alle 
fraglichen Punkte bereitwilligst Auskunft. 

Der wesentliche Anteil bei Beaufsichtigung der Hebammen fällt also 
zur Zeit der mittleren Instanz, dem Grafschaftsrat-Medizinalbeamten zu. Der 
unteren Instanz, dem Distrikts-Medizinalbeamten, liegt es allerdings, wie 
in Preußen, ob, in jedem Falle von Wochenbettfieber Erhebungen an Ort und 
Stelle zu machen und auf Grund dieser Untersuchungen seiner Lokalbehörde 
einen Bericht einzureichen. Unterstehen nun dem Grafscbaftsrat, wie in Wor 
cestcrshire, 600 Hebammen auf eine Bevölkerung von 375000 Einw. — wie 
etwa der Reg.-Bez. Stade sie aufweist —, so wird dem Medizinalbeamten der 
Grafschaft durch die Beaufsichtigung, trotz aller Unterstützung durch Inspek¬ 
torinnen, eine außerordentliche Arbeitslast aufgebürdet. Eine größere 
Heranziehung der Lokalmedizinalbeamten erscheint daher 
gewiß wünschenswert. Ein Anfang zur Fühlung zwischen mittlerer und 
unterer Instanz ist auch bereits insofern auf diesem Gebiete gemacht, als die 
Distriktsmedizinalbeamten in einigen Grafschaften bereits verpflichtet wurden, 
gegen Entschädigung von 10 Shilling die Wochenbettfieberberichte gleichzeitig 
mit der Entsendung an die Lokalbehörde auch an den Grafschaftsrat zu 
erstatten. 

Die Diagnose „Wo'c henbettfieber“ hat der behandelnde Arzt zu 
stellen. Die Anzeige an den Grafschaftsrat, als ihre „Local supervising autho- 
rity“ hat die Hebamme zu machen. Ein Arzt ist zuzuziehen, sobald Tempe¬ 
ratursteigerung auf 88" und Pulsbeschleunigung mehr als 24 Stunden anhalten. 
Die Desinfektion nach Berührung wochenbettfieberkranker oder anderswie 
infektiöser Wöchnerinnen hat nach Anordnung der Ortssanitätsbehörde zu ge¬ 
schehen. Alle waschbaren Kleider sind auszukochen, andere Kleider sind im 


*) Zur Verhütung des Kindbettfiebers. Von Dr. Morison. 1902,8.869. 



Kleinere Mitteilangen nnd Referate ana Zeitschriften. 


785 


Dampfdesinfektionsapparate zu reinigen and sind dann mehrere Tage hindurch 
der freien Loft aoszosetzen. 

Da nicht alle Lok&linstanzen Desinfektionsapparate besitzen — von 30 
der Grafschaft Worchestorshire z. B. nur 20 — so ist die neae Gesetzesvor¬ 
schrift eine gate Handhabe, die Weiteraosbildang des Desinfektionswesens 
za fordern. 

Jede Hebamme hat zwei Tagebücher zn führen: eines, das etwa dem 
Tagebach der preußischen Dienstanweisung entspricht and ein zweites, das 
ein Verzeichnis der Fälle darstellt, in denen ein Arzt hat zngezogen werden 
müssen. Eine solche Zuziehung hat za erfolgen in jedem Falle von Abort, 
von Erkrankung von Matter oder Fand, bei jeder Regelwidrigkeit während 
der Schwangerschaft, der Gebart oder des Wochenbettfiebers. Die Befolgung 
dieser Vorschrift macht einerseits den Hebammen große Schwierigkeiten und 
hat anderseits za einer Bennrahigang der ärztlichen Kreise, zu Verhand¬ 
lungen in den medizinischen Körperschaften and za Verwaltangsmaßnahmen 
geführt. Es ist häufig vorgekommen, daß die Angehörigen die Zahlung ver¬ 
weigerten, da sie angeben, nicht sie, sondern die Hebamme habe den Arzt 
zogezogen, and es ist sogar vorgekommen, daß der Arzt nar dann seine Hülfe 
zagesagt hat, wenn er das Geld für seine Mühe im voraus erhält — und zwar 
näßte die Hebamme aas eigener Tasche das Honorar für den Arzt erlegen I 
Der Standpunkt der Aerzte wurde durch einen Arzt durch das Sprichwort 
charakterisiert: „Never do ort for nowt, but if tha does, do it for thissen.“ 
Bei den deutschen Aerzten besteht jedenfalls eine größere Neigung zur Hülfs- 
bereitschaft. Za erhoffen ist, daß das Pablikom mit der Zeit besser erzogen 
wird and die Aerzte die Vorteile des Gesetzes für ihre eigene gebartshülfliche 
Tätigkeit einsehen werden. 

Bei der Schwierigkeit, das flache Land genügend mit Hebammen zu ver¬ 
sorgen, die nach der neuen Ordnung ausgebildet sind, erlaubt das Gesetz, daß 
bis zum Jahre 1910 Hebammen, aach wenn sie den neuen Anforderungen nicht 
vollständig entsprechen, weiter praktizieren dürfen; nur sollen sie den Titel 
„Hebamme“ nicht führen. Dabei ist zu bedenken, daß in den ärmeren Volks¬ 
kreisen die nicht vollausgebildeten Hebammen schon aus dem Grunde vorge¬ 
zogen werden, weil sic billiger sind, die Hausarbeit and die Sorge für die 
anderen Kinder mit übernehmen. 

Zar Ausbildung eines guten Stammes von Hebammen werfen manche 
Grafschaften große Summen aus. 

Vergleichen wir das neae englische Hebammengesetz mit der preußischen 
Dienstanweisung für Hebammen and dem preußischen Lehrbach von 1904, so 
scheint dem Referenten zweierlei besonders betont werden za müssen: Die 
Wahl des Desinfektionsmittels steht den englischen Hebammen 
frei, in den Besitz von Sublimat können sie jedoch nur schwer 
gelangen. Ferner scheint die Einrichtung der Inspektorinnen in 
mancher Beziehung sehr nachahmenswert. Wenn aach in Preußen dem Kreis¬ 
arzt ein Teil der Pflichten dieser Beamtinnen zafällt, wenn auch der praktische 
Arzt am Kreißbette and in Hebammenvereinen die Tätigkeit der Hebammen 
za fördern and za leiten vermag, so dürfte doch die Einrichtung der oft 
wiederholten Randreisen, der regelmäßigen Sprechstunden, der Besuche auch 
gesunder Wöchnerinnen gemeinsam mit den Hebammen za Zwecken der Be¬ 
lehrung manches gute Resolut zeitigen. 

Im übrigen aber ist das englische Hebammengesetz erst im Werden; 
das, was in Deutschland die LehransUlten and die Kreisärzte gemeinsam mit 
den praktischen Aerzten durch Jahrzehnte lange Arbeit gesät haben, dürfte 
in ähnlicher Weise erst mit der Zeit in England zur Reife gelangen. 


Kritische Bemerkungen za dem neuen englischen Hebammengesetze. 
(Acriticism of the mid wives act, 1902). Von Dr. Edmund M. Smith, 
med. off. of health, city of York. Nach einem Vortrage vor der Yorkshire 
Sektion des engL Medizinalbeamtenvereins. Public health, XVIII, Oktober 
1905, S. 20—80. 

Wir greifen aas dem anregend geschriebenen Aufsätze einige Punkte 
heraus, die auch für unsere Verhältnisse von Interesse sind. 

Nach dem mid viwes act hat der Gesundheitsbeamte das Recht, bei 



786 


Kleinere Mitteilangen and Referate aus Zeitschriften. 


einer Hebamme, die eine wochenbettfieberkranke Wöchnerin besucht hat, die 
Desinfektion zu erzwingen and bis zur vollständigen Desinfektion die Ans* 
ttbung der Praxis za a nt er sagen. Vergleicht man mit diesen neuen Vor¬ 
schriften die im Jahrgang 1902, S. 869 geschilderten Zustände, so springt der 
Fortschritt in die Augen. 

Wie lange soll die Karenzzeit dauern? ln Schweden muß die 
Hebamme 1 Woche hindurch der Praxis fern bleiben und soll sich möglichst 
in der freien Luft aufhalten, ln England ist das Recht der Suspension 
den Grafschaftsbehörden übertragen, ln den meisten Fällen dauert die 
Karenzzeit 2—8 Wochen. Der Gesundheitsbeamte hat in einigen Bezirken 
generell das Recht erhalten, aus sich die Suspension von der Praxis zu 
verfügen. 

Die Anzeigepflicht der Aerzte beruht auf dem Infektions diseases 
notifikation act von 1889 und 1899. Die Anzeige wird aber häufig vergessen 
oder aus Furcht vor Schaden in der Praxis und für das Rdnomm£e unterlassen, 
ln der (1891 67000 Einwohner zählenden) Stadt York wurden gemeldet: 1897: 
Krankheitsfälle 2, Todesfälle 0, 1898: 4 (3), 1899 : 4 (4), 1900: 10 (7), 1901: 
3 (4), 1902 : 2 (1), 1903 : 3 (2), 1904 : 4 (0). Wenn 1901 3 Krankheitsfälle 
gemeldet wurden, 4 Wöchnerinnen aber starben, so zeigt diese Tatsache allein 
schon an, wie schlecht die Anzeigepflicht gehandhabt wird. (Die Zahlen sind 
übrigens gewiß viel zu niedrig). 

Nach dem neuen Gesetze ist auch die Hebamme zur Anzeige verpflichtet 
Der Ausdruck „Wochenbettfieber“ ist nach den standesamtlichen Vorschriften 
und den für die Jahresberichte geltenden Anordnungen des Local Government 
Board durch Septicaemie, Sapraemie und Pyaemie zu ersetzen. Die Klassifi¬ 
kation des engl. Medizinalbeamtenvereins hat außer den genannten 8 Unter¬ 
abteilungen noch die Begriffe: Beckenperitonitis, puerperale Endo- und Peri¬ 
metritis eingeführt. 

Auch unter dem neuen Gesetz darf bei Todgeburten die Hebamme den 
Begräbnisschein ausstellen. Nur dann wenn der Behörde oder dem Gesundheits¬ 
beamten verdächtige Fälle zur Kenntnis kommen oder solche Scheine besonders 
häufig von einer Hebamme ausgestellt werden, wird die Behörde die Sache 
dem Coroner überweisen. 

Scheideneingießungen sollten in der Regel den Hebammen verboten werden. 

Wie viele deutsche Aerzte, hält auch der Autor Sublimat, ins¬ 
besondere in Soloidform, für zu gefährlich für die Hebammen. Sublimat sollte 
ihnen überhaupt nicht überlassen werden; höchstens dürfte der Arzt für jeden 
einzelnen Fall die notwendige Menge Sublimat zu Händen der Hebamme 
verschreiben. 

Als Vorbild für die N achp rüfun gen der Hebammen ist Schweden anzu¬ 
sehen. Hier muß jede Hebamme jedes Jahr über den Stand ihres Wissens eine 
Prüfung ablegen, sie geschieht durch den Gesundheitsbeamten in Anwesen¬ 
heit von Zeugen. Bei ungenügendem Ergebnis ist Suspension vom Amte 
möglich. Hier dürfen ferner die Hebammen wirksame Arzneimittel weder für 
die Matter noch für das Kind abgeben. (Vielleicht ließe sich in einer späteren 
Auflage des preuß. Hebammenlehrbuches in § 5 der Dienstanweisung bei. ...: 
Jeder unbefugten Behandlung von Krankheiten, namentlich von Frauenkrank¬ 
heiten, zu enthalten“ auch von „Kinderkrankheiten“ einfügen. Ref.). 

_ Dr. Mayer-Simmern. 


Ein Beitrag zur Bekämpfung der grossen Säuglingssterblichkeit. 

Von Dr. Max Eber t, Volontärassistent an der Universitäts-Kinder-Poliklinik 
der Kgl. Charit6. Jahrbuch für Kinderheilkunde; 1905, Bd. XI, H. 3. 

In Berlin starben jährlich durchschnittlich 3500 Kinder im ersten Lebens¬ 
jahr an Verdauungskrankheiten. Die Hauptursache dieser traurigen Tatsache 
ist die Unwissenheit der Mütter in den elementarsten Regeln der Ernährung 
der Säuglinge. Hierfür bringt der Autor folgenden Beweis: 

2/0 Mütter, welche mit ihren Kindern die Poliklinik aufsuchten, wurden 
über folgende Punkte der angewandten künstlichen Ernährung befragt: 

1. Kochen Sie Milch und Zusatz zugleich ab, und heben Sie beides als 
fertige Tagesnahrang in einem Topf auf ? 92,9 °/o der Kinder erhielten eine 
erst kurz vor dem Trinken gemischte Nahrung. 




Besprechungen. 


787 


2. Ktthlen Sie die Nahrung, nachdem sie gekocht hat, schnell in kaltem 
Wasser abP In 50°/o wurde die Nahrang nicht entsprechend abgekUhlt. 

8. Heben Sie die Nahrung verschlossen auf? Nein, in 61,3 ®/o! 

4. Wieviel Milch verbrauchen Sie täglich für das Kind? 86,8°/o der 
Kinder wurden falsch, z. T. grob falsch ernährt. 

5. Wie stark verdünnen sie die Milch ? 68 °/o der Kinder erhielten eine 
zu dicke oder zu dünne Nahrung. 

6. Wieviel Nahrung erhält das Kind täglich? 94,5 °/o wurden falsch ernährt. 

7. Wieviel Zucker setzen Sie täglich der Nahrung zu? 16,6 °/o der 
Mütter überschreiten die zulässige Maximalmenge von 60 gr. 

8. Wieviel Mahlzeiten erhält das Kind in 24 Stunden? 8,8°/o erhielten 
zu wenig, 78,4 °/e zu viele Mahlzeiten. 

9. Wie viele Mahlzeiten in der Nacht? 60 °/o hatten keine regelmäßige 
Nachtpause. 

10. Wie lang sind die Pausen zwischen den einzelnen Mahlzeiten? Von 
270 Müttern hielten 135 zu kleine Pausen. Die Antwort: „Alle Stunde, so 
oft es haben will“, war dabei besonders häufig. 

11. Wie groß ist die einzelne Mahlzeit P In 79,3 °/o war sie nicht richtig 
abgemessen. 

Nachdem Verf. an der Hand dieses Fragebogens den schlagenden Beweis 
für die Bichtigkeit der anfangs angeführten Behauptung geliefert hat, geht 
er auf Bekämpfung dieser Uebelstände ein. Er führt zunächst ein sehr zweck¬ 
mäßiges, von ihm verfaßtes Merkblatt an, dessen Wiedergabe leider den knappen 
Baum eines Beferates überschreiten würde. Zweitens fügt er die Beschreibung 
eines anscheinend sehr zweckmäßigen Apparates für die Zubereitung der Milch 
an, der jede Mutter instand setzt, eine nach Mischung und Tagesmenge ent¬ 
sprechende Normalnahrung herzustellen. Dr. Dohrn-Cassel. 


Besprechungen. 

Lunauu modlzlnisohe Atlanten. 

a. Dr. Otto Zuokerk&ndl - Wien: Atlas und Grundriss der chi¬ 
rurgischen Operationslehre. Mit 46 farbigen Tafeln und 809 Abbil¬ 
dungen im Texte. Bd. XVI. III. vermehrte u. verbesserte Auflage. München 
1905. KL 8°; 483 S. Preis: 12 Mk. 

b. Dr. Heoker und Dr. 8. Tnunpp, Privatdozenten in Müncheu: 
Atlas und Grundriss der Kinderheilkunde. Bd. XXXII. Mit 48 
farbigen Tafeln und 144 schwarzen Abbildungen. München 1906. KL 8°; 
482 S. Preis: 16 Mk. 

Der Zucke rk and Ische Atlas ist bereits früher in der Zeitschrift 
besprochen und warm empfohlen; die neue vorliegende Auflage verdient diese 
Empfehlung in erhöhtem Maaße, sie ist nicht nur in bezug auf Inhalt, sondern 
auch in bezug auf Ausstattung wesentlich verbessert und vermehrt. Nament¬ 
lich gilt das betreffs der beigegebenen farbigen Tafeln und sonstigen Abbil¬ 
dungen. 

Der Atlas von Hecker und Trum pp erscheint zum erstenmale; 
er reiht sich den bisher in dem Verlage erschienenen Atlanten in jeder 
Weise würdig an. Der Text stellt ein kurz gefaßtes, aber doch alle wichtigeren 
Fragen der Kinderheilkunde ausreichend berücksichtigendes Bepertitorium dar, 
das durch die beigegebenen bildlichen Darstellungen in vorzüglicher Weise 
erläutert wird. Den Medizinalbeamten werden in diesem Atlas besonders die 
Kapitel über die anatomischen und physikalischen Eigentümlichkeiten, über 
die Ernährung der Kinder, sowie über Krankheiten und Mißbildungen der 
Neugeborenen, chronische und akute Infektionskrankheiten der Kinder, 
interessieren. Ebenso wie bei dem früheren Atlanten hat die Verlagsbuch¬ 
handlung weder Mühe und Kosten gescheut, um dem Atlas eine möglichst 
gute äußere Ausstattung zu geben; die größeren farbigen Tafeln sind wahrhaft 
künstlerisch ausgeführt; die farbigen Abbildungen lassen an Schärfe und 
Klarheit der Darstellung nichts zu wünschen übrig. Bpd. 



788 


Tagesnachrichten. 


Der Dratooha Hebammen Kalender fftr^lOOfi. Verlag von Elwin 

Stande in Berlin S. W. 35. Preis: 1 Hk. 

Der soeben erschienene neue Jahrgang bringt manche neue Original* 
Aufsätze: „Ratschläge znr Ernährung und Pflege der Neugeborenen und 
Säuglinge (Heubner-Berlin). „Blatungen in der geburtshülfuchen Praxis“ 
(W a 11 h e r - Gießen). „ Die Hauptpflichten der Hebammen und ihre Fortbildung 
nach dem neuen Lehrbuch“ (Stoeckel-Berlin). Letzterer allein dflrfte die 
Anschaffung rechtfertigen. Die Ausfüllung des Tagebuchs ist ja jetzt eine 
sehr umständliche, aber doch für alle Teile wichtig. Insbesondere kann nicht 
genug betont werden, daß die Hebamme auch wirklich alle Temperaturen ein¬ 
trägt und nicht etwa die ihr normal erscheinenden fortläßt, weil nur so ein 
schnelles Urteil über die etwaige Krankheit gewonnen wird. 

Dr. Blokusewski-Niederbreisig a. Rh. 


Tagesnachrichten. 

Im Relehshaushaltsetat für 1906 sind u. m. 120000 Hark als erste Rate 
zur Erforschung der Schlafkrankheit eingestellt. Ueber die geplante 
Expedition gibt gleichfalls eine Denkschrift Aufschiaß. — Ferner wird in 
dem Etat des Militärsanitätswesens die Schaffung einer neuen Instanz 
zwischen dem Generalstabsarzt der Armee und den Korps-Generalärzten vorge¬ 
schlagen durch Errichtung von vier Sanitäts-Inspektionen mit dem Sitz 
in Berlin, Posen, Kassel und Straßbarg i. E. Die Sanitätsinspektoren sollen den 
Rang und die Gebührnisse der Brigadeinspekteuro erhalten. — Es ist wieder 
ein neuer Beweis, wie sehr dos Militärmedizinal wesen demjenigen der Zivil- 
verwaltung voranschreitet. Erst die Divisionsärzte mit dem Range eines Oberst¬ 
leutnants, wodurch sämtliche Korpsgeneralärzte sofort den Rang als Oberst 
erhielten, dann die Beseitigung der Oberstabsärzte zweiter Klasse, und Ein¬ 
rangierung aller Oberstabsärzte unter die Stabsoffiziere; und nunmehr eine 
Zwischeninstanz zwischen dem Generalstabsarzt der Armee und den Korps¬ 
generalärzten, durch die einem erheblichen Teile der letzteren die Möglichkeit 
gegeben wird, nicht nur den Rang, sondern auch die Kompetenzen der Brig&de- 
kommandeure zu erreichen. Von der Ausführung der vor einigen Jahren ins 
Auge gefaßten Neuerrichtung einer medizinisch-technischen Zwischeninstanz 
zwischen Regierung und Ministerium durch Schaffung von Obormedizinalräten 
bei den Oberpräsidenten hat man dagegen nichts wieder gehört. 


In der am 2 0. N o v e m b e r d. J. stattgehabten Plenarsitzung des 
KSuigl. Sächsischen Landes-Medlzinalkollegiums, deren Tagesordnung in der 
vorigen Nummer mitgeteilt ist (s. S. 762), wurde der Antrag auf Einführung 
des Einzelkelches bei der Abendmahlsfeier einstimmig angenommen. Das 
Publikum müsse allmählich daran gewöhnt werden, daß jeder seinen Einzel¬ 
kelch mitbringe, was der Beschaffung der Einzelkelche durch die Kirche vor¬ 
zuziehen sei. Ferner sprach sich das Landesmedizinalkollegium grundsätzlich 
für Abschaffung der Kurierfreiheit aus, nahm aber davon Abstand, 
einen dementsprechenden bereits früher beim Ministerium des Innern gestellten 
Antrag zu wiederholen. Die Frage, ob namentlich im Staats- oder Gemeinde¬ 
dienst angestellten Aerzte (Krankenhaus-, Armen-, Impf-, Schul- usw. Aerzte) 
dem ärztlichen Ehrengericht zu unterstellen seien, wurde ärztlicher¬ 
seits einstimmig bejaht, während seitens des Vertreters der Königlichen Staats¬ 
regierung juristische Bedenken dagegen geltend gemacht wurden. 


Notiz. Gleichzeitig mit der heutigen Nummer der Zeitschrift gelangt 
der offizielle Berloht Aber die diesjährige Hauptversammlung doa 
Deutsohen Medizinalbeamtenvereinz zur Ausgabe; die Versendung er¬ 
folgt jedoch für die Nicht-Postabonnenten — also auch für die Mitglieder 
des Deutschen Medizinalbeamtenvereins — unter besonderem 
Umschlag. 

Verantwortl. Redakteur: Dr. Rapmund, Reg.- u. Geh. Med.-Rat in Minden i. W. 

J. C. C. Bruns, Herzogi. Sachs, u. F. 8ch.-L. Hofbuchdruckerei in Minden. 




18. Jahrg. 


1905. 


Zeitschrift 

fflr 

MEDIZINALBEAMTE. 


Zentralblatt f&r gerichtliche Medizin ud Psychiatrie, 
für ärztliche Sachrerstindigentatigkeit in Unfall* und Inraliditätssaehen, sowie 
für Hygiene, öffentL Sanitatswesen, Medizinal-Gesetzgebung und Rechtsprechung 

Herausgegeben 

▼ on 

Dr. OTTO RAPMÜND, 

Regierung*- und Geh. Medixlnalret in Minden. 


Verlag von Fischers mediz. Buehhandlg, H. Kornfeld, 

HaraogL Bayer. Hof- u. BnbanogL Kammar-BaohMadlar. 

Berlin W. 35, Lützowstr. 10. 

Inserate nehmen die Terlsgshandlang sowie alle Annoncen - Expeditionen des In- 

und Auslandes entgegen. 


Nr. 24. 


Kraeheiitt mm 1. und 15. Jeden Monate 


15. Dezbr. 


Der amtsärztliche Dienst bei einer Stromüberwachungsstelle. 

Von Dr. G. Bundt, Kreisarzt zu Qaerfurt. 

Das vollkommene Erlöschen der Cholera in den polnischen 
Provinzen des rassischen Reiches im Laufe des Winters erscheint 
so wenig sicher, dass voraussichtlich anch für das nächste Früh¬ 
jahr wiederum eine gesundheitliche Stromtiberwachung erforderlich 
sein wird. Es dürfte deshalb anch für die Herren Kollegen, 
welche aufgefordert werden, bis zum 1. Januar ihre etwaige 
Bereitwilligkeit zur Verwendung im Ueberwachungsdienst für das 
Frühjahr 1906 zu erklären, nicht ohne Interesse sein, einiges 
über die Einrichtungen und den Dienst in einer solchen Stelle zn 
erfahren. 

Am 16. September wurde ich zur Leitung der Stromüber¬ 
wachungsstelle in Lauenburg a./Elbe telegraphisch berufen. 
Bereits zwei Tage später, am Montag, den 18. September mittags, 
traf ich nach znvoriger Meldung bei dem zuständigen Landrat in 
Batzebnrg in Begleitnng des beamteten Kollegen des Kreises 
Dr. Rohwedder in Lauenburg an. Am Tage vorher war schon 
durch eine Kommission der Königlichen Regierung zu Schleswig 
die Stelle für die Ueberwachung am Elbnfer unterhalb der Stadt 
im sogenannten Knhgrnnd bestimmt, das zn entleerende Armen¬ 
haus der Stadt als provisorische Cholerabaracke und Aufenthalts¬ 
ort für Verdächtige, der amtliche Desinfektor Lauenbnrgs für den 
Stromdienst anserBehen and ein Motorboot als Ueberwachungs- 
fahrzeug gemietet. 










790 


Dr. G. Bundt. 


Unsere erste Aufgabe war die Besorgung der nötigen 
Einrichtungsgegenstände für die Station. Es galt für die 
Baracke 6 Betten herzurichten, da die 5300 Einwohner zählende 
und gegenüber der Einschleppung von Seuchen so exponiert 
gelegene Stadt Lauenburg vollkommen ohne Krankenhaus ist. 
Ferner mussten die Räume für eine Pflegeschwester, einen 
Wärter und Desinfektor sowie das Motorboot mit der nötigen 
Ausstattung ausgerüstet werden. Für die beiden Aerzte wurden 
Oelmäntel und Oelkappen (sogen. Südwester) sowie zwei warme 
Decken für die Bootfahrten beschafft, ferner Schüsseln und Eimer 
für die Desinfektionslösungen, Handbürsten und Handtücher. 
Geräte für die Entnahme und Versendung verdächtigen Materiales, 
eine ausreichende Anzahl 50 gr haltender, weithalsiger Gläser mit 
eingeschliffenen Glasstöpseln, Deckgläschen, Platinöse, Fliesspapier 
und Pulverschachteln wurden aus der Apotheke entnommen und 
in zwei Kisten untergebracht und diese, alles in Holzwolle ver¬ 
packt, in das Kontrollboot geschafft. Im Laufe des Nachmittags 
traf auch der zweite der Ueberwachungsstelle zuerteilte Kollege, 
Dr. Stein aus Berlin, hier ein und unterstützte uns bei unseren 
Einkäufen mit Rat und Tat. 

Da es immerhin von vornherein fraglich erschien, ob die 
Baracke mit aller ihrer Einrichtung überhaupt zur Benutzung 
kommen würde, so wurde die für sie erforderliche Ausstattung 
nicht fest gekauft, sondern dem betreffenden Geschäftsinhaber nur 
aufgegeben, die Ausrttstungsgegenstände jederzeit, solange die 
Ueberwachung dauern würde, zur sofortigen Abgabe bereit zu 
halten. Diese sollte erfolgen, sobald hier auch nur eine einzige 
Person in der Baracke Aufnahme fände. Käme ein Erkrankungs¬ 
fall oder verdächtiger Fall von Cholera überhaupt nicht vor, so 
sollten dem Verkäufer 10—20 °/ 0 des Verkaufspreises der Ware, 
je nach Art derselben, für Bereithaltung und Herrichtung gewährt 
werden. 

Es war somit bis auf Räumung und Säuberung des Armen¬ 
hauses schon am 18. September abends alles zum Beginn des 
Ueberwachungsdienstes bereit. Dadurch jedoch, dass erst am 
23. September durch Polizeiverordnungen der für das Lauenburger 
Elbgebiet zuständigen Regierungspräsidenten von Schleswig und 
Lüneburg den Schiffern das Halten an der Ueberwachungsstelle 
unterhalb Lauenburgs zum Zwecke der gesundheitlichen Kontrolle 
aufgegeben wurde, blieben uns noch einige Tage unfreiwilliger 
Müsse, die wir durch die Ueberwachung der Herrichtung des 
Kommunehauses als Cholerabaracke ausfüllten. Neben einer gründ¬ 
lichen Reinigung war Abputz schadhafter Wandstellen, Besserung 
der Fenster und Türen, neuer Kalkanstrich sämtlicher Zimmer 
nötig. Trotzdem konnte das Haus wegen des Ziegelsteinfussbodens 
mit breiten Ritzen und des Steinpflasters im Flur, wegen seiner 
kleinen, niedrigen Räume und seiner weiten Entfernung vom 
Ueberwachungsplatz nur als wirklicher Notbehelf angesehen 
werden; insbesondere erschienen die Fussböden völlig undesinfizier- 
bar. Auch war der Transport von etwaigen Kranken bis zu 



Der amtsärztliche Dienst bei einer Stromüberwachnngsstelle. 


791 


diesem Hause verhältnismässig weit und unbequem. Er hätte zu 
Lande durch die ganze Stadt — für einen guten Fussgänger 
eine halbe Stunde Weges — oder zu Wasser durch den ganzen 
Hafen bis zur Schleuse des Elb -Trave- Kanals und von hier aus 
noch über einen schlechten Ausladeplatz und einen tiefen, schlecht 
gaugbaren Weg geschehen müssen, wobei eine erhebliche Be¬ 
unruhigung der Bevölkerung und eine unnütze Qual für die 
Patienten, soweit sie noch nicht im benommenen Zustande waren, 
unvermeidlich gewesen wäre. Auch die Behandlung der Kranken 
wäre sehr erschwert gewesen, wenigstens wenn man sie den 
Kontrollärzten übertragen hätte, da Cholerakranke, nach meinen 
im Jahre 1892 im Lübecker allgemeinen Krankenhause gemachten 
Erfahrungen, einer dauernden ärztlichen Ueberwachung und zeit¬ 
raubenden Behandlung bedürfen. Es wurde deshalb auch mit dem 
Armen- und Polizeiarzte der Stadt ein Uebereinkommen getroffen, 
durch das er sich zur Behandlung der etwa eingelieferten Kranken 
verpflichtete. 

Bei dem Armenhause wurde eine 4 qm grosse, l 1 /* m tiefe 
Grube zur Aufnahme der desinfizierten Ausleerungen etwaiger 
Eiranke auf Veranlassung der Königl. Regierung zu Schleswig 
ausgehoben und ein innen mit Zinkblech ausgeschlagener Trans¬ 
portkasten für die Aufnahme der Krankenwäsche zum Transport nach 
dem Desinfektionsapparat mit zugehörigem Karren bereitgestellt. 

Durch die Polizeiverordnungen war den Schiffern verboten, 
während der Nacht die Untersuchungsstelle zu passieren; es war 
übereinstimmend die Dienstzeit von Sonnenaufgang bis Sonnenunter¬ 
gang festgesetzt, während nach der im Regierungsbezirke Magde¬ 
burg schon einige Tage früher in Kraft getretenen Verordnung 
der Beginn des Dienstes auf 7 Uhr morgens, das Ende auf 8 Uhr 
abends bestimmt war. Die Bestimmung nach der Sonne erscheint 
m. E. praktischer, da mit Fortschritt der Jahreszeit die Zeit¬ 
bestimmung nicht geändert zu werden braucht. Eine Unter¬ 
suchung der Fahrzeuge in der Dunkelheit ist nicht ausführbar; 
denn die Durchsuchung des Schiffes sowie die Untersuchungen 
der Personen lassen sich nur bei Tageslicht ohne Schwierigkeit 
ausführen, ausserdem ist bei mangelhafter Beleuchtung die Gefahr 
des Fehltretens auf den oft ohnehin glatten, abschüssigen Kähnen 
und des Hinabstürzens in den Strom eine ziemlich grosse. Wir 
haben im Anfang von 6 Uhr morgens bis 7 Uhr abends Dienst 
getan und die Dienststunden auch bis zum 1. November nur auf 
die Zeit von 6 1 /* Uhr morgens bis 5 ®/ 4 Uhr abends gekürzt. 

Die Ueberwachungsstelle wurde durch eine weisse Flagge 
und ein Schild, das in grosser, weithin sichtbarer Schrift die 
Worte „Halt Ueberwachungsstelle“ trug, kenntlich gemacht. 
Ausserdem wurde dicht oberhalb der Stadt ein zweites Schild 
angebracht, dessen Aufschrift die Schiffer, auch die durch den 
Elb-Travekanal nach Lübeck fahrenden, aufforderte, dicht unter¬ 
halb Lauenburgs zum Zwecke gesundheitlicher Kontrolle zu halten. 

Vor Beginn unserer Tätigkeit konnten wir noch am 21. Sep¬ 
tember durch die Freundlichkeit des hiesigen Herrn Strombaurates 



792 


Br. G. Bundt. 


den Dampfer der Strombaabehörde benutzen and den Dienst einer 
Ueberwachungsstelle an der Hamburger Station in Zollenspieker 
ans eigener Anschauung kennen lernen. 

Am Sonnabend, den 23. September mittags begannen wir 
dann den Dienst an unserer eigenen Ueberwachungsstelle. Den 
bestehenden Bestimmungen gemäss mussten wir sämtliche strom¬ 
auf- and abwärts fahrenden Fahrzeuge, mit Ausnahme der regel¬ 
mässig verkehrenden Personendampfer, kontrollieren. Hierzu stand 
nns ein Motorboot mit schwachem, nur über 2 Pferdekräfte ver¬ 
fügendem Benzinmotor zur Verfügung, das die weisse Flagge führte 
and mit einem Bootsführer, einem Desinfektor und einem Polizei¬ 
beamten bemannt war. Die Kontrolle sollte der gegebenen An¬ 
ordnung gemäss möglichst wenig zeitraubend für die 8chiffer, d. h. 
so viel als möglich in der Fahrt der Schiffe erfolgen, sodass 
nicht jedes Schiff erst Anker zu werfen brauchte. Diese An¬ 
ordnung war bei einzelnen stromabwärts gleitenden Kähnen immer 
durchführbar, die Schleppdampfer aber mussten auch stromaufwärts 
die Fahrtgeschwindigkeit mässigen, da sonst der neben den 
Fahrzeugen herlaufende Strom unser kleines, schwaches Motor¬ 
boot so fest an die grossen Kähne sog, dass kaum abzukommen 
war. Auch war bei windigem Wetter das Heranfahren an 
schnell fahrende Schiffe deshalb unmöglich, weil die Vereinigung 
von Fahrt- und Windwellen starke Spritzer über Bord gab. Die 
Hauptarbeit war meist morgens in der Frühe zu tun, wo nicht 
selten eine grosse Anzahl spät abends und in der Nacht, nament¬ 
lich in der Zeit vollen und abnehmenden, also spät aufgehenden 
Mondes gekommener Schiffe schon bei Beginn des Dienstes ankernd 
an unserer Ueberwachungsstelle lag. 

Die Untersuchung gestaltete sich nun folgendermassen: 
Wir fahren an den Dampfer oder Kahn heran, fragten nach 
Namen und Nummer des Schiffes, Namen des Schiffsführers, Aiuaüri 
der Personen und machten die entsprechenden Notizen in unser 
Kontrollbuch. Eine Vorschrift zu dieser genaueren Buchführung 
besteht nicht, doch halte ich sie für nützlich, um gegen etwaige 
Nachfragen gerüstet zu sein. Zahl und Art der Fahrzeuge, Zahl 
der Personen, etwaiger Kranken und Verdächtigen und die aus¬ 
geführte Desinfektion müssen ja ohnehin für den täglichen Bericht 
gebucht werden. Dann überzeugten wir uns, ob Zahl nnd Art 
der Personen dem Verzeichnis auf dem KontroUzettel der Nachbar¬ 
station entsprachen, und untersuchten die einzelnen Leute. Es 
genügte meist die Besichtigung, nur bei Kranken war eine 
genauere Untersuchung nötig. Es wurden zweimal Schiffer mit 
Brustfellentzündung, eine Schifferfrau im letzten Stadium der 
Schwindsucht, zwei Influenzakranke, verschiedene an Händen und 
Füssen Verletzte, mehrere Kinder mit Mandelentzündung, Lungen¬ 
katarrh und skrophulösen Drüsen Schwellungen gefunden. Ver¬ 
schiedene Frauen lagen schmerzhafter und profuser Menses wegen 
zu Bett. 

Die Wasser- und Fäkaliengefässe Hessen wir znr Stelle 
schaffen. Es wurde ferner festgestellt, ob einwandfreies Trinkwasser 



Der amtsärztliche Dienst bei einer Stromttbeiwachongssteile. 798 

vorhanden war, und ob den Schiffern die Verhaltungsmassregeln 
bei Cholera gegeben waren. Der begleitende Polizeibeamte sah 
das Schiff nach etwa weiter vorhandenen Personen durch. Frauen 
und kleinere Kinder, die namentlich bei schlechtem Wetter nicht 
auf Deck kamen, wurden in den K&j&ten und Kojen aufgesucht. 
Eine Desinfektion der Fäkalien und Aborte wurde wenn möglich 
durchgeführt. Alsdann wurde auf dem Kontrollschein, den die 
Schiffer von früheren Stationen mit sich führten oder auf einem 
neuen Schein nach dem vorgeschriebenen Muster 1 ) der Unter¬ 
suchungsbefund bescheinigt und den Schiffen die Weiterfahrt 
gestattet. Leider waren die Kontrollscheine der Ueberwachungs- 
stationen in bezug auf Form, Grösse und Beschaffenheit ver¬ 
schieden; am geeignetsten erscheinen mir nicht zu kleine, halb¬ 
steife, kartenartige Zettel. 

Auf diese Weise haben wir in der Zeit vom 23. September 
bis 1. November 5388 Fahrzeuge, 818 Dampfer, 4568 Kähne und 
2 Flösse mit 23 486 Personen untersucht. Durchschnittlich kamen 
täglich 138 Schiffe, 21 Dampfer und 117 Kähne mit 602 Personen 
zur Kontrolle, davon lag in der Kegel etwa ein Drittel (42) schon 
morgens bei Beginn des Dienstes auf dem Elbstrome. 

Für die Untersuchung eines Schiffes wurden durchschnittlich 
5 Minuten beansprucht; die Untersuchung im Schleppzuge hinter 
und nebeneinander liegender Kähne, deren die grössten Dampfer 
stromaufwärts bis zu 20 hinter sich her ziehen, nimmt etwas 
weniger Zeit in Anspruch, namentlich wenn die Schiffer von 
früheren Stationen her mit Kontrollscheinen versehen sind; in 
anderen Fällen bedarf es dagegen etwas längerer Zeit. Das 
Verhalten der Schiffer war im allgemeinen ein durchaus würdiges 
und zuvorkommendes. Obwohl ohne Zweifel der unfreiwillige 
Aufenthalt durch die Ueberwachung für sie eine höchst unwill¬ 
kommene Störung und einen Aufenthalt bedeutet, der ihnen noch 
dazu durch Ankern, Drehen des Fahrzeuges, Niederlassen der 
Segel und anderes mehr vermehrte Arbeit verursacht, so wurden 
wir doch auf der Mehrzahl der Fahrzeuge durchaus freundlich 
empfangen und erhielten bereitwilligst Antwort und Auskunft. 
Dass auch hie und da Brummen und unfreundliche Worte uns 
entgegenschallten, kommt dem gegenüber kaum in Betracht. Auch 
Revisionen ohne Geleit des plötzlich erkrankten Polizeibeamten 
sind ohne jede Störung verlaufen. Kontrollentziehungen sind 
mehrere Male, namentlich im Anfang, bei Dampfern vorgekommen. 
Die Durchgebrannten wurden gemäss Verfügung des Herrn 
Regierungspräsidenten zu Schleswig der örtlichen Polizei zur 
Bestrafung jedesmal gemeldet. 

Ein längerer, unfreiwilliger Aufenthalt bis zu 4 Stunden 
wurde den morgens auf dem Strome liegenden Schiffen verursacht. 
Bemerkenswert ist dabei, dass die Schiffer oft selber nichts dazu 
taten, um diese Fahrtunterbrechung nach Möglichkeit abzukürzen;* 
denn wenn wir früh morgens den Dienst beginnen wollten, war 


*) Anlage 9 der Anweisnng dea Bandesrats zur Bekämpfung der Cholera. 



79* 


Dr. Q. Bundt. 


ein grosser Teil der Kahnführer nnd Bootsleute keineswegs zn 
anserem Empfange bereit, sondern wir mussten sie oft erst ans 
den Betten holen. Ein längerer Aufenthalt ist durch unsere 
Tätigkeit wohl kanm je hervorgerufen worden, man darf natür¬ 
lich das Liegen der Schiffe vor Tagesanbruch nicht mit in Rech¬ 
nung ziehen; denn in der Dunkelheit müssen die^Schiflfer ohne¬ 
hin rasten. 

Wir hatten im Anfang den Dienst so eingeteilt, dass jeder 
der Kollegen einen Nachmittag und einen Vormittag hintereinander 
mit dazwischen liegender Nacht Dienst tat und den folgenden 
Nachmittag und Vormittag frei hatte. Da wir aber Ende Sep¬ 
tember und den ganzen Oktober infolge des anhaltenden Regens 
mit nur zwei regenfreien, sonnigen Tagen unsere Kleider in der 
zwischenliegenden Nacht nicht trocken bekamen, wechselten wir 
vom Sonntag, den 15. Oktober in der Weise ab, dass auf einen 
vollen Diensttag ein voller freier Tag folgte. Der dienstfreie 
Kollege hatte dann bei etwaigen Fahrtstockungen durch viele 
zu gleicher Zeit angekommene Fahrzeuge einzuspringen und zu 
helfen. Leider ist es hierbei einige Male geschehen, dass weder 
das zweite Boot der Fähre, noch der Strombaudampfer, die uns 
aushilfsweise zur Verfügung stehen sollten, in den kritischen 
Momenten zu haben waren. Der zor Unterstützung bereite 
Kollege musste sich in diesem Falle auf die Revision der im 
Hafen und im Elbtravekanal vor der Schleuse liegenden Fahr¬ 
zeuge beschränken. Wir konnten daher auch an verkehrsreichen 
Tagen morgens keinen Doppeldienst einführen. 

Was nun die einzelnen Dienstverrichtungen betrifft, 
so ordnet Anlage 9 der Anweisung zur Bekämpfung der Cholera 
eine Desinfektion der Aborte und Fäkalieneimer der 
Fahrzeuge in jedem Falle an. Es ist hierzu jedem Kontrollboote 
ein Desinfektor beigegeben. Eine Desinfektion der Fahrzeuge, 
Kojen und Kajüten, des Bilgewassers (Kielwassers) ist nur daun 
auszuführen, wenn der überwachende Arzt es für nötig hält bezw. 
wenn ein Kranker oder Choleraverdächtiger auf dem Fahrzeuge 
gefunden wird. Auf unserer Ueberwachungsstelle hat sich ein« 
solche nicht als notwendig erwiesen. 

Nach den bestehenden Bestimmungen soll das Bilgewasser 
durch Hineinschütten von Kalkmilch in solcher Menge unschädlich 
gemacht werden, dass das ausfiiessende Wasser an der tiefsten 
Kahnstelle eine stark alkalische Reaktion zeigt. Man versteht 
unter Bilgewasser dasjenige Wasser, welches sich unterhalb der 
Fussbodenbretterlage des Laderaumes (der sogenannten Bühne) 
zwischen dieser und den Seiten des Kielraumes durch Hinein- 
fliessen von oben oder durch Hineinsickern durch kleinste Un¬ 
dichtigkeiten aus dem Fahrwasser ansammelt. Auch eiserne 
Kähne haben fast alle etwas hinein gesickertes Kielwasser. Es 
ist leicht zu verstehen, dass dieses bei Choleraerkrankungen der 
Schiffer oder Verseuchung des Stromwassers Cholerabakterien 
enthalten kann. Die höchsten Stellen des Bilgeraumes sind vorne 
und hinten, die tiefste Stelle ist in der Mitte des Kahnes, wo 



Der amtsärztliche Dienst bei einer Stromüberwachongsstelle. 795 

auch die Pampe steht. Leider ist bei einem beladenen Fahr¬ 
zeuge diese Desinfektion sehr Bchwer, da es nur wenig Zugänge 
zum Bilgeranm gibt. Direkt von oben her durch Aufheben der 
Bflhnenbretter ist der Ladung wegen nicht heranzukommen; man 
muss deshalb versuchen, die Kalkmilch zwischen äusserer Bord¬ 
wand und der seitlichen Bretterbekleidung des Laderaumes, der 
sogenannten Hängebühne, hineinzuschütten. Ausserdem ist darauf 
zu achten, dass durch Zuschfltten der Desinfektionsflüssigkeit das 
Kielwasser nicht so hoch steigt, dass es durch die Bitzen der 
abschliessenden Bretterlage in die Ladung dringt und diese dadurch 
verdirbt. Man muss daher nach jeder Zugabe von Desinfektions- 
flfissigkeit den Wasserstand in der Pumpe messen. Als erschweren¬ 
des Moment kommt ferner hinzu, dass der Kielraum bei vielen 
Kähnen kein einheitliches Ganze bildet, sondern durch die Bumpf- 
rippen und Spanten des Schiffes in viele einzelne Abteilungen 
geteilt wird, so dass die Verteilung der Kalkmilch sehr schwierig 
ist, da man kaum für jedes Abteil einen Zugang von obenher 
finden wird. Eine wirklich gründliche Desinfektion scheint deshalb 
nur bei leeren oder entleerten Kähnen möglich zu sein. 

Auch die Abort- und Eimerdesinfektion hat ihr 
Missliches. Ihre Wirkung ist nur sehr vorübergehend, da man 
nicht die Gewissheit hat, dass die Schiffer auch in der Zwischen¬ 
zeit zwischen den einzelnen Stationen—für Kähne oft 40—72 Stunden 
— ihre Fäkalien vor dem Hineinschütten in den Fluss mit der 
übergebenen Kalkmilch desinfizieren. Ein Teil der Schiffer ist 
ausserdem gewohnt, Fäces und Urin direkt über Bord in den 
Strom zu entleeren; wir sahen z. B. mehrere Male Bootsleute 
ohne Scham und Scheu bei diesem Geschäft an uns vorüberfahren. 
Und obwohl am Ufer der Elbe eine Tafel die Verunreinigung des 
Stromes bei Polizeistrafe verbietet, so wurde uns dennoch von 
der Strombau Verwaltung die Auskunft, dass derartige Verunreini¬ 
gungen als allgemein gebräuchliche zum Gewohnheitsrecht ge¬ 
worden und nicht strafbar seien. Ein grosser Teil der Aborte 
der Dampfer ist ferner so eingerichtet, dass die Fäces direkt ins 
Wasser fallen; eine Desinfektion der Trichter und Sitze trifft 
somit nicht die frischen Entleerungen. Die für die Weichsel 
geltenden Bestimmungen, dass die Schiffer die Fäces nur in ge¬ 
schlossene Eimer zu entleeren, mit Kalkmilch zu überschütten 
und die gefüllten Eimer am Lande zu entleeren haben, kann hier 
einige Besserung schaffen, obwohl auch sie viel Gewissenhaftigkeit 
und Verständnis der schiffahrenden Bevölkerung voraussetzt. Wir 
konnten auch nicht immer die fertiggestellte Kalkmilch an die 
Schiffer abgeben, da in unserem engen Boote, dessen Baum durch 
den Motor und das Wasserfass ohnehin stark beengt war, eine 
Kalkmilchtonne kaum Platz fand. Wir halfen uns durch Abgabe 
von Stückkalk, gaben Anweisung zu dessen Behandlung und 
wiesen auf die Desinfektionsvorschriften im Merkblatt für Schifier 
hin. Ein Teil der Leute hatte nach Ausweis der Beschaffenheit 
der Aborte und Gefässe gewissenhaft ihren Kalk benutzt, viele 
nahmen den Kalk mit höhnischem, überlegenem Lächeln in Empfang; 



796 


Dr. G. Bundt. 


sie haben ihn wohl alsbald den Fluten der Elbe anvertraut. 
Frisches Trinkwasser wurde dagegen im allgemeinen freudig und 
dankbar angenommen. Nicht selten erhielten wir allerdings auf 
unser Angebot von Trinkwasser die Anwort, man tränke über¬ 
haupt Wasser nie ungekocht, sondern nur in Form von Kaffee 
und Grog. 

Nicht unbedeutende Schwierigkeiten hatten wir, bei stür¬ 
mischem Wetter, bei dem das Wasser der Elbe zu ziemlich hohen 
Wogen emporgehoben wird, mit unserem Motorboot an die Schiffe 
heranzukommen. Es gab manchen Spritzer über Bord, das Boot 
lief, Steuer und Schraube schlecht gehorchend, kaum vorwärts, zu¬ 
mal elbaufwärts und als in der zweiten Hälfte des Oktober der 
Wasserstand erheblich gestiegen war. Auch der Aufenthalt auf 
dem Fahrzeug, in dem kaum die 4 nötigen Insassen, Arzt, Boots¬ 
führer, Polizeibeamter und Desinfektor nebeneinander Platz fanden, 
mit seiner niedrigen, nur 1,60 m hohen, nicht heizbaren Kajüte 
bei dem fast steten Regen war recht ungemütlich. Zwang uns 
der Regen, in der Kajüte den Kontrollzettel zu schreiben, so gabs 
beim Ein- und Ausschlupf nicht selten einen kräftigen Stoss gegen 
den Kopf. Dazu kam, dass wir einen 'Unterkunftsraum an Land 
überhaupt nicht hatten, also in der Dienstzeit vollkommen auf 
unser Fahrzeug angewiesen waren; denn ein Abstecher zu unserem 
Hotel erforderte mindestens 20 Minuten Zeit und, da wir die vor¬ 
beifahrenden Schiffe nicht unnötig aufhalten sollten, so war es 
durch die Verhältnisse geboten, stets an Bord oder wenigstens in 
unmittelbarer Nähe des Bootes zu bleiben. Der Reichskommissar 
Herr Oberpräsidialrat Dalen aus Magdeburg, der mit seinem 
ärztlichen Berater, Herrn Stabsarzt Dr. Krüger, am 15. Oktober 
unsere Station besichtigte, erkannte diese Ausstellungen voll an 
und machte selbst auf diese aufmerksam. Seinem Vorschläge 
gemäss wird denn auch für 1906 ein grösseres, kräftigeres Kontroll- 
fahrzeug den Aerzten zur Verfügung gestellt werden. Zugleich 
wird ein zweites, kleines Aushilfsboot dauernd bereit stehen, so 
dass bei Fahrtstockungen und für die Morgenstunden beide 
Kontrollärzte ein Schiff haben und nötigenfalls zeitweise beide 
gemeinschaftlich arbeiten können. Es soll ferner an der Ueber- 
wachungsstelle eine Unterkunftsbaracke vorgesehen werden mit 
3 Räumen, je einem für die Aerzte, für das Bootspersonal nnd 
für Desinfektionsmittel. Ferner soll die Cholerabaracke für Kranke 
und krankheitsverdächtige Personen so aufgestellt werden, dass 
der schwierige, beunruhigende Transport durch die ganze Stadt 
oder über den ganzen Hafen fortfällt. Im Falle, dass in Lauen¬ 
burg Cholerafälle festgestellt werden und zur Beobachtung und 
Behandlung kommen, erscheint ferner die Berufung eines dritten 
Arztes für den Dienst in der Baracke nötig, da sowohl die Zahl 
der Schiffe, als die durch den Elb - Trave - Kanal, die Honstorfer 
Fischzugsstelle, die Fähre und die Tiefen- und Stromverhältnisse 
der Elbe bedingten ungünstigen Verhältnisse der Ueberwachungs- 
stelle, welche das Durchfahren grosser Wasserflächen im Dienste 
erfordern, die volle Tätigkeit von zwei Kontrollärzten unbedingt 



Der amtsärztliche Dienst bei einer Stromüberwachnngsstelle. 797 

▼erlangen, namentlich wenn für einzelne Tage nnd Stunden regel¬ 
mässiger Doppeldienst ein geführt wird. Dazu kommt, dass in den 
längeren Tagen des Frühlings sich auch die Zeit des Dienstes 
im Interesse der Schiffahrt verlängern wird. Ausserdem erfordert 
die Desinfektion eine genauere Anweisung und Beaufsichtigung. 
Unser Kontrollgebiet erstreckte sich auf der bei Mittelwasser 
etwa 800 m, bei Hochwasser, wie wir es vom 20. Oktober bis 
1. November bis zu 2,90 m hatten, 450—500 m breiten Elbe auf 
eine Länge von etwa 3 km, dabei lief unser Boot bei starkem 
Strom stromaufwärts höchstens 4 km in der Stunde. 

Wir hatten in der Zeit unseres Lauenburger Aufenthaltes 
schon zwei Tage, in denen das Thermometer bei Sonnenaufgang 
bis auf 5 Grad unter Null sank, so dass das Schreiben der Eon¬ 
trollscheine mit den vor Frost steifen Händen kaum noch möglich 
war, obwohl wir stets schon teilweise vorgeschriebene, bis auf 
Datum, Untersuchungsbefund, Namen des Schiffes, des Bestimmungs¬ 
ortes und der Personenzahl ausgefüllte Zettel mit uns führten. 
Wir haben fast nur mit Bleistift geschrieben, da Tinte und Tinten¬ 
stift im Hegen verliefen. Ein Orts- und Datumstempel und die 
Stellung eines durchaus schreibgewandten Polizeibeamten würde 
diesen Teil des Dienstes für die Aerzte wesentlich erleichtern. 

Erforderlich erscheint bei den zum Kontrolldienst bestimmten 
Aerzten ein gewisses Mass körperlicher Gewandtheit für das Er¬ 
steigen der Kähne, das Herabsteigen von den Kähnen und das 
Hinübersteigen von einem Kahn auf den anderen, da oft in tal¬ 
wärtsfahrenden Schleppzügen mehrere Kähne nebeneinander liegen. 
Die Kähne haben für die Elbschiffahrt einen Tiefgang bis zu 
1,70 m. Sind sie leer, wie oftmals die elbabwärtsgleitenden und 
geschleppten Fahrzeuge, so liegen sie öfters bis zu 2,75 m über 
dem Niveau des Stromes, da über die 1,70 m des Laderaumes, 
der leer nur zu einem kleinen Teil ins Wasser taucht, in der Mitte 
der Kähne ein hölzerner Deckaufbau und hinten und vorn ein 
Bordkranz eraporragt. Da gilt es dann die oft lange nicht geübte 
turnerische Fertigkeit wieder hervorsuchen oder sich einer Leiter 
zu bedienen, wie sie auch unser Kontrollboot, viele Kähne und 
alle Dampfer mit sich führen. Bei unruhigem Wasser und Wellen¬ 
gang ist aber auch für die Leiter eine gewisse Klettersicherheit 
nötig. Vorsicht und Schwindelfreiheit erfordert das Besteigen der 
längs- oder querlaufenden Deckleisten der Kähne, welche bei Reif, 
Frost und Nässe sehr glatt sind und zum Ausgleiten Anlass geben, 
vor dem man sich um so mehr hüten muss, als das nach den 
Seiten hin abschüssige Deck gegen den Strom hin ohne Be¬ 
wehrung ist. Sehr glatt sind bei Nässe und Frost auch die 
eisernen Decks der Dampfer. 

Alle diese Schwierigkeiten werden jedoch zum grossen Teil 
mit der Stellung eines höheren und grösseren Kontrolldampfers 
fortfallen, weil man dann schon mit geringeren Höhenunterschieden 
zu rechnen hat. 

Sonst ist der Stromdienst für einigermassen abgehärtete 
Leute, die nicht gar sehr zu Erkältungen neigen, wohl im all- 



79S Dr. G. Bandt. Der amtsärzt. Dienst bei einer Stromöberwachungsstelle. 


gemeinen ein gesunder zu nennen. Der tagelange Aufenthalt in 
Macher, bis auf schnell vorüberziehende Ranchwolken ans den 
Dampfschornsteinen staubfreier Luft, die relativ reich an Feuchtig¬ 
keit ist, wirkt entschieden günstig ein. Ein nicht zu unter¬ 
schätzender Vorteil für den beschäftigten Medizinalbeamten oder 
praktischen Arzt ist auch einmal das vollkommene Freisein von 
all den kleinen Unannehmlichkeiten der täglichen amtlichen Tätig¬ 
keit bezw. der aufreibenden Praxis, sowie die Versetzung in ganz 
neue, bisher unbekannte Verhältnisse. Man lernt manches Neue 
kennen und kann sich ein schönes, richtiges Bild machen von dem 
ungeheuren Verkehr auf unseren Binnenwasserstrassen, und von 
der Wichtigkeit derselben für Handel und Wandel. Birgt doch 
ein einziger beladener Kahn — bis zu 1250 Tonnen = 25000Ztr. 
Tragfähigkeit haben wir solche gesehen — in seinem Riesenrumpf 
so viel Gut, wie kaum 80 Eisenbahnwagen (ä 300 Zentner) fort¬ 
schaffen können, das heisst wie zwei stark beladene, sehr lange 
Güterzüge von je 80 Achsen. 

Nicht unwillkommen dürften den Herren Kollegen einige 
Ratschläge für die Ausrüstung sein. Oelrock und Oelkappe (Süd¬ 
wester) werden wohl an allen Stationen zur Verfügung gestellt; 
sie sind bei Regen absolut unentbehrlich und schützen auch vor¬ 
züglich gegen durchdringenden Wind. Unmöglich ist es mit Pelz 
oder Winterüberzieher zu arbeiten, da man mit beiden in seinen 
Bewegungen zu sehr beschränkt ist. Es empfiehlt sich deshalb 
besonders warme, dicke wollene Unterkleidung, z. B. Jägerwäsche, 
wenn einfach nicht ausreichend, in zweifacher Lage übereinander 
gezogen zu tragen. Als Dienstanzug eignet sich am besten ein 
Joppenanzug von Lodenstoff, vorne vollkommen bis zum Halse 
schliessend und dicht anliegend, um nicht an allen Kanten und 
Vorsprüngen der Schiffs- und Kahnbewehrungen hängen zu bleiben; 
dazu kommt bei trockenem Wetter eine festsitzende Schirmmütze, 
die dem Winde viel weniger Spiel gewährt als ein Hut. Besonders 
viel Gewicht zu legen ist auf eine geeignete Fussbekleidung. Die 
Fü8se frieren im allgemeinen weniger bei kaltem, als bei nassem 
Wetter, wenn der Boden des Kontrollbootes dauernd feucht ist. 
Wollene Strümpfe sind hier allein zu empfehlen, bei kälterem 
Wetter zu zwei Paaren übereinander gezogen. Die Stiefel dürfen 
keine Schnür- oder Knopfstiefel sein, da bei Regen das vom Oel- 
rocke herablaufende Wasser gerade in die Schnürlöcher hinein¬ 
tropft und die Strümpfe vollkommen durchnässt. Es empfiehlt sich 
vielmehr, im Dienst derbe, rindlederne, nicht zu hohe Schaftstiefel 
mit starken Doppelsohlen zu tragen, die in der kalten Jahreszeit 
am besten eine Filzfütterung haben. Derartige Stiefel tragen die 
Schiffer; sie werden daher in allen Orten mit Schiffsverkehr vor¬ 
rätig gehalten oder angefertigt. Lange Stiefel zu tragen, empfehle 
ich nicht, da sie die Beweglichkeit auf den Kähnen zu sehr be¬ 
einträchtigen; Gummischuhe sind ihrer Glätte wegen unpraktisch. 
Als Fussbekleidung für trockene, kalte Tage sind besonders Filz¬ 
schuhe (die sogenannten Schandauer) geeignet, welche den Fuss 
sehr warm halten und wegen der stark bindenden Filzsohle das 



Df. Diering. Mitteilangen von der Cholerattberwacbangsstelle Brahemünde. 799 

Auegleiten auf glatten, befrorenen Kähnen vorzüglich ver¬ 
hindern. 

Wissenschaftliche Erfahrungen über Cholerakranke oder 
Choleraverdftchtige kann ich nicht mitteilen, da wir in Lanenbnrg 
nicht Gelegenheit hatten, derartige Fälle unter den Schiffern zu 
finden; ich hoffe aber auch ohne dieses den Herren Kollegen, die 
im nächsten Jahre Stromdienst tun wollen, manches sie Inter¬ 
essierende gesagt zu haben. 

Lassen wir rückblickend noch einmal unseren Aufenthalt am 
Elbstrom und unser Wirken in der Stromüberwachungsstelle Lauen¬ 
burg an unserem Ange vorübergehen, so wird uns, glaube ich, 
doch ein Gefühl der Befriedigung überkommen. Wir sehen zwar, 
dass der Stromdienst nicht immer eitel Freude war. Das allzu 
ungünstige Wetter und mancherlei Unbequemlichkeiten der schnell 
geschaffenen Station drohten bisweilen Laune und Freudigkeit zu 
stören. Aber das waren nur vorübergehende Momente, waren 
nur Kleinigkeiten, die zurücktraten gegenüber der Fülle neuer, 
belehrender Eindrücke und vor allem vor dem Gefühl der Genug¬ 
tuung darüber, dass auch wir an unserem Teile dazu beitragen 
durften, unser Vaterland gegen die drohende Verbreitung der 
Cholera zu schützen. Wir haben zwar auf unserem Posten dem 
Feind nicht ins Angesicht geschaut, und es wäre frevelhaft, diese 
Tatsache mit dem Ausdruck des Bedauerns festzustellen, aber 
dennoch war auch unsere Tätigkeit nicht praktisch wertlos; hat 
doch die strenge, gewissenhafte Stromüberwachung sicherlich 
viel dazu beigetragen, das Deutsche Reich zu schützen vor Sperr- 
massregeln gegen seinen Handel von Seiten des Auslandes. 

So darf man denn wohl erwarten und hoffen, dass auch im 
nächsten Jahre, wenn die Notwendigkeit zur gesundheitlichen 
Stromüberwachung wiederkehren sollte, die deutsche Aerzteschaft, 
in ihrem bekannten Gemeinsinn, vor allem die beamteten Aerzte 
ihre Kräfte dem Staate zur Durchführung des Dienstes bereit¬ 
willigst zur Verfügung stellen. Es wird niemanden gereuen, mit 
anf Vorposten gestanden zu haben! 


Mitteilungen von der Choleraüberwachungsstelle 

Brahemünde. 

Von Dr. med. Diering- Kieierslädtel. 

Die Cholerabekämpfung nach dem Reichsgesetz vom 30. Juni 
1900 ist zum ersten Male seit dem Bestehen des letzteren in 
grossem Umfange zur praktischen Anwendung gekommen. Be¬ 
rücksichtigt man einerseits die weite Zerstreuung der einzelnen 
Erkrankungsfälle und die damit verbundene Gefahr einer aus¬ 
gedehnten Epidemie, anderseits die Folgen der Anwendung des 
Gesetzes: Beschränkung der Krankheit auf die Wasserstrassen 
mit ihrer nächsten Umgebung und Verhütung eines eigentlichen 
Uebergreifens auf das platte Land, dann wird man füglich sagen 
können, das Gesetz hat seine erste grosse Probe glänzend bestanden. 



800 


Dr. Diering. 


Die beiden Hanptfaktoren bei der Stromftberwachun g in ge¬ 
sundheitlicher Beziehung sind: unschädliche Beseitigung der Ent¬ 
leerungen, insonderheit der Fäkalien, und genügende Versorgung 
der Schifferbevölkerung mit unverdächtigem Trinkwasser. 

Von diesen Faktoren kommt meines Erachtens die grösste 
Wichtigkeit der unschädlichen Beseitigung der Stuhl- 
entleerungen zu; sie bedeutet gewissermassen die Verhinderung 
der Epidemie oder ihre Bekämpfung in den ersten Anlängen und 
muss deshalb mit allen Mitteln erstrebt werden. Gelangen die 
Vibrionen mit dem Stuhl in das Wasser, so wird dieses in einem 
gewissen Bezirke verseucht. Aus Unachtsamkeit und Unkenntnis 
wird es in Gebrauch genommen. Selbst wenn sein Gebrauch als 
Trink- oder Waschwasser vermieden wird, so dient es doch zum 
Reinigen der Fahrzeuge etc., ein Beschmutzen damit lässt sich 
kaum vermeiden; hierdurch tritt wieder die Gefahr neuer Er¬ 
krankungen auf, die wiederum für andere Stellen verseuchend 
werden. Der Circulus vitiosus ist da! Und der natürlichen Selbst¬ 
reinigung der Flüsse wird entgegengearbeitet. 

Die Ausführung der Bestimmungen des Gesetzes vom 80. Juni 
1900, betreffs Desinfektion der Entleerungen von Cholerakranken 
und -Verdächtigen bietet keine Schwierigkeiten. Wie steht es 
aber mit der Desinfektion der Stühle, die nicht von Kranken und 
Krankheits verdächtigen herrühren und dennoch — man denke an 
die Zeit der Inkubation und an die sogenannten Bazillenträger — 
ebenso gefährlich werden können, als es jene sind. 

Nach Anlage IV, 4 haben die Vorstände der Ueberwachungs- 
bezirke darauf zu achten und dahin zu wirken, dass insbesondere 
nicht undesinfizierte Stuhlentleerungen in das Wasser gelangen. 
Desgleichen hatte der Herr Staatskommissar für die untere Brahe, 
den Bromberger Kanal und die Netze zur Verhütung der Weiter¬ 
verbreitung der Cholera durch Verfügung vom 3. September 1905 
angeordnet, dass sich auf jedem Treiben, jeder Schütze, jedem 
Floss beim Nichtvorhandensein eines Abortes ein Eimer zur Auf¬ 
nahme der Entleerungen der Mannschaften zu befinden habe. An¬ 
lage IV, 9 bestimmt, dass auch auf Fahrzeugen, auf denen Kranke 
nicht gefunden sind, also auf allen untersuchten Fahrzeugen, 
regelmässig die auf denselben etwa vorhandenen Aborte bezw. die 
zu Stuhlentleerungen bestimmten Gefässe zu desinfizieren sind. 
Letztere Bestimmung lässt sich bei genügendem Personal ebenfalls 
leicht erfüllen. Während der Arzt die Schiffsinsassen untersucht, 
kann ein Mann die erforderliche Desinfektion vornehmen. Anders 
die Bestimmung der Anlage IV, 4. Eine wirkliche Durchführung 
dieser stösst nicht nur auf erhebliche Schwierigkeiten, sondern sie 
wird in den meisten Fällen geradezu unmöglich, unmöglich des¬ 
wegen, weil wir es nicht verhindern können, dass die Fäkalien 
von den Schiffsinsassen sofort und undesinfiziert dem Wasserlaufe 
zugeführt werden, unmöglich ferner, weil wir auf den Fahrzeugen 
Entleerungen gar nicht zu desinfizieren bekommen, selbst wenn 
wir es wollten. Es ist nichts da, was desinfiziert werden könnte. 
Die Schiffsbewohner entleeren die gebrauchten Abortgefässe sofort 



Mitteilangen von der Cholerattber vrachangsstelie Brahemünde. 801 


in das Wasser, „weil es ja sonst zu sehr riechen würde“, wie 
einige ehrlich genug selbst angeben. Andere kennen die Be¬ 
stimmung zwar sehr gut, dass sie jedesmal Kalkmilch anzuwenden 
und den Stuhl vor der Beseitigung längere Zeit stehen zu lassen 
hätten — sie geben auf Befragen genau an, wie es gemacht 
werden soll —, dass sie diese Bestimmungen aber auch ausführen, 
das muss mehr als fraglich erscheinen. Auf den Fahrzeugen, die 
ich bisher daraufhin untersucht und beobachtet habe — es sind 
über 400 — habe ich niemals einen derartig behandelten Stuhl 
finden können, obwohl es sich bei der oft recht zahlreichen Be¬ 
setzung mit Kindern ganz gut hätte erwarten lassen dürfen. Die 
Abortgefässe waren meistens sauber und stets leer, Spuren von 
Kalkanwendung waren selten an ihnen zu entdecken. Der Kalk¬ 
behälter steht fast ausnahmslos auf dem hinteren Teil des Fahr¬ 
zeuges, er lässt sich so am schnellsten und bequemsten dem 
untersuchenden Arzt vorzeigen, der eigentlich dazu gehörende 
Aborteimer aber ist entweder in der Tiefe des Kahnes, in der 
sogenannten „Gäte“ verborgen oder er ist auf dem Vorderraum 
zn finden. Der Kalk selbst ist häufig nach eigenen Angaben der 
Schifier wochenlang auf dem Kahne oft in einer Menge, die normal 
für einmaligen Bedarf genügt hätte, oft in so grosser, dass daraus 
von vornherein zu entnehmen war, dass er lediglich da war, weil 
er da sein musste. Vielfach bildete er mit darüber gegossenem 
Wasser eine so feste Masse, dass von bequemer Herstellung der 
Kalkmilch nicht mehr die Bede sein konnte. Alles Beweise, dass 
eine tatsächliche Desinfektion des Stuhles von seiten der Schifier etc. 
nicht stattfindet und dass auf dieses Hilfsmittel im Kampfe gegen 
die Seuche nicht sicher zu rechnen ist. 

Wie lassen sich nun die Entleerungen, besonders die Fäkalien 
beseitigen, ohne dass durch dieselben die Wasserläufe in gefahr¬ 
drohender Weise verunreinigt werden P Wie wir gesehen haben, 
genügen die vorhandenen Bestimmungen über die Desinfektion 
der Entleerungen deshalb nicht, weil sie zum Teil gar nicht aus¬ 
geführt werden können. Es fehlen demnach noch Bestimmungen, 
welche die Anwendung der ersteren ermöglichen. 

Die Wasser Verunreinigung würde am besten verhindert 
werden, wenn die verunreinigenden Stoffe gar nicht erst in das 
Wasser gelangten. Wenn auch nicht vollständig, so liesse sich 
dieses doch zum Teil, vielleicht sogar zum grösseren Teil erreichen, 
dadurch nämlich, dass die Abortgefässe an das Land geschafft, 
dort entleert und desinfiziert wieder zurückgenommen würden. 
Zn diesem Zwecke wären an den Anlegeplätzen, den Ueberwachungs- 
stationen oder an sonst geeigneten Orten auch Entleerungs- und 
Desinfektionsstellen zu errichten. Hier wären die Fäkalien in 
Senkgruben oder Tonnen von geeigneten Leuten zu sammeln und 
zu desinfizieren, um später weiter beseitigt zu werden. Auch die 
kontrollierenden Dampfer könnten mit Tonnen zur Aufnahme der 
Fäkalien ansgestattet werden, sei es, dass diese Tonnen auf dem 
Dampfer selbst aufgestellt oder auf einem Kahne mitgeführt werden. 
Ferner würde vielleicht in Frage kommen, an den Entleernngs- 



802 


Dr. Diering. 


und Desinfektionsstellen Kähne mit Tonnen und Kalkbehältern 
auszorüsten, die an die Fahrzeuge keranzufahren und die Fä¬ 
kalien etc. zu sammeln hätten. Natürlich müsste, um das best¬ 
mögliche zu erreichen, jede Entleerung der Aborteimer in den 
Wasserlauf bei Strafe verboten werden. Ein Ausweis, ähnlich 
dem über die ärztliche Untersuchung, auf welchem die Zahl der 
Schiffsinsassen und die Zeit der Entleerung und Desinfektion der 
Abortgefässe zu verzeichnen wären, würde aus dem Vergleich 
beider zu einander nicht nur einen Rückschluss gestatten, ob dem 
Wasser mehr oder minder grosse Fäkalienmassen beigefügt worden 
sind, er würde auch hinweisen, wo event. Bestrafung am Platze 
wäre. Derartige Vorkehrungen würden zwar eine Verseuchung 
der Wasserstrassen nicht gänzlich verhüten können, ich glaube 
jedoch, dass durch sie eine erhebliche Verminderung der Fluss- 
verunreinigung durch event. gefährliche Stuhlentleerungen erzielt 
würde. 

Eine Verfügung der Königlichen Regierung in Bromberg 
vom 3. September 1905 besagt: Aborte, die die Entleerungen 
in den Wasserlauf abführen, sind unzulässig. Derartige Aborte 
finden sich ausschliesslich auf Dampfern. Die erforderlichen Ab- 
orteimer sind zwar auch hier vorhanden, benutzt wird aber der 
alte in das Wasser führende Abort aus Bequemlichkeit und Ge¬ 
wohnheit. Soll der Gebrauch dieser Aborte tatsächlich verhindert 
werden, so würde nichts anders übrig bleiben, als sie auf irgend¬ 
eine Weise unzugänglich zu machen. 

Ueber die Wasserversorgung bestimmt das Reichsgesetz 
vom 30. Juni 1900 (Anl. IV, 3 und 4) folgendes: Die kontrollieren¬ 
den Dampfer haben brauchbares Wasser in genügender Menge mit 
sich zu führen und davon nach Bedarf abzugeben; es ist ferner 
dafür Sorge zu tragen, dass an den Ueberwachungsstellen, regel¬ 
mässigen Anlegeplätzen und an sonst geeigneten Orten Gelegen¬ 
heit zur Entnahme unverdächtigen Trinkwassers geboten wird. 
Die erstere Art der Wasserversorgung scheint nun bei einem Teil 
der Schiffer etc. den Glauben hervorgerufen zu haben, das kon¬ 
trollierende Fahrzeug sei verpflichtet, die Wasserversorgung gänz¬ 
lich zu übernehmen. Es wurde nämlich das Fehlen des Trink- 
wassers vielfach damit entschuldigt, dass „der Dampfer kein 
Wasser gebracht hätte“, ja, es wurden in diesem Sinne sogar 
direkte Klagen und Beschwerden darüber laut, dass ihnen der 
Dampfer kein Wasser bringe und sie deshalb auf Flusswasser 
angewiesen seien. Des weiteren waren anfänglich Klagen darüber 
zu hören, dass sich das Wasser in den Tonnen, mit welchen jedes 
Fahrzeug nach § 5, VIII der Anweisung zur gesundheitlichen 
Ueberwachung der im Stromgebiete der Weichsel verkehrenden 
Fahrzeuge ausgerüstet zu sein hat, nicht hielte; es würde in den 
neuen Tonnen bläulich und damit unappetitlich; auch der Geschmack 
litte, es würde bitter, hingegen hielte es sich viel besser in 
emaillierten Gefässen. Dieser Uebelstand ist jetzt, nachdem die 
Tonnen längere Zeit im Gebrauch gewesen sind, nicht mehr zu 
fürchten; er liesse sich auch sonst leicht dadurch vermeiden, dass 



Mitteilungen von der Choleratiberwachungsstellc Brahemünde. 803 

auf den Tonnenausgabestellen zunächst die früher bereits ge¬ 
brauchten Tonnen abgegeben und in der Zwischenzeit die neuen 
täglich mit frischem Wasser gefüllt werden, bis die störenden 
Eigenschaften beseitigt sind. Es wäre bei einer erforderlich 
werdenden Neubeschaffung von Wasserbehältern auf diese Klagen 
Bücksicht zu nehmen und an Stelle neuer Tonnen emaillierte Ge- 
fässe abzugeben. Von letzteren scheinen die hohen, von unten 
nach oben sich verengernden Kannen geeigneter zu sein, als Eimer; 
sie sind handlicher und sparsamer im Gebrauch und, wenn von 
einer Gefahr bei offenen Wassergefässen die Bede sein kann, mit 
ihrer kleineren Oeffnung natürlich auch weniger der Verunreini¬ 
gung mit verdächtigem Flusswasser ausgesetzt, als die Eimer mit 
breiter Oeffnung. Durch Verfügung der Königlichen Begierung 
Bromberg vom 3. September 1905 sind solche Kannen, die 5 Liter 
fassen und mit Deckeln versehen sind, für das Stromgebiet der 
Brahe und Netze bereits eingeführt. 

Eine Verfügung der Königlichen Begierung Bromberg vom 
19. September 1905 bestimmt die regelmässige in periodischen 
Zwischenräumen vorzunehmende ärztliche Untersuchung der bei 
Wasserbauten auf Holzplätzen, in Schneidemühlen, Fabriken usw. 
beschäftigten Arbeiter. Diese Verfügung ist von ausserordentlicher 
Wichtigkeit in gesundheitlicher Beziehung und steht, soweit .sie 
die Ueberwachung von Arbeitern betrifft, welche berulsmässig mit 
dem Wasser in mehr oder minder fortwährender Berührung stehen, 
der eigentlichen Stromüberwachung kaum nach. Unterscheidet sich 
doch ein Teil dieser Arbeiter in nichts von den eigentlichen 
Schiffern und Flössern. So ist auf den grossen Holzplätzen und 
in den Sägemühlen ein Teil der Arbeiter ständig mit dem Wasser 
in Berührung. Es sind die Leute, welche das Holz „auswaschen“, 
d. h. aus dem Wasser aut das Land befördern; zeitweilig kommen 
aber auch die übrigen Arbeiter mit dem Wasser in Berührung, 
dann nämlich, wenn die nassen, soeben aus dem Wasser gezogenen 
Hölzer sofort zur weiteren Verarbeitung gelangen. 

Wie steht es aber mit der praktischen Durchführung dieser 
Verfügung? Hier machen sich zum Teil so erhebliche Schwierig¬ 
keiten bemerkbar, dass die Ausführung dieser Bestimmung leider 
nur eine recht unvollkommene sein kann. Die Schwierigkeiten, 
die sich entgegenstellen, sind doppelter Art: sie betreffen einmal 
den untersuchenden Arzt und zweitens die einzelnen Betriebe; 
ersteren freilich nur insofern, als die ihm zur Verfügung stehende 
Zeit bei weitem nicht ausreicht, die Untersuchungen vorzunehmen, 
ein Uebel, das durch Verwendung einer genügenden Anzahl von 
Aerzten leicht behoben werden könnte. Die Arbeitsstätten auf 
Holzplätzen und Sägemühlen haben fast durchweg eine grosse 
räumliche Ausdehnung — bis zu 25 h und darüber —; die Arbeiter 
sind über den ganzen Betrieb zerstreut, sie müssen also auf¬ 
gesucht werden, ein Beginnen, das in dem Labyrinth aufgestapelter 
Holzhaufen ausserordentlich schwierig und zeitraubend ist. Zudem 
gibt es keineswegs Sicherheit, dass tatsächlich alle Arbeiter zur 
Untersuchung gelangen; während ein Teil jedesmal gefunden wird, 



S04 


Dr. Diering. 


kann sich der andere leicht nnd völlig der ärztlichen Kontrolle 
entziehen.. Und gerade auf die es ankommt, Kränkliche nnd Un¬ 
pässliche, werden sich mit Vorliebe dem Blick des Arztes zu ent¬ 
ziehen suchen. Zu vermeiden wären diese Unvollkommenheiten, 
wenn die Arbeiter in regelmässigen Zwischenräumen zusammen- 
gerufen und so an der Hand von Listen untersucht würden. Hier 
aber setzen zugleich die Schwierigkeiten von seiten der Betriebe 
ein. Die Arbeiter in der Arbeitszeit zu versammeln bedeutet für 
die Arbeitgeber einen erheblichen Arbeite- und damit Geldverlust, 
lässt sich auch vielfach durch die Art des Betriebes nicht durch¬ 
führen. Die Arbeitspausen dazu zu verwenden, scheitert an dem 
Widerstande des Arbeiters, der sich seine Ruhepause nicht schmä¬ 
lern lassen will. Bei der Ueberwachungsstelle Brahemünde waren 
etwa 850 ständige Arbeiter in regelmässigen Zwischenräumen zu 
untersuchen. Das Notieren der Namen der Untersuchten nahm 
viel Zeit in Anspruch und verursachte jedesmal eine unliebsame 
Störung in der Arbeit; es wurde deshalb versucht, dem einzelnen 
Arbeiter eine Nummer einzuprägen, welche er bei der Unter¬ 
suchung nennen sollte, um so durch die namentlichen Listen die 
Untersuchungen kontrollieren zu können. Arbeiterwechsel, Indolenz 
und teilweise Böswilligkeit der Arbeiter Hessen diesen Versuch 
scheitern. Aus diesen Gründen wird sich zunächst die ärztUche 
Beaufsichtigung der genannten Betriebe darauf beschränken müssen, 
sie des öfteren einer hygienischen Durchmusterung zu unterziehen, 
und die Arbeiter, wo man sie trifft, immer wieder auf die Gefahren 
ihrer Unvorsichtigkeit und Nachlässigkeit aufmerksam zu machen. 
Ferner würde sich die Verteilung kurzer Verhaltungsmassregeln 
an die Arbeiter empfehlen, die der jeweiligen Art des Betriebes 
anzupassen wären. Ein weiteres Mittel, eine schärfere Aufsicht 
über den Gesundheitszustand der Arbeiter auszuüben, bieten die 
Krankenkassen, die angehalten werden könnten, regelmässige Be¬ 
richte über die Krankenbestände einzureichen, insbesondere jeden 
Fall von akuter Magen-Darmerkrankung sofort zu melden. 

Dass die rechtzeitige Erkennung der ersten Cholera¬ 
erkrankungen von einschneidender Bedeutung für die Bekämpfung 
der Choleragefahr ist, bedarf keiner besonderen Betonnng. Völlig 
abgesehen von den Schwierigkeiten der Diagnose, deren endgültige 
Entscheidung ja stets dem Bakteriologen zusteht, hat es für den 
praktischen Arzt stets etwas Missliches, mit dem Verdacht „Cholera* 
hervorzutreten. Die Folgen seines ausgesprochenen Verdachtes 
sind Unbequemlichkeiten für die Familie des Kranken, wohl auch 
direkte Schädigungen, z. B. in kaufmännischen Betrieben. Der 
Arzt wird noch Entschuldigung finden, wenn sich sein Verdacht 
bestätigt hat, bleibt diese Bestätigung aber aus, dann fällt Groll 
auf ihn, er kommt in Gefahr, die Patienten zu verlieren und sich 
zu schädigen. Darum wartet er vielleicht noch mit der Meldung — 
und aus diesem Abwarten bei ersten und zweifelhaften Fällen 
wird ihm kaum ein Vorwurf entstehen können — in der Zwischen¬ 
zeit tritt aber Besserung oder Tod ein. Im eraten Falle schwindet 
auch sein Verdacht, im zweiten kommt er erst recht in eine un- 



Mitteilungen ron der Cholerattberwaehungsstelle Brahemtlnde. 806 


angenehme Lage. Erstattet er jetzt Meldung von seinem Ver¬ 
dacht nnd wird daraufhin die Obduktion angeordnet, so kann er 
bei dem Vorurteil unserer ungebildeten und gebildeten Laien¬ 
bevölkerung gegen Leichenöffnungen sicher sein, sich die Familie 
des Verstorbenen zum Feinde gemacht zu haben. Kann man den 
praktischen Arzt aus dieser unangenehmen Lage befreien und 
damit die Entdeckung erster Cholerafälle erleichtern helfen? Zum 
Teil vielleicht. Und zwar dadurch, dass in Gegenden, in denen 
die Gefahr einer Cholerainvasion mehr oder minder stets vorhanden 
ist, die Anzeigepflicht für jeden Fall von Brechdurchfall auch in 
cholerafreier Zeit angeordnet wird. Der Arzt kann sich dann 
durch die gesetzliche Verpflichtung den Angehörigen des Eiranken 
gegenüber rechtfertigen; er meldet die Erkrankung, weil er sie 
melden muss und wälzt damit gewissermassen die Schuld für alle 
Weiterungen auf den beamteten Arzt, dem materieller Schaden 
nicht entsteht. In den Händen des letzteren aber können diese 
Meldungen zu wertvollem Material werden und wiederum die Fest¬ 
stellung erster Erkrankungsfälle erleichtern helfen: Er erfährt von 
stärkerem oder gefährlicherem Auftreten der Magen-Darmkrank¬ 
heiten, und wenn auch nicht sofort und jedesmal bakteriologische 
Untersuchungen nötig werden, dürften doch einzelne Stichproben 
bei besonders schweren und rasch tödlich endenden Fällen am 
Platze sein, namentlich wenn sich diese hänfen. 

Als ein weiteres und wichtiges Hilfsmittel zur Erkennung 
erster Cholerafälle möchte ich die obligatorische Leichenschau 
anführen, die für die schiffbaren Wasserläufe nicht nur für die Zeiten 
drohender oder bestehender Choleragefahr, sondern auch für die 
cholerafreie Zeit angeordnet und zum mindesten auf jeden auf 
den Wasserstrassen Verstorbenen Anwendung finden müsste. 

Die vom Reichs-Gesundheitsamt herausgegebene Anweisung 
„Wie schützt sich der Schiffer vor Cholera“ und die gesundheit¬ 
lichen Unterweisungen auf den Ueberwachungsstationen, welche 
die Schiffer etc. zu passieren hatten, scheinen ein recht erfreu¬ 
liches Ergebnis gezeitigt zu haben. Im Anfänge standen die 
Schiffer den zu ihren Gunsten getroffenen Schutzmassregeln meistens 
gleichgültig gegenüber; sie verhielten sich ablehnend gegen die 
Unterweisungen des Arztes, der mit mürrischem Gesicht und oft 
recht unfreundlichen Worten auf dem Zahne empfangen wurde. 
Der Unmut über die den Schiffern lästige und störende „Revision* 
trat deutlich hervor und machte sich häufig in recht drastischer 
Weise bemerkbar. Das hat sich bald wesentlich gebessert. Die 
Schiffer antworteten im allgemeinen gern auf die Fragen des 
Arztes, oder sie antworteten wenigstens doch und aus ihren Ant¬ 
worten liess sich entnehmen, dass ein grosser Teil von ihnen der 
gesundheitlichen Stromüberwachung ein gewisses Verständnis ent¬ 
gegenbringt und ein gewisses Wissen besitzt, wie er sich gegen 
die Erkrankung zu schützen hat. Es kam zuletzt gar nicht selten 
vor, dass der Führer des Zahnes selbst darauf aufmerksam machte, 
dass er noch nicht untersucht sei und selbst um die Revision bat. 
Ferner scheint die zuerst vorhandene Angst vor den Cholera- 



806 Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften. 

krankenhftusern abgenommen za haben, die darch die nngeheaer- 
lichsten Gerüchte im Volksmande genährt, zuweilen so gross war, 
dass Zwangs- und Gewaltmassnahmen zur Unterbringung An¬ 
steckungsverdächtiger erforderlich wurden. So griff z. B. ein 
Schiffer, der mit seiner Familie zur Beobachtung in das Kranken¬ 
haus Fordon gebracht werden sollte, zur Axt, die Gendarmen 
mussten ebenfalls zu ihren Waffen greifen, um die Ueberführung 
zu ermöglichen. Diese Krankenhausangst musste naturgemäss die 
Verheimlichung etwaiger Krankheitsfälle mit ihren Gefahren be¬ 
günstigen; ihr Nachlassen bedeutet somit auch eine Verringe¬ 
rung dieser Gefahren. Es wäre falsch, wenn man diesen Tat¬ 
sachen besondere Wichtigkeit beimessen wollte; indessen steht zu 
erwarten, dass das Verständnis des einfachen Mannes für die Ab¬ 
wehnnassregeln den Kampf gegen die Seuche, wenn nicht sonder¬ 
lich erleichtern, so doch nicht weiter erschweren wird. Und des¬ 
halb ist der Umschwung in der Gesinnung mit Freuden zn 
begrüssen! Freilich, dass ein Teil völlig indolent, zn weilen 
geradezu widersetzlich war und geblieben ist, war zu erwarten 
und kann nicht weiter Wunder nehmen. So antwortete ein Schiffer 
auf die Unterweisungen des Arztes damit, dass er vor den Augen 
desselben Fluss wasser trank. Die Strafe folgte in diesem Falle 
auf dem Fusse: da das Wasser für verseucht erklärt war, ordnete 
der Arzt die sofortige Ueberführung des Betreffenden als an¬ 
steckungsverdächtig in das Krankenhaus an, wo er während des 
5 tägigen Aufenthaltes wohl genügend Zeit gehabt haben wird, 
über event. Folgen von Unvorsichtigkeit nachzudenken. 


Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 

B&ktoriologie, Infektionskrankheiten and öffentliches 

Sanitätswesen. 

Veber das Vorkommen Ton Spirochaetcn bei syphilitischen nnd 
anderen Krankheitsprodnktcn. Aas dem Labor&toriam der Königliehen 
Universität«-Klinik für Haut- nnd Geschlechtskrankheiten za Berlin (Professor 
Dr. E. Lassar). Von Paal Malger. Berliner klinische Wochenschrift; 
1905, Nr. 36. 

Aaf Grand seiner zahlreichen Untersuchungen Ober die Gegenwart von 
Spirochaetcn bei verschiedenen Erkrankungen des menschlichen Organismns 
kommt Verfasser za den Schluß, 1. daß die Spirochaeta pallida so gut wie regel¬ 
mäßig in den Produkten der infektiösen Lues nachgewiesen ist, 2. daß sic nach 
den bisherigen Erfahrungen nur boi Syphilis und nicht bei anderen Krankheiten 
oder Gesunden vorkommt, 3. daß die Unterscheidung der Sp. pallida von der 
gröberen, schmarotzenden Form dem Geübten meist unschwer gelingt. Sie ist 
kleiner, zarter and dünner, besitzt steile korkenzicherartige Windungen gegen¬ 
über den längeren, flacheren der groben Spirochacte, färbt sich schwerer and 
zeigt im Giemsapräparat meist einen mehr rotviolotten Farbenton, gegenüber 
dem mehr bläulichen der groben Formen. Dr. Bä ab er-Köslin. 


Die Spirochaeta vacctnae. Von Prof. Dr. Bon hoff-Marbarg. Berliner 
klin. Wochenschrift; 1905, Nr. 36. 

Verfasser fand in frisch beim Kalbe erhaltenen Blattern verschiedenen 
Alters Spirochaeten, die sich mit der Giemsa- Methode chrom&tinrot färben 
lassen. Am Ende des Fädchons findet sich oft eine knopfförmige Verdickung. 
Sic liegen vielfach in der Nähe eines Kerns. In dem lcukozylcnreichcn Teil der 
Pustel sind sic in Nestern angehäuft. Neben diesen Spirochaetcn finden sich 



Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften. 


807 


viel zahlreichere kleinste kommaähnliche, einzeln oder za zweien liegende 
Zellen, endlich etwas größere, anregelmäßig dreieckige Formen mit zwei langen 
sehr zarten, zaweilen schraubenförmigen Fortsätzen an zwei Ecken. Diese 
dreieckige Form hält B. für die Grandform des Vaccineerregers. Die Spiro* 
chäten hält er für aneinander geratene Kommas. Alle drei Arten gehören 
zusammen. Dr. Raub er-Köslin. 


Arbeiten ans dem Kaiserlichen Gesnndheltsamte. Beihefte za den 
Veröffentlichungen des Kaiserlichen Gesundheitsamts; XXII. Bd., 8. (Schloß-) 
Heft, mit 2 Tafeln, Verlag von J. Springer, Berlin 1905. 

Untersuchungen über die Vakzine. I. Von Dr. S. Pr o waz ek (Rorigno). 
Hierzu Tafel IX. 

In der vorliegenden Abhandlung werden über einige experimentelle und 
mikroskopische Untersuchungen der Vakzinelymphe, sowie über das Verhalten 
des Vakzinevirus in der Kaninchenkornea berichtet. P. glaubt aus diesen 
Untersuchungen folgende Schlüsse ziehen zu dürfen: ln der Lymphe findet 
man zunächst längliche, sich teilende Gebilde; die Lymphkörperchen, die in 
den kleinsten Zellfragmenten ruhen; über ihre Natur wird man erst nach einer 
genaueren Untersuchung ihrer Ursprungsstätte, der Kalbspustel, etwas aus- 
sagen dürfen. Bei den Veränderungen an der geimpften Kaninchenkornea muß 
man zwei ihrem Wesen und ihrer Genese nach verschiedene Vorgänge und 
Bildungen unterscheiden: a) das Auftreten der sog. „Initialkörper“, längliche, 
meist aus zwei ihrer Größe nach etwas differierenden Körperchen bestehende 
Gebilde, die von einem ovalen, lichten Hof umgeben sind und sowohl im Proto¬ 
plasma, als auch wahrscheinlich im Kern auftreten; b) die Bildung der Guar- 
nierischen Körper, die den sogen. Kernsubstanzen entstammen, sehr frühzeitig 
und rasch ins Protoplasma austreten und hier weiter wachsen. Sie sind Pro¬ 
dukte einer regressiven Metamorphose der Kernsubstanzen, während die Initial¬ 
körper wohl die Träger des Virus sein dürften. Dr. Rost-Rudolstadt. 


Ein Fall von Meningokokken-SeptlkSmle. Aus der hygienischen Unter- 
suchungsstation und der inneren Krankenstation des Marinelazaretts zu 
Wilhelmshaven. Von Marineoberstabsarzt Prof. Dr. Martini und Marine- 
Stabsarzt Dr. Roh.de. Berliner klin. Wochenschrift; 1905, Nr. 82. 

Ein ausführlich beschriebener Krankheitsfall, der dadurch bemerkenswert 
ist, daß die Erscheinungen der Genickstarre durch einen septikämischen Prozeß 
(Hautembolien in Gestalt eines den ganzen Körper überziehenden Exanthems, 
das bald hämorrhagischen Charakter annahm) eingeleitct wurde, welcher das 
eigentliche Bild verschleierte. Es ist der erste Fall, in dem der sichere mikro¬ 
skopische und kulturelle Nachweis des Mcningococcus intracellularis im Blut 
erbracht wurde (Blutentnahme aus einer Armvene). Die Mikroben waren bei 
einer Körpertemperatur von 37,5° C. im Blute nachzuweisen. 

Der Fall fordert dazu heraus, bei Verdacht auf Meningitis epidemica das 
Blut nicht blos der Kranken, sondern auch der Verdächtigen, selbst der an¬ 
scheinend Gesunden der Umgebung zu unterscheiden. 

Ein zweiter Fall, bei dem die eigentlichen Krankheitserscheinungen erst 
nach 3—4 wöchigem Krankenlager hervortraten, ließ denselben sowohl im 
Blut (37,5) wie in der Lumbalflüssigkeit den Meningococcus erkennen. 

Dr. Räuber-Köslin. 


Die bakteriologische und klinische Diagnose bei den fibrinösen Ent¬ 
zündungen der oberen Luftwege. Aus der Klinik und Poliklinik für Ohren-, 
Hals- und Nasenkranke des Prof. Dr. Gerber, Königsberg i. Pr. Von Prof. 
Gerber. Berliner klin. Wochenschrift; 1905, Nr. 31. 

G. hat bei allen fibrinösen Entzündungen in Hals und Nase regelmäßig 
Abimpfungen vornehmen lassen. Hierbei ergab sich folgendes: Drciviertcl 
aller Fälle von Rhinitis fibrinosa zeigten Diphtheriebazillen. Ebenfalls bei 
dreiviertel aller Fälle fehlten Allgemeincrscheinungcn, und zwar bei denen 
mit Diphthoriebazillen ebenso wie bei denen ohne. Bei der Pharyngitis stimmte 
die klinische Diagnose in den meisten Fällen mit der bakteriologischen überein. 
Noch nicht einmal die Hälfte der fibrinösen Halsentzündungen waren diph¬ 
therischer Natur. Obwohl die fibrinösen Entzündungen der Nase seltener sind 



608 


Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften. 


als die des Halses, sind sie doch relativ häufiger diphtherisch als die des 
Halses. Nur etwa die Hälfte aller fibrinösen H&lsentzttnduügen ist von All- 
gemeinerscheinangen begleitet; diphtherische Halsentzündungen bieten diese 
nicht häufiger als nicht diptherische. Die Allgemeinerscheinungen (oft durch 
Streptokokken bedingt) gestatten keinen Schluß auf den diptherischen oder 
nicht diphtherischen Charakter der Erkrankung. Dies kann nur durch die 
bakteriologische Untersuchung festgestellt werden. Eine spezifische Anti¬ 
diphtherie-Therapie ist nur da einzuleiten, wo die klinischen Erscheinungen 
in Uebereinstimmung mit der bakteriologischen Untersuchung hierzu auffordern. 
Falsch ist es, jeden Fall von leichtester fibrinöser Entzündung, wenn Diphtherie¬ 
bazillen gefunden werden, sofort zu spritzen, da die verdächtigen Erscheinungen 
oft überraschend schnell schwinden. Anderseits aber ist es bisweilen geboten, 
Fälle mit sehr bedrohlichen Erscheinungen, auch wenn der Ausfall einer bak¬ 
teriologischen Untersuchung negativ war, zu spritzen, da die Injektionen im 
allgemeinen unschädlich sind und wir es auch oft genug erleben, daß eine 
Untersuchung negativ und die nächste positiv ausfällt 

Dr. Räuber-Köslin. 


Zur bakteriologischen Choleradiagnose. Der direkte Agglutlnationa- 
versuch. Aus dem staatlichen hygienischen Institut in Hamburg. Von Prot 
Dr. Dun bar. Berliner klin. Wochenschrift; 1905, Nr. 39. 

Auf 2 Deckgläschen wird mittelst einer Oese ein Tröpfchen Peptonlösung 
gebracht. Mit Platinhaken entnimmt man dem choleraverdächtigtigen Stuhl 
einige kleine Schleimflocken, die man an den Wandungen des Entnahmeglases 
abstreicht und in den beiden Peptontropfen nacheinander verreibt Zu dem 
einem Tropfen setzt man 1 Tropfen 50 fach verdünnten normalen Kaninchen¬ 
serums, zu dem anderen 1 ebenso großen Tropfen 600 fach verdünnten hoch¬ 
wertigen Choleraserums. Im hohlgeschliffenem Objektträger findet man bei 
Anwesenheit von Choleravibrionen diese im Normalserum zum Teil beweglich, 
in dem mit Choleraserum versetzten Tropfen keine beweglichen Vibrionen 
mehr, und zwar alsbald nach Herstellung des Präparats. Die Herstellung der 
Präparate nebst Untersuchung erfordert nur etwa 5 Minuten. Bebrütete man 
die Tropfen nach erfolgter Untersuchung bei 87° C. und prüfte sie darauf in 
*/* ständigen Zeitabschnitten, so zeigte sich schon innerhalb einer Stunde eine 
erhebliche Vermehrung und rege Bewegung in dem mit Normalserum versetzten 
Tropfen, wogegen bei Zusatz spezifischen Choleraserums kein beweglicher 
Vibrio aufzufinden war. Schon nach l /* Stunde war eine deutliche Agglutination 
der Vibrionen durch das Choleraserum festzustellen. Präparate, die in der¬ 
selben Weise unter Verwendung von choleraähnlichen Vibrionen hergestellt 
waren, ließen in jedem Falle die Agglutination vermissen. Lag ein Gemisch 
von cholera- oder choleraähnlichen Vibrionen vor, so war gleich nach Ansetzea 
der Präparate es möglich, zu konstatieren, das in dem Präparat mit spezifischem 
Choleraserum ein Teil der Vibrionen unbeweglich und gequollen erschien, 
während ein anderer Teil Beweglichkeit zeigte. Innerhalb 8—6 Stunden trat 
eine Verdrängung der normalen Kotbakterien durch die Vibrionen in Er¬ 
scheinung. Leichter gestaltete sich die Aufgabe, wenn man anstatt des 
choleraverdächtigen Stuhls die daraus an gesetzten Peptonkulturen nach 8 stän¬ 
diger Bebrütung zu dem beschriebenen Versuche heranzog. 

Benutzt man die Agarkultur zur Agglutination, so läßt sich selbst bei 
Zwischenschaltung der Peptonvorkultur eine Sicherstellung der bakt. Cholera¬ 
diagnose nicht vor 12—20 Stunden ermöglichen. Der Vorteil, schon innerhalb 
einiger Minuten nach Einlieferung des choleraverdächtigen Materials eine 
einigermaßen sichere, orientierende Diagnose zu stellen, liegt auf der Hand. 

Dr. Räuber-Köslin. 


Ueber die praktische Leistungsfähigkeit diagnostischer Flüssigkeiten 
für typholde Erkrankungen des Menschen. Aus der I. deutschen med. 
Universitätsklinik in Prag (Vorstand: Hofrat Dr. Pribram. Von Peter Paul 
Klemens. Berliner klin. Wochenschrift; 1905, Nr. 40. 

Die Merk sehe Fabrik in Darmstadt hat außer dem Fick er sehen 
Diagnostikern diagnostische Flüssigkeiten für den Schottmüllerschen (B) 



Kleinere Mitteilungen nnd Referate ans Zeitschriften. 


809 


and Brion-Kaysersehen (A) Par&typhns dargestellt. Yerf. hat bei der 
Prüfung dieser Flüssigkeiten folgende Ergebnisse gefunden: 

1. Cie Agglutination der heute erhältlichen diagnostischen Flüssigkeiten 
für typhoide Erkrankungen des Menschen spielt sich £enau so wie bei leben¬ 
den Bakterienarten nicht in art-, sondern gattungsspezilschen Grenzen ab. 

2. Die gattungsspezifischen Titer betragen bei den Diagnostids im all¬ 
gemeinen niedrigere Werte, als bei den entsprechenden lebenden Stämmen — 
ein Umstand, der ihre praktische Leistungsfähigkeit nur erhöht. 

3. Die von Zupnik-Posner für eine ätiologische Diagnose notwendig 
befundene Ermittelung des obersten Agglutinationstiters stellt auch bei Ver¬ 
wendung von Fick er schein Diagnostikern eine unerläßliche Bedingung für eine 
solche dar. 

Die 8 Diagnostica sind also für den praktischen Arzt vorzügliche Behelfe, 
die ihn in die Lage versetzen, die 8 häufigsten typhoiden Erkrankungen der 
Menschen (Abdominaltyphus, Schottmüllerschenund Brion-Kaysersehen 
Paratyphus) sicher zu diagnostizieren. Das Merksche Typhusdiagnostikum 
ist neuerdings noch verbessert worden. Dr. Räuber-Köslin. 

Der Wert der elnnelnen klinischen Symptome des Typhus abdominalis 
für die Diagnose. Von Prof. Dr. Treupel, Chefarzt am Hospital zum 
heiligen Geist in Frankfurt a. M. Münchener med. Wochenschrift; 1905, Nr. 80. 

Verfasser berichtet über ein im ganzen einheitlich untersuchtes Material 
von 60 Typhusfällen aus den letzten Jahren und kommt bei der Beantwortung 
der Frage, welches die wichtigsten und möglichst frühzeitigen 
diagnostischen Merkmale einer Typhuserkrankung sind, zu 
nachstehenden Ergebnissen: Kranke Proz. 

1. Anamnestische Anhaltspunkte, derart, daß man 
immerhin Typhus mit in den Bereich der Erwägungen ziehen 

mußte, boten im ganzen . 45 = 75,0 

2. Eine im ganzen Verlauf typische Fieberbewegung 

zeigten . . . . .. 28 = 46,7 

8. Eine mehr weniger starke Bronchitis im Anfänge der Er¬ 
krankung hatten. 29 = 48,8 

4. Eine im Verhältnis zum Fieber niedrige Pulszahl im 

ganzen Verlauf hatten. 52 = 86,7 

5. Neigung zur Euphorie bezw. auffallend gutes All¬ 


gemeinbefinden zeigten.* ... 84 = 56,7 

6. a) Lingua typhosa (mit intensivem fuliginösem Belag) 

hatten.10 = 16,7 

a) Angina (catarrhalis 83, follicularis und aphtosa je 1) 

zeigten. 85 = 58,8 


7. Beschwerden von seiten des Abdomens (Meteorismus, Druck¬ 
empfindlichkeit etc.) hatten.87 = 61,7 

8. Einen deutlichen Milztumor (dabei 34mal palpabel) hatten 52 = 86,7 

9. Roseola typhosa hatten.48 = 71,7 

10. Diazoreaktion im Harn zeigten. 44 = 73,3 

11. Gruber-Widalsche Reaktion (nur 53 Fälle verwertbar) 

hatten. 48 = 90,6 

12. Bazillennachweis im Blut (nur 14 Falle kommen in 

Betracht) gelang bei ... ..18 = 92,8 

Von allen Symptomen ist mithin das größte Gewicht auf den Nachweis 
der Typhusbazillen im Blute der Kranken und auf den Ausfall der Gruber- 
WidaIschen Reaktion zu legen. Neben diesen beiden sozusagen ätiologischen 
Krankheitsmerkmalen behaupten in diagnostischer Hinsicht die Milzvergrößerung, 
die verhältnismäßig niedrige Pulszahl, die Diazoreaktion und die Roseola typhosa 
eine hohe Bedeutung, wobei der diagnostische Wert der Roseola noch be¬ 
sonders zu unterstreichen wäre. Demnächst stehen und keineswegs zu unter¬ 
schätzen sind die übrigen Anhaltspunkte, wie Anamnese, Angina, Bronchitis, 
eine mehr weniger typische Temperaturkurve etc. 

Unter den 60 Fällen konnte in 12 Fällen erst nach Verlauf einiger Tage 
bis Wochen die Diagnose gestellt werden, und zwar erst mittels Widalscher 
Reaktion. Dr. Waibei-Kempten. 















810 


Kleinere Mitteilangen and heferate ans Zeitschriften. 


Typhusepidemle unter Kind* -i Im Schulbezirke der Stadt Deggen¬ 
dorf 1904/1905. Von Bezirksamts j t. Tischler. Münchener medizinische 
Wochenschrift; 1905, Nr. 48. 

Verfasser berichtet über eine bakteriologisch festgestellte Typhusepidemie, 
welche im Dezember 1904 unter Schulkindern ans Deggendorf und nächster 
Umgebung explosionsartig anftrat nnd sich fast drei Monate lang hinzog. Im 
ganzen erkrankten 65 Kinder, davon die meisten von Mitte Dezember bis Ende 
Dezember; daneben erkrankten von Ende Dezember bis über die Mitte März 
hinaus 13 Erwachsene, somit im ganzen 74 Personen. 

Die Erkrankungen unter den Schulkindern kamen hauptsächlich bei 
amen Schulkindern, und zwar nur bei solchen Kindern vor, welche die Suppen¬ 
anstalt Deggendorfs frequentierten. Unter den 200 Kindern, welche diese 
Suppenanstalt besuchten, erkrankten und zwar fast gleichzeitig 
50 Kinder, so daß sich förmlich die Ueherzeugung aufdrängte, daß die Krank¬ 
heit von den Kindern in der Anstalt hineingegessen oder getrunken worden 
war. Letztere Vermutung erwies sich nicht als stichhaltig; hinsichtlich des 
Essens kam man über die Infektionsmöglichkeit durch ein nicht ganz 
einwandfreies Bagout auch nicht hinaus. 

Nach ausführlicher Darlegung von Beginn, Verlauf und Ende der Epi¬ 
demie kommt Verfasser zu folgender Epikrise: 

Die vorliegende Typhusepidemie gestattet nicht eine miasmatische Ent¬ 
stehung, ja, nicht einmal eine miasmatische Beeinflussung anzunehmen; sie 
überzeugt vielmehr, daß Kontagiosität die Epidemie verursacht habe. 

Verfasser legt dann die Gründe dar, warum die Infektion weder durch 
Bodenwirkung von der Suppenanstalt, noch von der Schule, noch von den Woh¬ 
nungen der Kinder aus entstanden sein kann. 

200 bis 270 Kinder frequentieren die Suppenanstalt im Winter; etwa 
50 Kinder wurden nachweisbar krank durch Kontagium. Wodurch dieses ein- 
vcrleibt wurde, konnte nicht ermittelt werden. Warum erkrankten nicht mehr 
als zirka 50 Kinder? Als Grund will Verfasser die individuelle Disposition 
geltend machen, das. günstigere körperliche Befinden der übrigen zirka 150 
Kinder der Suppcnanstalt, bessere Widerstandskraft, welche siegreich wirkte 
im Kampfe mit dem Kontagium. Von Cholera und Typhus ist wohlbekannt, 
daß nur höchstens 50°/ 0 von den Infizierten krank werden. Ferner ist zu be¬ 
achten, daß es Typhus ambulatorius gibt, welches bei Kinderepidemien sicher 
eine größere Bolle spielt, als hoi Typhus Erwachsener. Kinder mit Typhus 
ambulatorius streuen die Krankheitskeime aus, wie sie auch längere Zeit noch 
von Typhusgenesenen ausgestreut werden. 

Verfasser spricht sich dann noch über die vielfachen Wege der Kontakt¬ 
infektionen bezw. der direkten Uebertragungen von Mensch zu Mensch aus und 
meint, daß es für den Sanitätspolizeibcamten von größter Wichtigkeit ist, mög¬ 
lichst rasch zwischen Typhus und Paratyphus zu differenzieren, weil letzterer 
meist auf Vergiftung mit Nahrungsmitteln beruht. Es wäre nicht unmöglich, 
daß jn der Beurteilung der Typhuserkrankungen manche Veränderung eintreten 
wird, daß durch Vervollkommnung der Untersuchungsmethoden das Gebiet des 
echten Typhus noch mehr eingeengt wird, daß die typhusähnlichen Krankheiten 
noch wesentliche Aufhellung erfahren. Auch jetzt dürfte es in den meisten 
Fällen nicht möglich sein, die Typhusquelle nachzuweisen, wenn auch bakterio¬ 
logisch die Epidemie als Infektionskrankheit durch echte Typhusbazillen fest- 
gestellt ist. Dr. Waibel-Kempten. 


Bakteriologische Beobachtungen bei einer Paratyphus • Epidemie. 
Von Dr. Alfred Schottelius, Assistent am hygienischen Institut der Uni¬ 
versität Freiburg L B. Münchener medizinische Wochenschrift; 1905, Nr. 44. 

Verfasser hatte Gelegenheit an einer Anzahl von Paratyphusfällen eigene 
Beobachtungen über die diagnostische Brauchbarkeit der empfohlenen Kultur¬ 
methoden, sowie des spezifischen Agglutinationsphänomens anzustellen. 

Es handelte sich um eine Hausepidemie in einem Gasthof, woselbst beim 
Umbau eine seit langen Jahren nicht mehr benutzte zugemauerte Senkgrube 
wieder eröffnet wurde. Der Inhalt dieser Senkgrube bestand aus einer übel¬ 
riechenden, breiigen Masse, welche in Eimern ausgeschöpft, durch das Haus 
transportiert und auf Wagen abgefahren wurde. Bei dieser Art der Aus- 



Kleinere Mitteilungen m Referate ans Zeitschriften. 811 

ränmung waren Veranrcinigongen des ’ r nSportwagens nahezu unvermeidlich 
and stehen vielleicht im Zusammenhang' mit dem Ausbruch der nach Ablauf 
Ton etwa 14 Tagen erfolgenden akuten Erkrankung verschiedener Hausbewohner, 
während auffallenderweise von den Arbeitern, welche mit dem Umbau und der 
Ausräumung der Senkgrube beschäftigt waren, niemand erkrankt ist. 

Der Ausfall des näher beschriebenen Kultur- und Agglutinationsverfahrens 
sprach eindeutig für Bacillus paratyphi Typus B. Zar weiteren Sicherstellung 
der Diagnose wurden noch von einzelnen Patienten Fäces und Urin untersucht 
and dabei ausschließlich die Bazillen des Paratyphus Typus B festgestcllt, 
während echte Typhusbazillen weder im Blut, noch in den Fäzes, noch im 
Urin der untersuchten Fälle nachzuweisen waren. Zur Differentialdiagnose der 
Typhusarten ist jedenfalls dem Agglutinationsphänomen ein hoher Wert bei- 
zumeesen. Ob die Gruber-Wiaalsche Reaktion allerdings die Kultur- 
verfahren in allen Fällen vollständig ersetzen kann, ist noch zweifelhaft. 

Dr. Waibei-Kempten. 


Ueber einen Fall von Iofusorlen-Enteritis. Von Chefarzt Dr. Nagel 
in Bochum. Münchener med. Wochenschrift; 1905, Nr. 44. 

Verfasser berichtet eingebend über einen Erkrankungsfall infolge der 
Einwanderung von Baiantidium coli, eines nach Leukart zu den Ziliaten 
oder Winperinfusorien gehörenden, im Durchschnitt 0,09 mm langen und 0,06 mm 
breiten Parasiten, der bekanntlich auch im Schweinedarm vorkommt, und des¬ 
halb bei Leuten, welche mit diesen Tieren zu tun haben, gefunden wird. Der 
Parasit scheint einer der gefährlichsten unter den Darmparasiten und weit 
gefährlicher als das Anchylostomum duodenale zu sein. 

Das Auffinden der Infusorien gelingt am besten in den schleimigen, den 
Dejektionen beigemischten Massen, welche nicht selten mit Blut untermischt 
sind. Die Infusorien sind nur in den frisch entleerten oder doch noch warmen 
Stühlen durch ihre lebhaften Bewegungen, das Spiel der Geißelfäden oder 
Winperhaare deutlich zu erkennen. Beim Erkalten der Stühle werden sie be¬ 
wegungslos und schwer nachweisbar. 

Die von dem Parasiten verursachte Krankheit äußert Bich hauptsächlich 
durch fortwährende Diarrhoen mit mehr oder minder blutigen, nicht selten 
eitrigen Stühlen und spätere hochgradig anämischen und kachektischen Zu¬ 
ständen, Darmgeschwüren etc. Nach Mitteilung der Krankengeschichte schließt 
Verfasser mit dem Wunsche, daß dieser bösartige Parasit nicht weiter um sich 
greifen möchte in der Arbeitcrbevölkerung, da seine Wcitervcrbreiiung weit 
bedenklicher und gefährlicher zu sein scheint, als die des Anchylostomum duo¬ 
denale, und zu befürchten steht, daß die Mehrzahl solcher Fälle letal verläuft. 
Als hygienisch-prophylaktische Maßnahmen sind zunächst Untersuchungen der 
nächsten Familienangehörigen zu empfehlen. Dr. Wai bei-Kempten. 


Meine Erfahrungen mit dem Antithyreoidin-Serum Möbius bei fünf 
Fällen von Morbus Basedowil. Von Dr. Theodor Schüler-Charlottenburg. 
Deutsche Medizinalzeitung; 1905, Nr. 83. 

Die von Brown Söquard gebrauchte Organsaft-Theorie und die von 
Behring eingeführte Behandlung der bakteriellen Vergiftung durch das ent¬ 
sprechende Antitoxin haben dahin geführt, bei der Basedowschen Krankheit 
ebenfalls eine Behandlung mit einem Gegengifte zu versuchen. So stellten 
Burghart und Blumenthal ans der Milch entsprechend behandelter Ziegen 
ein Präparat „Rodagcn“ dar, während Möbius ein Blutserum als Heilmittel 
empfahl. Dieses Mübinssche Serum hat nun Verfasser in mehreren Fällen 
mit sehr gutem Erfolge teils subkutan, teils per os angewandt und kommt auf 
Grund dieser Erfahrungen zu dem Schlüsse, daß das Antitbyreoidin-Serum 
Möbius eine wertvolle Bereicherung unseres Arzneischatzes darstello. 

Dr. Hoffmann-Berlin. 


Ueber Krankheiten, die dem Krebs vorangehen. Von E. v. Berg¬ 
mann. Vortrag, gehalten in der Berliner medizinischen Gesellschaft. Berliner 
klin. Wochenschrift; 1905, Nr. 80. 

Schon 1893 hat Hey auf chemische, ständig wirkende Reize als Ursache 



812 


Kleinere Mitteilungen nnd Referate ans Zeitschriften. 


▼on Karzinomen hingewiesen, 1885 machte Hawkins die Beobachtung der 
Entwickelung der Karzinome aus Narben. B. bestätigt dies und lührt u. a. 
einen Fall, in welchem sich bei einer 40jährigen Frau an der Stelle einer in 
der Kindheit entstandenen großen Brandnarbe ein kollossales Karzinom ent¬ 
wickelt hatte. Andere vorhergehende Krankheiten sind die Veränderungen In 
der Warze der weiblichen Mamma (Pagelsche .Krankheit), Acne von Paraffln- 
arbeitern (Buß- und Teerkrebs), Psoriasis linguae et buccalis, Lupus, Xeroderma 
pigmentosum, Fistelgänge, Ekzeme, Seborrhoeen, Warzen und gewisse Mutter¬ 
muer (Pigmentmäler). _ Dr. Bäuber-Köslin. 


Spielen die Krätzmilben eine Rolle bei der Verbreitung der Lepra t 
Von Dr. Ernst ▼. Bassewitz. Münchener med. Wochenschrift; 1905, Nr. 41. 

Verfasser verbreitet sich in längeren Ausführungen über die Infektions¬ 
und Verbreitungswege des Lepragiftes, vindiziert dabei auf Qrund einer von 
ihm gemachten und näher beschriebenen Beobachtung diesem Schmarotzer eine 
Bolle als Lepraüberträger und kommt sohin zu dem Schlüsse, daß jeder mit 
Krätze behafteter Lepröser eine viel größere Ansteckungsgefahr für seine ge¬ 
sunde Umgebung bildet, wie andere, nicht skabiöse Leidensgenossen. Es emp¬ 
fehlen sich daher geschärfte prophylaktische Maßnahmen in derartigen Fällen 
und vor allem möglichst schnell und sicher die Heilung der komplizierenden 
parasitären Dermatose. _ Dr. Waibel-Kempten. 


Was haben wir von einer staatliehen Trachombekftmpfung zu er¬ 
warten! Von Prof. Dr. Greef. Vortrag, gehalten in der Berl. medizinischen 
Gesellschaft am 19. Juli 1905. Berliner klin. Wochenschrift; 1905, Nr. 82. 

Eine Anregung zu der jetzigen Trachombekämpfung ging vom Kriegs¬ 
ministerium aus, weil wegen der vielen Augenkrankheiten junger Leute in 
Ost- und Westpreußen nicht mehr genug Mannschaften zur Aushebung kommen 
konnten. Bekannt sind die Trachomerkrankungen im Altertum (die Frösche 
von Aristophanes), in den napoleonischen Kriegen und in den Freiheitskriegen 
(Yorksches Armeekorps 1813 in Ostpreußen). Vorzugsweise befallen sind 
Ost- und Westpreußen, Posen, Niederhessen, das Eichsfeld und etwas der 
Niederrhein. Ausschlaggebend für die Ausbreitung sind allein die Lebens¬ 
gewohnheiten der Einheimischen, nicht die Bodenbeschaffenheit oder das Klima, 
ln Westpreußen sind die für sich, aber sauber lebenden Schwaben granulose- 
freL Verf. steht der staatlichen Trachombekämpfung optimistisch gegenüber. 
Am Bhein hat der Trachom in den letzten 20—30 Jahren eminent abgenommen. 
Die Hebung der Kultur, insbesondere die Verbesserung der Wasserverhältnisse, 
hat für die Trachomfrage eine gewisse Bedeutung. In Ostpreußen waschen sich 
wegen der mangelhaften Wasserverhältnisse alle Familienmitglieder oft in der¬ 
selben Schüssel mit demselben Wasser. Nach Anlegung eines guten, leicht 
erreichbaren Brunnen wurde in einem Orte das Trachom viel seltener. Die 
Versorgung der Bevölkerung mit fließendem Wasser scheint ein sehr wichtiger 
Faktor in der Trachombehandlung zu sein. Wichtiger ist die Tätigkeit 
tüchtiger Augenärzte, deren Einfluß die Erfolge am Bhein zugeschrieben 
werden. Die Unterrichtung der in den befallenden Gegenden praktizierenden 
Aerzte in der Erkennung und Behandlung des Trachoms, besonders aber die 
Ansiedelung tüchtiger Augenärzte daselbst mit staatlicher Subvention würde 
die vorzüglichste Maßnahme sein, um der gefährlichen Krankheit allmählig 
Herr zu werden. 

In der Diskussion schildert Kirchner die Art der bisherigen Be¬ 
kämpfung und ihre Erfolge; er macht auf die vielen aus Bußland kommenden 
Saisonarbeiter sowie auf die vorteilhaften Bestimmungen des neuen Gesetzes 
betr. die Bekämpfung der ansteckenden Krankheiten aufmerksam, mit Hülfe 
dessen wir des Trachoms Herr zu werden hoffen. Dr. Bäuber-Köslin. 


Ergebnisse der amtlichen Pockentodesstatistik im Deutschen Reiche 
vom Jahre 1908, nebst Anhang, betreffend die Pockenerkrankungen im 
Jahre 1908. Berichterstatter: Reg.-Rat Dr. Sannemann (Hierzu Tafel V). 
Medizinal-statistische Mitteilungen aus dem Kaiserlichen Gesundheitsamte. Bei¬ 
hefte zu den Veröffentlichungen des Kaiserlichen Gesundheitsamts; IX. Band, 
2. (Schluß-) Heft. Verlag von J. Springer, Berlin 1905. 



Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften. 


818 


Im Jahre 1903 betrug die Zahl der im Deutschen Reich zur amtlichen 
Kenntnis gelangten Pockentodesfälle 20 gegen 15 im Vorjahre und 45 im 
Durchschnitt des lOiährigen Zeitraums 1893/1902. Auf je 1 Million Einwohner 
kamen 0,34 Todesfälle an Pocken gegen 0,26 im Vorjahre und 0,84 im lOjähr. 
Durchschnitt. Diese 20 Pockentodesf älle verteilen sich auf 18 Ortschaften, 
von denen 9 in Preußen, je 1 in Sachsen, Braunschweig, Bremen und Elsaß- 
Lothringen gelegen sind. Zu einer größeren Verbreitung der Seuche in einem 
Ort kam es nur in Altona (3 Todesfälle, in fünf wurden je 2 festgestellt, die 
übrigen blieben vereinzelt. Von den 20 Fällen kamen 5 auf Kinder im 1. Lebens¬ 
jahre, von denen 4 ungeimpft waren, das fünfte war ein 5 Monate alter Säug¬ 
ling, der erst 2 Tage vor aer Erkrankung, also zu spät, der Impfung unter¬ 
zogen war. Im 2. Lebensjahre starben 8 ungeimpfte Kinder, im 3. bis 10. 
2 Kinder russischer Arbeiter, von denen ein 5jähnger Knabe ungeimpft, ein 
4jähr. Mädchen erfolglos geimpft war. Auf die Altersgruppen von 11—20 und 
von 31—40 Jahren kam kein Todesfall. Im 21.—30. Lebensjahre starben zwei 
21 jähr. Frauen und ein 25jähr. Knecht, welche sämtlich im 12. Lebensjahre 
wiedergeimpft waren. Der Altersklasse von 41—50 Jahren gehörten 2 Männer 
unbekannten Impfzustandes und ein als Kind geimpfter 48 jähriger Arbeiter an. 
Im 61.—60. Lebensjahre starben 3 Personen, und zwar eine ungeimpfte 55 jähr. 
Frau, ein geimpfter 53 jähr. Lederhändler und ein im 12. Jahre wiedergeimpfter 
67 jähr. Abschündler. Im Alter von mehr als 60 Jahren erlag den Pocken ein 
ungeimpfter 77 jähr. Invalide, der sich im Krankenhause befand und dort an- 

f esteckt wurde. Von den Oestorbenen gehörten 10 dem männlichen und 10 
em weiblichen Geschlecht an. Setzt man die Verhältniszahl der Pockentodes¬ 
fälle in den Orten des Deutschen Reichs (0,06 :100 000 Einwohner) als Einheit, 
so entfiel auf die Städte: Oesterreichs und der Schweiz etwa die vierfache 
Zahl, der Niederlande die 5 fache, Englands die 46 fache, Frankreichs die 
384 fache, Belgiens die 561 fache. 

Nach dem beim Kaiserlichen Gesundheitsamt eingegangenen Meldekarten 
sind im Jahre 1903 im Deutschen Reieh 172 Erkrankungen an Pocken zur 
amtlichen Kenntnis gelangt. Etwa den 6. Teil hiervon, nämlich 30 = 17,4 °/o, 
bildeten Ausländer. 

Von je 1 Million Einwohner erkrankten 3 (im Vorj. 2) Personen an den 
Pocken. Auf Preußen entfallen 93 (darunter 14 Russen und 1 Luxemburger), 
auf Elsaß-Lothringen 27 (3 Oesterreicher, 2 Italiener), Sachsen 15, Baden 14, 
Hamburg 11 (8 Russen, 1 Engländer, 1 Grieche), Braunschweig 7, Bremen 2 
(Russen), ferner jo 1 auf Bayern, Hessen, Oldenburg. In 16 Bundesstaaten 
kamen Pockenfälle überhaupt nicht zur Anzeige. In Preußen wurden aus 28 
Ortschaften Pocken gemeldet, und zwar aus 12 nur je 1 Fall, aus 6 je 2, aus 
4 je 3, ans Bochum 4, Gut Gaußen (Memel) 5, Gnieballen (Heydekrug) und 
Myslowitz je 7, aus Altona 15, Eschweiler 19 Fälle. In Elsaß-Lothringen 
kamen 27, und zwar in Straßburg 12 Fälle, in je einer Gemeinde 7, 4 und 2 
in 2 Ortschaften je 1 Fall vor, in Sachsen in Leipzig 12 und in drei Gemeinden 
je 1, in Baden in je einer Ortschaft 11, 2 und 1, in Hamburg 11, in Braun¬ 
schweig in den Städten Wolfenbuttel und Braunschweig 6 bezw. 1, in Bremen 
2, in Bayern, Hessen und Oldenburg je 1 Fall. 

Fast alle Erkrankungen waren auf Einschleppungen aus dem Auslande, 
besonders aus Rußland, daneben aber auch aus Belgien und Frankreich zurück¬ 
zuführen. 

Von den 172 erkrankten Personen starben: 20, darunter befanden sich 
11 ungeimpfte (9 Kinder, 2 Erwachsene), 3 geimpfte, (1 Kind, 2 Erwachsene), 
4 wiedergeimpfte (Erwachsene) und 2 Erwachsene unbekannten Impfzustandes. 

Schwer bezw. mittelschwer erkrankt waren : 34 Personen, darunter 
8 ungeimpfte, 11 geimpfte, 11 wiedergeimpfte und 4 unbekannten Impfzustandes. 
Leicht erkrankt waren 119 Personen: 21 ungeimpfte, 51 geimpfte, 44 wieder¬ 
geimpfte und 3 unbekannten Impfzustandes. Dr. Rost-Rudolstadt. 


Die Ergebnisse des Impfgeschäfts im Deutschen Reiche für das Jahr 
1908« Zusammengestellt aus den Mitteilungen der einzelnen Bundesregierungen. 
Berichterstatter: Reg.-Rat Dr. 8annemann. 

Zur Erstimpfung waren vorzustellen: 1870895 Kinder = 8,24°/ 0 der 



814 


Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften. 


mittleren Bevölkerung (gegen 8,18 % im Vorj.). Hiervon wurden von der 
Impfung befreit: a) weil sie die natürlichen Pocken überstanden hatten 63; 

b) weil sie bereits im Vorjahre als mit Erfolg geimpft eingetragen waren 68630; 

c) weil sie bereits im vorhergehenden Jahre mit Erfolg geimpft, aber erst im 
Berichtsjahre zur Nachschau erschienen waren 9091. 

Es waren erstimpfpflichtig geblieben 1799111 Kinder. Von diesen wurden 
geimpft: a) mit Erfolg 1530301, b) ohne Erfolg 88788, c) mit unbekanntem 
Erfolg, weil nicht zur Nachschau erschienen 3489. Von je 100 geimpften Erst¬ 
impflingen worden mit Erfolg geimpft 97,31 (im Vorj. 96,75). Am günstigsten 
waren die Erfolge im Fürstentum Birkenfeld mit 99,67 °/ 0 , am ungünstigsten 
in Reuß a. L. mit 87,41 °/ 0 . Fast gleichmäßig waren dio Erfolge in Sachsen 
und Württemberg, am gleichmäßigsten in Bayern und Hessen. 

Auf 100 ausgefünrte Impfungen entfielen 2,46 ohne Erfolg (gegen 8,01 
im Vorj.). Es blieben ungeimpft, weil: a) auf Grund ärztlicher Zeug¬ 
nisse zurückgestellt: 175206, b) nicht aufzufinden oder orts¬ 
abwesend: 17080, c) vorschriftswidrig der Impfung entzogen: 
34041. Die meisten Impfpflichtigen wurden auf Grund ärztlicher Atteste 
zurückgestellt in Chemnitz (21,0 »/„) und Rudolstadt (19,54 o/o), die wenigsten 
im Fürstentum Lübeck (1,51 o/o). Die meisten vorschriftswidrigen Entziehungen 
fanden in Bremen (10,09 o/ 0 ) statt. Aus dem Fürstentum Lübeck sind seit 1890 
derartige Entziehungen nicht mitgeteilt. Mit Menschenlymphe wurden 14, mit 
Tierlymphe 1585 577, mit Lymphe nicht näher bezeichneter Art 590 Impfungen 
auBgeführt. 

Zur Wiederimpfung waren vorzustcllen: 1274721 = 2,21 */o der 
mittleren Bevölkerung. Von diesen wurden von der Impfpflicht befreit: a) weil 
sie während der vorhergehenden 5 Jahre die Pocken überstanden hatten: 85, 
b) weil sie während der vorhergehenden 5 Jahre mit Erfolg geimpft waren: 
5796; es blieben demnach impfpflichtig: 1268834 Kinder. Von diesen wurden 
wiedergeimpft: a) mit Erfolg: 1162036, b) ohne Erfolg: 72 626, c) mit un¬ 
bekanntem Erfolg, weil nicht zur Nachschau erschienen: 1854. Von je 100 
vorgenommenen Wiederimpfungen waren erfolgreich 93,98 (gegen 98,65 im Vorj.). 
Die höchste Erfolgziffer hatte Schaumburg-Lippe mit 99,30o/ 0 , die niedrigste 
Reuß ä. L. mit 75,02 °/ 0 . Ohne Erfolg war dio Wiederimpfung bei 5,72 °/o 
gegen 6,03 °.o im Vorjahre. Auf Grund ärztlicher Zeugnisse wurden zurück- 
gestellt: 17460 = 1,33 °/o, Die meisten Befreiungen kamen vor in Hamburg 
(4,49 °/o) ; die wenigsten im Reg.-Bez. Oberpfalz (0,62 °l„). Der Impfung vor¬ 
schriftswidrig entzogen wurden: 5254 = 0,41 °/ 0 . Im Fürstentum Lübeck, in 
Sachsen-Altenburg und Lippe kamen keine Entziehungen vor; mehr als 1,5 •/# 
betrug die Zahl nur in Berlin (2,49°/..) und in Bremen (3,30 °/„). Von den 
Wiederimpfungen wurden mit Menschenlympho 102 (Schleswig und Oldenburg), 
mit Tierlymphe 1238416, mit nicht näher bezeichneter Lymphe 146 vollzogen. 

Bei der Ausführung der Impfung bestand die Schnittführung in der 
Regel in der Anlegung von 4 bis 6 einfachen seichten Einschnitten; mit weniger 
als 4 Schnitten begnügten sich die Impfärzte meist bei besonders zarten Kindern. 
Von sonstigen Schnittführungen scheint der Kreuzschnitt noch bei manchen 
Aerzten beliebt zu sein. Ueber Impfungen durch Stich wird nur vereinzelt 
aus Preußen und Mecklenburg berichtet; in Weimar zogen einzelne Impfärzte 
immer noch den Kritzelschnitt vor. Das beliebteste Instrument stellt das 
Platin-Iridiummesser dar. Eine Desinfektion des Impffeldes hat nur vereinzelt 
stattgefunden, so in Heidelberg. Hinsichtlich der Verwendung von Deck¬ 
verbänden steht der bayerische Zentralimpfarzt auf dem Standpunkt, daß sie 
unvorteilhaft sind. 

Entzündungen der Haut in der Umgebung der Impfstelle sind sehr häufig, 
Verschwärungen der Impfpusteln nur in geringer Zahl, darunter zwei mit töd¬ 
lichem Ausgange, zur Beobachtung gelangt. Ueber weitergehende Eiterungen 
des Unterhautzollgewebes ist aus Preußen 21 mal — 6 mit Ausgang in Tod —, 
aus Sachsen 8 mal berichtet worden. Rotlauf ist sehr oft gemeldet worden, 
so aus Rudolstadt allein 25mal; ein Fall in Chemnitz verlief tödlich. Ueber 
das Auftreten von Vakzinepusteln an anderen Körperteilen des Impflings als 
der Impfstelle oder bei Personen ans der Umgebung des Impflings Degen 
zahlreiche Mitteilungen vor. Am häufigsten war das Gesicht, besonders Nase 
und Ohr betroffen; Uebertragung auf ein Augo hat in drei Fällen stattgefunden, 



Kleinere Mitteilungen nnd Referate ans Zeitschriften« 


816 


von denen einer durch fortschreitenden Brand mit Tod endete. Schweren Ver¬ 
lauf zeigten einige Fälle, in denen es zum Auftreten zahlreicher Vakzinepusteln 
gekommen war. Aus Preußen sind 9 Fälle generalisierter Vakzine gemeldet 
worden, von diesen nahmen 7 einen günstigen Ansgang, 2 endeten tödlich. 

_ Br. Rost-Rudolstadt. 

Beiträge zur Untersuchung von Schweineschmalz und Butter. Von 
Dr. Eduard Polenske, technischer Hilfsarbeiter im Kaiserl. Gesundheitsamt. 
Beihefte zu den Veröffentlichungen des Kaiserlichen Gesundheitsamts; XXIL 
Bd., 8. (Schluß*) Heft mit 2 Tafeln. Verlag von J. Springer, Berlin 1906. 

In der Arbeit wird ein Beitrag zur Beurteilung der in neuerer Zeit be¬ 
kannt gewordenen wichtigeren Untersuchungsmethoden über den Nachweis von 
Fälschungen im Schweineschmalz und in der Butter geliefert. Ferner werden 
Beobachtungen über den Einfluß des Baumwollensamenöls auf das Fett yon 
Schweinen, die mit diesem Oel gefüttert wurden, mitgeteilt. Die Ausführungen 
lassen sich dahin zusammenfassen, daß bei der Untersuchung yon Schmalz und 
Butter die Phytosterinazetatprobe wertvolle Dienste zu leisten vermag: ihrer 
Anwendung ist aber eine untere Grenze gezogen, da im allgemeinen das Er¬ 
gebnis zweifelhaft vrird, wenn die Butter unter 7,5 °,o Margarine enthält. 

__ Dr. Rost-Rudolstadt. 

Beiträge zur Untersuchung von Schweineschmalz. Von Dr. E. Po¬ 
lenske, technischer Hilfsarbeiter. Ebendaselbst. 

In neuester Zeit ist von mehreren Seiten die Beobachtung gemacht 
worden, daß Schweineschmalz, welches eine positive Baumwollsamenreaktion 
zeigte, bei der amtlich vorgeschriebenen Phytosterinazetatprobe einen weit 
niedrigeren Schmelzpunkt ergab, als den des Cholestrinazetats. Als Ursache 
hierfür wird meistens das wahrscheinliche Vorhandensein von geringen Mengen 
Paraffin angegeben. Da bisher eine zuverlässige Methode für den Nachweis 
geringer Mengen von Paraffin im Schweineschmalz nicht bekannt war, so drohte 
durch den Zusatz dieses Stofles zu Schweineschmalz und andoren Fetten der 
wertvollen Phytosterinazetatprobe eine Gefahr, der so bald als möglich be¬ 
gegnet werden mußte. P. ist cs gelungen, eine einfache Methode zu finden, 
durch welche die Erschwerung der Phytosterinazetatprobe durch Paraffin als 
beseitigt angesehen werden kann. Die Ausführung der Probe muß im Original 
nachgelesen werden. Dr. Rost-Rudolstadt. 

Kleinere Mitteilungen aus den Laboratorien des KaiserUehen Ge¬ 
sundheitsamtes. Ueber Leukonie. Von Dr. P. Rasenack, technischer 
Hilfsarbeiter im Kaiserlichen Gesundheitsamt. Ebendaselbst. 

Unter obiger Bezeichnung wurde ein Antimonpräparat in den Handel 
gebracht und als Weißfärbemittel für Emaillezwecke wegen seiner außerordent¬ 
lichen Billigkeit und Unlöslichkeit in Fruchtsäure und mangels aller giftigen 
Substanzen als Ersatzmittel des teuren Zmnoxyds empfohlen. Bei der Prüfung 
stellte es sich als eine Natriumverbindung der Antimonsäure mit geringen 
Spuren von Arsen und Blei dar. Es war sowohl in reinem Wasser, als in 
Fruchtsäurelösungen so erheblich löslich, daß ernste Schädigungen der Gesund¬ 
heit dadurch zu befürchten sind. Dr. Rost-Rudolstadt. 

Chemlsobe Untersuchung der Zela-Masse. Von Dr. E. Polenske, 
technischer Hilfsarbeiter im Kaiserlichen Gesundheitsamt. Ebendaselbst. 

Von der Deutschen Gesellschaft für Konservierung von Nahrungsmitteln 
wird unter der Bezeichnung „Zola* eine feste, harzartige Substanz in den 
Handel gebracht, welche zum Ueberziehen von Dauerwaren, anstatt des bis¬ 
herigen Einlegens derselben in Fett, empfohlen wird. Nach der Untersuchung 
P.s hat die Masse wahrscheinlich folgende Zusammensetzung: Paraffin: 35°/ 0 , 
Kolophonium: 62,8%, Schlemmkreide: 2,2%. Die Prüfung auf Formaldehyd 
fiel negativ aus. Dr. Rost-Rudolstadt. 

Fortsetzung der chemischen Untersuchung neuer, Im Handel ver¬ 
kommenden Konservierungsmittel für Fleisch nnd Fleischwaren. Von 



816 


Kleinere Mitteilungen nnd Referate ans Zeitschriften. 


Dr. E. Polenske, technischer Hilfsarbeiter im Kaiserlichen Gesundheitsamt. 
Ebendaselbst. 

Untersucht worden: Konserven alz für Fleisch, — Patentiertes, borfreies 
Dauer-Konservesalz, — Dr. PO hier 8 „Carnosot“, — Seethol, — Porose Nr. I, 
Konservesalz für Hackfleisch, — Porose Nr. II, Konservesalz für alle Fleisch¬ 
waren außer Hackfleisch, — Müllers Hackfleisch-Konservesalz „ Brillant“,— 
„Herkules“ Kristall, — „Hansa“ Kochsalz, — Dreifaches, nicht rötendes Kon¬ 
servesalz, — Einfaches, rötendes Konservesalz, — „Odin“, — Erhaltungssalz 
„Erreicht“, — „Mogontia“ für feinere Worstsorten, — „Cassalin“. Von diesen 
fällt das Konservesalz für Fleisch als Alkalikarbonat unter die verbotenen 
Stoffe, und Dr. POhlers „Carnosot“ beansprucht durch seinen Gehalt an 
Hexamethylentetramin ein besonderes Interesse, da diese aus Formaldehyd und 
Ammoniak entstehende Basis sich schon in kalter, wässeriger Lösung unter 
Rückbildung von Formaldehyd zersetzt. Dr. Rost-Rudolstadt. 


Ueber den Nachweis von Kupfer ln Gemüsekonserven nnd Gurke* 
mittels Elsen. Von Dr. G. Rieß, wissenschaftlicher Hilfsarbeiter im Kaiser¬ 
lichen Gesundheitsamt. Ebendaselbst. 

Es ergab sich, daß in gekupferten Konserven und Gurken das Kupfer 
nach Ansäuren mit Salzsäure durch metallisches Eisen nachweisbar ist. Für 
die Giftwirkung folgt daraus, daß auch in dem sauren Magensaft das Kupfer 
dieser Gemüse in Zonenform übergehen und als solches in Reaktion treten wird. 

Dr. R o s t- Rudolstadt 


Chemische Untersuchung eines unter dem Namen Frakttn (Honig- 
Ersatz) im Handel befindlichen Präparates. Von Dr. G. Rieß, wissen¬ 
schaftlicher Hilfsarbeiter im Kaiserlichen Gesundheitsamt Ebendaselbst 

Nach der Analyse besteht Fruktin aus einer Mischung von Rohrzucker, 
welcher anscheinend einen geringen Karmelzusatz erhalten hat, mit geringen 
Mengen von Weinsäure. Bei der Prüfung des Fruktinhonigs durch den Ge¬ 
schmack hat sich ergeben, daß dieser nachgemachte Honig durchaus nicht nach 
Honig schmeckt; dagegen schmeckt eine Mischung von 75°/ # Bienenhonig mit 
25°/ 0 Frukiinhonig so nach Honig, daß nur eine geübte Zunge die Verfälschung 
herausfinden dürfte. Dr. Rost-Rudolstadt 


Die Ergebnisse einer biologischen Probeuntersuchung des Rheins. 
Von Prof. Dr. R. Lauterborn in Ludwigshafen a. Rhein-Heidelberg. (Hierzu 
Tafel X.) Ebendaselbst. 

Die vom 17.—19. November 1904 auf der Strecke Speyer—Worms statt¬ 
gefundene biologische Probeuntersuchung des Rheins sollte den Beweis er¬ 
bringen, daß die Methode der biologischen Beurteilung des Wassers nach seiner 
Fauna und Flora auch an einem großen Strome durchführbar und somit sehr 
wohl im stände ist, neben der bisher üblichen Beurteilung des Wassers auf 
Grund chemischer und bakteriologischer Untersuchungen ihren Platz zu be¬ 
haupten. Es konnte konstatiert werden, daß bis jetzt kaum eines der Ab¬ 
wässer für sich im stände ist, den Rhein in seiner ganzen Breite auf eine 
größere Strecke hin in bedeutendem Maße zu verunreinigen. In allen Fällen 
erscheinen die Verunreinigungen auf die Ufer beschränkt, wo sie sich aller¬ 
dings teilweise in recht intensiver Weise bemerkbar machten. Der Grund für 
dieses Verhalten liegt in dem eigenartigen, von demjenigen der norddeutschen 
großen Ströme so verschiedenen natürlichen Strombau des Oberrheins begründet, 
in der gewaltigen Wassermasse und der Schnelligkeit seiner Strömung. Ob 
dieses bis jetzt immerhin noch günstige Verhältnis zwischen Abwassermenge 
und Selbstreinigungskraft des Rheins aber auf die Dauer bestehen wird, dürfte 
mehr als fraglich sein; denn die Menge der Abwässer nimmt von Tag zu Tag 
zu, und die Selbstreinigungskraft auch des größten Stromes hat ihre natür¬ 
lichen Grenzen. Dr. Rost-Rudolstadt. 



Besprechungen. 


817 


Besprechungen. 

Dt. O. Bapmund, Reg.- and Geh. Med.-Rat in Minden L W.: Kalender für 
Medislnalbeamte. V. Jahrgang. Berlin 1906. Fischers medizinische 
Bachhandlang, H. Kornfeld. Aasgabe A (Ihr die preußischen Medizinal¬ 
beamten) mit Beiheft Preis: 4 Mark. Aasgabe B (Ihr die übrigen deut¬ 
schen Medizinalbeamten) Preis: 8 Mark. 

Rechtzeitig bringt ans der Herausgeber dieser Zeitschrift den neuen 
Kalender für Medizinalbeamte für das Jahr 1906. 

Wiederum zeigen einzelne Kapitel die gründliche and gewissenhafte 
Durcharbeitung, welche infolge neuer Erlasse und besonders des Preußischen 
Seuchengesstzes vom 28. August d. J. nötig wurde. 

Die Einteilung ist dieselbe geblieben, nur trat in der Ausgabe für 
Preußen unter Abschnitt VIII das Gesetz, betreffend die Bekämpfung 
übertragbarer Krankheiten vom 28. August 1905 nebst Aus¬ 
führungsbestimmungen vom 5.0ktober 1905 hinzu. 

Zu Abschnitt V haben die Kapitel 8. Ausstellung von Attesten 
und 10. Aerztliche Sachverständigen-Tätigkeit auf dem Ge¬ 
biete der Unfall und Invaliden-Versicherung wertvolle Zusätze 
erhalten, im 6. Kapitel „Obduktionstechnik“ ist das neue Preußische 
Obduktionsregulativ im Wortlaut und mit Erläuterungen eingefügt. 

Im Abschnitt VI finden sich wichtige Ergänzungen im Kapitel „1. Be¬ 
kämpfung ansteckender Krankheiten“, insbesondere sind die Ab¬ 
weichungen kenntlich gemacht, welche die Ausführunasbestimmungen zum 
Preußischen Gesetz vom 28. August 1905 in der Desinfektionsanweisung 
gegenüber den Vorschriften des Reichsseuchengesetzes bringen, auch ist die 
Verfügung des Staatssekretärs des Reichspostamts vom 81. September 1905 
aufgenommen, welche den Versand infektiösen Untersuchungs¬ 
materials in Briefform regelt. 

Ergänzt ist ferner das Kapitels „Hygienische Untersuchungen 
von Luft, Boden, Wasser und Gebäuden“, speziell auch durch Be¬ 
rücksichtigung des Ministerial-Erlasses vom 7. Juli 1905, betreffend Prüfung 
der Entwürfe zu zentralen Wasserleitungsanlagen. Ein diesem 
Erlasse entsprechendes Muster für die Besichtigung zentraler 
Wasserleitungen ist unter die Formulare für Besichtigungen aufgenommen, 
die übrigens sehr richtig am Schlüsse des VI. und nicht wie früher des VII. Ab¬ 
schnittes gebracht werden. 

Im Beiheft sind unter Abschnitt III die Anstalten zur Vor¬ 
nahme der Schutzimpfung gegen Tollwut aufgenommen. 

Die Personalien der Medizinal-Behörden und -Beamten sind mit 
größter Sorgfalt und Mühe fortgeführt, ebenso die Dienstalters-Liste 
der Medizinalbeamten in Preußen. 

Trotz der vielen Zusätze und Ergänzungen, die fast ausschließlich die 
Ausgabe für die preußischen Medizinalbeamten um fast5Mehr- 
bogen betreffen, konnte auch bei dieser Ausgabe die äußerst handliche des Ka¬ 
lenders beibebalten werden, nur ihr Preis ist um den verhältnismäßig geringen 
Betrag von 50 Pf. erhöht, während er bei der Ausgabe der nichtpreußischen 
Medizinalbeamten unverändert geblieben ist. 

Möge der Rapmundsche Kalender für Medizinalbeamte auch im neuen 
Jahre ein unentbehrlicher Begleiter bleiben; dies ist der aufrichtige Wunsch 
des Referenten. Dr. Fielitz-Halle a. S. 


Med.-Bat Dr. B. FUnxer- Plauen: Die Medlsln&lgesetae und Verord¬ 
nungen de« Königreiche Sachsens. Zweite Auflage. Leipzig 1905. 
Rossbergsche Verlagsbuchhandlung. Zwei Bände. KL 8°, 697 und 1060 
Seiten. Preis: geb. 25 Mark. 

Wenn man den Umfang der im Jahre 1895 erschienenen ersten Auflage 
des vorliegenden Werkes selbst unter Hinzurechnung ihrer beiden im Jahre 
1896 und 1899 erschienenen Nachträge mit dem Umfang der jetzigen Auflage 
vergleicht, so macht sich schon äußerlich ein ganz außerordentlicher Unter¬ 
schied bemerkbar, denn die Seitenzahl hat sich fast um das Doppelte vermehrt. 

Dasselbe gilt aber auch in bezug auf den Inhalt, der infolge des großen 



818 


TageBnächrichten. 


Aufschwungs, den die Medizinalpolizei 'in dem letzten Jahrzehnt genommen hat, 
eine gänzliche Umarbeitung erfahren hat, bei der allerdings die bisherige Ein* 
teilung des Stoffes beibehalten ist, da sie sich für die praktische Handhabung 
durchaus bewährt hat. Das Werk stellt eine ungemein fleißige Arbeit dar, 
für die dem Verfasser nicht nur die Aerzte und Medizinalbeamten, sondern 
auch die dortigen Verwaltungsbehörden im hohen Grade dankbar sein werden, 
denn es bringt nicht nur eine vollständige Zusammenstellung der geltenden 
Landes-Medizinalgesetzgebung, sondern es ist auch überall die Reichsgesetz- 
gebung auf gesundheitlichem Gebiete in vollem Umfange berücksichtigt, des¬ 
gleichen sind die einzelnen Gesetze usw. mit Erläuterung versehen, soweit 
solche erforderlich waren. Gerado infolge dieser ausgedehnten Berücksichtigung 
der Reichsgesetzgebung ist das Werk auch für weitere Kreise von Wert; ganz 
abgesehen davon, daß cs auch recht lohnend und instruktiv ist, die Medizinal- 
gesetzgebung eines deutschen Bundesstaates zu studieren, der in bezug auf 
die Regelung des öffentlichen Gesundheitswesens nach vielen Richtungen hin 
als nachahmenswertes Vorbild dienen kann. 

Durch ein sorgfältig ausgearbeitetes chronologisches Register und Sach¬ 
register wird der Gebrauch des sehr empfehlenswerten Werkes wesentlich 
erleichtert. _ Rpd. 


A. Sohmedding, Landesrat, Mitglied des Hauses der Abgeordneten: Die 
Gesetze betreffend Bekämpfung ansteckender Krankheiten, und 
zwar 1. Reichsgesetz betreffend die Bekämpfung gemeingefährlicher Krank¬ 
heiten vom 30. Juni 1900. 2. Preußisches Gesetz betreffend die Bekämpfung 
übertragbarer Krankheiten vom 28. Aug. 1905. Münster i. W. 1905. Verlag 
von Aschendorff. XIV u. 208 S.; Preis in Kaliko: 2,60. 

Post tot tantosque labores ist das neue Seuchengesetz unter Dach und 
Fach gekommen. Sache der beamteten Aerzte wird es nunmehr sein, die 
Segnungen dos Gesetzes für die Allgemeinheit nutzbar zu machen. Als Mittel, 
um sich vom verwaltungsrechtlichem Standpunkte aus mit der schwierigen 
und verwickelten Materie des Gesetzes bekannt zu machen, begrüßen wir den 
obigen, prompt erschienenen Kommentar eines Juristen, dessen Ruf und Tätig¬ 
keit als langjährigen Praktikers und hervorragende Mitwirkung am Zustande¬ 
kommen des Gesetzes schon dafür bürgt, daß wir es in vorliegendem Werke 
mit einer gediegenen Arbeit zu tun haben. 

Daß die Erläuterungen, wie Verf (S. XIII) betont, nur vom verwaltungs¬ 
rechtlichem Standpunkte aus dargeboten werden, kann dem Buche nicht als 
Mangel angerechnet werden; denn hier dürften für den Mediziner gerade die 
Schwierigkeiten liegen. Zudem ist der medizinische Teil, soweit wir uns haben 
überzeugen können, nicht völlig unberücksichtigt geblieben. Es kann hier nicht 
der Ort sein, eingehend zu zeigen, wie es dem Verfasser gelungen ist, schwierige 
Partien dem Nichtjuristen verständlich zu machen; aber es Bei z. B. darauf 
hingewiesen, daß die seiner Zeit viel ventilierte Frage der Kostendeckung, die 
das Gesetz beinahe zum Scheitern gebracht hätte, in klarer Weise kommentiert 
ist. Daß das Buch auch die Ausführungsvorschriften des Bundesrats zur Be¬ 
kämpfung der Infektionskrankheiten vom 28. Januar 1904, sowie die bezüglichen 
Ausführungsbestimmungen des Kultusministers vom 12. September 1904 und 
schließlich die des preußischen Gesetzes vom 28. August 1905 bringt, dürfte 
sehr willkommen sein, da so das ganze einschlägige Material gesammelt vorliegt. 

In der zu erwartenden Hochflut der Kommentare, die das neue Gesetz 
hervorrufon wird, wird dieser erste stets eine hervorragende Stellung einnehmen. 

Dr. Meyer-Geseke L W. 


Tagesnachrichten. 

Unter den Vorlagen, die in der bei Eröffnung des Preußischen Abgeord¬ 
netenhauses gehaltenen Thronrede erwähnt sind, fehlt eine solche betreffs 
Errichtung eines Volks Wohlfahrtsamtes; der dieserhalb im vorigen Jahre 
von beiden Häusern des Landtages einstimmig gefaßte Beschluß scheint dem¬ 
nach noch keine Aussicht auf baldige Verwirklichung zu haben. 



Tagesnachrichtei]. 


819 


Die Kosten für die medizinische Fakultät der Universität Münster 
hat die 8tadt Münster übernommen, nachdem die Stadtverordneten den Vertrag 
des Magistrates mit dem Knltosministeriam genehmigt haben. Danach liegt 
der Stadt die Unterhaltung der jetzigen Gebäude und die Errichtung weiterer 
Gebäude für naturwissenschaftliche Institute ob, falls die Besuchszahl der 
medizinischen Fakultät dies nötig macht, ferner die Vervollständigung und 
wirtschaftliche Unterhaltung (Heizung, Licht) der Institute und die Besoldung 
der Institutsdiener. Der Staat übernimmt dagegen die etatsmäßige Anstellung 
der erforderlichen Professoren und wissenschaftlichen Hilfskräfto und die Ent¬ 
richtung einer Miete von 1800 M. für die Unterbringung des zoologischen In¬ 
stituts. Die jährlich aufzuwendonden Kosten belaufen sich auf insgesamt 
24000 M., von denen die Hälfte die Stadt, die andere Hälfte voraussichtlich 
die Provinz aufbringen wird. _ 


Der diesjährige Nobelpreis für hervorragende Leistungen auf medizini¬ 
schem Gebiete ist Geh. Med.-Bat Prof. Dr. Robert Koch verliehen worden. 


Cholera. Da auch in der Zeit vom 11.—30. November d. J. keine 
choleraverdächtigen Erkrankungen oder Todesfälle in Preußen zur Anzeigo 
gelangt sind, ist die gesundheitliche Ueberwachung des Schiffahrts- und 
Flößereiverkehrs auf allen Wasserstraßen unter Einziehung sämtlicher Ueber- 
wachung8stellen aufgehoben worden. 


Nachdem vor kurzem eine Konferenz von Vertretern aus den beteiligten 
Kreisen, darunter diesmal auch Vertreter der Krankenkassen, zur Beratung der 
Deutschen Arzneitaxe für 1906 im Reichsgesundheitsamtc getagt hatte, ist 
jetzt der betreffende Entwarf dem Bundesrat vorgelegt, der ihn in seiner 
Plenarsitzung am 7. d. Mts. den zuständigen Ausschüssen überwiesen hat. Das 
Erscheinen der neuen Arzneitaxe wird also noch vor Schluß des Jahres zu 
erwarten sein; die darin getroffenen Abänderungen werden aber voraussichtlich 
nicht grundsätzlicher Natur sein. 


Der IV. Internationale Kongress für Verslcherungs- Medizin wird 
unter dem Ehrenpräsidium Sr. Exzellenz des Herrn Ministers der usw. 
Med.-Angel. Dr. Studt vom 11. bis 15. September 1906 in Berlin tagen. 
Dos wissenschaftliche Programm umfaßt folgende Hauptgegenstände: 

A. Aus dem Gebiet der Lebensversicherung: 1. Die früh¬ 
zeitige Feststellung des Vorhandenseins einer Veranlagung zur Tuberkulose, 
insbesondere zur Lungentuberkulose. 2. Die Fettleibigkeit in ihrer Bedeutung 
für die Versicherung. 3. Der Einfluß der Syphilis auf die Lebensdauer. 4. Die 
Impfklausel im Versicherungs-Vertrag. 

B. Aus dem Gebiet der Unfallversicherung: 5. Die Beein¬ 
flussung innerer Leiden durch Unfälle im allgemeinen. 6. Die akute Ver¬ 
schlimmerung von Geisteskrankheiten im Verlauf von Unfällen. 7. Einfluß des 
Trauma bei latenten und offenbaren organischen Bückenmarks- und Gehirn¬ 
krankheiten. 8. Die Kriterien der Verschlimmerung von funktionellen Neurosen 
durch Unfälle. 

Ueber jede Frage der Tagesordnung sollen Berichte in den einzelnen 
Ländern ausgearbeitet werden, welcho in deutscher, französischer oder eng¬ 
lischer Sprache mehrere Wochen vor dem Kongreß zur Versendung an die 
angemeldeten Kongreßteilnehmer gelangen. Ebenso werden die Verhand¬ 
lungen des Kongresses in deutscher, französischer oder englischer Sprache 
geführt und stenographisch aufgonommen. Die Verhandlungsprotokolle werden 
allen Kongreßteilnehmern zugehen. 

Das Festprogramm des Kongresses wird im Frühjahr bekannt ge¬ 
geben werden. Die Sitzungen des Kongresses werden voraussichtlich im 
preußischen Abgeordnetenhaus stattfinden. 

Zur Teilnahme an dom Kongresse berechtigt sind die Mitglieder des 
Deutschen Vereins für Versicherungs-Wissenschaft und der internationalen 
Vereinigung der Versicherungsärzte. Die Zulassung sonstiger Teilnehmer ist 



820 


Tagesnachrichten. 


auf Antrag, über welchen der Organisations-Ausschuß beschließt, möglich. Der 
Beitrag, welcher zar Teilnahme an den offiziellen Verhandlungen und alles 
Festlichkeiten berechtigt, and für welchen die offiziellen Kongreßberichte and 
Verhandlungen postfrei zagestellt werden, beträgt für die Mitglieder des Deut¬ 
schen Vereins für Versicherungs-Wissenschaft and deutsche Beichsangehörige 
40 Mark. Personen, welche nur an den Sitzungen, nicht an den Festlidikeiten, 
teilnehmen, zahlen 16 Mark. Ebenso zahlen die begleitenden Damen 16 Mark. 

Anmeldungen, Anfragen und Mitteilungen sind an den 
Generalsekretär des Deutschen Vereins für Versicherungs «Wissenschaft, Herrn 
Dr. phiL et jur. Alfred Manes, Berlin W 50, Spichernstraße 22, zu richten. 


In Paris wird vom 80. April bis 8. Mai 1906 ein Kongress zur 
Bekämpfung der ungesetzlichen Ausübung der Heilkunde stattfinden. Die 
Verhandlungen werden sich nicht nur auf die Besprechung der Maßnahmen 
gegen gewerbsmäßige Kurpfuscher (Naturärzte, Magnetiseure, Heilgehilfen, 
Masseure, Barbiere usw.) erstrecken, sondern es sind auch Vorträge über Ab¬ 
wehrmaßregeln gegen die Uebergriffe fremdländischer Aerzte und Zahnärzte, 
sowie gegen das üeberhandnehmen der wissenschaftlichen Beklame in der 
Tagespresse auf die Tagesordnung gestellt. 


Auf Veranlassung des Direktoriums der Verstchenmgskasse für die 
Aerzte Deutschlands bringen wir folgende Notiz zur Kenntnis der Leser der 
Zeitschrift: 

„Wie vor einiger Zeit gemeldet, hat der am 5. Mai 1905 verstorbene 
Kollege Sanitätsrat Dr. Goburek in Tilsit der Versicherungskasse für die 
Aerzte Deutschlands ein Legat von 200000 Mark zur Erweiterung ihrer 
Witwenkasse in eine Witwen- und WaisenkaBse Unterlassen. Um der 
Bestimmung des Testators gerecht zu werden, ist es notwendig, zunächst die 
bisher fehlende statistische Grundlage für eine solche Kasse (Zahl und Lebens¬ 
alter der gesamten zurzeit lebenden Arztwaisen, Sterbealter des Vaters nnd 
Lebens- bezw. Sterbealter der Mütter) zu gewinnen, da nur auf diese Weise 
eine technische Sicherheit für die Höhe der Prämien und für die Erfüllung der 
Bentenverpflichtungen ermöglicht wird. An sämtliche deutschen Aerzte, ins¬ 
besondere an die Herren Vorstände der Unterstützungskassen und sonstigen 
Wohlfahrtseinrichtungen geht deshalb die dringende Bitte, die Adressen 
der Arztwitwen und Arztwaisen, soweit sie ihnen selbst bekannt sind 
oder durch Vermittelung von Verwandten, Freunden, Bekannten und Klienten 
erlangt werden können, in übersichtlicher Zusammenstellung an das 
Direktorium der Versicherungskasse für die Aerzte Deutsch, 
lands, Berlin NO., Landsberger Platz 3, hinnen 14 Tagen einzusenden. 


äprcohsssL 

Anfrage des Kreisarztes Dr.B. in St.: Darf ein Leichenpaß in 
allen Fällen nur auf Grund eines kreisärztlichen Leichen- 
paßattestes ausgestellt werdenP 

Antwort: Maßgebend hierfür ist zunächst der Ministerial-Erlaß vom 
28. September 1888, wonach die Erteilung von Leichenpässen nur auf Grund 
einer von einem „beamten Arzt“ ausgestellten Bescheinigung über die Todes¬ 
ursache ausgefertigt werden darf. Im Min.-Erlaß vom 29. Dezember 1888 ist 
dann bestimmt, daß unter „beamteten“ lediglich die Kreisphysiker, 
also jetzt die Kreisärzte zu verstehen seien. Durch die weiteren Erlasse 
vom 14. Oktober 1889, 7. Februar 1891 und 6. Oktober 1891 ist jedoch auch den 
Chefärzten der Militärärzte, den Direktoren der Königlichen 
Universitätskliniken und bei deren Behinderung ihren Vertretern 
die Befugnis zur Ausstellung jener Bescheinigung eingeräumt, jedoch nar für 
die Personen, die in den unter ihrer Leitung stehenden Lazaretten oder An¬ 
stalten verstorben sind. 


Verantwortl. Bedakteur: Dr. Bap mnn d, Eeg.- u. Geh. Med.-Bat in Mindern i. W. 
1. 0. C. Bruns. Ferzogt. Siebs, o. F. Seh.-L. Hofbuchdruckerei in Hin den. 


Preussiseher Medizmalbeamten-Verein. 


Offizieller Bericht 


über die 







za 


Hannover 

am 28. und 29. April 1905. 



Berlin 1905. 

FISCHER’S MEDIZINISCHE BUCHHANDLUNG. 

H. Kornfeld. 

Herzogi. Bayer. Hof- and Erzherzogi. Kammer-Buchhändler. 







Preussiseher ledizinalbeamten -Ver ein. 


Offizieller Bericht 


über die 


XXtt Hauptyersaminlung 


Hannover 

am 28. und 29. April 1905. 



Berlin 1905. 


FISCHER’S MEDIZINISCHE BUCHHANDLUNG. 

H. Kornfeld. 

Harzogl. Bayer. Hof* und Erzherzogi. Kammer - Buchhändler. 




Inhalt 


Erster Sitzungstag. 0elu 

1. Eröffnung der Versammlung. 1 

2. Geschäfts- und Kassenbericht; Wahl der Kassenrevisoren .... 5 

3. Die Verhütung und Bekämpfung des Kindbettfiebers. Referent: Dr. 

Kr ohne, medizin. Hülfsarbeiter bei der König! Regierung in 
Düsseldorf. 6 

4. Der preußische Wohnungsgesetzentwurf vom gesundheitlichen Stand¬ 

punkte. Referent: Kreisarzt Med.-Rat Dr. H aase -Danzig . . 38 

5. Die praktische Durchführung der Desinfektion auf dem platten Lande. 

Referent: Kreisarzt Dr. Rom ei ck-Mohrungen. 64 


Zweiter Sitzungstag. 

1. Bericht der Kassenrevisoren und Wahl des Vorstandes. 70 

2. Die gerichtsärztliche Beurteilung der Kurpfuschereidelikte. 

Erster Referent: Gerichtsarzt Med.-Rat Prof. Dr. Puppe- 

Königsberg . 70 

Zweiter Referent: Amtsgericbtsrat Dr. v. Ihering-Hannover . 87 

3. Die Aufgabe der Medizinalbeamten in bezug auf die Fürsorge für 

Geisteskranke, Epileptische und Idioten. Referent: Gerichtsarzt 

Dr. Schwabe-Hannover.106 

Präsenzliste.132 


na/\AAAA/VV\AAAA^-----' 











Erster Sitzongstag. 


Freitag« den £8. April« vormittags 9 1 /« Ulir 

im Rattiaussaale. 


I. Eriffmg dar VartannlHg. 

H. Reg.- u. Med.-Rat Dr. Wodtke-Merseburg: Ich eröffne 
die XXII. Hauptversammlung des Preussischen Medizinalbeamten- 
Vereins. 

M. H.I Unser bewährter Vorsitzender, H. Geheimrat Dr. 
Rapmnnd, ist, wie Sie gewiss schmerzlich bedauern werden, 
durch einen Todesfall in seiner Familie, der vorgestern statt- 
gefunden hat, verhindert, seinen altgewohnten Platz hier einzu¬ 
nehmen. Als Mitglied des Vorstandes bin ich plötzlich zu seiner 
Vertretung berufen worden; ich muss Sie deshalb bitten, der 
diesmaligen Leitung unserer Verhandlungen Ihre gütige Nachsicht 
angedeihen zu lassen und mich in der weitgehendsten Weise zu 
unterstützen. 

M. H.! Wir haben die Freude, eine grosse Anzahl von 
Ehrengästen in unserem Kreise heute begrüssen zu dürfen. Der 
Herr Minister der Medizinalangelegenheiten bewahrt nach wie 
vor unserm Verein ein warmes Interesse und hat den H. Geh. 
Ober-Med.-Rat Prof. Dr. Schmidtmann als Vertreter zu 
unseren Verhandlungen abgeordnet. Ich heisse H. Geheimrat 
Dr. Schmidtmann herzlich willkommen und darf ihn wohl 
bitten, dem Herrn Minister unseren Dank zu übermitteln, nament¬ 
lich auch dafür, dass der Herr Minister über die Medizinal¬ 
beamten bei allen Angriffen, die in der Presse oder im Landtage 
stattgefunden haben, seinen deckenden Schild gehalten hat; 
unseren innigsten Dank, der sich mit. hoher Bewunderung ver¬ 
einigt, dass es der Herr Minister durch unermüdliches per¬ 
sönliches Eintreten vermocht hat, trotz der anscheinend unüber¬ 
windlichen Schwierigkeiten das von den Medizinalbeamten so 

l 



2 Eröffnung der Versammlung. 

lang ersehnte prenssische Seachengesetz bis zu einem gewissen 
Abschlüsse za fahren. 

Wir haben ferner die Ehre, den H. Regierungspräsidenten 
v. Philipsborn in unserer Mitte zu sehen; ferner als Vertreter 
der Stadt Hannover H. Stadtsyndikus Eyl, sowie die Vertreter 
des Königlichen Provinzial-Medizinal'Kollegiums, des ärztlichen 
Vereins, des Vereins für öffentliche Gesundheitspflege und der 
Ortsgruppe Hannover der Gesellschaft zur Bekämpfung der Ge¬ 
schlechtskrankheiten. Sie alle sind uns herzlich willkommen I 

H. Geh. Ober-Med.-Rat Prof. Dr. Schmidtmann: Hochver¬ 
ehrte Herren! Ich habe den ehrenvollen Auftrag erhalten, namens 
des Herrn Ministers Sie zu begrüssen und an Ihren Verhandlungen 
teilzunehmen. Ich darf Ihnen namens des Herrn Ministers den 
Dank aussprechen für die Einladung zur heutigen Versammlung; 
es wird mir eine ganz besondere Freude sein, dem Herrn Minister 
berichten zu können, welche dankbaren Gefühle durch seine Tätig¬ 
keit im Abgeordnetenhause hier bei Ihnen hervorgerufen sind. 

Der Herr Minister hegt in der Tat, wie Ihr Herr Vor¬ 
sitzender zutreffend hervorhob, ein lebhaftes Interesse für Sie und 
mit vollem Recht; sehe ich doch, dass die Medizinalbeamten von 
Nord und Süd, Ost und West herbeigeeilt sind, um an den Ver¬ 
handlungen hier mit Lust und Liebe teilzunehmen und im gegen¬ 
seitigen Austausch weiter zu studieren. Ihr Herr Vorsitzender, 
der leider, wie Sie gehört haben, durch Trauerfall verhindert ist, 
hier zu stehen, wird mit berechtigtem Stolze die Zahl der Teil¬ 
nehmer an der heutigen Versammlung konstatieren. Ihre Anzahl 
beweist die Nützlichkeit und die Bedeutung Ihrer Versammlungen, 
aber auch der Erfolg beweist dieses. Alle Teilnehmer, glaube ich, 
werden mit Befriedigung auf die heutige ebenso wie auf die früheren 
Versammlungen sehen, namentlich Ihre Herren Vortragenden werden 
dessen eingedenk sein, dass die Mühe und Arbeit, die solche Vor¬ 
träge machen, nicht vergebens gewesen sind. Denn über den 
Kreis der Medizinalbeamten hinaus haben Ihre Verhandlungen 
Interesse erweckt und Beachtung gefunden; sie sind vielfach 
nicht nur anregend, sondern auch bestimmend für die Entschei¬ 
dungen der massgebenden Behörden gewesen. So habe ich denn 
keinen anderen Wunsch als den: Möge auch die heutige Ver¬ 
sammlung von dem gleichen Geiste getragen sein wie die Mheren, 
und in ihren Ergebnissen ebenso erfolgreich sein, wie dies bei den 
früheren Versammlungen der Fall gewesen ist. 

(Lebhafter Beifall!) 

H. Regierungspräsident v. Philipsborn: Meine sehr geehrten 
Herren! Auch ich möchte meinen herzlichen Dank aussprechen. 
Ich bin Ihrer Einladung sehr gern gefolgt und habe mich gefreut, 
an Ihren Verhandlungen teilnehmen zu können. Wenn Sie aal 
das letzte Jahrzehnt zurückblicken, in welch grossartigem Maas- 
stabe sich die Bedeutung des Medizinalbeamten gehoben hat, so 
kann ich wohl sagen, er ist ein wichtiger Faktor im Kulturleben 
geworden, und wo früher Misstrauen und Vorurteile herrschten, 



Eröffnung der Versammlung. 


8 


da wird der Medizinalbeamte jetzt als treuer Freund und Berater 
angesehen. Ueberall werden Sie diese Erfahrung gemacht haben; 
es ist dies ein ganz besonderer Fortschritt. Ich hoffe, dass die 
Verhandlungen einen recht glücklichen Erfolg haben werden! 

(Beifall.) 

H. Stadtsyndikus Eyl: Meine hochgeehrten Herren! Ich 
möchte namens des Magistrates der Stadt Hannover meinem besten 
Dank Ausdruck geben für die Einladung zu Ihrer heutigen Ver¬ 
sammlung und heisse Sie namens des Magistrates in diesem alten 
Rathaussaale, der Ihnen gern eingeräumt ist, herzlichst willkommen. 
Die Kommunalverwaltung und die Medizinalbeamten haben ja 
überall sehr viele Berührungspunkte; denn in der Kommunalverwal¬ 
tung ist die öffentliche Gesundheitspflege ein grosses Hauptgebiet. 
Unser ganzes Gemeinwesen, die Schulen, die Krankenhäuser, die 
Wasserleitung usw. müssen den Anforderungen der Hygiene ge¬ 
nügen, und Sie sind dazu berufen, auf diesem Gebiete mitzuwirken 
und unsere Massnahmen zu unterstützen. Ich halte es auch für 
sehr ersprieBBlich, wenn die Kommunalverwaltungen mit den 
Medizinalbeamten in gutem Einvernehmen leben; wir bringen des¬ 
halb Ihren Beratungen das grösste Interesse entgegen und wünschen 
denselben besten Verlauf. Mit besonderer Genugtuung hat es 
uns auch erfüllt, dass Sie uns die Ehre erweisen wollen, zwei 
unserer gesundheitlichen Einrichtungen zu besichtigen, das Wasser¬ 
werk und das Krankenhaus, und ich hoffe, dass unsere Einrich¬ 
tungen vor Ihnen in Ehren bestehen werden. Und wenn alle 
Ihre Versammlungen und ernsten Beratungen einen guten Verlauf 
nehmen, so möchte ich noch den Wunsch hinzutügen, dass es 
Ihnen auch in unserer Stadt wohl gefallen möge und dass Sie, 
wenn Sie von hier scheiden, uns in gutem Angedenken halten! 

(Bravo!) 

H. Reg.- u. Geh. Med.-Rat Dr. Guertler: M. H.! Ich 
habe im Aufträge der Mitglieder des Medizinalkollegiums der Pro¬ 
vinz Hannover dem Vorstande des Preussischen Medizinalbeamten- 
Vereins für die Einladung zur heutigen Versammlung auf das 
herzlichste zu danken und Ihnen den Willkommengruss zu Über¬ 
bringern Die Mitglieder des Medizinalkollegiums folgen mit leb¬ 
haftem Interesse den Verhandlungen und wünschen, dass auch 
die jetzige Versammlung einen guten Verlauf nehmen und von 
ganz besonders günstigen Erfolgen begleitet sein möge. 

Gleichzeitig habe ich im Namen des Vorstandes des Ver¬ 
eins für öffentliche Gesundheitspflege und der Ortsgruppe Hannover 
der Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechts¬ 
krankheiten den Dank für die Einladung auszusprechen. 

Der Medizinalbeamtenverein umfasst ja in seiner Aufgabe, 
die er sich gestellt hat, das ganze weite Gebiet der Hygiene, 
und er berücksichtigt alle Teile der Gesundheitspflege. Der Me¬ 
dizinalbeamtenverein, dessen Mitglieder ausschliesslich beamtete 
oder amtliehen Charakter tragende Aerzte sind, ist auf Grund 
seiner ganzen Gestaltung in der Lage, vielfach auf die gesetz- 

l* 



4 


Eröffnung der Versammlung. 


liehen Bestimmungen zur Förderung der gesundheitlichen Ver¬ 
hältnisse bedeutungsvoll und direkt einzuwirken. Demgegenüber 
haben die lokalen und provinziellen Vereine nur eine beschränkte 
nnd ideale Bedeutung, indessen sind sie, da ihre Mitglieder den 
verschiedensten Berufsklassen angehören, doch in der Lage, er¬ 
gänzend für die Tätigkeit des Medizinalbeamtenvereins zu wirken 
und in den breitesten Schichten der Bevölkerung das Verständnis 
für die Bedeutung der Besserung der gesundheitlichen Verhält¬ 
nisse zu erwecken. Sie nehmen deshalb an den Verhandlungen 
dieses Vereins den regsten Anteil, sind für alle Anregungen, die 
ihnen hier geboten werden, dankbar, richten auf die Ergebnisse 
derselben ihr besonderes Augenmerk nnd suchen sie für ihre 
lokalen Verhältnisse zu verwerten. So wirken sie mit an der 
gemeinnützigen Arbeit, an dem gemeinsamen Werke zur För¬ 
derung der sanitären Verhältnisse. Sie tragen dabei in erster 
Linie den Bezirksverhältnissen Rechnung und behandeln besonders 
die Fragen, die direkt im Vordergründe des Interesses stehen. 

So hat der hiesige Verein für öffentliche Gesundheitspflege 
im Laufe des Winters die auch hier besonders schädigend wir¬ 
kende Rauch- und Russplage zum Gegenstand seiner Beratungen 
gemacht und in Gemeinschaft mit einer grossen Zahl beteiligter 
Vereine und auf Grund eingehender Verhandlungen ein paar 
kleine Schriften verfasst: ein Merkbuch und ein Merkblatt 
Der Vorstand des Vereins für öffentliche Gesundheitspflege erlaubt 
sich, diese kleinen Schriften, nachdem sie erschienen sind, den 
Mitgliedern dieser Versammlung zu überreichen in der Annahme, 
dass sie vielleicht manchem von Ihnen von Wert sein werden, 
und diese Anregungen auch in weitere Kreise kommen, event bei 
ähnlichen Verhältnissen in ähnlicher Weise verwertet werden 
können. Dem Verein für öffentliche Gesundheitspflege wird es 
zu ganz besonderer Freude gereichen, wenn Ihnen diese Schriften 
von einigem Nutzen sein werden. 

(Beifall!) 

H. San.-Rat Dr. Stromeyer: M. H.! Ich habe die Ehre, 
im Namen des ärztlichen Vereins Sie hier auf das Beste zu be- 
grflssen. Wir haben die freundliche Einladung Ihres Vorstandes, 
an den Sitzungen des Preussischen Medizinalbeamten-Vereins 
teilzunehmen, mit grossem Danke angenommen, zumal Ihre Tagung 
ja so vieles bietet, was für die Aerzte von ganz besonderem 
Interesse iBt. Wir wünschen Ihrer Versammlung daher besten 
Erfolg und hoffen, dass Sie auch Zeit und Gelegenheit finden 
werden zur Erholung und zum Gedankenaustausch mit Ihren 
Kollegen. Sie werden uns stets herzlichst willkommen sein! 

(Beifall!) 

Vorsitzender: M. H.! Ich danke den Herren Ehrengästen 
für die überaus liebenswürdigen Worte, aus denen ein reiches 
Wohlwollen für die Medizinalbeamten im allgemeinen und für die 
Aufgaben unseres Vereins im besonderen hervorleuchtete. 



Geschäfts* and Kassenbericht; Wahl der Kassenreyisoren. 


5 


Wir kommen nunmehr zum zweiten Punkte der Tages 
Ordnung. 


II. Geschäfts- ud KasstibirlcH; Wahl dar 
Kasstirevisorti. 

Kreisarzt und Med.-Rat Dr. Fielitz-Halle a./S., Schrift¬ 
führer: M. H.! Aufträge der letzten Hauptversammlung waren 
seitens des Vorstandes nicht zu erledigen. 

Die Mitgliederzahl betrug im April v. J. 891. Ausge¬ 
schieden sind 37, davon 14 durch Tod. Neu eingetreten sind 43, 
so dass am 25. April d. J. ein Bestand von 897 blieb. 

Wir haben den Tod folgender Kollegen zu beklagen: 

1. Dr. Arena, Kreisarzt und Med.-Rat in Erkelenz. 

2. - Dippe, Marineoberstabsarzt a. D. u. Kreisarzt in Genthin. 

3. - Hoffmann, Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat in Waldenburg. 

4. - Jung, Kreisphysikus z. D. u. Geh. San.-Rat in Weener. 

5. - Kant, Kreisarzt u. Med.-Rat in Asohersleben. 

6. - Luohhau, Kreisarzt u. Med.-Rat, Direktor der Königl. Impf¬ 

stoffanstalt in Königsberg i. Pr. 

7. - Ko lim, Kreisarzt u. Gen. Med.-Rat in Berlin. 

8. - Mittenzweig, Gerichtsarzt u. Med.-Rat in Berlin (Steglitz.) 

9. - Penkert, Reg.- u. Geh. Med.-Rat in Merseburg. 

10. - Sohmidt, Kreisarzt in Sohwerin a. Warthe. 

11. - Sohulte, Kreisarzt in Lippstadt. 

12. - Volkmann, Kreisarzt in Kosohmin. 

13. - Wen dt, Med-Rat u. mediz. HUlfsarbeiter bei der Königlichen 

Regierung zu Breslau. 

14. - Züloh, Kreisarzt u. Med.-Rat in Wolfhagen. 

Vorsitzender: Unter den soeben gehörten Namen linden 
sich einige, die Ihnen Allen wohlbekannt sind. Ganz besonders 
darf ich in dieser Beziehung die Kollegen Mittenzweig und 
Penkert hervorheben, die mit grosser Liebe dem Verein an¬ 
hingen und sich erhebliche Verdienste um diesen erworben haben. 
Ich bitte Sie, sich zum Andenken an unsre Verstorbenen von 
Ihren Plätzen zu erheben! 

(Geschieht.) 

Sehriftffihrer: Ich gehe nun zum Kassenbericht über. 
Die Einnahme im Jahre 1904 betrug 

a. an bezahlten Beiträgen von Mitgliedern 14076,— M. 

b. an Zinsen. 110,20 „ 

c. dazu ausstehende Beiträge .... 294,— „ 

Zusammen 14480,20 M. 
Der Bestand aus dem Vorjahre betrug. ... 1 673,22 w 

Gesamteinnahme 16153,42 M. 

Die Ausgaben betragen. 12026,86 * 

Bleibt 4126,56 M. 

Davon bar 3832,56 M. und Reste 294,— M. 





6 


Dt. Krohne. 


Im Jahre 1904 also Zuwachs 2453,34 M., wovon noch ein 
Beitrag von 15 M. abznziehen ist, welcher 1903 versehentlich 
in Einnahme gestellt war. Ich erlaube mir darauf hinzuweisen, 
dass es bei Einsendung der Jahresbeiträge durchaus notwendig 
ist, den Namen des Absenders auf die Postanweisungen zu setzen, 
da es selbstverständlich sehr schwer ist, ungenannte Absender, 
z. B. aus Berlin, zu ermitteln. 

Schliesslich bitte ich zwei Kassenrevisoren zu wählen, 
um die Kasse zu prüfen. 

Vorsitzender: Ich schlage zu Kassenrevisoren die 
Herren Dr. Kluge und Dr. Itzerott vor. 

(Zustimmung.) 


III. II» Virhifng ml Bekämpfung dis Kiidbittftebers. 1 ) 

Kreisarzt Dr. Krohne, medizinischer Hilfsarbeiter bei der 
Königl. Regierung in Düsseldorf: M. H ! Unter den vielen tief¬ 
ernsten und tragischen Vorgängen auf dem Gebiete menschlicher 
Krankheiten, menschlichen Elends, deren Verhütung die vornehmste 
Aufgabe des Medizinalbeamten ist, ist eines der beklagenswertesten 
und erschütterndsten Ereignisse — der Tod einer Mutter während 
oder infolge einer Entbindung, der Tod im Kindbett! Zahlreiche 
blühende Frauen müssen die Ausübung des edelsten Berufes der 
Frau, die Mutterschaft, mit dem Leben oder mit schleichendem 
Siechtum bezahlen, müssen in dem Augenblick, in dem sie einem 
jungen, hilflosen, der Mutter so notwendig bedürfenden Geschöpf 
das Leben geben, ihr eigenes Leben zum Opfer bringen. 100000 
Mütter sind allein in Preussen in den letzten 25 Jahren im Kind¬ 
bett gestorben! Wieviel Jammer, welche Summe von Familien¬ 
elend spricht sich in diesen toten Zahlen aus! Wieviele an sich 
gesunde Kinder mögen frühzeitig dahingestorben sein, nur weil 
ihnen die Liebe und Fürsorge der im Kindbett zugrunde gegangenen 
Mutter fehlte, wie viele Fälle schlechter Kindererziehung mit all 
den traurigen Folgen sittlicher Verwahrlosung, und wieviel wirt¬ 
schaftliches Familienunglück mögen in dem im Kindbett erfolgten 
Tode der sorgenden Matter ihre natürlichste Erklärung finden. 
Wahrlich, die fortdauernde Fürsorge für die Erhaltung von Leben 
und Gesundheit unserer deutschen Mütter ist eine Aufgabe, des 
SchweisBes der Edelsten wert. 

M. H.! Unter den rund 4000 Todesfällen im Kindbett, die 
wir jährlich in Preussen zählen, sollen wir nach den bisher vor¬ 
liegenden statistischen Angaben der Jahre 1895—1900, die aber 
nicht in jeder Beziehung zutreffend sein dürften, etwa 1570 Fälle 
pro Jahr als durch Kindbettfieber veranlasst annehmen. Auf 
die Anzahl der jährlichen Geburten berechnet, würde dies be¬ 
deuten, dass etwa von 800 entbundenen Frauen eine an Kind- 


l ) Mit Biicksicht auf die beschränkte Zeit des H. Geh. Med.-Rats Prot 
Dr. Runge-Göttingen {wurde das Referat)des H. Kreisarztes Dr. Krohne 
zuerst genommen. 



Die Verhütung and Bekämpfung des Kindbettfiebers. 


7 


bettfieber stirbt. In Wirklichkeit ist dies Verhältnis jedoch, wie 
ich Ihnen später an meiner Statistik zeigen werde, entschieden weit 
ungünstiger. Seit Jahren führen wir einen regelrechten Kampf 
gegen das Kindbettfieber mit all dem Büstzeng, das uns die 
moderne Antisepsis nnd Asepsis zur Verfügung stellt, mit Polizei- 
Verordnungen aller Art, mit Steigerung der Ausbildung unserer 
Hebammen und allerlei sonstigen Mitteln — nnd doch können wir 
nicht behaupten, dass wir in diesem Feldzuge auch nur an¬ 
nähernd so glänzende Siege errungen haben, wie auf den 
anderen Gebieten der Seuchenbekämpfung und der Hintanhaltung 
der Wundinfektionskrankheiten. Die Resultate sind im Gegenteil 
recht bescheiden, und trotz der allgemein verbreiteten, recht 
zweifelhaften Annahme, dass die Anzahl der Todesfälle infolge von 
Kindbettfleber alljährlich langsam abnehme, haben wir durchaus 
keinen Grund, uns bezüglich der Erfolge auf dem Gebiete der 
Kindbettfleber bekämpfung irgend welchem Optimismus hinzugeben. 

Gestatten Sie mir zunächst, mit einigen Worten mich darüber 
auszusprechen, was ich unter Kindbettfieber verstehe, d. h. was 
wir Medizinalbeamten unter dem Sammelbegriff des Kindbett¬ 
fiebers subsumieren müssen, wenn wir dieses wirklich bekämpfen 
wollen. Sie wissen ja alle zur Genüge, dass der Streit über die 
Frage, „was ist Kindbettfleber" oder besser gesagt, „was ist an¬ 
zeigepflichtiges, ansteckungsfähiges, gefährliches Kindbettfieber", 
durchaus noch nicht geschlichtet ist. Das aber kann ich wohl 
sagen, dass wir Medizinalbeamten uns über diese Streitfrage so 
ziemlich einig sind, während die praktischen Aerzte, die Kliniker, 
die Universitätslehrer über den Begriff Kindbettfieber noch recht 
weitgehende Meinungsverschiedenheiten haben. Wenn, wie Herr 
Kollege Schwabe in Nr. 14 des Jahrganges 1901 der Zeitschrift 
für Medizinalbeamte trefflich schildert, der eine Kliniker die An¬ 
sicht ausspricht, dass ein durch Gonorrhoe hervorgerufenes Fieber 
im Wochenbett kein anzeigepflichtiges Kindbettfieber sei, wenn 
ferner ein anderer meint, dass jede in den ersten Tagen auf¬ 
tretende Parametritis, jede fieberhafte Brustdrüsenentzündung 
ausserhalb des Begriffes Kindbettfieber stünde, wenn ein anderer 
Universitätslehrer sagt, dass die nur durch zersetzte Lochien in¬ 
folge von Saprophytenwirkung hervorgerufenen Intoxikationsfieber 
der Wöchnerinnen „selbstverständlich" niemals infektiös und daher 
nicht anzeigepflichtig seien, so muss ich doch sagen, dass alle 
diese Lehren für die hier vorliegenden Fragen nur einen zweifel¬ 
haften praktischen Wert haben, dass sie nur Theorie sind, 
nnd zwar eine sehr gefährliche Theorie! Wer von uns möchte 
sich wohl vermessen, in den ersten Tagen eines im Wochenbett 
auftretenden Fiebers mit Sicherheit festzustellen, ob dieses Fieber 
nur auf dem Vorhandensein von Gonokokken beruht, ob es sich 
nicht vielleicht um eine Mischinfektion handelt; welcher praktische 
Arzt möchte wohl imstande sein, raschen Blickes festzustellen, 
dass eine fiebernde Wöchnerin ausgesprochen nur an einem In- 
toxikationsfleber, hervorgerufen durch eine saprophytische Zer¬ 
setzung der Lochien, leidet? Und wer gibt uns eine Garantie 



8 


Dr. Krohne. 


dafür, dass bei einem Fieberfall, bei dem wir zunächst nur die 
lokalen Erscheinungen einer Parametritis oder einer Brustdrüsen- 
entzündung feststellen können, nicht doch eine während der Ent¬ 
bindung stattgefundene Infektion, die jederzeit in Form einer 
allgemeinen Sepsis auf den ganzen Organismus übergehen kann, 
die schuldige Ursache ist? Jedenfalls haben wir in der Praxis 
genug traurige Fälle erlebt, in denen am Beginn des auftretenden 
Fiebers der Arzt alle möglichen Gründe inkl. des Milchfiebers 
und der beliebten Diagnose Influenza für die Verneinung der 
Diagnose Kindbettfieber zu haben glaubte, bis sich nach 5 oder 
6 Tagen plötzlich das schwere Krankheitsbild der allgemeinen 
Sepsis entwickelte und nun endlich die Hebamme yon dem Wochen¬ 
bett entfernt wurde, nicht selten zu spät, nachdem sie vorher 
bereits mehrere frisch entbundene Frauen infiziert hatte! Ich 
meine also, es ist die höchste Zeit, dass wir endlich die für die 
Praxis unbrauchbaren, oben näher geschilderten Erklärungen des 
Begriffs Kindbettfieber aufgeben und dafür die von mir in Leit¬ 
satz 2 vorgeschlagene Definition annehmen. M. H.! Ich meine, 
wenn Sie diese Definition zu der Ihrigen machen, und wenn es 
gelingt, diesen so formulierten Begriff gesetzlich festzulegen, dann 
haben wir alles, was wir billigerweise zur Behebung von Zweifeln 
verlangen können; denn dann bleibt nur eine sehr geringe Anzahl 
von Fieberfällen übrig, die aus der Diagnose Kindbettfieberverdacht 
ausscheiden würden, wie z. B. Erkrankungen an fieberhafter Lungen¬ 
schwindsucht, die schon vor der Entbindung vorhanden waren und 
auch nach derselben ohne wesentliche Veränderung des Krank* 
heitsbildes und ohne entzündliche Erscheinungen des Genitaltraktus 
sich gleichmässig weiterentwickeln. Alle die oben genannten 
zweifelhaften Krankheitsbilder, wie Parametritis, Gonorrhoe, Be- 
sorptionsfieber und dergl. mehr würden künftig als Kindbettfieber 
gelten, denn — das ist gerade das wichtige — in dem Punkte 
sind sich auch alle Kliniker einig, dass eine Entscheidung darüber, 
ob ein Fieber im Puerperium infektiös ist oder nicht, ob es mit 
dem Wochenbett zusammenhängt oder nicht, in den ersten Tagen 
wenigstens recht schwierig ist. 

Welche Bedeutung die Frage einer richtigen Definition des 
Kindbettfiebers hat, das mögen Sie aus den Erfahrungen sehen, 
welche die Kreisärzte seit dem Bestehen der Dienstanweisung — 
also seit 4 Jahren — auf diesem Gebiete gemacht haben. Ich 
habe, wie den meisten von Ihnen bekannt sein wird, vor einiger 
Zeit an sämtliche 500 Kreisärzte Preussens Fragebogen verschickt, 
deren Beantwortung mir über die in den Jahren 1901—1904 zur 
Anmeldung gekommenen Entbindungen, die Zahl der Kindbett¬ 
fiebererkrankungen, der Todesfälle, der unter ärztlicher Leitung 
beendigten Entbindungen, der Kindbettfieberfälle hiernach, der 
festgestellten Fälle von Uebertragungen, von Verschulden der 
Hebammen, der Hebammenpfuscherinnen etc. Aufschluss geben 
sollte. Sie werden mir zugeben, dass seit Einführung der neuen 
Dienstanweisung für die Kreisärzte, die im § 57 besondere kreis¬ 
ärztliche Ermittelungen in jedem Fall von Kindbettfieber 



Die Verhütung and Bekämpfung des Kindbettflebera. 


9 


vorschreibt, erat die eigentliche Möglichkeit gegeben ist, eine 
brauchbare Kindbettfieberstatistik zu gewinnen und Aber 
eine ganze Reihe anderer wichtiger Fragen Aufschluss zu erhalten. 
Von den Kollegen haben mir allerdings bei weitem nicht alle, 
sondern insgesamt 226 Kreisärzte geantwortet, denen ich an dieser 
Stelle für die freundliche Unterstützung bei meiner Arbeit meinen 
aufrichtigen Dank ausspreche. Meine aus 226 Kreisen stammende 
Statistik verteilt sich fast durchweg auf die vier Jahre 1901 bis 
1904. Mit Ausnahme des Regierungsbezirks Stralsund sind alle 
Regierungsbezirke Preussens an meiner Statistik in ziemlich 
gleichem Verhältnis beteiligt. 124 der beteiligten Kreise liegen 
link s der Elbe, 102 Kreise rechts der Elbe. Ich glaube somit 
behaupten zu können, dass diese Statistik, die auf den Ergebnissen 
von rund 1850000, von den Hebammen gemeldeten Entbindungen 
aufgebaut ist, sowohl zahlenmässig, wie auch hinsichtlich der 
Beurteilung der verschiedenartigen Verhältnisse im Osten und 
Westen unserer Monarchie Anspruch auf eine gewisse Vollständig¬ 
keit machen kann, und dass die Schlüsse, die wir aus ihr ziehen 
können, zum mindesten Beachtung verdienen. 

M. H.I Nach den in 226 Kreisen pro 1901—1904 gemeldeten 
1850000 Entbindungen sind insgesamt 7983 Kindbettfieber- 
erkrankungen beobachtet, d. h. bekannt geworden. Von diesen 
7983 Krankheitsfällen haben 2826 mit tödlichem Ausgang geendigt, 
das ergibt, wenn wir den 4 jährigen Durchschnitt berechnen, dass 
auf 231 Entbindungen ein Fall von Kindbettfiebererkrankung und 
auf 653 Entbindungen eine tödlich verlaufene Erkrankung an Kind¬ 
bettlieber entfällt. Wie ich schon oben ausführte, sollte nach der 
unsicheren Statistik aus den Jahren 1895—1900 erst auf 800 Ent¬ 
bindungen ein Todesfall infolge von Kindbettfieber kommen, während 
wir pro 1901—1904 schon auf 653 Entbindungen einen Todesfall 
an Kindbettfieber rechnen müssen, so dass sich also für die letzten 
Jahre eine höhere Sterblichkeitsziffer an Wochenbettfieber ergeben 
müsste, wie für die Jahre 1895—1900. Dieses Zahlenverhältnis 
wird indessen noch erheblich ungünstiger, wenn wir die einzelnen 
Jahre 1901—1904 jedes für sich besonders betrachten; denn dann 
finden wir, dass in den letzten Jahren nicht nur eine fortlaufende 
regelmässige Steigerung der Erkrankungen, sondernauch der Todes¬ 
fälle festznstellen ist, wie sich das aus folgenden Zahlen ergibt: 

Entbindungen Fieberfälle Todesfälle. Also 

1901 411088 1571 592 1 Todesfall auf 696 Entbindgen 

1902 453931 1899 661 1 , 686 

1903 476 667 2143 756 1 „ 628 

1904 505288 2870 818 1 „ „ 617 

1846.959 7988 2826 

M. H.! Sie werden mir zugeben, dass dies Ergebnis doch 
sehr zu denken gibt und für die seit Jahren feststehende Annahme, 
dass wir eine langsame Abnahme der Todesfälle an Kindbettfieber 
zuTverzeichnen hätten, eine recht”eigenartige Illustration liefert. 
Wenn^wir nun auch ohne^weiteres annehmen 11 können, dass die An¬ 
meldung der Erkrankungen in den letzten’Jahren immer prompter 
und häufiger erfolgt ist — was auch einige Kreisärzte extra be- 



10 


Dr. Krohne. 


richten — so dass von diesem Gesichtspunkt ans eine Steigerung 
der Fieberfälle an sich nichts Auffallendes hätte, und wenn wir 
auch rohig zageben können, dass in den Anmeldungen noch 
mancher vereinzelte, zweifelhafte Fall enthalten sein mag, so dürfte 
doch damit immerhin das ganz gleichmässige prozentuale Ansteigen 
der Todesfälle — 1901: anf 696 Entb. 1 Todesfall, 1904: auf 
617 Entb. 1 Todesfall — noch nicht hinreichend erklärt sein. 
Immerhin wollen wir annehmen, dass auch die Todesfälle an Kind¬ 
bettfieber in den letzten Jahren pünktlicher, als sonst angemeldet 
werden, and will anf Grund dieser Erwägungen — obwohl dies 
berechtigt erscheinen könnte — nicht als sicher feststehend be¬ 
haupten, dass die Zahl der jährlichen Erkrankungen und Todes¬ 
fälle an Kindbettfieber tatsächlich zugenommen hat; aber das 
möchte ich doch entschieden betonen, dass wir angesichts dieser 
neuesten Statistik kein Hecht haben, immer und immer wieder 
von einem allmählichen Hückgang der Kindbettfiebertodes¬ 
fälle zu sprechen, denn für eine solche Behauptung fehlt es, wie 
ich Ihnen soeben an der Hand dieser amtsärztlich gewonnenen 
Statistik gezeigt habe, einstweilen noch an jeder Unterlage. Dabei 
dürfen wir nicht die bemerkenswerte Tatsache vergessen, dass in 
der Anzahl aller pro Jahr im Kindbett — d. h. also auch infolge 
Verblutung, regelwidriger Kindslagen und sonstiger unglücklichen 
Ereignisse in oder nach der Geburt — sterbenden Frauen Dank 
fortschreitender besserer ärztlicher Versorgung der Bevölkerung 
allerdings ein erfreulicher Hückgang zu verzeichnen ist, insofern 
die Zahl der Todesfälle im Kindbett überhaupt von 4,32 pro 1000 
Entbindungen im Jahre 1889 auf 3,24 pro 1000 Fälle im Jahre 
1900 gesunken ist. Um so mehr ernste Beachtung verdient des¬ 
halb der Umstand, dass allein die Anzahl der Kindbettfieber¬ 
todesfälle offenbar nicht gesunken ist! Da wir nach meinen 
Berechnungen auf 1000 Entbindungen 4,25 Erkrankungen nnd 
1,5 Todesfälle infolge von Kindbettfieber haben, so würde sich 
daraus für die Berechnung des Verhältnisses für die Morbidität 
und Mortalität die erschreckende Ziffer von 35 Prozent Morta¬ 
lität des Kindbettfiebers ergeben! Was das bedeutet, m. H., das 
wird ohne weiteres klar, wenn wir bedenken, dass eine so ernste 
Erkrankung, wie der Unterleibstyphus, bei den jetzt herrschenden 
Behandlungsmethoden ^ nur eine Mortalität von 7 bis höchstens 
10 Prozent aufweist. 

