THE
GEORGE BURGESS MAGRATH
LIBRARY
OF-LEGAL MEDICINE
FOUNDED IN HIS HONOR
1933
Harvard Medical Library
in the Francis A.Countway
Library of Medicine -Boston
VERITATE/A per medici^am QUARAMüS
r \
ZEITSCHRIFT
*
für
MEDIZIN AL-BEAMTE.
- •»* -
Zentralblatt für gerichtliebe Medizin and Psychiatrie,
fr ärztüehe Saehyerstandigentatigteit in Unfall- and InraliditSts-
ad«, »wie für Hygiene, öffentliches Sanitatswesen, Medizinal-
Gesetzgebung n ad Rechtsprechung.
Heraasgegeben
von
Dr. Otto Kapmund
Reg.- und Geheimer Mfedizmalrat in Minden.
XVIII. Jalirgang. 1908.
Berlin W- 3S -
FISCHEfi'S MEDIZIN- BUCHHANDLUNG.
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H.
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Kammer - Buchhindler.
HARVARD MEDICAL ECHDOL
LIBRARY OF LEGAL MECiCiNE
J. O.G. Bruns, Herxogl. Sachs, u. Fürst). 8eh.-L. Hofbachdruckerci ln Minden,
Inhalt.
I« Original-Mitteilungen.
A. Gerichtliche Itttdi. 8elu>
Die Herzwanden, yom gerichtsärztlichen Standpunkt ans betrachtet.
Dr. Richard Bernstein. 66
Fremdkörper (Haarnadel) in der Blase einer geistesschwachen Epilep¬
tischen infolge von Masturbation. Dr. Stakemann. 89
Die neuen preußischen Vorschriften vom 4. Januar 1905 ftlr das Ver-
Deber einen interessanten Fall von Zwerchfellruptur mit */• Jahr später
anschließender Pneumonie. Dr. TrOger.181
Vermeintliche Notzucht. Dr. Bobert Thomalla.282
Eine tödliche Vergiftung mit Salmiakgeist. Dr. Bomeick . . . . 282
Aerztliche Gutachten bezüglich Wiederaufhebung einer Entmündigung.
Dr. Carl Becker.887
Ueber versuchten Eindesmord. Dr. Lewinsky.878
Vergiftung mit Perubalsam mit tödlichem Ausgange. Dr. Deutsch 409
Loftleere von Lunge und Darm bei der Leiche eines Neugeborenen,
welches deutliche Atembewegurg und Herzaktion gezeigt hat.
Dr. Wengler.418
Tod durch Elektrizität. Dr. Burg.441
Untersuchungen über die Empfindlidikeit einiger chemischer Kohlenoxyd¬
nachweismethoden. B. Grünzweig und A. Pachonski . . 444
Beitrag zur Technik des Marx-Ehrenrothschen Verfahrens zur forensischen
Unterscheidung von Menschen- und Tierblat. Dr. Kurt Ollendorff 449
Schwere innere Verletzungen bei minimalen oder gänzlich fehlenden Lä¬
sionen der KOrperoberfläche. Dr. Emil Stern.660
Unvollständige Doppelbildung des unteren Körperendee, Sinus urogeni-
talia und Nabelbruch bei einem 16jährigen Knaben. Dr. M. Mayer 685
Jodoformvergiftong oder Septikämie. Dr. Zelle.653
Vergewaltigung im hysterischen Anfall? Dr. W Kürbitz.669
Die Lebensproben, insbesondere die Magendarmprobe in den neuen
preußischen Vorschriften für das Verfahren der Gerichtsärzte bei
den gerichtlichen Untersuchungen menschlicher Leichen. Prof.
Dr. E. Ungar.757
Ueber Fäulnisverdauung. Carlo Ferrai.764
B. Hygiene und öffentliches Sanltätawesen.
Die Prophylaxe der puerperalen Wundinfektionskrankheiten nach den
Vorschriften des preußischen Hebammenlehrbuches. Dr. Mann . 1
Ueber den Paratyphus. Dr. F. Steinhaus .. 29
Typhushäuser. Dr. Friedei. 38
Erwiderung. Dr. Bichter. 40
Ein Fall von Epilepsie. Dr. Oehmke. 41
IV
Inhalt.
Typhusuntersuchungen des Laboratoriums der Königlichen Begierung
in Coblenz. Dr. Friedei . 61
Deber bleihaltige Abziehbilder. Dr. Focke . 68
Die zweite Beratung des preußischen Abgeordnetenhauses über den Ent¬
wurf eines Gesetzes, betr. die Bekämpfung übertragbarer Krank¬
heiten. Bpd. 68
Ueber die Loosssche Lehre, betr. die Einwanderung der Ancbylostomum-
Larven durch die Blaut. Dr. Tenholt . 91
Die Bekämpfung der ansteckenden Krankheiten. Dr. Be re er. . . . 92
Das neue Hebammeninstrumentarium. Prof. Dr. F. Ahlfeld . . . . 94
III. Beratung des preuß. Abgeordnetenhauses über den Gesetzentwurf
betr. die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten. Bpd. . . 97, 250
Aus alten medizinischen Schriften. Dr. Neumann .134
Bekämpf an g ansteckender Krankheiten. Dr. Heiß ler .174
Ein Beitrag zur Entstehungsweise des Unterleibstyphus.176
Zwei Typhusepidemien. Dr. Seiffert .178
Einige Versuche mit einem neuen Apparat zur Wohnungsdesinfektion
für stationären und transportablen Gebrauch. Dr. Engels . . 197
'Die desinfektorische Wirkung des Formalins auf tuberkelbazillenhaltigen
Lungenauswurf. (Versuche mit dem Boepkeschen Apparat zur
WohnuDgsdesinfektion. Dr. E. Huhs .208
Eine Paratyphusepidemie im Kreise Kreuznach. Dr. Lembko . . . 234
Ueber die Meldepflicht von Kindbettfieber nach dem neuen Hebammen¬
lehrbuch. Dr. Nickel .242
Zur Schulbankfrage. Oberbaurat a. D. W. Bettig .244
Entgegnung auf den Artikel zur Schulbankfrage yon Oberbaurat a. D.
W. Bettig. Dr. Schneider .248
Ueber die yermeidbaren Impfschäden. Dr. Georgii .269
Ueber einen neuen Lymphröbrenhalter. Dr. L. Hülsmeyer. . . . 280
Ein Besteck zur sero-diagnostischen Blutentnahme. Dr. Friedei . . 281
Buhrepidemie in Duisburg im Jahre 1904. Dr. Bahr .301
Einige kurze Bemerkungen zu der Abhandlung des Herrn Kreisarztes Dr.
Lembke: Eine Paratyphusepidemie im Kreise Kreuznach. Dr. Lentz 305
Einige weitere Bemerkungen zu demselben Artikel. Dr. Friedei . * 306
Die Hebammentasche. Dr. Bauer .307
Die Schularztfrage in besonderer Beziehung zur amtlichen Tätigkeit der
Bemerkungen zur Stellung der Kreisärzte. Dr. Arbeit .256
Die Besoldung und Pensionierung der yollbesoldeten und nichtvollbe¬
soldeten Kreisärzte. Dr. Köhler .362
Die Tuberkulose in der Schule, betrachtet yom Standpunkte des Medi-
zinalbcamten. Dr. Bichter .399
Die künstliche Ernährung der Säuglinge nach dem neuen Hebammen-
Lehrbuche (§ 265). Dr. C. Scholz .416
Theoretisches und Praktisches zur Formaldehyddesinfektion auf dem
Lande. Dr. G. Werner .420
Kurze Bemerkung zu dem Aufsatz yon Scholz über die künstliche Er¬
nährung der Säuglinge. Dr. Bichter .453
Weitere Erörterungen über die „Meldepflicht bei Kindbetttieberfällen“
Ergänzung zu Dr. Nickels Aufsatz in Nr. 8 dieser Zeitschrift.
Prof. Dr. Walther . 473
Bemerkungen zu dem Aufsatz des Kreisassistenzarztes Dr. Werner in
Marburg: Theoretisches und Praktisches zur Formaldehyddesinfek¬
tion auf dem Lande in Nr. 13 dieser Zeitschrift. Dr. Boepke. 480
Ueber die Stellung der Kreisärzte in Elsaß-Lothringen. Dr. de Bary490, 511
Ueber Formysol, ein neues Desinfiziens. Dr. Sch lieben .506
Ein Besteck für die Blutentnahme bei typhusverdächtigen Personen.
Dr. Fritz Kirstein .510
Der Unterleibstyphus in Detmold im Sommer und Herbst 1904. Dr.
Volkhausen .541
Eine Paratyphusepidemie im Kreise Simmern. Dr. E. Vollmer. . . 588
Noch einmal die Schulbankfrage. W. Bettig.592
Inhalt.
V
8eite.
Wochenkarten Aber ansteckende Krankheiten an die praktischen Aerzte.
Dr. Kirchgässer .621
Einige Bemerkungen zur Bekämpfung des Kindbettfiebers. Dr. H e 1 w e s 622
üeber die Handverk&alsabgabe von 10°/ o Opiamtinktur. Dr. Bichtcr . 676
Zam Pemphigus neonatorum. Dr. Drcwes .690
Zur Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit. Dr. Wegner . . . . 694
Nochmals die Ausrüstung des ländlichen und kleinstädtischen Desinfek¬
tors mit dem Breslauer oder dem Boepkeschen Formalinapparat.
Dr. Werner .... . . . .. 721
Erwiderung auf vorstehenden Artikel Werners: Nochmals die Aus¬
rüstung usw. Dr. 0. Boepke .741
Veronal-Vergiftungen. Dr. Friedei .770
Berichtigung. Dr. Werner .773
Der amtsärztliche Dienst bei einer Stromüberwachungsstelle. Dr. G. Bundt 789
Mitteilungen von der Choleraüberwachungsstclle Brahemünde. Dr.
Diering.799
U. Kleinere Mitteilungen und Referate aus
Zeitschriften u. s. w. 1 )
A. Geriohtliohe Medizin und Psyohlatrie.
Weiteres über Kunstfehler in der Hebammenpraxis. Prof. Dr. H.
Walther (Steinkopff). 13
Die forensische Bedeutung des Puerperalfiebers. Dr. Köstlin (Steinkopff) 13
Extrauteringravidität bei gleichzeitig bestehender Intrauteringravidität.
Dr. Wiener (Waibel). 14
Ueber den Nachweis des Kindes in der Gebärmutter mit Böntgen-
strahlen. Dr. Alb er s (Dohrn). 15
Ueber die Wirkung des Bleis auf die Gebärmutter. Dr. Lewin (Bäubor) 15
Gefahren der Schultzeschen Schwingungen. Dr. Heng ge (Waibel) . 15
Kasuistischer Beitrag zur Kenntnis der Gynäkomastie. Dr. Sommer
(Waibel). 16
Die Behandlung der Minderwertigen. Dr. jur. Hoegel (Hoppe)... 16
Welche medizinischen Gesichtspunkte sprechen für die Einführung einer be¬
dingten Strafaussetzung u. Begnadigung. Prof. Dr. Gramer (Hoppe) 16
Ueber Atropinvergiftung. Dr. Benno Holz (Bäuber). 44
Untersuchungen zur Kohlenoxydvergiftung. Dr. Fr. Straßmann und
Dr. A. Schulz (Bäuber). 45
Ueber die Bolle der Peroxydase bei den mit dem Blute erhaltenen
Farbenreaktionen. J. Moitessier (Mayer). 45
Methämoglobinisirende Wirkung der Tannine. CL Gautier und M.