Ich möchte jetzt mit einigen Worten darauf eingehen, welches 
statistische Resultat meine Handfrage nach der Richtung ergeben 
hat, inwieweit für die festgestellten Kindbettfieberfälle irgend ein 
Verschulden einer Hebamme oder ein Eingriff seitens einer 
H|ebamm'enp'fuscherin verantwortlich gemacht werden, and 
wie oft ; ; Kindbettfieber auf eine Ansteckung von einem anderen 
Wochenbettfieberfall zurückgeführt werden konnte. Da muss ich 
nun gleich vorausschicken, dass eine Statistik über diese drei 
Punkte immer unvollkommen sein wird — und das ist denn auch 
bei meinem Material der Fall. Was zunächst die Hebammen- 
pfuscherinnen betrifft, so sind seitens der Kreisärzte insgesamt 



Die Verhütung and Bekimpfang des Kindbettfiebers. 


11 


100 F&lle nachgewiesen worden, in denen Kindbettfieber anf die 
Hilfe von Hebammenpfascherinnen mit Sicherheit oder grösster 
Wahrscheinlichkeit znrfickgeffihrt werden konnte — das würden 
also circa 1,3 Prozent aller Fälle sein. Diese Zahl könnte gering 
genannt werden; allein wenn wir bedenken, dass es im Osten — 
wo ja hauptsächlich das Hebammenpfuschertum blüht — viele 
Kreise gibt, in denen 40—70 Prozent aller Entbindungen von 
Laien, bezw. von Hebammenpfuscherinnen geleitet werden, Ent¬ 
bindungen, deren weiterer Wochenbettverlauf, wenn nicht gerade 
ein aufsehenerregender Todesfall eintritt, wohl nur in seltenen 
Fällen zur Kenntnis des Kreisarztes kommt, so ist es ohne weiteres 
klar, dass die Anzahl der von Hebammenpfuscherinnen ver¬ 
schuldeten Erkrankungen zweifellos erheblich grösser sein muss, 
nnd dass wir mit der uns vorliegenden Zahl von 100 = 1,3 % 
aller Fälle nicht viel anfangen können. 

Das umgekehrte Verhältnis haben wir bei Feststellung der 
Frage, ob die Hebamme irgend ein Verschulden an der Ent¬ 
stehung des Fiebers trifft; diese Frage wird ja von den Kreis¬ 
ärzten neuerdings in jedem einzelnen Fall genau geprüft und hat 
hier das Resultat gehabt, dass in den 7983 Erkrankungen unserer 
Statistik 454 mal, d. h. in etwa 6 Prozent aller Fälle, ein Ver¬ 
schulden der Hebamme festgestellt wurde. Indessen müssen wir mit 
den Schlüssen, die wir aus dieser Zahl ziehen könnten, recht vor¬ 
sichtig sein; denn in ihr sind, wie mir eine grosse Anzahl von Kol¬ 
legen noch ausdrücklich mitgeteilt haben, auch meist alle diejenigen 
Fälle mit inbegriffen, in denen bei den nach § 57 der kreisärzt¬ 
lichen Dienstanweisung stattgefundenen kreisärztlichen Ermitte¬ 
lungen überhaupt irgendeine Unregelmässigkeit der Hebamme, 
sei es Unsauberkeit der Instrumente, zu späte Anzeige des Falles, 
falsche Führung des Tagebuches und dergl. mehr festgestellt 
wurde. Sie sehen daraus, dass der Begriff des Verschuldens einer 
Hebamme schon sehr weit gefasst ist; und ich möchte|es deshalb sehr 
bezweifeln, ob wir berechtigt sind, in jedem derartigen Falle von 
Unregelmässigkeit in der Geschäftsführung der Hebammen, die 
doch oft unter den denkbar schwierigsten Verhältnissen und in 
der allerschmutzigsten Umgebung Entbindungen vornehmen müssen, 
eine Schuld der Hebamme an dem Ausbruche^ eines , Kindbett¬ 
fiebers zu konstruieren. 

Weit wichtiger erscheint es mir, dasB in 219 Fällen, also 
in 2,7 Prozent mit Sicherheit eine Uebertragung des Kindbett¬ 
fiebers, d. h. eine Ansteckung von einem anderen Fieberfall her 
festgestellt werden konnte. Berücksichtigen wir, dass es meist 
sehr schwer sein wird, eine geschehene Kindbettfieberübertragung 
sicher festzustellen, so dürfen wir wohl annehmen, dass die an¬ 
geführte Ziffer von 2,7 Prozent Uebertragungen das mindeste des 
Tatsächlichen darstellt, d. b. dass diese Zahl in Wirklichkeit er¬ 
heblich höher ist. M. H.! Diese Uebertragungen werden wohl 
meist durch die Hebammen stattfinden, und hier wird man 
auch oft mit Hinsicht auf eine vorausgegangene* Unterdrückung 
der Kindbettfieberanzeige seitens der Hebamme und die damit 



12 


Dr. Krohne. 


gegebene Möglichkeit, die Infektion weiter za schleppen, von einem 
schuldhaften Verhalten sprechen können. Ob aber die Verantwor¬ 
tung für dieses schuldhafte Verhalten immer nur allein die Heb¬ 
amme trifft, ist eine weitere Frage, die wir noch erörtern müssen. 

Ich komme nun auf einen weiterhin recht wichtigen Punkt, 
der bisher durch eine Statistik mangels der nötigen Nachweise 
noch nicht festgestellt worden ist, — das ist die zahlenmässige 
Beteiligung der mit ärztlicher Hilfe beendigten Entbindungen 
an der Statistik der Kindbettfiebererkrankungen. M. H.J Die 
Frage nach dem Anteil der ärztlich geleiteten Entbindungen am 
Wochenbettfieber ist ja nicht von jedem Kreisarzt zu beantworten, 
da in dem Formular der jährlichen Entbindungsverzeichnisse zwar 
eine Rubrik für die Anzahl der mit Kunsthilfe beendigten Ent¬ 
bindungen, nicht aber die besondere Frage nach der Zahl der 
nach solchen Entbindungen festgestellten Fiebererkrankungen vor¬ 
gesehen ist. Immerhin sind von den 226 Kollegen, die mir ihr 
Material geliefert haben, 177 Kreisärzte in der Lage gewesen, an 
der Hand der von ihnen über die Ermittelungen in jedem einzelnen 
Fall gemachten Notizen die Frage nach der Beteiligung der durch 
Aerzte geleiteten Entbindungen an der Fieberstatistik ausreichend 
beantworten und zwar mit folgendem Ergebnis: Insgesamt wurden 
in den 177 Kreisen 1496555 Entbindungen mit 6153 Wochenbett¬ 
fiebererkrankungen angemeldet. Von diesen Entbindungen wurden 
103225 — also etwa jede 14. Entbindung — durch ärztliche 
Kunsthilfe beendigt, bezw. sonstwie ärztlich geleitet, nnd nach 
diesen Entbindungen wurden insgesamt 2306 Fiebererkrankungen 
— das sind nahezu */ 6 aller Kindbettfleber — beobachtet. Während 
also nach dem Gesamtresultat auf 243 Entbindungen ein Fieber- 
fall zu rechnen ist, — kam, sobald wir nur die Zahl der mit 
ärztlicher Hilfe beendigten Entbindungen in Betracht ziehen, 
schon auf 44 derartige Entbindungen ein Krankheitsfall, d. h. also 
die Beteiligung dieser Entbindungen an der Fieberstatistik ist 
etwa 6 mal so hoch, wie die prozentuale Beteiligung aller Ent¬ 
bindungen am Wochenbettfieber. Dieses Verhältnis wird sogar 
noch ungünstiger, wenn wir von der Gesamtsumme der Entbin¬ 
dungen und Fieberfälle die ärztlich geleiteten in Abzug bringen, 
um so die Zahl der ausschliesslich und nur von Hebammen 
geleiteten Entbindungen zu eliminieren. Bei dieser Berechnung 
entfällt bezüglich der nur von Hebammen vorgnommenen Ent¬ 
bindungen erst auf 362 Entbindungen 1 Krankheitsfall, so dass 
die Beteiligung der Aerzte mit 1 Erkrankung auf 44 Entbindungen 
8 fach höher sein würde. 

Wenn ich nun auch der Ansicht bin, dass wir aus diesen 
Zahlen nur mit grosser Vorsicht bestimmte Urteile formulieren 
sollen, so ist doch ohne weiteres zuzugeben, dass die soeben er¬ 
örterte Statistik in verschiedener Richtung zu ernstem Nachdenken 
anregt. Die Zahl der Kindbettfieberfälle nach mit ärztlicher Hülfe 
beendeten Entbindungen ist mindestens 6 mal so hoch, wie der 
Prozentsatz für die Gesamtsumme aller Entbindungen! Es 
würde selbstverständlich nicht angängig sein, aus dieser Zahl 



Oie Verhütung und Bekämpfung des Kindbettfiebers. 13 

ohne weiteres einen Vorwurf für den Aerztestand konstruieren zn 
wollen. Wir alle wissen, dass ärztliche Kunsthilfe bei Entbin¬ 
dungen Operationen, Plazentarlösnngen und dergl. oft recht ge¬ 
fährliche Eingriffe in den Organismns der Fran darstellen, die 
auch bei grösster Vorsicht des Arztes die Infektionsgefahr für die 
Fran bedeutend erhöhen und die Widerstandsfähigkeit des mütter¬ 
lichen Körpers oft so erheblich alterieren können, dass hierdurch 
für die Entwickelung eines Kindbettfiebers der günstigste Boden 
geschaffen wird. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass ärzt¬ 
liche Hilfe oft erst im späteren Verlaufe einer Geburt in An¬ 
spruch genommen wird und eine Infektion demzufolge schon vor 
dem ärztlichen Eingriff erfolgt sein kann. Indessen ist es mit 
dieser Erklärung allein doch auch nicht getan; denn wenn man 
etwa so weit gehen und sagen wollte: „Ja, die durch Aerzte 
geleiteten Entbindungen sind eben immer nur schwere Fälle, 
nach denen natürlich Kindbettfieber sehr leicht eintreten muss“ — 
so möchte ich doch eine solche Behauptung etwas eingeschränkt 
sehen und darauf hinweisen, dass nun durchaus nicht jede unter 
ärztlicher Leitung beendigte Entbindung einen schweren Eingriff 
bedeutet, dass heutzutage recht viele Aerzte schon zu langsam, 
aber schliesslich normal verlaufenden Fällen zugezogen werden, 
dass z. B. eine grosse Zahl der Beckenendlagen vom Arzte ohne 
wesentliche Gefährdung der Frau durch rasche Extraktion be¬ 
endigt werden kann, so dass also in der Anzahl der ärztlich geleiteten 
Entbindungen doch auch ein beachtenswertes Quantum leichterer 
Fälle enthalten ist. Ich meine also, dass auch hier die Wahrheit 
in der Mitte liegt, und dass mit der besonderen Schwere der Fälle 
allein, durch die der Arzt gegenüber der meist leichte Ent¬ 
bindungen vornehmenden Hebamme im Nachteil sei, die auffallend 
hohe Statistik der ärztlichen Kindbettfieberfälle nicht hinreichend 
erklärt wird. Denn das dürfen wir doch auch nicht ganz ver¬ 
gessen, dass der Arzt vermöge seiner erheblich besseren wissen¬ 
schaftlichen Vorbildung und Geschicklichkeit bei seiner geburts¬ 
hilflichen Tätigkeit gegenüber den Hebammen einen nicht zu 
unterschätzenden Vorteil besitzt, dass er insbesondere — worauf 
es hier doch ankommt — für die Bedeutung der Infektion im 
Kindbett, für den — ich möchte sagen — Geist der Antisepsis 
und Asepsis ein viel tieferes Verständnis besitzt, als wir das 
jemals auch von der bestgeschulten Hebamme verlangen können. 
Und wir dürfen auch den Eventualeinwand nicht ganz unerwähnt 
lassen, dass nicht nur die Aerzte, sondern ebenso auch die Heb¬ 
ammen ihre Berufsarbeit oft unter den denkbar schwierigsten Ver¬ 
hältnissen vollenden müssen. Meiner Ansicht nach müssen wir 
zur Erklärung der hohen Beteiligung der durch Aerzte geleiteten 
Entbindungen an der Zahl der Fiebererkrankungen ausser der 
zweifellos besonders wichtigen Schwere der Fälle noch zwei andere 
Momente heranziehen, das ist einmal die Tatsache, dass der Arzt in 
seiner Praxis tagtäglich mit viel mehr und mit gefährlicheren 
Infektionsstoffen in Berührung kommt, als die Hebamme, dann 
aber der Umstand, dass wir uns schon seit längerer Zeit in einer 



14 


Dr. Krohoe. 


nicht unbedenklichen Periode der Polypragmasie befinden, dass mit 
einem Wort — während es in mancher Gegend noch oft an 
rascher ärztlicher Hilfe mangelt, — anderseits doch auch nicht 
selten geburtshilflich zn viel behandelt nnd za viel untersucht wird. 

Was den ersten Pankt, die vielfache Berührung des Arztes mit 
allerlei Infektionsmaterial anbetrifft, so ist das ein nnr schwer ver¬ 
meidbares Uebel, aus dem wir anf keinen Fall irgend einen Vorwarf 
für die Gebartshilfe treibenden Kollegen herleiten können; denn 
jeder von ans, der, wie ich, jahrelang eine umfangreiche Land¬ 
oder Stadtpraxis getrieben hat, weiss zur Genüge, wie schwer es 
für den praktischen Arzt, der in Ausübung seines Berufes in fort¬ 
dauerndem Wechsel mit eiternden Wunden, mit Diphtherie, Schar¬ 
lach, Wundroseerkrankungen und anderen Infektionskrankheiten, 
mit Leichenmaterial etc. in intimste Berührung kommt, unter den 
genannten Umständen ist, sich, seinen Körper und seine Kleidung 
immer infektionsfrei zu erhalten. Dass der Arzt also sehr leicht 
in die Lage kommt, selbst Infektionen zu verschleppen, hat 
mancher Kollege schon an traurigen Erkrankungställen in seiner 
eigenen Familie oder auch an sich selbst erfahren müssen. Im 
übrigen ist es aber einfach eine praktische Unmöglichkeit, dass 
der Arzt vor jedem — doch gewöhnlich recht eiligen — Ruf zu 
einer Entbindung seine Kleidung und Wäsche wechselt oder ein 
Bad nimmt, um jeden Infektionsstoff mit grösster Sicherheit von 
sich zu entfernen. Indessen erscheint es zum mindesten nötig, 
alle Praxis treibenden Kollegen auf den hier erörterten Umstand — 
nämlich die Möglichkeit einer seitens des Arztes der Kreissenden 
drohenden Infektionsgefahr — und auf die Notwendigkeit doppelt 
peinlicher Desinfektion immer wieder hinzuweisen und sie dringend 
zu mahnen, diesem Punkte erhöhte Aufmerksamkeit zuzuwenden. 
Dies ist schon wegen des guten Beispiels für die Hebammen er¬ 
forderlich ; und deshalb sollte es z.B kein Arzt versäumen, auch vor 
der geringsten geburtshilflichen Manipulation seine Kleidung mit 
einem sterilen Operationsmantel zu umgeben, wie dies von jeder 
Hebamme vorschriftsmässig verlangt wird. 

Wenn wir uns nun aber darüber klar sind, dass der Arzt 
sehr leicht einmal ohne sein Verschulden eine Kreissende infizieren 
kann, so ergibt sich daraus ohne weiteres die zwingende Not¬ 
wendigkeit, geburtshilfliche Eingriffe auf das unbedingt Notwendige 
zu beschränken. Diese wichtige Forderung findet, wie es scheint, 
doch nicht immer die ihr gebührende Beachtung. Schon der Um¬ 
stand, dass durchschnittlich die 14. Entbindung von einem Arzte 
durch Kunsthilfe oder wenigstens unter ärztlichem Beistand be¬ 
endigt wird, gibt zu denken. Dabei ist noch besonders bemerkens¬ 
wert, dass die Verhältniszahl 1: 14 nur eine Durchschnittszahl 
ist, und dass es Kreise gibt, in denen schon zu jeder 5. Entbindung, 
andere Kreise, in denen trotz guter ärztlicher Versorgung der 
betreffenden Gegend erst zu jeder 20. Entbindung ein Arzt hin¬ 
zugezogen wird. 

Für dieses Missverhältnis gibt es doch wohl nur die eine 
Erklärung, dass es eben in bestimmten — meist wohlhabenderen — 



Die Verhtttong and Bekämpfung des Kindbettfiebers. 


1B 


Bevölkernngskreisen mehr und mehr Brauch wird, auch zu leich¬ 
teren Entbindungen — mag die Kindeslage normal sein oder nicht 
— einen Arzt hinzuzuziehen, dessen Hilfe dann natürlich von 
manchen überempfindlichen und ungeduldigen Frauen, Ehemännern, 
Schwiegermüttern etc. zu Untersuchungen der Eindeslage und 
sonstigen Hilfeleistungen mehr und öfters beansprucht wird, als unbe¬ 
dingt notwendig wäre. Jeder Kollege wird mir nun zugeben, dass 
es für den praktischen Arzt nicht immer leicht ist, derartigen nicht 
unbedingt nötigen, meist zum Zwecke beschleunigter schmerzloser 
Entbindung an ihn herantretenden Anforderungen energischen 
Widerstand entgegenzusetzen. So sind mir einige Städte bekannt, 
in denen es seit Jahren Mode geworden ist, dass die jungen 
Frauen der besseren Familien sich kurz vor ihrer Entbindung in 
eine Privatklinik aufnehmen, sich dort — geschützt gegen alle 
Fährlichkeiten eines Partus — kunstgerecht entbinden lassen und 
natürlich auch die Zeit des Wochenbetts in der Klinik verbringen. 
Ob wir uns aber über diese intensive Inanspruchnahme ärztlicher 
Hilfe bei regelmässigen Entbindungen mit Hinsicht auf den Um¬ 
stand, dass gerade Entbindungsanstalten und Kliniken oft höhere 
Kindbettfieberzahlen haben, besonders freuen sollen, lasse ich da¬ 
hingestellt. Jedenfalls bin ich der Ansicht, dass zurzeit auf ge¬ 
burtshilflichem Gebiete in Fällen, in denen eine zwingende Not¬ 
wendigkeit zu Eingriffen kaum vorliegt, nicht selten zu viel 
behandelt und besonders zu viel untersucht wird; denn ich glaube 
es einfach nicht, dass die Frauen unserer im Kern so gesunden 
deutschen Nation, die einen jährlichen Geburtenüberschuss von 
rund 800000 Kindern aufweist, so jammervolle Beckenverhältnisse 
haben, dass jede 14. Entbindung — in einzelnen Gegenden schon 
jede 5. Entbindung — von einem Arzt durch Kunsthilfe beendigt 
oder sonstwie ärztlich geleitet werden muss. Mehr wie für 
irgend ein anderes Gebiet des menschlichen Körpers gilt für den 
Ganitaltraktus einer Kreissenden das Wort: „Quieta non movere*. 
Hier kann jedes zuviel, jede unnötige Berührung der mütter¬ 
lichen Geburtswege eine gefährliche Infektion veranlassen. Auf 
alle Fälle möchte ich aber betonen, dass die Schuld an der zu¬ 
nehmenden Vielbehandelei, wie ich schon andeutete, vorwiegend 
in den Kreisen des Publikums zu suchen ist. Hiergegen aber, 
gegen das Ueberhandnehmen einer Ueberempfindlichkeit unserer 
Frauen, muss mit allen Mitteln gekämpft werden; diesem Uebel 
muss vor allem auch der praktische Arzt mit grösstem Nachdruck 
entgegentreten, dann werden wir vielleicht mit einer Abnahme 
unnötiger geburtshilflicher Eingriffe und Untersuchungen auch 
eine Minderung der Fieberfälle konstatieren können. 

Ziehen wir das Fazit aus der feststehenden Tatsache der 
auffallend hohen Beteiligung der Aerzte an der Kindbettfieber¬ 
statistik mit fast */ 6 aller Fälle, so drängt sich uns die Not¬ 
wendigkeit auf, die noch immer herrschenden Anschauungen über 
das meist vermutete Verschulden der Hebammen an dem Ausbruch 
eines Kindbettfiebers doch etwas zu modifizieren. Denn wir haben 
gesehen, dass die oft gehörte, von Aerzten und Kreisärzten in 



16 


Dr. Krohne. 


Wort and Schrift vertretene Ansicht, dass weitaus die häufigste 
Ursache des Wochenbettfiebers in einer unzureichenden Reinlich¬ 
keit der Hebammen zu suchen sei, in dieser apodiktischen 
Form nicht haltbar ist; die einfache Gerechtigkeit erfordert es, 
zu erwähnen, dass für die Entstehung des Kindbettfiebers doch 
auch noch viele andere, wichtige, von der Hebamme nicht ver¬ 
schuldete Ursachen in Frage kommen können. 

Es bleibt nun noch übrig, auf den wundesten Punkt der 
vorstehenden Angelegenheit einzugehen — das ist die häufige 
Unterlassung der Kindbettfieberanzeige seitens der Aerzte 
und der Hebammen. 

M. H.! Die Beobachtungen, die auf diesem Gebiete von 
vielen Kreisärzten gesammelt worden sind, sind zum Teil recht 
betrübend. In den 7983 bekannt gewordenen bezw. nachträglich 
festgestellten Fällen waren 546 Fieberfälle, also ca. 7 Prozent 
überhaupt nicht, oder doch erst so spät zur Anmeldung gebracht, 
dass die verspätete, oft erst mit dem eintretenden Tode der Frau 
erfolgende Anzeige einer Unterdrückung dieser Anzeige gleichkam. 
Dabei konnte ich von vielen Kreisärzten keine zahlenmässigen 
Angaben über diesen Punkt, sondern nur die Mitteilung erhalten, 
dass die Fieberanzeige sehr oft — manchmal in 30 Prozent aller 
Fälle — unterdrückt würde, so dass es gar keinem Zweifel unter* 
liegt, dass die vorhin angegebene, prozentuale Ziffer der ver¬ 
säumten Fieberanzeigen die wirkliche Prozentualzahl durchaus 
nicht darstellt, diese vielmehr erheblich höher sein dürfte. Leider 
muss ich nach dem Resultat der Statistik hervorheben, dass es 
nicht selten gerade Aerzte sind, die in der Erstattung der An¬ 
zeige recht lässig sind, ja in einzelnen Fällen die Hebamme, die 
durchaus anzeigen will, direkt veranlassen, die Anzeige nicht zu 
erstatten und ungestört ihre Tätigkeit weiter auszuüben. Mir 
sind z. B. Fälle schwerster puerperaler Sepsis mitgeteilt worden, 
in denen der Arzt trotz zweifellosen Kindbettfiebers oder min¬ 
destens Kindbettfieberverdachtes nicht nur die Anzeige unterlassen, 
sondern sogar die Hebamme überredet hat, auch ihrerseits keine 
Anzeige zu erstatten, — Fälle, die dann mehrfach schwere, zum 
Teil tödlich verlaufene Uebertragungsfieber zur Folge hatten. 
Mancher von Ihnen wird mehr oder weniger ähnliche Fälle kennen 
gelernt haben. Ich verweise auf die beiden in Nr. 1 und Nr. 8, 
1905, der Zeitschrift für Medizinalbeamte erschienenen Arbeiten 
der Kollegen Mann und Nickel, die in recht instruktiverWeise 
über die gleichartigen Beobachtungen berichten. Es ist leider 
eine sich nur zu oft wiederholende Sache: Eine Entbundene fiebert 
einige Tage nach der Entbindung und erkrankt unter unbestimmten 
Erscheinungen eines allgemeinen Uebelbefindens; gleichzeitig 
stellen sich vielleicht allerlei lokale Beschwerden, Leibschmerzen 
und dergleichen ein — und nun werden oft die eigenartigsten 
Diagnosen gestellt: Parametritis subacuta, nicht infektiöse Endo¬ 
metritis, MUchfieber, Influenza, rheumatische Bauchfellentzündung, 
letzteres eine Diagnose, die kürzlich in einem Landkreise des 
Düsseldorfer Bezirkes von einem Arzte auf dem Totenschein einer an 



Die Verhütung und Bekämpfung des Kindbettfiebers. 


17 


zweifelloser puerperaler, nicht gemeldeter Sepsis verstorbenen Fran 
vermerkt wurde. Alle solche Diagnosen dienen nicht selten dazu, 
die ominöse Bezeichnung Kiudbettfieber möglichst zu umgehen! 
Fragt die Hebamme in solchem Falle den Arzt, ob Kindbettfieber 
vorliegt, dann wird manchmal jede Möglichkeit eines Kindbett¬ 
fiebers bestritten oder es heisst: Jetzt ist das noch nicht mit Sicher¬ 
heit zu sagen, in einigen Tagen wird sich das erst zeigen usw. 

M. H., diese Vorgänge sind Ihnen ja genügend bekannt, und 
ich kann — gewiss mit Ihrer aller Einverständnis — wohl be¬ 
haupten, dass das hier gekennzeichnete Verhalten mancher Aerzte 
mit Rücksicht auf die grosse Gefahr einer Weiterverschleppung 
solcher, doch mindestens recht verdächtiger Infektionen nicht nur 
aufs tiefste zu bedauern, sondern auch kaum jemals zu entschul¬ 
digen ist! Gegen dieses Verfahren müssen wir sowohl im gesund¬ 
heitlichen Interesse mancher blühenden, soeben entbundenen Fran, 
wie auch mit Rücksicht auf das bedauerliche Beispiel, das mit 
solchem Verhalten den Hebammen geliefert wird, Stellung nehmen. 
Auf alle Fälle werden Sie mir nach dem bisher Gesagten zugeben, 
dass auf diesem Gebiete noch viel zu tun bleibt und ein Ein¬ 
schreiten gegen das hier geschilderte Uebel dringend Not tut. 

Damit komme ich zum wichtigsten und letzten Teil meiner 
Betrachtungen, zu den im Sinne einer besseren Verhütung des 
Kindbettfiebers zu machenden Vorschlägen. 

M. H. Die Erfüllung einer unserer wichtigsten Forderungen 
— die gesetzliche Verpflichtung zur Anzeige eines jeden Kind¬ 
bettfieberfalles einschliesslich des Kindbettfieberverdachtes — ist 
ja mit der in dritter Lesung ganz überraschend erfolgten Annahme 
des preussischen Ausführungsgesetzes zur Bekämpfung der über¬ 
tragbaren Krankheiten in greifbare Nähe gerückt — d. h. falls 
nicht noch das Herrenhaus einen Strich durch die Rechnung macht 
und den Gesetzentwurf ablehnt. Jedenfalls dürfen wir hoffen, 
dass die bisherige Rechtsunsicherheit bezüglich der Gültigkeit der 
die Kindbettfieberanzeige regelnden Polizeiverordnungen baldigst 
beseitigt wird, und da wir von der Notwendigkeit des erwähnten 
Gesetzentwurfes wohl alle überzeugt sind, so brauchen wir auf 
diesen speziellen Punkt nicht mehr näher einzugehen. Indessen, 
wenn auch der genannte Entwurf demnächst Gesetz werden sollte, 
so besteht noch immer zwischen dem Seuchengesetz, das auch 
schon die Anzeige des Kindbettfieberverdachtes fordert, und den 
Bestimmungen des neuen Hebammenlehrbuches ein bedenklicher 
Widerspruch insofern, als in den §§ 28 und 84 der Dienstanweisung 
für die Hebammen diese nur verpflichtet werden, Kindbettfieber, 
nicht aber auch Kindbettfieberverdacht anzuzeigen. Es 
erscheint mir daher unerlässlich, dass diese §§ 28 und 34 der 
Hebammen-Dienstanweisung, deren Inhalt trotz des neuen Ge¬ 
setzes auch in Zukunft sehr leicht verwirrend wirken und die 
Hebammen mit scheinbarem Recht zur Unterdrückung der nur 
verdächtigen Fälle verleiten kann, entsprechend abgeändert 
werden. Ich schlage Ihnen daher vor, als ersten Leitsatz 
folgende Forderung anzunehmen: 


2 



18 


Dr. Erahne. 


„Der Wortlaut der §§ 28 und 34 der neuen 
Dienstanweisung für die Hebammen bedarf dringend 
einer Abänderung bezw. Ergänzung in der Weise, dass 
hinter dem in diesen Paragraphen mehrfach vorkom- 
menden Wort „Kindbettfieber“ regelmässig die Worte 
„oder Kindbettfieberverdacht“ eingeschoben werden.“ 

Damit würde der vorhandene bedenkliche Widersprach 
zwischen der im Seuchengesetzentwurf und Hebammenlehrbuch 
fixierten Kindbettfieberanzeige völlig beseitigt, so dass ich mich 
wohl einer weiteren Begründung des ersten Leitsatzes ent¬ 
halten kann. 

M. H.l Die Bedenken, die ich gerade bezüglich des § 28 
der Hebammen-Dienstanweisung habe, sind aber damit noch nicht 
erschöpft Ich vermag es nämlich — in Uebereinstimmung mit 
zahlreichen Kollegen — durchaus nicht als eine Verbesserung zu 
begrüssen, dass — wie es jetzt im § 28 jener Dienstanweisung 
und auch im § 481 des Hebammenlehrbuches vorgesehen ist — 
die Hebamme das Fieber erst dann anzuzeigen verpflichtet ist, 
wenn auch der hinzugezogene Arzt auf Befragen nach der Dia¬ 
gnose eines Fieberfalles sich dahin ausspricht, dass es sich um 
Kindbettfieber handele. Denn nach all den Erfahrungen, die 
wir bisher gemacht haben, wird dieses Novum gegebenen Falles 
die nicht gewollte Wirkung haben, dass ein Arzt eine Hebamme, 
die Kindbettfieberanzeige machen will, veranlasst, dies zu unter¬ 
lassen, wenn er — der hinzugezogene Arzt — bezüglich der zu 
stellenden Diagnose noch irgendwie schwankt oder sonst wie im 
Zweifel ist. Und da es zahlreiche Hebammen gibt, denen das 
Bekanntwerden eines Fieberfalles in ihrer Praxis aus begreiflichen 
Gründen recht peinlich ist, so wird diese neue Bestimmung eher 
dazu beitragen, die Kindbettfieberanzeigen noch mehr als bisher 
zu unterdrücken und den hier gewollten Zweck der Dienst¬ 
anweisung in manchen Fällen ganz illusorisch machen. Eine der¬ 
artige Wirkung des § 28 der Dienstanweisung und des § 481 des 
Lehrbuches muss aber entschieden vermieden werden; deshalb 
erachte ich es als unbedingt erforderlich — und ich spreche dies 
hier im Namen und Auftrag zahlreicher Kreisärzte als eine 
dringende Notwendigkeit aus —, dass der § 481 des Lehrbuches 
und der § 28 der Hebammen - Dienstanweisung eine weitere Ab¬ 
änderung in dem Sinne erfahren, dass die Hebamme ausnahmslos 
verpflichtet wird, Kindbettfieber in ihrer Praxis völlig unabhängig 
von der Diagnose bezw. der abweichenden Meinung des behandelnden 
Arztes dem zuständigen Kreisarzt anzuzeigen. 

Mit der jetzigen Fassung der soeben erörterten Vorschriften 
ist offenbar der schon im ersten Teil meiner heutigen Be¬ 
trachtungen bekämpften, leider auch von manchen Klinikern ver¬ 
tretenen Theorie, dass es nämlich unbedenklich sei, trotz Fiebers 
einer unter allerlei verdächtigen Erscheinungen erkrankten Wöch¬ 
nerin tagelang mit der Diagnose Kindbettfieber und mit der An¬ 
zeige zurückzuhalten, eine recht weitgehende Konzession gemacht. 
Dass aber die im § 28 der Hebammen - Dienstanweisung formulierte 



Die Verhütung and Bekämpfung des Kindbettfiebers. 19 

Auffassung, die in der Praxis auf eine Verklausulierung der Dia¬ 
gnose Kindbettfieber hinauslänft, geeignet ist, auf das Verständnis 
and das Handeln der Hebammen und auch der Aerzte verwirrend 
za wirken, darüber sind wir Medizinalbeamte nach dem Resultat 
unserer aus der Praxis amtlicher Tätigkeit geschöpften Erfahrungen 
uns wohl alle klar. Und auch darüber müssen wir uns klar sein, 
dass die jetzt in Aussicht gestellte endliche gesetzliche Festlegung 
der Anzeigepflicht für Kindbettfieber und Kindbettfieberverdacht 
nicht den erhofften Erfolg haben wird, wenn nicht gleichzeitig 
in einwandsfreier Form festgestellt wird, was dann eigentlich 
in Zukunft als „Kindbettfieber“ anzusehen ist. Deshalb bitte 
ich Sie bezugnehmend auf meine früheren Ausführungen als zweite 
Forderung den zweiten Leitsatz anzunehmen: 

„Als Kindbettfieber im Sinne des ersten Leit¬ 
satzes (im Sinne des Gesetzes betr. Bekämpfung der 
übertragbaren Krankheiten) muss jedes Fieber im 
Wochenbett gelten, bei dem ein Zusammenhang 
zwischen Fieber und voraufgegangener Entbindung 
nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann.“ 

Wenn diese Definition des Begriffes Kindbettfieber — etwa 
in Form einer Zusatzbestimmung zu dem Ausführungsgesetz des 
Seuchengesetzes — als massgebende Richtschnur für alle Fieber¬ 
erkrankungen im Wochenbett gelten würde, denn würden in Zu¬ 
kunft die Fälle, in denen ein Arzt oder eine Hebamme die An¬ 
zeige eines verdächtigen Wochenbettfiebers hintanhalten würde, 
wohl viel seltener werden, weil eben nur in ganz wenigen 
Fällen die Behauptung aufgestellt und ernstlich begründet werden 
kann, dass jeder Zusammenhang zwischen einem im Wochen¬ 
bett aufgetretenen Fieber and der vorausgegangenen Entbin¬ 
dung bezw. dem Wochenbett selbst mit Sicherheit ausge¬ 
schlossen werden kann. Wir würden also mit einer derartigen 
Definition des Kollektivbegriffes Kindbettfieber einen erheblichen 
Schritt vorwärts kommen und mit der rechtzeitigen Entfernung 
der Hebamme von allen verdächtigen Wochenbetten die Zahl der 
Uebertragungen erheblich vermindern. Zugleich würden wir endlich 
einmal auf diesem Gebiete klare Verhältnisse schaffen und Aerzten 
wie Hebammen in erhöhtem Masse das Gewissen schärfen. 

Die anderen Mittel, die wir zur Bekämpfung des Kindbett¬ 
fiebers anwenden müssen, liegen vorwiegend auf dem Gebiet der 
Kontrolle und einer immer intensiveren Fortbildung unserer Heb¬ 
ammen und nicht zuletzt einer besseren wirtschaftlichen Hebung 
des ganzen Hebammenstandes. 

Was zunächst die Kontrolle der Hebammen anbetrifft, 
so ist diese ja zweifellos mit Einführung der Dienstanweisung für 
die Kreisärzte eine erheblich schärfere und bessere geworden — 
und das ist gut so. Aber gerade, weil diese Kontrolle der Heb¬ 
ammen ein so wichtiges und nnentbehrliches Moment in der Be¬ 
kämpfung des Wochenbettfiebers bildet, müssen wir uns doch die 
Frage vorlegen, ob die zurzeit ausgeübte Kontrolle auch immer 
den von uns gewünschten Erfolg erreicht bezw. erreichen kann. 



20 


Dr. Krohne. 


Da ist zunächst eine der wichtigsten und einschneidendsten Be¬ 
stimmungen zu erwähnen — nämlich der § 57 der kreisärztlichen 
Dienstanweisung. Die hiernach anzustellenden lokalen Ermitte¬ 
lungen in jedem Falle von Kindbett fieber erstrecken sich im all¬ 
gemeinen nach zwei verschiedenen Bichtungen, indem der Kreis¬ 
arzt nämlich einmal festzustellen sucht, ob die Hebamme ein 
Verschulden an dem Ausbruch eines Kindbett fiebers trifft, und 
dann, ob alle zur Verhütung einer Weiterverbreitung der Er¬ 
krankung notwendigen Schutzmassregeln ergriffen worden sind. 
Ich möchte nun bemerken, dass ich aus den mir vorliegenden Be¬ 
richten der 226 Kreisärzte den Eindruck gewonnen habe, als ob 
manche Kollegen bei ihren Ermittelungen einen etwas zu grossen 
Wert auf die Untersuchung der Frage, ob die Hebamme eine 
Schuld an der Erkrankung treffe, legen, und davor, m. H., möchte 
ich doch aus mehrfachen Gründen warnen. Zunächst wissen Sie 
alle und haben wir aus unserer Statistik ersehen, dass der Nach¬ 
weis eines Verschuldens einer Hebamme am Wochenbett fieber in 
vielen Fällen doch recht schwierig ist. Dann sind ferner die 
meistenteils in der Wohnung einer Wöchnerin oder — was oft 
zur Erreichung des gewollten Zweckes unvermeidlich ist — am 
Wochenbett selbst stattfindenden Untersuchuugen und Ver¬ 
nehmungen über das Verhalten der Hebamme während der Ge¬ 
burt immer eine etwas missliche Sache; mir ist wenigstens diese 
Art der Feststellungen in solchem Falle immer recht peinlich 
gewesen. Vor allem aber habe ich immer gefunden, dass dabei 
meist nicht viel herauskommt — oft schon deshalb nicht, weil die 
Angehörigen einer Wöchnerin einerseits nicht selten bestrebt sind, 
das Handeln der ihnen vielleicht befreundeten Hebamme im Ein¬ 
verständnis mit dieser in möglichst günstigem Lichte darzustellen, 
anderseits aber öfters Fälle Vorkommen, in denen seitens einer 
ungebildeten Wöchnerin oder deren Angehörigen in bewusster Ab¬ 
sicht eine Reihe unkontrollierbarer und oft ganz ungerechtfertigter 
Anschuldigungen gegen die Hebammen vorgebracht werden. Sehr 
leicht kann auf diese Weise das Ansehen einer an sich tüchtigen 
Hebamme grossen Schaden erleiden. — Auch dürfen wir nicht 
vergessen, dass ungebildete und auch gebildete Laien doch kaum 
imstande sind, uns über die meist gestellte Frage, ob die Hebamme 
sich bei der Entbindung richtig — d. h. so wie wir es nach den 
Regeln der Asepsis verlangen — desinfiziert habe, Aufschluss zu 
geben. Wenn wir dann noch bedenken, dass die Hebamme, die 
doch heute die Kontrolle des Kreisarztes in jedem Kindbett¬ 
fieberfall zu gewärtigen hat, sich hierauf wohl immer vorbereiten 
und häufig die Spuren nachlässigen Handelns rechtzeitig ver¬ 
wischen wird, so ist nach alledem zuzugeben, dass es vielfach 
zwecklos und auch nicht immer ratsam ist, bei dieser Gelegen¬ 
heit auf die Feststellung eines möglichen Verschuldens der Heb¬ 
amme das Hauptgewicht zu legen. Hiervon möchte ich aber 
schon deshalb abraten, weil es — wie mir eigentlich erst in 
jüngster Zeit aufgefallen ist — nach dem Wortlaut des § 57 der 
kreisärztlichen Dienstanweisung zweifelhaft erscheinen kann, ob 



Die Verhütung und Bekämpfung des Kindbettfiebers. 


21 


überhaupt der Kreisarzt anlässlich der betr. Ermittelungen das 
vorbezeichnete Untersuchungsverfahren einzuschlagen befugt ist. 
Es scheint mir nämlich, dass sich in dem allgemein in Gebrauch 
befindlichen Exemplar unserer Dienstanweisung im § 57, Abs. 3 
ein den Sinn störender Druckfehler eingeschlichen hat, der bisher 
noch gar nicht beachtet worden ist. Es heisst an der ge* 
nannten Stelle: 

„Wenn in der Praxis einer Hebamme ein Fall von Kindbettfieber vor« 
kommt, so hat der Kreisarzt an Ort und Stelle Ermittelungen nach der Bich« 
tung anzustellen, ob von der Hebamme alle zwecks Verhütung und 
Weiterverbreitung des Kindbettfiebers erlassenen Vorschriften beachtet 
worden sind.“ 

Ja, m. H., was heisst denn das: „Die zwecks Verhütung 
und Weiterverbreitung des Kindbettfiebers erlassenen Vor¬ 
schriften“ ! Hier muss doch wohl ein Druckfehler vorliegen; denn 
Vorschriften zum Zwecke der Weiterverbreitung des 
Kindbettfiebers sind doch nicht erlassen worden, sondern die be¬ 
treffenden Vorschriften sind erlassen worden 1. zum Zwecke der 
Verhütung des Kindbettfiebers, 2. zum Zwecke der Verhütung 
der Weiterverbreitung des Kindbettfiebers. Ich nehme des¬ 
halb an, dass im § 57, Abs. 8 ein Druckfehler entstanden ist, und 
dass das Wörtchen „und tt zu ersetzen ist durch das Wörtchen 
„der“! Das gibt dann sofort einen klaren Sinn und die auch 
anscheinend beabsichtigte Bedeutung dieser Worte; denn es würde 
dann besagen, dass der Kreisarzt verpflichtet ist, in allen Fieber¬ 
fällen Ermittelungen darüber anznstellen, ob von der Hebamme 
alle zwecks Verhütung der Weiter Verbreitung des Kindbettfiebers 
erlassenen Vorschriften beobachtet worden sind! Daraus würde 
aber ohne weiteres hervorgehen, dass der Hauptzweck der kreis¬ 
ärztlichen Ermittelungen sein soll: Feststellung, ob die Hebamme 
sich, ihre Kleider, Instrumente nach dem Beginn des Kindbett¬ 
fiebers gründlich desinfiziert, ob sie rechtzeitig den Fall gemeldet, 
ob sie sich sofort von der fiebernden Wöchnerin ferngehalten hat, 
um Uebertragungen der Erkrankung auf gesunde Wöchnerinnen 
zu verhüten. Wenn dann der Kreisarzt, dessen Ermittelungen 
somit in erster Linie den Schutz der gesunden Wöchnerinnen im 
Auge haben sollen, nebenbei auch noch das Verhalten der Heb¬ 
amme vor und während der Entbindung in diskreter Weise fest¬ 
zustellen sucht, so kann das bei dieser, wie bei jeder sonstigen 
Gelegenheit, nur nützlich sein, — aber regelmässige Vernehmungen 
über das Verhalten der Hebamme am Krankenbett und in der 
Weise, wie ich das vorhin angedeutet habe, halte ich aus den 
angegebenen Gründen nicht für ratsam. 

Um nun aber nicht missverstanden zu werden, bemerke ich, 
dass ich im übrigen die fortdauernde, scharfe Kontrolle der 
Hebammen für dringend nötig erachte. Nur die durch den § 57 
unserer Dienstanweisung angeordnete Kontrolle will mir nicht für 
alle Fälle wirksam und ausreichend erscheinen; ich möchte viel¬ 
mehr raten, die Hebammen bei jeder sich darbietenden Gelegen¬ 
heit unvermutet zu kontrollieren — sie am besten recht oft 
unvermutet in ihrer Wohnung aufzusuchen. Bei solcher Gelegen- 



22 


Dr. Krohno. 


heit wird man häufig die überraschendsten Resultate finden! Man 
wird da Hebammen, bei denen vielleicht kurz vorher anlässlich 
einer nach § 57 unserer Dienstanweisung stattgefundenen, nicht 
unvermuteten Revision alles in bester Ordnung war, mitten in 
einer von Schmutz starrenden Umgebung antreffen, die Instrumente, 
Verbandwatte etc. in Zeitungspapier eingewickelt in einem Schrank, 
in dem die unsaubersten Kleidungsstücke der ganzen Famlie bei* 
sammen hängen, und dergl. vorfinden. Ich traf einmal eine Heb¬ 
amme, die bei sonstigen Revisionen immer tadellos sauber er¬ 
schienen war, in ihrer Wohnung in einem Zimmer an, in dem 
junge Gänse und Ziegen untergebracht waren und in einer Ecke 
unter allerlei sonstigem Hausgerät die offene Hebammentasche 
lag; das Instrumentarium war vollständig — bis auf die Nabel¬ 
schnurschere ; die wurde nämlich mangels einer sonstigen Scheere 
zu allerlei Näharbeiten benutzt. Bei einer anderen, sonst sehr 
tüchtigen Hebamme, deren Ehemann das Ausstopfen von Vögeln 
und allerlei anderen Tieren gewerblich betrieb, fand sich die In¬ 
strumententasche in einem Zimmer aufbewahrt, in dem ver¬ 
schiedene Tierkadaver umherlagen. Derartige Sachen wird man 
natürlich nur bei unvermuteten Besichtigungen feststellen; des¬ 
halb, meine ich, soll der Kreisarzt die Hebammen recht oft unver¬ 
mutet besuchen, kontrollieren und — was dabei nicht vergessen 
werden soll — auf den ganzen Ernst ihres Berufes immer wieder 
hinweisen und an der Hand der festgestellten Tatsachen belehren. 

Dabei möchte ich bezüglich der eben angedeuteten unzweck¬ 
mässigen Aufbewahrung der Instrumente der Hebammen bemerken, 
dass ich es überhaupt als einen Mangel empfinde, dass im neuen 
Hebammenlehrbuch nicht die Bestimmung vorgesehen ist, dass die 
Hebammen — wie dies von manchen Kreisärzten schon durch¬ 
geführt ist — verpflichtet sind, ihre Instrumente etc. in einem 
besonderen, verschlossenen Schrank, der für wenig Geld zu be¬ 
schaffen wäre, anfzubewahren. Manche Infektion wird vielleicht 
nur durch unsachgemässe Aufbewahrung der Instrumente in der 
Hebammenwohnung verschuldet. Eine solche Unterbringung der 
Hebammentasche und aller sonstigen Utensilien, Desinfizientien etc. 
in einem besonderen Schrank unter Verschluss erscheint mir aber 
schon mit Rücksicht darauf, dass die Hebammen jetzt im Besitze 
von Sublimat — also eines sehr gefährlichen Giftes — sein müssen, 
durchaus nötig. 

Was den weiterhin so wichtigen Punkt einer immer fort¬ 
schreitenden Besserung in der Ausbildung der Hebammen 
betrifft, so ist in der richtigen Erkenntnis, dass ein gut aus- 
gebildetes Hebammenpersonal auch einen besseren Schutz gegen 
Wochenbetterkrankungen bildet, hieran seit Jahren mit allen 
Kräften gearbeitet worden, wie dies auch die Einführung des 
neuen Hebammenlehrbuches beweist. Indessen meine ich doch, 
dass auf diesem Gebiete noch viel zu tun bleibt. Eine der 
grössten Schwierigkeiten besteht meines Erachtens darin, dass die 
Hebammen die in der Lehranstalt mühsam gewonnenen Kenntnisse 
trotz der dreijährigen kreisärztlichen Nachprüfungen unter dem 



Die Verhütung and Bekämpfung des Kindbettfiebers. 


23 


Druck all der kleinen und kleinlichen Sorgen des alltäglichen 
Lebens und in dem täglichen Verkehr mit meist ungebildeten 
Menschen nur zu rasch vergessen, so dass das Mass ihres Wissens 
oft schon nach wenigen Jahren anf ein bedenkliches Niveau herab¬ 
sinkt und nur durch einen als Strafe auferlegten Wiederholungs¬ 
kursus — für vorübergehende Zeit — aui eine etwas höhere 
Stufe gehoben werden kann. Ich meine, hier liegt ein Fehler in 
unserem System, der auch durch die in dem neuen Hebammen¬ 
gesetzentwurf vorgesehene Bestimmung, dass nämlich die Aus¬ 
bildungszeit für die Hebammen allgemein von 6 auf 9 Monate 
verlängert werden soll, nicht beseitigt werden wird. Der Fehler 
liegt in dem Mangel einer regelmässigen Fortbildung auch in 
den späteren Jahren, einer immer erneuten Wiederauffrischung 
des einmal gewonnenen Wissens. Eine solche Wiederauffrischung 
der Kenntnisse ist aber für die Hebammen schon mit Rücksicht 
auf das meist bildungsarme soziale Milieu, in dem sie leben, noch 
viel nötiger, als für die Aerzte — und doch sind wir uns längst 
darüber klar, dass wir Aerzte, insbesondere wir Medizinalbeamten, 
mit den auf der Universität gewonnenen Kenntnissen allein nicht 
auskommen können, dass auch wir uns durch regelmässige Fort¬ 
bildungskurse und dergl. auf dem erforderlichen wissenschaftlichen 
Niveau erhalten müssen. Aus allen diesen Gründen halte ich es 
für unbedingt erforderlich, dass in Zukunft alle Hebammen bis zu 
ihrem 45. Lebensjahre mindestens alle 5 Jahre an einer Hebammen¬ 
lehranstalt einen mehrwöchentlichen Wiederholungskursus durch¬ 
machen müssen. Auf diese Weise würden alle Hebammen nach 
erfolgter Ausbildung mindestens 8—4 Wiederholungskurse zu ab¬ 
solvieren haben und würden damit eine nicht zu verkennende 
Stärkung und Festigung ihres Wissens und ihrer Gewissenhaftig¬ 
keit erhalten, die im Sinne einer besseren Fürsorge unseren 
heissenden und Wöchnerinnen zugute kommen würde. Wieder¬ 
holungskurse nach dem 45. Lebensjahre würden dann kaum noch 
nötig und mit Rücksicht auf den in diesem Lebensalter beginnenden 
Mangel der Lernfähigkeit der Hebammen auch zwecklos sein. 
M. H., ich halte die Frage der Einrichtung derartiger 5 jähriger 
Wiederholungskurse für so wichtig, dass ich unbedenklich 
einer Beibehaltung der bisherigen nur 6 monatlichen Ausbildungs¬ 
zeit der Hebammen zustimmen würde, wenn dafür solche regel¬ 
mässigen Fortbildungskurse eingerichtet werden würden. Denn 
eine nur 6 Monate ausgebildete Hebamme, die alle 5 Jahre einen 
Wiederholungskursus absolviert, wird meiner Ansicht nach in der 
späteren Praxis immer über ein grösseres Wissen verfügen, wie 
eine Hebamme, die 9 Monate ausgebildet worden ist, zu Wieder¬ 
holungskursen aber später nicht mehr herangezogen wird; dass 
natürlich 9 monatliche Lehrzeit mit späteren 5 jährigen Wieder¬ 
holungskursen das weitaus beste sein würde, bedarf keiner Er¬ 
örterung. 

Im engsten Zusammenhang mit der Frage der Fortbildung 
der Hebammen steht nun fernerhin die vielleicht ebenso wichtige 
Frage einer besseren wirtschaftlichen Fürsorge für den 



24 


Dr. Krohne. 


Hebammenstand. M. H., es unterliegt gar keinem Zweifel 
dass in der traurigen materiellen Lage vieler unserer Hebammen 
mit ein wesentlicher Grund für manche Pflichtverletzung und 
Nachlässigkeit, die sich eine Hebamme zu Schulden kommen lässt, 
zu suchen ist. Und darum tut Besserung auf diesem Gebiete 
dringend not! Wir steigern fortwährend die an das Wissen der 
Hebammen zu stellenden Ansprache, wir haben ein neues um¬ 
fassenderes Lehrbuch, ein neues und viel kostspieligeres Instru¬ 
mentarium eingeführt, wir sind im Begriff, die Ausbildungszeit zu 
verlängern — für die Besserang des Einkommens der Hebammen 
aber, oder gar für eine Invaliden- und Altersversicherung derselben 
ist seitens des Staates und der Kommunen bisher wenig oder 
nichts getan. Hat doch erst kürzlich das Reichsamt des Innern 
es abgelehnt, einen Gesetzentwurf zur Einführung der zwangs¬ 
weisen Invalidenversicherungspflicht der Hebamme einzubringen. 
Und doch wissen wir, dass zahlreiche Hebammen mit wirtschaft¬ 
licher Not kämpfen und sich mit ihrer Berufstätigkeit nur mühsam 
durchs Leben schlagen, dass viele Hebammen mit 20—25 Ent¬ 
bindungen pro Jahr einen Jahresverdienst von etwa 100 Mark 
aus ihrer Berufstätigkeit haben. Und von solchen Hebammen 
verlangen wir dann die genaueste Beobachtung all der minutiösen 
Vorschriften, die sie z. B. zur Verhütung des Kindbettfiebers be¬ 
obachten sollen. Wir hören so oft in neuester Zeit, wo es sich 
um wirtschaftliche Kämpfe des Aerztestandes handelt, die Ansicht 
aussprechen, man könne sich nicht wundern, wenn ein schlecht 
bezahlter, viel beschäftigter Kassenarzt nur Massenarbeit — id 
est mangelhafte Berufsarbeit— liefert. Nun dieser Satz trifft 
mit mindestens derselben Berechtigung auch für die schlecht be¬ 
zahlten Hebammen zu, und leider ist nur ein zu grosser Teil von 
ihnen schlecht bezahlt. Wenn wir also ein tüchtiges Hebammen¬ 
personal haben wollen, dann müssen wir auch dafür sorgen, dass 
diese oft recht überlasteten, in schwerem Beruf sich Tag und 
Nacht aufreibenden Frauen einen lohnenden Erwerb haben, und 
wir müssen ferner darauf bedacht sein, dass die Hebammen gegen 
die Sorgen des Alters oder vorzeitiger Invalidität hinreichend 
geschützt werden. Deshalb bitte ich Sie, soweit dies Ihnen mög¬ 
lich ist, darauf hinzuwirken, dass nicht nur die Ansprüche der 
Hebammen auf ein angemessenes Einkommen überall die ge¬ 
bührende Anerkennung finden, sondern dass auch die Gemeinden 
sich herbeilassen, die Aufnahme der Hebammen in die staatliche 
Invaliditäts- und Altersversicherung durch Tragung der sämtlichen 
oder eines Teiles der Kosten zu ermöglichen, wie wir das jetzt 
im Düsseldorfer Bezirk einzuführen bestrebt sind. 

Die hier erörterte ungünstige materielle Lage der Hebammen 
wird nun noch besonders tangiert durch die dem Kreisärzte zu¬ 
stehende Befugnis, der Hebamme anlässlich eines Falles von Kind¬ 
bettfieber die Berufstätigkeit auf 1—2 Wochen zu untersagen. 
Diese Bestimmung ist, trotzdem sie nur noch verhältnismässig 
selten angewendet wird, zweifellos für viele Hebammen auch mit 
ein Beweggrund, die Anzeige eines Kindbettfieberfalles zu unter- 



Die Verhütung und Bekämpfung des Kindbettflebers. 


25 


drücken; denn die Möglichkeit, mit der Anzeige eines Fieber- 
falles eine Untersagung ihrer Berufstätigkeit und damit einen 
empfindlichen Verlust ihrer Einnahmen zu riskieren, bildet eben 
für viele Hebammen ein recht ernstes Moment, so dass es immerhin 
begreiflich, wenn auch nicht entschuldbar ist, wenn eine Hebamme 
aus dieser Furcht heraus eine Anzeige unterlässt. Aus diesem 
Grunde und mit Rücksicht darauf, dass wir mit der Untersagung 
der Berufstätigkeit einer Hebamme für eine bestimmte Zeit doch 
wohl in erster Linie nicht eine Bestrafung der Hebamme, sondern 
einen erhöhten Schutz der gesunden Wöchnerin bewirken wollen, 
erachte ich für dringend empfehlenswert und auch für gerecht, 
dass wir die Hebammen für die ihnen aufgezwungene Unter¬ 
brechung ihrer Berufstätigkeit materiell entschädigen, und deshalb 
bitte ich Sie, den nachstehenden dritten Leitsatz anzunehmen: 

„Damit die dem Kreisarzt nach § 29 der Heb- 
ammen-Dienstanweisung zustehende Befugnis, einer 
Hebamme gegebenen Falles die Ausübung ihres Be¬ 
rufes für mehrere Wochen zu untersagen, nicht dazu 
beiträgt, dass die Hebamme aus Furcht vor einer ihr 
drohenden Erwerbsschädigung etwaige Erkrankungen 
von Kindbettfieber verheimlicht, empfiehlt es sich 
dringend, dass die Hebamme — wie schon heute in 
einzelnen Kreisen — für die angeordnete Unter¬ 
brechung ihrer Tätigkeit eine angemessene Entschä¬ 
digung erhält.“ 

Dabei möchte ich noch der vielfach verbreiteten irrigen Auf¬ 
fassung entgegentreten, als ob der Kreisarzt etwa berechtigt 
wäre, einer Hebamme lediglich zum Zweck der Bestrafung, 
z. B. bei unterlassener Fieberanzeige, ihre Berufstätigkeit für eine 
bis zwei Wochen zu untersagen! Eine Hebamme steht unter der 
Gewerbeordnung; die Ausübung ihres Gewerbes aber kann ihr 
von der Aufsichtsbehörde nur mit der Begründung für einige Zeit 
untersagt werden, dass sie durch ihr Gewerbe andere Personen 
gefährden würde, wie dies z. B. seitens einer durch Kindbettfieber 
infizierten Hebamme geschieht. Eine Untersagung der Berufs¬ 
tätigkeit, nur um die Hebamme zu strafen, ist nicht Sache der 
Aufsichtsbehörde, sondern Sache der ordentlichen, das Strafver¬ 
fahren regelnden Gerichte. 

M. H.! Mit Vorstehendem haben wir die zur Bekämpfung 
des Kindbettfiebers nötigen Massnahmen nicht erschöpft. Vieles 
andere, wie die Belehrung des ungebildeten Publikums über die 
elementarsten Forderungen der Hygiene, die Erziehung zur Reinhal¬ 
tung der Umgebung unserer Wöchnerinnen, Fürsorge für eine bessere 
Wochenbettpflege der Frauen in den untersten Volksschichten bliebe 
noch zu erörtern. Indessen ist ja die Berechtigung aller dieser 
Forderungen Ihnen hinlänglich bekannt; sie liegen aber vor allem 
mehr auf sozialem Gebiete, auf dem der Medizinalbeamte doch nicht 
so allein und ausschlaggebend in der vordersten Linie steht, wie 
bei den Dingen, die ich heute ausführlich erörtert habe. 

Somit bleibt mir am Schluss meiner Betrachtungen nur noch 



26 


Diskassion za dem Vorträge: 


übrig:, Sie za bitten, bei der Bekämpfung des Kindbettfiebers all 
die Konsequenzen zu ziehen, die sich an der Hand der heute vor- 
gelegten Statistik und der Erfahrungen, die wir hier vor uns 
haben, von selbst ergeben. 

Vor allem bitte ich Sie, die Praxis treibenden Kollegen in 
Aerztevereinen und bei sonstigen Gelegenheiten auf die ernsten 
Resultate unserer Statistik und darauf hinzuweisen, dass es ein¬ 
fach eine moralische Verpflichtung jedes Arztes ist, uns in dem 
Kampf gegen das Kindbettfieber überall zu unterstützen — selbst 
auf die Gefahr hin, auf diesem Gebiete prophylaktisch einmal mehr 
zu tun, als gerade unbedingt nötig scheinen könnte. Dann wird 
es hoffentlich gelingen, die Zahl der Kindbettfiebertodesfälle er¬ 
heblich zu vermindern und dem deutschen Nachwuchs eine grössere 
Zahl von Müttern am Leben zu erhalten, als dies zurzeit noch 
der Fall ist! 

(Lebhafter Beifall.) 


Vorsitzender: Ich eröffne die Diskussion. 

H. Kreisassistenzarzt Dr. D o h r n - Cassel: M. H.! Gestatten sie, daß ich 
Ihre Aufmerksamkeit kurz für die nachstehenden Kurven in Anspruch nehme. 
Seit April 1904 habe ich die bei der Königl. Regierung in Cassel eingehenden 
Berichte über Kindbettfieber und plötzliche Todesfälle im Wochenbett laufend 
zusammengestellt. Es geschah dies in der Absicht, um vielleicht an der Hand 
eines größeren Materials neue Gesichtspunkte für die Verhütung und Bekam* 
pfung des Kindbettfiebers zu gewinnen. 

Meiner Zusammenstellung, deren wichtigste Ergebnisse ich Ihnen mit* 
teilen möchte, liegen ausführliche Berichte über 186 Fälle zugrunde. 



Procent ? t 7 z,<? %Y %<? %Y 6,6 10,5 10,6 16 S H? 



Die Verhütung and Bekämpfung des Kindbettfiebers. 


27 


Kurve I zeigt Ihnen die Verteilung der Fieber erkranken gen nach der Zahl 
der iiberstandenen Geburten. Die Kurve beginnt mit den zum 10. Male Gebärenden; 
sie bleibt auf ziemlich gleicher Höhe bis zu den zum 6. Male Gebärenden, steigt 
dann langsam empor, um schließlich mit einem sichtbaren Buck bei den Erst* 
gebärenden bis zu der höchsten Höhe von 41,7 °/o emporzuschnellen. Die auffallend 
hohe Erkrankungsziffer der Erstgebärenden in der Privatpraxis übertrifft bei 
weitem die gleichen, in den Anstalten gemachten Beobachtungen. Die Ursache 
dieser Erscheinung dürfte wohl darin zu finden sein, daß die besonders bei 
Erstgebärenden oft auftretenden Verletzungen der Geburtswege in der Privat¬ 
praxis sehr viel häufiger Gelegenheit haben, durch eine nicht sorgfältig ge¬ 
reinigte Hand infiziert zu werden als in der Anstaltspraxis. 

Die praktische Konsequenz, die wir für die Verhütung des Kindbett¬ 
fiebers daraus ziehen können, ist die, daß gemäß der Ahlfeldsehen Lehre 
von uns möglichst darauf gedrungen wird, die Hebamme soll, wenn möglich, 
ca. 14 Tage vor der Geburt und während der Geburt selbst ohne zwingende 
Gründe garnicht untersuchen. 

Kurve II. 

Ursache der Erkrankung. 



Kurve II zeigt Ihnen die einzelnen Fieberfälle geordnet nach deren 
Entstehungsursachen. Sie beginnt mit den Infektionen durch äußere Ursachen. 
Z. B. hat in einem solcher Fälle die Entbindung in dem Bett stattgefunden, 
wo bis dahin die an eiternden Unterschenkelgeschwüren leidende Mutter lag. 
An zweiter Stelle folgt zu frühes Aufstehen der Entbundenen, z. B. Arbeiten 
schon am zweiten Tage; dann Gonorrhoe, die Infektionen durch Einrisse, 
Selbstinfektion — d. h. solche Fälle, in denen Fieber ohne jegliche innere 
Untersuchung aufgetreten ist —, Bentention von Nachgeburtsresten, Kompli¬ 
kationen wie alte aufflackernde Exsudate usw. 

Es folgen dann weiter diejenigen Fälle, in denen mit ziemlicher Sicher¬ 
heit Verstößen der Hebammen Schuld an der Entstehung des Fiebers zu geben 
war; hierauf diejenigen, in denen schwere ärztliche Eingriffe stattgefunden und 
die Infektion hervorgerufen haben. Unter diesen nimmt die manuelle Plazenta¬ 
lösung, die Wendung und die Zange — besonders auch die Luxuszange — 
den größten Baum ein. (Unter den 43 ärztlichen Ergriffen waren allein 
8 Zangen wegen „schmerzhafter Wehen“, „langdauernder Geburt“ — 2—3 Stun¬ 
den! — usw. mit nachfolgender schwerer Erkrankung zu verzeichnen.) 

In 47 Fällen ließ sich die Ursache der Erkrankung nicht mit Sicherheit 
feststellen. 


28 


Diskussion za dem Vorträge: 


III. Etwaige Sobald der Hebammen. 

In 127 Fällen mit festgestellter Aetiologie lag die Schuld 
nicht an den Hebammen I an den Hebammen 
in 104 Fällen = 82 °/ 0 . | in 23 FäUen = 18°/,. 

Nebenstehend sind non diejenigen Fälle in einer 
Säule zusammen gestellt, in denen die Erkrankung nicht 
durch Verschulden der Hebammen entstanden war, in 
einer 2. Säule die Fälle, in denen mit Sicherheit die 
Hebamme schuld war und in einer dritten Säule die Fälle 
(27 °/o), in denen überhaupt Verstöße vorgekommen sin<L 
Wir finden hier die bereits durch den Vorredner fest- 
gestellte Tatsache bestätigt, daß cs keineswegs angängig 
ist, von vornherein immer der Hebamme Schuld an den 
Erkrankungen zu geben. Anderseits lassen die häufigen, 
bei den kreisärztlichen Erhebungen festgestellten Ver¬ 
stöße — zum Teil auch unwesentlicher Natur —, die 
Wichtigkeit einer dauernden Beaufsichtigung dringend 
geboten erscheinen. 

Ich möchte noch bemerken, daß unter diesen Verstößen nicht aufgeführt 
sind diejenigen Fälle, in denen die Hebamme nicht das vorgeschriebene Klystier 
gegeben hat. Dieses ist in 115 von 167 Fällen nicht geschehen. 

Suchen wir nun aus der Zusammenstellung der ursächlichen Momente 
(Kurve H) einen Anhaltspunkt für die Verhütung des Kindbettfiebers zu ge¬ 
winnen, so liegt der hier in dieser letzten Linie, dio die Zahl derjenigen Fälle 
darstellt, in denen überhaupt Störungen der Nackgebartsperiode aufgetreten 
sind. Ganz sicher waren auch in der überwiegend großen Zahl diese Störungen 
die Ursache des später auftretenden Fiebers. Die Ursache der Störungen ist 
wiederum in der Gewohnheit der Hebammen zu suchen, daß sie zu früh und 
zu gewaltsam den äußeren Handgriff anwenden. Es ist mir bekannt, daß ein 
großer Teil der Hebammen schon 10 Minuten oder 1 Viertelstunde nach der 
Gebart den äußeren Handgriff an wendet. 

Hier würde sich für den Kreisarzt ein mächtiger Angriffspunkt für die 
Verhütung des Kindbettfiebers bieten, wenn er die Hebammen immer wieder 
darauf hinweist, daß sie die Ausstoßung der Nachgeburt möglichst der Natur 
überlassen und nicht durch vorzeitiges, rohes Eingreifen stören. 

H. Kreisarzt Med.-Bat Dr. Langerhans-Celle: M. H.t Mich haben 
besonders interessiert die Ausführungen, die ich über die Fortbildung der 
Hebammen gehört habe; es kann ja auch keinem Zweifel unterliegen, daß die 
Fortbildung der Hebammen dringend notwendig ist. In unserer Provinz sind 
solche Fortbildungskurse eingerichtet und zwar von dreiwöchiger Dauer. 
Diese Kurse sollen zunächst nach 5 Jahren und dann noch einmal 10 bis 
15 Jahre später stattfinden. Abor auch dies ist praktisch undurchführbar, da 
die bisherigen Anstalten dieser Aufgabe gar nicht gewachsen sind; ihre Zahl 
müßte vielmehr ganz bedeutend vermehrt werden oder die Hebammenkurse 
müßten sehr eingeschränkt werden. Ich habe dies einmal ausgerechnet, das geht 
einfach nicht. Die pekuniäre Belastung der Anstalten würde eine ganz gewal¬ 
tige sein; außerdem würden die Einnahmen aus der Ausbildung der Schülerinnen 
noch fortfallen. Die Anstalten würden dann 3 Jahre hindurch nichts zu tun 
haben, als Wiederholungskurse für die Hebammen zu geben und darüber würde 
die Ausbildung neuer Hebammen ganz ungebührlich verzögert werden. Schon 
jetzt klagen aber die Kollegen darüber, daß sie ihre Hebammen nicht recht¬ 
zeitig aus der Anstalt herausbekommen. Es müßten dann also die Wöchne¬ 
rinnen-Asyle zu dem Zwecke der Fortbildungskurse mit herangezogen werden, 
aber, m. H., dazu gehört wieder eine staatliche Aufsicht. Daß ein durch einen 
Verein oder durch milde Mittel erhaltenes Wöchncrinncnasyl mit staatlichen 
Aufgaben beauftragt würde, geht wiederum nicht, oder es müßten wenigstens 
Garantien gegeben werden, daß diese Aufgaben in demselben Sinne, wie in 
den übrigen Anstalten gelöst würden. 

Dann halte ich die 9 monatige Dauer der Ausbildungskurse für dringend 


32 »/o 


19°/o27 # /o 



Die Verhütung und Bekämpfung des Kindbettflebers. 


29 


notwendig. Ich bin jetzt damit beschäftigt, in 6monatigen Kursen den Hebammen 
das neue Hcbammenlchrbuch beizubringen; ich werde die Frauen ja auch soweit 
bringen, aber die so ausgebildeten Hebammen werden entschieden zu wünschen 
übrig lassen. Die 9monatige Ausbildung der Hebammen ist also unbedingt 
notwendig. Ich habe noch gewartet mit einem Anträge an meine Vorgesetzte 
Behörde mit Rücksicht auf das bevorstehende Hebammengesetz, aber ich glaube, 
es wird das sichersto sein, daß man erst einmal privatim bei der Provinz die 
9monatigen Kurse durchdrückt. 

Die Beteiligung der Aerzte an der Kindbettfiebersterblichkeit ist sehr 
groß, nicht blos aus den angegebenen Ursachen, daß die Aerzte mit vielerlei 
septischen Stoffen bei ihren Krankenbesuchen in Berührung kommen, es liegt 
dies zum Teil auch in der mangelhaften Ausbildung auf der Universität. Die 
Universitäten haben selbst in großen Städten nicht gut die Möglichkeit, die 
angehenden Aerzte in der Leitung der Geburt und der Nachgeburtszeit zu 
üben. Es wird das Praktikum darin etwas abhelfen, aber ich meine doch, 
es müßten die Wöchnerinnenasyle diesem Zwecke dienstbar gemacht werden. 
Das wesentlichste ist aber immer: Besser situierte Hebammen, und ehe 
es das Hebammen gesetz nicht gibt, ist alles nur Stückwerk, was wir 
machen. 

Ich halte auch dafür, daß wir nicht nur das Kindbettfieber, sondern auch 
den Kindbettfieberverdacht anzeigepflichtig machen müssen. Diese 
Aenderung ist aber allein nicht ausreichend, es müssen noch andere Aenderungen 
im Hebammenlehrbuch stattfinden. M. H.! Ich habe hier nicht die Aufgabe, 
das Hebammenlehrbuch zu besprechen, ich habe mich aber veranlaßt gesehen, 
dem Verfasser die große Bitte auszudrücken, daß es in manchen Punkten noch 
geändert werden möge. Es ist ja im großen und ganzen ein sehr schönes Buch; 
namentlich ist auch die Darstellung der Wundkrankheiten und der fieberhaften 
Wochenbett-Erkrankungen vorzüglich klar und logisch: 1. Die Erkrankung der 
Wunde, 2. das Uebergreifen auf die Umgebung der Wunde, 8. das Uebergreifen 
auf die Blutmasse, allgemeine Blutvergiftung; und damit in Parallele: 1. die In¬ 
fektion der Geburtswunde, 2. das Uebergreifen auf die Umgebung der Geburts¬ 
wunde, worunter auch Parametritis verstanden wird, und dann das Uebergehen 
der Krankheit in die allgemeine Blutmasse, und das ist das Kindbettfieber, 
alles andere ist nicht Kindbettfieber. Wenn den praktischen Aerzten diese 
Definition in die Hand gegeben wird, und wenn wir dann die Bestimmungen 
des Abgeordnetenhauses zum Seuchengesetz dazu nehmen, wonach der Kreisarzt an 
das Krankenbett der Kindbettfieberkranken nur dann heran darf, wenn der Ehe¬ 
mann es erlaubt, ja, m. H., dann können wir einpacken und kommen nicht vor¬ 
wärts. Ich finde die Fassung der Definition des Vortragenden über das 
Kindbettfieber sehr hübsch: Wenn nicht nacbgewiesen werden kann, daß es 
ein anderes Fieber ist, so haben wir anzunehmen, es ist Kindbettfieber, und 
sehen dann zu, was wir mit der Hebamme machen. So, wie es jetzt liegt, 
werden wir leider bald genug erleben, was nur ausnahmsweise in den letzten 
Jahrzehnten geschehen ist: Epidemien des Kindbettfiebers, ohne daß der Kreis¬ 
arzt etwas davon weiß und ohne daß er dagegen einschreiten kann. 

H. Kreisarzt Dr. Berger-Hannover: M. H.1 Ich bin der Meinung, daß 
die Kontrolle der Hebammen doch noch sehr ausgedehnt werden muß. Ich 
kontrolliere die Hebammen bei jeder Gelegenheit, sogar auf meinen Radel¬ 
touren. Ich lasse mir da von den Frauen etwas erzählen und lasse mir auch 
die Hände zeigen. Die Forderung, daß jeder Fall von Fieber im Wochenbett 
angezeigt werden soll, möchte ich zwar ebenfalls stellen, ich halte sie aber 
nicht für durchführbar und glaube nicht, daß wir damit praktisch weiter 
kommen werden. Als Kindbettfieber soll nach dem Referenten jeder Fall von 
Fieber im Wochenbette gelten, bei dem ein Zusammenhang zwischen Fieber 
und vorhergegangener Entbindung nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden 
kann. „Nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann,“ was sagt denn 
das ? Demgegenüber möchte ich den Vorschlag machen, daß man die Meldung 
des Kindbettfiebers anders gestaltet, nicht auf Meldekarten, sondern auf Karten¬ 
briefen, und daß auf diesen Anmeldeformularen bestimmte Fragen gestellt 
werden; nur so kann ein Ueberblick gewonnen werden, ob es Kindbettfieber 
ist oder nicht. 



30 


Diskussion za dem Vortrage: 


Bezüglich des dritten Leitsatzes möchte ich erwähnen, daß die Hebamme 
ja manchmal Erkrankungen von Kindbettfieber gar nicht zur Anzeige bringt; 
das ist auch natürlich nach dem, was der Herr Referent gesagt hat, z. B. 
infolge Aeußerungen des Arztes asw. Ich möchte Ihnen hierzu folgenden 
Fall vortragen: 

Als das neue Hebammenlehrbach durch gesprochen werden sollte, da 
kontrollierte ich die Thermometer der Hebammen und fand bei einem eine 
Temperatur von 40°. Ich fragte die Frau: Gebrauchen Sie denn Ihr Ther¬ 
mometer? Ja, sagte sie, immer. Wann haben Sie es zuletzt gebraucht? 
Vorgestern, antwortete sie. Ja, haben Sie denn nichts gefunden, haben Sie denn 
den Temperaturzettel nicht ausgefüllt? Jawohl, sagte sie. Was stand denn vor¬ 
gestern darauf ? 40 0 sagte sie. Als ich dann einwandte, daß die Temperatur doch 
ein bischen viel sei, antwortete sie: Ja, aber der Doktor ist dagewesen und 
der hat gesagt, die Patientin ist außerordentlich wohl. Ich wandte mich dar¬ 
auf an den Arzt, der schrieb mir: Nein, der Patientin geht es tadellos, von 
Kindbettfieber ist keine Spur. Als ich ihm darauf sagte, er solle die Sache 
doch einmal nachsehen, da bekam ich am nächsten Tage einen Eilbrief: 
„Heute habe ich Kindbettfieber festgestellt." Sehen Sie, so geht es in der 
Praxis her! 

H. Reg.- u. Med.-Rat Dr. Dütschke-Erfurt: M. H.1 Gestatten Sie 
mir einige kurze Bemerkungen. Als die neue Dienstanweisung für die Hebammen 
des Königreichs Preußen jüngst veröffentlicht wurde, war es für jeden Medi¬ 
zinalbeamten, der sich mit der Materie eingehend befaßte, klar, daß wir durch 
die jetzt vor geschriebene Anzeigepflicht der Hebammen bei auftretendem Fieber 
an den behandelnden Arzt eine wesentliche Verschlechterung in sanitäts¬ 
polizeilicher Hinsicht gegen früher erfahren hatten, wo dem Kreisarzt von dem 
aufgetretenen Fieber sofort Anzeige zu erstatten war. So, wie die Verhält¬ 
nisse jetzt liegen, kann es Vorkommen, daß der Kreisarzt erst im Januar des 
folgenden Jahres, wenn er die Tagebücher seiner Hebammen einzusehen Ge¬ 
legenheit hat, überhaupt davon etwas erfährt, wieviel Fieberkranke eine Heb¬ 
amme in ihrer Praxis gehabt hat. Die Erwägung, daß bei der Verschiedenheit 
der Auffassung des Begriffes „Wochenbettfieber" unter den praktischen Aerzten 
mancher Fall von Puerperalfieber der kreisärztlichen Kenntnis entgehen und 
dadurch ein rechtzeitiges sanitätspolizeiliches Einschreiten unmöglich sein 
würde, veranlaßte mich zu einem eingehenden Studium des neuen Hebammen- 
lehrbuches und ich fand, daß das Lehrbuch selbst schon eine Handhabe bietet, 
die Wirkungen der ungünstigen neuen Bestimmung abzuschwächen. Es be¬ 
steht in dem Lehrbuch nämlich ein Paragraph, welcher besagt, daß die Heb¬ 
amme verpflichtet ist, sich in allen zweifelhaften Fällen beim Kreisarzt 
Rat zu holen. Gelegentlich meiner Teilnahme an den Instruktionskursen für 
Hebammen, welche infolge der Einführung des neuen Hebammenlehrbuches 
abgehalten wurden, habe ich die Hebammen des Reg.-Bez. Erfurt dahin 
instruiert, daß sie bei denjenigen Fällen, in welchen sie das Vorhandensein 
von Fieber festgestellt hätten, aber zweifelhaft seien, ob es sich um Wochen¬ 
bettfieber handele, nicht allein, den Bestimmungen des Lehrbuches gemäß, 
dem behandelnden Arzte, sondern anch dem zuständigen Kreisarzt .Anzeige 
erstatten sollten. Der praktische Erfolg dieser Anordnung ließ im Reg.-Bez. 
Erfurt nicht auf sich warten. Eine Hebamme, welche diese Instruktion er¬ 
halten hatte, schrieb pflichtgemäß an ihren Kreisarzt, daß sie eine Wöchberin 
in Behandlung habe, die seit 3 Tagen 38,9 Temperatur zeige und bei der sie 
befürchte, daß Wochenbettfieber bestehe, obgleich der zugezogene Arzt gesagt 
habe, es sei kein Kindbettiieber; im Interesse der anderen Wöchnerinnen bäte 
sie um Verhaltungsvorschriften. Der Kreisarzt meldete den Vorgang sofort 
dem Herrn Regierungspräsidenten und letzterer ersuchte den behandelnden 
Arzt um umgehende Mitteilung, „ob mit Sicherheit Kindbettfieber ausge¬ 
schlossen sei oder nicht.“ Von dem Arzt traf eine sehr gewundene Erklärung 
ein, darauf hinauslaufcnd, daß man ja das Vorhandensein von Wochenbett¬ 
fieber bei eintretender Temperatursteigerung niemals ausschließen könne usw. 
Bei diesem Bescheide erfolgte selbstverständlich telegraphisch die'Suspension 
der Hebamme und der weitere Verlauf der fieberhaften Erkrankung jener 
Wöchnerin rechtfertigte vollständig das sanitätspolizeiliche Eingreifen. — Ich 
gebe gern zu, daß eine Hebamme bei dieser Art des Vorgehens leicht in 



Die Verhütung und Bekämpfung des Kindbcttflebera. 


31 


Kollision mit dem behandelnden Arzt kommen kann, wenn sie sich erlaubt, die 
Diagnose des behandelnden Arztes einer bezweifelnden Kritik zu unterziehen; 
ich weiß aber, so lange es allein von dem behandelnden Arzt abhängig ist, 
ob eine Hebamme von einer an Wochenbettfieber erkrankten Wöchnerin den 
Ansteckungsstoff auf andere Wöchnerinnen weiter übertragen kann — und man 
erlebt hier hinsichtlich der Diagnose Wochenbettfieber oft recht wunderbare 
Sachen —< keinen anderen Ausweg, um in sanitätspolizeilicher Beziehung nichts 
zu versäumen, als das von mir geschilderte Verfahren. 

Es drängt mich dann weiter, hier an dieser Stelle die günstigen Erfolge 
festzustellen, welche ich als Vorsitzender der Prüfungskummission für Heb* 
ammen Ende März d. J. in Erfurt hinsichtlich der praktischen Brauchbarkeit 
des neuen Hebammenlehrbuches im Unterricht und bei der Prüfung feststellen 
konnte. Nach den von mir gewonnenen Eindrücken — und meine Ansicht 
wurde von den beiden Hebammenlehrern geteilt —, war es allein der klaren 
Diktion des neuen Lehrbuches und der lebendigen und anschaulichen Dar¬ 
stellungsweise zuzuschreiben, daß die Prüfngsergebnisse so vorzügliche dies¬ 
mal waren und daß sich der Unterricht der Schülerinnen nach Aussage der 
beiden Lehrer erheblich leichter und in manchen Sachen geradezu spielend 
abgewickelt hat. 

Auf der anderen Seite aber möchte ich nicht unterlassen, darauf auf¬ 
merksam zu machen, daß nach den von mir gewonnenen Eindrücken der Ab¬ 
schnitt in dem neuen Hebammenlehrbuch, der von der „Allgemeinen Krankheits¬ 
lehre“ handelt, entschieden weit über das Auffassungsvermögen der Mehrzahl 
der Hebammenschülerinnen hinausgeht und auch im Unterricht zu erhebliche 
Schwierigkeiten bereitet, wie sich bei der Prüfung sehr bald herausstellte. Es 
ist ja gewiß recht schön, den Hebammen auch allgemeines Verständnis für die 
pathologischen Verhältnisse beizubringen, aber hier ist zu viel hineingezogen, 
was der Verstand der Hebammen nicht begreifen und verdauen kann und das 
daher zweckmäßig dem Unterricht ferngehalten bleibt. 

Im allgemeinen, und das möchte ich hier gern nochmals betonen, hat 
sich aber der Einfluß des neuen Hebammen-Lehrbuches bei dieser ersten 
Prüfung in jeder Beziehung nur vorteilhaft bemerkbar gemacht. 

H. Reg.- und Med.-Rat Dr. Rusak-Köln: M. H.I Ich will es unter¬ 
lassen, nochmals auf die Aeußerungen des Vortragenden einzugehen bezüglich 
der Notwendigkeit der Abänderung der Anzeigepflicht. Ich möchte nur be¬ 
tonen, daß die Notrufe der Kreisärzte über die durch die neuen Bestimmungen 
geschaffene Lage auch an uns ergangen sind, sobald das neue Lehrbuch ein¬ 
geführt war. — Was die Vorschläge des Vortragenden anbetrifft, so meine 
ich, es könnte nichts besseres an ihrer Stelle gefunden werden; gerade die 
negative Fassung des zweiten Satzes erscheint mir sehr glücklich. 

Ich möchte mir dann erlauben, noch auf die unvermuteten Revisionen 
einzugehen. Im Regierungsbezirk Köln üben die Kreisärzte schon seit längeren 
Jahren die unvermutete Kontrolle der Hebammen aus. Jeder Kreisarzt hat 
die Pflicht, besonders bei Hebammen, deren Kenntnisse er als lückenhaft fest¬ 
gestellt hat, oder deren Verhalten bei ihrer geburtshilflichen Tätigkeit zu 
Tadel Veranlassung gegeben hat, wenigstens einmal im Jahre eine unvermutete 
Revision vorzunehmen. Diese unvermuteten Revisionen haben auch bei uns 
ein Resultat ergeben, welches die unbedingte Notwendigkeit ihrer Beibehaltung 
bewiesen hat. Was bei den Revisionen alles gefunden ist, will ich nicht im 
einzelnen erörtern, ich schließe mich im großen und ganzen den Ausführungen 
des Vortragenden an, sowohl was die Reinlichkeit der Hände, der Kleider und 
des Körpers betrifft, als auch den Zustand und die Aufbewahrung der Instru¬ 
mente. Ich möchte auch warm die Forderung unterstützen, daß die Auf¬ 
bewahrung der Instrumente in einem besonderen Schranke zu geschehen hat, 
vor allen Dingen möchte ich darauf aufmerksam machen, daß es sich auch um 
die Aufbewahrung von Sublimatpastillen handelt. 

Bezüglich des Sublimats möchte ich noch einige Bemerkungen machen. 
Den Hebammen ist, wenn ich nicht irre, im § 114 des Lehrbuches vorge¬ 
schrieben, die Sublimatpastillen aus der Apotheke zu beziehen. Diese Be¬ 
stimmung ist halb und halb aufgehoben durch den Erlaß des Ministeriums, 
nach dem es den Hebammen freigestellt ist, die Pastillen auch aus jeder 
Drogenhandlung zu holen. M. H.! Wer da weiss, mit welchem Leichtsinn oft 



32 


Diskassion za dem Vortrage: 


die stärksten Gifte von den Drogenhandlangen abgegeben werden, and wer 
daran denkt, wie gern die Drogenhandlangen za wilden Apotheken aaswachsen, 
der muß darum doppeltes Bedenken tragen, den Hebammen die Befugnis zu 
geben, in anbeschränkter Zahl so starke Gifte, wie die Sablimatpastillen, aas 
Drogenhandlangen za entnehmen. In unserem Bezirk Köln haben wir deshalb 
die Anweisung erlassen, daß die Hebammen die Sablimatpastillen nur aus der 
Apotheke beziehen sollen. 

Zorn Schloß noch eine Bemerkung über den Vorschlag, den einer der 
Herren Vorredner machte. Um die Anzeige der Erkrankungen an Kindbett¬ 
fieber an den Kreisarzt unter Beibehaltung der Vorschriften des neuen Lehr¬ 
buches zu sichern, wurde yorgeschlagen, daß die Hebammen in zweifelhaften 
Fällen unter Umgehung des behandelnden Arztes, also hinter seinem Bücken, 
den Kreisarzt nm Bat fragen sollen. Ja, m. H., wenn die Hebamme sich vor¬ 
sichtiger Weise an den Arzt wendet, und er sagt ihr, es ist kein Kindbett¬ 
fieber vorhanden, und wenn die Hebamme dann zum Kreisarzt geht, so wird 
die nächste Folge eine Differenz zwischen der Hebamme und dem behandelnden 
Arzt sein. Wenn der Arzt, oder wenigstens mancher Arzt merkt, die Heb¬ 
amme ist hinter seinem Bücken zum Kreisarzt gegangen, so wird die Folge 
sein, daß er die Hebamme in seiner Klientel nicht wieder zu Entbindungen 
rufen läßt. 

Im übrigen möchte ich also den Vorschlägen, die der Vortragende in 
seinen Leitsätzen wiedergegeben hat, zustimmen. 

H. Kreisarzt Prof. Dr. Stolper*Göttingen: M. H.l Der H. Vortragende 
hat seinen Aasführungen zugrunde gelegt das neue Hebammenlehrbach, ein 
wirkliches Kunstwerk nach meiner Auffassung, das wie jedes Kunstwerk je 
nach Geschmack recht verschieden beurteilt wird, das aber leider nicht von 
allen gesehen und gelesen wird, von denen wir dies gerade wünschen müssen. 
Und das ist der erste Punkt, aaf den ich hinweisen za müssen glaube. Wir 
Kreisärzte müssen nämlich verlangen, daß alle Aerzte eine gründliche Kenntnis 
des Hebammenlehrbuches haben. Dafür gibt es auch wohl einen gangbaren 
Weg: Man möge in die Bestimmungen für das medizinische Staatsexamen be¬ 
züglich der Prüfung in Gebartshilfe eine Bestimmung einfließen lassen, dahin- 

f ehend: es ist besonderer Wert aaf die Kenntnis des Hebammenlehrbaches bei 
er Prüfang der Kandidaten za legen. Nun kann man ja dagegen einwenden, 
wir können als Bürger des Deutschen Beiches das Examen überall ablegen, 
das Lehrbuch gilt aber nur für den Bereich des Königreichs Preußen; doch ich 
zweifle nicht, daß sich auch darüber irgendwie hinwegkommen läßt. Ich 
brauche wohl nicht weiter zu begründen, warum wir Kreisärzte eine Be¬ 
stimmung wünschen müssen, daß alle Aerzte peinlich genaue Kenntnis von 
dem Hebammenlehrbache haben müssen. 

Ein anderer Pankt betrifft die Hebammen selbst. Ich meine, daß wir 
als Kreisärzte alle deren materielle Besserstellung anstreben müssen. — Meine 
Erfahrung ist ja nicht sehr groß — aber ich meine, bei der Anstellung von 
neuen Hebammen müssen wir im Einverständnis mit den Herren Landräten 
dahin wirken, daß wir günstige Vertragsverhältnisse der Hebammen mit den 
Gemeinden herausschlagen. Außer den Bestimmungen über das Honorar iat 
jedesmal gleich die Invalidenversicherung zu verlangen. Vor allen 
Dingen aber ist hinzuarbeiten auf eine Vergrößerung der Hebammen- 
Bezirke. Eine Hebamme, die nur 6 bis 10 Entbindungen jährlich hat, die 
kann unmöglich ganz auf der Höbe der zu wünschenden Leistungsfähigkeit 
stehen. Die Verwaltungsorgane tragen gelegentlich den oftmals höchst 
egoistischen Wünschen der Gemeinden za sehr Bechnung, und das ist nicht 
immer im Interesse der Hebang des Hebammenstandes. 

Noch eins möchte ich hervorheben bezüglich des letzten Punktes des 
Herrn Vortragenden. Er meint, man müsse eine staatliche Entschädigung der 
Hebammen, sofern man sie saspendieren maß, irgendwie flüssig machen. Ja, 
m. H., wir Aerzte stehen doch auf dem Standpunkte, wir können uns desinfi¬ 
zieren. Die Hebamme soll es aber auch können. Wenn ich mich selbst nun nach 
gründlicher Desinfektion nicht für längere Zeit als infektiös ansehe, wie kann 
ich von der Hebamme eine längere Entfernung von der Praxis verlangen ? 
Verlangen muß ich nur von der Hebamme eine Desinfektion unter meinen 
Augen; nur dann habe ich eine volle Garantie. Es darf nicht in der Weise 



Die Verhütung and Bekämpfang des Kindbettflebers. 


33 


geschehen, wie ich es erlebt, daß der Hebamme schriftlich aufgegeben wird: 
Sie haben sich nach Paragraph so und soviel zu desinfizieren. M. H.1 ln 
solchen Pallen, wo es sich um ein Menschenleben handelt, da muß man selbst 
dabei sein. Ich habe dann gleichzeitig Gelegenheit, festzustellen, ob die Heb¬ 
amme das Desinfizieren auch versteht. Ich lasse es im Krankenhause machen, 
wo bessere Einrichtungen zu Gebote stehen; ich habe dann mehr Gewähr, als 
wenn es die Hebamme zu Hause macht. Ich habe mich auch niemals auf den 
Standpunkt gestellt, daß die Hebamme nur ihre Finger zu desinfizieren habe, 
sondern es muß eine gründliche Desinfektion des ganzen Körpers — Bad — 
und auch der Kleider stattfinden. Man muß die Hebammen mit großer Liebe 
heranzuziehen suchen; dann wird man auch Freude haben an den schwierigen 
Aufgaben, die uns das Hebammenwesen auferlegt. 

H. Kreisarzt Dr. Hoch«-Geestemünde: M. H.I Der Vortragende sprach 
zunächst über die Gefahr der Leitung der Entbindung durch die Aerzte; er hat 
dabei jedoch einen Punkt nicht berücksichtigt, das ist die Frage der Leitung 
der Entbindung ohne die Anwesenheit einer Hebamme. Erscheint zu häufiges 
ärztliches Eingreifen an sich schon gefährlich, so vermehrt Bich diese Gefahr 
noch ganz beträchtlich, wenn überhaupt eine Hebamme der Geburt nicht bei¬ 
wohnt. Der Arzt kann nicht den ganzen Gebartsverlauf überwachen, er muß 
zwischendurch andere Kranke besuchen und kann dabei auch septische Fälle 
nicht ausschließen. Als ich vor 2 Jahren in einer kleinen Broschüre »Arzt 
und Hebamme“ auf die Gefahren dieser ohne Zuziehung einer Hebamme 
vollendeten Entbindungen für die Kreißende hinwies, Gefahren, die um so be¬ 
denklicher erscheinen, wenn man bedenkt, daß nach einer auf meine Forderung 
der regelmäßigen Zuziehung einer Hebamme seitens eines Hamburger Frauen¬ 
arztes erfolgenden zustimmenden, in der Hamburger Aerztekorrespondenz ver¬ 
öffentlichten Aeußerung, z. B. in Hamburg 1902 etwa ein Fünftel aller Ent¬ 
bindungen nur ärztlich geleitet ist, habe ich, offen gestanden, an diese der 
Gefahr einer Verblutung der Kreißenden mindestens gleichartige Gefahr nicht 
gedacht. Jetzt scheint mir aber auch zum Zwecke der Verhütung des Wochen¬ 
bettfiebers eine Bekämpfung der Sitte nur ärztlicher Leitung der Entbindungen 
dringend geboten. 

Zweitens noch etwas über die Lieferung der Desinfektionsmittel. Daß 
die Hebammen die Desinfektionsmittel selbst bezahlen müssen, halte ich nicht 
für gut. Alle Hebammen sollten die Mittel geliefert bekommen, denn sonst 
fangen sie an, an Desinfektionsmitteln zu sparen. Wohin diese Sparsamkeit 
führt, sehe ich in meinem Bezirke Kreis Geestemünde, wo die sämtlichen als 
Bezirkshebammen angestellten Landhebammen, denen die Desinfektionsmittel 
geliefert werden, trotz der Landarbeit, die sie nebenbei verrichten, regelmäßig 
prozentual nur etwa die Hälfte der Fälle an Wochenbettfieber zu ver¬ 
zeichnen haben, wie die fast ausschließlich als Hebamme tätigen Stadtheb« 
ammen, die sich die Desinfektionsmittel selbst beschaffen müssen. 

Drittens habe ich noch etwas in dem neuen Hebammenlehrbuche vermißt 
bei den Vorschriften über die Krankheiten von Matter und Kind, bei denen 
die Hebamme dem Kreisarzt Meldung zu erstatten hat. Es fehlt die Melde¬ 
pflicht bei entzündlichen Nabelerkrankungen der Neugeborenen. Ein Teil 
derselben wird wohl als Bose gemeldet werden, die Mehrzahl tritt aber 
trotz der gleichen Uebertragungsgefahr nicht unter rosenartigen Erschei¬ 
nungen auf. 

Ferner fehlen unter den Krankheiten, deren Auftreten bei der Hebamme 
sich mit dem Ausüben der Praxis nicht verträgt, Hautkrankheiten, die einer¬ 
seits selbst übertragbar sind, anderseits mit sekundären Eiterungen einhergehen, 
z. B. Krätze. Es fehlen auch die Krankheiten der von den Hebammen 
gepflegten Tiere (Schweinepest, eiternde Wunden etc.) als Hindernis der 
Ausübung der Praxis. Nach meiner Meinung sollten die Hebammen in allen 
diesen Fällen nicht praktizieren dürfen. 

Das wären die Punkte, die mir aufgefallen sind. 

Geh. Med.-Bat Prof. Dr. Guttstadt« Berlin: M. H. I Was hier heute erörtert 
worden ist, ist entschieden ganz wesentlich für die Bekämpfung des Kindbett¬ 
flebers. Es wird daher auch von Interesse sein, etwas über die statistischen 
Unterlagen für diese Todesursache mitzuteilen. Aber bemerken möchte ich doch, 

3 



34 


Diskussion za dem Vortrage: 


daß die Frage der Verschaldang doch nicht aaf dem einfach statistischen 
Wege za lösen ist, indem man nachweist, so viel Todesfälle entfallen aaf die 
Hebammen, welche Eindbettfieber angezeigt haben, and so viel aaf die Aerzte, 
welche in solchen Fällen zagezogen worden sind, and aas dem Nebeneinander¬ 
stellen der Zahlen dann den Schloß zieht, daß, weil verhältnismäßig mehr 
Aerzte als Hebammen bei Kindbettfieberfällen tätig gewesen sind, die Aerzte 
ein größeres Verschulden als die Hebammen trifft. Es maß vielmehr ein 
Kausalnexus nachgewiesen werden. Die Aerzte werden ja meistens erst dann 
geholt, wenn die Fälle ernst werden. Es müßte deshalb erst einwandfreies 
Material herbeigeschafft werden, ehe man das Urteil aasspricht, and im In¬ 
teresse des Ansehens der Aerzte sind wir dazu verpflichtet, nicht so leicht 
eine Verschuldung der Aerzte anzunehmen. Die Untersuchung, die der Herr 
Kollege Dohrn über die Ursachen des Kindbettfiebers vorgefünrt hat, dürfte 
empfehlenswert sein. 

Was die Hebammen anbetrifft, die für den Beistand der Frauen im 
Kindbett zar Verfügung stehen, so ist ja ganz natürlich, was heute aas¬ 
gesprochen ist, daß man doch an den Staat ganz andere Forderungen wegen 
der Bezahlung za stellen hat als bisher; denn nur aaf diesem Wege wird es 
gelingen, ein leistangsfähigeres Hebammenpersonal za bekommen. 

Gegenüber der Definition des Kindbettfiebers, wie sie der Vor¬ 
tragende vorgeschlagen hat, möchte ich fragen, wie er den Vorschlag nasführen 
will. Wenn die Hebamme schon, wenn sie „Fieber* festgestellt hat, ohne einen 
Arzt za fragen, eine Anzeige „Kindbettfieber* beim Kreisarzt aasführt, glaube 
ich, werden große Schwierigkeiten entstehen. Das Material über Entbindungen, 
das mir aas Krankenhäusern Vorgelegen hat, verrät nicht allein Unsicherheit, 
sondern auch eine Zögerung, die Diagnose auf Kindbettfieber za stellen, selbst 
in den Kliniken. Sie werden erstaunt sein, wenn Sie in die anangenehme 
Lage kommen, selbst zu entscheiden, ob Kindbettfieber nach der vorliegenden 
Angabe vorhanden gewesen ist oder nicht. Aas diesem Grande glaube ich, 
daß es verfrüht ist, schon jetzt einen Zwang aoszaüben in bezog aaf die 
Definition des Wortes Kindbettfieber, wie es der Herr Vortragende vor¬ 
geschlagen hat. 

Ueber die Todesfälle an Kindbettfieber möchte ich wegen der Sicher¬ 
heit der Angaben überhaupt folgendes bemerken: Im Jahre 1874 wurde die 
standesamtliche Gesetzgebung eingeführt, dabei ist bekanntlich die Bezeichnung 
der Todesursache im Gesetz abgelehnt, so daß das Protokoll des Standes¬ 
beamten über jeden Todesfall die Frage nach der Todesursache gar nicht ent¬ 
hält. Durch die historische Bedeutung der Statistik über die Bewegung der 
Bevölkerung hat sich das preußische Ministerium veranlaßt gesehen, diese 
Frage außerhalb des Protokolls doch beantworten zu lassen. Bei der Erörte¬ 
rung der ganzen Angelegenheit im Abgeordnetenhause ist V i r c h o w be¬ 
sonders eingetreten für die Aufnahme der Frage nachder Todesursache in 
das Gesetz. Von juristischer Seite wurde dagegen hervorgehoben, das 
könne nicht zulässig sein, weil die ärztlichen Angaben nicht zuverlässig 
seien, die Mitteilung der Todesursache der Familie unangenehm sein könne 
usw. Aus diesen Gründen ist die Bezeichnung der Todesursache nicht im 
Gesetz verlangt. 

Von Anfang an habe ich Material gesammelt, um die Notwendigkeit der 
ärztlichen Leichenschau zu beweisen und eine Kontrolle der standesamt¬ 
lichen Angaben durch die Todesursache aoszaüben. Z. B. ist bei der Angabe „Im 
Kindbett gestorben* auffällig die Altcrsangabe bei einer Person über 50 Jahre. 
Bei der Untersuchung eines solchen Falles hat es sich herausgestellt, daß es 
sich gar nicht um eine Frau gehandelt habe, sondern um einen Mann, der an 
Delirium tremens gestorben istl Derartige Fälle sind natürlich in neuester 
Zeit unter Mitwirkung der Kreisärzte verfolgt worden, und so liegt aus dem 
Jahre 1904 folgender Fall vor: Es sollte eine Person im Kindbett gestorben 
sein, die 67*/« Jahre alt war. Auf die Anfrage um genaue Aufklärung darüber 
schrieb der Standesbeamte, die Frau ist 1846 geboren und ist infolge von 
Kindbettfieber gestorben. Daraufhin erging an den zuständigen Kreisarzt die 
Frage, daß das Alter doch auffallend sei usw. Schließlich kam heraus, daß 
die Frau nicht 1846, sondern 1864 geboren war 1 Der Tod war nicht am Kind¬ 
bettfieber, sondern im Kindbett 8 Stunden nach der Entbindung erfolgt. Die 



Oie Verhütung and Bekämpfung des Kindbettfiebers. 


35 


Fälle and noch andere Fälle beweisen, daß wir eine möglichst einwandsfreie 
Statistik haben mttssen über die Todesursache. Es ist daher ein Landesgesetz 
über ärztliche Leichenschau durchaus erforderlich. 

Wollte man feststellen, ob die Todesfälle an Kindbettfieber vollständig 
angegeben werden, so ergibt sich, daß nur ein Minimum vorliegen kann. Es 
gibt Standesbeamte, die die Frage nach der Todesursache überhaupt nicht 
beantworten. Bekanntlich bekommen sie für die Ausfüllung von je hundert 
Zählkarten drei Mark bezahlt, aber trotzdem unterlassen sie die Beantwortung, 
ln der neuesten Zeit wird die Mitwirkung der Kreisärzte auch in dieser Be¬ 
ziehung in Anspruch genommen. Selbst in den Städten, wo eine ärztliche 
Leichenschau eingeführt ist, wird die Frage nach der Todesursache nicht be¬ 
antwortet bezw. nicht ausreichend beantwortet. Und nun tritt die Frage auf, 
ob der Arzt verpflichtet ist, die Todesursache gewissenhaft 
anzugeben? So ist in Hamburg vor Jahren ein Mädchen im Kindbett ge¬ 
storben; der betreffende Arzt hat sich veranlaßt gesehen, als Todesursache 
nicht Kindbett anzugeben, sondern Krebs. Die Wahrheit ist nur dadurch 
herausgekommen, daß Personen da waren, für die es wegen Erbschaft von 
Wert war, festzustellen, daß das Mädchen ein Kind geboren hatte, ln Hamburg 
wurde auf Grund dieses Falles angeordnet, daß derjenige Arzt, der eine falsche 
Eintragung der Todesursache macht, mit einer Geldstrafe bis zu 3000 Mark 
bestraft werden soll. In Preußen ist diese Angelegenheit noch nicht behörd¬ 
lich geregelt. 

Auf Veranlassung des Kaiserlichen Gesundheitsamts sind wir seit 1893 
bestrebt, die Todesfälle an Kindbettfieber mehr hervorzuheben. Bisher hatten 
wir uns gesträubt, die Todesfälle an Kindbettfieber anzugeben, weil die Unter¬ 
lagen dafür nicht ausreichend erschienen; in der preußischen Statistik wurden 
bisher'ermittelt die Todesursache: „Im Kindbett gestorben“, seit jener Zeit 
wird hervorgehoben, „darunter an Kindbettfieber“. Als Fälle von Kindbett¬ 
fieber nach dem zweiten Vorschläge des Herrn Vortragenden solche Krank¬ 
heiten zu bezeichnen, bei denen ein Zusammenhang zwischen Fieber und vor¬ 
angegangener Entbindung nicht mit Sicherheit ausgeschlossen 
werden kann, ist als Bestimmung nicht empfehlenswert; sie ist meiner Meinung 
nach verfrüht. 

H. Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Runge • Göttingen dankt dem Vorstand für 
die Einladung, wodurch ihm, als Verfasser des Entwurfes des Preußischen 
Hebammenlehrbuches Gelegenheit gegeben, sich über die angefochtenen Be¬ 
stimmungen über die Verhütung und Bekämpfung des Kindbettfiebers in dem 
Hebammenlehrbuch zu äußern. Die Kommission, welche die Bestimmungen 
getroffen hat, war in einer üblen Lage. Man hatte gehofft, daß die Aus- 
führungsbestimmungen des Reichsseuchengesetzes für Preußen noch vor Er¬ 
scheinen des Hebammenlehrbuches durch den Landtag gehen würden. Da dies 
aber nicht geschah, wurde der Kommission die Basis, auf welcher sie arbeiten 
wollte, sozusagen in letzter Stunde entzogen, und man war genötigt, Be¬ 
stimmungen zu treffen, die nur einen vorläufigen Charakter haben sollten. 

Daß diese nicht allen Anforderungen genügen würden, war vorauszusehen, 
und eine Aenderung derselben dürfte sicher sein. Da die erste Auflage des 
Hebammenlehrbaches bis auf einen kleinen Rest vergriffen ist, so hat der Herr 
Minister bereits die Vorbereitungen zu einer zweiten Auflage getroffen. Da 
inzwischen das Seuchengesetz wohl durch das Herrenhaus gegangen sein 
wird, so hat die neue Kommission, die zur Bearbeitung der zweiten Auflage 
demnächst Zusammentritt, eine leichtere und dankbarere Aufgabe, zumal die 
Wünsche der Herren Medizinalbeamten in dem Vortrage des Herrn Kollegen 
Kr oh ne und in der Diskussion klar zum Ausdruck gekommen sind und die 
größte Beachtung verdienen. 

H. Kreisarzt Dr. Krohne - Düsseldorf: M. H. I Ich möchte zunächst 
meiner besonderen Freade darüber Ausdruck geben, daß wir heute Herrn Ge¬ 
heimrat Runge hier bei uns haben, und ich möchte ihm Dank sagen für seine 
Ausführungen, die uns zeigen, welchen entgegenkommenden Standpunkt er in 
dieser so ernsten Angelegenheit einnimmt. 

Ich komme nun noch einmal auf den Kardinalpunkt, den der Herr 
Geheimrat Guttstadt hier berührte,nämlich auf die Definition des Kind- 

3* 



36 


Diskussion zu dem Vor trage: 


bettfiebers! M. H., auch ich bin mir vollkommen darüber klar, daß die rich¬ 
tige Definition des Begriffes Kindbettfieber ein schwieriger Pnnkt ist, aber ich 

g laube denn doch nicht, daß die schwierigen Konsequenzen, die Herr Geheimrat 
•uttstadt befürchtet, mit der Annahme meines zweiten Leitsatzes eintreten 
werden. Wir müssen nun einmal diese Frage lösen, wir müssen vor allem 
praktische Arbeit schaffen; und wenn auch meine Definition anfechtbar ist, so 
ist sie doch die einzige Definition, mit der wir in Zukunft die Unterdrückung 
der Fieberanzeigen mit all ihrem Unglück verhüten können. Wenn wir eine 
solche Definition, wie ich sie Ihnen vorschlage, nicht finden, können wir 
solches Unglück in Zukunft jedenfalls nicht verhüten, und darauf kommt es 
doch hauptsächlich anl Ich weiss jedenfalls nicht, wie wir es augenblicklich 
anders machen sollen. Wir müssen und können nur sagen: Anzeigepflichtig 
ist jedes Fieber, bei dem ein Zusammenhang zwischen Fieber und vorange¬ 
gangener Entbindung nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann. Damit 
ist praktisch der Weg zu einer richtigen Kennzeichnung und Bekämpfung 
des Kindbettfiebers gegeben, und wir werden dann auch damit zum Ziele 
kommen. Das Ideal einer Definition des Wochenbettfieberbegriffes ist ja 
nicht erreicht, aber unter den gegenwärtigen Verhältnissen ist es nach meiner 
Ueberzeugunh doch des beste. Ich möchte Sie also dringend bitten, den Leit¬ 
satz anzunehmen. 

Nun noch einiges bezüglich der Fortbildungskursei Ich weiß wohl 
zu würdigen, daß die Sache Geld kostet — die ganze Hygiene ist ja eine Geld¬ 
frage — und wahrscheinlich werden die von mir gewünschten Fortbildungs¬ 
kurse auch daran scheitern, wenigstens in absehbarer Zeit. Vergessen wir 
aber nicht, daß wir so viel Geld ausgeben für allerlei andere schöne Dinge 
und für die Gesundheitspflege doch noch viel zu wenig! Die sechsmonatliche 
Ausbildungszeit ohne spätere Fortbildungskurse beibehalten zu wollen, fällt 
mir natürlich gar nicht ein; wir könnten aber die sechsmonatlichen Kurse bei¬ 
behalten, wenn wir alle 5 Jahre einen Fortbildungskursus für jede Hebamme 
hätten. Im Bezirk Düsseldorf haben wir etwa 1200 Hebammen. Ueber 600 
davon sind 45 Jahre alt, die würden plso schon fortfallen, es bleiben also noch 
ca. 600—700 Hebammen übrig, das würden für Fortbildungskurse 160 Heb¬ 
ammen sein pro Jahr; wenn nun je 10 Hebammen zu einem mehrwöchentlichen 
Kursus vereinigt würden, so würde sich in einem Jahre die Sache doch wohl 
machen lassen, wäre also doch nicht unausführbar. Die ganze Sache ist eben 
in erster Linie, das gebe ich zu, eine Geldfrage. 

Ich möchte nun noch einiges bemerken zu dem, was Herr Geheimrat 
Guttstadt sagte bezüglich der Zweifel an der Bichtigkeit meiner Statistik. 
Ich gebe ihm ohne weiteres recht, daß der eine oder andere meiner Kindbett¬ 
fieberfälle zweifelhaft sein mag, aber ich glaube doch, daß es sich da nur um 
ein Minimum handelt; denn eine genauere Statistik, als sie die Kreisärzte auf 
Grund der in jedem einzelnen Falle angestellten Ermittelungen uns liefern, 
können wir nicht haben, und auf diese Statistik der Kreisärzte muß ich mich 
im allgemeinen verlassen können. Ich meine, die große Masse meiner Zahlen 
läßt doch wohl gewisse Schlüsse zu, und wenn wir auch annehmen wollten, 
daß nur 95°/ 0 meiner Ziffern einwandfrei sind, so dürften die von mir daraus 
gezogenen Schlüsse doch im allgemeinen zutreffend sein. 

Bezüglich der Bewertung des Hebammenlehrbuches möchte ich mich 
im übrigen gern dem anschließen, was Herr Beg.-Bat Dütschke sagte. Es 
ist zweifellos, daß die Abfassung eines Hebammenlehrbuches eine Sisyphusarbeit 
ist, und wir können es nur anerkennend hervorheben, daß der Herr Verfasser 
des neuen Hebammenlehrbuches diesem eine so klare Diktion, eine so leicht 
verständliche Darstellung gegeben und die einzelnen Kapitel so trefflich aus¬ 
gewählt und angeordnet hat. 

Dann möchte ich noch kurz darauf eingehen, was hier gesagt worden ist 
über die Notwendigkeit der ärztlichen Leichenschau und die Schwierigkeit 
der Feststellung des Kindbettfiebers. Ich gebe die teilweise Bichtigkeit 
dessen zu, was Herr Geheimrat Guttstadt hierüber sagte, aber für den Haupt¬ 
punkt unserer Frage ist das nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Die Haupt¬ 
sache ist doch, daß die Erkrankungen gemeldet werdenI Wenn bei der 
Statistik der Todesfälle einmal ein Fehler unterläuft, so ist das doch nicht so 
schlimm, wenn nur wenigstens die Fälle, wo bei einer Wöchnerin Fieber vor- 



Die Verhütung und Bekämpfung des Kindbettfiebers. ST 

h&nden ist, rechtzeitig angemeldet und dann sofort die notigen Maßnahmen 
getroffen werden; das ist die HauptsacheI 

Nun noch weiter zu der Entschädigung für die Hebammen im 
Sinne des dritten Leitsatzes. Ich habe schon durchblicken lassen, daß es das 
beste wäre, Saspensionen der Hebammen gar nicht mehr vorzunehmen, und zwar 
schon deshalb nicht, weil eine Suspension wirklich rechtlichen Zweifeln unterliegen 
kann. Allerdings haben wir ja eine die Suspension der Hebamme anerkennende 
Beichsgerichts - Entscheidung, und die Bestimmung ist jetzt auch in das neue 
Seuchengesetz mit aufgenommen, so daß die Aufsichtsbehörde in Zukunft 
zweifellos berechtigt ist, die Tätigkeit der Hebammen auf einige Wochen 
zu suspendieren (Zuruf: aber nicht verpflichtet!). Nein, nicht verpflichtet, die 
Behörde ist nur berechtigt, die Suspension auszusprechen. Nun werden Sie 
mir doch zugeben, daß die Hebammen hierdurch gelegentlich an Einkommen 
geschädigt werden, und die Furcht vor dieser Schädigung ihres Einkommens, 
oder besser gesagt, die Furcht vor dem hier entscheidenden Kreisarzt ist eben 
bei mancher Hebamme so stark, daß sie lieber keine Fieberanzeige macht, als 
daß sie eine Suspension von ihrer Berufstätigkeit riskiert. Um den Hebammen 
diese Furcht zu nehmen, müssen wir unbedingt dahin kommen, sie zu ent* 
schädigen; wir könnten ja immer noch die Lücke offen lassen und sagen: 
Wenn die Hebamme sich nachlässig benommen hat, so kann man die Ent* 
Schädigung zurückhalten 1 

Ich möchte Sie also nach alledem und mit Bücksicht auf das, was in 
der Diskussion für meine Leitsätze gesagt ist,' bitten, die drei Leitsätze an¬ 
zunehmen. 

H. Beg.- u. Geh. Med.-Bat Dr. Guertler-Hannover: M. H.! Ich möchte 
doch glauben, daß wir zu der heutigen so wichtigen Frage bezüglich der Anzeige- 

I »flicht bei Kindbettfieber ganz bestimmte Stellung nehmen müssen. Im wesent- 
ichen entspricht das, was im Leitsatz 2 gesagt ist, dem was wir wünschen. 
Zwar scheint eine Anordnung, wonach die Entscheidung darüber, ob bei einer 
Erkrankung im Wochenbett Puerperalfieber oder Verdacht dafür vorliegt, dem 
behandelnden Arzte überlassen, und von dessen Bestimmung die Anzeigepflicht 
der Hebammen im allgemeinen abhängig gemacht wird, am nächsten zu liegen. 
Wir haben aber aus den verschiedenen Ausführungen gesehen, daß das prak¬ 
tisch zu Unträglichkeiten führt, und daß wir uns nach den früheren Be¬ 
stimmungen, die der Hebamme bei Erkrankung einer Wöchnerin an Kindbett¬ 
fieber, Gebärmutter- oder Unterleibsentzündung, oder einer als solche verdäch¬ 
tigen Krankheit unter allen Umständen die Anzeige beim Kreisärzte vor- 
schreiben, zurücksehnen. Wir werden deshalb gut tun, auf diese Bestimmung 
des alten Lehrbuches wieder zurückzugreifen. Das geschieht aber, wenn wir 
den Leitsatz 2 annehmen, in dem als anzeigepflichtig nicht allein die aus¬ 
gesprochenen, sondern auch die verdächtigen Fälle von Kindbettfieber bezeichnet 
werden. Ich möchte mich deshalb dafür aussprechen, den Leitsatz 2 in seiner 
jetzigen Fassung anzunehmen. 

Was den Leitsatz 3 anbetrifft, so ist ja das Bestreben, den Hebammen, 
die ihre Berufstätigkeit wegen eines in ihrer Praxis aufgetretenen Falles von 
Kindbettfieber unterbrechen müssen, eine Entschädigung zukommen zu lassen, 
gerechtfertigt. Die Frage, in welcher Weise und in welchen Fällen dies ge¬ 
schehen soll, erscheint mir aber durch die heutigen Verhandlungen noch nicht 
genügend geklärt. Ich möchte deshalb auch in Hinsicht auf das zu erwartende 
Ausführungsgesetz zum Beichsseuchengesetz und dessen Bestimmungen über 
zu gewährende Entschädigungen, vorschlagen, heute über den Leitsatz 3 noch 
keine Entscheidung zu treffen, sondern ihn dem Vorstande mit dem Ersuchen, 
den in der heutigen Versammlung zum Ausdruck gelangten Wünschen und An¬ 
sichten Bechnung zu tragen, zur weiteren Veranlassung und Behandlung in 
einer ihm geeignet scheinenden Weise zu überweisen. 

Da sieb niemand mehr znm Wort gemeldet hatte, schliesst 
der Vorsitzende die Diskussion nnd bringt die von dem Referenten 
aufgestellten Leitsätze znr Abstimmung. 

Leitsatz 1 wird ohne Widerspruch angenommen. 



88 


Dr. H&aae. 


Zu Leitsatz 2 stellt H. Kreisarzt Dr. Berger-Hannover 
folgenden Zusatzantrag: 

„Jeder Fall yon Fieber im Kindbett ist dem Kreisarzt anzuzeigen.“ 

Bei der darauf folgenden Abstimmung wird dieser Antrag 
abgelehnt und hierauf der Leitsatz 2 des Referenten an¬ 
genommen. 

Zu Leitsatz 3 beantragt H. Reg.- u. Geh. Med.-Rat Dr. 
Guertler-Hannover Ablehnung dieses Leitsatzes. 

Bei der Abstimmung wird dieser Antrag abgelehnt und 
danach Leitsatz 3 ebenfalls angenommen. 

(Panse.) 


Kurz nach 1 Uhr eröffnet der Vorsitzende wiederum die 
Sitzung und ersucht die Teilnehmer an den Besichtigungen, 
sich bald in die Listen einzuzeichnen, desgleichen zu der Fahrt 
nach Hildesheim. 

IV. Der preisslsehe Wnbnnngsgesetzentwurf vnm 
gesundheitliches Standpunkte. 

H. Med.-Rat Kreisarzt Dr. Haase - Danzig: M. H.! Bis 
zum Ende des 18. Jahrhunderts galt in Preussen die ganze An¬ 
lage und Erweiterung einer Stadt als eine öffentliche rechtliche 
Angelegenheit des Staates und war es bis ebendahin dem damals 
herrschenden Merkantilsystem gelungen, hohe Mietspreise und 
Wohnungsnot hintanzuhalten. Erst als im 19. Jahrhundert die 
Privatspekulation einsetzte, änderte sich dieser Zustand, während 
gleichzeitig das Bevölkerungsverhältnis zwischen Stadt und Land 
sich völlig verschob. Obwohl das Prinzip der uneingeschränkten 
Konkurrenz manche Fortschritte auf wirtschaftlichem Gebiete 
brachte, so waren doch damit auch grosse Nachteile verbunden, 
welche unter anderem in einem Übermässigen Entgegenkommen 
der Bauordnungen gegenüber der Spekulation in die Erscheinung 
traten. Indem der Preuss. Staat diese Nachteile erkannt hat und 
die sich daraus ergebenden Erfahrungen zunutze macht, knüpft er 
in dem beabsichtigten Gesetzentwurf an die weiter zurückliegende 
Vergangenheit wieder an und tritt mit einer zielbewussten Woh¬ 
nungspolitik an eine der schwierigsten und wichtigsten volkswirt¬ 
schaftlichen und sozialhygienischen Aufgaben des 20. Jahrhunderts 
entschlossen heran. 

Die Wohnungsfrage, darüber besteht kein Zweifel, nimmt 
immer dringender und umfänglicher die öffentliche Aufmerksam¬ 
keit in Anspruch, nicht zuletzt auch diejenige des Hygienikers. 
Vielfach, wenn es gilt, wirtschaftliche, sittliche und gesundheit¬ 
liche Missstände zu beseitigen oder zu bessern, stossen wir bei 
der Nachforschung nach deren Ursachen auf die Wohnungen als 



Der preußische Wohnungsgesetzentwarf vom gesundheitlichen Standpunkte. 89 

kausal mittätige Faktoren. Im Kampfe gegen den Alkohol, gegen 
die Geschlechtskrankheiten, gegen die übertragbaren Krankheiten 
überhaupt, gegen Unsittlichkeit und Verbrechen wird immer and 
immer wieder der Ruf nach besseren Wohnungen erhoben und die 
Ueberfüllung sowie gesundheitlich bedenkliche Beschaffenheit der 
vorhandenen Wohnungen als gefährlich für die nationale und in¬ 
dividuelle Gesundheit erkannt. Diese gesundheitlich bedenklichen 
Wohnungsverhältnisse betreffen vornehmlich die wirtschaftlich 
schwächeren, die minderbemittelten Berufsstände, welche auch 
sonst wegen der bescheideneren Aufwendungen für die Pflege des 
Körpers in der Erhaltung ihrer Gesundheit den wirtschaftlich 
Bessergestellten gegenüber im Nachteile sind. 

Aus dieser Erkenntnis heraus und zur Abschwächung be¬ 
ziehentlich Verhütung der dem Einzelnen wie der Staatsgemein¬ 
schaft drohenden Gefahren ist das Bestreben zur Besserung der 
wohnlichen Zustände der Minderbemittelten seitens vieler sozialer, 
wirtschaftlicher und hygienischer Interessenkreise auf die Tages¬ 
ordnung erhoben worden und von dieser nicht mehr ver¬ 
schwunden. Ich erinnere nur an die Verhandlungen des Deutschen 
Vereins für öffentliche Gesundheitspflege aus den letzten drei 
Jahrzehnten. Diese sowohl, wie die Bestrebungen anderer, ähnlich 
wirkender Vereine führten aber zu einem durchgreifenden und er¬ 
folgreichen Ergebnis nicht, ebensowenig wie die in gleicher Rich¬ 
tung sich bewegenden Versuche aus der Reihe grösserer Gemein¬ 
wesen. Wegen der fruchtlosen Anstrengungen privater und kom¬ 
munaler Kreise sah sich schliesslich bei dem Fortbestände der 
Wohnungsmisere der Staat genötigt, selbst helfend aufzutreten 
und die Materie für den Umfang der ganzen Monarchie zu regeln. 
So entstand der Wohnungsgesetzentwurf, welcher vor einiger Zeit 
bekannt gegeben ist. 

Wegen der ausserordentlich grossen Verschiedenheit hin¬ 
sichtlich des Klimas, der Wohlhabenheit, der Arbeits- und Erwerbs¬ 
verhältnisse, der Bevölkerungsdichtigkeit, der Sitten, Gebräuche 
und Gewohnheiten in den verschiedenen Provinzen der Monarchie 
ist es erklärlich und verständlich, dass ein die Wohnungsfrage 
umfassendes Gesetz sich im wesentlichen nur in allgemeinen 
Gesichtspunkten festlegen kann und die Einzelausführungen Sonder¬ 
polizeiverordnungen überlassen muss, d. h. nur ein Rahmengesetz 
sein kann, welches bestimmte, für das ganze Staatsgebiet anwend¬ 
bare Grundsätze und Mindestforderungen aufstellt. Und ein solches 
Gesetz bezweckt der neue Entwurf. Er greift hinein in die 
Boden- und Bauspekulation, in die Boden- und Baupolitik der 
Kommunen, in die Tätigkeit des Baugewerbes und besonders ein¬ 
schneidend in das Wohnungsvermietungsgewerbe. Gerade des 
letzteren Umstandes wegen hat er bereits manche Opposition aus 
den in Betracht kommenden Kreisen erfahren. Wir aber wollen 
unabhängig von spekulativen und Sonderinteressen allein vom 
gesundheitlichen Standpunkte den Entwurf einer Betrachtung 
unterziehen und dabei sine ira et Studio, keinem zu Liebe und 
keinem zu Leide verfahren. 



40 


Dr. Haue. 


Der Entwarf versucht zunächst die Wege zu bahnen fflr den 
vermehrten Ban von Kleinwohnungen, sodann diese so billig als 
möglich den Interessenten zu verschaffen und schliesslich auch die 
hygienischen Verhältnisse zn bessern. Er zerfällt in sechs Artikel, 
betreffend: I. Baugelände nnd Strassenkostenbeiträge; II. Bebau¬ 
ung der Grandstücke; III. Bau- und Grnndabgaben sowie Be¬ 
steuerung; IV. Benutzung der Gebäude; V. Wohnungsaufsicht; 
VI. Schluss- undUebergangsbestimmungen. Von diesen interessieren 
den Hygieniker am meisten Artikel IV (Benutzung der Gebäude) 
und Artikel V (Wohnungsaufsicht). Jedoch enthalten auch Artikel I 
(Baugelände und Strassenkostenbeiträge), sowie Artikel II (Be¬ 
bauung der Grundstücke) manche gesundheitlich nicht gleichgültige 
Neuerung. 

Artikel I — Baugelände und Strassenkostenbei¬ 
träge — trifft in bezug auf das Fluchtliniengesetz vom 2. Juli 
1875 einige wesentliche Aenderungen. Will man die Wohnungs- 
Verhältnisse bessern, so muss man dem Wohnungsbedürihis Rech¬ 
nung tragen. Das tut der neue Entwurf, indem er neben den 
bis jetzt im Fluchtliniengesetz allein zulässigen Rücksichten des 
Verkehrs, der Feuersicherheit und öffentlichen Gesundheit auch 
diejenige auf das Wohnungsbedürfnis zufügt und der Polizei¬ 
behörde die Handhabe gewährt, diesen Standpunkt mit Erfolg zu 
vertreten. Ferner war bisher nur eine hinter der Strassenflucht- 
linie nicht über 3 m zurückweichende Baufluchtlinie nachgelassen. 
Dieses Mass war nicht selten bereits wesentlich überschritten 
worden. Der Gesetzentwurf lässt zweckmässigerweise jede Mass- 
bestimmung hinsichtlich des Zurttckweichens der Baufluchtlinie 
fallen und sagt nur im allgemeinen: Aus besonderen Gründen 
kann eine hinter die Strassenfluchtlinie zurückweichende Bauflucht¬ 
linie festgesetzt werden. Im praktischen Sinne bedeutet dies, 
dass Raum für möglichst grosse Vorgärten geschaffen werden kann 
da, wo es der Polizeibehörde angezeigt erscheint. Da hiermit 
gleichzeitig eine Verbreiterung der Entfernungen zwischen den 
gegenübergelegenen Strassenfronten der Häuser ausgesprochen ist, 
wird auch die Versorgung der Wohnungen mit Licht nnd Lnft 
eine bessere und damit diese Bestimmung eine gesundheitlich 
nützliche sein. 

Ferner schreibt der Artikel I vor, dass bei der Aufstellung 
des Bebauungsplanes auch genügend zahlreiche und grosse freie 
Plätze für gärtnerische Anlagen, zu Spiel- und Erholungszwecken 
vorgesehen werden. Diese Plätze haben für grössere Städte die 
Bedeutung von Luftreservoiren, deren Luft durch keine .an Ort 
und Stelle befindliche industrielle Anlagen verunreinigt wird und 
daher möglichst rein in die einmündenden Strassen und deren 
Häuser mit Wohnungen abfliessen kann. Ferner ist nicht zu ver¬ 
gessen, dass eine, wenn auch nur bescheidene Baum-, Str&uch- 
und Pflanzenvegetation auf Plätzen und Strassen für den Stadt¬ 
bewohner von erheblichem gesundheitlichen Werte ist, da sie wohl¬ 
tuend und beruhigend auf Auge und Gemüt einwirkt. Die Anlage 
von Spielplätzen zieht die Kinder von der Strasse fort und wird 



Der preußische Wohlrangsgesetzentwurf vom gesundheitlichen Standpunkte. 41 


so die Häufigkeit der durch den Verkehr bedingten Unfälle herab¬ 
mindern. Wünschenswert für die Erhaltung dieser als „Stadt¬ 
lungen“ wichtigen Plätze wäre eine Bestimmung im Gesetzentwurf, 
dass dieselben später nicht etwa durch Bebauung verkleinert 
werden dürfen. Wir sehen diesen Vorgang in manchen Gross¬ 
städten, welche Luftplätze durchaus nötig haben, in hygienisch 
allzunachgiebiger Weise unter dem Drucke finanzieller Schwierig¬ 
keiten sich entwickeln, um durch Hergabe von Bauterrain Kapital 
zu gewinnen. — Auch dass Baublöcke von geringerer Tiefe nur 
für Wohnzwecke und Strassen von geringerer Breite als sog. 
Wohnstrassen (im Gegensatz zu den Verkehrsstrassen) vorgesehen 
werden können, wenn die Rücksicht auf das Wohnungsbedürfnis 
es verlangt, ist eine gesundheitlich unterstützende Bestimmung. 
Es kann dadurch dem Bauen von Hinterhäusern und der über¬ 
mässigen Ausnützung des Hofterrains ein Riegel vorgeschoben und 
so der Spekulation die Möglichkeit genommen werden, diese 
Terrains auf Rechnung der Mietspreise abnorm in die Höhe zu 
treiben. Nützlicher wäre allerdings die Zulassung einer rück¬ 
wärtigen Baufluchtlinie für Baublöcke zu Wohnzwecken, 
durch welche das Bebauen des Hofterrains über eine gewisse 
rückwärtige Grenze hinaus ausgeschlossen und die Schaffung von 
grossen Hofluftschachten, vielleicht mit Gartenanlagen in der 
Mitte, als Luftreservoire für die Hinterräume der Wohnhäuser er¬ 
möglicht wäre. Gerade die Belüftung dieser Räume ist in alten 
Städten wegen zu dichter und umfänglicher Bebauung der Boden¬ 
grundfläche in einwandfreier Weise nicht möglich und daher die 
Entstehung ähnlicher Zustände in modernen Wohngegenden unter 
allen Umständen zu vermeiden. Die Festsetzung einer rück¬ 
wärtigen Baufluchtlinie würde den Bau von jetzt leider so viel 
angelegten Hof- und Quergebäuden und damit eine abnorme Aus¬ 
nützung des Bauterrains unmöglich machen und der ungesunden 
Preissteigerung des Bodens entgegenwirken. 

Weiter sieht der Entwurf die rechtzeitige Erschliessung 
von Baugelände zu Wohnzwecken und die Fertigstellung 
von Ortsstrassen vor, wodurch in umsichtiger Weise die Fragen 
der Wasserversorgung, der Abwässerung und Beleuchtung bei 
Zeiten geregelt werden können. 

Schliesslich sucht der Artikel I das Kapital und die Baulust 
gerade für solche Wohngebäude zu mobilisieren, welche minder¬ 
bemittelten Familien gesunde und zweckmässig eingerichtete 
Wohnungen bieten sollen, indem für solche Gebäude die Strassen- 
kostenbeiträge nur zu einem Teile und zwar höchstens zu drei 
Vierteln erhoben werden sollen. Diese Erleichterung soll einen 
Anreiz gerade für den Bau solcher Wohnungen für Minderbemittelte 
abgeben, für welchen wegen des öfteren Wechsels der Mieter, der 
grösseren Abnutzung der Gebäude und des eher zu besorgenden 
Ausfalles der Miete nicht überall und zu allen Zeiten besondere 
Neigung besteht. Vom sozialhygienischen Standpunkte ist diese 
finanzielle Erleichterung des reichlicheren Bauens von Wohnungen 
für Minderbemittelte als gerechtfertigt und verständig anzuerkennen. 



42 


Dr. Haase. 


Der Artikel II — Bebauung der Grundstücke — 
sieht vor, dass nunmehr durch die Bauordnungen, welche seitens 
der Polizeibehörden im Rahmen des Gesetzes erlassen werden, die 
bauliche Ausnutzbarkeit der Grundstücke nach Zonen 
festgesetzt werden kann mit dem Charakter der geschlossenen, offenen 
oder gemischten Bauweise, wodurch besonders in der Peripherie der 
Städte Wohngebäude mit wenigen Stockwerken und reichlichem 
Luft- und Lichtzutritt geschaffen werden können. Ebenso wichtig 
ist die Anordnung, dass Industrie- und Gewerbebetriebe ans 
gewissen Ortsteilen, Strassen und Plätzen ganz verwiesen werden 
können, wenn sie durch Verbreitung übler Dünste, durch starken 
Rauch oder ungewöhnliches Geräusch Gefahren, Nachteile oder 
Belästigungen für die Nachbarschaft oder das Publikum überhaupt 
herbeizuführen geeignet sind. Es gibt diese Möglichkeit bau¬ 
polizeilicher Anordnung die Handhabe zur Schaffung gesonderter 
Industrie- und Wohnviertel und zeigt den Weg, die mit 
schädlichen oder lästigen Einwirkungen auf die Umgebung ver¬ 
bundene Industrie weit nach draussen an die Grenzen des Gemein¬ 
wesens zu verweisen und so die Innenbezirke davon zu säubern. 
Wer Erfahrungen über die gesundheitsgefährdenden Einwirkungen 
hat, welche aus dem Bestehen industrieller oder kleingewerblicher 
Anlagen inmitten geschlossener Häuserblocks besonders in alten, 
engen Stadtteilen resultieren, wer ferner weiss,wie schwer es unter 
Umständen ist, solche Anlagen zu beseitigen, wird diese von einer 
einsichtigen Gemeindeverwaltung prophylaktisch wahrzunehmende 
hygienische Bevollmächtigung gern begrtissen. Auch die weitere 
Bestimmung, dass durch die örtliche Bauordnung der Verputz und 
Anstrich oder dieAusfugung der vornehmlich Wohnzwecken die¬ 
nenden Gebäude geregelt werden kann, ist von gesundheitlichem 
Wert. Wer häufig Untersuchungen über die Bewohnbarkeit von 
zum Aufenthalt von Menschen bestimmten Räumen vorzunehmen 
Gelegenheit gehabt bat, wird in Uebereinstimmung mit den von 
mir in meiner Abhandlung über gesundheitswidrige Wohnungen 1 ) 
niedergelegten Erfahrungen die Beobachtung gemacht haben, dass 
durch mangelhaften oder fehlenden Verputz oder ebensolche Aus- 
fugung Wohnungen gesundheitsgefährdende Eigenschaften gewinnen 
können. Das Bauhandwerk nimmt hiervon keine Kenntnis, be¬ 
streitet vielmehr nach meiner persönlichen Erfahrung direkt den 
Nutzen von Mauerverputz. Auch ein greller Farbenanstrich von 
Wandflächen ist imstande, bei Sonnen- oder heller Tagesbeleuch¬ 
tung das Sehorgan der Bewohner von Räumen, welche auf von 
solchen grell beleuchteten Wänden reflektiertes Licht angewiesen 
sind, empfindlich zu erregen und durch Hervorrufung nervöser 
Störungen die Gesundheit zu gefährden. 

Der Artikel III, betreffend Bau- und Grundabgaben 


*) „Gesundheitswidrige Wohnungen und deren Begutachtung vom Stand¬ 
punkte der öffentlichen Gesundheitspflege und mit Berücksichtigung der deut¬ 
schen Reichs- nnd preußischen Landesgesetzgebung.“ Berlin 1905. Verlag von 
Julius Springer. 



Der preußische Wohnungsgesetzentwarf vom gesundheitlichen Standpunkte. 43 

sowie Besteuerung, hat für den Hygieniker eine unmittelbare 
Bedeutung nicht. 

Dagegen ist der Artikel IY von erheblicher Wichtigkeit, 
welcher im wesentlichen allgemeine Vorschriften über die 
Benutzung von Gebäuden zum Wohnen und Schlafen als 
sog. Wohnungsordnung zu seinem Inhalt hat. Der Entwurf 
bestimmt im § 1, dass fftr Gemeinden und Gutsbezirke mit mehr 
als' 4 10000 Einwohnern solche Wohnungsordnungen erlassen werden 
mft88en, für kleinere Gemeinden und Gutzbezirke dagegen nur 
erlassen werden können. Diese Unterscheidung der Gemeinden 
und Gutsbezirke nach der Einwohnerzahl lässt sich bezüglich der 
kleineren Gemeinwesen unter 10 000 Einwohnern durch hygienisch 
bessere Verhältnisse nicht begründen. Man darf daraus nicht 
etwa den Schluss ziehen wollen, dass in den kleineren Städten, 
Dörfern und Gutsbezirken von 10000 Einwohnern abwärts die ge¬ 
sundheitlichen Verhältnisse hinsichtlich der Anlage und Beschaffen¬ 
heit der Wohnungen befriedigendere wären als in den grösseren 
Plätzen. Wer die Verhältnisse in Stadt und Land, im Osten und 
Westen, im Norden und Süden unseres Vaterlandes kennt, weiss, 
dass das Land im Durchschnitt keineswegs günstiger bezüglich 
der Wohnungszustände der Minderbemittelten steht. Die fakulta¬ 
tive Ueberlassung der Aufstellung einer Wohnungsordnung hiesse 
daher die gesundheitlichen Zustände kleinerer Städte und des 
Landes, welche sowieso nicht an diejenigen der aus eigener Ini¬ 
tiative hygienisch vorwärtsstrebenden grösseren Städte heran¬ 
reichen, willkürlich und ohne hinreichenden Grund in der auch 
ihnen notwendigen Entwicklung aufhalten. Man rühmt dem Lande 
immer die freie Umspülung seiner Wohnstätten mit reichlich Licht 
und reiner Luft nach, vergisst aber dabei, dass nicht nur Er¬ 
wachsene und Gesunde auf dem Lande wohnen, sondern auch 
Kinder, Alte, Gebrechliche und Kranke, dass diese den grösseren 
Teil des Jahres wegen des rauhen Klimas im Freien sich nicht 
aufhalten können und dass Licht und Luft wegen mangelhafter 
baulicher Anlage und Einrichtung der Wohnungen nicht ungehindert, 
letztere oft nur durch den Hausflur in diese eindringen können. 
Daher ist vom gesundheitlichen Standpunkte die einheitliche Be¬ 
handlung der Wohnungsverhältnisse auf dem Lande, in kleinen und 
grossen Städten darch die gleichmässige Einreihung in die Woh¬ 
nungsordnung zu befürworten und dies um bo unbedenklicher, als 
im § 10 von den Ortspolizeibehörden zuzulassende Ausnahmen 
genügend vorgesehen sind. Dasselbe gilt auch für die Be¬ 
stimmung, dass die Wohnungsordnungen den in den §§ 3 bis 10 
niedergelegten Mindestforderungen entsprechen müssen. Wenn im 
§ 3 ausgesprochen wird, dass als Wohn- und Schlafränme, auch 
Küchen nur solche Räume benutzt werden dürfen, welche zum 
dauernden Aufenthalte von Menschen baupolizeilich genehmigt 
sind, so ist hier zunächst zwecks Verhütung späterer missbräuch¬ 
licher Benutzung von Räumen zu wünschen, dass die als bewohn¬ 
bar zagelassenen Räume im Baukonsens ausdrücklich und unzwei¬ 
deutig als solche namhaft gemacht werden. 



44 


Dr. Haase. 


Der § 4 der Wohnungsordnung bestimmt, dass Ißetswoh* 
nungen folgenden Anforderungen genügen müssen: 

,1. Die Wohn- und Schlaf räume, auch Küchen dürfen nicht baulich 
verwahrlost und nicht in gesundheitsschädlicher Weise feucht »an; sie muasen 
einen durch keine fremden Wohn- oder Schlafräume (auch Küchen) funren en, 
verschließbaren Zugang haben. . . 

2. Wohnungen für eine gemeinschaftliche Haushaltung von zwei o<i 
mehr Personen (Familienwohnungen) müssen eine den ortsüblichen Anforderungen 
entsprechende eigene Kochstelle, einen eigenen, verschließbaren Abort nnd, so¬ 
weit in dem Gebäude Kanalisation oder Wasserleitung eingerichtet ist, einen 
eigenen Ausguß und einen eigenen Wasserhahn besitzen. 

3. Die Wohn- und Schlafräume (auch Küchen) müssen insgesamt den 
Bewohnern soviel Baum bieten, daß auf jede Person mindestens 10 cbm Lult- 
raum und 4 qm Bodenfläche entfallen; für Kinder unter 10 Jahren Können 
geringere Anforderungen festgesetzt, auch kann vorgesehen^ werden, daö 
infolge der Geburt oder des Heranwachsens von Kindern während der llauer 
des Mietsverhältnisses cintretende Erhöhung des erforderlichen Mindestluit- nm 
Mindestflächenraumes außer Betracht bleibt. 

4. Die Wohnung muß so viel Räume enthalten, daß, abgesehen von üJie- 
paaren, die über 14 Jahre alten Personen nach dem Geschlecht® getrennt in 
besonderen Bäumen schlafen können.“ 

Diese Bestimmungen wären, wenn sie zum Gesetz erhoben 
würden, vom gesundheitlichen Standpunkte mit Freuden zn be- 
grüssen, weil dann alle die jetzt noch zum Wohnen benutzten 
Spelunken verschwinden oder durch Vorschriften]ässigen Umban 
gebessert werden würden. Die Forderungen eines gesonderten 
Zugangs, einer eigenen Kochstelle, eines eigenen verechliessbaren 
Aborts und zutreffendenfalls einer eigenen Wasserzapfstelle und 
eigenen Ausgusses sind von wesentlicher sanitärer Bedeutung. Im 
Kampfe gegen die übertragbaren Krankheiten müssen wir zwecks 
Verhütung ihrer Weiterverbreitnng die peinliche Absonderung der 
Kranken und der dieselben Räume mit ihnen teilenden Umgebung 
verlangen, ebenso das Fernhalten der letzteren, soweit zutreffend, 
von Schul- nnd Konfirmandenunterricht, von beruflicher Betätigung, 
vom öffentlichen Verkehr, können aber bei den jetzigen Wohnnngs- 
verhältnissen häufig nicht hindern, dass Scharlach, Masern, Diph- 
theritis, Ruhr, Darmtyphus usw. wegen gemeinsamen Wobnnngs- 
zugange8, gemeinsamer Benutzung von Küche und Abort von den 
Angehörigen einer Familie auf solche einer anderen übertragen 
werden. Was helfen alle Absperrungsmassnahmen, wenn die 
Menschen zur gemeinsamen Benutzung von Küche und Abort durch 
solche Wohnungen gezwungen werden! — Befindet sich noch 
dazu das Kloset in der Küche selbst, vielleicht sogar in nächster 
Nähe des Kochherdes, dann wächst das gesundheitliche Bedenken 
zur Gesundheitsgefahr. Wiederholt konnte ich in solchen ab¬ 
normen Fällen beobachten, dass Ess- und Kochgeräte wegen 
Mangel an Raum oder bequemer Lage des offenstehenden Klosets 
anf die Sitzpl&tte des letzteren gelegt resp. gestellt wurden. Aus 
diesen Gründen werden wir vom gesundheitlichen Standpunkte 
nicht nur einen eigenen Abort befürworten, sondern dem Entwurf 
den Znsatz hinznfügen, dass dieser Abort ansserhalb der Küchen 
nnd ohne unmittelbaren Zusammenhang mit Wohn- nnd Schlaf¬ 
räumen belegen sein muss. 



Der preaßUehe Wohnangsgesetzentwarf 70 m gesundheitlichen Standpunkte. 45 


Die im Entwarf zum Ansdrack gebrachten Eigenschaften 
einer ungeeigneten Wohnungsbeschaffenheit (Verwahr¬ 
losung und gesundheitsschädliche Feuchtigkeit) sind nicht er¬ 
schöpfend genug. Es gibt noch eine ganze Anzahl anderer ge¬ 
sundheitsschädlicher Momente, welche die Bewohnbarkeit in Frage 
stellen, z. B. Luftverderbnis ans gesundheitlich nachteiliger Be¬ 
schaffenheit der Wohnung selbst (durch Zersetzungen im Fehl¬ 
boden, reichliche Schimmelbildung, Hausschwamm, gasige Ema¬ 
nationen aus fehlerhaft angelegten Aborten usw.), ferner Ungeziefer, 
fehlende Verbindung mit der Aussenluft, mangelhafte oder fehlende 
Belichtung, Infektiosität wegen Benutzung als Aufenthaltsranm 
für ansteckende Kranke durch die vorgängigen Bewohner, fehler¬ 
hafte bauliche Beschaffenheit nnd Anlage u. dgl. mehr. Um alle 
diese gesundheitsgefährdenden Möglichkeiten unter der Ziffer 1 
des § 4 im Artikel IV zu berücksichtigen, empfiehlt es sich, in 
Uebereinstimmung mit den rechtlichen Festlegungen des allgemeinen 
Landrechts (im Teil II, Titel 17, § 10) und des § 544 Bürger¬ 
lichen Gesetzbuches als untauglich zum Bewohnen alle diejenigen 
Wohnungen zu bezeichnen, welche in einem verwahrlosten oder 
die Gesundheit gefährdenden Zustande sich befinden; dann würden 
auch viele Kellerwohnungen verschwinden. Diese Feststellung zu 
machen, wäre Aufgabe der im Artikel V vorgesehenen Wohnungs- 
aufseher. 

Der uns noch interessierende § 4 des Artikel IV stellt 
gewisse Mindestforderungen an Luftmass und Boden¬ 
fläche (10 cbm nnd 4 qm) für den Bewohner fest, eine Nor- 
miernng, welche wir für genügend erachten können. Der Bedarf 
an Ventilationsquantum beträgt für den Erwachsenen pro Stunde 
32 cbm Frischluft, das ergibt bei zweimaligem Luftwechsel in 
der Stunde jedesmal 16 cbm. Dieser LufWechsel erfolgt durch 
freiwilliges Oeffnen von Türen nnd Fenstern oder durch die luft¬ 
durchlässige Beschaffenheit der uns umgebenden Wohnungsflächen. 
Da die Menschen sich aber nicht andauernd und nicht immer in 
gleicher Zahl in demselben Wohn- oder Schlafraume aufhalten, ist 
das Luftmass mit 10 cbm als hinreichend zu erachten. Dagegen 
ist die zahlenmässige Festlegung von mindestens 10 cbm Luft¬ 
raum und mindestens 4 qm Bodenfläche nicht geeignet, einer za 
geringen Höhe der Räume entgegenzutreten und die in manchen 
Gressstädten, z. B. Berlin, Danzig, bestehenden Hängeböden und 
Zwischenetageh (Entresols) zu beseitigen. Soll z. B. ein von 
einer Person benutzter Raum 10 cbm Luftinhalt haben, so ist 
dies bei vorhandener reichlicher Bodenfläche möglich, z. B. bei 
5 qm bezw. 6 qm Bodenfläche und 2 bezw. 1,67 m Höhe. Dass 
diese Höhe aus hygienischen Gründen zu gering ist, leuchtet ohne 
weiteres ein. Deshalb ist den Mindestforderungen für Luftraum 
nnd Bodenfläche pro Person hinzuzufügen eine Mindestforderung 
von nicht unter 2,5 m Raumhöhe. Diese Höhe gewährleistet, dass 
sich die Personen jederzeit aufrecht in dem Raume bewegen 
können, dass eine zweckmässige Anbringung der Fensteröffnungen 
möglich ist nnd dass alle unter dieser Höhe befindlichen zur 



46 


Dr. Haase. 


Zeit benutzten Wohnräume von der Bildfläche verschwinden 
würden. 

Die gleichen Anforderungen hinsichtlich der Grösse und 
gesundheitszuträglichen Beschaffenheit werden auch für die 
Schlafräume der Dienstboten und Gewerbegehilfen sowie der Ein¬ 
logierenden gestellt, desgleichen für die zum Wohnen besonders 
vermieteten oder weitervermieteten Teile einer ursprünglich nur 
für eine Familie bestimmten Wohnung. Es ist dieser Vorschlag 
von erheblicher gesundheitlicher Tragweite, da gerade die Räume 
für die Dienstboten und Gewerbegehilfen fast durchweg unzuläng¬ 
liche sind, während der Dienstberechtigte nach § 618 B. G. B. 
gehalten ist, für den Dienstverpflichteten in Ansehung des Wohn- 
und Schlafraumes diejenigen Einrichtungen und Anordnungen zu 
treffen, welche mit Rücksicht auf die Gesundheit und Sittlichkeit 
erforderlich sind. 

In § 10 des Artikels IV wird die Zulassung von Ausnahmen 
hinsichtlich der Einführung von Wohnungsordnungen, der Koch¬ 
stellen und Aborte, der Schlafräume der Zimmermieter und der 
Räume für die Familienangehörigen, Dienstboten und Gewerbe¬ 
gehilfen vorgesehen, eine Rücksicht, welche während der Ueber- 
gangsjahre sicher wohlwollend empfunden werden wird, aber nicht 
zu weitgehend sein darf. 

Im § 11 wird die Zulässigkeit von Polizei-Verordnungen, 
betreffend gesundheitliche Massnahmen zur Unterbringung von 
Arbeitern, (Sachsengängern, Schnittern, Industriearbeitern) zum 
Ausdruck gebracht. 

Der Artikel V behandelt die Wohnungsaufsicht. Diese 
bleibt, unbeschadet der allgemeinen gesetzlichen Befugnisse der 
Ortspolizeibehörden, im Einzelfalle einzuschreiten, dem Gemeinde¬ 
vorstand überlassen. Derselbe hat sich von den Zuständen im 
Wohnungswesen fortlaufend Kenntnis zu verschaffen, auf die 
Fernhaltung und Beseitigung von Missständen sowie auf die 
Verbesserung der Wohnungsverhältnisse, namentlich der Minder¬ 
bemittelten, hinzuwirken und die Befolgung der Vorschriften 
der Wohnungsordnung zu überwachen. Zur Durchführung dieser 
Aufgaben sollen für Gemeinden mit mehr als 100000 Einwohnern 
Wohnungsämter errichtet werden; für kleinere Gemeinden kann 
durch Anordnung der zuständigen Minister gleichfalls die Errich¬ 
tung von solchen oder die Anstellung von vorgebildeten, beamteten 
Wohnungsaufsehern bestimmt werden. Im übrigen interessiert 
dieser Artikel uns nicht. Hervorzuheben ist nnr noch aus § 5 
die Bestimmung, dass den Regierungspräsidenten zur Ausübung 
der Aufsicht über die Tätigkeit der Gemeinde- und Ortspolizei¬ 
behörden, soweit sich dazu ein Bedürfnis ergibt, besondere Woh¬ 
nungsaufsichtsbeamte beizugeben sind. Hierbei erscheint es 
nicht überflüssig, zu bemerken, dass diese Beamten hygienisch vor¬ 
geschult sein müssen und nicht etwa rein technische Bau- oder 
Gewerbebeamte allein sein dürfen. Desgleichen sollen die mit 
der Wohnungsaufsicht betrauten Personen in geeigneter Weise 
vorgebildet sein; denn es sind gerade bezüglich der gesundheit- 



Der preußische Wohnungsgesetzentwarf vom gesundheitlichen Standpunkte. 47 


liehen Bewertung von Wohnungen eine Menge Gesichtspunkte zu 
berücksichtigen, welche nicht ohne weiteres selbstverständlich oder 
naheliegend sind, sondern sich aus, wenn auch einfacher, so doch 
wissenschaftlicher hygienischer Vorbildung und Ueberlegung er¬ 
geben. Diese Vorbildung könnte etwa in ähnlicher Weise geschehen 
wie diejenige der Desinfektoren an den Desinfektorenschulen. 
Für kleinere Gemeinwesen würden sich auch die Gesundheits- 
kommissionen als geeignete Aufsichtsstellen empfehlen, da in ihnen 
der beamtete Arzt als Hygieniker sein Wissen und seine Er¬ 
fahrung zur Verfügung stellen kann. 

Soll die Absicht des Entwurfs, nicht nur den Wohnungs¬ 
mangel zu bekämpfen, sondern auch gesunde Wohnungen für die 
Minderbemittelten zu schaffen, sich erfüllen, dann ist vor allem 
notwendig, zu verhüten, dass nicht gesundheitlich zu beanstandende 
Wohnungen von neuem errichtet werden. Dies ist nur möglich 
durch eine gründliche Revision der Bauordnungen, nicht aber 
allein durch Juristen und Bausachverständige, sondern vornehmlich 
unter Mitwirkung der Hygieniker. Das heutige Bauhand¬ 
werk baut meist nur unter den Gesichtspunkten der Standfestig¬ 
keit, Feuersicherheit und Rentabilität; es macht sich kein Nach* 
denken über die Einwirkung der von ihm geschaffenen Wohnräume 
auf die Gesundheit der Bewohner. Wer viel mit diesen Dingen 
zu tun hat, ist erstaunt, wie durch bauliche Mängel in der An¬ 
lage der Gebäude und Verteilung der Räume sich bei deren 
gemeinüblichen Benutzung gesundheitsgefährdende Zustände ent¬ 
wickeln. Wie den meisten Menschen durch die ihnen aufge¬ 
drungene Gewohnheit, so ist auch gerade den Angehörigen des 
Bauhandwerks die Vorstellung noch eine fremde, dass der Bau 
und die Anlage des modernen Wohnhauses unter ernster Berück¬ 
sichtigung gesundheitlicher Gesichtspunkte vor sich gehen muss, 
denen diejenigen der Standfestigkeit und Feuersicherheit nicht 
über-, sondern nebengeordnet sein sollen. Mit der Anerkennung 
dieser Forderung wird die Rückständigkeit in dem Bau gesunder 
Wohnhäuser aufhören. Solche lassen sich mit demselben Bau¬ 
material, mit derselben Arbeitsleistung, demselben Baukapital und 
derselben Bauzeit aufführen, wie gesundheitlich von vornherein 
falsch angelegte. Daher hygienisch bessere Ausbildung der Bau¬ 
techniker und Bauhandwerker und vermehrte Berücksichtigung 
der Hygiene in den Bauordnungen! 

Es war vorauszusehen, dass dieser Entwurf vor den Augen 
der Hauseigentümer wenig Gnade finden würde. Der Hausbesitzer, 
soweit er Vermieter ist, hat im Durchschnitt das vornehmste In¬ 
teresse an möglichst hohen Mietserträgen; wie die von ihm an 
andere überlassenen Wohnräumlichkeiten auf die Gesundheit der 
Bewohner einwirken, ist ihm mehr oder weniger gleichgültig. 
Ihn hier vor unliebsamen, auch jetzt schon durch das allge¬ 
meine Landrecht und Bürgerliche Gesetzbuch zulässigen Klagen 
auf Schadenersatz zu schützen, ist Aufgabe der hygienisch 
besser zn schulenden Bantechnik. Ein Gleiches wird der Ge¬ 
setzentwurf tun, indem die Wohnungsaufsicht derartige gesund- 



48 


Dr. Hasse. 


heitlich za beanstandende Wohnungen auffinden und die Woh¬ 
nungsordnung sie so verbessern wird, dass sie sowohl dem 
zukünftigen Wohnungsgesetze, wie dem Allgemeinen Landrecht 
und Bürgerlichen Gesetzbuch genügen. Die Hausbesitzer werden 
unter der Aera des neuen Gesetzes ruhigere Zeiten erleben und 
viele Unannehmlichkeiten sowie finanzielle Schädigungen, welche 
sie jetzt haben können, nicht erfahren. Wie wenig Verständnis 
aber für gesundheitliche Fragen in diesen Freisen vorhanden ist, 
geht aus der Resolution hervor, welche der Generalsekretär des 
Berliner Bundes auf dem 8. Verbandstage städtischer Haus- und 
Grundbesitzer vereine am 19. März 1905 in Berlin zur Annahme 
empfahl. In dieser Resolution, in welcher die Verbesserung der 
Wohn Verhältnisse als erstrebenswertes Ziel, der vorliegende Gesetz¬ 
entwurf zur Erreichung desselben aber für ungeeignet erachtet 
wird, wurde zunächst bemängelt, dass das Gesetz eine rück¬ 
wirkende Kraft, welche für die Beseitigung der zahlreich bestehen¬ 
den gesundheitlichen Missstände doch so überaus heilsam und not¬ 
wendig ist, haben sollte, ferner, dass für jede Familienwohnung 
ein eigener Abort, eine eigene Kochstelle und ein eigener Ausguss 
vorhanden sein soll. Es erübrigt, hierüber vom Standpunkte des 
Hygienikers ein Wort zu verlieren; ich habe mich schon vorher 
darüber geäussert. Der Schlusssatz der Resolution, dass eine Ver¬ 
besserung der Wohnverhältnisse zweckmässig nur unter Mitwir¬ 
kung der städtischen Hausbesitzer in die Wege geleitet und durch¬ 
geführt werden kann, hat insofern Recht, als die Hausbesitzer 
zutreffendenfalls mit ihren Mietshäusern dabei beteiligt sein müssen, 
gibt aber im übrigen unter Berücksichtigung der Erfahrungen 
aus dem verflossenen Jahrhundert zu begründeten Zweifeln Ver¬ 
anlassung, weil alle privaten und Vereinsbestrebungen bisher nur 
vereinzelt und lokal etwas geholfen, allgemeine Fortschritte für 
das Wohnungswesen aber nicht gezeitigt haben. Daher ist es so 
richtig, dass der Staat eingreifen will und ähnlich wie bei anderen 
Gewerben, z. B. bei denjenigen mit Herstellung, Aufbewahrung 
und Verkauf von Nahrungsmitteln betätigten, jetzt auch das Woh¬ 
nungsvermietungsgewerbe beaufsichtigen und die zahlreichen schäd¬ 
lichen Auswüchse desselben beschneiden will. Wer Mietswoh- 
nungen zum Zwecke des Erwerbs errichtet, feilbietet und an 
andere überlässt, soll jetzt nicht mehr blos Standes- und feuer¬ 
sicheren, sondern auch gewissen gesundheitlichen Anforderungen 
genügen. Einsichtige, die Gesundheit ihrer Mitmenschen ihrem 
Geldbeutel nicht skrupellos unterordnende Staatsbürger werden 
die Berechtigung des staatlichen Eingreifens anerkennen und den 
Gesetzentwurf als wohltätigen Ordner gesundheitlich ungeordneter 
Verhältnisse begrüssen. 

Die Annahme dieses grosszügigen Entwurfs als Gesetz würde 
für Preussen nicht nur einen wesentlichen hygienischen, sondern 
auch kulturellen Fortschritt bedeuten, und diejenigen, welche sich 
mit der Prüfung desselben an verantwortlicher Stelle zu befassen 
haben werden, werden diese Prüfung nicht nur unter dem Ge¬ 
sichtswinkel des praktischen Bedürfnisses, sondern auch von einem 



Der preußische Wohnungsgesetzentwurf vom gesundheitlichen Standpunkte. 49 


erhöhten sittlichen Standpunkte vorzunehmen haben, um unter 
Zurückdrängung selbstsüchtiger und materieller Erwägungen der 
körperlichen und geistigen Gesundheit ihrer minderbemittelten 
Nächsten zum Rechte zu verhelfen. 

M. H.! Ich bin am Ende meiner Ausführungen und möchte 
das Ergebnis der hygienischen Betrachtungen über den Wohnungs¬ 
gesetzentwurf in folgende Leitsätze zusammenfassen: 

1. Der preussische Wohnungsgesetzentwurf bedeutet einen 
einschneidenden sozialhygienischen Fortschritt. Seine Annahme als 
Gesetz ist vom gesundheitlichen Standpunkte wünschenswert, da 
er geeignet ist, die wesentlichen, zur Zeit vorhandenen gesund¬ 
heitlichen Missstände im Wohnungswesen zu beseitigen. 

2. Um die Errichtung neuer, die Gesundheit der Bewohner 
gefährdender Wohnräume zu verhüten, ist es notwendig, dass die 
Angehörigen der Bautechnik und des Bauhandwerks neben ihrer 
spezialtechnischen auch die erforderliche hygienische Vorbildung 
erfahren und dass bei der Abfassung von Bauordnungen ausser 
dem Juristen und Techniker auch der Hygieniker gleichwertig 
beteiligt wird. 

3. Es ist wünschenswert, in das Gesetz nachfolgende Zu¬ 
sätze bezw. Aenderungen aufzunehmen: 

a. Oeffentlich angelegte oder im Stadtbebauungsplan vorge¬ 
sehene Plätze dürfen durch spätere Bebauung nicht 
verkleinert werden. 

b. Um die Errichtung von Hofwohnungen möglichst einzu¬ 
schränken und möglichst grosse Hoflufträume innerhalb 
geschlossener Baublocks zu gewährleisten, ist die Fest¬ 
setzung einer rückwärtigen Baufluchtlinie eistrebenswert. 

c. Die zu Wohn- und Schlafzwecken, auch Küchen zugelassenen 
Räume sind im Baukonsens ausdrücklich als solche zu be¬ 
zeichnen. 

d. In der Wohnungsordnung (§ 4, Ziffer 1) ist statt: „Die 
Wohn- und Schlafräume, auch Küchen dürfen nicht baulich 
verwahrlost und nicht in gesundheitsschädlicher Weise 
feucht sein“, zu setzen: „Die Wohn- und Schlafräume, 
auch Küchen dürfen nicht baulich verwahrlost oder nicht 
in gesundheitsgefährdendem Zustande sein“. 

e. In demselben § 4 ist in Ziffer 8 neben dem Mindestluft¬ 
raum von 10 cbm und der Mindestbodenfläche von 4 qm 
pro Person eine Mindestraumhöhe von nicht unter 2,5 m 
festzusetzen. 

f. Wohnungsordnung und Wohnungsaufsicht sind für Stadt 
und Land, unabhängig von der Bewohnerzahl, obligatorisch 
einzuführen. 

(Lebhafter Beifall.) 

Vorsitzender: Ich eröffne die Diskussion: 

H. Kreisarzt Dr. Berger -Hannover: M.H.1 Die Wohnungsfrage nimmt 
ja in dem Bahmen der Wohlfahrtspflege eine sehr große Bedeutung ein, und 
mit Becht; denn die Wohnungsfürsorge greift in die mannigfachsten Gebiete 
über, wie die Bekämpfung des AlkohoUsmus, der Geschlechtskrankheiten usw., 

4 



50 


Diskussion sn dem Vorträge: 


also wir werden gleichzeitig mit der Besserung der Wohnungsfrage auch auf 
dem Gebiete der Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten, der Tuberkulose und 
des Alkoholismus weiter kommen. Nun ist aber, m. H., zu berücksichtigen, 
daß auch die Schule ein großes Interesse an der Wohnungsfrage hat. Die 
Schule kann jedoch den WohnungsVerhältnissen nur die nötige Aufmerksamkeit 
zuteil werden lassen durch Vermittelung des Schularztes, und es ist, wenn 
wir in der Wohnungsfrage weiter kommen wollen, meines Erachtens dringend 
notwendig, daß der Schularzt überall eingeführt wird. 

H. Prof. H. Chr. Nussbaum - Hannover: M. H.1 Verzeihen Sie, wenn 
ich als Nichtmitglied der Versammlung hier das Wort ergreife. Es handelt 
sich um Dinge, die mein besonderes Forschungsgebiet berühren. Mit den Aus* 
ftthrungen des Herrn Beferenten kann ich mich in fast allen Punkten einver¬ 
standen erklären. Besonders habe ich mich gefreut, daß der Herr Referent 
die Forderung der rückwärtigen Baufluchtlinie aufgestellt hat, ein 
Anspruch, der schon vor Jahren von mir in den Vordergrund gestellt worden ist. 

Was die Frage des Mauerverputzes und der Ausfugung betrifft, so 
möchte ich lieber sehen, wenn der Gesetzentwurf allgemeiner gefaßt würde, 
z. B. sagte, die Wetterseite der Häuser bedarf dos Schutzes gegen Schlagregen. 
Eine Bestimmung, welche sagt, die Wand maß verpatzt sein, ist wertlos; denn 
ein Verputz kann ebensowohl durchlässig, wie undurchlässig für die Nieder¬ 
schläge sein. Eine Bestimmung, die sagt, jede Wetterseite (also bei uns haupt¬ 
sächlich die West- und Nord Westseite) muß gegen das Eindringen der Nieder¬ 
schläge geschützt werden, ist dagegen als eine dringende Notwendigkeit zu 
betrachten. Nach meinen Untersuchungen hat sich nämlich feststellen lassen, 
daß der Innenverputz aller Wände, die nach Westen oder Nordwesten liegen, 
zu gewissen Jahreszeiten stets wieder unzulässig hohe Wassermengen enthält. 
Vielfach fand ich, daß der Innenputz solcher Bäume nach anhaltendem Begen 
mehr als 2%, nicht selten sogar 8 °/ 0 Wasser enthielt. 

Ich möchte weiter beanspruchen, daß allgemein für die Baumhöhe nicht 
feststehende Zahlen, sondern Verhältniszahlen auf gestellt werden, die zur Ent¬ 
fernung der Fensterwand von der gegenüberliegenden Wand in Abhängigkeit 
stehen. Meine Ansicht geht nämlich dahin, daß die Baumhöhe mindestens 
gleich */1 der Entfernung der Fensterwand von der gegenüberliegenden Wand 
sein muß, wenn eine ausreichende Belichtung zustande kommen soll. Je ge¬ 
ringer jene Entfernung ist, um so niedriger darf ein Baum sein, während tiefe 
Zimmer einer großen Höhe bedürfen. 

Was ferner die Erklärung der Gesundheitsschädlichkeit einer 
Wohnung anbelangt, so kann man dabei kaum vorsichtig genug sein. Die Ge¬ 
sundheitsschädlichkeit muß wirklich vorliegen, nicht nur angenommen werden, son¬ 
dern nachweisbar sein. So habe ich als Gutachter vor Gericht einen eigentümlichen 
Fall erlebt. In einem teueren Schauladen war durch Zementmörtel vor Jahren 
die Tapete derart zerfressen, daß man den Eindruck erhielt, als sei die Wand 
mit Schimmelpilzen bedeckt, während sie frei von ihnen und völlig trocken sich 
erwies. Dieser Baum war auf Grund jenes Eindrucks für gesundheitsschädlich 
erklärt worden, ohne daß der zuständige Medizinalbeamte eine Untersuchung 
der wirklichen Sachlage für erforderlich erachtet hatte. Derartige Dinge sind 
natürlich geeignet, die Medizinalpolizei in Mißkredit zu bringen. Ich möchte 
daher dringend warnen, mit der Erklärung der Gesundheitsschädlichkeit vor¬ 
eilig vorzugehen. Auch in den von Hausschwamm und anderen Holzkrankheiten 
heimgesuchten Bäumen ist nicht immer eine Gesundheitsschädlichkeit vorhanden, 
vielmehr oft nur eine Reparaturbedürftigkeit, die binnen weniger Tage sich 
beseitigen läßt. 

Vor allen Dingen freue ich mich, daß der Herr Referent die Forderung 
der hygienischen Ausbildung der Techniker in den Vordergrund seiner 
Ausführungen gestellt hat. Heute können zwar die Studierenden auf den tech¬ 
nischen Hochschulen bereits das lernen, was sie an Hygiene für ihren Beruf 
brauchen, aber nur wenn sie es wollen. Die Hygiene ist kein obligatorisches 
Fach und kein Prüfungsfach, während sie für alle technischen Berufszweige 
ein wichtiges Erfordernis ist, wichtiger wie mancher mathematische Gegen¬ 
stand. Die hier erörterten Angelegenheiten würden eine ganz wesentliche 
Förderung erfahren, sobald die Bauhygiene und die Gewerbehygiene zu Gegen¬ 
ständen der Prüfung erhoben würden; denn dann erst werden sie von der 



Oer preußische Wohnungsgesetzentwurf vom gesundheitlichen Standpunkte. 61 

Mehrzahl der Studierenden gewürdigt werden. Mit der Zahl unserer Hörer 
können wir Professoren der Hygiene zwar durchaus zufrieden sein. Aber 
gerade diejenigen sind nicht unter ihnen, welche der hygienischen Schulung 
am meisten bedürfen. Viele und große Mängel werden aus dem Bauwesen 
verschwinden, sobald dereinst die Hygiene ein Prüfungsfach geworden ist. 

H. Kreisarzt Prof. Dr. Stolper - Göttinnen: M. H. 1 Aus meiner zwar noch 
geringen kreisärztlichen Erfahrung glaube ich auf folgende Punkte hinweisen 
zu müssen. Es ist mir wiederholt von Privatleuten die Aufforderung geworden, 
ich sollte mich über eine Wohnung äußern, ob sie gesundheitsschädlich 
in dem gegenwärtigen Zustande sei oder nicht. Unsere Dienstanweisung ent¬ 
hält jedoch nichts, wie wir uns hierbei zu verhalten haben. Nun habe ich 
mir gesagt: was bei einer Wohnung in Frage kommt, kann ich ohne wei¬ 
teres allein nicht feststellen, und so habe ich in Göttin gen den Modus einge¬ 
führt, (laß ich nur in Verbindung mit dem Stadtbauamt in derartigen Fällen 
zur Verfügung stehe. Ich glaube, daß ist ein Modus, der in der Praxis gute 
Erfolge zeitigt, vor allen Dingen bei den unangenehmen Prozessen, die Bich hier 
oft entspinnen. Der Hygieniker kann wirklich nicht allein beurteilen, ob die 
Wohnung gesundheitsschädlich ist. Das können wir als Aerzte doch immer 
nur mit großer Reserve tun; deshalb verlange ich stets den Bausachver¬ 
ständigen dazu, der sich besonders über die Gründe der Wandfeuchtigkeit 
äußert und mit dem ich mich gleich mündlich darüber einige, was wir im Termin 
begutachten werden. Eine vorläufige Mitteilung unserer Meinung an die 
Interessenten verhütet in den meisten Fällen den sonst unausbleiblichen Prozeß. 
Ich möchte dieses Verfahren ganz besonders empfehlen. 

Dann noch etwas über die Wohnungsfrage. Da sind die Verhältnisse 
ungemein verschieden, je nachdem man es mit großen Städten zu tun hat oder 
mit Landkreisen. Ich möchte aber noch auf eine Mittelsorte hinweisen, auf 
die V ororte mittelgroßer Städte. Da gibt es Vororte, die zwar bei weitem 
hygienisch nicht so ungünstig sind, wie etwa die bei den ganz großen Städten, 
aber auch sie bedeuten für die städtische Hygiene oft eine ganz bedeutende 
Gefahr. Dorthinaus zieht der Arbeiter, weil er billiger zu wohnen wähnt. 
Hier können sich nun, wenn nicht scharfe baupolizeiliche Bestimmungen da 
sind, recht unhygienische Verhältnisse entwickeln. Auch diese Orte mit 2000 
oder 3000 Einwohnern in unmittelbarer Nachbarschaft kleinerer Mittelstädte 
haben gute praktische hygienische und strengste baupolizeiliche Bestimmungen 
nötig. Zahlreiche Wohnungen sind auch dort kasernenartig untergebracht; 
Wasserleitung fehlt; ein Bebauungsplan wird nicht eingehalten. Viele Wohn¬ 
häuser sind unmittelbar aneinander gebaut, nur ein schmaler Spalt ist da¬ 
zwischen. Der Regen fällt mit Sicherheit in diesen engen Spalt hm und näßt 
die Wände; die Sonne kommt dagegen nicht hinein, und infolgedessen sind 
dort die Wände stets feucht. 

Ein anderer Punkt! Der Herr Vortragende hat betont, daß für jede 
Familie ein Abort vorhanden sein müsse. Diese Bestimmung des neuen Woh¬ 
nungsgesetzentwurfes ist durchaus zu empfehlen als hygienisch vorteilhaft. 
Wir dürfen uns aber bei diesem hygienischen Wunsche von der Wirklichkeit 
doch nicht allzuweit entfernen. Ich kann mir gar nicht denken, daß es Bich 
praktisch durchführen läßt, daß in großen Arbeiterkasernen jede Familie mit zwei 
oder auch drei oder vier Personen ihren eigenen Abort haben kann. Dadurch 
würden sich die Baukosten doch beträchtlich erhöhen, und das dürfen wir doch nicht 
wünschen. Wir dürfen die Kostenfrage nicht aus dem Auge lassen; es ist 
auf dem Frankfurter Wohnungskongreß auch m. E. sehr richtig betont worden, 
daß der Arbeiter verhältnismäßig mehr ausgeben muß für seine Wohnung, als 
der besser Situierte; das ist zahlenmäßig erwiesen. Wir sollen keinesfalls 
mehr als ein Fünftel unseres Einkommens für die Wohnung ausgeben, 
aber wenn Sie beim Arbeiter nachrechnen, werden Sie finden, daß er tatsäch¬ 
lich oft erheblich mehr ansgeben muß, ganz besonders natürlich überall da, 
wo die Bodenpreise so hoch sind, wie in großen und mittleren Städten. 
Ich meine, da wird es schwer halten, solche Bestimmungen, wie die eines 
besonderen Abortes für jede Familie, durchzuführen. 

H. Kreisarzt Dr. Hoehe • Geestemünde: M. H. I Ich möchte auf einen 
Punkt aufmerksam machen, der noch nicht genügend berücksichtigt worden 
ist, das ist die Frage der Unterbringung von Kindern zusammen 

4 * 



62 


Diskussion za dem Vortrage: 


mit Erwachsenen. Die Altersgrenze für Kinder ist da aal 14 Jahre fest¬ 
gesetzt; dies ist meines Erachtens viel za hoch. Mag es non zum Teil 
auch daran liegen, daß in Hafenorten, wie in meinem Bezirke sehr viel Ge¬ 
sindel zusammenströmt, welches sich dann za erheblichem Teile dauernd dort 
ansiedelt, jedenfalls kommen dort sehr viel Sittlichkeitsvergehen vor and ganz 
besonders Vergehen an Mädchen von 11—12 Jahren, die sich freiwillig gegen 
Zahlung von 10—20 Pfennigen geschlechtlich gebrauchen lassen. Die Sobald 
daran liegt neben dem theoretischen Unterricht in geschlechtlichen Dingen, 
den die in fast jeder Arbeiterwohnang offen ausliegenden Naturheilbücher, be¬ 
sonders Platen, erteilen, zweifellos in dem Zusammenschlafen der schon za 
gewitzigten Kinder mit Erwachsenen. Die Altersgrenze müßte eben niedriger, 
höchstens auf den Ablauf des elften Lebensjahres gesetzt werden. 

H. Kreisarzt Dr. Steinberg-Hirscbberg: M. H. 1 Gestatten Sie mir, kurz 
darauf aufmerksam zu machen, daß ganz dieselben Mißstände, die H. Professor 
Stolper vorhin bezüglich der Vororte unserer Großstädte schilderte, sich 
auch überall auf dem Lande entwickeln können; besonders gilt dies für die 
Nähe großer Fabriken. Der Unternehmer sieht sich vielfach gezwungen, zur 
Unterbringung seiner Arbeiter Wohnhäuser zu errichten, und baut unter Um¬ 
ständen aus Sparsamkeitsrücksichten Mietskasernen, die jeder Hygiene 
spotten. Mir ist eine solche bekannt, die in vier Stockwerken 200 Personen, 
darunter etwa 100 Kinder, beherbergt. Wasserversorgung, Abtritte and Lüf¬ 
tung der langen Mittelkorridore lassen fast alles zu wünschen übrig. Dabei 
stehen für den starken Verkehr — einige Bäume dienen als Warenlager — 
nur zwei Haustüren zur Verfügung. Von den Bausachverständigen wurde das 
Haus nicht beanstandet; eine Abänderung ist aber leider aus finanziellen 
Gründen zurzeit nicht angängig. Besonders gefährlich ist ein Scuchenaus- 
bruch in solchen Häusern, zumal dadurch auch die Nachbarschaft zum Mit¬ 
leiden kommt. Namentlich Diphtherie und Scharlach werden immer wieder zur 
Verseuchung der Ortschaft, Schuschluß usw. Anlaß geben. 

Ich möchte deshalb dafür plädieren, der Entwickelung beregter Mi߬ 
stände dadurch vorzubeugen, daß mindestens für Mietskasernen auf dem 
Flachlande strengere baupolizeiliche Vorschriften — durch Schaffung von 
Grenzzahlen — gegeben werden. 

H. Kreisarzt Med.-Bat Dr. Haase-Danzig: M. H.t Ich bin dem Herrn 
Prof. Nussbaum zu großem Dank verpflichtet, daß er zu meinen Ausführungen 
seine Zustimmung gegeben hat. Hätte ich, Herr Professor, gewußt, daß Sie 
hier anwesend wären, so hätte ich gewiß gern darauf hingewiesen, daß Sie der 
erste gewesen sind, der auf die rückwärtige Baufluchtlinie hingewiesen 
hat. Hinsichtlich des Mauerverputzes füge ich mich gern Ihren ver¬ 
bessernden Vorschlägen an, daß also die Wetterseite gegen Schlagregen ge¬ 
sichert werden muß. Daß aber der Schutz der Wetterseite notwendig ist, habe 
ich bei meinen Besichtigungen vielfach festgestellt; ich könnte Ihnen da mit 
einer großen Anzahl Beobachtungen aufwarten. So war in einem Falle im Laafe 
der Jahre die nach Westen gelegene Giebelwand ihres Mauerverputzes entkleidet 
und so den Einflüssen des Schlagregens ausgesetzt. Durch Zeugenaussage war 
gerichtlich festgestellt worden, daß diese Wohnung bereits 10 Jahre von dea 
Vorbewohnern benutzt worden war, ohne daß eine gesundheitsschädigende 
Wirkung sich bemerkbar gemacht hatte. Als die neuen Mieter einzogen, 
hatten sie das Unglück, im Frühjahr einzuziehen, dem ein feuchter Sommer 
folgte, das war im Jahre 1903, wo wir in Danzig kaum einen Tag hatten, wo 
es nicht regnete. Es trat an der Wand an der Außenseite eine Durchfeuchtnng 
ein, wodurch zuerst der Kleister der Tapete und dann die Tapete selbst aa- 

f efeuchtet wurde; und nun entwickelte sich eine überreiche Schimmel Vegetation, 
ie eine große Ausdehnung nahm und sich auf die angrenzenden Wandflächen 
übertrug. In dem Prozeß standen sich das Gutachten des Hygienikers and 
des Bausachverständigen gegenüber. Der letztere sagte: das ist nur durch 
ungeeignete Benutzung der Wohnung hervorgerufen; der Hygieniker wies auf 
den fehlenden Mauerputz hin und erlebte es da zu seiner Ueberraschnng, daß 
in dem nächsten Termin drei Bausachverständige und ein Arzt erklärten, ein 
Mauerverputz sei ganz gleichgültig für den gesundheitlichen Zustand in einem 
Hause. Deshalb freue ich mich, daß im Wohnungsgesetz-Entwurf ein Verputz 
vorgesehen wird. 



Der preußische Wohnangsgesetzentwurf vom gesundheitlichen Standpunkte. 68 

Die Nachweisung der Gesundheitsschädlichkeit ist außerordentlich 
schwierig; wir besitzen dafür sehr wenig positive Anhaltspunkte. Aber wer 
sehr viel mit Wohnungsbesichtigungen zu tun hat, wird die Erfahrung machen, 
daß seitens der Mieter, welche auf sehr verschiedenen Stufen geistiger Bildung 
und hygienischer Ansprüche stehen und in ihren ganzen Lebensverhältnissen 
einen differenten Standpunkt einnehmen können, doch immer und immer wieder 
dieselben Klagen einlaufen, Klagen über die Einwirkung der gesundheitsschäd¬ 
lichen Einflüsse ungesunder Wohnungen. Da ist es so außerordentlich wichtig, 
daß wir nicht nötig haben, bereits vorhandene Schädigungen festzustellen, die 
sofort zu merken sind, sondern daß es genügt, vorausschauend eine Gesund¬ 
heitsgefährdung in Erwägung zu ziehen, falls die Wohnung den Keim zu Krank¬ 
heiten bilden kann, selbst wenn diese erst dann eintreten, nachdem die Leute 
die Wohnung längst verlassen haben. Ich habe eine solche Einwirkung selbst 
feststellen können, wo der Zwischenraum des Füllbodens mit zersetzungslähigem 
Material ausgefüllt war. Es waren da als Dielungsmaterial Bretter mit Nägeln- 
durchschlägen verwandt worden; diese Nägellöcher waren nicht wieder gedichtet 
worden, so daß gasige Emanationen direkt in das Zimmer eintreten konnten. 
Der Abschluß des Füllbodens fehlte besonders auch an der Ummantelung der 
Türpfosten. Sowie man sich einige Minuten in dem Zimmer aufhielt, war es nicht 
möglich, darin zu sprechen, die Kehle wurde einem gleichsam zusammen geschnürt; 
weiter stellten sich Kopfschmerzen und nervöse Erscheinungen ein, so daß der 
Aufenthalt in dem Zimmer zur Unmöglichkeit wurde. Ich ließ dann die Wohnung 
lüften, die Tür aufmachen usw., es dauerte dann zwar nicht lange, bis die Innenluft 
ersetzt und momentan die Beschwerden verschwunden waren, aber nach viel¬ 
leicht 5—10 Minuten war die Erscheinung wieder vorhanden. Wieder trat das 
zusammenschnürende Gefühl auf, und zwar am meisten in der Nähe der Tür 
und in der Nähe des Fußbodens. Es war gar keine Frage, daß hier der Füll¬ 
bodeninhalt die schädigenden Einwirkungen verursachte. 

In einem anderen Falle bestand die Füllung des Füllbodens aus frischem 
Gaskalk. Da wurde gesagt, hier sind die Mieter schuld, die nicht genügend 
lüften. Ich meine aber, das ist doch eine starke Zumutung. Besonders unan¬ 
genehm waren diese Erscheinungen, wenn draußen Begen einsetzte, die Boden¬ 
luft durch den Fttllbodenaufstieg und der Kohlensäuregehalt die Umsetzungs¬ 
vorgänge in demselben beförderte. Es bildete sich Schwefelzyan und Schwefel¬ 
ammon, und die Gase traten mit aufdringlicher Geruchswahrnehmung in die 
Wohnung ein. Wir wollen ja nicht sagen, daß das sofort gesundheitsschädlich 
ist, aber bei einem dauernden Aufenthalt ist es bei einer solchen baulichen 
Beschaffenheit sicher, das Gesundheitsschädigungen eintreten müssen. 

Weiter freue ich mich auch, daß Herr Prof. Nuss bäum anerkannt hat, 
daß eine bessere hygienische Vorschulung der Bautechniker notwendig 
ist. Die Baukunst muß dem Bauhandwerk gewisse Rücksichten an die Hand 
geben; es muß aber auch dem Bauhandwerk klar werden, daß gewisse gesund¬ 
heitliche Rücksichten genommen werden müssen. Es ist von mir z. B. in Danzig 
gefunden worden, daß manche Mauern nach der Wetterseite zu dünn gebaut 
waren und diese nun, wenn die Wohnungen einige Wochen bewohnt waren, feucht 
und schimmelbedeckt wurden; es bildete sich Kondenswasser und die Bewohner 
mußten heraus, denn es bestand eine gesundheitliche Gefahr nach § 10, Teil II, 
Titel 17 des allgemeinen Landrechts. Die Wohnung wurde also geräumt. Nach 
4—8 Tagen wurde die Wand trocken, die Schimmelbildung fiel ab und die Wohnung 
wurde wieder bewohnt. Dann ging die Sache aber wieder von neuem los, und 
das wiederholte sich mehrere Male. In einem anderen Falle war in einem 
Neubau eine unheizbare Kammer an der Wetterseite; natürlich wurde auch 
dieser Raum feucht; cs trat eine schädigende Wirkung ein, so daß es nicht 
möglich war, sich in diesem Raume andauernd aufzuhalten. So lange der 
Baubandwerker nicht bessere Regeln erhält, werden diese Zustände auch nicht 
anders werden. 

Nun möchte ich noch Herrn Stolper gegenüber bemerken, daß gewiß 
die Vororte für die Städte eine gewisse gesundheitliche Gefahr bedeuten. 
Gerade in den Großstädten drängt sich alles in die Vororte hinein, und zwar 
ist dies gerade die Arbeiterbevölkerung, die wegen ihrer minder bemittelten 
Lago an die Nähe des Arbeitszentrums gebunden ist. Da sind dann allerdings 
die gräßlichsten Verhältnisse zu konstatieren; davon wissen wir auch in 
Danzig ein Lied zu singen. 



54 


Dr. Romeick. 


Daß jede Familie einen Abort haben soll, erscheint Herrn Stolper 
nicht recht ausführbar: dem gegenüber muß ich jedoch bemerken, daß dies 
in Danzig erreicht ist. Die Schichauwerft in Danzig, die 2000—3000 Arbeiter 
beschäftigt, hat eine besondere Arbeiterkolonio, die Schichaukolonie, gebaut in 
nächster Nähe der Arbeitsstätte. Die Wohnungen kosten 9—10 Mark monatlich 
und haben auch ein Stück Gartenland; daß ist also außerordentlich wenig, und 
natürlich wird ein Gewinn dabei nicht beansprucht. Jede dieser Wohnungen 
hat ihren eigenen Abort Die Aborte sind allerdings nicht im Hause, sondern 
außerhalb des Hauses. Daß jede Wohnung ihren eigenen Abort hat, erscheint 
mir außerordentlich wichtig. 

In neuester Zeit ist auch in Danzig ein Problem gelöst, nämlich der Bau 
▼on Massenarbeiterwohnungen. Die Häuser sind vierstöckig und enthalten 
60—80 Wohnungen. Diese Wohnhäuser sind eingeteilt in verschiedene Einzel* 
Wohnhäuser, die aber in einem massiven Bau zusammenliegen und nur getrennt 
sind durch eine vom Keller bis zum Dache reichende Brandmauer. Auch hier 
existiert für jede Wohnung ein eigenes Klosett, und zwar befindet sich das 
Klosett in der Wohnung. Die Wohnung besteht aus einem Entröe, Vorder¬ 
zimmer, Hinterzimmer, Speisekammer und Küche; sie kostet 21 Mark pro 
Monat, während in dem teueren Danzig in der alten Innenstadt für eine gleiche 
Wohnung unter jammervollen Verhältnissen, wo z. B. das Klosett in der Küche 
liegt, monatlich 26 Mark bezahlt werden müssen. 

Also es war hier möglich, unter hygienischen Gesichtspunkten und bei 
nicht abnormer Ausnutzung des Zinsertrages Wohnungen zu bauen, die billiger 
sind, als die Arbeiterwohnungen und Wohnungen für Minderbemittelte in der 
alten Stadt, und dabei gesundheitlich einwandsfrei. 

Dann möchte ich nur noch hervorheben, daß die Trennung der 
Kinder von den Erwachsenen auch außerordentlich wichtig ist. Die 
Erfahrungen, die man in dieser Hinsicht macht, wenn die Wohnräume zu klein 
sind, sind außerordentlich betrübend; wir können deshalb nur dankbar sein, 
wenn da eine Besserung geschaffen wird. Ueber die Durchführbarkeit der¬ 
selben sind mir freilich lebhafte Zweifel geäußert worden, da eine Wohnung 
dann mindestens drei Wohnräume haben muß, für die Eltern, für die Brüder 
und für die Schwestern. Aber tatsächlich ist das gar nicht so schlimm, da von 
den Leuten sowieso die Küche für die Nacht als Schlaf raum benutzt wird. Auch 
ist mir von seiten der Hausbesitzer gesagt worden, daß es ihnen ganz recht sei, 
wenn die Wohnung nur von einer bestimmten Kopfzahl benutzt werden dürfe. 

M. H.I Ich bin sehr dankbar für die Anregungen, die ich hier ge¬ 
funden habe. 

Auf Vorschlag des Vorsitzenden nimmt hierauf die Ver¬ 
sammlung von den Leitsätzen, die nicht zur Abstimmung bestimmt 
sind, Kenntnis. 

Der Vorsitzende dankt sodann dem Herrn Referenten für 
seinen interessanten Vortrag. 


V. Die praktische Dorchfihroig der Beslafektloi aaf den 

plattes Lasde. 

H. Kreisarzt Dr. Romeick - Mohrungen: M. H.! Herr Kollege 
Dr. Gutknecht hat Dinen im vorigen Jahre in einem lichtvollen 
Vortrage die gesundheitlichen Zustände des platten Landes ge¬ 
schildert und Ihnen die Dringlichkeit hygienischer Reformen in 
diesem Gebiete, in dem zwei Drittel unserer Volksgenossen ihr 
Leben zubringen, ans Herz gelegt. Die Sterblichkeit ist heute 
auf dem Lande grösser, als in den Städten, obgleich das viel 
weniger dichte Zusammenwohnen, die reinere Luft, die Arbeit im 
Freien und die ruhigere, regelmässigere Lebensweise dem ersteren 



Die praktische Durchführung der Desiniektion auf dem platten Lande. 65 

einen bedeutenden gesundheitlichen Vorsprung gewährleisten 
müssten. Die noch viel weniger als in den Städten behinderten 
Durchzüge der Seuchen, die Tod und Siechtum hinter sich lassen — 
sie sind es, welche die Wirkung jener stärkenden und erhaltenden 
Lebensbedingungen hinfällig machen. Die Verhütung und Be« 
kämpfung der Seuchen — nach dem Worte des Herrn Geh. Ober- 
Medizinalrats Dr. Kirchner unsere schönste und wichtigste Auf¬ 
gabe, Ziel und Angelpunkt der öffentlichen Gesundheitspflege — 
müssen wir auch auf dem platten Lande mit heiligem, von der 
Gewissheit einstigen Erfolges beseelten Eifer und mit allen Mitteln 
zu erreichen suchen. 

M. H.! Sie wissen, dass der Absonderung auf dem Lande 
noch fast unüberwindliche Schwierigkeiten entgegenstehen. Inner¬ 
halb der Familie ist sie bei einem Arbeiter, der vielleicht mit 
einem Dutzend Kinder eine einzige Stube bewohnt, gänzlich aus¬ 
geschlossen; kommen doch immer noch Fälle vor, wo sogar Ge¬ 
sunde mit ansteckend Kranken das Bett teilen müssen, weil das 
Nachtlager der grossen Familie in dem engen Raume beim besten 
Willen nicht anders einzurichten ist; die unter diesen Umständen 
mit dem Ansteckungsstoff reichlich beladenen Familienmitglieder 
treten in ungehinderten Verkehr mit ihrer Umgebung! Das Eintritts¬ 
verbot in die verseuchten Wohnungen wird noch wenig beachtet, 
am wenigsten da, wo es am nötigsten wäre, wo eine Abgabe von 
Waaren und Gegenständen stattfindet, bei Hökern, Gastwirten, 
Fleischern, Bäckern und Handwerkern. Die durch uralte Gewohn¬ 
heit geheiligte Unsitte des Leichenschmauses auch bei Todesfällen 
infolge von ansteckenden Krankheiten wird sobald nicht auszurotten 
sein. Und was die Absonderung in Krankenhäusern anbetrifft, so wird 
eine spätere Zeit vielleicht auch auf dem platten Lande Kranken¬ 
häuser bauen, die zur Aufnahme einer grossen Zahl ansteckenden 
Kranker geeignet sind; vorläufig ist dies aber noch so wenig der 
Fall, dass wir dieses Hilfsmittel im Kampfe gegen die Seuchen 
noch garnicht ernstlich in Betracht ziehen können. Um so notwen¬ 
diger ist unter diesen Verhältnissen die praktische Durch¬ 
führung der Desinfektion. 

M. H.! Sie werden von mir als Medizinalbeamten in einem 
ländlichen Kreise nicht erwarten, dass ich Ihnen neue wissen¬ 
schaftliche Ergebnisse vortrage. Das ist von berufenerer Seite 
geschehen; ich erinnere nur an die Vorträge des Herrn Medizinal- 
Rat Prof. Dr. Wer nicke 1900 und 1901 in Berlin. Ich will 
mir nur erlauben, Ihnen unter Zugrundelegung der in meinem 
Kreise geschaffenen Einrichtungen einige Erfahrungen zu unter¬ 
breiten, von denen ich hoffen möchte, dass sie eine geeignete 
Grundlage für den Austausch Ihrer Erfahrungen auf diesem Ge¬ 
biete abgeben mögen. 

Nach der endlich erfolgten Annahme des Ausführungsgesetz¬ 
entwurfes zum Reichsseuchengesetz durch das Abgeordnetenhaus 
werden wir, die Zustimmung des Herrenhauses vorausgesetzt, 
hoffentlich bald einen festen Rechtsboden für unsere Mass¬ 
nahmen auch bei den einheimischen Seuchen besitzen. Es fragt 



6« 


Dr. Romeick. 


sich nun, bei welchen einheimischen Seuchen wir eine 
ordnungsmässige Desinfektion in Anwendung bringen 
wollenP 

Herr Reg. - nnd Med.-Rat Dr. Wodtke hat 1902 in Kassel 
gezeigt, dass in den zehn Jahren von 1891 bis 1900 in Prenssen 
dreimal soviel Personen an Keuchhusten und doppelt soviel an 
Masern gestorben sind als an Unterleibstyphus, und wiederum 
doppelt soviel an Keuchhusten und bedeutend mehr an Masern als 
an Scharlach; er hat daher auch für Keuchhusten und Masern 
eine energische Bekämpfung vorgeschlagen. Ich kann diesem 
Vorschläge für das Land nicht beitreten. Bei der überaus grossen 
Flüchtigkeit und Uebertragbarkeit des Ansteckungsstoffes dieser 
Seuchen und bei der geschilderten Unmöglichkeit der Absonderung 
würden die darauf ausgedehnten Zwangsdesinfektionen mit ge¬ 
waltigen Kosten verknüpft und von gar keinem Erfolge begleitet 
sein. Dasselbe gilt für die Influenza. Herr Geh. Med.-Rat 
Prof. Dr. Flügge hat in seiner bekannten Instruktion im Klini¬ 
schen Jahrbuche 1900, Bd. VII, auch für Kindbettfieber, 
Erysipel und die anderen Wundinfektionskrankheiten 
eine verschärfte Wohnungsdesinfektion vorgeschrieben. Auch diese 
Vorschrift halte ich für das Land für unzweckmässig. Die Ver¬ 
breitung des Kindbettfiebers geschieht nur durch Vermittelung des 
geburtshilflichen Personals; für die Desinfektion der Hebamme 
sorgt in jedem Fall der Kreisarzt. Auch bei Erysipel und den 
anderen Wundinfektionskrankheiten ist doch eine bedrohliche Ver¬ 
breitung durch den blossen Verkehr innerhalb der Familie oder 
gar innerhalb der Ortschaften wohl kaum beobachtet. Auch bei 
ihnen erfolgt die Uebertragung durch die Vermittelung des be¬ 
handelnden oder pflegenden Personals. Wir können also hierbei 
die Verhütung der Ansteckung bezw. die Vernichtung des An¬ 
steckungsstoffes getrost den Massnahmen des behandelnden Arztes 
überlassen; ebenso auch bei Milzbrand, Tollwut und Rotz. 
Für die Granulöse besteht in den ergriffenen Landesteilen ein 
besonderer Bekämpfungsplan. Die epidemische Genick¬ 
starre, die jetzt gerade eine so unheimliche Verbreitung ge¬ 
winnt, bedarf noch weiterer Beobachtung. Rückfallfieber ist 
ein seltenes Ereignis, bei dem von Fall zu Fall entschieden werden 
kann. Ich schlage daher vor, die polizeiliche Zwangsdesinfektion, 
abgesehen von den gemeingefährlichen Seuchen, nur ausführen zu 
lassen bei jedem angezeigten Fall von Unterleibstyphus, 
Ruhr, Diphtherie, Scharlach, Lungen- und Kehlkopf¬ 
tuberkulose; die Wohnungsdesinfektion bei Tuberkulose jedoch 
nur nach erfolgtem Tode oder Wohnungswechsel. 