Cor di er (Mayer). 46
Pathogenese des Arterienateroms und Thyroidektomie. L. Lortat-
Jacob und G. Sabareanu (Mayer). 46
Ein sicheres Zeichen des eingetretenen Todes: Die saure Beaktion be¬
stimmter Eingeweide, besonders von Leber und Milz. Br iss e-
moret und Ambard (Mayer). 46
Krankheit und Vergiftung. L. Lewin (Bäuber).107
Welche Bedeutung hat die Verfettung der Organe bei Vergiftungen?
Paul Carnot und MUe. CI. Deflandre (Mayer).107
Fettgehalt der Leber nach kurzdauernder Inanition. A. Gilbert und
J. Jornier (Mayer).108
Ein Fall von Situs inversus des Magens, Duodenums und der Milz bei
einem 63jährigen weiblichen Individuum. Dr. Josef Halff (Waibel) 108
Ueber gerichtsärztliche Polikliniken. Prof. Dr. Puppe (Troeger) . . 182
Gerichtsärztliche Bedeutung der Strychnin-Vergiftung. Dr. Wilhelm
Pflanz (Bump).182
Ueber die hystologischen Veränderungen der Placenta bei der Snbliraat-
vergiftung. Dr. H. Marx und Dr. A. Sorge (Ziemke) . . . 183
*) Die Namen der Beferenten sind in Klammern beigefügt.
71
Inhalt.
Beit«.
Ueber quantitativen Blutnachweis. Dr. A. Schulz (Ziemke) .... 188
Ueber Konservirung von Organen und Org&ninbalt zu nachträglicher mikro¬
skopischer u. chemischer Untersuchung. Dr. A.Grigorjew (Ziemke) 188
Thymusdrüse und plötzliche Todesfälle im Kindesalter. Dr. Zander
und Dr. Key hl (Dohrn).265
Ueber eine selten kleine, am Leben gebliebene Frühgeburt. Dr. Ober¬
warth (Dohrn).265
Uebergang der Toxine von der Mutter auf die Frucht Dr. Schmidt-
lechner (Dohrn).255
Die angeblichen Gefahren und die sicheren Vorteile der künstlichen
Atmung durch Schwingen des tief scheintoten Kindes. Dr. B. S.
Schnitze und Beobachtungen über die Gefahren der Schultze¬
schen Schwingungen. Dr. G. Burckhard (Waibel) .... 256
Ueber die quantitative Bestimmung des Luftgehaltes der Lungen, beson-
sonders bei Neugeborenenen; eine Erweiterung der Lungen¬
schwimmprobe. Prof. Dr. Stumpf (Waibel).257
Der Fall Berger und die ärztliche Sachverständigentätigkeit. Dr. Lepp-
mann (Troeger).258
Alkoholismus und Ehescheidung. Dr. Leppmann (Troeger) .... 259
Alkoholismus und Ehescheidung. Prof. Dr. Fr. Straßmann (Troeger) 259
Zur Abgrenzung der forensischen Alkoholparanoia. Dr. B a e ck e (Polfitz) 259
Die Versorgung der geisteskranken Verbrecher mit Bemerkungen über
die Wirksamkeit der Gefängnisirrenabteilungen in Preußen. Dr.
Karl Heilbronn er und Bemerkungen hierzu. Dr. Sander,
Dr. Näcke, Dr. Kunowski (Hoppe).260
Aus der Praxis der vorläufigen Entlassung. Schwandner (Hoppe) . 263
Von der Embryoktonie oder dem geflissentlichen Mißgebären. Plouc-
quet (Mulert).283
Ueber Lysolvergiftung. Dr. Lange (Dohrn).287
Vergiftung mit Isosafrol. Dr. Waldvogel (Waibel).287
Beitrag zum Studium der Lokalisation des Arseniks bei Vergiftung durch
arsenige Säure. Ch. Blarez und G. Denigös (Mayer) . . . 288
Ueber vollständige Ausscheidung des organischen Arsens nach Aufnahme
als Natriummethylarsenat. L. Bart he (Mayer).288
Elektrolytische Bestimmung kleiner Arsenmengen. C. Mai u. H. Curt
Ueber durch Chloroform verursachte Lebensveränderungen. M. D o y o n,
A. Morel und Billet (Mayer).289
Heues über Strychninwirkung. Dr. M. Martin (Troeger).315
Welches Volumen Leuchtgas muß man der Luft zufügen, um ein für
Tiere toxisches Gemisch zu erhalten. Nestor Gr6hant . . . 315
Bißverletzung zweier Aeste der Vena Baphena. Drohende Verblutung.
Dr. Moritz Mayer .315
Schadenersatz wegen Ansteckung mit Lungentuberkulose. Dr. K.Wolf
(Ziemke).* . • • • 316
Ein Fall von Chorea in forensischer Beziehung. Dr. Nerlieh (Troeger) 316
Zur Differentialdiagnose der choreatischen Geistesstörung. Dr. L.
Stuppel (Waibel).*.317
Die Geistesstörungen der Epileptiker in gerichtlich - medizinischer Be¬
deutung. Dr. Helm (Hoffmann)., . . . . 817
Ein Fall von Simulation epileptischer Krämpfe bei einem 13 jährigen
Schulknaben. Dr. Aronheim (Waibel).318
Eine neue Methode des Blutnachweises. Dr. Palleske .431
Der gerichtsärztlicbe Nachweis des Todes durch Ertrinken. Dr. He¬
vens torf (Troeger). 432
Weiterer Beitrag zur gerichtsärztlichen Diagnostik des Ertrinkungstodes.
Dr. Bevenstorf (Waibel).433
Ueber akute Phospborvergiftung vom gerichtsärztlichen Standpunkt.
Dr. Klix (Rump).433
Ueber einen Todesfall nach Anwendung der offixinellen Borsalbe bei
einer Brandwunde. Dr. Dopfer (Waibel).434
Innere Verletzungen. Dr. H. Hoffmann.434
Inhalt. VII
Seit«*
Ein Beitrag zur Lehre ron den feineren Gehirnveränderungen nach
Schädeltranmen. Prof. Dr. M. Dinkler (Pollitz).436
Ans der Begutachtung Marine- Angehöriger. Prof. Dr. £. Meyer (Pollitz) 435
Zar Geschichte and Kritik der sogenannten psychischen Zwangszustünde.
Dr. Wolfgang Warda (Pollitz).486
Die Unterschrift der Paralytiker. Dr. Feilchenfeld (Troeger). . . 486
Beiträge zur Lehre von der Epilepsie. Dr. J. Finkh (Pollitz) . . . 436
Ein Beitrag znr Paranoiafrage Dr. 8iefert (Pollitz).437
Das ätherische Senföl als Mittel zar Konservierung anatomischer Prä*
parate. L. Dor (Mayer).519
Ueber Quecksilber-Vergiftungen mit besonderer BerOcksichtignng der
Sublimat-Vergiftungen vom gerichtsärztlichen Standpunkte. Dr.
W. Wolf (Hofiinann).619
Ein Fall von Erblindung nach Atoxylininjektionen bei Lichen rnber
planus. Dr. Bornemann (Waibel).590
Zur Frage der Folgeerscheinungen, namentlich aber der Krampfzustände
nach Theopbyllingebrauch. Dr. Herrn. Schlesinger (Waibel) 520
Arzneiexanthem nach Aspirin. Dr. Freund (Waibel).520
Obduktionsbefunde bei Erhängten. Dr. Lochte (Ziemke).620
Mord oder Selbstmord? Prof. S.Ottolenghiu.Dr.B. Ser ratrice (Ziemke) 621
Angeborene Hyperplasie der einen Lunge bei gleichzeitiger Bildung der
anderen. Dr. Erwin v. Gr aff (Waibel).521
Die prophylaktische Anwendung von Sekalpräparaten während der Ge¬
burt. Dr. Prüsmann (Walther).522
Drei in einem kurzen Zeitraum hintereinander in foro verhandelte Fälle
von Puerperalfieber. Dr. Kob (Ziemke).522
Ueber kriminellen Abort. Prof. Dr. Puppe (Walther).522
Zar Kasuistik der Verletzungen der weiblichen äußeren Genitalien durch
Sturz oder Stoß. Dr. Leers (Ziemke).528
Zum § 176 des Strafgesetzbuchs. Dr. Hermann Kornfeld (Pollitz) . 524
Die Sittlichkeitsverbrecher. F. Leppmann (Ziemke).524
Ueber die zur strafrechtliehen Behandlung zurechnungsfähiger Minder¬
wertiger gemachten Vorschläge. Prof. Dr. Moeli (Pollitz) . . 524
Die verminderte Zurechnungsfähigkeit. Prof. Dr. F. Straßmann (Ziemke) 625
Chronische Paranoiker in verwaltuugs-, straf- und zivilrechtlicher Be¬
ziehung. Dr. L. W. Weber (Pollitz).525
Die Geistesstörungen infolge von Kopftrauma in gerichtlich - medi¬
zinischer Beziehung. Dr. Martineck (Hoffmann).525
Identifizierung der Leiche des amerikanischen Admirals Paul Jones, 113
Jahre nach seinem Tode. Capitan und Pappillault (Mayer) 594
Definitive Wiederbelebung durch subdiaphragmatische Herzmassage in
einem Falle von anscheinendem Chloroformtod. L. Sencert (Mayer) 595
Ist die Tragfähigkeit schwimmender Körper ein sicherer qualitativer
oder quantitativer Nachweis und Beweis für ihren Luftgehalt.
Dr. Fr. Schroen (Waibel) . ..596
Ein gerichtlich-medizinischer Fall von Sturzgeburt. Dr. Feder-
Schmidt (Waibel).596
Ueber Schädelbrüche in gerichtsärztlicher Beziehung. Dr. Fritz Hoppe
(Waibel).• . . . . 697
Zur Kenntnis des Quinquaudschen Zeichens. Dr. Hof mann und Dr.
Marx (Räuber).597
Zur Bewertung des Tremors als Zeichen des Alkoholismus. Prof. Dr.
Fürbringer (Räuber).598
Das Bierdelirium. Prof. Dr. Hans Gadden (Pollitz).598
Ueber hysterische Selbstverletzung. Dr. Christoph Müller (Waibel) . 598
Zur Lehre vom hysterischen Irresein. Dr. Ra ecke (Pollitz) .... 599
Simulation von Schmcrzanfällen bei einem Morphinisten. Dr. Nerlich
(Pollitz).699
Simulation von Geistesstörungen. Dr. Ernst Bischoff (Pollitz) . . 600, 601
Ueber psychische Infektion (induziertes Irresein). Dr. Meyer (Pollitz) 600
Zur klinischen Bewertung pathologischer Wanderzustände. Dr. C.
v. Leupoldt (Pollitz).601
VIII
Inhalt.
Seite.
Beitrag zur Frage der Spätgenesang von Psychosen. Dr. Jul. S i g e 1 (Pollitz) 601
Untersuchungen über juvenile Demenz mit einem Heilerfolg. Dr. Georg
Lohmer (Pollitz).602
Ueber Gemeingefährlichkeit vom ärztlichen Standpunkte aas. Prof. Dr.