Welche Einrichtungen sind nun zur Durchführung 
der ordnungsmässigen Desinfektion zu schaffen? Um 
eine Einheitlichkeit zu erzielen, müssen sie in der Hand der Kreis¬ 
polizeibehörde, d. h. des Landrats zentralisiert sein; an ihn sind 
alle Anzeigen seitens der Ortspolizeibehörden weiterzureichen, von 
ihm alle sanitätspolizeilichen Massregeln nach dem Vorschläge des 
Kreisarztes anzuordnen. Die Desinfektion hat sofort nach dem 



Oie praktische Durchführung der Desinfektion auf dem platten Lande. 57 


Ausbruche der Seuche zu beginnen. Die Ausführung dieser 
laufenden Desinfektion am Krankenbette werden wir leider 
der Familie überlassen müssen. Das ist, solange wir nicht 
Ar jeden Seuchenfall eine ausgebildete Krankenpflegeperson zur 
Verfügung haben, gar nicht anders zu machen. Die Familie 
braucht aber eine Belehrung und Unterweisung. Die münd¬ 
liche Belehrung und persönliche Unterweisung ist die wirksamste. 
Da ihre Befolgung amtlich gefordert wird, so muss sie durch den 
beamteten Arzt geschehen, so sehr auch eine verständnisvolle Mit¬ 
wirkung des behandelnden Arztes dabei zu wünschen und zu ver¬ 
langen ist. Es ergibt sich daraus die Forderung, dass der Kreis¬ 
arzt in jedem Falle einer in den Bekämpfungsplan einbezogenen 
Seuche an Ort und Stelle zu erscheinen hat; weitere Aufgaben, 
die ihm bei diesem Erscheinen zufallen, werde ich später erwähnen. 
Es ist aber auch unbedingt eine schriftliche Anweisung notwendig, 
schon um die Ausrede des Nichtgewusst- oder Vergessenhabens 
abzuschneiden. Diese Anweisung muss einfach und kurz, sowie gross 
und deutlich gedruckt sein. Die vom Potsdamer Medizinalbeamten- 
Verein veröffentlichten Verhaltungsmassregeln und die Merkblätter 
des Beichsgesundheitsamtes sind für diesen Zweck zu ausführlich. 
Herr Kollege Med.-Rat Dr. Fielitz hat s. Z. die Güte gehabt, mir 
die von ihm für den Saalekreis ausgearbeiteten Blätter zur Ver¬ 
fügung zu stellen. Diese halte ich für zwecktsprechend und 
habe sie daher nach kleinen Aenderungen auch in meinem Kreise 
eingeführt. 

Die Hauptsache aber für die Sicherung der laufenden Des¬ 
infektion ist ihre amtliche Kontrolle. Von Laien kann diese 
niemals wirksam ausgeführt werden; anderseits kann der Kreis¬ 
arzt die vielen dazu nötigen Reisen nicht machen. Es müssen 
also Desinf ektionsaufseher ausgebi’det und angestellt 
werden. Gemeindeschwestern sind dazu nicht geeignet, denn 
erstens sind ihrer zu wenige — wir haben z. B. 40 Amts¬ 
bezirke und nur 5 Gemeindeschwestern —, ferner unterstehen, 
sie den Vorständen religiöser Genossenschaften oder Vaterlän¬ 
discher Frauenvereine und lassen sich daher in den amtlichen 
Apparat nicht einfügen; schliesslich widerspricht auch ihr barm¬ 
herziger Beruf dem Amte eines Aufsehers, der zwar auch 
belehren und unterweisen, im Falle böswilliger Unterlassung 
aber auch anzeigen und Bestrafung veranlassen soll. Empfiehlt 
es sich nun das Amt eines solchen Desinfektionsaufsehers mit dem 
des Wohnungsdesinfektors — von dem ich später zu sprechen 
habe — zu vereinigen ? Im Regierungsbezirk Arnsberg ist diese 
Vereinigung erfolgt und zugleich damit noch das Amt eines Ge¬ 
sundheitsaufsehers verbunden. Vor der Einführung solcher Ge¬ 
sundheitsaufseher kann ich, wenigstens für den Osten der Monarchie, 
nur dringend warnen. Unser Grossgrundbesitz, adliger und nicht 
adliger, hat sich aus vergangenen Zeiten noch ein starkes Souve¬ 
ränitätsgefühl bewahrt; schon das kreisärztliche Ortsbesichtigungs¬ 
recht scheint ihm ein Eingriff in seine Besitzrechte. Spioniert 
nun noch ein Gesundheitsaufseher um seine Instwohnungen, seine 




68 


Dr. Bomaick. 


Brunnen, seine Dunghaufen herum, so kann es ihm manchmal 
schlecht ergehen; und auch der Kreisarzt, dem alle Ermittelungen 
des Aufsehers zur weiteren amtlichen Veranlassung zugehen, wird 
nicht auf Rosen gebettet sein. Der Grossgrundbesitz folgt ungern 
polizeilichem Zwang, gern dagegen dem Vorbilde angesehener 
Standesgenossen. Wenn der Kreisarzt auf solche Einfluss gewinnt, 
wird er am meisten erreichen; kommt aber zu dem eifrigen — 
nach dem Urteile jener Partei schon übereifrigen — Kreisärzte 
noch ein eifriger bezw. übereifriger Gesundheitsaufseher hinzu, 
dessen Tätigkeit überdies Güter und Gemeinden ans ihrer 
eigenen Tasche bezahlen sollen, so heisst das wirklich ein zu 
schnelles Tempo in der Sanierung des platten Landes einschlagen. 
Dadurch könnte der Fortbestand des kreisärztlichen Ortsbesich¬ 
tigungsrechtes geradezu in Frage gestellt werden. 

Aber auch ganz abgesehen von diesen Gesundheitsanfsehem 
ist die Vereinigung beider Aemter unzweckmässig. Der Desin- 
fektionsaufseher braucht keine Ausbildung in der Technikder Woh¬ 
nungsdesinfektion, er kann vom Kreisärzte unentgeltlich oder mit 
ganz geringen Kosten ausgebildet werden; er braucht gar keine 
Ausrüstung, er braucht auch keine grosse Uebung. Ein gewissen¬ 
hafter Mann wird auch bei wenigen Seuchenfällen im Jahre an der 
Hand der gedruckten Anweisung die Aufsicht wirksam ausführen; 
bei der geringen Mühe, die die Aufsicht verursacht, wird er auch 
mit geringen Einnahmen, die ihm aus diesem kleinen Nebenamte 
erwachsen, zufrieden sein. Je mehr Desinfektionsaufseher also vor¬ 
handen sind, desto besser und billiger wird der Zweck erreicht 
Es könnte gar nicht schaden, wenn in jedem grösseren Dorfe einer 
ausgesucht würde; mindestens muss aber einer in jedem Amts¬ 
bezirke angestellt werden. — Genau das Gegenteil trifft in allen 
Punkten für den Wohnungsdesinfektor zu. Die Ausbildung und 
Ausrüstung eines jeden kostet etwa 300 Mark. Wollte z. B. mein 
Kreis für jeden seiner 40 Amtsbezirke einen Wohnungsdesinfektor 
'haben, so würde ihm dies 12000 Mark kosten. Und diese kost¬ 
spieligen Leute würden sehr bald unbrauchbar und unzufrieden 
werden. Um auf der Höhe der Wohnungsdesinfektionstechnik zu. 
bleiben, brauchen sie eine dauernde Uebung, die ihnen die wenigen 
auf einen Amtsbezirk im Jahre entfallenden Seuchen nicht bieten 
können; ausserdem wären ihre Einnahmen viel zu gering und dem 
Anlagekapital nicht entsprechend. Stellt dagegen der Kreis nur 
wenige (2—3) in zweckmässiger Entfernung von einander statio¬ 
nierte Wohnungsdesinfektoren an, so ist das Anlagekapital gering 
und gute Uebung wie Einnahme gesichert. Mit je weniger 
Wohnungsdesinfektoren also ein Kreis auskommt, desto besser 
wird er fahren. 

Nach meinem Vorschläge ist bei uns in jedem Amtsbezirke 
eine Person ausgesucht, von mir ausgebildet und als Kreisdesin¬ 
fektionsaufseher angestellt. Dieser erhält für jeden Kontrollbesnch 
am Wohnorte 50 Pf, und für jeden Kontrollbesnch ausserhalb noch 
50 Pf. für jedes Kilometer Reisegeld aus der Amtskasse. An 



Die praktische Durchführung der Desinfektion auf dem platten Lande. 69 

ihrem Stationsorte sind natürlich die beiden Wohnungsdesin- 
fektoren auch mit der Desinfektionsanfsicht betraut. 

M. H.l Wenn es gelänge, durch die laufende Desinfektion 
alle ausgestreuten Keime zu vernichten, wäre die Wohnungsdes- 
infektion nach Ablauf der Senche überflüssig. Leider werden 
wir dies jedoch trotz wirksamer Kontrolle sobald nicht erreichen. 
Vorläufig beweist die Existenz sog. Typhus-, Diphtherie-, Scharlach- 
und Schwindsuchtshäuser die Notwendigkeit der Wohnungsdes¬ 
infektion. In neuerer Zeit hat man das hartnäckige Wiederauftreten 
des Typhus in bestimmten Lokalitäten durch die Vermittelung 
gesunder „ Bazillenträger“ zu erklären versucht. Diese neue Ent¬ 
deckung schafft doch aber die Tatsache, dass sich die Typhus¬ 
bazillen auch ausserhalb des menschlichen Körpers lange virulent 
erhalten können, nicht aus der Welt. Die laufende Desinfektion 
wird durch diese Entdeckung nur erschwert, die Wahrscheinlich¬ 
keit der Verstreuung virulenter Keime in der Wohnung wie in 
ihrer Umgebung erhöht und eine Wohnungsdesinfektion daher 
doppelt nötig. 

M. H.! Bei der Besprechung der praktischen Durchführung 
der Wohnungsdesinfektion will ich alles, was in unseren Vereins- 
Versammlungen genügend erörtert ist, übergehen. Sie werden alle 
darüber einig sein, dass sie nur von ausgebildeten Woh¬ 
nungsdesinfektoren wirksam ausgefübrt werden kann, dass 
deren Ausbildung besser in einer Desinfektorenschule als durch 
den Kreisarzt geschieht, und dass sie vom Kreise ausgerüstet und 
angestellt werden müssen. Auch über das brauchbarste Material 
werden inzwischen genügende Erfahrungen gesammelt sein; Frauen 
z. B. halte ich auf dem Lande nicht für geeignet. Ich möchte mich 
nur gegen den mehrfach hervorgetretenen, auch schon praktisch 
betätigten Vorschlag wenden, unsere Desinfektoren zur Erhöhung 
ihrer Uebung und ihrer Einnahme zugleich in den Dienst der 
Veterinärpolizei zu stellen. Sie würden damit auch dem beamteten 
Tierarzte unterstellt, und die Verschiedenheit der Ansichten und 
Methoden würde nur ihre Köpfe verwirren, ihre Leistungen be¬ 
einträchtigen. Die Desinfektion bei den Tierseuchen geschieht 
jetzt durch die Besitzer selbst und wird durch den beamteten 
Tierarzt kontrolliert. Wenn die Veterinärpolizei dazn gelangt, 
ebenfalls besonderes Desinfektionspersonal anzustellen, so wird sie 
ganz anderes Material gebrauchen können; wir wollen dann in 
unseren Leuten das Bewusstsein, einer höheren Aufgabe — der 
menschlichen Gesundheit — zu dienen, aufrecht erhalten. Und 
wenn meinem Vorschläge gemäss nur wenige Wohnungsdesinfek¬ 
toren angestellt werden, bo ist ihnen auch ohnedies genügende 
Uebung und genügende Einnahme gesichert 

Ich bespreche nun ganz kurz das für die Wohnungsdesinfektoren 
nötige Handwerkszeug. Vor allem sind Dampfdesinfektions¬ 
apparate nötig, am besten für jeden Desinfektor einer an seinem 
Stationsorte, er ist dann auf denselben gut eingeübt und nach der 
Desinfektion sogleich zu Hause. Das zum Streichen, Scheuern und 
Bürsten nötige Gerät übergehe ich. Dann ist aber auch — darin 



60 


Dr. Romeick. 


werden Sie nach dem schon erwähnten Vorträge des Herrn Med.- 
ßat Prof. Dr. Wernicke vom Jahre 1900 mit mir ttbereinstimmen 
— für jeden Desinfektor ein wirksamer Formalinapparat zu fordern. 
Ein solcher Apparat muss vor allem bequem zu transportieren sein. 
Um die täglichen Strapazen auf allen möglichen Wegen und Vehi¬ 
keln des Landes auszuhalten, muss er möglichst einfach sein, mög¬ 
lichst wenig kleine, leicht der Beschädigung ausgesetzte Teile, Röhr¬ 
chen, Spitzen, Düsen besitzen. Dieser Forderung entsprach bisher 
am besten der Breslauer Apparat nach Flügge. Der Schering- 
sche kombinierte Aeskulap ist ein komplizierter Apparat und arbeitet 
infolge der Pastillenmethode 4 mal so teuer. Die Desinfektion von 
100 cbm Raum kostet mit ihm 9 Mark, mit dem Breslauer Apparat 
nicht ganz 2,50 Mark. Der Lingnersche Sprayapparat ist sehr 
kompliziert. Er soll die Polymerisation, d. h. das unwirksame Zn- 
sammentreten von Formaldehydmolekülen, verhüten und eine so 
viel bessere Verteilung des Gases bewirken, dass die Abdichtung 
des Zimmers entbehrlich wird. Eine nennenswerte Polymerisation 
findet nach dem Urteile von Sachverständigen auch bei dem Bres¬ 
lauer Apparat nicht statt. Das wenige Gas, das vor dem Sieden 
des Wassers entweicht, wird durch den beim Verbrennen des 
Spiritus gebildeten Wasserdampf genügend gesättigt; nach den 
Untersuchungen von Prof. Rubner und Dr. Peerenboom bewirkt 
ausserdem die ruhige Verdunstung eine sehr viel bessere Verteilung 
des Gases in der Zimmerluft als die Versprayung. Der „Rapid* 
von Schneider in Hannover und die „Berolina* von Lauten¬ 
schläger unterscheiden sich von dem Breslauer Apparat im 
wesentlichen nur durch die Anlage eines Doppelkessels zur Ver¬ 
meidung der Polymerisation. Nach dem Gesagten ist aber die 
Trennung von Formalin und Wasser überflüssig. In neuester Zeit 
hat Herr Dr. Roepke, Chefarzt der Eisenbahnheilstätte „Stadt¬ 
wald* bei Melsungen, einen neuen Apparat konstruiert, der Ihnen 
ja aus der Beschreibung in der „Zeitschrift für Medizinalbeamte* 
bekannt geworden ist. Er beruht auf demselben Prinzip wie der 
Breslauer, ist aber leichter und sicherer zu transportieren. Das 
aus dem Kessel führende Dampfrohr ist abschraubbar und der 
Mantel durch zusammenklappbare Füsse ersetzt. Der Dr. Roepke- 
sche Apparat scheint mir daher für das Land der brauchbarste 
und empfehlenswerteste zu sein. Herr Dr. Roepke hat die Güte 
gehabt, mir einen Apparat hier zur Verfügung zu stellen; ich 
darf wohl die Herren bitten, sich denselben nachher etwas näher 
anzusehen. 

Ich komme nun zu der Gebühren- und Kostenfrage. 
Im Saalekreis ist ein Desinfektor im Hauptamte mit 1200 Mark 
festem Gehalt angestellt, ein zweiter für einen entfernten Kreiszipfel 
mit 600 Mark. Diese Einrichtung empfiehlt sich m. E nicht. Ein 
Desinfektor ist zu wenig, im Falle seiner Erkrankung oder sonstigen 
plötzlichen Behinderung ist man sofort in Verlegenheit; zwei Des¬ 
infektoren mit so hohem Gehalt sind zu teuer. Ein Desinfektor 
im Hauptamte ist in seuchefreier Zeit beschäftigungslos; eine 
passende Nebenbeschäftigung kann aber die Desinfektionsarbeit 



Die praktische Durchführung der Desinfektion auf dem platten Lande. 61 

nicht beeinträchtigen; anch ist es eine alte Erfahrung, dass der ge¬ 
wöhnliche Mann lieber nnd besser arbeitet, wenn er für jede Einzel¬ 
leistung bezahlt wird, als wenn er ein festes Gehalt bezieht. 
Diese Einzelleistung aber nach Stunden zu berechnen, oder nach 
den verschiedenen Desinfektionsarten verschieden zu bemessen, 
empfiehlt sich auch nicht; in ersterem Falle können bei der Un¬ 
möglichkeit der Kontrolle auf dem Lande unerwartet hohe Rech¬ 
nungen herauskommen, im letzteren wird die jedesmalige Abrech¬ 
nung erschwert und kompliziert. Am besten ist ein festes und 
für jede Desinfektionsart gleiches Tagegeld, daneben freie Reise, 
freie Verpflegung und freie Lieferung sämtlicher Desinfektionsmittel. 

Wer hat diese Kosten aufzubringenP Auf dem Lande 
gilt die Mark mehr als in der Stadt. Wenn wir der Familie nach 
der Unbequemlichkeit der Wohnungsdesinfektion noch 10—12 Mk. 
abverlangen, so werden wir erbitterten Widerstand hervorrufen; 
ja, die ansteckenden Krankheiten werden dann solange wie möglich 
verheimlicht werden. Die Kostenfreiheit ist das notwendige 
Aequivalent für den polizeilichen Zwang; und sie ist auch nur 
gerecht; denn die Wohnungsdesinfektion dient weniger dem Schutze 
der solange der Ansteckung ausgesetzt gewesenen Familienmit¬ 
glieder, als vielmehr dem Schutze der anderen Familien der Ge¬ 
meinde, dem Schutze der Schule und dem Schutze des weiteren 
Verkehrskreises. Kreis und Gemeinde müssen sich daher die 
Kosten teilen. Diese Teilung erfolgt bei uns in der Weise, dass 
der Kreis die Hälfte des Tagegeldes, den Betrieb der Dampf¬ 
apparate und die aus der Apotheke zu beziehenden Desinfektions¬ 
mittel (Formalin, Ammoniak und Kresolseifenlösung) trägt, die 
Gemeinde dagegen die andere Hälfte des Tagegeldes, sowie die 
Kosten für Reise, Transport, Verpflegung und Desinfektions¬ 
hausmittel (Seife, Kalk und Spiritus). In 5 km Entfernung vom 
Stationsorte kostet bei uns die einfache nebst Dampfdesinfektion 
11 Mark, die Formalindesinfektion 12 Mark. Bei ersterer 
kommen 4 Mark auf den Kreis und 7 Mark auf die Gemeinde, 
bei letzterer wegen des teueren Formalins 7 Mark auf den Kreis 
und 5 Mark auf die Gemeinde. Da die Formalin-Desinfektionen 
in der Mehrzahl sind, kommt am Jahresschluss auf jeden Teil 
ziemlich genau die Hälfte. 

M. H.! Die Notwendigkeit der Wohnungsdesinfektion auf 
dem Lande wird von keiner Seite ernstlich bestritten; sie kann auch 
gar nicht bestritten werden. Dagegen finden sich selbst in unsern 
Reihen zahlreiche Stimmen, die ihre wirksame Durchführbar¬ 
keit leugnen. Dieser kostspieligen und unbequemen Massregel, 
heisst es, stellen sich in der Praxis auf dem platten Lande soviele 
unüberwindliche Schwierigkeiten entgegen, dass dadurch nur ein 
trügerisches Sicherheitsgefühl, aber kein wirklicher Erfolg erzielt 
wird. Das unvermeidliche häufige Wiederauftreten der Seuche in 
den frisch desinfizierten Wohnungen erschüttere nur das Ansehen 
der Wissenschaft und das Vertrauen zum Kreisarzt und zur Be¬ 
hörde! Für diese Ansicht wird eine ganze Reihe von Gründen 
angeführt, auf die ich noch etwas näher eingehen muss; denn 



62 


Dr. Bomeick. 


das ist ja eia Haaptpaakt. Was nützt unser Kopfzerbrechen über 
die beste Art, Wohnungsdesinf ektoren auszusuchen, ansznbilden, 
auszurüsten, anznstellen, zu beschäftigen und zu bezahlen, wenn 
ihre Arbeit doch pro nihilo geschieht, wenn die Verhältnisse des 
platten Landes es doch unmöglich machen, der verstreuten An¬ 
steckungskeime habhaft zu werden! 

Der Kranke bezw. Genesende, heisst es, verlässt 
sobald als möglich die stickige Schlafstube; er benutzt 
und infiziert dadurch das ganze Haus. Natürlich muss jeder 
von dem Kranken bezw. Genesenen benutzte Raum auch desinfi¬ 
ziert werden. Das lässt sich aber auf dem Lande praktisch viel¬ 
leicht leichter durchführen als in der Stadt. Es gehört dazu 
allerdings die Anwesenheit des Kreisarztes bei jedem in Betracht 
kommenden Seuchenfalle. Nach Belehrung und Unterweisung der 
Familie in der laufenden Desinfektion muss dieser dabei zugleich 
feststellen, in welchen Räumen und auf welche Art die Wohnungs¬ 
desinfektion durch den Kreisdesinfektor auszuführen ist. Bei den 
Wohlhabenden und Gebildeten — den Gutsbesitzern, Geistlichen, 
vielleicht auch Lehrern — wird es gerade durch den Hinweis auf 
die bevorstehende Wohnungsdesinfektion meist zu erreichen sein, 
den Kranken bis dahin in einem Raume festzuhalten. Der Bauer 
hat zwar mehrere „gute Stuben“, benutzt aber höchstens ein bis 
zwei Stuben, Küche und Hausflur, und der Arbeiter hat nur Stabe, 
Kammer und Hausflur zur Verfügung. Küche und Hausflur werden 
stets durch Kalkanstrich und Kresolseifenscheuerung desinfiziert. 
Bei Typhus und Ruhr geschieht das gleiche mit den Stuben, 
nachdem Betten, Kleider usw. für den Dampfapparat verpackt 
sind. Bei Diphtherie, Scharlach und Tuberkulose werden jedoch 
die Stuben mittels Formalin desinfiziert. Dagegen wird ein¬ 
gewendet: Die Arbeiterwohnungen auf dem Lande (Inst¬ 
katen) lassen sich gar nicht mit Formalin desinfi¬ 
zieren. Bei uns gelingt es, und ich glaube kaum, dass die 
Häuser in anderen Teilen des Landes sehr viel schlechter sein 
können. Die grösste Oeffnung ist der Kamin; da dieser aber 
nur im Sommer benutzt wird, ist überall gegen den Abzug der 
Wärme im Winter ein genau hineinpassendes, solides Holzbrett 
vorhanden; vor dieses lasse ich nasse Säcke stopfen und eine 
Blechplatte herübernageln. Die Kelleröffnung im Fussboden, die 
oft nur mit losen Brettern bedeckt ist, wird mit nassen Tüchern 
verstopft. Ist der Ofen sehr schadhaft, wird auf die Heizung 
verzichtet und das Ofenrohr vom Schornstein aus verstopft. Türen 
und Fenster sind klein und daher bequem abzudichten. Um über den 
Erfolg sicher zu sein, habe ich im vorigen Jahre vom hygienischen 
Universitäts-Institut zu Königsberg 12 Päckchen mit Milzbrand¬ 
sporen erbeten, diese vor der Formalindesinfektion in den ver¬ 
schiedensten Ecken und Winkeln der Stuben ausgelegt und nach 
derselben zur Untersuchung wieder eingeschickt. In allen Fällen 
waren die Milzbrandsporen abgetötet; dann werden es die Diph¬ 
therie-, Scharlach- und Tuberkulosekeime sicher auch gewesen 
sein. Natürlich darf es niemandem einfallen, die Küche mit der 



Die praktische Durchführung der Desinfektion auf dem platten Lande. 63 


grossen Oeffnung über dem Herde oder den Hausflur mit den 
schlecht schliessenden Klinktüren mit Formalin zu desinfizieren. 
Findet der Kreisarzt auch in den Stuben grosse Löcher in Aussen- 
wänden und Decke, so wird er gleichfalls auf Formalin verzichten; 
ebenso auch, wenn in einem kleinen Baume soviel nichtwaschbare 
Gegenstände vorhanden sind, dass sie nicht ohne enge Berührung 
aufgehängt werden können. War sowieso ein Transport nach dem 
Dampfapparat nötig, habe ich stets das teuere Formalin gespart. 

Die Familie, wird weiter eingewendet, findet während 
der langen Dauer der Wohnungsdesinfektion keine 
Unterkunft; sie kann auch im Falle einer Dampfdes¬ 
infektion ihre Betten nicht entbehren, weil sie oft 
keine Beservebetten hat. Einen besonderen heizbaren Baum 
werden freilich Güter und Gemeinden für diesen Zweck nicht leer 
stehen lassen. Da hilft aber die freundnachbarliche Gefälligkeit: 
Die Familie tfird von den Nachbarn beherbergt und beköstigt, 
ohne dass ein Zwang oder eine Entschädigung nötig ist. Das 
bestätigt bei uns eine 6‘/t jährige Beobachtung; es ist wie die 
gegenseitige Hilfe bei Feuersgefahr, der sich niemand entziehen 
mag, und trägt auch nichts dazu bei, die Massregel unbeliebt 
zn machen. Die Vernichtung des bösen Seuchengiftes wird, be¬ 
sonders nach Einführung der Formalinmethode, durchaus gern 
gesehen, da sie der Familie selbst keine Kosten macht. Letzteres 
ist, um es noch einmal hervorzuheben, für die Einbürgerung der 
Massregel ein sehr wesentliches Moment. 

Die Formalindesinfektion dauert — zwei zusammenhängende 
Stuben bezw. Stube und Kammer sind gleichzeitig zu erledigen — 
durchschnittlich 6 Stunden, wobei 1 */* Stunden auf die Vorbereitung, 
8V> Stunden auf die Dampfeinwirkung (nach Flügge bei 5 g 
Formaldehyd auf 1 cbm Baum ausreichend) und eine Stunde auf 
Ammoniakeinwirkung und Entlüftung gerechnet ist. Inzwischen 
werden Küche und Hausflur fertig gestellt. Ebenso lange dauert 
etwa die einfache Desinfektion der ganzen Wohnung. Sieht 
man darauf, dass der Desinfektor früh am Morgen seine Arbeit 
beginnt, und ist, wie es sein sollte, der Dampfapparat nicht zu 
weit entfernt, so ist auch die Dampfdesinfektion noch an demselben 
Tage zu erledigen; die Familie erhält also ihre Betten zur Nacht 
stets wieder zurück. 

Ferner wird eingeworfen: Die Personen und vor allem 
ihre Kleider lassen sich nicht desinfizieren, da oft nur 
die Kleider auf dem Leibe vorhanden sind; bei der Gewohn¬ 
heit der Leute, allen Schmutz und Schleim an den Aermeln, der 
vorderen Bockpartien uud den Hosen abznwischen, sind diese aber 
die hauptsächlichsten Seuchen Vermittler. Auch diese Schwierigkeit 
lässt sich vollkommen überwinden. Ich lasse stets am Morgen, 
zu dem die Wohnungsdesinfektion angesagt ist, auch den Des¬ 
infektionsaufseher nach dem Seuchenorte hingehen; er ist mit dafür 
verantwortlich, dass nichts undesinfiziert aus der Wohnung heraus- 
langt. Eine Badeeinrichtung ist freilich nirgends vorhanden. 
Wenn sich aber die Leute entkleidet in eine Wanne stellen, sich 



64 


Dr. Romeick. 


vom Scheitel bis zur Sohle gründlich einseifen und dann mit warmem 
Wasser abwaschen, so ist ihrer Desinfektion Genüge geschehen. 
Im Koffer ist dann stets frische Wäsche vorhanden und im Schranke 
ein während der Seuche nicht getragener Sonntagsanzug. Ist 
letzteres einmal nicht der Fall, so muss eine einigermassen 
passende Bekleidung von anderswo zusammengeborgt werden; 
nötigenfalls ist Gemeindevorsteher oder Gendarm dazu in Bewegung 
zu setzen; es darf darauf in keinem Falle verzichtet werden. 

Endlich heisst es: Es werden nicht alle Seuchen¬ 
fälle bekannt; von den unentdeckt gebliebenen kann 
die Seuche weiter um sich greifen. Selbst wenn man auf 
diesem resignierten Standpunkt stände und dies für unvermeidlich 
hielte, wäre es doch immer richtiger, möglichst viele Herde zu 
vernichten, als alle unberührt zu lassen. Ich wage aber die kühne 
Behauptung, dass bei uns alle in Betracht kommenden Fälle anch 
bekannt werden. Die Aerzte zeigen gewissenhaft an; Gemeinde¬ 
vorsteher, Amtsvorsteher, Lehrer, Standesbeamte zeigen an; der 
Kreisarzt geht bei seinen Untersuchungen von Haus zu Haus; die 
Familien Vorstände werden im Falle bewusster Verheimlichung 
streng bestraft; sie haben dazu auch keinen Anlass, da die Des¬ 
infektion ihnen selbst keine Kosten macht — wenn alles dieses 
zusammenwirkt, werden wenige Fälle unentdeckt bleiben. Es 
ist aber nicht richtig, die Wohnungsdesinfektionen erst nach Ablauf 
der Seuche im Orte auf einmal ausführen zu lassen; dann ist das 
ein seltenes aufregendes Ereignis, und wenn danach die Seuche 
wiederauftritt, kann Misstrauen und Spott nicht ausbleiben. Nein! 
Die Wohnungsdesinfektionen sind fortlaufend je nach dem Beginne 
der Seuchen auszuführen; sie müssen dem Publikum als etwas 
Natürliches, notwendig mit dem Ablauf der Seuche Zusammen¬ 
hängendes erscheinen. Tritt dann einmal in einer desinfizierten 
Wohnung die Seuche wieder auf, so wird der Grund da gesucht, 
wo er wirklich liegt, in der nachher noch stattgehabten Berührung 
mit einer verseuchten Familie oder Person. 

Dem letzten Einwande: es fehlt ein sicherer Mass¬ 
stab, um die richtige Zeit für die Ausführung der 
Wohnungsdesinfektion zu bestimmen, ist etwas schwerer 
zu begegnen. Theoretisch ist dieser Massstab ja vorhanden. Die 
Wohnungsdesinfektion ist sofort auszuführen, wenn der Genesene 
und seine Haushaltungsmitglieder keine virulenten Keime mehr 
ausscheideu oder beherbergen. Wie ist dieser Zeitpunkt aber 
praktisch festzustellen ? Der Kreisarzt kann viele Reisen, um 
bakteriologische Untersuchungen zu veranlassen, nicht machen; 
ich glaube jedoch, dass in Wirklichkeit viele Fehler nicht Vor¬ 
kommen werden. Nimmt man bei Diphtherie 4 Wochen, bei Schar¬ 
lach 6 Wochen nach Beginn der Erkrankung, so wird der Genesene 
nach Seifenbad und Kleiderwechsel wohl nie mehr ansteckungsfähig 
sein. Beim Typhus wird die Zeitbestimmung allerdings durch die 
Möglichkeit erschwert, dass der genesene und gesund gebliebene 
„Bazillenträger“ noch monatelang virulente Keime im Stuhl und 
Urin ausscheiden könuen. Im Urin lassen sich diese durch Uro- 



Die praktische Durchführung der Desinfektion auf dem platten Lande. 65 


tropin oder das billigere Hexamethylentetramin, 8 Tage zu 2—3 g 
pro die gereicht, sicher ab töten. Es wäre zn erwägen, ob diese 
Verabreichung vor der Wohnungsdesinfektion nicht in die sanitäts¬ 
polizeilichen Massregeln aufzunehmen wäre. Die Desinfektion des 
weit ungefährlicheren Stuhles könnte ja dann noch für mehrere 
Wochen nach der Wohnungsdesinfektion angeordnet werden. 

M. H.I Ich glaube, Ihnen genügende Beweise dafür geliefert 
zn haben, dass eine wirksame Desinfektion auch auf dem platten 
Lande praktisch durchführbar ist. Es liegt daher kein berech¬ 
tigter Grund mehr vor, sie zu unterlassen; um so weniger, als 
ohne sie zur Bekämpfung der Seuchen auf dem Lande praktisch 
wenig geschieht. Es wird zwar viel auf dem Papiere gearbeitet, 
aber wenig erreicht. Sind alle Empfänglichen durchseucht, so 
berichtet der Amts Vorsteher: „Die Seuche ist erloschen, die sani¬ 
tätspolizeilichen Massregeln sind durch geführt.“ In Zukunft soll 
er berichten: „Die Kontrolle der laufenden Desinfektion ist so und 
so oft durch den Desinfektionsaufseher ausgeführt, die Wohnungs¬ 
desinfektion ist in den und den Räumen auf die und die Art durch 
den Wohnungsdesinfektor vollzogen.“ Diese Desinfektion wird 
dann auch ein willkommener und wirksamer Bundesgenosse für 
die Massregel der Absonderung sein. Wenn die Leute sehen, 
dass jeder Seuchenfall soviel Umstände und Kosten verursacht, 
werden sie allmählich zu dem Einsehen gelangen, dass diese 
Krankheiten wirklich ansteckend, also vermeidbar sind, und sich 
vor unnötiger Berührung mit denselben hüten. — Es ist auch 
nicht richtig, zu fragen: „Welche Erfolge hast Du denn mit 
Deinen Einrichtungen aufzuweisen P Sind bei Dir denn wirklich 
soviel weniger Seuchen als anderswo P“ und von der Bejahung 
dieser Frage erst seine Mitarbeit abhängig zu machen. Ich habe 
eine Seuchenstatistik der letzten 10 Jahre in meinem Kreise zu¬ 
sammengestellt; ein besonderer Erfolg ist daraus nicht ersicht¬ 
lich; in den Jahren 1901 und 1902 sind gerade ungewöhnlich 
viele Seuchen gewesen. Diese Statistik kann aber nichts beweisen. 
Vor unserer Desinfektionsordnung sind die Seuchen sehr viel 
weniger angezeigt, auch hatten bisher die Nachbarkreise — ich 
grenze mit 7 Kreisen — eine ordnungsmässige Desinfektion noch 
nicht durchgeführt. Wenn alle gemeinsam rüsten und arbeiten, 
wird auch der Erfolg bald und deutlich zutage treten. 

Eine Vorbedingung dazu ist aber die ständige Kontrolle 
der ganzen Einrichtung, speziell der Wohnungsdes¬ 
infektoren durch den Kreisarzt. Wir werden ja dazu nicht 
beauftragt; wenn wir aber nach dem Bilde des Herrn Professor 
Dr. Fränkel als leichte Kavallerie viel im Kreise herumreisen, 
werden wir gern kleine Umwege auch unentgeltlich machen. Die 
Wohnungsdesinfektoren dürfen sich vor uns niemals sicher fühlen; 
Ich lasse mir dazu die Termine der Wohnungsdesinfektion stets 
von den Gemeindevorstehern rechtzeitig mitteüen. Durch regel¬ 
mässige Nachprüfungen ist diese unvermutete Kontrolle zu 
ergänzen. 


(Lebhafter Beifall.) 


5 



66 


Diskussion zu dom Vorträge: 


Die von dem Referenten aufgestellten Leitsätze lauten 
wie folgt: 

1. Nach den bisher gewonnenen praktischen Erfahrungen 
ist auch auf dem platten Lande die Desinfektion in wirksamer 
Weise durchzuführen. 

2. Sie ist sanitätspolizeilich anzuordnen bei jedem angezeigten 
Falle von Unterleibstyphus, Ruhr, Diphtherie, Scharlach, Lungen- 
und Kehlkopftuberkulose; die Wohnungsdesinfektion bei Tuber¬ 
kulose jedoch nur nach erfolgtem Tode oder Wohnungswechsel. 

3. Zur amtlichen Kontrolle der Desinfektion während des 
Verlaufs der Seuche sind von den Kreisen möglichst viele 
Desinfektionsaufseher anzustellen, mindestens einer für jeden Amts¬ 
bezirk. Zur Ausführung der Wohnungsdesinfektion nach Ablauf 
der Seuche dagegen nur wenige (2—31 in zweckmässiger Ent¬ 
fernung voneinander stationierte Wohnungsdesinfektoren. 

4. Die Ausrüstung der Desinfektionsaufseher besteht in 
Lehrbuch, Dienstanweisung und Tagebuch. Für jeden Desinfektor 
ist dagegen ausserdem noch Gerät zur sog. einfachen Desinfektion 
und ein Formalinapparat zu beschaffen sowie ein Dampf-Desinfek- 
tionsapparat an seinem Stationsorte aufzustellen. 

5. Die Bezahlung der Desinfektionsaufseher hat nach Einzel¬ 
leistung aus den Amtskassen zu erfolgen. Die Bezahlung der Woh¬ 
nungsdesinfektoren hat in einem festen und für jede Desinfektions¬ 
art gleichen Tagegelde, nebst freier Reise, freier Verpflegung und 
freier Lieferung sämtlicher Desinfektionsmittel zu bestehen; sie 
ist zu etwa gleichen Teilen von der Gemeinde und vom Eireise zu 
tragen. 

6. Der Kreisarzt hat die Desinfektionsaufseher und ins¬ 
besondere die Wohnungsdesinfektoren möglichst häufig unvermutet 
zu kontrollieren und sie in regelmässigen Zeitabständen (alle 
2—3 Jahre) nachzuprüfen. 

Diskussion 1 ): 

H. Reg.- u. Med.-Rat Dr. Dlitschke-Erfart: M. H.! Sie wissen alle, 
daß es zu den schwierigsten Aufgaben der Mcdizinalbcamten gehört, eine ge¬ 
nügende Zahl von Desinfektoren für den Kreis bezw. den Bezirk zu schaffen, 
and es ist Ihnen aus eigener Erfahrung bekannt, daß nichts so unpopulär ist, 
wie das Desinfektionswescn selbst. Deshalb würde ich es nur als eine Er¬ 
schwerung der jetzigen Bestrebungen, ausreichendes Desinfektionspersonal zu 
beschaffen, ansehen, wenn außer den Desinfektoren noch Desinfektions aufs eh er 
geschaflen würden, wie der Herr Kollege Rome ick dies vorschlägt* Man 
kommt mit den Desinfektoren allein ganz gut aus, und der Aufseher ist doch 
nichts als ein zweiter ausgebildeter Desinfektor. Mir scheint das Institut der 
Desinfektionsaufseher ganz überflüssig zu sein. Ich verweise in dieser Beziehung 
auf die Erfahrungen in den Reg.-Bez. Arnsberg und Erfurt. Ich habe in beiden 
Bezirken in dieser Beziehung genügende Erfahrungen gesammelt, und nach 
diesen sind wir mit dem Institut der Desinfektoren allein gut ausgekommen 
wenn der Oang sich folgendermaßen gestaltet: 

Nachdem der Anzeigepflicht genügt ist, stellt die Polizeibehörde dem 
Haushaltungsvorstand eine gedruckte Verfügung mit den erforderlichen Des¬ 
infektionsvorschriften zu. Der Desinfektor sucht den Kranken auf und erklärt 


J ) Die Diskussion über diesen Vortrag fand erst am zweiten Sitzungs- 
tage statt, ist aber hier des besseren Zusammenhanges wegen gleich angefügt. 



Die praktische Durchführung der Desinfektion auf dem platten Lande. 67 


den Angehörigen, wie die fortlaufende Desinfektion vorzunehmen sei, und über¬ 
zeugt sich dann ferner in gewissen Intervallen, ob die Desinfektionsvorschriften 
richtig ausgeführt sind. Ich muß sagen, ich würde es als eine wesentliche 
Erschwerung der Durchführung der Desinfektion ansehen, nun noch eine zweite 
Kategorie, die Desinfektionsaufseher anzustellen. Darauf müssen wir aber 
vornehmlich Rücksicht nehmen, besonders jetzt, wo die Ausführungsbestimmungen 
zum Reichsseuchengesetz demnächst gesetzliche Kraft erhalten werden, und 
wo das, was, bisher aus hygienischer Ueberzeugung von uns angeordnet ist, 
jetzt eine gesetzliche Basis erhält. 

Was die Frage der Beschaffung des Desinfektionspersonals an¬ 
langt, so habe ich in Arnsberg und Erfurt die Ueberzeugung gewonnen, daß man 
bei gutem Willen und mit der nötigen Energie in kurzer Zeit geradezu ein Heer 
von Desinfektoren schaffen kann. Allerdings ist es nur der zielbewußten Mit¬ 
arbeit der Herren Kollegen zu verdanken, daß in den beiden Bezirken Arnsberg 
und Erfurt in kurzer Zeit so gute Resultate erzielt wurden. Wir haben z. B. 
im Reg.-Bez. Erfurt in einem Jahre fast 30 Desinfektoren ausgebildet und an¬ 
gestellt. Das schwierigste bei der ganzen Organisation des Desinfektionswesens 
bildet die Regelung der Kosten, nicht die Personalfrage. Man muß die 
Kämpfe wegen der Bezahlung der Kosten mit den Kreisen und den Aemtern 
durchgefochten haben, um das zu verstehen. Da ist nur etwas zu erreichen, 
wenn von vornherein durch die Bezirksinstanz genau bestimmt wird, daß die 
Kosten auf breitere Schultern gewälzt und vom Amt oder vom Kreise über¬ 
nommen werden. Vollständig verfehlt ist es ferner, wenn dem Desinfektor 
überlassen bleibt, die entstehenden Kosten vom Publikum selbst einzuziehen; 
denn der Desinfektor muß unabhängig vom Publikum sein. Das Amt oder die 
Polizei-Verwaltung muß ihn honorieren und ihm auch die Desinfizientien 
liefern, damit der Desinfektor nicht zu falscher Sparsamkeit im Gebrauch der 
Desinfektionsmittel verleitet wird. Zur Verbesserung der persönlichen Ver¬ 
hältnisse der Desinfektoren dient endlich wesentlich ihre Versicherung gegen 
berufliche Unfälle. Es ist den Herren Kollegen vielleicht wenig bekannt, daß 
die rheinische Berufs-Genossenschaft sich bereit erklärt hat, die Desinfektoren 
zu versichern. 

Zum Schluß möchte ich noch des in der Zeitschrift für Medizinalbeamte 
jüngst erwähnten Desinfektionsapparates nebst Ausrüstung des Herrn Kollegen 
Roepke gedenken, der hier auf dem Nebentisch aufgestellt ist. Ich darf 
nicht verhehlen, daß ich etwas enttäuscht bin; denn nach der Beschreibung in 
unserer Zeitschrift hatte ich mir den Apparat erheblich leichter vorgestellt. 
Die große Schwere des Apparates, trotz seiner praktischen Zusammenstellung, 
läßt es aber recht zweifelhaft erscheinen, ob der Apparat für unsere Des¬ 
infektoren auf dem Lande eine Verbesserung hinsichtlich des leichteren Trans¬ 
portes bringt. Das beste ist immerhin, wo es die Verhältnisse gestatten, für 
Beschaffung einer möglichst großen Zahl von Formalinapparaten in den ver¬ 
schiedensten Orten zu sorgen, schon um den Transport der Apparate in Wegfall 
zu bringen. Auf jeden Fall, m. H., ist das Problem der Konstruktion eines 
leicht transportablen Desinfektionsapparates noch nicht gelöst, und eine dank¬ 
bare Aufgabe scheint es mir zu sein, sich an der Lösung dieser Frage zu 
beteiligen. 

H. Kreisarzt Dr. Romeick - Mohrungen: M. H. 1 Da eine weitere Debatte 
nicht erfolgt ist, kann ich mich ganz kurz fassen. Auf dem Lande sind natur¬ 
gemäß alle Waffen und Abwehrmaßregeln gegen die Seuchen kostspieliger als 
in der Stadt. Alles, was Kosten macht, ist unbeliebt. Die Absonderung hat 
aber eine energische Wohnungsreform als Voraussetzung, die unendlich viel 
schwieriger und kostspieliger ist, als die Desinfektion. Daher erscheint es mir 
zweckmäßig, mit der wirksamen Durchführung der letzteren den Anfang zu 
machen. Diese gelingt weitaus am billigsten, wenn wir für die Ueberwachung 
der laufenden Desinfektion und für die Ausführung der Wohnungsdesinfektion 
verschiedene Organe schaffen. Der Desinfektionsaufseher, als Hilfsorgan des 
Amtsvorstehers, wird wegen der geringen Kosten, die er verursacht, bald po¬ 
pulär werden. Die Befürchtung, daß durch diese Einrichtung den nach An¬ 
nahme des Preußischen Seuchengesetzes zu erwartenden Desinfektionsvorschriften 
der Zentralinstanz vorgegriffen werden könnte, vermag ich nicht zu teilen. 
Dio Regierung kann nur allgemeine Direktiven geben; die spezielle Durch- 


5* 



68 


Schloß der Sitzung des ersten Tages. 


führong der Maßregeln maß den Kreisen überlassen werden, da diese die Kosten 
tragen. Der Kreisarzt wird demnach überall die Vermittelung zu übernehmen 
haben. Ich habe daher geglaubt, daß die Darlegung der in einem Kreise ge¬ 
troffenen Einrichtungen einigen Kollegen erwünscht sein könnte. Schließlich 
bemerke ich noch, daß die Ton mir aufgestellten Leitsätze nicht zur Abstim¬ 
mung bestimmt sind; sie sind nur eine kurze Wiedergabe der Hauptpunkte 
meines Beferates. 

Die Versammlung beschließet hierauf, von den Leitsätzen 
Kenntnis zu nehmen. 

Schluß der Sitzung gegen 3 Uhr nachmittags. 

Nachmittags 4 1 /, Uhr vereinigte das Festessen im Hotel 
Kasten fast sämtliche Teilnehmer mit ihren Damen zu frohbe¬ 
wegtem Beisammensein. Nach Besuch des Königlichen Hof¬ 
theaters oder eines anderen Theaters trafen sich dann die 
Mehrzahl der Teilnehmer im Restaurant „Bristol“ am Bahnhof. 



Zweiter Sitzungstag. 

Sonnabend, den SO. April, vormittags OV4 Uhr 


Vorsitzender: M. H.! Ich eröffne die Sitzung. Wir haben 
die grosse Ehre, als Vertreter Sr. Exzellenz des Herrn Oberprä- 
sidenten den Herrn Landrat Dr. Kriege, sowie als Gäste den 
Herrn Landgerichtspräsidenten Friedberg und den Direktor der 
tierärztlichen Hochschule, Herrn Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. Dam« 
mann bei uns zu sehen. Ich heisse diese Herren herzlichst will¬ 
kommen ! 

H. Landrat Dr. Kriege: Sehr geehrte Herren! Der Herr 
Oberpräsident hat mich beauftragt, Ihnen sein lebhaftes Bedauern 
darüber auszusprechen, dass es ihm infolge dienstlicher Inanspruch¬ 
nahme leider nicht vergönnt ist, hier persönlich zu erscheinen 
und an Ihren bedeutsamen Beratungen und Beschlüssen teilzu¬ 
nehmen. Sie wissen, dass der Herr Oberpräsident sein ganz be¬ 
sonderes Augenmerk auf die Hebung und Verbesserung der ge¬ 
sundheitlichen Verhältnisse gerichtet hat, dass er alle auf diesem 
Gebiete liegenden Bestrebungen mit Freude begrüsst und Ihren 
Beschlüssen ein ganz besonderes Gewicht beimisst. Deshalb hat 
er mich beauftragt, Ihnen seinen herzlichsten Willkommengruss 
in der hannoverschen Provinzialhauptstadt auszusprechen und 
Ihren heutigen Beratungen die besten und schönsten Erfolge zu 
wünschen. 

(Beifall.) 

Vorsitzender: Ich bitte Herrn Landrat Dr. Kriege, dem 
Herrn Oberpräsidenten unseren verbindlichsten Dank für das 
gütige Wohlwollen übermitteln zu wollen. 



70 


Bericht der Kassenrevisoren and Wahl des Vorstandes. 


I. Bericht der Kasseirerlserei «ul Wahl 
des Vorstaides. 

Kreisarzt Dr. Kluge - Wolmirstedt: Wir haben die Kasse 
geprüft and Einnahmen wie Ausgaben mit den Belegen in Ord¬ 
nung gefunden, so dass wir beantragen können, dem Kassenführer 
Entlastung zu erteilen. 

Vorsitzender: Da sich kein Widerspruch erhebt, stelle 
ich fest, dass dem Kassenführer Entlastung erteilt ist. Wir 
kommen nunmehr zur Wahl des Vorstandes. 

H. Reg.- u. Geh. Med.-Rat Dr. Guertler: M. H.! Der 
bisherige Vorstand hat die Geschäfte in so vorzüglicher Weise 
geleitet, dass ich glaube, wir können nichts besseres tun, als den 
Vorstand bitten, die Geschäfte weiter zu führen. Nach § 10 der 
Satzungen ist die Wahl per Akklamation erlaubt und ich möchte 
mir den Vorschlag erlauben, dass wir von diesem Paragraphen 
Gebrauch machen. 

(Lebhafte Zustimmung.) 

Vorsitzender: Da sich kein Widerspruch erhebt, ist dieser 
Wahlmodus zulässig. Ich stelle also fest, dass der bisherige Vor¬ 
stand wiedergewählt ist; in seinem Namen kann ich erklären, 
dass er mit Dank für Ihr Vertrauen die Wahl annimmt. 


II. II« giriehtsärztllcfae Btirtellug der Konsfaschercf- 

Delikfe. 

A. 

H. Med.-Rat Prof. Dr. Puppe, Gerichtsarzt in Königsberg 
i. Pr., erster Referent: Sehr geehrte Herren! Unter ganz besonders 
günstigen Auspizien hat der Preussische Medizinalbeamten-Verein 
dieses Mal seine Hauptversammlung abgehalten; ist doch das viel¬ 
umstrittene Preussische Seuchengesetz erst vor wenigen Tagen 
von dem Abgeordnetenhause verabschiedet worden. Eine längst 
erstrebte Forderung der Medizinalbeamten ist damit erfüllt worden. 
Aber vergessen wir nicht, dass in dem Becher der Freude manches 
Wermuttröpfchen enthalten ist; in so manchem Punkte ist uns 
nicht gegeben worden, was wir im Interesse der Volksgesundheit 
erstrebten. Davon abgesehen, werden sich noch in einem Punkte 
bei der Durchführung des Gesetzes Schwierigkeiten ergeben, und 
dieser wichtige Punkt ist der, dass die Aerzteschaft sich die Be¬ 
handlung der ansteckenden Krankheiten wird teilen müssen mit 
dem gewerbsmässigen und nicht gewerbsmässigen Kurpfuschertum. 
Der Kurpfuscher, der nicht gelernt hat, die Infektionskrankheiten 
als solche zu erkennen, der Kurpfuscher, der mit einem billigen 
Witz sich über die Befürchtungen, die der Kundige hinsichtlich 



Dr. Pappe: Die gerichtsärztliche Beurteilung der Kurpfuschereidelikte. 71 

der Verbreitung der Infektionskrankheiten hegt nnd ansspricht, 
hinwegsetzt, der Kurpfuscher, der die ihm anvertrauten mensch¬ 
lichen Wesen in anzweckmässiger Weise behandelt, wird wie bisher 
ebenso wie der Arzt von dem Heilung von Krankheiten suchenden 
Publikum in Anspruch genommen werden. Es ist wiederholt in 
letzter Zeit betont worden, wie wichtig es gerade ist, die ersten Fälle 
einer Infektionskrankheit richtig zu erkennen und entsprechende 
Massregeln zu treffen, damit sie nicht weiter verbreitet wird; dass 
der Pfuscher aber Infektionskrankheiten behandeln darf, ist eine 
Tatsache, welche nicht geeignet ist, den Zielen und Zwecken, die 
der Gesetzgeber bei dem Seuchengesetz verfolgte, förderlich zu 
sein. Im Gegenteil! 

Durch die Gewerbeordnung sind ja — das ist Ihnen allen 
bekannt — hinsichtlich der Krankenbehandlung die Verhältnisse 
in der Weise geregelt worden, dass jeder Mensch jeden Kranken 
behandeln darf, und dass es nur eben darauf ankommt, dass der 
betreffende Heilbeflissene seine Sache versteht. Die heilenden 
Aerzte sowohl, wie Nichtärzte stehen damit rechtlich vollständig 
nebeneinander, was die Möglichkeit der Heilung eines Krankheits¬ 
falles anbetrifft. Der Arzt hat aber gewisse Privilegien: Nur er 
darf sich Arzt nennen, nur er darf gewisse Medikamente ver¬ 
schreiben, nur er darf behördliche Urkunden als die Heilung 
Leitender und Begutachtender unterschreiben. Dafür ist der 
Nichtarzt, welcher gewerbsmässig oder nicht gewerbsmässig Kranke 
heilt oder zu heilen versucht, an vieles nicht gebunden, was den 
ehrenwerten Arzt in seinen Entschliessungen und Handlungen be¬ 
stimmt. Der Nichtapprobierte ist in der Lage, Eeklame zu machen; 
kein Standesgesetz bindet ihn in dieser Beziehung. Es ist der 
Initiative des Herrn Ministers der geistlichen, Unterrichts- und 
Medizidal- Angelegenheiten zu danken, dass der Reklame der 
Kurpfuscherei, welche Ueberhand zu nehmen drohte, durch eine 
Verfügung vom 28. Juni 1902, betreffend die Bekämpfung der 
Kurpfuscherei, ein Damm entgegengesetzt ist. Durch die auf 
Anlass dieser Verfügung erlassenen Regier.-Polizeiverordnungen 
sind öffentliche Anzeigen von nicht approbierten Personen, welche die 
Heilknnde gewerbsmässig ausüben, verboten, insofern sie über 
Vorbildung, Befähigung oder Erfolge dieser Personen zu täuschen 
geeignet sind oder prahlerische Versprechungen enthalten. Ausser¬ 
dem ist die öffentliche Ankündigung von Gegenständen, Vorrich¬ 
tungen, Methoden oder Mitteln, welche zur Verhütung, Linderung 
oder Heilung von Menschen- und Tierkrankheiten bestimmt sind, 
verboten, wenn den Gegenständen etc. über ihren wahren Wert 
hinausgehende Wirkungen beigelegt werden oder das Publikum 
durch die Art ihrer Anpreisung irregeführt oder belästigt wird, 
oder wenn die Gegenstände etc. ihrer Beschaffenheit nach geeignet 
sind, Gesundheitsstörungen hervorzurufen. Endlich ist auf An¬ 
lass jener Verfügung die Meldepflicht der Kurpfuscher eingeführt. 
Die getroffenen Bestimmungen sind sehr wirksame, als sie in 
der Tat gestatten, die schamlos betriebene Reklame der Pfuscher 
zu unterdrücken. Aber wir wissen alle, dass die nicht approbierten 



72 


Dr. Poppe. 


Heilbeflissenen längst Mittel und Wege gefunden haben, doch den 
beabsichtigten Zweck zu erreichen. Sie selbst treiben keine Re¬ 
klame, aber andere tun es für sie, in einer Form, die bescheiden 
klingend, doch weiter nichts als plumpe Reklame ist; oder sie 
treten in ihren Vereinen auf, die sie um sich zu gruppieren ver¬ 
stehen, und senden in jedem ihrer interessierten Vereinsmitglieder 
Werbe -Apostel hinaus in die Menschheit. Es ist eigentümlich, 
dass in unserer Zeit der Aufklärung so viele Heilungsuchende den 
Anpreisungen der Pfuscher erliegen. Es hängt das zweifellos mit 
dem Hang nach dem Mystischen, welcher der menschlichen Natur 
innewohnt, zusammen; die klare Sonne wissenschaftlicher Er¬ 
kenntnis ist bei vielen Menschen leider weniger angesehen, als 
das mystische Dunkel unklaren Dunkelmännertums. 

Bei der Beurteilung eines Pfuschers wird der Richter stets 
das subjektive Schuldmoment zu berücksichtigen haben; 
die Frage der subjektiven Verschuldung steht gleichwertig neben 
der zweiten Frage nach dem objektiven Tatbestand. Es ist 
zweifellos die Aufgabe des gerichtsärztlichen Sachverständigen, 
den Richter bei der Feststellung des subjektiven Tatbestandes 
intensiv zu unterstützen. Der Richter legt sich die Frage vor: 
„War sich der Angeklagte bewusst, Täuschungshand- 
lungen begangen zu haben? Hat er einen betrügerischen Willen 
gehabt? War er sich der Unzulänglichkeit seiner Kenntnisse be¬ 
wusst, als er sich als Heilkundiger niederliess? Konnte er vor¬ 
aussehen, dass sein Verhalten eine Schädigung der Gesund¬ 
heit des von ihm Behandelten bewirken würde dadurch, dass eine 
Verschlechterung der Krankheit eintrat oder auch dadurch, dass 
die Heilung verzögert wurde?“ 

Man sollte meinen, dass diese Fragen einfacher Natur wären. 
Das komplizierte Gefüge des menschlichen Körpers, die Funktionen 
seiner Organe, die Lehre von den Krankheiten, das sind alles 
Punkte, welche meines Dafürhaltens von jedem, der sich mit der 
Heilung von Kranken beschäftigt, auch vollständig beherrscht 
werden sollten. Demgegenüber hören wir aber von einer Reihe 
von Fällen, in welchen das subjektive Verschulden verneint worden 
ist, weil den Betreffenden nicht nachgewiesen werden konnte, dass 
sie in bewusster Weise sich strafbar gemacht hatten. Ich erinnere 
hier an die Behandlung, welche Kühne 1 ) zuteil geworden ist; 
er hatte die Einheitslehre der Krankheiten ausgesprochen, d. h. er 
hatte gesagt, es gebe nur eine Krankheit, ebenso gebe es auch 
nur eine Behandlung. Zur Erkennung seiner Krankheiten brauche 
er keine Anatomie, keine Diagnose; es genüge ihm dazu seine 
Gesichtsausdruckskunde (Psycho-Physiognomik). Seitens des Ge¬ 
richts ist ein hoher Grad von Selbstschätzung bei Kühne fest¬ 
gestellt worden, und es ist erklärt worden, dass während der 
fast eine Woche dauernden Gerichtsverhandlung es nicht ge - 


*) Urteil des Königlichen Landgerichts Leipzig vom 2. Februar 1901. 
Sammlung gerichtlicher Entscheidungen auf dem Gebiete der öffentl. Gesund¬ 
heitspflege. Beilage zu den Veröffentlichungen des Kaiserlichen Gesundheits¬ 
amts. Berlin, Verlag von Springer. Bd. III; 1902, S. 349. 



Die gerichts&rzüiche Beurteilung der Kurpfuscherei - Delikte. 


73 


langen sei, den subjektiven Schuldbeweis zu erbringen, weil 
Kühne selbst an seine Lehre und an seine Kur geglaubt habe. 
Gleichzeitig führt das Urteil am Schluss jene bekannte Unredlich¬ 
keit Kühnes an, der einen Buckligen an einem Tage zweimal 
photographieren und die Abbildungen in seinem Buche reprodu¬ 
zieren liess, indem er zu den Abbildungen bemerkte: Die Ab¬ 
bildung en face stellte den Kranken nach der Behandlung und 
die Profil - Abbildung vor der Behandlung dar. Es ist von dem 
Gericht gesagt, dass es hierin einen unlauteren Wettbewerb er¬ 
blicke, dass es aber wegen mangelnden Strafantrages dieses De¬ 
likt nicht verfolgen könne. Ich vermag nicht einzusehen, warum 
gerade in dieser zweifellos bewussten Unredlichkeit ein zur Be¬ 
jahung der subjektiven Schuldfrage führendes Moment nicht ge¬ 
legen hat. Dass der Leipziger Beibesitzbad - Künstler damals 
freigesprochen ist, hat gewiss in vielen, nicht allein in ärztlichen 
Kreisen Befremden erregt. 

Ein anderes Urteil, welches hierher gehört, möchte ich kurz 
streifen: Es handelt sich um das Glüneckesehe Heilverfahren.*) 
Auch Glünecke hatte die Klugheit begangen, sich hinter einer 
„Einheitslehre“ zu verschanzen. Er ging davon aus, dass im 
Körper fremde Stoffe entweder gebildet würden, oder dass die 
fremden Stoffe von aussen her in den Körper hineinkämen, und 
dass das Wesen aller Krankheiten eben diese Fremdstoffe seien. 
Er war bescheidener, als der gleich zu erwähnende Heilkünstler 
Jakobi, der erklärt hat, alle Krankheiten heilen zu können; er 
erklärte wenigstens, dass er alle bis auf Missbildungen und Ver¬ 
stümmelungen heilen könne. In dem gegen Glüneckes Schwester 
und einer Reihe Mitangeschuldigter nach seinem Tode gerichteten 
Strafverfahren erfolgte gleichfalls Freisprechung, weil eine be¬ 
wusste Täuschung des Publikums nicht Vorgelegen habe, und doch 
stellte das Urteil fest, dass eine Reihe von Unregelmässigkeiten 
in dem Betriebe vorgekommen sei, dass das Heilverfahren un¬ 
wissenschaftlich und die Reklame ungehörig sei. Es verzeichnet, 
dass eine schematische Fragebogenbebandlung stattgefunden hatte, 
dass Mediziner in höheren und höchsten Semestern ohne Examen 
als „akademisch gebildete Assistenten“ fungierten und figurierten, 
und es hebt endlich hervor, dass bei dem Verfahren, welches bei 
der Herstellung von Pflanzensäften befolgt wurde, es nicht mög¬ 
lich gewesen sei, dass der tatsächliche Gehalt der einzelnen Saft¬ 
flaschen an heilkräftigen Stoffen bis auf die Bruchteile eines 
Grammes genau angegeben werden konnte, wie es stets der Fall 
war. Das Urteil kommt zu dem Schluss, dass wohl ein Verstoss 
gegen verschiedene gesetzliche Bestimmungen hinsichtlich des 
Vertriebes von Arzneimitteln vorläge, dass aber hinsichtlich dieses 
Delikts wegen Verjährung eine Bestrafung nicht in Frage 
kommen könne. 

Auch bei diesem Sachverhalt werden wir sagen müssen, dass 


') Urteil des Königlichen Landgerichts I Berlin vom 9. Dezember 1900, 
gegen M. und Gen.; 1. c., S. 290. 



74 


Dr. Pappe. 


es uns scheinen wolle, als ob die Angeklagten wohl hätten sehen 
müssen, dass ihre Handlangen anders hätten eingerichtet werden 
mässen, und dass in der Tat eine Reihe von Täuschungshandlungen 
vorlag, welche den Angeklagten als solche anch hätten zum Be¬ 
wusstsein kommen müssen, wenn man ihnen einen gesunden 
Menschenverstand konzediert. So aber verschanzen sich die 
Angeklagten hinter einem Krankheitssystem und behaupten, ohne 
eine Spur eines Beweises erbringen zu können, mit kecker 
Stirn, ihre Lehre sei die einzig richtige. Ich kann in solchen 
Fällen die subjektive Richtigkeit einer derartigen Behauptung nur 
zugeben, wenn vom psychiatrischen Standpunkt aus das Individuum 
als nicht normal betrachtet werden darf, wenn insbesondere seine 
Urteilskraft aus irgendwelchen Gründen gelitten hat. Von solchen 
Leuten habe ich z. B. den älteren Laabs untersucht. Bei ihm 
stellte ich die krankhafte Euphorie des Greises fest, der sich 
nicht mehr überzeugen lässt. Vielleicht sind auch andere Pinscher, 
wie z. B. Jakobi, hierher zu zählen, der von sich erklärt hatte, 
er habe alle Krankheiten geheilt bis auf Lepra und Pest, zu 
deren Heilung er noch keine Gelegenheit gehabt habe. 1 ) Seine 
Kur bestand nur in der Erneuerung des Blutes; das war seine 
Krankheitslehre. Dass geistiger Defekt bei einem Teil der 
Pfuscher vorliegt, erscheint mir glaubhaft und wahrscheinlich; ich 
denke dabei auch an die nahe Verwandtschaft von Pfuscherei und 
Kriminalität, insofern, als wir wisseu, dass ein nicht unbeträcht¬ 
licher Teil der gewerbsmässigen Pfuscher eine kriminelle Ver¬ 
gangenheit hat, als es sich um bankerotte Existenzen handelt, die 
infolge psychischer oder somatischer Ursachen im Leben Schiff¬ 
bruch gelitten haben. Jedenfalls würde ich die nähere Ergründung 
der Psyche derartiger Personen, wenn ihnen der gute Glaube zu¬ 
gemessen werden soll, für notwendig erachten; ergibt sich dagegen, 
dass nur Ignoranz, Selbstüberschätzung und dergleichen 
vorhanden sind, dann wird man fordern müssen, dass auch sie be¬ 
handelt werden als Leute, welche die Tragweite ihrer Handlangen 
sehr wohl zu überlegen imstande sind. Dass der menschliche Körper 
bei der Behandlung von Krankheiten sehr genau gekannt werden 
muss, das ist eine Forderung, welche der leidende Mensch zu 
stellen das Recht hat. 

Auch der Tilsiter Heilkundige Schröter ist auf seinen 
Geisteszustand untersucht worden. Man hat bei ihm gewisse 
Zeichen einer Degeneration festgestellt, aber man hat nicht fest¬ 
gestellt, dass er etwa als unzurechnungsfähig zu erachten sei; die 
Bestrafung ist erfolgt, nachdem die fast drei Wochen lang 
dauernde Hauptverhandlung eine Fülle von Momenten für die Be¬ 
jahung der subjektiven Sehuldfrage ergeben hatte. Es stellte sich 
nämlich heraus, dass der Angeklagte zwar viele Bücher, ins¬ 
besondere populäre Schriften über Homöopathie und Naturheilkunde 
gelesen hatte, und dass er sich anmasste, alle möglichen Heil¬ 
verfahren zu beherrschen. Die Hauptverhandlung hat ihm Ge- 

*) Urteil des Königlichen Landgerichts Berlin vom 28. Oktober 1899; 1. c., 
S. 286. 



Die gerichtsärztliche Beurteilung der Kurpfuscherei - Delikte. 76 

legenheit gegeben, za auskaltieren and za perkatieren and seine 
Kenntnisse auf allen Gebieten der Heilkunde darzntnn. Es ist 
sehr anerkennenswert, dass sich der Gerichtshof, der Mtihe 
unterzog, in dieser Ausführlichkeit auf das subjektive Schuld¬ 
moment einzugehen, und da haben dann die langen Verhandlungen — 
im ganzen standen nur 59 Fälle zur Anklage — ergeben, dass er 
gelogen hatte, als er behauptete, bei dem Homöopathen Dr. Schttss- 
ler in Oldenburg vorgebildet zu sein; auch dafür, dass er von 
einem seiner Patienten 2000 Mark zur weiteren Ausbildung er¬ 
halten hatte, hat die Verhandlung nichts ergeben. Man hat ihn 
magnetische Experimente machen lassen, und erkannt, dass er 
dabei plump zu schwindeln suchte; den Dunst seiner schweissigen 
Hand, der sich auf der kalten Fensterscheibe niederschlug, hat 
er für Magnetismus auszugeben versucht. Seinen einfältigen 
Patienten hat er an Wandtafeln demonstriert, so viel Kraft habe 
Christus, und so viel habe er — Schröter; Christus könne Tote 
auferwecken, er könne Kranke gesund machen. Dabei hat er sich 
nicht gescheut, eine geschlechtskranke Patientin geschlechtlich zu 
gebrauchen, und eine andere Patientin mit der Gonorrhoe, die er 
akquiriert hatte, zu infizieren. Wie ein Stümper ist er bald von 
einer Krankheitstheorie zur anderen gekommen; bald hat er die 
Diagnose durch Kühnes Psycho-Physiognomik gestellt, bald hat 
er die Augendiagnose, auf die ich alsbald kommen werde, an¬ 
gewendet, bald hat er behauptet, durch Hellfühlen die Krankheit 
ermittelt zu haben; dann wieder hat er homöopathisch ordiniert 
und wie der von ihm geschmähte Schulmediziner den Kranken 
untersucht. Wie die Vielzahl seiner Untersuchungsmethoden, 
so stellen auch seine Behandlungsmethoden eine durch nichts ge¬ 
rechtfertigte Polypragmasie dar: Licht, Luft, Lehm, Magnetismus, 
Luisenquellwasser, Apfeltee, Sand! (innerlich!), Biochemie, Homöo¬ 
pathie, Vibrations-Massage, Oszillations-Massage, Baunscheidtismus, 
Kühnes Reibe-Sitzbäder, Rumpfbäder etc. bildeten sein thera¬ 
peutisches Rüstzeug. Er hat wegen 27 fachen Betruges, 8facher 
Körperverletzung und wegen einmaligen versuchten Betrages eine 
Strafe von 2 Jahren Gefängnis erlitten. Wie mir neulich mitge¬ 
teilt worden ist, soll er mittlerweile nach Amerika ausgewandert 
sein, nachdem er seine Strafe verbüsst hat. 

Für die Klärung des subjektiven Tatbestandes erscheint 
neben diesen mehr allgemeinen Ueberlegungen von höchster Be¬ 
deutung das Urteil des III. Strafsenats des Reichsgerichts vom 
12. April 1882. 1 ) In diesem Urteil wird ausgesprochen, dass ein 
gewerbsmässig Kranke Behandelnder eine besondere erhöhte Pflicht 
zur Aufmerksamkeit habe, und dass nicht nur die allgemein 
geltenden Gebote der Vorsicht, sondern auch die speziell für den 
Beruf des Kranke Behandelnden bestehenden Gebote erhöhter Auf¬ 
merksamkeit hinsichtlich der §§ 222, Abs. 2 und 280, Abs. 2 des 
St.-G.-B. Anwendung finden sollen. Es war gerade die bewusste 


') Rechtsprechung des Deutschen Reichsgerichts, Strafsachen; Bd. IV, 
1882, S. 313. München und Leipzig. Verlag von Oldcnbourg. 



76 


Dr. Pappe. 


Absicht der Gesetzgebung, so führt das Urteil aus, um bei dem 
durch die Gewerbeordnung freigegebenen ärztlichen Gewerbe die 
Gefährdung des Lebens und der Gesundheit durch unqualifizierte, 
die Heilkunde gewerbsmässig ausübende Personen strenge zu 
ahnden, derartige Kurpfuscher auch für Kunstfehler strafrechtlich 
verantwortlich zu machen; deshalb habe man von der Aufnahme 
mildernder Strafbestimmungen zugunsten solcher, speziell ärztlicher 
Fahrlässigkeit, Abstand genommen; wer die Heilkunde gewerbs¬ 
mässig betreibt, hat Fehler gegen anerkannte Regeln der Heil¬ 
kunde ebenso zu vertreten, wie eine geprüfte und approbierte 
Medizinalperson. Wenn wir die Worte dieser Entscheidung kennen, 
so vermögen wir es z. B. nicht recht einzusehen, wenn wir in 
einem gerichtlichen Urteil über die frivole Vornahme einer Band¬ 
wurmkur und dadurch bewirkten Betrug und Körperverletzung 
die Ansicht ausgesprochen hören, dass der Angeklagte zwar die¬ 
jenige Vorsicht nicht beobachtet habe, welche für einen Arzt im 
gleichen Fall geboten gewesen wäre, als Laie aber habe er die 
nachteiligen Folgen des Gebrauchs des Mittels (Farrenkrautextrakt) 
in ihrem ganzen Umfang nicht voraussehen können. *) Ich glaube 
im Gegenteil, dass der Pfuscher bei Anklage wegen fahrlässiger 
Körperverletzung und Tötung mit demselben Mass gemessen werden 
muss, wie der Arzt; was dem einen recht ist hinsichtlich der 
Bewertung der von ihm ausgeübten Handlungen, das muss dem 
andern billig sein. Diese Ansicht ergibt sich aus den rechtlichen 
Verhältnissen, wie sie durch die Gewerbeordnung geschaffen sind. 

In einer Reihe von Fällen ist in betrügerischer Absicht ein 
Heilversprechen seitens der behandelnden Laien abgegeben 
worden. Im Schröter-Prozess erfolgte in der Mehrzahl der 
Fälle von Betrug die richterliche Feststellung, dass in betrüge¬ 
rischer Absicht ein Heilversprechen abgegeben sei, was der An¬ 
geklagte nicht abgeben durfte. Wir hören auch, dass diese Heil¬ 
versprechen in einer Reihe von anderen richterlichen Urteilen eine 
wesentliche Rolle spielten, in denen Verurteilung wegen Betruges 
und wegen unlauteren Wettbewerbs erfolgte. So kennen wir ein 
Urteil des Königlichen Landgerichts in Neuburg a. D. vom 11. Fe¬ 
bruar 1901,*) in welchem ausgeführt wird, dass ein vorbestraftes 
Individuum einen Schwindsüchtigen in 18 Tagen gesund machen zu 
wollen vorgab, dafür 20 Mark Anzahlung nahm und dann die Kur 
durch Gebete, Kräuter-Säfte, Schmalzumschläge, innere Schmalz- 
und Kräuterdarreichung und Magnetismus unternahm. Es ist in 
diesem Falle wegen Betrages im Rückfalle eine Zuchthausstrafe 
von 1 Jahr und 6 Monaten verhängt worden. Das Urteil des 
Königl. Landgerichts zu Bautzen vom 30. März 1900, 8 ) bestätigt 
durch das Urteil des Reichsgerichts vom 16. Juni 1900, geht 
davon aus, dass ein Angeklagter inseriert hatte: Damen erhalten 


!) Urteil des Königlichen Landgerichts za Frankfurt a. M. vom 12. 
1899; 1. c., S. 321. 

*) 1. c., S. 337. 

•) L c., S. 341. 


Hai 



Die gerichtsärztliche Beurteilung der Kurpfuscherei-Delikte. 


77 


schnelle Hille in allen diskreten Leiden, wie Regelstörungen jeder 
Art, Weis8fluss usw.; selbst Brnstknoten (Krebs), sowie alle nnr 
vorkommenden Krankheiten heilt schnellstens St. 1 ) Der Ange¬ 
klagte ist in diesem Falle wegen Vergehens gegen § 4 des Reichs¬ 
gesetzes zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs vom 
27. Mai 1896 bestraft worden. In dem Urteil ist ausgeliihrt, dass 
die Uebertreibung seiner heilgewerblichen Leistungen durch den 
Inserenten deutlich die Absicht erkennen lasse, die der Angeklagte 
mit der Veröffentlichung des Inserats verfolgt habe. Dadurch, 
dasB er die Schnelligkeit seiner Heilweise besonders betonte, da¬ 
durch, dass er sogar Krebs zu heilen versprach, suchte er den 
Anschein zu erwecken, als sei er im Besitz ganz aussergewöhn- 
licher heilkräftiger Mittel, und als sei seine Heilmethode eine ganz 
besonders glückliche und erfolgreiche, erfolgreicher als die der 
durch medizinisches Studium geschulten Aerzte. 

Die Heil versprechen, welche Schröter in betrügerischer 
Absicht gegeben hatte, kann ich hier unmöglich alle im einzelnen 
anftfthren; ich will nur folgendes erwähnen: 

Eine Patientin kam zu ihm mit einer ßttckenverkrttmmung; er behandelte 
sie mit magnetischen Sitzungen, indem er erklärte, er müsse durch den Magne¬ 
tismus die Wirbelsäule geschmeidig machen, hierzu gebrauche er 1 Jahr. Einem 
Förster, welcher an einer unheilbaren Hemiplegie mit Aphasie litt, versprach 
er, ihm bestimmt gesund zu machen und zwar in kurzer Zeit; es sei lächerlich, 
daß die Aerzte ihn nicht schon gesund gemacht hätten. Einem an unheilbarem 
epileptischen Blödsinn Leidenden versprach er Heilung in 9 Monaten; hierbei 
zeigte er der Mutter des jungen Menschen in einem Buch die Abbildung 
einer Hand, von welcher Strahlen ausgingen; so wäre seine Hand und 
sein Körper. 

In einigen Fällen wurde, obwohl ein Heilversprechen nicht 
abgegeben war, eine Verurteilung nicht ausgesprochen, weil an¬ 
genommen wurde, dass das Heilversprechen nur in Form einer 
allgemeinen Vertröstung abgegeben war oder weil der betreffende 
Patient angab, dass er gar keine Heilung, sondern nur eine ge¬ 
wisse Linderung seines Leidens erwartet habe. 

Wenn wir uns nunmehr zu den diagnostischen und therapeuti¬ 
schen Methoden der Pfuscher wenden, so weiss ich sehr wohl, 
dass ich nicht imstande bin, Ihnen hier aus eigener gerichtsärztlicher 
Erfahrung alle Kurpfuschermethoden und Praktiken, die es gibt, 
auseinander zu setzen, aber ich will versuchen, Ihnen etwas über 
die wichtigsten mitzuteilen und bitte Sie selbst, die Sie ja alle 
in dieser Beziehung eigene Erfahrungen besitzen, nachher in der 
Diskussion diese mitzuteilen, so dass wir imstande sind, ein Bild 
über die Ausdehnung, die Folgen und die Art der Pfuscherei aus 
dieser Besprechung zu gewinnen. Vor mir liegt ein Blatt, welches 
ein bekannter, in hohen Kreisen geschätzter Kurpfuscher geschrieben 
hat, der bekannte Gössel. Ein mir befreundeter Herr hatte Ge¬ 
legenheit, ihn in einer Familie zu sehen, in welcher er einen 
Patienten behandelte. Auf Wunsch des betreffenden Patienten 
liess sich auch mein Gewährsmann von Gössel untersuchen. 
Gössel setzte sich zu ihm, fasste ihn an die Hand und schrieb 



78 Dr. Puppe. 

dann wie einem inneren Drange gehorchend mit Bleistift nachfol¬ 
gende Worte nieder: 

„Die Vergrößerung der Blase hat im Unterleib eine eigenartige Zirku¬ 
lation geschaffen und setzt das Blut die Wasserstoffe sehr schwer und dick 
in den Nieren ab — auch sind dadurch die Hautgefäße und die Haut mit 
vielen Salzen und Säuren belegt — welche längst dnrch die Nieren ausge¬ 
schieden werden sollten — im allgemeinen sind viel Stoffe im Körper, welche 
belästigen — der ganze Körper muß sich zusammenziehen, wenn die Wasser¬ 
stoffe im Mittelkörper verringert werden und muß durch warme Bäder und 
Massage eingerichtet werden; gezeichnet Gössel. 16. X. 1904.“ 

Dieses Dokument aus meiner Sammlung ist ein typischer Fall 
einer Krankheitsdiagnose durch Hellfühlen. Ich will nicht unter¬ 
lassen hinzuzufügen, dass die Konsultation in dem von mir vor¬ 
getragenen Fall damit endete, dass der Patient dem Kurpfuscher 
erklärte, ihm fehle gar nichts, er fühle sich vollkommen wohl und 
er habe die Konsultation nur auf Bitten des ihm befreundeten 
Patienten des Kurpfuschers statthaben lassen. Der Fall ist zu¬ 
gleich auch interessant, weil er die Neigung der in Kurpfuscher¬ 
behandlung befindlichen Patienten zur Propaganda illustriert. Es 
bedarf keines Nachweises, dass diese ganze Methode des Hell- 
fühlens Unsinn ist. Ich kann etwas fühlen, was ich mir selbst 
suggeriere; ich kann auch etwas fühlen, wenn objektive oder 
funktionelle Veränderungen irgend welcher Art in meinem Körper 
vor sich gehen oder wenn durch meine Gefühlsnerven irgend eine 
mechanische, thermische o. and. Beizung vermittelt wird, aber ich 
kann nichts fühlen, was nicht durch eine dieser erwähnten Arten 
seine natürliche Erklärung finde; das ist eben kein Hellfühlen, 
sondern, wenn Sie mir die Bemerkung gestatten, heller Unsinn. 

Die Kuhnesche Psycho-Phy siognomik erwähnte ich 
bereits. Kühne ersetzt dadurch bekanntlich die genaue Unter¬ 
suchung des Patienten; er sieht die Formen des menschlichen 
Körpers an, konstruiert sich eine Normal-Figur für das betreffende 
Individuum und spricht dann von Vorderbelastung, Seitenbe¬ 
lastung etc., wenn der Betreffende ein Plus an Körperumfang vorn, 
an der Seite etc. hat; er meint, dass hier der Sitz der Krank¬ 
heit sei, die beseitigt werden müsse. Es bedarf keines weiteren 
Wortes zum Nachweis der Hinfälligkeit einer derartigen Methode 
zur Feststellung der Krankheiten. Ein Lipom, ein Knochen¬ 
auswuchs, eine tuberkulöse Wirbelerkrankung und dergleichen, ja, 
eine einfache Wirbelsäulenverkrümmung ergeben nach Kühne 
alle Hinterbelastung; sie stellen grundsätzlich von einander ver¬ 
schiedene Krankheitsarten dar, über deren verschiedene Natur nur 
der Schwindler andere Leute hinwegzutäuschen versuchen mag, 
während er sich selbst, wenn er seine fünf Sinne beisammen hat, 
darüber klar sein muss, dass mit dem Ausdruck Belastung das 
Wesen der Krankheit nicht erschöpft ist. In einer vollen Tasche 
kann alles mögliche verborgen sein. 

Ich komme nunmehr zu der durch Schröter so bekannt 
gewordenen Augendiagnose und beziehe mich hier, indem ich 
Ihnen über dieses diagnostische Verfahren einige Mitteilungen mache, 
auf das Buch: „Die Diagnose aus den Augen“ von Nils Lilje- 



Die gorichtsärztliche Beurteilung der Kurpfuscherei-Delikte. 79 

quist, 1 ) das auch Schröter zum Studium gedient hat. £s 
handelt sich um die Behauptung, dass auf der Iris an bestimmten 
Stellen Flecke von eigenartiger Farbe vorhanden sein sollen, 
welche darauf beruhen, dass das Individuum an ganz gewissen 
Stellen des Körpers Krankheitsherde aufweist; man würde also 
in der Augendiagnose etwas ähnliches haben, wie unsere Alt¬ 
vorderen in der Cheiromanthie, in der Lehre, aus den Linien der 
Hand Vergangenheit und Zukunft des Menschen zu lesen, zu be¬ 
sitzen glaubten. Diese angebliche Methode ist «entdeckt“ durch 
einen 11jährigen Knaben Ignaz Pöczely, auf dessen Hand 
eines Tages sich eine Eule setzte; der Knabe entfernte die Eule 
mit Gewalt von seiner Hand, er brach ihr dabei ein Bein; in 
demselben Augenblick sah er einen schwarzen Strich im Auge 
der Eule entstehen, das Zeichen eines schweren Organschadens. 
Der Knabe sah die Eule nach einem halben Jahre wieder und 
noch immer in dem Auge das Zeichen des Beinbruchs, aber von 
einer weissen krummen Linie begrenzt. So wurde die Entdeckung 
der Diagnose aus den Augen gemacht. Einer der hauptsächlichsten 
Verbreiter der Pöczelyschen Lehre von der Augendiagnose ist 
Liljequist, ein schwedischer Geistlicher niederen Grades. Um 
die wissenschaftliche Höhe des Lil je quist sehen Standpunkts zu 
kennzeichnen, will ich folgende Zitate geben: 

„Kaiser Napoleon I. wollte unter keiner Bedingung die Einreibung 
seines Krätzansschlages erlauben, um seiner Gesundheit nicht zu schaden; 
indessen wird er es schließlich dennoch zugegeben haben, da er ja doch an 
Krebs starb, was meistens das schließliche Schicksal der Krätzkranken ist.“ 
(S. 13.) 

Eine einfache Methode zur Feststellung der immer noch 
strittigen Natur des Krebses. 

„Nächst der venerischen Ansteckung dürfte keine Krankheit so zur De¬ 
generation des Menschengeschlechts beigetragen haben, als die verschmierte 
Krätze; krätzige Eltern zeugen schorfige Kinder; da die eingeriebene Krätze 
nicht vollständig geheilt werden kann, geht das Krätzgift erblich auf die 
Kinder über und selbst blauäugige, aber krätzige Eltern bekommen ganz sicher 
schorfige, wenn nicht auch braunäugige Kinder.“ (S. 14.) 

Liljequist fand, daß das Merkmal des vererbten Krätzgiftes ein 
schwärzlicher, nicht scharfbegrenzter Band ist, weicher die ganze Iris um¬ 
schließt (S. 15). Die Folgen des zurückgetriebenen Schorfes sind noch 
schlimmer, als die verschmierte Krätze, schwerere Dyskrasie, englische Krank¬ 
heit, Fallsucht, Taubstummheit, Blindheit, Aussatz, Skrofeln. 

Dass auch diese Menschen Impfgegner sind, darf weiter 
nicht Wunder nehmen; es wird die Behauptung in die Welt 
posaunt, dass Deutschlands Kaiser Wilhelm II (S. 27) an der 
Spitze seines Volkes mit gutem Beispiel vorangegangen sei und 
seine Kinder nicht habe impfen lassen. Ich lasse für die Herren, 
die es interessiert, das Buch zirkulieren und verfehle hierbei 
auch nicht, eine Nachbildung des Schröter sehen Augenspiegels 
herumgehen zu lassen. Das Original ist leider am letzten Tage 
der Gerichtsverhandlung in Tilsit vom Gerichtstische gestohlen 
worden; ich kann es Ihnen nicht vorlegen und muss Sie bitten, 
sich mit dieser teilweisen Nachbildung zu begnügen. 


*) Kommissionsverlag von Krüger & C’o.; Leipzig 1903. 2. Aufl. 



80 


Dr. Puppe. 


Dass durch die Augendiagnose Krankheiten erkannt werden 
können, wird keiner, der ernsthaft denkt, behaupten wollen; auch 
Schröter hat es nicht zu beweisen vermocht. In einer Reihe 
von Fällen hat er aber, wenn die Patienten zu ihm kamen, nach¬ 
dem er ihnen mit seinem Augenspiegel die Iris untersucht hatte, 
erklärt, die Betreffenden litten an irgendwelchen Leiden, sie seien 
durch und durch krank. Dadurch hat er in mehreren Fällen den 
Betreffenden Krankheiten suggeriert und sie dazu bestimmt, 
sich von ihm behandeln zu lassen. Auch in dieser Methode ist 
der Tatbestand des Betruges erblickt worden, eine fahrlässige 
Körperverletzung dagegen nicht. Die Diagnose wurde dem Kur¬ 
pfuscher in vielen Fällen von dem Patienten mitgeteilt, nachdem 
sie ärztlicherseits gestellt war. Der Patient erklärte dem Pfuscher 
das Symptom; dieser gebrauchte dann seinen Augenspiegel, 
bestätigte die ärztliche Diagnose oder stellte etwas anderes fest 
und begann dann seine Behandlung. 

Ich möchte hier einmal einen sehr interessanten und wich¬ 
tigen Fall — wichtig, weil er typisch für viele ist — kurz vor¬ 
tragen : 

Eine junge Dame kommt za dem Kurpfuscher and klagt ihm, daß ihr 
Sehvermögen abnehme, der Augenarzt habe die Diagnose Netzhaatenzündung 
gestellt. Schröter antersacht sie mit seinem Augenspiegel; er macht die 
Begleiterin auf das Leuchten der dunklen Pupille aufmerksam, als er bei Licht 
untersucht und bestätigt die Diagnose. Die Behandlung besteht in Vibration 
der knöchernen Bänder der Augenhöhle und in Massage des Augapfels; das 
mag alles gut sein, aber tatsächlich erfährt die Patientin nach einiger Zeit, 
daß sie gar nicht an Netzhautentzündung, sondern an Netzhautablösung 
leide. Sie teilt das Schröter mit; er sieht in seinem Buche nach und meint, 
dann müsse er sie auch anders behandeln. — Eine fahrlässige Körperverletzung 
ließ sich in diesem Falle nicht konstatieren, eine Gesundheitsbeschädigung der 
der Dame ist nicht eingetreten, in den ersten Tagen hat sie sogar ein gewisses 
Gefühl von Besserung zu fühlen geglaubt, nachher aber nicht mehr; so konnten 
hier nur die Tatbestandsmerkmale des Betruges festgcstellt werden (Schein- 
Untersuchung mit einem Augenspiegel, während er tatsächlich seine Behand¬ 
lung nach der ihm anfangs falsch hinterbrachten Diagnose des Augenarztes 
einrichtete, bestimmtes Heil versprechen, während er sich der Unwahrheit dieses 
Versprechens bewußt war), die Körperverletzung dagegen nicht. 

Es ist das aber doch, wie mir scheint, eine höchst bedenk¬ 
liche Gefährdung des Menschen, gegen die wir auf 
Grnnd der bestehenden Gesetze machtlos sind. Es 
erscheint notwendig, Fälle wie diesen nachdrücklich zu erwägen, 
um zu ermitteln, ob es hier nicht eine Abhilfe gibt; eine Gefähr¬ 
dung der Gesundheit des Menschen in so gröblicher Weise, wo 
durch jeden Massagestrich eine weitere Ausdehnung der Netzhaut- 
ablösung erfolgen kann, ist in diesem Falle rechtlich nicht zu 
ahnden. Der vorgetragene Fall ist aber typisch. 

Wir haben uns jetzt mit einigen diagnostischen Methoden 
der Kurpfuscher beschäftigt; ich hätte zur Ergänzung meiner 
Darlegungen nur zu sagen, dass bei ihnen überhaupt von einer 
exakten Untersuchung nicht die Rede ist und auch nicht die Rede 
sein kann, weil ihnen ja die anatomischen Kenntnisse, welche 
erforderlich sind, abgeben. So begnügen sie sich mit dem Hin¬ 
sehen oder Hinfühlen, um ihre oft höchst abenteuerlich klingende 



Die gerichtsärztliche Beorteilong der Kurpfoscherei - Delikte. 81 

Diagnose za stellen. Abenteuerlich ist aber vor allen Dingen in 
vielen F&llen die Therapie. Ich will hier einmal eine Reihe 
von Fällen hervorheben, in welchen eine falsche Behandlung 
stattgehabt hat, und durch welche die ganze Gefährlichkeit des 
Treibens der Kurpfuscher ganz besonders illustriert wird: 

Ein vollständig ungebildeter Mensch trifft mit einem Apothekenbesitzer 
eine Verabredung, des Inhaltes, daß er jenem Kranke zuschicken solle, die 
dieser mit Arzneien zu versehen habe. Die Manipulationen dieses Kurpfuschers 
wurden als betrügerische angenommen und mit Hecht. Der Angeklagte war 
— so hat das Urteil festgestellt 1 ) — sich seiner Unfähigkeit bewußt, er ver¬ 
schrieb Rezepte, die lediglich den Zweck haben sollten, bei den Beteiligten 
den Schein zu erwecken, als handle es sich um eine sachgemäße, fachmännische 
Behandlung; so hat er ferner den hohlen Stiel eines Federhalters den Kranken 
auf die Brust gesetzt, als ob er auskultieren wollte. Der Angeklagte ist zu 
einer Qesamtstrafe von 2 Jahren Gefängnis verurteilt, und zwar wegen 24 fachen 
vollendeten und 3fachen versuchten Betruges; auch der Apotheker ist zu 
3 Monaten Gefängnis und einer Geldstrafe von 1900 Mark verurteilt worden 
nnd das Reichsgericht hat unter dem 11. Dezember 1900 dieses Urteil im 
wesentlichen bestätigt. 

Ein an Scharlach und Diphtherie erkranktes Kind wurde von einem 
Naturheilkundigen behandelt und in ganz roher Weise mit Bädern maltraitiert; 
es wurde nicht in gehöriger Weise beaufsichtigt, die Temperatur wurde nicht 
kontrolliert, die Krankheit selbst wurde von dem Naturheilkundigen für Masern 
gehalten. Die Behandlung des erkrankten Kindes war eine ganz unzweck¬ 
mäßige, das Kind erlag der Krankheit in kurzer Zeit. Das Gericht hat in 
dem Verhalten des Kurpfuschers nur den Tatbestand einer fahrlässigen Körper¬ 
verletzung erblickt, indem es annahm, daß das fahrlässige Verhalten des 
Angeklagten eine Verschlechterung der Gesundheit zur Folge hatte.*) 

Fahrlässigkeit wurde in der Unterlassung der Zuziehung eines Arztes 
in einem Falle von Diphtherie erblickt und mit 9 Monaten Gefängnis geahndet: 
Der Kurpfuscher riß das fand aus dem Schlaf, um alle Viertelstunden gurgeln 
zu lassen; er kümmerte sich anderseits einen Tag lang nicht um das Kind. 
Auch in diesem Falle trat der Tod ein und auch in diesem Falle war der 
ursächliche Zusammenhang des Todes mit der Behandlung, die das Kind er¬ 
halten hat, nicht zu erbringen, weil die Grundkrankheit möglicherweise eine 
tötliche war, aber fahrlässige Körperverletzung ist, wie gesagt, angenommen 
worden*) 

Eine akute Osteomyelitis wurde von einem Kurpfuscher für Gelenkrheu¬ 
matismus gehalten; trotz Ersuchens des Kranken wurde die Zuziehung eines 
Arztes seitens des Kurpfuschers abgelehnt. Auch in diesem Falle erfolgte die 
Verurteilung wegen fahrlässiger Körperverletzung und zwar zu 800 Mark 
Geldstrafe 4 ). 

Eine fahrlässige Körperverletzung, die mit 600 Mark Geldstrafe geahndet 
wurde, hat das Gericht in der Behandlung einer Frühgeburt erblickt, bei der 
nach Ausstoßung des Foetus die Nachgeburt nicht ausgeräumt, sondern im 
Uterus belassen wurde, so daß Sepsis eintrat. 8 ) 

Eine fahrlässige Tötung durch fehlerhafte Behandlung ist festgestellt 
worden insofern, als eine Kranke mit einem Panaritium kunstwidrig mit Brei¬ 
umschlägen statt mit dem Messer, aseptisch statt antiseptisch behandelt wurde 
und weil sich der Kurpfuscher nicht um die Patientin in gehöriger Weise 
kümmerte; es entwickelte sich eine tödliche Pyämie. Das Reichsgericht hat 
das verurteilende Erkenntnis des Königlichen Landgerichts zu Flensburg vom 


*) Urteil des Kgl. Landgerichts Memel vom 20. Juni 1900; 1. c., S. 276. 
*) Urteil des Kgl. Landgerichts II Berlin vom 25. Januar 1900; 1. c., 
S 297. 

*) Urteil des Kgl. Landgerichts II Berlin vom 12. April 1900; 1. c., S. 298. 
4 ) Urteil des Kgl. Landgerichts zu Magdeburg vom 19. September 1900; 
1. c. S. 304. 

*) Urteil des Kgl. Landgerichts Altona vom 26. Februar 1900. 


6 



82 


Dr. Pappe. 


20. November 1899 bestätigt and zwar unterm 6. Februar 1900. Es war aof 
eine Gefängnisstrafe von einem Jahr erkannt. 1 ) 

Eine fehlerhafte Behandlung eines Oberarmbraches mit nachfolgender 
Radiallähmung — es wurde kein fixierender Verband angelegt — wurde von 
dem Landgericht za Düsseldorf am 17. März 1900 mit 900 Mark Geldstrafe 
geahndet; das Reichsgericht hat unter dem 21. Mai 1900 dieses Urteil bestätigt. 1 ) 

Ein Pfuscher, welcher ein vereiterndes Hüftgelenk durch Streckung be¬ 
handelte, wurde ebenfalls wegen fahrlässiger Körperverletzung mit 60 Mark 
Geldstrafe belegt.*) 

Ein anderer Heilkundiger worde za einem Oberschenkelbruch gerufen, 
den ein Arzt kunstgerecht mittels eines Slreckverbandes behandelt hatte; er 
nahm den Streckverband ab, ließ oberhalb und unterhalb des Bruches ziehen, 
bis es krachte und legte dann einen fixierenden Verband an; der Oberschenkel 
heilte mit einer Verkürzung von 9 cm. Der Schuldige wurde wegen fahr¬ 
lässiger Körperverletzung zu 50 Mark Geldstrafe verurteilt 4 ). 

Wegen Verkennung eines Oberschenkelbruches und dementsprechender 
falscher Behandlung erhielt ein Heilkundiger einen Monat Gefängnis; erschwe¬ 
rend ist in diesem Falle, daß der Angeklagte von der Hinzuziehung eines 
Arztes abgeraten hatte. 6 ) 

Anklage wegen fahrlässiger Körperverletzung wurde wegen mehrerer 
Fälle erhoben. Es erfolgte Verurteilung, weil eine Herzbeutelentzündung nicht 
erkannt und fehlerhaft behandelt war und weil der Angeklagte eine syphi¬ 
litische Keh 1 kopfgeschwulst durch Inspektion des Rachens als solche 
erkannt haben wollte und falsch behandelt hatte, nachdem er die Diagnose 
auf Halsgeschwür nach Quecksilberbehandlung gestellt hatte. Urteil der Straf¬ 
kammer des Großherzoglichen Landgerichts Mainz vom 28. September 1899. 
Auch das Reichsgericht ist mit dieser Sache befaßt gewesen; es spricht in 
seinem Urteil vom 22. Januar 1900 aus: „Nicht in einem Mangel an Begabung 
und Intelligenz hat die Strafkammer ein Verschulden des Angeklagten gefunden, 
sondern seine mangelhafte Ausbildung und zufolge dessen ungenügende Befähi¬ 
gung zur Behandlung von Erkrankungen, wie sie in den beiden besprochenen 
Fällen Vorlagen, festgestellt. Daß er solche im Bewußtsein seiner unzulänglichen 
Vorbildung unternahm, während er hierbei die Möglichkeit schlimmer Folgen 
und einer Schädigung für seine Patienten voraussehen konnte, wie solche den 
Tatsachen zufolge eingetreten sind, hat der erste Richter mit Recht dem An¬ 
geklagten als Fahrlässigkeit zur Last gelegt.“ *) 

Auch in einer nachlässigen und falschen Behandlung einer Blinddarm¬ 
entzündung hat das Kgl. Landgericht Bautzen am 11. April 1899 eine fahr¬ 
lässige Körperverletzung erkannt und das Reichsgericht hat unter dem 7. Ja¬ 
nuar 1900 das Urteil bestätigt. 7 ) 

Wegen fahrlässiger Tötung eines 4 Jahre alten Kindes erhielt ein vor¬ 
bestrafter Pfuscher 2'/* Jahre Gefängnis: Er hatte einen kleinen unbedeu¬ 
tenden Hautausschlag kurieren wollen und hatte durch eine stark alkalische, 
mehrfach wiederholte Einreibung die Haut zu einer pergamentenen Eintrock¬ 
nung gebracht, so daß der Tod infolge von gestörter Hautatmung eintrat.*) 

Eine fahrlässige Körperverletzung hat zu einer Verurteilung von 6 Mo¬ 
naten Gefängnis bei einer Angeklagten geführt, die einem Kinde beim „Ziehen“ 
beide Oberschenkel brach; eine Mitangeklagte wurde freigesprochen, weil es 
nicht als erwiesen erachtet wurde, daß sie durch ihre Behandlung mit Crucius- 
Pflaster und Vertröstung der Mutter die Heilung des Kindes verzögert hätte *); 


*) 1. c., 8. 814. 

*) 1. c., S. 329. 

*) Urteil des Kgl. Landgerichts Elberfeld vom 8. Novbr. 1899; 1. c., S. 881. 
*) Urteil des Kgl. Landgerichts Frankenthal vom 13. Okt. 1899; 1. c, S. 334. 
*) Urteil des Kgl. Landgerichtshof Hof vom 17. Sept 1900; 1. c., S. 335. 
°) 1. c., 8. 363. 

7 ) 1. c., 8. 106. 

8 ) Sammlung gerichtl. Entscheidungen etc. Beilage zu den Veröffent¬ 
lichungen des Kaiserl. Gesundheitsamts, III. Band, S. 82. Berlin 1896. Ver¬ 
lag von Jul. Springer. Urteil des Fürstlichen Landgerichts Gera vom 
13. August 1894. 

e ) Urt. des Kgl. Landgerichts Breslau vom 16. Aug. 1893; L c., S. 33. 



Die gerichtsärztliche Beurteilung der Kurpfuscherei-Delikte. 83 

das Beichsgericht hat dieses Urteil bestätigt (IV. Str.-Sen.^|16.9Dezbr. 1893). 
Das Beichsgericht erklärt es zwar für nicht bedenkenfrei, daß durch das Tun 
der zweiten freigesprochenen Angeklagten eine Verschlimmerung nicht bewiesen 
sei; es führt aus, daß die Schuld nicht nur in der Verursachung des Entste¬ 
hens einer Krankheit liege, sondern in der Verursachung des Fortbestehens 
der Krankheit, die ohne Eingreifen der Angeklagten in den Kausalrerlauf be¬ 
seitigt wäre. In der Verhinderung der Zuziehung eines Arztes konnte der 
Tatbestand einer Körperverletzung gefunden werden. Da der Bichter aber — 
so fährt das Beichsgericht fort — festgestellt hat, daß die Angeklagte die 
Möglichkeit einer Heilungsverzögerung nicht zu erkennen vermochte, so fehlt 
das subjektive Schuldmoment —. 

Die zweite Angeklagte war eine sogenannte „kluge Fran“, welche die 
Heilung etwa 3 Wochen verzögert hatte und die bei Uebernahme der Hei¬ 
lung erklärt hatte, daß bei beiden Beinen des Kindes „der Apfel ausge¬ 
treten" sei. 

Eine fahrlässige Körperverletzung hat das Kgl. Landgericht Memmingen 
am 28. Januar 1901 in der falschen Behandlung eines Lungenkatarrhs mit 
Quecksilber gefunden, nachdem sich Mund- und Darmentzündung infolge der 
fehlerhaften Behandlung eingestellt hatten. 

Das bekannte Urteil des Reichsgerichts (III. Str.-S.) vom 
26. Oktober 1893 *) folgert noch nicht ohne weiteres ans dem Um* 
stand, dass jemand, der die Heilkunde ohne wissenschaftliche Vor- 
bildnng ausübt, ein fahrlässiges Handeln begeht; es ist vielmehr stets 
im einzelnen festzustellen, wenn die Kur eines nicht wissenschaftlich 
vorgebiideten Heilkünstlers einen nicht gewollten Erfolg hatte, 
erstens, ob der Beschuldigte nach dem Masse seiner Kenntnisse und 
nach seiner sonstigen Einsicht und Erfahrung bei Anwendung gehö¬ 
riger Sorgfalt jene Folgen hätte voraussehen können, und zweitens, ob 
für ihn aus Rücksicht auf die besondere Art des Krankheitsfalles 
die Verpflichtung vorlag, vor dem Beginn einer Kur den Rat eines 
Arztes einzuholen, und ob, wenn dies geschehen wäre, der schädliche 
Erfolg vermieden oder doch eingeschränkt worden sein würde. 
Wenn eine dieser beiden Fragen bejaht werden kann, so ist eine 
Fahrlässigkeitsschuld gegeben. Es ist also stets ein Eingehen 
auf die besonderen Verhältnisse des konkreten Falles notwendig, 
wenn darüber entschieden werden soll, ob ein nicht approbierter 
Heilkünstler bei der Behandlung von Kranken fahrlässig gehandelt 
habe oder nicht. Das gerichtsärztliche Gutachten wird in diesen 
Fällen einmal die Tatsache der Gesundheitsbeschädigung, d. h. 
der Gesund heitsVerschlechterung oder der Heilungsverzögerung 
festzustellen haben; sodann aber wird der ursächliche Zusammen¬ 
hang zwischen der Gesundheitsverschlechterung bezw. Heilungs¬ 
verzögerung und dem Handeln oder Unterlassen des Heilkünstlers 
zu beweisen sein. Solch ein Beweis ist mit Gewissheit nur selten 
zu erbringen. Es genügt nach dem Urteil des Reichsgerichts vom 
12. Januar 1894, wenn sich nach dem regelmässigen Gange der 
Dinge, wie er sich erfahrungsgemäss in den meisten Fällen zu 
gestalten pflegt, die Wahrscheinlichkeit eines gewissen hypothetisch 
unterstellten Kausalverlaufes ergibt, da für die Beantwortung 
solcher hypothetischen Fragen eine absolute Gewissheit niemals 
und nirgends existiert. Weiter ist im gerichtsärztlichen Gut- 


•) Goldtammers Arch., 41. Jahrg., Berlin 1893. S. 395. 

6* 



84 


Dr. Pappe. 


achten die dritte Frage za berücksichtigen, ob der Heilbeflissene 
vermöge der ihm infolge seines Berufes obliegenden besonderen 
Aufmerksamkeit die eingetretenen üblen Folgen hätte voraussehen 
können. In diesen Bahnen hat sich das gerichtsärztliche Gut¬ 
achten zu bewegen. Ich erwähne bei dieser Gelegenheit, dass die 
Feststellung des Richters sich in eben diesen Bahnen bewegt: 
dass eine Körperverletzung begangen ist und dass der Angeklagte 
bei Anwendung der ihm durch seinen Beruf gebotenen Sorgfalt 
hätte erkennen müssen, dass zum mindesten die Möglichkeit des 
eingetretenen schlechten Erfolges vorlag; auf die Voraussehbar¬ 
keit desselben kommt es an, wenn das Moment der Fahrlässig¬ 
keit bei Zufügung der Körperverletzung resp. der Tötung im Sinne 
des § 222 bezw. 230 St. G. B. bejaht werden soll. 

Der Vollständigkeit halber erwähne ich, dass auch noch in 
einigen anderen Fällen eine fahrlässige Körperverletzung seitens 
der richterlichen Behörde für vorliegend erachtet worden ist; so 
z. B. dadurch, dass ein Drogist bei Verabfolgung einer Morphium¬ 
lösung nicht auf die Gefährlichkeit dieses Stoffes auf¬ 
merksam machte; 1 ) dadurch, dass ein Heilkundiger es unter¬ 
lassen hatte, einen an Lippenkrebs leidenden Menschen Aber 
die Notwendigkeit einer Operation aufzuklären,*) 
endlich noch darin, dass ein 10 Monate altes Kind durch nutz¬ 
lose Quälerei behandelt wurde, nachdem ein Heilkundiger die 
Diagnose Diphtherie gestellt hatte. Der zugezogene Arzt konnte 
von einer Diptherie nichts finden, wohl aber fand er die Folgen 
der übermässig rohen Behandlung, die unter anderem in dem Ein¬ 
giessen von Heringslake in den Mund des armen Geschöpfes be¬ 
standen hat. 8 ) 

Wenden wir uns nun zu der Behandlung, welche durch völlig 
wirkungslose Substanzen den Heilungerstrebenden durch die so¬ 
genannten Heilkundigen zuteil wird, so werden wir hier, was die 
richterliche Qualifikation der Straftaten anbetrifft, besonders Be¬ 
trugsfälle entdecken können, wenn wir die Annalen der Recht¬ 
sprechung durchmustern: 

Ein Pfuscher wurde verurteilt zu 9 Uonaten Gefängnis, weil er Rheu¬ 
matismus mit unschädlichen Pulvern, die sich bei der Untersuchung lediglich 
als aus Zucker bestehend herausstellten, und die er für schweres Geld ver¬ 
kauft hatte, behandelte. Das Reichsgericht hat dieses Urteil unter dem 
12. Oktober 1899 bestätigt. 4 ) 

Minderwertige Mittel wurden noch in folgenden Fällen in 
betrügerischer Absicht gegeben: 

Ein Pfuscher hatte vorgespiegclt, jemand sei krank, er könne helfen 
und verkaufte eine Medizin für 6 Mk.; dieselbe war 1,20 Mk. wert und der 
Betreffende war garnicht krank. Täuschung wurde in diesem Falle noch darin 
erblickt, daß der Pfuscher erklärt hatte, er sei Militärarzt in den Kolonien 
gewesen usw. 6 ) ln einem anderen Falle erklärte eine Zeugin, sie hätte sich der 

*) U. d. Kgl. Landg. Königsberg vom 14. Januar 1899; L c., S. 275. 
Bestätigt durch reichsgcrichtliches Erkenntnis vom 7. April 1899. 

*) U. d. Horzogl. Landg. Altenburg vom 28. Juni 1890; L c., S. 863. 

*) U. d. Herzogi. Landg. Altenburg vom 20. Februar 1900; L c., S. 364. 

4 ) U. d. Kgl. Landg. Erfurt vom 6. Juni 1899; L c., S. 802. 

6 ) U. d. Kgl. Landg. Magdeburg vom 18. Oktober 1900; L c., 8. 806. 



Die gerichtärztliche Beurteilung der Kurpfuscherei-Delikte. 85 

Behandlung nicht unterzogen, wenn sie gewußt hätte, daß der Angeklagte kein 
Militärarzt sei 

Betrügerische Kurpfuscherei liegt vor in folgenden Fällen: 

Ein Pfuscher, der vielfach vorbestraft ist, läßt sich von einem Epilep¬ 
tischen den Namen auf den Zettel schreiben und legt diesen in die Herz¬ 
gegend. In einem anderen Falle stellt er sich als alter Doktor vor, fragt 
nach einer Adresse und bietet sich dann sofort zur Behandlung in der Familie 
an, indem er glauben zu machen sucht, daß die betreffende, mit ihm redende 
Person krank sei. „So ein alter Doktor sieht doch alles.“ In einem anderen 
Falle erschien er, um einen Knaben von Krämpfen zu befreien und suchte der 
Frau einzureden, daß sie krank sei, ein schlimmes Auge, Herzklopfen habe 
und an kalten Füßen leide. In einem vierten Falle hatte der Betreffende sich 
den Anschein eines Arztes gegeben; er gab wertlose Ratschläge und Rezepte, 
deren Unwirksamkeit ihm bekannt war. Durch seine Vorspiegelungen erregte 
er in den betreffenden Personen den Irrtum, daß sie es mit einer Persönlichkeit 
zu tun hätten, welche ärztliche Kenntnisse und Geschicklichkeit besitze, die 
sie zur Beseitigung ihrer bezw. ihrer Angehörigen Leiden geeignet machten. 
Die Getäuschten zahlten Honorar und wurden so in ihrem Vermögen geschädigt. 1 ) 

In einem Falle von Hirngeschwulst*) spiegelte ein Pfuscher vor, er 
könne das Leiden heilen; zugleich spiegelte er vor, daß es ihm durch dio 
Röntgenstrahlen möglich sei, zu sehen, daß im Bauche bei der letzten Geburt 
etwas gerissen sei und sich auf den Sehnerven gelegt habe. Einen elektrischen 
Apparat im Werte von 65 Mk. verkaufte dieser Mensch für 180 Mk. Es er¬ 
folgte Verurteilung wegen wiederholten Betruges zu 4 Monaten Gefängnis und 
200 Mk. Geldstrafe. 

Wegen betrügerischen Vertriebes einer Bruchheilsalbe erhielt ein An¬ 
geklagter 6 Monate Gefängnis. 1 ) 

Wegen des betrügerischen Vertriebes eines Mittels für Mannesschwäche 
und für Bartwuchs (Dr. Jauers Regenerator und Dr. Jauers Capillair) er¬ 
hielten 2 Angeklagte Geldstrafe von 1000 bezw. 500 Mk. 4 ) Es handelte sich 
bei dem Regenerator um ein wertloses Gemisch von Kochsalz, Bittersalz usw. 
in Lösung und bei dem Capillair um Wachs, Paraffin und Kampfermischung. 

In organisatorisch höchst geschickter Weise hat es ein Pfuscher ver¬ 
standen, einen Kreis von Agenten um sich zu gruppieren. Er gründete eine 
Gesellschaft für Hygiene und Homöopathie, ließ sich zum Präsidenten wählen, 
ließ sich als Doktor und Professor anreden und nahm alle möglichen Leiden 
in Behandlung, z. B. Brustkrebs und Wirbelsäulentuberkulose; letztere er¬ 
klärte er für eine „Lungenverschleimung“, für deren Heilung er 80 Mk. im 
voraus forderte. Die Patienten gaben an, sie hätten den Betreffenden nicht 
zu ihrem Arzt gemacht, wenn sie nicht angenommen hätten, daß er Arzt sei. 
Es erfolgte Verurteilung wegen vollendeten und versuchten Betruges. 8 ) 

Wegen eines betrügerischen Vertriebes eines Mittels gegen die Trunk¬ 
sucht erfolgte Verurteilung zu einem Jahr Gefängnis und 5 Jahren Ehrverlust. 
Nach dem Inserat wurde der Glaube erweckt, als ob das Mittel gegen Ein¬ 
sendung von 80 Pfg. übersendet würde. Wenn diese Summe von den In¬ 
teressenten eingegangen war, erhielten sie nur einen Prospekt über die 6 Mk. 
kostende eigentliche Flüssigkeit, die eine Wachholderextraktlösung im Werte 
von 15 Pfg. darstellte. Dieses Mittel wurde zuweilen gleich mit zugeschickt 
und der Betrag durch Postnachnahme erhoben. Es wurde festgestellt, daß 
der versprochene Dauererfolg in den bei weitem meisten Fällen nicht eintrat, 
und daß in wenigen Fällen in einer begrenzten Weise Erfolg eingetreten war, 
jedenfalls aber kein Dauererfolg, wie er versprochen war. 

Die Aufgabe des ärztlichen Gutachters bei Strafverfahren 
dieser Art wird es sein, festzustellen, welches der Wert der ärzt¬ 
lichen Behandlung ist, insbesondere wird er zu sagen haben, ob 

>) U. d. Kgl. Landg. zu Nordhausen vom 17. Mai 1899; 1. c., S. 307. 

*) U. d. Kgl. Landg. Wiesbaden vom 23. Oktober 1899; 1. c., S. 322. 

•) U. d. Kgl. Landg. Aachen vom 3. September 1900; 1. c., S. 326. 

4 ) U. d. Kgl. Landg. Dresden vom 19. Juli 1900; 1. c., S. 347. 

8 ) U. d. Kgl. Landg. Hamburg vom 30. August 1899; 1. c., 8. 366. 



86 


Dr. Puppe. 


das Verfahren geeignet ist, Leiden der infrage kommenden 
Art zu heben nnd ob es als ein von wissenschaftlich anerkannten 
Aerzten geübtes Verfahren za gelten hat. 

Das ist z. B. mit dem bekannten und auch noch im Schröter- 
Prozess viel erwähnten Baunscheidtismns sicher nicht der 
der Fall. Der Bannscheidtismns stellt — rein medizinisch ge¬ 
sprochen, in seiner Anwendung eine doppelte Körperverletzung 
dar: einmal dadurch, dass durch die Stichelung der an der Spirale 
befindlichen Nadeln etwa 20—30 Wunden in der Haut des Körpers 
geschaffen werden, und sodann dadurch, dass die gestichelte Haut¬ 
partie mit einem reizenden Oele, in dem sich Krotonöl befindet, 
in einen Zustand der Entzündung versetzt' wird. In dem 
Schröter-Prozess wurde indess nur in den Fällen eine fahr¬ 
lässige Körperverletzung als vorliegend erachtet ist, in denen den 
Patienten bei Zufügung der Stichelung ein erheblicher Schmerz 
verursacht worden war, wie z. B. in einem Falle von Fussgelenks- 
tuberkulose, von Hornhaut- und Regenbogenhaut-Entzündung und 
von chronischen Gelenkrheumatismus. 

In einem Urteil vom 1. Mai 1900 hat das KönigL Lanngericht in Dort¬ 
mund *) dahin erkannt, daß nicht sowohl die Stichelang, als die Hautentzündung 
nach der Stichelung sich als eine besonders schwere Störung des körperlichen 
Wohlbefindens darstelle, welches bei Anwendung der erforderlichen Aufmerk¬ 
samkeit hätte vermieden werden können und verurteilte den Angeklagten 
wegen fahrlässiger Körperverletzung in 3 Fällen zu einer Gefängnisstrafe von 
6 Monaten. Das Beichsgericht hat unter dem 22. Septbr. dieses Urteil bestätigt. 

M. H.I Ich hoffe, Ihnen an einer Reihe von Beispielen 
gezeigt zu haben, in welchen Bahnen sich die gerichtsärztliche 
Sachverständigen-Tätigkeit, sowohl was die Feststellung des sub¬ 
jektiven, als auch des objektiven Tatbestandes betrifft, zu bewegen 
hat. Dabei weiss ich sehr wohl, dass die Bestrafung der Kur¬ 
pfuscher nicht allein aus den angeführten rechtlichen Gesichts¬ 
punkten (Betrug, unlauteren Wettbewerb, fahrlässige Körperver¬ 
letzung, fahrlässige Tötung), sondern auch noch wegen Führung 
arztähnlicher Titel, wegen Ausübung der Heilkunde im Umher¬ 
ziehen und wegen Abgabe verbotener Arzneimittel erfolgen kann. 
Indessen kommen diese letzerwähnten Punkte für die Tätigkeit 
des Gerichtsarztes weniger in Betracht. 

Nach der angeführten Kasuistik könnte es scheinen, als ob 
die Bestrafung von Kurpfuscherei-Delikten eine einfache Sache sei. 
Dem ist aber, wie wir alle wissen, nicht so. Vielleicht tragen 
meine Darlegungen dazu bei, dass gerade die Frage des subjek¬ 
tiven Schuldmoments gelegentlich einer anderweiten Prüfung unter¬ 
zogen wird. Ich meine selbstverständlich nicht die Prüfung gemäss 
§ 51 St. G. B., sondern eine Prüfung daraufhin, ob der Beschul¬ 
digte mit Defekten in seiner Intelligenz, in seinem Urteilsvermögen 
u. dgl. belastet ist, die das subjektive Schuldmoment ausschliesseu 
können. Die allergrösste Mehrzahl der Kurpfuscher ist sich, wie 
ich überzeugt bin, ihrer Unfähigkeit bewusst; sie haben nicht 
die bona fldes, die sie stets für sich in Anspruch nehmen möchten. 

(Lebhafter Beifall.) 


•) L c., 8. 817. 



Die gericbtsärztliche Beurteilung der Kurpfuscherei-Delikte. 


87 


Die von dem Vortragenden aufgestellten Leitsätze hatten 
folgenden Wortlaut: 

1. Kurpfuschereidelikte sind Verstösse nicht approbierter 
Heilbeflissener gegen Strafgesetze bei Ausübung des Heilgewerbes. 

2. Sie können bestehen in Tötung der zur Wiederherstellung 
übernommenen Patienten oder Beschädigung der Gesundheit der¬ 
selben, und zwar sowohl durch Verschlechterung des Gesundheits¬ 
zustandes, als auch durch Verzögerung der Heilung. Juristisch 
qualifizieren sich diese Verstösse als fahrlässige Tötung oder fahr¬ 
lässige Körperverletzung. 

3. Für die Feststellung des subjektiven Schuldmomentes ist 
von Erheblichkeit die Reichsgerichtsentscheidung vom 12. April 
1882, nach welcher Fehler gegen anerkannte Regeln der Heil¬ 
kunde von gewerbsmässigen Kurpfuschern ebenso zu vertreten 
sind wie von Aerzten. 

4. Sodann können Kurpfuschereidelikte bestehen in Täu¬ 
schungshandlungen mannichfacher Art; in Betracht kommen besonders 
betrügerische Heilversprechen, betrügerische Untersuchungen, z. B. 
durch Hellfühlen, Augendiagnose, Gesichtsausdruckskunde (Psycho- 
physiognomik), betrügerische, indifferente Behandlung, wie z. B. 
Magnetismus bei organischen Erkrankungen u. a. m. Juristisch 
kommen hier Betrug und unlauterer Wettbewerb in Frage. 

5. In subjektiver Hinsicht ist in solchen Fällen die Schuld¬ 
frage stets zu bejahen, wenn bei den Angeschuldigten nicht psy¬ 
chiatrisch Defekte in der Sphäre der Intelligenz und des Urteils 
zu ermitteln sind. 

6. Von sonstigen Kurpfuschereidelikten kommen in Frage: 
Führung arztähnlicher Titel, Abgabe von Arzneien, die dem freien 
Verkehr nicht überlassen sind, Ausübung der Heilkunde im Umher¬ 
ziehen, betrügerische Reklame und Ankündigung von Mitteln, die 
gesundheitsschädlich sind, oder denen eine ihnen nicht inne¬ 
wohnende Wirkung beigelegt ist. 

7. In Fällen der Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit 
durch Kurpfuscher, in denen eine üble Wirkung der Behandlung 
aus irgend einem Grunde nicht eingetreten ist oder nicht fest¬ 
gestellt werden kann, versagen die bestehenden gesetzlichen 
Bestimmungen. 

B. 

H. Amtsgerichtsrat Dr. von Dtering- Hannover, Korrefe¬ 
rent: M. H.! Der ehrenvollen Aufforderung Ihres Vorstandes, das 
Referat über die gerichtsärztliche Beurteilung der Kurpfuscherei- 
Delikte zu übernehmen, habe ich trotz aller Bedenken, ob ich zur 
Lösung einer so wichtigen, schwierigen Frage etwas beizusteuern 
vermöchte, mich nicht entziehen zu sollen geglaubt, weil ich der 
Meinung bin, dass diese meist von ärztlicher Seite behandelte 
Frage eine überwiegend juristische Seite hat, und dass es im 
Kampfe gegen die Quacksalber und Wunderdoktoren nicht allein 
darauf ankommt, das Uebel zu erkennen, die Grösse der Gefahr 
aufzudecken, sondern die vom Gesetz, namentlich dem Reichs- 



88 


Dr. t. Ihering. 


Straf-Gesetzbuch gebotenen Waffen gegen das Unwesen zu schärfen, 
damit auf Grund des jetzt geltenden Rechtszustandes manches 
Kampfmittel gegen das Kurpfuschertum noch erfolgreicher an ge¬ 
wendet werde, und endlich die Lücken, die das Gesetz zurzeit 
noch auf weist, zur Erreichung besserer Zustände auf dem Gebiete 
des Gesundheitswesens zu schliessen. Auf diesem Gebiete mit¬ 
zuarbeiten, im Kampfe gegen das Kurpfuschertum mitzukämpfen, 
halte ich für eine so dankbare, wichtige Aufgabe, dass ich dem 
verehrten Vorstände Ihres Vereins dankbar bin, mir Gelegenheit 
geboten und Anregung gegeben zu haben, den einschlägigen Fragen 
einmal näher zu treten. 

Was ist nun Kurpfuscherei? 

Fast alle, welche sich mit ihr literarisch beschäftigt haben, 
bestimmen den Begriff derselben verschieden. Die meisten ver¬ 
stehen unter Kurpfuscher diejenige nicht ärztlich approbierte Person, 
die gewerbsmässig durch Raterteilung und Handanlegung die Be¬ 
handlung von Krankheiten oder Leiden übernimmt, ohne die zu 
solcher Behandlung erforderliche Vorbildung, Erfahrung oder 
Kenntnis zu besitzen. Der junge Mediziner des sechsten Semesters, 
der die ärztliche Approbation noch nicht erlangt hat und bei der 
Mensur die Paukanten flickt, ist kein Kurpfuscher, denn er handelt 
weder gewerbsmässig, noch ohne die zur übernommenen Behand¬ 
lung erforderliche Vorbildung. Auch der im Samariterdienst aus¬ 
gebildete Schutzmann, welcher an einem Erhängten Wieder¬ 
belebungsversuche macht, ist kein Kurpfuscher, weil er weder 
gewerbsmässig, noch unsachgemäss handelt. Wie weit die An¬ 
sichten über die Begriffsbestimmung auseinandergehen, veran¬ 
schaulicht sich am besten durch den Hinweis auf den im 8. Jahr¬ 
gang der Deutschen Juristenzeitung, Nr. 8 vom 15. April 1908 
enthaltenen Aufsatz des Senatsvorsitzenden im Reichsversicherungs¬ 
amt Dr. Flügge in Berlin. Für ihn ist Kurpfuscherei diejenige 
Behandlung eines Kranken durch nicht ärztlich gebildete Personen, 
die im Widerspruch zu ärztlichen Zulassungen oder Anordnungen 
steht oder stehen würde, wenn der Arzt um sie gewusst hätte. 
Nach seiner Ansicht ist es keine Kurpfuscherei, wenn der Holz¬ 
fäller dem verletzten Kameraden im Walde Karbolwatte auf die 
verletzte Hand bindet, wohl aber, wenn er dem Kameraden auf 
die bereits infizierte Wunde statt der Karbolwatte Heftpflaster 
legt. In den zahllosen Fällen einer Laienbehandlung von Kranken 
entscheidet erst nachträglich die ärztliche Wissenschaft, ob Kur¬ 
pfuscherei vorliegt oder nicht. Kurpfuscherei kann nach Flügge 
entgeltlich, unentgeltlich, gewohnheitsmässig oder gewerbsmässig 
betrieben werden. Mit einer solchen Begriffsbestimmung ist in 
der Praxis nicht viel anzufangen; denn der eine Arzt wird sein 
Urteil für, der andere gegen ein Vorliegen von Kurpfuscherei 
abgeben. Auch der approbierte Arzt würde danach eigentlich, 
wenn er einen Kunstfehler in der Behandlung eines Kranken begeht, 
zum Kurpfuscher werden, insofern die von ihm beliebte Behand¬ 
lung des Kranken im Widerspruch zu dem steht, was andere Aerzte 
anzuordnen pflegen. Es kommt hinzu, dass der Sprachgebrauch 



Die gerichta&rztliche Bearteilung der Kurpfuscherei- Delikte. 89 

unter Pinscher den versteht, welcher ohne geprüft zu sein, ein 
Handwerk, eine Kunst, eine Wissenschaft ausübt, die er nicht 
beherrscht, und zwar seines Erwerbes wegen. 

Wie dem aber auch sei, der Kreisarzt jedenfalls, wie in der 
Hegel auch das Gericht hat es nur mit dem gewerbsmässigen 
Kurpfuscher, der der nötigen Vorbildung für die von ihm über¬ 
nommene Behandlung von Kranken ermangelt, zu tun. 

An sich ist die Kurpfuscherei kein Delikt; denn die Aus¬ 
übung der Heilkunde und auch die gewerbsmässige Behandlung 
ansteckender Krankheiten ist durch den, den freien Betrieb auch 
dieses Gewerbes zulassenden § 1 der Eeichsgewerbeordnung frei¬ 
gegeben. *) 

Wenn Prof. Dr. phil. und med. Kossmann zu Berlin in der 
Zeitschrift „Das Recht“ aus der Entstehungsgeschichte der Reichs- 
Gewerbeordnung den von den Bearbeitern der Gewerbeordnung 
übereinstimmend als unbestreitbar hingestellten Satz, dass die 
Ausübung der Heilkunde freigegeben, zu bekämpfen versucht und 
sich dabei insbesondere gegen ein Erkenntnis des Obertribunals 
wendet, auch dessen Ausführungen als auf einer Verkennung der 
Entstehungsgeschichte der Gewerbeordnung beruhend hinstellt, so 
widerlegen sich seine Ausführungen von selbst, wie denn auch 
zahlreiche höchstrichterliche Entscheidungen auf entgegen¬ 
gesetztem Standpunkt stehen. Grade der Umstand, dass bei Be¬ 
ratung der Gewerbeordnung die vorgeschlagene Bestimmung, 
wonach der Landesgesetzgebung überlassen wurde, zu bestimmen, 
inwieweit die Ausübung der Heilkunde durch ungeprüfte Personen 
zu beschränken, in das Gesetz nicht aufgenommen wurde, ergibt 
deutlich, dass der im Reichsgesetz zur Anerkennung gelangte 
Grundsatz der Kurierfreiheit der Willkür landesgesetzlicher Be¬ 
schränkungen entzogen werden sollte. Es entsprach dies auch 
ganz und gar der allen Beschränkungen der gewerblichen Freiheit 
und Hemmungen des Verkehrs abgeneigten Zeitströmung jener 
Tage der Gründung des Norddeutschen Bundes und des Deutschen 
Reiches. Han hielt eben Massregeln gegen die Medizinpfuscherei 
nicht für modern. Gewiss mag der Uebereifer der Apostel einer 
schrankenlosen Gewerbefreiheit, die in dem freien Spiel der wirt¬ 
schaftlichen Kräfte die oberste Gewähr für die Förderung des 
allgemeinen Wohles, für das Blühen und Gedeihen des Ganzen 
erblickten, in manchem zu weit gegangen sein und dadurch eine 
naturnotwendige Reaktion hervorgerufen haben; für das Baugewerbe 
werden wir nach den Aeusserungen des Staatssekretärs des Reichs¬ 
amts des Innern Graf Posadowsky bei der Beratung des dies¬ 
jährigen Haushaltsplanes eine Gesetzvorlage über den Befähigungs¬ 
nachweis im Baugewerbe demnächst zu erwarten haben, für das 
Gebiet der Heilkunde verlautet von solchen reichsgesetzlichen 
Plänen nicht das mindeste. Aber es bedarf auch nicht eines all¬ 
gemeinen, gesetzlichen Verbotes der Kurpfuscherei; denn die ge¬ 
setzlichen Handhaben, die im Kampfe gegen das nationale Uebel 


') Urteil des preußischen Ober-Verwaltungsgerichts Tom 22. April 1895. 



90 Dr. ▼. Ihering. 

des Kurpfuschertums den Behörden zur Verfügung stehen, genügen 
im grossen und ganzen. 

Mit welchen Mitteln lässt sich die Kurpfuscherei 
bekämpfen? 

Wer ein nationales Uebel, einen am Marke des Volkes 
zehrenden Krebsschaden wirksam bekämpfen will, wie etwa die 
Trunksucht, die Spielwut, muss zuerst den Sitz des Hebels zu 
ergründen suchen. Gilt es die Quellen zu verstopfen, aus denen 
das Uebel seine Nahrung zieht, so muss eine gründliche zuver¬ 
lässige Erforschung derselben vorangehen. 

Unzweifelhaft sind die Gründe des Zulaufs zum Kurpfuscher 
mannichfache: Scheu so vieler vor den nicht selten hohen Doktor- 
und Apothekerrechnungen, also Sparsamkeit am falschen Ort — sagt 
man doch: Mancher Bauer schickt bei Erkrankung seiner Fran 
zum Arzt erst, wenn sie im Sterben liegt, — Unerreichbarkeit des 
weit entfernt wohnenden Arztes, vor allem geringer Bildungsgrad 
der Masse, die von den Fortschritten der heutigen Medizin, der 
durch ihre heutigen Leistungen fast verblüffenden Chirurgie und 
der nicht minder erfolgreichen Serumtherapie keine Ahnung hat. 

Gleich dem Spiritismus beruht der Erfolg des Kurpfuschers 
auf der Hinneigung der Menschenseele zum Geheimnisvollen, 
Wunderbaren, Unverstandenen; mundus vult decipi. Versteht es 
der Charlatan den Leuten Sand in die Augen zu streuen, indem 
er ihnen mit hochtrabenden Phrasen, mit gelehrten Kunstaus¬ 
drücken seine Theorien über das Wesen des Organismus und seiner 
Funktionen, von dem Ursprung der Lebenskraft auseinandersetzt, 
dass sie Mund und Ohren aufsperren, so hat er sie in der Tasche, 
und es bewährt sich das alte credo quia absurdum. Ich erinnere 
nur an den französischen Grafen Cesare Mattei, der mit weisser, 
blauer, rosa, grüner Elektrizität saturierte Zuckerpillen massen¬ 
haft vertrieb, als ein untrügliches Mittel gegen alle möglichen 
Krankheiten, und an den Schäfer Ast, der aus durchschnittenem 
Nackenhaar des Kranken Sitz und Ursache der Krankheit fest¬ 
zustellen vorgab. 

Darum gilt es im Kampfe gegen das Kurpfuschertum vor 
allem für Verbreitung einer allgemeinen, gediegenen, naturwissen¬ 
schaftlich vertieften Bildung zu sorgen, die jeden in den Stand 
setzt, sich ein selbständiges, zutreffendes Urteil über schwindel¬ 
hafte Reklame zu bilden. Nicht minder auch durch amtliche 
Warnungen und öffentliche Bekanntmachungen über einzelne grade 
besonders im Vordergrund stehende Geheimmittel oder Heilmethoden 
— nach dem trefflichen nachahmenswerten Vorgang des Berliner 
Polizei-Präsidiums — die Wahrheit zu verbreiten, sie ins rechte 
Licht zu setzen. 

Freilich mit amtlichen Warnungen und öffentlichen Bekannt¬ 
machungen der Polizei- und Medizinalbehörden im Reichsanzeiger, 
im Amtsblatt und dergl. ist es nicht getan, sie sind dort meist 
vergraben und werden nicht dem Volke, sondern nur denen be¬ 
kannt, die ihren Inhalt ohnehin schon kennen. 

Deshalb wäre vor allem seitens der beamteten Aerzte, zumal 



Die gerichts&rztliche Beurteilung der Kurpfuscherei - Delikte. 91 

der Kreisärzte, die Tagespresse in den Dienst der Agitation zn 
stellen gegen den Geheimmittelschwindel und den Charlatan, und 
bei jeder sich bietenden Gelegenheit auf besonders schreiende 
Fälle von Quacksalberei hinzuweisen, um belehrende, aufklärende 
Erörterungen anzufügen, entsprechend der Aufgabe des Medizinal* 
beamten, die Kurpfuscher unausgesetzt im Auge zu behalten, sie 
mit allen gesetzlichen Mitteln zu beaufsichtigen und gegebenen¬ 
falls gegen sie einzuschreiten. 

Geschieht dies in systematischer geschickter Weise in den 
gelesensten Tagesblättern, z. B. gelegentlich durch Abdruck ein¬ 
schlägiger Vorträge, oder in Besprechungen amtlicher Warnungen, 
dann wird bei dem grossen Interesse unserer Zeit für alle medi¬ 
zinisch-naturwissenschaftlichen Fragen schon viel gewonnen sein. 

Freilich für den Medizinalbeamten, der sich mit vollem Ernste 
dieser schwierigen Aufgabe widmet, ist der so betretene Pfad oft 
ein dornenvoller; nicht selten wird er sich dem Vorwurf des De¬ 
nunziantentums ausgesetzt sehen, er wird umfangreiche Ermitte¬ 
lungen anzustellen, und eingehende Gutachten zur Vorbereitung 
der strafgerichtlichen Verhandlung auszuarbeiten haben. 

Der Verbreitung der Wahrheit über die Gemeingefährlichkeit 
des Geheimmittelschwindels und des Kurpfuschertums wird be¬ 
kanntlich durch nichts so sehr entgegengewirkt, als durch ge¬ 
richtliche mit Freisprechung endende Strafprozesse gegen Kur¬ 
pfuscher, die erfahrungsgemäss oft in schamloser Weise zu 
Beklamezwecken ausgebeutet werden, eine ernste Mahnung, bei 
Erhebung von Auklagen gegen Geheimmittelschwindel und Kurier- 
schwindel die grösste Umsicht und Vorsicht walten zu lassen. 

Es gibt gewisse Wahrheiten, die, des Reizes der Neuheit 
entbehrend, das Mal der Alltäglichkeit an der Stirn tragen, haus¬ 
backene Wahrheiten, die nur dann wahrhaft wirksam werden, die 
ihren wahren Wert nur dann entfalten, wenn sie immer wieder 
in die Erinnerung zurückgerufen, immer von neuem verkündet 
werden. 

Zu diesen Wahrheiten gehört unter anderem die das Volks¬ 
wohl untergrabende gesundheitsschädigende Macht des Alkohols 
und die Gemeingefährlichkeit der Quacksalberei. Wer die Anti¬ 
alkoholbewegung unserer Tage verfolgt hat, weise, dass es im 
Kampfe gegen den Missbrauch geistiger Getränke mit der Er¬ 
kenntnis der Alkoholgefahr allein nicht getan ist, sondern dass 
nur eine unablässige, in immer weitere Kreise getragene Agitation 
einen Erfolg erringen, den Wert der einmal erkannten Wahrheit 
zu sichern vermag. 

Ein Gleiches gilt im Kampf gegen das Kurpfuschertum. 
Immer aufs Neue muss gegen die Auswüchse desselben angekämpft 
werden, damit seine Gefahr für die Volksgesundheit, vielleicht 
auch für das materielle Wohl des Aerztestandes in immer weiteren 
Kreisen erkannt und der Wahrheit zum Siege geholfen werde. 
Deshalb hat sich die Leitung des Preussischen Medizinalbeamten- 
Vereins ein grosses Verdienst erworben, indem es den Kampf 
gegen das Kurpfuschertum auf dem Gebiete des Strafrechts auf 



92 


Dr. t. Ihering. 


die Tagesordnung setzte; denn es gilt immer von neuem die 
Schäden des Geheimmittelschwindels and die Gefahren der Quack¬ 
salberei aufzudecken. Jedenfalls ist es ein Wahn zu glauben, 
dass man des Uebels der Kurpfuscherei durch einen Paragraphen 
der Gewerbeordnung Herr werden könnte, der die gewerbliche 
Ausübung der Heilkunde durch nichtgeprüfte Personen abhängig 
macht von dem Nachweise der Befähigung des Bewerbers; im 
Gegensatz zu der ärztlichen Approbation etwa nach Art des Be¬ 
fähigungsnachweises geprüfter Hebammen und geprüfter Heil¬ 
gehilfen. Dies würde, wenn überhaupt ausführbar, ganz abge¬ 
sehen davon, ob auch nur die ärgsten Versündigungen gegen die 
Gesundheit anderer hintangehalten würden, aber gleichwohl die 
schwersten Bedenken gegen sich haben; es hiesse die Kurpfuscher 
von Staats wegen zu Aerzten II. Klasse erheben und die ge¬ 
setzliche Anerkennung der Kurpfuscherei noch erhöhen. 

Auch eine Vorschrift der Gewerbeordnung, welche die ge¬ 
werbliche Ausübung der Heilkunde von einer ärztlichen Appro¬ 
bation abhängig machte, mit einem Federstriche die Kurierfreiheit 
beseitigte, damit aber die Gewerbefreiheit in tiefeinschneidender 
Weise beschränkte, verdient zurzeit nicht ernstlich ins Auge gefasst 
zu werden. 

Ueber die für und wider vorzubringenden gesetzgeberischen 
Gründe dieser in viele Lebensverhältnisse tiefeingreifenden Frage, 
vom rechtswissenschaftlichen, ärztlichen, volkswirtschaftlichen und 
sozialen Standpunkte aus mich des Näheren zu verbreiten, würde 
hier zu weit führen und erscheint auch unnötig, da nach dem 
dermaligen Standpunkt der gesetzgebenden Faktoren an eine Auf¬ 
hebung der Kurierfreiheit in absehbarer Zeit wohl nicht zu denken 
ist. Haben die Anhänger desselben doch noch nicht einmal den 
Befähigungsnachweis im Baugewerbe durchzusetzen vermocht, so 
dass die Gewerbe - Ordnung zurzeit nur den Befähigungsnachweis 
der Seeschiffer, Seesteuerleute, Maschinisten der Seedampfer und 
Lotsen gemäss § 8 Gewerbeordnung vorsieht. 

Am ehesten könnte noch vom gesetzgeberischen Standpunkte 
aus an eine Ausdehnung des § 35 Gewerbe - Ordnung gedacht 
werden, wonach die Erteilung von Tanz-, Turn- und Schwimm¬ 
unterricht als Gewerbe zu untersagen ist, wenn Tatsachen vor¬ 
liegen, welche die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden in 
bezug auf diesen Gewerbebetrieb dartun. Nach derselben Vor¬ 
schrift ist auch der Handel mit Drogen und chemischen Präpa¬ 
raten, die zu Heilzwecken dienen, zu untersagen, wenn die Hand¬ 
habung des Gewerbebetriebes Leben und Gesundheit gefährdet. 
Ist die Untersagung erfolgt, so kann die Landeszentralbehörde 
oder eine andere von ihr zu bestimmende Behörde die Wieder¬ 
aufnahme des Gewerbebetriebes gestatten, sofern seit der Unter¬ 
sagung mindestens 1 Jahr verflossen ist. Personen, welche die 
in diesem § 35 bezeichneten Gewerbe beginnen, haben bei Eröff¬ 
nung ihres Gewerbebetriebes der zuständigen Behörde hiervon 
Anzeige zu machen. 

Eine solche Vorschrift würde im Falle schwerer Versündigung 



Die gerichtsärztliche Beurteilung der Kurpfuscherei-Delikte. 


93 


des Kurpfuschers an fremder Gesundheit bei besonders groben 
Yerstössen gegen die allgemein anerkannten und bekannten Regeln 
der Heilkunde die Handhabe bieten, dem Pfuscher das Handwerk 
zu legen. 

Entsprechend der dem Tum-, Tanz- und Schwimmlehrer usw. 
auferlegten Verpflichtung, bei Eröffnung ihres Gewerbebetriebes 
der zuständigen Behörde hiervon Anzeige zu machen, ist eine 
solche Verpflichtung bisher schon vielfach auf ministerielle An¬ 
weisung durch Polizei-Verordnungen eingeführt, wie die für den 
Reg.-Bez. Hannover erlassene Polizeiverordnung vom 26. Mai 1903, 
betr. die Vorschriften, insbesondere die Meldepflicht für Personen, 
welche die Heilkunde gewerbsmässig ausüben, ohne approbiert 
zu sein. 

Diese Verordnung schreibt vor, 

„daß Personen, welche, ohne approbiert zu sein, die Heilkunde gewerbs¬ 
mäßig ausüben wollen, unter anderen auch Zahntechniker, Zahnkünstler, soweit 
sie die Zahnheilkunde ausüben, nicht geprüfte Heilgehilfen und Masseure, 
Barbiere, die die kleine Chirurgie betreiben, dies vor Beginn des Gewerbe¬ 
betriebes dem zuständigen Kreisärzte zu melden und gleichzeitig die erforder¬ 
lichen Angaben über ihre persönlichen Verhältnisse zu machen haben; des¬ 
gleichen haben sie auch jeden Wohnungswechsel zu melden, sowie die Auf¬ 
gabe ihres Berufes.“ 

§ 3 sieht vor, daß öffentliche Anzeigen von nicht approbierten Personen, 
welche die Heilkunde gewerbsmäßig ausüben, verboten sind, sofern sie über 
Vorbildung, Befähigung oder Erfolge dieser Personen zu täuschen geeignet 
sind oder prahlerische Versprechungen enthalten. 

§ 4 bestimmt: „Die öffentliche Ankündigung von Gegenständen, Vorrich¬ 
tungen, Methoden oder Mitteln, welche zur Verhütung, Linderung oder Heilung 
von Menschen- oder Tierkrankheiten bestimmt sind, ist verboten, wenn den¬ 
selben besondere über ihren wahren Wert hinausgehende Wirkungen beigelegt 
werden, oder das Publikum durch die Art ihrer Anpreisung irregeführt oder 
belästigt wird, oder wenn die Gegenstände etc. ihrer Beschaffenheit nach ge¬ 
eignet sind, Gesundheitsschädigungen hervorzurufen.“ 

§ 6 bestraft Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften, soweit nicht in 
den bestehenden Gesetzen eine höhere Strafe vorgesehen ist, mit Geldstrafe 
bis zu 60 Mark, an deren Stelle im Unvermögensfalle Haft tritt. 

Soweit bekannt geworden, wird diese Verordnnng streng 
dnrehgeführt and hat schon znr Bestrafung einer ganzen Reihe 
von gewissenlosen Heilkünstlern geführt. — Aber eine Handhabe, 
auch bei schwersten Versündigungen gegen die Gesundheit anderer 
dem Heilkünstler die Ausübung des Gewerbebetriebes zu unter¬ 
sagen, ihm das Handwerk zu legen, bietet die erwähnte Verord¬ 
nung nicht und kann sie nicht bieten; dies wäre nur im Wege 
der Reichsgesetzgebung durch Erstreckung der im § 35 Reichs¬ 
gewerbeordnung für Drogisten gegebenen Vorschriften auf die 
Kurpfuscher zu erreichen. 

Wenn nach der Gewerbeordnung § 35, Abs. 4 der Handel 
mit Drogen und zu Heilzwecken bestimmten chemischen Präpa¬ 
raten zu untersagen ist, wenn die Handhabung des Gewerbe¬ 
betriebes Leben und Gesundheit von Menschen gefährdet, so sollte 
doch um so viel eher das gleiche gelten müssen, wenn ein skrupel¬ 
loser, auf den Erwerb erpichter Kurpfuscher eine gemeingefährliche 
Wirksamkeit entwickelt. 

Klingt es nicht geradezu wie eine Verhöhnung der Staats- 



94 


Dr. y. Ihering. 


gewalt, wie eine Verspottung der Rechtsordnung, wenn der in 
einem aufsehenerregenden Strafprozesse von dem Landgericht 
Königsberg za längerer Freiheitsstrafe verurteilte Heilkünstler 
Schröder in der Tagespresse ankündigt, nach Verbüssung seiner 
Strafe gedenke er seine Praxis alsbald wieder aufzunehmen, wie 
er hoffe mit grösserem Erfolge wie zuvor, da er in den längeren 
strafgerichtlichen Verhandlungen viel gelernt habe. 

Ob nun die erwähnte Polizei-Verordnung des Regierungs¬ 
präsidenten von Hannover vom 26. Mai 1903 sich auf die Dauer 
bewähren wird, so lange nicht die Untersagung des Gewerbe¬ 
betriebes gemeingefährlicher Kurpfascher auf gesetzgeberischem 
Wege ermöglicht wird, muss die Zukunft lehren, insbesondere ob 
nicht die Vorteile der Anmeldepflicht dadurch wieder aufgewogen 
werden, dass die Kurpfuscher sich fortan als beim Kreisarzt an¬ 
gemeldet and als zugelassen bezeichnen und diese Tatsache zu 
Reklamezwecken ausbeuten. 

Von den einschlägigen, die Ausübung der Heilkunde be¬ 
rührenden Vorschriften der Reichsgewerbeordnung ist die 
wichtigste § 29 in Verbindung mit § 147 9 . Einer auf Grund eines 
Nachweises der Befähigung zu erteilenden Approbation bedürfen 
ausser den Apothekern diejenigen Personen, welche sich als Aerzte, 
Wundärzte, Augenärzte, Geburtshelfer, Zahnärzte und Tierärzte 
oder mit gleichbedeutenden Titeln bezeichnen. Die Zuwiderhand¬ 
lung wird mit einer Geldstrafe bis 800 Mark, im Unvermögens¬ 
falle mit Haft bestraft (§ 147). Diese Vorschrift umfasst nur die 
im § 29 bezeichneten Medizinalpersonen, nicht also das niedere 
Heilpersonal, für das nach § 6 die landesrechtlichen Vorschriften 
gelten, also auch die Ablegung einer Prüfung verlangt werden 
kann. Wer, ohne sich als Arzt usw. zu bezeichnen, die Tätigkeit 
des Arztes ausübt, bedarf keiner Approbation; anderseits ist die 
unbefugte Annahme des Titels eines Arztes auch ohne Hinzutritt der 
ärztlichen Tätigkeit strafbar. Auch derjenige, welcher zur Führung 
des Doktortitels berechtigt ist, verstösst gegen die fr. Vorschrift, 
wenn er dies unter Umständen, in einer Weise tut, welche den 
Glauben erweckt, er sei eine geprüfte Medizinalperson. Denn die 
Frage, ob die Bezeichnung, welche sich eine nicht ärztlich appro¬ 
bierte Person beilegt, eine dem Titel Arzt ähnliche sei und ob 
dadurch der Glaube erweckt wird, er sei eine geprüfte Medizinal¬ 
person, ist nicht abstrakt, sondern nach den Umständen des Einzel¬ 
falls zu beurteilen. 

Unlängst hat das Kammergericht einen approbierten Zahn¬ 
arzt, welcher zum Dr. phil. promoviert, auf seinen Schildern und 
Stempeln sich Dr. N. N., prakt. Zahnarzt, genannt hatte, von der 
Anklage wegen Vergehens gegen den § 147, Nr. 3 Gew.-Ordn. 
freigesprochen, da das Verlangen der Staatsbehörde, den Titel Dr. 
durch den Zusatz phil. zu ergänzen, um nicht den Anschein zu 
erwecken, er sei ein Dr. med., für unberechtigt zu halten sei. 
Grade dass der Angeklagte zu seinem wohlerworbenen Dr.-Titel 
die Bezeichnung prakt. Zahnarzt hinzufügt, stelle ausser Zweifel, 
dass er sich nicht als anderweit approbierter Arzt habe bezeichnen 



Die gerichtsärztliche Beurteilung der Kurpfuscherei*Delikte. 


95 


wollen. Nor wenn er den Dr. - Titel vor seinem Namen ohne den 
Zusatz praktischer Zahnarzt geführt hätte, würde er dadurch 
möglicherweise den Glauben haben erwecken können, dass er 
approbierter Arzt sei. Eine nicht geprüfte Medizinalperson darf 
sich den Titel Homöopath nicht beilegen. In der Bezeichnung 
als Naturarzt kann die Annahme eines Titels gefunden werden, 
durch welchen der Glaube erweckt wird, dass jemand eine appro¬ 
bierte, also geprüfte Medizinalperson sei. *) An sich ist aber der 
Titel Naturarzt noch nicht als eine Bezeichnung als Arzt auf¬ 
zufassen, sondern nach den Umständen jedes einzelnen Falles zu 
beurteilen, ob dadurch der Glaube erweckt wird, dass die Appro¬ 
bation stattgefunden hat. 8 ) 

Nach der Entscheidung des Reichsgerichts s ) ist nur die Bei¬ 
legung eines persönlichen Titels, nicht aber die Angabe einer 
Kurmethode durch § 147 8 Gew.-O. geregelt. Nicht für strafbar 
ist deshalb derjenige in der Rechtsprechung erachtet, welcher auf 
dem Firmenschild seinen Gewerbebetrieb als Institut für geheime 
und Hautkrankheiten, als Institut für physiologische Therapie, als 
Anstalt für Naturheilbehandlung bezeichnet hatte. Nicht für straf¬ 
bar ist ferner im Einzelfall erachtet worden, wer sich als 
Spezialist für Massage oder für Heilgymnastik, als Diätetiker be¬ 
zeichnet hatte. 

An zweiter Stelle möchte ich das Reichsgesetz zur Be¬ 
kämpfung des unlauteren Wettbewerbs vom 27. Mai 1896 
erwähnen, dem ich aber nur einige Worte widme, weil die bereits 
erwähnte Polizeiverordnung des Reg.-Präsidenten in Hannover vom 
26. Mai 1903 mit ihren ins einzelne gehenden Bestimmungen über 
öffentliche Anzeigen der Heilkünstler und öffentliche Anpreisung 
ihrer Heilmethoden und Mittel hier nur selten Anlass bieten wird, 
auf dieses Reichsgesetz zurückzugreifen. Nach § 1 desselben in 
Verbindung mit § 4 wird mit Geldstrafe bis zu 1500 Mark be¬ 
straft, wer in der Absicht, den Anschein eines besonders günstigen 
Angebots hervorzurufen, in öffentlichen Bekanntmachungen über 
die Beschaffenheit, die Herstellungsart oder die Preisbemessung 
von Waren oder gewerblichen Leistungen unwahre und zur Irre¬ 
führung geeignete Angaben tatsächlicher Art macht. Zu solchen 
gewerblichen Leistungen zählen nicht nur die Dienste der Besitzer 
von Instituten für Massage, für Heilgymnastik, von Mineralbädern 
und dergl., die Dienste des Barbiers, welcher die sogenannte kleine 
Chirurgie betreibt, sondern überhaupt die Dienste der gewerbs¬ 
mässigen Heilkünstler. So hat denn das Reichsgericht 4 ) erkannt, 
dass § 4 des betreffenden Gesetzes auch auf öffentliche Ankündi¬ 
gung der Uebernahme von Krankheitsheilungen und der Befähigung 
zu solchen, falls tatsächlich eine solche dem Täter, wie bei allen 
Kurpfuschern, abgeht, verwendbar sei. Hiernach bietet das Gesetz 
eine wirksame Handhabe gegen schwindelhafte Reklame, und das 


•) Erk. des Obertribunals Tom 22. Dezember 1875. 

*) Erk. des Obertribunals vom 9. November 1876. 

*) Bd. 81, 8.164 der Entscheidungen in Strafsachen. 

4 ) Vergl. Entscheidungen in Strafsachen; Bd. 85, S. 286. 




Dr. y. Ihering. 


% 

um so mehr, als in Preussen auf Grund der Königl. Verordnung vom 
27. Mai 1887 die Aerztekammern zur Stellung von Anträgen gegen 
Kurpfuscher berechtigt sind; denn sie haben die Eigenschaft von 
Verbänden im Sinne des § 1, da ihr Geschäftskreis die Erörterung 
aller Fragen und Angelegenheiten umfasst, die auf die Wahr¬ 
nehmung und Vertretung der ärztlichen Standesinteressen gerichtet 
sind, und zu letzteren auch die materiellen Interessen gehören. 
Nicht minder ist nach höchstrichterlicher Entscheidung auch der 
Kreisarzt, auch der vollbesoldete, zur Antragstellung befugt, da 
er, weil ihm die Ausübung der ärztlichen Berufstätigkeit wenigstens 
in dringenden Fällen freigegeben ist, als Gewerbetreibender des 
§ 1 anzusehen ist. 

Wenn ich mich zum Schluss den Vorschriften des Straf¬ 
gesetzbuches zuwende, so muss ich mich, um die vorgesehene 
Zeitdauer nicht zu überschreiten, beschränken auf die Erörterung 
der Begriffe, Fahrlässigkeit, Ursachenzusammenhang, Tatbestand 
der fahrlässigen Körperverletzung und Tötung, auf die Voraus¬ 
setzungen, unter denen der Täter zu der Aufmerksamkeit, die er 
ausser Acht liess, vermöge seines Amtes, Berufes, Gewerbes ver¬ 
pflichtet war. Fahrlässigkeit besteht in der Vernachlässigung 
einer nach den konkreten Umständen zu beurteilenden vernünftigen 
Ueberlegung und Berechnung, wobei auf die individuellen Eigen¬ 
schaften und Fähigkeiten des einzelnen Rücksicht zu nehmen ist. 
Eine Fahrlässigkeit ist angenommen worden, wenn jemand eine 
Aufgabe übernommen, sich zu einer Tätigkeit verpflichtet hat, 
z. B. zum Fahren eines Wagens als Kutscher, zur Leitung einer 
Geburt als Arzt, ohne die dazu erforderlichen Fähigkeiten und 
Eigenschaften sich erworben zu haben; das kann auch beim Kur¬ 
pfuscher gelten, wenn er die erforderliche Handreichung wegen 
zitternder Hand, wegen Kurzsichtigkeit oder Schwerhörigkeit nicht 
ordentlich auszufüliren vermag. Abzulehnen ist der Gedanke, dann 
der Kurpfuscher schon durch die Uebernahme der Behandlung 
schwer zu erkennender, schwerer noch zu heilender Krankheiten 
eine Schuld auf sich lade; denn die Ausübung der Heilkunde ist 
freigegeben. 

Aeusserst zweifelhaft kann es im einzelnen sein, ob der 
Kurpfuscher zu der Aufmerksamkeit, die er ausser Augen setzte, 
vermöge seines Gewerbes verpflichtet ist, d. h. zu einer besonderen 
erhöhten Aufmerksamkeit. 

Man wird nicht ohne weiteres in jedem Falle mit Dr. Diet¬ 
rich 1 ) aus der gegen Entgelt erfolgten Ausübung der Heilkunde 
die Verpflichtung zu erhöhter Aufmerksamkeit herleiten können, 
wohl aber dann solche festzustellen haben, wenn jemand das Heilen 
von Krankheiten gegen Entgelt in einem grösseren örtlichen Um¬ 
kreise seit längerer Zeit berufsmässig betreibt und daraus ein 
Gewerbe gemacht hat.’) 


■) Siehe Bericht über die 13. Hauptversammlung des PreuAischen Med.* 
Beamtenvereins; S. 70. 

*) VergL Urteil des Reichsgerichts vom 12. April 1882; Rechtsprechung, 
IV, Seite 818. 


t 



Die gerichts&rztliche Beurteilung der Kurpinecherei- Delikte. 


97 


Ein Gewerbe fordert stets eine fortgesetzte Tätigkeit in 
Erwerbsabsicht, einzelne gelegentliche Fälle der Ansflbnng der 
Tätigkeit reichen nicht hin. In zahlreichen Fällen bietet der 
§ 263 Str. G. B. die Handhabe gegen den Kurpfuscher wegen 
Betruges einznschreiten. Dies ist einmal der Fall, wenn der 
Heilkünstler den Leuten gegenüber sich in allgemeinen Prahlereien 
über seinen Heilerfolg, über seine Erfahrung und Befähigung er¬ 
geht, sowie bestimmte Tatsachen über von ihm behandelte Krank¬ 
heiten und dabei erzielte Erfolge anführt oder nähere Daten über 
seine auf diese oder jene Weise erlangte Vorbildung gibt, welche 
der Wahrheit zuwiderlaufen, nicht minder wenn er sich für einen 
Arzt ausgibt, wie dies in einer vom Reichsgericht entschiedenen 
Strafsache des Landgerichts Lüneburg der Angeklagte getan hatte, 
indem er sich in seinen in den Tagesblättern veröffentlichten An¬ 
zeigen Sanitätsrat N. N. zu Lüneburg zu nennen beliebte. Das 
Gericht fand den Betrug darin, dass der Kranke, welcher für sein 
Geld den sachgemässen Rat eines approbierten Arztes erwarten 
durfte, statt dessen den unsachgemässen Rat eines ärztlich nicht 
vorgebildeten Mannes erhalten hatte. 

Eines Betruges kann sich der Kurpfuscher aber auch da¬ 
durch schuldig machen, dass er bei Abgabe von minderwertigen 
Heilmitteln den Kranken falsche Tatsachen über den Selbstkosten-, 
den Einkaufspreis und Menge der Bestandteile vorspiegelt, endlich 
auch dadurch, dass der Kurpfascher den Leuten vorspiegelt, sie 
litten an einer Krankheit, die er sicher und rasch zu heilen ver¬ 
möge, wie in dem vor wenigen Tagen aus dem Kreise Geeste¬ 
münde-Lehe mitgeteilten Falle, wo ein nmherziehender Heil¬ 
künstler zahlreichen Leuten vorgespiegelt hatte, sie litten an 
grauem Staar und ihnen seine Nervenbrillen zum Preise von 20 
oder 40 Mark aufgenötigt hatte. 

Zum Schlüsse wende ich mich dem Vergehen der fahr¬ 
lässigen Tötung und Körperverletzung zu. Der Staat 
schützt pflichtgemäss das Leben und die Gesundheit seiner Bürger 
gegen Beschädigungen, indem er ausser der vorsätzlichen, auch 
die fahrlässige Körperverletzung bestraft, und zwar mit erhöhter 
Strafe, wenn der Täter zu der Aufmerksamkeit, die er ausser 
Augen setzte, vermöge seines Amtes, Berufes oder Gewerbes be¬ 
sonders verpflichtet war. Letzterenfalls tritt an die Stelle der 
Verfolgung auf Antrag diejenige von Amtswegen. 

Man hat diese straferhöhende Vorschrift schlechthin an¬ 
wenden wollen auf die Kurpfuscher, so Dr. Dietrich 1 ); denn der 
Kurpfuscher sei doch grade vermöge seines Gewerbes, der Aus¬ 
übung der Heilkunde, zu der Aufmerksamkeit, die er gegebenen¬ 
falls ausser Augen setzte, besonders verpflichtet. 

Wie an der Hand der reichsgerichtlichen Entscheidung schon 
ausgeführt worden, ist die Frage nach dem Vorliegen einer Be¬ 
rufs- und Gewerbepflicht im Einzelfalle nach der Gesamtheit der 
begleitenden Umstände zu beantworten. Hat der Täter sich ganz 


*) L c. 


7 



98 


Dr. v. Ihering. 


and gar in einer seine ganze Erwerbstätigkeit in Anspruch 
nehmenden Weise der Ausübung der Heilkunde gewidmet, z. B. 
nur der Abtreibung von Bandwürmern, der Heilung von Bruch¬ 
schäden, von Hautkrankheiten, besonders Flechten, so kann man 
von ihm ein höheres Mass von Sachkenntnis, Erfahrung und Ein¬ 
sicht erwarten, als von dem Handwerker, z. B. einem Dorfschmied, 
einem Bader, einem Schuhmacher, der gelegentlich einmal an einem i 
Krankenbett gegen Entgelt einen guten Rat erteilt. I 

Bei Beurteilung der Verantwortlichkeit eines Heilkfinstlers 
für Verschlimmerung der von ihm behandelten Krankheit ist von 
dem obersten Grundsatz auszugehen, dass er nicht die Kenntnis, 
die Erfahrung, den sicheren Blick, die geschickte Hand des appro¬ 
bierten Arztes zu vertreten hat; denn er hat nicht Medizin studiert, 
er gibt sich ja auch nicht als approbierter Arzt aus, wohl aber 
muss er die Sorgfalt, die der Verkehr bei der Behandlung kranker, 
zumal schwerkranker Personen erfordert, an den Tag legen, und 
zwar wenn er aus der Ausübung der Heilkunde einen Lebens¬ 
beruf macht, dem er seine ganze Erwerbstätigkeit widmet, ein i 
erhöhtes Mass von Sorgfalt, Umsicht und Aufmerksamkeit auf¬ 
wenden. Verletzt er seine Sorgfaltspflicht, so hat er die Folgen 
nach den strafrechtlichen Vorschriften über fahrlässige Körper¬ 
verletzung oder Tötung zu tragen. Zweitens ist von dem Grund¬ 
sätze auszugehen, dass der Heilkünstler, wenn er bei der Be¬ 
handlung von Kranken ein Mittel oder ein Verfahren anwendet, 
von dessen vollkommener Ungefährlichkeit nach der individuellen 
Beschaffenheit des Kranken er sich nicht überzeugt halten darf, , 
er den ungünstigen Erfolg strafrechtlich zu vertreten hat. So¬ 
dann ist drittens darauf hinzuweisen, dass eine fahrlässige Tötung j 
in der Beschleunigung des Todes durch Kurpfuscherei auch dann 
gefunden werden kann, wenn der tödliche Ausgang der Krankheit 
unabwendbar war. 1 ) ■ 

Meine Ausführungen haben darzulegen versucht, dass die 
Waffen, welche das Gesetz für den Kampf gegen das Kurpfuscher¬ 
tum darbietet, im wesentlichen ausreichen. Aber freilich ent¬ 
scheidend ist niemals der tote Buchstabe des Gesetzes, sondern 
der Geist, in welchem das Gesetz gehandhabt wird. 

Erwägt man, dass mehr als die Hälfte der Heilkünstler vor¬ 
bestrafte, höchst unzuverlässige Subjekte sind, dass parallel mit 
der Blüte der medizinischen Wissenschaft ein fast unglaubliches j 
Ueberhandnehmen des Kurpfuschertums geht — in Berlin soll die 
Zahl derselben in den letzten Jahren sich versechzehnfacht haben; 
erwägt man endlich, dass die Kurpfuscherei nicht etwa im 
geheimen, im verborgenen ihr Wesen treibt, sondern dass sie 
dreist und frech ihr Haupt erhebt, so ergibt sich daraus für jeden, 

*) Siehe Urteil des Reichsgerichts vom 18. September 1888, Recht¬ 
sprechung des Reichsgerichts, herausgegeben von den Reichsanwälten; X, S. 483. 
Vergl. auch: a. Urteil vom 26. März Iö88; Rechtsprechung, X, 8. 268. b. Ur¬ 
teil vom 4. Mai 1886; Entscheidungen, XIV, 8.118; auch Rechtsprechung. 
VIII, 8. 342. c. Urteil vom 20. Mai 1889; Entscheidungen, XTX, S. 226, 
sowie Urteil vom 12. April 1882; Rechtsprechung, IV, 8.318. 



Die gerichtsärztliche Beurteilung der Kurpfuscherei-Delikte 99 

der zur Bekämpfung dieses notwendigen Uebels mitzuwirken be¬ 
rufen ist, die unverbrüchliche Pflicht, allzeit seine volle Schuldig¬ 
keit zu tun. 

(Lebhafter Beifall.) 

Der Vortragende hatte seine Ausführungen in folgende Leit¬ 
sätze zusammengefasst: 

1. Wenn auch die bestehenden Gesetzes Vorschriften im all¬ 
gemeinen im Kampfe gegen die Kurpfuscherei genügende Waffen 
bieten, so empfiehlt sich doch dringend eine Ausdehnung der im 
§ 35 Gewerbeordnung für die Drogisten gegebenen Vorschrift über 
die Untersagung des Gewerbebetriebes auf nicht ärztlich appro¬ 
bierte Personen, welche gewerbsmässig die Heilkunde ausüben. 

2. Es empfiehlt sich mehr als bisher seitens der beamteten 
Aerzte durch Besprechung geeigneter Gerichtsverhandlungen, Er¬ 
läuterung amtlicher Warnungen vor schädlichen Geheimmitteln 
oder Mitteilung sonst bekannt gewordener krasser Fälle von Kur¬ 
pfuscherei auf die gesundheitsschädigende Gefahr des Kurpfuscher¬ 
tums und Geheimmittelschwindels hinzuweisen. 

3. Bei Erhebung von Anklagen gegen Kurpfuscher ist mit 
besonderer Umsicht und Vorsicht zu verfahren, da freisprechende 
Erkenntnisse der Gerichte meist übermässig zu Reklamezwecken 
ausgebeutet werden. 

Vorsitzender: M. H.! Ich bin nicht im Zweifel, dass ich 
die Stimmung der Versammlung richtig interpretiere, wenn ich den 
Herrn Referenten für ihre überaus interessanten Ausführungen 
den wärmsten Dank ausspreche und namentlich die uns durch 
den Herrn Amtsgerichtsrat Dr. v. Ihering zuteil gewordene 
Unterstützung als einen wertvollen Gewinn der diesjährigen Ver¬ 
sammlung bezeichne. 

Ich eröffne nunmehr die Diskussion über die von den Vor¬ 
tragenden aufgestellten Leitsätze: 

H. Geh. Med.-Bat Prof. Dr. Guttstadt-Berlin: M. H.I Mit Bäcksicht 
auf die große Bedeutung der Frage möchte ich mir nur einige Bemerkungen 
erlauben, die dartun sollen, daß der Standpunkt, den die Versammlung hier 
mit der Annahme der Thesen einnehmen würde, doch nicht für richtig zu 
halten ist. 

M. H.I Die Kurpfuscherfrage hat die ärztlichen Kreise so eingehend 
beschäftigt, daß man eigentlich betrübt sein mnß darüber, daß man immer 
auf demselben Standpunkte verharrt, die bestehenden Gesetze als bleibend 
maßgebend anzuerkennen. M. H.! Ist denn die Kurierfreiheit ein geführt 
worden aus dem Grunde, weil durch sie das öffentliche Wohl besser als bisher 
gefördert würde ? Ist denn die Kurierfreiheit eingeführt, weil man annahm, daß 
durch die Kurpfuscherei auch eine Förderung der Wissenschaft erfolgen würde? 
M. H.I Es ist bedauerlich, daß die historische Entwickelung der Frage so ganz 
außer acht gelassen wird. Die Verpflichtung des Arztes zur Hilfeleistung ist 
in das Strafgesetzbuch 1849 hincingekommen aus so kläglichen Gründen, daß 
deswegen schon der betreffende Paragraph hätte fallen müssen bei der Bera¬ 
tung des neuen Strafgesetzbuchs. Im Reichstage hat das Gutachten der wissen¬ 
schaftlichen Deputation für das Medizinalwescn gar keine Bedeutung erlangt, 
weil die Verhandlung über Einführung der ärztlichen Gewerbefreiheit zum 
Schlüsse der Sitzung erfolgte, wo die Aufmerksamkeit der Beteiligten nicht 
mehr darauf zu lenken war. Als Grund, warum man gegen die Aufhebung 
der Kurierfreiheit nicht yorgegangen ist, ist die Furcht vor Einführung der 

7* 



100 


Diskussion zu dem Vorträge: 


Verpflichtung des Arztes zur Hilfeleistung anzugeben, auch wenn er nachts 
oder weit weg von seiner Wohnung zu einem Kranken gerulen wird. Kul¬ 
tusminister v. Goßler hat die Frage mit mir erörtert und es ausgesprochen, 
daß der innere Zusammenhang vollständig verkannt sei. Noch heute könnte 
die Gesetzgebung, wenn eklatante Fälle vorkämen, trotz der Kurierfreiheit den 
Aerzten den Zwang zur Hilfeleistung auferlegen. 

Nun muß man doch sagen, wenn die Kurierfreiheit so ausgedehnt er¬ 
scheint, daß Juristen und Medizinalbeamte sich abmühen müssen, wie sie Kur¬ 
pfuscher gerichtlich verfolgen, so muß doch ein anderer Weg dafür vorhanden 
sein. So gut wie man den Diebstahl durch Gesetzgebung nicht aus der Welt 
schaffen kann, so kann man auch die Kurpfuscherei vollständig nicht verhindern. 
Aber die Kurpfuscher treten doch heute als „makellose“ Menschen auf, und 
wenn man sieht, in welche Familien diese Leute Eingang gefunden haben, so 
muß man doch sagen, die Anschauung, durch Verbreitung aufklärender 
Schriften usw. sei Wandel zu schaffen, wird durch die Tatsachen wiederlegt. 
Gerade die gebildeten und besitzenden Kreise sind es, die sich an die Kur¬ 
pfuscher wenden, und von diesem Erwerbe leben die Kurpfuscher, nicht von 
den armen Leuten. Das Mittel der Aufklärung ist schon seit 30 Jahren ver¬ 
sucht und vollständig resaltatlos geblieben. Die Statistik über die Kurpfuscherei 
weist nach, daß eine gewaltige Zunahme der Kurpfuscher erfolgt ist. Wenn 
man angibt, daß die Sparsamkeit des Publikums die Ursache dafür ist, daß 
Hilfe bei Kurpfuschern und nicht bei Aerzten gesucht wird, so muß man da 
auch nach den Tatsachen urteilen, ln Wirklichkeit ist der Kurpfuscher durch¬ 
aus nicht billig! 

Wenn man die Kurpfuscherprozesse verfolgt, Prozeß Nardenkötter 
usw., und hört, welche Einnahmen da erzielt sind, da kann man doch mit 
diesen Bedenken gegen die gesetzliche Verhinderung der Kurpfuscherei nicht 
auftreten. Und wenn die Juristen zurzeit bemüht sind, mit allem Scharfsinn 
herauszufinden, wie man Kurpfuscher verurteilen kann, so liegt dies daran, 
daß bis in die jüngste Zeit hinein Kurpfuscher, obgleich sie Schaden an¬ 
richteten, freigesprochen wurden, weil man sagte, der Mann kann nicht ver¬ 
antwortlich gemacht werden, da ihm die nötigen Kenntnisse fehlen. Erst in 
der neuesten Zeit ist die Auffassung anerkannt, daß man sagt, gerade weil 
er nicht die nötigen Kenntnisse besitzt und doch die Behandlung von Kranken 
unternommen hat, deswegen wird er verurteilt wegen des angerichtetea 
Schadens. 

Wird denn garnicht daran gedacht, daß der Kurpfuscher in der Regel 
garnicht in der Lage ist, eine Diagnose der Krankheit zu stellen? Besteht 
denn die ärztliche Kunst nur in der Anwendung therapeutischer Mittel? An¬ 
erkannt wird gesetzlich heute, daß es 1. Aerzte gibt, 2. Personen ohne ärzt¬ 
liche Ausbildung, die ein ärztliches Gewerbe betreiben! Gegen diese Unter¬ 
scheidung muß man sich in allen ärztlichen Kreisen auflehnen. Es ist doch 
nicht zuzugeben, daß von Personen, ohne eine Diagnose stellen zu können, eine 
Heilbehandlung übernommen werden kann. 

M. H.! Wenn wir uns nicht auf diesen Standpunkt stellen, dann wächst 
die Kurpfuscherei von Jahr zu Jahr. Wir haben gesehen, in welch großartiger 
Weise Nardenkötter die Kurpfuscherei betrieben hat; sie wird nicht nur 
am Orte selbst, sondern besonders erfolgreich auch in der Umgegend, in der 
Provinz betrieben; durch Broschüren und Flugblätter werden die Leute 
angelockt, nicht allein durch die Zeitungsannoncen. Wenn man ausspricht, 
daß eine geheimnisvolle Macht in den Annoncen liegt, so liegt anderseits auch 
eine Ohnmacht in dem kranken Zustande des Menschen. Und diese Ohn¬ 
macht kanndoch nicht preisgegeben werden dem Kurpfuscher! 
Die Gesetzgebung stellt im Interesse des kranken Menschen Schranken auf 
für die Personen, die kranken Menschen helfen und sich „Aerzte“ nennen 
wollen. Virchow, der die gesetzliche ärztliche Gewerbefreiheit befürwortet 
hat, war seiner Zeit ganz erstaunt darüber, daß die Bestimmung der 
Medizinalverwaltung über die Anzeigepflicht für Diphtherie usw. so gefaßt 
wurde: „Alle Personen, welche kranke Menschen behandeln, sind verpflichtet, 
Anzeige zu erstatten“; aber natürlich mußte die Regierung hier die Konsequenz 
dieser Gesetzgebung ziehen. Es ist doch klar, daß als Folge der Gesetzgebung 
die Kurpfuscher auf gleiche Stufe mit den Aerzten gestellt werden, daß Leute 
auf eine Stufe gestellt werden, die ein ärztliches Studium betrieben haben, 



Die gerichtsärztliche Beurteilung der Kurpfuscherei - Delikte. 101 


and Leute, die früher Schuster, Schneider oder sonst was gewesen sind, aber 
jetzt kranke Menschen behandeln. Daß es bloß darauf ankommt, wie man die 
Kurpfuscher zur Bestrafung bringen kann, ist doch nicht als der einzige Weg 
zur Bekämpfung der Kurpfuscherei hinzustellen I 

Ich habe Gelegenheit gehabt, die Prozeßverhandlungen gegen Kurpfuscher 
aus vielen Jahren amtlich zu bearbeiten; es ist doch ein kläglicher Zustand, 
daß soviel Zeit und Scharfsinn auf die Verfolgung solcher Menschen verwandt 
werden muß, bloß weil man sich scheut, die Gesetzgebung zu ändern; das 
geschiet nur mit Rücksichtnahme auf gewisse Kreise. Wir sind doch darüber 
einig, daß es im Interesse der Wissenschaft und der allgemeinen Wohlfahrt 
nicht liegen kann, daß eine ärztliche Kurierfreiheit gesetzlich garantiert 
wird. (Bravo 1) 

H. Gerichtsarzt Dr. Keferstein ■ Magdeburg: M. H. I Ich habe einmal 
als Sachverständiger in einem Prozesse gegen einen Kurpfuscher fungiert, der 
sich für eine Medizin den fünffachen Preis bezahlen ließ. Diesen erhöhten 
Preis berechnete er sich für den Weg, den er zur Apotheke zurückgelegt hatte, 
und es konnte ihm nicht als Betrug angerechnet werden, daß er sich den Weg 
viermal so hoch bezahlen ließ, als die Medizin wert wart Er ist dann nur 
verurteilt worden, weil er weiter ging, als er es anfangs klugerweise getan 
hatte. Er sagte nämlich, meine Medizin ist derartig stark und giftig, daß ich 
sie nur selbst aus der Apotheke holen kann, nicht der Patient! Und hierin 
wurde der Betrug gefunden, denn die Medizin war nicht so stark und giftig; 
er ist daraufhin verurteilt worden. 

Weiter war eine Frau in Magdeburg, die Homöopathie und Abtreibung 
trieb. Sie berechnete sich die Sache sehr hoch, konnte aber auch nicht be¬ 
langt werden. Sie sagte selbst, ich treibe nicht ab, sondern heile nur Blut¬ 
stockung; ein Sachverständiger sagte dann auch aus, daß die Mittel nicht 
so stark seien, daß eine Abtreibung eintreten könne, und so kann die Frau ihr 
Gewerbe schamlos weiter treiben. Ich kann den Kreisärzten nur empfehlen, 
die Annoncen in den Zeitungen durchzulesen, die in den betreffenden 
Städten erscheinen, wie das ja bei der Polizei schon geschieht. Aber die 
Polizei hat doch nicht die Sachkenntnis, so daß ihr manchmal eine Annonce 
entgeht, die sehr wohl eine Handhabe zum Einschreiten bietet. Es ist in¬ 
dessen geraten, eine Annonce nicht gleich der Polizei oder der Staatsanwalt¬ 
schaft zu übergeben. In einem solchen Falle hatte sich z. B. der betreffende 
Kurpfuscher einen Rechtsanwalt genommen; dieser führte aus, der Herr 
Sachverständige ist selbst der Denunziant gewesen, er ist also befangen, und 
hieraus schlug der Verteidiger Kapital. Man tut daher am besten, die 
Annonce der Aerztekammcr oder einem befreundeten Arzte zu übergeben, der 
sich dazu bereit erklärt, den Strafantrag zu stellen; denn jeder Arzt ist dazu 
befugt mit Rücksicht auf unlauteren Wettbewerb. Auf diese Weise entgeht 
man am besten dem Vorwurf, Denunziant zu sein. 

H. Kreisarzt Prot Dr. Stolper - Göttingen: M. H.! Ich halte es für 
meine Pflicht, gegen den ersten Hauptleitsatz zu protestieren. Es 
gibt gewiß eine ganze Menge Gründe, die ich dafür anführen könnte; aber ich 
möchte nur einiges hervorheben, das ich für besonders wichtig halte. Die 
gegenwärtigen gesetzlichen Bestimmungen genügen zur Bekämpfung der Kur- 

S fuscher ganz und gar nicht, vor allen Dingen nicht auf sanitätspolizeilichem 
ebiete. Mir ist es passiert, daß in einem Dorfe eine Typhusepidemie ausbrach 
und wochenlang bestand, ohne daß sie zur Kenntnis der Behörde kam. Es 
war das ein Dorf, von welchem große Mengen Milch und Butter täglich in die 
Stadt gehen. Es war eben kein Arzt, sondern nur ein Kurpfuscher von den 
Leuten zu Rate gezogen; deshalb wurde der Ausbruch der Epidemie an zu¬ 
ständiger Stelle gar nicht bekannt. Jeder Arzt ist verpflichtet, eine infektiöse 
Krankheit, wie den Typhus, anzuzeigen, der Kurpfuscher ist es nicht. Das 
preußische Seuchengesetz, das jetzt beschlossen werden soll, sieht die Anzeige¬ 
pflicht auch für andere Personen als den Arzt vor. Aber noch ist das Gesetz 
nicht heraus und wir würden eine grobe Unterlassung begehen, wenn wir diesen 
unseren Wunsch heut hier nicht zum Ausdruck brächten. Also das ist meines 
Erachtens ein Punkt, wo die gegenwärtigen Bestimmungen dringend einer Ver¬ 
besserung bedürfen. 

Noch etwas anderes: Es besteht, wie ich gehört habe, auch in diesem 
Kreise eine förmliche Abneigung dagegen, einen Strafantrag gegen einen Kur- 



102 


Diskussion zu dem Vorträge: 


pfnscher zu stellen. Die Kreisärzte haben schlimme Erfahrungen damit ge¬ 
macht; ich halte es aber für einen großen Fehler, wenn dies Verzichten Usus 
werden sollte. Ich möchte dringend darum bitten, ja keinen Indüferentismns 
im Verhalten gegen die Kurpfuscher zu betätigen. Gewonnene Prozesse 
werden ja allerdings Ton den Kurpfuschern redlich ausgenutzt, aber bei denen, 
die schon eine Biesenpraxis besitzen, sich schon ein Rittergut erworben haben, 
wie Ast, können Sie unter keinen Umständen das Unglück größer machen. 

Ich möchte aber noch eins betonen — das wird hoffentlich auch von 
manchem praktischen Arzt gelesen —, ich meine den Indifferentismus der 
praktischen Aerztc selbst, den muß man beklagen. In einem augenblicklich 
mich beschäftigenden Kurpfuscherprozeß ist mir auf meine Bitte im ärztlichen 
Verein auch nicht ein einziges Stück zu den Akten gegeben. Was man sich 
da eben nicht selbst heranholt, das erhält man nicht. Es liegt doch sehr im 
Interesse der Aerzte, wenn sie uns Kreisärzte dabei unterstützten. 

Nun endlich der Fall, daß der Sachverständige zugleich Antragsteller 
ist. Da ist es mir in einem Prozeß, wo ein Strafantrag gegen einen Drogisten 
gestellt war, vorgekommen, daß ich von dem betreffenden Amtsgericht als 
Sachverständiger nicht angenommen, sondern ich nur als Zeuge vernommen 
wurde. Der Pharmakologe von der Universität war als Sachverständiger ge¬ 
laden; [ich wurde dann hinausgeschickt und habe über den ganzen Prozeß 
überhaupt keinen rechten Aufschluß bekommen. Selbstverständlich habe ich 
von vornherein dagegen protestiert; es wäre mir ungeheuer wichtig, wenn ich 
hier von juristischer Seite hören könnte, wie weit der Schöfiengerichts-Beschluß 
berechtigt war, oder ob überhaupt schon darüber Entscheidungen bestehen. 

Das können wir uns doch meines Erachtens nicht ohne weiteres gefallen 
lassen, daß, wenn wir unserer Dienstanweisung gemäß Anzeige erstatten, daß 
wir dann auch nur mit dem Schein von Denunziantentum behaftet werden. Der 
in Bede stehende Fall ist leider nicht geeignet dazu, diesen Punkt klarzulegen, 
aber es wäre dies wünschenswert für die Klarlegung der Situation des einen 
Strafantrag stellenden Kreisarztes in Kurpfuschereiangelcgenheiten. 

H. Prof. Dr. Cramer - Göttingen: M. H. 1 Gestatten Sie mir noch eine ganz 
kurze Bemerkung. Ich möchte mich unbedingt den Anregungen der Herren 
Guttstadt und Stolper anschließen von ganzem Herzen. Ich habe das 
Wort nur ergriffen, um zu zeigen, wie es einem gehen kann. 

In der Göttinger Anstalt befindet sich mit Unterbrechungen seit 20 Jahren 
ein Mann, der typischer Paranoiker ist, mit der Eigenschaft, daß er in der 
Irrenanstalt hypochondrische Ideen hat; im übrigen ist er aber ein überaus 
gewandter Schlosser. Er ist allein aus Göttingen fünfmal ausgerückt. Er ist 
aber in seiner Gcmeingcfährlichkcit außerordentlich überschätzt worden. Aller¬ 
dings hat er immer gegen den Menschen, der im Brennpunkt seiner Umgebung 
stand, einen außerordentlich kräftigen Abscheu gehabt, so z. B. gegen den je¬ 
weiligen Anstaltsdircktor, aber wenn er draußen war, hat er als solider Mensch 
gelebt, der keinem etwas zu Leide tun kann. . 

Nun kam die Sache aber anders. Bei seinem letzten Aufenthalt in 
Göttingen hat er mich gebeten, er wolle sich gegen die Vivisektionsversuche 
schützen, die ich mit ihm angestellt haben sollte, und ich möchte ihm doch 
das und das als Gegenmittel geben, und das tat ich denn auch. Dadurch kam 
er auf das Medizinieren. Und nun hat er sich in Hannover als Kurpfuscher 
niedergelassen und hat ein Lebenselixier erfunden; er hat großartige 
Erfolge damit erzielt (Heiterkeit), ich meine natürlich nur in finanzieller Be¬ 
ziehung (erneute Heiterkeit). Als ich den Mann fragte, ob er nicht wieder als 
Schlosser arbeiten wolle, da antwortete er mir, ja früher habe er gearbeitet, 
bis die Leute zu ihm gekommen seien, da hätte er das Schlosserhandwerk 
nicht mehr ausgeübt, das andere brächte ihm ja viel mehr ein! Sie sehen also, 
ein Geisteskranker treibt hier sein Unwesen als Kurpfuscher. 

So sehr ich den Antrag von Stolper und Guttstadt unterstütze, so 
möchte ich doch noch etwas erwähnen, was mir wichtig erscheint, nämlich die 
Aufklärung des Publikums. Aber das soll nicht so verstanden werden, daß es 
so geschehen soll, wie wir heute darüber verhandeln, sondern cs muß populär 
geschehen. Wenn ein Kurpfuscher verurteilt wird, so macht das nichts, sondern 
es muß allen Leuten klar vor Augen geführt werden, was für Unheil er an¬ 
gerichtet hat. Das wollte ich bemerken. 



Die gerichtsärztliche Beurteilung der Kurpfuscherei - Delikte. 103 

H. Kreisarzt Dr. Krohne-Düsseldorf: M. H.! Ich möchte im Anschluß 
an das, was Herr Prof. Dr. Stolper sagte, eine kurze Bemerkung machen, weil 
mir die Frage doch außerordentlich wichtig erscheint. Wir haben kürzlich 
im Düsseldorfer Regierungsbezirk einen Fall erlebt, der eine gar bedenkliche 
Illustration liefert zu dem, was Herr Prof. Dr. Stolper ausführte. 

M. H. I Wir hatten dort einen Prozeß, in dem die Verordnungs¬ 
weise eines weitbekannten Kurpfuschers eine Rolle spielte. In diesem Prozesse 
wurde einer der angesehensten Medizinalbeamten als Sachverständiger vor¬ 
geladen, und im Laufe der Verhandlungen wurde vom Angeklagten hingewiesen 
auf das weniger bekannte Buch von Clevo über die Komplexmittel der Homöo¬ 
pathie. Dies Buch ist ein ganz gewöhnliches Buch von einem Kurpfuscher. 
Von seiten des Angeklagten wurde viel über diese Komplex-Homöopathie und 
ihre Anwendung gesprochen, und da wurde dem Sachverständigen die Frage 
vorgelegt, ob er schon nach dem Buche behandelt hätte bezw. dasselbe genau 
studiert hätte, und es wurde dann einfach behauptet, dieses Buch müßte man 
kennen, wenn man sich überhaupt zum Sachverständigen hergeben wollte, und 
man müßte dieses Buch und seine Methoden beherrschen. Die Sachverständigen — 
es war noch ein Apotheker dabei — wiesen mit Nachdruck darauf hin, daß 
die Clevesche Komplex-Homöopathie überhaupt keine von der Homöopathie 
selbst anerkannte Methode darstelle! Vergeblich! Das Bedenkliche ist nun, 
daß auch der Vorsitzende des Gerichts sich auf diesen Standpunkt stellte und 
eine höchst bedauerliche Kritik an der Qualifikation der Sachverständigen übte, 
die darauf hinaus kam, daß die Sachverständigen lächerlich gemacht wurden. 
Der Angeklagte wurde dann freigesprochen! Im Anschluß an diesen Fall hat 
der Herr Regierungspräsident gegen den Amtsrichter wegen der von ihm ge¬ 
übten unsachlichen Kritik Beschwerde erhoben, und diese Beschwerde hat auch 
Erfolg gehabt. Aber dieser Erfolg wird in der Oeffcntiichkeit nicht bekannt. 
Tatsache ist, daß der betreffende Medizinalbeamtc von der gegnerischen Presse 
ganz wüst angegriffen wurde. Die bestechende und scheinbar richtige Ansicht 
wird ja auch manchmal von sonst ganz verständigen Menschen ausgesprochen, 
nämlich die Ansicht, daß, wenn jemand als ärztlicher Sachverständiger ein 
Urteil abgeben wollte, er doch auch nach den Grundsätzen der Gegenpartei 
behandelt haben müsse, sonst verstände er doch nichts davon. 

Sie werden ferner wissen, daß, als in dem Kühne-Prozeß Prof. Dr. 
Trendelenburg vorgeladen wurde, ihm als Sachverständigen die Frage vor¬ 
gelegt wurde, ob er schon einmal nach der Methode der Geschlechtsreibesitz¬ 
bäder Patienten behandelt habe. Und als dieser entrüstet verneinte, da lehnte 
der Verteidiger den Sachverständigen ab; der Gerichtshof zog sich tat¬ 
sächlich zur Beratung über den Antrag des Verteidigers zurück, und ich glaube, 
er hat den Sachverständigen auch abgclehnt 1 M. H.! Einen vom Gericht selbst 
geladenen Sachverständigen wegen eines solchen Grundes abzulehncn, das halte 
ich doch für recht bedenklich. Man hört ja freilich sehr oft die Ansicht aus¬ 
sprechen, daß ärztliche Sachverständige, die über einen Kurpfuscher urteilen 
wollen, die besondere Behandlungsmethode desselben erst selbst kennen gelernt 
und erprobt haben müßten. Aber m. H., das ist doch der großartigste Unsinn, 
den es gibt! Wie töricht eine solche Auffassung ist, dafür möchte ich 
Ihnen noch ein anderes Beispiel ans einem anderen Gebiete vorführen. 
Wenn z. B. in einem Prozesse ein Baumeister verurteilt werden soll, weil er 
einen Konstruktionsfehler gemacht hat, so werden die zuständigen Bausach¬ 
verständigen vernommen. Der Bausachverständige sagt nun etwa: nach unseren 
Grundsätzen der Baukunst muß so oder so gebaut werden, und gegen diesen 
Grundsatz hat der Beklagte verstoßen. Jetzt kommt der Verteidiger und 
fragt: Hat denn der Bausachverständige schon einmal nach den Grundsätzen 
meines Klienten gebaut ? Und, wenn dann dieser die Frage verneint, dann sagt 
der Verteidiger: ja, wenn Sie noch nicht nach diesen Grundsätzen gebaut 
haben, dann können Sie doch auch nicht darüber urteilen! 

Ich möchte also die Medizinalbeamten bitten, in Prozessen, wo aus 
einem solchen Grunde die Qualifikation des ärztlichen Sachverständigen ange- 
zweifelt wird, und der Gerichtshof in eine derartige Erörterung einzugehen 
geneigt ist, ganz energisch gegen diese Methode zu protestieren. Das Bedauer¬ 
liche ist außerdem, daß solche Vorfälle geeignet sind, das Ansehen der Me¬ 
dizinalbeamten ganz außerordentlich zu schädigen. 

Ich komme damit auf das zurück, was Herr Prof. Dr. Stolper sagte, daß 



104 


Diskussion zu dom Vorträge: 


nach solchen Erfahrungen mancher Medizinalbeamte sich scheut, hineinzugreifen 
in das Wespennest des Kurpfuschertums, und das ist bedauerlich! Ich mochte 
zum Schluß nur noch Herrn Amtsgerichtsrat Dr. 7 . Ihering fragen, ob das 
geschilderte Vorgehen eines Gerichts gegen ärztliche Sachverständige gerecht¬ 
fertigt ist? 

H. Amtsgerichtsrat Dr. v. Ihering • Hannover: M. H.! Zunächst mochte 
ich meiner aufrichtigen Freude Ausdruck geben über die Worte des Prof. Dr. 
Cramer, besonders zum Schluß seiner Ausführungen für den Hinweis, daß in 
dem Kampfe gegen das Kurpfuschertum kein anderer Weg zurzeit beschreitbar 
ist, als der auch von mir vorgeschlagene. Wohl weiß ich, daß dieser Weg 
schwer ist und daß das Gesetz nicht immer eine genügende Handhabe bietet; 
ich habe deshalb in meinen Thesen auch nur gesagt, die bestehende Gesetz¬ 
gebung genüge im allgemeinen, weiter gehe ich nicht; das sei nur zur ‘Be¬ 
richtigung erwähnt. Gerade der Weg, den Prof. Cramer empfiehlt, ist 
sehr dornenvoll, wie wir gesehen haben, aber er ist der einzige Weg, und 
andere Berufsstände wandeln ja auch auf dornenvollen Pfaden. Im Interesse 
der Standesinteressen müssen da Opfer gebracht werden; es muß schneidig vor¬ 
gegangen werden, wenn der Fall dazu angezeigt erscheint. 

Was die Frage nach der Vernehmung als Sachverständiger oder Zeuge 
anbelangt, so schreibt die Str.-Pr.-O. vor, daß jeder Zeuge einzeln und in 
Abwesenheit der übrigen Zeugen zu vernehmen sei. Bei dem ersterwähnten 
Strafprozeß war es selbstverständlich, daß bei der Vernehmung des Angeklagten 
die Zeugen abzutreten hatten, dagegen kann der Sachverständige der Ver¬ 
nehmung des Angeklagten beiwohnen, wie überhaupt der ganzen Verhandlung. 
Es ist Sache des Vorsitzenden, ob er den Sachverständigen gestatten will, der 
Verhandlung beizuwohnen oder nicht, aber ich muß offen gestehen, ich ver¬ 
stehe nicht die Gründe des Vorgehens des Gerichtes in den erwähnten Fällen, 
und ich kann es mir auch nicht erklären ohne genaue Kenntnis der einzelnen 
maßgebenden Faktoren und Momente. Aber so wie es dargestellt wurde, bin 
ich nicht imstande, das Verfahren irgendwie zu rechtfertigen. 

Zum zweiten möchte ich auch noch den Fall mit dem Prof. Dr. Tren¬ 
delenburg hier kurz erwähnen. Soweit ich klar sehen kann, ist da auch ein 
Mißgriff, ein offenbarer Mißgriff des Gerichtes zu verzeichnen. Selbstverständlich 
haben wir Juristen, m. H., gerade so wie die Medizinalbeamten, ebenfalls das 
Privileg, zu irren, und das kann auch Vorkommen, ohne daß dadurch das An¬ 
sehen der ganzen Justiz untergraben wird. Aber dieser Fall liegt doch so 
klar und deutlich, daß es gar nicht nötig ist, daß der Jurist seinen Stempel 
darauf drückt, um zu sagen, das ist Unsinn, das geht gar nicht; ein ver¬ 
nünftiges Gericht wird das auch nie und nimmer tun. Es müssen da ganz 
andere Dinge hineingespielt haben; denn das betreffende Gericht selbst wird 
auch nicht den Standpunkt vertreten haben. 

Ich möchte Sie nur noch erinnern an den berühmten Grafen Cesare 
Matt ei, der mit weißer, blauer, rosa und grüner Elektrizität saturierte Zucker¬ 
pillen massenhaft als Heilmittel vertrieb. Bei derartigen krassen Fällen wird 
selbstverständlich jedem Sachverständigen, zumal dem Medizinalbeamten voller 
Glaube beigemessen, und daß der Sachverständige zuvor nach einem solchen 
Verfahren Kranke behandelt haben soll, das kann kein Gericht verlangen, 
sondern es wird ohne weiteres dem Sachverständigen Glauben beimessen und 
es seiner Sachkunde überlassen, zu ermessen, ob er auch, ohne das vom Kur¬ 
pfuscher beliebte Verfahren zuvor am Krankenbette angewandt zu haben, in 
der Lage ist, dasselbe, weil im Widerspruch mit allgemein anerkannten Er¬ 
fahrungstatsachen oder medizinischen Grundsätzen stehend, als Humbug zu 
bezeichnen. Aber es lassen sich auch Fälle denken, in denen das Verlangen 
des Gerichts gerechtfertigt erscheint, daß der Sachverständige ein von dem 
Heilkünstler angewandtes neues Verfahren, welches sich nicht ohne weiteres 
als widersinnig erweist, soweit angängig zunächst erprobe. (Beifall.) 

Kreisarzt Dr. Hoche • Geestemünde: M. H.! Ich wollte nur sagen, daß 
es mir auch schon passiert ist, daß ich auf Antrag des Verteidigers iss «iwfti» 
Termine, betr. Revision einer Drogenhandlung vom Gericht abgelehnt wurde, 
weil ich die Revision selbst geleitet habe und deshalb nun nicht als Sach¬ 
verständiger fungieren könne. 

Noch eine andere Frage, das ist die des Gewerbebetriebes im Umher¬ 
ziehen. Ich habe neulich wieder einen Fall gehabt, daß ein Kurpfuscher im 



Oie ge richte ärztliche Beurteilung der Kurpfuscherei - Delikte. 106 


Lande umherreiste. Ich beantragte Strafantrag gegen den Kurpfuscher, für 
den in den einzelnen Ortschaften in den Wirtschaften Bestellungen entgegen- 

f enommen wurden. Oer Strafantrag wurde abgelchnt mit der Begründung, der 
Kurpfuscher hätte den Wirten nicht den Auftrag gegeben, die Bestellungon 
entgegenzunehmen. Bei solchen Erfahrungen ist allerdings niemals gesetzlich 
gegen einen Kurpfuscher vorzugehen wegen des Gewerbebetriebes im Um¬ 
herziehen. 