Cramer (Prllitz).602
Pulsierende Varizen an der Stirn bei abnormem Hirnsinns. Dr. F.
Reiche (Waibel) ... *.625
Die Erkennung der Blutverdttnnung Ertrunkener mittels Prüfung der
elektrischen Leitfähigkeit des Sorums. Dr. Be venstor f (Troeger) 625
Zur Diagnose des Erstickungstodes. Dr. Hugo Marx (Räuber) . . . 626
Ertrinkungsgefahr und Rettungswesen an der See. Dr. E. Mar gulies
(Räuber).626
Die psychiatrischen und neurologischen Indikationen zur vorzeitigen Unter¬
brechung der Schwangerschaft. Dr. Otfried 0. Felln er (Hoffmann) 627
Die forensisch - psychiatrische Bedeutung des Menstruationsvorganges.
Prof. Dr. Wollenberg (Hoppe).628
Die posthypnotischen Aufträge in ihrer psychiatrischen und juristischen
Bedeutung. Dr. Oberndorfer u. Dr. jur.Steinharter (Rump) 628
Die myastenische Paralyse vom Standpunkt der ärztlichen Sachverstän¬
digen aus. Prof. Dr. L. Bruns (Troeger).629
Beitrag zur Lehre von der katatonischen Verrücktheit. Dr. A. Schott
(Pollitz).629
Zur Prophylaxe der Roheitsdelikte. Dr. Kürz (Hoppe).630
Ueber Familienmord. Dr. v. Muralt (Hoppe).630
Die Depressionszustände des höheren Alters. Dr. Rob. Gau pp (Waibel) 630
Die akuten Gefängnispsychosen und ihre praktische Bedeutung. Dr.
MönkemOller (Hoppe).631
Fürsorge für Geisteskranke u England und Schottland. Prof. Dr. E.
Meyer (Pollitz).632
Praktische Erfahrungen bei Entmündigung Trunksüchtiger. Dr. Wehmer
(Troeger).632
Ueber Spätrezidive maligner Tumoren. L. Arnspeyer (Merkel) . . 699
Ueber Strychnin-Vergiftung in gerichtlich-medizinischer Beziehung.
Dr. R. Lücke (Hoffmann).699
Schwierigkeiten bei der forensischen Begutachtung von zurückgeblie¬
benen Nachgeburtsteilen. Otto Küstner (Räuber).699
Ein Fall von schon im Mutterleibe vollständig ausgebildeter Leichen¬
starre eines todtgeborenen Kindes. Dr. Müller (Rpd.) . . . 700
Ueber chronische Alkoholpsychosen. Dr. Schröder (Schütte) . . . 701
Der pathologische Ransch. Dr. Paul Schenk (Hoffmann).701
Gibt es ein pathologisches Plagiat? Dr. Otto Julius bürg er (S. Kalischer) 701
Ueber Sprachverwirrtheit. Dr. Stransky (Schütte).702
Neurologische Untersuchungen von Radrennfahrern. Dr. S. Auerbach
(S. Kalischer).702
Wie beginnen Geisteskrankheiten? Dr. Br es ler (Schutte).702
Die Königl. psychiatrische Klinik in München. Dr. Kraepelin (Schütte) 703
Ueber Veronal (Dosierung und Idiosynkrasie). Dr. Otto Ludw. Kliene-
berger (Waibel).773
Ueber Pilzvergiftung. Dr. Th. A. Maaß (Räuber).774
Die Rieglersche Blutprobe und ihr Wert für die gerichtliche Medizin.
Dr. Palleske (Troeger).775
Ein Fall von Akromegalie (Zerstörung der Hypophysis durch Blutung).
Dr. Leopold Beibtreu (Waibel).776
Ueber jugendliche Lügnerinnen. Dr. Horstmann (Troeger) .... 776
Ueber Strafvollzugsunfähigkeit. Dr. F. Leppmann (Troeger) ... 776
B. Sachverständigen-Tätigkeit ln Unfall- nnd Invalldltätssaohen.
1. Gatachten nnd Referate.
Kasuistischer Beitrag zur Unfallbegutachtung bei Fällen von Corpora
oryzoidea der Fingerbeuger in Kombination mit Tuberkulose der
Lungen. Dr. Köhler (Troeger). 17
Inkalt.
IX
Seite.
Traumatische Lungenentzündung durch allgemeine Zusammendrückung
(Kompression) des Brustkorbes, ohne eine bestimmt umschriebene,
unmittelbare äußere Gew<einwirkung auf den Brustkorb. Prof.
Dr. E. v. Leyden und Prof. Dr. F. Kraus (Obergutachten) . 18
Zur Begutachtung Unfallverletzter. Dr. L. Becker (Trocger) . . . 137
Ueber Unfallbegutachtung bei zweifelhafter Sachlage. Prof. Dr. R. Stern
(Troeger).138
Neue Vorschläge für die Feststellung des Grades der Erwerbsunfähigkeit.
Hans Seelmann (Israel) . ..138
Ueber den Begriff und die Möglichkeit des Nachweises der. wesentlichen
Veränderung“ bei UnfallbyBterikern. Prof. Dr. Windscheid
(Troeger).189
Zur Würdigung des traumatischen Ursprungs akuter Infektionskrank¬
heiten. Dr. Fürbringer (Troeger).140
Pneumonie und Unfall. Dr. Meyer (Troeger).141
Sn Fall von traumatischer Lungenhernie ohne äußere Verletzung. Dr.
Cahen (Waibel).142
Syringomyelie und Trauma. Dr. W. Wild (Troeger).142
Die Bedeutung des im Knie gelegenen Fettgewebes für die Unfall¬
heilkunde. Prof. Dr. Hoffa (Troeger).143
Fußgelenksdistorsion als Todesursache; ein Beitrag zu Unfällen. Dr.