H. Amtsgerichtsrat Dr. r. Ihering: M. H. 1 Der § 66 der Gewerbe¬ 
ordnung schließt vom Feilbieten im Umherziehen aus einmal geistige Getränke, 
ferner u. a. Gifte, Arzncion und Geheimmittel, und es ist bei den Revisionen 
der Gewerbeordnung der Kreis der Gegenstände, welche im Umherziehen feil¬ 
geboten, und der Leistungen, die im Umherziehen dargeboten werden dürfen, 
fortwährend eingeschränkt worden. § 56 a hat ausgeschlossen vom Gewerbe¬ 
betriebe im Umherziehen ferner die Ausübung der Heilkunde, sofern der Aus¬ 
übende nicht approbiert ist. Ein Gewerbebetrieb im Umherziehen (Hausierge¬ 
werbe) liegt aber nur vor, wenn ohne vorgängige Bestellung in eigener Person 
Leistungen angeboten werden außerhalb des Gemcindebezirkes des Wohnortes 
des Gewerbetreibenden. Weist nun der Kurpfuscher nach, daß er zu einer 
früheren Zeit, als er in der betreffenden Ortschaft seine gewerbliche Tätigkeit 
ausgeübt, den Auftrag erhalten l^sbe, demnächst wieder zu kommen, so kommt 
ein Gewerbebetrieb im Umherziehen nicht in Frage, insoweit eine vorgängige 
Bestellung des Heilkünstlers feststeht. Darüber, in welcher Weise, ob schrift¬ 
lich oder mündlich und von welchem Orte aus die Bestellung zu erfolgen habe, 
besteht keine Vorschrift. 

H. Kreisarzt Dr. Berger-Hannover: M. H.! Wir haben in dieser Hin¬ 
sicht ganz entgegengesetzte gerichtliche Entscheidungen; das Landgericht in 
Cleve hat z. B. ganz anders entschieden als das Amtsgericht in Beverungen. 

H. Reg.- u. Geh. Med.-Rat Dr. Guertler - Hannover: M. H.! Wir haben 
in den Vorträgen des Herren Referenten und in der nachfolgenden Diskussion 
sehr viel schätzbares Material erhalten. Ich glaube aber nicht, daß wir jetzt 
schon in der Lage sind, die aufgestellten Leitsätze in der vorliegenden Fassung 
anzunehmen. Meines Wissens sind aber aueh dahingehende bestimmte Anträge 
nicht gestellt. Ich möchte es indeß für zweckmäßig halten, den Inhalt der 
heutigen Verhandlungen über die gerichtsärztliche Beurteilung der Kurpfuscherei- 
Delikte als Material dem Vorstande zur weiteren Verfügung zu überweisen 
und glaube, daß wir damit am besten unseren Zweck erreichen. Ich stelle 
deshalb den Antrag: 

„Die Versammlung beschließt, das bei der heutigen Verhand¬ 
lung betreffend „die gerichtsärztliche Beurteilung der Kur- 
pfuschereidelikte“ gewonnene Material dem Vorstande zur 
weiteren Veranlassung und Verwendung an geeigneter Stelle 
zu überweisen.“ 

H. Med.-Rat Prof. Dr. Puppe: M. H.J Ich habe über die gerichtsärztliche 
Beurteilung der Kurpfuschereidelikte gesprochen, so wie sie heute geschehen 
muß auf Grund der bestehenden Gesetze; ich habe mich davon ferngehalten, 
Vorschläge zu Aenderungen zu machen. Ich habe aber wohl darauf Rücksicht 
genommen, ob und inwieweit eine andersartige Prüfung des subjektiven Schuld¬ 
momentes, auf Grund dessen eine Reihe uns unbegreiflicher Freisprechungen 
erfolgt sind, einzutreten hat. Ich bin dann auf die fahrlässige Körperverletzung 
und fahrlässige Tötung eingegangen, und habe da nur den Standpunkt des 
Reichsgerichts zu rekapitulieren vermocht, das sagt, daß beide, der Arzt und 
der Kurpfuscher bei diesen Verstößen mit demselben Maßstabe gemessen werden, 
weil sie sich beide berufs- bezw. gewerbsmäßig mit der Behandlung von Kranken 
befassen. Zugleich habe ich gesagt, daß die bestehenden Gesetze im Straf¬ 
verfahren wegen fahrlässiger Körperverletzung und fahrlässiger Tötung, wenn 
nicht gerade eine Schädigung nachweisbar ist, völlig versagen. 

Wo aber die Frage einmal angeschnitten ist, wie den bestehenden Uebel- 
ständen abzuhelfen sei, will auch ich meine Meinung bekennen. Mit den Straf¬ 
verfahren wegen Betruges, wegen unlauteren Wettbewerbs, wegen fahrlässiger 
Körperverletzung und Tötung, wegen Verstoß gegen Polizei-Verordnungen 
treffen wir nicht die Sache, die eigentlich getroffen werden muß — und das 
Ist die Kurpfuschereil Wir wollen von unserem Standpunkte aus keine Be¬ 
trüger etc. bestraft wissen, sondern die Kurpfuscher als solche, die in frivoler 



106 


Dr. Schwabe: Die Aufgaben der Modizinalbeamten in bezng 


Weise ohne die nötige Vorbildung, ohne die nötige Aufmerksamkeit und ohne 
die nötige Achtung vor dem komplizierten Gefüge des menschlichen Körpers 
gewerbsmäßig Kranke behandeln. Dabei bin ich mir wohl bewußt, daß es 
nicht gelingen wird, die Kurpfuscherei als solche überhaupt auszurotten ; so 
lange es unheilbare Kranke gibt, so lange wird es auch Kurpfuscher geben. 
Aber wenn die Kurpfuscherei, wie es der Schröter-Prozeß in Tilsit enthüllte, 
geradezu zu einer öffentlichen Kalamität wird, wenn sie in zügelloser Selbst¬ 
überhebung öffentlich erklärt, daß die „Schulmedizin“ „eine der nutzlosesten 
Institutionen und gefährlicher ist für die Gesamtheit, als Krieg und Pestilenz 
zusammen“, dann haben wir das Recht und die Pflicht, ein bis hierher und 
nicht weiter zu rufen, wenn wir nicht erleben wollen, daß die Volksmeinung 
verwirrt und die Volksgesundheit untergraben wird. Die Kurpfuscherei als 
selche muß also getroffen werden, und der einzige Weg, der zu diesem Ziel 
führt, ist die Aufhebung der Kurierfreiheit. Lassen Sie uns versuchen, 
den Stein ins Rollen zu bringen, und überweisen Sie das gesamte Material 
dem Vorstande zur Einleitung weiterer Schritte. Die Schwierigkeiten sind 
groß, aber nicht unüberwindlich, und wo ein Wille ist, da ist auch ein 
Wog! (Bravo!) 

H. Amtsgerichts rat Dr. von Iherin g-Hannover: M. H.! Ich kann 
nur die Bitte aussprechen, wenigstens die Ausdehnung des § 35 Gew.-O., betr. 
These 2, anzunehmen. Ich bewege mich dabei ganz auf dem Boden der ärzt¬ 
lichen Vereine, die in der Erkenntnis, einmal, daß cs so nicht weiter gehen 
kann, und zweitens, daß an ein Verbot der einmal so hoch gepriesenen Kurier¬ 
freiheit zurzeit gar nicht zu denken ist, einen Mittelweg cinschlagen und eine 
Ausdehnung dos § 35 der Gewerbe-Ordnung auf die Kurpfuscher fordern, eine 
Vorschrift, welche es ermöglicht, daß, wenn es einmal der Kurpfuscher zu toll 
treibt, ihm dann bei den ärgsten Versündigungen gegen die Gesundheit anderer 
die Ausübung dos Betriebes untersagt werden kann. Wenn wir das Kur¬ 
pfuschereiverbot nicht bekommen können, dann wollen wir wenigstens das 
nehmen, was erreichbar ist; dann können doch die Leute nachher wenigstens 
nicht wieder von vorne anfangen. 

M. H., mein Antrag will durch die Ausdehnung der Vorschriften gegen 
gewissenlose Drogisten, wenn ihre Handhabung des Gewerbebetriebes das Leben 
und die Gesundheit anderer gefährdet, auf die Kurpfuscher, bewirken, daß bei 
ernsten Verfehlungen eines gewissenlosen Kurpfuschers ihm das Handwerk 
gelegt werden kann. Etwas muß doch einmal geschehen! Das Ideal ist nicht 
erreichbar, an die Abschaffung der Gewerbefreiheit ist nicht zu denken. 
Durch die stetige Agitation unseres Vereins wird dann auch etwas erreicht 
werden. Ich bitte Sie also, diese These anzunehmen, daß der § 35 der Gewerbe¬ 
ordnung ausgedehnt werden möge auf die Kurpfuscher, damit wir in dem 
Kampfe gegen das Kurpfuschertum, welches Leben und Gesundheit anderer 
gefährdet, einen gewissen Erfolg erzielen. Mit anderen Worten, ich möchte 
einen Kompromiß Vorschlägen. Bekommen wir nicht alles, so bekommen wir 
doch etwas. (Beifall). 

Der Antrag Guertler wird darauf mit grosser Majorität 
angenommen. 


III. Die Aufgaben der Medlzlnalbeamfen Io bezog anf die 
Fürsorge für Geisteskranke, Epileptiker and laletea. 

H. Gerichtsarzt Dr. Schwabe-Hannover: M. H.! Bis zum 
Erlass des Gesetzes vom 16. September 1899, betreffend die Dienst¬ 
stellung des Kreisarztes und die Bildung von Gesundheits- 
kommissionen, and der darauf basierenden Dienstanweisung für 
die Kreisärzte vom 23. März 1901 beschränkte sich die Fürsorge 
des Medizinalbeamten für Geisteskranke, Epileptische und Idioten 
als Verwaltungsbeamter darauf, dass der damalige Physikus im 



aal die Fürsorge für Geisteskranke, Epileptiker and Idioten. 


107 


Rahmen der gegebenen Unterlagen für seinen jährlich abzustattenden 
Generalsanitätsbericht tätig war, d. h. gemäss Kapitel 9 — Ge* 
fängnisse — sich die Geisteskrankheiten der Gefangenen, Kap. 10 — 
Fürsorge für die Kranken und Gebrechlichen —, die Irrenhäuser 
(öffentliche und private Anstalten, Konzessionierungen, Beauf¬ 
sichtigung, besondere Vorgänge), endlich die sonstigen zur Heilung 
und Pflege von Siechen und Gebrechlichen dienenden Anstalten 
angelegen sein liess. Dazu kam dann noch gemäss Rund-Erlass 
des Medizinalministers und des Ministers des Innern vom 25. April 
1898 die Beaufsichtigung Geisteskranker, Geistesschwacher und 
Blödsinniger, welche in allgemeinen Krankenhäusern, sowie in 
Siechenanstalten und in fremden Familien gegen Entgelt längere 
Zeit oder dauernd aufgenommen waren. — Auch in diesen eng 
gezogenen Grenzen vermochte der Medizinalbeamte wohl manches 
Erspriessliche in der Fürsorge für die Aermsten der Armen zu 
leisten. Allein die durch seine frühere Stellung recht mangelhafte 
amtliche Bewegungsfreiheit bereitete einer auch nur annähernd 
ausreichenden Fürsorgetätigkeit erhebliche Schwierigkeiten. Um 
so freudiger und dankbarer ist es zu begrüssen, dass das sogen. 
Kreisarztgesetz auch hier Wandel schuf, indem es nicht nur der 
humanen Seite der Irrenfürsorge, sondern auch ihrer ausgesprochen 
sozialen Bedeutung Rechnung zu tragen sucht. 

Die humane Seite sollte in der heutigen Zeit, die in bezug 
auf Wohltätigkeit ja unter dem markanten Zeichen praktischen 
Christentums steht, ohne weiteres verständlich sein. Und wenn 
von Zeit zu Zeit Mitteilungen über barbarische Behandlung Geistes¬ 
kranker durch gefühlsrohe Verwandte oder untaugliches Pflege¬ 
personal an die Oeffentlichkeit gelangen, namentlich aber auch, 
wenn den Irrenanstalten und Irrenärzten etwas am Zeuge geflickt 
werden kann, dann scheint es so, als ob die christliche Nächsten¬ 
liebe, das Interesse für die geistigen Krüppel, als warmer Strom 
dicht unter der Oberfläche pulsiere und nur einer Anregung be¬ 
dürfe, um mit elementarer Gewalt hervorzubrechen. 

Aber wie gesagt: es scheint nur so! Gewiss gibt es auch 
ausserhalb der irrenärztlichen Kreise und ihrer Beziehungen edle 
Menschenfreunde, die ihre Wohltätigkeit mit Liebe und Verständnis 
in den Dienst der Irrensache stellen, jedoch die breiten Massen 
sind zum Teil noch sehr indolent, zum Teil stehen sie mehr oder 
weniger unter dem Banne veralteter Ansichten über das Wesen 
und die Erscheinungen der Geisteskrankheiten, über den ihnen 
gebührenden Platz in dem grossen Gebiet der Humanitäts¬ 
bestrebungen. Im besten Falle nehmen sie den Irrenanstalten 
und ihrer notwendigen Vermehrung gegenüber eine freundliche 
Haltung ein, wünschen Sicherungen gegen gemeingefährliche 
Handlungen Geisteskranker. Aber darüber hinaus kommen 
sie kaum. 

Auch die soziale Seite der Irrenfürsorge wird wenig ge¬ 
würdigt, höchstens unter dem beschränkten Gesichtswinkel der 
Kostenfrage. Wer aber fragt nach dem noch nutzbar zu machenden 
Kapital sozialer Leistungsfähigkeit, das in vielen geistig Kranken 



108 Dr. Schwabe: Die Aufgaben der Medizinalbeamten in bezug 

zinslos verkümmert P Und doch welche beredte Sprache sprechen 
die Zahlen unserer Irrenanstalten nnd ihrer Insassen! Im Jahre 
1900 zählte man im preussischen Staat 248 Irrenanstalten mit 
80027 Krankheitsfällen; 1902: 256 Anstalten mit 85610 Krank¬ 
heitsfällen! Was schliessen diese nüchternen Zahlen an Elend 
nnd Pflichten der Fürsorge, an Unterhaitangskosten, an Verlost 
von Arbeitskraft in sich ein! Gleichwohl decken sich diese Zahlen 
nicht im entferntesten mit der absoluten Zahl der vorhandenen 
Geisteskranken. Sie ist ungleich viel grösser! 

Bei denen, die berufen sind, über des Staates Wohlfahrt zu 
wachen, haben diese Feststellungen ihren Eindruck nicht verfehlt, 
und so lauten die §§ 104 nnd 105 der kreisärztlichen Dienst¬ 
anweisung: 

§ 105. „Der Kreisarzt hat der Fürsorge für Geisteskranke, Epileptische 
und Idioten dauernd seine Aufmerksamkeit zu widmen. 

Bei der Aufnahme solcher Personen in Privatanstalten, hat er nach 
Maßgabe der bestehenden Vorschriften mitzuwirken."') 

§ 105. „Die von Privatpersonen in fremder Familie untergebrachten 
Geisteskranken, Epileptischen und Idioten sind in Gemäßheit der in dem ein¬ 
zelnen Bezirken bestehenden Vorschriften zu beaufsichtigen." 

Diese Beaufsichtigung wird zusammen mit der Aufsicht über 
die zur längeren oder dauernden Verpflegung in allgemeinen 
Krankenhäusern und Siechenhäusern untergebrachten Geistes¬ 
kranken, Geistesschwachen oder Blödsinnigen geregelt durch einen 
Rund-Erlass des Medizinalministers und des Ministers des Innern 
vom 25. April 1898, demzufolge einzelne Regierungen besondere 
Verfügungen erlassen haben, die folgendes bestimmen: 

„1. Geisteskranke oder Blödsinnige dürfen zur längeren oder dauermdea 
Verpflegung in allgemeinen Krankenanstalten, sowie in Siechenhäusern nur 
auf Grund eines ärztlichen Zeugnisses aufgenommen werden, in dem die Form 
der geistigen Störung angegeben ist und ausdrücklich bescheinigt wird, daß 
der betreffende Geisteskranke usw. weder heilbar, noch unruhig ist und sich 
zur Unterbringung in eine derartige Anstalt eignet. Die erfolgte A ufnahm e 
ist binnen drei Tagen dem zuständigen Kreisphysikus unter Vorlegung des 
ärztlichen Zeugnisses anzuzeigen. Bei provisorischer Unterbringung fallen 
diese Bedingungen fort. 

2. Alle in Familienpflege gegen Entgelt untergebrachten Geistes¬ 
kranken usw. sind von der Ortspolizeibehörde nach vorgeschriebenem 8chema 
in einem Verzeichnis zu führen, das fortlaufend zu ergänzen ist. 

3. Dieses Verzeichnis ist von der Ortspolizeibehörde am 1. Februar jeden 
Jahres dem zuständigen Kreisphysikus einzureichen, der es mit seinem in vor¬ 
gesehenem Bubrum zu machenden Bemerkungen und etwaigen Vorschlägen 
durch die Hand des Landrats innerhalb 14 Tage weiterzugeben hat. 

4. Die Kreisphysiker haben bei ihren alljährlichen Revisionen der all¬ 
gemeinen Krankenanstalten und Siechenhäuser auf die etwaigen Geistes¬ 
kranken pp. ihr besonderes Augenmerk zu richten und eventuell, wo es not¬ 
wendig erscheint, die Ueberführung in eine Irrenanstalt dem Landrat Voran¬ 
schlägen, der das weitere veranlaßt. 

5. Auch die gegen Entgelt in Familien untergebrachten Geisteskranken 
usw. sind von den Kreisphysikern (Kreisärzten) zu überwachen und bei ge¬ 
legentlicher Anwesenheit an den betreffenden Orten zu besuchen. Bei Uebel- 
ständen ist dem Landrat Anzeige zu erstatten. Sache der Ortspolizei ist es 
dann, für Abstellung etwaiger Mängel Sorge zu tragen." 


*) Diese Vorschriften sind enthalten in der durch die Ministerial-Erlasse 
vom 25. Januar, 8. September und 18. November 1902 und vom 27. Februar 1903 
ergänzten Anweisung vom 26. März 1901. 



auf die Fürsorge für Geisteskranke, Epileptiker and Idioten. 


109 


Da auch diese Verfügungen bezüglich der in Privatpflege 
befindlichen Geisteskranken pp. in praxi sich als nicht ganz aus¬ 
reichend erwiesen, wie ein besonders krasser Fall im Landkreise 
Linden lehrte, hat der Herr Regierungspräsident in Hannover 
unter dem 12. Januar 1905 folgende Abänderung verfügt: 

„In Abänderung meines Aasschreibens vom 80. April 1904 — I 8879 — 
bestimme ich, daß das dort vorgeschriebene Verzeichnis der in Privatpflege 
befindlichen Geisteskranken dortseits aufzustellen ist. Ein Muster liegt an. *) 

Die in Spalte 8 gestellten Fragen sind nicht auf Grund von Angaben 
etwa mit der Ermittelung betrauter Polizeibeamten, sondern nur auf ärztliche 
Auskunft hin zu beantworten. Soweit die Kreisärzte nicht schon die nötigen 
Angaben machen können, werden auch am Wohnorte der Kranken oder in ihrer 
Nähe wohnhafte Privatärzte heranzuziehen und zu ersuchen sein, bei passender 
Gelegenheit wenn tunlich die in Spalte 8 bezeichneten Feststellungen zu machen 
und Ihnen kurz — ohne ausführliches schriftliches Gutachten — mitzuteilen. 
Die hierfür zu zahlende Vergütung — etwa 2—8 Mark — ist vorher zu 
vereinbaren. Die entstehenden Kosten sind ab Kosten der örtlichen Polizei¬ 
verwaltung anzusehen. 

Das Verzeichnis bt spätestens bb zum 15. September d. J. fertigzastellen 
and dem Krebarzt za übersenden.* 

Zweifellos bedeutet diese Verfügung einen grossen Fort¬ 
schritt; besonders auch die Einschränkung der polizeilichen Mit¬ 
wirkung. — Ich vermisse aber in dem Verzeichnis noch Spalten 
zur Beantwortung der Fragen nach erblicher Belastung, Krimi¬ 
nalität mit genauer Bezeichnung, ob ledig oder nicht, Höhe des 
eventuelles Arbeitsverdienstes. — Betreffs der Kriminalität dürfte 
meines Erachtens in Erwägung zu ziehen sein, ob es sich nicht 


*) Mutter für das Y er Belohnte der ln Privatpflege befindlichen 

Geisteskranken. 


Laufende Nr. | 

Des Kranken 

Bezeichnung 

der 

Anstalt 

oder 

des Pflegers. 

Wie hoch 
beläuft sich 
das 

Pflegegeld? 

Name 

und 

Vorname. 

Stand. 

Alter 

(in 

Jahren) 

Aufenthalts¬ 

ort. 

1 . 

2 . 

3. 

4. 

6 . 

6 . 

7. 









Form und 
Dauer der 
Geistes¬ 
krankheit; 
bt 

der Kranke 
heilbar, 
anrohig oder 
gemein¬ 
gefährlich? 

Findet eine 
ärztliche 
Behandlung 
statt, event. 

welcher 
Art, durch 
welchen 
Arzt? 

Art der 
Unterbrin¬ 
gung, Ver¬ 
pflegung und 
Beschäf¬ 
tigung des 
Kranken. 

Ist der 
Kranke ent¬ 
mündigt ? 
Eventuell 
Name 
des 

Vormundes. 

Bemerkungen. 

Vermerke 

über 

die ausgeführten 
- Besuche. 

8 . 

9. 

10 . 

11 . 

12 . 

















110 Dr. Schwabe: Die Aufgabe der Medizinalbeamten in bezog 

nach Art der Straft egisterführung empfiehlt, dass alle mit dem 
Strafgesetz in Konflikt geratenen Geisteskranken, Epileptiker und 
Idioten der Polizeibehörde ihres Geburtsortes bekannt gegeben 
werden. Bei dem Vagieren vieler Geisteskranken würde dadurch 
die Kontrolle wesentlich erleichtert werden. 

Der § 103 der Dienstanweisung schreibt dem Kreisarzt 
unter anderem auch die Mitwirkung bei Konzessionierung von 
Privat-Irrenanstalten behufs Prüfung der dabei in Betracht kommen¬ 
den Fragen der Hygiene und der Zuverlässigkeit des Unternehmers 
vor. Massgebend für die hygienischen Anforderungen ist der 
Ministerial - Erlass vom 19. August 1895 mit den darauf basieren¬ 
den Anordnungen der einzelnen Regierungen. 

Die gesundheitspolizeiliche Aufsicht über die Provinzial- 
Anstalten, also die öffentlichen Irren- und Idioten-Anstalten — die 
Fürsorge für die Idioten ist Dank des Gesetzes vom 11. Juli 1891 
Sache der Provinzen geworden — führt bekanntlich der Ober¬ 
präsident, der sich hierzu der Mitwirkung der Regierungs- und 
Medizinalräte bedienen kann. 

Die dem Kreisarzt in den genannten Paragraphen seiner 
Dienstanweisung zur Pflicht gemachte dauernde Fürsorge für 
Geisteskranke, Epileptische und Idioten muss naturgemäss mit 
der Auffindung dieser Kranken in seinem Amtsbezirk beginnen. 

Drei Hauptwege sind ihm dazu gewiesen und mehr oder 
minder gangbar: 

1. Seine persönliche Berührung mit den KreisinsasBen, 
die er bei Ortsbesichtigungen, Schulrevisionen — besonders auch 
der eventuellen sogen. Hilfsschulen für geistig Zurückgebliebene—, 
bei Impfterminen, der Sachverständigentätigkeit in Verwaltungs-, 
Zivil- und Strafsachen, Invaliditäts- und Unfallsachen, Pensions¬ 
gutachten für Beamte, als Polizeiarzt, event. auch als Stadtarzt, 
bei Revision von Schlafstellen und Herbergen, bei Ausübung von 
Privatpraxis und event. auch auf sogenannten Familienabenden ge¬ 
winnen kann. 

Obwohl, wie wir sehen, sich eine ganze Menge von Be¬ 
rührungspunkten mit seinen Kreisinsassen für den Medizinalbeamten 
darbieten, treten ihm gerade für die Auffindung der seiner Für¬ 
sorge bedürftigen geistig Kranken beträchtliche Schwierigkeiten 
in den Weg. 

Zunächst muss er, wie bereits hervorgehoben, mit der Indo¬ 
lenz und Verständnislosigkeit der breiten Massen für alles, was 
unter den Begriff Geisteskrankheit fällt, kämpfen, sodann mit der 
natürlichen Abneigung, welche der grössere Teil der Bevölkerung 
gerade gegen geistige Gebrechen hegt und sich aus mancherlei 
höchst abstossenden Eigentümlichkeiten der Geisteskranken herzu¬ 
leiten scheint. Nur so ist die geradezu stiefmütterliche Behand¬ 
lung dieser Kranken im Gegensatz zu den körperlich Kranken zu 
erklären. Dazu gesellt sich die noch immer nicht ausrottbare 
törichte Anschauung, die geistige Krankheit eines Familienmit¬ 
gliedes als Schande für die ganze Familie anzusehen. Anderseits 
sind diejenigen, welche ein warmes Herz für diese unglücklichen 



auf die Fürsorge für Geisteskranke, Epileptiker and Idioten. 


111 


Angehörigen besitzen, teils von solcher Sehen, solchem Vorurteil 
gegen die Irrenanstalten erfüllt, dass sie lieber ihre Kranken in 
unzweckmässiger Pflege daheim hinsiechen lassen, als dass sie die 
rechtzeitige Hilfe der Anstalten in Anspruch nehmen würden, teils 
in dem Wahn befangen, dass der Anstaltsaufenthalt den Irren für 
alle Zeit ein Kainszeichen auf die Stirn drücke. 

Auch der Geldpunkt spielt oft eine massgebende Rolle, die 
rechtzeitige Aufnahme des Kranken in eine Anstalt hintenanzu¬ 
halten. Lieber verzettelt man zu Hause grosse Summen für aller¬ 
hand törichte Kuren, ungeeignete oder gar schädliche Pflege, 
macht den Kranken dauernd erwerbsunfähig, als an die rechte 
Schmiede zu gehen und sich zu sagen, dass die ganze Anstalts¬ 
fürsorge doch nur für die Kranken mit grossem Kostenaufwands 
von Staatswegen ins Leben gerufen ist. — Endlich und leider 
nicht so ganz selten spielen allerhand selbstsüchtige Motive, wie 
die Ausnutzung der Arbeitskraft solcher bedauernswerten Menschen, 
Nutzniessung ihres eventuellen Vermögens, Erbschleicherei usw. 
ihre ausschlaggebende hässliche Rolle. Die Kehrseite dieser Me¬ 
daille zeigen ja die relativ häufigen Entmündigungsanträge, die 
zuweilen mit zynischer Unverfrorenheit gestellt werden, An¬ 
fechtungen von Testamenten, Geschäftsfähigkeit und dergl. mehr. 

Es ist daher nicht überraschend, wenn geflissentlich die 
geistigen Gebrechen Angehöriger nach aussen hin nach Möglichkeit 
kachiert werden, und es auch dann und wann, wenn dieses Ver¬ 
tuschungssystem gegenüber der Aeusserungsform der geistigen 
Erkrankung unmöglich geworden ist, zu einer Gefangenhaltung 
der betreffenden Unglücklichen kommt, deren Durchführung sich 
wiederum teils nach dem Charakter, der Bildungsstufe des ge¬ 
wissenlosen Pflegers, teils nach der Form der Geisteskrankheit 
richtet. 

Diese Schranken, welche Indolenz, Unverstand, eingewurzelte 
Vorurteile, Gewissenlosigkeit, Geiz und Geldgier zwischen dem 
Medizinalbeamten und seinen geistig gebrechlichen Schützlingen 
aufrichten, niederzureissen, erfordert eiserne Pflichterfüllung und 
kluges Vorgehen. Wohl nirgends ist die alte Mahnung: „suaviter 
in modo, fortiter in re“ besser am Platze, wie hier. 

Auch die vertraulichen Auskünfte der Gemeindevorsteher und 
sonstiger das öffentliche Vertrauen geniessenden Personen sind mit 
Vorsicht zu verwerten; denn einmal stecken auch diese mehr oder 
weniger in dem gleichen Indifferentismus und in den gleichen Vor¬ 
urteilen Irrenangelegenheiten gegenüber wie die grosse Menge, 
zum anderen fühlt besonders das Gemeindeoberhaupt, auch bei 
höherer Intelligenz und höher entwickeltem Verantwortungsgefühl, 
das Damoklesschwert der Belastung des Gemeindesäckels mit allen 
ihren Folgen über seinem Haupte schweben. Des leidigen Kosten¬ 
punktes wegen ist deshalb die Verfügung des Ministers des Innern 
vom 13. Juli 1904 mit besonderem Dank zu begrüssen, der zufolge 
ein hilfsbedürftiger, gemeingefährlicher Geisteskranker, welcher 
von der Ortspolizei ermittelt oder ihr zugeführt ist, von dem vor¬ 
läufig verpflichteten Ortsarmenverband schleunigst in eine Anstalt 



112 


Dr.'Schw&be: Die Aufgaben der Medizin&ibeamten in bezug 


za verbringen ist, und dabei nicht lediglich die sicherheitspolizei¬ 
lichen Massnahmen in den Vordergrund zu treten haben, sondern 
auch die Anstaltsbediirftigkeit im Interesse des Kranken selbst 
und seine Hilfsbedürftigkeit. 

2. Die Informationen des Kreisarztes durch die 
staatlichen und kommunalen Behörden, und zwar in erster 
Linie ex officio direkt durch das zuständige Landratsamt mit seinen 
zu- und untergeordneten Organen, sodann indirekt durch dessen 
Vermittelung auf Grund von Mitteilungen seitens der Staats- und 
Amtsanwaltschaften, Obervormundschaften, Militär- und Zivil¬ 
behörden (Entlassung bezw. Pensionierung geisteskranker Militär¬ 
personen oder Beamten), die bisher unzureichend waren and daher 
m. E. ministerieller bezw. regierungsseitiger Begelung bedürfen. 

Was die Information durch die Behörden angeht, so müssen, 
wie gesagt, alle diese Auskünfte auf dem Landratsamt, bezw. der 
Ortspolizeibehörde der Stadtkreise zusammenlaufen und von dort 
dem Kreisarzt zur Vervollständigung seines Registers übermittelt 
werden. 

Zwei wichtige behördliche Quellen, aus denen Auskünfte über 
Geisteskranke pp. bisher nur spärlich dem Kreisarzt zufliessen, 
bilden die Militär- und Gerichtsbehörden. Es ist bekanntlich 
keine seltene Erfahrung, dass die geistige Verfassung eines bisher 
von seiner Umgebung nicht genügend beachteten und für geistig 
normal gehaltenen Menschen erst durch die Anforderungen des 
Militärdienstes klargestellt wird. Und zwar sind es hier nicht 
nur die Kraftproben für die Intelligenz, sondern auch ganz 
besonders die der gemütlichen und moralisch ethischen Ver¬ 
anlagung: Heimweh, Unselbständigkeit, leichte Beeinflussb&rkeit, 
die Unfähigkeit, sich unterzuordnen, sich zu beherrschen, einem 
festgefügten Organismus einzuordnen; Aufregungen aller Art, 
körperliche Anstrengungen bringen die im ruhigen Gleichmass der 
Tage, in gedankenloser, schablonenhafter Tätigkeit verborgen 
gebliebene geistige und gemütliche Unfähigkeit plötzlich an den 
Tag. Nach etlichen an Schwere zunehmenden Disziplinär- oder 
kriegsgerichtlichen Strafen, die natürlich das angeborene Fehlen 
jeglichen Verständnisses für militärische Subordination, Ordnung, 
Pünktlichkeit, die schwachsinnige Selbstüberschätzung, Halsstarrig¬ 
keit, krankhafte Reizbarkeit eines solchen geistig defekten Indi¬ 
viduums nicht zu bessern vermochten, erfolgt Beobachtung des 
Geisteszustandes, und schliesslich die Entlassung als dauernd un¬ 
brauchbar. Der Militärpass aber, den ein solcher Mensch in 
die Heimat zurückbringt, gibt, soweit ich wenigstens nach meinen 
gerichtsärztlichen Erfahrungen zu urteilen vermag, den Grund der 
Dienstunfähigkeit nicht an. Der Entlassene selbst, nunmehr häufig 
erst recht zum unverbesserlichen Taugenichts geworden, wird aus 
naheliegenden Gründen in den seltensten Fällen wahrheitsgetreu 
Aufklärung geben wollen oder können; er entgeht somit der 
durchaus notwendigen Ueberwachung. Die Militärbehörden müssten 
deshalb angewiesen sein, wegen geistiger Defekte Entlassene dem 
Landratsamte bezw. der städtischen Ortspolizeibehörde ihrer 




auf die Fürsorge für Geisteskranke, Epileptiker und Idioten. 113 

Heimat namhaft zu machen, die ihrerseits ihre untergeordneten 
Organe und den Kreisarzt davon in Kenntnis zu setzen hätten. 
Ebenso müssten auch die Staats- bezw. Amtsanwaltschaften an¬ 
gewiesen werden, alle diejenigen den zuständigen Polizeibehörden 
namhaft zu machen, gegen welche wegen Geisteskrankheit ein 
Verfahren eingestellt oder auf Freisprechung erkannt ist, auch 
wenn eine sogenannte Gemeingefährlichkeit zur Zeit, nach der 
übrigens durchaus nicht immer gefragt wird, nicht vorliegt. 
Bei denen, die sich in Untersuchungshaft befinden, erübrigt sich 
diese Mitteilung, weil die Gefängnisdirektoren durch eine besondere 
Verfügung dazu verpflichtet sind. Wie oft habe ich es erlebt, 
dass ein heute wegen Geisteskrankheit Freigesprochener nach 
wenigen Wochen, selbst Tagen, wieder auf der Anklagebank er¬ 
schien und von neuem mir zur Begutachtung überwiesen wurde, 
weil niemand von seiner Geisteskrankheit etwas wusste, und durch 
irgend einen Zufall ein anderer Staatsanwalt die Sachen behan¬ 
delte. Solche Leute werden gewissermassen immer wieder von 
neuem auf die Menschheit losgelassen und zu ihrem eigenen 
Schaden der Irrenanstalt ferngehalten, weil aus der den Polizei¬ 
behörden unbekannt gebliebenen Begründung ihrer Freisprechung 
womöglich ihre Schuld- und Harmlosigkeit gefolgert wurde. Ich 
habe es sogar erlebt, dass Leute, die als unheilbar geistes¬ 
krank jahrelang in Irrenanstalten verpflegt und dann gebessert 
oder probeweise entlassen worden waren, wieder zu einer lang¬ 
jährigen Zuchthausstrafe verurteilt wurden und diese angetreten, 
ja, vollständig abgebüsst hatten, weil jeder Bericht über ihre 
geistige Erkrankung an die Heimatsbehörden fehlte. Erst die 
eigenen Angaben dieser Geisteskranken, die durch Rückfragen bei 
den von ihnen genannten Irrenanstalten bestätigt wurden, brachten 
das zu Tage, was die Staatsanwaltschaft durch die Heimatsbehörde 
vor Erhebung der Anklage hätte erfahren müssen. Es erscheint 
mir daher unerlässlich, dass in den Strafregistern auch vermerkt 
wird, wenn jemand wegen Geisteskrankheit ausser Verfolgung 
gesetzt oder freigesprochen wurde; sonst lagern diese wichtigen 
Vorgänge unbekannt in den Staatsanwaltschafts-Registraturen. 

Neben den Staats- und Amtsanwaltschaften müssten auch die 
Obervormundschaften gehalten sein, nicht nur die heimat¬ 
liche Polizeibehörde über entmündigte und in Pflegschaft befind¬ 
liche Personen auf dem laufenden zu halten, sondern auch die¬ 
jenigen, in deren Bezirk sie verziehen. Nur so kann es vermieden 
werden, dass Entmündigte standesamtlich Ehen eingehen. Zum 
mindesten müssten die Vormünder viel strenger kontrolliert werden. 
Es ist mir verschiedentlich vorgekommen, dass wegen Geistes¬ 
krankheit Entmündigte nach mehrjähriger Ehe mit dem Ansuchen 
an mich herantraten, ihnen zwecks Aufhebung der Entmündigung 
ein Gutachten über ihre geistige Gesundheit auszustellen, die de 
facto nicht vorhanden war. 

Sehr wünschenswert wäre es auch, wenn alle anderen der 
Staatsaufsicht unterstehenden Behörden streng vertraulich die¬ 
jenigen Beamten namhaft machen würden, welche wegen Geistes- 

8 



114 Dr. Schwabe: Die Aufgaben der Medizinalbeamten in bezug 

krankheit pensioniert wurden. Ich erinnere mich beispielsweise 
eines geisteskranken emer. Pastors, der durch sein unsittliches 
Verhalten das grösste Aergernis erregte und noch während der 
Zeit unglaublichster sittlicher Verirrungen in Vertretung Amts¬ 
handlungen vornahm. Das alles hätte vermieden werden können, ! 
hätte man ein wachsames Auge auf ihn gehabt. — So will 
es mir denn erscheinen, als verdienten gerade die behördlichen 
Auskunftsquellen, als die klarsten, ungeeigneten Beeinflussungen 
unzugänglichsten und recht ergiebigen ' einer besonders festen 
Fassung und Nutzbarmachung für die Irrenfürsorge des Medizinal¬ 
beamten. 

3. Der dritte Weg einer Information ist gegeben durch 
Hand in Hand Arbeiten der Kreisärzte mit den leiten¬ 
den Aerzten an den zuständigen öffentlichen und pri- 
vatenAnstaltenfür Geisteskranke, Epileptische, Idioten, Trunk-, 
Aether-, Morphium- und Kokainsüchtige, an den Strafanstalten, 
Korrektions- und Arbeitshäusern, Siechen-, Armen- und eventuell 
auch Waisenhäusern, Fürsorgeanstalten, Bettungshäusern, mit 
dem event. besonderen Gerichtsarzt, den Kreisärzten 
der benachbarten Kreise, den praktischen Aerzten. 

Die aus Anstalten für Geisteskranke, Epileptische, Trunksüchtige 
pp. als geheilt oder gebessert Entlassenen, in Familienpflege 
Gegebenen müssen dem zuständigen Medizinalbeamten via Land- j 
ratsamt zugleich mit genauer Diagnose und Prognose ihrer Krank- 1 
heit und eventuellen VerhaltungsVorschlägen namhaft gemacht 
werden. j 

Was diesen Weg angeht, so hat sich für die Medizinalbe&mten 
das unabweisbare Bedürfnis herausgestellt, mit den Leitern der 
in Betracht kommenden Irrenanstalten eine viel engere Fühlung 
zu gewinnen, als dies bisher — wenigstens generell — der Fall 
war. In den seltensten Fällen erfahren sie etwas über das Er¬ 
gehen der von ihnen als anstaltsbedürftig Begutachteten. Ebenso¬ 
wenig werden sie über Diagnose, Prognose, Verhaltungsmassregeln 
bei denjenigen informiert, die als geheilt, gebessert, probeweise 
in die Heimat entlassen werden. Es wäre lebhaft zu wünschen, 
dass nicht nur bei der Entlassung geisteskranker Verbrecher und 
sonstiger Gemeingefährlichen, wie es der Ministerial - Erlass vom 
15. Juni 1901 vorschreibt, ein diesen drei Punkten Rechnung tragen¬ 
der Bericht allein dem Landrat bezw. der Ortspolizeibehörde zuge¬ 
sendet würde, sondern auch bei der Entlassung nicht gefährlicher 
Geisteskranken, und dass dann auch dem Kreisarzt dieser Bericht 
zugänglich gemacht würde. 

Unerlässlich ist auch die Fühlung zwischen den Medizinal- j 
beamten und den Aerzten der Fürsorgeanstalten. Unter den Zög- ‘ 
lingen dieser Anstalten gibt es, soweit ich nach meinen Erfahrungen 
in der hiesigen Station für jugendliche Strafgefangene urteUen 
kann, die ich vielfach mit dem hiesigen Stephanstifte aus- und 
einwechselte, eine ganze Zahl in foro auf die ganze Schwere ihrer 
Imbezillität nicht Erkannte, Degenerierte und Epileptiker. Alle 
diese bedürfen vor wie nach ihrer Entlassung aus der Fürsorge- 



auf die Fürsorge für Geisteskranke, Epileptiker und Idioten. 


115 


erziehung sogenannter Ueberwachnng. Einzelne passen überhaupt 
nicht in Fürsorgeanstalten und miskreditieren nur deren Leistungen. 
Cr am er sagt wörtlich bei Besprechung des Fflrsorgegesetzes vom 
3. Juli 1900 (in Kraft seit dem 1. April 1901): 

„Mit Rücksicht darauf, daß die Fürsorgepfleglinge sich gerade in den 
Entwickelongsjahren befinden, und daß gerade in der Pubertät nicht selten 
Entwickelungshemmungen und psychische Störungen einsetzen, kann die ärzt¬ 
liche Ueberwachung der Fürsorgepfleglinge von psychiatrisch gebildeten Aerzten, 
z. B. den Kreisärzten, nicht genau genug sein.“ 

Soweit ich zu urteilen vermag, ist der psychiatrischen Seite 
der Fürsorgeerziehung — generell wenigstens — nicht die ge¬ 
nügende Beachtung geschenkt. Beispielsweise möchte ich darauf 
hinweisen, dass die die Fürsorgeerziehung übernehmenden Organe 
der Provinzial-Verbände wohl unter Nr. 12 des für die Anstalten 
bestimmten Aufnahmebogens nach der körperlichen und geistigen 
Gesundheit fragen, auf die Beantwortung dieser Fragen durch 
einen Arzt aber, wenn er dafür liquidiert, verzichten, so dass diese 
an und für sich äusserst wichtige, m. E. für die fernere Erziehung 
ausschlaggebende Frage nur pro forma auf dem genannten Bogen 
figuriert. 

Wo der Kreisarzt nicht zugleich Gerichts-und Gefäng¬ 
nis arzt ist, erscheint mir ein gemeinsames Arbeiten mit diesem 
naturgemä8B gegeben. Sowohl straf- wie zivilrechtlich wird der 
Gerichtsarzt durch das ihm zugängliche Aktenmaterial häufig 
leichter und eingehender über Geisteskranke, Epileptiker und 
Idioten informiert sein wie der Kreisarzt. Und ein gegenseitiger 
Austausch ihrer Informationen und Erfahrungen kann nur segens¬ 
reich für das von ihnen beiden verfolgte Ziel sein: in dem Wohl 
des einzelnen das des Staates zu fördern und umgekehrt. 

Das gleiche gilt von der gemeinsamen Arbeit mit den be¬ 
nachbarten Medizinalbeamten, Schulärzten, Aerzten an Waisen-, 
Armen-, Siechenhäusern, Korrigenden - Anstalten pp. 

Der Unterstützung durch die praktischen Aerzte steht 
ja leider die Wahrung des ärztlichen Berufsgeheimnisses vielfach 
sehr hindernd im Wege. 

Alles in allem wird aber auch auf dem Wege der gemein¬ 
samen Berufsarbeit vieles der Fürsorgetätigkeit Erspriessliche 
geleistet werden können. 

4. Als vierter, zwar an und für sich nicht neuer, aber meines 
Wissens nur 1872 und 1895 eingeschlagener Weg zur Auffindung 
der Geisteskranken, Epileptischen und Idioten empfiehlt sich 
zweifellos, die Volkszählungen regelmässig mit zur Hilfe zu 
nehmen. Es wird freilich wohl zu bedenken sein, dass diese 
Zählung vielfach auf Widerstand stossen wird, weil sie gleich¬ 
bedeutend mit der Offenbarung intimer Familienangelegenheiten 
ist, die meisthin einen ganz besonders wanden Punkt bilden. 
Indessen, wo es das Wohl einer ganzen Kategorie ganz besonders 
hilfsbedürftiger Kranken gilt, dürften der Empfindsamkeit des 
einzelnen nicht zu grosse Konzessionen gemacht werden. Alle 
Fürsorge bleibt auf dem Papier stehen, wenn der Medizinalbeamte 
über die Fürsorgebedürftigeu im Unklaren bleibt. Sache des 

8 * 



116 Dr Schwabe: Die Aufgaben der Medizinalbeamten in bezog 

Kreisarztes wird es sein, das ihm durch die Volkszählung über¬ 
mittelte Material nachzuprüfen. 

Die auf den genannten Wegen ermittelten Geisteskranken pp. 
hat er in eine nach psychiatrischen und sozialen Gesichtspunkten 
sorgsam rubrizierten Liste einzutragen und fortlaufend zu er¬ 
gänzen. Ist er auf diese Weise über die in seinem Kreise vor¬ 
handenen Geisteskranken, Epileptiker und Idioten genügend in¬ 
formiert, so tritt die zweite, nicht minder schwer zu beantwortende 
Frage an ihn heran, wie er die Fürsorge für diese Kranken 
ausüben soll? Der Begriff Fürsorge nimmt bei den genannten Kate¬ 
gorien von Kranken insofern eine Sonderstellung ein, als in dieser Für¬ 
sorge implizite auch die Bewahrung engerer oder weiterer Kreise 
vor eventuellen von diesen Kranken drohenden Gefahren für Leben, 
Gesundheit, ideelles und materielles Gut enthalten ist. Ausdrück¬ 
lich muss auch darauf hingewiesen werden, dass diese „dauernde 
Fürsorge“, wie sie die Dienstanweisung vorschreibt, keine passive, 
allerhand Zufällen überlassene, sogenannte gelegentliche sein darf, 
sondern eine aktive, planmässig geordnete, den Charakter selbst¬ 
ständiger amtlicher Tätigkeit tragende sein muss. Die Fürsorge 
zerfällt in 

1. eine aktive, in die persönlichen Verhältnisse der Kranken 
eingreifende, d. h. in die Ueberweisung in eine geeignete Anstalt, * 
eventuell auch in Vorkehrungen und Anordnungen für eine an¬ 
gemessene private Pflege in oder ausser dem Hause; 

2. eine überwachende, d. h. abgesehen von der gesetzlich 
geregelten Aufsichtstätigkeit des Kreisarztes in den zuständigen ! 
Anstalten für Geisteskranke pp., in einem Wachen über das Ver¬ 
halten der Kranken selbst, um eventuell im geeigneten Augenblick 
aktiv einzugreifen, und über die den Kranken in der eigenen oder 

in einer fremden Familie zuteü werdenden Pflege im weitesten 
Sinne des Wortes; ! 

8. endlich in eine prophylaktische, d. h. in eine Ueber- 
wachung der als geheilt oder gebessert aus den Anstalten Ent¬ 
lassenen und, soweit es möglich ist, auch in der Bewachung der 
numerisch nicht zu niedrig zu bemessenden Degenerierten, Schwach¬ 
sinnigen aller Schattierungen, seelisch Labilen vor Verfall in 
Geisteskrankheit. 

Zu 1. Die aktiv eingreifende Fürsorge in Gestalt der 
Ueberweisung in eine Irrenanstalt wird ex officio im wesentlichen 
nur bei sogenannten Gemeingefährlichen im engeren nnd 
weiteren Sinn oder bei zweifelhaften Geisteszuständen vor Gericht i 
zur Ausübung gelangen. Bei nicht geisteskranken Epüepbikern 
und bei Idioten werden gemeinhin ungeeignete häusliche Verhält- 1 
nisse zur Anstaltsüberweisung drängen. Die Verbringung der 
Idioten in eine öffentliche Idiotenanstalt, bei welcher der 
Medizinalbeamte ex officio nur gelegentlich dann mitznwirken 
pflegt, wenn es sich darum handelt, vorher noch ein Urteil über 
die Bildungsfähigkeit des Einzuweisenden zu erhalten, stösst 
kaum auf Schwierigkeiten. Die geistigen Defekte der Idioten 
sind so offensichtlich, ihre Behandlung meist so schwer und nn- 



auf die Fürsorge für Geisteskranke, Epileptiker nnd Idioten. 


117 


bequem, dass sie Anstalten gern überwiesen werden. Auch die 
Anstalten selbst haben nicht im entferntesten mit dem Misstrauen 
nnd den Vorurteilen der Allgemeinheit zu kämpfen, wie die Irren¬ 
anstalten; allerdings sind die öffentlichen Idiotenanstalten auch 
mancher gehässigen Kritik aasgesetzt. Für private Idioten¬ 
anstalten gilt der Ministerial - Erlass vom 26. März 1901. Danach 
hat der zuständige Kreis- bezw. Gerichtsarzt dem betreffenden das 
Aufnahmezeugnis auszustellen und die Anstalt regelmässig zu 
revidieren. 

So wenig Schwierigkeiten die aktive Fürsorge für die aus¬ 
gesprochenen Idioten dem Medizinalbeamten bereitet, um so höher 
türmen sie sich bei den Schwachsinnigen, welche wesentlich 
die Erscheinungsformen der Entartung zeigen, deren Zustände 
Gudden scherzhaft als den „höheren Blödsinn“ bezeichnete, nnd 
die trotz ihrer tiefgreifenden geistigen Unzulänglichkeit der breiten 
Masse durch ihr hohles Scheinwesen womöglich noch imponieren, 
zum mindesten nicht für seelisch defekt gelten. Ebenso steht es 
mit den ausgesprochen Degenerierten mit ihrer auf Grund 
psychopathischer Veranlagung unharmonischen geistigen Entwicke¬ 
lung, ungemein labilen seelischen Gleichgewicht, Phantastereien, 
Intoleranz gegen Alkohol, Unberechenbarkeit, Neigung zum Verfall 
in paranoische, manische, melancholische Zustände, affektive 
Störungen. Auch diese Degenerierten erscheinen dem Publikum 
als alles andere, nur nicht als seelisch krank und anstaltsbedürftig. 1 ) 

Auch die Angehörigen von Epileptischen, unter ihnen 
besonders wieder die Alkoholiker, obwohl sie bei ihrer häufigen 
psychischen Degeneration, ihren krankhaften Affekten, ihrer Un¬ 
berechenbarkeit, ihren event. Bewusstseinsstörungen ein hohes 
Kontingent für Landstreicher, Taugenichtse, Sittlichkeitsverbrecher, 
Schamverletzer, Brandstifter, Totschläger stellen, und ihre recht¬ 
zeitige Anstaltsverwahrung ihnen selbst wie der Allgemeinheit 
von höchstem Nutzen sein würde, sind schwer davon zu überzeugen, 
dass die seelischen Veränderungen dieser Unglücklichen höher zu 
werten sind, als die Krampferscheinungen. 

Was die trunksüchtigen Epileptiker angeht, so ist 
es sehr bedauerlich, dass der Staatsanwalt nicht die Berechtigung 
hat, den Entmündigungsantrag zu stellen, und damit die zwangs¬ 
weise Internierung in Trinkerasylen in die Wege zu leiten; es ist 
dies deshalb so sehr bedauerlich, weil die Angehörigen meist so 
durch die Brutalität des Betreffenden eingeschüchtert sind, dass 
sie einen Entmündigungsantrag nicht wagen, nnd die dazu be¬ 
rechtigten Armenverbände häufig viel zu indolent sind. 

Bei nicht geisteskranken Trunksüchtigen kann der 
Vormund ja geeignetenfalls auch gegen den Willen des Trinkers 
für dessen Aufnahme und Festhaltung in einer Heilanstalt sorgen 
und sich zu dem Zweck die kreisärztliche Mitwirkung erbitten. 
Indessen die Fälle sind selten. 


*) Imbezille, Idioten and Kretins wurden in Irrenanstalten aufgenommen: 
1875: männlich . . 286 = 8,97"/,, 1900: männlich . . 1141 = 10,84% 

weiblich . . 186 = 8,55 „ weiblich . . 714 = 9,35 * 



118 Dr. Schwabe: Die Aufgaben der Medizinalbeamten in bezug 

Bei zweifelhaften Geisteszuständen zu Entmündigender, 
insonderheit den sogen. Grenzfällen, wie bei beginnender Paralyse, 
sogen. Alkoholparalyse, nicht klaren Fällen von Paranoia, periodi¬ 
schen und zirkulären Geisteskrankheiten wird der Medizinalbeamte 
gut tun, die Ueberweisung in eine Anstalt zwecks Beobachtung 
als geboten zu begutachten. Er muss dann aber die Notwendig¬ 
keit bescheinigen, die blosse Zweckmässigkeit genügt nicht. 
Dass der Antragsteller darauf nicht einzugehen braucht, ist be¬ 
kannt. Auch darauf möchte ich hinweisen, dass der Medizin&l- 
beamte, wenn er die Ueberführung in eine Anstalt für notwendig 
befunden hat, nach Möglichkeit dafür Sorge tragen soll, dass diese 
Ueberführung ohne Anwendung roher Gewaltmittel vor sich geht. 
Täuschungen der Kranken zum Zweck der Ueberführung sind vom 
irrenärztlichen Standpunkte aus zu verwerfen, in praxi aber wohl 
nicht immer zu vermeiden. 

Auf die häufig ganz ungenügende, ja direkt gesundheits¬ 
schädliche Beschaffenheit der für die vorläufige Inter¬ 
nierung gefährlicher Geisteskranken dienenden Loka¬ 
litäten — Spritzen-, Armenhäuser pp. — muss der Kreisarzt 
bei Ortsbesichtigungen und Besichtigungen von Armen- und 
Siechenhäusem, kleinen Irren-Beobachtungsstationen, Gefängnissen, 
Krankenhäusern ein wachsames Auge haben. In rein ländlichen 
Bezirken empfiehlt es sich vielleicht in Entfernungen, wie 
in den für die Pflegestationen vorgesehenen, auch für solche 
Geisteskranke ganz einfache, aber zweckmässig eingerichtete, von 
einem Arzt schnell zu erreichende Lokalitäten bereit zu halten. 
Am 27. Mai 1893 wies beispielsweise die Aerztekammer der Provinz 
Hannover schon auf die Notwendigkeit geeigneter Lokalitäten zur 
provisorischen Aufnahme gefährlicher Geisteskranken hin. Das 
Königliche Oberpräsidium erkannte die Berechtigung des von der 
Aerztekammer geäusserten Wunsches an, gab aber zugleich zu 
erkennen, dass diesem Anträge in seinem Umfange nicht ent¬ 
sprochen werden könne. Da anzunehmen ist, dass auch in anderen 
Provinzen mehr oder weniger ähnliche Missstände vorhanden und 
durch behördliche Massnahmen auf Grund verwaltungsgesetzlicher 
Schwierigkeiten nicht ganz zu beheben sind, so müssen m. E. die 
Organe der privaten Wohltätigkeit für diese Frage interessiert 
und gewonnen werden. — Auch darauf wird der Medizinalbeamte 
zu achten haben, dass die in provisorischen Unterkunftsorten unter¬ 
gebrachten Geisteskranken dort nicht zu lange verbleiben und zu 
eigenem und ihrer gesetzmässigen Unterhalter Schaden an Hei¬ 
lungsaussicht einbüssen. Diese Provisoria sind deshalb nach Mög¬ 
lichkeit zeitlich zu beschränken, weil sie meist aus Mangel an 
Raum und geschultem Personal mit Einzelinternierung verbunden 
sind, die für den Verlauf der Geisteskrankheit den schwersten, 
ja vielleicht irreparablen Schaden bringen kann. Wenn irgend 
möglich, sollen alle provisorischen Verwahrungen 
Anstaltsbedürftiger vermieden werden! 

Zu 2. Die überwachende Fürsorge muss dort, wo die 
Kranken in der eigenen Familie oder bei Verwandten 



auf die Fürsorge für Geisteskranke, Epileptiker and Idioten. 119 

— bei letzteren jedoch nicht gegen Entgelt — leben, sich einer¬ 
seits darauf beschränken, durch Vermittelung der Ortspolizeibehörde 
in unauffälliger, schonender Weise nach dem Ergehen der be¬ 
treffenden zu forschen, anderseits es sich angelegen sein lassen, 
das Vertrauen der Angehörigen und dadurch Einfluss auf das 
Wohlergehen der Kranken zu gewinnen, oder auch mit Hilfe des 
behandelnden Arztes, des Geistlichen, d. h. eines, der mit dem Be¬ 
griff der dämonischen Besessenheit gebrochen hat, event. auch der 
Gemeindediakonissin, des Lehrers pp. zu diesem Ziel zu gelangen. 
Sehr taktvolles und diplomatisches Vorgehen sind dabei unerlässlich. 

Es ist mir wohlbekannt, dass gegen die amtsärztliche sogen, 
unauffällige Beaufsichtigung von nicht gefährlichen, in ihrer Familie 
verpflegten Geisteskranken schwerwiegende Bedenken erhoben 
worden sind. Ich gebe auch gerne zu, dass die Klippen der 
Empfindsamkeit, des Vorurteils, der Beunruhigung nicht ganz 
leicht zu umschiffen sind. Indessen muss ich mich doch auf den 
von der XV. Hauptversammlung des Preussischen Medizinalbeamten- 
Vereins vertretenen Standpunkt stellen, dass bei den Medizinal¬ 
beamten generell der nötige Takt und das besonnene Vorgehen 
vorausgesetzt werden müssen, um dieser schwierigen, ja äusserst 
schwierigen Aufgabe gerecht zu werden, dass er doch nicht mit 
seiner beamteten Stellung die Feinfühligkeit des Arztes verloren 
hat. Erleichtert aber würde m. E. seine Aufgabe dadurch, dass 
mit der Gründung von Irrenhilfsvereinen, die freilich ja in erster 
Linie ihre Tätigkeit den als geheilt oder gebessert aus Anstalten 
entlassenen Geisteskranken zugute kommen lassen sollen, Ver¬ 
trauensmänner über den Kreis verteilt würden. Diese Vertrauens¬ 
männer könnten sehr wohl das Bindeglied zwischen Familien und 
dem Medizinalbeamten bilden und dazu beitragen, Missverständ¬ 
nisse, Vorurteile, falsche Empfindlichkeit zu bekämpfen und den poli¬ 
zeilichen Exekutivbeamten nach Möglichkeit entbehrlich zu machen. 
Um nach Kräften alles auszuschalten, was nach polizeilicher Bevor¬ 
mundung aussehen könnte, wogegen die Allgemeinheit bekanntlich 
krankhaft empfindlich ist, obwohl sie auf der anderen Seite schnell 
mit dem Ruf, „wo ist die Polizei P“ bei der Hand ist, will mir 
auch die Stationierung von Gemeindeschwestern, die, in der Irren¬ 
pflege ausgebildet, sich lediglich der Pflege geistiger Invaliden 
zu widmen hätten, zweckmässig erscheinen. Die privaten chari- 
tativen Verbände sollen sich eben auch ihrer Pflichten gegen die 
armen Geisteskranken erinnern, denen sie körperlich kranken und 
materiell Bedürftigen gegenüber in so anerkennenswerter Weise 
gerecht werden. — 

Handelt es sich um gefährliche Geisteskranke, die in 
der eigenen Familie bleiben sollen, dann liegt ein öffentliches Inter¬ 
esse vor und damit auch die Berechtigung für den Medizinalbeamten, 
ex officio eine dem besonderen Falle angemessene Kontrolle aus¬ 
zuüben. Mag es auch — namentlich bei räumlich weiter Ent¬ 
fernung des Medizinalbeamten — zweckmässig erscheinen, dass 
die Ortspolizeibehörde ein wachsames Auge auf die Vorgänge in 
einem einen gefährlichen Geisteskranken beherbergenden Hause 



120 Dr. Schwabe: Die Aufgaben der Medizinalbeamten in bezug 

hat, die eigentliche Kontrolle steht nur dem Medizinalbeamten zu, 
der sie suaviter in modo, fortiter in re auszuüben und unter allen 
Umständen auf die Beschaffung geeigneten Wartepersonals, geeig¬ 
neter Räumlichkeiten zu bestehen hat. 

Sobald die Kranken in fremden Familien gegen Ent¬ 
gelt untergebracht sind, muss die Fürsorge schon damit be¬ 
ginnen, dass der Medizinalbeamte in Stand gesetzt wird, die 
Qualifikation des Geisteskranken selbst für Familienpflege and 
ganz besonders auch der in Aussicht genommenen gewerbsmässigen 
Pfleger eingehend zu prüfen. Diese müssen zum mindesten den¬ 
selben Vorschriften unterworfen sein, wie diejenigen Personen, bei 
welchen fremde, noch nicht 6 Jahre alte Kinder in Kost und 
Pflege untergebracht werden. 1 ) Der Kreisarzt muss, wie seine 
Vorschrift bei den Haltekindern lautet, nach Bedarf tunlichst un¬ 
vermutet diese Pflegestellen revidieren. Unter Bedarf darf aber 
nicht eine Revision bei Gelegenheit anderweitiger Dienstreisen 
verstanden werden, sondern das pflichtgemässe Ermessen des 
Kreisarztes muss ausschlaggebend sein. 

Von allen, welche gegen Entgelt Geisteskranke, Epileptische 
und Idioten pflegen, ist zu verlangen, dass sie sich 

1. eines tadellosen Lenmnnds erfreuen, 

2. in geregelten und auskömmlichen Vermögensverhältnissen leben, geräumig 
genug wohnen, 

3. körperlich und geistig gesund sind, 

4. genügend Zeit haben und fähig sind, ihre Pflegebefohlenen zu beauf¬ 
sichtigen und zu leiten. 

Zu bevorzugen sind solche, welche 

1. womöglich schon Erfahrung in der Irrenpflege haben, 

2. abseits regeren Verkehrs wohnen (ländliche Verhältnisse werden im 
allgemeinen die geeignetsten sein). 

Die familiäre Irrenpflege, deren Geburtsstätte in dem 
belgischen Flecken Gheel liegt, welches mit 19 anliegenden Dörfern 
unter 12 700 Einwohnern 2000 Geisteskranke zählt, hat sich auch 
in Deutschland, wo sie schon seit mehr als 100 Jahren in den 
bremischen Dörfern Ellen-Rockwinkel besteht, von Wahrendorf- 
Ilten, Alt-Uchtspringe und anderen weiter ausgebildet ist, bislang 
so gut bewährt, dass sie eines immer grösseren Ausbaus bedarf, 
zum Wohle der Kranken, zur Nutzbarmachung ihrer oft noch nicht 
unerheblichen sozialen Leistungsfähigkeit und damit zur Ent¬ 
lastung der Gemeinden und der Irrenanstalten und zu Nutz und 
Frommen der wirklich Anstaltsbedürftigen. 

Aufgabe der Medizinalbeamten wird es sein, Anregungen und 
Belehrungen in dieser Beziehung zu geben, sich selbst in der Be¬ 
urteilung geeigneter Privatpflegen und der für solche Pflege ge¬ 
eigneten Kranken nach Kräften zu vervollkommnen. — Für eine 
Erweiterung der Familien - Irrenpflege über die nächstliegenden 
Ortschaften einer Irrenanstalt hinaus erscheint mir ebenfalls die 
Gründung von Irrenhilfsvereinen mit über den Kreis verteilten 

') Vcrpl. Rundorlaß des Ministers der McdizinnlanKelcpcnheitcn and des 
Ministers des Innern, betr. das gewerbsmäßige Halten von Kostkindern, vom 
26. August 1S8U. 



auf die Fürsorge für Geisteskranke, Epileptiker und Idioten. 


121 


Vertrauensmännern sehr wünschenswert. Ihre Kontrolle wirkt 
weniger auffallend und ist gleichwohl geeignet, den Medizinal¬ 
beamten auf dem Laufenden zu erhalten, vermag auch Kosten¬ 
ersparnisse herbeizuführen. 

Zu 3. Die prophylaktische Fürsorge wird, streng ge¬ 
nommen, in der Dienstanweisung vom Kreisarzt nicht verlangt, 
da diese nur von bereits Geisteskranken, Epileptischen und Idioten 
spricht. Indessen ist sie implicite doch in ihr enthalten, weil die 
„dauernde“ Fürsorge sich naturgemäss auch auf diejenigen er¬ 
strecken muss, welche als geheilt oder gebessert oder versuchs¬ 
weise zu ihren Familien, in ihre berufliche Tätigkeit aus den 
Anstalten entlassen sind; denn ein beträchtlicher Prozentsatz 
dieser Geheilten oder Gebesserten bleibt seelisch ungemein labil, 
und der von den Stürmen der Sorgen, des Kummers, der mensch¬ 
lichen Leidenschaften zu haushohen Wellen aufgepeitschte Ozean 
des alltäglichen Lebens verlangt eine ganz andere seelische Wider¬ 
standskraft, als der ruhige, glatte geschützte Hafen, wie ihn das 
Leben in einer Anstalt darstellt. Somit erwächst für den Medi¬ 
zinalbeamten die unabweisbare Pflicht, sich mit Rat und Tat daran 
zu beteiligen, diesen gefährdeten Personen zu einer geeigneten 
Tätigkeit zu verhelfen, Schädlichkeiten von ihnen abzuwehren, 
Vorurteile und Inhumanität zu bekämpfen. 

Zur Erfüllung dieser Aufgabe reichen aber Zeit und Kraft 
des Medizinalbeamten nicht aus; er wird es sich daher angelegen 
sein lassen, Vereine zur Plazierung und Unterstützung aus An¬ 
stalten für Geisteskranke pp. Entlassener, also die schon er¬ 
wähnten sogen. Irrenhilfs vereine, nach Möglichkeit zu fördern. 
Derartige Vereine, deren Wirksamkeit eine hervorragend soziale 
ist, gibt es zurzeit noch viel zu wenige. Die Aufgabe der Irren- 
Hilfsvereine muss demnach eine dreifache sein: 

1. Sic sollen die ans der Anstaltspfiegc als geheilt oder gebessert Ent¬ 
lassenen bezw. deren Familien materiell durch Geldznwendnngen, Arbeitsnach¬ 
weise unterstützen, um Rückfälle bezw. Verschlechterungen ihres Zustandes 
durch Sorgen, Kummer, getäuschte Hoffnungen auf Lebensunterhalt pp. nach 
Möglichkeit zu verhüten. 

2. Sie sollen durch freundlichen, verständnisvollen Zuspruch, Rat, be¬ 
sonnene Führung das häufig erschütterte Selbstvertrauen dieser Entlassenen 
zu heben, Verbitterung, Selbstvorwürfe zu zerstreuen, kurz ihnen festen Halt 
zn geben suchen. 

3. Sic sollen es sich angelegen sein lassen, das allgemeine Verständnis 
für das Wesen der Geistesstörungen zu beleben, die Scheu, Gleichgültigkeit, 
Vorurteile gegen Geisteskranke und die ihnen dienenden Anstalten zu bekämpfen. 

An der Spitze des Vereins mnss ein psychiatrisch gebildeter 
Arzt stehen, wenn möglich der Kreisarzt. Ausserdem sind sorg¬ 
sam auszuwählende Vertrauensmänner zu bestellen, welche, mög¬ 
lichst zahlreich über das Hilfsgebiet des Vereins verteilt, die Art 
und Höhe der Bedürftigkeit der geistigen Invaliden festzustellen, 
das fernere Wohlergehen der Entlassenen im Auge zu behalten, 
dem Vorstand darüber zu berichten haben. 

Da nun die ganze Wirksamkeit des Medizinalbeamten schliess¬ 
lich auf Prophylaxis hinausläuft, so wird er sich auch der Pflicht, 
Prophylaxis auf dem Gebiet der Geisteskrankheiten 



122 Dr. Schwabe: Die Aufgaben der Medizin&lbeamten in besag 

aaszuüben, nicht ganz entziehen können, wenn diese auch natur¬ 
gemäße zum überwiegenden Teil in den Händen der praktischen 
Aerzte ruht. Immerhin wird ihm die amtliche Tätigkeit nicht 
selten Gelegenheit darbieten, Degenerierte, Schwachsinnige in 
allen Nuancen, an epileptoiden, hysterischen Zuständen Leidende, 
Neurastheniker kennen zu lernen und deren Angehörige, Erzieher, 
Brotherren pp. auf die richtige Behandlung dieser auf der Grenze 
zwischen geistig Gesunden und Kranken Stehenden hinzuweisen 
und dadurch dem Ausbruch yon Psychosen vorzubeugen oder ihn 
doch wenigstens zu verzögern oder zu mildern. Besonders sei 
auf den für Laien schwer richtig zu beurteilenden Beginn des 
Jugendirreseins zur Zeit der psychischen Wandlungen während 
der Pubertätsjahre hingewiesen. 

Die von manchen belächelten Familien ab ende würden 
auch geeignete Stätten für den Medizinalbeamten bilden, in all¬ 
gemein verständlicher Form das Gebiet der geistigen Minder¬ 
wertigkeit und der epileptoiden, hysterischen Zustände, der gei¬ 
stigen Erkrankungen im allgemeinen zu beleuchten, die rück¬ 
ständige Furcht vor den Irrenanstalten zu bekämpfen, diesbezügL 
Vorurteile und Irrtümer zu zerstreuen, vor Ehen zwischen Geistes¬ 
kranken, mit Geisteskrankheit erblich Belasteten zu warnen 
u. dgl. mehr. 

Die prophylaktische Fürsorge besteht endlich in beratender 
und tatkräftiger Unterstützung aller jener Bestrebungen, welche 
auf die Gründung von Volkssanatorien für Nervenkranke, von 
Rekonvaleszentenheimen, Anstalten für Epileptische und Idioten, 
Erziehungsanstalten für geistig Zurückgebliebene und sittlich 
Schwache (ich erinnere hier an das von Prof. Zimmer, dem 
Leiter des Evangelischen Diakonienvereine in Zehlendorf, be¬ 
gründete Heilerziehungsheim), auf Bekämpfung von Trunksucht, 
dieses für die geistige Entartung der Nachkommenschaft schwer¬ 
wiegenden Lasters, und von Geschlechtskrankheiten, abzielen. 

Die Prophylaxis der seelischen Störungen stellt mit ihren 
engen Beziehungen zu den genannten körperlichen, seelischen und 
sozialen Lebensbedingungen ein Gebiet von so gewaltigem Umfange 
dar, dass ich im Rahmen dieses Referats nur Streifzüge in das¬ 
selbe zu unternehmen und wie in einem Panorama nur einzelne 
charakterisierende Bilder herauszugreifen vermag, Bilder, welche 
auch ohne Kommentar dem Medizinalbeamten je nach seiner In¬ 
dividualität, seinem Wirkungskreise und seinem Können die Bahnen 
seiner prophylaktischen Tätigkeit weisen können. Die allge¬ 
meine Prophylaxis der seelischen Störungen setzt naturgemäss schon 
mit den Vorbedingungen der Zeugung ein. Das Verant¬ 
wortlichkeitsgefühl für die seelische Gesundheit der Nachkommen 
ist zu wecken. Welch trostloses Erbteil erwartet den von geistes¬ 
kranken bezw. schwachen, entarteten, epileptischen, hysterischen, 
neurasthenischen, trunk- oder morphiumsüchtigen, luetischen, un¬ 
reifen, entkräfteten Eltern Gezeugten! Wie schadet dem wer¬ 
denden Menschen eine durch körperliche und seelische Exzesse, 
durch Furcht, Angst und Sorgen beeinflusste Schwangerschaft! 



auf die Fürsorge für Geisteskranke, Epileptiker nnd Idioten. 123 

Welche Unsumme von Torheiten bei der Erziehung benach¬ 
teiligen die langsam erwachsende Seele des Kindes im ersten Le¬ 
bensjahre und wie steigern sie sich in den weiteren Kinderjahren! 
Mit an und fiir sich schon geistig sehr regsamen, zu Phantastereien, 
womöglich abendlichen Halluzinationen neigenden Kindern wird 
paradiert, Dressur getrieben. Wie fehlt oft die feinfühlende, in¬ 
dividuelle, gleichmässige, zielbewusste, freundlich strenge, ver¬ 
trauenerweckende Behandlung der ungemein fein reagierenden 
Kindesseele, die einzig und allein ihre harmonische Entwickelung 
gewährleisten kann! Welche Missgriffe werden in der Schul¬ 
erziehung gemacht! Zum Ertöten der Arbeitslust führender Sche¬ 
matismus, an Stelle Förderung intellektueller, produktiver Lei¬ 
stungen mechanisches Auswendiglernen, Ueberbürdung, falsche 
Anwendung der Erziehungsmittel, Verkennen seelischer Eigen¬ 
tümlichkeiten und körperlicher Leiden, unhygienische Einteilung des 
Unterrichts und dergl. mehr. Welch segensreiches Feld der 
Tätigkeit für den Medizinalbeamten als psychagogischer Berater! 

Es folgt die sexuelle Prophylaxe, die mit Bekämpfung des 
oft schon sehr frühzeitig entwickelten Strebens nach Auslösung 
von Wollustgefühlen zu beginnen hat und hervorragende psychische 
Technik verlangt. Und nun die der Psyche ganz besonders gefähr¬ 
liche Klippe der Pubertätsjahre! Hier gilt es den Körper zu 
kräftigen und zu stählen, schädliche Reiz- und Genussmittel, wie 
Tabak, Alkohol pp. auszuschalten, Ueberarbeitung, Störungen der 
Nachtruhe, schlechten Umgang zu verhindern, für zuträgliche 
seelische Kost zu sorgen. Bei Mädchen spielen die seelischen 
Aufregungen während der Menses eine besonders einflussreiche 
Rolle und verlangen angesichts der modernen Bestrebungen in 
der Mädchenerziehung erhöhte Aufmerksamkeit. — Auch der 
schwerwiegende Schritt der Berufswahl erfordert die strengste 
Prüfung von Wollen und Können und Wesensart auf seelischem 
und körperlichem Gebiet. 

Welches Unheil Exzesse in Baccho et Venere, insbesondere 
auch sexuelle Infektionen, unhygienisches Leben, schrankenloser 
Ehrgeiz pp. der Psyche bringen können, bedarf kaum der Erwäh¬ 
nung. Die auf dem Boden von verschiedenen körperlichen, ins¬ 
besondere Infektionskrankheiten entstehenden psychischen Al¬ 
terationen werden sich ja nur zum Teil durch ärztliche Massnahmen 
hintenanhalten lassen. Immerhin sei in dieser Beziehung auf die 
segensreiche Wirksamkeit von Krankenunterstützungsvereinen und 
Rekonvaleszenten- und Wöchnerinnenheimen, Erholungsstätten hin¬ 
gewiesen, deren Bestrebungen der Medizinalbeamte nach Kräften 
zu unterstützen hat. Erspriessliches vermag er auch mit prophy¬ 
laktischen Massnahmen gegen psychische Störungen im Wochen¬ 
bett durch strenge Ueberwachung und Belehrung der Hebammen 
zu leisten. 

Was die spezielle Prophylaxe angeht, so wird der Medizinal¬ 
beamte sie vielfach als Schularzt und durch gemeinverständliche 
Vorträge ausüben können. Bei Entarteten beispielsweise wird 
er die Lehrer bezw. die Eltern auf die pathologische Reizbarkeit, 



124 Dr. Schwabe: Die Auf gaben der Medizinalbeamten in bezug 

Trotz- and Jähzornantälle, eventl. auch auf depressive Affekte, 
expansive Stimmnngsznstände, leicht vorkommende Abweichungen 
des Geschlechtstriebes aufmerksam zu machen und diesen Eigen¬ 
heiten gegenüber ein ruhiges, affektfreies, verständiges, zielklares 
Vorgehen zu empfehlen haben. Das Gleiche gilt von den Hyste¬ 
rischen. Ihnen gegenüber sind methodische Uebung, die ruhige 
Selbstzucht, Lust zum Selbstkorrigieren, Anfeuerung gesunden 
Ehrgeizes, Pflege objektiver und massvoller Interessen am Platze. 
Auch den Epileptischen soll in dieser Weise begegnet werden; 
insbesondere sind von ihnen noch körperliche und geistige Ueber- 
anstrengungen, schwere Züchtigungen, Schläge auf den Kopf und 
der Alkohol in jeder Form fernzuhalten, ihnen reichlicher Schlaf 
zu gewähren. 

Bei den Schwachsinnigen wird er darauf hin weisen müssen, 
dass man bei ihnen darauf verzichten muss, abstrakte Begriffe 
hervorrufen zu wollen, sie vielmehr intellektuell wie ethisch durch 
häufiges Wiederholen, Uebungen im Wiedererkennen, Wieder¬ 
erzählen, Aufmerksamkeitsübungen, durch Lob und Tadel, Beloh¬ 
nung und Strafe zu dressieren, allen Affektausbrüchen streng ent¬ 
gegenzutreten hat. 

Selbst die Paranoia ist häufig für eine Prophylaxe geeignet, 
da sie in ihren ersten Anfängen nicht selten bis in die Jugend¬ 
zeit zurückreicht. Solche Kinder halten sich abseits ihrer Alters¬ 
genossen, neigen zu hochfahrendem, eitelem Wesen, sind miss¬ 
trauisch, sehr empfindlich und nachtragend, spinnen sich in Träu¬ 
mereien und Phantastereien ein, sind schwer zu überzeugen und 
zu korrigieren, lassen sich leicht zu Affekthandlungen hinreissen. 
Nur verständnisvolles, liebevolles Eingehen auf ihre Eigentümlich¬ 
keiten, ein fortgesetztes Werben um ihr Vertrauen und unmerk¬ 
liches, ununterbrochenes Bekämpfen ihrer hartnäckigen, rein sub¬ 
jektiven Vorstellungen, Anregung objektiver Interessen können 
zum Ziele führen und sind den Erziehern dringend an Herz 
zu legen. 

Auf das Jugendirresein, das sich besonders zur Zeit 
der Pubertät entwickelt und in seinem Beginn durch Reizbarkeit, 
triebartige Handlungen, durch ein Gemisch von Verlegenheit und 
Scheu und Geziertheit einerseits, von Grossmannssucht, läppisch¬ 
frechem Benehmen anderseits eingeleitet wird, könnte unter Um¬ 
ständen in Familienabenden hingewiesen und damit in manchen 
Fällen eine rechtzeitige Behandlung erzielt werden; zweiffellos 
hat der Medizinalbeamte als Gefängnisarzt Gelegenheit, dem Aus¬ 
bruch ausgesprochener paranoider Erscheinungen durch Beantra¬ 
gung der Haftentlassung oder Ueberführung in geeignete Behand¬ 
lung vorzubeugen. Auch den Ausbruch anderer Seelenerkrankungen 
im Gefängnis wird er durch sorgsame Beobachtung vielfach ver¬ 
hindern können. 

In der aktiv eingreifenden Fürsorge für die Geisteskranken 
spielt eine bedeutungsvolle Rolle der Begriff der „Gemein- 
gefährlichkeit“. Er ist zurzeit geradezu aktuell, weil unsere 
hervorragendsten Psychiater neuerdings gegen seine Ausdehnung 



aal die Fürsorge für Geisteskranke, Epileptiker and Idioten. 


125 


and Ueberwertung mehr oder weniger energisch Front gemacht, 
ihn in die Rüstkammer überwundener barbarischer Zeiten der 
Irrenbehandlung gewiesen haben. „Gemeingefährlichkeit 11 eines 
geisteskranken Menschen ist in der Tat kein psychiatrischer Begriff, 
auch kein rechtlicher, sondern ein verwaltungs - technischer. Er 
musste wohl oder übel von den Irrenärzten übernommen werden, 
und seine Auslegung schwankt nach der Anschauung des ein¬ 
zelnen in weiten Grenzen. Es empfiehlt sich daher, ihn fallen 
zu lassen und durch „gefährlich* 1 mit näherer Begründung, wes¬ 
halb und wie lange etwa gefährlich, zu ersetzen. Und das um 
so mehr, als der dehnbare Begriff des bisherigen „gemeingefähr¬ 
lich 11 viele harmlos und sozial mehr oder minder wieder lei¬ 
stungsfähig gewordene, als gemeingefährlich seiner Zeit einge¬ 
lieferte Geisteskranke auf Grund strenger gesetzlicher Vor¬ 
schriften 1 ) unnötig lange und zum Schaden ihrer verpflichteten 
Unterhalter in den Irrenanstalten zurückhält, diese selbst über¬ 
füllt. Diese Vorschriften sind deshalb so schwerwiegend für 
die Entlassung aus den Irrenanstalten, weil die Direktoren die 
von den in Betracht kommenden Polizeibehörden mitgeteilten Be¬ 
denken zu berücksichtigen haben, „welche aus ihrem Vorleben und 
den ganzen wirtschaftlichen und Familienverhältnissen gegen die 
Entlassung sprechen 11 ; also hier der Laienbegriff der Gemein¬ 
gefährlichkeit eine ganz erhebliche Rolle spielt. Muss aber da¬ 
vor gewarnt werden, den Begriff der Gemeingefährlichkeit nicht 
zu sehr auszudehnen und dort, wo er zu Recht besteht, bezügl. 
seiner Dauer nicht zu überschätzen, so ist ebenso eindringlich die 
Warnung gerechtfertigt, die Dauer der festgestellten Gemeingefähr¬ 
lichkeit nicht zu unterschätzen, nicht zu vergessen, dass die 
Erfahrungen über daB Verhalten eines Geisteskranken unter den 
Lebensbedingungen der Anstalt nicht ohne weiteres auf sein mut¬ 
massliches Verhalten im alltäglichen Leben mit seinen zahlreichen 
physischen Insulten übertragen werden können. Exempla docent. 

Dass gerade die von Laien für besonders gefährlich gehaltenen 
tobenden, lärmenden Geisteskranken im Grunde genommen viel 
weniger ihre Umgebung bezw. sich selbst gefährden, als die vor 
sich hinbrütenden, von innerer Angst gequälten, unter hoher 
innerer Spannung stehenden, ist für den in der Irrenheilkunde 
Bewanderten etwas Bekanntes. Immerhin wird der Medizinal¬ 
beamte, welcher seltener Gelegenheit hat, Geisteszustände zu 
begutachten, häufig unter sehr erschwerten Umständen sein Votum 
abzugeben hat und gleichwohl die volle Verantwortung und das 
ganze Odium dafür trägt, ob ein Geisteskranker zu Recht oder 
Unrecht einer Anstalt zugeführt wird, gut daran tun, sich gegen¬ 
wärtig zu halten, dass in der Skala der Gefährlichkeit die Alkohol¬ 
deliranten und die geisteskranken Epileptiker — und unter ihnen 
wieder die alkoholischen Epileptiker — mit Rücksicht auf den 
brutalen Charakter ihrer gewalttätigen Handlungen, und die letz¬ 
teren auch besonders ihrer absoluten Unberechenbarkeit wegen, 

') Siehe Erlaß des Ministers des Innern vom 15. Juni 1901, die Ent¬ 
lassung von gefährlichen Geisteskranken betreffend. 



126 Dr. Schwabe: Die Aufgaben der tfedizinalbeamten in bezog 

obenan stehen. Dann folgen etwa die chronischen Paranoiker, die 
unter dem ersten quälenden Ansturm ihrer Wahnideen stehen; 
auch sie sind insofern unberechenbar, als ihrer Umgebung der 
besondere Gegenstand ihrer Feindseligkeit ganz verborgen bleiben 
kann. Bekannt ist, dass paranoische Hypochonder es besonders 
häufig auf Aerzte, als die vermeintlichen Urheber ihrer ein¬ 
gebildeten Krankheiten, abgesehen haben. Die manisch Erregten 
werden gemeinhin nur gefährlich, wenn sie durch falsche Mittel 
an der Betätigung ihres Bewegungsdranges verhindert werden. 
Auch die an impulsivem bezl. degenerativem Irresein, hysterischem 
Irresein Leidenden, die ausgesprochen ethisch defekten Schwach¬ 
sinnigen neigen nicht selten zu gefährlichen Handlungen. Dass 
auch die in erster Linie sich selbst Gefährlichen, d. h. die zum 
Selbstmord neigenden Melancholiker und chronischen Alkoholiker, 
gleichzeitig für andere sehr gefährlich werden können, beweist 
eine hinter den wirklichen Zahlen noch erheblich zurückstehende 
Statistik für Deutschland aus den letzten 2 Jahren, nach der 
111 Kinder von geisteskranken Selbstmördern getötet worden sind. 
Es waren 49 Männer und 98 Frauen, von denen letztere vor¬ 
wiegend an Melancholie, die ersteren vorwiegend an chronischem 
Alkoholismus litten. Hätte man diese Geisteskranken rechtzeitig 
einer Anstalt übergeben, so wäre das Unglück wohl in den meisten 
Fällen verhütet worden. 

Gleichwohl ist es für die Stellung des grossen Publikums 
zu dem segensreichen Wirken der Anstalten für Geisteskranke 
charakteristisch, dass die grossen Tageszeitungen derartige traurige 
Vorfälle meistens ohne jeden Kommentar bringen, ja dass trotz 
derselben nach wie vor gegen die Irrenärzte Stellung genommen 
und durch Laienmitwirkung eine Sicherung gegen ungerecht¬ 
fertigte Anstaltsüberweisung verlangt wird. Es ist eine soziale 
Aufgabe der Medizinalbeamten, an der Hand solcher Vorkomm¬ 
nisse belehrend, autklärend und bessernd zu wirken. Der Me¬ 
dizinalbeamte tut, unbeschadet seines freien, pflichtgemässen Er¬ 
messens von Fall zu Fall, doch im allgemeinen gut, den Begriff 
der Gefährlichkeit eines Geisteskranken relativ scharf zu um¬ 
grenzen. 

Ein Geisteskranker muss als gefährlich einer An¬ 
stalt zugeführt werden, d. h. es liegt eine „absolute“ Indi¬ 
kation vor 

A. In bezug auf andere Personen: 

1. Wenn er Gesundheit und Leben seiner engeren und weiteren 
Umgebung, die Sittlichkeit der Familie und der Oeffent- 
lichkeit gefährdet oder 

2. die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit in dem Masse 
dauernd oder doch so häufig erheblich stört, dass er an¬ 
dauernd oder mit geringen Unterbrechungen in Polizei¬ 
gewahrsam gehalten werden muss. 

Diese Voraussetzungen zu 1 und 2 müssen durch sichere 
Tatsachen gegeben sein; Gerüchte, Vermutungen, unkontrollier¬ 
bare Mitteilungen genügen nicht. Nur wenn der Medizinalbeamte 



auf die Fürsorge für Geisteskranke, Epileptiker und Idioten. 127 

auf Grand eigener eingehender Präfang annehmen muss, dass die 
derzeitige anscheinende Ungefährlichkeit des Geisteskranken die 
Rahe vor dem sicheren Sturm bedeutet, dass in wenigen Tagen 
oder gar nur Stunden der Kranke die Konsequenzen aus seinen 
Wahnideen ziehen und sich zu gefährlichen Angriffen auf seinen 
oder seine vermutlichen Widersacher hinreissen lassen wird, 
braucht er Tatsachen nicht abzuwarten. Die relativ seltenen 
Fälle, in denen der Medizinalbeamte ohne behördlichen Auftrag 
von den Angehörigen eines Geisteskranken aufgefordert wird, die 
Notwendigkeit der Unterbringung in eine Anstalt zu attestieren, 
erfordern die allergrösste Vorsicht in der Begutachtung und 
Wertung der vorgebrachten Beweismittel für die Gefährlichkeit 
des betreffenden Kranken. Exempla docent. 

8. Wenn der Geisteskranke auf Grund verbrecherischer Nei¬ 
gungen nachweislich Leben, Gesundheit und materielles 
Gut seiner Mitmenschen schädigt, die Sittlichkeit gefährdet. 
Vereinzelte geringfügige Delikte genügen nicht für die 
Begutachtung der Gefährlichkeit. 

Die Beantwortung der Frage, ob verbrecherische Neigungen 
bei einem Kranken gewissermassen als separierte moralisch-ethische 
Defekte innerhalb der psychischen Gesundheitsbreite aufzufassen 
sind oder schon als Symptom seiner Geisteskrankheit, wird oft 
Schwierigkeiten bereiten. — Praktisches Interesse für die Anstalts* 
einweisung wird sie aber erst dann gewinnen, wenn die andere 
Frage befriedigend beantwortet sein wird, ob sich der Bau be¬ 
sonderer Anstalten für verbrecherische Irre empfiehlt. Eine 
Trennung zwischen diesen und den mit den Strafgesetzen nicht 
wesentlich in Konflikt geratenen Geisteskranken wird aber wohl 
erforderlich werden, je mehr sich einerseits der Charakter der 
Irrenanstalten immer stärker dem freier Krankenhäuser nähert, 
die Isolierung der Geisteskranken nur noch vereinzelt zur An¬ 
wendung gelangt; anderseits darauf Bedacht genommen wird, dem 
grossen Publikum die törichte Scheu vor der rechtzeitigen Unter¬ 
bringung des Geisteskranken in Anstalten zubenehmen. Vor der 
Hand dürfte es sich empfehlen, für verbrecherische Irre kleinere 
Stationen an die grossen Strafanstalten in grösserer Zahl, als das 
bisher geschehen ist, anzugliedern. 

B. In bezug auf seine eigene Person: 

Wenn der Geisteskranke Selbstbeschädigungen vornimmt oder 
offenbar dazu neigt; dazu gehören auch Nahrungsverweigerung, 
Verschlingen von Fäkalien und unverdaulichen Gegenständen, un¬ 
besiegbarer Widerstand gegen die Vornahme der notwendigsten 
körperlichen Pflege und therapeutischer Massnahmen, gewaltsames 
Verhalten von Harn und Kot, kurz alle Erscheinungen des schweren 
Negativismus, unbekämpfbare Ruhelosigkeit bis zur Tobsucht (auch 
ohne aggressiven Charakter). Schwere Depressionszustände, in¬ 
sonderheit reine Melancholie, werden ganz besondere Berücksich¬ 
tigung verlangen. Diese Zustände werden aber nur dann die 
Notwendigkeit der Anstaltsüberführung bedingen, wenn nachweis- 



128 Diskussion zu dem Vortrage: Die Aufgaben der Medizinalbeamten in 


lieh die häusliche Pflege zu ihrer zweckmässigen Bekämpfung 
nicht ansreicht. 

Besteht die Selbstbeschädigung des an und für sich nicht 
gefährlichen Geisteskranken nur darin, dass er durch sein Ver¬ 
halten sich oder auch die Seinen der Gefahr des Notstandes ans¬ 
setzt, dann ist, wie bekannt, die Entmündigung oder Pflegschaft 
dazu berufen, ihn zu schützen. 

Periodisch oder zirkulär Geisteskranke, solche mit erheblichen 
Remissionen ihrer Geisteskrankheit, auch die sogenannten Ver¬ 
schrobenen müssen von Fall zu Fall und besonders sorgsam auf 
ihre Anstaltsbedürftigkeit begutachtet werden. 

So wünschenswert auch in vielen Fällen zum Heil des Geistes¬ 
kranken allein oder auch seiner Familie eine frühzeitige Anstalts¬ 
überweisung sein mag (bessere Heiluugsaussichten, Verhütung von 
materiellen Schäden, Gesundheitsschädigungen der Angehörigen, 
erzieherischen Fehlgriffen, induziertem Irresein usw.), die Not¬ 
wendigkeit der zwangsweisen Ueberführung in eine Anstalt kann 
durch diese Erwägungen nicht begründet werden. 

Der Medizinalbeamte wird bei seiner Fürsorge für die Geistes¬ 
kranken und -Schwachen zu keiner Zeit vergessen dürfen, „dass 
es auf das Können, nicht auf das Wissen allein ankommt; dass 
Anschauung und Erfahrung auf dem festen Baugrund umfassender 
wissenschaftlichen und kritischen Vorbildung den Meister bilden, 
nicht der grüne Tisch oder Vielwisserei ohne eigene Arbeit, ohne 
klaren Blick, die nur Schematismus und Pedanterie zeitigen.“ — 
Der Pfad, den der Medizinalbeamte zu wandeln hat, um seiner 
Fürsorge-Aufgabe gerecht zu werden, ist mannigfach verschlungen 
und dornenvoll, er geht ihn aber arbeitsfreudig und des Erfolges 
seiner Kleinarbeit sicher, getragen von dem erhebenden Geföhl 
des Vertrauens, das ihm der Staat entgegenbrachte, als er die 
Aermsten der Armen seinem Schutz empfahl. 

(Lebhafter Beifall.) 

Vorsitzender: Ich eröffne die Diskussion. 

H. Prof. Dr. Cramer-Göttingen: M. H. 1 Ich habe mich außerordentlich 
gefreut, das Beferat des Herrn Schwabe zu hören, und ich kann ihm fast 
in allen Dingen nur zustimmen. Er hat zunächst den Wunsch ausgesprochen, 
der gewiß berechtigt ist, daß die Kreisärzte auch erfahren müssen, was aus 
dem Kranken geworden ist, den sie in die Anstalt geschickt haben. Das ist 
auch durchaus berechtigt. Bei uns in Hannover geschieht dies zur genüge, 
über jede Entlassung bekommt die Behörde, die die Aufnahme beantragt hat, 
eine Benachrichtigung. Es wäre vielleicht noch die weitere Möglichkeit, daß 
durch den Oberpräsidenten die Anstalten angewiesen werden, daß die Berichte 
weniger laienhaft und ausführlicher gehalten würden. 

Was nun die Pflege außerhalb der Anstalt anbetrifft, so ist dies eine 
sehr verantwortungsvolle Sache, aber sic ist auch außerordentlich wichtig. Bei 
einer Menge von Geisteskranken kann durch diese Aufsicht vermieden werden, 
daß der Kranke in die Anstalt kommt. Der Kreisarzt muß natürlich durch 
die Aerzte unterstützt werden, und wenn das Geld kostet, so wird das tausend¬ 
fach wieder eingebracht werden dadurch, daß die gemeingefährlichen Kranken 
keinen Schaden anrichten, und daß viele Kranke wieder gesund werden, die 
wir jetzt mit hohen Kosten dauernd verpflegen müssen. 

Noch etwas zur Prophylaxe. Dringend notwendig ist es da, daß der 
Kreisarzt eine ganz andere Stellung cinninunt. In die Ftirsorgepflcge kommen 



bezug auf die Fürsorge für Geisteskranke, Epileptiker und Idioten. 129 

die Kranken bei oder vor der Pubertät; viele Veränderungen, die zur Krimina¬ 
lität fuhren, sind aber veranlaßt während der Pubertät. Was nützt nun die ganze 
Fürsorgepflege, wenn ich einen Kranken vor mir habe; den Kranken kann nur 
der Arzt behandeln, aber die meisten Fürsorgepfleglinge entbehren der Be¬ 
handlung. Die Idiotenanstalten werden gewiß nicht so sehr mit Mißtrauen 
betrachtet wie die Irrenanstalten — das sind diejenigen, die unter geistlicher 
Leitung stehen — aber fragen Sie nur einmal, wie man über Langenhagen 
denkt! Die Gründe hierfür möchte ich hier nicht entwickeln, sie liegen tiefer. 

Was die vorläufigen Unterkunftsstellen für die Geisteskranken anbetrifft, 
so muß ich erklären, daß ich die Sache noch etwas anders ansehe. Meines 
Erachtens muß die Möglichkeit gegeben werden, jeden Geisteskranken sofort 
innerhalb weniger Stunden in eine Anstalt zu bringen; das Verfahren der vor¬ 
läufigen Unterkunftsstellen müßte also gänzlich vermieden werden. Nur die 
Möglichkeit, daß wir einen akut Geisteskranken sofort in die Anstalt hinein¬ 
schaffen, gibt die Möglichkeit, ihn so zu bessern, daß er draußen wieder sozial 
möglich ist. 

Dann hat der Herr Dr. Schwabe gesagt, daß die Gemeingefährlichkeit 
namentlich die Handhabe bietet, die Kranken in eine Irrenanstalt zu bringen. 
Ich möchte dem nicht nur widersprechen, weil ich fürchte, es würde in die 
Zeitungen kommen; nein, die erste Bedingung für eine Aufnahme ist, daß der 
Patient heilbar ist und daß er pflegebedürftig ist. Der Herr Minister hat ja 
selbst gesagt, daß wir bezüglich der Unterbringung der Kranken in die Irren¬ 
anstalten nicht auf die Gemeingefährlichkeit zurückgreifen sollen. Die Haupt¬ 
aufgabe der Irrenanstalten ist die Heilung von Geisteskranken, nicht die Ge¬ 
meingefährlichkeit ist entscheidend dafür. 

Nun die Schulärzte! In Göttingen haben wir die Einrichtung, daß, wenn 
dem Schularzt ein Kind als zurückgeblieben auffällt, dasselbe der Poliklinik 
zugeschickt wird. Sicher wird cs hier auch so sein. 

Ich möchte nochmals betonen, daß es mich besonders gefreut hat, daß 
der Redner sich der Geisteskranken und der Irrenanstalten so warm an¬ 
genommen bat. 

H. Geh. Med.-Bat Prof. Dr. Guttstadt-Berlin. M. H.! In dankenswerter 
Weise hat Herr Kollege Schwabe eine solche Fülle von Gesichtspunkten 
vorgetragen, daß cs sehr bedauerlich ist, daß wir uns wegen der vorgerückten 
Zeit einschränken müssen. Ich möchte daher auch nur einen Gesichtspunkt 
hervorheben. Die Fürsorge für die Geisteskranken hat schon im vorigen Jahr¬ 
hundert den Wunsch nach einer statistischen Aufnahme der Geistes¬ 
kranken auf kommen lassen. In den einzelnen Kreisen werden Listen geführt 
über die Geisteskranken, die durch die betreffende Behörde stets vervollständigt 
werden sollen. Da diese Methode nicht dazu geführt hat, die Zahlen sicher zu 
ermitteln, ist es schließlich dahin gekommen, bei Gelegenheit der Volkszählung 
Erhebungen darüber zu machen. Im Jahre 1870/71 ist die Zählung der Geistes¬ 
kranken zum ersten Male ansgeführt und auch mit ganz gutem Erfolge, weil 
damals zum ersten Male die Zählkartenmethode angewendet war. Im Anschluß 
an Zählungen in der Schweiz waren gewisse Unterlagen für die Beurteilung 
der ermittelten Zahlen gegeben, die für Preußen günstig ausfiel. Es wurde 
dann unterschieden zwischen Idioten und anderen Geisteskranken; die Ergeb¬ 
nisse waren jedoch nicht wertvoll genug. Auch inbezug auf andere Gebrechen 
wurden statistische Unterlagen bei Gelegenheit der Volkszählung, so über 
Blinde, gesammelt. Im Regierungsbezirk Düsseldorf sind z. B. die Blinden 
nach 1871 auf Grund der Volkszählungsergebnisse aufgesucht worden; mit 
großem Erfolge hat man segensreich für ihre Lage wirken können, sogar 
Heilungen sind herbeigeführt. Erst 1880 und dann 1895 sind die Zählungen 
der Gebrechlichen wiederholt. Im Jahre 1895 ist festgestellt, daß 88000 
Geisteskranke in Anstalten verpflegt wurden, während 46 000 außerhalb der An¬ 
stalten in den Familien ermittelt wurden. 

Nun habe ich Bchon bei Begründung der medizinalstatistischen Abteilung 
des Statistischen Bureaus eine Arbeit über die Geisteskranken in Preußen von 
1852 bis 1872 veröffentlicht und damals bereits den Wunsch begründet, 
daß an der Hand der Zählkarten bei der Volkszählung durch Sachver¬ 
ständige nachgewiesen werden möge, wieviel Geisteskranke und welcher Art 
wirklich vorhanden seien. Heute komme ich wieder darauf zurück, weil wir 

9 



130 


Schiaß der Sitzung. 


vor einer Volkszählung stehen, in der ebenfalls wieder die Zählung der Geistes¬ 
kranken ausgeführt wird, ob es nicht möglich ist, eine Nachprüfung dieser 
Ergebnisse durch Aerzte herbeizuführen. Wenn man diese Gelegenheit benutzt, 
an der Hand der Volkszählung die Gebrechlichen durch die Kreisärzte fest- 
steilen zu lassen, so würde dadurch eine vorzügliche Grundlage für ihre weitere 
Tätigkeit geschaffen. Ueberhaupt könnte dadurch die Wirksamkeit des Kreisarztes 
eine Ausdehnung erfahren, die ihm eine andere Stellung gibt. Er muß aller¬ 
dings ein besonderes Zimmer haben und geeignete Schreibkräfte, ebenso wie der 
Gerichtsarzt. Die Höhe seiner Aufgabe kann er nur dann erreichen, wenn er 
in dieser Weise von dem Schreibwerk entlastet wird. Es ist durchaus nötig, 
ihn so zu stellen, daß ihm bureaumäßig die Einrichtungen gegeben werden, 
die zum Kreis- und Gerichtsarztamt gehören. (Beifall.) 

H. Beg.- u. Geh. Med.-Bat Dr. Guertler-Hannover: M. H.! Es ist zu 
bedauern, daß die eingehenden und wertvollen Ausführungen des Herrn Befe¬ 
renten wegen der vorgerückten Zeit eine eingehende Besprechung nicht mehr 
ermöglichen. 

Für die Ausübung der Fürsorge für die Geisteskranken durch den Kreis¬ 
arzt erscheint mir in erster Linie nötig, die Zahl und den Aufenthalt der 
Kranken zu kennen. Es läßt sich dies, wie wir gesehen haben, auf verschiedenen 
Wegen erreichen. Als besonders beachtenswert — Tim möglichst sichere An¬ 
gaben zu erhalten, dürfte sich das Verfahren, das auch im Regierungsbezirk 
Hannover eingeleitet ist, empfehlen, also für die erste Feststellung der in 
den Kreisen vorhandenen Geisteskranken unter Benutzung besonderer Verzeich¬ 
nisse, bezw. Fragebogen, auch die Hilfe der praktischen Aerzte bei den durch 
Kreisarzt und Obrigkeit anzustellenden Ermittelungen in Anspruch zu 
nehmen. 

M. H.! Um das heute gewonnene, sehr schätzbare Material zur ferneren 
ersprießlichen Verarbeitung gelangen zu lassen, möchte ich vorschlagen, es 
dem Vorstande zur weiteren Veranlassung zu überweisen, mit der besonderen 
Bitte, dabei auch in eine eingehende Prüfang einzutreten, in welcher Weise 
die zur Ueberwachung der Geisteskranken zunächst nötigen Ermittelungen am 
zweckmäßigsten anzustellen sind und danach auf eine allgemeine Empfehlung 
der als besonders geeignet erscheinenden Mittel und Wege hinzuwirken. 

Die Versammlung beschließet hierauf, die Angelegenheit dem 
Vorstande zur Behandlung und weiteren Veranlassung zu fiber¬ 
weisen. 

Vorsitzender: Ich habe noch mitzuteilen, dass der Vorstand 
ein Beileidstelegramm an den Vorsitzenden H. Geheimrat Dr. 
Bapmund gesandt und dass dieser telegraphisch seinen Dank 
ausgesprochen hat. 

M. H.! Wir sind am Schlüsse unserer Tagesordnung an¬ 
gelangt. Mit dem Ausdrucke unseres Dankes an die Stadt 
Hannover, die uns diesen schönen Saal zur Verfügung gestellt, 
sowie an das Lokalkomitee, dass uns diese Tage so angenehm 
gestaltete, schliesse ich die 22. Hauptversammlung des Preussischen 
Medizinalbeamten - Vereins. 

H. Reg.- und Med.-Rat Dr. Guertler-Hannover bringt 
darauf ein lebhaft aufgenommenes Hoch auf den Vorstand ans. 

Schluß der Sitzung gegen 1*/» Uhr nachmittags. 

Nach einem zwangslosen Mittagessen fanden am Nach¬ 
mittag um 8 Uhr die Besichtungen statt. Zunächst wurde die 
tierärztliche Hochschule eingehend besichtigt unter Führung 



Schloß der Sitzung. 


131 


des H. Geh. Reg.-Rats Prof. Dr. Dam mann, sodann das städti¬ 
sche Wasserwerk und das städtische Krankenhaus I besucht. 
Die Herren Direktor Bock und Chefarzt Prof. Dr. Reinhold 
waren so liebenswürdig, die Teilnehmer zu empfangen und zu 
führen. 

Am Sonntag, den 30. April machten eine grössere An¬ 
zahl der Teilnehmer mit ihren Damen einen Ausflng nach Hildes- 
heim, wo sie in freundlichster Weise von H. Reg.- und Med.- 
Rat Dr. Arbeit empfangen und geführt wurden. 





Präsenzliste. 


Provinz Ostpreussen. 

Dr. Puppe, Gerichtsarzt, Med.-Bat u. Prof, in Königsberg i. Pr. 

- Bomeick, Kreisarzt in Mohrungen. 

Provinz Westpreussen. 

Dr. H a a s e, Kreisarzt u. Med.-Bat in Danzig. 

- König, Kreisarzt in Könitz. 

Berlin mit den Stadtkreisen 
Charlottenburg, Sohöneberg und Rixdorf. 

Dr. Elten, Kreisarzt u. Med.-Bat in Berlin. 

- Guttstadt, Geh. Med.-Bat u. Prof, in Berlin. 

- Schmidt mann, Geh. Ober-Med.-Bat u. Prof, in Berlin (Vertreter des 

Herrn Kultusministers). 

Provins Brandenburg. 

Dr. Nickel, Kreisarzt in Perleberg. 

- Wiedner, Kreisarzt u. Geh. Med.-Bat in Kottbus. 

Provins Posen. 

Dr. Bekkcr, Kreisarzt in Wongrowitz. 

Provinz Schlesien. 

Dr. P a u 1 i u i, Kreisarzt u. Med.-Bat in Militsch. 

- Steinberg, Kreisarzt in Hirschberg. 

Provinz Sachsen. 

Dr. Dütschke, Bcg.- u. Med.-Bat in Erfurt. 

- Curtius, Kreisarzt in Gr. Kamsdorf. 

- Fielitz, Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat in Halle a. S. 

- Keferstein, Gerichtsarzt in Magdeburg. 

- Kluge, Kreisarzt in Wolmirstedt. 

- Koppen, Kreisarzt u. Geh. Med.-Bat in Heiligenstadt. 

- Pantzer, Kreisarzt in Sangcrhauscn. 

- Bothmalcr, prakt. Arzt in (lerbstedt, staatsärztl. approb. 

- Schade, Kreisarzt in Ncuhaldcnslebcn. 

- Straßner, Kreis- u. Stadtarzt und Med.-Rat in Magdeburg. 

- Wodtke, Reg.- u. Med. -Rat in Merseburg. 

- Ziemkc, a. o. Prof, der gcricbtl. Medizin u. Gerichtsarzt in Halle a.,'S. 



Präsenzliste. 


133 


ProYin* Sohleewig-Holstein. 

Dr. Rohwedder, Kreisarzt in Ratzebarg. 

- Schröder, Stadtarzt in Altona. 

Prorlns HannoYer. 

Dr. A r b e i t, Reg.- u. Med.-Rat in Hildesheim. 

- Barth, Kreisarzt in Bassum. 

- Berger, Kreisarzt a. Direktor der Künigl. Anstalt zar Gewinnung 

tierischen Impfstoffs in Hannover. 

- Brandt, Kreisarzt in Lüchow. 

- Gramer, Prof. u. Direktor der Prov.-Heil- u. Pflegeanstalt, der psychiatr. 

Universitäts-Klinik and der Poliklinik f. psych. and Nervenkranke 
in Göttingen. 

- Drewes, Kreisarzt in Walsrode. 

- Elsaesser, prakt. Arzt in Hannover, staatsärztl. approb. 

Eyl, Stadtsyndikus in Hannover (als Gast). 

- Dammann, Geh. Reg.-Rat u. Prof., Direktor der tierärztlichen Hochschale 

(als Gast). 

- Finger, Reg.- u. Med.-Rat in Stade. 

- Frech, Kreisassistenzarzt in Hannover. 

Friedberg, Landgerichtspräsident in Hannover (als Gast). 

- Gaehde, Kreisarzt and Med.-Rat in Blamenthal. 

- Guertler, Reg.- n. Geh. Med.-Rat, Mitglied des Medizinal-Kollegiums 

hi Hannover. 

- Halle, Kreisarzt u. Med.-Rat in Bargdorf. 

- Halle in Hannover (als Gast). 

- Helwes, Kreisarzt in Diepholz. 

- Ho che, Kreisarzt in Geestemünde. 

- Holling, Kreisarzt a. Med.-Rat in Soegel. 

„ v. Ihering, Amtsgerichtsrat in Hannover (als Gast). 

- Itzerott, Kreisarzt in Uelzen. 

- Kriege, Landrat in Hannover (als Vertreter des Herrn Oberpräsidenten). 
Lange, Regierangsrat in Hannover (als Gast). 

- I. angerhans, Kreisarzt, Med.-Rat u. Direktor der Hebammen-Lehranstalt 

in Celle 

- Lemmer, Kreisarzt a. Med.-Rat in Alfeld a. L. 

- Meyer, Kreisarzt a. Med.-Rat in Dannenberg. 

- Meyer, Kreisarzt in Gifhorn. 

- Müller, Kreisarzt in Rotenbarg. 

- N ö 11 e r, Reg.- a. Geh. Med.-Rat in Lünebarg. 

- Ocker, Kreisarzt in Verden. 

- Olivet, prakt. Arzt in Northeim, staatsärztL approb. 

v. Philipsborn, Regierangspräsident in Hannover (als Gast). 

- Picht, Kreisarzt in Nienburg. 

• Plinke, Kreisarzt in Hannover. 

• Poten, Direktor der Hebammen-Lehranstalt in Hannover (als Gast). 

- Reinhold, Prof, und Medizinalassessor in Hannover. 

- Richter, Kreisarzt, Med.-Rat a. Stabsarzt a. D. in Peine. 

- R i e h n, Kreisarzt a. Med.-Rat in Klaasthal L Harz. 

- Range, Prof. a. Geh. Med.-Rat in Göttingen (als Gast). 

- Sährendt, Kreisarzt in Zeven. 

- Schmal faß, Med.-Rat in Hannover. 

- Schnelle, Kreisarzt in Hildesheim. 

- Schwabe, Gerichtsarzt in Hannover. 

- Seelig, prakt. Arzt in Hannover, staatsärztL approb. 

• Stechow, General- a. Korpsarzt in Hannover (als Gast). 

- Stolper, aaßerordentl. Professor and Kreisarzt in Göttingen. 

- Strohmeyer, San.-Rat in Hannover (als Gast). 

- Th ölen, Kreisarzt n. Med.-Rat in Papenburg. 

• West rum, Kreisarzt in Springe. 

ProYinn Westfalen. 

Dr. Bonthaas, Kreisarzt u. Med.-Rat in Paderborn. 



134 


Präsenzliste. 


Dr. Br an di8, prakt. Arzt in Bielefeld, staatsärztl. approb. 

- Deutsch, prakt Arzt in Neuhaus, staatsärztL approb. 

- Kluge, Kreisarzt u. Med.-Rat in Höxter. 

- Krummacher, Heg.* u. Med.-B.at in Münster. 

- Löer, Kreisarzt in Büren. 

• Nünninghoff, Kreisarzt u. Med.-Bat in Bielefeld. 

- Rapmund 1 ), Reg.- u. Geh. Med.-Rat in Minden. 

- Rheinen, Kreisarzt u. Med.-Rat in Herford. 

• Ritter, Kreisarzt in Lübbecke. 

- Schlautmann, Kreisarzt in Münster. 

• Schlüter, Kreisarzt u. Med.-Rat in Gütersloh. 

• Stühlen, Kreisarzt in Gelsenkirchen. 

- Suedhoelter, Kreisarzt in Minden. 

• Wolf, prakt. Arzt in Minden L W., staatsärztl. approb. 

PrOTinn Hessen-Nassau. 

Dr. Börner, Oberstabsarzt a. D. n. Kreisarzt in Eschwege. 

- Cöster, Kreisarzt u. Med.-Rat in Rinteln. 

- Dohrn, Kreisassistenzarzt u. Assistent an der Königl. Anstalt zur Ge¬ 

winnung tierischen Impfstoffs in Cassel. 

- Eichenberg, Kreisarzt u. Med.-Rat in Hanau. 

• Rockwitz, Reg.- u. Med.-Rat in Cassel. 

• Sch erb, Kreisarzt in Fritzlar. 

Rheinproxins und Hohensollern. 

Dr. Kr ohne, Kreisarzt und ständiger Hülfsarbeiter bei der Königl. Regierung 
in Düsseldorf. 

- Rusack, Reg.- u. Med.-Rat in Köln. 

- Schrakamp, Stadtarzt in Düsseldorf. 

- Wex, Kreisarzt u. Med.-Rat in Düren. 


>) Hat nur an der Vorstandssitzung am Begrüßungsabend teilgenommen. 










Deutscher Medizinalbeamten-Verein. 


Offizieller Bericht 


über die 

Vierte Hauptversammlung 


Heidelberg 

am 8. und 9. September 1905. 



Berlin 1905. 


FISCHER’S MEDIZINISCHE BUCHHANDLUNG. 

H. Kornfeld. 

Herzog). Bayer. Hof- and Erzherzogi. Kammer - Buchhändler. 



J. C. C. Brun*, Herzog!. fc&eha. u. Fürst! Kch.-L Hofbuchdruckerei ln Mlndtn. 



Inhalt 


Erster Sitzungstag. Stlu 

1. Eröffnung der Versammlung. 1 

2. Geschäfts* und Kassenbericht; Wahl der Kassenrevisoren .... 7 

3. Gerichtsärztliche Wünsche in bezug auf die bevorstehende Beform der 

Strafprozeßordnung. 9 

Berichterstatter: 

Prof. Dr. Heimberger-Bonn.10, 87 

Prof. Dr. Straßmann-Berlin . 13 

Prof. Dr. Aschaffenburg-Cöln a./Bh. 24 

4. Bericht der Kassenrevisoren. .... 54 

Zweiter Sitzungstag. 

1. Die Beaufsichtigung der Geisteskranken außerhalb der Anstalten 

Erster Beferent: Dr. Weber-Göttingen. 55 

Zweiter Beferent: Kreisarzt Prof. Dr. Stolper-Guumgen . . 63 

2. Vorstandswahl. 72 

3. Abwasserreinigung mit Bücksicht auf die Beinigung der Wasser laufe. 

a) Die Beinhaltung der Wasserläufe vom sanitätspolizeilichen und 
verwaltungsrechtlichcn Standpunkt. Beferent: Beg. u. Med.-Bat 

Dr. Dütschke -Erfurt. 72 

b) Die Abwasserreinigung mit Bücksicht auf die Beinhaltung der 

Wasserläufe vom hygienisch - technischen Standpunkt. Be¬ 
ferent: Prof. Dr. K. Thumm-Berlin. 95 

Anhang: Zusammenstellung der in den deutschen Bundesstaaten beste¬ 
henden wichtigeren gesetzlichen Vorschriften über die Beinhal¬ 
tung der Gewässer.113 

Mitgliederverzeichnis.125 


->^n/WW\AA/V\A/\ 















Erster Sitzungstag. 


Freitag, den 8. September, vormittags ö l / 2 Uhr 

im Zammermualkiaal« der St&dthall«. 


I. Eriffiiag dir Versanaltiig. 

H. Reg.- u. Geh. Med.-Med.-R&t Dr. Rapmund-Minden 
i. W., Vorsitzender: M. H.! Im Namen des Vorstandes heisse 
ich Sie herzlich willkommen! Nachdem unser Verein im vorigen 
Jahr im fernen Osten des Deutschen Reiches getagt hatte, hielt 
es der Vorstand für billig, diesmal unsere Hauptversammlung im 
Westen unseres Vaterlandes abzuhalten, damit die hier wohnenden 
zahlreichen Vereinsmitglieder auch einmal an einer solchen ohne 
grosse Kosten und erheblichen Zeitverlust teilnehmen könnten. 
Ausserdem sind einem früheren Beschlüsse gemäss Zeit und Ort 
so gewählt, dass es den Teilnehmern an der Versammlung er¬ 
möglicht wird, im Anschluss an diese auch die Jahresversamm¬ 
lung des Deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege zu 
besuchen. Zwischen beiden Versammlungen ist diesmal allerdings 
ein mehrtägiger Zwischenraum; Heidelberg und seine Umgebung 
bieten aber so prachtvolle Naturschönheiten, dass es sicherlich 
Niemand bereuen wird, wenn er auf diese Weise gezwungen wird, 
seinen Aufenthalt hier etwas zu verlängern. 

M. H.! Von den Beratungsgegenständen unserer diesmaligen 
Tagesordnung hat uns einer: „Gerichtsärztliche Wünsche mit 
Rücksicht auf die bevorstehende Neubearbeitung der Strafprozess¬ 
ordnung“ bereits auf der vorjährigen Versammlung beschäftigt; 
seine nochmalige Aufstellung entspricht dem damals gefassten 
Beschluss, auf dessen Ausführung ich später noch zurückkommen 
werde. Die beiden anderen Themate berühren Fragen aus dem 
Gebiete der öffentlichen Gesundheitspflege, so dass auch in diesem 
Jahre die Hauptzweige unserer amtlichen Tätigkeit auf der Tages¬ 
ordnung Berücksichtigung gefunden haben. Alle drei Beratungs¬ 
gegenstände sind aber von so grosser und weitgehender Bedeu- 

1 



2 


Eröffnung der Versammlung. 


tung, dass sie einer gründlichen Erörterung bedürfen. Mit dem 
Wunsche, dass sie diese hier finden nnd sich unsere Beratungen 
darüber nach jeder Richtung hin befriedigend nnd erspriessUch 
gestalten mögen, eröffne ich die heutige Versammlung! 

M. H.! Vor Eintritt in die Tagesordnung liegt mir noch 
die angenehme Pflicht ob, dem Landesausschuss auch an dieser 
Stelle unseren herzlichen Dank für die ausserordentliche Liebens¬ 
würdigkeit auszusprechen, mit der er die Vorbereitungen zu 
unserer Hauptversammlung bereitwilligst übernommen nnd sich 
in jeder Weise bemüht hat, uns den Aufenthalt hierselbst so an¬ 
genehm wie möglich zu machen. Gleichzeitig möchte ich diesen 
Dank auf Herrn Oberbürgermeister Dr. Wilckens hierselbst 
und auf den hiesigen Stadtrat ausdehnen, der uns nicht nur 
diese Festräume, sondern auch eine Anzahl Exemplare der 
Schrift: „Acht Tage in Heidelberg“, sowie Eintrittskarten za der 
städtischen Kunst- und Altertümer-Sammlung und zu den Kon¬ 
zerten des städtischen Orchesters zur Verfügung gestellt hat. 

M. H.! Weiterhin habe ich die Ehre, als hochverehrte Gäste 
in unserer Mitte begrüssen zu können die Herren: Geh. Ober- 
Reg.-Bat Pfisterer in Mannheim als Vertreter des Grossherzogi. 
Badischen Staatsministeriums des Innern, Geh. Beg.-Bat Becker 
hierselbst, Bürgermeister Prof. Dr. Walz als Vertreter des hie¬ 
sigen Stadtrats; Ober-Med.-Bat Dr. v. Guss mann-Stuttgart, 
Med.-Bat Prof. Dr. Gumprecht-Weimar, Med.-Bat Dr. Engel¬ 
brecht-Braunschweig und Geh. Med.-Bat Dr. Bayer-Sonders¬ 
hausen als Vertreter der Regierungen der betreffenden Bundes¬ 
staaten. Im Namen des Vereins heisse ich Sie, hochverehrte 
Herren, herzlich willkommen und spreche Ihnen, wie den Behörden, 
die Sie vertreten, nnsern verbindlichsten Dank dafür ans, dass 
Sie unserer Einladung in so liebenswürdiger Weise gefolgt sind. 

H. Geh. Ober-Regierungsrat Dr. Pfisterer - Mannheim: 
Meine hochverehrten Herren! Seitens des Grossherzoglichen Mi¬ 
nisteriums des Innern ist mir der ehrenvolle Auftrag geworden, 
der vierten Hauptversammlung des Deutschen Medizinalbeamten- 
Vereins als Vertreter des Ministeriums beizuwohnen. Indem ich 
meiner Freude darüber Ausdruck gebe, dass Sie sobald nach der 
Gründung des Vereins den Weg zu uns nach Baden gefunden 
haben, heisse ich Sie aufs Herzlichste willkommen. 

Unter den verschiedenen Gebieten, deren Pflege als Zweck 
Ihres Vereins bezeichnet ist, werden Sie in dem Landesteil, in 
dem Sie in diesem Jahre Ihre Beratungen pflegen, und besonders 
in Heidelberg lebhaftes Interesse vorfinden. 

Ein wichtiges von Ihnen bearbeitetes Gebiet ist die Irren- 
pflege. Sie haben ausser der Universitäts-Irrenklinik hier in 
Neckargemünd eine Nervenheilanstalt; im laufenden Jahre ist 
in Sinsheim der Neubau der Kreispflegeanstalt errichtet, der für 
250 Köpfe Platz hat und einen Kostenaufwand von etwa */• Million 
Mark verursachte, eine Anstalt, die nach den neuesten Erfahrungen 
eingerichtet und deren Besuch den Herren ganz besonders zu 



Eröffnung der Versammlung. 


3 


empfehlen ist. In dem nicht weit entfernten Wiesloch ist eine 
staatliche Heil- and Pflegeanstalt im Bau begriffen, die für 1200 
Köpfe Unterkunft schaffen soll, und auf etwa 7—8 Millionen Mark 
kommen wird. Es ist diese Anstalt bereits im Bau soweit vor¬ 
geschritten, dass noch im Laufe des Jahres ein Teil derselben 
belegt werden soll. Um das Bild zu vervollständigen, ist ferner 
zu erwähnen, dass in dem auch nicht weit entfernten Weinheim 
sich die Kreispflegeanstalt für den Kreis Mannheim befindet, wo 
durchschnittlich 200 Insassen untergebracht sind; in Mosbach ist 
eine Idioten-Anstalt für Idioten und Epileptiker (nicht Er¬ 
wachsene^, die in kurzer Zeit erweitert werden soll, damit auch 
Erwachsene dort Aufnahme finden können. Ich kann den geehrten 
Herren den Besuch der einen oder anderen dieser Anstalten nur 
dringend empfehlen. Die genannten Städte sind sämtlich von 
hier aus bequem und mit der Bahn in kurzer Zeit zu erreichen; 
ich empfehle ganz besonders die Anstalt in Sinsheim zur Besich¬ 
tigung. 

Auch auf einem anderen Gebiete ist ein reges Leben bei 
uns wahrzunehmen; es ist das Gebiet der Wasserversorgung. 
Dass die grösseren Städte bereits eine regelrechte Wasserver¬ 
sorgung haben, ist bekannt. Mannheim hat eine GrundwasserVer¬ 
sorgung, Heidelberg hatte ursprünglich Quellwasser, musste aber 
im Laufe der Zeit ebenfalls zur Grundwasserversorgung über¬ 
gehen. — Aber nicht nur die grösseren Städte haben in diesem 
Landesteil eine regelrechte Wasserversorgung, auch in den 
kleineren Städten finden Sie zentrale Wasserleitungen und selbst 
die kleinen Landgemeinden beginnen immer mehr den sanitären 
Vorteil einer ordnungsmässigen Wasserversorgung einzusehen. 
Nicht nur diejenigen Gemeinden, die im Gebirge liegen, haben 
sich Wasserleitungen angelegt, sondern auch draussen in der 
Ebene beginnen die Gemeinden damit. Die Herren von Ihnen, 
welche bei Tageslicht die Beise hierher beendet haben, werden 
da und dort Wassertürme beobachtet haben, als Beweis dafür, 
dass hier eine kleine Gemeinde sich mit einer Wasserleitung ver¬ 
sehen hat. 

Mit der Wasserversorgung steht ein anderes Ihrer Arbeits¬ 
gebiete, die Entfernung der Abwässer, in enger Verbin¬ 
dung; Sie haben ja auch für den zweiten Sitzungstag einen Teil 
dieses Gegenstandes zur Beratung angesetzt. Die Kanalisierungs¬ 
frage ist für die Städte eine überaus wichtige, und es werden 
wohl morgen die hauptsächlichsten Gegensätze auf diesem Gebiet, 
ob Tonnensystem, ob Schwemmkanalisation, ob Klärung der Ab¬ 
wässer auf mechanischem oder chemischem Wege, biologisches 
System u. s. f., ausgedehnt zur Sprache kommen; das wird hier 
in Heidelberg umsomehr geschehen, als hier der klassische Boden 
für die Einführung des Tonnensystems ist. Die Stadt Mannheim 
hat vor Kurzem die Schwemmkanalisation in den Bhein durch¬ 
geführt; es sind die Kanäle überall hergestellt, ebenso wie die 
ausgedehnten Kläranlagen; die Einrichtung ist seit 2—8 Monaten 
im Betriebe, Schwierigkeiten gemacht hat nur die Entfernung 

l* 



4 


Eröffnung der Versammlung. 


der in der Kläranlage verbliebenen festen Bestandteile. In 
Heidelberg steht z. Z. ebenfalls ein Projekt der Schwemmkana¬ 
lisation (System RienschJ in Beratung, über deren Schicksal 
vorläufig allerdings noch nichts sicheres zu sagen ist. Auch in 
den Landgemeinden, wo die Kanalisation im allgemeinen nicht so 
dringend ist, finden Sie eine rege Arbeit; in vielen Landgemeinden 
in der Eheinebene hat man früher mangels geeigneter Wasser¬ 
läufe Gruben zur Aufnahme der Abwässer angelegt, die Häuser 
der wachsenden Gemeinden sind so nahe an diese Gruben heran¬ 
gerückt, dass sie beseitigt werden müssen; damit beginnen auch 
hier nach und nach bessere Verhältnisse einzutreten. 

Ich habe mir erlaubt, Ihnen dies Alles kurz anzuführen, 
damit Sie sehen, dass die Zwecke Ihres Vereins und auch die 
Beratungen nicht nur bei den Verwaltungen des Staates, der Kreise 
und Gemeinden, sondern auch in den weitesten Kreisen der Be¬ 
völkerung volles Interesse finden werden. Es ist, m. H., darüber 
kein Zweifel, dass die wichtigsten Fragen der Gesundheitspflege 
nicht durch die Wissenschft allein gelöst werden können, viel¬ 
mehr nur durch ein inniges Zusammenarbeiten der Männer der 
Wissenschaft und der Praxis, und Sie haben auch Ihrerseits dieses 
Zusammenarbeiten auf die Fahne Ihres Vereins geschrieben. 
Diese gemeinsame Arbeit ist es eben, die die volle Garantie für 
ein praktisches, brauchbares Resultat ihrer Beratungen bietet. 
Aus diesem Grunde wird die Grossherzogliche Regierung den Be¬ 
ratungen der vierten Hauptversammlung des Deutschen Medizinal- 
beamten -Vereins mit der grössten Aufmerksamkeit lolgen in der 
Ueberzeugung, dass die Versammlung aus dem reichen Schosse 
der Erfahrungen ihrer Mitglieder der Regierung so manchen wich¬ 
tigen Fingerzeig geben wird zur Anbahnung segensreicher Fort¬ 
schritte auf dem Gebiete der Hygiene, der öffentlichen Gesund¬ 
heitspflege, der gerichtlichen Medizin und der Psychiatrie. Ich 
schliesse mit dem herzlichen und aufrichtigem Wunsche, dass 
Ihre Beratungen dem gesunden, wie dem leidenden Teil der Mensch¬ 
heit zum Heil und Segen gereichen mögen! 

(Lebhafter Beifall.) 

H. Bürgermeister Prof. Dr. Walz-Heidelberg: Hochverehrte 
Versammlung! Mir ist der ehrenvolle Auftrag geworden, die 
vierte Tagung der deutschen Medizinalbeamten im Namen der 
städtischen Verwaltung zu begrüssen und den Dank dafür aus¬ 
zusprechen, dass Ihr Verein Heidelberg zum Ort seiner Verhand¬ 
lungen gewählt hat. 

M. H.! Wir haben uns gefreut darüber, dass Sie nach 
Heidelberg gekommen sind, nicht nur deshalb, weil es uns 
Heidelbergern immer wohl tut, wenn Fremde zu uns kommen, 
um mit uns die Schönheiten zu gemessen, mit denen die Natur 
unsere Gegend so reich aussestattet; nein! es ist ein besonderes 
engeres Band, das uns in der städtischen Verwaltung mit Ihnen 
verknüpft. 

Sehen Sie sich die Voranschläge unserer Städte an, so werden 



Eröffnung der Versammlung. 


5 


Sie finden, dass neben der Fürsorge für den Unterricht und das 
Verkehrswesen vor allem die öffentliche Gesundheitspflege 
es ist, welche die bedeutendsten Anforderungen an die Gemeinden 
stellt. Sobald unsere Städte nach der schweren Zeit des wirtschaft¬ 
lichen Elends der vorhergehenden Jahrhunderte sich wieder etwas 
emporgearbeitet hatten, waren es in erster Linie Aufgaben der 
Gesundheitspflege, die mit starken Ansprüchen an sie herantraten 
und deren Lösung mit ernstem Streben betrieben wurde. Wenn es 
den Städten gelungen ist, auf diesem Gebiete vieles und grosses 
zu schaffen, so war dies aber nicht allein ihrer eigenen Kraft 
und Leistungsfähigkeit zu danken. Ein wesentliches Verdienst 
an dem, was zu Stande gekommen, ist darauf zurückzuführen, 
dass die Städte bei dieser Arbeit in Ihren Kreisen, an den Me¬ 
dizinalbeamten, treue Mitarbeiter und Freunde gefunden, die all 
ihr Wissen und Können den Gemeinden zur Verfügung stellten, 
und wenn sie mitunter auch viel verlangten, doch stets bestrebt 
waren, das Beste der Gemeinden mit zu fördern. Wir hoffen, 
dass dies gute Verhältnis zwischen den Medizinalbeamten und 
den Städten auch fernerhin bestehen bleiben wird; denn, wenn 
auch manches geschehen, so ist doch noch vieles zu tun für die 
Zukunft. 

Mit diesem. Wunsche heisse ich Sie in den Mauern Heidel¬ 
bergs herzlich willkommen. Möge der Verlauf Ihrer gegenwär¬ 
tigen Tagung für Ihre Bestrebungen nutzbringend sein und möge 
der Himmel, der heute so wenig gnädig dareinschaut, es Ihnen 
gestatten, dass Sie auch die Erholung gemessen können, die Sie 
hier erwartet und die Sie nach Ihrer Arbeit auch verdient haben! 

(Bravo.) 

H. Med.-Rat Dr. Becker, Bezirksarzt in Offenburg: Hoch¬ 
geehrte Herren! Es ist mir eine ganz besondere Freude, dass 
es mir vergönnt ist, Ihnen heute im Namen des staatsärztlichen 
Vereins des Grossherzogtums Baden den herzlichsten Willkommen- 
gruss der badischen Kollegen entbieten zu dürfen. Meine Freude 
ist um so grösser, als ich überzeugt bin, dass die heute hier 
tagende vierte Hauptversammlung des Deutschen Medizinalbeamten- 
VereinB dazu angetan ist, den Anschluss der badischen Kollegen 
an den Deutschen Medizinalbeamten-Verein in noch höherem 
Masse, als dies seither geschehen ist, zu fördern und dazu beizu¬ 
tragen, den Bing, der alle deutschen Medizinalbeamten in einen 
grossen Verein zusammenfassen soll, fester und fester zu schliessen. 

Die Entwicklung der Hygiene, speziell ihre Anwendung auf 
die praktische Gesundheitspflege, die Förderung der Psychiatrie 
und der gerichtlichen Medizin und deren Uebertragung auf die 
praktischen Verhältnisse des Lebens stellen heute so hohe Anfor¬ 
derungen an das Wissen und Können des einzelnen Medizinal¬ 
beamten, dass dieser bestrebt sein mnss, im Widerstreit der Mei¬ 
nungen sein Urteil tunlichst zu klären und auf wissenschaftlicher 
Höhe zu behaupten. 

Dies ist dem Einzelnen ans sich heraus nicht gut möglich; 



6 


Eröffnung der Versammlung. 


dagegen im Anschluss an einen Verband, in dem die ihn inter¬ 
essierenden Fragen auf breitester Grundlage erörtert, in dem die 
Erfahrungen der Allgemeinheit dem Einzelnen zur Verfügung 
gestellt werden, wird dieses Ziel leichter erreicht. Aus diesen 
Gründen heraus begrüsse ich die Versammlung in einer der 
schönsten Perlen unseres badischen Städtekranzes. Die heutige 
Versammlung wird geeignet sein, die Kollegen aus der südwest¬ 
lichen Ecke Deutschlands jenen des ganzen Reiches näher zu 
bringen zu gemeinsamem Wirken, zu gemeinsamem Arbeiten, znm 
Vorteil unserer Wissenschaft. In diesem Sinne herzlich willkommen 
im schönen Heidelberg, willkommen im Lande Baden! 

(Bravo!) 

Vorsitzender: Im Namen des Vereins spreche ich den 
Herren Vorrednern für die so freundlichen Begrüssungsworte und 
herzlichen Wünsche für den Verlauf unserer diesjährigen Tagung 
wie für das fernere Wachstum und Gedeihen unseres Vereins 
unseren verbindlichsten Dank aus. Haben wir doch daraus ent¬ 
nommen, dass wir hier als liebe Gäste gern gesehen sind, und 
sich besonders unsere badischen Kollegen über den Beschluss 
gefreut haben, diesmal unsere Hauptversammlung in ihrem engeren 
Vaterlande abzuhalten! 

M. H.! Mit Recht ist sowohl von H. Ober-Reg.-Rat 
Pfisterer, als von H. Bürgermeister Prof. Dr. Walz hervor¬ 
gehoben, dass nur bei gemeinsamer Arbeit von Wissenschaft und 
Praxis, von Verwaltungsbehörden und Gesundheitsbeamten die 
mannigfachen und oft recht schwierigen Aufgaben der öffentlichen 
Gesundheitspflege in befriedigender und erfolgreicher Weise gelöst 
werden können. Wir Medizinalbeamten sind uns dessen auch 
bewusst und freuen uns, wenn unsere Mitarbeit eine solche An¬ 
erkennung findet, wie dies soeben von dem Vertreter der hiesigen 
Stadt geschehen ist. Die Anforderungen der öffentlichen Gesund¬ 
heitspflege an die Gemeinden sind ja nicht immer leicht zu be¬ 
friedigen und oft mit schweren finanziellen Opfern verknüpft; um 
so mehr müssen die Fortschritte anerkannt werden, die Dank der 
Opferwilligkeit der Gemeinden gerade in den letzten Jahren auf 
sanitärem Gebiete geschaffen sind. In welch grossem Masse dies 
in dem Badischen Lande der Fall ist, haben wir soeben aus dem 
Munde des Herrn Vertreters der Grossherzoglichen Staatsregierung 
erfahren; aber auch in allen anderen Bundesstaaten ist ein gleicher 
Fortschritt bemerkbar und wird sich von Jahr zu Jahr immer 
mehr bemerkbar machen, je einträchtiger alle dabei beteiligten 
Behörden Zusammenwirken! 

Der liebenswürdigen Einladung des Herrn Vertreters der 
Grossherzogi. Staatsregierung, uns einige von den nahegelegenen 
staatlichen Anstalten anzusehen, werden sicherlich manche Vereins¬ 
mitglieder sehr gern Folge leisten, wobei ich gleich hinzufügen 
möchte, dass der H. Direktor Dr. Eschle uns noch besonders 
zum Besuch der ihm unterstellten neuen Kreispflegeanstalt ein¬ 
geladen hat. 



Geschäfts- and Kassenbericht. 


7 


II. Geschäfts- nd Kassenbericht. 


H. Med.-Kat Bezirksarzt Dr. Flinzer - Plauen i. V., Schrift* 
ftthrer: M. H.! Die Mitgliederaahl hat sich seit der letzten 
Versammlung; erfreulicher Weise um 109 Mitglieder vermehrt. 
Ausgeschieden sind 31, davon durch den Tod 22; neu eingetreten 
sind 162 Mitglieder (darunter 79 bayerische Medizinalbeamte), so 
dass die Gesammtzalu der Mitglieder zurZeit 1564 betrügt. Die¬ 
selben verteilen sich auf die einzelnen Bundesstaaten wie folgt: 


Königreich Preußen. 

„ Bayern. 

„ Saohsen. 

„ Württemberg. 

Großherzogtum Baden. 

, Hessen. 

„ Mecklenburg-Schwerin 

Strelitz .... 

, Oldenburg . .... 

„ Sachsen-Weimar . . 

Herzogtümer. 

Fürstentümer. 

Freie und Hansestädte ...... 

Reiohsland Elsaß-Lothringen . . . 


. 900 (899) ») Mitglieder. 

. 344 (265) 

n 

. 27 (29) 

r > 

. 88 (77) 

* 

. 38 (28) 


. 28 (28) 


! 16 (17) 


8 (6) 

n 

14 (14) 

V 

. 46 (42) 


. 28 (27) 


. 15 (13) 

n 

. 13 (9) 

n 


*«* io/ _2_ 

1564 (1455) Mitglieder. 


Gestorben sind seit dem 1. Oktober 1904 folgende Mit¬ 
glieder: 

1. Dr. Arens, Kreisarzt und Med.-Rat in Erkelenz (Reg.-Bez. Aaohen) 

2. - Bernhart, Direktor der Kreis - Kranken - u. rnegeanstalt in 

Frankenthal (Bayern). 

8. - Böttger, Kreisphysikus u. Med.- Rat in Dessau. 

4. - Bruon, Landgerichtsarzt in Landau (Pfalz). 

5. - Dippe, Marineoberstabsarzt a. D. u. Kreisarzt in Genthin (Reg.- 

Magdeburg). 

6. - Greiss, Oberamtsarzt in Neckarsulm. 

7. - Hoffmann, Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat in Waldenburg (Sohles). 

8. - Jung, Kreisphysikus z. D. u. Geh. San.-Rat in Weener (Ostfriesl.). 

9. - Ko lim, Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat in Berlin. 

10. - Luohhau, Kreisarzt u. Med.-Rat, Direktor der Königl. Impf¬ 

stoffanstalt in Königsberg i. Pr. 

11. - Mittenzweig, Geriohtsarzt u. Med.-Rat in Berlin (Steglitz.) 

12. - Munsch, Kreisarzt u. Med.-Rat in Booholt. 

13. - Neetzke, prakt. Arzt in Landeshut (Reg.-Bez. Liegnitz), staats- 

ärztl. appob. 

14. - Overkamp, Kreisarzt u. Med.-Rat in Warendorf (Westfalen). 

15. - Plitt, Kreisarzt u. Med.-Rat in Hofgeismar (Reg.-Bez. Cassel). 

16. - Röper, dirigierender Arzt der Anstalt Maria-Lindenhof bei 

Dorsten (Westfalen), staatsärztl. app rob. 

17. - Sohmidt, Kreisarzt in Schwerin a. Warthe. 

18. - Sohulte, Kreisarzt in Lippstadt. 

19. - Toporski, Med.-Rat in Posen. 

20. - Wen dt, Med-Rat u. mediz. Hülfsarbeiter bei der Königlichen 

Regierung zu Breslau. 


*) Die in Klammern beigefügten Ziffern bedeuten die Zahl der Mitglieder 
im Vorjahre. Die Ziffern iür das Taufende Jahr stimmen übrigens mit denen 
des am 8chluß beigefügten Verzeichnisses nicht mehr genau überein, da in 
diesem die inzwischen erfolgten Veränderungen nachgetragen sind. 














8 


Geschäfts- and Kassenbericht. 


21. Dr. Wolpert, Bezirksarzt in SulzbaohfBayern). 

22. - Zülch, Kreisarzt u. Med.-Rat in Wolfhagen. 

Vorsitzender: M. H.! Leider ist in diesem Jahre die Z&hl 
der verstorbenen Mitglieder eine ausserordentlich grosse gewesen, 
so dass wir nur wünschen können, im nächsten Jahre nicht wieder 
so zahlreiche Verluste durch den Tod beklagen zu müssen. Ich 
darf Sie wohl bitten, sich zum Andenken der Verstorbenen von 
Ihren Plätzen zu erheben. 

(Geschieht.) 

H. Med.-Rat u. Bezirksarzt Dr. Flinzer: Der Bericht über 
die III. Hauptversammlung ist den Regierungen, Medizin&l- 
Deputationen und Kollegien etc. sämtlicher Bundesstaaten zuge¬ 
sandt worden, die dem Verein dafür ihren Dank ausgesprochen 
haben. 

Der Vorstand hat im Juli d. J. eine Sitzung in Eisenach 
abgehalten, in der die Tagesordnung für die diesjährige IV. Haupt¬ 
versammlung festgesetzt ist, sowie dem vorjährigen Beschluss 
gemäss die zu machenden Vorschläge znr Reform der Strafprozess¬ 
ordnung unter Zuziehung der Referenten durchberaten worden sind. 
Der Ort der Tagung (Heidelberg) war bereits in einer im An¬ 
schluss an die vorige Hauptversammlung in Danzig abgehaltenen 
Vorstandssitzung bestimmt worden. 

Die Kasse schloss im Jahre 1903 mit einem Ueberschuss 
von 38 M. 66 Pf. ab. 

Die Einnahmen und Ausgaben für 1904 stellen sich 
wie folgt: 

Einnahmen: 


Uebersohuß von 1903 38,66 M. 

Zinsen. 92,05 M. 

559 Mitgliederbeiträge ä 12 M. 6708,— „ 

903 „ k 2 „ >). 1806,- „ 

2 „ ä 12 „ (von 1903). . . 24,— „ 

8668,71 M. 

Ausgaben: 

Für die Zeitschrift. 5650,— M. 

Druokkosten. 1309,36 „ 

Reisekosten der Vorstandsmitglieder .... 505,90 „ 

Kosten der Hauptversammlung. 474,65 P 

Portokosten. 48,31 P 

Kopialien und Expeditionsaufwand . . . . . 239,25 „ 


Zusammen 8227,47 M. 

Es verbleibt somit ein Ueberschuss von 441 M. 24 Pf., 
der auf das Jahr 1904 übertragen worden ist. Der erfreuliche 
Kassenabschluss lässt mit Bestimmtheit voraussehen, dass wir 
auch in diesem Jahre mit dem Beitrag von 12 Mark auskommen 
werden. 


') Für die Mitglieder der Preußischen Medizinalbeamtenvereins wird von 
diesem Verein das Abonnement für die Zeitschrift an die Verlagsbachhandlang 
direkt bezahlt and demnach nur 2 Mark pro Mitglied an die Vereinskaase 
entrichtet. 












Gerichtaärztl. Wünsche in bezug auf die bevorstehende Befonn der Str.-Pr.-O. 9 


Vorsitzender: Ich frage, ob Jemand das Wort zum Kassen¬ 
bericht ergreifen will? — Da dies nicht der Fall ist, so können 
wir zur Wahl der Kassenrevisoren übergehen. Ich schlage 
hierzu die Herren Stadtarzt Dr. 0ebbecke-Breslau und Med.-Bat 
Dr. Vanselow-Kissingen vor. Sind Sie damit einverstanden? 

(Allgemeine Zustimmung.) 

Dann darf ich wohl die beiden Herren bitten, die Bücher 
recht bald zu prüfen, damit wir das Prüfungsergebnis womöglich 
noch am Schluss der heutigen Sitzung entgegennehmen und dem 
Schriftführer, der leider schon morgen früh wieder abreisen muss, 
Entlastung erteilen können. 


III. Geriehfsärztlldn Witsche It bezog nf 
die hmrsfehetde Reform der Strafprezessordiosg. 

Berichterstatter: 

Prof. Pr. Heimberger -Bonn; Gerichtsarzt Prof. Or. Strassmann - Berlin; 

Prof. Pr. Asehaffenburg-Halle a./S. 

Vorsitzender: M. H.! Gestatten Sie mir zur Einleitung 
dieses Beratungsgegenstandes einige Worte! 

Es wird Ihnen erinnerlich sein, dass auf unserer vorjährigen 
Hauptversammlung das gleiche Thema, allerdings in etwas erwei¬ 
terter Form, zur Erörterung gelangt ist; denn die Referate er¬ 
streckten sich damals auf die gerichtsärztlicben Wünsche zur 
Strafgesetzgebung überhaupt, also auch zum Strafgesetzbuche. Die 
diesjährige Einschränkung des Themas ist eine Folge des im Vor¬ 
jahre gefassten Beschlusses, durch den der Vorstand beauftragt 
wurde: 

„die einschlägigen Fragen unter besonderer Berücksichtigung der in 
der Folge von seiten der Vereinsmitglieder zutage tretenden Wünsche 
und Bedenken im Verein mit den Herren Berichterstattern einer 
weiteren Beratung zu unterziehen und womöglich schon der nächst¬ 
jährigen Hauptversammlung bestimmte Vorschläge, wenigstens in bezug 
auf die Straf Prozeßordnung, zur Beschlußfassung zu unter¬ 
breiten.“ 

M. H.! Diesem Aufträge ist der Vorstand nachgekommen. 
Er hat zunächst die Vereinsmitglieder bei Uebersendung des vor¬ 
jährigen offiziellen Berichtes ersucht, sich zu den Vorschlägen 
und Ausführungen der Berichterstatter zu äussem und etwaige 
weitere Wünsche zur Kenntnis des Vorstandes zu bringen. Nach¬ 
dem dann im Laufe dieses Jahres die Protokolle der Reichs- 
Kommission zur Revision des Strafprozesses veröffentlicht sind, 
hat der Vorstand die vorjährigen Berichterstatter um nochmalige 
Uebernahme des Referats gebeten, wozu diese sich sofort in der 
entgegenkommensten Weise bereit erklärten. Späterhin hat aller¬ 
dings H. Gerichtsarzt Med.-Rat Dr. Hoffmann seine Zusage 
wieder znrücknehmen müssen, da es ihm wegen seiner Dienst¬ 
geschäfte unmöglich war, an der diesjährigen Hauptversammlung 



10 


Dr. Hornberger. 


teilzunehmen. Sein Referat hat infolgedessen H. Prot. Dr. StraBe¬ 
mann mit übernommen. Die Angelegenheit ist hieranf in der 
Weise weiter behandelt, dass die beiden medizinischen Herren 
Referenten ihre Wünsche zur Revision der Strafprozessordnung 
aufgestellt haben und diese Vorschläge sodann unter ihrer Zuzie¬ 
hung in einer Vorstandssitzung durchberaten sind. Unter Berück¬ 
sichtigung der hier geäusserten Wünsche sind die Vorschläge von 
den betreffenden Referenten einer nochmaligen Beratung unter¬ 
zogen, desgleichen hat sie H. Prof. Dr. Heimberger vom 
juristischen Standpunkt geprüft. Nach allen diesen Vorarbeiten 
sind sie schliesslich sämtlichen Vereinsmitgliedern mit der Bitte 
zugestellt, etwaige Abänderungs- oder Ergänzungsvorschläge dem 
Vorstande womöglich noch vor der Versammlung mitzuteilen. Es 
sind nur wenige derartige Vorschläge eingegangen und diese, 
soweit es möglich war, bei der Schlussberatung in der gestrigen 
Vorstandssitzung berücksichtigt. Die heute zur Verteilung ge¬ 
langten gedruckten Vorschläge der Referenten sind das Ergebnis 
dieser Beratung. 

M. H.! Sie werden mir zugeben, dass sich sowohl der Vor¬ 
stand, als vor allem auch die Herren Referenten, denen wir zum 
grössten Danke verpflichtet sind, alle Mühe gegeben haben, um 
die Ihnen zur Beschlussfassung unterbreiteten Vorschläge so zu 
gestalten, dass sie nicht nur unsern Wünschen entsprechen, son¬ 
dern auch geeignet sind, um die bisher auf dem Gebiete der 
Strafprozessordnung hervorgetretenen Mängel, soweit sie unsere 
gerichtsärztliche Tätigkeit betreffen, in wirksamer Weise zu be¬ 
seitigen. Hoffentlich finden sie ebenso wie die Ausführungen der 
Herren Referenten Ihren vollen Beifall! 

(Bravo!) 

M. H.! Ebenso wie im Vorjahre ist zwischen den Herren 
Referenten eine Vereinbarung dahin getroffen, dass H. Prof. Dr. 
Heimberger die Verhandlungen zunächst einleiten wird; hier¬ 
auf werden die beiden medizinischen Herren Referenten, Prof. Dr. 
Strassmann und Prof. Dr. Aschaffenburg, die Vorschläge 
vom gerichtsärztlichen und psychiatrischen Standpunkte aus be¬ 
leuchten bezw. begründen; am Schluss beabsichtigt sodann H. 
Prof. Dr. Heimberger nochmals das Wort zu nehmen, um sich 
vom juristischen Standpunkt aus zu den einzelnen Vorschlägen 
zu äussern. Ich nehme an, dass Sie mit diesem Verfahren ein¬ 
verstanden sind, und erteile dem ersten Herrn Referenten das 
Wort. 


H. Prof. Dr. Heimberger-Bonn, erster Berichterstatter: Auf 
der Tagesordnung Ihrer vorjährigen Hauptversammlung zu Danzig 
stand als erster Gegenstand das Thema: „Gerichtsärztliche 
Wünsche mit Rücksicht auf die bevorstehende Neubearbeitung 
der Strafgesetzgebung für das Deutsche Reich*. Die heutige 
Tagesordnung weist zwar nicht das gleiche, aber ein ähnliches 
Thema auf; denn es sollen heute besprochen werden: „Gerichts- 



Gerichtsärztl. Wünsche in bezug auf die bevorstehende Reform der Str.-Pr.-O. 11 

Ärztliche Wünsche in bezag auf die bevorstehende Reform der 
Strafprozessordnung. “ 

Wie ich sehe and wie es der Natar der Verhältnisse ent¬ 
spricht, ist die heutige Versammlung zum grössten Teil aas 
anderen Personen zusammengesetzt als die vorigjährige, die im 
Nordosten des Reiches tagte. Ich werde mich daher wohl nicht 
einer überflüssigen Wiederholung schuldig machen, wenn ich wie 
im vorigen Jahre so auch diesmal in ganz kurzen Zügen Ihnen 
über den Stand und die Art der Reform unserer Strafgesetzgebung 
Bericht erstatte und Ihnen mitteile, wieso unser heutiges Thema 
eine Einschränkung gegenüber dem vorigjährigen erfahren musste. 

Wir sind nicht bloss in einer Reform unseres Strafver¬ 
fahrens begriffen, sondern stehen auch vor einer Aenderung des 
materiellen Strafrechts. An beiden Reformen sind Sie, m. H., 
die deutschen Medizinalbeamten, insbesondere soweit Sie Gerichts¬ 
ärzte sind, aufs Lebhafteste interessiert; denn Strafgesetzbuch 
und Strafgesetzgebung gehören ja zu Ihrem täglichen Handwerks¬ 
zeug; Vorzüge und Mängel dieser Gesetze empfinden Sie in 
mancher Richtung ganz unmittelbar. Es versteht sich daher von 
selbst und ist von Seite des Gesetzgebers mit ganz besonderem 
Danke zu begrüssen, wenn Sie bei der Reform unserer Straf¬ 
gesetzgebung Hand mit anlegen, Ihre reiche und vielfältige Er¬ 
fahrung in den Dienst der Reformbestrebungen stellen und dem 
gesetzausarbeitenden Juristen dort zur Seite stehen, wo sein 
Wissen lückenhaft wird, das Ihre aber Hilfe bringen kann. 

Auf der vorjährigen Tagung zu Danzig haben wir uns 
nach doppelter Richtung hin ausgesprochen* Es wurden von den 
Referenten Wünsche in bezug auf die Neugestaltung des ma¬ 
teriellen Strafrechts wie des Strafverfahrens geäussert; doch fand 
eine Debatte nicht statt; die Vorträge der Referenten sollten als 
Vorbereitung und Anregung für die diesjährigen Beratungen 
gelten, und an eine endgültige Beschlussfassung war bei der 
grossen Zahl der erörterten Einzelfragen überhaupt nicht zu 
denken. 

Für die heutige Versammlung hat Ihr Vorstand eine sach- 
gemässe Einschränkung des vorigjährigen Themas eintreten lassen. 
Das materielle Strafrecht, die Reform des Strafgesetzbuchs, scheidet 
heute aus den Beratungen aus. In dieser Richtung Wünsche aus¬ 
zusprechen, hat keine Eile, da die Aenderung des materiellen 
Strafrechts, die weitausgreifender rechtsvergleichender Vorarbeiten 
bedarf, weit langsamer vorwärts schreitet, als die Reform des 
Prozessrechts. Letztere allein ist heute Gegenstand der Erör¬ 
terung. Der äussere Anlass, jetzt die Reform der Strafprozess¬ 
ordnung auf die Tagesordnung zu setzen, war der Umstand, dass 
vor mehreren Monaten die Protokolle der Kommission für die 
Reform des Strafprozesses erschienen sind. Das Reichsjustizamt 
hatte vor etwa» drei Jahren eine Kommission zur Beratung einer 
Reform des Strafverfahrens zusammenberufen. Die Kommission 
hat ihre Aufgabe in 86 Sitzungen erledigt. Die letzte fand am 
1. April 1905 statt, und einige Zeit darauf gab das Reichsjustiz- 



12 


Dr. Heimberger. 


amt die Protokolle der Kommission in zwei Bänden heraus. Einen 
eigentlichen Gesetzentwurf enthalten die Protokolle nicht; sie 
geben nur die Verhandlungen der Kommission über die einzelnen 
Fragen, die znr Beratung standen, wieder und enthalten am 
Schlosse eine im Reichsjustizamt bearbeitete Zusammenstellung 
des bestehenden Gesetzes mit dem Inhalt der Kommissions¬ 
beschlüsse. Die Beschlüsse der Kommission bedeuten auch nicht 
irgend eine Bindung der Regierung, ja sie geben nicht einmal 
die Ansicht der Regierung wieder, sondern nur die Auffassung 
und die Wünsche der Kommission. Wir stehen also noch voll¬ 
kommen im Stadium der Vorbereitung einer neuen Prozessordnung, 
und die Veröffentlichung der Protokolle ist gleichbedeutend mit 
der Aufforderung, zu den Ergebnissen der Kommissionsberatungeil 
Stellung zu nehmen. 

Dieser Aufforderung hat Ihr Vorstand, soweit gerichtsärzt¬ 
liche Interessen in Frage kommen, Folge geleistet. Er legt 
Ihnen durch die Referenten eine Reihe von Leitsätzen vor, in denen 
zum Ausdruck gebracht wird, was auf Seite der Gerichtsärzte 
von der neuen Strafprozessordnung noch zu wünschen sein dürfte. 
Es versteht sich, dass die bisherige Prozessordnung wie die 
jetzigen Kommissionsbeschlüsse ohnehin schon im wesentlichen 
diejenigen Bestimmungen treffen oder vorschlagen, deren Aufnahme 
im Interesse der Rechtspflege von den Gerichtsärzten gewünscht 
werden muss. Aber bei einer Anzahl von Einzelheiten finden 
sich doch noch Lücken, deren Ausfüllung von seiten der Gerichts¬ 
ärzte zu erstreben ist. Diesem Zwecke dienen die aufgestellten 
Leitsätze. Sache der heutigen Versammlung ist es, zu diesen 
vom Vorstand und den Referenten vorgeschlagenen Sätzen sich zu 
äussern und nötigenfalls noch in anderen Richtungen Anregungen 
zu geben. 

Die Herren medizinischen Referenten, Prof. Dr. Strassmann 
und Prof. Dr. Aschaffenburg, werden Ihnen die einzelnen 
Leitsätze begründen. Wenn dann, wie Saul unter den Propheten, 
auch noch der Jurist unter Ihnen erscheint, insofern als mir die 
Ehre zuteil wurde, von Ihrem Vorstand als Korreferent heran¬ 
gezogen zu werden, so beruht das auf einer gewissen Gegen¬ 
seitigkeit. Ich habe vorhin schon gesagt, dass der Jurist bei 
Ausarbeitung der Straf- und Strafprozessgesetze des Mediziners 
nicht entraten kann. Umgekehrt ist für den in kühneren Zügen 
arbeitenden Mediziner die Mitwirkung des vielleicht bedächtigeren 
und manchmal haarspaltenden Juristen nicht ganz zu entbehren, 
um bei der Redaktion der Beschlüsse allzu weitgehende, wenn 
auch an sich nicht unbegründete Wünsche auf das Mass des 
augenblicklich Erreichbaren zurückzuschneiden. 

Damit schliesse ich meine Einleitungsworte; wenn die Herren 
medizinischen Referenten gesprochen haben, werde ich ^ dann 
meinerseits, soweit notwendig, einzelne Fragen Vom juristischen 
Standpunkt aus beleuchten. 

(Lebhafter Beif&IL) 



Gerichtsärztl. Wünsche in bezug auf die bevorstehende Reform der Str.-Pr.-O. 18 

H. Prof. Dr. Strassmann - Berlin, zweiter Berichterstatter: 
Wie Sie, meine Herren Kollegen, wissen, habe ich von der Straf¬ 
prozessordnung diejenigen Bestimmungen zur Besprechung über¬ 
nommen, welche sich auf die Sachverständigen und den Sach¬ 
verständigenbeweis im allgemeinen beziehen. Die Grundlage 
meiner Vorschläge auf diesem Gebiete, die Sie in den Ihnen vor¬ 
liegenden Leitsätzen 4, 6, 7,8, 9,11,17,18, also in den Anträgen zu 
den §§ 80,82,85,87,91,111,188 und 255 der Str.-P.-Ordn. nieder¬ 
gelegt finden, bilden zunächst meine auf der vorjährigen Danziger 
Versammlung gestellten Anträge. Meine neuen Vorschläge sind 
aber mit jenen Anträgen nicht völlig identisch; es war nötig, bei 
ihnen die inzwischen erschienenen Beschlüsse und Verhandlungen 
der Kommission für die Reform der Strafprozessordnung zu be¬ 
rücksichtigen. Wenn sich auch die Arbeiten dieser Kommission 
überwiegend auf die allgemeine Organisation der Gerichte bezogen 
und die uns speziell interessierenden Themata weniger berührt 
haben, so sind doch in einzelnen Punkten Beschlüsse gefasst 
worden, die unserseits nicht unberücksichtigt bleiben können. 
Eine litterarische Besprechung unserer damaligen Vorschläge 
hat kaum stattgefunden, so dass ich auf Grund entsprechender 
Publikationen Aenderungen nicht vorzunehmen hätte. Dagegen 
haben verschiedene unserer Vereinsmitglieder, vor allem unser 
erster Vorsitzender, der sich auch hier wieder als die Seele des 
Vereins bewiesen hat, noch ergänzende Anträge gestellt, die ich 
zum Teil ebenfalls aufgenommen habe und hier vertreten werde. 
Nicht allen mir gegebenen Anregungen habe ich folgen zu können 
geglaubt; ich werde indes Ihnen, m. H., auch über diese Vor¬ 
schläge hier berichten und meinen ablehnenden Standpunkt be¬ 
gründen, damit Sie in der Lage sind, das entscheidende Urteil zu 
fällen, das Ihnen zusteht. Endlich bemerke ich noch, dass einer 
meiner Vorschläge Opposition gefunden hat und von manchen 
Seiten als zu weitgehend bezeichnet worden ist; ich habe deshalb 
in diesem Punkte eine Einschränkung vorgenommen. 

Wenn ich der Reihenfolge der Paragraphen der Strafprozess¬ 
ordnung mich anschliesse, so habe ich zunächst zu bemerken, dass 
zu § 75 eine Erläuterung gewünscht worden ist. Dieser Para¬ 
graph lautet: 

„Der zum Sachverständigen Ernannte hat der Ernennung Folge zu leisten, 
wenn er zur Erstattung von Gutachten der erforderten Art öffentlich bestellt 
ist, oder wenn er die Wissenschaft, die Kunst oder da3 Gewerbe, deren Kenntnis 
Voraussetzung der Begutachtung ist, öffentlich zum Erwerbe ausübt, oder wenn 
er zur Ausübung derselben öffentlich bestellt oder ermächtigt ist. 

Zur Erstattung des Gutachtens ist auch derjenige verpflichtet, welcher 
sich zu derselben vor Gericht bereit erklärt hat“ 

Es hat sich, wie Ihnen bekannt, ein Zweifel darüber er¬ 
hoben, ob ein nichtbeamteter Arzt auf Grund dieses Para¬ 
graphen gezwungen werden kann, eine Leichenöffnung 
vorzunehmen. Diese Frage ist früher gerichtlicherseits be¬ 
jahend beantwortet worden. Es ist nun angeregt worden, den 
Paragraphen in dem Sinne zu erläutern, dass die Frage verneint 
werde. Die Herbeischafiung des Materials, soweit sie über die 



14 


Dr. Straßmann. 


gewöhnliche Tätigkeit eines Arztes hinansgeht, sei Sache des 
Gerichts. Ich würde eine solche Erläuterung nicht für wünschens¬ 
wert halten. Zunächst besteht doch entschieden für die Gerichte 
ein Interesse daran, dass es ihnen eventuell ohne Schwierigkeiten 
möglich ist, den erforderlichen zweiten Obduzenten zu erlangen. 
Die Gefahr, dass ein solcher nicht zu erlangen ist und dass da- 
durch eine wesentliche Hemmung der Rechtspflege eintritt, ist in 
Deutschland, dessen Einzelstaaten durchweg über angestellte, be¬ 
amtete Aerzte verfügen, nicht so gross, wie in anderen Ländern, 
z. B. in Frankreich. Dort wurde vor Jahren gegen die beiden 
Aerzte einer südfranzösischen Stadt Rodez ein Strafverfahren ein¬ 
geleitet, weil sie sich geweigert hatten, der Ladung zu einer 
gerichtlichen Sektion — die deshalb anscheinend nicht hat statt- 
flnden können — zu folgen. Die Affaire der Aerzte von Rodez 
ist damals in der französischen Fachpresse lebhaft erörtert 
worden. 1 ) Wenn auch die Gefahr infolge unserer Einrichtungen, 
wie schon gesagt, geringer ist, so erscheint eine empfindliche 
Störung des gerichtlichen Vorgehens doch nicht unmöglich, falls 
der Arzt das Recht hat, das Erscheinen und die Tätigkeit bei 
einer Leichenöffnung zu verweigern. Man wird sich auf der 
anderen Seite fragen müssen, ob mit dieser Teilnahme dem Arzte 
etwas zugemutet wird, was über den Rahmen seiner notwendigen 
Kenntnisse und Fertigkeiten hinausgeht; denn dazu kann man 
natürlich keinen Sachverständigen zwingen, dass er etwas ans¬ 
führt, was er nicht gelernt hat und wozu er unvermögend ist 
Es würde z. B. undenkbar sein, einen nicht darauf eingerichteten 
Arzt zwingen zu wollen, eine Untersuchung mit Röntgen-Strahlen 
vorzunehmen. Aber pathologische Anatomie und Sektionstechnik 
sollen doch jetzt medizinisches Gemeingut sein. Die Zahl der 
Aerzte, die in diesem Fache noch nicht geprüft und ausgebildet 
sind, ist nicht mehr so gross und wird von Jahr zu Jahr geringer, 
so dass es, glaube ich, nicht notwendig sein wird, für die Zeit, 
in der die neue Strafprozessordnung in Kraft tritt, was doch 
auch erst in einigen Jahren geschehen wird, eine Bestimmung zu 
treffen, wie sie hier vorgeschlagen worden ist. 

Bei Abs. 2 des § 80 (Vorbereitung des Gutachtens 
von Sachverständigen) haben wir eine kleine Aenderung vor¬ 
geschlagen. Während es bisher hiess: 

„Zu demselben Zwecke kann ihm gestattet werden, die Akten einznsehen, 
der Vernehmung von Zeugen oder des Beschuldigten beizuwohnen und an die¬ 
selben unmittelbar Fragen zu stellen“ 

soll künftig gesagt werden, „es ist ihm zu gestatten, 0 falls 
nicht besondere Hinderungsgründe vorliegen. Es soll mit dieser 
anderen Fassung dem Richter ein Hinweis darauf gegeben werden, 
dass die Zuziehung von Sachverständigen zur Vernehmung der 
Zeugen und Beschuldigten in vielen Fällen im dringenden Interesse 
der Sache liegt. Es ist im einzelnen von den Herren, die schrift¬ 
liche Anträge eingereicht haben, besonders von unserem Vor- 


') Anualta d’hygient; 1890. 



Gerichtsarztl. Wünsche in bezog auf die bevorstehende Reform der Str.-Pr.-O. 16 

sitzenden nnd von Herrn Kollegen Köstlin in Danzig darauf 
aufmerksam gemacht worden, dass z. B. die Frage, ob bei Puer¬ 
peralfieber eine Fahrlässigkeit der Hebamme vorliegt, nur gelbst 
werden kann, wenn von vornherein ein ärztlicher Sachverständiger 
mit dem Richter zusammen wirkt und wenn er, so lange das Ge¬ 
dächtnis der Zeugen noch frisch ist, durch sachgemässe Fragen 
den Tatbestand aufklärt. Ich komme auf diesen Punkt nachher 
nochmals zurück. 

Unser Vorschlag zu § 82 (Berechtigung der Sach¬ 
verständigen, ihr Gutachten und den festgestellten 
Befund selbst zu Protokoll zu diktieren) bedarf der 
Begründung wohl nicht. Dass es zweckmässig ist, wenn der Sach¬ 
verständige direkt und nicht erst durch das Medium eines anderen 
seinen Befund oder sein Gutachten niederlegt, dass damit manche 
überflüssigen Erörterungen und Missverständnisse vermieden 
werden, ist sicher. In der Praxis wird auch zumeist danach ver¬ 
fahren, aber es kommt doch vor, dass ein etwas pedantisch ver¬ 
anlagter Richter ein derartiges Vorgehen für unzulässig erklärt; es 
schien deshalb erwünscht, die Zulässigkeit gesetzlich festzustellen. 

Der Zusatz: „und Leichenöffnung" könnte vielleicht weg¬ 
fallen, denn die Leichenöffnung wird schon nach der gegen¬ 
wärtigen Gesetzgebung nicht von dem Richter, sondern im Beisein 
des Richters von zwei Aerzten vorgenommen. Eine etwaige Be¬ 
hauptung des Richters, dass die Aerzte den Befund nicht selbst 
diktieren dürften, erscheint danach gesetzlich nicht begründet und 
ist auch tatsächlich wohl noch nie vorgekommen. 

Dass der § 85, der die Bestimmungen über sachverständige 
Zeugen enthält, entbehrlich ist und fortfallen kann, hat irgend¬ 
welchen Widerspruch nicht gefunden; ich glaube deshalb meine vor¬ 
jährigen Ausführungen hierzu nicht nochmals wiederholen zu sollen. 

Ebenso bestand, wie ich sehe, allgemeine Uebereinstimmung 
darüber, dass der zweite Absatz des §97*) fortfällt, da eine 
Leichenschau ohne Zuziehung eines Arztes eigentlich keinen 
vernünftigen Zweck hat. Ja, es ist mit Recht, wie ich meine, 
darauf hingewiesen worden, dass auch die Zuziehung eines nicht 
geschulten, nicht sachkundigen Arztes den Erfolg der Leichen¬ 
schau in Frage stellt und dass es deshalb geboten erscheint, für 
die Leichenschau vorzuschreiben, dass der zuzuziehende Arzt „in 
der Regel der Gerichtsarzt sein soll". Die einschränkenden Worte 
„in der Regel" lassen unseren Vorschlag als durchführbar er¬ 
scheinen und ermöglichen es, dass in besonderen dringenden Fällen 
dem Gericht störende Schwierigkeiten erspart bleiben. Dass die 
Zuziehung des Gerichtsarztes aber die Regel sein soll, wird, 
meine ich, gebilligt werden müssen. Die Gefahr schwerwiegender 
Irrtümer ist sonst vorhanden; es gibt doch eine ganze Reihe 
tüchtiger, aber gerichtlich-medizinisch nicht erfahrener Aerzte, 
die z. B. nicht wissen, dass bei völliger Unversehrtheit der äusseren 

*) § 97, Abs. 2 lantet: „Die Zuziehung eines Arztes kann bei der Leichen¬ 
schau unterbleiben, wenn sie nach dem Ermessen des Richters entbehrlich ist.“ 



16 


Br. Str&ßm&nn. 


Bedeckungen schwere innere Verletzungen vorhanden sein können, 
und dass also eine solche Integrität einen gewaltsamen Tod durch¬ 
aus nicht ausschliesst. 

Für besonders erwttnscht halte ich auch den Zusatz zu Ab¬ 
satz 3, der uns die Entnahme von Leichenteilen znr 
weiteren Untersuchung und zur Konservierung ermöglicht Oft 
genug wird erst nach der Sektion uns beispielsweise die Frage 
vorgelegt, ob ein verdächtiges Instrument die Vorgefundenen Ver¬ 
letzungen bewirkt haben kann. Wie ganz anders lässt sich diese 
Frage beantworten, wenn wir die Verletzungen selbst noch auf¬ 
gehoben haben und wenn wir sie und nicht bloss ihre Be¬ 
schreibung mit dem Instrument vergleichen können. Dann noch 
etwas anderes, m. H.! Wir sind doch alle nicht allwissend und 
erleben es oft genug, dass wir Befunde bei der Leichenöffnung 
erheben, Aber deren Deutung wir uns zunächst nicht klar sind 
und die wir gern noch später in Buhe nach erfolgter Literatur¬ 
einsicht oder Beratung mit kundigen Kollegen prüfen möchten. 
Ich habe im allgemeinen für die Aufhebung von Leichenteilen aus 
diesen Gründen Verständnis bei unseren Bichtem gefunden nnd 
Schwierigkeiten kaum gehabt. Immerhin sind mir doch hier und 
da Bedenken geäussert worden; es wird darum wohl zweckmässig 
sein, auch hier eine unzweideutige gesetzliche Basis zu schaffen. 

Nicht aufgenommen habe ich den Vorschlag des Kollegen 
Kornfeld in Gleiwitz, der, soweit ich ihn verstanden habe, unter 
Beziehung auf Verhandlungen, die in England stattgefunden haben, 
die Bestimmung gestrichen zu sehen wünscht, dass dem be¬ 
handelnden Arzt die Leichenöffnung nicht übertragen werden soll. 
Ich halte die Bestimmung für nicht unangebracht. Es ist doch 
immerhin an die Möglichkeit zu denken, dass der behandelnde 
Arzt durch seine bisherige Auffassung des Falles befangen ist; 
es liegt ja auch hier nnd da die Möglichkeit vor, dass die Frage 
eines Verschuldens seinerseits in Betracht kommen könnte. So 
erwünscht es auch ist, dass er bei der Leichenöffnung mit wirkt 
und Aufklärungen gibt, so scheint es doch nicht durchaus unbe¬ 
denklich, ihm eine entscheidende Stimme bei der Beurteilung 
des Ergebnisses der Leichenöffnung zu erteilen. 

Im § 91 (Untersuchungen bei Verdacht einer Ver¬ 
giftung) soll statt „Chemiker* gesagt werden, „geeigneter Sach¬ 
verständiger*. Es ist wohl keine Frage, dass in manchen Fällen, 
besonders z. B. bei Nahrungsmittelvergiftungen, geeigneter für die 
Untersuchung der Leichenteile als der Chemiker ein bakteriologi¬ 
sches Institut ist. Wir haben schon wiederholt in solchen Fällen 
entsprechende Anträge gestellt, die auch berücksichtigt worden 
sind; doch ist gewiss hier wie in den früher schon erwähnten 
Funkten die Beseitigung etwaiger immerhin möglicher Bedenken 
durch entsprechende gesetzliche Bestimmungen erwünscht. 

Es ist noch vorgeschlagen worden, zum § 91 einen Zusatz 
zu machen, wonach die Untersuchung vorzunehmen ist, „falls die 
Todesursache nicht bereits durch die Untersuchung des Gerichts¬ 
arztes völlig klargestellt ist*. Ich glaube, dass dieser Zusatz 



Gerichts&rztl. Wünsche in bezog auf die bevorstehende Reform der Str.-Pr.-O. 17 

entbehrlich ist. Der § 91 schreibt nicht vor, soweit ich ihn ver¬ 
stehe, dass in jedem Falle eine Untersuchung der Leichenteile 
vorgenommen werden muss. Meiner Erfahrung nach haben Richter 
und Staatsanwalt wiederholt von der Anordnung einer solchen 
Untersuchung Abstand genommen, wenn wir nach der Leichen¬ 
öffnung erklärten, dass an der Vergiftung durch Karbol, durch 
Kohlenoxyd usw. keine Zweifel bestehen. 

Es ist weiter gewünscht worden, dass der zweite Absatz 
dieses Paragraphen folgendermassen formuliert werde: 

„Der Richter kann anordnen, daß diese Untersnchong unter Mitwirkung 
oder Leitung des Gerichtsarztes stattzufinden hat. Wird von dem Gerichtsarzt 
eine solche Anordnung verlangt, so hat der Richter diesem Verlangen nach¬ 
zugeben, falls nicht besondere Gründe dagegen sprechen.“ 

Ich muss es dem Antragsteller überlassen, seinen Vorschlag 
zu begründen; ich habe bisher in meiner Praxis das Bedürfnis 
für eine solche Bestimmung noch nicht empfunden. Im Gegenteil 
habe ich immer den Standpunkt vertreten, dass die analytischen 
Untersuchungen Sache des Chemikers sind und diesem überlassen 
werden sollen, und dass wir von dem Chemiker nur verlangen 
können, dass er unser Recht respektiert, wenn auch wir keinen 
Uebergriff in sein Gebiet vornehmen. Ich lehne daher etwaige 
gerichtliche Aufträge auch zu leichteren chemischen Untersuchungen, 
zu denen ich die notwendigen Einrichtungen und Fertigkeiten 
besitze, ab, und beschränke mich auf die unmittelbar bei der 
Sektion etwa anzustellenden und eigentlich noch zur Sektion ge¬ 
hörigen Reaktionen, die, abgesehen von der Untersuchung auf 
Kohlenoxyd Vergiftung, zumeist nur vorläufiger Natur sind und einen 
bloss informatorischen Charakter tragen. Dafür wünsche ich aller¬ 
dings, dass die Beurteilung der Gesundheitsschädlichkeit einer 
vom Chemiker gefundenen giftigen Substanz als medizinische Frage 
mir zukommt, und halte es ebenso für notwendig, dass sich in 
Fällen von fraglichem Gifttod der Richter nicht mit dem chemi¬ 
schen Befunde begnügt, sondern den Mediziner befragt, welcher 
Schluss daraus zu ziehen ist. Ich habe Klagen von Kollegen 
darüber gehört, dass dies nicht geschieht, dass unzutreffenderweise 
ohne weiteres bei positivem Ausfall der chemischen Analyse Tod 
durch Vergiftung angenommen und Anklage erhoben, bei negativem 
Ausfall Giftmord ausgeschlossen und das Verfahren eingestellt 
wird. Eine gesetzliche Bestimmung zu schaffen, die derartiges 
verhindert und die den Wirkungskreis der einzelnen Sachver¬ 
ständigen abgrenzt, dürfte kaum möglich sein. Eine Besseruug 
dieser Verhältnisse kann nur durch Aufklärung der Juristen herbei¬ 
geführt werden; wie ich höre, soll auch vor einiger Zeit eine 
justizministerielle Verfügung in Preussen ergangen sein, die die 
Gerichte darüber aufklärt, dass die Fragen der Gesundheitsschäd¬ 
lichkeit und Giftigkeit nicht Sache des chemischen Sachverständigen 
sind. In gleicher Weise wird eine Aufklärung darüber zu er¬ 
streben sein, dass Untersuchungen auf Blut, auf Sperma, auf 
Haare vorwiegend mikroskopisch anatomische Untersuchungen sind 
und dass die mikroskopische Anatomie einen Teil des medizinischen 

2 



18 


Dr. Straßmann. 


Stadiums and der medizinischen Wissenschaft, aber nicht der 
chemischen darstellt. Wenn einzelne Chemiker sich in diese Ge¬ 
biete eingearbeitet haben and sich in diesen grosse Uebnng 
and Erfahrung verschafft haben and anderseits mitunter Mediziner, 
die sich mit Bluthistologie befasst haben, sehr verfehlte Gutachten 
abgeben, so ändert das an dem Prinzip jedenfalls nichts. 

Die im Vorjahre von mir hervorgehobene Lücke in der 
Strafprozessordnung, bedingt darch das Fehlen von ausdrücklichen 
Bestimmungen über die Zulässigkeit körperlicher Unter¬ 
suchung bei Angeschuldigten und Zeugen, hat der Kom¬ 
missionsbeschluss zum Abschnitt 8 (hinter § 111) ausgefüllt. Im 
allgemeinen werden wir mit den hier gemachten Vorschlägen uns 
einverstanden erklären können. Schwierigkeiten hat bei der 
Kommissionsberatung die Frage gemacht, was bei einer Weigerung 
der betreffenden Personen, sich untersuchen za lassen, geschehen 
soll. Die Kommission hat anscheinend ans formal juristischen 
Gründen Abstand genommen von der Anordnung von Strafen analog 
den Strafen für die Zeugnisverweigerung; sie hat vielmehr für 
solche Fälle den Zwang zur Untersuchung für zulässig erklärt. 
Den Einwand, dass die gewaltsame Vornahme einer Untersuchung 
die betroffene Person körperlich schädigen könne, hat die Kom¬ 
mission in ihrer Mehrheit damit abzutun geglaubt, dass sie sagte, 
eine Gefährdung der betroffenen Personen durch gynäkologische 
Untersuchungen sei nicht zu befürchten, da erwartet werden dürfe, 
dass dazu nur geeignete Spezialärzte verwendet werden würden. 
Ob diese Gefahr in der Tat so ausgeschlossen ist, kann vielleicht 
zweifelhaft sein. Richtig ist aber sicher, was die Mehrzahl der 
Kommission weiter hervorgehoben hat, dass überhaupt nur selten 
ein solcher Zwang tatsächlich ausgeführt werden wird, da eine 
dauernde Weigerung selbst gegenüber der Drohung des Zwanges 
nicht leicht Vorkommen wird. Wenn sie aber vorkommt, so liegt 
in einer erzwungenen körperlichen Untersuchung, besonders in der 
erzwungenen Untersuchuug der Genitalien einer weiblichen Person, 
um die es sich meist handeln wird, zumal einer unverdächtigen 
Person, einer Zeugin gegenüber, ein so gewaltiger Eingriff in die 
körperliche Freiheit und das weibliche Schamgefühl, dass dafür 
meines Erachtens grössere Garantien geschaffen werden müssen, 
als sie die Kommission dadurch geschaffen hat, dass zur Anordnung 
des Zwanges nur der Richter, zumeist wohl der Einzelrichter, 
zuständig sein soll. Ich kann mich nicht davon überzeugen, dass 
das bestandene Assessorexamen und die eventuell vorübergehende 
Beauftragung mit richterlichen Funktionen nun in jedem Falle 
das Mass von Besonnenheit verleihen, das der besitzen muss, dem 
ein so folgenschweres Recht in unbedingter Weise gewährt werden 
soll. Ich glaube, dass hier dieselbe Garantie geschaffen werden 
sollte, die für die Verbringung in die Irrenanstalt gemäss § 81 
der Strafprozessordnung gewährt ist: dass nämlich der Betroffene 
das Recht sofortiger Beschwerde mit aufschiebender Wirkung 
erhält. Wie ich schon im Vorjahre bemerkte, wird, wenn alle 
beteiligten richterlichen Personen mit der in solchen Fällen not- 



Gerichts ärztl. Wünsche in bezog auf die bevorstehende Reform der 8tr.-Pr.-0. 19 

▼endigen Schnelligkeit Vorgehen, nicht zu befürchten sein, dass 
durch Einführung dieser Garantie der Untersuchungszweck ver¬ 
eitelt wird, nnd dass früher vorhandene Sparen eines Verbrechens 
nicht mehr nachweisbar sind. 

Zn diesem Eommissionsbeschlnss ist von einzelnen Mitgliedern 
noch gewünscht worden, dass das in Klammem eingesetzte Wort 
„Aerztinnen“ neben Aerzten in Fortfall kommt. Es dürfte in 
der Tat dieses Wort überflüssig sein, da es keinem Zweifel unter¬ 
liegt, dass approbierte Aerztinnen als Aerzte im vollen gesetzlichen 
Sinne zu gelten haben, wie das auch in der Kommissionsberatnng 
speziell gesagt worden ist, nnd dass sie daher mit einer solchen 
Untersuchung beauftragt werden können. Nicht in Deutschland 
approbierte Aerztinnen aber mit derartigen gewissermassen amt¬ 
lichen Funktionen zu betrauen, entspricht doch nicht dem sonst 
in dieser Beziehung festgehaltenen Brauch. Der Zusatz dürfte 
also überflüssig sein; er scheint anderseits nicht unbedenklich, da 
vielleicht aus ihm hergeleitet werden könnte, dass Aerztinnen für 
diese Untersuchung besonders geeignet sind und einen besonderen 
Vorzug verdienen, was wir nicht anerkennen können. Wir haben 
indessen von einem Antrag auf Streichung des Wortes „Aerztinnen" 
Abstand genommen, weil derselbe leicht missverstanden werden 
könnte. 

Wegfallen könnten, wie weiter geäussert wurde, auch die 
Worte „Angehöriger oder", so dass es dann heissen würde: 
„auf Verlangen ist eine geeignete weibliche Person als Beistand 
zur Untersuchung zuzuziehen*. Als solche geeignete weibliche 
Person wird wohl immer in erster Reihe eine weibliche Angehörige, 
wenn sie vorhanden ist, in Betracht kommen, so dass ein besonders 
entsprechender Zusatz kaum notwendig ist. Einen männlichen 
Angehörigen aber, etwa den Bräutigam, zu solchen Untersuchungen 
zuzuziehen, wie es nach dem Wortlaut des vorgeschlagenen Para¬ 
graphen möglich sein würde, ist doch wohl kaum angebracht. 

Auf Grand der früher von Herrn Prof. Heimberger erhobenen 
Bedenken habe ich meinen Vorschlag nicht wiederholt, im An¬ 
schluss an den § 157 gesetzliche Grundlagen zu schaffen für die 
Einführung der sanitätspolizeilichen Leichenöffnung oder 
wie es von anderer Seite gewünscht worden ist, der obligatori¬ 
schen ärztlichen Leichenschau in allen Fällen zweifelhaften natür¬ 
lichen Todes. 

Wesentliche Wünsche haben wir dann noch geltend zu machen 
im Anschluss an den § 188 (Beweisaufnahme in der Vor¬ 
untersuchung). Die bisherige Fassung desselben ist: 

„Die Voruntersuchung ist nicht weiter auszudehnen, als erforderlich ist, 
um eine Entscheidung darüber zu begründen, ob das Hauptverfahren zu eröffnen 
oder der Angeschuldigte außer Verfolgung zu setzen sei. 

Auch sind Beweise, deren Verlust für die Hauptverhandlung zu besorgen 
steht, oder deren Aufnahme zur Vorbereitung der Verteidigung des An- 
geschuldigten erforderlich erscheint, in der Voruntersuchung zu erheben.“ 

Nach den Beschlüssen der Kommission würde der Absatz 1 
dieses Paragraphen künftig lauten: 

„Die Voruntersuchung ist nicht weiter auszudehnen, als erforderlich ist, 

2 * 



20 


Dr. Straßmann. 


am eine Entscheidung darüber zn begründen, ob das Hauptverf&hren zn er¬ 
öffnen oder der Angeschnldigte außer Verfolgung zn setzen sei and am im 
ersteren Falle die Durchführung der Hanptverhandlnng zn ermöglichen.“ 

In dem Rahmen dieses Abänderungsvorschlages, der die Auf¬ 
gabe der Voruntersuchung erweitert, bewegen sich auch unsere 
Vorschläge. Wir halten einen Hinweis auf die Notwendigkeit der 
Einholung sachverständiger Gutachten schon im Vorverfahren 
für geboten. Erfahrungsgemäss geschieht das bisher nicht immer 
in genügender Weise. Ich bin wiederholt im Schwurgericht bei 
Anklagen wegen Körperverletzung mit tödlichem Ausgange tätig 
gewesen, die durch die Voruntersuchung entschieden nicht aus¬ 
reichend geklärt waren, bei denen uns vor der Hauptverhandlung 
nicht Gelegenheit gegeben war, uns über die keineswegs einfache 
Frage des ursächlichen Zusammenhanges auszusprechen, bei denen 
Anklage erhoben worden war ohne Einholung des nach Lage der 
Sache unbedingt notwendigen begründeten ärztlichen Gutachtens. 
Mitunter musste dann in der Hauptverhandlung der schwierige 
Versuch gemacht werden, das fehlende Material besonders in Ge¬ 
stalt der behandelnden Aerzte herbeizuschaffen, weil wir allein 
auf Grund des Leichenbefundes ein bestimmtes Gutachten über 
den Zusammenhang von Verletzung und Tod nicht abgeben 
konnten. Andere Male war z. B. eine Anklage wegen Abtreibung 
ohne Anhörung eines medizinischen Sachverständigen erhoben 
worden; erst in der Hauptverhandlung wurde ich zugezogen und 
konnte gelegentlich feststellen, dass die Anklage von irrigen Vor¬ 
aussetzungen ausgegangen war, dass nur harmlose, anscheinend 
auch von den Angeklagten selbst nicht für abortiv gehaltene 
Mittel angewendet worden waren. Ich komme endlich hier noch¬ 
mals auf die bereits früher erwähnte Frage der fahrlässigen Wochen¬ 
bettinfektion zurück. Es wurde schon vorhin darauf hingewiesen, 
dass gerade in solchen Fällen dem Anträge des Arztes auf Akten¬ 
einsicht und Zuziehung zu den Vernehmungen nachgegeben werden 
müsste. Selbstverständlich kann aber ein solcher Antrag nur 
gestellt werden, wenn der ärztliche Sachverständige Überhaupt 
zur Begutachtung zugezogen wird und insofern ist die Bestimmung, 
die zu dem § 188 vorgeschlagen wird, noch wichtiger, als die 
vorhin angeregte. 

Ich habe an dieser Stelle ferner den im Vorjahre gestellten 
Antrag wiederholt: dem Angeschuldigten das Recht zuzugestehen, 
schon im Vorverfahren die Einholung eines Gegengut¬ 
achtens zu verlangen, allerdings mit einer gewissen Ein¬ 
schränkung. Es wurde von verschiedenen Seiten hervorgehoben, 
dass ein solches unbedingtes Recht wohl nicht angebracht sei, 
dass es zur Verschleppung missbraucht werden könne und dass 
es eine erhebliche Belastung des Strafverfahrens darstellen würde, 
wenn ein Angeschuldigter in jedem, auch im einfachsten Falle, 
die Einholung noch eines weiteren Gutachtens neben dem schon 
erstatteten verlangen dürfte. Mit Rücksicht hierauf habe ich 
meinem Vorschlag die Worte zugesetzt: „falls dieser Antrag nicht 
ganz unbegründet erscheint 0 . In dieser Form bitte ich aber 



Gerichts ürztl. Wünsche in hezng auf die bevorstehende Reform der Str.-Pr.-O. 21 

dringend, den Antrag anznnehmen. Es ist ein berechtigtes Inter¬ 
esse eines Angeschuldigten, dass er nicht nnr vor einer Ver¬ 
urteilung, sondern auch vor einer Stellung unter Anklage auf 
Grund eines irrigen Gutachtens geschützt wird. Dass solche irrigen 
Gutachten Vorkommen, wird nicht bezweifelt werden; ich darf 
mich im einzelnen auf meine vorjährigen Ausführungen beziehen. 
Ich will aber nicht verfehlen, auf einen krassen derartigen 
Fall hinzuweisen, den mir Herr Prof. Dr. Cr am er -Göttingen 
neuerdings mitgeteilt hat: Eine Anklage wegen Stnprums stützte 
sich auf das Gutachten eines Arztes, der bekundete, dass er als 
beweisendes Zeichen eines stattgehabten Missbrauches „ein Ver¬ 
strichensein des Muttermundes“ festgestellt habe. Solche Fälle ab¬ 
soluter Ignoranz sind gewiss selten, aber ich glaube, dass, ebenso 
wie ich, mancher von Ihnen schon die Erfahrung gemacht haben 
wird, dass Aerzte, die ungeübt in gerichtlich-medizinischen Unter¬ 
suchungen sind, bei der Beurteilung des Hymen und seiner Ver¬ 
letzungen nicht selten grobe Irrtümer begehen, und dass auf diesem 
Gebiete manche Anschuldigung gestützt wird durch ein fehlerhaftes 
ärztliches Gutachten. 

Hinweisen möchte ich bei dieser Gelegenheit darauf, dass 
nach den Beschlüssen der Kommission künftig nicht mehr unbe¬ 
dingt die von dem Angeklagten direkt zur Hauptverhandlung 
geladenen Sachverständigen oder Zeugen vernommen werden 
müssen. Die Kommission hat, wenn auch mit sehr geringer Mehr¬ 
heit, beschlossen, dass auch in den Hauptverhandlungen vor den 
mittleren und grossen Schöffengerichten das Gericht die Erhebung 
einzelner Beweise ablehnen kann, wenn es die Tatsachen, die da¬ 
durch bewiesen werden, zugunsten des Angeklagten für erwiesen 
oder einstimmig für unerheblich erachtet, sowie, dass die Gründe 
für die Unerheblichkeit im Beschlüsse anzugeben sind. 

Trotz dieser Einschränkungen wird man in der Neuerung 
doch eine Verschlechterung der Stellung des Angeklagten sehen 
müssen und mit Rücksicht hierauf wird es vielleicht noch mehr 
erwünscht sein, seine Stellung im Vorverfahren etwas zu stärken, 
wie es durch den vorher behandelten Antrag geschehen würde. 

Ich erwähne noch, dass nach den Beschlüssen der Kommission 
der § 238 künftig wegfallen soll, der an Stelle der Vernehmung 
durch den Gerichtsvorsitzenden das Kreuzverhör durch Staats¬ 
anwalt und Verteidiger für zulässig erklärt. Diese Abänderung 
hat wohl keine grosse Bedeutung, da die Bestimmungen über 
Kreuzverhör bisher kaum praktisch geworden sind. Die Ansicht, 
dass nun die direkte Befragung des Sachverständigen durch 
Staatsanwalt und Verteidiger nach der Vernehmung durch den 
Gerichtsvorsitzenden in Wegfall käme, die mir gegenüber in einer 
Zuschrift geäus8ert worden ist, beruht auf einer irrigen Auf¬ 
fassung des Begriffes Kreuzverhör. 

Ein weiterer Beschluss der Kommission zu § 240 wird viel¬ 
fach und auch in unseren Kreisen beifällig begrüsst werden. Es 
soll danach bestimmt werden, dass der Vorsitzende Fragen an 
Zeugen und Sachverständige, deren Beantwortung diesem selbst 



22 


Dr. Straßmann. 


oder einem der Angehörigen der Zeugen oder Sachverständigen, 
oder einem anderen Zeugen oder Sachverständigen zur Unehre 
gereichen konnte, zur&ckweisen soll, wenn der zu bekundende 
Umstand als für die Entscheidung unerheblich anzusehen ist. 

Der zu § 255, Abs. 1 (Verlesung des Gutachtens in 
der Hauptverhandlung) gestellte Antrag ist eine Wieder¬ 
bdung des schon vordem von mir gestellten; sein Zweck ist, uns 
Sachverständige etwas von der Last mündlicher Termine zu be¬ 
freien, die für die Sache selbst entbehrlich sind, in denen wir nur 
unsere schriftlichen, von keiner Seite bezweifelten Gutachten 
wiederholen. Ich hatte früher beantragt, die Vorlesung schrift¬ 
licher medizinischer Gutachen in den vor dem Schöffengericht 
stattfindenden Verhandlungen zu gestatten. Da nach den Be¬ 
schlüssen der Kommission künftighin an Stelle der Schöffengerichte 
teils der Einzelrichter, teils die sogenannten kleinen Schöffengerichte 
treten werden, ergab sich die Notwendigkeit einer etwas anderem 
Formulierung des Antrages. Zur Begründung desselben kann ich 
auf meine früheren Ausführungen verweisen. Ob der Antrag Aus¬ 
sicht auf Erfolg hat, ist allerdings vielleicht zweifelhaft Die 
Verhandlungen der Beformkommission sind im übrigen einer Ein¬ 
schränkung des Prinzips der Mündlichkeit nicht gerade günstig 
gewesen; es ist sogar zu § 366 ein Beschluss gefasst worden, der 
die Zulässigkeit der Verlesung von Schriftstücken in der Haupt¬ 
verhandlung noch in höherem Masse einschränkt, als bisher. 

Mehrfach ist der Wunsch geäussert worden, im Anschluss 
an die §§ 273 u. 274 Bestimmungen zu treffen, die eine bessere Proto- 
kollierung und Aufnahme des vom Sachverständigen 
in der Hauptverhandlung abgegebenen Gutachtens sichern 
sollen. Es ist vorgeschlagen worden, auch hier, ähnlich wie im 
Vorverfahren dem Sachverständigen das Becht zu verleihen, sein 
Gutachten selbst zu Protokoll zu diktieren und dieses Protokoll 
nachträglich zur Durchsicht zu verlangen. In einer Zuschrift 
wurde übrigens die Ansicht geäussert, der Beschluss der Beform¬ 
kommission, wonach die Prozessbeteiligten zur Durchsicht der 
Protokolle und zur Stellung von Anträgen auf Berichtigung oder 
Ergänzung befugt seien, gebe auch uns Sachverständigen die 
Möglichkeit, eine Bichtigstellung etwaiger Irrtümer über unsere 
Gutachten zu erlangen. Die Ansicht erscheint mir irrig, die Sach¬ 
verständigen sind, soviel ich weiss, keine Prozessbeteiligten in 
diesem Sinne. Was jenes Verlangen nach grösserer Garantie für 
eine korrekte Aufnahme unserer Gutachten anlangt, so hat es 
unzweifelhaft eine Berechtigung. Missverständnisse kommen seitens 
der Bichter nicht so selten vor, wenn auch vielleicht nicht so 
häufig, wie seitens der Zeitungsberichterstatter, die unsere Gut¬ 
achten oft in so verkehrter Weise auf fassen und wiedergeben, 
dass mitunter unser Ansehen gegenüber Kollegen und Publikum 
dadurch leiden kann. Es wäre auch für die spätere Begutachtung 
eines schon früher von anderen Sachverständigen — nur münd¬ 
lich — begutachteten Falles mitunter recht wünschenswert, wenn 
wir eine genauere Wiedergabe des vordem erstatteten Gutachtens 



Gerichtsärztl. Wünsche in bezug aof die bevorstehende Reform der 8tr.-Pr.-0 28 


in den Akten vorfänden. Man darf aber nicht verkennen, dass 
ebenen wie wir Sachverständigen auch Zengen ein sehr lebhaftes 
Interesse haben, dass ihre Anssagen richtig aufgefasst und wieder* 
gegeben werden. Gewiss ist im allgemeinen bei der Anssage 
eines Zengen, die sich auf Tatsachen bezieht, ein Missverständnis 
weniger wahrscheinlich, als bei einem Sachverständigengutachten, 
das Dinge behandelt, deren Kenntnis nicht Allgemeingut ist. 
Anderseits ist aber für den Zeugen die Gefahr, anf Grund einer 
irrig anfgefassten Aussage der Verletzung der Eidespflicht be¬ 
schuldigt zu werden, eine erheblich grössere, als für den Sach¬ 
verständigen, bei dem diese Gefahr zwar theoretisch, aber nicht 
praktisch in gleichem Masse besteht. Ich bemerke bei dieser 
Gelegenheit, dass die Reformkommission für Sachverständige den 
Voreid als Regel aufgestellt hat, dass sie aber auch beschlossen 
hat, die Beeidigung soll unterbleiben dürfen, wenn die Staats¬ 
anwaltschaft und der Angeklagte mit der Unterlassung der Be¬ 
eidigung einverstanden sind. Man wird also in Zukunft viel mehr 
mit unbeeideten Sachverständigen-Gutachten zu rechnen haben. Mit 
Rücksicht darauf glaube ich, dass, wenn man die Protokollierung, 
Verlesung und Genehmigung der Sachverständigengutachten ver¬ 
langt, das gleiche für die Zeugenaussagen in der Hauptverhandlung 
billig würde gefordert werden können. Damit würde aber unser 
ganzes Verfahren den eigentlichen Charakter der Unmittelbarkeit 
und Mündlichkeit verlieren, auf den seitens der Kriminalisten der 
grösste Wert gelegt wird und der unseren ganzen Strafprozess 
beherrscht. Erwägenswert erscheint mir ein anderer Ausweg. 
Man könnte bei jeder Gerichtsverhandlung durch einen vereidigten 
Stenographen ein Protokoll führen lassen, welches der Verhandlung 
beigegeben wird, während das Urteil selbst ohne Rücksicht auf 
dieses Protokoll nach dem unmittelbaren Eindruck der mündlichen 
Hauptverhandlung, so wie bisher, gefällt wird. Es würde das 
Verfahren alsdann ähnlich sein dem in unseren Parlamenten üb¬ 
lichen, wo auch Reden und Beschlüsse einerseits und das steno¬ 
graphische Protokoll anderseits nebeneinander hergehen. Bei voller 
Wahrung der Grundsätze unserer Strafprozessordnung würde damit 
doch für alle etwa später sich anschliessenden Erörterungen, also 
fiir die Frage, ob ein Zeuge seine Eidespflicht verletzt bat, für 
die Frage, wie ein Sachverständiger den Fall damals begutachtet 
hat, eine ganz andere Unterlage geschaffen sein, als bisher. Die 
Frage, ob die Stenographie in den Strafprozess eingeführt 
werden sollte, ist auch in der Kommission erörtert worden. 
Es herrschte jedoch, wie die Protokolle ergeben, Uebereinstimmung 
darüber, dass der Vorschlag praktisch undurchführbar sei, weil 
keine genügende Anzahl befähigter Stenographen zur Verfügung 
stände, weil die Prüfung der Stenogramme, die Uebertragung 
derselben in gewöhnliche Schrift einen erheblichen Zeitaufwand, 
eine grosse Vermehrung des Schreibwerkes und wesentliche Kosten 
verursachen würde. Ob diese Hindernisse in der Tat so unüber¬ 
windbar sind, vermag ich nicht zu unterscheiden; ich glaube aber, 
wir sollten uns eines entsprechenden Antrages enthalten, nachdem 



24 


Dr. Asch&ffenborg. 


von massgebender juristischer Seite derselbe als praktisch un¬ 
durchführbar bezeichnet worden ist. Denn nur, wenn wir uns auf 
das beschränken, was praktisch ausführbar ist, und weitergehende, 
wenn auch berechtigte Wünsche zurückstellen, können wir erwarten, 
dass unsere Anträge Berücksichtigung finden. Ich glaube, dass 
die Anträge, die ich die Ehre hatte, vor Ihnen zu vertreten, jenes 
Erfordernis erfüllen. 

(Lebhafter BeifalL) 

H. Prof. Dr. Aschaffenburg - Cöln a./Bh.: M. H.! Ich habe 
mich mit Herrn Prof. Dr. Heimberger dahin geeinigt, dass 
ich ihm von den übrigbleibenden Bestimmungen aus dem Gebiete 
der Strafprozessordnung einiges ganz überlasse und mich nur zu 
den Fragen äussere, bei denen medizinische Gesichtspunkte 
zu Reformvorschlägen drängen. 

Unter den Paragraphen, die im Laufe der letzten Jahre eine 
von der früheren Beurteilung wesentlich verschiedene Würdigung 
gemessen, sind vor allem diejenigen zu nennen, die sich auf die 
Zeugenaussagen und deren Glaubwürdigkeit beziehen. Während 
man früher als selbstverständlich voraussetzte, dass jeder mit 
klaren Sinnen Begabte imstande sei, zuverlässig wahrzunehmen 
und das Wahrgenommene richtig wiederzugeben, haben die Studien 
zur Psychologie der Aussage gezeigt, dass jeder bei seinen Be¬ 
obachtungen nur einen Teil richtig aufzufassen vermag, und dass 
sich in die Erinnerungen neue Fehler einschleichen. Man kann 
wohl aus einer Reihe von Zeugenaussagen ein klares und [zu¬ 
treffendes Bild von den Ereignissen gewinnen, aber jede einzelne 
Aussage enthält in jedem etwas verwickelteren Falle manches 
Unzutreffende. Durch diese Erfahrung werden wir notwendiger¬ 
weise vorsichtig gemacht und dürfen nicht ohne weiteres jede 
eidliche Aussage als absolute Wahrheit betrachten. 

Gilt das schon gegenüber dem geistig Gesunden, so erst 
recht da, wo eine Erkrankung des Geistes die klare Auffassung, 
die sachgemässe Verarbeitung, die einwandfreie Erinnerung zu 
trüben imstande ist. Diese Gefahr ist ausserordentlich gross, da 
bei dem Geisteskranken in wechselnder Stärke Aufmerksamkeit, 
Merkfähigkeit und Gedächtnis leidet, Sinnestäuschungen, Er¬ 
innerungsfälschungen und affektive Falschdeutungen des Beob¬ 
achteten auftreten können. 

Nun liegt es zwar in der Hand des Richters, wie weit er 
einem Zeugen, auch einem gesunden Zeugen Glauben schenken will; 
grobe Entstellungen wird auch der Richter sofort als solche er¬ 
kennen. Immerhin aber nicht so häufig, wie notwendig wäre. 
Vor allen Dingen glaube ich nicht, dass die Vereidigung tat¬ 
sächlich imstande ist, die Erinnerung zu schärfen, indem sie den 
Vereidigten mit Nachdruck auf die Notwendigkeit, sein Gedächt¬ 
nis anzuspannen, hinweist. Ich glaube vielmehr, dass auch ein 
Gesunder unter Umständen durch die Feierlichkeit der Beeidigung 
allein schon in eine gewisse Erregung gerät, die der Sicherheit 
der Erinnerung nicht günstig ist, und das wird umsomehr ein- 



Gerichts&rztl. Wünsche in bezug auf die bevorstehende Eelorm der Str.-Pr.-O. 26 

treten, je leichter sein psychisches Gleichgewicht gestört wird; 
also je näher er der Grenze geistiger Störung steht. 

Der § 56 der Strafprozessordnung 1 ) schliesst von der Be¬ 
eidigung, abgesehen von Personen unter 16 Jahren, diejenigen 
ans, die wegen mangelnder Verstandesreife oder wegen Verstandes¬ 
schwäche von dem Wesen and der Bedeutung des Eides keine ge¬ 
nügende Vorstellung haben. Es ist leicht zu beweisen, dass das 
nicht ausreicht. Von der Vereidigung sind eben nur die aus¬ 
geschlossen, deren intellektuelle Störung sie in der Erfassung des 
Wesens der Vereidigung hindert, nicht aber diejenigen, deren 
Aussagen von wahnhaften Ideen beeinflusst sind. Ich verweise 
z. B. auf den Querulantenwahn. Der Querulant weiss natürlich 
ganz genau, was der Eid bedeutet; er wird aber seiner wahn¬ 
haften Vorstellung in den Aussagen ohne weiteres den Platz ein¬ 
räumen, den er für richtig findet. Er wird unter Umständen 
sogar, um seine Gegner zu schädigen und zu vernichten, einen 
Meineid schwören, und doch wird ihn niemand für zurechnungs¬ 
fähig im Sinne der Strafgesetzgebung halten. So könnte es also 
Vorkommen, dass ein Kranker vereidigt werden muss, für seine 
falschen Angaben aber nicht verantwortlich gemacht werden kann. 
Gewiss ein unhaltbarer Zustand, wenn man dazu noch erwägt, 
dass zwischen den richtigen und falschen Aussagen eine Ent¬ 
scheidung oft garnicht möglich ist, und dass der Richter nur zu 
sehr geneigt ist, beeidigte Aussagen für glaubhaft zu halten. 

Zur Erläuterung eines andern Bedenken muss ich auf den¬ 
selben Fall hinweisen, den ich an gleicher Stelle schon im vorigen 
Jahre erwähnt habe. Ein Mann sollte Angaben machen über 
Wahrnehmungen, die er zu einer Zeit schwerster, tobsüchtiger 
Erregung gemacht hatte. Zur Zeit der Vereidigung war er von 
seiner Krankheit genesen. Ich machte, als Sachverständiger ver¬ 
nommen, darauf aufmerksam, wie bedenklich es sei, Auskunft über 
eine Zeit zu verlangen, in der eine so schwere Erkrankung das 
gesamte Denken beeinflusst haben musste. Mir wurde aber ent¬ 
gegengehalten, dass ich nur zu beantworten habe, ob der zu Ver¬ 
nehmende zurzeit von dem Wesen und der Bedeutung des Eides 
eine genügende Vorstellung habe; das musste ich selbstverständ¬ 
lich bejahen. Der Fall beweist, dass eine Lücke der Gesetzgebung 
besteht, die, wenn auch nicht häufig, doch gelegentlich von 
grösster praktischer Bedeutung sein kann. 

Ich habe mich bemüht, einen Wortlaut für den Paragraphen 
zu finden, der beide Fehler beseitigt. Ich möchte Ihnen den fol¬ 
genden Vorschlag unterbreiten: 

„Unbeeidigt sind zu vernehmen Personen, deren 

Aussagen oder Wahrnehmungen durch Geistes¬ 
krankheit oder Geistesschwäche beeinflusst sind.* 


*) § 56 Str.-Pr.-O.: „Unbeeidigt sind za vernehmen: 

Personen, welche zarzeit der Vernehmung das 16. Lebensjahr noch nicht 
vollendet oder wegen mangelnder Verstandesreife oder wegen Verstandes¬ 
schwäche von dem Wesen and der Bedeutung des Eides keine genügende 
Vorstellung haben." 



26 


Dr. Aflchaffenburg. 


Ich glaube, dass dieser Wortlaut allen Schwierigkeiten ge¬ 
recht za werden vermag. Aach Hoche hat sich diesem Vor¬ 
schlag angeschlossen; in einer Besprechung ist aber seitens eines 
Juristen, Kulimann, der Zusatz gewünscht worden: „sofern ein 
Einfluss der Beeidigung auf die Richtigkeit der Aussagen aus¬ 
geschlossen ist.“ Ich glaube nicht, dass dieser Zusatz zweck¬ 
mässig ist. Wie schon erwähnt, wird ein nervös Erregter durch 
die Beeidigung eher unsicherer, ein wahnhaft Beeinflusster aber 
nicht von einer Unwahrhaftigkeit zurückgehalten, zn der sich 
ein Paranoiker z. B. berechtigt glaubt, da seine Feinde ja auch 
mit unlauteren Mitteln arbeiten. 

Ueber die Vereidigung Geisteskranker habe ich vor kurzem 
in dem Psychiatrischen Verein der Rheinprovinz einen Vortrag ge¬ 
halten, der sich im wesentlichen mit meinen heutigen Ausführungen 
deckt. Der Verein hat daraufhin eine Kommission, bestehend aus 
den Herren Pelm an, Ungarund mir, beantragt, einen Vorschlag 
anszuarbeiten und Sie, m. H., den Verein der Deutschen Medizinal- 
beamten, zu bitten, unseren Vorschlag auch zu dem Ihrigen zu 
machen. Das ist hiermit geschehen und ich hoffe, dass das Ge¬ 
wicht unserer Anträge durch Ihre Zustimmung gestützt wird. — 

Auch der Leitsatz 3 beschäftigt sich mit den Zeugen. Eis 
kann doch leicht der Fall Vorkommen, dass ein Zeuge dm* 
Geisteskrankheit verdächtig ist; das Gesetz berechtigt uns aber 
nicht, den Zeugen auf seinen geistigen Zustand hin zu untersuchen; 
mindestens hat der Zeuge das Recht, sich dem zu widersetzen. 
Dabei kann gerade von der Aussage eines solchen Zeugen alles 
abhängen. Ich weise nur auf die Fälle hin, in denen etwa eine 
Hysterische angibt, sie sei geschlechtlich angegriffen worden. 
Bis die Untersuchung stattfindet, wenn eine solche überhaupt 
berechtigt ist, können die Sparen eines frischen Eingriffs ver¬ 
schwunden sein, so dass die Entscheidung, ob das angebliche 
Attentat wirklich geschehen ist oder nicht, ganz unmöglich ist. 
Hier würde nun die Feststellung, dass es sich um eine Hysterische 
handelt, und der weitere Nachweis, dass die Neigung zum Ver- 
läumden und zum Erfinden dramatischer Schauerszenen in ihrer 
krankhaften Natur begründet sei, leicht den Richter auf den rich¬ 
tigen Weg weisen können. Diese Feststellung kann aber nicht 
bei einer flüchtigen Besprechung geschehen; dazu bedarf es einer 
längeren Untersuchung, am besten wohl einer Beobachtung in 
einer Irrenanstalt. Ich will gern zugeben, dass diese Mass- 
regel so einschneidend ist, dass sich ein erklärlicher Widerstand 
dagegen erheben dürfte. Es soll sich ja anch nicht um eine 
häufiger anzuwendende, sondern um eine Ausnahmemassregel han¬ 
deln ; ich glaube deshalb auch, dass gegen den Beschluss der 
Einweisung die Beschwerdeberechtigung zugestanden werden muss. 

Herr Prof. Dr. Heimberger hatte auf der vorigen Ver¬ 
sammlung die Befürchtung ausgesprochen, es würde seitens der 
Juristen der Vorschlag, obgleich seine Notwendigkeit gewiss in 
vereinzelten Fällen zugestanden werden müsste, abgelehnt werden. 
Er wies darauf hin, wie man vielleicht die Bedenken der Juristen 



Gerichts ärztl. Wünsche in bezng ul die bevorstehende Reform der Str.-Pr.-O. 27 


beseitigen könne, wenn wir nns nämlich anf diejenigen Fälle be¬ 
schränkten, in denen die fragliche Zeugin gleichzeitig die An¬ 
geberin des angeblichen Verbrechens ist oder diejenige, anf deren 
Antrag hin die Strafverfolgung eingeleitet worden ist. Heim¬ 
bergers Vorschlag scheint mir durchaus zweckentsprechend zu 
sein und ich lege Ihnen deshalb in dem Leitsatz 3 eine Fassung 
vor, in der wir uns bemüht haben, seiner Anregung Folge zu 
leisten und sie mit unseren Wünschen zu vereinigen. Er lautet: 
„Gibt der Geisteszustand eines Zeugen zu Be* 
denken Anlass, so ist ein Sachverständiger zur 
Beobachtung und Begutachtung zu bestellen. 
Hat der Zeuge selbst das Verbrechen angezeigt 
oder den Antrag auf Strafverfolgung gestellt, so 
kann das Gericht zur Vorbereitung eines Gutach¬ 
tens auf Antrag eines Sachverständigen und nach 
Anhörung eines dem Zeugen zur Wahrung seiner 
Interessen zu bestellenden oder von ihm gewählten 
Bechtsanwalts anordnen, dass der Zeuge in eine 
Irrenanstalt gebracht und dort beobachtet werde. 
Gegen denBeschluss findet sofortige Beschwerde 
statt; diese hat aufschiebende Wirkung. — Die 
Verwahrung in der Irrenanstalt darf die Dauer 
von sechs Wochen nicht überschreiten.* 

Leitsatz 5 zu § 81 (Einweisung eines Angeschul¬ 
digten in eine öffentliche Irrenanstalt behufs Beob¬ 
achtung) lautet: 

„Falls von dem Gericht oder von dem Angeschul¬ 
digten ein Obergutachten verlangt wird, kann 
von neuem die Einweisung in eine der obergut¬ 
achtlichen Behörde oder dem als Obergutachter 
bestellten Sachverständigen zugängliche Irren¬ 
anstalt auf die Dauer von höchstens sechs Wochen 
beschlossen werden. — Der Beschluss ist mit der 
sofortigen Beschwerde anfechtbar; diese hat auf- 
schiebende Wirkung.* 

Hierzu sind nicht viel Worte zu verlieren. Wir stehen im 
allgemeinen auf dem Standpunkte, dass ein psychiatrisches Gut¬ 
achten nicht abgegeben werden darf ohne persönliche Beobachtung 
des Kranken, und dass die Fälle, bei denen, wie bei Verstorbenen, 
eine Beobachtung nur aus Akten möglich ist, stets gewisse Bedenken 
offen lassen. Gilt das schon für die Fälle der täglichen Praxis, 
so erst recht für diejenigen, die unseren höchsten psychiatrischen 
Instanzen, den Medizinal-Kollegien und wissenschaftlichen Depu¬ 
tationen, vorgelegt werden. Non gestattet unsere Gesetzgebung 
nicht, die Beobachtung, nachdem die Dauer von sechs Wochen 
erreicht ist, zu verlängern oder zu wiederholen; die Aushilfe, die 
betreffenden Kranken in einem Untersuchungsgefängnis zu beob¬ 
achten, entspricht nicht den Anforderungen an die psychiatrische 
Sorgsamkeit, die wir bei allen besonders verwickelten und uh- 


28 


Dr. Aschaffenbnrg. 


gewöhnlichen Fällen zu stellen gewohnt sind. Es ist deshalb 
unbedingt erforderlich, dass als Ansnahmemassregel die Möglich¬ 
keit besteht, einen Angeschnldigten zum zweiten Male zu beob¬ 
achten, wenn es sich nm ein Obergutachten handelt, dessen Aus¬ 
fall ja nicht selten über Tod und Leben zn entscheiden hat. Der 
Wortlaut unserer Forderung entspricht dem § 81, als dessen An¬ 
hang er gedacht ist. Von medizinischer Seite wird gewiss kein 
Widerspruch zn erwarten sein und, ich meine, bei der Wichtig¬ 
keit der Frage auch kanm von juristischer Seite. 

Ich komme nun zu Leitsatz 12 (Fesselung eines Unter¬ 
suchungsgefangenen), der auch ohne längeren Kommentar 
verständlich ist. Er hat folgenden Wortlaut: 

„Nach den Gefängnis- und Zuchthausordnungen 
pflegt die Fesselung eines Strafgefangenen nur 
nach Anhörung des Arztes angeordnet zn werden. 
Bei Fesselung eines Untersuchungsgefangenen 
ist die Anhörung des Arztes vorgeschrieben. Es 
erscheint die Aufnahme einer entsprechenden 
Bestimmung im § 116 Str.-P.-O. empfehlenswert.* 

Unsere Gefängnis- und Zuchthansordnungeu schreiben vor 
der Fesselung eines Strafgefangenen die Anhörung des Arztes 
vor, um zu entscheiden, ob der zu Fesselnde gesundheitlich die 
Fesselung vertragen kann, oder ob nicht der Anlass, der die 
Fesselung notwendig macht, in einer psychischen Erkrankung 
liegt. Was bei dem Strafgefangenen Recht ist, müsste doch hei 
einem Untersuchungsgefangenen doppelt billig sein, bei dem 
nur der Verdacht einer Schuld besteht. Der Strafgefangene er¬ 
hält bei dem Eintritt in die Strafanstalt eine genaue Hausord¬ 
nung, in der seine Pflichten, aber auch seine Rechte genau um¬ 
grenzt sind. Bei den Untersuchungsgefangenen sind diese Haus¬ 
ordnungen, soweit sie überhaupt bestehen, nicht so sorgfältig 
ausgearbeitet. Durch § 116 der Str.-P.-O. ist bestimmt, dass 
Fesseln einem Verhafteten nur angelegt werden dürfen, wenn es 
wegen besonderer Gefährlichkeit seiner Person, namentlich zur 
Sicherung anderer erforderlich erscheint, oder wenn er einen Selbst- 
entleibungs- oder Entweichungsversuch gemacht oder vorbereitet 
hat. Es ist wohl notwendig, Fürsorge zu tragen, dass auch bei 
Untersuchungsgefangenen in jedem einzelnen Falle der Arzt 
mitwirkt; er dürfte bei der Gelegenheit wohl manche Feststel¬ 
lung machen, die bei der Beurteilung der Zurechnungsfähigkeit 
von ausschlaggebender Bedeutung sein kann. 

Die Kommission zur Reform der Str.-P.-O. (Protokolle, II« 
Band, S. 449, Nr. 102) schlägt vor, „dass an die Stelle der im 
§ 128 der Str.-P.-O. vorgesehenen Vorführung die Einsen¬ 
dung der über die Festnahme anfgenommenen Ver¬ 
handlung tritt, wenn sich der Festgenommene in einem körper¬ 
lichen Zustande befindet, welcher die Vorführung mit Rücksicht 
auf seinen Gesundheitszustand nicht zulässt. In diesem Falle darf 
die Vernehmung so lange ausgesetzt bleiben, als von ihr Gefahr 



Gerichtsärztl. Wünsche in bezug auf die bevorstehende Reform der 8tr.-Pr.-0. 29 

für Leben und Gesundheit des Festgenommenen zu befürchten ist.“ 
Es wäre wünschenswert, hier noch den Zusatz zu machen, 
»deren Vorliegen durch gerichtsärztliche Untersnchnng 
festzustellen ist.“ Dieser Zusatz bezweckt nichts weiteres, 
als ein Verfahren iestzulegen, dass wohl jetzt schon in der Regel 
üblich ist. Im allgemeinen ist es durchaus wünschenswert, dass 
sich ein Angeschuldigter nicht durch Berufung auf Krankheit 
einer Vernehmung und der Vorführung entzieht und ebenso, dass 
das Vorhandensein einer schweren Krankheit amtsärztlich fest¬ 
gestellt wird. 

Leitsatz 14 zu § 186, Absatz 3 und § 273 der Str.-Pr.-O. 
(Aufnahme von Aussagen in das Protokoll des Vor¬ 
verfahrens und der Hanptverhandlnng), geht in seiner 
Bedeutung weit über das hinaus, was wir als Aerzte im all¬ 
gemeinen zu beantragen haben. Den Anlass dazu, uns mit 
dieser Frage zu beschäftigen, bot ein Vortrag des H. Kollegen 
Ungar auf der Versammlung des Psychiatrischen Vereins der 
Rheinprovinz. Ungar wies darauf hin, dass die direkte Rede 
in dem Protokoll häufig zu den grössten Schwierigkeiten Anlass 
gäbe. Der Sachverständige erklärt einen Mann für idiotisch, der 
Richter aber beruft sich darauf, dass, wie die Protokolle ergeben, 
in der Voruntersuchung der Angeklagte sich klar und verständig 
ansgedrückt habe, und schliesst daraus, dass der Arzt sich habe 
täuschen lassen. Wer viel mit Gerichten zu tun gehabt hat, 
weiss, wie solche Protokolle zustande kommen. Ich will ans 
meine!* eigenen Erfahrung nur einen einzelnen Fall anführen. In 
den Akten eines Mädchens, das wegen hochgradigen Schwachsinns 
eine Hilfsschule besucht hatte, fand ich wörtlich folgende Aus¬ 
sage: »Offenbar waren die nachher zu mir geäusserten inkrimi- 
nierten Worte noch eine Folge dieser früheren Auseinandersetzung!“ 
Es ist ja selbstverständlich, dass das Mädchen weder diese Worte, 
noch auch Worte ähnlicher Art gebraucht haben kann. Stehen 
aber derartige Worte im Gegensatz zu der Auffassung des Arztes, 
so wird sich der Richter nur schwer von dem Verdacht frei 
machen können, dass der Untersuchte sich dem Arzte gegenüber 
anders gibt, als er könnte. Dieser Widerspruch kann uns unter 
Umständen erheblich zu schaffen machen, aber — und das ist der 
Punkt, an dem nnser Vorschlag allgemeineres Interesse hat — 
auch sonst hat sich das scheinbar wörtliche Zitieren für den Gang 
der Untersuchung oft als höchst störend erwiesen. Wie mir vor 
wenigen Tagen erst ein Mitglied der erwähnten Kommission für 
die Reform der Str.-Pr.-O. mitgeteilt hat, haben aus diesem Grunde 
im Kreise der Kommission Erörterungen stattgefunden, die indessen 
nicht zu einem greifbaren Resultat geführt haben. 

Unser Vorschlag ist das Ergebnis der Beratung derselben 
3 Herren, die von dem rheinischen Psychiaterverein als Kommission 
zur Prüfung der Eidesfrage ernannt worden waren. Die endgültige 
Fassung verdankt auch hier wie in vielen anderen Fällen viel 
der bessernden Hand des H. Prof. Dr. Heimberger. Wenn 
man nicht zu der stenographischen Nachschrift sämtlicher Ver- 



80 


Dr. AsdurifeHburg. 


nehmungen schreiten will, was praktisch und technisch mit den 
grössten Schwierigkeiten verbanden wäre, so bleibt kaum etwas 
anderes übrig, als die Beschränkung aaf bestimmte wichtige 
Aassagen and Fragen bezw. Antworten von erheblicher Trag¬ 
weite. Es würde ans freuen, wenn ihnen der Wortlaut Zusagen 
würde: 

„In das Protokoll dürfen als Anssagen in direkter 
Bede nnr solche aufgenommen werden, die tat¬ 
sächlich wörtlich niedergeschrieben sind; die¬ 
selben sind durch Anführungszeichen als wörtlich 
anfgenommene Aussagen zu kennzeichen. Handelt 
es sich hierbei um Antworten auf Fragen, so ist 
auch der Wortlaut der Frage wörtlich aufzunehmen 
und dies ebenfalls durch Anführungzeichen kennt¬ 
lich zu machen." 

Der § 208 stellt fest, unter welchen Umständen die vor¬ 
läufige Einstellung des Strafverfahrens bei Geistes¬ 
kranken erfolgen muss. Der Gedanke, der dieser Massregel 
zugrunde liegt, ist ein ausserordentlich gesunder. Der Kranke 
ist durch seine psychische Erkrankung in der Wahrung seiner 
Bechte behindert, und so könnte der Verlauf einer Verhandlung 
leicht einen Weg nehmen, der zu einem falschen Ergebnis führen 
würde. Diese Wohltat, die dem Kranken erwiesen werden soll, 
kann aber auch, wie leicht zu beweisen ist, zu einem erheblichen 
Nachteil führen. Sehr häufig ist die Erkrankung, die scheinbar 
nach der Tat erst ausgebrochen ist, schon vor der Tat vorhanden 
gewesen. Es würde also der Fortgang des Verfahrens oder die 
Vernehmung des Sachverständigen im Termin zur Freisprechung 
auf Grund des § 51 Str.-G.-B. führen. Statt dessen schwebt das 
unterbrochene Verfahren und erweist sich durch die damit ver¬ 
bundene psychische Angst als ein Hemmnis für die Besserung 
oder bewirkt in Fällen eingetretener Genesung einen Bückfall. 
Gleiches gilt natürlich auch für solche Fälle, in denen die Er¬ 
krankung erst tatsächlich nach der Tat ausgebrochen ist. Es 
kommt weiter noch hinzu, dass in manchen Fällen an eine Wieder¬ 
aufnahme des Verfahrens überhaupt nicht wieder gedacht werden 
kann, wenn z. B. die Krankheit eine unheilbare ist. Dann hat 
das Gericht die Verpflichtung, von Zeit zu Zeit nach dem 
Schicksal des Angeklagten sich zu erkundigen; die Beunruhigung 
der Familie, die Belästigung der Anstalt kann sich so end¬ 
los fortsetzen. Es ist deshalb wohl wünschenswert, dass 
eine Verhandlung überall da, wo sie, wenn auch unter Beihilfe 
eines Sachverständigen, möglich ist, zu Ende geführt wird, und 
es ist tatsächlich, wenn ein Sachverständiger zugegen ist, nicht 
schwer, eine Benachteiligung des Kranken zu verhindern. Wir 
schlagen deshalb vor, dem § 203 die Fassung zu geben: 

„Vorläufige Einstellung des Verfahrens kann be¬ 
schlossen werden, wenn dem weiteren Verfahren 
. . . der Umstand entgegensteht, dass der An- 



GerichtsärztL Wünsche in bezog auf die bevorstehende Reform der Str.-Pr.-O. 81 


geschuldigte nach der Tat in Geisteskrankheit 
verfallen ist, die eine Verhandlung als unausführ- 
bar erscheinen lässt. In jedem Falle ist ihm von 
Amts wegen ein ärztlicher Sachverständiger bei¬ 
zuordnen, sofern er sich nicht selbst einen solchen 
gewählt oder ihn von seinen Angehörigen bestellt 
erhalten hat.“ 

Ein Wort zu § 222 (behindertes Erscheinen eines 
Zeugen oder Sachverständigen in der Hauptverhand¬ 
lung). Er lautet: 

„Wenn dem Erscheinen eines Zeugen oder Sachverständigen in der 
Haoptverhandlong für eine längere oder angewisse Zeit Krankheit oder 
Gebrechlichkeit oder andere nicht za beseitigende Hindernisse entgegonstehen, 
so kann das Gericht die Vernehmnng desselben durch einen beauftragten oder 
ersuchten Richter anordnen. Dip Vernehmung erfolgt, soweit die Beeidigung 
zulässig ist, eidlich." 

Auch hier soll unser Vorschlag (Leisatz 17) nichts weiteres 
bezwecken, als das jetzige Verfahren festzulegen. Es besteht 
darüber ja wohl kein Zweifel, dass weder ein Zeuge, noch ein 
Sachverständiger vernommen werden kann, wenn er schwer krank 
ist, und dass in allen solchen Fällen der Richter von einer Ver¬ 
nehmung Abstand nehmen muss. Durch das Einschieben der 
Worte „falls nicht die Vernehmung mit Gefahr für den 
Franken verbunden ist“, wird die Ausnahme gesetzlich geregelt. 

Ganz ähnliches gilt für § 229. 

„Gegen einen ausgebliebenen Angeklagten findet eine Hauptverhandlung 
nicht statt. Ist das Ausbleiben des Angeklagten nicht genügend entschuldigt, 
so ist die Vorführung anzuordnen oder ein Haftbefehl zu erlassen." 

Auch hier ist der gleiche Zusatz erforderlich; denn eine 
Vorführung wird unbedingt zu unterbleiben haben, wenn sie mit 
Gefahr für den Kranken verbunden ist. 

Der § 250, Abs. 1 (Verlesen der Gutachten in der 
Hauptverhandlung) lautet: 

„Ist ein Zeuge, Sachverständiger oder Mitbeschuldigter .... in Geistes¬ 
krankheit verfallen,.so kann das Protokoll über seine frühere richter¬ 

liche Vernehmung verlesen werden. Dasselbe gilt von dem bereits verurteilten 
Mitschuldigen." 

Wir schlagen hier vor, den Zusatz zu machen: 

„Zur Verlesung des Protokolls über die Verneh¬ 
mung eines in Geisteskrankheit Verfallenen ist 
ein ärztlicher Sachverständiger zuzuziehen.“ 

Diesen Zusatz halte ich für unbedingt notwendig. Geistes¬ 
krankheiten pflegen nicht plötzlich auszubrechen; in den meisten 
Fällen geht vielmehr dem scheinbar akuten Beginn ein länger 
dauerndes Vorstadium voraus, während dessen wohl der Arzt, 
nicht aber der Laie die Krankheit zu erkennen vermag. Wenn 
nun bald nach einer Vernehmung ein Zeuge oder Sachverständiger 
geisteskrank wird, so werden wir uns der Befürchtung nicht er¬ 
wehren können, dass schon seine Aussage unter dem Einfluss der 
beginnenden Krankheit gestanden habe. Das zu entscheiden, wird, 




32 


Dr. Asch&ffenburg. 


wenn auch nicht stets, doch oft genug der Sachkenntnis des 
Fachmannes möglich sein, besonders wenn er die Untersuchung 
der Schrift, des Stils, des Aensseren etwa vorhandener Schrift¬ 
stücke hinzazieht. Deshalb unser Vorschlag, der ein Verfahren 
obligatorisch machen soll, zu dem wohl ein verständiger Richter 
auch aus eigener Initiative greifen wird. 

§ 411 der Str.-P.-O. (Wiederaufnahme eines durch 
rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens 
bei inzwischen Verstorbenen oder in Geisteskrankheit 
verfallenen Personen) hat folgenden Inhalt: 

„Ist der Verurteilte bereits verstorben, so hat ohne Erneuerung der 
Eauptverhandlung das Gericht nach Aufnahme des etwa noch erforderlichen 
Beweises entweder die Freisprechung zu erkennen oder den Antrag auf Wie¬ 
deraufnahme abzulehnen. Auch in anderen Fällen kann das Gericht, bei 
öffentlichen Klagen jedoch nur mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft, den 
Verurteilten sofort freisprechen, wenn dazu genügende Beweise bereits vor¬ 
liegen.“ 

Dieser Paragraph bezieht sich auf die Verhandlungsfähigkeit; 
dieselben Wünsche, die wir schon früher bei dem § 203 geltend 
gemacht haben, tauchen auch hier auf. Wenn es sich bei einem 
Verurteilten herausstellt, dass die Tat in einem Zustande geistiger 
Störung geschehen ist, oder wenn sich sonst ein Grund zur 
Wiederaufnahme findet, so erfordert das Interesse des Kranken 
die baldige Erledigung des Prozesses. Nichts kann für seinen 
Zustand schädlicher sein, wie die Spannung, in die begreiflicher 
Weise ein schwebender Prozess versetzen muss, und deshalb ist 
ein Urteil, selbst ein ungünstiges, besser wie das schwebende 
Verfahren. Ich habe im ganzen nur zweimal erlebt, dass die 
Gerichte von dem § 411 Gebrauch gemacht haben undohne Ver¬ 
handlung auf Freisprechung erkannten. In Fällen fortgeschrit¬ 
tenen Greisenblödsinns, in denen eine Besserung und damit eine 
Verhandlungsfähigkeit ausgeschlossen ist, würde ohne den § 411 
die Wiederaufnahme des Verfahrens und die Freisprechung nicht 
möglich sein. Es geht wohl nicht an, mehr wie den Wunsch 
auszusprechen, dass die Gerichte häufiger von dem Paragraphen 
Gebrauch machen. Wir haben in unserem Leitsatz die Möglich¬ 
keit vorgesehen, auch schon dann den § 411 anzuwenden, wenn 
eine Wiederherstellung in absehbarer Zeit nicht zu 
erwarten ist. Die Prognose der geistigen Störungen ist im 
allgemeinen, wie wir ja leider zugeben müssen, recht unsicher, 
der Verlauf in der Regel ein ausserordentlich schleppender; Grund 
genug, um nicht in jedem Falle das Verfahren deshalb weiter 
schweben zu lassen, weil wir noch immer auf eine Wiederher¬ 
stellung hoffen. 

Noch aus einem anderen Grunde müssen wir uns mit dem 
Paragraphen beschäftigen. Die Kommission für die Reform der 
Str.-P.-O. (Protokolle, 2. Bd., S. 549, Nr. 240) hat zu § 411 einen 
Zusatz gewünscht, des Inhalts: „dass gegen den Willen des 
Kranken eine Freisprechung ohne Hauptverhandlung oder eine 
Ablehnung nicht erfolgen dürfe/ Dieser Zusatz wäre für unsere 



Gerichts ärztL Wünsche in bezog aof die bevorstehende Reform der Str.-Pr.-O. 83 


Kranken nicht erforderlich gewesen; wenn er aber znr Einführung 
kommt, so muss natürlich der Eigenart unserer Kranken ent¬ 
sprechend an ihre Stelle der Vormund oder ein Pffeger treten, so 
dass der Leitsatz folgende Gestalt bekommen würde: 

„Ist der Verurteilte bereits verstorben oder in 
Geisteskrankheit verfallen und seine Wiederher¬ 
stellung in absehbarer Zeit nicht zu erwarten, so 
hat ohne Erneuerung der Hauptverhandlung das 

Gericht.entweder die Freisprechung zu 

erkennen oder den Antrag auf Wiederaufnahme 
abzulehnen. Das Urteil soll ohne Erneuerung der 
Hauptverhandlung gegen den Willen des Ver¬ 
urteilten, sowie bei Geisteskranken gegen den 
Willen des Vormundes oder Pflegers eines ver¬ 
urteilten Geisteskranken nicht mehr zulässig 
sein.“ 

Der § 503, Abs. 2 (Erstattung der Auslagen seitens 
der Verurteilten bei Privatklagen) soll eine kleine Ver¬ 
änderung bekommen, die uns durchaus billig und angemessen 
erschien. Wenn heute jemand einen Antrag auf Strafverfolgung 
stellt, und der Täter wird wegen Geisteskrankheit trotz zweifellos 
bestehender objektiver Schuld freigesprochen, so hat der Antrag¬ 
steller die Kosten des Verfahrens, sowie die dem Angeschuldigten 
erwachsenen notwendigen Auslagen zu decken. Wenn sich also 
jemand der Beleidigungen eines Querulanten erwehren will, oder 
eine Körperverletzung, einen Hausfriedensbruch, eine Sachbeschädi¬ 
gung eines Epileptikers zur Anzeige bringt, so hat er ausser dem 
Schaden noch die zuweilen ganz erheblichen Kosten zu tragen. 
Das ist unrecht; daraus ergibt sich unser Antrag von selbst 
Er lautet: 

„Wird der Beschuldigte auf Grund des § 51 Str.-G.-B. 
ausser Verfolgung gesetzt oder freigesprochen, 
so kann das Gericht den Privatkläger nach Be¬ 
findender Umstände von der Tragung der Kosten 
ganz oder teilweise entbinden.“ 

Ich komme nunmehr zur Strafvollstreckung, §§ 485, 
Abs. 2 und 487 der Str.-Pr.-O. Sie lauten: 

§ 485, Abs. 2. „An Geisteskranken darf ein Todesurteil nicht voll¬ 
streckt werden.“ 

g 487. „Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe ist aufzuschieben, wenn 
der Verurteilte in Geisteskrankheit verfällt.“ 

Dass ich bei diesem Paragraphen überhaupt Wünsche äussere, 
darf ich mit zwei persönlichen Erlebnissen begründen. In dem 
ersten Falle handelte es sich um einen Epileptiker, der nach der 
Ueberzeugung der sämtlichen Sachverständigen seine Tat — er 
hatte zweimal zwei Kinder ermordet nnd zerstückelt — in einem 
Zustand geistiger Störung begangen hatte. Trotzdem wurde er 
von den Geschworenen verurteilt und sollte hingerichtet werden. 
Gegen die Hinrichtung wäre auf Grund des § 485 kein Wider- 

8 




84 


Dr. Aschaffenburg. 


sprach zu erheben gewesen, da die Epilepsie, wenigstens bei 
seltenen Anfällen, nicht als eine Krankheit in dem Sinne des Para* 
graphen gelten kann. Die Erregung der Vorbereitung znr Hin¬ 
richtung löste bei dem Manne einen schweren epileptischen Anfall 
aus, so dass die Hinrichtung verschoben und Gelegenheit gegeben 
wurde, ein Wiederaufnahmeverfahren in Gang zu bringen. Wie 
aber, wenn der Staatsanwalt über das Bestehen der Krankheit 
anderer Ansicht gewesen wäre, wie die Aerzte? Wer hat dann die 
Entscheidung P Dem Gesetz nach zweifellos die Staatsanwaltschaft 
als Strafvollstreckungsbehörde. Hier ist unverkennbar eine Lücke; 
denn wenn wir uns auch als Aerzte kein WiderspruchBrecht an- 
massen dürfen, so darf doch auch anderseits die Fehlerquelle, die 
in dem Misstrauen manches Staatsanwalts gegen ärztliche Gut¬ 
achten besteht, nicht ohne Korrektur bleiben. 

Der zweite Fall war folgender: Ein Mann hatte mit seinem 
Bruder einen Einbruchsdiebstahl begangen. Er wurde verurteilt; 
es wurde aber Revision eingelegt, so dass zwischen der Tat und der 
endgültigen Verurteilung eine längere Zeit verstrich, in der sich 
die Zeichen einer schweren geistigen Erkrankung bemerkbar 
machten. (Später stellte sich heraus, dass es sich um eine be¬ 
ginnende Gehirnerweichung gehandelt hatte.) Der Staatsanwalt 
wünschte die Strafvollstreckung, die Aerzte erklärten, der Mann 
sei geisteskrank. Der Staatsanwalt aber, der die Erkrankung 
nicht für glaubhaft hielt und an Simulation dachte, liess den 
Kranken aus der Irrenanstalt, sowie er etwas ruhiger geworden 
war, in die Strafanstalt überführen, von wo er allerdings sehr 
bald wieder in die Irrenanstalt zurückgeführt werden musste. 

Bei solchen Meinungsverschiedenheiten muss die Möglichkeit 
gegeben sein, die Entscheidung einer höheren Instanz anzurufen. 
Steht auch das Obergutachten auf demselben Standpunkte wie das 
Gutachten der ersten Aerzte, so dürfte wohl die Entscheidung 
der Strafvollzugsbehörde anheimgegeben werden. Wir haben des¬ 
halb uns mit der Forderung begnügt, ein Obergutachten einzu¬ 
holen, und schlagen zu den §§ 485, Abs. 2 und 487 den Zusatz vor: 
„Steht die Auffassung der Strafvollzugsbehörde 
Über das Vorliegen einer Geisteskrankheit oder 
das Vorhandensein einer nahen Lebensgefahr mit 
der Auffassung der Sachverständigen in Wider¬ 
spruch, so ist ein Obergutachten einer kolle¬ 
gialen Fachbehörde einzuholen.“ 

Zum Schlüsse noch einige Worte zu dem vorletzten Leitsatz 
(Anrechnung der Dauer des Aufenthalts eines geistes¬ 
kranken Strafgefangenen in einer Irrenanstalt auf die 
Strafzeit), der zum Teil von Herrn Prof. Dr. Heimberger 
besprochen werden wird. Ich habe nur die medizinischen Gründe 
anzuführen, die eine Reform des § 493 der Str.-P.-O. wünschens¬ 
wert erscheinen lassen. Er lautet: 

„Ist der Verurteilte nach 1 Beginn der Strafvollstreckung wegen Krank* 
heit in eine von der Strafanstalt getrennte Krankenanstalt gebracht worden. 



Gerichts&rztl. Wünsche in bezug auf die bevorstehende Reform der Str.-Pr.-O. 86 


so ist die Däner des Aufenthalts in der Krankenanstalt in die Strafzeit ein¬ 
zurechnen, wenn nicht der Verurteilte mit der Absicht, die Strafvollstreckung 
zu unterbrechen, die Krankheit herbeigeftthrt hat. 

Die Staatsanwaltschaft hat in letzterem Falle eine Entscheidung des 
Gerichts herbeizuftthren.“ 

Die Zentralstelle für die Gefangenen - Fürsorge der Provinz 
Brandenburg hat den Antrag gestellt, dass dieser Paragraph auch 
auf Geisteskranke Anwendung finden soll. Ich persönlich muss 
gestehen, dass ich das eigentlich für selbstverständlich ansehe, 
aber dem ist leider nicht überall so. In Württemberg z. B. wird 
die Zeit angerechnet, in Prenssen bei kürzerer Dauer, bei Frauen 
auch bei erheblicherer Dauer der Krankheit ebenfalls, nicht aber 
bei Männern, bei denen die Strafe noch lange dauert; dann 
wird der Strafvollzug unterbrochen. Wozu das führt, kann 
ich an einer Reihe von Fällen dartun, von denen ich nur einen 
hervorheben will. Es handelt sich um einen Mann, der im 
Jahre 1894 zu einer sechsjährigen Zuchthausstrafe verurteilt 
wurde. Zweimal wurde die Strafe unterbrochen; sobald sich 
der Zustand in der Irrenanstalt einigermassen wieder gebessert 
hatte, wurde der Strafvollzug wieder aufgenommen, so dass 
bis zum Strafende 11 Jahre vergingen. In einem anderen Falle, 
wo der Kranke, ein Paranoiker, nach seiner Entlassung aus der 
Irrenanstalt, ohne Aufsehen zu erregen, in einem kleinen Orte 
arbeitete, wurde der Bürgermeister des Ortes um eine gutacht¬ 
liche Aeusserung über den Zustand gebeten, und der Mann, als 
ihn der Börgermeister für gesnnd erklärte, ins Zuchthaus zurück¬ 
gebracht, wo natürlich die Krankheit sofort wieder in vollem 
Umfange ausbrach, und die Ueberführung in die Irrenanstalt von 
neuem notwendig wurde. 

Ein solches Verfahren widerspricht meines Erachtens dem 
§ 493 und sicher sowohl dem Interesse des Kranken, wie des 
Strafvollzuges. Auch die Kommission für die Strafprozessreform 
hat sich mit dieser Frage beschäftigt. Einzelne Mitglieder waren 
der Ansicht, dass nach geltendem Rechte Anrechnung der in einer 
Irrenanstalt verbrachten Zeit erfolgen müsse. Die überwiegende 
Mehrheit aber war der Ansicht, dass es „bedenklich sein würde, 
das geltende Recht im Sinne einer obligatorischen Anrechnung des 
Krankenhausanfenthaltes abzuändern. Dies verbiete sich schon 
deshalb, weil sich dann die jetzt bereits grosse Zahl der 
Gefangenen, die Geisteskrankheit simulieren, um in eine 
Irrenanstalt überführt zu werden und dort einer weniger strengeren 
Zucht und Aufsicht unterworfen zu sein, noch erheblich steigern 
würde. 

Ich muss gestehen, dass mich diese Anschauung im höchsten 
Masse verblüfft hat. Ich hatte mich immer der Hoffnung hin¬ 
gegeben, es sei allmählich auch in die Kreise der Richter die 
Ueberzeugung eingedrungen, dass die Zahl der Simulanten ausser¬ 
ordentlich gering sei. Wir Irrenärzte haben uns doch allmählich 
alle überzeugen müssen, dass zielbewusstes Simulieren, vor allen 
Dingen längere Zeit fortgesetztes Vortäuschen geistiger Er¬ 
krankung, zu den höchsten Seltenheiten gehört, und hier wird nun 

8* 



36 


Dr. Aschaffenbnrg. 


von einer grossen Anzahl von Simulanten als von einer fest¬ 
stehenden Tatsache gesprochen! Dagegen muss unbedingt pro¬ 
testiert werden. Damit soll nicht gesagt werden, dass die Wohltat 
des § 493 auch demjenigen zuteil werden soll, der tatsächlich, 
vielleicht um leichter entweichen zu können, versucht, seine Ueber- 
führung in eine Irrenanstalt durch Simulation zu erreichen. § 493 
schliesst die Anrechnung in die Strafdauer aus, wenn der Verurteilte 
die Krankheit mit der Absicht herbeiführt, die Strafvollstreckung 
zu unterbrechen. Man kann die Simulation nicht gut als Krankheit 
bezeichnen, und deshalb haben wir vorgeschlagen hinzuzufügen: 
„oder seine Verbringung in die Krankenanstalt.“ Damit fällt der 
Einwand, den man der Simulanten wegen gemacht hat, weg, der 
Einwand, den ich nur für Ausnahmefälle zugeben kann. 

Wichtiger scheint mir ein anderes Bedenken der Kommission. 
Sie meint, die Anrechnung der in einer Irrenanstalt verbrachten 
Zeit würde „zu einer unbilligen Benachteiligung derjenigen geistes¬ 
kranken Gefangenen führen, die nicht als gemeingefährlich zu er¬ 
achten seien und deshalb nicht in einer Irrenanstalt untergebracht, 
sondern sich selbst und ihrer Familie überlassen würden; denn 
bei denen könnte eine Anrechnung der verbrachten Zeit nicht in 
Frage kommen.“ Wenn es sich um geisteskranke Verbrecher 
handelt, wird man wohl selten die Gemeingefäbrlichkeit als aus¬ 
geschlossen betrachten, so dass eine Entlassung in die Freiheit zu 
den grössten Ausnahmen gehören wird; von der Strafanstalt aus 
habe ich das nur ein einziges Mal erlebt. Eine Entlassung in die 
Freiheit ist aber keine Freiheitsentziehung und es wird deshalb 
billigerweise niemand das Verlangen stellen, dass auch in solchen 
Fällen eine Anrechnung stattfinde. 

Das, wogegen wir uns wehren wollen und wehren müssen, 
ist der jetzige Zustand, nach dem ein Kranker zwei-, dreimal und 
mehr wie eia Spielball zwischen Strafanstalt und Irrenanstalt hin- 
und hergeworfen wird, dass der Strafvollzug unterbrochen, wieder 
aufgenommen, von neuem unterbrochen, von neuem aufgenommen 
wird; und deshalb haben wir den Leitsatz aufgestellt, der einen 
Zustand gesetzlich festlegt, der in einzelnen Bundesstaaten, dem 
Wortlaut des bisherigen Paragraphen entsprechend, bereits an¬ 
gewendet wird. Der Leitsatz lautet: 

„Ist der Verurteilte nach Beginn der Strafvoll¬ 
streckung wegen Krankheit in eine von der Straf¬ 
anstalt getrennte Krankenanstalt gebracht worden, 
so ist die Dauer des Aufenthalts in der Kranken¬ 
anstalt in die Strafzeit einzurechnen, wenn nicht 
der Verurteilte mit der Absicht, die Strafvoll¬ 
streckung zu unterbrechen, die Krankheit oder 
seine Verbringung in die Krankenanstalt herbei¬ 
geführt hat. Dies gilt auch für solche Verurteilte, 
welche wegen Geisteskrankheit in eine Irren- 
Anstalt gebracht werden.“ 

M. H.! Ich bin am Schlüsse! Gestatten Sie mir, mich noch 
iit einem allgemeinen Bedenken zu befassen, das mir verschieden!- 



OerichtsärztL Wünsche in bezug auf die bevorstehende Reform der Str.-Pr.-O. 87 

lieh begegnet ist, dem nfimlich, ob wir uns als Aerzte überhaupt 
mit Gesetzesvorschlägen befassen dflrfen. Wäre es nicht vielleicht 
besser, einfach unsere Wünsche zu änssern, ohne ihnen irgend 
eine genaue Fassung zu geben, and dieses den Juristen za über¬ 
lassen P Ich glaube nicht! Ich stehe auf dem Standpunkte des 
Prof. v. Liszt, der es für eine „Ehrenpflicht der Wissenschaft“ 
hält, „den Fortschritten der Gesetzgebung die Bahn zu ebnen 
und zu weisen; dass aber fruchtbringende Erörterung nur auf dem 
Boden bestimmter, greifbarer Vorschläge möglich ist.“ Der Vor¬ 
schläge haben wir genug gemacht; wir wollen hoffen, dass sie 
zum Ziele führen, zum Besten der unserem Schatze Befohlenen, 
unserer Kranken! 

(Lebhafter Beifallt) 

H. Prof. Dr. Heimberger-Bonn: M. H.! Von den aufgestellten 
Leitsätzen haben die Herren medizinischen Referenten mir einige 
zur fast ausschliesslichen Erörterung überlassen, die Leitsätze 1, 
10, 22 und 23. Ich will sofort die Besprechung dieser 4 Leit¬ 
sätze in Angriff nehmen. Der erste Leitsatz lautet: 

„Es wird gewünscht, dass auch die Aerzte vor ihrer 
Vernehmung über ihr Recht zur Verweigerung 
des Zeugnisses belehrt werden.“ 

Dieser Leitsatz hat seine Vorgeschichte in der Zivilprozess¬ 
ordnung und in den Protokollen der Strafprozesskommission. Im 
§ 383 Z.-Pr.-O. sind u. A. in Ziff. 4 und 5 als zeugnisverwei- 
gerernngsberechtigte Personen erklärt „Geistliche in Ansehung 
dessen, was ihnen bei der Ausübung der Seelsorge anvertraut 
ist“, ferner „Personen, welchen kraft ihres Amtes, Standes oder 
Gewerbes Tatsachen anvertraut sind, deren Geheimhaltung durch 
die Natur derselben oder durch gesetzliche Vorschrift geboten 
ist, in Betreff der Tatsachen, auf welche die Verpflichtung zur 
Verschwiegenheit sich bezieht“. „Die Vernehmung der Nr. 4, 5 
bezeichnten Personen ist, auch wenn das Zeugnis nicht verweigert 
wird, auf Tatsachen nicht zu richten, in Ansehung welcher erhellt, 
dass ohne Verletzung der Verpflichtung zur Verschwiegenheit ein 
Zeugnis nicht abgelegt werden kann.“ 

Im Zivilprozess darf also die Vernehmung des Arztes — 
dieser hat hier für uns allein Interesse — auf solche augen¬ 
scheinlich unter das Berufsgeheimnis fallende Dinge von vornherein 
nicht gerichtet werden. 

Die Strafprozesskommission (Protokolle n, S. 206) fand nun, 
dass im Strafprozess eine ähnliche Beschränkung Platz greifen 
müsse und beschloss, zunächst hinsichtlich der Geistlichen, dass 
„von der Vernehmung der Geistlichen die Tatsachen ausgeschlossen 
sein sollen, die ihnen bei Ausübung der Seelsorge anvertraut 
sind“, ferner „dass die Geistlichen vor ihrer Vernehmung über 
diese Beschränkung des Gegenstandes der Vernehmung belehrt 
werden sollen.“ Bezüglich der Aerzte war gleichfalls beantragt 
worden, dass auch auf sie die in Ansehung der Geistlichen be- 



88 


Dr. Heimberger. 


schlossenen Vorschriften, betreffend die Beschränkung des Gegen¬ 
standes ihrer Vernehmung und die Belehrung über diese Be¬ 
schränkung auszudehnen Bei (S. 207). Dieser Antrag fand jedoch 
nicht den Beifall der Kommission. Die Kommission fürchtete fol¬ 
gendes: Wenn die Vernehmung des Arztes von vornherein sich 
nicht erstrecken dürfe auf das ihm in Ausübung seines Berufs 
Anvertraute und wenn der Arzt überdies vor jeder Vernehmung 
über diese Beschränkung belehrt werden müsse, so gebe der 
Strafrechtspflege das in vielen Fällen überaus wertvolle Wissen 
des Arztes nahezu völlig verloren. Die Aerzte würden vor Ge¬ 
richt im wesentlichen nur noch als Sachverständige in Betracht 
kommen und auch in dieser Beziehung würden ihre Bekundungen 
durch die beantragte Vorschrift an Wert erheblich verlieren, da 
das Sachverständigengutachten mehr oder weniger mit den Zeugen¬ 
vernehmungen Zusammenhänge und sich von diesen nur schwer i 
trennen lasse. 

Es hat sich bei Aufstellung unserer Leitsätze gefragt, ob 
nicht der Auffassung der Strafprozesskommission entgegenzutreten 
sei und ob man nicht den Wunsch aussprechen solle, es möge 
das, was bezüglich der Geistlichen bestimmt worden ist, auch 
auf die Aerzte ausgedehnt werden. Der Arzt, so sagten wir uns, 
hat ja freilich das Hecht der Zeugnisverweigerung; aber wenn 
er das Zeugnis über einen gewissen Punkt verweigert, so ist auch 
dadurch schon über diesen Punkt etwas gesagt, nämlich, dass der 
Arzt etwas wisse, und natürlich etwas, was zu Ungunsten der 
betreffenden Person spricht; sonst würde er ja wohl die Aussage 
nicht verweigern. Dadurch lässt sich möglicherweise der Richter, 
wenn auch nicht mit Absicht, so doch vielleicht unbewusst in 
seinem Urteil beeinflussen. Trotzdem waren Ihr Vorstand und 
die Referenten der Meinung, dass die Befürchtung der Strafpro¬ 
zesskommission der Begründung nicht entbehre, dass tatsächlich 
die Erforschung der Wahrheit zu Gunsten wie zu Ungunsten des 
Beschuldigten über Gebühr erschwert werde, wenn von vornherein 
die Vernehmung des Arztes die angegebene Beschränkung erfahre. 
Auch dürfe die Berufung auf die Zivilprozessordnung nicht mass¬ 
gebend sein, da es sich im Strafprozess um viel wichtigere Rechts- 
güter handle als im Zivilprozess, und dass im letzteren andere 
Beweismittel (Eid) zur Verfügung ständen als im Strafprozess 1 ). 

— Das Berufsgeheimnis des Arztes ist nach unserer Meinung 
hinreichend gedeckt durch das ZeugnisverweigerungBrecht. Der 
Arzt braucht sich dieses Rechtes nur zu bedienen. 

Aber etwas sollte, damit die betreffende Bestimmung der 
Z.-Pr.-O. nicht bedeutungslos wird, noch geschehen: Es sollte, 
wie der Leitsatz 1 vorschlägt, der Arzt über das Recht der 
Zeugnisverweigerung vor der Vernehmung belehrt werden. Bei 
gesetzeskundigen Aerzten, wie z. B. bei den Gerichtsärzten, wäre 
dies ja nicht notwendig; aber bei anderen Aerzten kann die Unter¬ 
lassung der Belehrung dazu führen, dass die wohlwollende Be- 


*) So im Anschluß an die Protokolle, II, S. 208. 



GerichtsärztL Wünsche in besag saf die bevorstehende Reform der Str.-Pr.-O. 89 


Stimmung des Gesetzes jede Bedeutung verliert) insofern als der 
gesetzesunkundige Arzt dem fragenden Richter gegenüber zur 
Antwort verpflichtet zu sein glaubt, während das Gesetz ihn von 
der Antwort entbindet. Das Gesetz schweigt von der Belehrung 
des Arztes sicher nicht etwa deswegen, weil es hofft, der Gesetzes¬ 
unkundige werde dem Richter in die Falle gehen und Geheimnisse 
offenbaren, sondern weil es glaubt, der Arzt werde schon von 
selbst wissen, dass und wann er das Zeugnis verweigern könne. 
Wenn aber diese Voraussetzung, wie mir versichert wird, nicht 
durchweg zutrifft, warum soll es dann nicht angebracht sein, den 
Arzt jedesmal noch ausdrücklich zu belehren? Er wird dadurch 
nur dem Willen des Gesetzes, den Arzt nicht zur Aussage zu 
zwingen, zur Durchführung verholten. 

Ich darf daher wohl annehmen, dass niemand von Ihnen Be¬ 
denken tragen wird, unserem ersten Leitsatz zuzustimmen. 

Der Leitsatz 10 (Beschlagnahme von Krankenjour¬ 
nalen usw.) enthält eine Zustimmung zu einem der Kommissions- 
beechlüsse. Es handelt sich hier um Folgendes: 

Nach § 97 Str.-Pr.-O. unterliegen schriftliche Mitteilungen 
zwischen dem Beschuldigten und den zeugnisverweigerungsberech¬ 
tigten Personen, also z. B. dem Arzt, der Beschlagnahme nicht, 
falls sie sich in den Händen der letzteren Personen befinden und 
diese nicht einer Teilnahme usw. verdächtig sind. Nehmen Sie 
an, eine Frau, die abgetrieben hat, ruft schriftlich unter Schil¬ 
derung ihres Zustandes einen ihr befreundeten Arzt. Bei einer 
strafrechtlichen Untersuchung gegen die Frau darf die in den 
Händen des Arztes befindliche schriftliche Mitteilung nicht mit Be¬ 
schlag belegt werden. — Nun nehmen Sie den Fall so: Die Frau 
geht persönlich zum Arzt und dieser trägt ihre Mitteilungen und 
das Ergebnis der Untersuchung in sein Krankenjouraal ein. Da es 
sich hier nicht um eine schriftliche Mitteilung der Beschuldigten an 
den Arzt handelt, so kann nach geltendem Recht das Krankenjour¬ 
nal mit Beschlag belegt werden. Es kann zwar der Arzt nach § 95, 
Abs. 2 nicht durch Geldstrafe und Haft zur Herausgabe gezwungen 
werden, aber man kann ihm das Journal wegnehmen. Die Prozess¬ 
kommission hielt dies für ungerechtfertigt; denn warum sollen 
schriftliche Mitteilungen der Beschuldigten an den Arzt anders 
behandelt werden als mündliche Mitteilungen, die der Arzt dann 
schriftlich niedergelegt hat? Sie werden dieser dem Interesse 
der Aerzte Rechnung tragenden Auffassung der Kommission gewiss 
zustimmen und daher den Leitsatz 10 annehmen. 

Zu Ihrer Orientierung über die Bedeutung des vorhin an¬ 
gezogenen § 95 darf ich vielleicht noch folgenden Falles gedenken: 
Sie sind im Besitz von Resten eines von einer Frauensperson 
herbeigeführten Abortus. Der Staatsanwalt möchte zum Zwecke 
der Ueberführung der Frauensperson diese Reste in Verwahrung 
nehmen. Hier ist es zwar möglich, bei Ihnen eine Haussuchung 
und zwangsweise Wegnahme des Gegenstandes zn veranlassen, 
aber ein physischer Zwang zur Herausgabe mit Geldstrafe und 



40 


Dr. Heimberger. 


Haft ist gegenüber dem Arzt, als einer zur Zeugnisverweigerung 
berechtigten Person, nicht zulässig. 

Bei Leitsatz 22 (Berechnung der Strafzeit bei 
Geisteskrankheit) handelt es sich um eine Bestimmung, be¬ 
züglich deren schon die Zentralstelle für das Gefangenen - Für¬ 
sorgewesen der Provinz Brandenburg am 11. März 1905 sich vor¬ 
sorglich an die Strafprozesskommission gewandt hat, aber leider 
ohne Erfolg. Unser Vorschlag bezieht sich auf § 493 der Str.- 
Pr.-O., welcher lautet: 

Ist der Verurteilte nach Beginn der Strafvollstreckung wegen Krankheit 
in eine von der Strafanstalt getrennte Krankenanstalt gebracht worden, so ist 
die Dauer des Aufenthalts in der Krankenanstalt in die Strafzeit einzurechnen, 
wenn nicht der Verurteilte mit der Absicht, die Strafvollstreckung zu unter¬ 
brechen, die Krankheit herbeigefiihrt hat.“ 

In der Praxis, besonders in der preussischen, wird hier ein 
Unterschied gemacht, je nachdem es sich um Geisteskrankheit 
oder, wenn ich diese Gegenüberstellung machen darf, um körper¬ 
liche Krankheit handelt (Geisteskrankheit ist ja schliesslich auch 
nur eine im Körper begründete Krankheit). Bei körperlicher 
Erkrankung zählt der Aufenthalt in der Krankenanstalt als Straf¬ 
zeit, bei nicht ganz vorübergehender geistiger Erkrankung wird 
der Strafvollzug ausgesetzt und der Aufenthalt in der Irrenanstalt 
nicht in die Strafzeit eingerechnet. Zu welchen Zuständen dies 
führt, hat Ihnen H. Prof. Dr. Aschaffenburg auseinandergesetzt 
Die Strafprozesskommission (Protokolle II, S. 293—295) hat das 
Verfahren für berechtigt erklärt und sich für die Möglichkeit 
ihrer Auffassung auf die Entstehungsgeschichte des Gesetzes be¬ 
rufen. Ich halte zum mindesten das letztere für unzutreffend. 

Die Entstehungsgeschichte des Gesetzes zeigt nämlich mit 
aller wünschenswerten Deutlichkeit, dass Geisteskrankheit und 
körperliche Krankheit hier sich durchaus gleich stehen sollen. In 
der zur Beratung des Entwurfs der Strafprozessordnung einge¬ 
setzten Beichstagskommission schlug bei der I. Lesung der Abg. 
Dr. Zinn folgenden § 411a vor: 1 ) 

„Ist der Verurteilte nach bereits begonnener Strafzeit wegen körperlicher 
oder Geisteskrankheit in eine von der Strafanstalt getrennte Krankenanstalt 
gebracht worden, so ist ihm die Dauer des Aufenthalts in der Krankenanstalt 
in die Strafzeit einzurechnen, wenn nicht die Krankheit eine selbstverschul¬ 
dete ist.“ 

Dieser Antrag wurde angenommen. — Bei der 2. Lesung*) 
kam zu dem nunmehrigen § 414b ein Antrag Becker: a) die 
Worte „körperlicher oder Geistes-“ zu streichen, b) die Schluss¬ 
worte durch die Worte zu ersetzen „wenn nicht der Verurteilte 
mit der Absicht, die Strafvollstreckung zu unterbrechen, die 
Krankheit herbeigeführt hat.“ Dieser Antrag wurde in seinen 
beiden Teilen angenommen. Wenn hier die Worte „körperlicher 
oder Geistes-“, nämlich -Krankheit gestrichen wurden, so geschah 
dies offenbar deswegen, weil man es für selbstverständlich hielt, 


*) Hahn: Materialien zur Str.-Pr.-O., 1. Abt., 2. Aufl., 1886, S. 1183. 
*) Ebenda, 2. Abt., S. 1464/66. 



Gerichte ärztL Wünsche in bezug auf die beyorstehende Reform der Str.-Pr.-O. 41 

dass mit dem einfachen Worte Krankheit sowohl die Geistes- wie 
die Körperkrankheit getroffen sei, nnd doch nicht etwa deshalb, 
weil man unter „Krankheit“ jetzt nnr eine körperliche Krankheit 
hätte verstehen wollen. 

Der Bandesrat beschloss den Paragraphen zu streichen 1 ) 
und zwar aus dem Grunde, weil er in ein Strafvollzugsgesetz, 
nicht in die Strafprozessordnung gehöre. Auf die hier einschlägigen 
Aeusserungen des Geh. Ober-ßeg.-Rats Hanauer erklärte der 
Abg. ßeichensperger*): 

„In Preußen bestehe das Strafgesetzbuch schon seit Menschenaltern, 
aber ein Gesetz über den Strafvollzug fehle. Das Obertribunal habe sich 
Öfters mit der Präge beschäftigt, ob, wenn ein Gefangener in eine Irrenanstalt 
gebracht werde, ihm die in dieser Anstalt zngebrachte Zeit anzurechnen sei. 
Das Obertribunal habe diese Frage bejaht. Wenn die geisteskranken Gefangenen 
in die Irrenanstalt gebracht würden, so seien sie ja nicht frei, sie blieben unter 
Ueberwachung der Direktion, die Strafe würde an ihnen vollstreckt. Jedenfalls 
müsse also die Zeit in der Krankenanstalt eingerechnet werden. Immer sei 
ja der Ausweg gegeben, daß die Exekutivbehörde eine zeitweise Entlassung 
eintreten lasse.“ 

Das letzte Sätzchen ist die einzige, noch dazu ganz neben¬ 
her gemachte Aeusserung über die Unterbrechung des Strafvoll¬ 
zugs bei Geisteskranken. Sicher dachte Abg. ßeichensperger 
hier nur an Ausnahmefälle. Der Bundesratskommissar Hanauer 
hatte sachliche Einwendungen gegen den Paragraphen nicht zu 
machen, der Reichstag blieb daher bei dem Vorschlag der Kom¬ 
mission, und schliesslich stimmte ihm auch der Bundesrat zu. 

Aus dieser Entstehungsgeschichte des § 493 ergibt sich 
doch mit aller Deutlichkeit, dass kein Unterschied zwischen 
geistiger und körperlicher Krankheit gemacht werden solle. 

Uebrigens, wenn die Entstehungsgeschichte uns auch nicht 
zu diesem, wie ich meine, zweifellosen Ergebnis kommen liesse, 
so mttsste man einfach auf Grund des Wortlautes des Gesetzes 
zu dieser Ueberzeugung kommen. § 493 spricht schlechtweg von 
Krankheit, welche die Unterbringung in eine Krankenanstalt ver¬ 
anlasst. Die Art der Krankheit ist gleichgiltig. Wenn man den 
Aufenthalt in einem Spital für einen genügenden Ersatz der 
Freiheitsstrafe ansieht, warum nicht auch jenen in einer Irren¬ 
anstalt, wo die Ueberwachung und Freiheitsbeschränkung der 
Natur der Sache nach eine viel schärfere ist, als in einer anderen 
Krankenanstalt? Und ist der Geisteskranke durch sein Geschick 
nicht mindestens ebenso gestraft wie der körperlich Kranke P 
Es bedürfte daher, bei Licht betrachtet, der § 493 gar keiner 
Abänderung, sondern nur der richtigen Anwendung. Da aber 
tatsächlich verschiedene Auffassungen über die Bedeutung des 
Paragraphen zutage getreten sind, sollten alle Zweifel durch die 
vorgeschlagenen Worte in Zukunft beseitigt werden. 

Dass die Anrechnung des Aufenthalts in der Irrenanstalt 
bei Simulanten nicht stattfindet, versteht sich von selbst. Der 
vorgeschlagene Leitsatz enthält überdies die Bestimmung, dass 


l ) Hahn: a. a. 0., S. 1464, 1622, 1676. 
*) Ebenda, S. 1676. 



42 


Dr. Heimbeiger. 


die Anrechnung: nur erfolge, wenn nicht der Verurteilte mit der 
Absicht, die Strafvollstreckung zu unterbrechen, die Krankheit 
oder seine Verbringung in die Krankenanstalt herbei- 
fährt. Die letzteren Worte kommen hier in Betracht; der Simu¬ 
lant führt nicht die Krankheit, sondern nur seine Verbringung in 
die Krankenanstalt herbei. 

Was die übrigen Leitsätze anbelangt, so scheinen mir die 
von den Herren medizinischen Referenten in denselben ausge¬ 
sprochenen Wünsche durchweg sachgemäss. Ich möchte mir nur 
zu einzelnen derselben eine kurze Bemerkung erlauben. 

Leitsatz 3 betrifft die Unterbringung eines Zeugen 
zur Beobachtung in die Irrenanstalt, wenn sein Geistes¬ 
zustand zu Bedenken Anlass gibt. Im Interesse der Vermeidung 
unbegründeter Strafverfolgung halte ich den hier gemachten Vor¬ 
schlag für empfehlenswert; ich kann aber die Befürchtung nicht 
unterdrücken, dass die gesetzgebenden Faktoren sich vielleicht 
scheuen werden, ihm Rechnung zu tragen. Er erinnert mich 
etwas an die Bestimmung in der Peinlichen Gerichtsordnung 
Karls V., nach welcher der private Ankläger bis zur Durch¬ 
führung der Anklage ins Gefängnis gesetzt wird, wenn er nicht 
imstande ist, Bürgschaft für den Schaden, der durch unbe¬ 
gründete Anklage dem Angeklagten etwa erwächst, zu leisten. 
Wie hierdurch damals die Leute von der unmittelbaren Anklage¬ 
erhebung abgeschreckt wurden, so mag die Aussicht, in eine 
Irrenanstalt gebracht oder auch ausserhalb derselben auf seinen 
Geisteszustand beobachtet zu werden, manchen, der eine begrün¬ 
dete Anzeige zu erstatten hätte, von einer solchen abschrecken. 

Leitsatz 14 bezieht sich auf einen Mangel in den Proto¬ 
kollen, der sich nicht selten fühlbar macht. Es berührt sonder¬ 
bar, wenn nach den Protokollen Leute in elegantem Stil Vorträge 
halten, die hinterher bei der Vernehmung in der Verhandlung 
keinen ordentlichen Satz zuwege bringen. Es liegt auf der Hand, 
dass bei derartiger Abfassung der Protokolle derjenige leicht ein 
falsches Bild erhält, der auf Grund der protokollierten Aussage 
zu einem Entschluss kommen, etwa ein Gutachten abgeben soll. 
Die Forderung des Leitsatzes 14 kann von juristischer Seite 
sachlich kaum eine Beanstandung erfahren. Eigentlich bedürfte 
es gar keiner besonderen Vorschrift der hier vorgeschlagenen 
Art. Verständiger Weise wird man nicht Leuten Aeusserungen 
in direkter Rede in den Mund legen, die sie beim Mangel der 
erforderlichen Sprachgewandheit von vornherein gar nicht in der 
angegebenen Form gemacht haben können. Da aber, wie die 
Erfahrung zeigt, in der Tat häufig in dieser Richtung gefehlt 
wird, mag sich die Aufnahme der vorgeschlagenen Bestimmung 
in das Gesetz empfehlen. 

Zu Leitsatz 20 möchte ich nur die Anregung geben, ob 
nicht eine Zerlegung des Paragraphen in zwei Teile wünschens¬ 
wert wäre. Der Leitsatz behandelt die Wiederaufnahme des Ver¬ 
fahrens bei Verstorbenen wie Geisteskranken in einem Atem. 



Gerichtsärztl. Wünsche in bezog auf die bevorstehende Beform der Str.-Pr.-O. 48 


Eine Trennung der Bestimmung mochte grossere Klarheit ge¬ 
währleisten. 

Einige Worte noch zu Leitsatz 23. Er lautet: 

„Wird der Beschuldigte auf Grund des § 51 des 
Strafgesetzbuchs ausser Verfolgung gesetzt oder 
freigesprochen, so kann das Gericht den Privat- 
klfiger nach Befinden derUmstände von der Tra¬ 
gung der Kosten ganz oder teilweise entbinden. 8 

Bisher ist die Sache so: In § 503, Abs. 2 Str.-Pr.-O. heisst 
es: „Wird der Beschuldigte ausser Verfolgung gesetzt oder frei- 
gesprochen . . . ., so fallen dem Privatkläger die Kosten des Ver¬ 
fahrens ... zur Last, 8 Nun kann es Vorkommen, dass die Frei¬ 
sprechung erfolgt nicht deswegen, weil der Beklagte die Tat nicht 
begangen hat, sondern weil er unzurechnungsfähig ist. Von der 
Geisteskrankheit des Beschuldigten hatte aber der Privatkläger 
nicht die geringste Kenntnis, und es erscheint als eine Härte, ihn 
in solchem Fall die Kosten des Verfahrens tragen zu lassen. Er 
verfolgte ja nicht einen privaten Strafanspruch, sondern den Straf¬ 
anspruch des Staates — wenn auch im Wege der Privatklage, — 
und da entspricht es einer Forderung der Billigkeit, dass der 
Staat bei solcher Sachlage die Kosten trägt — je nach Umständen 
ganz oder teilweise. Hatte er aber Kenntnis von der Geistes¬ 
krankheit des Beschuldigten nnd erhob er dennoch Klage, dann 
wird er mit Recht zur Kostentragung verurteilt werden. 

Auf eines darf ich Sie vielleicht noch aufmerksam machen, 
was in den Leitsätzen nicht erwähnt ist, aber für Sie des Inter¬ 
esses doch nicht entbehrt: Die von der Strafprozesskommission 
vorgeschlagene Ausdehnung der Zulässigkeit der Privat¬ 
klage. Nach geltendem Recht kann bei fahrlässigen Körperver¬ 
letzungen, die dem Arzte in Ausübung seines Berufes begegnen, 
Privatklage nicht erhoben werden, da sie Offizialdelikte sind. Die 
Klageerhebung kann nur vom Staatsanwalt ausgehen. Die Kom¬ 
mission möchte die Privatklage bei allen fahrlässigen Körperver¬ 
letzungen zugelassen wissen (II. Bd., S. 551). Wenn sich dieser 
Vorschlag der Kommission verwirklicht, so werden in Zukunft die 
Aerzte vielleicht mehr als bisher vom guten oder bösen Willen 
der Patienten abhängig sein. Bisher prüfte auf eine Anzeige 
gegen einen Arzt wegen angeblicher Körperverletzung der Staats¬ 
anwalt immer erst nach, ob wirklich eine Fahrlässigkeit vorliege. 
In Zukunft würde der Patient unmittelbar Klage erheben können, 
und wenn er mit derselben auch nicht durchdringt, bedeutet 
sein Vorgehen immerhin eine erhebliche Belästigung nnd auch 
Schädigung des Arztes. Umgekehrt mag die vorgeschlagene 
Aenderung dem Arzt auch einen gewissen Schutz bieten: Bisher 
ist der Staatsanwalt verpflichtet, von amtswegen Klage zu er¬ 
heben, wenn er von einer fahrlässigen, vom Arzt in Ausübung 
seines Berufs begangenen Körperverletzung Kenntnis erhält; in 
Zukunft bleibt dem Arzt, wenn ihm ein Missgeschick begegnet, 
die Möglichkeit, sich mit dem Patienten aussergerichtlich aus¬ 
einanderzusetzen. 



44 


Diskussion za den Vorträgen: 


Damit bin ich zum Schlosse meiner Ausführungen ge¬ 
kommen. Unter unsern Leitsätzen ist, denke ich, keiner, der 
vom Standpunkte des Juristen aus unhaltbar und dessen Verwirk¬ 
lichung unter den gegenwärtigen Verhältnissen nicht möglich 
wäre. Ich glaube daher auch als Kriminalist die Leitsätze zur 
Annahme empfehlen zu dürfen. 

(Lebhafter Beifall.) 

Vorsitzender: Ich eröffne die Generaldiskussion über 
die erstatteten Referate und die von den Herren Referenten auf¬ 
gestellten Leitsätze; nach dieser werden wir dann in die Erör¬ 
terung der einzelnen Leitsätze eintreten und schliesslich nach 
Beendigung der Spezialdiskussion zur Abstimmung Aber die ein¬ 
zelnen Leitsätze schreiten. 

Med.-Bat Dr. Vanselow, Bezirksarzt in Kissingen: M. H.I Ich möchte 
folgenden Fall zam Vortrag bringen: Ein Kellner, der bisher körperlich and 
geistig vollkommen gesund war und seinen Dienst zur größten Zufriedenheit 
seines Prinzipals versah, geht abends in eine Restauration, trinkt in */ 4 Stunden 
7 Glas Bier und beginnt zu exzedieren so, daß die Polizei ihn hinter Schloß 
und Riegel bringt. Der Amtsanwalt eröffnet das Ermittelungsverfahren und 
kommt zu der Anschauung, daß die freie Willensbestimmung in diesem Falle 
ausgeschlossen sein könnte. Er stellt deshalb an den betr. Arzt das Ersuchen, 
er möge sich auf Grund des erhobenen Ermittelungsverfahrens gutachtlich 
äußern, ob hier eine Störung der freien Willensbestimmung ausgeschlossen sei. 
event. möge er Bich den betr. Kellner vorführen lassen. — Es mag ja dieser Fall 
mit den Leitsätzen nicht Zusammenhängen, aber vielleicht mit der Reform der 
Strafprozeßordnung. Herr Prof. Dr. Aschaffenburg hat nämlich vorge¬ 
tragen, wenn ich ihn recht verstanden habe, daß es kaum wohl Vor¬ 
kommen werde, und wenn es vorkomme, als falsch zu erachten sei, daß 
ein Arzt ein Gutachten über die Zurechnungsfähigkeit eines Individuums ab- 
giebt, ohne das Individuum vorher untersucht zu haben. Der von mir er¬ 
wähnte Fall liegt ja im großen Ganzen einfach; ein Kellner, der in der Zeit von 
*/ 4 Stunden 7 Glas Bier trinkt, dürfte an sich doch bei solchem sinnlosen Ex¬ 
zedieren als unzurechnungsfähig bezeichnet werden. Wenn auch in solchen 
Fällen eine persönliche Untersuchung vielleicht nicht im Interesse des Staates 
liegen mag, so liegt sie ganz gewiß im Interesse des Individuums. Deshalb 
möchte ich bitten, dahin zu wirken, daß bei allen Fällen ohne Ausnahme, soweit 
es sich um die freie Willensbestimmung handelt, nur Gutachten auf Grund 
persönlicher Untersuchung abgegeben werden dürfen. 

Vorsitzender: Es hat Niemand mehr das Wort zur General¬ 
diskussion verlangt. Ich schliesse diese, eröffne die Spezialdis¬ 
kussion und zwar Aber Leitsatz 1. — Da das Wort nicht ver¬ 
langt wird, können wir zu Leitsatz 2 Abergehen. 

H. Oberarzt Dr. Weber-Göttingen: M. H.I Der Ausdruck Geistes¬ 
krankheit oder Geistesschwäche wird Veranlassung geben, wiederauf 
die im B. G. B. gegebene Definition dieses Begriffes zurückzagreifen. Der 
Sachverständige maß dann wieder die Frage des Richters beantworten: „Ist 
die Zeugenaussage infolge von Geisteskrankheit oder von Geistesschwäche 
unmöglich ?“ Man könnte ihm dies ersparen, wenn man den indifferenten Aus¬ 
druck „Geistesstörung“ gebrauchte. Dieser würde auch besser die 
transitorischen Zustände, welche manchmal die richtige Auffassung eines Vor¬ 
gangs vermindern, treffen. 

Vorsitzender: Wünscht sonst Jemand das Wort zu diesem 
Leitsatz zu nehmen? Es ist nicht der Fall. Auch zu den fol¬ 
genden Leitsätzen 3—10 hat sich Niemand zum Wort gemeldet 
Wir kommen nun zum Leitsatz 11. 



GerichtsärztL Wünsche in bezug auf die bevorstehende Reform der Str.-Pr.-O. 46 


H. Prof. Dr. Stolper, Kreisarzt in Göttingen: M. H.1 Zur Frage der 
zwangsweisen ärztlichen Untersachnng verdächtiger und un¬ 
verdächtiger Personen (Protokolle, II. Bd., S. 439, Nr. 79—82) möchte 
ich mir einige Worte erlanben. Mir erscheint — ganz allgemein genommen 
— eine dahingehende Bestimmung ein ganz ungewöhnlicher Eingriff in die 
persönliche Freiheit; außerdem kommt es noch viel auf die praktische Durch¬ 
führung dieser zwangsweisen Untersachnng an. H. Prof. Dr. Straß mann 
hat nnr die Schamverletznng als bedenklich erörtert; es gibt aber noch andere 
Gesichtspunkte, die man gegen eine gesetzliche Festlegung der zwangsweisen 
körperlichen Untersuchung geltend machen muß. Ich denke unter anderem 
an folgende Fälle: Der Staatsanwalt kann ein sehr wohl begründetes Interesse 
an einer verweigerten Untersuchung haben und sie durch Beschluß erzwingen. 
Es handelt sich um eine Attaque auf eine weibliche Person, die z. B. ein ans¬ 
lösendes Moment für eine schwere hysterische oder neurasthenische Störung 
würde. Die Angegriffene hat nicht das mindeste persönliche Interesse an der 
Bestrafung des vielleicht schon vielfach vorbestraften Subjektes. Soll hier die 
zwangsweise Untersuchung möglich werden? Der Herr Referent hat bereits 
eine Abschwächung vorgeschlagen. Mir sträubt sich das Empfinden gegen eine 
dahingehende Reform der Strafprozeßordnung im allgemeinen. Aber es sprechen 
auch rein medizinische Einwände dagegen, die ich zur eingehenden Erwägung 
anheim geben möchte. Denken Sie an die Möglichkeit, daß die Hysterische 
unter dem Einfluß der Zwangsuntersuchung eine schwere Verschlimmerung er¬ 
fährt, z. B. in hysterische Lähmung verfällt. Für diese Fälle käme dann die 
Haftpflicht des Gerichts in Frage. Oder glauben Sie, daß sich gegen eine 
derartige Gefahr der Richter oder Staatsanwalt rückversichern, schützen könnte 
durch ein ärztliches Gutachten? Nein, m. H. 1 Welcher Arzt vermag alle 
Möglichkeiten bei Hysterischen vorauszusehen? Keiner, nach meiner Erfahrungl 
Ferner denken Sie an die Fragen von Syphilis und Haftpflicht. Welche 
Schwierigkeiten können sich da bieten, und doch zu keinem Resultate führen ? 
Nehmen Sie den Fall: Es handelt sich um Simulation zwecks Erlangung einer 
Unfallrente. Der dutzendmal Untersuchte verweigert die Untersuchung; sie 
wird zwangsweise angeordnet. Wie weit darf hier der Untersucher gehen? 
Darf er narkotisieren, um eine vorgetäuschte Ankylose festzustellen ? Darf er 
es jetzt, wo er unter doppelter Veranwortung steht? Wird er ohne derartige 
einschneidende Maßnahmen weiter kommen als die Vorgutachter? Ich glaube 
nicht! Man könnte noch eines anderen Falles gedenken: Es handelt sich um 
Zweikampf und die Feststellung, ob Selbstverletzung vorliegt u. dergL Sie 
sehen, m. H., es kommen hier außerordentlich schwerwiegende Fragen in Be¬ 
tracht. Ich halte deshalb die körperliche Untersuchung für praktisch undurch¬ 
führbar und glaube, wir dürfen diese Bestimmung — vom Standpunkte 
des Arztes aus — für die neue Reform der Strafprozeßordnung nicht 
empfehlen. 

H. Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Ungar-Bonn: M. H.1 Ich möchte einen 
dem Herrn Vorredner entgegengesetzten Standpunkt einnehmen. Ich habe das 
größte Bedenken gegen eine Bestimmung, die es einer Frauensperson möglich 
machen würde, eine Untersuchung, von der sie eine ihr ungünstige Feststel¬ 
lung erwartet, hinauszuschieben. Dadurch könnte die durch die gerichtsärzt¬ 
liche Untersuchung bezweckte Aufklärung gar zu leicht vereitelt werden. 
Setzen Sie z. B. den Fall, es handle sich um einen provozierten Abort oder 
um die Frage, ob eine Person vor Kurzem geboren habe. Wird die Unter¬ 
suchung, die sich schon an und für sich leicht verspätet, noch um Tage hin¬ 
ausgeschoben, so können wichtige Befunde, die eine Aufklärung ermöglicht 
hätten, völlig verwischt sein. So kann man nach Tagen allenfalls noch sagen, 
daß eine Person geboren habe, ob aber in letzter Zeit, muß unentschieden 
bleiben, während bei einer einige Tage früher vorgenommenen Untersuchung 
eine solche Unterscheidung möglich gewesen wäre. Wir dürfen nicht unbe¬ 
rücksichtigt lassen, daß bei einer Berufung an eine höhere Instanz mancher 
Tag vergehen wird, ehe die Entscheidung gefällt ist. Zudem hat mich die 
Erfahrung gelehrt, daß gerade sittsame, unbescholtene Personen sich in eine 
ärztliche Untersuchung viel eher schicken, sich viel weniger gegen eine solche 
sträuben, als gerade diejenigen, deren Moralität alles weniger als eine ein¬ 
wandfreie ist. Ich bitte deshalb von dem vorgeschlagenen Zusatze zu Absatz 3 
Abstand zu nehmen. 



46 


Diskussion za den Vorträgen): 


Vorsitzender: Za Leitsatz 11 hat Niemand mehr am das 
Wort gebeten; auch za Leitsatz 12 und 13 ist dies nicht ge¬ 
schehen; ich eröffne daher die Diskussion über Leitsatz 14. 

H. Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Ungar-Bonn: M. H.! Dem Herkommen 
gemäß werden die Aoss&gen bei der ärztlichen and polizeilichen Vernehmung 
in direkter Rede za Protokoll genommen. In der überwiegend großen Mehr¬ 
zahl der Fälle werden jedoch die Aassagen keineswegs wörtlich niederge- 
schrieben, meist wird nar ein Aaszag des Gesagten in möglichst gedrängter 
Form gegeben, dabei aber nichtsdestoweniger die direkte Rede beibehaltea. 
Vielfach bedient man sich hierbei auch gewisser Redewendungen, wie s. B. 
„ich gestehe die mir zar Last gelegte Tat in vollem Umfange ein,“ oder „ich 
mache die mir vorgelesene Aassage des Zeugen H. za der meinigen and 
schließe mich ihr in allen Punkten an.“ Die Protokolle lassen auch nur aus¬ 
nahmsweise erkennen, was die Antwort anf eine vorgelegte Frage ist, and 
was aas eigenem Antrieb gesagt wurde, was erst nach längerem Zureden and 
was später geäaßert warde. Der Wiedergabe unter Anführung von Fragen 
and Antworten begegnet man meist nur in Protokollen der Entmündigungs¬ 
termine. Durch jene Art and Weise der Protokollierung wird die Verwertung 
der Aassagen für die gerichts&rztlichen, namentlich für die den Geisteszustand 
betreffenden Gutachten sehr beeinträchtigt, der Sachverständige kann durch 
solche Protokolle vollständig irregeführt werden. In anderen Fällen sieht er 
sich in der unangenehmen Lage, daß seine Auffassung des geistigen Verhal¬ 
tens der betreffenden Person in Widerspruch steht mit deren angeblicher Aas¬ 
sage. So mußte ich in einem Falle, in dem das Protokoll der Vernehmung 
einer zweifellos blödsinnigen, des Kindesmordes beschuldigten Person, eine 
Aussage wiedergab, welche im schroffen Widerspruch zu dem ganzen geistigen 
Verhalten der Person stand, in meinem Gutachten erklären, daß die Person, 
wenn sie sich bei ihrer Vernehmung in so klarer, verständnisvoller Weise ge¬ 
äußert hätte, eine ganz durchtriebene Simulantin sein müßte. 

Die jetzt übliche Art der Protokollierung ist besonders gefährlich für 
jene Fälle, in denen der Sachverständige sich nicht durch eine Untersuchung 
der fraglichen Person Aufklärung verschaffen kann, so namentlich in den 
Fällen, in denen es sich um eine Beurteilung des Gesundheitszustandes zu 
einer gewissen Zeit handelt, und eine später vorgenommene Prüfung des 
geistigen Verhaltens weniger in Betracht kommen kann; so z. B. in Fällen, 
in denen ein pathologischer Rauschzustand, ein epileptischer Dämmerzustand 
oder ähnliche Zustände transitorischer Bewußtseinsstörung in Frage kommen. 

Es wäre deshalb wichtiger, wenn die Protokolle im allgemeinen nur den 
Inhalt des Gesagten in indirekter Rede wiedergäben und nur für die wichtigeren 
Punkte Wiedergabe in direkter Rede beibehalten würde; bei Benutzung der 
direkten Rede müßte das Gesagte aber auch möglichst im Wortlaut nieder¬ 
geschrieben werden. Sodann müßte das Protokoll möglichst erkennen lassen, 
inwieweit das Gesagte eine Antwort auf eine vorgelegte Frage bildet. 

Vorsitzender: Wünscht sonst Jemand das Wort za Leit¬ 
satz 14P Dann bitte ich H. Prof. Dr. Ungar seine Ausführungen in 
einen bestimmten Abänderungsvorschlag zu formulieren, über den 
nachher abgestimmt werden kann. 

Verlangt Jemand zu einem der folgenden Leitsätze das 
WortP — Es meldet sich Niemand. Ich schliesse nunmehr die 
Diskassion and stelle den Herren Referenten anheim, das Schluss¬ 
wort zu ergreifen. 

H. Prof. Dr. Strassmann-Berlin (Schlußwort): Ich muß zunächst berichten, 
daß einer der Herren Kollegen mir privatim den Wunsch geäaßert hat, es möge in 
unserer These 8 das letzte Wort „ist“ ersetzt werden durch die Worte „sein 
kann“. Ich halte diesen Vorschlag für berechtigt und bitte, ihn anzunehmea. 
Man kann mitunter zur Zeit der Leichenöffnung noch nicht bestimmt erklären, 
daß eine weitere Untersuchung der Leichenteile erforderlich ist und wenn 
der Richter von der Bejahung dieser Frage die Genehmigung zur Aufhebung 
der Leichenteile abhängig macht, wird sie häufig in vielen Fällen unterbleiben 



Gerichts ärztL Wünsch« In besag auf die berorstehende Reform der 8tr.-Pr.-0. 47 

müssen, in denen sie doch sehr erwünscht ist, weil sie sur Aofklirong des 
Tatbestandes erforderlich sein kann. 

Was Leitsatz 11 anlangt, so geht mein Vorschlag, gegen den Zwang 
zur Untersuchung das Beschwerderecht zu gewähren, Herrn Ungar zu weit, 
Herrn Stolper nicht weit genug. Ich glaube, daß ich wohl das nichtige 
getroffen habe, da die Wahrheit auch hier in der Mitte liegen wird. Die Ge¬ 
fahr der Verschleppung, die Verwischung Ton Spuren des Verbrechens, die 
Herr Ungar fürchtet, ist wohl nicht so groß. Der Beschwerdeweg ist ja 
ein geregelter, gangbarer und die Erledigung der Beschwerde in kurzer 
Zeit möglich. Anderseits gehen die Befürchtungen des Herrn Stolper über 
den Schaden, der durch eine solche erzwungene Untersuchung gestiftet werden 
konnte, wohl zu weit, da es sicherlich, wie ich schon früher hervorhob, nur 
selten Vorkommen wird, daß sich jemand der körperlichen Untersuchung gegen¬ 
über dauernd ablehnend verhält, auch nachdem etwa seine Beschwerde zurttck- 
gewiesen ist, so daß nun wirklich zu einem physischen Zwange geschritten 
werden muß. Ich bitte, daß Sie es bei meinem Antrag belassen. 

H. Prof. Dr. Aschaffenburg-Cöln a./Rh. (Schlußwort): M. H.I Ich bin 
für meine Person mit dem Vorschläge des Herrn Kollegen Ungar einver¬ 
standen, obgleich ich nicht zugeben kann, daß er notwendig ist. Ich habe 
aber keine ernsten Bedenken und will deshalb auch nicht dagegen sprechen. 

Der Einwand, daß die Begriffe Geisteskrankheit und Geistes¬ 
schwäche nicht eindeutig genug seien, ist schon mehrfach gemacht worden, 
und ich gebe auch die Berechtigung des Einwandes zu; aber ich habe mich 
bisher vergeblich bemüht, einen besseren Ausdruck zu finden. Gegen den 
Ersatz durch das einfache Wort „Geistesstörung“ muß ich mich jedoch aufs 
entschiedenste aussprechen, weil man immer wieder die Erfahrung macht, daß 
es dem Juristen absolut nicht einleuchten will, daß geistige Schwäche unter 
den Begriff der Krankheit fällt. Gerade aus diesem Grunde ist im B. G. 
B. neben der Geisteskrankheit stets von Geistesschwäche die Bede. Wenn 
wir das nicht auch tun, so kann es geschehen, daß der Richter einen Geistes¬ 
schwachen nicht als unter den Paragraphen gehörig anerkennen wird. Wenn 
man das Wort „Geistesstörung“ an die Stelle der „Geisteskrankheit“ setzen 
will, so ist mir das recht, aber die Geistesschwäche möchte ich bitten beizu¬ 
behalten. Einen Vorzug kann ich aber dem Ausdruck „Geistesstörung“ vor 
dem „Geisteskrankheit“ nicht zuerkennen. 

Vorsitzender: M. H.! Wir kommen jetzt znr Abstim¬ 
mung aber die einzelnen Leitsätze. Zn Leitsatz 1 ist kein 
Antrag gestellt; ich bitte diejenigen, die diesem Leitsatz zu- 
stimmen, sitzen za bleiben. — Der Leitsatz ist einstimmig 
angenommen. 

Za Leitsatz 2 hat Herr Kollege Dr. Weber den Antrag 
gestellt, die Worte „Geisteskrankheit oder Geistesschwäche“ durch 
das Wort „Geistesstörung“ za ersetzen; der Beferent, Prof. Dr. 
Aschaffenbarg, bittet dagegen, es bei der vorgeschlagenen 
Fassung za belassen. Wer für diese Beibehaltung ist, den bitte 
ich, sich zu erheben. 

Das ist die grosse Mehrheit. Der Antrag des Kollegen 
Dr. Weber ist damit abgelehnt. 

Ueber die Leitsätze 3 — 7 kann zusammen abgestimmt 
werden, da Abänderungsvorschläge nicht vorliegen. Ich bitte die¬ 
jenigen Herren, die diesen Leitsätzen zustimmen, sitzen zu bleiben. 

Es erhebt sich Niemand; die Leitsätze 3—7 sind also ein¬ 
stimmig angenommen. 

Zn Leitsatz 8 ist anf Anregung aus der Mitte der Ver¬ 
sammlung von dem Herrn Beferenten, Prof.Dr.Strassmann, vorge¬ 
schlagen, am Schiass des zweiten Absatzes das Wort „ist“ durch 



48 


Leitsätze za den Vorträgen: 


die Worte »sein kann“ zu ersetzen. Wer für die Annahme des 
Leitsatzes 8 mit dieser Abänderung ist, den bitte ich, sitzen zu 
bleiben. 

Leitsatz 8 ist einstimmig angenommen. 

Zn den Leitsätzen 9 —13 sind keine Abänderungsvor¬ 
schläge gestellt; Herr Hollege Dr. Stolper hat auf die Stellong 
eines solchen za Leitsatz 11 verzichtet and H. Kollege Dr. Ungar 
seinen Antrag za diesem Leitsatz zurückgezogen. Ich bringe diese 
Leitsätze somit zur Abstimmung und bitte diejenigen, die damit 
einverstanden sind, sich zu erheben. 

Die Leitsätze 9—13 sind einstimmig angenommen. 

Za Leitsatz 14 liegt ein Abänderungsantrag des Herrn 
Prof. Dr. Ungar vor dahingehend, dem letzten Satz dieses Leit¬ 
satzes folgende Fassung za geben: 

»Bildet eine wichtige Aussage die Antwort anf 

eine Frage, so ist auch diese Frage wörtlich anf- 

zunehmen und ebenfalls durch Anführungszeichen 

kenntlich zu machen.“ 

M. H.! Ich bringe Leitsatz 14 mit dieser Abänderung zur 
Abstimmung und bitte diejenigen, die für die jetzt vorgeschlagene 
Fassung sind, sitzen zu bleiben. 

Es erhebt sich Niemand; Leitsatz 14 ist daher mit der 
beantragten Abänderung einstimmig angenommen. 

Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über die Leitsätze 
15 — 23, zu denen Abänderungsvorschläge nicht vorliegen. Wer 
für diese Leitsätze ist, den bitte ich, sitzen zu bleiben. 

Die Leitsätze 15—23 sind einstimmig angenommen. 

M. H.! Der wichtigste und hauptsächlichste Beratungs¬ 
gegenstand unserer heutigen Tagesordnung ist damit erledigt. 
Hoffentlich finden unsere Beschlüsse an massgebender Steile 
Berücksichtigung! Ausserordentlichen Dank sind wir aber unseren 
Herren Referenten schuldig, die diese Beschlüsse vorbereitet und 
in so vorzüglicher Weise sowohl auf unserer vorjährigen, als auf der 
diesjährigen Hauptversammlung vertreten haben. Zum Zeichen 
unseres Dankes bitte ich Sie, sich von Ihren Plätzen zu erheben. 

(Geschieht.) 

Nach dem Ergebnis der Abstimmung haben die Leitsätze 
somit folgenden Wortlaut: 

I. 

Zu § 52 (Zeugnisverweigerungsrecht): 

»Es wird gewünscht, dass auch die Aerzte vor ihrer Ver¬ 
nehmung über ihr Recht zur Verweigerung des Zeugnisses belehrt 
werden.“ 

II. 

Zu § 56 (Unbeeidigte Vernehmung von Zeugen) 
ist die Anfügung folgender Bestimmung erwünscht: 



Gerichtsärztl. Wünsche in bezug auf die bevorstehende Reform der Str.-P.-O. 49 

„Unbeeidigt sind zu vernehmen Personen, deren Anssagen 
oder Wahrnehmungen durch Geisteskrankheit oder Geistesschwäche 
beeinflusst sind/ 

HL 

Dem Abschnitt Aber die „Zeugen“ soll ausserdem fol¬ 
gende Bestimmung angefflgt werden: 

„Gibt der Geisteszustand eines Zeugen zu Bedenken Anlass, 
so ist ein Sachverständiger zur Beobachtung und Begutachtung zu 
bestellen. Hat der Zeuge selbst das Verbrechen angezeigt oder 
den Antrag auf Strafverfolgung gestellt, so kann das Gericht zur 
Vorbereitung eines Gutachtens auf Antrag eines Sachverständigen 
und nach Anhörung eines dem Zeugen zur Wahrung seiner Inter¬ 
essen zu bestellenden oder von ihm gewählten Rechtsanwalts an¬ 
ordnen, dass der Zeuge in eine Irrenanstalt gebracht und dort 
beobachtet werde. — Gegen den Beschluss findet sofortige Be¬ 
schwerde statt; diese hat aufschiebende Wirkung. — Die Ver¬ 
wahrung in i der Anstalt darf die Dauer von sechs Wochen nicht 
überschreiten.“ 

IV. 

Zu § 80 (Vorbereitung des Gutachtens von Sach¬ 
verständigen) wird beantragt, den Absatz 2 zu fassen: 

„Zu diesem Zwecke ist ihm zu gestatten, falls nicht be¬ 
sondere Hinderungsgründe vorliegen, die Akten einzusehen, der 
Vernehmung von Zeugen oder des Beschuldigten beizuwohnen und 
an diese Fragen zu stellen.“ 

V. 

§ 81 (Einweisung eines Angeschuldigten in eine 
öffentliche Irrenansalt behufs ärztlicher Beobach¬ 
tung und Erstattung eines Gutachtens über seinen 
Zustand) möge folgenden Zusatz erhalten: 

„Falls vom Gericht oder von dem Angeschuldigten ein Ober¬ 
gutachten verlangt wird, kann von neuem die Einweisung in eine 
der obergutachtenden Behörde oder dem als Obergutachter bestellten 
Sachverständigen zugängliche Irrenanstalt auf die Dauer von 
höchstens sechs Wochen beschlossen werden. — Der Beschluss ist 
mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar; diese hat aufschie¬ 
bende Wirkung. 

VI. 

Zu § 82 (Erstattung von Gutachten im Vorver¬ 
fahren) ist dem Absatz 2 hinzuzusetzen: 

„Bei mündlicher Erstattung eines Gutachtens sowie bei 
Augenscheins-Einnahmen, gerichtlicher Leichenschau und Leichen¬ 
öffnung (§§ 86 und 87 ) ist der Sachverständige berechtigt, sein 
Gutachten oder den von ihm festgestellten Sachbefund selbst zu 
Protokoll zu diktieren.“ 

VH. 

§ 85 (betreffend sachverständige Zeugen) soll fort¬ 
fallen. 


4 



50 


Leitsätze zu den Vorträgen: 


vm. 

§ 87 (Richterliche Leichenschau) soll lauten: 

„Die richterliche Leichenschau wird unter Zuziehung eines 
Arztes, der in der Regel ein Gerichtsarzt sein soll, die Leichen¬ 
öffnung im Beisein des Richters von 2 Aerzten, unter denen sich 
ein Gerichtsarzt befinden muss, vorgenommen. Demjenigen Axzte, 
welcher den Verstorbenen in der dem Tode unmittelbar voran¬ 
gegangenen Krankheit behandelt hat, ist die Leichenöffnung nicht 
zu übertragen. Derselbe kann jedoch aufgefordert werden, der 
Leichenöffnung anzuwohnen, um aus der Krankheitsgeschichte 
Aufschlüsse zu geben. 

Behufs der Besichtigung oder Oeffnung einer schon beerdigten 
Leiche ist ihre Ausgrabung statthaft. Ebenso ist die Entnahme 
von Leichenteilen statthaft, soweit sie zur weiteren Untersuchung 
und Beweisaufnahme erforderlich sein kann.* 

IX. 

In § 91 (Untersuchungen bei Verdacht einer Ver¬ 
giftung) soll an Stelle des Wortes „Chemiker* gesetzt werden 
„geeigneten Sachverständigen*. 

X. 

Zu § 97 (Nicht zulässige Beschlagnahme von 
schriftlichen Mitteilungen usw. der zur Verweigerung 
des Zeugnisses berechtigten Personen). 

Es ist dem Beschlüsse der Kommission für die Reform der 
Strafprozessordnung zu § 97 (Protokolle, II. Bd., S. 481, Nr. 75) 
zuzustimmen, welcher lautet: 

„Unter den im § 97 bezeichneten Voraussetzungen sollen 
nicht nur, wie schon bisher, schriftliche Mitteilungen zwischen 
dem Beschuldigten und den nach § 52 zur Verweigerung des 
Zeugnisses berechtigten Personen, sondern auch Aufzeichnungen 
der nach § 52 Verweigerungsberechtigten über Mitteilungen des 
Beschuldigten der Beschlagnahme nicht unterliegen.* 

XI. 

Die Kommission für die Reform der Strafprozessordnung 
hat zum Abschnitt 8 hinter § 111 folgende neue Vorschriften über 
die körperliche Untersuchung vorgeschlagen (s. Protokolle, 
n. Bd., S. 439, Nr. 79—82): 

„Die körperliche Untersuchung soll verdächtigen und unverdächtigen 
Personen gegenüber zulässig sein, wenn sie für das anhängige Strafverfahren zun 
Zwecke der Feststellung des Vorhandenseins oder Nichtvorhandenseins von 
Spuren oder Folgen einer strafbaren Handlung notwendig ist. 

Im Falle der Weigerung soll es zulässig sein, die Untersuchung zu er¬ 
zwingen. 

Die Anordnung der körperlichen Untersuchung soll dem Bichter, bei 
Gefahr im Verzüge auch der Staatsanwaltschaft zustehen. Die Androhung 
und die Anordnung des Zwanges soll nur dem Bichter zustehen. 

Für die körperliche Untersuchung einer weiblichen Person soll weiter 
bestimmt werden, daß sie nur von einem oder mehreren Aerzten (Aerztinnen) 
yorgenommen werden darf und daß auf Verlangen der zu Untersuchenden oder 
ihres gesetzlichen Vertreters ein Angehöriger oder eine geeignete weibliche 



Gerichtearztl. Wünsche in besag naf die bevorstehende Reform der 8tr.-Pr.-0. 61 

Person als Beistand zozoziehen ist, wenn dies ohne Gefährdung des (Jnter- 
suchungszweckes geschehen kann." 

Za Absatz 3 dieses neuen Paragraphen wird folgender 
Zusatz vorgeschlagen: 

„Gegen den richterlichen Beschluss, der den Zwang anordnet, 
ist sofortige Beschwerde zulässig; dieselbe hat aufschiebende 
Wirkung.“ 

Za Absatz 4 wird vorgeschlagen: 

Die Worte „ein Angehöriger oder“ zu streichen. 

XII. 

Zu § 116 (Untersuchungshaft). 

Nach den Gefängnis- und Zuchthausordnungen pflegt die 
Fesselung eines Strafgefangenen nur nach Anhörung des 
Arztes angeordnet zu werden. Bei Fesselung eines Untersuchungs¬ 
gefangenen ist die Anhörung des Arztes nicht vorgeschrieben. Es 
erscheint die Aufnahme einer entsprechenden Bestimmung im 
§116 Str.-P.-O. empfehlenswert. 

XIII. 

Zu § 128 (Festnahme und Vorführung eines An¬ 
geschuldigten behufs Vernehmung). 

Die Kommission für die Beform der Strafprozessordnung 
(Protokoll, n. Bd., S. 419, Nr. 102) schlägt vor, „dass an die 
Stelle der im § 118 vorgesehenen Vorführung die Einsendung der 
über die Festnahme aufgenommenen Verhandlungen tritt, wenn 
sich der Festgenommene in einem körperlichen Zustande befindet, 
welcher die Vorführung mit Rücksicht auf seinen Gesundheits¬ 
zustand nicht zaiässt. In diesem Falle darf die Vernehmung so 
lange ausgesetzt bleiben, als von ihr Gefahr für Leben und Ge¬ 
sundheit des Festgenommenen zu befürchten ist.“ 

Es wird hierzu folgender Zusatz vorgeschlagen: „deren 
Vorliegen durch gerichtsärztlicheUntersuchung fest¬ 
zustellen ist.“ 

XIV. 

Zu § 186, Abs. 3 und § 273 (Aufnahme von Aussagen 
in das Protokoll des Vorverfahrens und der Haupt¬ 
verhandlung). 

Hier wird zu den von der Kommission ,für die Strafprozess¬ 
ordnung (Protokolle, II. Bd., S. 513, 515, Nr. 199—205) ge¬ 
machten Vorschlägen der Zusatz gewünscht: 

„In das Protokoll dürfen als Aussagen in direkter Bede 
nur solche aufgenommen werden, die tatsächlich wörtlich nieder¬ 
geschrieben sind; dieselben sind durch Anführungszeichen als 
wörtlich aufgenommene Aussagen zu kennzeichnen. Bildet eine 
wichtige Aussage die Antwort auf eine Frage, so ist auch diese 
Frage wörtlich aufzunehmen und ebenfalls durch Anführungs¬ 
zeichen kenntlich zu machen.“ 


4* 



52 


Leitsätze za dea Vorträgen: 


XV. 

Dem § 188 (Beweisaufnahme in der Vorunter¬ 
suchung) soll als Absatz 8 zugesetzt werden: 

„Insbesondere ist in Sachen, zu deren Aufklärung ein sach¬ 
verständiges Gutachten gehört, dieses schon in der Vor¬ 
untersuchung einzuholen; auch ist dem etwaigen Antrag des An¬ 
geschuldigten, der durch ein solches Gutachten belastet wird, auf 
Einholung eines zweiten Gutachtens zu entsprechen, falls dieser 
Antrag nicht ganz unbegründet erscheint* 

XVI. 

Zu § 203 (Vorläufige Einstellung des Strafver¬ 
fahrens bei geisteskranken oder geistesschwachen 
Angeschuldigten) soll folgende Fassung vorgeschlagen werden: 

„Vorläufige Einstellung des Verfahrens kann beschlossen 

werden, wenn dem weiteren Verfahren.der Umstand 

entgegensteht, dass der Angeschuldigte nach der Tat in Geistes¬ 
krankheit verfallen ist, die eine Verhandlung als unaus¬ 
führbar erscheinen lässt. In jedem Falle ist ihm von Amts¬ 
wegen ein ärztlicher Sachverständiger beizuordnen, sofern er sich 
nicht selbst einen solchen gewählt oder ihn von seinen Angehörigen 
bestellt erhalten hat.* 

XVII. 

Zu § 222 (Behindertes Erscheinen eines Zeugen 
als Sachverständigen in der Hanptverhandlung) wird 
vorgeschlagen, 

dass nach den Worten „so kann das Gericht die Vernehmung 
desselben (Zeugen oder Sachverständigen) durch einen beauftragten 
oder ersuchten Bichter anordnen* die Worte eingeschoben werden: 
„falls nicht die Vernehmung mit Gefahr für den Kranken ver¬ 
bunden ist*. 

XVIII. 

§ 250, Abs. 1 (Verlesung des Protokolls über die 
frühere Vernehmung eines Zeugen oder Sachverstän¬ 
digen) soll den Zusatz erhalten: 

„Zur Verlesung des Protokolls über die Vernehmung eines 
in Geisteskrankheit Verfallenen ist ein ärztlicher Sachverständiger 
zuzuziehen.* 

XIX. 

Zu § 255 Absatz 1 (Verlesung von Gutachten in der 
Hauptverhandlung) soll hinzugesetzt werden: 

„In den vor den kleinen Schöffengerichten und den vor dem 
Amtsrichter verhandelten Strafsachen können auch anderweitige 
ärztliche Gutachten verlesen werden.* 


XX. 

Zu § 411 (Wiederaufnahme eines durch rechts¬ 
kräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens bei in¬ 
zwischen verstorbenen oder in Geisteskrankheit 




Gerichte Erztl. Wünsche in besag aaf die bevorstehende Reform der Str.-Pr.-O. 53 


verfallenen Verurteilten) wird folgende Fassung vor¬ 
geschlagen : 

»Ist der Verurteilte bereits verstorben oder in Geistes¬ 
krankheit verfallen und seine Widerherstellnng in 
absehbarer Zeit nicht zu erwarten, so hat ohne Erneue¬ 
rung der Hauptverhandlung das Gericht.entweder 

die Freisprechung zu erkennen oder den Antrag auf Wieder¬ 
aufnahme abzulehnen. 

Eine Urteilsfällung soll ohne Erneuerung der Hauptver¬ 
handlung gegen den Willen des Verurteilten (entsprechend dem 
Beschlüsse der Kommission für die Beform der Strafprozessord¬ 
nung, Protokolle, II. Bd., S. 549, Nr. 240) sowie gegen den 
Willen des Vormundes oder Pflegers eines verurteilten 
Geisteskranken nicht mehr zulässig sein.“ 

XXI. 

Zu §§ 485 und 487 (Vollstreckung des Todesurteils 
und Aufschiebung einer Freiheitsstrafe bei geistes¬ 
kranken Personen). 

Nach § 485, Abs. 2 darf an geisteskranken Personen ein 
Todesurteil nicht vollstreckt werden, und nach § 487, Abs. 1 ist 
die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe aufzuschieben, wenn der 
Verurteilte in Geisteskrankheit verfällt, ferner bei anderen Krank¬ 
heiten, wenn von der Vollstreckung eine nahe Lebensgefahr für 
den Verurteilten zu besorgen steht. Beide Paragraphen sollen 
etwa in folgender Weise ergänzt werden: 

»Steht die Auffassung der Strafvollzugsbehörde über das 
Vorliegen einer Geisteskrankheit oder das Vorhandensein einer 
nahen Lebensgefahr mit der Auffassung der Sachverständigen in 
Widerspruch, so ist ein Obergutachten einer kollegialen Fach¬ 
behörde einzuholen.“ 

XXII. 

Für§ 498, Abs. 1 (Anrechnung der Dauer des Auf¬ 
enthalts eines Strafgefangenen in einer Kranken¬ 
anstalt auf die Strafzeit) soll folgende Fassung vor¬ 
geschlagen werden: 

»Ist der Verurteilte nach Beginn der Strafvollstreckung wegen 
Krankheit in eine von der Strafanstalt getrennte Krankenanstalt 
gebracht worden, so ist die Dauer des Aufenthalts in der Kranken¬ 
anstalt in die Strafzeit einzurechnen, wenn nicht der Verurteilte 
mit der Absicht, die Strafvollstreckung zu unterbrechen, die 
Krankheit oder seine Verbringung in die Krankenanstalt 
herbeigeführt hat. Dies gilt auch für solche Verurteilte, 
welche wegen Geisteskrankheit in eine Irrenanstalt 
gebracht werden.“ 

XXIII. 

§ 503 (Erstattung der Auslagen seitens des Ver¬ 
urteilten bei Privatklagen) soll folgende Ergänzung in 
Abs. 2 finden: 

»Wird der Beschuldigte auf Grund des § 51 St.-G.-B. ausser 




64 


Bericht der Kaasenrerisoren. 


Verfolgung gesetzt oder freigesprochen, so kann das Gericht den 
Privatkläger nach Befinden der Umstände von der Tragung der 
Kosten ganz oder teilweise entbinden.* 


IV. Bericht der Kasseareviserti. 

Vorsitzender: M. H.! Ehe wir die heutige Sitzung 
schliessen, bitte ich noch den Bericht der Herren Kassenrevisoren 
entgegen zu nehmen. 

Stadtarzt Dr. Oebbecke-Breslau: M. H.! Wir haben die 
Kasse auf Grund der Bftcher und Beläge geprüft, Alles in bester 
Ordnung gefunden und beantragen daher den Schriftführer, der 
die Kasse in vorzüglicher Weise geführt hat (Bravo!), zu ent¬ 
lasten. 

Vorsitzender: Gegen den Antrag erhebt sich kein Wider¬ 
spruch, ich darf daher wohl annehmen, dass Sie alle damit ein¬ 
verstanden sind. Unserm Herrn Schriftführer, dem ich im Namen 
des Vereins den besten Dank für seine viele Mühe ausspreche, 
ist hiermit die ordnungsmässige Entlastung erteilt 

Schluss der Sitzung: 2 1 /» Uhr nachmittags. 


Im unmittelbaren Anschlüsse hieran fand die Besichtigung 
der Milchküche in der Luisen-Heilanstalt unter sachverständiger 
Führung des H. Privatdozenzen Dr. Tobler statt und hierauf 
die Besichtigung des Krematoriums auf dem städtischen Fried¬ 
hofe, bei der H. Architekt Thomas in liebenswürdiger Weise die 
Fühlung übernommen hatte. 

6 Uhr nachmittags vereinigte das in der Stadthalle 
abgehaltene Festessen die grosse Mehrzahl der Mitglieder mit 
ihren Damen zu einem frohbewegten, mehrstündigen Beisammen¬ 
sein, das gegen 9 Uhr abends im „Bitter“ bei einem Glas Bier 
einen recht vergnügten Abschluss fand. 



Zweiter Sitzongstag. 


Sonnabend, den 9.. September, vormittags 9 1 /* Uhr 

im Eammermualktaal« der Stadtlia.il e. 


I. Bl« 


Brnnfslchtlgna dar üelstukraikw auswhalk 
«er Aastaltu. 


H. Privatdozent Dr. Weber, Oberarzt der Prov.-Heil- und 
Pflegeanstalt in Göttingen, erster Referent: M. H.! Die Be¬ 
aufsichtigung der Geisteskranken hat einen doppelten Zweck zn 
erfüllen, nämlich die Fürsorge für die Geisteskranken selbst und 
die Wahrung der Interessen des Pnbliknms. Ich habe mich darauf 
zn beschränken, das anzugeben, was wir vom irrenärztlichen 
Standpunkte aus im Interesse der Geisteskranken wünschen 
müssen. Der andere Referent wird als Medizinalbeamter dann 
diese Wünsche prüfen event. einschränken und sie mit dem öffent¬ 
lichen Interesse in Einklang zu bringen suchen. 

Dass wohl ebensoviel Geisteskranke ausserhalb als in den 
Anstalten leben, ist Tatsache. Zu den Geisteskranken kommt aber 
noch die grosse Zahl der Epileptiker und Idioten, und ich möchte 
auch von dieser Stelle betonen, dass diese Kranken genau derselben 
ärztlichen Beaufsichtigung bedürfen, wie die übrigen Geistes¬ 
kranken. Endlich kommen dazu noch eine Anzahl Individuen, die 
wir als Labile zu bezeichnen pflegen, die also hart an der Grenze 
der Geisteskrankheit stehen. Alle diese genannten Kranken in 
Anstalten unterzubringen, ist schon aus finanziellen'Gründen un¬ 
möglich; aber auch humanitäre Gesichtspunkte machen es begreif¬ 
lich, dass man nicht eine solche Beschränkung der persönlichen 
Freiheit allen denen antut, bei denen ihr Zustand dies nicht er¬ 
fordert. 

M. H.! Zunächst muss ich darauf eingehen, welche Formen 
von den hier in Betracht kommenden Kranken ausser¬ 
halb der Anstalten leben können? Erwarten Sie nicht 




56 


Dt. Weber. 


eine Einteilung von rein klinischen Gesichtspunkten! In allen 
„verwaltungs - technischen“ Fragen, wie die Aufnahme und Ent* 
lassnng der Kranken, können wir mit rein nosologischen Betrach* 
tnngen nicht viel anfangen; denn nicht die Krankheitsform ist 
hier in erster Linie massgebend, sondern andere, ausserhalb des 
Kranken liegende Momente, und die können bei klinisch gleich* 
artigen Störungen verschieden sein. 

Wenn wir nach diesen Punkten die Geisteskranken, die 
ausserhalb der Anstalten leben können, mustern, so kommen wir 
zu folgender Einteilung: 

1. Solche Fälle, die noch nicht in einer Anstalt waren, die 
also frisch [erkrankt sind. Das ist eine numerisch kleine 
Gruppe. 

2. Eine viel grössere Gruppe umfassen die schon längere 
Zeit Erkrankten, die einer Behandlung, Pflege und Fürsorge 
bedürfen, die aber aus den verschiedensten Gründen in die Anstalten 
nicht aufgenommen werden können oder müssen. Hierbei kommen 
besonders äussere Momente in Betracht: Die Anstalten sind über¬ 
füllt, oder die Angehörigen unterlassen die Aufnahme aus Mangel 
an Mitteln usw. Die Angehörigen dieser Gruppen sind sozial 
leistungsunfähig, so dass die Kranken besonders auch vielfach 
aus diesem Grunde einer besonderen Fürsorge bedürfen. 

Unter dieser Gruppe möchte ich eine Abteilung hervor¬ 
heben; das sind die in der Familienpflege lebenden 
Geisteskranken. Wenn ich kurz zusammenfassen darf, welche 
Erfahrungen seit der Einführung der Familienpflege von den 
Kennern derselben gemacht worden sind, so sind es folgende 
Gesichtspunkte. Erstens: die in der Familienpflege lebenden 
Geisteskranken müssen in enger Beziehung zu einer grösseren 
oder kleineren Anstalt stehen. Hier müssen sie beobachtet und 
vorbereitet werden; sie müssen auch in diese Anstalt jederzeit 
ohne jede Formalität für kurze oder längere Zeit zurückgenommen 
werden können. Zweitens muss die Unterbringung, Behandlung 
und Beaufsichtigung der Kranken, die Anleitung der Pflegefamilien 
im grossen und ganzen von der Anstalt bezw. von deren Beamten 
und Aerzten ausgeführt werden. Endlich müssen für die Unter* 
bringung in Familien der Hauptsache nach fremde Familien, also 
Nichtangehörige, in Betracht kommen. Diese Forderungen im 
Einzelnen zu begründen, fehlt mir die Zeit. Ich weiss sehr wohl, 
dass von verschiedenen Seiten der Versuch gemacht wird, eine 
Familienpflege unabhängig von einer Anstaltszentrale in grösserem 
Massstabe einzuftthren und sie etwa der Leitung des Medizinal¬ 
beamten zu unterstellen. Unsere Erfahrungen sprechen nicht 
dafür, dass der Versuch Erfolg haben wird, eine derartige Fa¬ 
milienpflege für solche Kranke einzurichten, die noch einer dauern¬ 
den Fürsorge und Beaufsichtigung bedürfen; denn sie müsste des 
Vorteils entbehren, die Kranken jederzeit in die Anstalt zurück¬ 
nehmen zu können, wenn ihr Befinden dies erfordert. Ausserdem 
glauben wir auch nicht, dass durch eine solche von der übrigen 
öffentlichen Irrenfürsorge losgelöste Einrichtung pekuniäre Erfolge 



Die Beaufsichtigung der Geisteskranken außerhalb der Anstalten. 57 


erzielt werden. Es schliesst dieser enge Zusammenschluss mit 
der Anstalt nicht aus, dass der Medizinalbeamte ttber die in 
seinem Bezirke untergebrachten Familienpfleglinge auf dem Lau* 
fanden erhalten wird. 

Neben dieser eigentlichen, im irrenftrztlichen Sinne gemeinten 
Familienpflege kommt es jedoch immer noch vor, dass Kranke für 
eine Zeit lang in Familien untergebracht werden, z. B. in „Fa¬ 
milienheime“ für „Nervöse“ und „Zurückgebliebene“, die in der 
Tagespresse offeriert werden. Vielfach handelt es sich dabei um 
leichte Psychosen, die über kurz oder lang doch in die Anstalt 
kommen. Für diese Form der Familienpflege halten wir eine 
Beaufsichtigung durch den Medizinalbeamten für wünschenswert; 
denn die Gefahr liegt nahe, dass sie zu einer Privat-Irrenanstalt 
ohne behördliche Konzession auswächst. 

• 3. In eine dritte Gruppe von Geisteskranken, die ausserhalb 
der Anstalten leben können, möchte ich diejenigen zusammenfassen, 
die einer besonderen Pflege oder Behandlung momen¬ 
tan nicht bedürfen. Dahin gehören die als geheilt oder ge¬ 
bessert aus einer früheren Geisteskrankheit hervorgegangenen 
Kranken. Weiter gehören zu dieser Gruppe auch die schon oben 
erwähnten Labilen. Die Beaufsichtigung dieser Fälle hat sich 
nicht nur auf eine Prophylaxe gegen eine neue Erkrankung zu 
erstrecken, sondern muss vor allem auch die soziale Leistungs¬ 
fähigkeit zu stärken und zu erhalten suchen. 

Das sind die Gruppen von Kranken, von denen wir glauben, 
dass sie ausserhalb der Anstalten leben können. 

In bezug auf ihre Beaufsichtigung kommen wir zu 
folgenden Wünschen: Eine auf die Heilung oder Besserung der 
Geisteskrankheiten selbst und ihre Erscheinungen gerichtete Be¬ 
handlung wird in den wenigsten Fällen ausserhalb der Anstalten 
durchgeführt werden können; eine wichtige Aufgabe ist es viel¬ 
mehr, dass diese Geisteskranken möglichst rasch den Anstalten 
zugeführt werden. Eine sachgemässe Behandlung ausserhalb der 
Anstalt halten wir nur dann für durchführbar, wenn die in der 
modernen Anstalt vorhandenen Hilfsmittel zur Verfügung stehen. 
Dazu rechne ich die Möglichkeit einer dauernden Ueberwachung 
durch geschultes Personal und die Einrichtungen zur Regelung der 
Ernährung, der Bettruhe und der Beruhigung erregter oder 
tobsüchtiger Kranken. Bei günstigen sozialen Umständen lässt 
sich das in häuslichen Verhältnissen vielleicht durchführen; für 
das Gros der Kranken aber kommt eine solche Behandlung 
ausserhalb der Anstalten nicht in Betracht. Aber auch die Kranken¬ 
häuser der kleinen und mittleren Städte verfügen in den seltensten 
Fällen über die zur Behandlung akuter Geistesstörungen geeigneten 
Mittel. Das, was in diesen Krankenhäusern dafür vorgesehen ist, 
beschränkt sich meist auf die Isolierzelle, und damit können wir 
nicht viel anfangen; ja selbst wenn die geeigneten Einrichtungen 
für Bett- und Bäderbehandlung vorhanden sind, so ist damit nicht 
viel getan, wenn nicht ein geschultes Personal zur Verfügung 
steht. Man kann aber nicht verlangen, dass ein kleineres Kranken- 



58 


Dr. Weber. 


h&us geschultes Irrenpflegepersonal ständig unterhält; denn dass 
ein Krankenwärter oder die Krankenhausschwester nicht ausreicht 
weise jedermann. M. H.! Das soll keinen Vorwurf gegen die 
Krankenhäuser enthalten; wir hören auch aus den grösseren 
Krankenhäusern, die eigene Irrenabteilungen haben, die Klage, dass 
das geschulte Personal fehlt. Das lässt sich eben nur durch¬ 
führen in den Irrenanstalten, wo man mehr Personal hat. Ich 
möchte nochmals betonen, dass wir diese Krankenhäuser, wenn 
sie nicht mit den nötigen Einrichtungen versehen sind, auch fftr 
die vorläufige Unterbringung von akuten Geistes¬ 
kranken nicht für geeignet halten. Vielfach trägt die 
Schuld an diesen Verhältnissen die Ueberfüllung der öffentlichen 
Anstalten und die Schwerfälligkeit des Aufnahmeverfahrens. Dieser 
letzte Punkt fällt ausserhalb des Rahmens meines Referates, aber 
ich möchte nicht unterlassen, zu betonen, wie sehr man gerade 
die schweren Geisteskrankheiten durch eine weitere Erschwerung 
des Aufnahmeverfahrens schädigen würde. Was ihnen not tut, 
ist nicht eine Erschwerung, sondern eine Erleichterung der 
Aufnahmeformalitäten. Was ihnen weiter not tut, ist eine Ein¬ 
richtung, dass wenigstens die akut Erkrankten für einige Zeit 
umsonst oder doch ohne vorherige Regelung der Kosten verpflegt 
werden. 

Den Medizinalbeamten sind ja die Aufnahmeformalitäten der 
Anstalten ihres Bezirks bekannt; aber vielfach liegt auch die 
Aufhahmebegutachtung nichtbeamteten Aerzten ob; man denke 
nur an die Verhältnisse auf dem platten Lande. Für die rasche 
Erledigung einer Aufnahme ist dies sehr zweckmässig; aber was 
wir noch dazu wünschen, ist, dass auch die praktischen Aerzte 
wenigstens einige Kenntnisse der Aufnahmeformalitäten besitzen. 
Es soll von dem praktischen Arzt nicht verlangt werden, da« 
er lange Gutachten baut, das ist bei dem heutigen Stand unserer 
Systematik sehr schwer; aber das Gutachten sollte doch einige 
Tatsachen und den Schluss auf die Notwendigkeit der Aufnahme 
enthalten. Und dann müsste der praktische Arzt auch so viel 
von den Aufnahmeformalitäten wissen, dass er den Kranken und 
seine Angehörigen nicht blos mit dem kurzen Gutachten auf die 
Bahn zur nächsten Anstalt schickt, sondern dass er ihm auch 
einige Winke geben kann, wie er die notwendigen amtlichen 
Unterlagen erlangt. 

Um es noch einmal zu erwähnen: Es wäre also eine wich¬ 
tige Aufgabe der Beaufsichtigung, dafür zu sorgen, dass die 
Kranken, die ausserhalb der Anstalten nicht behan¬ 
delt werden können, letzteren möglichst rasch zu¬ 
geführt werden und dass in dem Aufnahmegutachten 
der Gesichtspunkt der Heil- und Pflegebedürftigkeit 
in erster Linie zum Abdruck kommt. 

Ueber die in der Straf- und Untersuchungshaft 
geistig Erkrankten ist in der letzten Zeit viel geschrieben 
worden; auch sind die Forderungen, die vom irrenärztlichen Stand¬ 
punkte zu stellen sind, wiederholt zusammengefasst worden. Ich 



Die Beaufsichtigung der Geisteskranken außerhalb der Anstalten. 59 


mochte bei dieser Gelegenheit nochmals die eine Hauptforderung, 
die wir an eine Strafprozess-Reform zu stellen haben, erwähnen, 
dass ein in Strafhaft Erkrankter nicht auf unabsehbare Zeit zwi¬ 
schen Gefängnis und Irrenanstalt hin- und herpendelt, sondern dass 
ihm die Zeit des Aufenthaltes in der Anstalt auf die Strafzeit an¬ 
gerechnet wird. Die gestrigen Vorträge haben die Dringlichkeit 
dieser Forderung erwiesen. Was im übrigen die in den Gefängnissen 
Erkrankten betrifft, so verfügen die grösseren Gefängnisse ja 
meistens über Lazarette und Beobachtungsstationen und in den 
kleineren ist es leichter, eine individuelle Behandlung eintreten zu 
lassen, bis die Aufnahme in die Anstalt erfolgen kann. Auch in den 
Korrigendenanstalten ist eine grosse Anzahl psychopathischer In¬ 
dividuen untergebracht. Es ist der Vorschlag gemacht worden, 
regelmässig eine irrenärztliche Revision dieser Anstalten eintreten 
zu lassen und die betreffenden Individuen in Irrenanstalten auf¬ 
zunehmen. Wir können den Vorschlag nicht billigen, solange 
nicht geeignete Anstalten geschaffen sind; denn unsere Irren¬ 
anstalten reichen weder räumlich dafür aus, noch eignen sie sich 
sonst für dieses Krankenmaterial. 

M. H.! Ein anderer Punkt der Beaufsichtigung betrifft die¬ 
jenigen chronisch Kranken, Labilen und die früher 
geisteskrank Gewesenen, die nicht notwendig in der An¬ 
stalt leben müssen. Hier handelt es sich um Massregeln, die 
einerseits sich zu richten haben gegen eine neue Erkrankung, 
und die anderseits die noch vorhandene, wenn auch geringe soziale 
Leistungsfähigkeit wieder stärken sollen. Auch hier lässt sich 
ein allgemeiner Gesichtspunkt nicht geben, und gerade hier ist 
dem beamteten Arzt ein weites Feld der individuellen Betäti¬ 
gung geboten. — Ich möchte nur einige Gesichtspunkte her¬ 
vorheben: Ich brauche kaum zu betonen, dass für alle die¬ 
jenigen, die an einer Alkoholpsychose gelitten haben, eine voll¬ 
ständige Abstinenz zu befürworten ist. Aber auch Epileptiker, 
Schwachsinnige und psychisch Labile sollten tunlichst dem Al¬ 
kohol ferngehalten werden. Was hier getan werden kann, ist 
folgendes: Wir haben in geeigneten Fällen den Versuch ge¬ 
macht, die Entmündigung wegen Trunksucht zu beantragen oder 
aber die zur Entlassung kommenden Kranken zu veranlassen, 
sich einem Abstinenzvereine anzuschliessen. Durch Belehrung der 
Angehörigen kann in dieser Richtung wohl noch mehr getan 
werden. Einer weiteren Ausdehnung der Entmündigung steht ja 
der Umstand entgegen, dass der Staatsanwalt kein Antragsrecht 
besitzt, und von den Angehörigen ist es begreiflich, wenn sie die 
Stellung des Antrages unterlassen, weil sie den Zorn des Mannes 
pp. fürchten. 

Wichtig sind auch noch andere Massregeln, welche sich auf die 
Stärkung der Leistungsfähigkeit des genesenen Geistes¬ 
kranken beziehen. Es ist von Wichtigkeit, dem Kranken wieder 
Stellung zu verschaffen und ihn auf diese Weise über Wasser zu 
halten. Hier haben eine segensreiche Tätigkeit die Irrenhülfs- 
vereine entfaltet, deren Einrichtung zum grössten Teil bekannt ist. 



60 


Dr. Weber. 


Wir halten es nicht für gut, wenn diese Vereine unter Leitung: der 
regionären Anstalten stehen. Viel zweckmässiger stehen sie unter 
der Leitung des Medizinalbeamten, da das immer noch gegen die 
Irrenanstalten bestehende Misstrauen sonst auch dem Verein ent¬ 
gegen gebracht würde. Von all’ den Massregeln versprechen wir 
uns aber nur dann einen Erfolg, wenn sie nicht auf dem akten- 
mäsBigen oder dienstlichen Wege vollzogen werden, sondern nur 
durch persönliche Kenntnisnahme des Erkrankten. 

M. H.! Die Bedeutung der Fürsorgeerziehung liegt 
nicht zum wenigsten auf psychiatrischem Gebiete. Unter den 
Fürsorgezöglingen sind zahlreiche psychopathische Individuen, wie 
z. B. leichtere Formen von Schwachsinn, ferner beginnende Jugend¬ 
psychosen. Hier ist es Aufgabe der Beaufsichtigung, zu zeigen, 
dass manche scheinbare Unarten aus diesen Geistesstörungen her¬ 
vorgegangen sind, und dass Züchtigungen nicht am Platze sind. 

Eine wesentliche Unterstützung in der Prophylaxe der Psy¬ 
chosen erblicken wir auch in der Einrichtung von Volksheil¬ 
stätten und Polikliniken für Nervenkranke. 

Die Begutachtung zweifelhafter Geisteszustände 
namentlich in krimineller Beziehung hat ebenfalls eine Bedeutung 
für unser Thema. Vielfach fördert erst die Begutachtung solcher 
Zustände die Kenntnis derselben zutage und man ist erstaunt, wie 
lange oft die Kranken von ihrer Umgebung mitgeschleppt werden, 
ohne dass der Versuch der Behandlung gemacht worden ist. Was 
die Begutachtung selbst betrifft, so wird bei solchen Kranken 
die Frage zu erwägen sein, wie sich ihr künftiges Schicksal 
gestalten soll. Es ist ja bekannt, dass der Sachverständige 
hierfür nicht kompetent ist und auch das Gericht nicht, sondern 
die Entscheidung haben die Polizeibehörden zu treffen. Wir 
halten es aber nicht für eine Ueberschreitnng seiner Kompetenz, 
wenn der Sachverständige auch kurz das künftige Schicksal des 
Kranken nebenbei berührt; er würde dadurch dem Staatsanwalt 
bei der Ueberweisung an die Polizeibehörde eine Unterlage 
gewähren. 

Weiter möchten wir die Forderung aufstellen, dass in allen 
Fällen, in denen eine Freisprechung wegen einer geistigen Störung 
erfolgt, dem zuständigen Medizinalbeamten Kenntnis gegeben wird. 
Die meisten auf Grund des § 51 für geisteskrank Erklärten werden 
doch der Irrenanstalt zugeführt werden. Es gibt aber nach 
unseren Erfahrungen eine ganze Reihe von Fällen, bei denen 
in medizinischem Sinne gar kein Zweifel besteht, dass eine 
Geisteskrankheit vorliegt; trotzdem ist hier häufig den Betreffen¬ 
den mehr gedient, wenn man sie nicht auf § 51 exknlpiert, sondern 
dem Strafvollzug zuführt, und das lässt sich wohl machen, wenn 
es leichte Vergehen mit geringen Bestrafungen sind. Der Kranke 
entgeht dadurch dem Schicksal, auf lange Zeit der Erwerbstätig- 
keit entrissen zu werden; er wird wieder sozial leistungsfähig 
und kann verdienen. Wir müssen auch dem Umstand im Auge 
behalten, dass in gewissen Volksschichten gegen den aus der 
Irrenanstalt Entlassenen immer ein Misstrauen besteht, welches 



Die Beaufsichtigung der Geisteskranken außerhalb der Anstalten. 61 


grosser ist als die Voreingenommenheit gegen einen bestraften 
Verbrecher. 

Damit komme ich zn dem letzten Punkte, der Beaufsich¬ 
tigung der sog. gemeingefährlichen Geisteskranken. 
Ich will nicht auf diesen Punkt näher eingehen, sondern nnr 
betonen: Die Gemeingefährlichkeit ist kein medizinischer Begriff, 
sie ist auch nicht ein juristischer, nicht einmal ein fest nmschriebener 
verwaltungstechnischer Begriff; nebenbei bemerkt würde sie das 
auch nicht werden, wenn man ihre Feststellung von einem Ver¬ 
fahren analog dem Entmündigungsverfahren abhängig machen 
würde. Die Gemeingefährlichkeit hängt auch nicht an einzelnen 
Formen oder Stadien geistiger Erkrankungen; alle Versuche, 
die Geisteskrankheiten von diesem Gesichtspunkte einzuteilen, 
sind verfehlt. Was wir vom praktischen Standpunkte für die 
Beaufsichtigung der belästigenden oder gefährlichen Kranken 
fordern, ist folgendes: In erster Linie kommt die Begutachtung 
in Betracht. Hier ist der beamtete Arzt häufig in einem Dilemma. 
Einerseits wird darauf hingewiesen, dass mit der Bezeichnung 
„Gemeingefährlichkeit“ ein Missbrauch getrieben wird, anderseits 
riskiert er, dass ihm die insozialen Handlungen des Kranken in 
die Schuhe geschoben werden. Man kann ihm somit nicht ver¬ 
denken, wenn er sich den Bücken deckt und die Aufnahme des 
Kranken in eine Anstalt beantragt. Aber im Interesse des Kranken 
liegt es, wenn in dem Aufnahmegutachten mehr die Heilbarkeit 
oder Pflegebedürftigkeit, als die Gemeingefahr betont wird. Wir 
hatten vor kurzem einen 70 jährigen Mann, der nach einem Schlag- 
anfall halbseitig gelähmt war; er lag zu Bette, liess unter sich 
gehen, konnte nicht gehen und stehen. Er schimpfte und schlug 
mit einem Arm um sich bei der Untersuchung und aus diesem 
Grunde hat das Gutachten gelautet: „Der Mann muss wegen 
Gemeingefährlichkeit in eine Anstalt kommen.“ Die Pflegebedürf¬ 
tigkeit war gamicht erwähnt. Nun weiss ich ja, dass es viele 
belästigende und gefährliche Geisteskranke gibt, bei denen eine 
Besserung nicht denkbar ist und auch von einer Pflegebedürftig¬ 
keit keine Bede sein kann; man denke nur an die degenerierten 
und schwachsinnigen Betrüger, Hochstapler pp. Unter dieser 
Gruppe sind es nun einzelne, die ich besprechen will: Das sind 
solche Zustände, bei denen zum Zustandekommen der Gemein¬ 
gefährlichkeit die äusseren Momente mitgespielt haben, eine Kom¬ 
plikation von Umständen, die vielleicht nicht wieder Vorkommen. 
Das ist der Fall z. B. bei den Handlungen im Affekt der Degene¬ 
rierten. Es gibt hier Fälle, die für gewöhnlich überhaupt nicht 
geisteskrank genannt werden würden, bei denen nur infolge der 
Einwirkung von Alkohol oder besonderer Affekte eine solche Hand¬ 
lung zustande gekommen ist. In vielen Fällen könnte hier von 
der Aufnahme Abstand genommen werden. Einer anderen Gruppe 
gehören Fälle an, bei denen es sich um verhältnismässig leichte 
Vergehen chronischer, aber sozial noch leistungsfähiger Kranken 
handelt. Dahin gehören z. B. manche Formen des Querulanten¬ 
wahns. Es ist oft nicht zweckmässig, sie auf lange Jahre der 



62 


Dr. Weber. 


Irrenanstalt zu überweisen, was der Oeffentlichkeit nur Kosten 
verursacht und die Leute dem freien Erwerb entzieht. Ich er¬ 
innere mich an einen Kranken, der im Jahre 1878 einen beleidigen¬ 
den Brief an den Kronanw&lt in Hannover geschrieben hatte und 
deswegen in die Irrenanstalt gebracht wurde. Er ist entwichen; 
ist verfolgt und wieder eingeliefert worden, ist abermals ent¬ 
wichen; kurzum er ist in 20 Jahren 6 mal entwichen und wieder 
in die Anstalt gebracht worden. Das 7. Mal haben wir ihn ent¬ 
lassen. Ich glaube nicht, dass diese Vergehen so gefährlich sind, 
dass eine Anstaltsinternierung auf lange Jahre zweckmässig ist. 
Unterlässt man sie, so bleibt der Mann sozial leistungsfähig. 

Was die Beaufsichtigung der Gemeingefährlichen betrifft, die 
entlassen sind, so schreibt eine preussische Ministerialverfügung 
vor, dass die zuständige Polizeibehörde von der Entlassung benach¬ 
richtigt werden muss. Wir möchten wünschen, dass diese Beauf¬ 
sichtigung so gehandhabt wird, dass sie nicht eine fortwährende Be¬ 
unruhigung des ehemaligen Kranken darstellt, dass, wenn der Be¬ 
treffende wieder Stellung gefunden hat, nicht alle 8 Tage ein unifor¬ 
mierter Beamter in der Wohnung nach ihm fragt. Einem Falle 
unserer Beobachtung ist folgendes entnommen: Der Mann war 4 
Wochen entlassen und die Beaufsichtigung wurde so gehandhabt: 
Als er auf einer Tanzmusik war, trat der Gendarm zu ihm und 
fragte: „Geraucht hat es bei Ihnen auch schon wieder?“ Der 
Kranke erwiderte: „Wenn sie das gerochen haben, müssen sie eine 
feine Nase haben.“ Daraufhin wurde Strafantrag wegen Beamten¬ 
beleidigung gestellt. Wir haben davon Abstand genommen, dem 
Mann den Schutz des § 51 zuzubilligen, und er ist aus pro¬ 
zessualen Gründen freigesprochen worden. Jetzt lebt er zu 
Hause und verdient seinen Unterhalt. Ich meine, gerade hier 
in diesem Punkte könnte der Arzt durch persönliche Einwirkung 
auf die untergeordneten Organe und durch Belehrung dieser Be¬ 
amten Gutes schaffen. 

M. H.! Was ich Ihnen eben vorgetragen habe, soll ein Teil 
der Wünsche sein, die wir vom irrenärztlichen Standpunkte aus 
für die Beaufsichtigung der ausserhalb der Anstalt lebenden 
Kranken haben. Ich möchte nur noch einen allgemeinen Gesichts¬ 
punkt hervorheben: Nach unserer Anschauung ist den Kranken 
in und ausserhalb der Anstalten nicht viel gedient, wenn all’ die 
Wünsche, die wir für sie haben, reglementarisch, d. h. auf dem 
Wege der Gesetzgebung, festgelegt werden. Immer lauter erschallt 
ja der Ruf nach einem Reichs-Irren ge setz. Wir können den 
Wunsch nicht teilen, und die Erfahrung, die man bisher in anderen 
Ländern mit einer solchen Gesetzgebung gemacht hat, befestigen 
uns in dieser ablehnenden Haltung. Wir erblicken Erfolg viel¬ 
mehr in der Ausgestaltung der individuellen Entwickelung, welche 
die Irrenfürsorge in den einzelnen Landesteilen genommen hat, 
nämlich in der Berücksichtigung der Eigenarten der Landesteile 
und der Gewohnheiten ihrer Bewohner. Jede Irrengesetzgebung 
würde die Geisteskranken zu einer besonderen Menschenklasse 
stempeln, die wenigstens in der Laienanschauung dem Vor- 



Die Beaufsichtigung der Geisteskranken außerhalb der Anstalten. 63 


bracher nahe verwandt ist. Der einzige Gesichtspunkt, der der 
Behandlung und Fürsorge der Geisteskranken innerhalb und ausser¬ 
halb der Anstalten zugrunde liegen muss, ist der, den die natur¬ 
wissenschaftliche Kenntnis an die Hand gegeben hat: dass 
Geisteskranke nichts anderes sind als körperlich 
Kranke und nur nach Massgabe ihrer Krankheitssymptome 
behandelt werden dürfen. Wir geben uns dem Vertrauen hin, 
dass die deutschen Medizinalbeamten immer dafür eintreten werden, 
diesem Grundsätze Geltung zu verschaffen und die ihm entgegen¬ 
stehenden Vorurteile zu bekämpfen. 

(Lebhafter Beifall.) 

H. Prof. Dr. Stolper, Kreisarzt in Göttingen, zweiter Refe¬ 
rent: M. H.! Nach den lichtvollen Darlegungen des Herrn Vor¬ 
redners, die sich auf vielj&hrige Erfahrung in der Anstaltspraxis wie 
in der FamilieDpflege stützen, bleiben mir die Folgerungen für 
die Verwaltungspraxis zu erörtern. Der Herr Referent hat die 
Notwendigkeit einer gründlichen gleichmässigen Beaufsichtigung 
aller Geisteskranken einschliesslich Epileptischer und Idioten ausser¬ 
halb der Anstalten dargelegt. Ist nun diese Aufgabe der Gesundheits¬ 
polizei verwaltungsrechtlich nicht bereits hinreichend geregelt? 
Diese Frage wird man, meine ich, verneinen müssen. Und das kann 
auch wohl z. Z. nicht anders sein. Die Psychiatrie hat selbst diese 
ihre Wünsche erst in neuerer Zeit schärfer betont, seit auch im 
übrigen die Gesundheitspolizei mehr und mehr in die Hände der 
Sachverständigen gelegt worden ist. Tatsächlich verdanken die 
Medizinalbeamten noch heute mehr oder weniger zufälligen 
Gelegenheiten die Kenntnis, und zwar nur eines Teils aller 
Geisteskranken des ihrer Obsorge anvertrauten Bezirks. Noch 
ist es keineswegs überall durchgeführt, dass der Medizinalbeamte 
amtlich Kenntnis erhält von der Entlassung eines gebesserten, 
aber ungeheilten Kranken aus der Anstalt. Wenn man, wie in 
Preussen, auch die praktischen Aerzte mit heranzieht zur Aus¬ 
füllung der Jahreslisten über die in ihrer Nähe wohnenden Geistes¬ 
kranken, so ist das für diese keineswegs eine angenehme Auf¬ 
gabe ; denn machen sie pflichtmässig auf eine mangelhafte Unter¬ 
bringung oder Verwahrlosung aufmerksam, so schädigen sie sich 
dadurch leicht in ihren Existenzbedingungen, oder aber sie bringen 
sich mit ihrem Berufsgeheimnis in Konflikt. Auf die nichtärzt¬ 
liche Kontrolle der Aufsichtsbedürftigen, z. B. durch Polizisten 
und Gendarmen und die daraus entspringenden Unzuträglichkeiten 
hat der Herr Vorredner schon gebührend hingewiesen. 

Die Anmeldung von Geisteskranken, die mit dem Straf¬ 
gesetz in Konflikt und so in Untersuchungshaft kommen, aber auf 
Grund des § 51 des Strafgesetzbuchs als unzurechnungsfähig freige¬ 
lassen werden, bedarf der gesetzlichen Regelung. Ich denke z. B. 
an einen schwachsinnigen Brandstifter. Aus der Untersuchungshaft 
kommt er für 6 Wochen in eine Irrenanstalt, von dieser wird sein 
angeborener Schwachsinn als straffreimachend überzeugend darge¬ 
legt. Dann verfügt die Staatsanwaltschaft alsbald seine sofortige 



64 


Dr. Stolper. 


Entlassung. Wohin kommt er? In der Regel .in die Heimat, wo 
ängstliche Gemüter sich vor diesem „gemeingefährlichen“ Menschen 
bangen, ihm Aufnahme in ein Arbeitsverhältnis versagen, bis 
schliesslich der Herr Pastor nach Wochen sich bei der Kreis- 
behörde beschwert und so auch wohl der Medizinalbeamte etwas 
erfährt. Man darf sich nicht wundern, wenn der Geistesschwache 
aus Verdruss über alle Zurückweisungen, Sorgen und Nahrungs¬ 
not, urteilsschwach überdies wie er ist, sich neuer Delikte in 
dieser Zeit schuldig macht. 

Nicht minder fehlt die Anzeigepflicht am Schlüsse des Ent¬ 
mündigungsverfahrens. Wenn da nicht gerade der zustän¬ 
dige Medizinalbeamte, sondern eine psychiatrische Autorität gehört 
worden ist, so bleibt die Existenz des Entmündigten an zustän¬ 
diger Stelle unbekannt. Die Zahl derer, die entmündigt werden, 
ohne je in einer Anstalt gewesen zu sein, ist doch keineswegs 
eine geringe. 

Aber auch bezüglich der Arider Entlassung der Gei¬ 
steskranken aus der Anstalt" bleibt manches zu wünschen 
übrig. Warum kann das Ergebnis einer langen Anstaltsbeobach¬ 
tung bei der Entlassung dem zuständigen Medizinalbeamten nicht 
zu Gute kommen? Die einfache knappe Entlassungsmeldung 
lässt sich ohne grosse Mühewaltung ersetzen durch eine kurze 
Mitteilung über Art der Geistesstörung, deren Prognose, über die 
zweckmässigste Unterbringung, über die erwerbliche Leistungs¬ 
fähigkeit des Entlassenen. Dem Medizinalbeamten erspart diu 
Wege, Kopfzerbrechen und gibt ihm eine Sicherheit in bezug auf 
die ihm zufallende Aufsicht, die er durch ein- oder mehrmalige 
Beobachtung nicht gewinnen kann. Kostenersparnis und harmo¬ 
nisches Zusammenarbeiten der Anstaltsleiter und der Medizinal¬ 
beamten würden sich daraus naturgemäss ergeben; denn auch die 
Letzteren können für die Anstalten gebend sein durch Auskünfte 
über die Entlassenen und ähnliches. Im Interesse des Kranken 
muss beides zur Pflicht gemacht werden, was bislang wohl schon 
oft geübt wird. 

Wenn die in Familienpflege aus einer Anstalt übertre¬ 
tenden Kranken Anstaltsangehörige bleiben, wie dies Herr Weber 
verlangt hat — und ich stimme ihm darin vollkommen bei —, so 
kann es zweifelhaft bleiben, ob dem Medizinalbeamten von deren 
Unterbringung in seinem Bezirk pflichtmässig Mitteilung zu machen 
ist oder nicht. Es wäre nicht erforderlich, wenn man nur die 
Obsorge für das psychische Leiden ins Auge fasst; es ist indes 
dringend notwendig, wenn man, wie dies selbstverständlich, auch 
das körperliche Wohl der Schutzbefohlenen nicht ausser Acht 
lässt. Ich denke z. B. an den Fall, dass in einem Dorfe, das 
viele Familienpfleglinge birgt, eine gemeingefährliche (übertrag¬ 
bare) Krankheit auftritt. Hier wird der Medizinalbeamte doch 
am frühesten Schutzmassregeln auch für diese Pfleglinge treffen 
können: Zurückziehung in die Anstalt rechtzeitig empfehlen oder 
auch vielleicht oft widerraten, sofern eine solche die Insassen der 
Anstalt gefährden könnte. Es kommt also in der Praxis auch 



Die Beaufsichtigung der Geisteskranken außerhalb der Anstalten. 65 

hier wieder auf ein harmonisches Zusammenwirken der Anstalts¬ 
leiter mit den Medizinalbeamten hinaus. Dass die letzteren auch 
bei der Auswahl der Dörfer für die Familienpflege nützlich mit- 
wirken können, liegt auf der Hand. Ich zweifle nicht, dass bei 
solcher Art Zusammenwirken die Familienpflege noch eine grössere 
Zukunit hat. Macht sie doch eine Summe von Arbeitskraft, aber 
auch von Kapital frei und nutzbar, wie wir dies unseren an Ar¬ 
beitskräften oft so knappen Landgemeinden nicht besser wünschen 
können, ganz abgesehen davon, dass der wohl beaufsichtigte Fa¬ 
milienpflegling auch der humansten Form der Irrenbehandlung 
teilhaftig wird. 

Eine gewisse Meldepflicht in bezug auf die Geisteskranken 
ausserhalb der Anstalten besteht also, aber die tägliche Praxis 
zeigt, dass sie ungenügend ist und auch in der Art der Durch¬ 
führung zu wünschen übrig lässt! Der Medizinalbeamte muss 
alle aufsichtsbedürftigen Geisteskranken kennen, bei 
ihm müssen alle Berichtsquellen zusammenfliessen. 
Sein Wirkungskreis ist räumlich nicht so ausgedehnt, dass er 
nicht ein- bis zweimal im Jahre alle Kranken persönlich sehen 
und auch die Einflüsse der Umgebung wirklich kennen lernen 
kann. Alle kennen, wirklich kennen, das ist die erste 
Bedingung einer befriedigenden und erschöpfenden 
Aufsicht. Dass diese mit dem nötigen Takt erfolgt, dafür bürgt 
m. E. die Ausbildung, aber auch die heutige Stellung der Medizi¬ 
nalbeamten. Kaum ein anderer Beamter hat so die Möglichkeit, 
auch kein Arzt sonst, wie der beamtete, ohne Aufsehen zu er¬ 
regen, in die Verhältnisse des Pfleglings Einblick zu nehmen. 
Bei den Ortsbesichtigungen, bei Wohnungsrevisionen, bei Ermit¬ 
telungen aller Art, wie sie dem Gesundheitsbeamten heute zur 
Pflicht gemacht sind, hat er Gelegenheit, in unauffälligster Weise 
zu erfahren, was er zu wissen braucht und wünscht. Ganz auf 
die Feststellung der in der eigenen Familie verpflegten Geistes¬ 
kranken zu verzichten, ist keineswegs angängig; denn die Er¬ 
fahrung lehrt, dass auch in sog. guten Familien Fälle von straf¬ 
barer Vernachlässigung und Misshandlung keineswegs ausge¬ 
schlossen sind. Ja gerade in reichen Häusern, wo Erbschaften, 
Renten und andere wirtschaftliche Vorteile nicht ohne Einfluss 
auf die Umgebung des Geisteskranken und die Art seiner Be¬ 
handlung sind, ist die Kontrolle oft recht notwendig. Diese darf 
nicht ohne eine gewisse Diskretion geschehen, nicht ohne gewissen 
Takt; doch reicht da der angeborene Takt des Herzens allein 
nicht hin, es ist auch eine gewisse psychiatrische Erfahrung im 
Umgang erforderlich. Rein verwaltungstechnisch wäre es keines¬ 
wegs ohne Analogon, wenn man den Kreismedizinalbeamten in 
erster Linie zum Empfänger der behördlichen Meldung der Geistes¬ 
kranken machte, also ohne den Umweg über die Polizeidirektion 
oder den Landrat, welche Instanzen dann erst von ihm zu benach¬ 
richtigen wären. Die Meldungen betreffend das Wochenbettfieber 
gehen ja auch unmittelbar an den beamteten Arzt, doch nicht 
blos aus dem Grunde, dass Eile in den Massnahmen besonders 

ö 



6t> 


Dr. Weber. 


geboten, die Bflckeicht anf die Kranken hat doch bei dieser Aus¬ 
nahme von der Kegel mitgespielt. Man kann so diskrete Ermit¬ 
telungen überhaupt nur vom Arzt machen lassen, dessen Sach¬ 
kenntnis und Takt im Umgang eben notwendig ist. In dem 
gleichen Sinne wie im Hebammenwesen könnte der Kreismedizinal¬ 
beamte verwaltungsrechtlich als erste Meldeinstanz und mit einem 
gewissen Grad von Aufsichts- und Anordnungsrecht ausgestattet 
werden. 

Die verwaltungstechnische Frage der Irrenfürsorge ist viel¬ 
fach schon erörtert, nicht zuletzt auch von den Medizinalbeamten. 
Ich erinnere an das Keferat von 0 ebb ecke (1898 in Berlin^, 
an diejenigen von Vorster, Weber und Rusack (1903 in Leip¬ 
zig), von Schwabe (1905 in Hannover). Schon in dem ersten 
finde ich betont die Notwendigkeit der Aufsichtseinheit für die 
ausserhalb der Anstalten befindlichen Geisteskranken, und zwar 
der Aufsicht über alle Geisteskranken, auch die in der eigenen 
Familie verpflegten. Leppmann, der ältere, der diese Forderung 
besonders betonte, hat damals bereits hervorgehoben, dass es der 
Medizinalbeamte ist, dem vor allem diese einheitliche Aufsicht zu 
übertragen sei. Für diese schwere und verantwortliche Auf¬ 
gabe der Gesundheitspolizei ist der staatsseitig bestellte Gesund- 
heits beamte des Kreises der in erster Linie Berufene. Das Melde¬ 
wesen ist so zu regeln, dass alle Kranken zu seiner Kenntnis 
kommen. Eine ärztliche oder gar eine allgemeine Meldepflicht, 
wie z. B. bei den Seuchen, ist selbstverständlich nicht zu wünschen; 
aber alle, denen von Amtswegen die Existenz eines Geistes¬ 
kranken einwandsfrei bekannt wird, können und müssen von Reichs¬ 
wegen zur Meldung verpflichtet werden. 

Zunächst die Anstaltsleiter; am besten schon einige Tage 
vor der Entlassung haben sie einen, wenn auch knappen, so doch 
erschöpfenden Bericht (Formular) an den zuständigen Medizinal¬ 
beamten zu geben, welcher die Art der Erkrankung, ihren beob¬ 
achteten und vermutlichen Verlauf (Voraussage) sowie Vorschläge 
in bezug auf die Unterbringung enthält. So viel Interesse hat 
jede Anstalt an ihren Kranken, muss sie haben, dass sie diese auch 
in die möglichst beste Umgebung versetzt. Wer wäre da ein 
besserer Vermittler, als eben der Medizinalbeamte, der ja auch 
der künftige Fürsorger sein soll! M. fl.! Die einheitliche Ver¬ 
pflichtung aller Irrenanstalten im Deutschen Reiche zu solcher 
Meldung jedes entlassenen Kranken lässt sich m. E. ohne Reichs¬ 
gesetz lediglich dadurch erzielen, dass ein dahingehendes Gut¬ 
achten des Reichsgesundheitsamtes in der Form eines Bundesrats¬ 
beschlusses den Einzelstaaten zur weiteren Veranlassung zuginge. 

Die Meldepflicht für die Gerichte bezw. Staats¬ 
anwälte ist reichsgesetzlich durch Zusätze zur Straf- bezw. 
Zivilprozess-Ordnung zu regeln. In dem gestrigen Re¬ 
ferat „Gerichtsärztliche Wünsche zur Strafprozessordnung“ habe 
ich eine solche Bestimmung vermisst. Wir müssen zum § 51 
des Strafgesetzbuches eine Ergänzung der Strafprozessord¬ 
nung verlangen des Inhaltes: „Ueber Geisteskranke, welche 



Die Beaufsichtigung der Geisteskranken außerhalb der Anstalten. 6? 


wegen Unzurechnungsfähigkeit straffrei ansgehen, ist an die zu¬ 
ständigen Medizinalbeamten eingehend zu berichten“. Ich denke 
hier an Verwendung eines Formulars, das von dem zugezogenen 
Gutachter auszufüllen wäre. 

In gleicher Weise bedarf die Zivilprozessordnung einer Er¬ 
gänzung, und zwar zweckmässig in § 603: „Der die Entmündi¬ 
gung aussprechende Beschluss ist von Amts wegen der Vormund¬ 
schaftsbehörde und dem für den künftigen Wohnsitz des 
Entmündigten zuständigen Medizinalbeamten sowie, 
wenn eine gesetzliche Vormundschaft stattfindet, auch dem gesetz¬ 
lichen Vormunde mitzuteilen.“ Mit Erfüllung dieser Forderung 
wäre erreicht, dass bis auf die frisch Erkrankten, die Minderwer¬ 
tigen und Zweifelhaften alle wirklich Geisteskranken, die sich 
ausserhalb der Anstalten befinden, an einer zuständigen Stelle be¬ 
kannt wären. Eine sorgfältige Listenführung käme auch den An¬ 
stalten und Gerichten bei vielen Gelegenheiten wieder zugute. Die 
Anstalten werden sich leichter entschlossen, Kranke zu entlassen, 
wenn sie die weitere Fürsorge in sachkundige Hand gelegt wissen. 
Die grosse Ratlosigkeit — auch unter den Aerzten — beim Auf¬ 
treten einer Geistesstörung wird sich mindern, wenn man allgemein 
weiss, dass der Medizinalbeamte die berufene Stelle ist. Den Bat 
eines praktischen Arztes befolgen Kranke und Angehörige zu 
ihrem Schaden oft nicht; den eines beamteten beachtet man 
zweifellos mehr, weil man weiss, dass die Beachtung nötigenfalls 
erzwungen werden kann. 

M. H.! Es sind eigentlich nnr kleine Wünsche und nur 
in bezug auf Aenderung des formellen Hechts, nicht des ma¬ 
teriellen, die wir in bezug auf die Irrenfürsorge zur Geltung 
bringen müssen. Der Medizinalbeamte empfindet in der Praxis, 
dass er auf diesem Gebiete der Gesundheitspolizei ausserordent¬ 
lich verantwortlich arbeitet, aber bislang noch ohne genügende 
gesetzliche Handhaben für ein wirklich erfolgreiches Wirken. 
Diese Unzulänglichkeit der Mittel hat zweifellos, wie z. B. auch 
im Kampfe gegen die Kurpfuscherei eine gewiss nicht wünschens¬ 
werte, aber wohl verständliche Interesselosigkeit gezeitigt, sehr 
zum Schaden der Kranken, aber auch der Nichtkranken. Ohne 
Aussicht auf Erfolg kein befriedigendes Arbeiten! Die Fürsorge 
für die Geisteskranken wjrd ein befriedigendes erfolgreiches Ar¬ 
beitsfeld des Medizinalbeamten erst werden, wenn er in der ge¬ 
forderten Weise in den Mittelpunkt desselben gestellt wird. 

(Lebhafter Beifall.) 

Die von den beiden Herren Referenten aufgestellten Leit¬ 
sätze hatten folgenden Wortlaut: 

A. Leitsätze des Referenten. 

1. Die Anstaltspflegebedürftigkeit eines Geisteskranken wird 
nicht ausschliesslich durch den Krankheitszustand, sondern durch 
äussere Umstände, die auf den Kranken einwirken, bedingt. 

2. Die Behandlung oder Pflege von Epileptikern, Idioten 

6* 



68 


Leitsätze za den Vorträgen: 


and Imbezillen ausserhalb der Öffentlichen Anstalten in privater 
oder Familienpflege irgendwelcher Art muss derselben ärztlichen 
Beaufsichtigung unterstehen, wie die der anderen Geisteskranken. 

3. Die öffentlichen Irrenanstalten sind in erster Linie zur 
Heilung and Pflege, nicht zur Unschädlichmachung Geisteskranker 
bestimmt. Dieser Gesichtspunkt muss auch bei der Aufnahme - 
begutachtung besonders betont werden. 

4. Die allgemeinen Krankenhäuser eignen sich auch zur vor¬ 
läufigen Unterbringung, Behandlung und Pflege frischer Psychosen 
nur, wenn ihnen die Einrichtungen und das geschulte Pflege¬ 
personal der modernen Irrenanstalt zur Verfögung steht und ihr 
Leiter psychiatrisch ausgebildet ist. 

5. Eine Information der praktischen Aerzte Aber das 
für ihren Bezirk zuständige Aufnahmeverfahren ist dringend 
wünschenswert. 

6. Die Familienpflege im irrenärztlichen Sprachgebrauch ist 
nur eine freiere Form der Anstaltspflege. Die in dieser Familien- 
pflege untergebrachten Kranken sind Anstaltsangehörige; ihre 
Beaufsichtigung und Behandlung wird zweckmässig von der An¬ 
stalt ausgeübt. 

7. Wenn unabhängig von einer öffentlichen Zentralanstalt 
mehr als drei Geisteskianke in einer fremden Familie unter¬ 
gebracht sind, so ist dies als eine Privatanstalt zu betrachten, 
die den entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen zu unter¬ 
liegen hat. 

8. Irrenhilfsvereine müssen, wenn sie ihren Zweck erfüllen 
sollen, in ihrer Verwaltung und Organisation völlig von den re¬ 
gionären Irrenanstalten losgelöst sein und am besten unter Leitung 
der Medizinalbeamten stehen. 

9. Eine stetige enge Fühlung zwischen den Medizinalbeamten 
und den Leitern der öffentlichen Irrenanstalten ist wünschenswert 

10. Ueber die aus den Anstalten entlassenen Geisteskranken, 
ebenso über die im Zivil- oder Strafverfahren als geistig gestört 
in irgendwelcher Form Erklärten sollen die Medizinalbeamten 
durch Vermittelung der zuständigen Behörden oder Gerichte in¬ 
formiert werden. 

11. Bei der Beaufsichtigung entlassener Kranker ist das 
Elingreifen subalterner, uniformierter Beamter tunlichst zu ver¬ 
meiden ; auch bei der Begleitung von Kranken in die Anstalt 
sollten nicht uniformierte Beamte verwendet werden. 

12. Zur Prophylaxe geistiger Störungen ist die Einrichtung 
von Nervenpolikliniken und Volksnervenheilstätten dringend zu 
empfehlen. 

13. Es ist wünschenswert, dass auch der Staatsanwalt ein 
Antragsrecht bei der Entmündigung wegen Trunksucht erhält. 

B. Leitsätze des Korreferenten. 

14. Die Beaufsichtigung der Geisteskranken ausserhalb der 
Anstalten, eine noch nicht hinreichend geordnete Aufgabe der 
Gesundheitspolizei, kann erschöpfend nur sein, wenn eine gut 



Die Beaufsichtigung der Geisteskranken außerhalb der Anstalten. 69 

geregelte Meldepflicht an eine Zentralmeldeetelle für ein um¬ 
grenztes, übersehbares Gebiet gesetzlich eingefflhrt wird. 

15. Als solches kommt der Wirkungskreis je eines Staats¬ 
medizinalbeamten (Kreisarzt, Bezirksarzt) in Frage. 

16. Dem Medizinalbeamten müssen auf dem Wege über die 
Kreispolizeibehörde gemeldet werden: 

a. seitens der Anstalten alle für seinen Bezirk irgendwie 
in Betracht kommenden Entlassungen von nngeheilten bezw. 
nur gebesserten Geisteskranken und zwar unter Mitteilung 
von Art und Voraussage der Erkrankung des Entlassenen, 
sowie von Wünschen, betreffend seine Unterbringung; auch 
die in Familienpflege Entlassenen sind zu melden. 

b. seitens der Behörden alle Feststellungen von Geistes¬ 
krankheit, sei es im Zivil-, sei es im Strafprozess. 

17. Der Medizinalbeamte ist mit Ermittelungs-, Aufsichts¬ 
und beschränktem Anordnungsrecht inbezug auf Geisteskranke 
ausserhalb der Anstalten auszustatten. 

18. Diese Bestimmungen haben zur Voraussetzung ent¬ 
sprechende Ergänzungen der Zivil- und Strafprozessordnung und 
einen Bundesratsbeschluss, der die Einheitlichkeit der landesrecht¬ 
lichen Anordnungen gewährleistet; dagegen bedarf es dazu keiner 
weitgehenden generellen reichsgesetzlichen Regelung im Sinne 
einer Reichsirrengesetzgebung. 

Vorsitzender: Ich eröffne die Diskussion. 

H. Med.-Bat Dr. Kreuser, Direktor der Königl. Heil- und Pflegeanstalt 
in Wiesenthal: M. H.! Zu den Ausführungen der beiden Herrn Vortragenden 
möchte ich beistimmend betonen, wie außerordentlich wichtig es ist, daß 
heute in Ziffer 2 der Leitsätze die Ausdehnung der öffentlichen Fürsorge auch 
auf Epileptiker, Idioten und Imbezille zur Sprache kommt Wohl ist 
diese Ausdehnung in einzelnen Bundesstaaten wie in Preußen gesetzlich schon 
einigermaßen geregelt, in anderen, speziell bei uns in Württemberg, fehlt sie 
noch fast ganz, ist sie fast ausschließlich privater Wohltätigkeit überlassen. 
Und doch zeichnen sich grade diese Kranken durch eine besorgniserregende 
Kriminalität aus, die für die private Unterbringung oft genug die größten 
Schwierigkeiten verursacht. 

Sodann möchte ich Ziffer 8 herausgreifen, um zum Ausdruck zu bringen, 
daß ich nicht recht verstehen kann, warum eine völlige Trennung der Irren- 
hilfsvercine von den Anstalten gefordert wird. Ganz gewiß ist die Fürsorge 
für die Geisteskranken eine Aufgabe, die der gesamten Bevölkerung im 
weitesten Maße nahezulegen ist; es ist eine soziale Pflicht, diese Fürsorge 
nicht nur den Irrenanstalten zu überlassen. Eben darum sind rege Beziehungen 
zwischen den Irrenanstalten und dem Publikum, vorzugsweise durch Vermittlung 
der Medizinalbeamten notwendig. Nur mit Hilfe solcher vermögen die An¬ 
stalten auch über ihren unmittelbaren Wirkungskreis hinaus noch Einfluß zu 
nehmen auf das Loos ihrer früheren Patienten, können diese von den Hilfs¬ 
vereinen die angemessene Fürsorge erhalten. Medizinalbeamte und Vertrauens¬ 
männer der Vereine müssen in unmittelbarer Fühlung mit den Anstalten bleiben. 
Dies würde nur erschwert durch eine völlige Loslösung der Vereine von den 
Anstalten. Sind beide Aufgaben auch verschieden, so sind sie doch nicht ganz 
getrennt, können persönliche Beziehungen ihrer Erfüllung gegenseitig nur zu 
Statten kommen. Wird ohne solche ein aus der Anstalt Austretender dem 
Verein überwiesen, so ist es viel zweifelhafter, ob die Fürsorge für ihn eine 
angemessene wird, als wenn eine gewisse Verbindung mit der öffentlichen 
Anstalt erhalten bleibt. Ich glAnbe, daß eine Art von Personalunion in der 
Verwaltung der Vereine und der Anstalten nur empfehlenswert ist, wie ja 
auch tatsächlich die Gründung solcher Vereine meist von Anstaltsvorständen 



70 


Diskussion za den Vortr&gen: 


aasgegangen ist. Ich bin ferner überzeugt, daß es für die aas den Öffentliche« 
Anstalten Entlassenen nur gut sein kann, wenn sie nnter die Aufsicht des 
Medizinalbeamten ihres Bezirks kommen; wenn dieser dabei jedoch weniger als 
Beamter aaftritt, sondern zugleich als Vertrauensmann des Hilfsvereins snr 
materiellen und sozialen Unterstützung der Entlassenen beitragen kann. 
Kommt er nicht mit leeren Händen, so wird ihm auch seine Ueberwach ungs- 
aafgabe wesentlich erleichtert. Mit Freuden bringe ich es hier zum Ausdruck, 
daß ich an den Medizinalbeamten unseres Landes in dieser Bichtang stets eine 
bereitwillige Hilfe gefunden habe. 

Endlich mochte ich auch den Leitsätzen 16 bis 18 noch warm znstimmen 
and für anbedingt notwendig erklären, daß der 8trafprozeßordnung in ihrem 
Sinne eine Ergänzung zu teil wird. Schon gestern hätte ich das gern zum 
Ausdruck gebracht, wenn ich nicht Bedenken getragen hätte, zur Strafprozeß* 
Ordnung überhaupt zu sprechen, solange der § 61 des Strafgesetzbuchs in der 
jetzigen Fassung besteht, nach der „eine strafbare Handlung nicht 'vorhanden 
ist", wenn der Täter sich in einem Zustande krankhafter Störung etc. befunden 
hat. Ist letzteres festgestellt, so ist die Aufgabe des Richters erschöpft, kann 
eventuell auf Grund eines eigenen Verfahrens die Verwaltung eintreten. Eine 
solche scharfe Trennung zwischen Justiz und Verwaltung entspricht nicht dem 
tatsächlichen Bedürfnisse nach einer raschen Fürsorge für die unter Anwendung 
des § 51 des St. G. B. außer Verfolgung gesetzten und zugleich gefährlichen 
Geisteskranken. Wünschenswerter wäre es, wenn das Gericht mit seinem 
Urteil unmittelbar die Maßnahmen zu veranlassen hätte, die bisher ausschließlich 
der Verwaltung zustehen. Dabei kann es nur zweckmäßig sein, wenn für die 
Ausführung mehr die Mitwirkung des Medizinal- als die des Polizeibeamten in 
Anspruch genommen wird. Ausdrücklich beitreten möchte ich der Ansicht, 
daß sich alles hierzu Erforderliche vollkommen erreichen läßt durch eine Er¬ 
gänzung der Strafprozeßordnung, weit besser jedenfalls als durch eine be¬ 
sondere Irrengesetzgebong, die nur die größten Schwierigkeiten machen konnte. 
Alle Fürsorge für die Geisteskranken würde bedenklich erschwert werden, 
wenn sie nach juristischem Stsndpunkte abhängig gemacht werden müßte von 
bestimmten Tatsachen, die dem Kranken zur Last fallen, anstatt von seinem 
Zustande und seinen Gesinnungen. Auch alle Erfahrungen, die man anderwärts 
mit der Einführung besonderer Irrengesetzgebungen gemacht hat, können 
nicht zur Nachahmung ermuntern. Ist es doch durchaus unmöglich, von 
vornherein den Wirkungsbereich einer solchen Gesetzgebung zu umgrenzen. 
Sie wäre eine Ausnahmegesetzgebung, durch welche die Geisteskranken als 
eine besondere Menschenklasse gekennzeichnet werden würden, meist im 
ausdrücklichen Widerspruch mit ihrer eigenen Auffassung. Daß sie ihr an¬ 
gehören, wäre in jedem einzelnen Falle erst durch ein eigenes peinliches Ver¬ 
fahren zu erweisen, nicht etwa wie bei anderen Ausnahmegesetzen abhängig 
vom eigenen Bekenntnisse der davon Betroffenen. Schon weil dies bei Geistes¬ 
kranken kaum jemals zutrifft, muß ich jede auf sie sich beziehende Ausnahme- 
gcsetzgebung für ein geradezu gefährliches Unternehmen halten. (Beifall). 

H. Kreisarzt Dr. Sonntag-Witzenhausen: M. H.! Die Fassung der 
Ziffer 16 der Leitsätze könnte die Vermatong erwecken, daß aaf die bisherigen 
Vorschriften über die Anmeldung von Geisteskranken verzichtet wird. Ich 
würde das für verkehrt halten. Es kommt sehr häufig vor, daß lange Zeit 
Geisteskranke, ohne angemeldet za sein, in ihren oder anderen Familien leben, 
wo sie oft in keineswegs angemessener Weise nntergebracht sind, bis dann 
schließlich darch irgend einen Zufall, meist auf Veranlassung der Gerichts¬ 
behörden, der Kreisarzt davon erfährt, und nun erst Schritte von ihm getan 
werden, um Abänderung herbeizuführen. Hier zeigt sich, daß schon die 
mangelhafte Durchführung der zur Zeit für die Polizeibehörden bestehenden 
Verpflichtung zur Anmeldung von Geisteskranken üble Folgen haben kann. 
Ich weiß nicht, ob etwa beabsichtigt ist, diese Art der Verpflichtung aufzu¬ 
heben, möchte aber meinerseits für diesen Fall besonders beantragen, daß unter 
b. gesagt wird: „seitens der gerichtlichen Behörden . . .* und daß weiter 
hinzugefügt wird: „c. seitens der Ortspolizeibehörden alle Fälle notorischer 
Geisteskrankheit and Geistesschwäche“; denn gerade. bei Geistesschwäche 
— die im Volke vielfach nicht als Geisteskrankheit angesehen wird — ist 
die Art der Unterbringung in Privatpflege häafig eine sehr wenig passende. 



Die Beaufsichtigung der Geisteskranken außerhalb der Anstalten. 71 

H. Med.-Rat Dr. Yanselow, Bezirksamt in Eissingen: M. H.! Ich 
halte die Erörterung des Themas für eine höchst aktuelle und möchte mir 
erlauben, eine Episode aus der Praxis vorzutragen. Mein früherer Amtsb ezir k 
war wohl in Bezug auf körperliche Strapazen der schwerste in meinem 
engeren Vaterlande. Ich überwachte die Geisteskranken, soweit meine 
körperlichen Fähigkeiten reichten; sie alle zu kontrolieren, war mir unmöglich. 
Eines schönen Tages kam ein höherer Verwaltungsbeamter. Dies und Jenes 
wurde besprochen. Plötzlich fragte er mich: „Wie steht es denn mit Ihren 
Geisteskranken?“ Ich antwortete „ich überwache sie, soweit meine körperliche 
Leistungsfähigkeit mir das ermöglicht“. Er entgegnete, „ich mache Sie darauf 
aufmerksam wenn in Ihrem Bezirke etwas vorkommt, mache ich Sie haftbar“. 
„Schön, ich werde darauf bedacht sein“. Wenige Tage später erzählte ich 
die Unterredung dem Vorstande der Verwaltung und bat um sein Fuhrwerk. 
„Gut, sagte er, fahren wir in den nächsten Tagen früh 7 Uhr fort“. Das 
war mir unmöglich, da die Holzarbeiter von 4 Forstämtern bis zu 5 Weg¬ 
stunden auf mich angewiesen waren und ich vor 10 Uhr nicht abkommen 
konnte, da diese am nämlichen Tage sonst nicht mehr nach Hause gekommen 
wären. Und so blieb die Sache beim alten. Nun ist es ja wahr, daß der 
Amtsarzt sehr häufig Gelegenheit hat, z. B. bei der Impfung, Schulgebäude¬ 
besichtigungen, die Geisteskranken zu kontrolieren, allein überall kommt man 
doch nicht hin. Jedenfalls ist es aber mit der Haltbarmachung für etwas, 
was man gelegentlich tun soll, so eine eigene Sache. Ich möchte deshalb 
präzise Bestimmungen befürworten. 

Vorsitzender. M. H.! Ich glaube, daß die Wünsche des Kollegen 
Dr. Sonntag bereits durch Leitsatz 14 berücksichtig sind. Aber einen 
Punkt möchte ich noch hervorheben: Bekanntlich wird eine nicht unerhebliche 
Anzahl von Geisteskranken in Krankenhäusern untergebracht, teils vorüber¬ 
gehend bis zur Ueberführung in eine Irrenanstalt, teils ständig; außerdem 
kommt es nicht selten vor, daß Kranke in einem Krankenhause während ihres 
Aufenthaltes daselbst geisteskrank werden. Um auch über diese Kranken eine 
Kontrolle auszuüben, ist im Reg.-Bezirk Minden eine Bestimmung getroffen, 
daß jeder Pflegling eines Krankenhauses, der geisteskrank und innerhalb drei 
Tage nicht wieder besser wird, dem zuständigen Kreisarzt angezeigt werden muß, 
dasselbe gilt nicht nur betreffs der ständig, sondern auch betreffs der vorläufig in 
Krankenhäusern wegen Ueberfüllung der Irrenanstalten untergebrachten Kranken, 
sobald ihr Aufenthalt länger als 3 Tage dauert. M. E. dürfte es sich empfehlen, 
eine solche Meldepflicht allgemein einzuführen. 

H. Oberarzt Dr. Weber- Göttingen (Schlußwort): M. H.! Ich habe nur einige 
Punkte zu Nr. 8 unserer Leitsätze nachzutragen: Der einzige Gesichtspunkt, 
der uns bestimmt, vorzuschlagen, daß die Irrenhilfsvereine von den Anstalten 
wenigstens äußerlich unabhängig sind, ist der, daß das Publikum, wenigstens 
bei uns in Hannover, immer noch ein großes Mißtrauen den öffentlichen 
Anstalten entgegenbringt. Wir glauben, daß die Tätigkeit der Vereine besser 
gewährleistet ist, wenn sie äußerlich gar nichts mit der Anstalt zu tun haben. 
Ein Zusammenarbeiten zwischen den Leitern der Irrenhilfsvereine und der 
Anstalt sollte durch engere Beziehungen zwischen denselben aufrecht erhalten 
werden. Was die anderen in der Diskussion vorgebrachten Punkte betrifft, so 
darf ich meiner Freude Ausdruck geben, daß von so erfahrener Seite, wie Herrn 
Direktor Kreuser, die Zustimmung geäußert wurde, daß die Epilektiker und 
Idioten der ärztlichen Aufsicht bedürfen; wir wissen, daß wir darauf zu 
achten haben, daß nicht von unberufener Seite die Fürsorge für diese Kranken 
an sich gerissen wird. 

Vorsitzender: M. H.! Die von den Herren Referenten 
zu der heutigen Tagesordnung aufgestellten Leitsätze sind zwar 
nicht zur Abstimmung gestellt; nach dem lebhaften Beifall, den 
Sie den Ausführungen aber gespendet haben, darf ich wohl an- 
nehmen, dass Sie mit diesen im grossen und ganzen einverstanden 
sind. Ich möchte dies hier noch ausdrücklich konstatieren. Zum 
Schluss den Herren Referenten unsern herzlichsten Dank, den sie 
in vollstem Masse für ihre interessanten Referate verdient haben! 



72 


Voratandswohl. 


II. Varstandswahl. 

Vorsitzender: M. H.! Ehe wir za dem letzten Gegen¬ 
stand der Tagesordnung übergehen, schlage ich vor, die noch 
ausstehende Vorstandswahl zu erledigen. 

H. Reg.- u. Med.-Rat Dr. Dtitschke-Erfurt: M. H.! Ich 
schlage vor, den jetzigen Vorstand, der die Geschäfte in so vor¬ 
züglicher Weise bisher geführt hat, durch Akklamation wieder 
zu wählen. (Beifall.) 

Vorsitzender: Eine Wiederwahl durch Zuruf ist nur zu¬ 
lässig, wenn sich kein Widerspruch erhebt. — Es ist dies nicht 
der Fall; ich bringe den Antrag zur Abstimmung. 

Der Vorstand ist einstimmig wiedergewählt. 

M. H.! Ich danke Ihnen auch im Namen der übrigen Vor¬ 
standsmitglieder für den Beweis des Vertrauens, den Sie uns 
durch die Wiederwahl gegeben haben. Ich nehme diese gern an 
und darf auch annehmen, dass dies seitens der anderen Herren 
Vorstandsmitglieder der Fall sein wird. 


III. Abwasser-Reinigung mit Riiekslehf auf die Relnfgimi 

der Wasserläufe. 

Vorsitzender: M. H.! Bevor ich dem Herren Referenten 
das Wort zum letzten Gegenstand der Tagesordnung erteile, möchte 
ich noch kurz hervorheben, dass H. Reg.- u. Med.-Rat Dr. Dütscbke 
erst in letzter Stunde an Stelle des H. Reg.- u. Med.-Rats Dr. 
Salomon-Coblenz das Referat bereitwilligst übernommen hat, wo¬ 
für wir ihm unseren ganz besonderen Dank schulden. Wenn Sie ein 
Blick in die in Ihren Händen befindliche Zusammenstellung der ge¬ 
setzlichen Vorschriften über die Reinhaltung der Flüsse werfen, 
dann werden Sie auch die grosse Mühe und Arbeit ermessen können, 
die dem Herrn Kollegen Dr. Dütschke durch die Uebernabme des 
Referats erwachsen ist. Unseren Dank an ihn möchte ich aber 
noch weiter ausdehnen und zwar auf die einzelnen Bundesregie¬ 
rungen, die dem Herrn Referenten das zu dieser Zusammenstellung 
erforderliche Material in liebenswürdiger Weise so schnell und voll¬ 
ständig zur Verfügung gestellt haben. Wie Sie sehen, fehlt kein 
einziger Bundesstaat! Ich möchte daraus den Schluss ziehen, dass 
die Bestrebungen unseres Vereins auch bei den Bundesregierungen 
nicht ohne Anerkennung geblieben und diese gern bereit sind, unseren 
Wünschen entgegen zu kommen. Ich gehe aber gewiss nicht fehl, 
wenn ich annehme, dass unsere Herren Spezialkollegen an den mass¬ 
gebenden Stellen in dieser Hinsicht ihren Einfluss mit bestem Erfolge 
geltend gemacht haben; deshalb[sei auch Ihnen herzlichst gedankt! 

A. Die Reinhaltung der Wasserläufe vom sanitätspolizei¬ 
lichen und verwaltungsrechtlichen Standpunkt. 

H. Reg.- u. Med.-Rat Dr. Dtitschke-Erfurt: Meine hoch¬ 
geehrten Herren! Nachdem Ihnen unser Herr Vorsitzender soeben 



Dr. DiHschke: Die Beinhaltuog der Wasserl&ofe usw. 


73 


die Veranlassung’ geschildert hat, welche mich heute für den rer* 
hinderten Herrn Kollegen Dr. Salomonin Coblenz an dieser Stelle 
als Referent über die sanitfttspolizeiliche und verwaltungsrecht- 
liche Seite der Frage der Reinhaltung der Wasserlftufe erscheinen 
lässt, darf ich gewiss im Hinblick auf die für einen solchen Vor¬ 
trag verhältnismässig kurze Vorbereitungzeit von 5 Wochen, be¬ 
sonders wenn man die vorhandene überreiche Literatur berück¬ 
sichtigt, die Hoffnung aussprechen, aus dem angeführten Grunde 
bei Ihnen auch die erforderliche liebenswürdige Nachsicht bei 
Beurteilung des Nachstehenden zu finden. Von dieser Nachsicht 
bitte ich mir gegenüber bei der Kritik einen möglichst ergiebigen 
Gebrauch zu machen; denn ich weiss es, und habe es bei der 
Durcharbeitung des Themas immer mehr empfunden, dass der 
Schwerpunkt der ganzen Angelegenheit der Reinhaltung der 
Wasserläufe weniger in den sanitätspolizeilichen und verwal¬ 
tungsrechtlichen Massnahmen liegt, wie in der Kenntnis der 
neueren Methoden der Abwässerreinigung, als dem für unsere Be¬ 
strebungen weit wirksameren Mittel! 

M. H.! Es ist eine bekannte Tatsache, dass die Beseitigung 
der menschlichen Abfallstoffe und die Fortschaffung der städtischen 
und industriellen Abwässer immer schwieriger und kostspieliger 
wird, je mehr die einzelnen Städte an Einwohnerzahl und Aus¬ 
dehnung gewinnen und je gewaltiger die Industrie ihre Schwingen 
regt! Die Abwässer der Städte sind daher eine grosse Plage für 
diese; durch ihre Massenhaftigkeit gegenüber den ursprünglich 
zur Aufnahme bestimmten Wasserläufen bereiten sie Schwierig¬ 
keiten, da sie deren Verwendbarkeit für die Zwecke des mensch¬ 
lichen Lebens mehr oder minder beeinflussen. Durch ihre Nei¬ 
gung zur Fäulnis und durch ihren häufigen Gehalt an Infektions¬ 
stoffen können sie direkt schädlich werden, an manchen Orten 
und zu manchen Zeiten auch durch den Gehalt an giftigen Mi¬ 
neralstoffen, wie z. B. in den Industriestädten. So kommt es, dass 
es sich im Laufe der Jahre in sehr vielen, vielleicht in den meisten 
Orten jetzt als untunlich herausgestellt hat, diese Abwässer 
den Strömen, Flüssen und Bächen anders, als in gereinigtem 
oder geklärtem Zustande zu übergeben. 

Diese Anschauung hat aber nicht immer bestanden, und wo 
sie geherrscht hat, da ist sie oft weder praktisch gehandhabt, 
noch nach ihr verfahren worden; auch haben die zur Anwendung 
gebrachten Klär- und Reinigungsverfahren bei weitem nicht das 
gehalten, was man von ihnen erwartete. Wir würden sonst nicht 
in unserem deutschen Vaterlande eine solch’ erhebliche Zahl von 
Bächen, Flüssen und Seen besitzen, die seit Jahrhunderten den 
Unrat der an ihnen gelegenen Städte und Ortschaften aufgenommen, 
weggespült und wohl auch unschädlich gemacht haben, ohne dabei 
scheinbar in ihrem äusseren Verhalten eine nennenswerte Verän¬ 
derung zu erleiden! Jene Wasserläufe sind aber z. Z. vielfach 
nicht mehr imstande, diese ihre altgewohnte Arbeit in der frü¬ 
heren Vollkommenheit zu verrichten, sie sind sozusagen insuffi¬ 
zient geworden; sie werden von den Schmutzwässern erdrückt 



74 


Dr. Dätscbke: Die Beinh&Itang der Wasserlinie 


and gleichen, indem sie stinkende, tintenfarbige Massen dahin- 
wälzen, häufig selbst weniger mehr natürlichen Wasserläufen, wie 
grossen Kloaken. Ich erinnere, um aus vielen nur einige Beispiele 
herauszugreifen, an die Emscher in dem rheinisch-westfalischen 
Industriegebiet, an die Wupper in Elberfeld und an die Orla 
unterhalb der Sachsen - Meiningischen Stadt Pössneck, ohne darüber 
die Verunreinigungen der Saale unterhalb Hof und der Gera 
unterhalb Erfurt, sowie der Unstrut bei Mühlhausen zu vergessen. 

Diese Flussverunreinigungen, die wohl in keinem Falle eine 
völlig gleichgiltige Veränderung des ursprünglichen Zustandes 
darstellen, werden aber sicher nicht überall gleichmässig stark, 
sondern bald mehr, bald weniger schwer empfanden; es richtet 
sich das ganz nach den jeweiligen örtlichen Verhältnissen, ob 
bedeutende oder weniger bedeutende Interessen in Frage 
kommen und sich geschädigt fühlen. 

Bei dieser Sachlage muss sich uns zunächst die Frage auf¬ 
drängen, wann können, oder richtiger müssen wir von einer Ver¬ 
unreinigung eines Wasserlaufes sprechen, wodurch werden die 
Verunreinigungen erzeugt, welche schädlichen Folgen zeitigen 
sie und wie können wir nach Lage der Gesetzgebung in Deutsch¬ 
land einer Verunreinigung Vorbeugen bezw. auf die Beinhaltung 
der letzteren verwaltungsrechtlich hin wirken? 

Für gewöhnlich pflegt man die Grösse der Verunreinigung 
eines Wasserlaufes nach seinem äusseren Aussehen zu beur¬ 
teilen. Dies wird aber mitunter zu grossen Täuschungen führen, weil 
einerseits ein klar aussehendes Wasser ebenso schlecht oder noch 
schlechter sein kann, als ein schmutzig aussehendeB Wasser; 
anderseits nur geringe Mengen einer Substanz dazu gehören, um 
dem Wasser ein schmutziges Aussehen zu verleihen. 

Im allgemeinen wird nach den Ausführungen Königs die 
Grösse der Verunreinigung eines Wasserlaufes durch Schmutz¬ 
wasser abhängig sein von der Grösse der Wassermengedes 
Flusses, denn es ist ja einleuchtend, dass die Verunreinigung sich 
um so weniger geltend macht, je mehr die Schmutzstofie durch 
Diffusion verdünnt werden und umgekehrt. Sodann ist die Strom¬ 
geschwindigkeit und die Art und Weise der Strömung der 
Flüsse von Einfluss auf den Grad der Verunreinigung. Je schneller 
ein Wasser fliesst, desto mehr werden die schädlichen Schmutz¬ 
stoffe in die Länge gezogen und über eine grössere Strecke ver¬ 
teilt. So kann ein Fluss mit starkem Gefälle und unebenem Bett 
und mit Ufer-Einschnitten mehr Schmutzstoffe aufnehmen, ohne 
durch Verunreinigung schädlich zu wirken, als ein in der Ebene 
gradlinig und langsam sich bewegender Fluss. »Aus diesen Er¬ 
wägungen ergibt sich schon, dass die Verunreinigung eines 
Wasserlaufes sich nach Ort und Zeit sehr verschieden gestaltet, 
dass sich über die Grenze des Zulässigen oder Gemeinüblichen 
allgemeine Hegeln nicht aufstellen lassen und dass die Frage 
der Verunreinigung der Wasserläufe örtlich und zeitlich geprüft 
sein will“ (König). 

Dazu kommt, dass die den Wasserläufen zugeleiteten Schmutz- 



vom sanitätspolizeilichen und verwaltungerechtlichen Standpunkt. 75 


Stoffe je nach dem Nutzungszwecke eines Wassers verschieden 
schädlich wirken. Was für Zwecke eines Trinkwassers nachteilig 
ist, das wird z. B. für landwirtschaftliche Nutzungszwecke (zur 
Berieselung) unter Umständen nützlich sein, und was in letzter 
Hinsicht schadet, ist für andere Zwecke, wie Viehtränke, Fisch¬ 
zucht usw. vielleicht wieder unschädlich, so dass die Frage der 
Schädlichkeit eines verunreinigten Wasserlaufes nicht nur nach 
der Art der Verunreinigung und der Verdünnung sowie nach Strom¬ 
geschwindigkeit, Selbstreinigung usw. des Flusses, sondern auch 
nach dem Nutzungszweck eines Wassers in jedem gegebenen 
Fall geprüft sein will. 

Die durch das Zusammenwohnen von Menschen und durch 
technische Gewerbe hervorgerufenen künstlichen Verunreinigungen 
der Wasserläufe enthalten, indem ich auch hier wieder Königs 
Ausführungen folge, vorwiegend organische und grösstenteils 
zugleich stickstoffhaltige Stoffe, z. B. durch die Abgänge 
aus menschlichen Wohnungen in Stadt und Land, aus Schläch¬ 
tereien, Zucker- und Stärkefabriken, Bierbrauereien, Gerbereien, 
Spinnereien usw.; oder die Wasserläufe erleiden Verunreinigungen, 
welche mineralische Stoffe enthalten, wie sie von Salinen, 
Grubenbetrieben des Erz-, Steinkohlen- und Braunkohlenbergbaues, 
Drahtziehereien usw. geliefert werden. 

Eine besonders in gesundheitlicher Beziehung nicht zu 
unterschätzende Ursache der Verunreinigung unserer öffentlichen 
Flüsse bildet, wie sich in den letzten Tagen wieder an der 
Weichsel gelegentlich des Vorkommens der Cholera gezeigt hat, 
auch der Schiffsverkehr. Wenngleich er hinter den anderen 
Ursachen sonst zurückbleibt, so trägt er doch, vor allem in den 
Hafenstädten, nicht unerheblich mit zur Verschmutzung der 
Wasserläufe bei, da die Unsitte der Schiffsbevölkerung, alles „über 
.Bord zu werfen“, nur schwer auszurotten ist und die Vorschrift 
der Hafenpolizei, Torfklosetts an Bord zu haben und diese zu 
benutzen, wenig Beachtung findet. 

Von den durch diese eben erwähnten Verunreinigungen der 
Wasserläufe bewirkten Schädigungen wird zunächst die Fisch¬ 
zucht betroffen. Durch zahlreiche Beobachtungen ist sicher¬ 
gestellt, dass die Fische in stark verunreinigtem Wasser zugrunde 
gehen, so dass das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein von 
Fischen ja geradezu als Massstab für die Reinheit bezw. Verun¬ 
reinigung eines Wasserlaufes angesehen wird. Vor allem sind 
es die städtischen Abwässer, welche die Fischzucht schädigen; 
ob hierbei, wie von einigen Autoren angegeben wird, Ammoniak 
und dessen Derivate, sowie Schwefelwasserstoff und der geringe 
Sauerstoffgehalt städtischer Abwässer die Hauptrolle spielen, muss 
dahin gestellt bleiben. Aber auch gewerbliche Abwässer wirken 
in hohem Grade fischtötend. Dies gilt besonders für Abwässer 
von Stärkefabriken und für Flachsrotten; bei Papier- bezw. Zellu¬ 
losefabriken beobachtet man ja häufig ein Fischsterben, indem 
gröbere Partikel von Zellulose zwischen die Kiemen der Fische 
geraten und den Erstickungstod herbeiführen. 



76 


Dr. Dütschke: Die Reinhaltung der Wasserlinie 


Die Schädigung des Gewerbetriebes durch verunreinigtes 
Flusswasser kann sich sehr verschieden gestalten. Ein ver¬ 
schlammter Fluss hemmt die Schifffahrt; Wäschereien brauchen 
ein wirklich reines Wasser, weil sonst die Wäsche unansehnlich, 
z. B. gelb wird. Dasselbe gilt fdr die Brauereien, welche unreines 
Wasser benutzen; denn diese laufen Gefahr, ein durch Neben- 
gährung ungeniessbares Bier zu erzeugen. 

Fdr die Landwirtschaft weiter vermag die Einleitung' 
von gewerblichen Abwässern in einen Wasserlauf den Ertrag der 
Wiesen wesentlich herabzusetzen, wenn sie z. B. reich an Koch¬ 
salz, Chlormagnesium und Chlorkalium sind und namentlich, wenn 
sie direkte Pflanzenstoffe enthalten (Weyl). 