Walter Fürstenheim (Waibel).148
Ursächlicher Zusammenhang zwischen einem Beinbruch und eitrigen
Blutschwären (Furunkulose) an dem verletzten Beine. Dr. L a s s a r 144
Ursächlicher Zusammenhang zwischen einer einmaligen zu starken
Böntgenbestrahlung einer Hand und einer an derselben anfgetretenen
Krebsbildung. Dr. Benvers (Obergutachten).145
Ueber traumatische Entstehung von Leistenbrüchen. Dr. Berner (Troeger) 146
Zwei Fälle von isolierter Lähmung der Musculi rhomboidei nach Opera¬
tionen. Dr. Marcus (Troeger).818
Ueber Nerven- und Geisteskrankheiten nach elektrischen Unfällen. Dr.
A. Eulenburg (Räuber).319
Ein Fall von Schrecklähmung. Dr. E. v. Leyden und Dr. Paul
Lazarus (Räuber).819
Ueber einen Fall von traumatischer Hysterie mit ungewöhnlicher Häufung
von Symptomen. Dr. G. Fla tau (Troeger).320
Ueber einen Fall traumatischer Nervenerkrankung mit Paralysis agitans
ähnlichen Symptomen. Dr. G. Flat au (Troeger).320
Ueber traumatische Herzklappenzerreißung. Eugen Fraenkel (Waibel) 820
Beitrag zur Frage der Entstehung eines Aortenaneurysmas nach Unfall.
Dr. Kr oh ne (Troeger).321
Sn Fall von doppelter Aortenruptur durch Ueberanstrengung. Dr.
A. Br unk (Troeger).321
Entstehung einer sackartigen Erweiterung (Aneurysma) der Oberschenkel¬
blutader durch Unfall (Ausgleiten mit einem Faße beim Umkippen
eines schwerbeladenen Lowrykastens) Prof. Dr. Thiem und Dr.
Schmidt (Obergutachten).322
Die Blitzgefahr für Personen. Prof. Dr. Hergesell (Obergutachten) 323
Der Unterricht in der versicherungsrechtlichen Medizin. Prof. Dr. Stolper 453
Zum Kapitel der Nichtbeeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit nach dem
Unfall-Versicherungsgesetz nicht unterliegenden Verletzungsfolgen.
Dr. Nonne (Troeger).454
Erstickung durch Fremdkörper oder Kehlkopfverletzung? Betriebsunfall?
Dr. E. Becker (Troeger).454
Ueber renalpalpatorische Albuminurie und ihre Bedeutung für die Dia¬
gnose von Dystopien sowie von Tumoren im Abdomen. Prof.
J. 8chreiber (Dohm).455
Trauma und Diabetes melitus und Glykosurie. Prof. Dr. Kausch (Dohrn) 455
Ueber das gleichzeitige Vorkommen von manifester Syphilis und Tabes.
Dr. C. Adrian (Dohm).455
Ueber die Bedeutung und den Wert der Arbeitsbehandlung Nervenkranker.
Dr. Geißler (Waibel).456
X
Inhalt
Seite.
Hysterische Unfallerkranknngen bei Telephonistinnen. Dr. Boehmig.
(Waibel).456
Aerztliches Obergatachten über den Gesandheitszastand des Arbeiters B.
Prof. Dr. £ Hitzig (Poilitz).457
Traumatische Geistesstörung. Idiop. all gern. Paralyse? Alkoholische
Pseudoparalyse? Dr. H. Kornfeld (Troeger).526
Ueber die versicherungsärztliche Untersuchung des Herzens. Dr. L.
Feilchenfeld (Troeger).626
Ueber die Ausbildung der Aerzte im Begutachtungswesen. Dr. E. Kör¬
ting (Troeger).602
Taberkulindiagnosc in der Unfallbcgutachtung. Dr. F. Köhler (Troeger) 602
Trauma und chirurgische Tuberkulose. Prof. Dr. Ledderhose (Troeger) 603
Ein Fall von spontaner Subluxation der Hand nach unten. Dr. H.
Schulze (Waibel).603
Ueber entzündliche Fettgeschwülste an Knie und Fußgelenken. Dr. Knrl
Gaugele (Waibel).604
Ueber eine seltener vorkommende Kalkaneusfraktur. Dr. Marcus (Troeger) 604
Tod einer Wöchnerin am Tage nach der Entbindung infolge von Hirn¬
embolie. Ursächlicher Zusammenhang mit einem etwa ein Jahr
vorher infolge eines Betriebsunfalls aufgetretenen Herzleiden.
Prof. Dr. Bumm .605
Geschwulst im Kleinhirne; ob durch Einwirkungen von zweimaligem,
sehr starken Kurzschluß, insbesondere durch die dabei eingetretene
Schreckwirkung entstanden oder wesentlich verschlimmert? Prof.
Dr. Flechsig .632
Ueber Dementia paralytica nach Unfall. Dr. G. Beinhold (Kalischer) 703
Nervendruckpunkte und Nervenmassage. Dr. E. Wullen weber (Troeger) 704
Ueber ulcus ventriculi traumaticum. Dr. Fertig (Waibel).705
Die rückständige Versicherungsmedizin. Dr. Go lim er (Troeger) . . 705
Zwei seltene Fälle von subkutaner Sehnenzerreißung. Dr. F. B r ü n i n g
(Waibel).777
Ein seltener Fall von doppelseitiger Sackniero nach Trauma. Dr.