Die für uns als Medizinalbeamte bedeutsamste Schädigung der 
Verunreinigung der Wasserläufe ist ohne Frage nächst der Be¬ 
schränkung der Benutzung des Wasserlaufes zu Trinkzwecken 
die Verbreitung von Krankheiten durch das Wasser beim 
Menschen. Die Ueberzeugung, dass durch Wasser Krankheiten 
übertragen werden können, hat schon in den ältesten Zeiten be¬ 
standen. Als nun im Laufe der Jahrhunderte die naturwissen¬ 
schaftliche Beobachtung durch neue Methoden sich vertiefte und 
an Sicherheit gewann, befestigte sich auch allmählich die Beweis¬ 
kraft der Schlüsse über den Einfluss schlechten Wassers 
auf die Gesundheit. Während sich jedoch diese Schlüsse bis 
Aber die Mitte des 19. Jahrhunderts hinaus wesentlich auf epide¬ 
miologische Beobachtungen stützten, setzte die mikrosko¬ 
pisch-bakteriologische Forschung der letzten 25 Jahre an die 
Stelle der Ueberzeugung den Beweis von der Schädlichkeit be¬ 
stimmter Wässer für die Gesundheit. 

Die steigende und sich beständig mehrende Zahl jener Be¬ 
weise verdichtete sich endlich zur „Trinkwassertheorie*, 
als deren hervorragendster Vertreter Robert Koch gelten darf! 

Diese Trinkwassertheorie behauptet bekanntlich, dass im 
Oberflächenwasser und in Brunnen nicht allzu selten die Erreger 
bestimmter Krankheiten nachgewiesen werden können, welche, in 
den Körper des Menschen oder der Tiere gelangt, Krankheiten 
erzeugen. „Wenngleich unsere Kenntnisse noch nicht in allen 
Fällen zum Nachweis der Krankheitserreger im Wasser ausreichen, 
so ist doch für einzelne Infektionskrankheiten, wie Cholera, Unter¬ 
leibstyphus, Ruhr und Milzbrand der Nachweis für ihre Verbrei¬ 
tung durch das Wasser mit Hilfe der bakteriologischen Unter¬ 
suchungsmethoden festgestellt!“ (Weyl). 

Es ist Ihnen, m. H., ja allgemein bekannt, dass die Trink- 
wassertheorie einen erbitterten hartnäckigen Gegner in dem Alt¬ 
meister der Hygiene, dem verstorbenen v. Pettenkofer fand. 
Den von diesem und seinen Schülern aufgestellten Lehren gegen¬ 
über werden wir Medizinalbeamte aber stets wieder auf die Beweis¬ 
kraft des praktischen Experimentes hinweisen müssen, wie wir es 
in unseren einzelnen Wirkungskreisen, der eine seltener, der andere 
wieder häufiger zu beobachten Gelegenheit haben. Ich erinnere nur 
an die Hamburger Choleraexplosion im Jahre 1892 mit ihren Tao- 



Vom B&mtätspolizeiUchen tmd yerwaltoogsreehtlichen Standpunkt. 77 


seiden von Todesfällen in wenigen Wochen als traurigen Beweis 
dafür, wie unberechenbar plötzlich ein verschmutztes, aber bis 
dahin scheinbar ungefährliches Wasser von der eminentesten Gif¬ 
tigkeit zu einer Quelle furchtbarster Seucheneruption werden 
kann; ich darf nur auf die Typhusepidemien in Gelsenkirchen 
1901 und Lüdenscheid 1902, sowie Detmold 1904 verweisen, welche 
noch in unserer frischen Erinnerung sind und zahlreiche andere, 
durch infiziertes Wasser hervorgerufene kleinere Typhusepidemien. 

Die Pettenkofersche Auffassung, dass Typhus und Cholera¬ 
bakterien im Wasser rasch zugrunde gehen, und der früher viel¬ 
fach geäusserte Zweifel an der Möglichkeit, lebensfähige Typhus¬ 
bazillen überhaupt im Wasser nacbzuweisen, ist durch die neueste 
bakteriologische Forschung wohl als widerlegt anzusehen, nach¬ 
dem Conradi bis zu 500 Tagen die Typhusbazillen im Wasser 
lebensfähig gefunden hat! Wir Medizinalbeamte sehen ja alltäg¬ 
lich, welche gewaltig'; Rolle das Wasser bei der Weiterverbreit 
tung des Typhus spielt; wir kennen die Gefährlichkeit verseuchter 
Wasserentnahmestellen und richten bei unseren hygienischen 
Massnahmen unser Hauptaugenmerk auf die Beschaffung einwand¬ 
freier, einer Verseuchung nicht zugängiger Wasseranlagen für 
die Bevölkerung und feiern hierbei die schönsten Erfolge im vor¬ 
beugenden und verhütenden Kampfe gegen die Seuchen! 

Nicht immer gelingt es, den Zusammenhang zwischen Typhus 
und Wasser klar festzustellen und oft werden wir auf dem Wege 
der Ausschliessung anderer Ursachen nur darauf hingewiesen; 
aber zahllos sind demgegenüber die Fälle, in denen der Gebrauch 
infizierten Wassers für die Entstehung einer Typhusepidemie ver¬ 
antwortlich gemacht werden muss und wo die Ausschaltung des 
Genusses dieses infizierten Wassers mit einem Schlage die Epi¬ 
demie zum Stillstand bringt. 

In erster Linie sind natürlich die Fäkalien der Typhus- 
und Cholerakranken als Infektionsträger bei der Zuleitung mensch¬ 
licher Abgänge in Wasserläufe zu fürchten, aber nicht weniger 
bedenklich erscheinen auch die übrigen flüssigen Abgänge 
aus infizierten Häusern, wie z. B. das Waschwasser, in 
welchem die Wäsche der Cholera- oder Typhuskranken gewaschen 
ist. Es wäre also, soweit es sich um Beseitigung der Infektions¬ 
gefahr handelt, nicht richtig, gegen die durch das Einleiten von 
Fäkalien bedingte Verunreinigung der öffentlichen Wasserläufe 
allein vorzugehen und das Hausschmutzwasser als ungefährlich 
anzusehen. 

Mit zunehmender Verdünnung derartiger unreinen Zuflüsse 
nimmt die Infektionsgefahr zwar ab, aber ganz schwindet sie nie, 
da noch ein einzelner Keim infizieren kann. Daher lässt sich 
auch nach R. Kochs Ausführungen in bezug auf Infektionsstoffe 
nicht, wie bei toxisch wirkenden Verunreinigungen, welche für ihre 
schädliche Wirkung einer bestimmten Konzentration bedürfen, 
eine bestimmte Grenze für den der Abhülfe bedürfenden Grad der 
Verunreinigung angeben. Infektionsstoffe sollten somit unter allen 
Umständen, auch in den allergeringsten Mengen von den öffent- 



78 


Dt. Dtttachke: Die Beinhaitang der Wasserläufe 


liehen Wasserläufen ferngehalten werden bezw. vorher durch eine 
geeignete Desinfektion, welche naturgemäss schon am Krankenbett 
einsetzen muss, unschädlich gemacht werden. 

Petra schky hat neuerdings vorgeschlagen, als Kriterium 
für fäkale Verunreinigung eines Flusses den Nachweis des Bac- 
terium coli zu benutzen, während andere Bakteriologen bei der 
TTbiquität dieses Bacteriums dessen Auffinden im Wasser keine 
besondere Beweiskraft beilegen. 

Die Frage, wie lange sich die pathogenen Keime, in erster 
Linie die des Typhus, im Flusswasser zu halten und virulent zu 
bleiben vermögen, ist eine ganz offene. Mit einem Fluss kann 
man nicht experimentieren, der strikte Nachweis wird sich 
schwer erbringen lassen, während bereits Beobachtungen Aber die 
Lebensdauer von Typhuskeimen in Wasserleitungen vor¬ 
liegen, welche Rückschlüsse gestatten. 

Es ist, m. H., allgemein bekannt, dass die Gefahren einer 
Stromverseuchung von verschiedenen Autoren, insbesondere von 
Pettenkofer, bestritten worden sind und die direkte Zuleitung 
der ungeklärten Abgänge einer Grosstadt wie München in die 
Isar als harmlos hingestellt wurde unter Berufung auf das Schlag¬ 
wort von der „Selbstreinigung“ der Flüsse, und derPetten- 
koforschen Autorität ist es in erster Linie mit zuzuschreiben, 
dass man den Faktor der Selbstreinigung bei weitem überschätzt 
und hierdurch vielleicht vornehmlich zu der jetzt verbreiteten 
hochgradigen Verunreinigung vieler Flüsse mit beigetragen hat 
Dieses scheinbar harmlose Verfahren der Einleitung der ungeklärten 
Abwässer der Stadt München in die Isar ist in jüngster Zeit 
einer scharfen Kritik durch den Intendanturbaurat Hauben- 
schmidt in München unterzogen worden, die vielleicht Anlass 
geben wird, zumal gerade die Reinigungskraft der Isar bisher immer 
als Paradigma für die Selbstreinigungskraft der Flüsse hingestellt 
wurde, von dieser sanitär höchst bedenklichen Art der Beseitigung 
der Abwässer endgültig abzusehen. 

Gewiss besorgen unter besonderen, hier nicht weiter anzu¬ 
führenden günstigen Verhältnissen gewisse Flüsse das Wegführen 
und Unschädlichmachen der in sie hineingelangenden Abwässer, 
ohne dass irgend ein Uebelstand dabei zutage tritt und — ein 
bedeutender Vorteil — ohne dass es die genannten Städte einen 
Pfennig kostet! Die Flüsse besitzen eben, in ganz ähnlicher 
Weise wie der Mutterboden, das Vermögen, Schmutzmassen, die 
in sie hineingelangen, zu zersetzen resp. sich ihrer zu entledigen. 
Aber dieses Selbstreinigungsvermögen hat seine Grenzen; werden 
diese überschritten, so treten die oben beschriebenen Missstände 
und schädlichen Folgen der Verunreinigungen zutage. Auf dieses 
Selbstreinigungsvermögen der Wasserläufe müssen ja zu guterletzt 
auch sämtliche künstliche Verfahren der Abwässerreinigung noch 
mit zurückgreifen; denn selbst bei der Reinigungsmethode, die 
das Beste leistet, dem Rieselverfahren, gelangen doch noch Stoffe 
in das Flusswasser, die nicht absolut gleichgültig sind, wie Am¬ 
moniak und Salpetersäure. Ausserdem müssen diejenigen Wasser- 



vom sanit&tspolizeilichen and rerw&ltungsrechtlichen Standpunkt 79 


massen, die für Fälle bedeutender Regengüsse bei einer Kanalisa- 
tionsanlage durch Notauslässe ungereinigt entfernt werden, doch dem 
Selbstreinigungsvermdgen des Wasserlaufes überlassen werden. 

Es fragt sich nur, inwieweit will und darf man eventuell 
von der eben besprochenen günstigen Eigenschaft der Flüsse, die 
zudem noch in den verschiedenen Fällen verschieden stark ent¬ 
wickelt ist, tatsächlich noch Gebrauch machen? Sie ganz unbenutzt 
zu lassen, das vermag man ja eben nicht. 

Das Kaiserliche Gesundheitsamt will je nach Örtlicher Sach¬ 
lage von Fall 2 U Fall die Frage entschieden sehen, während 
Flügge z. B. seine Entscheidung von der Menge der gelie¬ 
ferten Kanaljauche, von der Wassermenge des Flusses, von 
dessen Stromgeschwindigkeit, der Ufergestaltung, dem Ver¬ 
laufe des Flusses, sowie von der Bewohnung der stromabwärts 
gelegenen Ufer und der Benutzung des Flusswassers abhängig 
macht, v. Pettenkofer stellte sogar den empirischen Satz 
auf, dass man gewöhnliches Sielwasser sowie Fäkalien un¬ 
bedenklich in jeden Fluss oder Bach einleiten dürfe, dessen 
Wassermenge mindestens das Fünfzehnfache von der Menge 
des Sielwassers betrage und dessen Geschwindigkeit keine gerin¬ 
gere, als die des Sielwassers sei. Demgegenüber verlangte Uffel- 
mann, dass, wenn Flusswasser überhaupt zum Trinken dienen 
solle, eine direkte Einleitung von Exkrementen in einen Wasser¬ 
lauf nicht zu gestatten sei (Burckhardt). 

Man ist sich sonach, wie Sie ersehen, über die prinzi¬ 
pielle Frage, ob das Hinleiten ungereinigten Sielwassers in 
einen Fluss unter allen Umständen zu verbieten oder doch 
unter gewissen Verhältnissen zu gestatten sei, durchaus nicht 
vollkommen einig. 

Je mehr man nun jetzt die Ueberzeugung gewinnt, dass die 
„Selbstreinigung“ im wesentlichen nur aus den vereinten Wir¬ 
kungen der Verdünnung, Sedimentierung und Verzehrung organi¬ 
scher Substanz durch Lebewesen pflanzlicher und tierischer Art 
besteht, umsomehr muss man einsehen, dass diese Selbstreinigung 
für die Entfernung der gefährlichsten Bestandteile mensch¬ 
licher Ausscheidungsstoffe, der Krankheit erregenden Spalt¬ 
pilze so gut wie garnichts leistet. 

Es ist einwandsfrei nachgewiesen, dass sich der wesentlichste 
Parasit, der hier in Betracht kommt, der Typhusbacillus, in 
Wässern verschiedener Zusammensetzung sehr lange lebend er¬ 
halten kann, namentlich bei niederer Temperatur, und daher ganz 
ausserordentlich weite Strecken in einem Flusse zurückzulegen 
vermag. Gelangt eine grosse Masse Typhusbakterien in einen 
Strom, wie dies z. B. mit dem Urin von Typhuskranken oder Rekon¬ 
valeszenten geschehen kann, der zuweilen Milliarden Typhus¬ 
bazillen in einem einzigen Liter enthält, so kann diese Typhus¬ 
einsaat als eine Art Wolke im Flusse weite Strecken zurück¬ 
legen, ohne an Gefährlichkeit einzubüssen (Petruschky). Bereits 
1889 hat Kruse nachgewiesen, dass selbst im Rhein auf eine 
Strecke von 49 Kilometern noch nichts von einer Selbstreinigungs- 



80 


Dr. Diitschke: Die Reinhaltung der Wasserläufe 


kraft des Flusses za spüren sei and man kein Recht h&tte, eine 
bakteriologische Selbstreinigung des Wassers anzunehmen, 
sowie dass die Möglichkeit einer Selbstreinigung der Flüsse in 
sehr engen (Grenzen liegt (Bonne). Hiernach dürfen wir als 
sicher annehmen, dass Verdünnung des Wassers die Bakterien 
nicht tötet, und je weniger antagonistische Bakterien vorhanden 
sind, desto länger die krankheitserregenden Bakterien widerstehen. 

Wenn wir nunmehr, m. H., diese verschiedenartigen Schädi¬ 
gungen berücksichtigen, welche durch die Verunreinigungen 
unserer Wasserläufe in landwirtschaftlicher, gewerblicher und 
vor allem in gesundheitlicher Beziehung hervorgerufen werden, 
so muss sich uns unwillkürlich die Frage aufdrängen, wie es 
dann möglich war, dass man eine Verunreinigung unserer Fluss¬ 
läufe in Deutschland in so hohem Grade zuliess, und wie man es 
jetzt noch zulassen kann, dass viele Wasserläufe eine immer mehr 
zunehmende Verunreinigung erfahren, anstatt gesetzlich gegen 
diese Schädigungen vorzugehen P 

Prüft man noch, wer die Schuld an den heutigen Verhält¬ 
nissen trägt, so kommt man zu dem Schluss, dass den von der 
Bevölkerungszunahme und der Entwickelung der Industrie auf 
den Zustand der Wasserläufe ausgeübten Einflüssen nicht bei 
Zeiten von der Gesetzgebung und Verwaltung Rechnung getragen 
worden ist (Adam). Auf der einen Seite hat man die gesund¬ 
heitlichen, gewerblichen und landwirtschaftlichen Schädigungen, 
welche durch die Verunreinigungen der Wasserläufe verursacht 
wurden, und hierbei sind auch die Schädigungen der Fischzucht 
nicht ausser acht zu lassen, grösstenteils unterschätzt oder noch 
nicht ihrem vollen Umfang nach gekannt. Vielfach machen sich 
auch die Folgen der Zuleitung verunreinigender Flüssigkeiten in 
die Wasserläufe keineswegs in vollem Umfange von vorherein 
bemerkbar; die allmählich wachsenden Uebelstände werden lange 
Zeit ertragen, die Industrie erweitert sich, eine früher unbebaute 
Gegend wird rasch besiedelt und kultiviert und erst jetzt werden 
die Folgen der durch die Einleitung der Abwässer nach und nach 
bewirkten Verunreinigung eines Wasserlaufes wirklich fühlbar 
und unerträglich. Nicht unwesentlich hat an dieser Verschmutzung 
unserer Wasserläufe auch der Siegeszug der von England zu uns 
herübergekommenen Wasserklosets beigetragen, durch welche 
sowohl der Abort-Dünger für die Landwirtschaft völlig entwertet 
und nutzlos wurde, als auch Unmassen von Jauche dem nächsten Vor¬ 
fluter übergeben werden müssen, damit die Städte sich dieser 
Last schnell und möglichst billig entledigen. Auf der anderen 
Seite aber darf man sich auch die Schwierigkeiten nicht verhehlen, 
welche einer erschöpfenden gesetzlichen Regelung des Wasser¬ 
benutzungsrechts sowohl für die einzelnen Bundesstaaten, als für 
das Deutsche Reich allgemein entgegenstehen. Vielfach hat man 
auch aus Rücksicht auf verschiedene Industriezweige, an deren 
Aufblühen den einzelnen Staaten gelegen sein musste, die volle 
Schärfe der bestehenden gesetzlichen Bestimmungen nicht zur An¬ 
wendung bringen können oder wollen. Mit Recht weist in dieser 



Tom s&nitatapolizeilichen und rerwnltangsrechtlichen Standpunkt. 81 


Beziehung Adam auf den § 3 des preossisehen Gesetzes Aber die 
Priyatflüsse vom 28. Februar 1843 hin, welcher Paragraph sagt: 

.Das zum Betriebe von Färbereien, Gerbereien, Walken and ähnlichen An¬ 
lagen benutzte Wasser darf keinem Flusse zugeleitet werden, wenn dadurch 
der Bedarf der Umgegend an reinem Wasser beeinträchtigt oder eine er¬ 
hebliche Belästigung des Publikums verursacht wird. Die Entscheidung 
hierüber steht der Polizeibehörde zu;“ 

denn was wäre wohl ans unserer jetzt hochentwickelten Textil¬ 
industrie geworden, hätte man den § 3 dieses Gesetzes streng 
znr Durchführung gebracht? 

Hierzu kommt, dass für die Begierungen der einzelnen 
Staaten die Entscheidung darüber, was zur Verhütung der Ver¬ 
unreinigung der Wasserläufe in gesetzlicher Beziehung zu veran¬ 
lassen sei, deshalb immer schwieriger wurde, weil die Gutachten 
der über die Abwässerbeseitigung befragten Hygieniker und 
Wasserbautechniker, auf welche sich die Polizeibehörden bei ihrem 
Vorgehen doch stützen müssen, sich oft geradezu gegenüber¬ 
standen. Ich erinnere nur an das Kapitel der Selbstreinigung 
der Flüsse und verweise auf die Anschauungen der Münchener 
Schule über die Trinkwassertheorie. Daneben waren die ver¬ 
schiedenen Interessentengiuppen, wie z. B. die Stadtverwaltungen 
zu berücksichtigen, für welche es durchaus nicht gleichgültig sein 
konnte, ob sie ihre Abwässer ohne einen Pfennig Unkosten un¬ 
geklärt in den nächsten Vorfluter abführen dürfen, oder ob sie 
kostspielige, in ihrer Wirkung vielleicht noch zweifelhafte Klär¬ 
anlagen errichten müssen. Demgegenüber verlangte dann die 
Fischzucht und Landwirtschaft im Verein mit der öffentlichen 
Gesundheitspflege gebührende Berücksichtigung, so dass es ausser¬ 
ordentlich schwer halten musste, allen Forderungen gleichmässig 
gerecht zu werden. So konnte es nicht ausbleiben, dass die Ent¬ 
scheidungen und Massnahmen der einzelnen Begierungen, gestützt 
auf ihre jeweiligen technischen Gutachter verschieden ausfielen 
und oft geradezu gegensätzlich waren, wie Bayern z. B. für 
München die glatte Einleitung der gesamten Abwässer zugestand, 
während Preussen sie für Magdeburg versagte und sie für Cöln 
unter gewissen Bedingungen zugab. 

Bei dieser Sachlage erscheint es nur zu erklärlich, dass sieh 
im Laufe der Jahre die Stimmen nach einer reiehsgesetzliehen 
Regelung des Wasserrechts immer lauter und häufiger erhoben 
haben, und Juristen, Verwaltungsbeamte, Hygieniker und Industrielle 
immer von neuem wieder auf eine allgemeine gesetzliche Regelung 
dieser schwierigen Materie hindrängten, um der Verunreinigung 
unserer Flüsse, welche von Jahr zu Jahr zunahm, Einhalt zu 
gebieten. 

Als ein Verdienst des „Deutschen Vereins für öffentliche 
Gesundheitspflege“ müssen wir es ansehen, dass dieser mächtige 
und einflussreiche Verein, der sich aus Aerzten, Verwaltungs¬ 
beamten, Stadtgemeinden, Technikern, Juristen und Chemikern 
grösstenteils zusammensetzt, immer wieder von neuem die 
sanitär- und volkswirtschaftlich wichtige Frage der 

6 



82 Dr. Dütechke: Die Reinhaltung der Wasserlinie 

Verhütung der Flussverunreinigung und der sachgemässen 
Beseitigung der Abwässer, sowie der zu ergreifenden verwaltungs- 
rechtlichen und hygienischen Massnahmen auf die Tagesordnungen 
seiner Wanderversammlungen gesetzt hat, wie 1877 in Düssel¬ 
dorf, 1888 in Berlin, 1892 in Leipzig, 1902 in München und 1904 
in Danzig. 

Daneben hat nicht minder anregend der „Internationale 
Verein zur Beinhaltung der Flüsse, des Bodens und 
der Luft 8 , dessen verdienstvollen Vorsitzenden in unserer Mitte 
zu sehen, wir heute die Freude haben, durch seine wiederholten 
Eingaben an den deutschen Reichstag gewirkt! Erwähnt sei hier 
auch noch die Kundgebung des Deutschen Anwaltsvereins vom 
Jahre 1899, der die Schaffung eines einheitlichen deutschen 
Wasserrechtes empfahl; endlich möge auch noch auf die aus 
Fischerei- und landwirtschaftlichen Kreisen dieserhalb hervor¬ 
gegangenen, vielfachen Anregungen hingewiesen sein. 

Was nun, m. H., nach dem Vorausgeschickten den augen¬ 
blicklichen Rechtszustand hinsichtlich der Verunreinigung 
der Wasserläufe in Deutschland anbelangt, so ist es ja bekannt, 
dass nach Artikel 65 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen 
G-esetzbnch die landesgesetzlichen Vorschriften, welche das 
Wasserrecht betreffen, von jenem unberührt bleiben, ebenso 
die Vorschriften zur Beförderung der Entwässerung der Grund¬ 
stücke. Der augenblickliche Rechtszustand ist durch mehrere 
Entscheidungen des Reichsgerichts festgelegt, von denen die vom 
12. Juni 1886 und 12. November 1896 das grösste Interesse in 
Anspruch nehmen. 

Nach der Entscheidung vom 12. Nov. 1896 ist die Ansicht 
nicht zutreffend, dass der oberhalb liegende Uferbesitzer an einem 
Privatfluss sich jedes, den unterliegenden Besitzer irgendwie schä¬ 
digenden Zuflusses in den Fluss enthalten müsse. Die Flüsse 
dienen ihrer natürlichen Bestimmung zufolge zur Aufnahme und 
Abführung von Flüssigkeiten nnd die Grenze, die dabei im Interesse 
des unterliegenden Besitzers nicht überschritten werden darf, lässt 
sich aus den Grundsätzen des Nachbarrechts nicht dahin be¬ 
stimmen, dass jede Schädigung der unterliegenden Bewohner unter¬ 
bleiben müsse, sondern der Unterlieger muss solche Zuleitungen 
dulden, die das Mass des Regelmässigen, Gemeinüblichen nicht 
überschreiten, selbst wenn dadurch die absolute Verwendbarkeit 
des ihm zufliessenden Wassers zu gemeinbeliebigem Gebrauche 
irgendwie beeinträchtigt wird. 

Anders verhält es sich mit dem polizeilichen Einschreiten. 
Die Polizei ist an die Schranke des gemeinüblichen Masses nicht 
gebunden, sobald ein Gemeingebrauch, der nach Lage des Einzel¬ 
falles das gemeinübliche Mass vielleicht noch nicht überschreitet, 
die Gefahr einer Verletzung öffentlicher Interessen, insbesondere 
eine Gesundheitsgefahr in sich trägt (R.G. E. Bd. XVI, S. 181). 

Umgekehrt ist die Polizeibehörde aber nicht befugt, gegen 
eine, wenn auch das gemeinübliche Mass überschreitende Verun¬ 
reinigung vorzugehen, sofern daraus keine Gefahr für das Gemein- 



vom sanitätspolizeilichen and verwaltungsrechtlichen Standpunkt. 83 


wohl erwächst und auch kein Verstoss gegen die Strafgesetze 
vorliegt; denn znm Schutze rein privater Interessen ist die 
Polizei nicht berufen. (Vergl. § 10 Allg. Landr. II, 17 und § 6 
des Gesetzes vom 11. März 1850; siehe auch Holtz). Betreffs 
der Ueberschreitung des Gemeinüblichen sagt Prof. Dr. 
König: 

„Eine solche Ueberschreitang des Gemeinüblichen würde beispielsweise 
vorliegen, wenn eine derartige Menge in den Wasserlaof abgeführt würde, 
daß infolge dessen der Floß aastritt, oder auszatreten droht; wenn ferner in 
den Fluß Stoffe geleitet werden, welche nach ihrer Beschaffenheit den Grund¬ 
stücken des Unterliegers zu schaden fähig sind, wenn durch die Einführung 
von Flüssigkeiten das Wasser seine bisherigen Eigenschaften als Trink- oder 
Tränkewasser verliert und dergleichen mehr. Liegt eine solche Ueberschreitung 
vor, so muß der Begel nach ohne weiteres angenommen werden, daß hier¬ 
durch eine ungebührliche Belästigung des unterhalb liegenden Uferbesitzers 
verursacht und somit dessen Eigentumsrecht verletzt wird. 

Der unterhalb Liegende würde somit zur Anstellung seiner (Negatorien) 
Klage gegen den Oberliegenden den Nachweis seines Eigentums am Flusse 
und einer das Becht des Gemeinüblichen in quantitativer und qualitativer 
Beziehung überschreitenden Zuleitung durch den Oberliegenden zu führen haben. 
Eigentümer des Privatflusses sind aber die Eigentümer der Ufer. Das Eigen¬ 
tum des .Ufers wird bewiesen, wie überhaupt Eigentum von Grundstücken, also 
namentlich durch die Eintragung im Grundbuchamt. Beim Nachweis der 
Ueberschreitung des Maßes des Gemeinüblichen ist zu bemerken, daß diese 
Ueberschreitung abhängt von dem Zustande des Wassers oder seiner Wasser¬ 
menge, wie er sich an den Grundstücken des unterhalb Liegenden zeigt. Dem 
Oberliegenden bleibt aber der Nachweis frei, daß seine Zuleitung den Unten¬ 
liegenden nicht, oder nicht anders, wie der ganz gemeinübliche Gebrauch 
des Wasserlaufes belästigt, somit keine wirkliche Verletzung der Interessen 
des Unterliegenden, kein Schaden eingetreten ist.“ 

Die oben erwähnte, vom Reichsgericht ans allgemeinen Ge¬ 
sichtspunkten hergeleitete Rechtsanffassnng hat Übrigens auch im 
§ 906 des Bürgerlichen Gesetzbuches Anerkennung gefunden. Dem¬ 
gemäss hat das Reichsgericht in der Entscheidung vom 15. De¬ 
zember 1900 die Einführung von Schmutzwässern in einen Fluss, 
die das gewöhnliche Mass übersteigt, für eine nach § 906 des 
B.G.B. unzulässige Eigentumsstörung erachtet. 

Die Ausführungen des Reichsgerichts beziehen sich ausschliess¬ 
lich auf Privatflüsse. Für öffentliche Flüsse hat das Preuss. 
Oberverwaltungsgericht (Urteil vom 27. Nov. 1897)*) im wesentlichen 
in Uebereinstimmung mit den obigen Ausführungen des Reichsgerichts 
den Grundsatz aufgestellt, dass darin niemand ohne Genehmigung 
der zuständigen Behörde etwas vornehmen darf, was über den Ge¬ 
meingebrauch hinausgeht, sowie dass die Beseitigung dessen, was 
hiernach der Genehmigung bedürfte, aber die Genehmigung 
nicht erhalten hat, von der Polizeibehörde lediglich deshalb 
verlangt werden kann, weil es nicht genehmigt worden ist, und 
dass eine erteilte Genehmigung jederzeit widerruflich ist. Dieser 
Grundsatz muss auch für die Einleitung unreiner Stoffe in die 
Flüsse gelten (Holtz). 

Anderseits wird nach einer Entscheidung des Preussischen 
Oberverwaltungsgerichts *) vom 25. November 1895 eine Be¬ 
einträchtigung des Bedarfs an reinem Wasser durch Verun¬ 
reinigung des Flusswassers dann ausgeschlossen sein, wenn dieser 


») Band XXXII, Seite 263. *) Band XXIX, Seite 293. 


6* 



84 


Dr. Dütschke: Die Reinhaltung der Waes erlaufe 


Bedarf aas irgend welchen Ursachen — dahin würde eine bereits 
stark vorgeschrittene Verunreinigung gehören, die das Wasser za 
anderweitem Gebrauch ungeeignet macht — überhaupt nicht 
aus dem fraglichen Flusse gedeckt wird (Holtz). 

Für die Beurteilung der Frage, ob im Einzelfalle eine 
das Mass des Gemeinüblichen überschreitende Verunreinigung 
vorliegt, kommen nach Prof. Dr. König folgende Gesichtspunkte 
in Betracht: 

„Daß durch Zuleitung eines Abfallwaasers in einen Waaserlauf das 
Maß des Gemeinftblichen in qualitativer Hinsicht für einen bestimmt anzuge¬ 
benden Nutzungszweck überschritten ist, ergibt sich nur aus der chemischen bezw. 
bakteriologischen Untersuchung des betreffenden Abfallwassers und des Wassers 
des Flußlaufes vor und nach Aufnahme des Abfallwassers. Hierbei sind die 
durchschnittlichen, niedrigsten und höchsten Wassermengen des Flußlaufes zu 
berücksichtigen, ferner, ob die Menge der zugeleiteten Bestandteile des Abf&ll- 
wassers oder der erhöhte Gehalt, welchen der Wasserlauf durch die Zuleitung 
des Abfallwassers annimmt, den Wasserlauf für den betreffenden berechtigten 
Nutzungswert unbrauchbar macht. 

„Wenn hiernach bei Verunreinigung eines Wasserlaufes die Beweislast 
eine etwas schwierige ist, so dürfen wir doch die ganze Rechtslage als eine 
klare und durchsichtige bezeichnen und als wohl geeignet, die Beurteilung 
einer Verunreinigung eines Wasserlaufes in jedem Falle zu ermöglichen.“ 

Die Schwierigkeit liegt nur darin, dass wir bisher allgemein 
anerkannte Grundsätze für die Beurteilung nicht haben und im 
Einzelfalle stets auf das nach dem jeweiligen Stande der Wissen¬ 
schaft und Praxis zu erstattende sachverständige Gutachten an¬ 
gewiesen sind, um eine einigermassen gerechte Abwägung der 
Interessentengegensätze, sowie eine Beurteilung des überwiegen¬ 
den Nutzens oder Schadens eintreten zu lassen. Handelt es sich 
nun vom sanitätspolizeilichen Standpunkt aus um die Frage 
der Zulässigkeit der Einleitung von Abwässern in einen Fluss, 
so werden wir nach dem jetzigen Stande der Wissenschaft und 
den hygienischen Gewohnheiten von vornherein ein ungereinigtes 
rohes Flusswasser als Trinkwasser überhaupt nicht mehr zulassen 
oder anerkennen; solches wird bei uns in Deutschland auch kaum 
mehr zu Trinkwasserzwecken benutzt. Dahingegen findet fil¬ 
triertes Flusswasser noch vielfach als Trinkwasser Verwendung, 
wenngleich sich im Laufe der Jahre immer mehr das Bestreben 
geltend gemacht hat, vom filtrierten Flusswasser zum Grand¬ 
oder Quellwasser überzugehen. Ist aber diese Möglichkeit nicht 
vorhanden, muss das Wasser von Flüssen und Bächen zum Trinken 
benutzt werden, so muss auch für diese Gewässer eine erheblich 
höhere Reinheit gefordert werden, als dort, wo Flusswasser 
nicht als Trinkwasser benutzt wird. Dieselbe Forderung einer 
grösseren Reinhaltung eines Wasserlaufes muss da erhoben werden, 
wo das Grandwasser vom Flnss gespeist wird; denn wenn auch 
die Bodenfiltration die Suspensa und darunter die Bakterien ab- 
fangenkann, so ist doch noch nicht gesagt, dass sie das immer 
tut, die Porengrösse und der Druckunterschied sind die haupt¬ 
sächlich beeinflussenden Faktoren (Gärtner). 

Die Forderung, dass ein Wasserlauf nicht so verunreinigt 
sein dürfe, um ihn nicht noch als Gebrauchswasser oder zum 



vom sanitätapolizeilichen and yerw&Itangsreditlichen Standpunkt. 85 


Baden znznlassen, wird sich in industriellen Gegenden schwerlich 
flberall durchführen lassen; man wird hier, einer blühenden 
Industrie zu Liebe, gewiss besser davon absehen und für eine 
andere Badegelegenheit und anderweite Beschaffung von Gebrauchs- 
wasser sorgen. 

Zu den schwierigsten Aufgaben mit gehört es, die For¬ 
derungen der Industrie in betreff Ableitung ihrer Abwässer mit 
den Forderungen der Fischzucht und Landwirtschaft in Ein¬ 
klang zu bringen, denn alle drei haben den gleichen Anspruch 
auf Schutz. Die grösseren und wichtigeren Interessen müssen 
hier stets den Vorrang behaupten, wenn auch selbstverständlich 
das Wohl und Wehe der einen oder anderen Interessentengruppe 
nicht dominierend in den Vordergrund gestellt werden darf. 
(Gärtner). 

Diese allgemeinen Gesichtspunkte können uns daher bei der 
Begutachtung der Zulässigkeit der Zuleitung von Abwässern in 
einen Wasserlauf als Bichtschnur dienen und bieten uns gleich¬ 
zeitig einen gewissen Massstab für die zu stellenden sanitäts¬ 
polizeilichen Forderungen hinsichtlich der Klärung und Reinigung 
der Abwässer vor ihrer Einlassung in den betreffenden Wasserlanf. 

Wie vorhin, m. H., von mir schon angeführt wurde, bleiben 
gemäss Artikel 65 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen 
Gesetzbuch die landesgesetzlichen Vorschriften unberührt, welche 
dem Wasserrecht angebören. Es ist daher vielleicht nicht ganz 
ohne Interesse, in unseren deutschen Landen einmal Umschau zu 
halten, welche gesetzlichen Bestimmungen die Einzelstaaten hin¬ 
sichtlich des Schutzes der Reinhaltung ihrer Wasserläufe haben. 
Zu diesem Zwecke habe ich mir erlaubt, eine Zusammstellnng 
der wichtigsten einschlägigen gesetzlichen Bestim¬ 
mungen anzufertigen, die Ihnen, um Sie nicht mit dem Vorlesen 
derselben zu ermüden, gedruckt übergeben ist. Ich verdanke das 
reiche Material zu dieser Zusammenstellung dem liebenswürdigen 
Entgegenkommen zahlreicher Herren Kollegen unseres Vereins, 
denen meinen verbindlichsten Dank auszusprechen, ich auch von 
dieser Stelle aus nicht unterlassen möchte. 

Aus dieser etwas mosaikartigen Zusammenstellung, m. H., 
wollen Sie zunächst ersehen, dass in Deutschland die ständige 
hygienische Ueberwachung der Wasserläufe noch 
sehr zu wünschen übrig lässt und nach meiner Kenntnis nur 
Preussen, Württemberg, Baden, Sachsen und Mecklenburg-Schwerin 
eine geregelte Flussschau unter Beteiligung der Medizinalbeamten 
hat, dass überhaupt in den erlassenen Gesetzen mit wenigen 
Ansnahmen der Hygiene fast gar nicht näher Rechnung 
getragen ist, sondern meist nur die Interessen der Landwirt¬ 
schaft, Fischzucht und die Erhaltung der Vorflutverhältnisse berück¬ 
sichtigt sind. 

Sie wollen aber weiter aus der Zusammenstellung ent¬ 
nehmen, dass bis jetzt nur das Königreich Württemberg seit dem 
1. Dezember 1900 ein besonderes Wassergesetz besitzt und im 
Anschluss hieran eine Ministerialverfügnng vom 16. November 



86 


Dr. Dütachke: Die Beinbaitang der Wasserlinie 


1901 den Vollzog dieses Gesetzes regelt. In den anderen deutschen 
Bundesstaaten sind die Bestimmungen, betreffend die Reinhaltung 
der Wasserläufe, entweder durch allgemeine wassergesetzliche 
Bestimmungen oder durch besondere Verordnungen geregelt. In 
Bayern soll nach einer mir götigst gewordenen Mitteilung im 
kommenden Landtag eine Revision des Bayerischen Gesetzes vom 
28. Mai 1852, die Benutzung des Wassers betreffend, erfolgen, 
wobei hoffentlich die hygienischen Forderungen hinsichtlich der 
Einleitung der Abwässer und der Reinhaltung der Wasserläufe 
eine gebührende Berücksichtigung erfahren und auch die Tätig¬ 
keit der Medizinalbeamten bei den anzuordnenden regelmässigen 
Flussbesichtigungen zu einer obligatorischen umgestaltet wird. 

Für das Königreich Preussen war im Jahre 1894 ein Wasser¬ 
gesetz ausgearbeitet; dasselbe ist aber, da sich ge(gen die l&ndes- 
gesetzliche Regelung der Massnahmen zur Reinhaltung der Gewässer, 
besonders aus der Verschiedenheit der örtlichen und wirtschaft¬ 
lichen Verhältnisse zwischen den einzelnen Provinzen und selbst 
innerhalb derselben Provinz, ausserordentliche Schwierigkeiten 
ergaben, wieder zurückgestellt worden, zumal es keine Aussicht 
auf Annahme hatte. 

Inzwischen ist nun, wie aus der Zusammenstellung hervor¬ 
geht, von den preussischen Ministern der Landwirtschaft, des 
Handels, der Medizinalangelegenheiten und der öffentlichen Ar¬ 
beiten unter dem 20. Februar 1901 eine allgemeine Verord¬ 
nung, betreffend die Fürsorge für die Reinhaltung der Gewässer, 
ergangen, welche in 6 Abschnitten diejenigen Massnahmen angibt, 
welche auf Grund der bestehenden Gesetzgebung ergriffen werden 
können, um den Uebelständen entgegenzutreten. Durch diese 
Verordnung wird vor allem eineUeberwachung der Gewässer 
der einzelnen Bezirke durch Exekutivbeamte angeordnet, wobei 
dem zuständigen Baubeamten, dem Gewerbeinspektor und dem 
Medizinalbeamten stets Gelegenheit gegeben werden soll, sich 
an den alle 2—8 Jahre stattfindenden Begehungen der Wasser¬ 
läufe zu beteiligen. In dieser letzteren Anordnung liegt ohne 
Frage ein bedeutsamer, hygienischer Fortschritt! 

Als eines der neuesten und interessantesten Gesetze ist so¬ 
dann für Preussen noch das Gesetz vom 14. Juli 1904, 
betreffend Bildung einer Genossenschaft zur Rege¬ 
lung der Vorflut und zur Abwässerreinigung im Em- 
schergebiet, hervorzuheben, weil es auf genossenschaftlicher 
Grundlage diesen Zweck zu erreichen sucht. 

Zwischen den beiden Nebenflüssen des Rheins, der Ruhr und 
Lippe, liegt das rheinisch-westfälische Industriegebiet, ein Land¬ 
strich, welcher sich wie kaum ein zweiter in Deutschland in der 
letzten Zeit entwickelt hat und dessen Industrie als die be¬ 
deutendste bezeichnet werden muss. Ein grosser Teil dieses 
Landstriches, der im ganzen eine Längenausdehnung von 100 Kilo¬ 
metern hat, entwässert nach der Emscher, einem ursprünglich 
kleinen Bach, der sich aber infolge der ihm zugeleiteten Abwässer 
zu einem grossen Flusslauf erweitert hat. Die ohnehin stets 



Tom s&nit&tspolizeüichen und verw&ltangsrechtlichen Standpunkt 87 


ungünstigen Entwässerungs Verhältnisse dieses Bezirkes erfahren 
im Lanfe des in den letzten 50 Jahren sich immer mehr ent* 
wickelnden Steinkohlenbergbaues und der sich hieran schliessen* 
den Hüttenindustrie eine fortlaufende Verschlechterung. Das in 
den letzten 20 Jahren auf l l /s Million erfolgte Anwachsen der 
Bevölkerung veranlasste die Anlage künstlicher Wasserleitungen, 
die das aus dem Vorflutgebiete der Ruhr entnommene Wasser 
nach der Benutzung der Emscher wieder zuführten. Hierdurch und 
durch das aus den Bergwerken geförderte Grubenwasser wurde die 
Menge der Abwässer vervielfacht; es entstanden ausserdem künst¬ 
liche Städtekanalisationen, die das Tages- und Verbrauchswasser 
schnell ableiteten. Diese rapide Entwickelung musste für die 
Entwässerungsverhältnisse unausbleibliche Unzuträglichkeiten im 
Gefolge haben; zwei Gefahren waren es vornehmlich, welche die 
Zukunft des ganzen Landes auf das empfindlichste bedrohten, die 
Verunreinigung der Wasserläufe infolge der Besiedelung der 
Gegend und die Bodensenkungen infolge des Bergbaues. Unter 
diesen Verhältnissen brach sich in den beteiligten Kreisen immer 
mehr die Ueberzeugung Bahn, dass die bisherige Art der Ab¬ 
wässerbeseitigung einer Abänderung dringend bedürfe und dass die 
vorhandenen Uebelstände durch die von den Gemeinden und indu¬ 
striellen Werken bisher getroffenen Einzel Vorrichtungen nicht 
behoben werden können, dass vielmehr nur die gemeinschaft¬ 
liche Durchführung eines neu aufzustellenden einheitlichen 
Projektes, das den Anforderungen der Vorflut und der Hygiene 
in gleicher Weise gerecht werde, zum Ziele führen werde. Nach 
jahrelangen schwierigen Verhandlungen zwischen den zu zwei 
Provinzen gehörenden Kreisen und Städten gelang die Bildung 
einer Genossenschaft, wobei die Städte und Landkreise 
gewissermassen die Repräsentanten der Genossen bilden, während 
die nicht unbedeutenden Lasten von den Interessenten getragen 
werden. Es ist ein umfangreiches Projekt ausgearbeitet worden, 
dessen Ausführung sich auf über 25 Millionen Mark beläuft und 
das eine Begradigung des stark gewundenen Flusslaufes, eine 
möglichst weitgehende Beseitigung der Stauwerke, eine Vertiefung 
der Sohle um rund 3 Meter und die Anlage von Klärvorrichtungen 
vorsieht. Man darf mit Recht gespannt sein auf die Wirkung 
der gesetzlichen Emscherregulierung, welche geeignet erscheint, 
Ar viele verunreinigte Wasserläufe vorbildlich zu wirken! 

Wenn sich schon, wie ich eben erwähnte, in Preussen für 
das Zustandekommen eines allgemeinen Wassergesetzes ausser¬ 
ordentliche Schwierigkeiten in den Weg stellten, so trifft dies für 
das Deutsche Reich wegen der Verschiedenheit der örtlichen und 
wirtschaftlichen, sowie gesetzlichen Verhältnisse in weit höherem 
Masse zu; die Folge davon ist, dass wir noch lange Zeit auf 
den Verwaltungsweg angewiesen sein werden. 

Dementsprechend konnte auch bei der Reichtagsverhandlung 
am 30. April 1904 über die Petition des Internationalen Vereins 
zur Reinhaltung der Flüsse um „Schaffung eines Reichsfluss¬ 
schutzgesetzes mit Exekutivbehörden, welche unabhängig den 



88 Dr. Dütschke: Die Reinhaltung der Wasserlinie 

Magistraten da* Städte und dem Einfluss der Industriellen gegen- 
überstellen“ die Antwort des Regiemngskommissars nicht andere 
als dahin lauten, dass es den betreffenden Landesregierangen 
überlassen bleiben müsse, je nach den vom gesundheitlichen Stand¬ 
punkte gebotenen Rücksichten die Genehmigung zur Einleitung 
von Abw&ssern in ein öffentliches Gewässer zu versagen oder 
nur unter entsprechenden Bedingungen zu erteilen, und dass es 
sieh empfiehlt, zunächst abzuwarten, wie der auf Grund des § 43 
des Reichsgesetzes zur Bekämpfung gemeingefährlicher Krank¬ 
heiten vom 30. Juni 1900 gebildete Gesundheitsrat werden wird, 
bei dem ein Ausschuss für Wasserversorgung und Beseitigung 
der Abfallstoffe, einschliesslich Reinhaltung der Gewässer, durch 
Beschluss des Bundesrats vom 25. April 1901 errichtet ist. Der 
Reichsgesundheitsrat soll eine begutachtende und vermittelnde 
Tätigkeit ausüben bei Angelegenheiten und Einrichtungen, welche 
die aus gesundheits- und veterinärpolizeilichen Rücksichten ge¬ 
botene Reinhaltung der das Gebiet mehrerer Bundesstaaten 
berührenden Gewässer betreffen; er soll über Streitigkeiten, 
die auf dem vorbezeichneten Gebiete zwischen mehreren 
Staaten entstehen, einen Schiedsspruch abgeben, aber auch be¬ 
fugt sein, auf dem in Rede stehenden Gebiete durch Vermittelung 
des Reichskanzlers (Reichsamt des Innern"! Anregungen zur Ver¬ 
hütung drohender Misstände oder zur Verbesserung vorhandener 
Zustände zu geben. 

Wenn hiernach auch dem Gutachten des Reichsgesundheits¬ 
rats eine unmittelbare verbindliche Kraft nicht zukommt, so hat 
doch bei dem Ansehen, welches sein aus den hervorragendsten 
Sachverständigen zusammengesetzter Ausschuss für Wasserver¬ 
sorgung geniesst, sein Urteil bisher stets die gebührende Beach¬ 
tung gefunden. Am 20. Mai 1901 trat der Reichsgesundheitsrat 
zum ersten Mal nach seiner Konstituierung zusammen und als 
erste Aufgabe wurde ihm die Frage der Regelung der Mann¬ 
heimer Schwemmkanalisation vorgelegt. In rascher Folge ist 
sodann seine Tätigkeit oft in Anspruch genommen worden; ich 
darf nur an das Gutachten betr. die Einleitung der Abwässer 
der Stadt Mainz in den Rhein vom 9. Mai 1903 und den Streit¬ 
fall zwischen den Städten Karlsruhe und Speyer erinnern! 

Interessieren dürfte es ferner, dass gerade in den nächsten 
Tagen auf Veranlassung des Herrn Reichskanzlers der Gesund¬ 
heitsrat sich wieder versammeln wird, um eine Bereisung des 
Rheines anzutreten und die vorhandenen Verunreinigungen fest¬ 
zustellen; an dieser Bereisung Teil zu nehmen, hat mein Herr 
Korreferent den ehrenvollen Auftrag erhalten, gemeinsam mit des 
Vertretern der anderen Bundesstaaten, deren Gebiet ebenfalls vom 
Rhein durchflossen wird. 

Im übrigen bildet ja bekanntlich der § 76 der Reichsver¬ 
fassung die Handhabe, im gegebenen Fall die vom Reichsgesund¬ 
heitsrat erstatteten Gutachten zur entsprechenden Geltung zu 
bringen, da nach'*§ 76 Streitigkeiten zwischen verschiedenen 
Bundesstaaten, sofern dieselbe nicht privatrechtlicher Natur und 



vom s&nit&tspoiizeüichen and verwaltangsrechtlichen Standpunkt. 89 

daher von kompetenten Gerichtsbehörden zu entscheiden sind, auf 
Anrufen eines Teiles von dem Bandesrat erledigt werden (Adam). 

In richtiger Erkenntnis und Würdigung der hohen Bedeu- 
tang, welche nicht nnr in streitigen Fällen, sondern überhaupt 
der gutachtlichen Tätigkeit über Abwässerbeseitigung und Fluss- 
vernnreinigung dem hygienisch technischen Gutachten zukommt, 
ist bekanntlich für Preussen seit dem 1. April 1901 die König* 
liehe Versuchs- und Prüfungsanstalt für Wasserversor¬ 
gung und Abwässerbeseitigung errichtet und der Medizinal¬ 
abteilung des Kultusministeriums angegliedert worden. Die er- 
spriessliche Tätigkeit, welche dieses junge Institut in den wenigen 
Jahren seines Bestehens bereits entfaltet hat, beweist am besten 
die lange erkannte Notwendigkeit, wissenschaftliche Untersuchungen 
im Grossen auf diesem Gebiete zur Verhinderung der Flussver- 
unreinigungen anzustellen; aus dem Munde eines Mitgliedes 
der erwähnten Anstalt, meines Herrn Korreferenten, der sich auf 
diesem Gebiete des Studiums der Abwässerbeseitigung ja eines 
besonderen spezialistischen Rufes erfreut, werden Ihnen nachher 
die neueren Untersuchungs- und Prüfungsmethoden der Abwässer¬ 
beseitigung vorgetragen werden. Ich zweifele keinen Augenblick, 
dass Sie hiernach die Ueberzeugung gewinnen werden, dass wir 
auf dem besten Wege sind, hinsichtlich dieser sanitär und volks¬ 
wirtschaftlich so wichtigen Frage nach und nach zu einem alle 
Interessen berücksichtigenden befriedigenden Abschluss zu ge¬ 
langen. 

Als einen besonders wertvollen Fortschritt, den die jüngsten 
Jahre zu verzeichnen haben, möchte ich es noch ansehen, dass 
die Prüfangs- und Versuchsanstalt in Berlin durch die Einführung 
besonderer Unterweisungskurse für Medizinalbeamte, Gewerbe- 
aufsichts- und Baubeamte dafür gesorgt hat, dass die hier in der 
Anstalt auf Grund exakter Untersuchungen und Beobachtungen 
gewonnenen Erfahrungen das Gemeingut derjenigen Beamten 
gerade werden, welche in erster Linie berufen sind, über die 
Reinhaltung der Wasserläufe zu wachen und die Projekte der 
Abwässerbeseitigung vom technischen Standpunkte aus zu prüfen. 

Neben der in fast allen Bundesstaaten angeordneten medi- 
zinalbeamtlichen Begutachtung der nach den §§16 und 25 der 
Reichs-Gew.-O. konzessionspflichtigen Neuanlagen, halte ich für 
eine der wirksamsten Verwaltungsmassnahmen zur Verhütung der 
Fluss Verunreinigungen die in dem 1. Abschnitt der erwähnten 
preussischen Verordnung vom 20. Februar 1901 vorgesehene Auf¬ 
sicht über die Flüsse, welche bei der Gelegenheit der Fluss¬ 
begehungen durch den zuständigen Baubeamten, Gewerbeinspektor 
und Medizinalbeamten ausgeübt wird; sie besteht in Sachsen, 
Württemberg, Baden und Mecklenburg-Schwerin ebenfalls, wäh¬ 
rend in zahlreichen anderen Bundesstaaten zwar Flussschauen 
angeordnet sind, aber ohne Beteiligung der Medizinalbeamten. 

Und doch erscheinen die hier für Preussen angegebenen 
immerhin vortrefflichen Massnahmen noch nicht ausreichend,$ um 
der leider noch immer zunehmenden Verunreinigung der Wasser- 



90 Dr. Dütschke: Oie Reinhaltung'der Wasserläufe 

lftnfe rechtzeitig vorzubeugen, -wie schon Prof. Dr. Gärtner im 
Jahre 1902 auf der 27. Versammlung des Deutschen Vereins für 
Öffentliche Gesundheitspflege in München gelegentlich seines Vor* 
träges über „die hygienische Ueberwachnng der Wasserläufe‘ 
nachwies. 

Jeder Medizinalbeamte, der bisher Gelegenheit gehabt hat, 
solchen Flussschauen oder Begehungen beiznwohnen, wird mir 
darin beistimmen, dass es zunächst als ein Mangel bezeichnet 
werden muss, dass bei diesen kommissarischen Begehungen nur 
die grösseren und wichtigeren Flüsse bezw. Wasserläufe vorwie¬ 
gend berücksichtigt werden und die der Verschmutzung oft weit 
mehr ausgesetzten Bäche und kleinen Flnssläufe bisher zu wenig 
Beachtung gefunden haben. In Preussen ist ja nun zwar durch 
§76 der Dienstanweisung für die Kreisärzte Fürsorge getroffen, 
dass letztere der Reinhaltung der Wasserläufe fortlaufend aus 
eigenem Antriebe, sobald Missstände zu ihrer Kenntnis gelangen, 
ihre Aufmerksamkeit zu widmen haben. Die Erfahrung hat aber 
zur Genüge gelehrt, dass die von den Kreisärzten zur Verhütung 
der Verunreinigung der Flussläufe gemachten Vorschläge in den 
meisten Fällen den Interessenten als zu weit gehend und als ein 
tiefeinschneidender Eingriff in ihre persönlichen Rechte und In¬ 
teressen erschienen und dann zu den alljährlich im preussischen 
Abgeordneten- und Herrenhause bei Gelegenheit der Beratung 
des Medizinaletats stets wiederkehrenden unberechtigten Klagen 
über den „Uebereifer der Kreisärzte 8 führten, die nicht das 
volle Verständnis dafür besässen, das Wünschenswerte vom Not¬ 
wendigen und das praktisch Erreichbare vom Undurchführbaren 
zu unterscheiden! Diese unbegründeten Klagen über zu weit¬ 
gehende Forderungen sind ja wiederholt auch seitens der Industrie 
hinsichtlich der Gewerbeaufsichtsbeamten laut geworden. Ich 
glaube daher, dass die Persönlichkeit des einzelnen Medizinal¬ 
oder Gewerbeaufsichtsbeamten bei Beurteilung der Vorschläge 
über eine zweckmässige und einwandsfreie Behandlung der Ab¬ 
fallstoffe und Abwässer, besonders im Hinblick auf die finanziell 
nicht unbedeutenden Konsequenzen, der Autorität einer Kom¬ 
mission gegenüber zurückstehen muss, und erachte deshalb die 
Einsetzung einer ständigen Kommission zur Ueberwachnng dei 
Wasserläufe im Sinne der Gärtner sehen Ausführungen für weif 
aussichtsvoller. 

Auch bin ich der Ansicht, dass die Flussbegehungen schon 
jetzt im Rahmen der ministeriellen Anordnung für Preussen Er- 
spriessliches erreichen können, wenn der Schwerpunkt der Be¬ 
sichtigungen weniger auf die wassertechnische Seite, die Störung 
der Vorflut usw., als vielmehr auf die hygienische Seite gelegt 
wird und dementsprechend auch die auf Grand der betreffenden 
Feststellungen zu erlassenden Verfügungen an die Interessenten 
den gesundheitlichen Zweck der Flussschau mehr zum Ausdruck 
und zur Geltung bringen. 

Ich halte es aber nicht für wünschenswert, dass der Kom¬ 
mission, wie Prof. Dr. Gärtner dies will, das Recht beigelegt werde, 



vom sanitfttspolizeilichen and verwaltungsrechtlichen Standpunkt. 91 


Prozesse za fahren and Strafen zn verfügen. Die Kommission wird 
ihren Zweck weit besser erfüllen, wenn sie nichts anderes ist, 
als eine im Auftrag der zuständigen Landespolizeibehörde, also 
des betreffenden Regierungspräsidenten tätige Kommission, die 
ihre Wahrnehmungen in Gestalt eines Protokolls der zuständigen 
Aufsichtsbehörde übermittelt, die dann anf Grund des Protokolles 
die erforderlichen sanitäts-, wassser-, gewerbepolizeilichen Mass- 
regeln anordnet and für deren [Darchführnng durch die zu- 
ständigen Polizeibehörden Sorge trägt. Aus diesem Grande 
möchte ich es auch als richtiger ansehen, dass für die durch die 
Begehung der Wasserläufe entstandenen Kosten nicht die Inter¬ 
essenten, wie Gärtner dies vorschlägt, sondern der Staat auf- 
kommt, der seinen Beamten im „allgemeinen Interesse“ den Auf¬ 
trag zu den Begehungen erteilt, wie dies bisher in Preussen schon 
geschieht. 

Die weiter von Geheimrat Prof. Dr. König in Münster zu den 
Gärtnersehen Vorschlägen erhobene Forderung, noch einen Che¬ 
miker ausser dem Medizinal-, Gewerbeaufsichts-, Bau- und Ver¬ 
waltungsbeamten zu der Kommission hinzuziehen, erscheint beach¬ 
tenswert, da bei der Beurteilung der Verunreinigungen der Wasser¬ 
läufe die chemischen Vorgänge neben den hygienischen Verhält¬ 
nissen meist eine wichtige Rolle spielen. 

Nach der Preussischen Verordnung vom 20. Februar 1901 
wird den betreffenden technischen Beamten „nur die Gelegenheit 
geboten“, sich an den Flussbegehungen zu beteiligen; es sollte 
dafür die Teilnahme der erwähnten Beamten überall obligatorisch 
gemacht werden. Leider ist, wie eine Rundfrage bei den Herren 
Kollegen der Einzelstaaten ergeben hat, die Beteiligung der v Me¬ 
dizinalbeamten bei den Flussbegehungen nur in wenigen Bundes¬ 
staaten direkt vorgeschrieben; die Besichtigung wird vielmehr 
nur von den Wasserbau- bezw. Meliorationsbaubeamten vorge¬ 
nommen und nach Bedürfhis nur im Einzelfall ein Medizinal) 
beamter zugezogen. Die Flussüberwachung muss eben, wie 
Gärtner zutreffend sagt, nicht etwas Beiläufiges, so eine Ar- 
recht unbequemer, anstrengender und undankbarer Nebenbeschäf¬ 
tigung sein, sondern einen festen integrierenden Teil der Tätig¬ 
keit der Medizinalbeamten bilden. 

Die Hauptsache bleibt allerdings stets, dass die Aufsichts¬ 
behörden, sobald irgendwelche durch die Zuleitung von Abwässern 
hervorgerufene Missständen festgestellt worden sind, an der Hand 
der ihnen zu Gebote stehenden gesetzlichen Bestimmungen auf 
die Abstellung dieser Missstände dringen und diese kontrol¬ 
lieren. 

Mit Recht sagt Prof. Dr. Gärtner: 

„Schon jetzt wird den Städten and der Industrie ein gewisses Maß der 
Reinigung ihrer Abwässer aufgegeben; aber bald, namentlich wenn eine fort¬ 
laufende scharfe Kontrolle nicht besteht, werden die betreffenden Vorschriften, 
besonders wenn es sich um eine nach und nach eintretende Vermehrung der 
Abwässer handelt, denen die ursprünglich verlangten Kläranlagen nicht mehr 
genügen können, nicht weiter beachtet and der ganze Unrat gelangt in die 



92 Dr. Dütschke: Die Reinhaltung der Waase rl&ofe 

Flüsse; diese Misstände würden ohne Frage bei Handhabung einer regel¬ 
mäßigen scharfen Kontrolle in dem oben erwähnten Sinne beseitigt werden. 

Die Wasserläufe sind einmal die natürlichen Rezipienten für unsere 
Abwässer, denn wo sollten letztere bleiben, wenn wir sie nicht den Flüssen 
übergeben könnten. Den Städten steht nicht überall ein geeignetes und ge¬ 
nügendes Rieselgelände zur Verfügung, die Industrien können nicht alle 
Abwässer verdunsten, sondern müssen sie dem nächsten geeignetsten Vorfluter 
zuführen, aber Städte und Industrie dürfen nicht alle in ihnen enthaltenen 
Unreinlichkeiten mit in das Wasser ableiten" 

Alle gesetzlichen Massnahmen aber, m. H., welche die Zu¬ 
leitung der Abwässer in die Wässerlänfe nur gestatten, wenn die 
Abwässer vorher unschädlich gemacht sind, helfen uns nicht, wenn 
es der Technik nicht gelingt, solche Methoden der Abwässerrei- 
nigung ausfindig zu machen und sicher zu stellen, welche die In¬ 
teressen der Gesundheitspflege, der Industrie, der Landwirtschaft 
und Fischzucht gebfthrend berücksichtigen und welche auch die 
volkswirtschaftliche Seite genügend im Auge behalten, so dass 
ihrer finanziellen Durchführung keine Schwierigkeiten entgegen- 
stehen. Dabei müssen, wie schon vorher bei Abschätzung und 
Abwägung der Interessen erwähnt, die grösseren und wichtigeren 
Interessen stets den Vorrang behaupten. Es wird aber immer 
Fälle geben, wo es der Technik nicht gelingen wird, die Abwässer 
so zu reinigen, dass jede Verunreinigung des Vorfluters vermieden 
wird; unter Umständen werden deshalb ganze Bachläufe preisge¬ 
geben werden müssen, um eine blühende Industrie auch fernerhin 
konkurrenz- und lebensfähig zu erhalten. Wir können bei der For¬ 
derung der Reinigung der verschiedenen Abwässer unmöglich ver¬ 
langen, dass daraus Trinkwasser geschaffen wird, oder dass eine 
untergeordnete Fischzucht einer steuerkräftigen Industrie gegen¬ 
über bestehen bleibt. 

Die Behandlung unreiner Abwässer ist ein Zweig der Technik 
und bildet, wie Hauberschmidt zutreffend ausführt, heute 
eine technische Spezialität. Wie in manchen anderen technischen 
Spezialitäten spielte auch in der Reinigungstechnik der em¬ 
pirische Versuch, dem erst nachträglich aufklärend die wissen¬ 
schaftliche Forschung folgte, eine hervorragende Rolle. Die 
Klärtechnik ist aus England, dem Lande der Praktiker, zu 
uns nach Deutschland, dem Lande der Wissenschaft, gelangt 
Unter dem Drucke schlimmer Wasserverhältnisse und eines dra¬ 
konischen Gesetzes hat das englische Volk seit Jahren ungeheure 
Geldmittel aufgewandt, um durch Versuche im Grossen zu prak¬ 
tischen Methoden, Abwässer zu reinigen, zu gelangen. Diesem 
Beispiele folgte die in den engsten Handelsbeziehungen zu Eng¬ 
land lebende Stadt Hamburg zuerst, deren Senat, dem Rate seines 
hygienischen Vertrauensmanns folgend, mit fürstlicher Munifizenz 
schon seit Jahren Mittel für jene Versuche gewährt, die praktisch 
und wissenschaftlich für die Entwickelung der Sache eine nicht 
geahnte Bedeutung erlangen sollten. 

Der hohe Stand, den die Technik der Abwässerreinigung im 
Laufe der letzten Jahre, besonders seit Errichtung der König¬ 
lichen Versuchs- und Prüfungsanstalt für Wasserversorgung und 



tom sanitätspolizeilichen und Terw altungsrechtlichen Standpunkt. 93 


Abwässerbeseitigang in Berlin, erreicht hat infolge der dort vor- 
genommenen systematischen Arbeiten, bietet nns die beste Gewähr 
dafür, dass die Frage einer sachgemässen Reinigung der Abwässer 
ohne welche eine Reinhaltung unserer Wasserläufe ausgeschlossen 
sein muss, immer mehr einer befriedigenden Lösung entgegengeht. 

Ich zweifle nicht daran, dass, wenn die Technik uns hier 
helfend zur Hand geht, auch die Sanitätspolizei und die Ver¬ 
waltungsgesetzgebung dann die richtigen Konsequenzen aus dem 
Gebotenen zu ziehen vermag und wir ferner dann auch nicht mehr 
der Verunreinigung unserer Wasserläufe in Deutschland machtlos 
gegenftberstehen werden! 1 ) 

(Lebhafter Beifall.) 

Von dem Referenten waren folgende Leitsätze aufgestellt: 

1. Die in Deutschland bestehenden hochgradigen Verun¬ 
reinigungen zahlreicher Wasserläufe bedeuten eine grosse gesund- 

*) Literatur: 

Dr. G. Adam: Der gegenwärtige Stand der Abwässerfrage. Braun¬ 
schweig 1905. 

Bonne: Ueber die militärische Bedeutung der Beinhaltung unserer 
deutschen Gewässer. Leipzig 1904. 

F. W. Büsing: Die Städtereinigung. Jena 1895. 

Dr. Burckhardt: Die Abfallwässer und ihre Beinigung. Berlin 1897. 

Dr. 0. Dämmer: Handwörterbuch der öffentlichen und privaten 
Gesundheitspflege. 1891. 

Dr. F. Fischer: Das Wasser, seine Verwendung, Beinigung und 
Beurteilung. 1891. 

Dr. C. Flügge: Grundriß der Hygiene. Leipzig 1894. 

Dr. Holtz: Die Fürsorge für die Beinhaltung der Gewässer, auf 
Grund der allgemeinen Verfügung vom 20. Februar 1901. Auf amtliche Ver¬ 
anlassung erläutert. Berlin 1902. 

Dr. J. König: Die Verunreinigung der Gewässer, deren schädliche 
Folgen, sowie die Beinigung von Trink- und Schmutzwasser. 1899. 

Derselbe: Maßnahmen gegen die Verunreinigung der Flüsse. 
Berlin 1903. 

Dr. C. Petruschky: Flußverunreinigung und Volksbäder, nach einem 
Referate auf der Tagung des Deutschen Vereins für Volksbäder 1903 in Danzig. 

Dr. 0. Bapmund: Der beamtete Arzt und ärztliche Sachverständige. 
Berlin 1904. Bd. II. 

Dr. C. Weigelt: Ueber den Stand der Wasserverunreinigungen in den 
westlichen Kulturstaaten. Internationaler Fischereikongreßl902 in Petersburg. 

Dr. Weyl: Flußverunreinigung, Klärung der Abwässer, Selbstreinigung 
der Flüsse. 1897. 

Entwurf eines Gesetzes, betr. Bildung einer Genossenschaft zur Begelung 
der Vorflut und zur Ab wässer reinigung im Emschergebiet. (Herrenhaus, Nr. 28 
der Drucksachen 1904). 

Supplement-Bände zur Deutschen Vierteljahrsschrift für öffentliche Ge¬ 
sundheitspflege: Jahresberichte über die Fortschritte und Leistungen auf 
dem Gebiete der Hygiene für 1900 (Band XXXIII), 1901 (Band XXXIV), 1902 
(Band XXXV). 

Verhandlungen des Vereins für öffentliche Gesundheitspflege. Sonder¬ 
abdruck aus der Vierteljahrsschrift für öffentliche Gesundheitspflege. Band 
XXXV, Heft 1. 

Vierteljahrsschrift für gerichtliche Medizin und öffentliches Gesundheits¬ 
wesen: 1897, Band XIII und XIV; 1898, Band XVI, Supplement; 1901, Band 
XXI, Supplement; 1904, Band XXVHI. 



94 Leitsätze zü dem Vortrag: Die Reinhaltung der Wasserlinie nsw. 


heitliche and wirtschaftliche Gefahr; sie bedürfen daher dringend 
der Beseitigung bezw. der Einschränknng. 

2. Am sichersten würde die Beinhaltung der Wasserläufe 
durch eine einheitliche gesetzliche Begelung für das ganze Beich 
erreicht werden; einer solchen stellen sich jedoch zur Zeit noch 
grosse Schwierigkeiten entgegen. 

3. Im allgemeinen bieten aber schon jetzt die gesetzlichen 
Bestimmungen und Verwaltungsmassregeln der einzelnen Bundes¬ 
staaten eine wirksame Handhabe, die Verunreinigungen der 
Wasserläufe in Deutschland zu verhüten oder erheblich einzu- 
schränken, wenn diese Massregeln nur konsequent von den ein¬ 
zelnen Bundesstaaten gehandhabt werden. 

4. Als die zur Zeit aussichtsvollste Verwaltungsmassnahme 
zur Verhütung und Beseitigung der Verunreinigung der Wasser¬ 
läufe müssen die regelmässigen Besichtigungen sämtlicher Wasser¬ 
läufe in den einzelnen Bezirken durch eine zu berufende Ueber- 
wachungskommission angesehen werden, bei denen die Teilnahme 
des Medizinalbeamten neben der des Wasserbau- und Gewerbe¬ 
aufsichtsbeamten obligatorisch zu machen ist. 

4. Bei einer zukünftigen gesetzlichen Neuregelung der Be¬ 
stimmungen übr die Benutzung der Wasserläufe ist den hygie¬ 
nischen Forderungen, die auf ein besseres Unschädlichkeitmachen 
der den Wasserläufen zuzuführenden Abwässer, und somit auf eine 
wirksame Beinhaltung derselben hinzustreben haben,in erhöhterem 
Masse Bechnung zu tragen, als dies bislang der Fall war, wo die 
hydrotechnischen Gesichtspunkte vorzugsweise berücksichtigt sind. 

5. Bei dem Bestreben, die Verunreinigung der Flussläufe 
einzuschränken, hat sich bis jetzt das Ausstehen eines allgemeinen 
deutschen Wasserrechts weniger fühlbar gemacht, als das Fehlen 
bestimmt anerkannter technisch-hygienischer Grundsätze für die 
Beinigung der Abwässer. 

Wenn es daher der Technik gelingt, solche Methoden der 
Abwässerreinigung zu schaffen, durch welche nicht nur die For¬ 
derungen der Gesundheitspflege und zwar in erster Linie erfüllt, 
sondern auch die Interessen der Industrie, der Fischzucht und 
Landwirtschaft gewahrt werden und gleichzeitig eine übermässige 
finanzielle Belastung der einzelnen Gemeinden nicht zu befürchten 
steht, dann werden auch die sanitätspolizeilichen und verwaltungs¬ 
rechtlichen Massnahmen eine weit bedeutendere Wirkung ent¬ 
falten können. 

6. Aufgabe des deutschen Medizinalbeamten muss es bilden, 
sich über die Fortschritte der Technik der Abwässerreinigungs¬ 
methoden fortlaufend zu unterrichten und die Wirkungen der in 
seinem Bezirke bereits im Betriebe befindlichen Anlagen ständig 
aufmerksam zu überwachen, um so auch seinerseits mit zu einer 
Verhütung der Verunreinigung der Flussläufe beizutragen. 

Um ihn hierzu mit Rücksicht auf die ständigen Fortschritte 
der Technik zu befähigen, ist die Einführung von Fortbildungs¬ 
kursen für Medizinal Beamte zu empfehlen, wie solche an der für 
Preuagen errichteten Versuchs- und Prüfungsanstalt für zentrale 



Dr. Thomm: Abwasserreinigung uw. 


»5 

Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung bereits eingeführt 
sind. — Auch würde die Errichtung weiterer ähnlicher Versuchs- 
und Prüfungsanstalten, wenigstens in den grösseren Bundesstaaten, 
wie solche für Preussen und Hamburg bereits bestehen, nur freudig 
zu begrüssen sein. 

B. Die Abwässerreinigung mit Rücksicht auf'die 
Reinhaltung der Wasserläufe vom hygienisch-technischen 

Standpunkt. 

H. Prof. Dr. K. Thumm, Mitglied der Königlichen Prüfungs¬ 
anstalt für Wasserversorgung und Abwässerbeseitigung in Berlin: 
M. H.! Die Abwasserreinigung verfolgt den Zweck, die Schmutz¬ 
stoffe, welche teils in gelöster oder in ungelöster Form, teils 
als organische oder anorganische Verbindung im Abwasser vor¬ 
handen sein können, derartig weitgehend aus demselben auszu¬ 
scheiden, bezw. unschädlich zu machen, dass das Auftreten von 
Missständen im Vorfluter mit Sicherheit vermieden wird. Me¬ 
thoden, welche diese Aufgabe im Einzeltalle zu erfüllen vermögen, 
leisten hygienisch befriedigendes. 

Bei Anwendung der einzelnen Reinigungsverfahren darf aber 
die ^Reinigung des Abwassers nicht allein Berücksichtigung 
Anden; ebenso wichtig, in vielen Fällen sogar noch wichtiger als 
die Abwässerreinigung ist die ordnuugsmässige Beseitigung 
der hierbei erhaltenen festen Rückstände, die in jedem ein¬ 
zelnen Falle eingehendster Erwägung bedarf. Bestehen Zweifel, 
ob zu allen Jahreszeiten die Beseitigung dieser Rückstände in 
hygienisch ein wandsfreier Weise möglich ist, so empfiehlt es sich, 
bei den Reinigungsanlagen Land vorzusehen, um hier die Rück¬ 
stände erforderlichenfalls — am vorteilhaftesten nach Birming- 
hamer Art 1 ) — unterbringen zu können. Bei der Projektierung 
von häuslichen und städtischen Abwässerreinigungsanlagen ist 
ferner darauf Bedacht zu nehmen, dass die Möglichkeit gegeben 
ist, eine Desinfektion der Gtesamtabwässer mit Chlorkalk 
und eine Unschädlichmachung des überschüssig zugesetzten Des¬ 
infektionsmittels mit Eisenvitriol vornehmen zu können. Wenn 
auch die Beseitigung etwa in einem Abwasser vorhandener Krank¬ 
heitskeime mit der Abwässerreinigung direkt nichts zu tun hat, 
so darf dieser Punkt bei der Projektbearbeitung natürlich nicht 
ausseracht gelassen werden, um so mehr, da besondere Einrich¬ 
tungen hierfür meistens nicht erforderlich sind, und die mechani¬ 
schen Reinigungsanlagen, bezw. die Vorreinigungsanlagen für die 
biologischen Körper (Becken, Brunnen usw.) ohne Schwierigkeit 
baulich derartig gestaltet werden können, dass sie zu dem ge¬ 
nannten Zwecke ohne weiteres Verwendung finden können. Zu 
beachten ist hierbei, dass die Unschädlichmachung etwa vor¬ 
handener Krankheitskeime um so sicherer erfolgt, je geringere 


*) VergL Heft 8 der Mitteilungen aas der Königlichen Prüfangsanst&lt 
für Wasserversorgung und Abwässerbeseitigung zu Berlin, S. 175. Verlag von 
August Hirschwald-Berlin NW. 7, Unter den Linden 06. 



Ö6 t)r. Thomm: Die Abw isserr emignng mH Blicksicht auf die 

Mengen ungelöster Stoffe ein Abwasser enthält, und dass beim 
Vorhandensein gröberer Abwasserbestandteile eine sichere Des¬ 
infektionswirkung im allgemeinen nicht erzielt werden kann. Bei 
der Ausgestaltung einer Abwasserreinigungsanlage hat weiter anch 
die Beschaffenheit des Abwassers, mit der dasselbe ror- 
aussichtlich auf der projektierten Reinigungsanlage ankommen 
wird, eingehendste Berücksichtigung zu finden. Die Elinrichtung 
und Grösse einer Anlage, die Vorgänge, welche sich in derselben 
abspielen, sind nämlich davon abhängig, ob die Abwässer frisch 
oder mehr oder weniger angefault, die festen Stoffe ganz oder 
zerrieben, die einzelnen Abwasserarten miteinander vermischt oder 
noch nnvermischt auf der Anlage eintreffen. 

M. H.! Die einzelnen zur Reinigung häuslicher and städti¬ 
scher Abwässer in Frage kommenden Verfahren sind in ihrer 
Leistungsfähigkeit im allgemeinen bekannt; im einzelnen bleibt 
bei diesen aber noch viel zu tun übrig, so dass es sich vor Er¬ 
richtung einer definitiven Anlage, wo es irgendwie angängig ist, 
empfiehlt, zuerst eine Versuchsanlage zu erbauen und an dieser 
die bestmöglichste Art der Abwässerreinigung zu ermitteln. Hin¬ 
sichtlich der Reinigung industrieller Abwässer fehlen brauchbare 
Verfahren fast so gut wie vollständig; hier ist das Anstellen von 
Versuchen vor Errichtung definitiver Anlagen in jedem einzelnen 
Falle nahezu unerlässlich. Kann man die gewerblichen Abwässer 
zusammen mit häuslichen Abwässern behandeln, d. h. jene Ab¬ 
wässer städtischen Kanälen zuführen, so stellt dies zurzeit meist 
die beste Beseitigung der industriellen Abwässer dar. Empfehlens¬ 
wert ist es hierbei aber, diese Wässer nicht ohne weiteres, sondern 
mit einem gewissen Vorbehalt in die Kanäle aufzunehmen. Mit 
Rücksicht auf die spätere Reinigung der Gesamtwässer oder mit 
Rücksicht auf die Erhaltung der Kanäle kann es nämlich not¬ 
wendig werden, dass man die Art der Ableitung aus der Fabrik 
oder eine Behandlung der Abwässer schon auf dem Fabrikgrund¬ 
stücke vorschreiben muss. 

Die Errichtung von Versuchsanlagen stellt oft eine grosse 
Ersparnis an Geld dar; auch ist der Weg des Versuchs oft die 
einzige Möglichkeit festzustellen, in welcher Weise mit Aufwendung 
der geringsten Mittel die bestmöglichste Reinigung im einzelnen 
Falle sich erzielen lässt. Schon in kleinem Massstab angestellte 
Versuche vermögen — wenigstens beim biologischen Verfahren — 
oft brauchbare Anhaltspunkte zu liefern; besser ist es natürlich, 
die Versuchsanlage in tunlichst grossem Massstab und derartig 
anznlegen, dass sie sich später der definitiven Anlage zwanglos 
angliedern lässt 

Ausser den Untersuchungen, welche die Förderung unserer 
Kenntnisse in der Reinigungsmöglichkeit der Abwässer zum Ziele 
haben, bedarf die Einwirkung der behandelten Abwässer auf die 
Mikro- und Makrofauna eines Vorfluters einer ebenso sorgfäl¬ 
tigen Prüfung. Auch hier ist zwar schon manches geschehen; 
man kennt z. B. die Bedeutung des in einem Abwasser ent¬ 
haltenen freien Sauerstoffs, der Nitrate und der anorganischen 



Reinhaltung der Wasserläufe vom hygienisch * technischen Standpunkt. 97 


Nährsalze, doch fehlen nähere Kenntnisse darüber eigentlich so 
gut wie vollständig. 

M. H.! Die Behandlung auf Land bewirkt sowohl unter 
Zuhilfenahme des Lebensprozesses höherer Pflanzen (Riesel- 
verfahren), wie ohne deren Mitwirkung (intermittierende 
Filtration) eine Beseitigung, bezw. Unschädlichmachung der in 
einem Abwasser enthaltenen ungelösten und gelösten Schmutz- 
stoffe, sowie die dauernde Entfernung der eventuell vorhandenen 
Krankheitskeime. Nach den Feststellungen der in England im 
Jahre 1898 zur Prftfnng der ittr die Abwässerreinigung Verwendung 
findenden Verfahren ernannten »Royal Commission on Sewage Dis- 
posal“ leistet die Landbehandlung hinsichtlich des letztgenannten 
Punktes aber nicht immer so viel, wie man im allgemeinen än- 
zunehmen gewohnt ist. 

Die Abflüsse, welche bei der intermittierenden Bodenfiltration 
erlangt werden, unterscheiden sich von denen typischer Riesel¬ 
felder hinsichtlich der anorganischen Nährsalze (Kalk, Phosphor¬ 
säure, Kali) aber oft recht beträchtlich. Da bei der intermittie¬ 
renden Filtration infolge des Fehlens der höheren Pflanzen eine 
Entfernung der absorbierten anorganischen Nährsalze nicht eintritt, 
sättigt sich der Boden immer mehr mit diesen Stoffen, die schliess¬ 
lich, nach Erschöpfung seiner Absorptionskraft, fast in — prak¬ 
tisch gesprochen — gleichen Mengen, in welchen sie im Roh¬ 
wasser dem Lande zugeführt werden, in den Abflüssen wieder 
Weggehen. Anders ist es bei der Rieselei, wenigstens im Sommer. 
Hier reinigt sich das Land durch die vorhandenen höheren Pflanzen 
von diesen anorganischen Stoffen mehr oder weniger weitgehend, 
so dass immer neue Mengen dieser Verbindungen durch den Boden 
absorbiert werden können. Die Abflüsse von Rieselfeldern sind 
deshalb ärmer an diesen Stoffen als die von intermittierend be¬ 
triebenen Landflächen stammenden Abflüsse. Der geringere oder 
grössere Gehalt an anorganischen Nährstoffen ist aber mit Rück¬ 
sicht auf den Vorfluter nicht ohne Bedeutung und erklärt oft 
manche sonst wenig erklärbare Beobachtungen. In bezug auf den 
Gehalt der Abflüsse an freiem Sauerstoff und Nitraten bestehen 
zwischen Rieselei und intermittierender Filtration keine Unter¬ 
schiede, indem bei beiden Verfahren diese Stoffe in reichlicher 
Menge sich vorfinden. 

Durch das Verfahren der Landbehandlung lässt sich die 
höchste erreichbare Reinigung erzielen; diese liegt im allgemeinen— 
von den anorganischen Nährstoffen abgesehen, die je nach der 
Höhe der Belastung in verschieden grosser Menge in den Ab¬ 
flüssen enthalten sind — innerhalb verhältnismässig enger Grenzen. 
Das Verfahren gewährleistet deshalb zwar eine hohe Betriebs¬ 
sicherheit, ist anderseits aber örtlichen Verhältnissen hinsichtlich 
des erzielten Reinigungseffektes nur wenig anpassungsfähig. 

Die Schlammfrage bedarf zwar jeweils eingehender Berück¬ 
sichtigung, ihre Lösung macht aber im allgemeinen keine grossen 
Schwierigkeiten, auch wenn, was vorteilhaft ist, vor Aufleitung 

7 



di i)r. Thumm: t)ie Abwasserreinigung mit Bücksicht auf die 

der Abw&sser auf das Land die Schlammstoffe ans dem Wasser 
durch Becken- usw. Anlagen entfernt werden. 

Die Desinfektion der Gesamtabwässer verlangt hier keiner 
weiteren Besprechung, da das Verfahren an sich schon in dieser 
Richtung hin praktisch befriedigendes zu leisten imstande ist. 

Das künstliche biologische Verfahren vermag in 
physikalisch-chemischer Beziehung ebensoviel zu leisten wie die 
Landbehandlung; hinsichtlich der Abscheidung etwaiger Krank¬ 
heitskeime steht das Verfahren der Landbehandlung aber nicht 
unbeträchtlich nach. Am meisten leisten in letzterer Beziehung 
noch Füllkörper (s. unten) bei Vorschaltung von Faulbecken, 
während Tropfkörper bei einer Vorbehandlung des Abwassers durch 
Rechenanlagen oder Sandfänge am wenigsten wirksam sind. Hin¬ 
sichtlich der Nährsalze gilt das vorher über die Abflüsse von 
intermittierend betriebenen Landflächen Gesagte: Die Abflüsse 
sind reich an anorganischen Nährsalzen, die aber beim Stehen¬ 
lassen des Wassers — ebenso wie bei den Abflüssen von Riesel¬ 
land — zum grossen Teile sich aus dem gereinigten Wasser 
wieder ausscheiden: 


Art des Abwassers. 

mg pro 1 Liter | 

Bemerkungen 

CaO | 

MgO | 

OsPo Ü 

Rohwasser (aus einer Stärkefabrik) 
Abfluß ans ein. biologischen Körper: 

134 

70 

220 

Die Bestimmun¬ 
gen wurden im 
filtrierten W asser 

a) sofort untersucht 

151 

85 

211 

b) nach acht Tagen untersacht 

53 

38 

39 

ausgeffthrt. 


Durch Anlage von Teichen können deshalb — ebenso wie 
bei den Abflüssen von intermittierend betriebenen Bodenflächen — 
die für den Vorfluter oft schädlichen Nährsalze auf verhältnismässig 
einfache Weise herabgesetzt werden. 

Füllverfahren und Tropfverfahren sind die beiden 
Grundtypen, auf welche sich die so zahlreichen biologischen Systeme 
zurückführen lassen. Alle Gesichtspunkte, welche für diese Grund¬ 
typen massgebend sind, haben auch für die Abarten des biologi¬ 
schen Verfahrens Gültigkeit. Füll- und Tropfverlahren sind, all¬ 
gemein betrachtet, im Prinzip gleichwertige Methoden. Wo nur 
geringes Gefälle, aber reichliches Gelände für die biologische An¬ 
lage zur Verfügung steht, kommt an erster Stelle das Füll ver¬ 
fahren in Frage; in Fällen, wo genügendes Gefälle vorhanden 
ist oder Hebewerke an und für sich schon erforderlich sind, sowie 
in Fällen, in denen eine biologische Anlage auf einem relativ 
kleinen Gelände untergebracht werden soll, ist das Tropfverfahren 
die geeignetere biologische Reinigungsmethode. Tropikörperabflüsse 
enthalten grosse Mengen an freiem Sauerstoff und an Nitraten; 
Füllkörperabflüssen fehlt meistens der freie Sauerstoff, und der 
Gehalt des Wassers an Nitraten ist niedriger als in Tropfkörper¬ 
abflüssen. 

Das biologische Verfahren kann den örtlichen Verhältnissen 
in weitgehendster Weise angepasst werden, da je nach der ge¬ 
wählten Korngrösse — beim Füllverfahren — oder je nach der 




Reinhaltung der Wasserläufe vom hygienisch- technischen Standpunkt. 99 


Höhe der Belastung der biologischen Körper — beim Tropfver¬ 
fahren — alle Reinignngseffekte, welche zwischen der Beseitigung 
der Fäulnisfähigkeit eines Abwassers nnd der Gewinnung einer 
klaren, färb- und geruchlosen Flüssigkeit liegen, sich erzielen 
lassen. 

Biologische Körper sind baulich derartig zu gestalten, dass 
Luft entweder dauernd (beim Tropfverfahren) oder zu gewissen 
Zeiten (beim Füll verfahren, während der sogenannten Lüftungs¬ 
periode) in alle Zwischenräume des Materials eindringen kann. 
Der Betrieb der Körper ist so einzurichten, dass die Absorptions- 
vorgäuge und die Vorgänge der Regenerierung miteinander Schritt 
halten. Die Vorreinigungsanlage ist so auszugestalten, dass alle 
Stoffe, welche die Lebensvorgänge in den Körpern beeinträchtigen 
könnten, von denselben ferngehalten werden. 

Zum Aufbau der biologischen Körper ist hartes, widerstands¬ 
fähiges, zackiges Material zu verwenden, welches einen gewissen 
Prozentsatz (nicht zu viel) Eisen 1 ) enthält; feinporiges Material 
ist als Körpermaterial wenig zu empfehlen. Die vielfach ange¬ 
priesenen Patentmaterialien besitzen vor den gewöhnlichen Ma¬ 
terialien, wie z. B. Kesselschlacke oder Grubenkoks, keinerlei 
Vorzüge. Gegenüber Polarite ist infolge seines hohen Eisengehalts 
nach den bisherigen Erfahrungen Vorsicht geboten. Für Füll¬ 
körper sind feinkörnige, für Tropfkörper mehr grobkörnige Ma¬ 
terialien zu verwenden. Materialien unter 3 mm sind für Füll¬ 
körper nicht mehr geeignet; Materialien über 10 mm nehmen 
einem Abwasser beim Füllverfahren nur ausnahmsweise seine 
Fäulnisfähigkeit. Für Tropfkörper ist bei genügender Höhe (2—3 m) 
taust- bis kinderkopfgrosses Material empfehlenswert. Als Ver¬ 
teilungseinrichtungen bei Tropfkörpern haben sich rotierende 
Sprinkler, Kipprinnen und Streudüsen-ähnliche Einrichtungen be¬ 
währt. Die Dun bar sehe Verteilungseinrichtung (Verteilungs¬ 
schale) hat im Klein- wie im Grossbetriebe Anwendung gefunden. 

Die Schlammfrage wird durch das biologische Verfahren im 
allgemeinen nicht gelöst. Wie man auch im einzelnen die Vor¬ 
reinigungsanlage ausgestaltet, stets muss mit der Notwendigkeit 
einer Schlammbeseitigung gerechnet werden. Die Abwässer sind 
vor ihrer Aufleitung auf die biologischen Körper, wenigstens beim 
Füllverfahren, durch eine Vorreinigungsanlage von den Schlamm¬ 
stoffen tunlichst weitgehend zu befreien. Beim Tropfverfahren ist 
diese weitgehende Vorreinigung, wenn zum Aufbau der biologischen 
Körper das oben bezeichnete grobkörnige Material Verwendung ge- 
gefunden hat, nicht so notwendig. Normale Tropfkörperabflüsse ent¬ 
halten stets grössere oder kleinere Mengen von ungelösten abgebauten 
Stoffen, sowie je nach der Höhe der Inanspruchnahme der biologi¬ 
schen Körper grössere oder kleinere Mengen an Organismen; Füll- 
körperabflüsse, wenigstens solche, welche aus feinem Material 
stammen, pflegen, praktisch gesprochen, frei von ungelösten Stoffen 


*) Der Eisengehalt, welcher bei den Füllkörpern eine Rolle spielt, ist 
anscheinend für Tropfkörper von geringerer Wichtigkeit. 


7* 



löö Dr. 'Thamm: Die Abwässerreinigung mit fittcksicht auf die 

zu sein. Hinter Tropfkörpern sind deshalb stets Einrichtungen 
(Bronnen, Filter usw.) vorzusehen, durch welche diese Stoffe aas 
den Abflüssen rasch ausgeschieden werden können. Der Schlamm 
ist nämlich öfters noch fäulnisfähig und vermag, wenn er nicht 
rechtzeitig aus dem Wasser entfernt wird, dessen Beschaffenheit 
in nachteiliger Weise zu beeinflussen. 

Eine Vorfaulung der Abwässer ist zur Erzielung fäulnisfreier 
Abflüsse meistens nicht erforderlich. In vielen Fällen ist die Ein¬ 
richtung von Faulbecken aber zweckmässig und für kleine An¬ 
lagen (für Krankenhäuser usw.) aus praktischen Gründen notwendig. 
Wenn die Abwässer grössere Mengen industrieller Wässer ent¬ 
halten, so kann gelegentlich auch eine chemische Vorbehandlung 
der Wässer in Frage kommen. Im allgemeinen genügen zur 
Vorbehandlung die sogenannten Absitzanlagen (s. unten), während 
Bechen nicht ausreichen. In Fällen, in denen es zweifelhaft ist, 
ob man mit einer rein mechanischen Vorbehandlung der Abwässer 
auskommen wird oder dieselben einer Vorfaulung oder gar einer 
chemischen Behandlung zwecks ausreichender Vorreinigung unter¬ 
ziehen muss, wenn also die städtischen Abwässer reich an in¬ 
dustriellen Wässern sind, wählt man für die Vorreinigung am 
besten Becken, die sowohl als einfache Absitzbecken wie als Faul- 
becken oder auch bei Verwendung von Fällungsmitteln mit Erfolg 
benutzt werden können. 

Zwecks Sicherstellung einer gelegentlichen Desinfektion der 
Gesamtabwässer ist die Vorreinigungsanlage so einzurichten, dass 
sowohl die Desinfektion der Abwässer, als auch die Wiederaus- 
scheidnng des überschüssig zugesetzten Desinfektionsmittels möglich 
ist (s. unten). 

Die mechanischen Reinigungsverfahren entfernen 
je nach der Art des gewählten Verfahrens und der Dauer des 
Aufenthalts des Abwassers in der Reinigungsanlage einen ge¬ 
ringeren oder grösseren Teil der ungelösten Stoffe; die gelösten 
Stoffe werden nur in Ausnahmefällen vermindert Der Charakter 
des Abwassers wird durch die Entfernung der ungelösten Stoffe 
nicht unwesentlich gebessert, das Wasser behält aber in den weit¬ 
aus meisten Fällen noch seine Fäulnisfähigkeit. Dies gilt auch, 
wenn man die Abwässer der Dialyse unterwirft. Die Auffassung, 
die Schmutzstoffe eines Abwassers seien stets nur ungelöster Natur, 
ist aus diesem und einer Reihe anderer Gründe nicht zutreffend. 1 ) 
In betreff der Ausscheidung etwaiger Krankheitskeime leisten die 
mechanischen Reinigungsverfahren praktisch nicht ganz dasselbe 
wie die künstlichen biologischen Verfahren und wie das nachher 
besprochene Faulverfahren. Voraussetzung für eine befriedigende 
Wirkung der mechanischen Verfahren ist die regelmässige Ent- 


’) Damit soll nicht gesagt werden, daß in der Praxis oft yiel als gelöst 
angesehen wird, was im Abwasser in Wirklichkeit in angelöster Form enthalten 
ist. Filtriert man ein Abwasser durch Filtrierpapier, so kann das Filtrat oft 
noch reichliche Mengen an angelösten Stoffen entbalten; die im filtrierten Ab¬ 
wasser aasgeführten Bestimmungen können deshalb nicht als „gelöste Stoffe“ 
bezeichnet werden, sondern dürfen nur als „Bestandteile, im filtriarten Wasser 
ermittelt“ angegeben werden. 



Reinhaltung der Wasserläufe Tom hygienisch-technischen Standpunkt. 101 

fernung der ausgeschiedenen Schlammassen, und zwar in derartigen 
Zeiträumen, dass eine nachteilige Beeinflussung des Wassers durch 
den Schlamm nicht möglich ist, dass also die Wässer in gleich 
frischem Zustande die Anlage verlassen, wie sie derselben zu* 
geführt werden. Die Abflüsse aus Absitzanlagen enthalten, gleich 
dem Rohwasser, 1 ) weder freien Sauerstoff noch Nitrate. 

M. H.t Die weitgehendste Ausscheidung der ungelösten 
Stoffe aus einem Abwasser bewirken Becken, Brunnen oder 
Türme; geringeres leisten Rechenanlagen, und zwar diejenigen 
Systeme, bei welchen die abgefangenen Stoffe ausserhalb des 
Wassers abgestrichen werden, wieder mehr als Einrichtungen, bei 
welchen die Entfernung der gröberen Stoffe innerhalb des 
Wassers, während das Wasser durch die Rechen hindurchströmt, 
vorgenommen wird. Das Kremersehe Verfahren ist eine be¬ 
sonders konstruierte Brunnenanlage und steht hinsichtlich seiner 
Leistungsfähigkeit nach den bislang vorliegend Erfahrungen 
zwischen den Rechenanlagen einerseits und den Absitzanlagen 
anderseits. Das Verfahren verdient Beachtung sowohl bei manchen 
städtischen, wie bei verschiedenen industriellen Abwässern (z. B. 
bei Seifenwässern), und zwar in Fällen, in denen ein Wasser viel 
Schwimmstoffe enthält. Alsdann kann es entweder allein oder 
auch als Vorreinigungsanlage für Absitz-usw.* Becken als zweck¬ 
dienlich in Betracht kommen. 

Bei frischen oder wenig angefaulten Abwässern, in denen 
die festen Stoffe in mehr oder weniger ganzem Zustande vorhanden 
sind, können alle diese Systeme gegebenenfalls als geeignet in 
Frage kommen, und zwar müssen zwecks sicherer Wirkung der 
Absitzanlagen denselben stets Rechenanlagen vorgeschaltet werden. 
Bei schon weitergehend zersetzten Wässern sind Brunnenanlagen, 
die ohne Betriebsstörung eine dauernde Schlammbeseitigung ge¬ 
statten, den Beckenanlagen vorzuziehen. Sind die ungelösten Stoffe 
schon stark zerrieben, so leisten Rechenanlagen praktisch so gut 
wie nichts; sie kommen alsdann weder für sich allein, noch als Vor¬ 
reinigung für Absitzanlagen in Frage. 

Ausser der Abscheidung der ungelösten Stoffe aus einem 
Abwasser kommt den Absitzanlagen — nicht aber den Rechen¬ 
anlagen — die weitere Funktion zu, eine Vermischung der 
einzelnen Abwasserarten herbeizuführen, welche von grösster 
Wichtigkeit ist, und zwar gleichgültig, ob das Wasser direkt einem 
Vorfluter zugeführt oder noch weitergehend, z. B. in biologischen 
Körpern, gereinigt werden soll, weil hierdurch zugleich gewisse 
ungünstig zusammengesetzte Abwasseranteile unschädlich gemacht 
werden können. Um eine richtige Vermischung zu erreichen, 
müssen die Anlagen oft bedeutend grösser bemessen werden, als 
wenn nur eine Ausscheidung der Schlammstoffe beabsichtigt wird; 
hierbei können dann gleichzeitig noch Effekte erzielt werden, die 
bei der nur auf die Ausscheidung der ungelösten Stoffe berech- 


') In sehr seltenen Fällen enthält das Rohwasser Sparen von freiem 
Sauerstoff and Ton Nitraten. 



102 


Dr. Thomm: Die Abwasserreinigung mit Rücksicht aal die 


neten Bemessung sieh nicht erreichen lassen. So werden in 
manchen Industriestädten mit den industriellen Abwässern so grosse 
Mengen chemischer Stoffe zugeffihrt, dass Abwasserbestandteile, 
wie z. B. Textilfasern, Farbstoffe usw., nach erfolgter Vermischung 
der einzelnen Abwasserarten in den Absitzanlagen bequem und in 
praktisch ausreichender Menge zur Ausscheidung gelangen. In¬ 
dustrieabwässer können deshalb Öfters schon durch einfache Ver¬ 
mischung der einzelnen Abwasserarten in befriedigter Weise ge¬ 
reinigt werden. Bei der Bewertung von Absitzanlagen darf 
deshalb nicht allein auf die Ausscheidung der ungelösten Stoffe 
geachtet werden, man muss vielmehr, wenn ein Abwasser in¬ 
dustrielle Wässer enthält und in den Kanälen eine ausreichende 
Vermischung der verschiedenen Wässer noch nicht stattgefunden 
hat, auch der zweiten Funktion, der Unschädlichmachung der 
Abwässer, gebührende Beachtung schenken. 

Die Absitzanlagen sind baulich derart zu gestalten, dass 
Schlammassen, welche durch etwa eintretende Faulprozesse an die 
Wasseroberfläche gelangen, nicht zum Abflüsse kommen können. 
Deshalb sind auch bei Absitzbrunnen und -türmen gleichwertige 
Einrichtungen wie bei den Beckenanlagen am Auslauf anzubringen; 
die Ableitung muss entweder durch Binnensysteme, wie sie 
Mairich in Neustadt O.-Schl. angewandt hat, oder dadurch be¬ 
wirkt werden, dass die Ableitungsröhren nicht an der Wasser¬ 
oberfläche, sondern, wie z. B. in Ohrdruf (auch von Mairich), 
unterhalb des Wasserspiegels angebracht werden. Ob Becken¬ 
einrichtungen wie in Cassel oder Anlagen wie in Cöln mehr leisten, 
kann zurzeit, solange nicht beide Systeme mit ein und demselben 
Wasser geprüft worden sind, nicht gesagt werden. An sich be¬ 
trachtet, halte ich die eine Beckenkonstruktion als praktisch 
ebenso brauchbar wie die andere. 

Der durch die mechanischen Verfahren erhaltene Schlamm 
ist meistens stark fäulnisfähig und auf Land schwer drainierb&r. 
Bei dem Krem er sehen Verfahren erfährt der Schlamm eine 
Trennung in eine fettreiche Schwimmschicht und eine fettarme, 
gegenüber dem gewöhnlichen Schlamme wasserärmere Sink¬ 
schicht. Die Beseitigung der erhaltenen Schlammstoffe erfolgt am 
einfachsten bei Bechenanlagen; bei den übrigen Verfahren ist sie 
schwieriger und bedarf von Fall zu Fall eingehendster Erwägung. 

Die Desinfektion der Gesamtwässer gestaltet sich bei Becken- 
und Brunnenanlagen im allgemeinen einfach, sofern man die ein¬ 
zelnen Becken oder Brunnen entweder in zwei oder noch besser 
in drei verschiedenen Höhenanlagen anlegt, wozu verhältnismässig 
nur relativ wenig Gefälle (20 bis 30 cm) erforderlich ist. Schwie¬ 
riger, bezw. kostspieliger gestaltet sich die Desinfektion bei den 
Turm- und Bechenanlagen; hier bleibt nichts anderes übrig, als 
besondere Einrichtungen für dieselbe vorzunehmen (DesinfektionB- 
gerinne usw.), wenn man nicht die Desinfektion und Wieder¬ 
ausscheidung des nicht verbrauchten Desinfektionsmittels im Zu¬ 
laufkanal ausführen will, was aber infolge der gröberen ungelösten 
Abwasserbestandteile immer eine etwas unsichere Methode darstellt 



Reinhaltung der Wasserläufe vom hygienisch* technischen Standdunkt. 108 


M. H.! Das Faulverfahren ist ein mechanisch - biologi¬ 
sches Verfahren, bei welchem die Schlammstoffe in den Reinigungs¬ 
anlagen längere Zeit, nnd zwar meistens solange belassen werden, 
bis eine Verminderung des mechanischen Reinigungseffekts zu 
beobachten ist. Das Verfahren leistet bei richtiger Anwendung 
in bezug auf die Abscheidung der ungelösten Stoffe praktisch das 
gleiche wie die Absitzanlagen. Im Gegensatz zu den rein mecha¬ 
nischen Verfahren wirkt es aber auch auf die feinsten suspendierten 
Bestandteile verändernd (verflüssigend) ein und beeinflusst oft 
nicht unbedeutend die gelösten fäulnisfähigen Verbindungen. Die 
Fäulnisfähigkeit kann aber einem Abwasser, auch wenn man die 
Anlagen — wie z. B. bei den sogenannten Fäkalienkläranlagen 
(Fosses automatiques usw.) — so gross wählt, dass sich das 
Wasser 10 bis 20 Tage in denselben aufhält, durch das Faul¬ 
verfahren meistens nicht genommen werden. 1 ) Die Abflüsse aus 
Faulanlagen sind frei von Sauerstoff und Nitraten. Gegenüber 
den Abflüssen aus den rein mechanisch betriebenen Anlagen ent¬ 
halten die beim Faulverfahren entstehenden Abflüsse offensiv 
wirkende Substanzen, wie z. B. Schwefelwasserstoff, der im Vor¬ 
fluter entweder direkt schädigend wirkt oder, wenn die Vorflut 
Eisensalze enthält, eine Schwarzfärbung des Flusswassers (durch 
gebildetes FeS) hervorruft. Die Faulraumabflüsse enthalten aber 
auch Schwefeleisen in suspendierter Form oft in nicht unbeträcht¬ 
lichen Mengen, aus denen im Vorfluter — sowie aus dem in ihm 
gegebenenfalls erst gebildeten Schwefeleisen — durch die Kohlen¬ 
säure des Wassers Schwefelwasserstoff in statu nascendi frei¬ 
gemacht wird (Marsson), der seinerseits dann Schädigungen 
auszuüben vermag, die weitergehen als diejenigen, welche durch 
den in den Abflüssen an sich vorhandenen Schwefelwasserstoff 
hervorgerufen werden. 

Pathogene Keime werden durch das Faulverfahren in ihren 
Lebensäusserungen geschwächt, teilweise auch abgetötet; eine 
sichere Unschädlichmachung der Keime wird durch das Verfahren 
also nicht erzielt. 

Das Faulverfahren hat wie die Absitzverfahren die weitere 
Aufgabe, eine Vermischung der Abwässerarten herbeizuführen. 
Es leistet nach dieser Richtung mehr als die betreffenden rein 
mechanischen Verfahren und wird, wenn die Abwässer sehr kon¬ 
zentriert sind sowie viel schleimige Substanzen, Farbstoffe, 
Fette, Seifen, Gerbstoffe, giftige Metallsalze und dergl. enthalten, 
dieser Methode in manchen Fällen vorzuziehen sein. Das Ver¬ 
fahren findet wegen seiner hohen Betriebssicherheit als Vor¬ 
reinigungsanlage für biologische Körper vielfach praktische An¬ 
wendung und sollte bei kleineren Anlagen (bei Krankenhäusern, 
Barackenlagern usw.) stets statt der mechanischen Verfahren 


*) Werden bei den Fäkalienkläranlagen wasserbelle and mehr oder weniger 
geruchlose Abflüsse beobachtet, so rührt dies daher, daß eine entsprechend« 
Verdünnung mit reinem Wasser — pro Kopf und Tag sollen hierzu etwa 
50 Liter notwendig sein — stattgefunden bat, 



101 Dt. Tiuunm; Die Abwasserreinigung mit Rücksicht auf die 

Anwendung finden. Als selbstständiges Verfahren ist die Methode 
nnr mit grosser Vorsicht anwendbar. 

Für die Faulverfahren sollten ausschliesslich die Becken- 
anlagen, bei denen je 2 Abteilungen hintereinander geschaltet sind, 
vorgesehen werden; dies gilt auch für die sogenannten Fäkalien¬ 
kläranlagen, wenigstens was die Zweiteilung und Hintereinander¬ 
schaltung anbelangt. 

Ffir den Grad der erzielten Reinigung ist es gleichgültig, 
ob die Faulbecken offen oder fiberdeckt betrieben werden. Die 
Schlammverzehrung (s. unten) ist in den ersteren aber eine höhere 
als in dem letzteren. Einen sicheren Schutz gegen Geruchs¬ 
belästigungen und Fliegenplage bieten jedoch nur die überdeckten 
Becken. Die Grösse der Faulbecken ist von der Beschaffenheit 
des zu behandelnden Abwassers abhängig; frische Abwässer ver¬ 
langen grössere Anlagen als mehr oder weniger ausgefaulte 
Wässer. Enthält das zu behandelnde Wasser grössere Mengen 
schädlicher Bestandteile (s. oben), so sind gleichfalls grössere 
Beckenanlagen zu schaffen, als wenn diese Stoffe fehlen oder 
bereits in langen Kanalleitungen durch Vermischung mit den 
anderen Abwässern mehr oder weniger unschädlich gemacht 
worden sind. Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte wählt 
man für die Faulbecken eine derartige Grösse, dass je nach den 
besonderen Verhältnissen etwa die Hälfte bis l 1 /, fache des täg¬ 
lichen Trockenwetterabflusses in ihnen aufgespeichert werden 
kann. Faulräume für geringe Abwässermengen, z. B. für die von 
Krankenhäusern, erhalten vorteilhaft eine noch grössere Abmessung. 

Die Schlammfrage ist beim Faulverfahren eine einfachere 
als bei den rein mechanischen und bei den chemischen Verfahren. 
Das Faulverfahren bewirkt teils eine gewisse Verminderung der 
Schlammstoffe (die aber nur selten so hoch — etwa 50 °/ 0 — 
ist, wie vielfach angenommen wird), teils eine Veränderung des 
Schlammes in physikalisch-chemischer Beziehung: Er wird wasser¬ 
ärmer und auf Landflächen drainierbar. Ist der Schlamm nicht 
zu allen Jahreszeiten gleich gut loszuwerden, so empfiehlt es sich, 
ihn in den Becken solange lagern zu lassen, bis er den landwirt¬ 
schaftlichen Betrieben der Umgebung wieder zugeführt werden kann. 

Hinsichtlich der Desinfektion gilt das, was vorher über die 
mechanischen Verfahren gesagt ist. Es erscheint hierbei aber not¬ 
wendig, die angesammelten Schlammmassen — mit aller hygienisch 
gebotenen Vorsicht — aus dem Faulbecken zu entfernen, bevor 
die Desinfektion der Wässer vorgenommen wird. 

Die chemischen Reinigungsverfahren bewirken eine 
weitgehende Abscheidung der ungelösten Stoffe. Je nach der Art 
des Fällungsmittels können aber auch die gelösten Stoffe, und 
zwar so weitgehend abgeschieden werden, dass das behandelte 
Wasser seine Fäulnisfähigkeit verliert. Das letztere kann z. B. 
eintreten, wenn Braunkohle oder humoser Torf in Verbindung mit 
Eisen- oder Tonerdesalzen (Kohlebreiverfahren) als Klärmittel 
Verwendung finden. Etwa vorhandene Krankheitskeime werden 
durch die chemischen Verfahren in ungefähr gleicher Weise be- 



Reinhaltung der Wasscrläufe vom hygienisch - technischen Standpunkt. 105 


einflosst wie durch die mechanischen Verfahren. Zar Ausschei¬ 
dung der ungelösten Stoffe eines normalen städtischen Abwassers 
sind chemische Zuschläge nur selten notwendig, da meistens 
schon die rein mechanischen Verfahren nach dieser Richtung hin 
zum Ziele führen. Eine Ausnahme hiervon bilden Abwässer, 
welche gewisse Beimengungen ans gewerblichen Anlagen, wie 
Farbstoffe, Fette, Seifen, anorganische Säuren oder Textil- oder 
Zellnlosefasem and dergl. enthalten. Chemische Znsätze führen 
bei sehr konzentrierten Wässern nicht immer znm Ziele, da die 
hervorgernfene Fällung sich in solchen Fällen manchmal ent¬ 
weder gar nicht oder nur sehr unvollständig zu Boden setzt. 
Bei sehr dünnen Wässern ist eine chemische Behandlung des 
öftern gleichfalls nicht anwendbar, da die ausgefällten Teilchen 
so fein verteilt sein können, dass eine zu lange Zeit zu ihrer 
Ausscheidung notwendig ist. Zwecks Verminderung der Menge 
der chemischen Zuschläge kann es zweckmässig sein, der che¬ 
mischen Fällung eine auf rein mechanischem Wege bewirkte Aus¬ 
scheidung der ungelösten Stoffe vorausgehen zu lassen. 

Alle auf chemischem Wege behandelten Wässer enthalten einen 
gewissen Ueberschuss des benutzten Fällungsmittels, da ohne diesen 
Ueberschuss eine ausreichende Klärung des Wassers nicht möglich 
ist. Deshalb entstehen, wenn ein mit Chemikalien behandeltes 
Wasser in einem Vorfluter kommt, hier weitere Fällungen, die zu 
Missständen oft schwerster Natur (Verschlammung des Vorfluters 
usw.) Veranlassung geben können. 

Die bislang geübte chemische Klärung kann nach neueren, 
von mir gemachten Feststellungen 1 ) in vielen Fällen bedeutend 
verbessert werden, wenn man darauf hinausgeht, die Wässer mit 
Eisensalzen (Ferro- oder Ferrisalzen) entweder allein oder mit 
anderen chemischen Zuschlägen kombiniert so zu klären — zuerst 
z. B. mit Kalk und dann erst mit Eisen —, dass zum Schlüsse 
nur noch die Eisensalze im Ueberschusse vorhanden sind. Dann 
ist es nämlich möglich, das überschüssige Fällungsmittel, das Eisen, 
durch intermittierend betriebene Sandfilter (ähnlich wie bei der 
Enteisenung des Grundwassers) auf verhältnismässig einfache und 
bequeme Weise auszuscheiden, und es können, da hierbei dem Wasser 
gleichzeitig seine Fäulnisfähigkeit genommen werden kann, über¬ 
raschend gute Ergebnisse erzielt werden. Die Abflüsse" enthalten 
dann auch freien Sauerstoff und grosse Mengen von Nitraten, die 
dem nur auf chemischem Wege geklärten Wasser entweder ganz 
oder nahezu vollständig fehlen. Das Kohlebreiverfahren, nach 
diesen Gesichtspunkten umgestaltet, wird in manchen Fällen, wo 
es bislang nicht so befriedigte, alsdann gleichfalls besseres leisten. 
In der derzeitig geübten Weise betrieben, bewirken nämlich die 
nach diesem Verfahren behandelten Wässer, in wasserarme Vor¬ 
fluter eingeleitet, nicht selten die oben angedeuteten sekundären 
Missstände, auch wenn das Wasser, an sich betrachtet, gut ist, 
d. h. seine Fäulnisfähigkeit verloren hat. 

’) Hierüber werde ich in einer besonderen Veröffentlichung demnächst 
ausführlich^berichten. 



106 Dr. Thomm: Oie Abwasserreinigung vom hygienisch-technischen Standpunkt. 


Becken, Bronnen oder Türme sind die bei den chemischen 
Verfahren Verwendung findenden Einrichtungen; bezüglich dieser 
sei aof das bei den mechanischen Verfahren Gesagte verwiesen. 
Was über die Vermischong der einzelnen Abwasserarten an 
anderer Stelle gesagt ist, hat natürlich aoch für die chemischen 
Verfahren seine Gültigkeit. 

Der bei der chemischen Klärung erhaltene Schlamm ist wie 
der, welcher bei den mechanischen Methoden anfällt, sofern er 
nicht Eisensalze oder ähnliche Verbindungen in grosser Menge 
oder Braunkohle oder Torf enthält, in hohem Masse fäulnisfällig; 
er ist aber leichter drainierbar als der auf rein mechanischem 
Wege erhaltene Schlamm; die Menge der Schlammstoffe ist bei 
der Verwendung chemischer Zuschläge aber eine bedeutend 
grossere als ohne Verwendung solcher Zusätze. 

M. H.! Die richtige Wahl des Reinigungsverfahrens 
und die sachgemässe Herstellung der Reinigungsanlage sind 
allein nicht ausreichend, um Missstände im Vorfluter zu vermeiden. 
Als weitere ebenso wichtige Forderung kommt der ordnungsmässige 
Betrieb der Anlage hinzu, welcher ein dauerndes Interesse 
für die geübte Abwässerreinigung zur Voraussetzung hat. Ohne 
ein gewisses liebevolles Eingehen auf die Eigenart der in Rede 
stehenden Anlagen kann etwas wirklich Gutes nicht geleistet 
werden. Hiergegen wird zurzeit viel gefehlt, und zahlreiche 
Reinigungsanlagen, die richtig konstruiert sind, lassen infolge 
eines unsachgemässen Betriebes recht schlechte Reinigungseffekte 
erkennen. Nicht selten kommt es nämlich vor, dass der Betrieb 
einer Anlage ganz in das Belieben eines einfachen Klärwärters 
gestellt ist, d. h. dass die Anlage so gut wie sich selbst über¬ 
lassen wird. Kommt nun noch hinzu, dass im Laufe der Zeit die 
täglich zu reinigende Abwässermenge anwächst, die Anlage aber 
nicht entsprechend erweitert wird, so erklärt es sich, wenn an 
sich brauchbare Verfahren im praktischen Betriebe nicht selten 
versagen oder im Grossbetriebe Öfters andere Ergebnisse als an 
Versuchsanlagen erlangt werden. Die Ueberwachung grösserer 
Anlagen sollte deshalb stets, wie z. B. für jeden Fabrikbetrieb, 
wissenschaftlich geschulten Leuten übertragen werden, welche im 
Dienste der betreffenden Städte oder Fabriken stehen. Für 
kleinere Anlagen mögen gut angelernte. Klärmeister, die aber 
dauernd kontrolliert werden müssen, genügen. Die Mehrkosten, 
welche besonders in dem ersten Falle entstehen, machen sich nach 
mehrfacher Richtung hin bezahlt. Die Anlagen kOnnen oft kleiner 
angelegt werden und leisten trotzdem mehr als grössere, nicht 
so sorgfältig überwachte Betriebe. Die fortlaufend ausgeführte 
chemisch • biologische Untersuchung des Abwassers in den ver¬ 
schiedenen Stadien der Reinigung, die Ermittelungen über die 
Einwirkungen des gereinigten Abwassers anf die Vorflut werden 
dann auch die besten Anhaltspunkte geben, um einer Verunreinigung 
unserer Flüsse und Bäche wirksam Vorbeugen zu können. 

(Lebhafter Beifall!) 



Leitsätze zur Abwasserreinigung Tom hygienisch-technischen Standpunkt. 10? 


Die von dem Referenten aufgeetellten Leitsätze hatten 
folgenden Wortlaut: 

1. Bei der Errichtung von Abwässer-Reinignngsanlagen ist 
der Schlammbeseitignng und der Möglichkeit einer Des* 
infektionder Gesamtabwässer die gleiche Beachtung zu schenken 
wie der Abwasserreinigung selbst. 

2. Die zur Reinigung häuslicher und städtischer Ab¬ 
wässer benutzten Reinigungsverfahren sind in ihrer Leistungs¬ 
fähigkeit und der Art ihrer praktischen Anwendung im allgemeinen 
bekannt. Ueber die Reinigung industrieller Abwässer veiss 
man viel weniger; hier bleibt sowohl im allgemeinen, als im ein¬ 
zelnen noch viel zu tun flbrig. 

3. Vor Errichtung der definitiven Reinigungsanlage empfiehlt 
sich, besonders bei grösseren Einrichtungen, die Anstellung von 
Vorversuchen. 

4. Die intermittierende Bodenfiltration bietet in 
bezug auf die Beseitigung der fäulnisfähigen Stoffe, sowie etwaiger 
in einem Abwasser enthaltener Krankheitskeime die gleiche Sicher¬ 
heit wie die Landberieselung. Die Abflüsse enthalten aber 
nicht unerheblich grossere Mengen an Nährsalzen als typische 
Rieselfeldabflfisse. 

5. Die zahlreichen künstlichen biologischen Reini¬ 
gungsverfahren beruhen auf den beiden Grundtypen, Füll- 
und Tropfverfahren. Beide sind im Prinzip gleich¬ 
wertige Methoden. Bei geringem Gefälle kommt an erster 
Stelle das Füll verfahren, bei reichlichem Gefälle das Tropf¬ 
verfahren als Reinigungsmethode in Frage. 

Alle biologischen Körper sind baulich derartig zu gestalten, 
dass Luft entweder dauernd (beim Tropfverfahren) oder nur 
zugewissen Zeiten (in der Lüftungsperiode beim Füllver¬ 
fahren) in alle Zwischenräume des Materials ein dringen kann. 
Ihr Betrieb ist derartig zu handhaben, dass Absorption und Re¬ 
generierung der Körper miteinander Schritt halten. Die Abwässer 
sind endlich so vorzubehandeln, dass die das Leben in den bio¬ 
logischen Körpern beeinträchtigenden S'toffe von diesen 
so weit als möglich ferngehalten werden. 

6. Becken, Brunnen und Türme haben eine doppelte 
Funktion zu erfüllen; sie sollen einmal die ungelösten Stoffe 
mehr oder weniger weitgehend aus einem Abwasser entfernen, 
und zoeitens eine Vermischung der einzelnen Abwasserarten, 
falls eworderlich, herbeiführen. 

7. Rechenanlagen bewirken nur eine teilweise Ent- 
fernug der gröberen ungelösten Stoffe; am meisten 
leisten* noch die Systeme, bei denen die abgefangenen Stoffe 
ausserhalb des Wassers von den Rechen abgenommen werden. 

8. Für die erfolgreiche Wirkung grösserer Reinigungs¬ 
anlagen ist es unerlässlich, dass diese wissenschaftlich 
geschulten, im Dienste der betreffenden Städte und Fabriken 
stehenden Betriebsleitern dauernd unterstellt werden; für 



108 


Diskussion za den Vorträgen: 


kleinere Anlagen mag ein gut angelernter, aber dauernd kon¬ 
trollierter KlÄrwftrter ansreichend sein. 

Vorsitzender: Ich eröffne die Diskussion: 

H. Geh. Med.-Bat Dr. Mittermaier-Heidelberg: M. H.! Die beiden Re¬ 
ferate, die wir gehört haben, sind von hoher Bedentnng, weil sie die wichtige 
Frage der Gesundheitspflege, die Flüsse rein zn halten, behandeln, ln dem 
Referat von Herrn Dr. Thumm haben wir die verschiedenen, insbesondere bio¬ 
logischen Systeme gehört, die zar Reinhaitang der Flüsse angewendet werden. 
Wir in Heidelberg haben einen anderen Weg betreten; wir haben das A b f u h r - 
System eingeführt seit 30 Jahren and gute Erfahrungen damit gemacht. Das 
Abfahrsystem verdient hier genannt za werden, weil es die Methode ist, welche 
am allerbesten und sichersten geeignet ist, unerwünschte Beimengungen, gerade 
die pathogenenKeime von den Flüssen gründlich fern za halten. Heidel¬ 
berg besitzt seit 30 Jahren das Abfuhrsystem; ™ ist so eingerichtet, daß die 
Abort-Stoffe entweder in Tonnen, die 90—100 Liter halten, kommen oder sie 
kommen in fahrbare Behälter, die 500—600 Liter fassen, am damit nach dem 
1V» km von der Stadt entfernten Grabenhofe in große aaszementierte Tangs 
verbracht za werden. Die anderen Abwässer aus den Küchen, Waschküchen usw. 
werden in gaten Kanälen nach dem Flösse geleitet. Nun ist es die erste Frage, 
was haben wir in Heidelberg erreicht durch unser System? Ziehen wir hier¬ 
bei in erster Linie die sanitäre Frage in Betracht, so hat sich gezeigt, daß 
in Heidelberg in bezug auf die Abnahme der allgemeinen Sterblichkeit 
große Fortschritte gemacht sind. Früher starben von lOOOEinwohnern 27—28, 
während heute diese Zahlen auf 18—19 herabgegangen sind. Heidelberg ist 
eine Stadt, die von früher her als Typhusstadt gelten konnte; etwa 140—150 
Erkranknng8fälle an Typhus jährlich waren gang and gäbe. Seit Ein¬ 
führung des Abfuhrsystems haben sich dagegen die Fälle von Typhös, die be¬ 
kanntlich als untrüglicher Gradmesser der öffentlichen Gesundheit einer Stadt 
gelten können, bis auf ein Zehntel, also am 90°/ 0 vermindert. Heidelberg 
ist eine Stadt, die alle 12—20 Jahre von einer Ueberschwemmang durch 
den Neckar heimgesucht wird. Während nun früher nach den Ueberschwem- 
mungen regelmäßig 500—600 Typhhusfälle auftraten, sind bei der letzten 
großen Ueberschwemmung im Jahre 1882 nnr 33 Fälle vorgekommen, and 
merkwürdigerweise in keinem einzigen Hause, wo Tonnen aufgestellt sind. 
Es ist dies gewiß ein Fortschritt von großer Bedeutung. Ich habe die 
Typhuserkrankungen in die Stadtpläne eingezeichnet, die ich Ihnen vorzeige. 
Sie sehen z. B. hier einen Plan, in welchem die Typhusfälle von 1872 einge¬ 
zeichnet sind, und können nun durch Vergleich mit den anderen Plänen die 
allmähliche Abnahme des Typhas in den folgenden Jahren erkennen. 
Ueberall, wo Tonnen auf gestellt sind, sind Typhusfälle fast nicht mehr anf ge¬ 
treten. Ich bemerke hierbei noch, daß in den Fällen, wo Typhus in einem 
Hause auftritt, die ganz besonders eingerichteten Tonnen sofort desinfiziert 
werden. 

Betreffs der finanziellen Verhältnisse, die für ein Abfuhrsystem 
von großer Bedeutung sind, habe ich folgendes mitzuteilen: Die jährlichen 
Ausgaben der Hausbesitzer, welche an die Stadt entrichtet werden, betragen 
durchschnittlich M. 63000; ca. 43000 M. Einnahmen erzielt die Stadt durch 
den Verkauf der Dnngstoffo an die Landwirte. Die Gesamt-Betriebsausgaben 
betragen ca. 126000, wovon 106000 M. durch die obigen Einnahmen gedeckt 
werden, so daß die Gemeindeverwaltung noch rund 20 000 M. zuschießen muß; 
diese Summe muß jedoch für die Abfuhr des Kehrichts in Rechnung gestellt 
werden, die für jeden Hausbesitzer anentgeltlich geschieht. Die Be¬ 
triebskosten für die Hausbesitzer betragen im Jahr pro Kopf etwa 
1,26 M. und für die Gemeinde im Jahr pro Kopf 40 Pf. 

Aus diesen kurzen Angaben mögen Sie ersehen, daß in sanitärer?Be¬ 
ziehung unser Abfuhrsystem alle Anerkennung verdient. Wenn es vielleicht 
auch manch anderem System in anderen Punkten, z. B. in bezog auf Bequem¬ 
lichkeit, nachsteht, so steht es aber sicherlich in volkswirtschaftlicher and sani¬ 
tärer Hinsicht für eine Einwohnerschaft und insbesondere für Reinhaltung 
der Bäche und Flüsse bedeutend voran. (Beifall.) 

H. Ober-Med.-Rat Dr. Scheuerten - Stuttgart: Lassen Sie mich dem 



Abwasserreinigung mit Rücksicht auf die Reinhaltung der Wasserläufe. 109 

ersten Herrn Referenten gleichfalls meine Anerkennung für die ausgezeichnete 
Zusammenstellung aussprechen, welche die gesamten in den deutschen Bundes* 
Staaten bestehenden gesetzlichen Vorschriften über die Reinhaltung der Ge¬ 
wässer umfaßt. Ich weiß es aus eigener Erfahrung als Referent im württem¬ 
bergischen Medizinalkollegium, wie schwierig es ist, sich auf diesem Gebiete 
zu informieren. Dabei gestatte ich mir nebenbei darauf aufmerksam zu machen, 
daß im württembergischen Wassergesetz die wichtigste Bestimmung Artikel 28 
enthält. Nach diesem bedarf „die Einleitung übelriechender, ekelhafter oder 
schädlicher Flüssigkeiten in ein Öffentliches Gewässer der polizeilichen Erlaub- 
niß“, und die Vollzugsverfügung zum Wassergesetz bestimmt in § 60, daß die 
Kreisregierung vor Erteilung der Erlaubnis das Medizinalkollegium zu hören 
hat. So kommt es, daß diese Zentralbehörde über die vorkommenden und zu 
erwartenden Verunreinigungen auf dem Laufenden erhalten wird und recht¬ 
zeitig auf eine Besserung dringen kann. Sie werden mich nun fragen, wie es 
bei dieser zweifellos zweckmäßigen Organisation noch Vorkommen kann, daß 
erhebliche Flußverunreinigungen bestehen; denn es ist auf diesem Gebiete in 
Württemberg auch nicht gerade anders als im übrigen Deutschland. Hieran 
tragen verschiedene Umstände Schuld. Einmal glaube ich, daß wir Hygieniker 
in früheren Jahren zuviel verlangt haben, und daß daraufhin gar nichts ge¬ 
schah. Dann habe ich die Beobachtung gemacht, daß auch die Aufsichtsbehörde 
keineswegs immer von der Schädlichkeit des betreffenden Abwassers überzeugt 
ist, dass überhaupt dem Publikum auf diesem Gebiete das hygienische Ver¬ 
ständnis vielfach fehlt. Schließlich war auch der Sachverständige bis vor 
wenigen Jahren nicht selten außerstande, ein sicheres Reinigungsverfahren ohne 
unverhältnismäßigen Kostenaufwand namhaft zu machen. 

Um allmählich eine Besserung auf dem Gebiet der Abwässerreinigung 
zu erzielen, gehen wir in Württemberg zurzeit so vor, daß zunächst der Staat 
bei seinen Anstalten dafür gesorgt hat und noch darauf bedacht ist, daß deren 
Abwässerbeseitigung eine gute und einwandsfreie wird. Dann ist die Stadt 
Stuttgart zur Erbauung einer großen Versuchskläranlage veranlaßt worden, 
deren Ergebnisse in den Mitteilungen aus der Königlichen Prüfungsanstalt für 
Wasserversorgung und Abwässerbeseitigung zu Berlin Heft 5 veröffentlicht sind. 

Die ersten biologischen Kläranlagen, welche wir haben, sind im 
Jahre 1829 erbaut worden: ich habe später, im Jahre 1901, auf der Hamburger 
Naturforscherversammlung 1 ) über deren Besultate Mitteilung gemacht. Es ist 
mir damals von Herrn Geheimrat Dr. Löffler der Einwurf gemacht worden, 
die sonstigen Anlagen, z. B. die auf dem Lechfeld, hätten sich nicht bewährt; 
es sei daher große Vorsicht am Platze. Demgegenüber konnte ich hervor¬ 
heben, daß ein Hauptfehler verschiedener Anlagen die mangelhafte Größen¬ 
abmessung sei; wenn eine Anlage für die Abwässer eines Bataillons erbaut ist, 
kann nicht von ihr verlangt werden, daß sie diejenigen einer Brigade reinigt; 
sie muß sich in kurzem zu Tod arbeiten. 

Die Württembergischen biologischen Kläranlagen, deren zurzeit etwa 60 
vorhanden sein dürften, sind alle kleinerer Art; die größte reinigt die Abwässer 
von etwa 1000 Menschen. Alle sind nach dem Faulkammerverfahren 
eingerichtet, welches meinen Erfahrungen nach doch gewisse Vorzüge besitzt. 
Die Faulkammer kann z. B. besser als die Ozydationskörper Farbstoffe zer¬ 
stören, so daß sie für die Abwässer von Färbereien besonders geeignet erscheint. 
Sie kann, je nach der Zusammensetzung des Abwassers, z. B. wenn ihr nur 
Fäkalien zufließen, den Schlamm vollkommen auflösen; wir haben diese Er¬ 
fahrungen an zahlreichen Kläranlagen in Stuttgart gemacht, so daß ein Be¬ 
obachtungsfehler ausgeschlossen erscheint. Sobald aber anorganischer Schmutz 
der Kläranlage zugeführt wird, tritt auch in der Faulkammer Schlammbil¬ 
dung ein. Es hat dieses Ergebnis schon der Vergleich der zwei im Jahre 
1899 erbauten Kläranlagen in Winnenden und WUhelmsheim ergeben. Der 
Schlamm des Faulraums hat aber vor dem eines bloßen Absitzbeckens den 
Vorzug, daß er preßfähig und daher leichter zu beseitigen ist. 

Auch wir sind bei der Konstruktion der Faulkammer zu dem Ergebnis 
gekommen, zwei Räume anzulegen, um das Abfließen ungelöster Stoffe zu ver- 


’) Verhandlungen, II. Bd., S. 557, und Medizinalbericht von Württemberg, 
1901, S. 144. 



110 Biskussion zu den Vorträgefi: 

hindern. Wir glauben auch beobachtet zu haben, daß ein besseres Resultat 
ein tritt, wenn der Faulraum möglichst flach gehalten wird. Ftlr eine lediglich 
mechanisch wirkende Einrichtung kann man meiner Ansicht nach die Faul¬ 
kammer nicht erklären, wenn auch nach den bisherigen Beobachtungen darüber 
ein Zweifel nicht besteht, daß von einer Reinigung des Abwassers allein durch 
die Faulkammer keine Rede sein kann. 

Was schließlich die Frage, ob Fflllyerfahren oder Tropfver- 
fahren, betrifft, welche beide ziemlich gleich gut sind, so wird hierüber die 
Praxis entscheiden. Das Fflllyerfahren verlangt bei aller Einfachheit eine 
aufmerksame, rechtzeitige Bedienung; die Schutzen müssen wiederholt nach 
zwei Stunden geöffnet und geschlossen werden. Dies ist bei dem Tropfver- 
fahren nicht der Fall; es funktioniert yon selbst, was im praktischen Leben, 
namentlich bei kleineren Anlagen ein großer Vorzug ist (Beifall.) 

H. Reg.- und Med.-Rat Dr. H. Hecker-Straßburg L Eis.: M. H.I 
Zu der letzten Bemerkung des Herrn Vorredners bezüglich der Notwen¬ 
digkeit, die Zuleitung des Abwassers aus dem Faulbecken in die Filter 
durch einen Wärter regeln zu lassen, wollte ich nur noch anfflhren, daß 
man hierzu auch ein automatisches Verfahren hat, bei welchem — 
wenn es gut funktioniert — ein Wärter nicht erforderlich ist. Dort wo 
das Wasser die Faulkammmern verläßt, fließt es in die Mitte eines quer 
zur AusflußOffnung angebrachten beweglichen Troges, welcher das Wasser — 
je nachdem er nach rechts oder links gesenkt ist — in das rechte, bezw. 
linke Filter leitet. Unterhalb des Troges befindet sich an jedem Ende des¬ 
selben ein senkrechtes Rohr, welches nach unten mit dem Boden des Filter¬ 
beckens kommuniziert. Oben in diesem Rohre ist jederseits ein aus einer 
Hohlkugel bestehender Schwimmer angebracht. Wenn nun das Wasser in dem 
Filter steigt, geschieht dasselbe auch in dem kommunizierenden Rohre, wodurch 
der Schwimmer gehoben wird. Diese drückt infolgedessen yon unten gegen 
das Ende des beweglichen Troges, so daß derselbe sich um seine Q.ueraxe 
dreht. Von da ab fließt das Wasser dann in das andere Filter. 

Dieses System ist yon der „Allgemeinen Städte-Reinigungs-Gesellschaft 
in Wiesbaden* in der Lungenheilstätte Tannenberg bei Saales im Unter-Elsaß 
ausgeführt worden. So lange die Anlage nun nicht überlastet wird, geht alles 
seinen vorschriftsmäßigen Gang. Sobald aber der Zufluß zu stark ist, hat das 
Abwasser nicht die nötige Zeit, sich gleichmäßig in dem Filter auszubreiten. 
Es staut sich vielmehr in der Nähe der Einflußstelle, so daß es hier höher 
steht als im übrigen Filter. Dadurch steigt es aber in dem kommunizierenden 
Rohre gleichfalls so hoch, das es den Schwimmer, und mit ihm den Trog, hebt, 
ehe das Filter also gefüllt ist. Dasselbe geschieht dann auf der anderen 8eite. 

So wechselt der Zufluß zu den beiden Filtern allerdings ab, aber nicht 
in der beabsichtigten Weise, daß jedes Filter zunächst langsam vollläuft, 
dann — nach stattgefundener Entleerung — mehrere Stunden Ruhe hat. Es 
zeigt sich hier, wie so häufig, daß automatische Vorrichtungen nicht unter 
allen Umständen zuverlässig arbeiten. 

H. Ob.-Med.-Rat Dr. Scheurlen-Stuttgart: M. H.I Die Konstruktion, 
die der Herr Vorredner erklärt hat, rührt wahrscheinlich von einem Stuttgarter 
Wasserleitungsgeschäfte her. In Stuttgart stehen */* Dutzend solcher Apparate, 
aber wir sind davon abgekommen aus dem Grunde, weil es nicht möglich ge¬ 
wesen ist, ein Material herauszufinden, welches in der Lage wäre, der Wirkung 
des Abwassers Widerstand zu leisten. Wir haben auch die Erfahrung gemacht, 
daß die Sache anfangs gut funktionierte, aber bald nach einigen Monaten außer 
Tätigkeit getreten ist. M. H.I Ich warne Sie, von diesen selbsttätigen Ap¬ 
paraten Gebrauch zu machen. 

H. Reg.- u. Med.-Rat Dr. Hecker: Ich kann diese Darstellungen nur 
bestätigen, denn die erwähnte Anlage besteht seit ca. VI* Jahren und der 
Schwimmer ist schon durchgerostet. Ich glaube aber, daß sich vielleicht 
Kupfer besser bewähren würde. 

H. Ob.-Med.-Rat Dr. Scheurlen: Das ist schon möglich, aber Kupfer 
wird für eine solche Anlage zu teuer und ist auch nicht oxydationsfreL 

H. Reg.- u. Med.-Rat Dr. Dütochke (Schlußwort): M. H.! Indem ich 
meiner Genugtuung darüber Ausdruck verleihe, daß die yon mir aufgestellten 



Abwasserreinigung mit Rücksicht auf die Reinhaltung der Wasserläufe. 111 


Leitsätze Ihre Zustimmung erfahren haben, drängt es mich gleichzeitig, Herrn 
Kollegen Dr. Scheurlen meinen verbindlichsten Dank auszusprechen für die 
liebenswürdig anerkennenden Worte, welche er hinsichtlich der von mir vor¬ 
genommenen Zusammenstellung der in den deutschen Bundesstaaten bestehenden 
wichtigen gesetzlichen Vorschriften über die Reinhaltung der Qewässer aus¬ 
gesprochen hat. Ich bin mir völlig bewußt, daß ich mit dieser Zusammen¬ 
stellung nichts Erschöpfendes und Vollständiges gebracht habe, ich darf aber 
von Neuem auf die grossen Schwierigkeiten hinweisen, welche sich erfahrungs¬ 
gemäß der Ausarbeitung einer solchen Zusammenstellung entgegenstellen, be¬ 
sonders, wenn, wie im vorliegenden Fall, hierfür nur eine verhältnismäßig kurze 
Zeit zur Verfügung steht. Den Herrn Kollegen würde ich zu aufrichtigem 
Dank verpflichtet sein, wenn Sie mich auf etwaige Ungenauigkeiten und Un¬ 
richtigkeiten in dieser Zusammenstellung aufmerksam machen wollen, ich werde 
dann nicht versäumen, auf die Richtigstellung hinzuwirken. 

H. Prof. Dr. Thumm-Berlin (Schlußwort): Zu den Ausführungen der 
Herren Vorredner möchte ich kurz folgendes bemerken. Bezüglich der beim 
Füllverfahren angewandten automatischen Apparate stimmen meine 
Erfahrungen mit den hier gemachten Angaben im großen und ganzen überein. 
Es gibt 4 oder 6 verschiedene Systeme, die ich heute aber, weil sie sich nur 
in seltenen Fällen als praktisch brauchbar erwiesen haben, nicht weiter 
behandelt habe. Als bestes System kann noch das von Adam angesehen 
werden; aber wie gesagt, die selbsttätig wirkenden Einrichtungen haben sich 
besonders, wenn die Abwässermenge sehr wechselte, nur wenig bewährt und 
besitzen noch den Nachteil, daß sie einen Teil der Abwässer in nicht genügend 
gereinigtem Zustande ableiten. 

Was dann das Faulverfahren und die Mitteilung des Herren Ober¬ 
medizinalrats Dr. Scheurlen anbetrifft, daß in Württemberg gute Erfahrun¬ 
gen mit flachen Faulbecken gemacht worden seien, so kann ich diese Beobach¬ 
tungen nach einigen, von mir gemachten Feststellungen bestätigen. Im 
allgemeinen gehen aber meine Erfahrungen dahin, daß mau mit tieferen Becken 
bessere Erfolge hat, und daß man die Becken am zweckmäßigsten ungefähr 
1,5 m tief anlegt. Allgemein ist zu sagen, daß die Tiefenabmessung von der 
Beschaffenheit des zu behandelnden Abwassers abhängt und zu flache oder zu 
tiefe Becken zweckmäßig keine Verwendung finden. Betreffs der in den Faul¬ 
becken sich abspielenden Schlammverzehrung ist zu sagen, daß deren Größe 
von der Qualität des Abwassers bezw. der in diesem befindlichen ungelösten 
Stoffe abhängt und, wie bereits erwähnt, keineswegs so hoch ist, wie vielfach 
angenommen wird. In zahlreichen Fällen, woselbst eine hohe Schlammver¬ 
zehrung festgestellt wurde, liefen fehlerhafte Beobachtungen mit unter, indem 
mau nur den in den Becken zurückgehaltenen Schlamm in Rechnung stellte, 
und die ungelösten Stoffe, welche in den Abflüssen aus den Faulbecken weg¬ 
geführt wurden, nicht berücksichtigte. Eine vollständige Schlammverzehrung 
in den Faulbecken ist mir bislang noch nicht bekannt geworden, und ich kann 
nur raten, auch beim Faulverfahren in allen Fällen mit Schlammmengen zu 
rechnen, die früher oder später beseitigt werden müssen. Zu beachten ist 
hierbei, daß, wie oben ausgeführt, der Faulbeckenschlamm gegenüber frischem 
Schlamm in physikalischer Beziehung nicht unwesesentliche Veränderungen 
erfahren hat und deswegen im allgemeinen leichter zu behandeln ist als dieser. 

Vorsitzender: Die za diesem Gegenstände unserer heu¬ 
tigen Tagesordnung aufgestellten Leitsätze sind nicht zur Ab¬ 
stimmung bestimmt. Der lebhafte Beifall aber, den die Aus¬ 
führungen der beiden Referenten gefunden haben, lässt die An¬ 
nahme berechtigt erscheinen, dass Sie mit diesen Ausführungen 
sowohl, als mit den Leitsätzen im allgemeinen einverstanden sind. 

Es liegt mir nun noch die angenehme Pflicht ob, den beiden 
Herren Referenten unsern verbindlichsten Dank für ihre vorzüg¬ 
lichen Vorträge auszusprechen. 

M. H.I Die Tagesordnung unserer diesjährigen Tagung ist 
erledigt; bevor ich die Sitzung schliesse, möchte ich Ihnen noch 



112 


Schloß der Sitzung. 


mitteilen, dass inzwischen ein Telegramm von unserem Vorstands¬ 
mitglied, H. Prof. Dr. C r a m e r - Göttingen, z. Z. in Riva, und ein 
Schreiben des H. Geh. Rat Dr. Battlehner-Earlsrohe einge¬ 
gangen ist, in denen unserer diesjährigen Versammlung ein schöner, 
erfolgreicher, zu weiterem Gedeihen und Blähen unseres Vereins 
beitragender Verlauf gewünscht wird. 

Nun, m. H., dieser Wunsch, für den wir den beiden Herren 
herzlich danken, ist m. E. voll und ganz in Erfüllung gegangen! 
Mit besonderer Genugtuung kann ich konstatieren, dass die 
zahlreich erschienenen Mitglieder den Verhandlungen bis zum 
Schluss mit dem grössten Interesse gefolgt und der Saal jetzt, 
wo diese ihr Ende erreicht haben, sich noch ebenso gefüllt zeigt 
wie am gestrigen Tage und zu Beginn der heutigen Sitzung; 
jedenfalls der beste Beweis dafür, dass jeder Teilnehmer volle 
Befriedigung gefunden hat. Mit dem Wunsche auf ein fröhliches 
Wiedersehen im nächsten Jahre schliesse ich die diesjährige 
Hauptversammlung. (Bravo) 

Nach Schluss der Sitzung (1 Uhr nachmittags) feind 
ein gemeinschaftliches zwangloses Mittagsessen (mit Damen) 
im Scblossrestaurant statt, an das sich gegen 3 Uhr 
nachmittags die Besichtigung des alten Schlosses anschloss. 
Hierauf vereinigte sich die Mehrzahl der Mitglieder mit ihren 
Damen zu einem Ausflag nach dem im Neckartal schön gelegenen 
Kümmelbacher Hof. Am Abend trafen sich die noch anwe¬ 
senden Mitglieder im Stadtgarten, in dem grosses Konzert 
nebst Illumination zur Feier des 79. Geburtstages Sr. KönigL 
Hoheit des Grossherzogs von Baden stattfand. 



Anhang. 

Zusammenstellung 

der in den 

deutschen Bundesstaaten 

bestehenden wichtigeren 

gesetzlichen Vorschriften Uber die Reinhaltung der Gewässer. 

Zn dem Beferat des 

Beg.- n. Med.-Rats Dr. Dütschke in Erfurt 

über die 

„Beinhaitang der Wasserläufe vom sanitätspolizei¬ 
lichen und verw&ltnngsrechtlichen Standpunkte“. 

I. Deutsches Reich. 

1. § 366 des Strafgesetzbuches für das Deutsche, Reich vom 
26. Febrnar 1876: 

„Mit Geldstrafe bis zu 60 Mark wird bestraft: 

10. Wer die znr Erhaltung der Sicherheit, Bequemlichkeit Reinlichkeit 

auf.den öffentlichen Wasserstraßen erlassenen Polizei-Verordnungen 

Übertritt.“ 

2. § 906 des Bürgerlichen Gesetzbuches: 

„Der Eigentümer eines Grundstücks kann die Zuführung von Gasen, 
Dämpfen, Gerüchen, Rauch, Ruß, Wärme, Geräusch, Erschütterungen und ähn¬ 
liche von einem anderen Grundstück ausgehende Einwirkungen insoweit nicht 
verbieten, als die Einwirkung die Benutzung seines Grundstückes nicht oder 
nur unwesentlich beeinträchtigt oder durch eine Benutzung des anderen Grund¬ 
stücks herbeigeführt wird, die nach den örtlichen Verhältnissen bei Grund¬ 
stücken dieser Lage gewöhnlich ist Die Zuführung durch eine besondere 
Leitung ist unzulässig. 

8. Artikel 65 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Ge¬ 
setzbuch : 

„Unberührt bleiben die landesgesetzlichen Vorschriften, welche dem 
Wasserrecht angehören, mit Einschluß des Mühlrechts, des Flötzrechts und 
des Flößereirechts, sowie die Vorschriften zur Beförderung der Bewässerung 
und Entwässerung der Grundstücke und die Vorschriften über Anlandungen, 
entstehende Inseln und verlassene Flußbetten.“ 

4. Reichsgesetz, betreffend die Bekämpfung gemein¬ 
gefährlicher Krankheiten, vom 30. Juni 1900: 

§ 35. „Die dem allgemeinen Gebrauche dienenden Einrichtungen für 
Versorgung mit Trink- oder Wirtschaftswasser und für Fortschaffung der Ab¬ 
fallstoffe sind fortlaufend durch staatliche Beamte zu überwachen. 

Die Gemeinden sind verpflichtet, für die Beseitigung der Vorgefundenen 
gesundheitsgefährlichen Mißstände Sorge zu tragen. Sie können nach Maßgabe 
ihrer Leistungsfähigkeit zur Herstellung von Einrichtungen der im Absatz 1 
bezeichneten Art, sofern dieselben zum Schutze gegen übertragbare Krank¬ 
heiten erforderlich sind, jederzeit angehalten werden. 

Das Verfahren, in welchem über die hiernach gegen die Gemeinde zu¬ 
lässigen Anordnungen zu entscheiden ist, richtet sich nach Landesrecht.“ 

§ 41. „Dem Reichskanzler liegt ob, die Ausführung dieses Gesetzes 
und der auf Grund desselben erlassenen Anordnungen zu überwachen. Des¬ 
gleichen hat er, wenn die Gebiete mehrerer Bundesstaaten in Betracht kommen, 
für Herstellung und Erhaltung der Einheit in den Anordnungen der Bundes- 

8 




114 Anhang: Zusammenstellung der in den deutschen Bundesstaaten bestehenden 


behörden za sorgen and za diesem Behafe des Erforderliche za bestimmen, 
in dringenden Fällen auch die Landesbehörden anmittelbar mit Anweisung zu 
▼ersehen.“ 

㤠48. Betrifft die Bildung eines Beichsgesandheitsrats in Ver 
bindung mit dem Kaiserlichen Gesundheitsamt. 

Gemäß § 5, Ziffer 8 der Geschäftsordnung des Beichsgesund- 
heitsrats vom März 1901 berät er in seiner Gesamtheit oder in Ausschüssen 
ttber „Wasserversorgung und Beseitigung der Abfallstoffe — einschließlich der 
Beinhaltung von Gewässern.“ 

6. Beschluß des Bundesrats vom 25. April 1901, betr. die 
Tätigkeit des Beichsgesandheitsrats mit Bezug auf die aus gesund- 
heits- oder veterinärpolizeilichen Rücksichten gebotene Beinhaltung der 
das Gebiet mehrerer Bundesstaaten berührenden Gewässer. 

II. Königreich Preussen. 

A. 

Gesetze, die für die ganze Monarchie gelten: 

1. Feld- und Forstpolizeigesetz vom 1. April 1880. 

§ 27 bedroht die unbefugte Verunreinigung von Gewässern. 

2. Fischereigesetz für den preußischen Staat vom 30. Mai 1879. 

g 43. Verbot der Einleitung solcher Stoffe und in solchen Mengen aus 

landwirtschaftlichen oder gewerblichen Betrieben, durch welche fremde Fischerei¬ 
rechte geschädigt werden. 

§ 44. Verbot des Bötens von Flachs und Hanf in nicht geschlossenen 
Gewässern. 

8. Gesetz über die Polizeiverwaltung vom 11. März 1850, 
eingeführt in den neuen Provinzen durch Königliche Verordnung vom 20. Sep¬ 
tember 1867. 

§ 6. „Zu den Gegenständen der ortspolizeilichen Vorschriften gehören 
. . . Sorge für Leben und Gesundheit.“ 

4. Allgemein Verfügung der Minister für Landwirtschaft, für 
Handel und Gewerbe, der öffentlichen Arbeiten, der Medizinalangelegenheitea 
und des Innern vom 20. Februar 1901. 

Den Polizeibehörden wird aufgegeben, durch Exekutivbe&mte eine 
ständige Ueberwachung der Gewässer des Bezirks vornehmen zu 
lassen. Dem zuständigen Baubeamten, Gewerbeinspektor und Medizinal beamten 
wird Gelegenheit gegeben, sich an den alle 2—8 Jahre stattfindenden Be¬ 
gehungen zu beteiligen. 

Angabe der zur Beinhaltung der Gewässer zu ergreifenden 
Maßnahmen und der hierbei zu beachtenden Gesichtspunkte. 

Bei dem polizeilichen Vorgehen ist ein Unterschied zu machen je nach 
der Art der Anlagen und Anstalten, von denen die Verunreinigung ausgeht, 
ob es sich um gewerbliche Anlagen handelt, die einer besonderen Genehmi¬ 
gung nach § 16 der Gewerbeordnung bedürfen, oder ob es sich um gewerb¬ 
liche Anlagen handelt, die einer Genehmigung nach § 16 der G.-O. nicht 
bedürfen. 

Der 6. Abschnitt erwähnt die Verunreinigung der Gewässer 
durch den Bergbau und schreibt gemeinsames Vorgehen der Wasserpolizei 
und der Bergbehörden vor. 

Zum Schluß dieser Allgemeinen Verfügung werden noch Grundsätze 
für die Einleitung von Abwässern in Vorfluter (Wasserläufe und 
stehende Gewässer) gegeben. 

5. Dienstanweisung für die Kreisärzte vom 23. März 1901. 

§ 75. „Der Kreisarzt hat darauf zu achten, daß in den Ortschaften 

seines Bezirkes die Beseitigung der Abfallstoffe und Abwässer in einer den 
Grundsätzen der Hygiene tunlichst entsprechenden Weise geschieht. Die Ab¬ 
stellung von Mängeln hat er an zuständiger Stelle anznregen und die Aus¬ 
führung von Verbesserungsvorschlägen mit Bat und Tat zu fördern und zu 
unterstützen. 

Ueber jedes Kanalisationsprojekt seines Bezirks hat er sich gutachtlich 
zu äußern.“ 

§ 76. „Die Beinhaltung der öffentlichen Wasserläufe ist in gesundheit¬ 
licher Hinsicht von der gleichen Wichtigkeit, wie die des Untergrundes. Die 



wichtigeren gesetzt. Vorschriften Aber die Beinhaltung der Gewisser. 116 

Verunreinigung der Wasserlinie durch Zuffihrung schmutziger oder giftiger 
Abwässer aus gewerblichen Anlagen, aus Kanalisationseinrichtungen usw. muß 
durch aufmerksame Ueberwachung verhütet werden, eine Aufgabe, an deren 
Losung der Kreisarzt nach Kräften mitzuwirken hat, und zwar nicht nur in¬ 
folge einer amtlichen Beteiligung, sondern auch aus eigenem Antriebe, sobald 
Mißstände zu seiner Kenntnis gelangen.“ 

B. 

Gesetze, die nur in den sogenannten alten Provinzen gelten. 

6. Bestimmungen des § 10 Allgem. Land-Bechts II, 17. 

„Die nötigen Anstalten zur Erhaltung der Öffentlichen Buhe, Sicherheit 

und Ordnung und zur Abwendung der dem Publico oder einzelnen Mitgliedern 
desselben bevorstehenden Gefahr zu treffen, ist das Amt der Polizei“ 

7. Allerhöchste Kabinetsordre vom 24. Februar 1816, die Ver¬ 
hütung der Verunreinigung der schiff- und floßbaren Flüsse 
und Kanäle betreffend. 

Untersagt die Verunreinigung der Gewässer, insoweit sie durch ge¬ 
werbliche Anlagen herbeigeführt wird, jedoch nur, wenn sie nur durch Ein¬ 
werfen fester Stoffe erfolgt. 

8. Gesetz über die Benutzung der Privatflüsse vom 28. Febr. 
1848, in der Bheinprovinz durch Verordnung vom 9. Januar 1846 eingeführt. 

§ 8. Verbot der Verunreinigung der Privatflüsse durch gewerbliche 
Abwässer, wenn dadurch der Bedarf der Umgegend an reinem Wasser beein¬ 
trächtigt, oder eine erhebliche Belästigung des Publikums verursacht wird. 

0 . 

Für einzelne Landesteile: 

9. Für den Geltungsbereich des rheinischen Bechts: 

Ordonnance du mois d’aoüt 1669 sur le fait des eaux et forOts. 

Artikel 42 bezieht sich nur auf schiff- und floßbare Flüsse, untersagt 

aber deren Verunreinigung allgemein. 

10. Gesetz, betreffend die Bildung einer Genossenschaft 
zur Begelung der Vorflut und zur Abwässerreinigung im 
Emschergebiet vom 14. Juli 1904. 

III. Königreich Bayern. 

1. Wasserbenutzungsgesetz vom 28. Mai 1862. 

Artikel 68. „Die Benutzung des Wassers der Privatflüsse zum Betriebe 

von Gerbereien, chemischen Fabriken.und zu anderen Bestimmungen, 

durch welche die Eigenschaften des Wassers auf schädliche Art verändert 
werden, unterliegt der besonderen Bewilligung und Beschränkung durch die 
Verwaltungsbehörde.“ 

2. Artikel 97 des Polizei-Strafgesetzes vom 26. Dezember 1871. 

„Mit Geldstrafe bis zu 60 Gulden wird bestraft: 

Ziffer 8. Wer an den Ufern Öffentlicher Flüsse Anlagen macht, welche 
den freien Lauf oder den gemeinen Gebrauch des Flusses hindern. 

Ziffer 6. Wer das Wasser eines Privatflusses zum Betriebe von chemi¬ 
schen Fabriken .... oder zu anderen Bestimmungen, durch welche die Eigen¬ 
schaften des Wassers auf schädliche Art verändert werden, ohne besondere 
Bewilligung der Verwaltungsbehörde benützt . . . .“ 

8. Entschließung des Königlich bayerischen Staats¬ 
ministeriums des Innern vom 13. April 1906: 

Vor Erteilung der Genehmigung der Einleitung von Abwässern in öffent¬ 
liche Flüsse usw. ist eine gutachtliche Aeußerung des Königlichen hydrotech¬ 
nischen Bureaus einzuholen. 

IV. Königreich Sachaen. 

1. Verordnung des Minist, des Innern vom 9. April 1877. 

Betrifft die Feststellung der Verunreinigung der Gewässer und 

die zur Beseitigung der Mißstände anzuordnenden Maßnahmen. 

2. Verordnung des Minist, des Innern vom 26. März 1882. 

Eine strengere Handhabung der in dem Erlaß vom 9. April 1877 an¬ 
geordneten Maßnahmen wird veranlaßt. 

8. Verordnung des Ministeriums des Innern vom 19. De¬ 
zember 1886. 


8* 




116 Anhang: Zusammenstellung der in den deutschen Bundesstaaten bestehenden 

Die Ereishauptmannschaften haben auf möglichste Beschränkung 
der Verunreinigung yon fließenden Gewässern hinzuwirken. An* 
Ordnung regelmäßiger Besichtigungen unter Teilnahme der Be¬ 
zirksärzte und Gewerbeinspektoren. Unbedingtes Verbot der Einführung 
fester Stoffe in einen Wasserlauf. Die Verwaltungsbehörden haben Maßnahmen 
zu treffen, daß verunreinigende Flüssigkeiten vor Einlauf in den Flußlauf 
unschädlich gemacht werden. 

4. Verordnung des Ministeriums des Innern vom 25. No¬ 
vember 1903, betreffend Verhütung der Verunreinigung fließender 
Gewässer durch die Pockenkrankheit der Karpfen. 

6. Verordnung des Ministeriums des Innern vom 18. Fe¬ 
bruar 1904. 

Anordnung jährlicher Flußschauen unter Teilnahme der Bezirks¬ 
ärzte und Gewerbeaufsichtsbeamten. 

Y. Königreich Württemberg. 

1. Wassergesetz vom 1. Dezember 1900 und Vollzugsverfftgung 
vom 16. November 1901. 

Nach Artikel 28 des Gesetzes bedarf die Einleitung übelriechender, 
ekelhafter oder schädlicher Flüssigkeiten in ein Öffentliches Gewässer der poli¬ 
zeilichen Erlaubnis; nach § 60 der Vollzugsverfügung soll die Kreisregierung 
vor Erteilung der Erlaubnis die beteiligten FachbehOrden, insbesondere 
das Medizinalkollegium hOren 1 ) 

Artikel 106 ordnet regelmäßig wiederkehrende technische Besichtigungen 
der Öffentlichen Gewässer und sämtlicher in und an denselben befindlichen 
Wasserbenutzungsanlagen an. 

2. Verfügung des Ministeriums des Innern vom 6. No¬ 
vember 1901, betreffend die Wasserschau. 

Vom Jahre 1903 ab findet die regelmäßige Schau der Gewässer unter 
Teilnahme des Oberamtsarztes, des Straßenbau- und Kulturinspektors, 
des oberamtlichen Wasserbautechnikers, des Fischereisachverständigen des 
Kreises und von Vertretern der Interessenkreise statt. 

3. Verfügung des Ministeriums des Innern vom 7. No¬ 
vember 1901, betr. das Verfahren vor den Wasserschiedsgerichten 

Nach § 4 findet das Verfahren vor dem Schiedsgericht in Streitigkeiten 
über die Benutzung eines Öffentlichen Wassers nur statt, wenn der erhobene 
Anspruch nicht privatrechtlicher Art ist. 

VI. Grosshernogtam Baden. 

1. Wassergesetz vom 26. Juni 1899. 

§ 12. „Die Ausübung des Gemeingebrauchs an Gewässern 
kann durch polizeiliche Anordnung, sowie durch Verordnung bezirks- oder orts¬ 
polizeilicher Vorschrift geregelt oder beschränkt werden, wenn Gefährdung 
oder Verletzung Öffentlicher Interessen zu befürchten steht.* 

§ 16. „Die öffentlichen Gewässer dienen unter Leitung und Aufsicht 
der Staatsbehörden dem öffentlichen Verkehr und sonstigen Gemeingebrauch 
und dürfen für andere Zwecke nur nach Maßgabe der Anordnungen der Staats¬ 
behörden und nur insoweit benutzt werden, als dadurch der nach der Be¬ 
schaffenheit des Gewässers stattfindende Gemeingebrauch keine wesentlichen 
Beeinträchtigungen erfährt.“ 

§§ 37—46 behandeln die Genehmigung, Untersagung und Regelung der 
Wasserbenutzung und Entwässerung. 

§ 48. „Eine Wasserbenutzung kann von der Verwaltungsbehörde unter¬ 
sagt oder an beschränkende Bedingungen geknüpft werden, wenn und soweit 
durch die Art der Ausübung für das Gemeinwohl überwiegende Nach¬ 
teile und Gefahren entstehen.“ 

§ 49. „Im Interesse einer zweckentsprechenden Wasserbenutzung und 
Entwässerung, insbesondere hinsichtlich des Gebrauchs und der Instandhutung 
der Stanvorricbtungen, Gräben und sonstigen Anlagen können besondere Be¬ 
schränkungen und verpflichtende Bestimmungen getroffen werden.“ 

§§ 107—109 regeln die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörde im all¬ 
gemeinen und besonderen. 


') Nachträglich vervollständigt. 



wichtigeren gesetzl. Vorschriften Uber die Reinhaltung der Gewässer. 117 

§101. Anordnung regelmäßiger Wasserschauen durch die 
technischen Behörden, an denen auch nach der 

2. Verordnung des Ministeriums des Innern vom 4. März 
1903 die Bezirkssanitätsbeamten von Zeit zu Zeit teilzunehmen haben. 

3. Verordnung des Minist, des Innern vom 27. Juni 1874, die 
Sicherung der öffentlichen Gesundheit und Reinlichkeit betr. 

§ 5. „Uebelriechende, ekelhafte, der Gesundheit durch ihre Aus* 
dünstungen schädliche Flüssigkeiten sollen nicht in die Straßenrinnen, sondern 
unterirdisch in gut eingerichteten Kanälen abgeleitet oder auf andere an¬ 
gemessene Weise ohne Belästigung oder Benachteiligung der Nachbarn oder 
der Einwohnerschaft beseitigt werden. 

Die periodische Reinigung der durch Ortschaften fließenden 
Bäche, Kanäle, Gräben, sowie der innerhalb der Ortschaften gelegenen, dem 
öffentlichen Gebrauche dienenden Teiche, Weiher usw. hat die Ortspoli¬ 
zeibehörde unter Aufsicht des Bezirksamtes zu regeln und zu überwachen.“ 

§ 6. „Die zur Ableitung von Kot, Abwasser und dergleichen dienenden 
Abzugskanäle müssen jederzeit derart hergestellt sein, daß durch die Um¬ 
wandlungen keine Abflüsse, bei unterirdischen Kanälen auch keine Aus¬ 
dünstungen stattfinden können.“ 

TU. G r osahersogtam Hessen. 

1. Gesetz vom 31. Juli 1887 in der Neufassung vom 30. September 1899 
die Bäche und die nicht ständig fließenden Gewässer betreffend 

„Artikel 14. Besonderer Genehmigung des Kreisausschusses bedarf: 

1. Wer einen Bach zu Zwecken benutzen will, welche die Eigenschaften 
des Wassers durch Einleitung fremder Stoffe ändern; 

2. wer einen Bach mittelst besonderer Anlagen benutzen oder bezüglich 
dieser Benutzungsart und der hierzu bestehenden Anlagen wesentliche Aende- 
rungen vornehmen will, insbesondere wer in oder an einem Bache 

a) Stauanlagen .... wie Zu- und Ableitungskanäle, Sammelweiher, 

b) Bewässerungs- und Entwässerungsanlagen, wodurch der Lauf des Wassers 
eines Baches mit nachteiligerWirkung für dritte Grundeigentümer 
oder Nutzungsberechtigte gehemmt, beschleunigt oder abgeleitet wird, 

errichten oder wesentlich ändern will. 

2. Verordnung vom 23. Juni 1891, betreffend die Ausführung 
des Gesetzes vom 14. Juni 1887 Uber das Dammbauwesen und das 
Wasserrecht in den Gebieten des Rhein, Main, Neckar und des schiffbaren 
Teiles der Lahn. 

„§ 15. Die Einleitung flüssiger Abgangsstoffe in das Flußbett bedarf in 
jedem Falle der ausdrücklichen Genehmigung der Flußbaubehörde.“ 

2. Polizeistrafges etz vom 10. Oktober 1871. 

„Artikel 120. Unbefugtes Einwerfen von . . . Unrat in die Bäche oder 
Gräben ist untersagt.“ 

4. Außerdem Polizei-Verordnungen für 

den Kreis Groß-Gerau, betreffend die Benutzung des Wassers und Flu߬ 
bettes des Rheins und Mains, vom 12. März 1892, 
das Kreisamt Heppenheim vom 7. März 1892 für den Neckar, 

„ Kreisamt Bensheim vom 8. März 1892 für den Rhein, 

„ Kreisamt Worms vom 28. März 1892 für den Rhein, 

„ Kreisamt Offenbach vom 26. März 1892 für den Main, 

„ Kreisamt Gießen vom 18. Oktober 1893 für die Lahn, 
den Kreis Mainz, mit Ausnahme des Hafengebietes der Stadt Mainz, vom 

5. Oktober 1901, 

welche sämtlich die Einleitung flüssiger Abgangs Stoffe in die 
Flußbetten ohne vorherige ausdrückliche Genehmigung der Flußbaubehörden 
verbieten. 

VIII. Groasherzogtum Mecklenburg-Schwerin. 

1. Verordnung vom 2. September 1879, betr. Verunreinigung 
von Gewässern. 

§ 3, Ziffer 12. „Mit Geldstrafe bis zu 60 Mark wird bestraft: 

Wer unbefugter Weise fremde Gewässer oder ortspolizeilicher Vorschrift 
zuwider Gewässer, welche ihren Abfluß nach fremden Grundstücken haben, 
verunreinigt.“ 



118 Anhang: Zusammenstellung der in den deutschen Bundesstaaten bestehenden 

2. Verordnung vom 21. Jnli 1886, betr. Verunreinigung 
yon Wasserentnahmestellen. 

§ 14, Ziffer 1. „Jede Verunreinigung der Stellen, an welchen Wasser 
zum Trinken oder zum Hausgebrauch entnommen wird, und deren nächster 
Umgebung, namentlich durch die Abfälle der menschlichen Haushaltung, ist 
verboten; insbesondere ist das Spülen yon Gefäßen und Wäsche an den Wasser¬ 
entnahmestellen untersagt.“ 

3. Verordnung vom 22. Juni 1900, betr. Betrieb und Be¬ 
aufsichtigung yon §alz-Bergwerken. 

§ 17. „Die Einleitung der Abwässer aus Bergwerken und Aufbereitungs¬ 
anstalten in Öffentliche Gewässer ist nur in einem für die Interessen der An¬ 
lieger oder sonstigten Berechtigten unschädlichen Zustande gestattet.“ 

4. Verordnung vom 20. Juni 1902, betr. Schauordnung für 
die größeren Wasserläufe im Dom.-Amt Dömitz. 

§ 13. Anlagen von Viehtränken sind nur in einiger Entfernung von 
den Wasserläufen herzurichten und so anzulegen, daß Verschlammung und 
Verunreinigung des Flußbettes nicht stattfinde. 

5. Verordnung vom 6. Mai 1905 über Maßnahmen aus § 85 des 
Reichsgesetzes, betreffend die Bekämpfung gemeingefährlicher 
Krankheiten vom 30. Juni 1900. 

Eine Kommission, bestehend ans dem Kreisphysikus und einem Bau¬ 
distriktsbeamten, ist beauftragt mit der Ueberwachung der Wasserwerke zur 
Versorgung mit Trink- und Wirtschaftswasser und der Fortschaffung der 
Abfallstoffe. 

IX. Grossheraogtum Sachsen - Weimar. 

1. Landesgesetz über den Schutz gegen fließende Ge¬ 
wässer und über Benutzung derselben vom 16. Februar 1854. 

Das Gesetz enthält keine speziellen auf die Verunreinigung der Öffent¬ 
lichen Wasserläufe durch Abwässer yon Fabriken und durch den Zufluß von 
Fäkalien bezügliche Bestimmungen, gibt aber eine Handhabe gegen derartige 
Verunreinigungen insofern, als alle zu Nutzzwecken in und an fließenden Ge¬ 
wässern beabsichtigten Einrichtungen und Anlagen von der Genehmigung der 
zuständigen Verwaltungsbehörden abhängig sind, welche die Benutzung der 
fließenden Gewässer und ihrer Ufer nur insoweit zuläßt, als dieselbe mit der 
Öffentlichen Wohlfahrt übereinstimmt, und Zuwiderhandlungen mit Strafe be¬ 
droht. 

2. Landesgesetz, betr. die Fischerei vom 6. Mai 1876. 

§ 37. Verunreinigung der Fischw&sser, Verbot der Einleitung von 
solchen Stoffen aus landwirtschaftlichen oder gewerblichen Betrieben m die 
Gewässer, daß dadurch fremde Fischereirechte geschädigt werden können. 
Ausnahmen werden gestattet unter Auferlegung der Verpflichtung zur Her¬ 
stellung besonderer Vorkehrungen, welche geeignet sind, den Schaden zu heben 
oder doch möglichst zu verringern. 

X. Groenhersogtum Oldenburg. 

1. Wasserordnung für das Herzogtnm Oldenburg vom 
20. November 1868. 

Artikel 16. § 1. Verbot der Benutzung der Öffentlichen Wasserzüge 
zn Zwecken, welche das Wasser zum Schöpfen, Trinken, Waschen, Baden un¬ 
tauglich machen. 

Artikel 17. § 2. Die Abführung solcher Wässer in die Öffentlichen 
Wasserzüge, welche für den Gemeinbrauch, die Fischerei oder die landwirt¬ 
schaftliche Benutzung schädliche Stoffe enthalten, kann vom Amte untersagt 
werden. 

2. Ministerial-Bek anntmachung vom 26. Mai 1875, betr. Ver¬ 
bot der Vertiefung und Verunreinigung Öffentlicher Gewässer. 

XI. Herzogtum Brzunaobvelg. 

1. Wassergesetz für das Herzogtum Braunschweig vom 20. Juni 1876. 

§ 50. Eine Benutzung der öffentlichen Gewässer und ihrer Ufer ist nur 
insoweit zulässig, als dieselbe mit der Öffentlichen Wohlfahrt übereinstimmt. 

§ 85. Es bedarf der Verleihung des Rechtes zur Benutzung 



wichtigeres gesetzt. Vorschriften über die Reinhaltung der Gewisser. 119 


eines öffentlichen Gewissere, um demselben von seinem Grundstücke durch be¬ 
sondere Vorrichtungen abgeleitetes Wasser zuzuführen. 

§ 88. Durch die Benutzung des Wassers seitens des Privateigentümers 
darf keine das Recht eines anderen beeinträchtigende Verunreinigung 
des Wassers usw. verursacht werden. 

2. Polizei-Strafgesetz vom 23. März 1899. 

§ 18 Ziffer 1. Mit Geldstrafe bis zu 160 M. wird bestraft, „wer den 
Lauf öffentlicher Gewässer hemmt oder stört oder denselben unbeiugt ver¬ 
unreinigt.“ 

XII. Hersogtom Sachsen - Meiningen. 

1. Gesetz vom 6. Mai 1872, die Benutzung und Behandlung 
der Gewässer betreffend. 

Artikel 43. Unrat, Kot, tierische Körper, Sigespähne und 
andere das Wasser verunreinigende oder seine Beschaffen¬ 
heit in schädlicher Weise verändernde Gegenstände dürfen, 
wo es von der Polizeibehörde nicht besonders erlaubt wird, in fließende Ge¬ 
wässer nicht gebracht werden. 

Die Polizeibehörde kann die Zuleitung verunreinigender oder schädlicher. 
Zuflüsse verbieten. 

Das Flachs- und Hanfrösten kann von ihr untersagt werden, wo 
es der Beschaffenheit des Wassers oder der Heilsamkeit der Luft nach¬ 
teilig wird. 

Artikel 44. Die Polizeibehörde kann verbieten, Sand, Erde, Steine und 
andere Gegenstände in fließende Gewässer zu bringen, wenn es die Vorflut 
zum Nachteil anderer hemmt oder in anderer Hinsicht schädlich wird 

XIII. Hersogtum Sachsen - Altenburg. 

1. Gesetz über die Rechtsverhältnisse des Wassers vom 
18. Oktober 1865. 

§ 28. „Jede Benutzung des öffentlichen Wassers, sowie das in selbiges 
abfließende geschlossene Wasser, wodurch die Eigenschaften des öffent¬ 
lichen Wassers auf schädliche Art verändert oder die Ufer der 
öffentlichen Gewässer gefährdet werden, namentlich die Benutzung zu Gerbereien, 
chemischen Fabriken, Bleichereien, ingleichen die Ableitung schädlicher 
Flüssigkeiten in die vorgedachten Gewässer, unterliegt, soweit sie nicht 
auf einem wohlerworbenen Rechte beruht, der Bewilligung und Beschränkung 
durch die Verwaltungsbehörde, welche bei ihren diesfallsigen Entschließungen 
namentlich auch auf den Uferschutz und auf etwaige Nutzungsrechte Anderer 
Rücksicht zu nehmen hat. 

Auch das Anlegen von Badeanstalten und Viehtränken, 8chafwaschen, 
das Pferde8chwämmen, Durchtreiben des Viehes, Durchfahren, Flachs- oder 
Hanfrösten, kann, auf Antrag der Beteiligten, von der Verwaltungsbehörde 
beschränkt oder sonst geregelt werden.“ 

§29. „Wohlerworbene Rechte, durch deren Ausübung die 
Eigenschaften des öffentlichen Wassers auf schädliche Art verändert, oder die 
Ufer öffentlicher Gewässer gefährdet werden, können, wann und insoweit dies 
im wesentlichen öffentlichen Interesse erforderlich ist, gegen Ent¬ 
schädigung beschränkt oder au fgehoben werden.“ 

2. Gesetz, die Fischerei betreffend vom 19. Juli 1876. 

§41. Verbot der Verunreinigung der Fischwasser in öffent¬ 
lichen oder geschlossenen Gewässern unter Hinweis auf §§ 28, 29 des Gesetzes 
über die Rechtsverhältnisse des Wassers vom 18. Oktober 1865 (s. vorher). 
Ausnahmen kann die zuständige Verwaltungsbehörde gestatten. 

§ 42. Das Rösten von Flachs und Hanf in nicht geschlossenen Ge¬ 
wässern, welche Fische führen oder nach fischhaltigen Gewässern ihren Abfluß 
haben, ist verboten. 

8. Baugesetz für die Städte des Herzogtums Sachsen- 
Altenburg vom 14. Januar 1901. 

§ 67. Verbot der Anlagen von Sieker- (Senk) Gruben zur Unterbringung 
von Abfallwasser. Vorschriften für Beseitigung der Abfallwasser. 

4. Baugesetz für die Dörfer des Herzogtums Sachsen- 
Altenburg vom 14. Januar 1901. 



120 Anhang: Zusammenstellung der in den deutschen Bundesstaaten bestehenden 

§ 58. Jauche aus Viehstillen, Dungstätten, Aborten, ferner Abgänge 
aus Schlachthäusern, Gerbereien u. dergl. sowie andere Unreinlichkeiten dürfen 
nie auf Öffentliche Wege oder in deren Gräben abfließen. 

XIV. Heraogtum Sachsen-Gotha. 

1. Gesetz über die Benutzung desWassers und über den 
Schutz gegen dasselbe vom 12. August 1859. 

§ 30. „Die Benutzung des Wassers zu Gerbereien, chemischen Fabriken, 
Bleichereien, Flachs- u. Hanfrösten, Badeanlagen usw. und zu sonstigen 
Zwecken, wodurch die Eigenschaften des ersten auf schädliche Art verändert 
oder die Ufer gefährdet werden, unterliegt vorbehaltlich wohlerworbener 
Hechte, der Bewilligung und Beschränkung durch die Verwaltungsbehörde, 
welche bei ihren desfallsigen Entschließungen namentlich auch auf den Ufer¬ 
schutz und auf etwaige Nutzungsrechte Bücksicht zu nehmen hat.“ 

§ 31 verbietet Anlage und wesentliche Umänderungen von Triebwerken 
und Stauvorrichtungen ohne Genehmigung der Verwaltungsbehörde und definiert 
als wesentliche Veränderungen solche, welche auf den Stand, den Lauf oder 
die Benutzungsweise des Wassers Einfluß haben. 

§99 schreibt Besichtigungen und Untersuchungen der 
fließenden Gewässer und ihrer Ufer vor, die von den Verwaltungsbe¬ 
hörden von Zeit zu Zeit anzuordnen sind. 

(Auf Grund dieses § finden jetzt regelmäßige Flußbesichtigungen durch 
besondere Kommissionen statt, zu denen nach Bedarf vom Staatsministerium 
Kommissare abgeordnet werden.) 

2. Ausführungsverordnung vom 81. Dezember 1900 zum 
Beichsgesetz vom 80. Juni 1900 über die Bekämpfung gemein¬ 
gefährlicher Krankheiten. 

Die im § 85 des Gesetzes vom 80. Juni 1900 aufgeführten Einrichtungen 
sind der Aufsicht der Amtsphysiker unterstellt. 

XV. Hersogtum Anhalt. 

1. Gesetz, die Einführung d es Polizeistrafgesetze s be 
treffend, vom 6. August 1864. 

Artikel 148. „Wer Brunnen oder fließendes Wasser, welches zum 
Trinken, Kochen oder Brauen dient, durch Dinge verunreinigt, welche Ekel 
erregen oder dem Wasser eine der Gesundheit nachteilige Eigenschaft mit- 
teilen, ohne daß die Handlung als peinlich zu bestrafendes Verbrechen oder 
Vergehen erscheint, fällt in Geldstrafe von 2—20 Talern oder Gefängnisstrafe 
von 3 Tagen — 4 Wochen.“ 

2. Gesetz vom 24. Juli 1876. (Anhaitische Gesetz-SammL Nr. 426)* 

§ 39. Es ist verboten, in die Gewässer aus landwirtschaftlichen oder 

gewerblichen Betrieben Stoffe in solcher Beschaffenheit und in solchen Mengen 
einzuwerfen, einzuleiten oder einfließen zu lassen, daß dadurch fremde Fischerei- 
r echte geschädigt werden können.“ 

8. Gesetz vom 22. Juni 1900. (Anhaitische Gesetz-SammL Nr. 1099). 

§ 13. Die Beseitigung gefallener oder getöteter Tiere 
durch Verbringen in Flüsse pp. ist verboten. 

XVI. Fürstentum Sohwarsburg- Rudolstadt. 

Gesetzliche Vorschriften über die Beinhaltung der Wasserläufe be¬ 
stehen nicht. 

XVII. Fürstentum 8chvarsburg - Sondersbausen. 

1. Wassergesetz vom 26. Januar 1858. 

§ 47. „Die Benutzung fließender Gewässer zu Anstalten für Gewerbe 
und für Hauswirtschaftszwecke, jedoch mit Ausschluß der Triebwerke, setzt 
die Erlaubnis des Landrats voraus. In der Bogel soll diese Erlaubnis er¬ 
teilt werden, wenn. 

Ziffer 2. das öffentliche Interesse die fragliche Benutzung nicht 
verbietet, insonderheit diese Benutzung den Bedarf von Wasser zum wirtschaft¬ 
lichen Gebrauche, bei Feuersgefahr usw. nicht beeinträchtigt.“ 

2. Fischereigesetz vom 20. September 1876. 

§ 42. „Es ist verboten, in die Gewässer aus landwirtschaftlichen oder 
gewerblichen Betrieben Stoffe von solcher Beschaffenheit und in solchen Mengen 




wichtigeren gesetzl. Vorschriften über die Reinhaltung der Gewässer. 121 


einznwerfen, einzuleiten oder einfließen zu lassen, daß dadurch fremde Fischerei¬ 
rechte geschädigt werden können. 

Bei überwiegendem Interesse der Landwirtschaft oder der Industrie kann 
das Einleiten oder Einwerfen solcher Stoffe in die Gewässer gestattet werden. 
Soweit es die örtlichen Verhältnisse zulassen, soll dabei dem Inhaber der An¬ 
lage die Ausführung solcher Einrichtungen aufgegeben werden, welche geeignet 
sind, den Schaden für die Fischerei möglichst zu beschränken.“ 

§ 43. „Das Bösten von Flachs und Hanf in nicht geschlossenen Gewässern 
ist verboten.“ 

XVIII. Fürstentum Reusa älterer Linie. 

1. Fischereigesetz vom 2. Juli 1878. 

§ 41. Wörtlich wie § 42 des Fischereigesetzes für Fürstentum Schwarz- 
burg-Sondershausen. Vergl. vorher unter XVII, Nr. 2. 

2. Besondere gesetzliche Bestimmungen über die Beinhaltung der 
Wasserläufe bestehen sonst für das Fürstentum Beuß älterer Linie nicht. 

XIX. Fürstentum Reuss jüngerer Linie. 

Ministerialbekanntmachung vom 27. Juli 1888, die Verun¬ 
reinigungen des fließenden Wassers betreffend. 

„Die Besitzer derjenigen Anlagen, deren Abgänge wesentlich zur Verun¬ 
reinigung des fließenden Wassers Veranlassung geben, haben je nach Art des 
Betriebes und nach den vorhandenen örtlichen Verhältnissen für Unschädlich¬ 
machung und Klärung dieser Abgänge zu sorgen. In den Klärungen ist die 
Ausscheidung und Fällung der verunreinigenden Stoffe unter Umständen durch 
entsprechenden Zusatz von Kalk und anderen geeigneten chemischen Präparaten 
zu beschleunigen. 

Die Verwendung des Schwefelarsens in den Gerberei-Anlagen ist verboten. 

Da, wo besondere Klärungen erforderlich sind, müssen dieselben bis 
zum 1. Juli 1889 hergestellt sein. Im übrigen tritt diese Anordnung sofort in 
Kraft. 

Zuwiderhandlungen usw.“ 

XX. Fürstentum Schaumburg - Lippe. 

1. Gesetz vom 28. April 1880: 

„Mit Geldstrafe bis zu 50 M. oder Haft bis zu 14 Tagen (abgesehen 
von Fällen des § 366 Ziffer 10 des B. Str. G. B.) wird bestraft, wer unbefugt . . . 

2) in Gewässern Felle auf weicht oder reinigt oder Schafe wäscht; 

3) wer Gewässer verunreinigt oder ihre Benutzung in anderer Weise er¬ 
schwert oder verhindert.“ 

2. Gesetz vom 31. März 1898, betreffend Bäumung natür¬ 
licher Wasserläufe. 

§ 4. „Werden natürliche Wasserläufe infolge Betriebes von Fabriken, 
Bergwerken und ähnlichen industriellen Unternehmungen in erheblichem Maße 
verunreinigt, so kann auf Antrag des Räumungspflichtigen durch das Landrats¬ 
amt ein angemessener Beitrag zu den Räumungskosten auf erlegt werden.“ 

Die Ortspolizeibehörde überwacht die ordnungsmäßige Ausführung der 
Bäumung. 

XXI. Fürstentum Lippe. 

1. Verordnung vom 23. September 1669. Verbot des Ein¬ 
legens von Flachs in fließende Gewässer. 

2. Verordnung vem 28. Dezember 1779. Verbot des Einlassens 
des Flachsrottenwassers in die Gewässer. 

3. Gesetz vom 5. April 1890 betr. Einrichtung privater Schlacht- 
h äuser. 

§ 6. Unter Berücksichtigung besonderer Verhältnisse kann die Orts¬ 
polizeibehörde die Ableitung der Abwässer in vorhandene Wasserläufe ohne 
Einrichtung eines Sammelbehälters gestatten. 

4. Gesetz vom 26. April 1901 als Ergänzung zum Feld-Forst¬ 
polizeigesetz: 

„Wer, abgesehen von den Fällen des § 366 Nr. 10 des R.-Str.-G.-B. und 
befugt öffentliche Gewässer dadurch verunreinigt, oder ihre Benutzung dadurch 
verhindert oder erschwert, daß er Unrat, Abfälle, Kadaver oder andere feste 



122 Anhang: Zusammenstellung der in den deutschen Bundesstaaten bestehenden 

Stoffe in die Gewisser bringt, wird mit Geldstrafe bis zu 50 M. oder mit Haft 
bis za 14 Tagen bestraft. tt 

5. Polizei-Verordnung fttr die Stadt Detmold über die 
Aufrhamang and Instandhaltung des Bettes der Werre, der 
kleinen Werre nnd des Knochenbaches vom 15. April 1897. 

§ 12. „Des Einwerfens und Einwälzens von losen Steinen, Erde, Asche, 
Schlacken, Kadavern, Dnrat and aller Art Materialien maß ein Jeder sich 
enthalten. Eine Ausnahme findet statt, wenn solches znm Behuf einer Anlage 
am Ufer nothwendig ist und daraus nach dem Urteil des Magistrats kein Hin¬ 
dernis für den Abfluß des Wassers entsteht und auch dadurch die Beeinträch¬ 
tigung des Bedarfs der Umgegend an reinem Wasser oder eine erhebliche Be¬ 
lästigung des Publikums nicht stattfindet.“ 

XXII. Freie and Hansestadt Lflbeck. 

1. Wasserlösungsordnung für den Lübeckischen Frei¬ 
staat vom 2. Dezember 1865. 

Behandelt im wesentlichen die physikalischen Verhältnisse der Ent¬ 
wässerung und die Beinhaitun^ der Wasserläufe im Artikel 2. 

2. Gesetz, betr. die Benutzung der Öffentlichen Siel¬ 
anlagen in der Stadt und den Vorstädten, sowie die Herstel¬ 
lung der Privatsiele daselbst vom 25. Mai 1905. 

§ 6. „Feste Stoffe, wie Küchenabfälle, Müll, Kehricht, Schutt, Sand, 
Asche, Fett, Fleischteile und dergleichen dürfen dem Privatsiel nicht zugeführt 
werden. 

Es ist nicht erlaubt, die in Ställen und Dunggruben angehäuften Dung¬ 
massen durch Ueberleiten von Wasser, sei es durch Begenabflüsse von den 
Dächern oder durch Leitang von der Stadtwasserkunst, aufzulOsen. 

Abwässer aus Fabriken und gewerblichen Anlagen und diesen gleich zu 
achtenden Betrieben, sowie abgängige Wässer, welche stark übelriechende 
Stoffe enthalten oder den baulichen Zustand der Siele gefährden können, dürfen 
nur unter Einhaltung der für jeden Einzelfall von der Baudeputation nach An¬ 
hörung des Medizinalamts festzusetzenden Genehmigungsbedingungen in die 
öffentlichen Siele abgeleitet werden.“ 

XXIII. Freie und Hansestadt Bremen. 

1. Gesetz, betr. die Beinhaltung der großen und kleinen 
Weser und des Balgekanals vom 18. September 1892. 

§ 1. „Es ist verboten, aus den Grundstücken der Stadt Bremen mensch¬ 
liche Auswurfstoffe in die große oder kleine Weser oder in die große Balge 
abzuleiten. 

2. Gesetz, wegen Abänderung des Gesetzes vom 18. Sep¬ 
tember 1892, betr. Beinhaltung der großen und kleinen Weserund 
des Balgekanals, vom 30. März 1893. 

§ 4 wird dahin abgeändert, daß anderweite Hanskanäle und sonstige 
Entwässerungen, welche in die große und kleine Wesor oder in den Balge¬ 
kanal einmünden, auf Anfordern des Medizinalamts, ohne daß den Grundeigen¬ 
tümern oder sonstigen Beteiligten ein Widerspruchsrecht zusteht, derart um¬ 
gearbeitet werden müssen, daß die Einmündung in den öffentlichen Wasser- 
lauf oder in den Balgekanal beseitigt und statt dessen ein Anschluß an einen 
öffentlichen Kanal hergestellt wird, insoweit nicht der Balgekanal als Öffent¬ 
licher Kanal ausgearbeitet wird. 

8. Gesetz, betr. die Entwässerung von Grundstücken 
und deren Anschluß an das stadtbremische Kanalnetz vom 
31. Januar 1896. 

§ 12. Die Herstellung offener Wasserläufe ist nur zulässig, falls sie 
zu sanitären Bedenken keine Veranlassung geben, und wenn es sich um 
Leitungen außerhalb der Gebäude zur Abführung von reinem Wasser handelt; 
in allen anderen Fällen sind geschlossene Bohrleitungen zu verwenden. Zwischen 
offenen Wasserläufen und Bohrleitungen, die in einen Straßenkanal münden, 
ist stets ein Wasserverschluß einzuschalten. 

§ 22. Entwässerungsanlagen, deren Einläufe zu ebener Erde liegen, 
müssen mit einem leicht zu reinigenden Sinkkasten (Schlammfang) und einem 
zukömmlichen Wasserverschloß versehen sein.“ 



wichtigeren gesetzL Vorschriften ttber die Reinhaltung der Gewisser. 128 

§ 23. Für Ableitangen von Küchen, Schlachtereien and dergleichen 
können nach Ermessen der Baupolizeibehörde Fettfänge vorgeschrieben werden. 

Abwässer über 60° C. in Mengen von mehr als 1000 Liter in der 8tande 
dürfen dem StraBenkanal nicht zugeführt werden. 

§ 24. Bei gewerblichen and industriellen Anlagen können aach Einrich¬ 
tungen zur Desinfektion, Klärung, chemischen Reinigung oder sonstige Vor¬ 
kehrungen zur Unschädlichmachung der Abwässer von der Baapolizeibehörde 
ungeordnet werden. 

4. Gesetz, betr. Einrichtung von Spülaborten vom 5. Ja¬ 
nuar 1900. 

5. Gesetz, betr. Verpflichtung der Hauseigentümer zur 
Einrichtung von Spülaborten vom 28. April 1908. 

XIV. Freie and Hansestadt Hamburg. 

1. Gesetz, betr. Beseitigung der Abwässer und Fäkalien 
von den nicht oder nur zum Teil andie Siele angeschlossenen 
Grnndstücken vom 80. Januar 1899. 

g 2. „Ableitung von Abwässern in einen öffentlicken Wasserlauf darf 
nur unter Erteilung näherer Vorschriften über die vorherige Behandlung der 
Abwässer erfolgen. 

g. 5. Behandlung und Verbleib der Fäkalien. 

§ 17, Ziff. 2. Die Medizinalbehörde übt die Aufsicht aus über die even¬ 
tuelle Vorbehandlung (Vorklärung, Desinfektion) der Abflüsse vor ihrem Aus¬ 
tritt auf den öffentlichen Grund. 

2. Gesetz über die Aufbewahrung und Beseitigung von 
Abwässern, Fäkalien und sonstigen Abfallstoffen für das 
Hamburgische Landgebiet vom 26. Mai 1905. * 

g 2. Die sanitäre Aufsicht über Beseitigung der Abwässer 
usw. wird nach der Medizinalordnung vom 29. Dezember 1899 durch den Me¬ 
dizinalrat und die von ihm beauftragten Beamten ausgeübt. 

g 3. Abfallstoffe dürfen nur an solchen Orten gelagert werden, von 
denen aus Abflüsse weder zu öffentlichen, noch privaten Wasserläufen oder 
Brunnen hinströmen können. 

g 4. Es ist verboten, Fäkalien und gesundheitsschädliche Abwässer 
irgend welcher Art in öffentliche oder private Wasscrläufe gelangen zu lassen, 
es sei denn, daß sie vorgängig nach Anweisung der Landherrenschaft, welche 
im Einvernehmen mit dem Medizinalrat zu erteilen ist, unschädlich gemacht 
werden. 

‘ § 6. Aufbewahrung der gesundheitsschädlichen häuslichen und gewerb¬ 
lichen Abwässer. Verbot des Anbringens von Abflußleitungen. 

§ 7. Anzeigepflicht für Neuanlagen oder Umbauten von Abwässerbe¬ 
handlungsanlagen. 

2. Bekanntmachung der Landherrenschaft der Geest- 
und Marschlande vom 5. November 1902 in Sachen der Verunreini¬ 
gung der Wasserläufe. 

Es wird verboten, Unrat, Abfälle und andere Gegenstände, die geeignet 
sind, das Wasser zu verunreinigen oder Schiffahrtshindernisse hervorzurufen, 
in Flüsse und Wasserläufe zu werfen. 

3. Gemeindepolizeiliche Verordnung, betr. Beseitigung 
von Abwässern und Fäkalien in der Landgemeinde Ohlsdorf vom 
7. April 1903. 

§ 5. Die Ableitung von Abwässern und Fäkalien in einen privaten oder 
öffentlichen Wasserlauf ist verboten (siehe vorher die Bekanntmachung der Land¬ 
herrenschaft vom 5. November 1902). 

4. Alsterordnung vom 3. März 1904. 

§ 13, Ziffer 3. Das Ausschütten von Unrat und dergleichen in die Alster 
and ihre Nebenarme ist verboten. 

5. Hafenordnung vom 1. Juli 1897. 

§ 24. Die' Mannschaftsaborte sind auf Schiffen, welche an den Kais 
liegen, zu verschließen, und die am Lande eingerichteten Aborte von der Mann¬ 
schaft zu benutzen. 



124 Zusammenstellung der gesetzL Vorschriften üb. d. Reinhaitang der Gewässer. 

XXY. Reiohslande Blsans - Lothringen. 

1. Polizei-Verordnung für die weder schiffbaren noch 
flößbaren Wasserläufe im Bezirk Unter-Elsaß vom 8. Jnli 1860. 

Artikel 9. „Jede Verunreinigung des Bachbettes und des Bachwassers 
ist streng untersagt. Insbesondere dürfen weder Steine noch Schlamm, noch 
sonstige den freien Wasserlauf hindernde Gegenstände in dem Bachbett ab¬ 
gelagert oder hineingeworfen, noch schädliche oder verunreinigte Flüssigkeiten 
in dasselbe geleitet werden.“ 

2. Gesetz für Elsaß-Lothringen, betr. Wasserbenutzung 
und Wasserschutz vom 2. Juli 1891. 

§ 1. „An Wasserläufen jeder Art bedürfen diejenigen Veranstaltungen, 
welche geeignet sind, den Lauf des Wassers zu verändern, zu stauen, za 
hemmen oder zu beschleunigen, der Genehmigung. Insbesondere ist an eine 
solche Genehmigung neben der Errichtung, Beseitigung oder Abänderung von 
Stauanlagen für Wassertriebwerke (§§ 16, 23, 25 der Gewerbeordnung für das 
Deutsche Reich) gebunden : 

c) die Anlage von Wassereinführungen in einen Wasserlauf.“ 

Gleicher Genehmigung bedürfen diejenigen Veranstaltungen, welche ge¬ 
eignet sind, die Eigenschaften des Wassers durch Zuleitung fremder Stoffe zu 
verändern oder in sonstiger Weise die Benutzung des Wassers zu verhindern 
oder zu erschweren. 

Die Genehmigung erfolgt unter Vorbehalt der Rechte Dritter. 

§ 3. An schiff- oder flößbaren Wasserläufen ist ferner eine Erlaubnis 
erforderlich zu jeder Benutzung des Wassers oder des Bettes, mit welcher eine 
besondere Vorrichtung verbunden ist. 

3. Gesetz für Elsaß-Lothringen, betr. die Fischerei vom 
2. Juli 1891. 

§ 29. Es ist verboten, in die Wasserläufe aller Art Stoffe von solcher 
Beschaffenheit und Menge einzuwerfen, einzuleiten oder einfließen zu lassen, 
daß dadurch dem Fischstande Schaden erwächst, oder die Fische ver¬ 
trieben werden. 

Das Ministerium bestimmt allgemein, welche Maßregeln bei Ableitung 
der den Fischen schädlichen Stoffe und Abfälle aus Fabriken und sonstigen 
gewerblichen und landwirtschaftlichen Betrieben zu beobachten sind. Die 
erforderlichen Anordnungen im einzelnen Falle erlassen die Bezirkspräsidenten. 

Die Bezirkspräsidenten haben ferner zu beschließen über die Dauer des 
Röstens des Leins und Hanfs und die Bezeichnung derjenigen Wasser- 
läufe und Orte, an welchen diese Arbeit mit dem geringsten Nachteil für die 
Fische stattfinden kann. 

Hierzu 

4. Bekanntmachung des Ministeriums für Elsaß-Lothrin¬ 
gen vom 12. Dezember 1897 zur Ausführung des § 29, Abs. 2 des Gesetzes 
betreffend die Fischerei vom 2. Juli 1891 (vergL vorher Nr. 3.). 

Artikel 1 schreibt die Beachtung genau bestimmter Maßregeln bei Er¬ 
teilung der Genehmigung zur Ableitung der den Fischen schädlichen Stoffe 
und Abfälle aus Fabriken und sonstigen gewerblichen und landwirtschaftlichen 
Betrieben in einen Wasserlauf vor. 

5. Ausführungsanweisung des Ministeriums für Elsaß- 
Lothringen vom 22. Dezember 1897 zur Bekanntmachung des Ministe¬ 
riums vom 12. Dezember 1897 (vergl. vorher Nr. 4.). 

Nicht nur die in der Bekanntmachung hervorgehobeneu allgemeinen 
Maßregeln sind bei Erteilung der Genehmigung zur Einleitung von Abwässern, 
Abfällen usw. in die Wasserläufe sorgfältig zu prüfen, sondern auch jedesmal 
die besonderen Verhältnisse des in Frage stehenden Wasserlaufes. 

6. Anweisung des Ministeriums für Elsaß-Lothringen 
vom 25 . Januar 1898 zur Bekanntmachung des Ministeriums vom 12. De¬ 
zember 1897 (vergl. vorher Nr. 4.). 

Empfiehlt genaue Beachtung, daß im gesundheitlichen und wirtschaft¬ 
lichen Interesse der Flußanwohner und Flußbenutzer nicht gegen die im Art. 1 
angegebenen Grundsätze verstoßen wird. Bei Fragen der öffentlichen Gesund¬ 
heitspflege ist unter Mitteilung der Begutachtung der technischen Beamten 
ein Gutachten des Gesundheitsrats einzuholen. 



Mitglieder "V erzeiehniss 

des 

Deutschen Medizinalbeamten^Vereins. 

Abgeschlossen am 25. November 1905. *) 

Provinz Ostprenssen. 

1. Dr. Asoher, Kreisassistenzarzt und Assistent der Königlichen Anstalt 

zur Gewinnung tierischen Impfstoffs in Königsberg i. Pr. 

2. - Ban di sch, Kreiswundarzt a. D. in Tilsit. 

3. - Baserin, Kreisassistenzarzt in Neidenburg. 

4. - Behrendt, Kreisarzt in Tilsit. 

5. - Berneick, prakt. Arzt in Gilgenburg, staatsärztl. approb. 

6. - Boehnke, Kreisassistenzarzt in Bialla. 

7. - Bredsohneider, Kreisarzt u. Med.-Rat in Angerburg. 

8. - Czygan, Kreisarzt in Goldap. 

9. - v. Decker, Kreisarzt in Neidenburg. 

10. - Deckner, prakt. Arzt in Stallupönen, staatsärztl. approb. 

11. - Derbe, Kreisassistenzarzt in Gilgenburg. 

12. - Doepner, Regierungs- u. Med.-Rat in Gumbinnen. 

13. - Gberhardt, Kreisarzt u. Med.-Rat in Allenstein. 

14. - Engel, Kreisarzt in Labiau. 

15. - Engelien, Kreiswundarzt a. D. in Bartenstein. 

16. - Fabian, Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat in Königsberg i. Pr. 

17. - Fischer, prakt. Arzt in Hohenstein, staatsärztl. approb. 

18. - Forstreuter, Kreisarzt u. Med.-Rat in Königsberg i./Pr. 

19. - Franz, Kreisarzt in Heinrichswalde. 

20. - Gallien, prakt. Arzt in Bladiau, staatsärztl. approb. 

21. - Gessner, Kreisarzt in Rastenburg. 

22. - Harmsen, Stabs- u. Bataillonsarzt in Braunsberg. 

23. - Haase, Reg.- und Med.-Rat in Allenstein. 

24. - Havemann, Direktor der Provinzial-Irrenanstalt in Tapiau. 

25. - Heidenhain, Med.-Rat u. Kreisarzt in Insterburg. 

26. - Heimbucher, prakt. Arzt in Neukirch, staatsärztl. approb. 

27. - Hennemeyer, Kreisarzt u. Med.-Rat in Osterode. 

28. - Herrendörfer, Kreisarzt u. Med.-Rat in Ragnit. 

29. - H e y e r, Kreisarzt in Lötzen. 

30. - Hilbert, prakt. Arzt in Sensburg, staatsärztl. approb. 

31. - Hoppe, Oberarzt an der Provinzial-Irrenanstalt Allenberg, 

staatsärztl. approb. 

') Die Namen der Teilnehmer an der diesjährigen Hauptversammlung 
sind mit einem * bezeichnet. 



126 Mitgliederverzeichnis. 

32. Dr. H u r w i t z, prakt. Arzt in Memel, staatsärztl. approb. 

33. - Israel, Kreisarzt u. Med.-Rat in Fischhausen. 

34. - v. Jankowski, prakt. Arzt in Braunsberg, staatsärztl. approb. 

35. - Janssen, Kreisarzt, Med.-Rat und medizinischer Hilfsarbeiter 

an der Regierung in Königsberg. 

36. - Kahlweiss, Kreisarzt u. Med.-Rat in Braunsberg. 

37. - Katerbau, Regierungs- u. Geh.Med.-Rat in Königsberg i.Pr. 

38. - Katluhn, Kreisassistenzarzt in Prostken. 

39. - Kehler, Kreiswundarzt z. D. in Gumbinnen. 

40. - Knospe, Kreisassistenzarzt in Willenberg. 

41. - Krause, Kreisarzt und Hilfsarbeiter bei der Königl. Regierung 

in Gumbinnen. 

42. - Lemhöfer, Kreisarzt in Preuss. Holland. 

43. - Lemke, Kreisarzt in Sensburg. 

44. - Lewinsky, prakt. Arzt in Braunsberg, staatsärztl. approb. 

45. - Liedtke, Kreisarzt a. D. u. Med.-Rat in Tilsit. 

46. - v. Maoh, Kreisarzt in Bartenstein. 

47. - v. Petrikowsky, Kreisarzt in Orteisburg. 

48. - Plooh, Kreisarzt in Gumbinnen. 

49. - Poddey, Kreisarzt in Darkehmen, 

50. - Pulewka, Kreisarzt in Heilsberg. 

51. - Puppe, Geriohtsarzt, Prof. u. Medizinalrat in Königsberg i. Pr. 

52. - Rimeok, Kreisarzt in Pr. Eylau. 

53. - Romeick, Kreisarzt in Mohrungen. 

54. - Sohawaller, Eireisarzt in Pillk&llen. 

55. - Schiller, KIreisarzt u. Med.-Rat in Wehlau. 

56. - Sohütze, Eireisarzt u. Med.-Rat in Rössel. 

57. - Sohultz, Kreisarzt in Stallupönen. 

*58. - Speiser, prakt Arzt in Bischofsburg, staatsärztl. approb. 

59. - Stumm, Kreisarzt in Lyok. 

60. - Urbanowioz, Kreisarzt u. Med.-Rat in Memel. 

61. - Vossius, Kreisarzt u. Med.-Rat in Marggrabowa. 

62. - Winter, Prof., Med.-Rat u. Direktor der Univ. - Frauenklinik 

in Königsberg i. Pr. 

63. - Wollermann, Kreisarzt u. Med.-Rat in Heiligenbeil. 

64. - Wollermann, Kreisarzt in Johannisburg. 


Provinz Westpreussen. 

65. Dr. A r b e i t, Kreisarzt u. Med.-Rat in Marienburg. 

66. - Baniok, Kreisarzt in Sohloohau. 

67. - Birnbaoher, Kreisarzt in Pr. Stargard. 

68. - Bremer, Eireisarzt in Berent 

69. - Brinn, Kreisarzt in Putzig. 

70. - Esohrioht, Kreisarzt in Danzig. 

71. - v. Gizyoki, Kreisarzt in Stuhm. 

72. - Haase, Kreisarzt u. Med.-Rat in Danzig. 

73. - v. Hake, Regierungs- u. Med.-Rat in Marienwerder. 

74. - Hasse, Kreisarzt in Flatow. 

75. - Heise, Kreisarzt u. Med.-Rat in Kulm. 



Mitgliederverzeiohnis. 


12? 


76. Dr. Hermann, Kreisarzt u. Med.-Rat in Dirsohau. 

77. - Heynaoher, Kreisarzt u. Med.-Rat in Graudenz. 

78. - Hoohmann, prakt. Arzt in Marienburg, staatsärztl. approb. 

79. - Hopmann, Kreisarzt in Briesen. 

80. - J o r n s, Kreisassistenzarzt in Marienwerder. 

81. - Kaempfe, Kreisarzt u. Med.-Rat in Karthaus. 

82. - Kasten, Kreisarzt in Marienwerder. 

83. - Klein, Kreisassistensarzt in Danzig. 

84. - König, Kreisarzt in Könitz. 

85. - Köstlin, Direktor der Prov.-Hebammen-Lehranstalt in Danzig. 

86. - Mailiefert, prakt. Arzt in Culm i. W., staatsärztl. approb. 

87. - Matz, Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat in Deutsoh-Krone. 

88. - Pfeiffer, Kreisarzt in Rosenberg. 

89. - Post, Kreisarzt in Strassburg. 

90. - Sohlee, Kreisarzt in Löbau. 

91. - Schmidt, Kreisarzt in Elbing. 

92. - Sohulz, prakt. Arzt in Sohloohau, staatsärztl. approb. 

93. - Seemann, Reg.- und Med.-Rat in Danzig. 

94. - Steg er, Kreisarzt in Thom. 

95. - Wagner, Kreisarzt in Schwetz. 

96. - Wollermann, Kreisassistenzarzt u. San.-Rat in Baldenburg. 

97. - Zadow, prakt. Arzt in Deutsch-Krone, staatsärztl. approb. 


Berlin mit den Stadtkreisen 
Charlottenburg, Schöneberg und Blxdorf. 

98 Dr. Abel, Reg.- und Med.-Rat, Hülfsarbeiter in der Medizinal¬ 
abteilung des Kultusministeriums. 

99. - Adler, Arthur, Spezialarzt fdr innere und Nervenkrankheiten 
staatsärztl. approb. 

100. - Arnheim, prakt. Arzt in Rixdorf, staatsärztl. approb. 

101. - Baer, Kreisarzt und Geh. Medizinalrat. 

102. - Becker, Kreisarzt u. Geh. Medizinalrat. 

103. - von Boltenstern, prakt. Arzt, staatsärztl. approb. 

104. - Dietrioh, Geh. Ober-Med.-Rat u. Vortragender Rat in der 

Med. Abteilung des Kultusministeriums. 

105. - Dietrioh, Kreisarzt des Kreises Rixdorf. 

106. - Elten, Med.-Rat u. Kreisarzt des Kreises Teltow. 

107. - v. Folier, Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat. 

108. - Fränkel, Arthur, prakt. Arzt, staatsärztl. approb. 

109. - Friede.mann, prakt. Arzt, staatsärztl. approb. 

110. - Gaffky, Geh. Med.-Rat u. Prof., Leiter des Instituts für Infek¬ 

tionskrankheiten in Berlin. 

111. - Granier, Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat. 

112. - Gross, praktischer Arzt, staatsärztl. approb. 

113. - Guttstadt, Professor u. Geh. Medizinalrat in Berlin. 

114. - Günther, Geh. Med.-Rat, Prof. u. Vorsteher d. Königl. Ver¬ 

suche- und Prüflings-anstalt für Wasserversorgung und Ab¬ 
wässerungsbeseitigung in Berlin. 



128 


Mitgliederverzeichnis. 


115. Dr. Herz borg, prakt. Arzt, staatsärztl. approb. 

116. - Hoffmann, Gerichtsarzt, Med.-Rat und dirigierender Arzt 

des Untersuchungsgefängnisses. 

117. - van Huellen, prakt. Arzt, staatsärztl. approb. 

118. - Jaoobson, Kreisarzt und Med.-Rat. 

119. - Kettler, Kreisarzt in Schöneberg. 

120. - Klein, Kreisarzt u. Med.-Rat in Charlottenburg. 

121. - v. Kobyleoki, Kreisarzt u. Med.-Rat in Soböneberg. 

122. - K utzki, Kreisassistenzarzt in Charlottenburg (für Kreis Nioder- 

Bamim). 

123. - Lehnsen, prakt. Arzt, staatsärzt. approb. 

124. - Leppmann, Med.-Rat, Kreisarzt u. Strafanstaltsarzt. 

125. - F. Leppmann, prakt. Arzt, staatsärztl. approb. 

126. - Marx, prakt. Arzt, staatsärztl. approb., Assistent am Institut 

für Staatsarzneikunde. 

127. - Nesemann, Regierungs- u. Med. - Rat. 

128. - Pfleger, Gerichtsarzt u. Med.-Rat in Plötzensee b. Berlin. 

129. - Rahts, Geh. Reg.-Rat u. Mitglied des Reiohsgesundheitsamts. 

130. - Röokl, Geh. Reg.-Rat u. Abteilungsvorsteher im Reiohsgesund- 

beitsamt (Halensee). 

131. - Rüge, Med.-Rat u. Mitglied des Prov.-Medizinal-Kollegiums. 

132. - Sohenk, prakt. Arzt, staatsärztl. approb. 

133. - Schmidtmann, Geh. Ober-Med.-Rat, Professor u. Vortragen¬ 

der Rat in der Med.-Abt. des Kultusministeriums. 

134. - Schönstadt, prakt. Arzt in Schöneberg, staatsärztl. approb. 

135. - Schulz, Rud. in Charlottenburg, Kreisarzt fllr Niederbamim. 

136. - Schulz, Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat, Direktor der Königlichen 

Anstalt zur Gewinnung tierisohen Impfstoffs. 

137. - Schulz, Assistent der Unterrichtsanstalt für Staatsarzneikunde 

staatsärztl. approb. 

138. - Stein, Hans, prakt. Arzt, staatsärztl. approb. 

139. - Stürmer, Gerichtsarzt u. Med.-Assessor. 

*140. - Strass mann, Professor u. Gerichtsarzt. 

141. - Strauch, Privatdozent für gerichtliche Medizin und Staats- 

arzneikunde in Berlin. 

142. - Strecker, prakt. Arzt, staatsärztl. approb. 

143. - Stüler, Kreisarzt u. Med.-Rat. 

144. - Wagner, Gustav, prakt. Arzt, staatsärztl. approb. 

145. - Wehmer, Regierungs- u. Geh. Med.-Rat. 

146. - Weissenborn, Kreisarzt u. Med.-Rat. 

147. - Wutzdorff, Geh. Regierungsrat u. Direktor im Kaiserlichen 

Gesundheitsamte. 

Provinz Brandenburg. 

148. Dr. Aust, Kreisarzt in Nauen. 

149. - Barnick, Regierungs- u. Geh. Med.-Rat in Frankfurt a.,/0. 

150. - Benda, Kreisarzt u. Med.-Rat in Angermtlnde. 

151. - Braeutigam, Kreisarzt u. Med.-Rat in Königsberg (Neumark). 

152. - B ras oh, prakt. Arzt in Wannsee bei Berlin, staatsärztl. approb. 

153. - Dalichow, prakt. Arzt in Neudamm, staatsärztl. approb. 



Mitgliederverzeiohnis. 


129 


164 Dr. 
166. - 
166. - 

167. - 

168. - 
169. - 
160. - 
161. - 
162. - 
168. - 
164. - 

166. - 
166. - 

167. - 

168. - 

169. - 

170. - 

171. - 

172. - 

178. - 

174. - 

176. - 

176. - 

177. - 

17a - 

179. - 

180. - 
181. - 
182. - 
183. - 
184 - 
186. - 
186. - 

187. - 

188. - 

189. - 

190. - 

191. - 

192. - 

193. - 

194. - 
196. - 
196. - 


Friedrioh, Kreisarzt u. Med.-Rat in Landsberg a./W. 
Gebauer, prakt. Arzt in Wittenberge, staatsärztl. approb. 
Geissler, Kreisarzt in Friedeberg (Neumark). 

Gottsohalk, Kreisarzt u. Med.-Rat in Rathenow. 
Gottsohalk, Kreisarzt in Kalau. 

Grossmann, Kreisarzt u. Med.-Rat in Freienwalde a./O. 
Grape, prakt. Arzt in Bärwalde, staatsärztl. approb. 

Günther, Kreisarzt in Krossen. 

Hafemann, Kreisarzt in Luokau. 

Herya, Kreisarzt a. D. u. Med.-Rat in Buokow. 

Hopf, Anstaltsarzt a. d. Provinzial - Anstalt für Epileptische 
in Potsdam, staatsärztl. approb. 

Howe, prakt. Arzt in Luokau, staatsärztl. approb. 

Jaenioke, Kreisarzt u. Med.-Rat in Spandau. 

Jörioh, prakt. Arzt in Lttbben, staatsärztl. approb. 

Jung mann, Kreisarzt u. Med.-Rat in Guben. 

Keller, prakt. Arzt in Fürstenwerder (Uckermark), staatsärztl. 
approb. 

König, Kreisarzt in Soldin. 

Kr ahn, prakt. Ärztin Landsberg a. W., staatsärztl. approb. 
Kuhnt, Kreisarzt u. Med.-Rat in Beeskow. 

Lähr, G., San.-Rat, 2. Arzt der Irrenanstalt Schweizerhof bei 
Zehlendorf, staatsärztl. approb. 

Leopold, leitender Arzt an der Heilstätte Blankenfelde bei 
Berlin, staatsärztl. approb. 

Löwenthal, prakt Arzt in Steglitz b. Berlin, staatsärztl. approb. 
Lummerzheim, prakt. Ärztin Forst i. L., staatsärztl. approb. 
Maass, Spezialarzt für Chirurgie in Landsberg a./W., staatsärztl. 
approb. 

Ma ire, prakt Arzt in Fürstenberg a./0., staatsärztl. approb. 
Meyen, Kreisarzt und Hülfsarbeiter bei der Königl. Regierung 
in Potsdam. 

Meyer, W., Kreisassistenzarzt in Potsdam. 

Meyer, H., kommiss. Kreisarzt in Belzig. 

Nickel, Kreisarzt in Perleberg. 

Pape, Kreisphysikus a. D. in Sohöneberg b. Berlin. 

Pas s au er, Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat in Potsdam. 

Pflanz, prakt. Arzt in Adlershof bei Berlin, staatsärztl. approl». 
Podlewski, Kreiswundarzt z. D. in Oderberg (Mark). 
Prawitz, Kreisarzt u. Med.-Rat in Brandenburg. 

Priester, Kreisarzt u. Med.-Rat in Zielenzig. 

Rosenow, prakt. Arzt in Eberswalde, staatsärztl. approb. 
Rosenthal, prakt. Arzt in Tegel, staatsärztl. approb. 

Roth, Regierungs- und Geh. Med.-Rat in Potsdam. 

Rüdlin, kommiss. Kreiswundarzt z. D. in Triebei. 

Sander, Geh. Med.-Rat u. Direktor der städtischen Irren¬ 
anstalt in Dalldorf. 

Sohäfer, Kreisarzt u. Med.-Rat in Frankfurt a./O. 

Sohäfer, Kreisarzt in Sorau. 

Schichhold, Kreisassistenzarzt in Potsdam. 


9 



130 Mitgliederverzeiohnis. 

197. Dr. Schim'mel, prakt. Arzt in Straussberg b. Berlin, staatsärztl. 

approb. 

198. - Sohlüter, Kreisarzt u. Med.-Rat in Arnswalde. 

199. - Sohneider, Kreisarzt in Prenzlau. 

200. - Schultz-Schultzenstein, Eireisarzt in Belzig. 

201. - Schweitzer, prakt. Arzt in Teltow, staatsärztl. approb. 

202. - Seeg er, Kreisarzt in Lllbben. 

203. - Siehe, Kreisarzt u. Med.-Rat in Ztlllichau. 

204. - S p 1 i e d t, Arzt an der Prov.-Heil- u. Pflegeanstalt in Eberswalde 

staatsärztl. approb. 

206. - Steffen, prakt. Arzt in Spremberg, staatsärztl. approb. 

206. - Struntz, Kreisarzt u. Med.-Rat in Jttterbogk. 

207. - Voigt, Kreisarzt in Templin. 

208. - Wiedemann, Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat in Neu-Ruppin. 

209. - Wiedner, Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat in Kottbus. 

210. - Wiese, Kreisarzt u. Med.-Rat in Spremberg. 

211. - Winzerling, prakt. Arzt in Calau, staatsärztl. approb. 


Provinz Pommern. 

212. Dr. Andrae, prakt. Arzt in Köslin, staatsärztl. approb. 

213. - Behla, Reg.- und Geh. Med.-Rat in Stralsund. 

*214. - Bohrend, Kreisarzt u. Med.-Rat in Kolberg. 

216. - Beumer, Kreisarzt, Med.-Rat u. Professor in Greifswald. 

216. - Birkholz, Kreisarzt in Stolp. 

217. - BUtow, Kreisarzt u. Med.-Rat in Stargard. 

218. - Burmeister, Eireisassistenzarzt in Stralsund. 

219. - de Camp, Eireiswundarzt a. D. u. San.-Rat in Lauenburg, 

staatsärztl. approb. 

220. - Dieterioh, Kreisarzt u. Med.-Rat in Demmin. 

221. - Ebhardt, Kreisarzt in Lauenburg i. P. 

*222. - Frank, prakt. Arzt in Bergen, staatsärztl. approb. 

223. - Frey er, Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat in Naugard. 

224. - Frey er, Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat; Direktor der Königlichen 

Anstalt zur Gewinnung tierisohen Impfstoffs in Stettin. 

226. - Gast er s, Kreisarzt in Ueokermttnde. 

226. - Gerloff, Kreisarzt in Labes. 

227. - Gutkneoht, Kreisarzt in Belgard (Pergante). 

228. - Hassenstein, Kreisarzt in Greifenberg. 

229. - Howitz, prakt. Arzt in Dramburg, staatsärztl. approb. 

230. - Hillsmeyer, Kreisarzt in BUtow. 

231. - Kindt, prakt. Arzt in Greifswald, staatsärztl. approb. 

232. - Kypke-Burchardi, Eireisassistenzarzt in Köslin. 

233. - Landgrebe, Eireisarzt in Neustettin. 

234. - Lemke, Kreisarzt u. Med.-Rat in Grimmen. 

236. - Lewerenz, Kreisassistenzarzt in Stettin. 

236. - Lew in, prakt. Arzt in Neustettin, staatsärztl. approb. 

237. - Märklin, Direktor der Provinzial-Irrenanstalt in Treptow 

a./Rega. 

238. - Manke, Kreisarzt in Schlawe. 



Mitgliederverzeiohnia. 


181 


299. Dr. Margulies, prakt. Arzt in Kolberg, staatsärztl. approb. 

240. - Massmann, Kreisarzt u. Med.-Rat in Dramburg. 

241. - Meinhardt, Kreisarzt u. Med.-Rat in Anklam. 

242. - Mennioke, Kreiswundarzt a. D. in Grimmen. 

243. - Müller, prakt. Arzt in Btitow, staatsärztl. approb. 

244. - v. Münohow, Kreisarzt u. Med.-Rat in Swinemünde. 

246. - Neumeister, Med.-Rat u. ehirur. Medizinalassessor bei dem 
Prov.-Medizinalkollegium in Stettin. 

246. - Ohrloff, prakt. Arzt in Wolgast, staatsärztl. approb. 

247. - Palleske, prakt. Arzt in Loitz, staatsärztl. approb. 

248. - Peters, Kreisarzt in Bublitz. 

249. - Pogge, Kreisarzt und Med.-Rat in Stralsund. 

250. - Rathmann, Kreisarzt in Greifenhagen. 

251. - Räuber, Regierungs- u. Med.-Rat in Köslin. 

252. - Sa oh s, prakt Arzt in Pollnow, staatsärztl. approb. 

253. - Sarganeok, Kreisarzt in Köslin. 

254. - Sohlütter, Kreisarzt u. Med.-Rat in Pyritz. 

255. - Sohmidt, prakt. Arzt in Neustettin, staatsärztl. approb. 

256. - Sobröder, prakt. Arzt in Pasewalk, staatsärztl approb. 

257. • Sohulze-Barnim, Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat in Stettin. 

258. - Sohultze, Professor u. Direktor der psyohiatrisohen KHnik in 

Greifswald. 

259. - Sohwerdtfeger, prakt. Arzt in Sohievelbein, staatsärztl. 

approb. 

260. - Settegast, Kreisarzt u. Med.-Rat in Bergen auf Rügen. 

261. - Siemens, Direktor der Provinzial-Irrenanstalt und Geh. Me¬ 

dizinalrat in Lauenburg. 

262. - Vanselow, Regierungs- u. Med.-Rat in Stettin. 

263. - Voigt, Kreisarzt u. Med.-Rat in Kammin. 

264. - Wanke, Kreisarzt in Rummelsburg. 

265. - Zibell, prakt. Arzt in Greifswald, staatsärztl. approb. 


Provinz Posen. 

266. Dr. v. Alkiewioz, prakt. Arzt in Pudewitz, staatsärztl. approb. 

267. - Bekker, Kreisarzt in Wongrowitz. 

268. - Bio oh, prakt. Arzt in Janowitz, staatsärztl. approb. 

•269. - v. Blomberg, Freiherr, Oberarzt an der Provinzial - Irren, 
anstalt Dziekanka bei Gnesen, staatsärztl. approb. 

270. - Brinkmann, Kreisarzt u. Med.-Rat in Wollstein. 

271. - Brüggemann, Kreisarzt u. Med.-Rat in Bromberg. 

272. - Buddee, Kreisarzt in Neutomischel. 

273. - Cohn, Kreisarzt u. Med.-Rat in Jarotsohin. 

274. - Clausa, Eireisarzt in Posen. 

275. - Dembozaok, Kreisarzt u. Med.-Rat in Krotoschin. 

276. - Doersohlag, Kreisarzt in Strelno. 

277. - Friedrioh, Kreisarzt in Sohubin. 

278. - Gebhardt, Kreisarzt u. Med.-Rat in Fraustadt. 

279. - Haaok, Kreisarzt in Gnesen. 

y* 



132 


Mitgliederverzeiohnis. 


280. Dr. Hartisoh, Kreisarzt in Gostyn. 

281. - Heinze, prakt. Arzt in Sohlehen, staatsärztl. approb. 

282. - Herrmann, Kreisarzt in Obornik. 

283. - Holz, Kreisarzt u. Med.-Rat in Bromberg. 

284. - Jäokel, Kreisarzt in Samter. 

286. - Jaster, Regierungs- u. Med.-Rat in Bromberg. 

286. - Kleinert, Kreisarzt u. Med.-Rat in Ra witsch. 

287. - Ko so hei, Kreisarzt in Filehne. 

288. - Krause, prakt. Arzt in Unruhstadt, staatsärztl. approb. 

289. - Kunau, Geh. Med.-Rat in Posen. 

290. - Lange, prakt. Arzt in Sohneidemtlhl, staatsärztl. approb. 

291. - Lasohke, Kreisarzt in Sohroda. 

292. - Lehmann, Kreisarzt u. Med.-Rat in Posen. 

293. - Lehmann, Kreisarzt in Sohmiegel. 

294. - Lissner, Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat in Kosten. 

295. - Miohaelsobn, Kreisarzt u. Med.-Rat in Wresohen. 

296. - Panidnski, Kreisarzt a. D. u. MecL-Rat in Posen. 

297. - Paulisoh, Kreisarzt in Hohensalza. 

298. - Peyser, prakt. Arzt in Posen, staatsärztl. approb. 

299. - Pieoonka, Kreisarzt in Znin. 

300. - Pilf, Kreisassistenzarzt a. D. in Sohokken. 

301. - Plot he, Kreisarzt in Plesohen. 

302. - Rieok, Kreisarzt in Kempen. 

303. - Rogowski, Eireisarzt in Meseritz. 

304. - Rubensohn, Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat in Graetz. 

306. - Salzwedel, Kreisarzt in Witkowo. 

306. - Sandhop, Kreisarzt in Kosohmin. 

307. - Sauberzweig, Kreisarzt in Wirsitz. 

308. - So he 11 in, Kreiswundarzt z. D. in Hohensalza. 

309. - Sohlag, Kreisarzt in Ostrowo. 

310. - Sohmidt, Regierungs- u. Med.-Rat in Posen. 

311. - Sohmidt, Kreisassistenzarzt in Sohokken. 

312. - Sikorski, Kreisarzt u. Med.-Rat in Sohildberg. 

313. - Steiner, Kreisarzt in Czamikau. 

814. - Straube, Kreisarzt in Sohwerin a./W. 

315. - Telsohow, Kreisarzt in Sohrimm. 

316. - Trog er, Kreisarzt in Adelnau. 

317. - Wege, Kreisarzt in Mogilno. 

318. - Wegner, Kreisarzt u. Med.-Rat in Lissa. 

319. - Wernioke, Med.-Rat, Prorektor der Akademie, Prof, und 

Direktor des hygienischen Instituts in Posen. 

320. - Winckler,HI .Arzt an der Provinzial - Irrenanstalt in Owin&k. 

staatsärztl. approb. 

321. - Witting, Kreisarzt in Kolmar. 


Provinz Schlesien. 

322. - Adam, Oberarzt in Kreuzburg, staatsärztl. approb. 

323. - Adler, Kreisarzt a. D. u. Geh. Med.-Rat in Brieg. 

324. - Beninde, Kreisassistenzarzt in Carolath. 



Mitglied erverzeiohnis. 


133 


326. Dr. Bergmann, prakt.Ärztin Neumarkti.Sohl., staatsärztl.approb. 

326. - Bleioh, Kreisarzt in Steinau a./0. 

327. - Blumenreioh, prakt Arzt in Sohrau (Ob.-Sohl.), staatsärztl. 

approb. 

328. - Bohm, Kreisarzt in Strehlen. 

329. - Boretius, Kreisarzt in Rybnick. 

330. - Boss, Kreiswundarzt z. D. in Falkenberg (Ob.-Sohl.). 

331. - Brieger, prakt. Arzt in Cosel, staatsärztl. approb. 

332. - Br oll, Kreisarzt u. Med.-Rat in Pless. 

333. - Cimbal, Kreisarzt u. Med.-Rat in Neisse. 

334. - Coester, Kreisarzt u. Med.-Rat in Bunzlau. 

335. - Denkmann, Kreisarzt in Grottkau. 

336. - Dirska, Kreisarzt u. Med.-Rat in Namslau. 

337. - Du da, Kreisarzt in Nimptsoh. 

338. - Dybowski, Kreisarzt u. Med.-Rat Mn Waldenburg i. Sohl. 

839. - Ebeling, prakt. Arzt in Dittmannsdorf, staatsärztl. approb. 

340. - Erbkam, Kreisarzt u. Med.-Rat in Jauer. 

341. - Erdner, Kreisarzt u. Med-Rat in Görlitz. 

342. - Färber, Kreisarzt a. D. u. Geh. Med.-Rat in Kattowitz. 

343. - Feige, Kreisarzt in Hoyerswerda. 

344. - Finger, Kreisarzt u. Med.-Rat in Mttnsterberg. 

345. - Platten, Kreisarzt u. Med.-Rat u. mediz. Hilfsarbeiter bei der 

Königlichen Regierung in Oppeln. 

346. - Flügge. Geh. Med.-Rat, Professor u. Direktor des hygienisohen 

Instituts in Breslau. 

347. - Frey, Kreisassistenzarzt in Beuthen. 

348. - Friedländer, Kreisarzt a. D. u. Geh. Med.-Rat in Lublinitz. 

349. - Furoh, Kreisarzt in Gross-Wartenberg. 

350. - Gorke, Kreisarzt in Frankenstein. 

351. - Hassenstein, Kreisarzt u. Med.-Rat in Sagan. 

352. - Hausohild, Kreisarzt u. Med.-Rat in Breslau. 

353. - Heidelberg, Kreisarzt u. Med.-Rat in Reiohenbaoh. 

354. - Herfarth, prakt. Arzt in Glogau, staatsärztl. approb. 

355. - Hirsohfeld, Kreisarzt u. Med.-Rat in Glogau. 

356. - Hoppe, Kreisarzt u. Med.-Rat in Gleiwitz. 

367. - Horn, Kreisarzt u. Med.-Rat in Löwenberg. 

358. - Jaoobi, Prof., Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat in Breslau. 

359. - Keintooh, prakt. Arzt in Myslowitz, staatsärztl. approb. 

360. - Klewe, Stabsarzt a. D. in Naumburg a/.Queis, staatsärztl. approb. 

361. - Kley, Kreisarzt in Lublinitz. 

362. - Klingmüller, prakt. Arzt in Strehlen, staatsärztl. approb. 

363. - Klose, Kreisarzt u. Med.-Rat, Direktor der Königlichen Anstalt 

zur Gewinnung tierischen Impfstoffs in Oppeln. 

364. - Köhler, Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat in Landeshut. 

365. - Kornfeld, Gerichtsarzt u. Geh. Med.-Rat in Gleiwitz. 

366. - Krao au er, prakt. Arzt in Altwasser, staatsärztl. approb. 

367. - Krau, Kreisarzt u. Med.-Rat in Sohweidnitz. 

368. - Kühn, Kreisarzt in Ratibor. 

*369. - Laohmann, Kreisarzt in Oels. 

370. - Langner, prakt. Arzt in Frankenstein, staatsärztl. approb. 



184 


Mitgliederverzeiohnis. 


371. 

Dr. 

372. 

- 

373. 

- 

874. 

- 

87B. 

- 

376. 

• 

877. 

- 

378. 

- 

379. 

- 

380. 

- 

381. 

- 

382. 

- 

383. 

- 

384. 

- 

386. 

- 

386. 

- 

387. 

- 

388. 

- 

♦389. 

- 

390. 

- 

391. 

- 

392. 

- 

393. 

- 

394. 

- 

396. 

- 

396. 

• 

397. 

- 

♦398. 

- 

399. 

- 

400. 

- 

401. 

- 

402. 

- 

403. 

- 

404. 

. 

406. 

- 

406. 

- 

407. 

- 

408. 

- 

409. 

- 

410. 

- 

411. 

- 

♦412. 

- 

413. 

- 

414. 

- 

416. 

- 

416. 

- 

417. 

- 

418. 

- 


la Roche, Kreisarzt u. Med.-Rat in Beuthen (Ob.-Schl.). 
Leder, Kreisarzt u. Med.-Rat in Lauban. 

Leske, Kreisarzt in Liegnitz. 

Lesser, Geriohtsarzt und Professor in Breslau. 

Lewald, Besitzer der Privat-Irrenanstalt in Obernigk bei 
Breslau, staatsärzsL approb. 

Liohtwitz, Kreisarzt u. Med.-Rat in Ohlau. 

Ludwig, Kreisarzt u. Med.-Rat in Habelsohwerdt. 

Lustig, Kreisarzt in Grünberg. 

Mäder, Kreisarzt in Neumarkt. 

Malis oh, prakt. Arzt in Deutsch - Krawam, staatsärztl. approb. 
Matth es, Kreisarzt u. Med.-Rat in Breslau. 

Men de, prakt. Arzt in Gottesberg, staatsärztl. approb. 
Mewius, Kreisarzt u. Med.-Rat in Neustadt (Ob.-Schl.). 
Mühlenbaoh, Kreisarzt in Wohlau. 

Nauwerok, Kreisarzt u. Med.-Rat in Guhrau. 

N e b 1 e r, Kreisarzt in Glatz. 

Neumann, Kreisarzt in Leobsohütz. 

Neu mann, Kreisphysikus z. D. u. Geh. San.-Rat in Glogau. 
Oebbeoke, Stadtarzt in Breslau. 

Ostermann, prakt. Arzt in Gremsdorf, staatsärztl. approb. 
Otto, Kreisarzt u. Med.-Rat in Neurode. 

Paulini, Kreisarzt u. Med.-Rat in Militsoh. 

Philipp, Geh. Med.-Rat in Liegnitz. 

Pietrulla, San.-Rat in Strehlen, staatsärztl. approb. 

Reimer, Stadtarzt in Görlitz. 

Reinkober, Kreisarzt u. Med.-Rat in Trebnitz. 

Repetzki, Kreiswundarzt z. D. u. San.-Rat in Gleiwitz. 
Rieger, Kreisarzt in Brieg. 

Rinke, Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat in Tarnowitz. 

Rot her, Kreisarzt u. Med.-Rat in Falkenberg. 

Sohilling, Kreisarzt in Freistadt. 

Sohmidt, Regierungs- u. Geh. Med.-Rat in Liegnitz. 
Sohneider, Kreisarzt u. Hilfsarbeiter bei der Königl. Regierung 
in Breslau. 

Soholtz, Kreisarzt in Goldberg. 

So holz, prakt. Arzt in Görlitz, staatsärztl. approb. 

Sohreber, Kreisassistenzarzt in Liegnitz. 

Sohr öder, Kreisarzt in Sprottau. 

Sohröder, Kreisarzt u. Med.-Rat in Kattowitz. 

Sohubert, prakt. Arzt in Sohweidnitz, staatsärztl. approb. 

Sie gl, Kreiswundarzt a. D. in Rybniok. 

Skrzeozek, Kreiswundarzt a. D. in Orzesohe. 

Steinberg, Kreisarzt in Hirsohberg. 

Steiner, Kreisarzt in Rosenberg (Ob.-Sohl.). 

Stern, Med.-Rat u. Gerichtsarzt in Breslau. 

SUssmann, Knappschaftsarzt in Petrzkowitz, staatsärztl. approb. 
Talke, prakt. Arzt in Rothenburg (Ob.-Laus.), staatsärztl. approb. 
Telke, Regierungs- u. Med.-Rat in Breslau. 

Thienel, Kreisarzt in Gross-Strehlitz. 



Mitgliederverzeiohnis. 


136 


419. Dr. Tom alle, Kreisassistenzarzt in Waldenburg. 

420. - To o küss, prakt. Ärztin Kreuzberg (Ob.-Sohl.), staatsärztl. approb. 

421. - Traoinski, Kreisarzt u. Med.-Rat in Zabrze. 

422. - Wagen er, 0., Kreisarzt in Rothenburg (Ober/Lausitz). 

423. - Wagner, Gerichtsarzt in Beuthen (Ob.-Sohl.). 

424. - Weozereok, Kreisarzt in Kreuzburg (Ob.-Sohl.). 

426. - Woda, prakt. Arzt in Pitsohen, staatsärztl. approb. 

426. - Wolff, Kreisarzt u. Med.-Rat in Kosel. 

427. - Wolffberg, Kreisarzt u. Med.-Rat in Breslau. 

428. - Zelle, Kreisarzt in Lilben* 


Provinz Sachsen. 

429. Dr. Brill, Kreiswundarzt z. D. in Magdeburg. 

430. - v. Buohka, Oberarzt an der Provinzial-Irrenanstalt in Alt- 

Soherbitz, staatsärztl. approb. 

431. - Bundt, Kreisarzt in Querfurt. 

482. - Busolt, Kreisarzt u. Med.-Rat in Delitzsoh. 

433. - Buttenberg, prakt. Arzt in Magdeburg, staatsärztl. approb. 

434. - Curtius, Kreisarzt in Grosskamsdorf. 

436. - Dahlmann, Med.-Rat u. Direktor der Provinzial - Hebammen- 
Lehranstalt in Magdeburg. 

436. - Deneke, Regierungs- u. Med.-Rat in Magdeburg. 

•437. - DUtsohke, Reg.- u. Med.-Rat in Erfurt. 

438. - Eilers, Kreisarzt in Sohleusingen. 

439. - Fielitz, Kreisarzt und Geh. Med.-Rat in Halle a. S. 

440. - Fränkel, Geh. Med.-Rat,Professor u. Direktor des hygienischen 

Instituts in Halle a./S. 

441. - Friedel, Kreisarzt in Wernigerode. 

442. - Fries, Geh. San.-Rat und Direktor der Prov.-Irrenanstalt in 

Nietleben b. Halle a./S. 

443. - Geissler, Kreisarzt u. Med.-Rat in Torgau. 

444. - Gundlaoh, Kreisassistenzarzt in Magdeburg. 

446. - Häbler, Kreisarzt u. Med.-Rat in Nordhausen. 

446. - Hauoh, Kreisarzt u. Med.-Rat in Eisleben. 

447. - Herr mann, Kreisarzt in Bitterfeld. 

448. - Her ms, Kreisarzt u. Med.-Rat in Burg bei Magdeburg. 

'449. - Heydloff, Kreisarzt u. Med.-Rat in Erfurt 

460. - Hildebrandt, Privatdozent für Pharmakologie und gerichtl. 

Medizin in Halle a. S. 

461. • Hirsoh, Geh. Med.-Rat in Magdeburg. 

462. - Holthoff, Kreisarzt in Salzwedel. 

463. • Hoppe, Oberarzt an der Provinzial-Heil- u. Pflegeanstalt in 

Uohtspringe, staatsärztl. approb. 

464. - v. Ingersleben, Kreisarzt in Oschersleben. 

465. - Janert, Kreisarzt u. Med.-Rat in Seehausen i. Altmark. 

466. - Kalkoff, Kreisarzt u. Med.-Rat in Kölleda. 

467. - Keferstein, Gerichtsarzt in Magdeburg. 

458. - Keller, Frauenarzt in Halle a./S., staatsärztl. aqprob. 

469. - Kluge, Kreisarzt in Wolmirstedt. 



136 


Mitgliederverzeiohnis. 


460. Dr. Koppen, Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat in Heiligenstadt. 

461. - Kornalewski, Kreisarzt u. Med.-Rat in Naumburg a./S. 

462. - Kühn, Kreisarzt u. Med.-Rat in Kalbe a./S. 

468. - Laudowioz, Kreisarzt in Worbis. 

*464. - Martini, Kreisarzt in Langensalza. 

465. - Meye, Kreisarzt u. Med.-Rat in Mansfeld. 

466. - Montag, prakt. Arzt in Elsterwerda, staatsärztl. approb. 

467. - Moritz, Kreisarzt u. Med.-Rat in Halberstadt. 

468. - Müller, Kreisarzt in Herzberg a. d. Elster. 

469. - Müller, prakt. Arzt in Sehleusingen, staatsärztl. approb. 

470. - Pantzer, Kreisarzt in Sangerhausen. 

471. - Penkert, Assistenzarzt an der Universitäts-Klinik für innere 

Krankheiten in Halle a. S., staatsärztl. approb. 

472. - Pfeffer, Kreisarzt in Genthin. 

473. - PI an ge, Kreisarzt u. Med.-Rat in Stendal. 

474. - Probst, Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat in Gardelegen. 

475. - Reip, Kreisphysikus a. D. u. San.-Rat in Arendsee. 

476. - Ri sei, Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat, Direktor der KönigL Anstalt 

zur Gewinnung tierisohen Impfstoffs in Halle a./S. 

477. - Rothmaler, prakt. Arzt in Gerbstedt, staatsärztl. approb. 

478. - Schade, Kreisarzt in Neuhaldensleben. 

479. - Sohaffranek, Kreisarzt u. Med.-Rat in Zeitz. 

480. - Sohmiele, Kreisarzt a. D. u. Med.-Rat in Weissenfels. 

481. - Sohmidt, prakt. Arzt in Weissenfels, staatsärztl. approb. 

482. - Sohneider, Kreisarzt u. Med.-Rat in Merseburg. 

488. - Sohröder, Kreisarzt in Weissenfels. 

484. - Sohulze, prakt. Arzt in Liebenwerda, staatsärztl. approb. 

485. - Seiffert, Kreisarzt in Mülhausen in Th. 

486. - Steinkopff, Kreisarzt in Liebenwerda. 

487. - Strassner, Kreis- u. Stadtarzt u. Med.-Rat in Magdeburg. 

488. - Strübe, San.-Rat u. Kreiswundarzt z. D. in Halle a./S. 

489. - Thilow, Kreisarzt in Wanzleben. 

490. - Waoh b, Kreisarzt in Wittenberg. 

491. - Weidenmüller, zweiter Arzt a. Landesasyl in Jeriohow, 

staatsärztl. approb. 

492. - Weinreich, prakt. Arzt in Heiligenstadt, staatsärztl. approb. 

493. - Wodtke, Regierungs- u. Med.-Rat in Merseburg. 

494. - Ziemke, a. o. Professorder geriohtl. Medizin u. Geriohteaizt in 

Halle a./S. 


Prorins Schleswig • Holstein* 

495. Dr. Assmussen, Kreisarzt u. Med.-Rat in Rendsburg. 

496. - Bahrs, Kreisarzt in Sonderburg. 

497. - Bartels, Kreisarzt in Husum. 

498. - Bertheau, Regierungs- und Med.-Rat in Sohleswig. 

499. - Bookendahl, Kreisarzt u. Med.-Rat in Kiel. 

500. - Bruhn, Kreisarzt in Segeberg. 

501. - Gold, Kreisarzt u. Med.-Rat in Meldorf. 

502. - von Fisoher-Benzon, Kreisarzt u. Med.-Rat in Flensburg. 



Mitgliederverzeiohnis. 


137 


503. Dr. 

504. - 

505. - 

506. - 

507. - 

508. - 

509. - 

510. - 

511. - 

512. - 

513. - 
514 - 

515. - 

516. - 
617. - 

518. - 

519. - 

520. - 
*521. - 

522. - 

523. - 

524. - 

525. - 

526. - 
627. - 
528. - 

629. - 

630. - 


531. Dr. 

532. - 

533. - 
634 - 

635. - 

636. - 
537. - 
638. - 

539. - 

540. - 

541. - 

542. - 

543. - 

544. - 

545. - 


546. - 


Halling, Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat in Glückstadt. 

Hansen, Kreisarzt u. Med.-Rat in Hadersleben. 

Hillenberg, Kreisassistenzarzt in Oldesloe. 

Horn, Kreisarzt u. Med.-Rat in Tondern. 

Hunnius, Kreisarzt u. Med.-Rat in Wandsbek. 

Jahn, Kreisphysikus z. D. in Kappeln a./Schlei. 

Knuth, Kreisarzt in Alpenrade. 

Kramer, prakt. Arzt in Schleswig, staatsärztl. approb. 
Krefting, Kreisarzt in Plön. 

Krosz, prakt. Arzt in Horst, staatsärztl. approb. 

Lübbe, prakt Arzt in Wüster, staatsärztl. approb. 

Neid har dt, Geriohtsarzt in Altona. 

Paulssen, Jens, prakt Arzt in Elllerbeck, staatsärztl. approb. 
Reimann, Kreisarzt in Neumünster. 

Rohwedder, Kreisarzt in Ratzeburg. 

Sohlieben, Kreisassistenzarzt in Schleswig. 
Schmidt-Petersen, Kreisphysikus z. D. in Bredstedt 
Sohow jun., Kreisarzt in Neustadt 
Sohröder, Stadtarzt in Altona. 

S oh Ul er, prakt. Arzt in Reinfeld, staatsärztl. approb. 

Sohütt, Kreisarzt in Eokernförde. 

Sohultz, Kreisassistenzarzt in Niebüll. 

Siok, prakt. Arzt in Oldesloe, staatsärztl. approb. 

Suadioani, Kreisarzt u. Med.-Rat in Schleswig. 

Walliohs, Kreisphysikus z. D. u. Geh. San.-Rat in Altona. 
Wenok, Kreisarzt u. Med-Rat in Pinneberg. 

Wolff, prakt Arzt in Schleswig, staatsärztl. approb. 

Zappe, Direktor der Provinzial-Idiotenanstalt in Schleswig. 

Provinz Hannover. 

Andr 6e, Kreisarzt u. Med.-Rat in Linden. 

Arbeit, Regierungs- u. Med.-Rat in Hüdesheim. 

Baohmann, Kreisarzt in Harburg. 

Barth, Kreisarzt in Bassum. 

Beoker, Geh. Med.-Rat in Hannover. 

Becker, Kreisarzt in Hüdesheim. 

Behrens, prakt Arzt in Hildesheim, staatsärztl. approb. 
Berger, Kreisarzt u. Direktor der Königl. Anstalt zur 
Gewinnung tierisohen Impfstoffs in Hannover. 

Bitter, Stadtarzt in Osnabrück. 

v. Bönninghausen, prakt. Arzt in Glandorf, staatsärztl. approb. 
Brandt, Kreisarzt in Lüchow. 

Brummund, Kreisarzt in Stade. 

Buohholtz, Kreisarzt in Einbeok. 

Büntin g, Kreisarzt in Stolzenau. 

Gramer, Prof. u. Direktor der Prov.-Heil- u. Pflegeanstalt, der 
psyohiatr. Universitäts-Klinik u. der Poliklinik für psyoh. und 
Nervenkranke in Göttingen. 

Dempwolff, Kreisphysikus z. D. u. Geh. San.-Rat in Har¬ 
burg a. d. Elbe. 



188 


Mitgliederverzeiohnis. 


547. Dr. Dieokmann, prakt. in SohUttorf, staatsärztl. approb. 

548. - Dreves, Kreisarzt in Walsrode. 

549. - Eiohhorst, Kreiswundarzt z. D. in Ottersberg. 

550- - Ehrhorn, prakt. Arzt in Hannover-Herrenhausen, staatsärztl. 
approb. 

551. - Elsaesser, prakt. Arzt in Hannover, staatsärztl. approb. 

552. - Elten, Kreisarzt in Freiburg a. E. 

558. - v. Esmaroh, Professor u. Direktor des hygienischen Instituts 
in Göttingen. 

554. - Finger, Reg.- und Med.-Rat in Stade. 

555. - Freoh, Kreisassistenzarzt in Hannover. 

556. - Gaehde, Kreisarzt u. Med.-Rat in Blumenthal. 

557. - Gerlaoh, Kreisarzt in Niedersachswerfen. 

558. - Grisar, Regierungs- u. Geh. Med.-Rat in Osnabrück. 

569. - Grote, prakt. Arzt in Vienenburg, staatsärztl. approb. 

560. - Guertler, Regierungs- u. Geh. Med.-Rat in Hannover. 

561. - Guttmann, Kreisassistenzarzt in Otterndorf. 

562. - Halle, Kreisarzt u. Med.-Rat in Burgdorf bei Hannover. 

563. - Heilmann, Kreisarzt u. Med.-Rat in Melle. 

564. - Hel wes, Kreisarzt in Diepholz. 

565. - Hesse, Kreisarzt u. Med.-Rat in Lüneburg. 

566. - Hoohe, Kreisarzt in Geestemünde. 

567. - Holling, Kreisarzt u. Med.-Rat in Soegel. 

568. - Hüpeden, Geh. Med.-Rat in Hannover. 

569. - Huntemueller, Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat in Hoya. 

570. - Itzerott, Kreisarzt in Uelzen. 

571. - Kanzler, San.-Rat u. Badearzt in Rothenfelde, staatsärztl. approb. 

572. - Kessler, Kreiswundarzt z. D. u. San.-Rat in Salzgitter. 

573. - Köhler, prakt. Arzt in Winsen a. d. Luhe, staatsärztl. approb. 

574. - Kreoke, prakt. Arzt in Bersenbrück, staatsärztl. approb. 

575. - Kuhlmey, prakt. Arzt in Bergen a. d. Dumme, staatsärztl. approb. 

576. - Langerhans, Kreisarzt, Med.-Rat u. Direktor der Hebammen¬ 

lehranstalt in Celle. 

577. - Lemke, prakt. Arzt in Springe, staatsärztl. approb. 

578. • Lemmer, Kreisarzt u. Med.-Rat in Alfeld a. L. 

579. - Lotze, Kreisarzt u. Med.-Rat in Osterode a./H. 

580. - Mansholt, Kreisarzt in Leer. 

581. - von Meurers, Kreisarzt u. Med.-Rat in Wilhelmshaven. 

582. - Meyer, Kreisarzt u. Med.-Rat in Dannenberg. 

583. - Meyer, Kreisarzt in Gifhorn. 

584. - Müller, Kreisarzt in Rotenburg. 

585. - Müller, Kreisarzt in Northeim. 

586. • Müller, prakt. Arzt in Gross-Rhüden, staatsärztl. approb. 

587. - Neuhaus, Stabs- u. Bataillonsarzt in Göttingen, staatsärztl. 

approb. 

588. - Niep er, Kreisarzt u. Med.-Rat in Goslar. 

589. - Niewerth, prakt. Arzt in Hildesheim, staatsärztl. approb. 

590. - Nothnagel, Kreisarzt in Lehe, Oberstabsarzt a. D. 

591. - Nöller, Regierungs- u. Geh. Med.-Rat in Lüneburg. 

592. - Ocker, Kreisarzt in Verden. 



Mitgliederverzeiohnis. 


139 


698. Dr. Offenberg, Kreisarzt u. Med.-Rat in Osnabrüok. 

594. - Oliv et, prakt. Arzt in Northeim, staatsärztl. approb. 

595. - Petermöller, Kreisarzt in Meppen. 

596. - Picht, Kreisarzt u. Med.-Rat in Nienburg a. W. 

597. - Plinke, Kreisarzt in Hannover. 

598. - Proelss, Kreisassistenzarzt in Bremervörde. 

599. • Quentin, Kreisarzt in Bentheim. 

600. - Reinhold, Prof. u. Medizinalassessor in Hannover. 

601. - Richter, Kreisarzt, Med.-Rat u. Stabsarzt a. D. in Peine. 

602. - Riehn, Kreisarzt u. Med.-Rat in Klausthal i. Harz. 

603. - Rump, Kreisarzt u. Med.-Rat in Osnabrüok. 

604. - Sährendt, Kreisarzt in Zeven. 

605. - Sohmalfuss, Med.-Rat in Hannover. 

606. - Sohnelle, Kreisarzt u. Med.-Rat in Hildesheim. 

607. - Sohrader, Anstaltsarzt in Moringen, staatsärztl. approb. 

608. - Sohulte, Kreisarzt u. Med.-Rat in Hannov. Münden. 

609. - Sohwabe, Geriohtsarzt in Hannover. 

610. - Seelig, prakt. Arzt in Hannover, staatsärztl. approb. 

611. - Siemon, prakt. Arzt in Hannov. Münden, staatsärztl. approb. 

612. - Sonntag, prakt. Arzt in Uelzen, staatsärztl. approb. 

613. - Staokemann, Chefarzt der Anstalt für Epileptiker in Roten¬ 

burg, staatsärztl. approb. 

614. - Steinebaoh, Kreisarzt u. Med.-Rat in Hameln. 

*615. - Stolper, ausserordentl. Professor und Kreisarzt in Göttingen. 

616. - Strangmeyer, Kreisarzt in Quakenbrüok. 

617. - Stuoke, prakt. Arzt in Bramsohe, staatsärztl. approb. 

618. - Tergast, Kreisarzt u. Med.-Rat in Emden. 

619. - Th ölen, Kreisarzt u. Med.-Rat in Papenburg. 

620. - Wagner, Kreisarzt in Aurioh. 

621. - Wegener, prakt. Arzt in Zellerfeld, staatsärztl. approb. 

622. - Weithöner, prakt. Arzt in Buer, staatsärztl. approb. 

623. - Westrum, Eireisarzt in Springe. 

624. - Wieohers, Kreisphysikus z. D. und San.-Rat in Gronau. 

625. - Winter, Eireisarzt in Norden. 


Provinz Westfalen. 

626. Dr.-Benthaus, Kreisarzt u. Med.-Rat in Paderborn. 

627. - Besserer, Kreisassistenzarzt in Münster i./W. 

628. - Biokhoff, prakt. Arzt in Dortmund, staatsärztl. approb. 

629. - Bliesener, Kreisarzt in Gelsenkirchen. 

630. - Bookeloh, Kreisarzt u. Med.-Rat in Lüdinghausen. 

631. - Boegershausen, Kreisassistenzarzt in Reoklinghausen. 

632. - Br an dis, prakt. Arzt in Bielefeld, staatsärztl. approb. 

633. - Brümmer, Med.-Rat in Münster. 

634. - Claus, Kreisarzt u. Med.-Rat in Warburg. 

636. - Conrads, prakt. Arzt in Borken, staatsärztl. approb. 

636. - Cordes, Kreiswundarzt z. D. in Dorsten. 

637. -* Deutsoh, prakt. Arzt in Neuhaus, staatsärztl. approb. 



140 


Mitgliederverzeiohnis. 


638. Dr. Deutsohländer, prakt. Arzt in Ueokendorf, staatsärztl. approb. 

639. - Dörrenberg, Kreisarzt in Soest. 

640. - Georg, Kreisarzt a. D. u. Geh. Med.-Rat, Direktor der Heb- 

ammen-Lehranstalt in Paderborn. 

641. - Gerlaoh, Geh. Med.-Rat u. Direktor der Provinzial - Irren 

anstalt in Münster. 

642. - Graeve, Kreisarzt u. Med.-Rat in Hagen. 

643. - Grfive, prakt. Arzt in Iserlohn, staatsärztl. approb. 

644. - Gruohot, Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat in Hamm. 

646. - Guder, Kreisarzt u. Med.-Rat in Laasphe. 

646. - Hagemann, Kreisarzt in Dortmund. 

647. - Hegemann, Kreiswundarzt z. D. in Werne. 

648. - Heising, Kreisarzt und Med.-Rat in Borken. 

649. - Helming, Kreisarzt u. Med.-Rat in Ahaus. 

660. • Hensgen, Kreisarzt u. Med.-Rat in Siegen. 

661. - Heyne, Kreisarzt in Beokum. 

662. - Hillebrecht, Kreiswundarzt z. D. u. San.-Rat in Vlotho. 

653. - vom Hofe, Kreisarzt u. Med.-Rat in Altena. 

664. - Isfert, prakt. Arzt in Telgte, staatsärztl. approb. 

666. - Kasemayer, Kreisarzt u. Med.-Rat in Burgsteinfurt. 

666. - Kirstein, Kreisarzt in Lippstadt. 

657. - Kluge, Kreisarzt u. Med.-Rat in Höxter. 

658. - Köttgen, Stadtarzt in Dortmund. 

669. - Krummaoher, Regierungs- u. Med.-Rat in Münster. 

660. - L a u r e k, prakt. Arzt in Schalke-Gelsenkirohen, staatsärztl. approb 

661. - Li mp er, Kreisarzt a. D. u. Med.-Rat in Gelsenkirchen. 

662. - L ö e r, Kreisarzt in Büren. 

663. - Lüttig, Kreisarzt in Brilon. 

664. - Mann, Lehrer an der Prov.- Hebammenlehranstalt in Paderborn. 

665. - Mertens, Oberarzt an der Provinzial - Irrenanstalt in Lengerich 

staatsärztl. approb. 

666. - Meyer, San.-Rat in Olpe, staatsärztl. approb. 

*667. - Meyer, Augenarzt in Hagen i. W., staatsärztl. approb. 

668. - Nauok, Kreisarzt u. Med.-Rat in Hattingen (Ruhr). 

669. - Nünninghoff, Kreisarzt u. Med.-Rat in Bielefeld. 

670. - Petermöller, prakt. Arzt in Oelde, staatsärztl. approb. 

671. - Pollitz, Arzt der Irrenabteilung der Strafanstalt zu Münster, 

staatsärztl. approb. 

*672. - Rapmund, Regierungs- u. Geh. Med.-Rat in Minden. 

673. - von Recklinghausen, Kreisarzt in Teoklenburg. 

674. - Rheinen, Kreisarzt u. Med.-Rat in Herford. 

676. - Ritter, Kreisassistenzarzt in Lübbecke. 

676. - Roberg, prakt. Arzt in Greven, staatsärztl. approb. 

677. - Röper, Kreisarzt u. Med.-Rat in Arnsberg. 

678. - Rubarth, Geh. San.-Rat, Direktor der Prov.-Irrenanstalt in 

N iedermarsberg. 

679. - Schäffer, prakt. Arzt in Altena, staatsärztl. approb. 

680. - v. Soheibner, Chefarzt der Heilstätte Ambrook bei Hagen 

staatsärztl. approb. 

*681. - Sohlautmann, Kreisarzt in Münster. 



Mitgliederverzeiohnis. 


141 


682. Dr. Schlüter, Kreisarzt u. Med.-Rat in Gütersloh. 

688. - Sohmidt, Kreisarzt in Warendorf. 

684. - Sohonlau, Kreiswundarzt z. D. in Steinheim. 

686. - Sohulte, Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat in Hörde. 

686. - So Ihrig, Kreisarzt u. Hilfsarbeiter bei der Königl. Regierung 

in Arnsberg. 

687. - Spanken, Kreisarzt u. Med.-Rat in Meschede. 

688. - Springfeld, Regierungs- u. Med.-Rat in Arnsberg. 

689. - Steinbaoh, Kreisarzt in Schwelm. 

690. - Stühlen, Kreisarzt in Gelsenkirohen. 

691. - Sudhoelter, Kreisarzt in Minden. 

692. - Tenholt, Regierungs- u. Med.-Rat a. D., Knappsohafts-Ober- 

arzt in Bochum. 

693. - Többen, Kreisarzt u. Med.-Rat in Reoklinghausen. 

694. - v. Trzaska, Kreisarzt in Iserlohn. 

695. - Voigt, prakt. Arzt in Holzwickede, staatsärztl. approb. 

696. - Westerhove, prakt. Arzt in Gelsenkirohen, staatsSrztl. approb. 

697. - Wolters, Kreisarzt in Coesfeld. 

698. - Zumwinkel, Kreiswundarzt z. D. u. San.-Rat in Gütersloh. 


Provinz Hessen - Nassau. 

699. Dr. Auerbaoh, prakt. Arzt in Frankfurt a./M., staatsSrztl. approb. 

700. - Beinhauer, Kreisarzt u. Med.-Rat in Höchst a./M. 

701. - Rellinger, Kreisassistenzarzt in Usingen. 

702. - Börner, Oberstabsarzt a. D. u. Kreisarzt in Esohwege. 

703. - Cauer, Kreisarzt in Sohlüohtern. 

704. - Cöster, Kreisarzt u. Med.-Rat in Rinteln. 

705. - Dohm, Kreisassistenzarzt u. Assistent an der Königl. Anstalt 

zur Gewinnung tierischen Impfstoffes in Cassel. 

706. - Dreising, Kreisarzt u. Med.-Rat in Cassel. 

*707. - Eiohenberg, Kreisarzt u. Med.-Rat in Hanau. 

708. - F a b e r, Kreisarzt u. Med.-Rat in Rotenburg a. d. Fulda. 

709. - Floeok, Kreisarzt in Montabaur. 

710. - Frank, Prof. u. Kreisassistenzarzt in Wiesbaden. 

711. - Fromm, Kreisassistenzarzt in Frankfurt a. M. 

712. - Frotscher, prakt. Arzt in Rotenburg a./Fulda, staatsärztl. approb. 

713. - Führer, Kreisphysikus z. D. u. Geh. San.-Rat in Wolfhagen. 

714. - Gleitsmann, Kreisarzt u. Med.-Rat in Wiesbaden. 

*716. - Grandhomme, Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat in Frankfurt a./M. 

716. - Grau, Kreisarzt u. Med.-Rat in Gelnhausen. 

717. - Hans, Hospitalarzt in Limburg a./L., staatsärztl. approb. 

718. - Heinemann, Kreisarzt u. Med.-Rat in Cassel. 

719. - Hüter, prakt. Arzt in Gelnhausen, staatsärztl. approb. 

720. - Jannsen, Kreisarzt in Westerburg. 

721. - Kahl, prakt. Arzt in Melsungen, staatsärztl. approb. 

722. - Kimpen, Kreisarzt u. Med.-Rat in Rüdesheim. 

723. - Kind, Kreiswundarzt z. D. in Fulda. 

*724. - Klingelhöffer, Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat in Frankfurt a./M. 
725. - König, Stadtarzt in Frankfurt a. M. 



142 


MitgliederverzeiohnJs. 


726. Dr. Krause, Geh. Med.-Rat in Cassel. 

727. - Kuhlemann, prakt. Arzt in Niederaula, staatsärztl. approb. 

728. - Lambert, Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat in Melsungen. 

729. - Liedig, Kreisassistenzarzt in HUnfeld. 

730. - Malous, prakt. Arzt in Hersfeld,. staatsärztl. approb. 

731. - Mannes, prakt. Arzt in St Goarshausen, staatsärztl. approb- 

732. - Marx, Kreisarzt u. Med.-Rat in Fulda. 

733. - Mayer, Kreisarzt u. Med.-Rat in St Goarshausen. 

734. - Meder, Direktor der Königl. Anstalt zur Gewinnung tierischen 

Impfstoffs in Cassel. 

735. - Menke, Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat in Weilburg a. L. 

786. - Oberstadt, Kreisarzt u. Med.-Rat in Langensohwalbach. 

737. - Petsohull, Kreisarzt in Diez. 

738. - Pfeiffer, Regierungs- u. Geh. Med.-Rat in Wiesbaden. 

739. - Rockwitz, Reg.- und Med.-Rat in Cassel. 

740. - Roselieb, Kreisarzt in Wolfhagen, staatsärztl. approb. 

741. - Roth, Geriohtsarzt in Frankfurt a./M. 

742. - S oh aus, Kreisarzt in Marienberg. 

743. - Sohauss, Kreisarzt u. Med.-Rat in Dillenburg. 

744. - S oh erb, Kreisarzt in Fritzlar. 

745. - Schirmer, prakt Arzt in Wahlershausen, staatsärzl. approb. 

746. - Sohmolk, Kreisarzt a. D. in Wiesbaden. 

747. - Sohotten, Med.-Rat in Cassel. 

748. - Sohuohhardt, prakt Arzt in Haohenburg (Westerwald), 

staatsärztl. approb. 

749. - Seligmann, Kreiswundarzt z. D. in Hanau. 

750. - Gl. Simon, prakt. Arzt in Frankfurt a./M., staatsärztl. approb. 
*751. - Sonntag, Kreisarzt in Witzenhausen. 

752. - Stadtfeld, prakt. Arzt in Wiesbaden, staatsärztl approb. 

753. - Stöltzing, Kreisassistenzarzt in Homberg. 

754. • Tenbaum, Kreisarzt in Biedenkopf. 

755. - vonTessmar, Kreisarzt u. Mod.-Rat in Limburg. 

756. - Tuozek, Med.-Rat u. Professor in Marburg, Mitglied des Me¬ 

dizinalkollegiums für die Provinz Hessen-Nassau. 

757. - Vahle, Kreisarzt in Frankenberg. 

758. - Vietor, Kreisarzt u. Med.-Rat in Hersfeld. 

759. - Werner, Kreisarzt in Schmalkalden. 

760. - Wittioh, prakt. Arzt in Kassel, staatsärztl. approb. 

761. - Wolf, Kreisassistenzarzt in Marburg. 

762. - Ziehe, Kreisarzt u. Med.-Rat in Homburg v. d. H. 


BheinprorlDS und Hohenzelleni. 

763. Dr. Albert, Kreisarzt und Med.-Rat in Meisenheim. 

764. - Altendorf, Kreisarzt u. Med.-Rat in Prüm. 

*765. - Aschaffenburg, Prof, der Psychiatrie in Cb ln a. Rh. 

766. - Baohem, Kreisarzt in Euskirchen. 

767. - Bahr, Kreisarzt in Duisburg. 

768. - Baizar, Kreisarzt in Heddesdorf (Kreis Neuwied). 

769. - Bauer, Kreisarzt u. Med.-Rat in Moers a./Rh. 



Mitgliederverzeiohnis. 


143 


770. Dr.Baum, Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat in Aaohen. 

771. - Berg, Geriohtsarzt in Essen a. R. 

772. - Blokusewski, Kreisphysikus z. D. in Niederbreisig. 

773. - Borntraeger, Regierungs- u. Med.-Rat in Düsseldorf. 

774. - Brand, Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat in Geldern. 

775. - Braun, Kreisarzt in Wetzlar. 

776. - Braun, Geriohtsarzt u. Med.-Rat in Elberfeld. 

777. - Brookhaus, Kreiswundarzt z. D. u. San.-Rat in Godesberg. 

778. - Burkart, prakk Arzt in Millheima. d.Ruhr, staatsärztl.approb 

779. - Burkharth, Oberamtsarzt in Gammertingen (Hohenzollem). 

780. - Carp, Kreisarzt u. Med.-Rat in Wesel. 

781. - Clären, Kreisarzt in Krefeld. 

782. - Clarfeld, prakt. Arzt in Solingen, staatsärztl. approb. 

783. - Clauditz, Kreisassistenzarzt in Trier. 

784. - Döllner, prakt. Arzt in Vallendar a./Rh., staatsärztl. approb. 

786. - Eickhoff, Kreisarzt u. Med.-Rat in Siegburg. 

786. - Engels, Kreisarzt in Gummersbaoh. 

787. - Esoh-Waltrup, Kreisarzt u. Med.-Rat in Köln a/Rh. 

788. - Ewers, Kreisarzt in Kempen. 

789. - Falkenbaoh, Kreisarzt a. D. u. Geh. Med.-Rat in Mayen. 
*790. - v. Fewson, Baron, prakt. Arzt in Cöln, staatsärztl. approb. 

791. - Finkler, Geh. Med.-Rat, ord. Professor und Direktor des hygie¬ 

nischen Instituts in Bonn. 

792. - Friedei, Kreisassistenzarzt in Koblenz. 

793. - Fritsoh, Geh. Med.-Rat u. ord. Professor in Bonn, Mitglied 

des Medizinalkollegiums für die Rheinprovinz. 

794. - Fooke, prakt. Arzt in Düsseldorf, staatsärztl. approb. 

795. - Heinriohs, Kreisarzt u. Med.-Rat in Jülioh. 

796. - Herlitzius, Kreisarzt in Heinsberg. 

797. - Herting, Direktor der Prov.-Heil- u. Pflegeanstalt in Galk- 

hausen. 

798. - Herwig, Kreisarzt u. Med.-Rat in Rheinbaoh. 

799. - Hillebrand, Kreisarzt in Berg heim. 

800. - Hoeohst, Kreisarzt a. D. u. Geh. Med.-Rat in Wetzlar. 

801. - Hofaoker, Kreisarzt in Düsseldorf. 

802. - Hoffa, Theodor, prakt. Arzt in Barmen, staatsärztl. approb. 

803. - Hoffmann, Kreisarzt in Trier. 

804. - J annes, Arzt des Kreispflegehauses in Esohweiler. 

805. - Kessel, prakt. Arzt in Lobberioh, staatsärztl. approb. 

806. - Kirohgässser, Kreisarzt in Koblenz. 

807. - Kirsoh, prakt. Arzt in Eupen, staatsärztl. approb. 

808. - Klein, Kreisarzt in St. Goar. 

809. - Knepper, Kreisarzt in Wipperfürth. 

810. - Köppe, Kreisarzt u. Med.-Rat in Zell a./M. 

811. - Kohlmann, Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat in Remagen. 

812. - Kramer, San.-Rat u. Kreisassistenzarzt a. D. in St Johann. 

813. - Krämer, Stadtarzt in Sk Johann. 

814. - Krause, Kreisarzt in München - Gladbaoh. 

*816. - Krautwig, Stadtarzt in Köln. 

816. - Kriege, Kreisarzt in Barmen. 



144 


Mitgliederverzeiohnis. 


817. Dr. Krohne, Kreisarzt und ständiger Hülfsarbeiter bei dar König- 

Regierung in Düsseldorf. 

818. - Kruse, Professor in Bonn. 

819. - Kurpjuweit, Assistent an der bakteriolog. Untersuchungs¬ 

anstalt in Neunkirohen, staatsärztl. approb. 

820. - Le Blano, Kreiswundarzt z. D. u. San.-Rat in Opladen. 

821. - Ledermann, Kreisarzt in Saarlouis. 

822. - Lehnen, prakt. Arzt in Hillesheim (Eifel), staatsärztl. approb. 

823. - Lembke, Kreisarzt in Kreuznaoh. 

824. - Lentz, Kreisassistenzarzt und Leiter der bakteriolog. Unter- 

suohungsanstalt in Saarbrücken. 

826. - Liebetrau, Assistent der Kgl. bakteriolog. Untersuohungs- 
anstalt in Trier. 

826. - Linok, Kreisarzt in Bitburg. 

827. - Litterski, Kreisarzt u. Med.-Rat in Mayen. 

828. - Lohmer, Kreisassistenzarzt in Cöln. 

829. - Marx, Kreisarzt u. Med.-Rat in Mülheim a. d. Ruhr. 

830. - Mayer, Kreiswundarzt z. D. in Simmern. 

831. - Meder, Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat in Altenkirohen (Westerwald). 

832. - Meder, Eireisarzt u. Direktor der Königlichen Anstalt zur Ge¬ 

winnung tierisohen Impfstoffs in Köln. 

833. - Meerbeok, Kreisarzt in Mülheim a./Rh. 

834. - Meyer, Kreisarzt in Lennep. 

835. - Michels, Kreisarzt u. Med.-Rat in Adenau. 

836. - Müller, prakt. Arzt in Mettmann, staatsärztl. approb. 

837. - Müller, prakt. Arzt in Münohen-Gladbach, staatsärztl. approb. 

838. - N a u s s, Kreisw. Arzt z. D. u. San.-Rat in Altenkirchen (WesterwV 

839. - Neuhaus, San.-Rat u. leitender Arzt d. Dep. - Irrenanstalt in 

Düsseldorf. 

840. - Niemeyer, Kreisarzt in Neuss. 

841. - Noethliohs, Kreisarzt a. D. u. Geh. Med.-Rat in Heinsberg. 

842. - Orthmann, Oberarzt an der Provinzial-Irrenanstalt in Düren. 

staatsärztl. approb. 

843. - Paffrath, Kreisarzt in Kleve. 

844. - Peren, Kreisarzt in Montjoie. 

845. - Peretti, San.-Rat u. Direktor der Heil- u. Pflegeanstalt in 

Grafenberg. 

846. - Petersen, Kreisphysikus a. D. in Düsseldorf. 

847. - Plempel, Geriohtsarzt in Cöln a. Rh. 

848. - Pollack, Kreisarzt in St. Wendel. 

849. - Püllen, Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat in Grevenbroioh. 

850. - Racine, Kreisarzt u. Med.-Rat in Essen a. d. Ruhr. 

851. - Renner, prakt. Arzt in Neuss, staatsärztl. approb. 

852. - Riohter, Kreisarzt u. Med.-Rat in Remsoheid. 

853. - Rieoken, Kreisarzt in Malmedy. 

854. - Roeder, Kreisarzt u. Med.-Rat in Vohwinkel. 

855. - Roeder, prakt. Arzt in Elberfeld, staatsärztl. approb. 

866. - Roller, Kreisarzt u. Med.-Rat in Trier. 

*857. - Rusak, Regierungs- u. Geh. Med.-Rat in Köln, 

858. - Sal o m o n, Regierungs- und Med.-Rat in Koblenz. 



Mitgliederverzelohnia. 


146" 


839. Dr. 
860. - 
861. - 
862. - 

863. - 

864. - 
866 . - 
866. - 

*867. - 
868 . - 

869. - 

870. - 

871. - 

872. - 

873. - 

874. - 
876. - 
876. - 

*877. - 

878. - 

879. - 

880. - 
881. - 
882. - 

883. - 

884. - 
886. - 
886 . - 
887. - 

* 888 . - 
889. - 
690. - 
891. - 


892. - 

893. - 
*894. - 

896. - 

896. - 

897. - 

898. - 

899. - 


Schäfer, Kreisarzt in Bernkastel. 

Sohelowsky, prakt. Arzt in Heiligenhaus, staatsärztl. approb, 
Schleoht, Regierungs- u. Med.-Rat in Trier. 
Sohlegtendal, Regierungs- u. Med.-Rat in Aaohen. 
Schmidt, Gerichtsarzt u. Med.-Rat in Düsseldorf. 

Sohmidt, Kreisarzt in Neuenkirohen. 

Schmitz, Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat in Aachen. 
Sohrakamp, Stadtarzt in Düsseldorf. 

Sohubert, Kreisarzt u. Med.-Rat in Cöln a. Rh. 

Sohulz, Kreisarzt a. D. u. Geh. Med.-Rat in Koblenz. 
Schwass, Regierungs-u. Med.-Rat u. Hofrat in Sigmaringen. 

S ö h 1 e, Kreisarzt in Waldbröl. 

Sorge, Kreisassistenzarzt in Sigmaringen. 

Stauss, Oberamtsarzt in Heohingen. 

Stoffels, Stadtassistenzarzt in Düsseldorf. 

Thiele, Kreisarzt u. Med.-Rat in Koohem. 

Tboma, Kreiswundarzt z. D. u. San.-Rat in Aaohen. 
Ueberholz, Kreisarzt in Wittlioh. 

Ungar, Geriohtsarzt, Geh. Med.-Rat u. Prof, in Bonn. 
Vieson, Kreisarzt u. Med.-Rat in Merzig. 

Volkmuth, Kreisarzt u. Med.-Rat in Saarburg. 

Vollmer, Kreisarzt in Simmero. 

Waohendorf, prakt. Arzt in Stolberg (Rhnl.), staatsärztl. approb. 
W e i s s, prakt. Arzt in Ehrang, staatsärztl. approb. 
Wellenstein, Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat i. Urft (Kr. Sohleiden). 
W e x, Kreisarzt u. Med.-Rat in Düren. 

Windheuser, Kreisarzt in Daun. 

Wir so h, Kreisarzt in Bonn. 

Wirtz, prakt. Arzt in Cöln a. Rh., staatsärztl. approb. 

Wolff, Kreisarzt u. Med.-Rat in Elberfeld. 

Wolff, Kreisarzt in Saarbrücken. 

Wollenweber, Kreisassistensarzt in Düsseldorf - Grafenberg. 
W o 11 e m a s, Kreisarzt in Solingen. 

Ausserdem: 

Gettwart, Kreisarzt a. D. in Dessau. 

Kossel, Prof, der Hygiene in Giessen. 

Longard, Geriohtsarzt a. D. in Heidelberg. 

Mumm, Kreisphysikus z. D. u. Geh. San.-Rat in Chemnitz. 
Ohlemann, San.-Rat in Dessau, staatsärztl.approb. 

Pusoh, Assistenzarzt am pathologisch-hygienischen Institut 
in Chemnitz, staatsärztl. approb. 

Siedamgrotzky, Geh. Med.-Rat in Dresden. 

Szymanski, Leiter des bakteriologischen Untersuchungsamts 
in Hagenau i./E., staatsärztl. approb. 


B. Königreich Beyern. 

*900. Dr. Alafberg, Bezirksarzt in Ludwigshafen a/Rh. 
*901. - Angerer, Bezirksarzt in Weilheim. 


10 



146 


Mitgliederverzeichnis. 


902. Dr. v. Angerer, k. Geh. Rat, Universitätsprofessor, Generalarzt 

ä la suite des Sanitäts-Corps in Miinohen. 

903. - Appel, Bezirksarzt in Straubing. 

904. - Auer, Bezirksarzt in Bad Aibling (Oberbayern). 

905. - AumUller, Bezirksarzt in Roding. 

906. - Bald, Bezirksarzt in Weissenburg a. S. 

907. - Bartholomä, Bezirksarzt in Nürnberg. 

908. - Bauer, Karl, bezirksärztl. Stellvertreter in Nordhalben. 

909. - Bauer, Philipp, prakt. Arzt in Weiden, staatsärztL approb. 

910. - Baumann, Bezirksarzt in Liehtenau. 

911. - Baumgart, Bezirksarzt in Miltenberg. 

912. - Bayerl, Landgeriohtsarzt in Deggendorf. 

913. - Bayersdörfer, prakt. Arzt in Neustadt a. Hardt, staataäntL 

approb. 

914. - Becher, prakt. Arzt in Teisnaoh, staatsärztl, approb. 

916. - Book, Med.-Rat u. Bezirksarzt in Eiohstätt. 

916. - Becker, Karl, Phys.-Ass. u. Gefängisarzt in Münohen. 

917. - Becker, Georg, Bezirksarzt in Kirchheimbolanden. 

918. - Behr, Valentin, prakt. Arzt in WUrzburg, staatsärztl. approb. 

919. - Beisele, .Hans, prakt. Arzt u. Bahnarzt in Tutzing (.Ober¬ 

bayern), staatsärztl. approb. 

920. - Beltinger, prakt. Arzt in Nördlingen, staatsärztl approb. 

921. - Bernhuber, Franz, Krankenhausarzt in Altötting, staatsärztl 

approb. 

922. - Beyer, Bezirksarzt in Cham. 

923. - Bisohoff, Bezirksarzt in Erlangen. 

924. - Bitton, Bezirksarzt in Staffelstein. 

925. - Blachian, k. Oberarzt der Kreisirrenanstalt in Weraeck. 

926. - Bl analt, Bezirksarzt in Rothenburg a. T. 

927. - Bleser, prakt. Arzt in Alzenau, staatsärztl. approb. 

928. - BlUmm, Bezirksarzt in Neustadt a./Saale. 

929. - Boeoale, Bezirksarzt in Stadtamhof. 

930. - Böhm, Bezirksarzt in Augsburg. 

931. - Borger, Bahnarzt in Helmbrechts, staatsärztl approb. 

932. - Bott, prakt. Arzt in Waohenheim, staatsärztl approb. 

933. - Brand, Bezirksarzt u. Medizinalrat in Füssen. 

934. - Braun, Adolf, prakt. Arzt in Bergtheim, staatsärztl. approb. 

935. - Braun, Friedrich, Bezirksarzt in Kulmbaoh. 

936. - Braun, Lorentz, prakt. Arzt in Reichertshofen, staatsärztl. approb. 

937. - Braun, Rud., prakt. Arzt in Markt Sugenheim, staatsärztl approb. 

938. - Bredauer, Bezirksarzt in Wolfratshausen. 

939. - Breunig, Bahnarzt in Mainburg, staatsärztl approb. 

940. - Brinsteiner, Bezirksarzt in Landsberg. 

941. - Bruglocher, Reg.- u. Kreismedizinalrat in Ansbaoh. 

942. - Bsohorer, Bezirksarzt in Neustadt a. Aisoh. 

943. - Bub, Bezirksarzt in Augsburg. 

944. - BUller, bezirksärztlicher Stellvertreter in Obergünzburg. 

945. - Burgl, Landgeriohtsarzt, Hausarzt bei dem Geriohtsgefangrua 

in Nürnberg. 

946. - Burkart, Bezirksarzt u. Med.-Rat in Rosenheim. 



Mitgliederverzeiohnis. 


147 


947. Dr. Burkhard, landriohtl. Phys.-Assessor in Nürnberg. 

948. - Butz, prakt. Arzt in Vaoh, staatsärztl. approb. 

949. - v. Dall’Armi, Bezirksarzt in München. 

950. - Dehler, Oberarzt an der Kreiskrankenanstalt in Frankenthal, 

staatsärztl. approb. 

951. - Demuth, Reg.- u. Eireis-Med.-Rat in Speyer. 

952. - Deppisoh, bezirksärztl. Stellvertreter in Pottenstein. 

953. - Desing, prakt. Arzt in Mörasheim, staatsärztl. approb. 

954. - Detzel, prakt. Arzt in Dahn, staatsärztl. approb. 

955. - Dielmann, prakt. Arzt in Goohsheim, staatsärztl approb. 

958. - Dietsoh, Bezirksarzt in Hof. 

957. - Disohinger, prakt. Arzt in München, staatsärztl. approb. 

958. - Döderlein, prakt. Arzt in Erding, staatsärztl. approb. 

959. - Döpke, prakt Arzt in Bamberg, staatsärztl. approb. 

960. - D örfler, Spezialarzt in Regensburg, staatsärztl. approb. 

961. - Dollmann, Ohrenarzt in München, staatsärztl. approb. 

962. - Dorffmeister, Reg.- u. Kreis-Med.-Rat in Regensburg. 

963. - Dreyfuss, prakt. Arzt in Kaiserslautern, staatsärztl. approb. 

964. - Drossbach, Strafanstaltsarzt in Laufen. 

965. - E c o a r d, Direktor der Kreispflegeanstalt in Frarkenthal. 

966. - Eder, Bezirsarzt in Grafenau. 

967. - Egger, Landgerichtsarzt in Straubing. 

968. - Eisenstädt, Bahnarzt in Pappenheim, staatsärztl. approb. 

969. - End res, Bezirksarzt in Illertissen (Schwaben). 

970. - Enzenberger, Bezirksarzt in Kemnath. 

971. - Erdt, Landgerichtsarzt in Schweinfurt a./M. 

972. - Ernst, prakt. Arzt in Hof, staatsärztl. approb. 

973. - Er ras, prakt. Arzt in Babenhausen, staatsärztl. approb. 

974. - Ertl, Bezirksarzt in Landau a. J. 

975. - Eschwig, Bezirksarzt in Laufen. 

976. - Faber, Bezirksarzt in Kusel (Pfalz). 

977. - Federsohmidt, Bezirksarzt in Dinkelsbuhl. 

978. - Feyerle, Bezirksarzt in Hilpoltstein. 

979. - Fleisohmann, prakt. Arzt in Freinsheim (Pfalz), staatsärztl. 

approb. 

980. - Flierl, Bezirksarzt in Sohweinfurt. 

981. - Fortner, Bezirksarzt in Bad Tölz. 

982. - Frank, Karl, bezirksärztl. Stellvertreter in Obermoschel. 

983. - Frantz, Alfred, prakt. Arzt in Göllheim staatsärztl. approb. 
•984. - Frantz, Riohard, bezirksärztl. Stellvertreter in Grünstadt. 

985. - Friokhinger, Bezirksarzt in Schrobenhuusen. 

986. - Fritz, Oberarzt der Kreis-Irrenanstalt in Bayreuth. 

987. - Fuchs, Bezirksarzt in Würzburg. 

988. - Gaggell, Bezirksarzt in Pirmasens. 

989. - Gaill, Bezirksarzt in Mallersdorf. 

990. - Gebhardt, bezirksärztl. Stellvertreter in Haag (Oberbayern). 

991. - Gernaud, Bezirksarzt in Alzenau. 

992. - Gessele, prakt. Arzt in Traunstein, staatsärztl. approb. 

993. - Gier er, prakt. Arzt in Wendelstein, staatsärztl. approb. 

994. - Glauning, Physikatsassiteut in Nürnberg. 

10* 



148 


Mitgliederverzeichnis. 


995. Dr. Gmehling, Bezirksarzt in Burglengenfeld. 

996. - Go es, Bezirksarzt in Kaufbeuren. 

997. - Goettling, Direktor der Entbindungsanstalt und Hebammen- 

sobule in Bamberg. 

998. - Götz, Herrmann, prakt. Arzt in Aichaoh, staatsärztL approb. 

999. - Götz, Karl, Bezirksarzt u. Med.-Rat in Nördlingen. 

1000. - Goy, Bezirksarzt und Med.-Rat in Ochsenfurt. 

1001. - Grahamer, Jakob, L Bezirksarzt in Memmingen. 

1002. - Grahamer, Karl, Bezirksarzt in Rottenburg. 

1008. - v. Grashey, Geh. Ober-Med.-Rat, Referent im Staatsminist, d. 

Innern und Vorsitzender des Obermedizinal-Ausschusses in 
München. 

1004. - Grassl, Bezirksarzt in Lindau. 

1005. - Grassier, Bezirksarzt in Berchtesgaden. 

1006. - Grassmann, Bezirksarzt in Regensburg. 

1007. - Gr einer, Bezirksarzt in Amberg. 

1008. - Grimm, prakt. Arzt in Edenkoben, staatsäzztl. approb. 

1009. - Gros, Bezirksarzt in Parsberg. 

1010. - GrUb, Bezirksarzt in Freising. 

1011. - Grub er, Bezirksarzt in MUnohen-Giesing. 

1012. - Grundier, Bezirksarzt in Neumarkt (Oberpfalz). 

1013. - Günther, Bezirksarzt in Höohstadt a. Aisch. 

1014. - Gutermann, prakt. Arzt in Unterthingau, staatsärztl. approb. 

1015. - Haass, bezirksärztl. Stellvertreter in Altdorf. 

1016. - Härtl, Hofarzt u. Bezirksarzt in Wasserburg. 

1017- - Handschuoh, Bezirksarzt in Homburg. 

1018. - Harder, Bezirksarzt in Bogen. 

1019. - Hartmann, Bezirksarzt in Pfaffenhofen a. Um. 

1020. - Hausladen, prakt. Arzt in Schäftlarn, staatsärztl. approb. 

1021. - Hausmann, Bezirksarzt in Daohau. 

1022. - Heissler, Bezirksarzt in Teuschnitz. 

1023. - Heinsen, Nervenarzt in Augsburg, staatsärztl approb. 

1024. - Heilmaier, prakt. Arzt in Würzburg, staatsärztl. approb. 

1025. - Held, Bezirksarzt u. Hausarzt a. Zuohth. in Straubing. 

1026. - Helmerioh, bezirksärztl. Stellvertreter in Sesslaoh. 

1027. - Henkel, Bezirksarzt in Münohen. 

1028. - Hen nig, bezirksärztl. Stellvertreter in Winnweiler, 

1029. - Hermann, Franz, Bezirksarzt in Germersheim. 

1030. - Hermann, Friedrioh Anton, Landgeriohtsarzt in Fürth. 

1031. - Hertel, prakt. Arzt in Hagenbaoh (Pfalz), staatsärztl. approb 

1032. - Hess, Bezirksarzt in Wunsiedel. 

1033. - Hiemer, Bezirksarzt in Altötting. 

1034. - Hink er, bezirksärztl. Stellvertreter in Rotthalmünster. 

1035. - Hook, prakt. Arzt in Wörth a. M.. staatsärztl. approb. 

1036. - v. Hörmann, Bezirksarzt in Speyer. 

1037. - Hörrner, Bezirksarzt in St. Ingbert. 

1038. - v. Hösslin, Landgeriohtsarzt in Landau (Pfalz). 

•1039. - Hofmann, Franz, Bezirksarzt in Würzburg. 

1040. - Hofmann, Heinr., prakt. Arzt in Hilpoltstein, staatsärztl. 
approb. 



Mitgliederverzeichnis. 


149 


1041. 


1042. 


1043. 

1044. 
1046. 

1046. 

1047. 

1048. 

1049. 

1060. 

1061. 

1052. 

1063. 

1064. 

1055. 

1056. 

1057. 

1058. 

1059. 

1060. 
1061. 
1062. 

1063. 

1064. 

1065. 

1066. 
106a 

1069. 

1070. 
*1071. 

1072. 

1073. 

1074. 

1075. 

1076. 

1077. 

1078. 

1079. 

1080. 
1081. 
1082. 

1083. 

1084. 
1086. 
1086. 


Dr. Hofmann, Moritz, Prof., Med.-Rat u. Landgeriohtsarzt in 
München. 

- Horeld, Hausarzt an der Gefangenenanstalt in Sulzbaoh, 

staatsärztl. approb. 

- Huber, Krankenhausarzt in Fladungen. 

- Hug, Bezirksarzt in Donauwörth-Vohenstrauss. 

- Husslein, bezirksärztl. Stellvertreter in MUnnerstadt. 

- Imhof, prakt. Arzt in Sohellenberg. staatsärztl. approb. 

- Ingerle, prakt. Arzt in Münohen, staatsärztl approb. 

- Kablert, prakt. Arzt in Wunsiedel, staatsärztl approb. 

- Karrer, Med.-Rat u. Direktor der Kreisirrenanstalt in Klingen¬ 

münster. 

- Kaspar, Bahnarzt in Wttrzburg, staatsärztl. approb. 

- Kaufmann, Veit, Hofrat u. Bezirksarzt a. D. in Dürkheim. 

- Kaufmann, Sally, prakt. Arzt in Dürkheim, staatsärztl. approb* 

- Kayser, prakt Arzt u. Bahnarzt in Würzburg, staatsärztl 

approb. 

- Keller, prakt. Arzt in Heimenkiroh, staatsärztl. approb. 

- Kempf, bezirksärztl. Stellvertreter in Oberviechtaoh. 

- Kern, prakt. Arzt in Pirmasens, staatsärztl. approb. 

- Kersoher, prakt. Arzt in Lam, staatsärztl. approb. 

- Kienningers, Bezirksarzt in Sonthofen. 

- Klein, Knappsohaftsarzt in Waldmohr, staatsärztl. approb. 

- Klemz, Landgerichtsarzt in Memmingen. 

- Klingel, städt. Schularzt in Nürnberg. 

- Knorz, prakt. Arzt in Prien, staatsärztl. approb. 

- Köhl, prakt. Arzt in Naila, staatsärztl. approb. 

- K ö 11 e r, Bezirksarzt in Pfarrkirchen. 

- Körb er, Medizinalrat, Bezirks- u. Zuohthausarzt in Würzburg. 

- Krämer, Bezirksarzt in Naila (Oberfranken). 

- Krembs, prakt. Arzt in Schongau, staatsärztl. approb. 

- Kreuz, bezirksärztl. Stellvertreter in Dettelbach. 

- Kröhl, bezirksärztl. Stellvertreter in Schesslitz. 

- Kühn, Bezirksarzt und Landgerichtsarzt in Frankenthal. 

- Kundmüller, Bezirksarzt in Hofheim. 

- Kundt, Direktor der Kreisirrenanstalt in Deggendorf. 

- Lacher, Hofrat u. prakt. Arzt in Berchtesgaden, staatsärztl. 

approb. 

- Landgraf, Krankenhausarzt in Bayreuth. 

- Laub er, Medizinalrat u. Bezirksarzt in Neuburg a. D. 

- Lauer, prakt. Arzt in Neustadt a. Aisch, staatsärztl. approb. 

- Leohleuthner, prakt. Arzt in Rosenheini, staatsärztl. approb. 

- Lehner, prakt. Arzt in Frankenthal, staatsärztl. approb. 

- Lochner, Medizinalrat u. Bezirksarzt in Sohwabach. 

- Löffler, Bezirksarzt in Mellrichstadt. 

- Löbe, prakt. Arzt in Dienkelscherben, staatsärztl. approb. 

- Lottner, Bezirksarzt in Griesbach. 

- Luokinger, Landgerichtsarzt in Regensburg. 

- LU st, Bezirksarzt in Sohwabmünchen. 

- Lutz, Bezirksarzt in Lichtenfels. 



160 


Mitgliederverzeiohnis. 


1087. Dr. Maar, Bahnarzt in Ansbach, staatsärztl. approb. 

1088. - Mädl, prakt. Arzt in Kempten, staatsärztl. approb. 

1089. - Mangelsdorff, Bezirksarzt in Gmiinden a. M.. 

1000. - Mann, prakt. Arzt in Elmstein, staatsärztl. approb. 

1091. - Martius, prakt. u. Krankenhausarzt in Kulmbaoh, staatsärztl. 

approb. 

1092. - Marzeil, Bezirksarzt in Kitzingen. 

1098. - Mayer, Franz Xaver,Bezirksarzt in Wegscheid. 

1094. - Mayer, Landgeriohtsarzt u. Med.-Rat in Amberg. 

1096. - Mayer, Carl, Bezirksarzt in MUnohberg. 

1096. - Meixner, prakt. Arzt in Liohtenfels, staatsärztl. approb. 

1097. - Merkel, Hermann, Privatdozent für gerichtl. Medizin und 

Suppleant des Medizinalkomites in Erlangen. 

1098. - Merkel, Gottlieb, Ober-Med.-Rat u. Bezirksarzt a. D. in 

Nürnberg. 

1099. - Merkel, Siegmund, Physikats-Assistent in Nürnberg. 

1100. - Meyer, Bezirksarzt in Erding. 

1101. - Miller, Bezirksarzt in Stadtsteinach. 

1102. - Mo eg es, Bezirksarzt ln Tirschenreuth. 

1103. - Mott, Bezirksarzt in Nabburg. 

1104. - Müller, Adolf, Reg.-u. Kreis-Med.-Rat in Landshut. 

1105. - Müller, Franz, Bezirksarzt in Schongau. 

1106. - Müller, Julius, Bezirksarzt in Aiohach. 

1107. - Neidhardt, Bozirksarzt in Zusmarshausen. 

1108. - Niedermair, bezirksärztl. Stellvertreter in Neumarkt a. Rott. 

1109. - No der, Bezirksarzt in Mindelheim. 

1110. - Nothaas, Bezirksarzt in Günzburg. 

1111. - Obermeyer, Bezirksarzt in Ansbach. 

1112. - Oberweiler, Bezirksarzt in Esohenbaoh. 

1113. - Osohmann, Aug., bezirksärztl. Stellvertreter in Euerdorf 

(Unterfranken). 

1114. - Osohmann, Georg, Bahnarzt in Hammelburg, staatsärztl. 

approb. 

1115. - Ott, Bezirksarzt in Garmisch. 

1116. - Pallikau, Paul, Physikatsassistent in München. 

1117. - Palmedo, bezirksärztl. Stellvertreter in Roth. 

1118. - Pfeiffer, k. Landgerichtsarzt in Hof. 

1119. - Pickl, Langeriohtsarzt in Eichstädt. 

1120. - Poehlmann, Bezirksarzt in Bamberg. 

1121. - v. Pracher, bezirksärztl. Stellvertreter in Tegernsee. 

1122. - Preisendoerfer, Bezirksarzt in Lohr. 

1123. - Pürkhauer, Reg.- u. Kreismedizinalrat in Bayreuth. 

1124. - Putscher, Bezirksarzt in Waldmünohen. 

1125. - Raab, Otto, Bezirksarzt in Soheinfeld. 

1126. - Raab, Wilhelm, Bezirksarzt in Rehau. 

1127. - Rauch, Bezirksarzt in Hammelburg. 

1128. - Rauh, Bezirksarzt in Kötzting. 

1129. - Rausoh, prakt. Arzt in Zweibrücken, staatsärztl. approb. 

1130. - Regler, Landgerichtsarzt in Landshut. 

1131. - Reichold, bezirksärztl. Stellvertreter in Lauf. 

I 




Mitgliederverseiohnis. 


161 


1132. 

1133. 

1134. 

1135. 

1136. 

1137. 

1138. 

1139. 

1140. 

1141. 

•1142. 

1143. 

1144. 

1145. 

1146. 

1147. 
114a 
1149. 
1160. 

1151. 

1162. 

1163. 

1154. 

1155. 

1156. 

1157. 
1168. 
1169. 
1160. 
1161. 
1162. 

1163. 

1164. 

1165. 

1166. 

1167. 

1168. 

1169. 

1170. 

1171. 

1172. 

1173. 

1174. 
1176. 


Dr. Reinhardt, Bahnarzt in Weiden, staatsärztl approb. 

- Renner, Bezirksarzt in Zweibriioken. 

- Riedel, Bezirksarzt in Forohheim. 

- Riegel, Landgeriohtsarzt u. Med.-Rat in Kempten (Schwaben). 

- Roelig, prakt. Arzt in Nürnberg, staatsärztL approb. 

- Roger, Regierungs- u. Kreismedizinal rat in Augsburg. 

- Rohm er, Bezirksarzt in Bergzabern. 

- Roth, Friedrich, Med.-Rat, Bezirksarzt u. Direktor des städti¬ 

schen Krankenhauses in Bamberg. 

- Roth, Jos. Herrn., Polizei- u. Bahnarzt in Bamberg. 

- Roth, Ludwig, Med.-Rat, Landgerichtsarzt u. Bezirksarzt in 

Aschaffenburg. 

- Roth, Max, Med.-Rat u. Bezirksarzt in Nürnberg. 

- Rothhammer, prakt Arzt in Steingaden, staatsärztl. approb. 

- Rott, Bezirksarzt in Marktheidenfeld. 

- RU ding er, bezirksärztl. Stellvertreter in Weissenborn. 

- R u n o k, prakt. Arzt in Ludwigshafen, staatsärztl approb. 

- Rüss, bezirksärztl Stellvertreter in Eltmann. 

- Salomon, prakt. Arzt in Waldmohr, staatsärztl. approb. 

- Saradeth, prakt. Arzt in Ruhpolding, staatsärztl approb. 

- Sohäfer, Bezirksarzt u. Hausarzt an der Gefangenanstalt in 

Sulzbach. 

- Sohalkhauser, Landgeriohtsarzt in Passau. 

- Soharff, prakt. Arzt in Wunsiedel, staatsärztl. approb. 

- Sohelle, prakt. Arzt u. Krankenhausarzt in Isen (Oberbayern), 

staatsärztl. approb. 

- Sohenk, bezirksärztl. Stellvertreter in Babenhausen. 

- Scheppach, prakt. Arzt in Oettingen a. R., staatsärztl. approb. 

- Sohiokendantz, Bezirksarzt a. D. in Kusel (Pfalz). 

- Sohild, prakt. Arzt in Speyer, staatsärztl. approb. 

- Sohirmer, Bezirksarzt in Ebern. 

- Sohlier, prakt. Arzt in Hersbruok, staatsärztl. approb. 

- Schmid, Anton, Bezirksarzt in Vilshofen. 

- S o h m i d. Johann, prakt. Arzt in Donauwörtb, staatsärztl. approb. 

- Sohmid, Miohael, Bezirksarzt u. Med.-Rat in Passau. 

- S o h m i 11, Eduard, prakt. Arzt in Edesheim, staatsärztl approb. 

- Sohmitt, Josef, bezirksärztl. Stellvertreter in Weidenberg 

(Oberfranken). 

- Schmidt, Peter, Bezirksarzt in Hersbruck. 

- Sohmitz, Bezirksarzt in Starnberg. 

- Sohneller, Bezirksarzt in Berneck. 

- Schön, bezirksärztl. Stellvertreter in Geisenfeid. 

- Sohöppener, Karl, bezirksärztl. Stellvertreter in Reichenhall. 

- Schöppner, Ludwig, Bezirksarzt in Friedberg. 

- Sohrank, Bezirksarzt in Mainburg. 

- Sohröfl, prakt. Arzt in Wertingen, staatsärztl. approb. 

- Sohrön, prakt. Arzt in Uettingen (Unterfranken), staatsärztl. 

approb. 

- SohUtz, Bezirksarzt in Vilsbiburg. 

- Sohuster, prakt. Arzt in Augsburg, staatsärztl. approb. 



152 


Mitgliederverzeichnis. 


*1176. 

1177. 

1178. 

1179. 

1180. 
1181. 
1182. 

1183. 

1184. 

1185. 

1186. 

1187. 

1188. 

1189. 

1190. 

1191. 

1192. 

1193. 

1194. 

1195. 

1196. 

1197. 

1198. 

1199. 

1200. 
1201. 
1202. 

1203. 

1204. 
1206. 

1206. 

1207. 

1208. 
1209. 

* 1210 . 

1211 . 

1212 . 

1213. 

1214. 

1215. 

1216. 

1217. 

1218. 

1219. 

1220. 


Dr. S o h w i n k, Bezirksarzt in Rookenhausen. 

• Sohultz, bezirksärztl. Stellvertreter in Landau. 

• Seelos, Bezirksarzt in Wertingen (Sohwaben). 

- Seiderer, Bahnarzt in Mumau, staatsärztL approb. 

- Seil, Bezirksarzt in Dillingen a. d. Donau. 

- Severin, bezirksärztl. Stellvertreter in Hollfeld. 

- Solbrig, Bezirksarzt in Bayreuth. 

• Söloh, bezirksärztl. Stellvertreter in Lauingen a. Donau. 

- Spät, Bezirksarzt in Fürth. 

• Späth, Bezirksarzt in Landshut. 

- Spenkuoh, Bezirksarzt in Neustadt a. d. Hardt 

- Spiegel, prakt. Arzt in Oberhausen bei Augsburg, staatsärztL 

approb. 

- Spies, Bezirksarzt in Dürkheim. 

- Stadler, prakt. Arzt in Dinkelsbühl, staatsärztL approb. 

- Stark, prakt. Arzt in Neustadt a. Hordt, staatsärztL approb. 

- Steiohele, Bezirksarzt in Uffenheim. 

- Steidle, prakt. Arzt in Kempten, staatsärztL approb. 

- St ein dl, prakt. Arzt in Rennertshofen, staatsärztl, approb. 

- Steinhuber, Bezirksarzt in Freyung - Wolfstein. 

- Steininger, Bezirksarzt in Brückenau. 

- Stengel, Physikatsassistent in Würzburg. 

- Stic kl, Bezirksarzt in Rain. 

- Stritzl, prakt. Arzt u. Hausarzt am Zuchthause in Kaisheim 

staatsärzl. approb. 

- Stubenrath, Privatdozent für gerichtL Medizin in Würzburg. 

- Stummer, bezirksärztl. Stellvertreter in Prien. 

- Stumpf, Universitäts-Prof. u. Landgerichtsarzt in Würzburg. 

- Teioher, Bezirksarzt u. Med.-Rat in Pegnitz. 

- Thiel, prakt. Arzt in Karlstadt a. M., staatsärztl. approb. 

- Tischler, Bezirksarzt in Deggendorf. 

- Frhr. v. Thon-Dittmer, Bahnarzt in Pressath, staatsärztl 

approb. 

- Trzetziak, bezirksärztl. Stellvertreter u. Krankenhausarzt in 

Volkach (Unterfranken). 

- Ul 1 mann, Landgeriohtsarzt u. Med.-Rat in Zweibrücken. 

- U t z, Alfons, Landgeriohtsarzt in Augsburg. 

- Utzsohneider, prakt. Arzt in Rottenbuoh, staatsärztl. approb. 

- Vanselow, Bezirksarzt u. Med.-Rat in Kissingen. 

- Vierling, Bezirksarzt in Ingolstadt. 

- Vogl, prakt. Arzt in Kottern, staatsärztl. approb. 

- Vogler, Bezirksarzt in Krumbach (Schwaben). 

- Vogt jun., prakt. Arzt in Kandel, staatsärztl. approb. 

- Voll, bezirksärztl. Stellvertreter in Weismain. 

- W a i b e 1, Bezirksarzt in Kempten. 

- Wan der, prakt. Arzt u. Bahnarzt in Unterpeissenberg, staate- 

ärztl. approb. 

- Weber, Emanuel, Bezirksarzt in Kelheim. 

- Weber, Jakob, prakt. Arzt in Burghaslach, staatsärztl. approb. 

- Weber, Jakob,'prakt. Arzt in Kaiserslautern, staatsärztl. approb. 



Mitgliederverzeichnis. 


163 


1221. 

Dr. 

1222. 

- 

1223. 

- 

1224. 

- 

1225. 

- 

1226. 

, 

1227. 

- 

1228. 

- 

1229. 

- 

1230. 

- 

1231. 

_ 

1232. 

- 

1233. 

- 

1234. 

- 

1235. 

_ 

1236. 

- 

1237. 

_ 

1238. 

- 

1239. 

- 

*1240. 

- 

1241. 

- 

1242. 

- 

1243. 

- 

1244. 

- 

1245. 

- 

1246. 

- 

1247. 

- 

1248. 

- 


Weber, J., prakt. Arzt in Landeshut, staatsärztl. approb. 
Weigel, prakt. Arzt in Milnohen, staatsärztl. approb. 
Weikard, Bezirksarzt in Neu-Ulm. 

Weiss, August, Landgeriohtsarzt in Bayreuth. 

Weiss, Theobald, Bezirksarzt in Miesbaoh. 

Welte, prakt. Arzt in Saal (Unterfr.), staatsärztl. approb. 

W e n t z e 1, prakt. Arzt in SohmidmUhlen, staatsärztl. approb. 
Wetzel, Landgerichtsarzt in Münoben. 

Weygandt, ausserordentl. Professor und Privatdozent in 
Wiirzburg. 

Wiedemann, bezirksärztl- Stellvertreter in Bisohofsheim 
a. d. Rhön. 

Wild, prakt. Arzt in Endorf, staatsärztl. approb. 

Wille, Bezirksarzt in Markt-Oberdorf, 
v. Winokel, Geheimer Rat u. Prof, in München. 

W ins au er, Bahnarzt und Hofarzt in Kleinheubach, staatsärztl. 
approb. 

Wirsohing, Bezirksarzt in Waldmohr. 

W i 11 m e r, Assistenzarzt a. d. Kreiskrankenanstalt in Franken“ 
thal, staatsärztl. approb. 

Wollenweber, Landgeriohtsarzt in Neuburg a. D. 
Wunder, bezirksärztl. Stellvertreter in Wolfstein (Pfalz). 
Zängerle, prakt. Arzt in aLndshut, staatsärztl. approb. 
Zahn, Landgerichts- und Bezirksarzt in Kaiserslautern. 

Z a n 11, Bezirksarzt in Eggenfelden. 

Z e i 11 e r, Bezirksarzt in Ebrach. 

Zeitler, prakt. Arzt in Wörth a./D., staatsärztl. approb. 
Zinn, Landgeriohtsarzt in Bamberg. 

Zöllner, Bezirksarzt in Bruck b. MUnohen. 

Zorn, Friedrioh, prakt. Arzt in Memmingen, staatsärztl. approb 
Zorn, Ludwig, prakt. Arzt in Frankenthal, staatsärztl. approb. 
Zweoker, bezirksärztl. Stellvertreter in Waldfisohbach. 


Außerdem Mitglied des Bayerischen Medizinalbeamtenvereins: 

1249. - Leh mann, Chefarzt der Pierson sehen Privat - Heilanstalt 
in Coswig a./Elbe. 


1260. 

1261. 

*1252. 

1263. 

*1254. 

1265. 

1256. 

1267. 

*1258. 

•1269. 

1260. 


O. Königreich Ssohian. 

Dr. Beoker, Bezirksarzt u. Med.-Rat in Doebeln. 

- Böttoher, Anstaltsbezirksarzt in Hohnstein. 

- Erler, Bezirksarzt u. Med.-Rat in Meissen. 

- Fiokert, Bezirksarzt in Rochlitz. 

- Flinzer. Bezirksarzt u. Med.-Rat in Plauen i. Vogtland. 

- Gelbke, Bezirksarzt u. Med.-Rat in Chemnitz. 

- Hertsch, Bezirksarzt in Borna b. Leipzig. 

- Hesse, Obermedizinalrat u. Bezirksarzt in Dresden-Strehlen. 

- Hirschberg, Anstalts- u. Bezirksarzt in Zwickau. 

- Holz, Bezirksarzt in Dippoldiswalde. 

- Kookel, a. o. Professor u. Direktor des Institut« für gerichtl. 

Medizin in Leipzig. 



164 


Mitgliederverzeiohnis. 


1261. 

1262. 

1263. 

1264. 
*1265. 

1266. 

1267. 

1268. 

1269. 

1270. 

1271. 

1272. 

1273. 

1274. 

1275. 
*1276. 


1277. 

•1278. 

1279. 

1280. 
•1281. 

1282. 

1283. 

1284. 
1286. 
1286. 

1287. 

1288. 

1289. 

1290. 

1291. 

1292. 

1293. 
•1294. 

1295. 

1296. 
*1297. 

1298. 

1299. 

1300. 

1301. 

1302. 


Dr. Lehmann, Obermedizinalrat u. Direktor der städtischen Heil- 
und Pflegeanstalt in Dösen bei Leipzig. 

- Lehmann, Bezirksarzt und Med.-Rat in Freiberg. 

- Müller, Anstaltsbezirksarzt in Stollberg i. Erzgeb. 

- Petzholdt, Bezirksarzt in Grossenhain. 

- Perthen, Bezirksarzt in Oelsnitz i. Voigltl. 

- Reohholtz, Bezirksatzt in Frankenberg. 

- Riohter, Gerichtsassistenzarzt in Leipzig. 

- Sauer, Bezirksarzt in Kamenz. 

- Sohmidt, Bezirksarzt in Osohatz. 

- Siegel, Stadt- u. Bezirksarzt u. Geh. Med.-Rat in Leipzig. 

- v. Stieglitz, Bezirksarzt u. Med.-Rat in Löbau. 

- Streit, Bezirksarzt u. Med.-Rat in Bautzen. 

- Thierseh, San.-Rat, Assistent des Bezirksarztes in Leipzig. 

• Weber, Geh. Med.-Rat und Direktor der Heil- u. Pflegeanstalt 

in Sonnenstein. 

- W eso he, Geh. Med.-Rat in Leipzig. 

- Zehlert, Kgl. Bezirksarzt in Sohwarzenberg. 

D. Königreich Württemberg. 

Dr. Andrassy, Oberamtsarzt in Böblingen. 

- Baur, Oberamtsarzt in Blaubeuren. 

- Bilfinger, Oberamtsarzt in Neokarsulm. 

- Blezinger, Oberamtsarzt u. Med.-Rat in Cannstadt. 

- Breit, Oberamtsarzt u. Med.-Rat in Stuttgart. 

- Bubenhofer, Oberamtsarzt u. MecL-Rat in Vaihingen a. E. 

- Camerer, Med.-Rat u. Mitglied des Medizinalkollegiums in 

Stuttgart. 

- Ciess, stellvertretender Stadtdirektionsarzt in Stuttgart. 

- Cuhorst Oberamtswundarzt in KUnzelsau. 

- Dünge s, Chefarzt der süddeutsohen Heilstätte für Lungen¬ 

kranke Schömberg, staatsärztl. approb. 

- Engelhorn, Oberamtsarzt und Med.-Rat in Göppingen. 

- Fauser, San.-Rat u. dirig. Arzt am Bürger-Hospital in Stuttgart. 

- Finokh, Oberamtsarzt in Tettnang. 

- Föhr sen., Oberamtsarzt u. Med.-Rat in Marbaoh. 

- Frioker, Oberamtsarzt in Nagold. 

- Gastpar, Stadtarzt in Stuttgart. 

- G a u p p, Oberamtsarzt in Schorndorf. 

- Georgii, Oberamtsarzt in Maulbronn. 

- Gnaut, Oberamtsarzt in Neresheim. 

- Grundier, Oberamtswundarzt in Herrenberg. 

• v. Guss mann, Obermedizinalrat und Mitglied des Medizinal- 

Kollegiums in Stuttgart. 

- Haag, Oberamtsarzt in Wangen (Allgäu). 

- Habermaas, San.-Rat, leitender Arzt der Anstalt für 

Schwachsinnige und Epileptische in Stetten im RemsthaL 

- Härlin, Oberamtsarzt in Neuenbürg. 

- Hart mann, Oberamtsarzt in Herrenberg. 

- Heller, Oberamtsarzt in Baoknang. 



Mitgliederverzeiohnis. 


166 


*1303. 

1304. 

1305. 
•1306. 

1307. 

*1308. 

1309. 

1310. 
*1311. 
•1312. 

1313. 

1314 

1316. 

1316. 

1317. 
131& 

1319. 

1320. 

1321. 

1322. 

1323. 
1324 

1325. 

1326. 

1327. 

1328. 

1329. 

1330. 

1331. 

1332. 
*1333. 

1334. 

1335. 

1336. 

1337. 

•1338. 

ia39. 

1340. 

1341. 

1342. 
•1343. 
*1344. 

1346. 

1346. 

1347. 

1348. 


Dr. Höring, Oberamtsarzt u. Hofrat in Weinsberg. 

- Hopf, Oberamtsarzt u. San.-Rat in Balingen. 

- Jägor, Oberamtsarzt u. Med.-Rat in Ulm. 

- Kern, Oberamtsarzt in KUnzelsau. 

- K n a u s s, Oberamtsarzt u. Med.-Rat in Geisslingen. 

- Köstlin, Stadtdirektionsarzt u. Med.-Rat in Stuttgart. 

- Kohlbaas, Med-Rat u. Mitglied des Medizinal - Kollegiums in 

Stuttgart. 

- Kommereil, Oberamtsarzt u. Med.-Rat in Waiblingen. 

- Kr au ss, Oberamtsarzt u. Med.-Rat in Kirchheim-Teok. 

- Kreuser, Med.-Rat und Direktor der K. Heil- u. Pflegeanstalt 

in Winnenthal. 

- Lang, Oberamtsarzt u. Hofrat in Besigheim. 

•- Lang, Oberamtswundarzt in Rottweil. 

- Lieb, Oberamtsarzt in Freudenstadt. 

- Lindemann, Oberamtsarzt in Mergentheim. 

- Ludwig, Oberamtsarzt in Leonberg. 

- Lutz, Oberamtsarzt in Saulgau. 

- Maisch, Oberamtsarzt in Oehringen. 

- Majer, Oberamtsarzt und Med.-Rat in Hei'bronn. 

- Man dry, Chefarzt des Krankenhauses in Heilbronn. 

- Mayer, Oberamtswundarzt in Tettnang. 

- Mayer, Viktor, Oberamtsarzt in Miinsingen. 

- Mi ss mahl, Oberamtsarzt in Riedlingen. 

- Mülberger, Oberamtsarzt in Crailsheim. 

- Müller, Oberamtsarzt u. Med.-Rat in Calw. 

- Müller, Oberamtsarzt in Oberndorf a. Neokar. 

- Muntsoh, Stadt- und Distriktsarzt in Wiesensteig. 

- Mutsohler, Oberamtsarzt in Aalen. 

- Oesterlen, Prof, und Med.-Rat in Tübingen. 

- Palmer, Oberamtsarzt u. Med.-Rat in Biberaoh. 

- Paulus, Oberamtsarzt in Heidenheim. 

- Pfäfflin, Oberamtsarzt in Urach. 

- Pfeilstioker, Oberamtsarzt u. Med.-Rat in Gmünd. 

- P fl ei derer, Stadtarzt in Knittlingen. 

- Ray, Oberamtsarzt in Ehingen. 

- v. Rembold, Ober-Med. Rat u. Mitglied des Med.-Kollegiums 

in Stuttgart. 

- Rembold, Oberamtsarzt in Waldsee. 

- Rödelheimer, Oberamtsarzt u. San.-Rat in Laupheim. 

- Romberg, Oberamtsarzt in Nürtingen. 

- R u s s, Oberamtsarzt u. Med.-Rat in Rottweil. 

- Sattler, Oberamtswundarzt in Cannstadt. 

- Soheef, Oberamtsarzt in Rottenburg. 

- Soheurlen, Ober-Med.-Rat und Mitglied des Medizinalkolle¬ 

giums in Stuttgart. 

- Schmid, Oberamtsarzt u. Med.-Rat in Brackenheim. 

- Sohmidt, Oberamtswundarzt in Rottenburg a. Neokar. 

- Sohneckenburger, Oberamtsarzt in Tuttlingen. 

- So hum, Oberamtswundarzt in Mergentheim. 



156 


Mitgliederverzeiohnis. 


1349. Dr. Schulz, fürstl. Leibarzt in Wolfegg, staatsärztl. approb. 

1350. - Schott, Oberarzt an der Königl. Heilanstalt in Weinsberg. 

1351. - Seeger, Oberamtsarzt in Welzheim. 

1352. - Siegmundt, Oberamtsarzt in Spaihingen. 

1353. - Späth, Oberamtsarzt u. Med.-Rat in Esslingen. 

1354. - Staudenmeyer, Oberamtsarzt in Langenburg. 

1355. - Steinbrück, Oberamtsarzt u. Med.-Rat in Reutlingen. 

1356. - SUsskind, Oberamtsarzt a. D. in Heidenheim. 

1357. - SUsskind, Oberamtsarzt in Hall (Schwäbisch). 

1358. - T e u f f e 1, Oberamtsarzt ln Gaildorf. 

1859. - Walcher, Med.-Rat, Direktor der Landes-Hebammen-Lehr- 
anstalt in Stuttgart. 

1360. - Walz, Medizinalrat u. Mitglied des Medizinalkollegiums in 

Stuttgart. 

1361. - Werfer, Oberamtsarzt u. Med.-Rat in Eliwangen. 

1362. - Wollenberg, Prof. u.Direktor d. psyohiatr.Klinik in Tübingen 

1363. - Zeller, Oberamtsarzt u. Med.-Rat in Ludwigsburg. 


1364. Dr. 

1365. - 
*1366. - 
*1367. - 
*1368. - 
*1369. - 
*1370. - 

1371. - 
*1372. - 
*1373. - 
*1374. - 

1375. - 

1376. - 

1377. - 

1378. - 

*1379. - 
*1380. - 
1381. - 
*1382. - 

1383. - 

1384. - 
*1385. - 
*1386. - 

1387. - 
*1388. - 
*1389. - 
*1390. - 
*1391. - 
1392. - 


E. Grosshersogtum Baden. 

Baader, Bezirksarzt und Med.-Rat in St. Blasien. 
Battlehner, Geheimer Rat in Karlsruhe. 

Bau mann, Bezirksassistenzarzt in Walldürn. 

Becker, Bezirksarzt u. Med.-Rat in Offenburg. 

Behrle, Bezirksarzt u. Med.-Rat in Mannheim. 

Blume, Bozirksassistenzarzt u. Med.-Rat in Philippsburg. 
Brenzinger, Bezirksarzt und Med.-Rat in Buohen. 
Compter, Bezirksarzt und Med.-Rat in Rastatt. 

Dörner, Bezirksarzt in Adelsheim. 

Esohle, Direktor der Kreispflegeanstalt in Sinsheim. 

Greif f, Ober - Med. - Rat in Karlsruhe. 

Hauser, Ober-Med.-Rat in Karlsruhe. 

Heinemann, Bezirksarzt u. Med.-Rat in Konstanz. 

Herzog, Bezirksassistenzarzt in Gengenbach. 

Hoohe, Professor u. Direktor der psyohiatrisohen Klinik in 
Freiburg i. Breisgau. 

Holl, Bezirksassistenzarzt in Heidelberg. 

Kaiser, Bezirksarzt u. Med.-Rat in Karlsruhe. 

Kamm, Bezirksarzt in Bretton. 

Kl ehe, Geh. Med.-Rat u. Bezirksarzt in Bruohsal. 

K r i e s c h e, Adolf, Bezirksarzt tu Med.-Rat in Breisaoh. 
Kröll, Bezirksarzt u. Geh. Hofrat in Lahr. 

Kürz, Bezirksarzt u. Med.-Rat in Heidelberg. 

Lefholz, Bezirksarzt in Säokingen. 

Manz, Bezirksarzt in Pfullendorf. 

Mayer, Bezirksarzt in Schopfheim. 

Me es, Bezirksarzt in Bonndorf. 

Mittermaier, Geh. Med.-Rat in Heidelberg. 

Nitka, Bezirksassistenzarzt in Mannheim. 

Rehmann, Bezirksarzt u. Med.-Rat in Pfonheim. 



Mitgliederverzeiohnis. 


157 


*1398. Dr. Rittstieg, Bezirksarzt in Eppingen. 

1394 - Schleid, Bezirksarzt in Wieslooh. 

1895. - Sohmid, Bezirksarzt in Meßkiroh. 

*1396. - Sohneider, Bezirksarzt in Achern. 

*1897. - Sohottelius, Professor u. Geh. Hofrat in Freiburg i. Br. 
*1898. - Sohulze, prakt. Arzt in Ziegelhausen bei Heidelberg, staats¬ 
ärztl. approb. 

1399. - Stark, Bezirksarzt u. Med.-Rat i. Lörraoh. 

*1400. - Stöoker, Bezirksarzt in Eberbaoh a./Necker. 

1401. - Thomann, Bezirksarzt in Wertheim a. M. 

*1402. - Thomen, Bezirksarzt in Weinheim. 

*1403. - Vögel in, Bezirksassistenzarzt in Gernsbaoh (Murohtal). 

1404. - Walther, Bezirksarzt u. Med.-Rat in Ettenheim. 

*1405. - Warth, Med.-Rat und Bezirksarzt in MUllheim. 

*1406. - Wippermann, Med.-Rat und Bezirksarzt in Mosbach. 

1407. - Wörner, Bezirksarzt in Ueberlingen. 

*1408. - Wohlfahrt, Bezirksarzt in Bühl. 

*1409. - Zix, Bezirksarzt u. Med.-Rat in Schwetzingen. 

F. GroMharsogtum Hassan. 

*1410. Dr. Baiser, Kreisarzt u. Med.-Rat in Mainz. 

*1411. - Best, Kreisassistenzarzt in Hirschhorn a. Neokar. 

1412. - Gursohmann, Kreisassistenzarzt in Giessen. 

1413. - Dannenberger, Kreisarzt u. Med.-Rat in Dieburg. 

1414 - Dresoher, Kreisassistenzarzt in Mainz. 

1415. - Fertig, Kreisarzt u. Med.-Rat in Worms. 

1416. - Fresenius, Kreisassistenzarzt in Worms. 

1417. - Grein, prakt. Arzt in Offenbach, staatsärztl. approb. 

•1418. - Groos, Kreisarzt u. Med.-Rat in Bensheim. 

1419. - Haberkorn, Kreisarzt u. Med.-Rat in Giessen. 

*1420. - Hauser, Geh. Ob.-Med.-Rat in Donastadt. 

1421. - Heinricy, Kreisarzt in Lauterbaoh. 

1422. - Jaup, prakt. Arzt in Gross-Gerau, staatsärztl. approb. 

1423. - Koeniger, Kreisarzt in Schotten. 

1424. - Langermann, Kreisassistenzarzt in Gedern. 

*1425. - Lehr, Med.-Rat u. Kreisarzt in Darmstadt. 

1426. - Lindenborn, Kreisarzt u. Med.-Rat in Gross-Gerau. 

1427. - Nebel, Kreisarzt in Friedberg. 

*1428. - Neidhart, Geh. Obermedizinal-Rat in Darmstadt. 

1429. - Pfannmüller, Med.-Rat u. Kreisarzt in Offenbaoh a./M. 

1430. - Pfannenstiel, Geh. Med.-Rat, Professor u. Direktor der 

geburtshilflichen Frauenklinik in Giessen. 

1431. - Schäffer, Kreisarzt in Alzey. 

1432. - Sohäffer, Kreisarzt in Bingen. 

1433. - Sohwan, Kreisassistenzarzt in Darmstadt. 

1434 - Stigell, Kreisarzt u. Med.-Rat in Oppenheim. 

1435. - W a 1 g e r, Kreisarzt in Erbach (Odenwald). 

1436. - Walther, Prof.u.Lehrer an d. Hebam.-Lehranatalt in Giessen 

1437. - Wengler, Kreisarzt in Alsfeld. 

1438. - Wiessner, Kreisarzt u. Med.-Rat in Büdingen. 



168 


Mitgliederverzeiohms. 


O. Oroashanogtftmar l«oUenbu| • Bohwaria n. XeoUnbuf* 

ßtrellta 

1439. Dr. D u g g e, Kreiaphysikua in Rostock. 

1440. - El fei dt, Kreiaphysikua u. San.-Rat in Gadebusch. 

1441. - Günther, Kreiaphysikua n. San.-Rat in Hagenow. 

1442. - Havemann, Kreiaphysikua u. Med.-Rat in Dobbertin. 

1443. - Kausch, Direktor der Kaltwasserheilanstalt in Feldberg, pro 

physic. approb. 

1444. - Mozer, Kreiaphysikua u. Med.-Rat in Malchin. 

1446. - Müller, Geh. Med.-Rat u. Medizinal-Referent bei dem Justiz¬ 
ministerium (Abt. f. Medizinal-Angelegenheiten) in Schwerin. 

1446. - Mulert, Kreiaphysikua u. San.-Rat in Waren. 

1447. - Reuter, Kreiaphysikua u. Med.-Rat in Güstrow. 

1448. - Sohrakamp, Physikus in Schönberg (Mecklenburg-Strelitz). 

1449. - Sohubart, prakt. Arzt in Parchim (Mecklb.), staataärztl. approb. 

1460. - Sohuohardt, Geh. Med.-Rat u. Professor in Gehlsheim 

(Mecklb.-Schwerin), Mitglied der Medizinalkommission. 

1451. - Stephan, Kreisphysikus u. Med.-Rat in Dargun. 

1462. - Unruh, Kreisphysikus u. Med.-Rat in Wismar. 

1453. - Viereck, Kreisphysikus u. San.-Rat in Ludwigslust. 

1464. - Wilhelmi, Kreisphysikus u. Med.-Rat in Schwerin. 


H. Oronhenogtnm Oldenburg. 

1466. Dr. Barnstedt, prakt. Arzt in Bockhorn, staatsärztl. approb. 

1456. - G i e s 1 e r, Physikus in Eutin (Fürstentum Lübeck). 

1457. - Heinz, Amtsarzt in Veohta. 

1468. - Möhlfeld, Amtsarzt in Delmenhorst. 

1459. - Ritter, Geh. Ober-Med.-Rat, Mitglied des Med.-Kollegiums. 

1460. - Schlaeger, Landphysikus u. Landgerichtsarzt in Oldenburg. 

1461. - Schmidt, Landesarzt u. Med.-Rat in Idar (Fürstent. Birkenfeld) 

1462. - Tietz, prakt. Arzt in Idar (Fürstent. Birkenfeld), staatsärztl 

approb. 

L OroMhersogtum Saohsen - Weimar. 

1463. Dr. Brauns, Med.-Rat u. Bezirksarzt in Eisenaoh. 

1464. - Giese, Privatdozent u. Bezirksarzt in Jena. 

*1465. - Gumpreoht, Prof. u. Med.-Rat in Weimar. 

1466. - Knopf, Bezirksarzt u. Med.-Rat in Weimar. 

1467. - Löber, Bezirksarzt in Vacha. 

1468. - Meunier, Bezirksarzt in Creuzburg a M. 

1469. - Miohael, prakt. Arzt in Ilmenau, staatsärztl. approb. 

1470. - Moser, Bezirksarzt u. Med.-Rat in Dornburg. 

1471. - Pfeiffer, Geh. Hof- u. Med.-Rat in Weimar. 

1472. - R ö h 1 e r, Bezirksarzt in Apolda 

1473. - Stapff, Bezirksarzt in Dermbach. 

1474. - Starke, Med.-Rat u. Bezirksarzt in Vieselbaoh. 

1475. - Wedemann, Med.-Rat, Landgerichts- u. Bezirksamt i. Eisenaoh. 

1476. - Werner, prakt. Arzt in Blankenhain, staatsärztl. approb. 



Mitgliederverzeiohnis. 


159 


K. Henogtnm Anhalt. 

1477. Dr. von Brunn, Kreisphysikus u. Med.-Rat in Köthen. 

1478. - Esieben, Kreisphysikus u. Med.-Rat in Bemburg. 

1479. - Fitzau, Kreisphysikus in Ballenstedt. 

1480. - Klauder, prakt. Ärztin Dessau, staatsärztl. approb. 

1481. - Neuendorf, Direktor der Irrenanstalt u. Med.-Rat in Bernburg 

1482. - Oehmke, Kreisphysikus u. Med.-Rat in Dessau. 

*1483. - Ri oh t er, Reg.- u. Geh. Med.-Rat in Dessau. 

1484. - Robitzsoh, Kreisphysikus u. Med.-Rat in Zerbst. 

1486. - Weinberg, prakt. Arzt in Güsten, staatsärztl. approb. 


L Herzogtum Braunaohwelg. 

1486. Dr. Beokhaus, Physikus u. San.-Rat in Königslutter. 

1487. - Diederiohs, prakt. Arzt in Holzminden, staatsärztl. approb. 

1488. - Ehrlich, prakt. Arzt in Stadt-Oldendorf, staatsärztl. approb. 

1489. - Engel, Physikus in Sohöppenstedt. 

*1490. - Engelbreoht, Med.-Rat u. Mitglied des Obersanitätskollo- 
giums in Braunschweig. 

1491. - Hartmann, Physikus in Ottenstein. 

1492. - Klöppel, San.-Rat u. Physikus in Blankenburg. 

1493. - Müller, Rob., Physikus in Braunschweig. 

1494. - Niemann, Physikus u. San.-Rat in Holzminden. 

1496. - Roth, Stadtphysikus u. San.-Rat in Braunsohweig. 

1496. - Sohrader, San.-Rat u. Physikus in Vechelde. 

1497. - Seulke, Physikus u. San.-Rat in Eschershausen. 

1498. - Zimmer, Physikus und San.-Rat in Gandersheim. 


X. Herzogtum Baohsen -Altenburg. 

1499. Dr. Hesse, Bezirksarzt in Eisenberg. 

1500. - Kutschbaoh, Bezirksarzt in Kahla. 

1501. # - Lorentz, Bezirksarzt u. San.-Rat in Luoka. 

1502. - Nützennadel, Med.-Rat in Altenburg. 

1503. - Schaumkeil, prakt. Arzt in Ronneburg, staatsärztl. approb. 


V. Herzogtum Baohsen - Coburg - Gotha. 

1604. Dr. Beoker, Amtsphysikus u. Geh. Med.-Rat in Gotha. 

1605. - Franke, Amtsphysikus in Waltershausen. 

1606. - Kessler, prakt. Arzt in Gotha, staatsärztl. approb. 

1607. - Kompe, prakt. Arzt in Friedrichsroda, staatsärztl. apqrob. 

1508. - Liebmann, Amtsphysikus u. Med.-Rat in Neustadt. 

1509. - Philipp, Geh. Regierungs- u. Ober-Med.-Rat in Gotha. 
1610. - Pottien, Amtsphysikus in Gräfentonna. 

1511. - Sterzing, Stadtphysikus u. Med.-Rat in Gotha. 

1612. - St Ul er, Amtsphysikus in Ohrdruf. 

1618. - Waldvogel, Med.-Rat u. Amtsphysikus in Coburg. 



160 


Mitgliederverzeiohnis. 


O. Herzogtum gaohsen - Meiningen. 

1514. Dr. Berthot, Physikus u. San.-Rat in Hildburghausen. 

1515. - Freyburg, Physikus in Meiningen. 

1516. - Leubuscher, Prof., Reg.- und Geh. Med.-Rat in Meiningen. 

1517. - Helmkampf, Physikus u. San.-Rat in Saalfeld. 

1618. - Sohöningh, Physikus in Gräfenthal. 

1519. - Wagner, Kreisphys. u. Geh. Med.-Rat in Salzungen. 

1620. - Wegener, Kreisphysikus in Wasungen. 


P. Fürstentum Kanas Utero Linie. 

1621. Dr. Krämer, Physikus in Zeulenroda. 

1522. - Löscher, Physikus in Remptendorf. 

1623. - Soheube, Physikus u. Med.-Rat in Greiz. 


Q. Fürstentum Renas Jüngere Linie. 

1524. Dr. Franz, Bezirksarzt in Sohleiz. 

1525. - Hä über, Med.-Rat u. Bezirksarzt in Gera. 


B. Fürstentum Lippe. 

1526. Dr. Carius, Amtswundarzt in Detmold. 

1527. - Esohenburg, Geh. Hofrat in Detmold. 

1528. - Gottschalk, Physikus in Salzuflen. 

1529. - Hovedissen, San.-Rat u. Amtswundarzt in Varenholz. 
1630. - Overbeck, Geh. Med.-Rat in Lemgo. 

1531. - Pütz, Amtswundarzt in Bösingfeld. 

1532. - Theopold, Physikus u. San.-Rat in Blomberg. 

1533. - Volkhausen, Med.-Rat u. Physikus in Detmold. 

8. Fürstentum Sohaumbnrg - Lippe. 

1534. Dr. Burohard, Kreisphysikus in BUokeburg. 

1636. - Lambreoht, Kreisphysikus in Stadthagen. 

1636. - Ridder, Geh. Med.-Rat in Büokeburg. 


T. Fürstentum Sohwarxbnrg - Rudolstadt. 

1537. Dr. Graef 1, Geh. San.-Rat u. Physikus in Frankenhausen. 

1638. - Rosendorf, Bezirksphysikus in Leutenberg. 

1639. - Rost, Regierungs- u. Med.-Rat in Rudolstadt 
1540. - Sorge, Bezirksphysikus in Königssee. 


U. Fürstentum 8ohw&rslrarg-8ondershAHsen. 

*1541. Dr. Bayer, Geh. Med.-Rat, vortrag. Rat im Ministerium u. Besirka- 
physikus in Sondershausen. 



Mitgliederverzeichnis. 


161 


1542. Dr. M tlller, Bezirksphysikus in Gehren. 

1543. - Oss wald II, Bez.-Physikus u. San.-Rat in Arnstadt. 


V. Fflratentum Waldeok. 

1544. Dr. Hartwig, Kreisphysikus u. San.-Rat in Korbaoh. 

1545. - M a n n e 1, Geh. Medizinalrat in Arolsen. 

1546. - Maro, Kreisphysikus u. Geh. San.-Rat in Bad Wildungen 

1547. - Seebohm, Geh. Hofrat u. Kreisphysikus in Pyrmont. 

W. Freie and HmutMte. 

1548. Dr. Berkhan, Amtsphysikus in Bergedorf. 

1549. - Dreier, Kreisarzt in Bremen. 

1550. - Harmsen, prakt. Arzt in Hamburg, staatsärztl. approb. 

1551. • Heinrioh, Hafenarzt in Bremerhaven, staatsärztl. approb. 

1552. - Kister, AbteilungsVorsteher am hygienisohen Institut in 

Hamburg. 

1553. - Loohte, Physikus in Hamburg. 

1554. - Maes, Physikus in Hamburg. 

1555. - Otto, Besitzer einer Privatklinik nebst mediko-mechanisohem 

Institut in Hamburg, pro physio. approb. 

1556. - Rei.noke, Med.-Rat in Hamburg. 

1657. - Riedel, Physikus u. Med.-Rat in Lübeck. 

1558. - Sieveking, Physikus in Hamburg. 

1559. - Strub e, Gerichtsarzt in Bremen. 

1560. - Tiedemann, prakt. Arzt in Bremen, staatsärztl. approb. 

1561. - Tjaden, Geschäftsführer des Gesundheitsamts u. Direktor des 

bakteriologischen Instituts in Bremen. 

1562. - Wahnoau, Verwaltungs-Physikus in Hamburg. 

X. Beiohsland Eisau - Lothringen. 

1563. Dr. de Bary, Kreisarzt u. Mecl.-Rat in Altthann (Oberelsaß). 

1564. - Belin, Kreisarzt in Straßburg i./Els. 

1565. - Bielski, Kantonalarzt in Maursmünster. 

1566. - Biedert, Prof. u. Geh, Med.-Rat, Ministerialrat in Strassburg 

i./Els. 

1567. - Giß, Kreisarzt in Diedenhofen. 

*1568. - Hecker, Reg.- und Med.-Rat in Straßburg i./Els. 

1569. - Hoeffel, Geh. Med.-Rat und Kreisarzt in Buchsweiler. 

1570. - Holtzmann, Landesgesundheitsinspektor in Straßburg i./E. 

1571. - Köster, Med.-Rat und Kreisarzt in Saarburg. 

1572. - Krimke, Kreisarzt in Rothau i. Eis. 

1573. - Matth es, Leiter des bakteriologischen Instituts in Metz. 

1574. - Mosser, Kreisarzt in Rappoltsweiler. 

1675. - M Ul ler-H er ring s, Kreisarzt in Metz. 

1576. - Pawolleck, Regierungs- u. Geh. Med.-Rat in Metz. 

1577. - Ransohoff, Direktor der staatl. Irrenanstalt in Stophansfeld 

bei Straßburg i/E. 



162 


Mitgliederverzeiohnis. 


1678. Dr. Spiegel, Kreisarzt in Gebweiler. 

1679. - Sutter, Kantonalarzt in St. Avold. 

1680. - Winter, prakt. Arzt in Sennheim, staatsärztl. approb. 

Ausserdem: 

1581. Dr. Overlaoh, Ober-Med.-Rat in Schdneberg b. Berlin. 

1582. - Weiohardt, Bezirksphys. a. D. und San.-Rat in Berlin. 

Gestorben seit der diesjährigen Versammlung: 

1. Dr. Albert, Bezirksarzt in Hassfurt (Bayern.) 

2. - Comnick, Kreisarzt u. Med.-Rat in Striegau (Sohlesien). 

3. - Heilmann, Kreisphys. z. D.u.Geh. San.-Rat in Krefeld(Rheinpr.). 

4. - Helm, San.-Rat u. Physikus in Helmstedt (Braunsohweig). 

5. - Hennig, prakt. Arzt in Berent, staatsärztl. approb. (Westpr.). 

6. - Karsoh, Ober-Med.-Rat in Speyer (Bayern). 

7. - Merkel, Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat in Ziegenhain (Hessen-Nassau). 

8. - Poeschel, Bezirksarzt in Beraeok (Bayern). 

9. - S o hrö der, Bezirksarzt u. Med.-Rat in Neustadt a./Hardt (Bayern). 

10. - Weinreich, Kreiswundarzt z. D. in Merseburg (Pror. Sachsen) 



Bayerischer Kedizinalheamten-Verein (E. V.). 


Offizieller Bericht 

über die 


II. Land es Versammlung 

ZU 


Würzburg 

am 2. und 3. Juni 1905. 



Berlin 1905. 

FISCHER’S MEDIZINISCHE BUCHHANDLUNG. 

H. Kornfeld. 

Herzogi. Bayer. Hof- und Erzherzogi. Kammer - Buchhändler. 













Bayerischer Medirinalbeamten-Verein (E.V.). 


Offizieller Bericht 


über die 

II. Landesyersammlung 


W ürzburg 

am 2. und 3. Juni 1905. 



Berlin 1905. 

FISCHER’S MEDIZINISCHE BUCHHANDLUNG. 

H. Kornfeld. 

Herzog!. Bayer. Hof- and Erzherzog!. Kammer - Buchhändler. 





Inhalt. 


A. Bericht Ober die zweite Hauptversammlung. 1 

1. Eröffnung der Versammlung. Geschäfts- und Kassenbericht . . 1 

2. Neueste Ergebnisse bei der Erforschung der Infektionskrank¬ 

heiten. Prof. Dr. K. B. Lehmann, Vorstand des hygienischen 
Instituts in Wttrzburg. 3 

3. Wie haben sich die Gesetzesparagraphen des Bürgerlichen Gesetz¬ 

buches und der Zivilprozeßordnungsnovelle, welche sich auf 
die Entmündigung beziehen, in der gerichtsärztlichen Praxis 
bewährt und welche Erfahrungen werden von seiten der ärzt¬ 
lichen Sachverständigen in bezug auf die Handhabung der 
Gesetze gemachtf Landgerichtsarzt Dr. Burgl-Nürnberg 15 

4. Weitere Mitteilungen über die quantitative Bestimmung der 

Lungenluft bei Neugeborenen; eine Erweiterung der Lungen¬ 
schwimmprobe. Landgerichtsarzt Prof. Dr. Stumpf-Würzburg 35 

5. Die geistige Minderwertigkeit im schulpflichtigen Alter. Prof. 

Dr. Weygandt-Wttrzburg . 37 

6. Bevimon der Bezepttaxierung durch die KönigL Bezirksärzte . 61 

B. Sitzung des Vorstandes. 68 

C. Verzeichnis der Teilnehmer an der Versammlung . . 67 


-— ^VW'JVVX 








A. Bericht 

über die am 

Samstag, den 3. Juni 1905, vormittags 8 1 /» Uhr 

in 

"W’ttrzb'urg 

in den Gesellschaftsränmen der „Harmonie“ 
stattgehabte 

Zweite Hauptvergammlung. 


L Eriffiui dar Virsamnlng. Geschäfts¬ 
ud Kassssberleht. 

Der Vorsitzende, Bezirksarzt Dr. Angerer-Weilheim, 
eröffnet die Versammlung mit einer Begrüssung der erschienenen 
Mitglieder; insbesondere begrttsst er die anwesenden Herren 
Kreismedizinalräte und dankt für das Interesse, das sie durch 
ihre Teilnahme an der Versammlung dem Bayerischen Medizinal¬ 
beamtenverein entgegenbringen; ebenso begrftsst er den Vorstand 
der Stadtverwaltung von Würzburg, Herrn I. Bürgermeister, Kgl. 
Hofrat v. Michel. 

Weiterhin berichtet er, dass der Verein aus 343 Mitgliedern 
besteht, wovon 178 amtliche und 165 pro physicatu geprüfte 
praktische Aerzte sind; er betont diese Zusammensetzung mit je 
der Hälfte amtlicher und praktischer Aerzte als ganz besonders 
wertvoll mit dem Hinweis, dass eine erfolgreiche Tätigkeit der 
amtlichen Aerzte nur mit ausgiebiger Unterstützung der prak¬ 
tischen Aerzte möglich sei, und gibt der Hoffnung Ausdruck, 
dass wie im beruflichen und praktischen Leben, so auch innerhalb 
des Vereins ein erspriessliches Zusammenarbeiten beider sich be¬ 
merkbar machen möchte. 

Landgerichtsarzt Dr. Hermann-Fürth referiert über den 
Kassenbestand. Die Rechnung schliesst ab mit 8177 M. 70 Pf. 
Einnahme und 2492 M. 35 Pf. Ausgabe, bleibt somit ein 
Kassenbestand von 685 M. 35 Pf. baar. 

Die Rechnung wurde von den Bezirksärzten Dr. Späth- 
Landshut und Dr. Di et sch-Hof geprüft und richtig befunden. 

l 



2 


Eröffnung der Versammlung. 


Weiterhin stellte Dr. Hermann-Fürth den Antrag, den 
Vereinsbeitrag für das folgende Jahr anf 15 Mark festzu- 
setzen; dem Antrag wurde zugestimmt. 

H. Reg.- n. Kreis-Med.-Rat Dr. Schmitt -Würzbnrg: Sehr 
geehrte Herren! Meine lieben Kollegen! Wie Sie ans dem Munde 
Ihres Herrn Vorsitzenden, dem ich für seine freundlichen, mir 
geltenden Worte bestens danke, erfahren haben, steht die Staats¬ 
regierung Ihrem jungen Vereine, dem Bayerischen Medizinal¬ 
beamtenvereine, wohlwollend gegenüber. Ausser anderem ist 
hierfür schon dadurch der Beweis gegeben, dass das Kgl. Staats- 
ministerium die Kreisregierungen ermächtigt hat, zu den Versamm¬ 
lungen Ihres Vereins Vertreter abzuordnen, so dass sich ausser 
mir noch 3 Medizinalreferenten in Ihrer Mitte befinden mit dem 
Aufträge, ihrer Regierung über die Verhandlungen zu referieren. 
Durch diese Abordnung komme ich selbst in die angenehme Lage 
unter Ihnen, meine Herren Kollegen, nicht nur eine Reihe alter 
Freunde und Kollegen begrüssen zu können und neue zu gewinnen, 
sondern es ist mir auch vergönnt, mich dahin auszusprechen, dass 
ich persönlich den Zwecken, Zielen und Bestrebungen des Bayer. 
Medizinalbeamtenvereins sympathisch gegenüberstehe. Ich darf 
deshalb wohl mit dem Wunsche schliessen, es möge Urnen ge¬ 
lingen, jene Ziele zu erreichen, welche Sie sich als Aufgaben 
Ihres Vereins gestellt haben; ich wünsche dem Vereine das beste 
Gedeihen, Ihren heutigen Verhandlungen den besten Erfolg! 

H. I. Bürgermeister Kgl. Hofrat v. Michel: Meine sehr ver¬ 
ehrten Herren! Im Namen der Stadt und der Stadtverwaltung 
Würzburg rufe ich Ihnen ein herzliches Willkommen entgegen! 
Mit diesem Willkommgruss der Stadt verbinde ich zugleich den 
Dank dafür, dass Sie für Ihre diesjährige Tagung, die meines 
Wissens als erste ordentliche Tagung stattfindet, die Stadt 
Würzburg gewählt haben. Wir wissen die Ehre dieser Wahl um 
so mehr zu schätzen, als die Wahl erfolgt ist aus der eigenen Ini¬ 
tiative Ihres Vereins ohne Einwirkung von fremder Seite. Dass 
diese Wahl Sie nicht gereuen möge, dafür bürgt, glaube ich, ausser 
dem gastlichen Ruf der Stadt auch der Umstand, dass eine grosse 
Zahl von Ihnen durch eine Reihe angenehmer Erinnerungen aus der 
heiteren Studienzeit mit der alten Universitätsstadt verbunden ist. 
Dass die Stadtverwaltung für Ihren hochachtbaren Beruf die wärm¬ 
sten Sympathien empfindet, Ihren Bestrebungen und Verhandlungen 
regstes Interesse entgegenbringt, darüber glaube ich kaum, mich 
näher äussern zu müssen. Heutzutage, wo die Hygiene im Interesse 
der Volkswohlfahrt überall die ihr gebührende Rücksicht findet, 
hat der Medizinalbeamte im Organismus der öffentlichen Verwal¬ 
tung eine geradezu hervorragende Rolle und so wünsehe ich denn 
namens der Stadt und der Stadtverwaltung Würzburg, dass Ihre 
diesmaligen Beratungen nach jeder Richtung hin von Erfolge be¬ 
gleitet sind. Ich wünsche jedoch auch, dass es Ihnen in unserer 
Stadt recht gut gefallen möge und dass die Rückerinnerangen an 
Ihre diesmalige Tagung auch angenehme Erinnerungen an die 
Stadt Würzburg in sich bergen, welche Sie veranlassen werden 



Dr. Lehmann: Neueste Ergebnisse bei der Erforschung der Infektionskrankheiten. 8 


und mögen, oft und hoffentlich anf längere Zeit wieder in sie 
zurückzukehren. Und in diesem Sinne heisse ich Sie nochmals 
herzlichst willkommen in Würzburg! 

Der Vorsitzende dankt den beiden Herren Rednern für 
Ihre wohlwollenden und freundlichen Worte und bittet besonders 
Herrn I. Bürgermeister Hofrat y. Michel den Dank des Vereins 
der Stadtverwaltung Würzburg übermitteln zu wollen für die 
gastliche Aufnahme und namentlich auch für die interessanten und 
reizenden litterarischen Festgaben an die Teilnehmer der Ver¬ 
sammlung. 

Hierauf gab er einen kurzen Bericht über die gestrige 
Vorstandssitzung (siehe am Schlüsse dieses Berichtes) und 
teilte eine Anzahl eingelaufener Briefe von am Erscheinen ver¬ 
hinderter Kollegen mit, darunter auch ein Schreiben des Herrn 
Ob.-Med.-Rats Dr. v. Grashey, worin dieser sein Bedauern 
aussprach, infolge dienstlicher Abhaltung der Einladung nicht 
folgen zu können, der Versammlung seinen Gruss entbot und den 
Verhandlungen den besten Verlauf wünschte. 

Dann wurde in die Beratung der Tagesordnung eingetreten. 


II. Nousti Ergebelm M dir Erftrschng der 
lifektloiskraikktltei. 

(Mit Demonstrationen.) 

H. Prof. Dr. K. B. Lehmann, Vorstand des hygienischen 
Instituts Würzburg: Es geht Ihnen, meine sehr verehrten 
Herren Kollegen, wohl allen gelegentlich wie mir; es beschleicht 
Sie Ungeduld und Kummer, dass wir trotz aller Bemühungen der 
Theoretiker und Praktiker, der Aerzte, Pathologen, Botaniker, 
Zoologen und Hygieniker, über das Zustandekommen der Epide¬ 
mien von wichtigen Infektionskrankheiten noch immer so vieles 
nicht wissen — mindestens nicht sicher wissen. Noch immer 
harren z. B. Pettenkofers glänzende Beobachtungen einer ab¬ 
schliessenden, allseitig befriedigen Erklärung. — In solcher Stim¬ 
mung tut es gut, einmal zurückzuschauen! Schlagen Sie z. B. das 
sorgfältige Werk von Hirsch „Medizinische Geographie“ aus dem 
Jahre 1883 auf und lesen sie nach, was man damals wusste. 
Nachdem Hirsch alle möglichen Erfahrungen der Aerzte aller 
Zeiten und die Meinung der verschiedenen alten und neuen Au¬ 
toren über die Aetiologie der Pest angeführt, sagt er nämlich wörtlich: 
„Ein sicheres Urteil über die Rolle, welche der Pestkranke bei 
der Uebertragung des Krankheitsgiftes spielt, bezw. ob sich das¬ 
selbe in ihm reproduziert — oder ob er (was ich für wahrschein¬ 
licher halte) nur der Träger des ausserhalb seiner reproduzierten 
und wirkungsfähig gewordenen Pestgiftes darstellt ... — lässt 
sich nicht sicher formulieren. Jedenfalls können auch gesunde 
Menschen die Pest übertragen.“ 


l* 



4 


Dr. Lehmann. 


Mutet ans dies nicht an, als ob es vor drei statt yor einem 
Menschenalter geschrieben wäre, und tröstet es nns Ungeduldige 
nicht über so manche Unvollkommenheit unseres heutigen Wissens! 

Wie anders sehen wir jetzt diese Dinge an, wie sind wir 
von folgenden Grund Vorstellungen überzeugt: 

Bei jeder Infektionskrankheit muss ein Mikroorganismus in 
den Körper des Befallenen gelangen; er muss sich darin ver¬ 
mehren. Die Vermehrung kann mikroskopisch oder auch nur 
experimentell dadurch nachgewiesen werden, dass kleinste Mengen 
der Körperflüssigkeiten des Erkrankten ausreichen, um weitere 
Individuen anzustecken, von denen dann immer weitere infiziert 
werden können. Das geht bei keiner Intoxikation. Der Infektions¬ 
erreger verursacht Krankheit durch Bildung von Stoffwechsel¬ 
produkten, die wir in manchen Fällen schon ziemlich gut kennen. 
Der Kranke ist aber nur dann ansteckend, wenn die Krank¬ 
heitserreger seinen Körper verlassen und in lebendem Zustande 
auf oder in andere Menschen gelangen können. 

Infektionskrankheiten, die nicht anstecken, die der früheren 
Generation als miasmatisch erschienen, nehmen nur deshalb diese 
merkwürdige Sonderstellung ein, weil der Infektionserreger den 
Körper des Kranken nicht oder nicht leicht verlässt und unter 
natürlichen Bedingungen nur unter der Vermittelung gewisser 
Zwischenträger in einen neuen Menschen gelangt. Das klassische 
Beispiel hierfür ist die Malaria, welche nur durch die Anopheles¬ 
schnake übertragen wird, die nicht überall vorkommt. Ist der 
Zwischenträger aber sehr häufig, so können auch direkt gar nicht 
ansteckende Krankheiten höchst ansteckend erscheinen: Gelbfieber, 
Typhus exanthematicus und recurrens. 

Es ist hier in Würzburg gewesen, wo zum ersten Male dar¬ 
getan wurde, dass der Typus aller miasmatischen Krankheiten, 
die Malaria, direkt künstlich überimpfbar sei. Durch seine be¬ 
rühmten Ueberimpfungsversuche auf den Menschen hat Gerhardt 
zum ersten Male einwandfrei die Malaria als eine wirkliche In¬ 
fektionskrankheit erwiesen — und durch Beseitigung der unklaren 
Miasmabegriffe mächtig zum Verständnis der Infektionskrankheiten 
beigetragen. 

Die Aelteren von Ihnen haben die ganze glänzende Entwicke¬ 
lung der modernen Erforschung der Aetiologie der Infektions¬ 
krankheiten miterlebt. Nachdem Pasteur, Lister, Nägeli, 
Cohn, Klebs, Hüter und Henle, um nur einige der glän¬ 
zendsten Namen zu nennen, nach den verschiedensten Richtungen 
hin der Erforschung der Aetiologie der menschlichen und tierischen 
Infektionskrankheiten vorgearbeitet hatten, sind Sie, meine Herren, 
Zeugen gewesen, wie es dem Genius und der Arbeitskraft von 
Robert Koch mit Hülfe bestechend einfacher und jedem Laien 
einleuchtender, wahrhaft geistreicher Methoden gelang, unterstützt 
von begeisterten und begabten Schülern in der auffallend kurzen 
Zeit von etwa 10 Jahren die meisten bakteriellen Infektions¬ 
krankheiten aufzuklären. 



Neueste Ergebnisse bei der Erforschung der Infektionskrankheiten. 5 


Ein Blick auf diese Tafeln zeigt Ihnen, wie rasch zeitlich 
die wichtigsten Entdeckungen aufeinanderfolgen. 

Um das Jahr 1890 war die erste Serie der Entdeckungen 
im wesentlichen abgeschlossen. Das folgende Jahrzehnt brachte 
noch in der Influenza (1893), der Pest (1894), Ulcus molle (1895), 
des Botulismus (1897) und der Ruhr (1898) eine wertvolle Nach¬ 
lese. Damit aber waren die letzten Siege der Bakteriologie im 
Kampf um die Aufklärung der menschlichen Infektionskrankheiten 
so ziemlich erfochten. Das seither Hinzugekommene betrifft meist 
seltenere oder wenig wichtige Krankheiten oder zweifelhafte Er¬ 
gebnisse. 

Aber lange vergeblich versuchten sich die Bakteriologen an 
der Syphilis, an der Malaria, an den akuten Exanthemen, an Keuch¬ 
husten, Wut, Gelbfieber und vielen der wichtigsten Tierkrank- 
keiten (Rinderpest, Maul- und Klauenseuche). Es war mit den 
bakteriologischen Methoden nicht weiter zu kommen und man 
kam zu dem Ergebnis, dass die noch nicht erforschten Mikro¬ 
organismen entweder so klein seien, dass sie unseren Mikroskopen 
entgehen müssten, oder von einer Form, dass sie von den normalen 
Bestandteilen des Körpers, etwa den weissen Blutkörperchen, nicht 
leicht zu unterscheiden seien. Beide Annahmen haben sich in 
gewissen Fällen als richtig erwiesen. 

Es sind eben keine Bakterien, welche die Studien der letzten 
Jahre als neue Krankheitserreger erkannt haben. So viel wich¬ 
tiges die Vertiefung der bakteriologischen Studien auf dem Gebiete 
der Biologie, der Pathologie, der Diagnose und Therapie, der 
Epidemiologie und Prophylaxe zutage gefördert hat, so viel neue 
Perspektiven und zum Teil hochwichtige Ergebnisse die Anwendung 
der Bakteriologie auf Landwirtschaft und Technik uns beschieden, 
neue Krankheitserreger sind kaum mehr unter den Bakterien ge¬ 
funden worden. 

Die führende Rolle in der Krankheitserforschung hat heute 
die Mikrozoologie resp. die Protozoenforschung ergriffen, viele der 
wichtigsten Krankheiten sind auf gut charakterisierte Protozoen 
zurückgeführt, und die Krankheiten, deren Erreger so klein sind, 
dass uns die Morphologie im Stich lässt bei ihrer Aufklärung, 
dürften mindestens grösstenteils Protozoen als Erreger haben. 

Die erste Krankheit, welche auf Protozoen zurückgeführt 
wurde, ist die Malaria, und da ihre Krankheitserreger heute 
zu den morphologisch und biologisch bestbekannten gehören, kann 
ich nicht widerstehen, meine Ausführungen mit einem ganz kurzen 
Abriss unseres Wissens von den Malariaerregern einzuleiten, weil 
wir hier so vieles sicher und bestimmt wissen, was uns bei anderen 
Protozoenkrankheiten noch zweifelhaft ist, und weil die auf die 
neuen Kenntnisse gegründete Epidemiologie der Malaria heute 
durchsichtiger, die Prophylaxe sicherer ist als bei irgendeiner 
anderen Infektionskrankheit, vor allem sicherer als bei Typhus 
und Cholera, wo so manche Rätsel noch zu lösen sind. 

Sie sehen an den Wandtafeln dargestellt, wie die Parasiten 
in den jüngsten Stadien bei allen drei Malariaformen (man unter- 



6 


Dr. Lehmann. 


scheidet jetzt bekanntlich Tertiana, Qnartana und die in Sfldeuropa 
und den Tropen yorkommende Tropica) im wesentlichen gleich 
aassehen, wie sie sich dann bei der Tropica zn — Vakuolen ein- 
schliessenden — ringförmigen, bei der Tertiana and Qnartana za 
amoeboiden Gebilden entwickeln, welche im Inneren der roten 
Blutkörperchen in Ein-Dreizahl liegen. Die schwarzen Fleckchen 
in den Parasiten sind ans dem Blutfarbstoff entstandene Melanin¬ 
körnchen. 

Sie bemerken dann, wie sich in einem späteren Stadium die 
in die Blutkörperchen eingedrungenen Parasiten unter Erzeugung 
lappiger, z. T. gänseblümchenartiger Figuren ungeschlechtlich ver- 
mehren. Die Teilstücke werden frei und ihr Eindringen in ein 
neues Blutkörperchen verursacht den Beginn eines neuen Fieber¬ 
anfalles; vor dem Fieberanfall findet man die grossen gelappten 
Formen. 

Es ist das grosse Verdienst von Golgi, gezeigt zu haben, 
dass der Fiebertyphus bei jeder einzelnen Malariaform mit der 
Entwickelungsgeschichte der Keime aufs engste zeitlich zusammen¬ 
hängt. 

In den letzten Bildern sehen Sie die Dauerformen dargestellt, 
welche erst auftreten, wenn die Krankheit längere Zeit angehalten 
hat. Man nennt sie Gameten — bei der Tropica, ihrer deutlichen 
halbmondförmigen Gestalt wegen, auch Halbmonde —. Bis etwa 
zum Jahre 1897 hatte man sie vielfach für Degenerationsformen 
gehalten; da brachten die Untersuchungen des englischen Militär¬ 
arztes Boss die erstaunliche Aufklärung, dass die Gameten der 
Sperlingsmalaria sich im Magen der blutsaugenden Culexmücken 
kopulieren; die männlichen Halbmonde (Mikrogametozyten) er¬ 
zeugen geisselförmige Mikrogameten, die in die weiblichen Ma¬ 
krogameten eindringen. Das Produkt der Befruchtung ist eine 
Sporenzyste, die sich in der Magenwand der Schnake entwickelt 
Aus ihr gehen nach einiger Zeit sichelförmige schmale spitze 
Keime hervor, die in die Speicheldrüsen wandern nnd von dort 
durch den Säugrüssel des stechenden Tieres in einen neuen VogeL 

Weiter fand dann Grassi, dass es die Anophelesschnake 
und nur die Anopheleschnake ist, welche die Menschenmalaria 
überträgt. Auch die Untersuchungen von Koch und in neuester 
Zeit namentlich die des trefflichen deutschen Protozoenforschers 
Schaudinn haben viele wichtige Einzelheiten hinzugebracht 

Wir kennen jetzt die Entwickelungsgeschichte der Malaria¬ 
parasiten, wir dürfen wohl sagen, auf das genaueste, und es gibt 
sehr wenig Fragen in der Malariaätiologie, die uns noch dunkel 
wären. So wissen wir z. B., dass die nach längerer Zeit ein¬ 
tretenden Rezidive dadurch zustande kommen, dass im Körper 
zurückgebliebene Gameten plötzlich wieder — offenbar begünstigt 
durch irgend eine Schädigung (Uebermüdung, Diätfehler, Erkäl¬ 
tung), die den Körper getroffen hat, — sich ungeschlechtlich zn 
vermehren beginnen und den Körper wieder mit jungen Blut¬ 
körperchenparasiten überschwemmen. 

Auch die Entwickelungsgeschichte der Schnake und ihr Ver- 



Neueste Ergebnisse bei der Erforschung der Infektionskrankheiten. 7 


halten za den Parasiten ist aufs genaueste festgestellt. Nament¬ 
lich ist der wichtige Umstand ermittelt, dass die Parasiten in der 
grossen Mehrzahl der Fälle nicht aaf die Schnakeneier übergehen, 
dass also eine Schnake nnr dann die Malaria überträgt, wenn sie 
selbst vorher bei dem Malariakranken gesaugt hat. 

Wie Sie wissen, hat man, auf diese Kenntnisse gestützt, 
eine äusserst erfolgreiche Malariabekämpfung in Italien dadurch 
erreicht, dass man einmal tunlichst die Entwickelung der Schnake 
bekämpft (Trockenlegung, Petrolierung der Sümpfe), vor allen 
Dingen aber das Eindringen der Schnaken in die Häuser dnrch 
geeignete Fliegengitter vor Türen und Fenstern verhindert and 
sich daneben zur Nachtzeit im Freien durch Handschuhe und 
Schleier schützt. 

Gewiss sind alle diese Methoden, namentlich die Schnaken¬ 
bekämpfung, noch weiter auszubilden, und sicher wird die Forschung 
noch manches Neue, Ungeahnte auch auf diesem jetzt soviel 
durchforschten Gebiet mit der Zeit aufklären. Wir dürfen aber 
sagen, dass die Malaria, die vor 25 Jahren die dunkelste Krank¬ 
heit war, als deren Ursache ein unbegreiflich rätselhaftes Miasma 
vermutet wurde, heute vielleicht die allerverständlichste und durch¬ 
sichtigste unserer Infektionskrankheiten geworden ist. 

Ich habe nun eine Anzahl Präparate von Blut von Malaria¬ 
kranken aufgestellt, daneben einige Anophelespräparate, die ans 
italienischem Material gewonnen sind, ein Anophelespärchen, Männ¬ 
chen und Weibchen, aus dem früher so verrufenen Germersheim 
und eine Tafel, an der Sie die Unterschiede der Malariaschnake 
Anopheles von der ähnlichen Culex erkennen können. Sie sehen, es 
sind namentlich die Flügelflecke, welche Anopheles vor den ge¬ 
wöhnlichen Culexarten auszeichnen; daneben sind Rüssel und Taster 
bei den beiden Geschlechtern von Anopheles gleichlang, während 
die Culexmännchen sehr lange, die Culexweibchen ausserordentlich 
kurze Taster besitzen. 

Ich möchte aber hier noch die Bemerkung einschalten, dass 
man, bevor man nach diesem Gesichtspunkte einen Culex oder 
Anopheles zu erkennen sucht, sich überzeugen soll, ob das Tier 
überhaupt einen Stechrüssel hat. Es gibt eine grosse Zahl von 
zarten, schnakenartig gebauten Zweiflüglern, welche mit den 
Stechschnaken nur eine äussere Aehnlichkeit haben und keinen 
Stechrüssel besitzen. Diese sind von vornherein bei der Unter¬ 
suchung anszuschliessen. 

Vom Texasfieber, der wichtigen seit 1898 aufgeklärten 
Rinderkrankheit, welche in Südeuropa, in Finnland und Rumänien, 
insbesondere aber in Nordamerika und den Tropen schwere Rinder¬ 
verluste hervorbringt, und das durch die abgebildeten kleinen Blut¬ 
parasiten hervorgerufen wird, ist besonders interessant, dass die 
Krankheit durch Zecken übertragen wird, die auf den kranken 
Tieren in Menge sitzen. Koch hat gezeigt,^dass man mit den 
Abkömmlingen der infizierten Zecken, die sich leicht weit trans¬ 
portieren lassen, an ganz abgelegenen Orten das Texasfieber 



8 


Dr. Lehmann. 


wieder hervorbringen könne. Es können verschiedene Zeckenarten 
die Bolle des Zwischenwirts spielen. 

Nach den Angaben von Gottschlich wäre eine ähnliche 
Protozoenkrankheit der Typhus exanthematicus und die 
Wanze der Ueberträger; doch sind diese Angaben noch nicht 
bestätigt. 

Eine wichtige, immer grösser werdende Gruppe von Proto- 
zoenkrankheiten sind die erst in den letzten Jahrzehnten erforschten 
Trypanosomenaffektionen. 

Trypanosomen sind schlanke, durch eine undulierende Mem¬ 
bran, die in eine lange Geissei ausläuft, sehr bewegliche Proto¬ 
zoen, die man zu den Flagellaten rechnet. Ihre Entwickelungs¬ 
geschichte, die wahrscheinlich ebenso kompliziert ist, wie die der 
Malariaorganismen, ist bisher nur unvollständig bekannt. Sie 
teilen sich ungeschlechtlich im Blut der Tiere, aber nicht in den 
roten Blutkörperchen, sondern im Blutserum. Sie gelten als reine 
Serumschmarotzer; es ist aber wohl mit Wahrscheinlichkeit zu ver¬ 
muten, dass auch diese Tiere daneben eine Geschlechtsgeneration 
in den Zwischenwirten haben, deren Stich auch hier die Krank¬ 
heit überträgt. 

Von allen Trypanosomen ist am besten studiert das Trypa¬ 
nosoma Lewisii der Batte, das auch bei uns in Deutschland nicht 
selten vorkommt und das seinen Wirt wenig schädigt. Für das 
Trypanosoma Lewisii der Batte hat Prochownik gezeigt, dass 
in der Battenlaus (jedenfalls nach Babinowitsch und Kempner 
auch im Battenfloh) 1. einfache Spaltung, 2. multiple Spaltung, 
3. Selbstbefruchtung (Kopulation der beiden vorher durch Beduk- 
tionsprozesse verkleinerter Kerne), 4. Kopulation zweier kaum 
differenzierter, 5. Kopulation zweier hochdifferenzierter Formen 
(schlanke Männchen mit grossem Blepharoplast und bandförmigem 
Somakern und^ plumpe Weibchen mit kleinem Blepharoplast und 
grossem Somakern) stattfindet. Doch soll aus der Kopulation stets 
nur wieder ein Trypanosoma, nicht etwa Sichelsporen und der¬ 
gleichen entstehen. 

Für den Mediziner am interessantesten unter den Trypano¬ 
somenkrankheiten ist die seit einem Jahrzehnt viel studierte 
Schlafkrankheit der afrikanischen Neger. Sie kommt nament¬ 
lich in Uganda weit verbreitet vor; der Parasit ist im Blute und 
der Zerebrospinalflüssigkeit zu finden. Neuestens sind auch 
sichere Fälle der Erkrankung. bei Weissen bekannt geworden. 
Die Hauptsymptome sind: Mattigkeit, Kopfschmerz, taumelnder 
Gang, Schlafsucht; dabei herrscht unregelmässiges Fieber, Haut¬ 
jucken, Lidödem. Es gibt aber auch Patienten, welche die Para¬ 
siten beherbergen, ohne sich subjektiv krank zu fühlen, und gerade 
solche Individuen sind für die Verschleppung der Krankheit be¬ 
sonders gefährlich. 

Als Ueberträger der Krankheit funktioniert eine Fliege, 
welche unserem einheimischen Wadenstecher, der Stubenfliegen¬ 
ähnlichen Stomoxys calcitrans nahe verwandt ist. Das Tier, das 
Sie hier auf dem Demonstrationstisch sehen, führt den Namen 



Neueste Ergebnisse bei der Erforschung der Infektionskrankheiten. 9 


Glossina p&lpalis. Sie sehen den gewaltigen Stechrüssel der Glos¬ 
sina, den sehr fthnlich gehanten spitzen Rüssel der Stomoxys und 
znm Vergleich den weichlappigen Rüssel der Stubenfliege (Musca 
domestica), der Brummfliege (Musca vomitoria), der beiden Fleisch¬ 
fliegen (Sarcophaga carnaria und Sarcophaga mortuorum). Man 
braucht nur den Rüssel zu beachten, um die Unmöglichkeit des 
alten Volksglaubens einzusehen, dass sich die gemeine Stuben¬ 
fliege im Herbst in den Wadenstecher verwandle. Nein, der 
Wadenstecher ist ein ganz anderes Tier, das erst im Spätsommer 
reichlich erscheint. 

Die Fortpflanzung der Trypanosomen in den Stechfliegen ist 
bisher nicht näher untersucht. 

Fast grössere Bedeutung noch als die Schlafkrankheit der 
Menschen haben oder hatten wenigstens einige Trypanosomen- 
Tierkrankheiten, von denen die bekannteste die Tsetsekrank¬ 
heit oder Nagana in Südafrika ist (Rinder, Pferde, Esel, Hunde, 
Schweine, Ratten). Diese Krankheit glaubte man früher durch 
den giftigen Stich der Tsetseflige hervorgebracht; jetzt weise 
man, dass die Fliege — auch eine Glossina — bloss die Krank¬ 
heit überträgt. 

Verwandte Krankheiten sind in Indien die Surrakrank- 
heit des Rindes, das Mal de caderas der Pferde in Südamerika 
und mehrere andere. Besonders interessant ist die nordafrika¬ 
nische und südeuropäische Beschälseuche der Pferde (Dourine, 
Mal de coit), bei welcher die Trypanosomen ohne Zwischenwirt 
durch den Coitus übertragen werden. — Wir kommen nochmals 
auf diese Krankheit zurück. 

Inwieweit die Erreger dieser Krankheiten wirklich ver¬ 
schieden sind, ist heute noch streitig. Während die Mehrzahl 
der Forscher auf kleinere morphologische Unterschiede den 
grössten Wert legen und — wie sie an der Tafel sehen — sorg- 
föltigst nach Form und Lage der Kerne, der Gestalt des Leibes¬ 
endes, der Struktur des Protoplasmas die Arten zu unterscheiden 
versuchen, ist Koch geneigt, wenig Speziesunterschiede anzu¬ 
erkennen. 

Als Protozoenkrankheit ist in neuester Zeit durch Schandinn 
auch das Rekurrens erkannt. Es ist interessant, dass »die 
erste für den Menschen pathogene Bakterienart“ die Spirochäte 
Obermeieri, die durch ihre Grösse, ihre korkzieherartig gewundene 
Form, ihre Biegsamkeit und starke Eigenbewegung leicht auffiel, 
jetzt als Tier angesehen werden muss. Die Eigenbewegung dieses 
Geschöpfs ohne Geissei, eine Eigenschaft, die keinem Bakterium 
zukommt, war schon immer verdächtig. Wir können nach den 
Forschungen von Schandinn nicht mehr zweifeln, dass die Spiro¬ 
chäten langgestreckte, trypanosomenähnliche Protozoen sind, die 
sich mit Hilfe einer undulierenden Membran, ähnlich wie der Aal 
mit seiner Rückenflosse bewegt. 

Von Schandinn haben wir die Entwickelungsgeschichte 
dieses Parasiten zu erwarten, er hat uns die komplizierte Ent¬ 
wickelung der die Vögel bewohnenden Spir. Ziemanni bereits ge- 



10 


Dr. Lehmann. 


liefert. Sicher ist, dass Bekurrens durch W&nzenstich übertragen 
wird, und dass in den Entwickelnngskreis der Reknrrensspirochäten 
noch eine Beihe anderer, wahrscheinlich sehr kleiner Entwick¬ 
lungsformen hineingehören, über die noch nichts Näheres vorliegt. 

Von ganz besonderem Interesse sind die Bekorrensspirochäten 
dadurch geworden, dass vor wenigen Wochen Schaudinn bei der 
solange vergeblich studierten Syphilis ebenfalls Spirochäten ge¬ 
funden hat. Es ist dies eine der überraschendsten Entdeckungen 
der neueren Zeit, welche zeigt, was bei sorgfältiger, pl&nmässiger 
Untersuchung auf dem Gebiete der Pathologie noch zu finden ist. 

Mit kurzen Worten lauteten die Befunde von Schaudinn 
und seinem Mitarbeiter E. Ho ff mann etwa so: „Man findet in 
frisch untersuchten syphilitischen Primäraffekten regelmässig be¬ 
wegliche Spirochäten, von denen eine blässere, schwer färbbare, 
fein gewundene kleine (Spirochäte pallida) und eine grosse, derbe, 
glänzendere, leichter färbbare (Spirochäte refringens) unterschieden 
werden.“ 

Da Spirochäten in Geschwüren, z. B. beim Hospitalbrand, 
bei den phagedänischen Geschwüren der Tropen, bei ulzerösen 
Anginen schon mehrfach gefunden sind, so würde der Befund in 
den Primäraffekten allein wenig beweisen; es zeigt sich aber 
von Tag zu Tag mehr, dass die blasse, leicht zu übersehende, erst 
in einer Stunde nach Bomanowsky resp. Giemsa zu färbende 
Spirochäte pallida nur bei Lues vorkommt. 

Von höchstem Interesse besonders ist, dass es Schaudinn 
gelungen ist, in 12 Fällen in den induzierten Inguinaldrüsen des 
Kranken teils nach Exstirpation, teils nach Punktion regelmässig, 
wenn auch zuweilen spärlich, die Spirillen zu finden. 

Ausserdem sind positive Besultate erhalten im Milzblut eines 
Syphilitikers, im Fingerblut eines anderen, im Ausstrich der Leber 
und Milz eines an foudroyanter Syphilis gestorbenen Kindes. 
Namentlich in den Pemphigusblasen bei angeborener Syphilis sind 
viele exquisit positive Befunde erhalten. 

Metschnikoff fand auch beim Affen, den er erfolgreich 
mit Syphilis vom Menschen impfte, die Spirochäten in den inneren 
Organen. 

Die bestätigenden Nachuntersuchungen werden sich bald 
häufen, doch ist Schaudinn ein so vortrefflicher Forscher, dass 
mir seine Angaben allein genügen, um grosse Hoffnungen zu 
erwecken. 

Selbstverständlich hat sich Schandinn in der vorsichtigsten 
Weise darüber geäussert, ob der Organismus der Erreger der 
Syphilis ist. Dies wird man erst beantworten können, wenn 
weitere Untersuchungen vorliegen. 

Vorläufig dürfen wir eines Bagen. Es gibt in der Literatur 
zurzeit keinen Fall, in dem ein auffallend geformter Organismus 
regelmässig bei einer Infektionskrankheit im Innern des Körpers 
gefunden wurde, ohne dass er mit derselben in ursächlichem Zu¬ 
sammenhang steht. 

Mächtig scheint mir ferner zur Erhöhung der Wahrschein- 



Neueste Ergebnisse bei der Erforschung der Infektionskrankheiten. 11 

lichkeit beizutragen, dass die Spirochäte pallida der Erreger der 
Syphilis ist, der Umstand, dass die Beschälseuche der Pferde, wie 
wir oben sahen, unzweifelhaft von einem Trypanosoma ohne 
Zwischenwirt hervorgebracht wird. Trypanosomen und Spirochäten 
sind aber die nächsten Verwandten. 

Wir sind mit unseren Besprechungen an der Grenze des 
deutlich Sichtbaren angekommen, die bisher geschilderten Proto¬ 
zoen hatten Dimensionen von der Grössenordnung eines roten Blut¬ 
körperchens, eine Länge und z. T. Breite von mehreren Mikra. 

Aber die Forschung hat hier nicht Halt gemacht. Zunächst 
hat sie eine Methode ausfindig gemacht, um in Fällen, in denen 
das Mikroskop nichts Charakteristisches mehr enthüllt, eine Orien¬ 
tierung über die Grösse der Mikroorganismen zu haben. Hierzu 
dient die Filtration durch Chamberlandfilter. 

Es ist Ihnen vielleicht erinnerlich, dass es Löffler war, 
der bei seinen Untersuchungen über Maul- und Klauenseuche 1898 
zum ersten Mal bei den Versuchen, das Toxin von den Erregern 
durch Porzellanfilter zu trennen, zu klaren Filtraten gelangte, die 
sich vollständig verhielten, als ob sie nicht filtriert seien, d. h. 
sie brachten in den kleinsten Mengen bei der Uebertragung auf 
Tiere die Krankheit hervor, und man konnte mit sehr kleinen 
Gewebesaftmengen von den auf diese Injektion hin erkrankten 
Tieren wieder beliebig viele neue Tiere infizieren. Daraus war 
sicher zu schliessen, dass sich in dem erstinfizierten Tiere der 
Impfstoff vermehrt hatte, dass also auch Organismen vorhanden 
gewesen sein müssten, die sich vermehren. 

Und doch war mit den besten Mikroskopen bei 2000facher 
Vergrösserung nichts Deutliches mehr in dem Filtrate zu sehen! 
Man stand also zum erstenmal vor unsichtbar kleinen Organismen, 
und es war zu erwarten, dass sie ewig unsichtbar bleiben würden; 
denn Helmholz und Abbe bewiesen ungefähr gleichzeitig, dastj 
Objekte unter 0,1—0,2 Mikromillimeter aus theoretischen Gründen 
mit Mikroskopen nicht mehr deutlich gesehen werden könnten. 

Es ist also zunächst von einer morphologischen Untersuchung 
nur bei den Infektionskrankheiten etwas zu erwarten, deren Erreger 
wenigstens Porzellanfilter nicht passieren, und in der Tat haben 
die bisherigen mikroskopischen Untersuchungen mit Ausnahme 
einer Beobachtung der allerneuesten Zeit nichts Positives in solchen 
Filtraten ergeben. 

Aber sehen wir zuerst, was man bei zwei Krankheiten, 
deren Erreger Filter nicht passieren, Wut und Pocken, ge¬ 
funden hat. 

Am besten sind wir seit 2 Jahren über Wut unterrichtet. 
Negri fand 1903 mit Romanowsky-Färbnng namentlich im 
Innern der Ganglienzellen des Ammonshorns, aber auch im Klein¬ 
hirn, den Spinalganglien und im Rückenmark sich rotfärbende 
ovale oder rundliche Gebilde in Einzahl oder zu 2—3, ja, manch¬ 
mal zu 5—6. Die kleinsten Formen sind nur 1 ft, die gewöhn¬ 
lichen 4—7 (j. gross, ausnahmsweise sind Gebilde von einer Grösse 
bis 27 |i gefunden. Im Inneren der „Negrisehen Körperchen* 



12 


Dr. Lehmann. 


sieht man eine Anzahl heller Kreischen mit einem dunklen Mittel¬ 
punkt. Eine Deutung' der Gebilde als Protozoen ist sehr wahr¬ 
scheinlich, ohne dass wir bisher ein sicheres Verständnis dafür 
hätten, — sicher ist aber, dass die Gebilde pathognomonisch für 
Wut sind und eine rasche einfache anatomische Diagnose der 
Wut gestatten. 

Noch schwieriger liegen die Dinge bei den Pocken: 

Viele Autoren identifizieren seit langem die Pocken resp. 
Vaccineerreger mit kleinen, grünlich schimmernden Körnchen, die 
man in der Lymphe sehen kann, und deren Abfiltrieren die Lymphe 
unwirksam macht. 

An diesen kleinen Gebilden hat Siegel in neuester Zeit 
eine Gliederung gesehen; ein fingerartiger Fortsatz bewegt sich 
wie in einem Gelenk und erzeugt dadurch eine deutliche Eigen¬ 
bewegung. Später sollen sich aus diesen beweglichen Körperchen 
kreisende Zytosporen bilden, die 4—32 bewegliche Körnchen ein- 
schliessen. Weiterauf die Aufsehen erregenden Angaben Siegels 
einzugehen, muss ich unterlassen, da die Nachprüfung seiner Aus¬ 
führungen, die sich gleich auf Syphilis, Scharlach, Maul- und 
und Klauenseuche und Pocken beziehen, noch viele Arbeit 
machen wird. 

Am meisten Nachuntersuchungen haben die Forschungen 
von Guarnieri über Pocken gefunden, welcher konstant durch 
Einimpfung von Pockenpustelsaft oder Vaccine in die Hornhaut 
des Kaninchens charakteristische Gebilde^ in den Epithelzellen 
der Hornhaut erzeugen konnte. 

Sie sehen an der aufgehängten Tafel in den Epithelzellen 
zur Seite des Kernes halbmondförmige, dreieckige, rundliche, 
schollige Gebilde, welche Guarnieri für den Infektionserreger 
ansieht, und denen er den Namen Cytorryctes variolae gegeben 
hat. Ueberimpft man von einer solchen Hornhaut auf eine andere, 
und wiederholt dies solange man will, so erhält man immer 
wieder diese Schollen in den Zellen, und man hat sie deshalb für 
den^Infektionserreger erklärt. 

Es ist nun sehr merkwürdig,dass Prowazeckgefunden hat, 
dass man diese Körper mit verdünnter Kochsalzlösung auflösen 
und vollständig zum Verschwinden bringen kann, ohne dass die 
Infektiosität des so behandelten Materials vermindert wird. Pro- 
wazek schliesst daraus, dass diese Körner wohl mit dem 
Pockenprozess etwas zu tun haben, vielleicht ein Beaktions- 
Produkt auf den Beiz der Parasiten darstellen, dass sie vielleicht 
den Parasiten einschliessen, dass sie aber unmöglich den Parasiten 
selbst entsprechen können. Gorini hat nun neben den Guar- 
nierischen Körpern in der Hornhaut sehr kleine, zu 1—4 an¬ 
geordnete, kokkenartige, auf den Nährböden unzüchtbare Gebilde 
gesehen, umgeben von hellen Höfen, welche er mit Wahrschein¬ 
lichkeit für die Erreger des Pockenprozesses hält; — sie könnten 
mit Siegels Cytosporen identisch sein. Jedenfalls sind aber die 
„Guarnieri sehen Körperchen“ für die Feststellung zweifelhafter 
Pocken durch Hornhautimpfung sehr brauchbar. 



Neueste Ergebnisse bei der Erforschung der Infektionskrankheiten. 13 


Non komme ich zur letzten Gruppe der einigermassen be¬ 
kannten Infektionserreger! Es sind dies solche, denen die Eigen¬ 
schaft gemein ist, feine Filter ohne jede Schwierigkeit zu passieren. 

Neben der schon gestreiften Maul- und Klauenseuche, 
dem gelben Fieber und einer merkwürdigen südamerikanischen 
Myxomkrankheit der Kaninchen, ist vor allem hier die Hühner¬ 
pest (Cyanolophie) eine in den letzten Jahren mehrfach beob¬ 
achtete schwere Hühnerkrankheit zu nennen, über die einmal 
Centanni, besonders aber Lode in Innsbruck wichtige Studien 
veröffentlicht haben. 

Einen Uebergang zwischen den sichtbaren und unsichtbaren 
Krankheitserregern macht die wichtige Lungenseuche des 
Bin des, welche, wie Ihnen bekannt ist, unter dem Bilde einer 
interstitiellen Pneumonie verläuft. Hier konnten Noccard und 
Boux einen Erreger feststellen, den man noch eben unter dem 
Mikroskop als feinste, uncharakteristische Pünktchen sehen kann, 
die von gewissen Filtern zurückgehalten werden, andere aber 
passieren. 

Ist es nun theoretisch unmöglich, über die Form dieser 
Krankheitserreger einmal etwas positives zu erfahren? Grosse 
Hoffnungen wird man heute noch nicht äussern dürfen, wer aber 
kein Freund eines vorzeitigen, auf naturwissenschaftlichem Gebiet 
oft zu frühzeitigen „Ignorabimus“ ist, mag aus drei Gedanken 
Mut schöpfen: 

Es ist erstens bereits unter dem Namen „Ultramikroskop“ von 
Siedentopf und Szigmondi ein Apparat angegeben, der zeigt, 
dass die Anwendung neuer Prinzipien auch in der Optik neue 
Fragen lösen lässt. Im Ultramikroskop betrachtet man mittelst 
eines gewöhnlichen Mikroskops bei sehr starkem seitlich auf¬ 
fallendem Lichte. Dadurch erhalten wir von sehr kleinen Teilchen 
so starke Reflexion und gleichzeitige Zerstreuung des Lichtes, 
dass ein sehr deutlicher heller Zerstreuungskreis noch von Gebilden 
geliefert wird, die mit den feinsten Mikroskopen unsichtbar sind. 
Durch die Güte der Firma L ei tz konnte ich mich unter freund¬ 
licher Anleitung und Mitwirkung von Prof. Wien, Dr. Harms 
und Dr. Feuchtbauer im physikalischen Institut überzeugen, 
dass in tadellos filtrierenden Lösungen von Berlinerblau, von 
Eisenchlorid, aber auch in Stärke und Blutserum kleine und 
kleinste geformte Teilchen zu sehen sind. Es ist sicher möglich, 
dass es fortgesetzten Bemühungen gelingen wird, auch sehr kleine 
Krankheitserreger zu sehen — wenn auch nichts über ihre Form 
auszusagen. Man wird eben lernen müssen, ultramikroskopische 
Körperchen nach Grösse, Glanz etc. zu unterscheiden; vielleicht 
lernen wir die unsichtbaren Krankheitserreger zählen, ehe wir 
etwas über ihre exakte Form sagen können. 

Zweitens ist es durchaus möglich und nicht unwahrscheinlich, 
dass auch bei den Krankheiten, deren Erreger filtrierbar, also 
sehr klein sind, gewisse Entwickelungsformen existieren, welche 
durch Filter nicht hindurchgehen und sichtbar sind. Es können 



14 


Dr. Lehmann. 


erneute mikroskopische Stadien möglicherweise noch grosse Ueber- 
raschnngen bringen. * 

Endlich gibt es offenbar einzelne Wesen, die weniger ihrer 
extremen Kleinheit, als einer grossen Schmiegsamkeit die Fähigkeit 
verdanken, Filter za passieren. Esmarch hat sogar ein kleines 
Bakteriam (Spirillam parvam) durch Filter filtrieren and nachher 
anschwer mikroskopieren können; — es ist 1—3 |i lang, 0,1 bis 
0,3 dick. 

Unabhängig von der Möglichkeit oder Unmöglichkeit, diese 
kleinsten Wesen, von denen wir bis heute wissen, za sehen, ist 
die Frage, ob es möglich sei, zu erschlossen, ob sie wohl zu den 
Spaltpilzen oder za den Protozoen gehören. Es ist ja natür¬ 
lich auch möglich, dass sie einer neuen besonderen Gruppe 
zugerechnet werden müssen, bisher spricht mir aber alles mehr 
für Protozoen. Namentlich folgende Gründe erscheinen mir er¬ 
wägungswert : 

1. Wir kennen nicht einen so kleinen Spaltpilz, dass er 
ernstlich an der Grenze der Sichtbarkeit stände. Dagegen ist der 
unsichtbare Erreger des gelben Fiebers wohl sicher ein Proto¬ 
zoon, da er sich ganz nach den gleichen Prinzipien in der 
Gelbfieberschnake (Stegomya fasciata) fortpflanzt, wie das Malaria¬ 
protozoon im Anopheles. 

2. Esmarch hat sich vollkommen vergebens bemüht, einen 
die Filter passierenden, Fäulnis oder Gährung erregenden Organis¬ 
mus aus faulenden oder gährenden Flüssigkeiten der verschie¬ 
densten Art zu gewinnen. Niemals erregte das Filtrat weitere 
Zersetzung einer frischen Nährlösung. Es gibt also jedenfalls 
keine unsichtbar kleinen Gährungs- und Fänlnisbakterien, was 
wahrscheinlich macht, dass es auch keine ansichtbar kleinen patho¬ 
genen Bakterien gibt. 

3. Die Unkultivierbarkeit der allermeisten unsichtbar kleinen 
Organismen, trotz ihrer Verbreitung im ganzen Körper, spricht 
auch mehr für ihre Protozoennatur. Dass man den Erreger der 
Lungenseuche kümmerlich kultivieren kann, spricht noch nicht 
absolut für seine Bakteriennatur; denn auch gewisse Trypano¬ 
somen lassen sich eine Zeitlang ausserhalb des Körpers fortzüchten. 

4. Es hat sich in neuerer Zeit keine Krankheit als Bakterien¬ 
krankheit gezeigt, deren Entschleierung besonders Schwierigkeiten 
machte; dagegen wird eine Protozoenkrankheit nach der andern 
entdeckt. 

Höchst wahrscheinlich werden einige jetzt auf Bakterien 
bezogene, insbesondere Tropenkrankheiten, mit der Zeit auf andere 
Erreger bezogen werden müssen, wie dies z. B. für die Dehlibeule 
bereits nachgewiesen ist. — 

Werfen wir schliesslich noch einen Blick zurück aof das 
grosse Gebiet, das wir im Flug durchmessen haben, und fassen 
wir die Ergebnisse knapp zusammen: 

Die bakteriellen Krankheitserreger der Menschenkrankheiten 
scheinen so ziemlich alle bekannt zu sein; bei vielen Krankheiten 
sind grössere, relativ leicht zu sehende Protozoen mit Sicherheit 



Neueste Ergebnisse bei der Erforschung der Infektionskrankheiten. 16 


als Krankheitsursache (Gliedertiere als Ueberträger und Zwischen¬ 
wirte) erkannt; — wir stehen im Anfang der Entwickelung des 
schwierigen Gebietes der Lehre von den sehr kleinen, z. T. filtrier¬ 
baren, nicht sichtbaren Krankheitserregern, die mit ziemlicher 
Wahrscheinlichkeit mindestens zumeist auch Protozoen sind. 

Darüber müssen wir uns klar sein, dass sich zur Erweite¬ 
rung unserer Kenntnisse gründliche zoologische Schulung mit medi¬ 
zinischen Kenntnissen, Phantasie und Kombinationsgabe mit zähester 
Geduld, schärfster Beobachtung durch beste Mikroskope und nüch¬ 
ternster Kritik vereinigen müssen. Dagegen dürfen wir wohl 
nicht zweifeln, dass die Ergebnisse dieser Forschungen, wenn sie 
einmal abgeklärt vorliegen, weiter mächtig dazu beitragen werden, 
nnser Verständnis der Infektionskrankheiten zu erhöhen, die The¬ 
rapie und vor allem die Prophylaxe zu beeinflussen. 

Wenn Sie nur daran denken, dass Rekurrens und Flecktyphus 
durch Wanzenzerstörung, Gelbfieber und Malaria durch Schnaken¬ 
vernichtung oder Abhaltung bekämpfbar geworden sind, und dass 
das Dunkel, das über der Syphilis liegt, zu weichen beginnt, so 
sehen Sie schon jetzt reife, köstliche Früchte dieser mühsamen 
Forscherarbeit. 

(Lebhafter Beifall.) 

Der Vorsitzende stellt an die Versammlung die Anfrage, 
ob jemand zu dem Vortrage das Wort zu nehmen wünscht. 
Da dies nicht der Fall ist, bringt er den Dank des Vereins 
dem Herrn Vortragenden für seine hochinteressanten Ausführungen 
zum Ausdruck; aus der gespanntesten Aufmerksamkeit und dem 
gespendeten Beifall seiner Zuhörer könne der Vortragende selbst 
bemessen, von welch ausserordentlich grossem Interesse sein Vor¬ 
trag für die Versammlung gewesen sei. 


III. Wie babei sieb die Gesetzesparagraphei des 
Birgerlichea Gesetzbuches ued der Zivilprazesserdaaags- 
■evelle, welche sich auf die Entmündigung beziehen, Io der 
gerlchtsarzfllchen Praxis bewährt und welche Erfahruagea 
werdeo voi seifen der ärztlichen Sachverständigen In 
bezug auf die Handhabung des Gesetzes gemacht? 

H. Landgerichtsarzt Dr. Burgl-Nürnberg: M. H.J Wer 
sich schon vor der Einführung des B. G. B. und der durch das¬ 
selbe notwendig gewordenen Aenderungen in den Vorschriften der 
Z.-P.-O. für die Sachverständigentätigkeit bei dem Verfahren in 
Entmündigungssachen interessierte und auch in der allerersten 
Zeit nach deren Einführung als Gutachter in Entmündigungssachen 
tätig war, der hat wohl mit einem gewissen Bangen dem Inkraft¬ 
treten und der Durchführung dieser gesetzlichen Bestimmungen 



16 Dr. Burgl: Wie haben sich die §§ des B. G. B.'u. derZ.-P.-O.-Noyelle 


entgegengesehen, da^ der psychiatrische Sachverständige sich in 
der Gerichtspraxis Aufgaben gegenüber gestellt sah, die ihm völlig 
fremd waren und wofür ihm die Erfahrung noch völlig fehlte, da 
neue, ungewohnte Begriffe, wie z. B. „Geistesschwäche“, eingeführt 
wurden und eine Verständigung zwischen Juristen und Aerzten 
auch dadurch sehr erschwert schien, dass für die Frage, ob die Ent¬ 
mündigung wegen Geisteskrankheit oder wegen Geistesschwäche 
zu erfolgen habe, nicht die ärztliche Diagnose massgebend, son¬ 
dern die Entscheidung eine überwiegend tatsächliche, vom Bichter 
unter Benutzung des ärztlichen Gutachtens zu treffende sein sollte, 
d. h. dass man für die Entscheidung, ob Geisteskrankheit oder 
Geistesschwäche vorliege, nunmehr im wesentlichen darauf ange¬ 
wiesen sei, aus der Stärke der Wirkung auf die Stärke der Ur¬ 
sache zu schliessen und demnach zu bestimmen sei, ob das Denken, 
Wollen und Handeln des Kranken durch die Störung seiner Geistes¬ 
kraft in einem solchen Grade beeinflusst werde, dass er entweder 
wie ein Kind unter 7 Jahren gänzlich geschäftsunfähig oder nach 
Art eines Minderjährigen, der das 7. Lebensjahr vollendet hat, 
nur in beschränkter Weise geschäftsfähig sei und dass je nach 
diesem Ergebnis die Entmündigung wegen Geisteskrankheit oder 
Geistesschwäche einzutreten habe. Also die Begriffe Geistes¬ 
krankheit und Geistesschwäche sollten eine- ganz spezifische und 
rein juristische Bedeutung ohne die geringste Beziehung zur 
klinischen Terminologie haben und nur einen graduellen Unter¬ 
schied bezeichnen, nämlich die Geisteskrankheit den höheren 
Grad der geistigen Störung, der gänzliche Geschäftsunfähigkeit nach 
sich zieht, und die Geistesschwäche den geringeren Grad der 
geistigen Störung, der noch eine beschränkte Geschäftsfähigkeit 
gestattet. Von Geisteskrankheit sollte nur gesprochen werden, 
wenn infolge des geistigen Defektes die Fähigkeit zur Besorgung 
der Angelegenheiten vollständig fehlte, von Geistesschwäche da¬ 
gegen, wenn zwar die Fähigkeit zur selbständigen Besorgung, 
nicht aber zur Mitwirkung bei der Besorgung fehlte. 

Dass es nicht einfach von der durch den Arzt gestellten 
wissenschaftlichen Diagnose abhängen sollte, ob Jemand zu ent¬ 
mündigen sei oder nicht, dass ferner auch bei der Frage, ob die 
Entmündigung wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche zu 
erfolgen habe, nicht die ärztlicherseits konstatierte Art der 
geistigen Störung, sondern lediglich der Umfang in der Befähigung 
zur Besorgung der Angelegenheiten massgebend sein und die Ent¬ 
scheidung hierüber durch den Bichter getroffen werden sollte, 
endlich, dass die neu eingeführten juristischen Begriffe „Geistes¬ 
krankheit“ und „Geistesschwäche“ mit den gleichlautenden medi¬ 
zinischen Begriffen in einem gewissen Widerspruch stehen, das 
war es, was manchen Aerzten nicht gefiel, weü sie in den neuen 
Einrichtungen einen Uebergriff in die Bechte der Aerzte zu er¬ 
blicken glaubten, in deren Bessort doch eigentlich die Beurteilung 
zweifelhafter Geisteszustände und ihrer Folgen gehört, und weü 
sie sich der Befürchtung nicht entziehen konnten, es würden durch 
die Auffassung der Begriffe „Geisteskrankheit“ und „Geistes- 



Aber die Entmttndigong in der gerichta ärztlichen Praxis bewährt P 17 

schwäche" in anderem als dem medizinischen Sinne Schwierig« 
keiten, Missverständnisse und Verwirrung herbeigefflhrt werden. 