Wolffhügel (Waibel).777
Schwefelwasserstoffvergiftung als Unfallerkrankung. Prof. Dr. Für¬
bringer (Troeger).778
8. Entscheidungen in Unfall- und Invaliditätssachen.
1904. 14. Jan.: Ein Versicherter ist ohne trifftigen Grund nicht berech¬
tigt, das nach § 18 des Invalidenversicherungsgesetzes
mit seiner Einwilligung eingeleitete Heilverfahren zu
unterbrechen und die Krankenanstalt zu verlassen . . 147
„ 23. April: Die Möglichkeit, daß ohne einen im Betrieb zugestossenen
Unfall der Tod bei einem tuberkulösen Arbeiter nicht ganz
so früh eingetreten sein würde, berechtigt nicht, das Ab¬
leben als durch den Betriebsunfall verursacht anzunehmen 146
„ 27. Juli: Zur Befolgung des § 75, Abs. 3 des Unf.-Vers.-Ges. für
Land und Forstwirtschaft, § 69, Abs. 8 des Gew.-Unf.-
Vers.-Ges., genügt es nicht, daß die Berufsgenossenschaft
dem behandelnden Arzte die Abgabe einer gutachtlichen
Aeußerung anheimstellt; sie muß eine solche von ihm
erfordern. — Sind nacheinander mehrere Aerzte in
gleicher Weise an der Behandlung beteiligt gewesen,
ohne daß einer für sich als der behandelnde Arzt an¬
gesehen werden kann, so kann die Uebergebung eines
von ihnen einen die Zurückverweisung an die Berufs-
genossenschaft rechtfertigenden wesentlichen Mangel
des Verfahrens begründen.154
22. Sept: Gebärmutter-Vorfall und Unfall.824
1 ) Wo kein besonderer Vermerk gemacht ist, sind die nachstehenden
Entscheidungen solche des Beichsversicherungsamts
Inhalt.
ZI
1904. 26. Sept.:
. 3. Okt.:
, 21 . .
, 9. Noy. :
15. »
15. .
„ 1. Dez.:
, 9. Y
, 15. ,
. 21 . ff
, 22 . ,
1905. 4. Jan.:
. n *
11 . .
4. Febr.:
„ 2. März:
, 8. April:
- 12 * , :
w
25.
9
, 13. Mai:
■» 20. n :
• 2. Aug.:
Tod durch Perforation eines Darmgeschwüres. Unfall
verneint.
Periodische Geistesstörung in Invalidenrentensachen. .
Zum Begriff Uebergangs- oder Gewöhnungsrente . . .
Gummibeine sind für Verletzte, welche auf Erwerb
durch körperliche Arbeit angewiesen sind, im allge¬
meinen nicht zweckdienlich nnd demzufolge die Berufs¬
genossenschaft nicht zu ihrer Lieferung verpflichtet .
Feststellung der Entschädigungen.
Anweisung, betreffend das Verfahren vor den unteren
Verwaltungsbehörden (§§ 57 bis 64 des Invaliden-
Vers.-Ges.). (Erl. d. preuß. Min. f. Handel u. Gewerbe)
Eine bloße Möglichkeit genügt nicht zum Beweise des
ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem Unfälle
und dem .Tode (infolge von Bauchfelltuberkulose). . .
Grad der Erwerbsverminderung beim glatten Verlust
des rechten Armes im unteren Drittel des Oberarmes
Erwerbsverminderung liegt bei glattem Verlust des linken
Mittelfingers nicht mehr vor.
Erwerbsbeschränkung liegt bei glattem Verlust von
l'/s Glied des rechten Mittelfingers nicht mehr vor. .
Tod durch Lungenherzschlag infolge übermäßiger Hitze
und Einatmen giftiger Gase; ursächlicher Zusammen¬
hang mit einem Unfall anerkannt.
Grad der Erwerbsverminderung eines Kohlenhauers beim
teilweisen Verlust der Sehkraft auf einem Auge . .
Die Möglichkeit des ursächl. Zusammenhanges zwischen
Unfall und Erkrankung genügt allein nicht zur Be¬
gründung eines Bentenanspruches.
Ueber den wünschenswerten Inhalt der ärztlichen Gut¬
achten und der Muster dazu.
Infektion als landwirtschaftlicher Betriebsunfall. Begriff
Unfall (Württemb. Landesversicherungsamt) . . . .
Grad der Erwerbsverminderung bei Verlust des linken
Armes oberhalb des Ellenbogengelenks.
Lungenblutung infolge schweren Hebens als Betriebsunfall
Die Bedeutung ärztlicher Gutachten in Inv.-Vers.-Sachen
Ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Schlaganfall
und der Betriebstätigkeit. Betriebsunfall liegt vor . .
Grad der Erwerbsverminderung bei Verlust des rechten
Mittelfingers, fehlerhafter Hiütung und Schwäche des
Zeigefingers.
Erwerbsverminderung bei Verlust des linken Unter¬
schenkels an der Grenze des mittleren und oberen Drittels
Grad der Erwerbsverminderung bei Verstauchung des
Endgliedes des linken Daumens und freier Beweglich¬
keit des Grundgelenks.
Die Berufsgenossenschaft hat den behandelnden Arzt
nach erfolgloser Auf forderung zur Abgabe einer Aeußerung
behufs Durchführung der Vorschrift im § 75, Abs. 3 des
Unf.-Vers.-Ges. für Land- u. Forstwirtschaft nötigenfalls
gerichtlich als Sachverständigen vernehmen zu lassen
Seit«.
146
325
314
825
148
152
458
458
527
52S
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705
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605
605
635
636
779
779
778
0. Bakteriologie, Infektionskrankheiten, Hygiene nnd öffentliches
Saul täts wesen >).
Die Entstehung und das Wachstum des Hautkarzinoms, nebst Bemerkungen
über die Entstehung der Geschwülste im allgemeinen. Dr. Borr-
mann (Stolper) .... -. 20
Beitrag zur Frage über die Durchgängigkeit der Darmwand für Mikro¬
organismen bei physiol. Verhältnissen. Dr. B. Klimenko (Engels) 21
*) Die Namen der Beferenten sind in Klammern beigefügt.