M. H.! Die Praxis hat diese Befürchtungen gänzlich zer¬ 
streut, indem die den Arzt berührenden gesetzlichen Bestimmungen 
des B. Gl. B. und der Z.-P.-O. in bezug auf Entmündigungssachen, 
soweit die Sache bisher überblickt werden kann, sich in jeder 
Beziehung bewährt haben. 

Würde die einfache ärztliche Konstatierung dieser oder jener 
Geisteskrankheit bei Jemandem zur Entmündigung genügen und 
würde <\ie Entscheidung, ob Geisteskrankheit oder Geistesschwäche 
bei einem zu Entmündigenden auszusprechen sei, lediglich vom 
Arzte und seiner Diagnose abhängen, so könnte nach meiner An¬ 
sicht und Erfahrung viel weniger Erspriessliches geleistet werden, 
als bei der jetzigen Einrichtung; es wäre auch die bürgerliche 
Freiheit des Einzelnen weniger gewahrt, als es gegenwärtig 
geschieht. 

Die klinische Terminologie kann deshalb nicht massgebend 
sein, weil nicht alle Formen der Geisteskrankheit oder Geistes¬ 
schwäche klinisch genau begrenzt sind und demzufolge auch nicht 
für alle besondere Bezeichnungen existieren, weil manche schein¬ 
bar abgegrenzte Krankheitsformen verschieden bezeichnet werden 
— ich erinnere nur an den abweichenden Standpunkt Kraepelins 
in der Paranoia-Frage oder an die engere oder weitere Umgren¬ 
zung der Epilepsie —, weil ferner die Uebergänge von der Geistes¬ 
krankheit zur Geistesschwäche vom ärztlichen Standpunkt aus 
fliessende sind, endlich weil bei der Aufstellung massgebender 
ärztlicher Definitionen immer nur der momentane Stand der Wissen¬ 
schaft vertreten wäre, bei weiterem Fortschreiten der Wissen¬ 
schaft sich aber die Schwierigkeiten nur mehren würden. 

Diese und ähnliche Gründe mögen wohl massgebend dafür 
gewesen sein, dass man seiner Zeit von der Aufstellung medi¬ 
zinischer Definitionen Abstand genommen hat. Würden bei der 
Entmündigung lediglich die ärztlichen theoretischen Erwägungen 
und die daraus hervorgehenden Schlüsse ausschlaggebend sein, so 
würde der subjektive Standpunkt eine zu grosse Bolle spielen 
und es würde viel weniger eine Einigung der Sachverständigen 
zu erzielen sein, als bei den bestehenden gesetzlichen Bestim¬ 
mungen, welche eine gemeinsame Basis, einen objektiven Stand¬ 
punkt für die Sachverständigen geschaffen haben, nämlich die 
durch den Arzt zu treffende Festsetzung, ob der zu Entmündigende 
durch eine geistige Störung in seinem Denken, Wollen und Han¬ 
deln krankhaft beeinflusst sei und ob die Geistestörung in einer 
unverständigen und ungewollten Erledigung von Angelegenheiten 
sich kundgebe. Nicht auf eine detaillierte Krankheitsgeschichte 
und eine feine Diffcrentialdiagnose kommt es dem Bichter an, 
sondern lediglich darauf, welche geistigen Störungen im allgemeinen 
vorhanden sind und inwiefern sie sein Handeln krankhaft beein¬ 
flussen. Die Grundlage für das ärztliche Gatachten bilden nicht 
blos das Ergebnis der Untersuchung des zu Entmündigenden und 
die ärztliche Erfahrung, sondern in ebenso wichtiger Weise die 

a 



18 Dr. Burgl: Wie haben sich die §§ des B. G. B. a.derZ.-P.-0.-Novelle 

eidlichen Aussagen der vernommenen Zeugen, welche uns genaue 
Angaben über sein bisheriges Verhalten in den verschiedenen 
Lebenslagen geben. 

Geisteskrankheit und Geistesschwäche im medizinischen Sinne 
für sich machen noch nicht geschäftsunfähig und genügen deshalb 
auch noch nicht, um die Entmündigung zu begründen, sondern es 
muss dazu kommen, dass der geistig Defekte infolge dieser Geistes¬ 
krankheit oder Geistesschwäche seine Angelegenheit nicht zu be¬ 
sorgen vermag. 

Wenn man aber von Geisteskrankheit oder Geistesschwäche 
im Sinne des § 6 des B. G. B. spricht, so ist damit schon gesagt, 
dass jemand infolge von Geistesstörung in höherem oder geringerem 
Grade verhindert ist, seine Angelegenheiten zu besorgen. Es ist 
deshalb nach Ernst Schnitze 1 ) unrichtig, zuerst die Frage auf¬ 
zuwerfen, ob der zu Entmündigende geisteskrank oder geistes¬ 
schwach sei, und nach Erledigung dieser Frage die weitere an- 
zuschliessen, ob er imstande sei, seine Angelegenheiten zu besorgen, 
sondern umgekehrt ist zuerst zu untersuchen, in welchem Umfange 
der zu Entmündigende durch seine geistige Störung in der Be¬ 
sorgung seiner Angelegenheiten gehindert ist, und je nach dem 
grösseren oder geringeren Grade dieser Behinderung ist die Ent¬ 
mündigung wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche aus¬ 
zusprechen. 

Der Fall, dass ein ausgesprochen geisteskranker Mensch für 
geschäftsfähig zu erachten sei, ist gar nicht so selten, und kommt 
dies namentlich bei Paranoikern vor, welche an mehr oder weniger 
harmlosen Wahnvorstellungen leiden, dabei eine leidlich gute In¬ 
telligenz und Selbstbeherrschung besitzen, nicht bösartig sind, 
ihren Beruf nachgehen und nicht verschwenden. So habe ich im 
vergangenen Jahre einen Fall zu begutachten gehabt, bei dem 
eine Beamtenfrau berufen zu sein glaubte, die Welt zu bekehren 
und zu verbessern; sie wollte dies erreichen durch Verlegung der 
Polizeistunde auf 9 Uhr abends, Verbot der Tanzmusiken, Ab¬ 
schaffung der Bordelle, Einführung allgemeiner öffentlicher Bet¬ 
stunden —, verfasste zahlreiche Schriften und Eingaben in diesem 
Sinne an den Magistrat und anderen Behörden, ja, selbst den 
Landtag und den Reichstag, und wollte in beiden letzteren wieder¬ 
holt als Rednerin auftreten, was aber selbstverständlich nicht zu- 
gelassen wurde. Sie hatte auch ab und zu Gesichts- und Gehörs¬ 
täuschungen, in welchen ihr Christus erschien und zu ihr sprach, 
sie den Untergang der Welt sah usw. Der von ihrem Ehemann 
gestellte Antrag auf Entmündigung der Frau wegen Geistes¬ 
krankheit konnte ärztlicherseits nicht befürwortet werden, da nicht 
zu erweisen war, dass ihre Wahnvorstellungen in erheblicher 

*) Dr. Ernst Schnitze: Die für die gerichtliche Psychiatrie wichtigsten 
Bestimmungen des B. G.-B. and der Novelle der Z.-P.-0. Halle a./S. 1899. 
Verlag von C. Mar hold. 

Derselbe: Die Stellungnahme des Beichsgerichts zur Entmündigung 
wegen Geistekrankheit oder Geistesschwäche and zar Pflegschaft nebst kritisches 
Bemerkungen. Halle a./S. 1903. Ebenda. 



über die Entmündigung in der gerichtsärztlichen Praxis bewährt ? 19 

Weise in ihre Geschäftsfähigkeit hereinspielten, indem sie ihr 
Hauswesen im allgemeinen ordentlich besorgte, sehr sparsam und 
fleissig war, niemand etwas zu Leide tat und in keiner Weise 
die öffentliche Ordnung störte oder den Anstand verletzte. 

Ebensowenig können Personen lediglich deshalb, weil sie an 
„Geistesschwäche* im medizinischen Sinne leiden, entmündigt 
werden, sondern erst dann, wenn diese Geistesschwäche sie zur 
Besorgung ihrer Angelegenheiten unfähig macht. Es kommt hier 
selbstverständlich auf die individuellen Interessen und die soziale 
Stellung des Kranken an, und kommt dies im § 6, Abs. 1 des 
B. G. B. dadurch zum Ausdruck, dass es heisst: „Entmündigt 
kann werden, wer infolge von Geisteskrankheit oder Geistes¬ 
schwäche seine Angelegenheiten nicht zu besorgen vermag.* Bei 
einem kleinen Handwerker wird man hier geringere Anforderungen 
stellen müssen, als bei dem Direktor einer grossen Fabrik, einem 
Rechtsanwalt usw. Ebensowenig ist es in der Hegel der Mühe 
wert, einen geistesschwachen, vollständig vermögenslosen Arbeiter 
zu entmündigen, da derselbe für gewöhnlich überhaupt keine An¬ 
gelegenheiten hat, wie sie hier in Betracht kommen. 

Aus dem Gesagten ergibt sich, dass die gleiche klinische 
Krankheitsform bald als Geisteskrankheit, bald als Geistesschwäche 
bezeichnet werden muss, und dass sie nach Umständen überhaupt 
keine Beachtung verdient, wenn die Angelegenheiten recht ein¬ 
facher Natur sind. 

Der Name der Geisteskrankheit ist für den Richter an und 
für sich gleichgültig, massgebend ist für ihn nur der Grad, in 
welchem durch eine vorhandene Geistesstörung oder Geistes¬ 
schwäche die Geschäftsfähigkeit beeinträchtigt wird. Ist der zu 
Entmündigende — gleichgültig an welcher Form geistiger Störung 
er leidet — gänzlich geschäftsunfähig wie ein Kind unter 7 Jahren, 
dann ist er wegen Geisteskrankheit zu entmündigen —; besitzt 
er noch eine beschränkte Geschäftsfähigkeit wie ein Minderjähriger, 
dann ist er wegen Geistesschwäche zu entmündigen. 

Da der Sachverständige darzutun hat, inwiefern der zu Ent¬ 
mündigende durch seine geistige Anormalität verhindert oder ge¬ 
stört ist, seine Angelegenheiten zu besorgen, so muss er auch 
wissen, was man unter „Angelegenheiten* versteht. Eine er¬ 
schöpfende Definition des Begriffes „Angelegenheiten* dürfte 
sehr schwer werden, und zwar schon aus dem Grunde, weil die 
Angelegenheiten individuell sehr verschieden sind nach sozialer 
Stellung, Vermögen und dergleichen. Im allgemeinen wird man 
wohl unter „Angelegenheiten* zu verstehen haben, die Sorge für 
das eigene Wohl und für die Familie in allen Lebensverhältnissen, 
und werden hier wohl obenanstehen: die A Vermögensangelegen¬ 
heiten, die Berufsangelegenheiten und die Angelegenheiten vor 
Gericht. 

Zur Entmündigung kann es nicht genügen, dass durch die 
Erkrankung die Besorgung einzelner, vielleicht wenig belang¬ 
reicher Angelegenheiten geschädigt wird, und ebensowenig wird 
es den Absichten des Gesetzgebers entsprechen, wenn eine Ent- 

2 * 



SO Br. Bargl: Wie haben sich die §§ des B. G.-B. u. der Z.-P.-0.-Novelle 

mündigung nur dann vorgenommen würde, wenn der zu Ent¬ 
mündigende absolut unfähig ist, für die Dauer alle seine An¬ 
gelegenheiten zu besorgen. Ein solcher Fall wird im praktischen 
Leben nicht so leicht Vorkommen. Das Richtige wird wohl in der 
Mitte liegen, und wird man nicht leicht irregehen, wenn man 
stets den Zweck der Entmündigung vor Augen hat, der dahin 
geht, bei dem Vorliegen einer Schutzbedürftigkeit für die Perm« 
des zu Entmündigenden oder seine Familie infolge von Geistes¬ 
krankheit oder Geistesschwäche staatlich den notwendigen Schutz 
durch Entmündigung zu gewähren, wenn in anderer Weise Abhilfe 
nicht geschaffen werden kann. Es muss der objektive Nach¬ 
weis durch das unzweckmässige Handeln des Kranken erbracht 
sein, dass dieser durch seine Psychose verhindert ist, seine An¬ 
gelegenheiten zu besorgen. Nicht aber kann es genügen, dass 
irgendeine Geisteskrankheit diagnostiziert ist, und deshalb die 
Möglichkeit besteht, dass er seine und seiner Familie Interessen 
schädigen könnte. Selbstverständlich wird das Vormundschafts¬ 
gericht, sobald sich Anhaltspunkte dafür ergeben, dass z. B. das 
Vermögen der Kinder gefährdet ist, die zur Abwendung der Ge¬ 
fahr notwendigen Schritte tun. 

Vielfach ist der Glaube unter den Laien verbreitet, dass 
die Entmündigung lediglich vom Arzte abhänge, und der Arzt im¬ 
stande sei, die Entmündigung zu beantragen und auszusprechen. 
Das steht aber durchaus nicht in seiner Gewalt, sondern er ist 
lediglich Gutachter, an dessen Gutachten der Richter nicht einmal 
gebunden ist. 

Die Entmündigung wegen Geisteskrankheit oder Geistes¬ 
schwäche erfolgt, wie Sie wissen, nach § 645 der Z. P. 0. durch 
Beschluss des Amtsgerichts, und wird dieser Beschluss nur auf 
Antrag erlassen, welcher eine Angabe der ihn begründenden Tat¬ 
sachen und die Bezeichnung der Beweismittel enthalten muss, 
und zu welchem nur der Ehegatte, die Verwandten, der gesetz¬ 
liche Vertreter oder der Staatsanwalt berechtigt sind. Der zu 
Entmündigende muss persönlich bei Gericht vernommen werden, 
und zwar in Gegenwart eines oder mehrerer Sachverständigen, 
oder es kann das Gericht mit Zustimmung des Antragstellers an¬ 
ordnen, dass der zu Entmündigende auf die Dauer von höchstens 
6 Wochen in eine Heilanstalt — also auch in eine Privatheilanstalt 
— gebracht werde, wenn dies nach ärztlichem Gutachten zur Fest¬ 
stellung des Geisteszustandes geboten erscheint und ohne Nachteil 
für den Gesundheitszustand des zu Entmündigenden ausführbar 
ist. Dem zu Entmündigenden ist Gelegenheit zu geben zur Be¬ 
zeichnung von Beweismitteln — er kann die Vernehmung von 
Zeugen verlangen, die über seinen Geisteszustand auszusagen ver¬ 
mögen, kann ärztliche Zeugnisse beibringen, Bescheinigungen von 
Arbeitgebern über seine Arbeitsfähigkeit, seinen Fleiss, sein gutes 
Verhalten in Vorlage bringen usw. —, wodurch gewiss eine grosse 
Rechtssicherheit gegeben ist, aber nach Umständen anoh eine 
grosse Verzögerung zum Nachteile des Kranken und seiner Familie 
herbeigeführt werden kann. 



über die Entmündigung in der gerichtsärztlichen Praxis bewährt P 21 


Der die Entmündigung 1 aassprechende Beschloss kann im 
Wege der Klage angefochtfen werden, zu welcher Klage der Ent¬ 
mündigte selbst, sein gesetzlicher Vertreter and die übrigen Per¬ 
sonen betagt sind, denen aach das Recht zur Beantragung der 
Entmündignng zusteht. Die Klage ist beim zuständigen Land¬ 
gerichte einzureichen, und dem Entmündigten auf seinen Antrag 
ein Rechtsanwalt als Verteidiger beizugeben. Der Entmündigte 
ist also durch den Entmündigungsbeschluss durchaus nicht mundtot 
gemacht, wie vielfach angenommen wird. Das Prozessgericht, hier 
das Landgericht, kann noch Sachverständige vernehmen, oder auch 
nicht, verhandelt neuerdings selbständig und hebt den Entmündi¬ 
gungsbeschluss auf oder bestätigt ihn. Auch das Urteil des 
Landgerichts kann angefochten werden, und geht die Sache dann 
an das Oberlandesgericht und in letzter Instanz an das oberste 
Landesgericht, welches jedoch die Entscheidung dem Reichsgericht 
zu überlassen hat. 

Die Entmündigung kann anch wieder aufgehoben werden 
durch das Amtsgericht. Auch hierbei hat der Entmündigte das 
Recht, den Antrag zu stellen wie der gesetzliche Vertreter und 
der Staatsanwalt. Das Amtsgericht hebt die Entmündigung nicht 
auf, ohne neuerdings Sachverständige zu hören und den Ent¬ 
mündigten persönlich gerichtlich zu vernehmen. Wird der Antrag 
abgelehnt, so ist auch hierbei möglich, den Weg der Klage zu 
betreten. 

Was die Entmündigung wegen Trunksucht betrifft, 
so kann nach § 6, Abs. 3 des B. G. B. derjenige entmündigt werden, 
„welcher infolge von Trunksucht seine Angelegenheiten nicht zu 
besorgen vermag, oder sich und seine Familie der Gefahr des 
Notstandes aussetzt, oder die Sicherheit anderer gefährdet/ Der 
unmässige Genuss geistiger Getränke für sich allein genügt nicht 
zur Entmündigung, selbst wenn täglich bedeutende Quantitäten 
genossen werden und auch häufige Berauschung beobachtet wird, 
solange nicht eine der im § 6, Abs. 3 enthaltenen, eben erwähnten 
Voraussetzungen vorliegt. Wer eben trotz übermässigen Genusses 
alkoholischer Getränke noch seine Angelegenheiten zu besorgen 
vermag, sich und seine Familie nicht der Gefahr des Notstandes 
aussetzt und auch die Sicherheit anderer nicht gefährdet, der 
zeigt, dass er noch die Kraft hat, dem Anreize zum übermässigen 
Genüsse geistiger Getränke zur rechten Zeit zu widerstehen, und 
sich noch seine Arbeitsfähigkeit und seine Zurechnungsfähigkeit 
für gewöhnlich erhalten hat; ein solcher Mensch bedarf eben nicht 
der Entmündigung. 

Eine Vernehmung von Sachverständigen ist, wie Sie wissen, 
beim Entmündigungsverfahren wegen Trunksucht nicht vorgesehen; 
es kann also diese Entmündigung auch ohne Sachverständigen 
geschehen. Nach meiner Ansicht ist es jedoch bei jedem Antrag auf 
Entmündigung wegen Trunksucht wünschenswert, einen Sachver¬ 
ständigen beizuziehen, und zwar nicht nur, um festzustellen, ob die 
Zeichen des chronischen Alkoholismus, vielleicht mit merklicher In¬ 
telligenzabnahme, mit zeitweiligen Bewusstseinsstörungen, Wahn- 



22 Dr. Bur gl: Wie haben eich die §§ des B. G.-B. u. der Z.-P.-O.-NoTelle 


Vorstellungen, Sinnestäuschungen n. dergl. vorliegen und dadurch 
die Geschäftsfähigkeit beeinträchtigen, sondern auch, weil die 
Trunksucht nicht selten auf dem Boden einer bereits vorhandenen 
Geistesstörung entsteht, sei es, dass es sich z. B. um die periodi¬ 
sche Dipsomanie der Epileptiker handelt, oder um die Trinkexzesse 
eines Maniakalischen, eines Paralytikers usw. Wünschenswert 
erscheint die Beiziehung eines Arztes auch deshalb, weil dieser 
am ersten in der Lage ist, auf die Verhütung eines Unglücks, 
z. B. infolge des Wahns der ehelichen Untreue beim Säufer, hin¬ 
zu weisen und zu bewirken, dass der entmündigte Trinker event. 
wider seinen Willen in ein Trinkerasyl oder eine Irrenanstalt 
vorübergehend untergebracht werde. Die Entmündigung bei 
Trinkern wird in der Regel wegen Geistesschwäche, nicht aber 
wegen Geisteskrankheit zu erfolgen haben. 

Auch bei der Entmündigung wegen Verschwendung 
ist die Beiziehung eines Sachverständigen nicht vorgeschrieben 
und entschieden auch in manchen Fällen nicht notwendig. In 
wieder anderen aber liegt der Verschwendung eine geistige Störung 
zugrunde, wie z. B. Schwachsinn, Grössenwahn bei einem Para* 
lytiker oder Paranoiker, gehobenes Selbstgefühl und heitere aus¬ 
gelassene Stimmung bei einem Maniakalischen. Es Hesse sich 
deshalb darüber streiten, ob es nicht zweckmässig wäre, bei jedem 
Falle von Entmündigung wegen Verschwendung einen ärztlichen 
Sachverständigen beizuziehen; nach meiner Erfahrung geschieht 
dies auch fast immer. 

Was die Frage der Entmündigung von in Irren¬ 
anstalten nntergebrachten geistesgestörten Personen 
betrifft, so müssen hier im allgemeinen die gleichen Grundsätze 
gelten wie für die Entmündigung ausserhalb der Anstalt. Die 
Entmündigung ist schon aus praktischen Erwägungen nicht immer 
notwendig, würde in manchen Fällen nur unnütze Mühen und 
Kosten verursachen. Ist die Entmündigung geboten, so wird in 
vielen Fällen mit der Entmündigung wegen Geistesschwäche aus¬ 
zukommen sein, in manchen Fällen auch eine Pflegschaft genügen. 

Kurz zu erwähnen ist die Verschiedenheit der 
Wirkung der Entmündigung wegen Geisteskrankheit 
und wegen Geistesschwäche. 

Die Willenserklärung des wegen Geisteskrankheit Ent¬ 
mündigten und dadurch für vollständig geschäftsunfähig und dem 
unmündigen Kinde unter 7 Jahren gleich Erklärten ist null und 
nichtig. Dagegen kann der wegen Geistesschwäche Ent¬ 
mündigte, also beschränkt geschäftsfähige und dem Minderjährigen 
über 7 Jahren gleich zu Achtende, eine rechtswirksame Willens¬ 
erklärung abgeben, durch die er lediglich einen rechtlichen Vorteil 
erlangt, auch ohne die Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters. 
Er kann also z. B. eine ihm zugewendete Schenkung mit Rechts¬ 
wirksamkeit annehmen. Belastende Willenserklärungen des be¬ 
schränkt Geschäftsfähigen, also wegen Geistesschwäche Entmün¬ 
digten, sind unwirksam, wenn der gesetzliche Vertreter die 
Einwilligung versagt. So ist z. B. eine von einem wegen Geistes- 



ttber die Entmündigung in der gorichts&rztlichen Praxis bewährt? 23 

krankheit Entmündigten eingegangene Ehe nngiltig, während die 
Ehe eines wegen Geistesschwäche Entmündigten, also beschränkt 
Geschäftsfähigen, gültig ist, wenn der Vormund seine Einwilligung 
gibt. Einen solchen Fall, dass ein wegen Geistesschwäche Ent¬ 
mündigter mit Einwilligung seines Vormundes heiratete, habe ich 
erst kürzlich in meiner gerichtsärztlichen Praxis erlebt. Nach 
etwa halbjähriger Ehe wurde die Entmündigung aufgehoben, da 
er in der Person seiner sehr energischen und klugen Frau den 
reinsten Pfleger an seiner Seite hatte. — Auch in Sachen der 
Testierfähigkeit ist dem beschränkt Geschäftsfähigen der Wider¬ 
ruf seines Testaments gestattet. Ebenso geben §§ 110, 112 und 
113 des B. G. B. dem Vormund die Möglichkeit an die Hand, die 
Folgen der Entmündigung bei seinem geistesschwachen Mündel 
erheblich milder zu gestalten und ihm soviel Bewegungsfreiheit 
zu gewähren, als er ihm, ohne ihn zu gefährden, gewähren kann. 

Wenn man alle diese heute geltenden Bestimmungen der 
Zivilprozessordnung über das bei der Entmündigung wegen Geistes¬ 
krankheit und Geistesschwäche zu beobachtende Verfahren genau 
betrachtet, so muss man zugeben, dass sich dieselben, soweit es 
bis jetzt beurteilt werden kann, nach allen Bichtungen bewährt 
haben, grössere Mängel nicht zutage getreten und die weitest¬ 
gehenden Garantien geboten sind, um eine ungerechtfertigte Ent¬ 
mündigung zu verhindern; nach Erklärung des preussischen Justiz¬ 
ministers im Abgeordnetenhause soll auch bisher eine widerrechtliche 
Entmündigung nicht bekannt geworden sein. 

Zugegeben aber auch, dass eine gänzlich ungerechtfertigte 
Entmündigung bei den bestehenden Gesetzen nicht leicht Vor¬ 
kommen, also ein geistig normaler Mensch wegen Geisteskrank¬ 
heit oder Geistesschwäche nicht entmündigt werden kann, so geht 
doch meine Erfahrung dahin, dass die staatliche Fürsorge für 
einen durch geistige Störungen in seiner Geschäftsfähigkeit ge¬ 
schädigten Menschen bei gehöriger Berücksichtigung der Heilbar¬ 
keit mancher Geisteskrankheiten, ihrer Dauer, dem Wechsel in 
ihrer Intensität, den oft sehr langen Intervallen, den individuellen 
Verhältnissen und dem oft geringen Umfange der Geschäfte in 
manchen Fällen doch wesentlich milder ausfallen könnte, als sie 
wirklich ausfällt, und dass die Fürsorge selbstverständlich um so 
milder ausfallen und um so mehr dem Geiste des Gesetzgebers 
entsprechen wird, je erfahrener die Personen sind, welche mit der 
Entmündigung befasst sind. 

Damit bin ich zum zweiten Teil meines Vortrages gekommen, 
nämlich zu den Fehlern, die bei der Handhabung der die 
Entmündigung und Aufhebung der Entmündigung be¬ 
treffenden Gesetze von seiten des Publikums und der 
ärztlichen Sachverständigen unterlaufen können. 

M. H.! Ich habe seit Einführung des B. G. B. im Jahre 
1900 bis jetzt in 64 Fällen von Entmündigungssachen als Sach¬ 
verständiger tätig zu sein Gelegenheit gehabt, welche Zahl zwar 
an und für sich eine geringe ist im Verhältnis zu den 4000 Ent¬ 
mündigungen, die nach dem Ergebnisse der deutschen Justiz- 



24 Dr. Bargl: Wie haben sich die §§ des B. G.-B. u. der Z.-P.-O.-Norelle 

st&tistik im Laufe eines Jahres im Deutschen Reiche erfolgen, 
aber immerhin schon einen gewissen Einblick in die hier in Be¬ 
tracht kommenden Verhältnisse gewährt and zu praktischen 
Schlüssen berechtigt. Unter diesen 64 Fällen handelte es sich 
41 mal um Entmündigung und 23 mal um Wiederanfhebnng der 
Entmündigung. Bei den 41 Entmündicrungsanträgen wurde die 
Entmündigung 39 mal ausgesprochen und 2 mal dem Anträge nicht 
Folge gegeben. 

Die entmündigten Personen litten 12 mal an Imbezillität, 
8 mal an Paranoia, 4 mal an Dementia paralytica, 3 mal an De¬ 
mentia senilis, je 1 mal an Idiotie, Dementia traumatica, Dementia 
praecox catatonica, Dementia praecox paranoides, Taubstummheit 
mit Schwachsinn, Hysterie mit Paranoia, Hysterie mit Trunksucht, 
Imbezillität leichteren Grades mit Trunksucht, Epilepsie mit 
leichtem Schwachsinn und Trunksucht, Aphasie mit Verblödung 
nach Schlagfluss und chronischem Alkoholismus, Trunksucht, leich¬ 
tem Schwachsinn mit Verschwendung. Bei den nicht berück¬ 
sichtigten Anträgen auf Entmündigung handelte es sich um an¬ 
geblichen Schwachsinn und um angebliche Verblödung nach Unfall. 

Der Antrag auf Wiederaufhebung der Entmündigung wurde 
von Geisteskranken verschiedener Art gestellt, namentlich von 
solchen, die gebessert aus der Irrenanstalt kamen, häufig auch 
von Paranoikern und Alkoholisten, Paralytikern im Remissions¬ 
stadium usw. 

Gelegentlich meiner Untersuchungen habe ich folgende Er¬ 
fahrungen gemacht: 

1. dass der Antrag auf Entmündigung nicht immer materiell 
genügend begründet ist; 

2. dass bei Personen, welche wegen Beeinträchtigung ihrer 
Geschäftsfähigkeit durch geistige Störungen einer staat¬ 
lichen Fürsorge bedürfen, diese staatliche Fürsorge manch¬ 
mal eine mildere sein könnte, als sie es faktisch ist; 

3. dass der Antrag auf Wiederaufhebung der Entmündigung 
sehr häufig zu Unrecht gestellt wird; 

4. dass der Arzt bei Wiederaufhebung der Entmündigung 
den Zeugenaussagen sehr skeptisch gegenüberstehen und 
jederzeit bei dem Entmündigten auf Dissimulation gefasst 
sein soll. 

Zu 1: Der Antrag auf Entmündigung wegen Geisteskrank¬ 
heit oder Geistesschwäche ist nur dann materiell begründet, wenn 
der Nachweis erbracht werden kann, dass der zu Entmündigende 
durch seine Psychose verhindert war und ist, seine Angelegen¬ 
heiten zu besorgen; es ist dies gewöhnlich nur dann der Fall, 
wenn jemand in einem die freie Willensbestimmung ausschliessen- 
den Zustande krankhafter Störung der Geistestätigkeit sich be¬ 
findet, sofern nicht der Zustand seiner Natur nach ein vorüber¬ 
gehender ist, wie dies § 104, Abs. 2 des B. G. B. ausspricht. — 
Einen die freie Willensbestimmung ausschliessenden, nicht vor¬ 
übergehenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit 
werden wir da annehmen müssen, wo die intellektuelle Entwiche- 



ftbor die Entmündigung in der gerichtsärztlichen Praxis bewährt? 26 


lang anf der Stufe des Kindes&lters stehen geblieben, oder die 
Intelligenz durch einen fortschreitenden Krankheitsprozess wieder 
anf die Stafe des Kindes herabgesunken ist, wo infolge von Sinnes- 
tänschnngen oder Wahnvorstellungen die Orientierung fehlt und 
Verwirrung vorhanden ist, oder wo eine Hemmung vorliegt, dass 
der Betreffende nicht imstande ist, den einfachsten, zur Besorgung 
seiner Angelegenheiten notwendigen Gedanken zu fassen, wo in¬ 
folge von Bewusstseinsstörung die richtige Auffassung der eigenen 
Persönlichkeit zur Aussenwelt ausgeschlossen ist und dergleichen. 
Dies ist im allgemeinen der Fall bei Idioten, bei Geisteskranken, 
bei denen bereits eine stärkere Verblödung eingetreten ist, bei 
Paranoikern mit zahlreichen Sinnestäuschungen und einem aus¬ 
gebreiteten konfusen Wahnsystem, bei im stärkeren Grade mania- 
kalischen Paralytikern, in den schweren, unheilbaren Fällen von 
Melancholie usw. Alle die genannten Personen, welche zugleich 
als geisteskrank im Sinne des § 6, Abs. 1 des B. G. B. zu be¬ 
trachten sind, dürften wegen Geisteskrankheit zu entmündigen sein. 

Auch der Antrag auf Entmündigung bei den Geistesschwachen 
muss materiell begründet sein und darf auch bei diesen von einem 
freien, vernunftgemässen Handeln keine Bede sein. Hierher zu 
rechnen wird z. B. eine Person sein, von der man sich sagen 
muss, sie besitzt zwar nicht die Intelligenz eines Erwachsenen, 
steht aber doch auf einer höheren Stufe als ein 7 jähriges Kind, 
oder der Betreffende hat zwar eine wesentliche Einbusse an seiner 
Intelligenz erlitten, dieselbe geht aber doch nicht soweit, dass er 
in seinen Verstandesleistungen einem unmündigen Kinde gleich¬ 
zustellen wäre, oder er leidet zwar an Sinnestäuschungen und 
Wahnvorstellungen, vermag sich aber doch öfter ihrem Einflüsse 
zu entziehen, und ist bei manchen Gelegenheiten ohne Dazwischen¬ 
treten pathologischer Elemente eine geistige Störung nicht erweis¬ 
lich, oder er ist zwar durch seine Geistesstörung öfter aufgeregt, 
ängstlich oder etwas gehemmt, es werden aber dadurch seine 
Handlungen nicht immer wesentlich beeinflusst. 

Sind ähnliche Zustände wie die geschilderten nicht vor¬ 
handen, kann also der Beweis nicht erbracht werden, dass ein 
die freie Willensbestimmung andauernd ausschliessender Zustand 
krankhafter Störung der Geistestätigkeit vorhanden ist, dann er¬ 
scheint eben der Antrag auf Entmündigung unberechtigt und 
materiell unbegründet. 

Aus meiner gerichtsärztlichen Praxis will ich kurz einige 
Fälle anführen, in denen nach meiner Ansicht der Antrag auf 
Entmündigung materiell nicht genügend begründet war: 

Von der Hauptzollamtsverwalterswitwe H. in M. wurde der Antrag an! 
Entmündigung ihrer ledigen großjährigen Schwester, der Zospringerin J. Z., 
wegen Geistesschwäche gestellt, weil sie an angeborener Geistesschwäche leide, 
im Alter von 85 Jahren ein Verhältnis mit einem verheirateten Manne ange- 
knüpft habe, ans welchem ein verkrüppeltes idiotisches Kind hervorgegangen 
sei, weil sie — nnnmehr 44 Jahre alt — mit einem gewissen A. N. verlobt sei, 
and ihn demnächst za heiraten gedenke and weil za befürchten sei, obwohl 
man den Bräatigam nicht kenne, daß das für ihren Unterhalt and den ihres 
Kindes kaam aasreichende Vermögen in kürzester Zeit verzehrt sein werde, 
and es deshalb za wünschen sei, daß sie sich nicht vereheliche. Aas dem Ge- 



26 Dr. Bar gl: Wie heben sieh die §§ des B. G.-B. u. der Z.-P.-O.-Novelle 

sagten ergebe sich, daß J. Z. infolge von angeborener Geistesschwäche nicht 
imstande sei, ihre Angelegenheiten za besorgen and wegen Geistesschwäche 
za entmttndigen sei 

Dem Antrag war das Zeagnis eines praktischen Arztes beigelegt, daß 
er die J. Z. zwar nnr vorübergehend gesehen habe, daß sie aber auf ihn den 
Eindruck einer etwas unbeholfenen, geistig beschränkten Person gemacht habe, 
welcher die Fähigkeit abzusprechen sei, frei und selbstständig über ihr Ver¬ 
mögen za disponieren. 

Das Amtsgericht hat diesen Antrag abgewiesen mit der Motivierung? 
daß die von Amtswegen zar Feststellung des Geisteszustandes der J. Z. ge¬ 
pflogenen Ermittelungen und erhobenen Beweise, so namentlich die eidlichen 
Aussagen verschiedener Zeugen und insbesondere die eingehende persönliche 
Vernehmung der zu Entmündigenden unter Zuziehung des Landgenchtsarztes 
als Sachverständigen und das von diesem Arzte auf Grund mehrmaliger Ver¬ 
nehmung und eingehender Beobachtung abgegebene Gntachten die bestimmte 
richterliche Ueberzeugung davon gebildet haben, daß bei J. Z. keinerlei geistige 
Anomalie vorhanden sei, daß ihre Intelligenz hinter den durchschnittlichen 
Leistungen eines normalen Menschen ihres Standes in keiner Weise irgendwie 
erheblich zurückbleibe und ihre in manchen Punkten hervortretende Schwer¬ 
fälligkeit des Auffassungsvermögens und ein gewisser Mangel an Kenntnissen, 
sowie die vorhandene Wortkargheit und Verschlossenheit nicht als Schwachsinn, 
sondern lediglich als Folge ihrer Abgeschlossenheit und mangelhaften Schulung 
des Geistes aufzufassen sei, daß J. Z. wohl imstande sei, ihre nicht komplizierten 
Angelegenheiten zu besorgen, da sie nach den eidlichen Aussagen verschiedener 
Zeugen sich jederzeit ihren Lebensunterhalt selbständig verschafft und sich 
ehrlich fortgebracht habe, die notwendigen Schulkenntnisse besitze und auch den 
Zins ihres Vermögens zu berechnen vermöge; daß ferner dem von der Antrag¬ 
stellerin weiterhin geltend gemachten Grund, die J. Z. beabsichtige eine ihr 
unpassend erscheinende Ehe zu schließen, bei Beurteilung der hier allein zur 
Entscheidung stehenden Frage, ob sie durch ihre Geistesbeschaffenheit in ihrer 
freien Willensbestimmung und der Fähigkeit, ihre Angelegenheiten zu besorgen, 
beeinträchtigt sei, nur eine sehr untergeordnete Bedeutung beizumessen sei 
und sie als nicht geistesschwach von der Eingehung einer selbst nicht vorteil¬ 
haften Ehe nicht zurückgehalten werden könne, endlich die nur auf vorüber¬ 
gehende Beobachtung sich gründende und überdies sehr unbestimmte Aussage 
des praktischen Arztes Dr. F. nicht in's Gewicht falle, und deshalb der Antrag 
abzuweisen sei. 

In einem zweiten Falle war der Antrag auf Entmündigung eines Bauers, 
der vor einem halben Jahre durch ein Veloziped eine ziemlich schwere Körper¬ 
verletzung erlitten hatte, gestellt worden mit der Angabe, daß derselbe infolge 
der erlittenen Kopfverletzung verblödet und nicht mehr imstande sei, seine 
Angelegenheiten zu besorgen. Der Antrag wurde abgewiesen, da die genaue 
Untersuchung durch zwei Aerzte ergab, daß keine Spur einer traumatischen 
Demenz vorlag, und die ganze Entmündigungsgeschichte lediglich inszeniert 
worden war, weil man glaubte, ganz andere Ansprüche an die Unfallversicherung 
stellen zu können, wenn der Bauer antragsgemäß wegen einer durch den Unfall 
verursachten Geistesschwäche entmündigt sei. 

Zu 2 : Was den unter 2 von mir aufgestellten Satz betrifft, 
dass bei Personen, welche wegen Beeinträchtigung ihrer Geschäfts* 
fähigkeit durch geistige Störungen einer staatlichen Fürsorge 
bedürfen, diese staatliche Fürsorge öfter eine mildere sein könnte, 
als sie es faktisch ist, so will ich damit sagen, dass in manchen 
Fällen die Entmündigung wegen Geisteskrankheit ausgesprochen 
wird, wo sie eigentlich wegen Geistesschwäche ausgesprochen 
werden sollte, dass es ab und zu statt einer Entmündigung auch 
bei einer vorläufigen Bevormundnng sein Bewenden hätte haben 
können, dass die staatliche Fürsorge manchmal in einer Pflegschaft 
statt in einer Entmündigung bestehen und endlich, dass eine Staat* 



über die Entmündigung in der gerichtsärztlichen Praxis bewährt? 27 


liehe Fürsorge in einzelnen geeigneten Fällen trotz bestehender 
Geistesstörung ganz unterbleiben konnte. 

Hier soll im allgemeinen Erwähnung finden, dass heilbare 
Psychosen, wie Manie und Melancholie, wenn es sich um typische 
Fälle handelt, sich für gewöhnlich nicht zur Entmündigung eignen, 
da sie ja doch in den weitaus meisten Fällen nicht allzulange 
dauern, und die Entmündigung doch vorzugsweise für die voraus¬ 
sichtlich andauernden Leiden bestimmt ist. Ferner wird nicht 
bei jedem Fall von periodischem oder zirkulärem Irresein die Ent¬ 
mündigung angezeigt sein, namentlich nicht bei solchen, bei denen 
lange Intervalle geistiger Gesundheit vorliegen, grossere Intelligenz¬ 
defekte fehlen und die Anfälle nicht besonders intensiv und 
nicht von zu langer Dauer sind. — Bei Epileptikern wird sich 
die Entmündigung nur notwendig erweisen, wenn infolge von 
eingetretener Demenz oder häufig auftretender Anfälle eine staat¬ 
liche Fürsorge geboten erscheint. — 

Bei manchen geisteskranken Trinkern, bei denen sich nach 
ihrer Verbringung in eine Anstalt infolge der Alkoholabstinenz 
bald eine erhebliche Besserung einstellt, so dass von einer Geistes¬ 
krankheit oder Geistesschwäche im Sinne des § 6 des B. G. B. 
nicht mehr gesprochen werden kann, wird von einer Entmündi¬ 
gung wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche Abstand zu 
nehmen sein, kann aber noch die Entmündigung wegen Trunksucht 
in Frage kommen. — Paranoiker, welche sich so beherrschen 
künnen, dass sie niemand für krank hält und ihre Interessen nach 
jeder Richtung wahrnehmen, können nicht entmündigt werden.— 
Bei der Hysterie können nur die schweren Formen dieser Krank¬ 
heit, deren Zustand als hysterisches Irresein zu bezeichnen ist, 
zur Entmündigung Veranlassung geben, bei Aphasie und Taub¬ 
stummheit nur die, bei denen die Verständigung sehr erschwert 
ist und grössere Intelligenzdefekte vorliegen. — Auch bei manchen 
Personen mit angeborenem Schwachsinn ist die Entmündigung 
überflüssig, wenn sie sich in ganz einfachen Verhältnissen befinden 
und in denselben leidlich zurecht kommen. — Selbst bei Alters¬ 
blödsinnigen, Paralytikern und Apoplektikern kann in geeigneten 
Fällen die Entmündigung unterbleiben, wenn sie fortwährend unter 
Aufsicht und Ueberwachung ihrer Angehörigen stehen, keine Ex¬ 
zesse machen, gutartig sind und sich von ihren Angehörigen 
vollständig leiten lassen, vorausgesetzt, dass diese hierzu geeignet 
sind. — Endlich ist die Entmündigung in der Regel unnütz bei 
gänzlich vermögenslosen Leuten aus den untersten Volksschichten, 
welche keine Angelegenheiten im Sinne des § 6 des B. G. B. zu 
besorgen haben. 

Für meine Behauptung, dass bei Personen, welche wegen 
Beeinträchtigung ihrer Geschäftsfähigkeit durch geistige Störung 
einer staatlichen Fürsorge bedürfen, diese staatliche Fürsorge 
manchmal in milderer Weise gehandhabt werden könnte, kann ich 
verschiedene Beispiele aus meiner gerichtsärztlichen Praxis 
anführen: 

So erkrankte z. B. ein nicht belastetes, bisher vollständig gesundes 
36 jähriges Fräulein infolge von anstrengender Krankenpflege und vielen Nacht- 



28 Dr. Borgt: Wie haben zieh die §§ des B. G.-B. u. der Z.-P.-O.-Novelle 


wachen bei ihrem schwerkranken Vater and möglicherweise aneh durch dea 
mißbräuchlichen Genuß von Kolapastillen, nach welchem sie jedesmal in einen 
rauschähnlichen Zustand mit Gehörstäuschungen und anderen Vergiftungs¬ 
erscheinungen verfiel, anfangs Mai 1908 an den ausgesprochenen Erscheinungen 
einer Manie, wurde Mitte Mai in die Irrenanstalt verbracht, dort am 1. Sep¬ 
tember 1904 wegen Geistesschwäche entmündigt und am 20. November 1903, 
also nach 4 monatlichem Aufenthalt in genesenem Zustande entlassen. Obwohl 
sie seit ihrer Entlassung ans der Anstalt keinerlei Erscheinungen von Geistes¬ 
störung darbot, wurde ihrem Antrag auf Wiederaufhebung der Entmündigung 
im Dezember 1908 nicht stattgegeben, da die seit der Entmündigung verflo s se n e 
Zeit doch noch eine zu kurze war, und die Entmündigung erst auf einen er¬ 
neuten Antrag im Januar 1906 aufgehoben. 

Nach meiner Ansicht war die Entmündigung in diesem Falle 
nicht notwendig, da es sich um eine heilbare Psychose von kurzer 
Dauer handelte, und die staatliche Fürsorge, welche für das geistes¬ 
kranke Fräulein infolge Ablebens ihres Vaters ein treten musste, 
auch in milderer Form als durch die Entmündigung hätte geschehen 
können, nämlich durch eine vorläufige Vormundschaft, welche ein- 
treten kann nach vorgehendem Antrag auf Entmündigung, und an¬ 
gezeigt ist bei Fällen von plötzlich eintretender Geisteskrankheit, 
bei denen mit Rücksicht auf die VermOgensverhältnisse etwas ge¬ 
schehen muss, oder bei Fällen von nicht lange andauernder heil¬ 
barer Psychose, bei denen die Entmündigung wegen Geisteskrankheit 
oder Geistesschwäche nicht angezeigt erscheint. Da die vorläufige 
Vormundschaft mit Rücknahme des Antrages auf Entmündigung 
oder der rechtskräftigen Abweisung desselben wieder endet und 
bei der kurzen Dauer der Geisteskrankheit im vorliegenden Falle 
der Antrag auf Entmündigung hätte bald wieder zurückgezogen 
oder absichtlich, um Zeit zu gewinnen, etwas hinausgezOgert 
werden können, so wären durch Einsetzung einer vorläufigen Vor¬ 
mundschaft dem Fräulein viel Kosten und Unannehmlichkeiten 
erspart geblieben. 

Selbst eine Pflegschaft hätte hier eintreten können, wie dies 
klar hervorgeht aus der nachstehenden Entscheidung des preuss. 
Kammergerichts; s. Seite 30. 

In einem zweiten Falle handelte es sich um die Entmündigung eines 
Lehrers, welcher im Januar 1901 an drei etwa 10jährigen Schulmädchen mit 
Gewalt unzüchtige Handlungen verübt hatte, deshalb in Haft genommen, später 
aber wegen Bedenken an seiner Zurechnungsfähigkeit zur Beobachtung seines 
Geisteszustandes in die Irrenanstalt Y verbracht worden war. Im Juli wurde 
er entmündigt, weil er an Paranoia leide, geisteskrank und nach jeder Bichtung 
geschäftsunfähig sei, nachdem er zuvor schon außer Verfolgung gesetzt worden 
war. Im September 1902 wurde er, nachdem er schon monatelang im Ver¬ 
waltungsbureau der Irrenanstalt sich in nützlichster Weise beschäftigt hatte 
und wie aus der Krankengeschichte zu entnehmen ist, niemals an ihm Wahn¬ 
vorstellungen und auch nur ganz vereinzelte Sinnestäuschungen bemerkt worden 
waren, aus der Anstalt entlassen, nahm eine Stelle als Geschäftsführer bei 
einer großen Sterbekasse an und bald darauf als Buchhalter bei einer großen 
Bank, welche Stelle er bis zur Stunde zur größten Zufriedenheit seines Chefs 
ausfüllt, obwohl er die Hauptbücher und eine sehr ausgedehnte Korrespondenz 
zu führen hat. Niemals hat jemand seit seiner Entlassung aus der Anstalt 
Spuren einer geistigen Störung bemerkt; im März 1904 wurde die Entmün¬ 
digung aufgehoben. 

In dem vorliegenden Falle hat der ganze Verlauf der Krankheit 
gezeigt, dass es sich nicht nm Paranoia, sondern nm eine Alkohol¬ 
psychose gebandelt hat; denn nach Angabe des Lehrers hatte er 



Über die Entmündigung in der gerichtsSratlichen Praxis bew&hrt ? 20 


vor seiner Tat einige Monate lang täglich 15—20 Glas Bier und 
oft noch mehr getrunken und an dem kritischen Tage überdies 
noch einen ganz besonderen Trinkexzess sich geleistet. Seine 
Handlung war also auf dem Boden des chronischen Alkoholismus 
und unter dem Einflüsse eines besonders hochgradigen Trink¬ 
exzesses zustande gekommen und zwar vermutlich in einem alko¬ 
holischen Dämmerzustunde oder komplizierten Bauschzustande. 
Nach meiner Ansicht war deshalb die Entmündigung hier nicht 
notwendig, da die Krankheitserscheinungen mit der Alkoholab¬ 
stinenz rasch zurückgingen und es somit nahe lag, an eine heilbare 
Alkoholpsychose zu denken; ausserdem erheischte kein dringliches 
Rechtsgeschäft die Entmündigung. Endlich soll man mit der Ent¬ 
mündigung warten in allen Fällen; in denen man sich noch nicht 
klar über die Diagnose ist und namentlich noch nicht weiss, ob 
man eine heilbare oder unheilbare Psychose vor sich hat. 

Die schonendste Form der staatlichen Fürsorge für einen 
durch geistige Störungen in seiner Geschäftsfähigkeit beeinträch¬ 
tigten Menschen ist wohl die Errichtung einer Pflegschaft, 
welche nach § 1910 des B. G. B. ein nicht unter Vormundschaft 
stehender Volljähriger für seine Person und sein Vermögen erhalten 
kann, wenn er infolge körperlicher Gebrechen, insbesondere weil 
er taub, blind oder stumm ist, seine Angelegenheiten nicht zu 
besorgen vermag, oder infolge geistiger oder körperlicher Ge¬ 
brechen einzelne seiner Angelegenheiten oder einen bestimmten 
Kreis seiner Angelegenheiten, insbesondere seine Vermögensange¬ 
legenheiten nicht zu besorgen vermag. — Eine Pflegschaft 
infolge geistiger Gebrechen tritt also für gewöhnlich nur 
ein bei der Unfähigkeit, einzelne der Angelegenheiten zu be¬ 
sorgen, während bei der Unfähigkeit zur Besorgung aller, die 
Entmündigung wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche 
zu erfolgen hat. In diesem Paragraphen ist auch noch bestimmt, 
dass die Pflegschaft nur eingeleitet werden kann, wenn der geistig 
Gebrechliche seine Einwilligung dazu gibt. Es wird also vom 
geistig Gebrechlichen noch so viel Urteilsfähigkeit vorausgesetzt, 
dass er seine LeistungsUnfähigkeit bestimmten Kreisen seiner 
Angelegenheiten gegenüber einzusehen vermag; es gibt aber auch 
hier eine Ausnahme, nämlich die, dass mit dem unter Pflegschaft 
zu Stellenden eine Verständigung nicht möglich ist. 

Gewöhnlich begegnet man der Auffassung, dass sich die 
„Unmöglichkeit der Verständigung“ lediglich auf körperliche Ge¬ 
brechen, wie z. B. Aphasie, Taubstummheit und dergl. beziehe, 
nicht aber auf geistige Gebrechen. Da aber in dem Pflegschafts¬ 
paragraphen sowohl von körperlichen, als von geistigen Gebrechen 
die Bede ist und nicht besonders hervorgehoben wird, was unter 
„Unmöglichkeit der Verständigung“ zu verstehen ist, so kann 
entschieden auch die Auffassung Platz greifen, dass auch in dem 
Falle von einer Unmöglichkeit der Verständigung gesprochen 
werden kann, wenn der geistig Gebrechliche infolge seiner geistigen 
Gebrechen nicht eiuzusehen vermag, dass er eben zur Besorgung 
einzelner seiner Angelegenheiten nicht fähig ist; diese Auffassnng 



30 Or. Bargl: Wie haben sich die §§ des B. G.-B. u. der Z.-P.-0.-Novelle 


wird als richtig bestätigt durch die gleich nachstehende Ent¬ 
scheidung des Preuss. Eammergerichts vom 4. September 1900 1 ). 
Durch die gleiche Entscheidung wird auch die bisher fast all¬ 
gemein herrschende Auffassung, als wenn ein im medizinisch 
wissenschaftlichen Sinne Geisteskranker niemals mit der Pfleg¬ 
schaft etwas zu tun hätte, sondern für diesen einzig und allein 
die Entmündigung passte, als unrichtig widerlegt. Es heisst in 
dieser Entscheidung: 

„Wenngleich im § 1910 des B. G.-B. die Unfähigkeit einer Person zur 
Besorgung einzelner Angelegenheiten oder eines bestimmten Kreises Ton Ge¬ 
schäften der allgemeinen Unfähigkeit zur Besorgung aller Angelegenheiten 
gegenüber gestellt wird, so rechtfertigt dieses nicht den Schluß, daß eine 
Pflegschaft aus § 1910 nur für geschäftsmäßige Personen eintreten kann, daß 
aber ein nach § 104, Abs. 2 des B. G. B. geschäftsunfähiger Geisteskranker, 
auch wenn die Besorgung nur einer einzigen Angelegenheit seine Vertretung 
erforderlich macht, stets entmündigt und unter Vormundschaft gestellt werden 
muß. Denn nicht wer wegen Geisteskrankheit gesthäftsunfähig, sondern wer 
wegen solcher entmündigt ist, erhält nach § 1896 des B. G. B. einen Vormund; 
auch muß keineswegs in allen Fällen, wo die Voraussetzungen der Entmün¬ 
digung gegeben sind, das Entmündigungsverfahren beantragt werden (§ 6, Abs. 1, 
Nr. 1 des B. G. B., § 645 ff. Z.-P.-O.). Vielfach wird es an einem Bedürfnis 
hierzu fehlen; häufig auch das Unterbleiben der Entmündigung im Interesse 
des Geisteskranken liegen. So lange ein Antrag auf Entmündigung nicht ge¬ 
stellt ist, kann deshalb grundsätzlich nach § 1910, Abs. 2 B. G. B. auch ein 
Geisteskranker zur Besorgung einzelner Angelegenheiten oder eines bestimmten 
Kreises von Geschäften einen Pfleger erhalten und zwar ohne seine Einwilli¬ 
gung, weil eine Verständigung mit ihm nicht möglich ist.* 

Dieser höchst klaren Entscheidung gegenüber können theo¬ 
retische Erwägungen, wie z. B., dass hierdurch die partielle Ver¬ 
rücktheit sanktionirt würde, nicht aufkommen. Es ist ferner zn 
bedenken, dass die beim Entmündigungsverfahren gebrauchten 
Ausdrücke eine rein juristische Bedeutung haben, und wir Aerzte 
den Juristen, welche auch unter Geisteskrankheit und Geistes¬ 
schwäche etwas anderes verstehen als wir, es nicht übel nehmen 
können, wenn sie lediglich aus praktischen Erwägungen und im 
Interesse der Schntzbedürftigen eine partielle Geistesstörung an¬ 
nehmen und diese unter den geistigen Gebrechen rubrizieren. 
Unter „geistigen Gebrechen" im Sinne des Pflegschaftsparagraphen 
werden im allgemeinen zu verstehen sein leichtere Fülle von 
Geisteskrankheit, oder Geisteskrankheit in der Besserung oder auf 
dem Wege zur Genesung oder in länger dauernden lichten Inter¬ 
vallen oder geistige Ausfallserscheinungen, wie sie nach Schlag¬ 
anfällen, HirnsyphUts u. dgl. auftreten. Sicher wird auch bei 
Paranoikern in der Remission oder bei geisteskranken Querulanten, 
bei denen abgesehen von dem Wahne, in einer bestimmten Rich¬ 
tung rechtlich benachteiligt worden zu sein und das Recht nicht 
finden zu können, keinerlei Beeinträchtigung der Geschäftsfähigkeit 
wahrzunehmen ist, von geistigen Gebrechen im juristischen Sinne 
gesprochen werden können und würde durch die Aufstellung eines 
Pflegers für geisteskranke Querulanten — lediglich zur Besorgung 


') Siehe die vom Beichsjastisamt heraasgegebenen Entscheidungen in 
Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit; I. Bd., S. 133. Berlin 1900 
a. 1901. In Kommission bei Pattkammer & Mühlbrecht. 



über die Entmündigung in der gericbts&rztlichen Praxis bewährt? 


81 


einer Angelegenheit vor Gericht — in manchen Fällen vielleicht 
mehr gentttzt werden, als durch den Antrag auf Entmündigung, 
welche häufig sehr schwer zu begründen ist und oft unendlich 
lange hinausgezögert wird durch Anfechtungsklage, Beschwerden 
in allen Instanzen usw. Auf diese Weise könnten vielleicht die 
Gerichte geschützt werden gegen die unerhörten Querelen solcher 
Personen. Freilich würde der Posten eines solchen Pflegers nicht 
sehr gesucht sein und überdies eine Umständlichkeit darin liegen, 
dass mit der Erledigung der Angelegenheit auch die Tätigkeit 
des Pflegers endet und für jede neue Angelegenheit auch eine 
neue Pflegschaft zu bestellen wäre. 

Da die Pflegschaft die schonendste Form der staatlichen 
Fürsorge darstellt, so kann nicht genug empfohlen werden, von 
ihrer Anwendung in geeigneten Fällen möglichst viel Gebrauch 
zu machen. 

Zu 3. Was die Wiederaufhebung der Entmündigung 
betrifft, so wird jeder Arzt, der öfter in Entmündigungssachen als 
Sachverständiger zu tun hat, die Erfahrung machen, dass der An¬ 
trag auf Wiederaufhebung der Entmündigung häufig zu Unrecht 
gestellt wird und zwar entweder viel zu früh nach dem Entmün¬ 
digungsbeschluss zu einer Zeit, wo eine Heilung oder nennenswerte 
Besserung der Natur der Geisteskrankheit nach noch gar nicht 
erwartet werden kann, oder ohne dass überhaupt eine Veränderung 
im Zustande des Entmündigten eingetreten ist. Selbstverständlich 
ist zur Aufhebung der Entmündigung nicht vollständig geistige 
Gesundheit notwendig, deren Begriff bei den einzelnen Autoren 
ein sehr schwankender und deren Nachweis ein zu schwieriger 
wäre, allein es muss der Wegfall der psychopathologisch bedingten 
sozialen Schädigung, die seinerzeit die Entmündigung veranlasst 
hat, nachgswiesen sein oder mit anderen Worten, die Wieder¬ 
erlangung der geistigen Fähigkeiten, deren Vorhandensein der 
Gesetzgeber bei Annahme der Geschäftsfähigkeit vorausgesetzt 
hat. Der Arzt wird berechtigt sein, die Wiederaufhebung der 
Entmündigung zu begutachten, wenn er den Nachweis für erbracht 
hält, dass die Störungen, welche seinerzeit die Geschäftsfähigkeit 
hochgradig beeinträchtigt oder aufgehoben haben, nicht mehr be¬ 
stehen, wenn der Betreffende volle Krankheitseinsicht hat, wenn er 
unumwunden zugiebt, an falschen Vorstellungen, Sinnestäuschungen, 
Einbildungen, an nicht begründeten Stimmungsanomalien u. drgl. 
gelitten zu haben. Wir werden die Aufhebung der Entmündigung 
begutachten, wenn durch glaubwürdige, einsichtsvolle Zeugen 
nachgewiesen ist, dass der Entmündigte längere Zeit hindurch 
seine Geschäfte geschickt und zweckmässig geleitet hat, auch 
unter schwierigen Verhältnissen seinen Verpflichtungen nach¬ 
gekommen ist, seine frühere normale Lebensweise wieder auf¬ 
genommen hat, sich nicht mehr von der Gesellschaft zurück¬ 
zieht usw. 

Beispiele dafür zu bringen, dass der Antrag auf Wiederauf¬ 
hebung der Entmündigung häufig zu früh oder zu Unrecht gestellt 
wird, werden Sie mir erlassen, da jeder von Ihnen aus eigener 



89 Dr. Burgl: Wie haben sich die §§ des B. G.-B. o. der Z.-P.-O.-Norelle 


Erfahrung Aber solche verfügt. Sie werden mir auch beipflichten, 
dass hauptsächlich die Paranoiker und unter diesen die geistes¬ 
kranken Querulanten es sind, welche dem Gerichte und den Sach¬ 
verständigen die grössten Schwierigkeiten bereiten, indem sie nach 
erfolgloser, in allen Instanzen durchgefochtener Anfechtungsklage 
immer wieder den Antrag auf Wiederaufhebung der Entmündigung 
stellen, ohne dass selbstverständlich irgend eine Besserung in 
ihrem Zustande eingetreten ist. Da sie, wohl wissend, worauf es 
ankommt, solche Momente, von denen sie glauben, dass sie als 
pathologisch aufgefasst werden, nicht erwähnen, oder wenn sie 
gezwungen sind, über ihre Wahnvorstellungen und Sinnestäuschungen 
auszusagen, in mehr oder weniger geschickter Weise anders deuten, 
namentlich als Missverständnisse hinstellen, als harmlose Vorkomm¬ 
nisse, oder als vorübergehende Einbildungen oder sogar aueh 
Krankheitseinsicht Vortäuschen und in dissimulierender Weise er¬ 
klären, dass zwar früher Wahnvorstellungen vorhanden waren, 
dass aber diese längst verschwunden seien, so sind die Schwierig¬ 
keiten für den Arzt ziemlich grosse, da er doch weiss, dass die 
chronische Paranoia eine Krankheit von exquisit langsamen Ver¬ 
laufe und eine Heilung äusserst selten ist und deshalb nicht leicht 
an die Aufhebung der Entmündigung herangehen will, während 
der Kranke mit allen Mitteln Beweis für seine wiedererlangte 
Krankheit zu erbringen sucht. — Zur Vermehrung dieser Schwierig¬ 
keiten tragen auch einzelne praktische Aerzte bei, welche sich 
nicht entblöden, ohne jede Anamnese, ohne jede Kenntnis der 
Aktenlage, gewöhnlich auch ohne psychiatrische Kenntnisse ledig¬ 
lich auf die Aussagen des Entmündigten nnd einer flüchtigen 
Unterredung in der Sprechstunde dem Betreffenden ein Zeugnis 
auszustellen, dass er geistig vollständig gesund sei. Glücklicher¬ 
weise wird diesen Zeugnissen, wenigstens nach meiner Erfahrung, 
von den Richtern keinerlei Beachtung geschenkt, und zwar gewiss 
mit Recht. 

Ebensowenig Beachtung verdienen in manchen Fällen die 
von den Kranken beigebrachten Zeugen, welche dartun sollen, 
dass der Entmündigte überhaupt nie krank war, jedenfalls aber 
jetzt vollständig gesund und geschäftsfähig sei. Es werden hier 
oft Leute beigebracht, bei denen es selbst zweifelhaft ist, ob sie 
geistig normal sind, namentlich auch urteilsschwache Leute, denen 
der Entmündigte seine wahnhaften Vorstellungen selbst induziert 
hat, gute Freunde vom Biertische, fanatische Feinde der Aerzte 
usw., die ein gutes Werk zu tun glauben, wenn sie dem Kranken 
möglichst helfen, da sie mit ihrem „ gesunden Menschenverstände* 
den Entmündigungsbeschluss für völlig ungerecht ansehen. So 
wurde beispielshalber als Beweis dafür, dass ein an ausgesprochenem 
chronischen systematisierten Verfolgungswahn leidender und des¬ 
halb entmündigter, seine Familie vollständig vernachlässigender 
und in seinen Vermögens Verhältnissen gänzlich herabgekommener 
Bäckermeister wieder seine Angelegenheiten zu besorgen vermöge, 
die Behauptung aufgestellt, dass er ein sehr gewandter Pferde¬ 
händler sei und zu diesem Geschäfte eine hohe Intelligenz nnd Ge- 



Uber die Entmündigung in der gerichtsärztlichen Praxis bewährt ? 33 


▼&ndheit gehöre, welche niemals ein Geisteskranker besitzen 
kOnne. Die in dieser Richtung gepflogenen Recherchen ergaben, 
dass er lediglich Pferde für den Pferdemetzger ankaufte und sich 
hiedurch so wenig verdiente, dass er ohne Unterstützung seiner 
Freunde gar nicht leben konnte. 

Zn 4. Bei beantragter Wiederanfhebung der Entmündigung 
sind insbesondere die Zeugenaussagen, wenn es sich um Para¬ 
noiker, Trinker und Verschwender handelt, mit äusserster Vorsicht 
auizunehmen, da viele der Zeugen keine Eidesverletzung darin 
erblicken, zu gunsten des Entmündigten sich Uebertreibungen 
aller Art zu Schulden kommen zu lassen und Ungünstiges für ihn 
einfach zu verschweigen, da ferner Laien aus den ungebildeten 
Kreisen selten ein brauchbares Urteil bei zweifelhaften Geistes¬ 
zuständen fertig bringen. 

M. H.! Wenn ich nun auch der Ansicht bin, dass man 
mit grösster Gewissenhaftigkeit, Vorsicht und Rücksicht Vor¬ 
gehen soll, wenn es sich darum handelt, den Nebenmenschen 
in seinem kostbarsten Gute, seiner bürgerlichen Freiheit zu be¬ 
schränken, so will ich damit durchaus nicht sagen, dass man die 
Entmündigung, wenn sie geboten und gerechtfertigt ist, hinaus¬ 
schieben oder unterlassen soll, sondern es ist vielmehr die heilige 
Pflicht des Arztes, in allen Fällen, iu denen eine ausgesprochene, 
wenn auch den Laien noch nicht bemerkbare Geistesstörung die 
Entmündigung für dringend angezeigt erscheinen lässt, die Ange¬ 
hörigen oder sonst zuständigen Personen zu veranlassen, den An¬ 
trag auf Entmündigung sofort zu stellen. 

Im allgemeinen wird aber der Grundsatz richtig sein, in 
strafrechtlichen Fällen den Begriff der Geisteskrankheit möglichst 
weit zu fassen und von dem § 51 des Str.-G.-B. zu gunsten des 
Angeklagten ausgedehntesten Gebrauch zu machen, da man bei 
Begehung strafbarer Handlungen durch Geisteskranke niemals 
eine Beeinflussung durch die Geisteskrankheit ausschliessen kann, 
während der Begriff „Geisteskrankheit“ in Entmündigungsver¬ 
fahren viel enger zu fassen ist und eine staatliche Fürsorge für 
die Besorgung der Angelegenheiten bei einem Geistesgestörten 
nur daun Platz greifen soll, wenn der Nachweis seiner Unfähig¬ 
keit hiezu durch seine bisherige Lebensführung bereits erbracht 
ist oder doch wohlbegründete Befürchtungen in dieser Beziehung 
vorliegen. 

(Lebhafter Beifall.) 

Der Vorsitzende eröffnet über diesen Vortrag die Dis¬ 
kussion. 

H. Oberarzt Dr. Blachian-Werneck: Als Anstaltsarzt, der ich häufig 
in die Lage komme, im Entmündigungsverfahren als Sachverständiger ange¬ 
rufen zu werden bezw. Wahrnehmungen in dieser Richtung zu machen, darf 
ich wohl auch zu der Frage, ob die durch das Bürgerliche Gesetzbuch zur 
Einführung gelangten Neuerungen sich in der Praxis bewährt haben, das Wort 
ergreifen. Ich schicke voraus, daß ich nach dem so erschöpfenden Referate, 
welches wir soeben gehört haben, meine Eindrücke nur im allgemeinen wieder* 
zugeben beabsichtige. Dieselben empfinde ich dahin, daß durch die neuen gesetz¬ 
lichen Bestimmungen der Rechtsschutz des Einzelnen im höheren Maße gewähr- 

8 



34 Dr.) Bargl: Zu den §§ des B. G. B. ti. dei Z.-P.-G. öfter die EntMündlgung. 

leistet wird, als dies früher Vielleicht der Fall war. Während vor dem Jahre 
1900 der Nachweis einer geistigen Erkrankung in der Hauptsache auäreichte, die 
Notwendigkeit einer Entmündigung and die volle Aberkennung der bürgerlichen 
Rechte za begründen, kommt dieser Frage wohl noch eine primäre, aber mehr 
untergeordnete Bedeutung zu. Die Entmündigung ist eben — wenn ich so 
sagen soll — eine zivilrechtliche Operation, zu deren konservativer Aus* 
führung der Richter berufen ist. Derselbe wacht darüber, daß Eingriffe in die 
persönliche Rechtsphäre nur dann und insoweit erfolgen, ab die Betätigung 
bürgerlicher Rechte durch die Gebtesverfassung des zu Entmündigenden ge¬ 
fährdet und beeinträchtigt erscheint. Er wird daher in Wahrung jener Li¬ 
teressen nur die rechtlichen Folgen einer Entmündigung im Auge be¬ 
halten, welche sich wesentlich verschieden gestalten, ob Gebteekrankheit oder 
Geistesschwäche im Sinne des § 6 des B. G. B. vorliegt. 

Auch für den ärztlichen Sachverständigen ergibt sich , die Notwendigkeit, 
bei der Begutachtung nach diesen Gesichtspunkten zu verfahren und die jewei¬ 
ligen Krankheitserscheinungen in Beziehung zu den Angelegenheiten za 
bringen, welche der zu Entmündigende etwa noch zu besorgen vermag. Die 
Aufgabe, welche uns dadurch erwächst, bt — insoweit Entmündigung wegen 
Geistesschwäche in Betracht kommt — eine schwierige, da dem beschränkt 
Geschäftsfähigen immer noch eine gewisse Bewegungsfreiheit, nach Umständen 
sogar die selbständige Ausübung eines Erwerbsgeschäftes zusteht. 

Die gesetzliche Forderung, daß eine die freie Willensbestimmung an¬ 
schließende krankhafte Störung der Gebtestätigkeit nur dann einen Entmün¬ 
digungsgrund bilde, wenn dieselbe ihrer Natur nach nicht eine vorübergehende 
bt, wäre an sich geeignet, manche Härten und Schäden für den Nichtentmün¬ 
digungsfähigen nach sich zu ziehen. Da auch die Möglichkeit, eine Pflegschaft 
im Sinne des § 1910 des B. G. B. gegen einen z. B. periodbch erregten, 
kampfgestimmten Kranken durchzuführen, an dem Widerspruche desselben 
scheitern dürfte, so bliebe der Kranke, welcher im besonderen Maße euer 
gesetzlichen Fürsorge bedarf, derselben unteilhaftig. Dem ist jedoch nicht so. 
In den Auslassungen der Motive zum Bürgerlichen Gesetzbuch wird nämlich 
betont, daß die freien Intervalle einen Ausschließungsgrund für eine Entmün¬ 
digung nicht bilden. 

Wenn ich mir das alles Vorhalte, so kann ich die Bedenken nicht teilen, 
welche ärztlicherseits gern gegen den § 6 des B. G. B. und die gesetzliche 
Unterscheidung in Geisteskrankheit und Gebtesschwäche, sowie gegen die 
Fassung des eben erwähnten § 104 geltend gemacht werden. Vielmär komme 
ich mit dem Referenten dazu, in den neuen gesetzlichen Bestimmungen einen 
wesentlichen Fortschritt gegen früher zu erkennen. 

Nur nach der formalen Seite hin, in der Novelle zur Z.-P.-O., finde ich 
eine Bestimmung, zu der wir uns vom ärztlichen Standpunkte aus ablehnend 
verhalten müssen. Ich meine den § 660, welcher die Zustellung des Entmün¬ 
digungsbeschlusses an den wegen Gebtesschwäche Entmündigten verlangt. 
Da die Entmündigung erst von diesem Momente in Wirksamkeit tritt, so ist 
eine Verzögerung der Zustellung, auch wenn es die Rücksicht auf den Kranken 
noch so dringend erhebchte, nicht angängig. Zu welchen Unzuträglichkeiten dies 
für den Kranken, der aus den Motiven nicht zu selten die dbkretesten Dinge 
erfährt, und für sein Verhältnb insbesondere zum Anstaltsarzte führen kau, 
brauche ich nicht weiter auszuführen. Hier tut Abhilfe not. Am einfachsten 
wäre meines Erachtens eine Regelung in der Webe, daß dem Kranken ent¬ 
weder nur der Tenor des Entmündigungsbeschlusses bekannt gegeben oder 
wenigstens von einer Zustellung Umgang genommen wird, so lange nach ärzt¬ 
lichem Ermessen dieselbe Schaden zu stiften imstande ist — ähnlich wie es 
auch in die Hände des Arztes gelegt bt, gegen eine Vernehmung des zu Ent¬ 
mündigenden sich auszusprechen, wenn sie nicht ohne Nachteil für den Gesund¬ 
heitszustand desselben ausführbar bt. 

Es wird Aufgabe der zunächst interessierten Krebe sein, eine Aenderung 
bezw. Ergänzung dieser reichsgesetzlichen Bestimmung in die Wege zu leiten. 

Nachdem sich weiterhin an der Diskussion die Herren 
Reg.- n. Kreismedizinalrat Dr. B rügloch er-Ansbach, Prof. Dr. 
Stumpf-Würzburg, Bezirksarzt Dr. BHnnsteiner-Karlstädt 


Dr. Stampf: Quantitative Bestimmung der Lnagenlnft bei Neugeborenen uw. 36 


beteiligt hatten, schliesst der Vorsitzende die Diskussion and 
brachte anch diesem Herrn Vortragenden den Dank des Vereines 
zun Ausdruck für die ausführliche Behandlung eines so wichtigen 
Themas ans der amtsärztlichen Praxis. 


IV. Witten Mltfiiioigii über di* giaitltatWi Btsfln- 
nu| d*r L*ig*alaft bti Neugtber****; «lat Erwiitaraag 
dir Laagiasehwinmprab*.^ 

Mit Demonstrationen. 

Der Vortragende, H. Prof. Dr. Stumpf, Landgerichtsarzt 
in Würzburg bemerkt zunächst, wie ihn ein besonders kritisch 
gelagerter Fall von Verdacht auf Eindesmord veranlasst habe, 
sich mit der Frage der quantitativen Bestimmung der im Momente 
der Leichenöffnung vorhandenen Lungenluft der Neugeborenen 
zu befassen und, wie es sich zweifellos empfehle, die mit Becht 
bei der gerichtlichen Leichenöffnung im allgemeinen verlangte 
und geübte Angabe von Zahlenwerten (z. B. bei der Reifebestim¬ 
mung der Neugeborenen) auch auf die Lungenuntersuchung bei 
letzteren auszudehnen. Besonders wertvoll erscheine eine solche 
zahlenmässige und dem Sektionsprotokoll einverleibte Bestimmung 
dann, wenn ein Sachverständiger oder, wie es nicht selten vor¬ 
kommt, ein Medizinalkomitee veranlasst ist, sich ausschliesslich 
aus den Akten über den Fall zu äussern. 

Bezüglich der physikalischen Begründung der Methode ver¬ 
weiset Vortragender auf seine erste Veröffentlichung zu dieser 
Frage in Nr. 11 der Münchener mediz. Wochenschrift 1905.') 
Während er sich früher an die Lungen angehängter kleiner Draht¬ 
körbchen zur Aufnahme der Bleigewichte bediente, hat er nun 
das Verfahren überaus vereinfacht; er empfiehlt, die auf ihren 
Luftgehalt zu untersuchenden Lungen in ein Stückchen Gaze oder 
anderweitigen luftdurchlässigen Stoff (z. B. Taschentuch) einzu- 
binden und die Bleistücke, die man sich vorher in Form eines 
Gewichtssatzes zurechtgewogen hat, zwischen Lunge und Um¬ 
hüllung hineinzuschieben, bis eben die Lunge unterzusinken 
beginnt Diese aus Pflanzenfaser bestehende Umhüllung bleibt 
hierbei ganz ausser Betracht, weil ihr spezifisches Gewicht im 
gut durchfeuchteten Zustand = 1,0 ist. 

Nachdem der Vortragende an verschiedenen Präparaten seine 
Methode gezeigt hat, betont er im Weiteren, dass nach seinen 
neueren Versuchen zwischen Lungengewichte und Lungentrag¬ 
fähigkeit bei manchen gewaltsamen Todesarten gewisse stets 
wieder anzutreffende Wechselbeziehungen bestehen; besonders 
trifft dies für den vollen Verblutungstod zu, wo die Lungentrag- 

') Der Vortrag erscheint später mit den in Meran in der 1. Versamm¬ 
lung der „Deutschen Gesellschaft für gerichtliche Medizin“ gehaltenen Vor¬ 
trägen in der Vierteljahrsschr. f. gerichtl. Medizin u. Sanitätspolizei und wird 
deshalb hier nur auszugsweise wiedergegeben. 

*) Siehe Anmerkung 1 auf Seite 36. 

3* 



36 Dr. Stumpf: Quantitative Bestimmung der Lungenluft bei Neugeborenen usw. 


fähigkeit das Lungengewicht sehr nahe erreicht, je nach der 
mehr oder weniger grossen Vollständigkeit der Verblntnng, nnd 
ferner auch für den Ertränkungstod, wo die Lungentragfähigkeit 
stets beträchtlich grösser als das Lungengewicht angetroffen 
wird. Die gleichen Verhältnisse wie beim Ertränkungstod trifft 
man natürlich überhaupt beim Tod durch Aspiration nicht gas¬ 
förmiger beweglicher Massen, wie z. B. bei Einatmung von 
Blut, Erbrochenem oder staubförmigen Massen, wie Mehl usw. 

Er ersucht schliesslich, diese berührten Untersuchungsergeb¬ 
nisse weiter zu prüfen, denselben aber vorläufig keinerlei aus¬ 
schlaggebende Bedeutng für die gerichtsärztliche Diagnose bei¬ 
zumessen, sondern sie zunächst nur als interessante, den ander¬ 
weitig festgesteUten Sachverhalt in zutreffender Weise illustrierende 
Momente »ufznfassen. (Lebhriter ReiM1) 


Diskussion: 

Landgerichtsarzt Dr. Burgl-Nürnberg ffthrte aus, daß er seit Bekannt¬ 
machung der Stumpf sehen Methode bis Mai d. J. & gerichtliche Sektionen 
an Leichen Neugeborener vorgenommen und darunter dreimal die Methode 
nach Vorschrift angewendet habe. Er sei aber zu keinem so prompten Be- 
sultate gekommen, wie es nach den vier von Prof. Dr. Stumpf in Nr. 11 der 
Münchener med. Wochenschrift aufgestellten Thesen 1 ) zu vermuten gewesen 
wäre und glaube, daß dieselben, wenn auch auf richtigen theoretischen Er¬ 
wägungen beruhend, doch mehr auf glatte, einfache Fälle paßten, bei denen 
eine einzige, nicht kombinierte Todesursache vorläge, während das Resultat 
unsicherer und unzuverlässiger würde, wenn es sich um eine komplizierte 
Todesart und überhaupt um komplizierte Verhältnisse beim Tode bandele, was 
bei Neugeborenen sehr häufig zutreffe. Nach seiner Ansicht ließe die 
Stumpf sehe Methode dann im Stiche, wenn das normale spezifische Gewicht 
der Lungen durch irgend welche Umstände verändert würde, sei es nun durch 
entzündliche Vorgänge, vermehrten Blutgehalt, Fremdkörper, wie z. B. Schleim, 
aspirierte Fäkalmassen u. drgl. Letzteres komme in sehr vielen Fällen vor, 
da ein sehr großer Prozentsatz getöteter Neugeborener aus Abortgruben her¬ 
ausgefischt würde und häufig lebend hineingelangt sei. Auch bei den 
& genannten Fällen hätte es sich um mehr oder weniger komplizierte Fälle 
gehandelt. Er glaube deshalb, daß die Stumpf sehen Thesen in ihrer Ver¬ 
allgemeinerung doch etwas zu weit gingen und der Vortragende von selbst 
dazu kommen werde, sie nach Anstellung weiterer Versuche nach dieser 
oder jener Richtung zu modifizieren, was er auch bereits angedeutet habe. 
Vor der Hand könne die Stumpfsche Methode am Sektionstische nur in 
unkomplizierten Fällen als verlässig angesehen werden. 

Prof. Dr. Stumpf: Aus den Bemerkungen des geehrten Herrn Kollegen 
Burgl muß ich zu meinem Bedauern entnehmen, daß er meine Ausführungen 
in meiner ersten Abhandlung insofern mißverstanden hat, als er diese eigen¬ 
artige Wechselbeziehung zwischen Lungengewicht und Lungentragfähigkeit 
auch beim Erstickungstod solcher Neugeborenen für gegeben erachtet, bei 
denen es noch nicht zu einer vollen Lungenentfaltung gekommen war. Dies 
geht natürlich nicht an; denn die Verwertung der beiden Faktoren: Lungen- 
gewicht und Lungentragfähigkeit oder Lungenluftgehalt setzt eine voraus- 
gegangene volle Lungenentfaltung voraus. Daß meine „Thesen“, wenn man 
so sprechen will, nur für unkomplizierte Fälle als verlässig anzusehen sind, 
gebe ich Kollegen Burgl durchaus zu und bin ihm sehr dankbar, daß er 
diesen Punkt in der Diskussion berührt hat. 

Nachdem der Vorsitzende Herrn Prof. Dr. Stampf im 
Namen der Versammlung den Dank für seinen hochinteressanten 

*) Siehe das Referat darüber in Nr. 8 der Zeitschrift für Medizinal¬ 
beamte, S. 258, in dem diese Thesen wörtlich mitgeteilt sind. 



Dr. Weygandt: Die geistige Minderwertigkeit im schulpflichtigen Alter. 37 


Vortrag ausgesprochen hat, wird znm nächsten Gegenstand der 
Tagesordnung ttbergegangen. 


V. Dia geistige Miederwertigkeit Im schulpflichtige! Alter. 

H. Prof. Dr. phil. et med. Weygandt-Würzburg: M. H.! Es 
handelt sich um ein durchaus aktuelles Thema, dessen Bearbeitung im 
Laufe der letzten Jahre so angeschwollen ist, dass ich mir bei der 
Gesamtübersicht, die ich Ihnen heute auf Anregung von seiten unseres 
Vorstandes zu bieten versuche, hinsichtlich des Umfangs von vorn¬ 
herein Schranken auferlegen muss. Viele Gruppen von Aerzten 
sind besonders intensiv interessiert an diesen Fragen, nicht nur 
die Psychiater, Neurologen und Kinderärzte, sondern es fangen 
neuerdings z. B. auch die Militärärzte an, ihr Augenmerk auf die 
geistig Minderwertigen zu lenken, um womöglich von vornherein 
die psychisch Defekten als ein zum Militärdienst nicht volltaug¬ 
liches Menschenmaterial völlig auszurangieren. Den Amtsarzt 
berühren diese Fragen nun schon ganz besonders wegen der schul¬ 
ärztlichen Verpflichtungen. Ich werde mich bemühen, im folgenden 
vor allem das, was für den beamteten Arzt von praktischem Inter¬ 
esse sein wird, besonders hervorzuheben. Wenn ich über die 
Grundlagen geistiger Minderwertigkeit spreche, kann ich daher 
auch schon gleich verzichten, die tiefsten Stufen kindlicher De¬ 
fektzustände zu schildern, die schon in frühen Jahren zum Tode 
führen, wie etwa die Sachssche amaurotische familiäre Idiotie 
oder die Fälle mit tuberöser hypertrophischer Hirnsklerose nach 
Bourneville, ja ich brauche überhaupt nicht einzugehen auf 
die allerschwersten, wenn auch nicht letalen Fälle, die von vorn¬ 
herein wegen ihrer völligen Bildungsunfähigkeit ausgeschlossen 
sind. Es soll sich heute mehr um die Stufe der Imbezillen, dann 
um die mit Becht als leichteste Form angeborenen oder früh er¬ 
worbenen Schwachsinns noch besonders bezeichneten Debilen und 
schliesslich auch um Fälle früh einsetzender Psychosen, schwerer 
Neurosen, sowie der Fälle von Minderwertigkeit ohne Schwachsinn 
m Sinne eines Intelligenzdefektes handeln. 

Der Stoff wird sich folgendermassen gliedern: 

1. Grundlagen der geistigen Minderwertigkeit im schul¬ 
pflichtigen Alter; 

2. Untersuchungsmethoden; 

3. Organisation der ärztlichen Tätigkeit diesen Fällen 
gegenüber. 

I. Die Grundlagen der geistigen Minderwertig¬ 
keit im schulpflichtigen Alter. 

Wenn wir auch jene erwähnten letalen Fälle kindlichen 
Schwachsinns ausschliessen, so müssen wir doch die übrigen Fälle 
wenigstens bei der Frage nach den Grundlagen berücksichtigen. 
Es ist zu gestehen, dass gerade die tiefstehenden Fälle eher zu 
deuten sind, und dass sich von ihnen aus daher vielfach ein Ver- 



38 


Dr. Weygaadt. 


ständnis für leichtere Schwachsinnsformen ergibt. Dm, tu bei 
einer grösseren Gruppe geistig minderwertiger Kinder zunächst 
in die Augen springt, sind die graduellen Abstufungen des De¬ 
fektes. Der Arzt hingegen soll darüber hinaus auch die patho¬ 
logischen Grundlagen festzustellen suchen, schon weil sich von 
ihnen aus doch öfter Ausblicke auf die Prognose und auch auf 
die Therapie ergeben. Da müssen wir nun beachten, dass ein 
und dieselbe Ursache mit ganz verschiedener Intensität wirk« 
und somit auch ganz verschiedene Grade von Defekten hervor¬ 
bringen kann. Viele Fälle von leichterer Minderwertigkeit sind 
sozusagen die formes frnstes der schwereren Idiotieformea. Ein 
Beispiel bietet die Hydrozephalie, die bei stärkster AnbiMuag, 
so in Fällen von 80 oder 100 cm Schädelumf&ng letal zu nein 
pflegt, bei etwa 70 cm gewöhnlich schwer« Blödsinn vermacht, 
während Kinder mit 60 cm Schädelumfang vielfach noch recht 
wohl arbeitsfähig, wenn auch minderwertig sind; bei noch leich¬ 
terer Ausbildung des Wasserkopfes, etwa 50 bis 55 cm Umfang d« 
kindlichen Schädels, kann sich eine ganz normale geistige Entwicke¬ 
lung finden, hat man doch bekanntlich auch bei genialen Männern, 
wie Helm holt z und Menzel, Spuren eines hydrozephalen Hhw- 
nnd Schädelbaues feststellen können. 

Encephalitis, die im frühesten Kindesalter einsetste, 
bietet in ausgeprägten Fällen zeitlebens das typische Bild der 
spastischen Lähmung, meist halbseitig, dabei die Neigung zu epi¬ 
leptischen Krämpfen nnd dazu Schwachsinn. Abweichungen und 
unentwickelte Formen sind nun aber doch recht häufig. Di manchen 
Fällen fehlt die Epilepsie; oftmals ist der Schwachsinn nur g ering, 
ja selbst geistig hochstehende Menschen können die spastischen 
Folgeerscheinungen eines alten enzephalitischen Prozesses dar¬ 
bieten. Wurde doch kürzlich ein in Wertbeim verstorbenes Mäd¬ 
chen beschrieben, das eine spastische Lähmung aller vier Extre¬ 
mitäten hatte, dabei aber so intelligent war, dass es lernte, seine 
Zunge bei vielen Verrichtungen als Ersatz für die Hände « 
gebrauchen. 

Unter Porenzephalie versteht man die Fälle, in den« 
die Sektion einen Defekt, einen Porus in der Hirmnasee ergibt. 
Gewöhnlich handelt es sich auch um die Folge eines längst ab¬ 
gelaufenen entzündlichen Prozesses so eingehender Art, dass dM 
betroffene Gewebe zu einem grossen Teil resorbiert worden ist 
Beim Sitz des Defekts in den motorischen Windungen kann die 
Intelligenz ziemlich gut erhalten sein. 

Die früher als ein einheitliches Leiden aufgefasste Mikro¬ 
zephalie Btellt oft genug nur eine Form von Encephalitis mit 
sklerotischen Veränderungen und Schrumpfnng grosser Rinden¬ 
partien dar, in anderen Fällen hingegen beruht sie anf Bildungs- 
hemmung ohne entzündliche Grundlage, tritt dann nicht selten 
familiär anf und zeigt öfter auch schwere Degenerationsseiahea, 
wie etwa Polydaktylie. 

In Deutschland noch wenig bekannt ist der mongoloide 
Typus: Es handelt sich um Kinder, die zunächst durch ihre 



Die geistige Minderwertigkeit im schulpflichtigen Alter. 39 

Physiognomie an die mongolische Besaß erinnern, federn sie vor- 
sprfegende Jochbeine, etwas platte Nasen mit breiter Nasenwurzel 
und schräg gestellte Augenöffnongsn haben. Die verhältnismässig 
starke Entwickelung des Bindegewebes der Angenlider hat das 
geschlitzte Aassehen der Augen zur Folge, nicht selten ist sogar 
die Epikanthusfalte deutlich ausgeprägt. Die Pnpillardistanz ist 
aber auch vielfach weiter als in der Norm. Neben diesen phy- 
siogaomischen Eigentümlichkeiten zeichnen solche Finder sich ans 
dnreh auffallend weiche Gelenke, durch eine rissige Zunge mit 
dicken Papillen, durch plumpe Hände, vielfach mit seitlich einwärts 
gekrümmten kleinen Fingen. Zwergwuchs ist angedeutet. Der 
Charakter ist freundlich, harmlos, heiter. Vielfache Degenerations- 
zeicben, dann die Tatsache, dass es öfter Finder eines alten 
Eltempa&res oder die letzten Finder in einer grossen Geschwister¬ 
reihe sind, sowie der mehrfach erhobene Befund eines Hirns von 
einfachem Windungstypus sprechen dafür, dass es sich um eine 
Büdungshemmang handelt. Solche mongoloide Schwachsinnige sind 
gewöhnlich körperlich recht hinfällig, vor allem fallen sie vielfach 
der Tuberkulose zum Opfer. 

In S&ddeutschland spielt dm* Fretinismus immer noch 
eine Bolle, jene eigentümliche Form des Schwachsinns, die auf eine 
Funktionsstörung der Schilddrüse zurückweist und gepaart ist mit 
verlangsamter Skelettentwickelung, die oft ausgeprägten Zwerg¬ 
wuchs bedingt, sowie mit einer Hautentartung, vielfach mit einer 
deutlichen Myxödembildung. Der Schwachsinn ist ungemein torpid. 
Auch in schulärztlicher Hinsicht ist auf diese Affektion Bücksicht 
zu nehmen, nicht so sehr wegen der ausgeprägten Fälle, als viel¬ 
mehr wegen der häufig vorkommenden abortiven Fälle, in denen 
lediglich ein geringes Zurückbleiben der Skelettbildung und auf¬ 
fallend welke, trockene Haut mit geistiger Trägheit verbunden 
ist; daneben zeigt sich häufig Schwerhörigkeit. Wenn auch im 
ganzen ein Bückgang dieser Affektion zu verzeichnen ist, so 
kommt doch zweifellos noch eine beträchtliche Beihe von Fällen 
in Bayern vor, im Freise Unterfranken, im westlichen Mittel¬ 
franken, im Freise Schwaben, sowie in Oberbayern. Aach in aus¬ 
geprägten Fällen empfiehlt sich immer ein Versnch mit der 
Darreichung von Schilddrüsensubstanz, die bei genügender Beauf¬ 
sichtigung der Herztätigkeit unbedenklich ist and doch häufig 
genug Besserung hervorruft, vor allem hinsichtlich des Myxödems, 
dann auch eine Förderung des Wachstums und schliesslich sogar 
reine Hebung der geistigen Frische. 

Die Heilwirkungen der Sohilddrüsenbehandlung sind noch 
günstiger bei den Fällen des sporadischen Myxödems. 

Die epileptischen Kinder verdienen.eine ganz besondere 
Beachtung hinsichtlich ihrer Versorgung; anf diese Frage, vor 
.allem anf die Stellungnahme gegenüber den Anfällen während des 
Schulunterrichts, kommen wir später poch zurück. Hier sei nur 
hervorgehoben, dass die gennine Epilepsie ungemein häufig ein 
Zurückbleiben der .geistigen .Entwickelung bedingt, .so dass von 
den erwachsenen Epileptikern nicht einmal die Hälfte mehr pls 



40 


Dr. Weygandt. 


geistig vollwertig betrachtet werden kann. Aber auch die ver¬ 
schiedensten Idiotie bedingenden Hirnaffektionen pflegen oft genug 
sekundäre Reizerscheinungen in Gestalt epileptischer Krämpfe und 
anderer Insulte zu zeigen, schätzungsweise in */ 5 aller Fälle 
schwerer Idiotie, sowohl bei Encephalitis und Porenzephalie, wie 
auch bei Hydrozephalie usw., recht selten dagegen bei Mongolismus 
und Kretinismus. 

Klinisch unterscheiden sich die Attacken dieser symptomati¬ 
schen Epilepsie nicht wesentlich von denen der genuinen; es handelt 
sich neben den klassischen Krämpfen um petit mal, abortive 
krankhafte Zuckungen einzelner Glieder, Verstimmungen, manchmal 
Wandertrieb, vielfach Bettnässen; dabei pflegt sich auch im 
Kindesalter der epileptische Charakter mit Egoismus, Pedanterie, 
Frömmelei, Fleiss usw. auszubilden, während Dämmerzustände in 
diesen Jahren selten sind. 

Ein grosser Teil kindlicher Störungen, die den Eltern und 
Lehrern Kopfzerbrechen, den Aerzten viel Schwierigkeiten ver¬ 
ursachen, erwächst auf dem Boden einer früh entwickelten 
Hysterie. Wohl kommen schon in den Kinderjahren ausgeprägte 
epileptische Krämpfe vor, heftige Attacken selbst mit Bewusst¬ 
losigkeit, aus der aber gewöhnlich das Kind zu erwecken ist. 
Neben diesen Paroxysmen, neben den Ohnmächten, dann den 
Lähmungen und Kontrakturen sind aber gerade die leichteren 
Fälle oft besonders schwer der Beurteilung und Behandlung zu¬ 
gänglich. Vielfach ist das Leiden bloss monosymptomatisch aus¬ 
gebildet. Die Stigmata sind gewöhnlich nur mangelhaft vertreten. 
Dagegen ist das labile psychische Verhalten oftmals recht störend; 
Zornanfälle, rasch verfliegende Verstimmungen, vor allem eine 
Ausprägung dös hysterischen Charakters kommen gerade bei 
Kindern nicht selten vor; sie drängen sich flberall mehr vor, 
wollen die erste Rolle spielen, ohne sich dabei irgend anzustrengen, 
sind übertrieben missmutig, wenn ihre affektierten Ansprüche ab¬ 
gewiesen werden, kokettieren, kommen bald auf dieses, bald auf 
jenes, kurzum, das Proteusartige, Launenhafte, Selbstgefällige des 
hysterischen Charakters springt oft früh schon in die Augen, wird 
aber nicht selten von der Umgebung völlig verkannt. 

Hinsichtlich der Uebertragung psychischer Störungen 
handelt es sich im Kindesalter meist ausschliesslich um Hysterie, 
so zwar, dass der Ausgang freilich von einer andersartig erkrankten 
Persönlichkeit herrühren kann, aber die induzierten Kinder eben 
auf Grund einer hysterischen Anlage die auffallenden Erscheinungen 
nachmachen. Krämpfe, Kontrakturen, namentlich Zuckungen, ab¬ 
sonderliche Bewegungen der Extremitäten, der Atemmuskulatur usw., 
Zittern, Schluchzen usw. kommt in Frage. Internate, besonders 
Waisenhäuser, Klöster, dann Schulen, oder auch gemeinschaftliche 
Arbeitsräume, geben das geeignete Milieu ab; betroffen werden 
fast ausschliesslich Mädchen. Keineswegs sind alle Insassen ge¬ 
wöhnlich befallen, auch erkranken die einzelnen Patienten vielfach 
erst nach und nach. Allerdings können hysterische Attacken einer 
Mitinsassin des Internats usw. den Anstoss geben, manchmal aber 



Die geiitige Minderwertigkeit im schulpflichtigen Alter. 41 

auch epileptische Insulte oder die inkoordinierten Bewegungen 
einer Chorea minor. 

Man spricht wohl auch von epidemischer Chorea minor, 
doch handelt es sich dabei gewöhnlich um choreiforme Zuckungen 
auf hysterischer Basis, jedoch ausgelOst von einem echten Fall 
von Chorea minor. Diese Affektion selbst jedoch ist als ein in¬ 
fektiöses Nervenleiden zu betrachten, wobei zu betonen ist, 
dass in vereinzelten Fällen sehr wohl mehrere Kinder gleichzeitig 
von der Infektion einer Chorea minor betroffen sein können. Auch 
der Schularzt sollte besonders auf die Chorea minor Rücksicht 
nehmen, einmal weil eben hysterische Mädchen leicht die Zuckungen 
nachahmen können, dann aber auch weil das choreatische Kind 
selbst der vollständigen Bettruhe bedarf und möglichst frühzeitig 
den Schulbesuch einstellen muss, während man leider oft genug noch 
choreatische Kinder trifft, die wochenlang zum Schulbesuch ge¬ 
nötigt und womöglich wegen ihres unruhigen Verhaltens gestraft 
worden waren. Zu beachten ist aber auch, dass die Psyche des 
choreatischen Kindes durchweg in Mitleidenschaft gezogen ist, 
insofern es missmutig, reizbar, weinerlich erscheint und sich 
psychischen Einflüssen gegenüber besonders empfindlich zeigt. 

Die Neurasthenie der Kinder beruht gewöhnlich auf 
konstitutioneller Basis. Unbeständigkeit in den Leistungen, 
hochgradige Ermüdbarkeit, dann aber auch Tics aller Art, Erröten, 
Erblassen, Urticaria, Herzklopfen, Erbrechen können sich ein¬ 
stellen. Selbst ausgeprägte Zwangsvorstellungen sind nicht selten, 
Phobien aller Art, Idiosynkrasien, krankhafte Skrupulosität. Ein 
neurasthenischer Junge legte jahrelang Wert darauf, beim Ab¬ 
schied vor allem mit der rechten Hand die letzte Berührung zu 
vollziehen, mit dem Hintergedanken, dass diese Glück, die linke 
dagegen Unglück bringe; diese Neigung artete soweit aus, dass 
er beim jedesmaligen Verlassen der Wohnung auch allerhand 
Gegenstände, Schränke, Türdrücker, Schlüssel usw. noch einmal 
mit der rechten Hand antasste. In der Pubertät verschwand diese 
Störung, wie überhaupt die Prognose der kindlichen Neurasthenie 
im ganzen günstiger als bei den Erwachsenen ist, deren Zwangs¬ 
zustände oft jeder Behandlung trotzen. 

Neurasthenische Erschöpfung lediglich auf Grund 
von Ueberanstrengung, wie wir es bei Erwachsenen nicht selten 
treffen, etwa im Examen oder bei verantwortungsvollen, schweren 
Berufen, ist im Kindesalter nicht so häufig, als man es angesichts 
der lauten Klagen über die Ueberbürdung der Schüler erwarten 
sollte. Bei Volksschulen spielt die Ueberbürdung jedenfalls eine 
verschwindende Rolle. Wichtig ist sie nur insofern, als eben 
manche Kinder von Geburt auf pathologisch ermüdbar sind und 
dazu auch infolge unzureichender Ernährung, ungenügenden 
Schlafes, mangelhafter Wohnungsbygiene, hochgradiger Blutarmut, 
auch wohl körperlicher Leiden, Tuberkulose, ferner Onanie usw. 
auf jede geistige und körperliche Anstrengung mit hochgradiger 
Abspannung reagieren. 

Neben den als konstitutionell-neurasthenisch anzusehenden 



42 


Dr. WeygMÜt. 


Kindern treffen wir eine ganze Reihe leichter AtowrmilAten, die 
eher als psychasthenisch, als minderwertig veranlagt 
hinsichtlich ihrer rein psychischen .Eigenschaften betrachtet 
werden müssen. Absehen können wir hier von den lediglich 
intellektuell Minder wertigen, die ja bei leichter Ausprägung 
dieses Defektes in erster Linie die Gruppe der Debilen bilden. 

Gerade die Entwickelung der Gefühls» und WilLenssphäre 
pflegt bei manchen Sondern, die eine hinreichende Ausbildung 
ihrer Intelligenz zeigen, nicht selten derart alteriert zu sein, dass 
ihr Verhalten nnd der ganze Gang der Erziehung dadurch schwer 
gestört werden. Bei einer Gruppe pflegen die Gefühlstöne, die 
normalerweise jede Empfindung begleiten, ausserordentlich schwach 
entwickelt zu sein; vor allem wenn es sich nicht um Wahr¬ 
nehmungen, sondern um blosse ErinueruEgsvorsteU ungen handelt, 
dann bleibt eine lebhafte Gefühlsre&ktion aus. Solche Kinder 
sind den normalen Beschäftigungen ihrer Altersgenossen gegenüber 
teilnahmslos, das Spiel macht anf sie wenig Eindruck; noch 
s chlim mer steht es hinsichtlich unlustiger Gefühlstöne, gleichgültig 
bleiben sie gegenüber der Strafe; ohne eine Spur von Trauer m 
empfinden verhalten sie sich beim Tode von Vater oder Matter; 
altruistisches Gefühl ist vollständig ausgeschlossen; Schadenfreude, 
Tierquälerei, Zerstörungslust, kleine Diebstähle usw. sind zu ver¬ 
zeichnen; Reue, Scham, Dankbarkeit, Sorgen u. a. worden ver¬ 
misst. Aus dieser Gruppe werden die Rekruten ausgehoben für 
die Armee der Rechtsbrecher, auf dieser Basis entwickeln sich 
die moralisch Defekten, die Gewohnheitsverbrecher. Die Absonde¬ 
rung dieser Fälle zu einer besonderen Gruppe, der sogenannten 
Moral insanity, empfiehlt sich nicht, da 

1. der Defekt nicht nur die komplizierten moralischen De¬ 
fekte betrifft, sondern weit fundamentaler ist, indem meist sehen 
die elementaren Gefühlstöne abnorm ausgebildet sind, and 

2. sich oft neben den Defekten im Bereich der Gefühls- 
Sphäre doch auch noch Intelligenzdefekte erkennen lassen. 

Bei anderen Kindern wieder fehlt es an einer gewissen 
psychischen Aktivität, sie lernen wohl ihr Pensum mit leidlich 
guter Auffassung, aber ohne besonderen Eifer, dagegen zeigen me 
eine lebhafte Betätigung der Gefühlssphäre. Jeder kleine Ein¬ 
druck veranlasst stürmische GefÜhlsausbrttehe, manche Rose 
können Stimmungsschwankungen hervorrufen. Die Kinder sind 
von früh anf reizbar, bald weinerlich, bald übersohäomend lustig, 
schwärmerisch, enthusiastisch, zu Träumereien und Phantastereien 
veranlagt, aber ohne hinreichende Befähigung für nutzbare, gleich- 
mä8sige Tätigkeit. Auch diese Haltlosen, diese Dögönärös sn- 
pörieurs können durch ihre Gutmütigkeit leicht in Konflikt mit 
Ordnung und Gesetz kommen; einesteils vernachlässigen sie Pflicht 
und Aufgaben, andernteils fallen sie auch den geriebenen, skrupel¬ 
losen Moralischdefekten leicht znm Opfer. 

Nicht gerade allzu häufig, aber doch immerhin neckt be¬ 
achtenswert sind die Fälle, die wir als Frühform von klini- 
sehen Psychosen anzusehen haben- Bei manchen unserer er- 



Die geistige Minderwertigkeit im schulpflichtigen Alter. 43 

wohaeiea Geisteskranken neidet die Anamnese, dass der betr. 
Mentet in früher Jagend aufgefallen sei. So findet man bei den 
Hebephrenen wohl manche, die früher nie Mneterechfiler galten, 
Andere aber nach, die zeitlebens absonderlich, träge, querköpfig 
gewesen sind. Zn beachten ist jedoch auch, dass die Hebephrenfe 
selbst hier and da bereits za Beginn, ja selbst im Vorstadium der 
Pubertät einsetzt und deshalb sogar schon Schulkinder von ihr 
betroffen werden k&nnen. Gerade in den Füllen von Kindern, die 
nach ordentlich verlebten ersten Schuljahren dann, etwa mit 12 
oder 15 Jahren, za versagen aaiangen, keinen Fiter mehr zeigen, 
heiteren and ernsten Eindrücken gegenüber gleichgültig bleiben, 
weU ihr früheres Pensum noch besitzen, aber nicht viel Neues 
dazu lernen, sollte immer an Hebephrenie gedacht werden. Eben 
diese Ferm der Dementia praecox tritt am frühesten auf und ver¬ 
läuft vielfach verhältnismässig am ruhigsten, doch kann der geübte 
üntersneher sehr wohl euch dabei meist schon manche Eigen¬ 
schaften dieser Gruppe psychischer Störungen konstatieren, An¬ 
dentang von Negativismus, von Befehlsaatamnüe, Absonderlich¬ 
keiten und Manieren nsw.; Öfter lässt die Krankheit geradezu 
eine Grimasse der Flegeljahre erkenne«. 

Beim manisch-depressiven oder periodischen Irre¬ 
sein handelt es sich manchmal um Patienten, die schon in der 
Jagend entfielen durch teils besonders lebhaftes, heiteres, viel- 
geschäftiges 'Wesen, teils auch durch ernsten, bedächtigen Cha¬ 
rakter. Die Tochter einer periodisch vom psychomotorischer 
Bmmaag and Abspannung, sowie von Verstimmungen betroffenen 
Frau üel schon mit 12 bis 13 Jahren auf durch etwas exaltiertes 
Wesen und eine Neigung zum Briefsehreiben und Verseschmieden, 
bis sie mit ld—17 Jahren in anstaltsbedürftiger Weise erkrankte. 
Hier und da neigt rieh schon bei den Anwärtern des manisch- 
depreeniwen Irreseins in der Kindheit ein förmlicher Zirkel von 
ernsten und von heiteren Verstimmungen. Gerade die hereditären 
Beziehungen .erlauben manchmal in der Familie eines exquisit 
manisch- depressiven Patienten auch das auffallende Gebühren 
•eines ßohnlkmdes als den Ausdruck -einer ähnlichen psychopathi¬ 
schen Veranlagung aufzufasssen. 

.Auch bei Fällen von sogenannter originärer Paranoia 
hat man schon in früher Jagend ein merkwürdiges Verhaften mit 
jühmBgieloeigkrit, Reizbarkeit, vielfach Verstimmungen nsw. be- 
adunehen. 

Nicht näher einzugehen brauche ich daran!, dass ein Teil 
(dm geistigen Minderwertigkeit im Kindesalter auch toxisch be¬ 
dingt .ist In überwiegendem Masse spielt hier der Aljkohol 
seine unheimliche Bolle. Einmal durch die Disposition zu allerlei 
iKnmkhexten >und Defekten körperlicher and geistiger Art, die 
rtinwtasüahtige lEltern ihren Kindern mit auf den Lebensweg geben, 
dann aber auch durch die soviel verbreitete, heillose Unsitte der 
Verabreichung geistiger Getränke an Kinder, diesem absolut ver¬ 
werflichen Missbrauch, dem leider manche Aerzte in Form von 
•äiHMivaixinhiiing Vorschub feisten. Nicht allzu selten werden 



44 


Dr. Weygandt. 


Fälle von Leberzirrhose im Kindesalter, ja sogar von Delirium 
tremens beobachtet, aber die Zahl der in mässigem Grade durch 
den Alkohol geistig reduzierten Kinder ist geradezu Legion. 

Unter den im Gefolge körperlicher Leiden sekundär 
auftretenden Zuständen geistiger Minderwertigkeit sind ferner die 
Fälle zu betonen, die auf Grund von schwerer Tuberkulose, an¬ 
geborener Lues, ferner auch bei angeborenen Mängeln des Zirku¬ 
lationsapparates, besonders Pulmonalfehlern, Schädigungen ihrer 
normalen Entwickelung auf weisen, Zurückbleiben in geistiger Hin¬ 
sicht wie auch infantilen Körperhabitus. Dass auch Malaria solche 
Folgen haben kann, ist für uns von geringem praktischen Inter¬ 
esse. Diese sekundären Minderwertigkeitszustände sind gelegent¬ 
lich als Type Lorain beschrieben worden. 

Besonderes Augenmerk ist noch darauf zu richten, dass 
manchmal einzelne Defektsymptome ziemlich isoliert aoftreten, 
so Sprachmangel verschiedener Art bei sonst ansgezeichneter 
körperlicher und geistiger Entwickelung, oder auch etwa erotische 
Episoden im Kindesalter, die freilich manchmal zu abundanter 
Masturbation führen können* 

Die Prognose auch anscheinend bedenklicher geistiger Ab¬ 
normität braucht nicht in allen Fällen direkt als schlecht hin- 
gestellt zu werden. Ja, es ist zu gestehen, dass manche Züge, 
die zunächst als krankhaft auffallen könnten, doch schliesslich nor 
vorübergehende Erscheinungen im Laufe der kindlichen Entwicke¬ 
lung darstellen. So haben vielfach ganz normale Kinder eine 
Periode mit Neigung zw Lügerei, ja zu kleinen Diebstählen 
durchzumachen, ohne dass deshalb sogleich ein bleibender morali¬ 
scher Defekt angenommen werden müsste. 

Diese Gesamtübersicht über die Fülle von Möglichkeiten, in 
denen sich geistige Minderwertigkeit des Kindesalters ausdrückt, 
war unerlässlich, damit von vornherein gewisse Ziele feststehen, 
nach denen die Untersuchung des einzelnen Falles hinsteuern 
kann. Gerade die zahlreichen weniger ausgeprägten Fälle leich¬ 
teren Defektes sind am ehesten zu verstehen, wenn man sich 
darüber im klaren ist, welches die typischen Formen der Minder¬ 
wertigkeit im Kindesalter sein können. 

Vortragender demonstriert bei dieser Gelegenheit den Fall 
eines Knaben, der in der Schule Schwierigkeit hat, mitzukommen, 
der laut Anamnese epileptiforme Anfälle haben soll und dessen 
Befund ganz leichte spastische Zustände der linksseitigen Extre¬ 
mitäten erkennen lässt. Es handelt sich zweifellos um die Resi¬ 
duen einer Encephalitis im Kindesalter; Uebungstherapie der 
betreffenden Extremitäten, sowie leichte, aber länger fortgesetzte 
Brombehandlung lassen Besserung erwarten. 

Ein Mädchen zeigt durch plumpe Nase, Epicanthns, weiche 
Gelenke und geringe geistige Schwäche ruhigen Charakters den 
leicht ausgeprägten Typus des mongoloiden Schwachsinns. Am 
wichtigsten ist hier Hebung des Allgemeinbefindens, woraufhin 
sich schon eine grössere geistige Regsamkeit erkennen lässt 

Gerade Fälle wie diese beiden zeigen die Unerlässlichkeit 



Die geistige Minderwertigkeit im schulpflichtigen Alter. 


46 


einer eingehenden Untersuchung des ganzen Organismus; auf 
Grund deren lässt sich oft auch die Basis des psychischen De¬ 
fektes feststellen, woraus sich für die weitere Behandlung ent¬ 
sprechende Gesichtspunkte ergeben. 

2. Untersuchungsmethoden bei geistiger Minder¬ 
wertigkeit im schulpflichtigen Alter. 

Wie bei allen psychischen Affektionen verlangt auch hier 
die Anamnese einer besonderen Gründlichkeit und zugleich Kritik. 
Etwaige Fälle von anormaler Veranlagung, Geistes- und Nerven¬ 
krankheiten, Selbstmord, Trunksucht, gar Neigung zu Verbrechen 
usw. bei der Verwandtschaft werden gewöhnlich von seiten der 
Eltern des Kindes nur ungern und zögernd eingestanden, enthält 
doch eine derartige Angabe oft einen gewissen Vorwurf gegen 
sie selbst Vor allem ist zu beachten: omnis potator mendax vel 
Simulator! Wie vielen Menschen erscheint ein Tagesquantum von 
8—5 Liter Bier noch als angemessen und recht mässig! Selbst 
ob dem Kinde geistige Getränke verabreicht werden, ist nicht 
leicht zu eruieren. Ueber Syphilis, Lungenleiden usw. wissen 
die Angehörigen oft selbst nicht Bescheid. 

Vorsicht ist auch am Platze wegen des ätiologischen Triebs 
der Laien: Während wichtige anamnestische Anhaltspunkte ver¬ 
schwiegen und entstellt werden, hören wir da nicht selten Ver¬ 
mutungen oder auch kategorische Behauptungen grundloser Art, 
woher das Leiden des Kindes komme: Vom Versehen oder vom 
Verheben der Schwangeren, vom Zahnen, vom Hinfallen, von der 
Angst vor dem Lehrer usw. 

Ueber etwaige körperliche Eirankheiten des Kindes kann man 
bei eingehendem Befragen eher etwas erfahren: Krämpfe, Läh¬ 
mungen, Veitstanz, Blasenschwäche, Ohnmächten, Sinnesgebrechen, 
Rhachitis usw. Wichtig ist die Sicherstellung, wann das Kind 
zahnte; ferner, wann es Laufen und Sprechen lernte, und vor 
allem auch, ob in diesen Fertigkeiten nicht wieder Rückschritte 
eingetreten sind. 

Der körperliche Status hat nach einer Orientierung über die 
wichtigsten Organsysteme, Skelett, Kreislauf, Respiration, Urin usw., 
vor allem eingehend die Verhältnisse des Nervensystems zu berück¬ 
sichtigen. Freilich erlaubt er für sich allein noch keine Schwach¬ 
sinnsdiagnose, kann doch bei auffallender Hydrozephalie, selbst 
Mikrozephalie, auch Porenzephalie mit Schädelverbildung die In¬ 
telligenz noch ganz leidlich sein. Wenn aber Schwachsinn und 
ein körperlicher Defekt kombiniert sind, dann ist gewöhnlich nach 
der Richtung des letzteren die pathologische Schwachsinnsgrund¬ 
lage zu suchen. 

Nicht unwichtig ist zunächst die Feststellung des Gewichts, 
das wenigstens einige Schlüsse auf das körperliche Verhalten 
erlaubt. Ebenso wie auf das zu geringe Körpergewicht bei 
schwächlichen, blutarmen, minderwertigen Kindern sollte man auch 
aut das zu hohe bei manchen Kindern wohlhabender Eltern achten, 



4« 


Dt. Wejgandt. 


die in ihrer Unvernunft durch übertrieben reichliche Ernährung 
das arme Geschöpf zn einer Fettmasse aufpäppehi und dadurch 
nicht nnr körperlich schädigen, sondern aneh die geistige Frische 
beeinträchtigen. 

Eine Gewichtsliste für schulpflichtige Kinder von freilieh 
nur approximativen Zahlen, sei an dieser Stelle aufgefflhrt: 


Alter: 

5 Jahre 

= 

Körpergewicht: 

16 kg 

ff 

6 

ff 


ff 

18 „ 

ff 

7 

ff 

= 

ff 

20 . 

ff 

8 

ff 

= 

ff 

22 „ 

ff 

9 

ff 

= 

ff 

2* „ 

ff 

10 

ff 

SS 

ff 

26 „ 

ff 

11 

ff 

CSX 

ff 

26 „ 

ff 

12 

ff 

= 

ff 

28 „ 

ff 

13 

ff 

= 

ff 

82,6. 

ff 

14 

ff 


ff 

36 . 

ff 

16 

ff 

** 

ff 

40 B 


länge. Ein beträchtlicher Teil der Schwachbegabten 
bleibt im Wachstum zurück; am meisten die kretmäoen mit ihrer 
Skelettentwickelungshemmung, dann aber auch die mongoloiden, 
manche mikrozephale, selbst hydrozephale, sowie die Gruppe des 
Type Lorain. 

Streng ist die Proportionalität zwischen geistigem Defekt 
und Wach8tumshemmuug selbstverständlich nicht, ja es sind ein* 
zelne Fälle gerade bei den Mikrozephalen körperlich recht wohl 
entwickelt, selbst von Gardemass. Auch unter den Kretinössn 
trifft man vereinzelt grosse Figuren; Lombroso hat sogar Fälle 
von Riesenwuchs beschrieben. 

Von physiologischer und pädiatrischer Seite sind wohl öfter 
Normaltabellen für das Körperwachstum aufgestellt worden, doch 
erfreuen sie sich keineswegs einer hinreichenden Uebermnstimmung. 
Abweichungen vom Durchschnitt sind recht häufig, vor allem ist 
auch das Wachstumstempo nicht nur in den einzelnen Altersstufen, 
sondern auch bei den einzelnen Individuen ausserordentlich vor* 
schieden. 


Die Anführung von zwei Listen des Längenwachstums zeigt, 
wie wenig noch die Befunde Übereinstimmend 

Nach Qaetelot Nach Zeising. 


männlich 

5 Jahre: 98,6 cm 

weiblich 
97,8 cm 
108,6 „ 

108,4 cm 

6 

„ 104,6 „ 

„ 110,6 . 

116,0 

ff 

7 

109,1 „ 

121,4 

91 

8 

- 116,0 , 

115,4 „ 

126,4 

• 

9 

n 122,1 „ 

120,5 B 

126,0 

ff 

10 

„ 128,0 B 

126,6 B 

180,5 

ff 

11 

» 133,4 , 

128,6 „ 

18 2£ 

ff 

12 

- 138,4 „ 

134,0 „ 

136,0 

V 

13 

* 148,1 . 

141,7 „ 

143,7 

« 

14 

„ 148,9 „ 

147,6 B 

148,0 

ff 


Noch schwieriger ist die Beurteilung des KopfumfangB. Flr 
exakte klinische Untersuchungen stellt die Methode ven A Sieger 
das Optimum dar. Bei einer kursorischen Untersuchung, wie sie 
die Amtsärzte gewöhnlich zu machen haben, ist sie schwer durch* 



Die geistige Minderwertigkeit Im schulpflichtigen Alter. 


47 


füKTbar. Dia genügt es in der Regel, sich mit der Feststellung 
deS grössten Horizontslamfangs zu begnügen, sofern nicht einer 
der nuT seltenen Fülle von Tnrmschftdel vorliegt. Der Schluss 
auf den Schädelinhalt ist besonders dadurch erschwert, weil viele 
stürende Faktoren mitspielen: Bei Mädchen mit dichtem Haar 
müsste man mindestens 1 cm abziehen; bei rhachitischem Schädel¬ 
ban jedoch ist der Fehler infolge des abnormen dicken Schädel¬ 
daches vielfach noch grösser. Aber auch die Normalzahlen be¬ 
friedigen keineswegs, so z. B. die in der Literatur öfter erwähnten 
Werte von Liharzik. Keineswegs lassen sich dessen Angaben 
als „Gesetz* bezeichnen, wie Benedikt versucht hatte. Folgende 
Liste gibt die wichtigsten in kurzer Abrundung wieder: 


Alter 

Kopf umfang 

Alter 

Kopfamfang 

Neugeboren: 

33,0 cm 

7 Jahre 

47,6 

cm 

'/* Jahr 

40,0 cm 

9 , 

48,0 

cm 

1 , 

43,5 cm 

11 , 

48,5 

cm 

2 Jahre 

46,0 cm 

14 „ 

49,0 

cm 

8 n 

46,5 cm 

17 */« » 

50,0 

cm 

5 „ 

47,0 cm 




Anf die Einzelheiten der neurologischen Untersuchung der 
Pupillen, Reflexe, Muskelbewegungen, des Tremors, der Sensibilität, 
der elektrischen Erregbarkeit uSw. brauche ich hier nicht einzu¬ 
gehen. Nur hervorheben möchte ich, dass auch bei etwaiger ab* 
gekürzter Untersuchung, z. B. im Falle grosser Erregung eines 
Kindes, doch wenigstens darauf geachtet werden muss, ob Reflexe 
und Muskelbewegungen keine deutlichen Unterschiede zwischen 
rechts und links ergeben. 

Die psychische Untersuchung ist bei Kindern mit ganz er¬ 
heblichen Schwierigkeiten verknüpft. Relativ einer Prüfung am 
zugänglichsten scheinen die Verhältnisse der Intelligenz; aber 
doch ist auch hier grosse Vorsicht angebracht. Schon hinsichtlich 
der intellektuellen Stufe des völlig gesunden Kindes verfügen wir 
keineswegs über einwandfreie Normalwerte. Dann aber sind viele 
Kinder einer eingehenden Untersuchung anch nicht zugänglich 
infolge von Erregung, Angst, Trotz usw. Fernerhin sind auch öfter 
rein exogene Ursachen, besonders die vernachlässigte Erziehung, 
mitschuldig an den geringen intellektuellen Leistungen. Gehen 
die Eltern täglich auf die Arbeit und sind wenig Geschwister da, 
so ist das Kind vielfach so auf sich allein angewiesen, dasB schon 
aüb Mangel än Uebung die Sprachgewandtheit ausserordentlich 
Zurückbleiben kann. 

Die Frage ist nicht leicht beantwortet: Was soll ein Kind 
an Wissen schon mit ih die Schule bringen P Kinder aus Familien 
in einigermäBsen auskömmlichen Verhältnissen verstehen da ge¬ 
wöhnlich schon ein bischen zu zählen, sie haben zu Hause bereits 
kleine Handarbeiten gelernt, die Mädchen stricken Schon ihren 
Waschlappen und dergl.; auch pflegen solche Kinder gewöhnlich 
in den ersten Schuljahren bereits aut Grund elterlicher Unterweisung 
die Uhr lesen zu können. Daneben finden sich aber in den Ele- 
mbhtarschhlen Hunderte, die bis zum ersten Schulbesuch noch so 
gut Win nichts zählen gelernt haben, die in der Sprache höchst 



48 


Dr. Weygandt. 


unbeholfen sind and selbst ihre Hände nur in äusserst mangel¬ 
hafter Weise bei den gewöhnlichen Verrichtungen des täglichen 
Lebens gebrauchen können. Nicht viel besser steht es mit der 
Haltung und Bewegung zahlreicher Kinder. Mit Recht wird ge¬ 
rade in den englischen Hilfsschulen auf einen ordentlichen Gang 
der Kinder ein ganz besonderes Gewicht gelegt, ja die Gehfähig¬ 
keit bildet sogar einen gewissen Index für den Fortschritt auf 
geistigem Gebiete. 

Ein normales Kind soll vor dem Schuleintritt bereits imstande 
sein, sich betreffs konkreter Dinge verständlich zu machen, und auch 
Uber solche Dinge und erlebte Vorgänge, die nicht mehr gegen¬ 
wärtig sind, doch verständlich in kurzen Sätzen zu berichten; es 
soll im Gehen und Laufen keine Abnormität und Unbeholfenheit 
zeigen, seine Bedürfnisse anmelden, allein essen können; bei ver¬ 
ständiger Umgebung hat es auch schon ein paar Zahlen gelernt; 
es erkennt die wichtigsten Gegenstände der Umgebung und ist 
auch, gewöhnlich in höherem Grade, als man zunächst annehmen 
möchte, befähigt, einfache Gegenstände in kindlicher Zeichnung 
wiederzugeben. 

Was ein Schulkind an intellektuellen Leistungen darbietet, 
dar&ber sollten am ehesten die Lehrpläne der Elementarschulen 
Aufschluss geben. Tatsächlich beherrscht aber nur ein kleiner 
Teil der Kinder wirklich den Lehrstoff des betreffenden Jahres. 
Immerhin sei der Versuch gemacht, an der Hand eines Volksschul- 
Lehrplanes die wichtigsten Punkte hinsichtlich dessen, was die 
verschiedenen Altersstufen wissen sollen, hier in Kurze vorzuf&hren: 

Mit 7 Jahren: Zahlenkreis von 1—10. Kleine Additionen. 
Deutsche Schreib- und Druckschrift silbenmässig. Beschreibung 
des Wohnhauses. 

Mit 8 Jahren: Zahlenkreis von 1—100. Kenntnis von Mark 
und Pfennig, Meter und Zentimeter. Das kleine Einmaleins. 
Silbenlesen; Wiedergabe des Gelesenen. Beschreibung des Schul¬ 
zimmers. 

Mit 9 Jahren: Zahlenkreis ven 1—1000. Kenntnis von 
Münzen, Meter, Kilogramm, Liter. Dividieren. Sicheres Lesen. 
Diktat kleiner Erzählungen. Pflanzen und Tiere in Feld und 
Flur. In der Heimatkunde: Der Fluss. Naturerzeugnisse. An¬ 
fänge des Kartenzeichnens. 

Mit 10 Jahren: Zahlenkreis von 1—1000000. Die vier 
Spezies. Die gemeinen Brüche. Fliessendes Lesen; zusammen¬ 
hängende Inhaltsangabe; schriftliche Wiedergabe kleiner Er¬ 
zählungen. Trennung einfacher und zusammengesetzter Wörter. 
Einfache grammatische Uebungen. In der Heimatkunde: Gebirge, 
Heimatland, Einwohnerzahl, Grenzen, Höhenunterschiede. 

Mit 11 Jahren: Dezimalrechnung; Rechnen mit leichteren 
ungleichnamigen Brüchen; Zeitrechnung. Einiges Weltgeschicht¬ 
liche, über Karl den Grossen u. s. w. Briefe, grammatische 
Uebungen u. s. f. 

Mit 12 Jahren: Brüche, Umwandlung in Dezimalzahlen; 
Flächenmasse; Lohnrechnungen; einfache Prozent- und Zinsrech- 



Die geistige Minderwertigkeit im schulpflichtigen Alter. 


49 


rangen. Nacherzählungen. Aufsatz and Briefschreiben, Gramma- 
tische Uebnngen, indirekte Bede. Bitter tum, Kreuzztige, 80 jähriger 
Krieg usw. Europa. Baumaterialien, Luft, Atmung, Schall, Baro¬ 
meter. Beleuchtung, Auge, Naturvorgänge, wie Gewitter, Regen¬ 
bogen usw. 

Mit 13 Jahren: Prozent- und Kapitalrechntffig, Berücksich¬ 
tigung des Versicherungs- und Submissionswesens, Verkauf, Ver¬ 
pachtung. Flächenberechnung. Aufsätze. Deutsch-französischer 
Krieg usw. Fremde Erdteile, Bewegung der Erde. Wasserver¬ 
sorgung, Dampf, Bekleidung, Ernährung. Das wichtigste über 
Bau und Pflege des menschlichen Körpers. 

Bei der Untersuchung von psychisch sospekten Schulkindern 
ist nie zu übersehen, dass diese Schulplansangaben gewissennassen 
das Endziel einer Altersstufe darstellen. Wieviel davon in den 
sicheren Besitz des Kindes übergeht, hängt von zahlreichen Fak¬ 
toren ab, von dem Gedächtnis nicht allein, sondern anch von der 
geistigen Frische und Aufmerksamkeit, mit der es die neuge¬ 
wonnenen Kenntnisse jeweils verwertet, vor allem aber anch natür¬ 
lich von der Qualität des Unterrichtes selbst. Dass in dieser 
Hinsicht enorme Verschiedenheiten Vorkommen, ist nicht zu leugnen, 
gehen doch selbst über grundlegende Fragen die Ansichten der 
Pädagogen oft noch weit aaseinander. Wohl wird heutzutage 
vielfach gewarnt vor der Uebermittelung eines blossen Gedächtnis¬ 
materials, aber doch bleibt in dieser Hinsicht noch manches zn 
wünschen übrig. Es findet sich in einer Lehrordnung die Be¬ 
stimmung für die vierte Stufe, dass der mittlere Katechismus 
wortgetreu zn lernen sei, während von anderer Seite gerade darauf 
hingewiesen wird, dass es eine falsche und der Sache unwürdige 
Behandlung sei, wenn der Stoft als toter Gedächtniswert be¬ 
handelt werde. 

Man soll also bei der Prüfung eines Schulkindes wohl die 
angeführten Höchstleistungen der betreffenden Altersstufe im Auge 
behalten, zweckmässigerweise aber wird man sich auch mit weit 
geringeren Anforderungen begnügen. Vor allem kommt es mehr 
darauf an, zn erkennen, wie das Kind seine Sache weiss, als auf 
das was seines Wissensbesitzes. Mit anderen Worten, es gilt 
jeweils nicht nnr die Intelligenz und das Gedächtnis, sondern anch 
die übrigen psychischen Fähigkeiten zu berücksichtigen: die Re¬ 
aktion auf Reize, die Auffassung von Eindrücken, die Verarbeitung 
im Gedächtnis, das Neneinprägen, die Gemütslage, das motorische 
Verhalten. 

Vielfach ist vorgeschlagen worden, ein für allemal Frage¬ 
bogen zu benutzen. Umständliche Inventaraufnahmen des Wissens¬ 
besitzes, wie sie von Rieger angegeben sind, kommen hier nicht 
in Betracht, ja die von Möller beschriebene Art der Intelligenz¬ 
prüfung bedeutet mehr eine Feststellung des Wissensbesitzes nach 
einer gewissen Unterrichtsperiode, während gerade bei der ärzt¬ 
lichen Untersuchung ein prognostisches Urteil erwartet wird, eine 
Aussage, ob das Kind die Fähigkeit des Lernens noch in ent¬ 
sprechendem Grade besitzt In dieser Hinsicht ist da» Prinzip 

4 



60 


Dr. Weyg&ndt. 


der von Sommer angegebenen Fragebogen vorzuziehen, bei denen 
jede Frage einen Beiz im naturwissenschaftlichen Sinne darstellt 
und die Nichtbeantwortung gerade so wichtig ist, wie die etwaige 
Antwort. Doch muss ich gestehen, dass mehr als die Fragebogen¬ 
prüfling bei unseren Kindern eine individualisierende Untersuchung 
zu empfehlen ist. 

Wohl gehen wir zweckmässig aus von einer Frage nach 
gewissen Kenntnissen, aber stets unter scharfer Beobachtung der 
Art des Beagierens. Ausgangspunkte sind am besten die Personen 
der täglichen Umgebung, vor allem die der Untersuchung ja viel¬ 
fach beiwohnenden Eltern. Doch ist auch das gesunde Kind bei 
aller Vertrautheit mit seinem Nächsten doch oft nicht imstande, 
die Verwandtschaftskategorien wie Bruder, Schwester usw. richtig 
anzuwenden. 

Bei hochgradig blöden Kindern bedarf es oft der stärksten 
Sinnesreize einfacher Art, nm überhaupt die Aufmerksamkeit einmal 
aufzurütteln: Ein plötzlich aufblitzendes Licht, ein lauter Schall, 
dann allenfalls Esswaren, die gewöhnlich auch bei Tieferstehenden 
noch einen lebhaften Eindruck hervorrufen. 

Handelt es sich um leichtere Aufmerksamkeit, so empfiehlt 
es sich, zunächst ein belebtes, bewegliches Objekt zu zeigen, 
einen Hund, einen Vogel und dergl. Bei einem von mir zu¬ 
sammengestellten PrüfungskaBten, der die wichtigsten Objekte 
zu solchen Untersuchungen enthalten soll, ist als Stellvertreter 
dieser Beizgattung eine künstliche Maus zu finden, die durch ein 
Uhrwerk aufgezogen werden kann und im Kreise herumläuft. In 
meinem Prüfungskasten befinden sich ferner zunächst einige Ge¬ 
brauchsartikel aus dem täglichen Leben, Löffel, dann Messer, 
Gabel, Tasse, ein Fläschchen; eine Bürste wirkt besonders noch 
durch den kräftigen taktilen Beiz. 

Weiterhin finden sich nachgebildet einige Früchte, dann sind 
bunte Kugeln vertreten. 

Ein paar Schallinstrumente: Pfeife, kleines Instrument mit 
6 Metalltasten, eine Klingel und eine Drehdose sind nicht nur 
durch den lebhaften Beiz wirksam, sondern sie sollen das Kind 
auch zur Nachahmung des Spiels veranlassen. 

Minder kräftig wirkt in diesem Sinne des Nachahmungsreizes 
ein Vorhängeschloss mit Schlüssel. 

Andere Objekte, Papier, Schreibzeug, Bing, Uhr, Tisch, Stuhl, 
Kleider hat man gewöhnlich zur Hand. Auffallend spät verstehen 
sich die Kinder darauf, Körperteile zu benennen. 

Ist das Kind fähig, einfache Gegenstände in Natur oder 
auch in getreuer Nachbildung zu erkennen, so lege man ihm 
verkleinerte Modelle vor. Mein Prüfungskasten enthält ausser 
einer Puppe noch einen kleinen Stuhl, einen kleinen Hahn mit 
Federn, ein Pferdchen, Soldatenfiguren usw. 

Wenn auch diese Stufe erreicht ist, so gehe man über zu 
den Bildern, zunächst farbigen, dann schwarzweissen 
Bildern. Neuerdings werden auch bewegliche Bilder für minder- 
begabte Kinder empfohlen. 



Die geistige Minderwertigkeit im schalpflichtigen Alter. 


51 


Schon diese Prüfungen werfen auch ein Licht auf andere 
Funktionen als die rein intellektuellen Leistungen: auf die Auf* 
fassung, besonders yon intensiven Reizen; dann aber geben sie 
auch dem Kinde eine Anregung zur Betätigung, zur Nachahmung. 
Es lässt sich aus der Art, wie es seine Absicht des Nachahmens 
verwirklicht, ein Schluss ziehen auf die Geschicklichkeit, gleich* 
zeitig auch auf das Urteil. Ein schwachsinniges Mädchen be¬ 
zeichnte das in Klavierform gehaltene Kästchen mit 6 Metall¬ 
tasten als Kaufladen. Nach wenigen Minuten hatte sie es erlernt, 
den kleinen Klopfer zu handhaben und auf den Tasten herumzu¬ 
spielen, aber das ganze Instrument nannte es immer noch Kauf¬ 
laden. Die Geschicklichkeit im Handeln ist hier offenbar höher 
entwickelt als das Urteil. 

Noch treffender lässt sich die Geschicklichkeit und Ver¬ 
anlagung zur Ausführung von Willenshandlungen und Bewegungen 
erkennen, wenn man dem Kinde kleine Aufgaben stellt, wie das 
Einfädeln einer (stumpfen) Nadel, das Oeffnen und Schliessen des 
Schlosses, An- und Auskleiden, ganz besonders aber das Zeichnen. 
Auch das Gehen, Springen, ferner das Ausschneiden mit der 
Schere sind in diesem Sinne höchst instruktiv. 

Grosse Schwierigkeit erweckt die oft recht lösungsbedürftige 
Frage nach der affektiven Entwickelung des Kindes. Wenn 
die Anamnese im Stich lässt und aus dem bisherigen Verhalten 
kein Schluss gezogen werden kann, möge man versuchen, das 
Kind einem kleinen Schreck durch einen plötzlichen Reiz aus¬ 
zusetzen, etwa ein sogenanntes Ueberraschungskästchen, dessen 
Deckel bei Berührung des Verschlusses rasch aufspringt und eine 
kleine Figur auftauchen lässt. Oder man kann das Kind beachten, 
wenn es etwa mit Glaskugeln spielt und man dabei eine der 
Kugeln vor seinen Augen zerbricht. 

Zur Erkennung eines geringen Urteilsdefektes hat man die 
sogenannte optischmuskuläre Täuschung empfohlen. Es handelt 
sich darum, dass die Versuchsperson das Gewicht von zwei ver¬ 
schieden grossen, aber gleich schweren Objekten danach schätzen 
soll, welches Objekt das schwerere sei. Gebildete, unbefangene 
Personen schätzen regelmässig den kleineren Zylinder schwerer, 
weil sie ihr Urteil bilden in Abhängigkeit von der Assoziation der 
Korrelation zwischen Gewicht und Grösse, dass für gewöhnlich 
von verschieden grossen Dingen das grössere schwerer ist, nun aber 
im Gegensatz zu dieser alten Erfahrung das kleine Objekt jeden¬ 
falls nicht leichter erscheint wie in der Norm; infolgedessen 
kommt der Fehlschluss zustande, dass dieses kleinere Objekt 
nun schwerer als das grössere sei. Kinder unter 6 Jahren und 
dann auch Schwachbefähigte noch bis zum 14. Jahre sind ausser- 
stande, diese Entscheidung zu treffen; sie bezeichnen das kleine 
Gewicht leichter oder beide als gleich, weil sie nicht durch die¬ 
selben verwickelten Assoziationen wie der normale Mensch zum 
Fehlschluss verleitet werden. Indessen ist die Verwendbarkeit 
dieser Prüfung, die sich durch Herstellung verschieden hoher 
Zylinder mit Sandfüllung leicht ermöglichen lässt, doch entschieden 

4* 



52 


Dt. Weyg&ndt 


geringer: Manche Normale sind durch den Prüfungsakt selbst 
unsicher in ihrem Urteil geworden, und viele Kinder antworten 
blindlings darauf los, ohne den Sinn der Aufgabe zu erfassen. 

Experimental-psychologische Untersuchungsmethoden sind für 
die einmalige Untersuchung meist zu umständlich. Erwähnt sei nur, 
dass sich immerhin ohne allzu grosse Schwierigkeit Assoziations¬ 
reaktionen vornehmen lassen, indem das Kind auf ein zugerufenee 
Beizwort mit dem ersten besten, was ihm einfällt, zu reagieren 
hat. Nur leicht Schwachsinnige eignen sich hierzu. Der Exami¬ 
nator ruft Haus, das Kind antwortet Wohnung oder Fenster oder 
raus usw. Vor allem die sinnlosen, nur nach klanglicher Verwandt¬ 
schaft gebildeten Assoziationen sind bei Minderwertigen häufiger 
als beim Normalen. Reaktionen mit Zeitmessungen können weg» 
des umständlicheren Apparatkomplexes hier ausser Betracht 
bleiben. 

Bei leicht Schwachsinnigen lassen sich manchmal auch die 
sogenannten kontinuierlichen Methoden anwenden, indem der Prüf¬ 
ling nach einer vorgedruckten Reihe von einstelligen Zahl» 
Additionen von je zwei Zahlen vornimmt und nun während der 
Arbeit von Minute zu Minute ein Signal markiert wird, das hinterher 
die Feststellung des Arbeitsquantums jeder Minute ermöglicht. 
Die Leistungen steigen bei Normalen infolge der Uebung von 
Versuch zu Versuch, während die Ermüdung sich gewöhnlich in. 
einem Abfall der Leistungen des einzelnen Versuches von der 
dritten Viertelstunde ab kundgibt. Beim Minderwertigen ist nicht 
nur das Gesamtleistungsquantum oft tief unter der Norm, sondern 
es wird manchmal auch jeglicher Einfluss der Prüfung vermisst, 
auch'fällt infolge abnormer Ermüdbarkeit oft die Leistung sehen 
von Anfang des Versuches an. 

Aus diesem Gesamtüberblick ergibt sich, dass eine grosse 
Reihe von Mitteln zu Gebote steht, um einen Einblick in die Art 
des kindlichen Defektes zu gewinnen. Freilich sind die Prüfungs¬ 
methoden der affektiven und Willenssphäre am wenigst» aus¬ 
gearbeitet. Der Untersucher muss eben nach den Umständen 
ab- und zugeben bei der Anwendung der mannigfachen Methoden; 
vor allem darf er auch nicht versäumen, zunächst durch freund¬ 
liches Auftreten das Vertrauen des Kindes zu gewinn». Ueber- 
stürzung ist zu vermeiden. Gegenwart zahlreicher Person» stört 
die Untersuchung, doch ist es oft zweckmässig, w»n von den 
Eltern jemand in der Nähe ist. Dass nicht mshrere Kinder auf 
einmal geprüft werden können, sollte sich eigentlich von selbst 
verstehen, wenn es nicht doch tatsächlich schon vorgekommen 
wäre, dass Pädagogen bei der Aushebung von HilfsschulkandidAt» 
versucht haben, mit grupp»weiser Prüfung vorzugehen. 

3. Welches sind nun im einzelnen die Aufgaben* 
die hinsichtlich der geistigen Minderwertigkeit im 
schulpflichtigen Alter an den Arzt herantretemP 

Eine Reihe Aufgaben sind spezieller Art, dem einzelnen 
Kinde gegenüber von jedem praktisch» Arzte zu erfüllen; uäne 



Die geistige Minderwertigkeit im schulpflichtigen Alter. 


58 


wieder lassen sieh nur lösen, wenn man sich anf amtliche Funk¬ 
tionen Btfttzen kann. Von besonderem Wert ist die Mitwirkung 
des Arztes bei der Organisation einer zweckmässigen 
Fürsorge für die minderwertigen Kinder. Schliesslich kann 
auch der Kampf gegen den jugendlichen Schwachsinn vom all¬ 
gemeinen Standpunkt, vor allem durch Betonung einer entsprechen¬ 
den Prophylaxe, geführt werden. 

a) Jeder Praktiker wird in die Lage kommen, sich fiber die 
Veranlagung von Kindern zu äussern. Damit ist seine Aufgabe 
aber nicht erfüllt, er sollte vielmehr auch als Hausarzt in den 
Familien direkt sein ärztliches Interesse betätigen für jedes Kind, 
über das Klagen irgendwelcher Art laut werden. Oft genug sind 
Eltern oder auch Lehrer unzufrieden fiber ein Kind: Es sei träge 
oder widerspenstig oder reizbar oder verdriesslich oder ängstlich, 
wolle nicht lernen, es vergesse alles, was es zu Hause gelernt 
hat, schon auf dem Schulwege wieder; oder in körperlicher Hin¬ 
sicht: es esse nicht ordentlich, es zeige schlechte Körperhaltung, 
halte sich nicht rein, spreche undeutlich aus, sei so unruhig, 
zappelig usw. Kurzum, in allen Dingen ist ein Blick ans dem 
geschulten ärztlichen Auge wertvoll, das oft genug gesundheitliche 
Störungen da entdeckt, wo der Laie, Eltern wie Lehrer, lediglich 
überall Gewohnheit oder bösen Willen annehmen möchten. Vor allem 
die elementarste ärztliche Aufgabe, ffir das nil nocere einzutreten, 
kommt hier zur Geltung, weil nicht genug die unzweckmässigsten 
erzieherischen Massregeln da angewandt werden, wo ärztliches 
Eingreifen am Platze ist. Strafen aller Art oder Verzärtelung, 
unangebrachte Zerstreuung durch Theater und Kinderbälle, Krank- 
ffitterung mit Sttssigkeiten, Kaffee, Alkohol usw. sind nur geeignet, 
jene Kinder, die vielleicht psychopathisch oder choreatisch oder 
schwer anämisch sind, in ihrem Zustande zu verschlimmern, statt 
ihnen zu helfen. Gerade der Hausarzt ist darum berufen, als 
Vorkämpfer gegen die geistige Minderwertigkeit der Kinder auf¬ 
zutreten. 

b) Die ärztliche Einwirkung gegenüber der geistigen Minder¬ 
wertigkeit des schulpflichtigen Alters wird sich am meisten kon¬ 
zentrieren, wenn es sich um die geeignete amtliche Stelle 
handelt, insbesondere um die Position des Schularztes. Soweit 
ausgedehnt diese Einrichtung in Deutschland auch ist, so bestehen 
doch noch manche Bedenken, nicht zum wenigsten gerade bei 
Lehrern, gegenüber den Anforderungen der Schulhygiene. Dnd 
doch ist es schon ein recht altes Problem, um dessen Förderung 
sich bereits seit bald vier Jahrhunderten hervorragende Kenner 
dm* Schule verdient gemacht haben; genannt Beien nur Came- 
rarius, Luther, Commenius, Basedow. Heutzutage, wo 
die Armee, die Kriegs- und Handelsflotte, die Städte und Gerichte, 
Posten und Eisenbahnen, die Versicherungsgesellschaften, selbst 
die Bühnen und die sportlichen Veranstaltungen ihre Spezialärzte 
verwenden, da sind die Einwände mancher Lehrer, die sich in 
ihrer scholarchischen Position bedroht fühlen, wirklich gegenstands¬ 
los geworden. 




54 


Dr. Weygandt 


Die Hauptaufgaben des Schularztes sind nach drei Richtungen 
hin zu gruppieren: Einmal die hygienischen Einrichtungen der 
Schale, dann die ärztliche Untersuchung und gesundheitliche Ueber- 
wachung der Schulkinder, und schliesslich die Belehrung der 
Lehrer, Kinder und auch Eltern Aber die wichtigsten schul hygie¬ 
nischen Dinge. Dabei handelt es sich aber nicht nur um die rein 
somatische Medizin, sondern auch die Psychohygiene hat mitzu¬ 
sprechen. Schon in der Aufstellung des Lehrplans ist z. B. darauf 
zu achten, dass nicht die Turnstunden an den Anfang des Tages 
kommen, dass möglichst die schwierigen und die leichten Unter¬ 
richtsgegenstände abwechseln, dass die Pausen zweckmässig ver¬ 
teilt sind und an Länge am Vormittag zunehmen, dass Fächer, bei 
denen der Nachdruck auf das frische Begreifen neuen Lehrstoffes, 
etwa mathematischer Aufgaben, zu legen ist, nicht in die spä¬ 
teren, ermüdungsreicheren Unterrichtsstunden fallen usw. 

Auch die Unterweisung der Lehrer Aber gesundheitliche 
Fragen soll auf die vielfältige Erscheinungsweise geistiger Minder¬ 
wertigkeit besonderen Nachdruck legen. 

Vor allem aber hat der Schularzt bei der Feststellung dieser 
psychischen Abnormitäten tatkräftig mitzuwirken. 

Wie lässt sich nun die Organisation des Schularztwesens am 
zweckmässigsten gestalten? FAr eine grosse Menge der Schulen, 
die ländlichen, ist wohl der Bezirksarzt die gegebene Persön¬ 
lichkeit, die Aber die entsprechende Autorität verfugt und ja auch 
auf Grund der speziellen Vorbereitung pro physicatu sich mit 
Psychopathologie befasst hat. Allerdings sind noch manche 
Schwierigkeiten zu Aberwinden, auf die vor kurzem der Vor¬ 
sitzende unseres bayerischen Medizinalbeamten-Vereins, Bezirks¬ 
arzt Dr. Anger er, deutlich hingewiesen hat. 1 ) Einmal wäre zu 
wAnschen, dass die schulärztliche Funktion nach der Zahl der zu 
untersuchenden und zu Aberwachenden Kinder honoriert werden, 
dann aber auch sollte der einzelne Schularzt nicht Aberlastet 
werden, 4- bis 5000 Kinder wären das Maximum. In den Städten, 
wo die eingehende Ueberwachung der Schule durch den Bezirks¬ 
arzt allein nicht durchfAhrbar ist, sollten besondere Schulärzte 
angestellt werden, die der Leitung eines Oberschularztes zu unter¬ 
stellen wären. Doch auch hier darf die im einzelnen Aberwiesene 
Kinderzahl nicht zu gross sein, da eine anderweitige praktische 
Betätigung des Arztes nicht nur zulässig, sondern auch wünschens¬ 
wert ist, um die Entfremdung des Schularztes den allgemeinen 
ärztlichen Aufgaben gegenAber zu verhindern. 

In grossen Städten sollte nun auch dafAr gesorgt werden» 
dass einige Spezialärzte sich den Schulen widmeten. So gut 
wie unter den Bahnärzten sich auch Spezialisten fAr Augenleiden, 
Ohrenkrankheiten, für Nasen-, Rachen- und Kehlkopfkrankheiten 
befinden, so sollte auch manche Spezialität unter den Schulärzten 
vertreten sein. Vielleicht noch wichtiger als die genannten Spe- 


*) Die Schularztfrage in besonderer Beziehung zur Amtstätigkeit der 
bayerischen Bezirksärzte. Zeitschrift für Medizinalbeamte; 1905, S. 342 u. f. 



Die geistige Minderwertigkeit im schulpflichtigen Alter. 55 

zialitäten wären hier einmal die Zahnärzte, dann aber anch be¬ 
sonders Spezialisten fttr Neurologie und Psychiatrie. Gerade 
hinsichtlich der Ueberwachung und Vorbeugung, z. B. der Ueber- 
bttrdungsfrage, würden diese ein grosses Tätigkeitsfeld finden; 
noch wichtiger erscheinen sie aber gegenüber einer Einrichtung, 
die wir alsbald besprechen müssen, der Hilfsschule. 

Kaum braucht besonders hervorgehoben zu werden, dass die 
Funktion des Schularztes lediglich eine beratende ist. Selbständige 
Anordnungen soll er nicht treffen; hinsichtlich der hygienischen 
Einrichtungen, z. B. Anschaffung von zweckmässigen Schulbänken, 
werden ja überhaupt ganz andere Instanzen entscheiden als der 
Schularzt. Des Schularztes Ausspruch und Gutachten sollte 
höchstens als bindend erachtet werden, wenn es sich um die Aus¬ 
rangierung eines körperlich oder geistig abnormen Kindes handelt* 
In diesen Fragen haben die Schulärzte in England, das sich längst 
dieser segensreichen Einrichtung erfreut, einen direkten entschei¬ 
denden Einfluss. 

c) Weit kräftiger sollte der Arzt, in erster Linie der be¬ 
amtete Arzt eingreifen, wenn es gilt, Organisationen zu treffen 
für geistig minderwertige Kinder. Wohin mit den Bildungsfähigen? 
Wie viele gibt es, die Jahre lang vielleicht unter mehrfachem 
Bepetieren von Klasse zu Klasse weitergeschleppt werden, sozu¬ 
sagen dauernd auf der Eselsbank, und schliesslich auf Grund ihrer 
schwachen Veranlagung doch nicht den mindesten Vorteil vom 
Unterricht haben, so dass sie den Lehrer zu nutzloser Vergeudung 
seiner Kraft nötigen, selber womöglich zwecklosen Strafen aller 
Art ausgesetzt sind und für die übrigen Kinder einen Gegenstand 
des Spottes abgeben, was auf diese normalen vielfach direkt ge¬ 
mütsverrohend wirkt. Fast jedermann kann sich eines oder 
mehrerer solcher Mitschüler erinnern. Wenn die Schule an ihnen 
nichts erreicht, wird die Wohltat zur Plage; es muss daher ver¬ 
nünftiger Weise anders für sie gesorgt werden. 

Nun fehlt es nicht an Einrichtungen mannigfacher Art zur 
Fürsorge für die Minderwertigen, doch reicht die Ausdehnung 
dieser Einrichtungen noch keineswegs hin, auch ist die Art der 
Organisation noch in hohem Grade besserungsfähig. 

Die tiefsten Stufen gehören in die Idiotenanstalt. Nun 
sorgt der Staat Bayern wohl für die erwachsenen Geisteskranken, 
dann auch für alle Altersstufen von Taubstummen und Blinden, 
aber um die jugendlichen Geisteskranken, die Idioten, bekümmert 
er sich ausserordentlich wenig. Das rechtsrheinische Bayern hat 
16 Idiotenanstalten, darunter keine einzige öffentliche und ärzt¬ 
liche; fast samt und sonders sind sie von seiten geistiger Körper¬ 
schaften gegründet und geleitet, bloss eine untersteht pädagogischer 
Leitung mit ärztlicher Unterstützung. Nur die Pfalz verpflegt in 
Frankenthal eine grosse Menge jugendlicher Schwachsinniger in 
einer staatlichen, ärztlich geleiteten Anstalt. Es ist gewiss an¬ 
zuerkennen, dass die Gründer und Leiter der Privatidiotenanstalten 
sich um die leidende Menschheit verdient gemacht haben, indem 
sie viele Unglückliche der elendesten Verwahrlosung entzogen. 



56 


Dr. Weygwdt 


Aber eie vollbringen eben nur das, das sie von ihrem Standpunkt 
ans vermögen, während doch zugestanden werden muss, dass di« 
öffentlichen, Ärztlich geleiteten Anstalten für Schwachsinnige in 
mancher Hinsicht leistungsfähiger sind. Vor allem die erwachsenen 
Idioten und Epileptiker gehören unter rein ärztliche Leitung, da 
sie sich ja nicht wesentlich von Geisteskranken mit bleibenden 
Defekten unterscheiden. Bei jugendlichen Idioten spielt der Unter¬ 
richt wohl noch eine gewisse, im ganzen recht bescheidene Rolle. 
Man sollte hier den Grundsatz durchführen, dass Schwachsinnige, 
die voraussichtlich doch nie selbständig werden, sondern 
dauernd auf Anstaltsbehandlung angewiesen sind, auch der ärzt¬ 
lichen Pflege unterstehen. Die Unterrichtserfolge dürfen nicht 
über die bleibende Anstaltsbedürftigkeit hinwegtäuschen. Wenn 
einer nur ein paar Verse herunterleiern und notdürftig den Namen 
schreiben und ein paar Silben verständnislos lesen gelernt hat, 
so ist er doch für das Leben verloren. Viel zweckmässiger wäre es, 
von vornherein den Nachdruck auf die praktische Betätigung za 
legen, ohne den Ballast an unverwertbaren Kenntnissen be¬ 
sonders schwer werden zu lassen. Wenn der Schwachsinnige 
etwas landwirtschaftliche Arbeit oder Strohflechten nsw. erlernt 
hat, so kann er doch wenigstens später einen Teil seines Unter¬ 
haltes verdienen, selbst wenn er im übrigen vollständig An¬ 
alphabet geblieben ist. 

Auf die Frage der Idiotenanstalten können wir hier nicht 
weiter eingehen, so sehr diese Frage auch den beamteten Aerzten 
ans Herz gelegt werden müsste. Für die mittlere Stufe geistiger 
Minderwertigkeit, für jene Kinder, bei denen gewöhnlich ein wenn 
auch fehlschlagender Versuch des Schulunterrichts gemacht wird, 
statt sie von vornherein aus der Schule als ganz hoffnungslos ab¬ 
zuweisen, kommt neuerdings eine andere Institution in Betracht, 
die Hilfsschule. 

Seit etwa 40 Jahren hat man in verschiedenen deutschen 
Städten begonnen, solche Kinder, die auf Grund geistiger Minder¬ 
wertigkeit dauernd ausser stände waren, mit ihren Altersgenossen 
Schritt zu halten, aus den gewöhnlichen Klassen auszurangieren 
und in besonderen Klassen mit niedrigerem Lehrziel zu unter¬ 
richten. Mehrfach ist damit ein sogenanntes Tagesinternat ver¬ 
bunden, insofern die Schwachbegabten Grossstadtkinder über Mittag 
in der Schule bleiben und dort ihre Mahlzeit einnehmen können, 
so dass ihnen der weite Schulweg zweimal erspart wird. Nach¬ 
druck wird darauf gelegt, dass nicht ganz bildungsunfähige Kinder 
in diese Klassen kommen, sondern eben eine mittlere Stufe des 
Schwachsinns, die noch in leichtem Grade unterrichtsfähig ist. 
Während die tiefsten Stufen zeitlebens anstaltsbedürftig sind und 
deshalb in die Idiotenanstalt oder Irrenanstalt gehören, ist die 
Hilfsschule bestrebt, nur solehe Kinder zu erziehen, die doch noch 
imstande sind, später eine bescheidene Selbständigkeit zu erlangen. 
Tatsächlich treten etwa 83 ®/o der Hilfsschüler völlig erwerbsfähig 
in das Leben hinaus. Im wesentlichen sind die städtischen Im¬ 
bezillen die Hilfsschulrekruten. 



Die geistige Minderwertigkeit Im schulpflichtigen Alter. 57 

Die Einrichtung gewann rasch an Boden, so dass jetzt in 
Deutschland etwa 700 Hilfsklassen bestehen, die von rund 12000 
Kindern besucht werden. Während sich Norddentschland fitst 
ausnahmslos dem Hilfsschnlsystem zugewandt hat, hielt sich Süd¬ 
deutschland lange Zeit zurück. Auch in Bayern wurden spät und 
ziemlich schüchtern Versuche angestellt Am meisten mitwickelt 
ist das Hilfsschulwesen in Nürnberg, dann findet es sich in Fürth, 
München, Augsburg, ferner in der Pfalz, Frankenthal, Pirmasens; 
auch Ludwigshafen und Kaiserslautern befreunden sich mit der 
Einrichtung. 

Nach den Erfahrungen in Norddeutsehland, wo z. B. Stolp 
in Hinterpommern mit seinen 25000 Einwohnern eine blühende 
Hilfsschule 1 ) besitzt, wo selbst Oschatz mit nur 10000 Ein¬ 
wohnern sich einer solchen erfreut, finden sich auch in mittleren 
Städten, von mindestens 15000 oder 20000 Einwohner hinreichend 
minderbegabte Kinder, um eine Hilfsklasse zu füllen. Demnach 
wären noch Hilfsschulen in Bayern zu errichten in Amberg, Ans¬ 
bach, Aschaffenburg, Bamberg, Bayreuth, Erlangen, Hof, Ingol¬ 
stadt, Kempten, Landau, Landshut, Neustadt, Passau, Regensburg, 
Schweinfurt, Speyer, Straubing, Würzburg. 

Gewöhnlich ist die Erfahrung zu machen, dass bei den ersten 
Erhebungen die Zahl der hilfsschnlbedürftigen Schüler viel kleiner 
angegeben wird, als sich nachher herausstellt. Die Lehrer sind 
zurückhaltend, vor allem wirkt auch eine gewisse Scheu vor den 
Eltern mit. Aber allmählich erkennen auch die widerstrebenden 
Eltern den Nutzen der Einrichtung, die ja in mehreren deutschen 
Staaten bereits hinsichtlich des Schulzwangs den Volksschulen 
gleichgestellt ist. 

Wie viel Kinder im Prozentverhältnis einer Sondererziehung 
zu überweisen sind, ergibt sich u. a. aus einer Statistik, die 1897 
in der Schweiz aufgenommen wurde. Unter 470000 Kinder im 
schulpflichtigen Alter fand man 5052 leicht schwachsinnige, 2615 
sehwer schwachsinnige, 1076 tief idiotische, 889 taube und stumme, 
129 epileptische (eine offenbar zu geringe Zahl!), 1848 Krüppel 
und 1235 sittlich defekte, im ganzen 13155 defekte Kinder = 2,8 °/o. 
der Gesamtschülerzahl. 

Wir müssen noch fragen: Ist damit nun allen Anforderungen 
genügtP Und ferner: Welche Stellung haben die Aerzte, ins¬ 
besondere die Schulärzte den Hilfsschulen gegenüber einzu¬ 
nehmen P 

Als ungeeignet für die Hilfsschulen sind die sittlich de¬ 
fekten Kinder anzusehen, die durchaus in den Bereich der 
Fürsorgeerziehung gehören. Wenn auch diese neuerdings wieder 
geregelt wurde, blieben doch manche Wünsche offen. Die Fühlung 
der Fürsorgeerziehungsanstalten mit Fachärzten ist zu gering, die 
Heranziehung privater Erziehungsanstalten von Körperschaften usw. 
zur Fürsorgeerziehung erschwert die Beaufsichtigung; vor allem 


*) Frenzei: Die Hilfsschulen für Schwachbegabte. Medizinisch - päda¬ 
gogische Monatsschrift für die Gesamtspraehheilknnde; XIV, 1904, H. 7 u. 8. 



58 


Dr. Weyg&ndt. 


aber wird in der Praxis die Ueberweisung der sittlich defekten 
Kinder in solche Anstalten noch viel zn lax gehandhabt. So stiess 
ich kürzlich in einer forensischen Angelegenheit auf den Fall eines 
13 jährigen Mädchens, das wegen Diebstahls schon dreimal im 
Gefängnis sass, neuerdings einen vierten Diebstahl selbst ern- 
gestanden hat, auch hinsichtlich sexueller Handlungen mit einem 
70jährigen Manne verdächtigt wurde, und doch noch nicht seinem 
für den Erziehungszweck offenbar möglichst ungeeignetem Milien 
entzogen wird. Wozu soll überhaupt eine Fürsorgeerziehung noch 
nützen, wenn nicht einmal sittlich derart tiefstehende Finder ihr 
anvertraut werden! Für die Hilfsschule sind solche Fälle natür¬ 
lich erst recht ungeeignet, denn sie bedürfen durchaus des Inter¬ 
nats und würden übrigens auch eine sittliche Gefahr für die 
anderen Hilfsschüler bedeuten. 

Neuerdings hat man auch für Epileptiker besondere 
Schulen empfohlen. In diesem Punkt ist Vorsicht angebracht 
Die erlassene Verordnung, epileptische Kinder vom Unterricht 
auszuschliessen, ist entschieden zu rigoros. Es gibt Kinder, die 
zahlreiche Anfälle haben, aber gerade nicht während der Schulzeit, 
andere wieder haben nur geringe Insulte oder nur recht selten 
schwere Anfälle. Wieder andere bekommen vielleicht alle 14 Tage 
einmal einen Anfall, lernen aber im übrigen vorzüglich. Wohin 
mit all diesen Kindern? Zu beachten ist, dass ein gelegentlich, 
vielleicht alle vier Wochen auftretender epileptischer Anfall wäh¬ 
rend der Schulzeit lange kein so grosses Unglück ist, wie die 
Lehrer manchmal denken. Eine Unterrichtsstörung ist er wohl, 
aber solche sind nie ganz auszuschliessen; es kommt vor, dass ein 
Kind erbricht oder Nasenbluten bekommt, ohne dass dann irgend 
ein Mensch an Entfernung aus der Schule denkt. Gefahr für die 
Umgebung ist bei einigermassen verständigem Verhalten des 
Lehrers durchaus nicht dabei. Wohl bedeutet der Anfall für die 
Mitschüler einen lebhaften, anfänglich vielleicht schrecklichen Ein¬ 
druck, aber vor solchen ist ein Kind, das täglich durch unsere 
verkehrsreichen Strassen geht und vielleicht eine grosse Zahl von 
Geschwistern hat, doch nicht vollständig zu bewahren, vielmehr 
ist es geradezu pädagogisch ganz zweckmässig, wenn es über das 
Vorkommen solcher Ereignisse in geschickter Weise vom Lehrer 
instruiert wird. 

Wirkt die Epilepsie auch erheblich schädigend auf die In¬ 
telligenz ein, dann muss man wohl daran denken, das Kind in 
eine Idiotenanstalt zu versetzen. Bei häufigeren Anfällen und nur 
geringer Beeinflussung der geistigen Leistungsfähigkeit ist die 
Hilfsschule noch ein Notbehelf, der vor allem, wenn sich das Kind 
getrennt setzen kann und ein Kissen für den Fall einer Bewusst¬ 
seinsstörung bei sich hat, immer noch der vollständigen Ans¬ 
schliessung vom Unterrichte vorzuziehen ist. Epileptiker- Schulen 
hätten nur in ganz grossen Städten Sinn, wo dann solche Kinder, 
die lernfähig sind, aber von zahlreichen Anfällen heimgesucht 
werden, in Internaten oder wenigstens Tagesinternaten separat 
unterrichtet würden; der weite Schulweg hat aber auch wieder 
seine Bedenken für ein fallsüchtiges Kind. 



Die geistige Minderwertigkeit im schulpflichtigen Alter. 


69 


Hysterische in besonderen Klassen zu gruppieren, ist 
grundverfehlt. Das würde den Ansbrach der hysterischen Storungen 
direkt provozieren. 

Eher konnte man dann körperlich verkrüppelte, aber 
geistig leistungsfähige Kinder ausschliessen und gesondert unter¬ 
richten. Anfänge derart sind schon gemacht worden, besonders 
in London hat man ganz günstige Erfahrungen gesammelt. Auch 
körperlich schwer verunstaltete Kinder, die dauernd auf dem 
Streckbett oder in Verbänden liegen, können dann noch vom 
Unterricht Gewinn ziehen. 

Eine andere Einrichtung, die neuerdings in Mannheim auf 
die Initiative des Schulrats Sicking er hin getroffen wurde, 
verdient noch der Hervorhebung: Dort werden nicht nur die 
imbezillen Kinder in Hilfsklassen gesondert, sondern auch alle 
jene auf etwas höherer Stufe stehenden, ganz leicht zurück¬ 
bleibenden Kinder, denen es schwer wird, dem Unterricht der 
Vollwertigen zu folgen, empfangen in sogen. FOrderklassen 
gesondert ihren Unterricht, indem sie durch etwas niedriger ge¬ 
stecktes Schulziel, bei kleinerer Schülerzahl und somit inten¬ 
siverem Betrieb, durch Zuwendung von mannigfachen Ver¬ 
günstigungen wie Schulfrühstück, Ferienkolonie usw. möglichst 
in den Stand gesetzt werden, mit Nutzen die Schuljahre zu 
verwend. Nicht weniger als jedes 13. Kind ist einer solchen 
FOrderklasse überwiesen. Die Erfolge des Förderklassensystems 
sind in den paar Jahren seines Bestehens durchaus* zufrieden¬ 
stellend gewesen. 

Gerade diese Sonderklassen, in erster Linie die Hilfsklassen 
für Schwachbegabte, sollten nun ein Hauptarbeitsfeld des Schul¬ 
arztes sein. Grössere Städte, die Spezialschulärzte anstellen 
können, sollten selbstverständlich zur Tätigkeit bei den Hilfs¬ 
klassen einen gründlich neurologisch-psychiatrisch gebildeten Arzt 
heranziehen. Vor allem bei der Aushebung der Schüler für die 
Hilfsklassen ist ärztliche Mitwirkung unerlässlich. Man wird 
nicht von vornherein, sondern erst nach einer Quarantänezeit von 
etwa einem Jahre einen Schüler aus seiner normalen Klasse her¬ 
ausnehmen und der Hilfsschule überweisen. Bis dahin hat der 
Lehrer wohl schon eine Reihe von Erfahrungsmaterial gesammelt. 
Aber doch ist der ärztliche Blick vielfach geeigneter, auf Grund 
einer eingehenden Untersuchung über die Ursachen des Defektes 
wie auch die wahrscheinlichste Prognose etwas Zuverlässigeres 
auszusagen. Selbstverständlich soll der Schularzt von Zeit zu 
Zeit wieder die Hilfsschulzöglinge kontrollieren. Hinsichtlich der 
einzelnen Aufgaben den Hilfsschülern gegenüber sei vor allem 
auf die nngemein anregenden und instruktiven Schriften von 
La quer 1 ) verwiesen. 


*) Die Hilfsschulen für schwachbefähigte Kinder in ärztlicher and sozialer 
Beziehung; Wiesbaden 1901. Die ärztliche Feststellung der verschiedenen 
Formen des Schwachsinns in den ersten Schuljahren; München 1901. Ueber 
schwachsinnige Schulkinder; Halle 1902. 



60 Dr. Weygaadt: Die geistige Minderwertigkeit im soknlpflichtigen Alter. 


Von besonderer Bedeutung wird die Hilfsschnle, wenn sich 
im spätere* Leben eines Zöglings einmal zurückgreifen liest auf 
das während seiner Ausbildung gesammelte Material. Vor allem 
für die Frage der Militärdiensttanglichkeit und ganz besonders 
im etwaigen Falle einer Gesetzesübertretung mit der Frage der 
Zurechnungsfähigkeit ist es von ganz besonderem Werte, wenn 
Hilfsschulzeugnisse möglichst auch mit ärztlichen Einträgen vor¬ 
gelegt werden können. 

d. Eine letzte Aufgabe des Arztes gegenüber der geistigen 
Minderwertigkeit im schulpflichtigen Alter ist mehr allgemeiner 
Natur. Er hat zunächst sowohl die Lehrer als auch die Eltern 
zu belehren und über zahlreiche Punkte, die vom Laien leicht 
übersehen werden, entsprechend aufzuklären. 

Dann aber fordert er durch sorgfältige Untersuchung des 
einzelnen Falles wie auch durch Ansammlung gut beobachtete* 
Materials die wissenschaftliche Erkenntnis und damit auch wieder 
die Möglichkeit, prophylaktisch auf diesem Gebiete vorzugehen. 
Zwei Faktoren sind dieser Forschung noch ans Herz zu legen, 
die gewiss heute schon wenigstens soweit sicher gestellt sind, dass 
sie in der Vorbeugung eine Rolle spielen müssen: Elinmal der 
Einfluss der Erblichkeit und dann die verhängnisvolle Bedeutung 
des Alkohols für das Kind, der nicht allein direkt die körper¬ 
liche und geistige Leistungsfähigkeit untergräbt, sondern auch 
keimesschädigend wirkt. Hat man doch neuerdings zuver¬ 
lässige Beweise gefunden für den alten Volksglauben, dass im 
Rausche gezeugte Kinder besonders häufig dem Schwachsinn 
verfallen! 

Die wichtigsten Schlussfolgerungen, die sich ans der Er¬ 
kenntnis einer schädlichen Wirkung der erblichen Belastung und 
des Alkohols ergeben, sollen vor allem praktisch werden bei der 
Frage der Berufswahl, der Rekrutierung und der Ehe¬ 
schliessung. Viel häufiger muss der verständige Arzt hier 
wenigstens seine warnende Stimme erheben, wodurch er, wenn sie 
auch in 9 von 10 Fällen ungehört verhallt, doch immer wieder 
einmal ein gutes Werk zu verrichten vermag. 

M. H.! Sie sehen, ein wie grosses Feld ärztlicher Tätigkeit 
sich einer Betrachtung der geistigen Minderwertigkeit im schul¬ 
pflichtigen Alter ergibt. Die Menschheit muss immer mehr den 
Arzt als sachverständigen Berater in vielen einschneidenden Fragen 
des Lebens erkennen lernen, in denen sie bisher unverantwort¬ 
lichen Ratgebern blindlings zu folgen pflegte. Auch für das Schul¬ 
kind muss der Arzt ein Wohltäter werden. Dass in dem Garten 
der Schule die jungen Reiser wohl gezogen und möglichst ver¬ 
edelt werden, das ist das verdienstvolle Werk des Lehrers. Aber 
dass in diese Baumschule des Lebens nur gesunde, entwicklungs¬ 
fähige Reiser eingeliefert und möglichst auch die Schädlinge fern¬ 
gehalten werden, dabei hat der Arzt in reichem Masse mitzu¬ 
wirken. Vor allem der psychologisch und psychiatrisch denkende 
Arzt findet hier eine Stätte; denn gerade das werdende Hirn 
verlangt eine doppelt sorgfältige Pflege und Ueberwachung. 



Revision der Rezeptt&xierung durch die König!. Bezirksärzte. 


61 


Die Jagend, die kommenden Generationen sind es, deren 
Entwicklung auch der Amtsarzt überwachen und fördern kann. 
Die Hunderttausende und Millionen von Schulkindern, die heute 
vor geistiger Schädigung zu bewahren, die nach aller Möglichkeit 
körperlich und geistig zu kräftigen und bei vorhandenem Defekt 
gesondert zu fördern sind, das ist des Landes wertvollstes Gut; 
sie sind eben selbst das Deutschland und das Bayerland von 1920 
und 1950. Mit einer Variation von Schillers Worten sei darum 
den Aerzten zur Beherzigung zugerufen: . . . des Volkes Zu¬ 
kunft ist in eure Hand gegeben, bewahret sie! 

(Lebhafter Beifall.) 

Angesichts der vorgeschrittenen Zeit wurde eine Dis¬ 
kussion zu diesem Vortrage nicht veranlasst. 

Der Vorsitzende dankte im Namen des Vereins dem Herrn 
Vortragenden für seine interessanten Ausführungen und bemerkt 
zum folgenden Punkt der Tagesordnung: 

VL RhIsIm far Rtzepttailenug tank dl« KialgL 

Bezirksärzte, 

dass nach einer ihm aus der Versammlung gemachten Mitteilung vor 
wenigen Tagen eine Entschliessung des Königl. Staatsministeriums 
des Innern erfolgt ist \)> in welcher zum Ausdrucke gebracht wird, 
dass die bezirksärztliche Revision einer Apothekerrechnung, d. h. die 
Aeusserung eines Bezirksarztes, ob eine Apotheker-Rechnung der 
Arzneitaxe entspricht, zweifellos als ein „Gutachten“ anzusehen 
ist, und dass die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung 
„Organe der Arbeiterversicherung“ sind. Gutachten Über die Tax- 
mässigkeit von Apothekerrechnungen, die von Bezirksärzten für 
solche Versicherungsträger, d. h. auf deren Anfordern erstattet 
werden, fallen daher unter § 9, Satz 2 der Kgl. Allerh. Verordnung 
vom 17. November 1902, Gebühren für ärztliche Dienstleistung 
bei Behörden betr. und sind nach § 9, Abs. 8 des Krankenver¬ 
sicherungsgesetzes vom Versicherungsträger mit der rechtmässigen 
Gebühr (Ziff. 10 der Gebührenordnung zu § 8 der Kgl. Allerh. 
Verordnung vom 17. Novbr. 1902) zu honorieren. 

Nach dieser Mitteilung des Vorsitzenden erklärt Bezirksarzt 
Dr. Grassl auf seinen Vortrag verzichten zu wollen, nachdem die 
Anregung, die er geben wollte, durch diese Ministerialentschliessung 
sich von selbst erledigt habe. 


Als Ort der nächsten Landesversammlung war 
München ausersehen, nachdem aber eine Einladung des Fest¬ 
ausschusses der nächstjährigen Ausstellung in Nürnberg einge¬ 
laufen ist, die nächste Landesversammlung in Nürnberg abzu- 


‘) Siehe den Erlaß vom 25. Mai 1905; Beilage zu Nr. 13 der Zeitschrift 
für Medizin&lbeamte; S. 96. 



62 


Schloß der Sitiung. 


halten, lässt der Vorsitzende darüber abstinunen, wo die 
nächste Landesversammlung abgehalten werden soll, ob in München 
oder Nürnberg. Die Abstimmung entschied mit grosser Majorität 
für Nürnberg. _ 


Damit war die Tagesordnung erschöpft und schloss der 
Vorsitzende die Versammlung mit herzlichen Dankesworten an 
die Herren Vortragenden und alle Herren, welche sich an den 
Diskussionen beteiligt haben. 

Hierauf vereinigte die Teilnehmer mit ihren Damen ein 
Festmahl im Ballsaale der „Harmonie", das einen sehr animierten 
Verlauf nahm. Während desselben brachte der Vorsitzende ein 
begeistertes Hoch auf Se. Königliche Hoheit den Prinzregenten 
aus und wurde beschlossen, an Se. Königliche Hoheit und an Se. 
Exzellenz den Herrn Staatsminister Dr. Grafen v. Feilitzsch 
Huldigungs- und Ergebenheitstelegramme abzusenden, welche als¬ 
bald dankend erwidert wurden. 

Nach Beendigung des Festmahles zeigte zunächst Herr 
Bezirksarzt Dr. Dietsch einfache Methoden und Apparate 
zu spektroskopischen Untersuchungen; danach folgten die Teil* 
nehmer einer Einladung des Herrn Prof. Dr. Lehmann zu einem 
Besuche des Hygienischen Instituts, woselbst er ihnen 
hochinteressante Demonstrationen gab. 





B. Bericht 

über die am 


Freitag, den 2. Juni 1905 

stattgehabte 



Der Vorsitzende, Bezirksarzt Dr. Angerer-Weilheim eröffnet nm 
7 Uhr abends die Versammlung and konstatiert, daß sämtliche in den Kreis- 
yersammlangen nanmehr definitiv gewählten Kreisvorsitzenden erschienen sind, 
nämlich für Oberbayern: Bezirksarzt Dr. Angerer-Weilheim; für Nieder¬ 
bayern: Bezirksarzt Dr. Späth-Landshat; für die Pfalz: Bezirksarzt Dr. 
Alafberg-Ludwigshafen; für Oberpfalz: Reg.- a. Kreis-Med.-Rat Dr. Dorff- 
meist er-Regensbarg; für Oberfranken: Bezirksarzt Dr. Dietsch-Eof; für 
Mittelfranken: Landgerichtsarzt Dr. Hermann-Fürth; für Onterfranken: Be¬ 
zirksarzt Dr. Hofmann -Würzbarg and für Schwaben: Bezirksarzt Dr. Böhm- 
Augsburg. 

Es wird zunächst za den Wahlen des Vorsitzenden, dessen Stellver¬ 
treters and Schriftführers geschritten. Die mit Stimmzetteln vorgenommene 
Wahl ergibt: Bezirksarzt Dr. An gerer-Weilheim als Vorstitzenden, Land- 

f erichtsarzt Dr. Hermann-Fürth als Stellvertreter des Vorsitzenden and 
chriftführer. Beide Herren nehmen die Wahl an; Bezirksarzt Dr. Angerer 
betont, daß er die Vorstandsgeschäfte non schon 2 Jahre führe and durch seine 
heutige Neuwahl diese anf weitere 3 Jahre satzangsgemäß zu führen habe. 
Die Führung der Vorstandsgeschäfte bringe eine Menge Arbeit mit sich and 
deshalb hätte er gern eine Wiederwahl abgelehnt; er füge sich aber dem 
Votum der Versammlung, weil damit erreicht wirdi, daß alle Wahlen den 
gleichen Termin erhalten. 

Der Vorsitzende referirt hierauf über den Verlauf der Krelsver- 
sammlangen and stellt zunächst die Bitte an die Herren Kreisvorsitzenden, 
in Zukunft dafür zu sorgen, daß die Berichte über diese Versammlungen mög¬ 
lichst bald an den Vorsitzenden des Vereins abgeschickt werden, da die etwa 
gefaßten Beschlüsse in der Vorstandssitzung zur Kenntnis genommen werden 
müssen, um festzustellen, ob sie sich etwa zur Vorlage an das Kgl. Staats¬ 
ministerium eignen oder zur nochmaligen Besprechung an die Landesversamm¬ 
lung verwiesen werden sollen. Es dürfte sich daher für die Zukunft empfehlen, 
die Kreisversammlungen und die Landesversammlung zeitlich weiter auseinander 
zu rücken, in der Weise, daß erstere anfangs des Monats März, letztere im 
Monat Juli abgebalten werden. Weiter wird hierzu bemerkt, daß alle durch 
die Kreisversammlung verursachten Auslagen vom Kreisvorsitzenden bei der 
Bundesversammlung zur Deckung anzumelden sind. 

Was nun die Kreisversammlungen betrifft, so waren dieselben durchwegs 
gut besucht; es wurde allgemein bemerkt, daß die dort gehaltenen Vorträge 
sowie der Meinungsaustausch benachbarter Amtsärzte sehr anregend gewirkt 



64 


Sitzung des Vorstandes. 


haben and daß derartige Versammlungen besonders für die Amtsärzte, deren 
berufliche Tätigkeit sich täglich erweitert, von größtem Werte sind, zumal 
deren Organisation angesichts der veränderten Zeitverhältnisse als eine sehr 
besserangsbedürftige anzasehen ist. Es muß deshalb als eine Hauptaufgabe 
der Vereinsbestrebungen gelten, aus der täglichen Berufsarbeit Material zu 
sammeln, welches dazu beitragen kann, die Organisation und die Berufstätig* 
keit des amtlichen Arztes allmählig einer zeitgemäßen Revision zuzuführen, 
wie ja tatsächlich eine solche fast bei allen Bundesstaaten, den veränderten 
Verhältnissen der modernen Zeit angepaßt, bereits erfolgt ist. 

Was die speziellen Beratungsgegenstände betrifft, welche seinerzeit von 
der Kommission für die I. Kreisversammlung aufgestellt wurden, so wurde die 
Frage der Beteiligung der Amtsärzte bei der Kontrolle der Verkaufsmilch 
eingehend behandelt, insbesondere durch Bezirksarzt Dr. Böhm‘Augsburg in 
nahezu vollständig erschöpfender Weise zum Ausdruck gebracht'). Nach über* 
einstimmender Ansicht der Vorstandsmitglieder kann jedoch die Behandlung 
dieser Frage vorerst noch nicht zum Gegenstand einer Eingabe an das KgL 
Staatsministerium verwendet werden, weU keine Beschlüsse vorliegen, welche 
erkennen lassen, in welcher Weise sich die Bezirksärzte 'an der Kontrolle be¬ 
teiligen sollen. Es wird deshalb bei der außerordentlichen Wichtigkeit dieser 
Frage der Gegenstand nochmals zur Beratung in die nächsten Kreisversamm* 
langen verwiesen, und soll hierbei in bestimmter Form die Beteiligung der 
Amtsärzte ersichtlich werden, wobei im Auge zu behalten ist, daß nur Beamte 
der Polizei befugt sind, Nahrungsmittel zum Zwecke der Untersuchung zu 
entnehmen (Reichsgesetz vom 14. Mai 1879) und daß nach der KönigL Aller¬ 
höchsten Verordnung vom 27. Januar 1884 als Sachverständige, welche die 
Untersuchung der Milch vorzunehmen haben, die Untersuchungsanstalten für 
Nahrungs- und Genußmittel bestimmt worden sind. Nach Ansicht des Vor¬ 
sitzenden kann die Mitwirkung der Bezirksärzte in der Ueberwachung der 
Beschaffenheit der Verkaufsmilch nur darin bestehen, daß an Orten, wo die 
Ueberwachung nicht einwandfrei bereits schon geregelt ist, also in allen 
kleineren Städten und Orten, vom Bezirksarzt geeignete Polizeibedienstete 
dahin unterrichtet werden, daß diese mit einfachen Instrumenten (Bestimmung 
des spezifischen Gewichtes) eine große Anzahl von Milchproben möglichst oft 
untersuchen und die der Fälschung verdächtigen Proben der Untersuchung durch 
die Untersuchungsanstalten zuführen. Eine solche Unterweisung der Polizeibe¬ 
diensteten in der Handhabung der hierzu erforderlichen Instrumente in eigenen 
zu veranstaltenden Unterrichtskursen wurde in einer Bekanntmachung des KgL 
Staatsministeriums vom 20. Juli 1887 in Aussicht gestellt, ist aber bis jetzt 
noch nicht erfolgt. Wenn nun die Bezirksärzte weiter anregen, daß die ein¬ 
zelnen Orte mit den zuständigen Untersuchungsanstalten gegen ein jährliches 
Pauschale Vereinbarungen treffen, daß die cingesendeten verdächtigen Milch¬ 
proben dort untersucht und gutachtlich verbcschieden werden, so wird das 
einen großen Fortschritt bedeuten und der Bezirksarzt wird damit erreichen, 
daß Fälschungen und Verunreinigungen des wichtigsten Nahrungsmittels sel¬ 
tener werden. 

Was die amtsärztliche Registratur, die Aufbewahrung der Impf¬ 
listen, Hebammentabellen und Leichenschauseheine betrifft, so wurde nach 
längerer Debatte der Vorsitzende von dem Vorstande beauftragt, eine Bitte 
an das KgL Staatsministerium einzureichen, daß die Aufbewahrung dieser 
Aktenstücke einheitlich geregelt werden möge in der Weise, daß die Aufbe¬ 
wahrung der Impflisten und Leichenschauscheine in der Registratur der Be¬ 
zirksämter, die Hebammentabellen aber mit Rücksicht darauf, daß sie nur Wert 
für die Erstattung des amtlichen Jahresberichtes besitzen, überhaupt nicht 
länger als ein Jahr aufzubewahren sind. Diese Bitte soll damit motiviert 
werden, daß die wenigsten Amtsärzte über solch ausgedehnte Privaträume ver¬ 
fügen, daß sie die Aufbewahrung dieses Aktenmaterials ohne Störung resp. 
Einschränkung der Wohnung selbst betätigen können, wodurch in vielen Fälle» 
diesem doch sehr wertvollen Aktenmaterial ein Platz angewiesen werden muß, 
der auf die Konservierung desselben nicht immer günstig einwirken wird. 


*) Das Referat erschien in der Mün chener med. Wochenschrift, 1905, 
Nr. 21: s. auch Berichts - Beilage Nr. VHI der Zeitschr. £ Medizin albe amte; 
Seite 97 . 








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Is den Krtisversamlangen werden außerdem nach mehrf a ch e Wt iao hl 
■amreellen ud Anregungen der verschied—tea Art gegeben, welche am 
Teil auch in der Veratandseitzung zu Ausdruck gebrecht wurden, ae die 
leidlichen Verhältnisse bei der Vertretung beurlaubter Amtsärzte in der 
Pfalz, die Beaufetohtigimg der &e istee kranken dee Bezirks, die Be— rang 
der 6«kalt»- and Pensiengverhättuisse der Amtsärzte, der Erl— eine* 
Diensten Weisung u. a. Die Yorstandschaft beschließt neck kurzer Debatte, 
daß sie zu sokhee Anregungen Stellung nehmen wird, wenn, di— wett dudfc- 
bereten ud moti viert in Font eines Referates ver ge tragen sind. 

Der Yorsitzende ersuchte dann die Mitglieder nm VerscbMge, was 
Bet den nächsten K re terversa mm hingen and Landesrenaanalmg nr Bern- 
fang gestellt werden soll. Nach eingehender und Ungern Debatte and ver¬ 
schiedenen Vorschlägen einigte man sich dahin, daß ab Beratun g s gcg e nst ä n de 
für das nächste Vereinsjahr aufgestellt werden sollen: 

1. Die Schularzt frage and zwar zunächst nur nach dem Gesichtspunkte, 
wie die bestehenden schulärztlichen und schulhygienischen Erlasse und Ver¬ 
ordnungen durch den Bezirksarzt vollzogen werden können und sollen. 

2. Die Verhütung der Weiter Verbreitung der ansteckenden Krank¬ 
heiten mit Bäcksicht auf das Beichsseuchengesetz und die einschlägigen 
landesgesetzlichen Bestimmungen. 

Hiezu bemerkt der Yorsitzende, dafi die Verhütung der Weiterver¬ 
breitung ansteckender Krankheiten zu den hanptsächlichaten Aufgaben des 
amtsärztlichen Dienstes gehören sollte. Um jedoch nach dieser Sichtung etwas 
Ersprießliches leisten zu können, müsse der Bezirks arzt von jedem Falle einer 
ansteckenden Krankheit in seinem Bezirke Nachricht erhalten, nicht nur, wenn 
diese in besonderer Heftigkeit oder Häufigkeit auftreten; nur die ersten Fülle 
einer ansteckenden Krankheit sind mit Erfolg zu bekämpfen — aus leichten 
Fällen entstehen sehr häufig schwere Epidemien —, ist aher erst eine 
größere Ausbreitung einer ansteckenden Krankheit erfolgt, dann ist jede Be¬ 
kämpfung aussichtslos. Die Grundlage aller epidemiologischen Bestrebungen muß 
eine Morbiditäts-Statistik bilden; der Yorsitzende stellt deshalb den 
Antrag, es möge der Bayerische Medizinalbeamten-Verein eine solche veran¬ 
lassen und unterhalten. Schon vor vielen Jahren haben hervorragende amt¬ 
liche Aerzte die Notwendigkeit einer solchen Statistik dargelegt und den 
Nutzen derselben nicht nur für epidemiologische Bestrebungen betont, sondern 
sie auch als den Maßstab bezeichnet für die Beurteilung der hygienischen 
Gesamtverhältnisse eines Bezirkes. Auf ihre Veranlassung haben schon vor 
25 Jahren die ärztlichen Bezirksvereine diese Statistik auf ihre Kosten in die 
Hand genommen, und wurde diese an vielen Orten, dort wo rührige und von 
der Wichtigkeit überzengte Kollegen sich der Sache annahmen, in der muster¬ 
gültigsten Weise geführt, so besonders im Kreise Schwaben durch unseren 
Kollegen Böhm in Augsburg, dessen Zusammenstellungen für den Kreis 
Schwaben jeden Amtsarzt begeistern müßten. An vielen anderen Orten jedoch 
wurde wieder gar keine oder nur lückenhafte Statistik betrieben; deshalb 
hat sich die ganze mühsame und kostspielige Arbeit niemals zu einer vollen 
Bewertung seitens der Kollegen und auch der Staatsregierang aufschwingen 
können. Und als letztere 1902 einem Ersuchen um Portofreiheit nicht statt¬ 
gab — fast zur selben Zeit, als die Beichspostverwaltong nicht nur den prakt. 
Aerzten, sondern auch Laien Portofreiheit zugestand, wenn diese sich für die 
Anmeldung einer im Beichsgesetze benannten Krankheit für verpflichtet erach¬ 
teten —, glaubten die Aerzte aus dieser Nichtbewilligung der Portofreiheit 
überhaupt auf eine geringe Bewertung der Statistik seitens der Kgl. Staats¬ 
regierung schließen zu müssen; es hörte demzufolge von da ab jede Statistik auf, 
weil selbst die eifrigsten bisherigen Mitarbeiter ihre Tätigkeit einstellten. Der 
Vorsitzende ist non der Meinung, daß es eine der grundlegendsten Auf¬ 
gaben des Bayerischen Medizinalbeamten-Vereins bilden müsse, diese Statistik 
wieder ins Leben za rufen and auf Kosten des Vereins zu erhalten. Die 
Kosten könne der Verein anfbringen, und wenn die Statistik sich der amtsärzt¬ 
lichen Organisation anschließt und zunächst für jeden Bezirk durch die Aerzte 
desselben an den Bezirksarzt erstattet wird, wird sie auch lebenskräftig werden 
und bleiben. Der Autorität nnd dem Entgegenkommen des einzelnen Bezirks¬ 
arztes muß es gelingen, von den Aerzten seines Bezirkes diese kleine Arbeits- 

5 



66 


Sitzung dea Vorstandes. 


leistung zu erhalten; es maß ihm gelingen, die Aerzte des Bezirkes zu über¬ 
zeugen, daß eine solche Statistik anch Sn Interesse der Aerzte selbst gelegen 
ist und daß die Vorteile einer solchen so erheblich sind, daß die dadurch 
Teranlaßte Mühe nicht mehr in Frage kommen darf. Erhalten dann die mit- 
arbeitenden Aerzte ebenso regelmäßig und zuverlässig Mitteilung von dem Er¬ 
gebnis der Statistik, welches die Bezirksärzte, die Kreisvorsitzenden und 
schließlich die Vorstandschaft des Vereins für den Bezirk, den Kreis und das 
Königreich, zusammenstellen, und wird ihnen diese Mitteilung zeitlich so ge¬ 
macht, daß sie dieselben zum bestimmten Zwecke auch verwenden können, so 
werden sie sich selbst alsbald von dem eminenten Werte dieser Statistik aber¬ 
zeugen und mit freudigem Interesse ausnahmslos ihre Mitarbeit leisten. Solange 
die Beteiligung der Aerzte an dieser Statistik eine freiwillige bleibt, wird 
allerdings auf eine lückenlose Statistik nicht gerechnet werden können. Der 
Bayerische Medizinalbeamtenverein sollte zunächst anstreben, daß die KOnigL 
Allerh. Verordnung vom 22. Juli 1891: „Die Verpflichtung der Medizinalper¬ 
sonen zur Anzeige ansteckender Krankheiten unter Menschen betr.“ auf alle 
ansteckenden Krankheiten ausgedehnt werde. Eine solche Ausdehnung besteht 
in einigen Bezirken des Königsreiches schon durch eine distriktspolizeiliche 
Anordnung der Anzeigepflicht auf Grund des Art. 67, Abs. II des P. St. G. B. 
Die Herren Kreisvorsitzenden werden ersucht, diese Gesichtspunkte in den 
nächsten Kreisversammlungen bei der Beratung des obenbenannten II. Punktes 
der Tagesordnung zu erwägen; die Ergebnisse der Beratung in den einzelnen 
Kreisversammlungen werden dann in einem Sammelreferate bei der nächsten 
Landesversammlung zum Abdruck kommen. 

Nach längerer und eingehender Debatte, in der hauptsächlich das große 
Wissen und die reiche Erfahrung des Kollegen BO hm in statistischen Arbeiten 
zum ausschlaggebenden Ausdruck kam, erklärt sich die Vorstandschaft mit 
dem Anträge des Vorsitzenden einverstanden und, nachdem auch die finanzielle 
Seite vom Kollegen Hermann besprochen worden war, wurde dem Vor¬ 
sitzenden die Befugnis erteilt, die erforderlichen Vorarbeiten anfzunehmen. 

Nachdem weiteres Material zur Beratung nicht mehr vorlag, schloß der 
Vorsitzende um 11 Dhr abends die Sitzung. 



C. Verzeichnis 

der 

Teilnehmer an der n. Landesversammlung. 


I. Oberbayern. 

1. Dr. An ge rer, Bezirksarzt in Weilheim, Kreisvorsitzender. 

2. - Barkart, Med.-Rat u. Bezirksarzt in Rosenheim. 

3. - Dollmann, Ohrenarzt in München, staatsäztl. approb. 

II. Niederbajern. 

4. Dr. Späth, Bezirksarzt in Landshat, Kreisvorsitzender, 

ö. • Grafil, „ „ Lindau. 

6. - Harder, „ „ Bogen. 

7. - Rauh, „ „ Kötzting. 

8. - Zantl, * „ Eggenfelden. 

III. Pfals. 

9. Dr. Alafberg, Bezirksarzt in Ludwigshafen, Kreisvorsitzender. 

10. • Demuth, Reg.- u. Kreis-Med.-ßat in Speyer. 

11. - v. Hößlin, Landgerichtsarzt in Landau (Pfalz). 

12. • Schwink, Bezirksarzt in Rockenhausen. 

IY. Oberpfala. 

13. Dr. Dorff meist er, Reg.- u. Kreis-Med.-Rat in Regensburg, Kreisvor 

sitzender. 

14. - Boecale, Bezirksarzt in Stadtamhof. 

15. - Gros, „ „ Parsberg. 

Y.'Oberfranken. 

16. Dr. Dietsch, Bezirksarzt in Hof, Kreisvorsitzender. 

17. • Heißler, „ „ Teuschnitz. 

18. - Mayer, „ , Miinchberg. 

19. - Poehlmann, „ „ Bamberg. 

20. • Raab, „ „ Rehau. 

21. - Roth, Friedr., Med.-Rat u. Bezirksarzt in Bamberg. 

22. - Roth, Jos. Herrn., Polizei- u. Stadtarzt in Bamberg. 

23. - Zinn, Landgerichtsarzt in Bamberg. 

YI. Mittelfranken. 

24. Dr. Hermann, Landgerichtsarzt in Fürth, Kreisvorsitzender. 

25. - Bl an alt, Bezirksarzt in Rothenburg a. T. 

26. • Braun, prakt. Arzt in Sugenheim, staatsärztL approb. 

27. - Bruglocher, Reg.- u. Kreis-Med.-Rat in Ansbach. 

28. - Bur gl, Landgerichtsarzt in Nürnberg. 



68 


Verzeichnis der Teilnehmer. 


29. Dr. Burkhard, l&ndrichterl. Phys.-Assessor in Nürnberg. 

30. - Bschorer, Bezirksarzt in Neustadt a. A. 

81. - Glauning, Physikatsassistent in Nürnberg. 

32. - Ha aß, bezirksärztlicher Stellvertreter in Altdorf. 

33. - Obermeyer, Bezirksarzt in Ansbach. 

34. - Beichold, bezirksärztl. Stellvertreter in Lauf. 

36. • Both, Med.-Rat u. Bezirksarzt in Nürnberg. 

36. - Schmidt, Bezirksarzt in Hersbruck. 

37. - Spät, „ * Fürth. 

38. - Weber, prakt. Arzt in Borghaslach, staatzärztL approb. 

VII. Unterfranken. 

39. Dr. Hof mann, Bezirksarzt in Würzbarg, Ereisvorsitzender. 

40. - Baumgart, „ „ Königshofen. 

41. - Behr, prakt. Arzt in Würzburg, staatsärztl. approb. 

42. - Blachian, Oberarzt der Kreisirrenanstalt in Werneck. 

43. - Brinsteiner, Bezirksarzt in Earlstadt. 

44. • Erdt, Land gen chtsarat in Schweinfmrt. 

46. - Flierl, Bezirksarzt in Schweinfurt. 

46. - Fuchs, „ „ Würzburg. 

47. - Goy, „ u. Med.-Rat in Ochsenfurt. 

48. - Heilmaier, prakt. Arzt in Würzburg, staatsärztl. approb. 

49. - Easpar, prakt. Arzt in Würzburg, staatsäraL approb. 

50. - Kreuz, bezirksärztl. Stellvertreter in Dettelback 
öl. - Loeffler, Bezirksarzt in Mellrichstadt. 

52. • Mangelsdorff, Bezirksarzt in Gemünden. 

53. - Marzeil, „ „ Kitzingen. 

54. - Oschmann, Bahnarzt in Hammelburg, staatzärztL approb. 

55. - Preisendörfer, Bezirksarzt in Lohr. 

56. - Both, Med.-Bat, Bezirks- u. Landgerichtsarzt in Aschaffenburg. 

57. - Schmitt, Beg.- u. Kreis-Med.-Bat in Würzburg. 

58. - Schrön, prakt. Arzt in Uettingen, staatsärztl. approb. 

59. - Steichele, Bezirksarzt in Uffenheim. 

60. - Steininger, „ „ Brückenau. 

61. - Stengel, Physikatsassistent in Würzburg. 

62. • Stumpf, Landgerichtsarzt u. Universitäts-Professor in Würzburg. 

63. • Vanselow, Med.-Rat u. Bezirksarzt in Kissingen. 

64. - Welte, prakt. Arzt in Saal a./S. t staatsärztl. approb. 

65. - Weygandt, Universitäts - Professor in Würzburg. 

vm. Soliwaben. 

66. Dr. Böhm, Bezirksarzt in Augsburg, Ereisvorsitzender. 

67. - Neidhardt, Bezirksarzt in Zusmarshausen. 

68. - Seil, „ , Dillingen. 

69. U t z, Landgerichtsarzt in Augsburg.