XII
Inhalt.
8#lte.
Neue Entwickclungsformen des Choleraspirills und der Typhusbakterie.
Prof. Ernst Almquist (Lentz). 22
Le proc6d6 de Gambier pour la recherche du bacille typhique. Dr. LGon
JacquA — Beitrag zur Frage des diagnostischen Wertes einiger
Nährböden für die Typhusbakterien. S. Petkowitscb. — Beitrag
zur Frage der Wirkung des Koffeins auf Typhus* und Kolibakterien.
Dr. F. Kloumann (Lentz). 22
Ueber das Vorkommen von Typhus* und Paratyphusbazillen bei Er¬
krankungen der Gallenwege. Dr. Blnmenthal (Waibel) . . 22
Agglutination bei Autoinfektionen mit besonderer Berücksichtigung des
Icterus. Dr. Lüdke (Dohrn). 23
Zur Serumdiagnostik des Typhus abdominalis mittels des Fick ersehen
Diagnostikums. Dr. Blum (Waibel). 24
Zur Serumdiagnose des Typhus abdominalis mittels des Fick ersehen
Diagnostikums. Dr. v. Tiling (Waibel). 24
Einige Versuche über die Desinfektionswirkung des Saprols. J. Gör¬
bing (Lentz). 24
Experimentelle Beiträge zur Wohnungsdesinfektion mit Formaldehyd.
Dr. Engels (Lentz). 25
Die Wirkung des Formalins auf die Milch und das Labferment. Dr.
Ernst Löwenstein (Engels). 25
Nahrung und Ernährung. Wilhelm Winternitz (Hoffmann) . ... 25
Verbesserungen im Krankentransportwesen. Dr. Ernst Joseph (Troeger) 25
Ein Krankenhaus auf genossenschaftlicher Grundlage. Dr. Lern bk e (Mayer) 26
Embolia der Arteria mesenterica superior im Puerperium. Dr. C r a m e r
(Walther). 47
Lassen sich Infektionen mit tödlichem Ausgange in Entbindungsanstalten,
die dem Lehrzwecke dienen, verhütenP Dr. Ahlfeld (Dohrn) . 47
Ueber Serumbehandlung beim Puerperalfieber. Dr. E. Bumm (Räuber) 48
Ueber die Gefahren der Sublimatanwcndung in der Geburtshilfe. Dr.
To ff (Waibel). 49
Ueber die Augenentzündung der Neugeborenen. Dr. Heß (Walther) . 49
Augentropfgläser. Dr. Blokusewski (Rpd.). 60
Die ätiologische Begründung der Pockendiagnose. Dr. Jürgens (Roepke) 109
Die Pockenepidemie in Bochum im Jahre 1904. Dr. Springfeld (Dohrn) 110
Kuhpockenlymphe und Tetanus. Dr. A. Carini (Lentz).110
Die experimentelle Lyssadiagnose bei Fäulnis der eingesandten Nerven-
zentren. Karl Nico Ile. — Die experimentelle Diagnose der
Lyssa. Ch. Livon (Mayer).110
Bericht über die Tätigkeit der Wutschutzabteilung am Königl. Preuß.
Institut für Infektionskrankheiten zu Berlin im Jahre 1903. Dr.
Schüder (Dohrn).111
Zwei Fälle von Milzbrand. H. E. Edlin (Mayer).112
Zur Bakteriologie der Ruhr. Dr. E. Rautenberg (Lentz) .... 112
Ueber eine Kontaktepidemie von Ruhr in der Umgegend von Metz. Dr.
H. Conradi (Lentz).112
Ein Beitrag zur Lehre von der Vererbung der Syphilis. Dr. Jesi-
oneck (Waibel).113
Die Gonorrhoe der para-urethralen Gänge des Weibes. Dr. Pollak (Dohm) 114
Infektion als Morgengabe. Dr. Schallmayer (Dohm).114
Ueber Tropenkrankbeiten (Gelbes Fieber, Schlafkrankheit, Beriberi). Dr.
B. Nocht (Pflanz).184
Ueber die Trypanosomenkrankheiten. Robert Koch (Pflanz) .... 186
Ueber die Wirkung von Malachitgrün nnd anderen verschiedenartigen
Stoffen gegen Nagana-Trypanosomen bei weißen Ratten. Prof.
H. Wendelstadt (Pflanz).188
Ueber Chininprophylaxe in Neugninea. Dr. Wendland (Dohm) . . 188
Bleivergiftung und Lymphozytengcbalt des Liquor cerebro-spinalis.
Mosny und Malloisel (Mayer).189
Die gewerbliche Hauterkrankung der Seidenhasplerinnen (Mal de bassine)
nnd ihre experimentelle Erzeugung. F. Heim u. L. M. Pantrier 189
(Mayer). 189
Inhalt.
XIII
Saite.
Ueber das Bewahrungshaus in Düren. Dr. Flügge (Pollitz) .... 190
Die Bedentnng der Verseuchung unserer öffentlichen Gewässer and der
, hierdurch bewirkten Verbreitung des Typhus und des Milzbrandes.
Dr. K r o h n e. (Israel)...289
Ueber die für das Puerperalfieber in Betracht kommenden Mikroorganismen
und die Prophylaxe der Krankheit vom sanitätspolizeilichen Stand«
punkt. Dr. Hugo Marx (Israel).290
Ueber die Primelkrankheit und andere durch Pflanzen verursachte Haut¬
entzündungen. Dr. Hoffmann (Weibel).291
Nagelveränderungen nach Scharlach und Masern. Dr. Feer (Waibel) . 291
Zur Kasuistik der kongenitalen Onychogryphosis. Dr. Müller (Waibel) 292
Akzidentelle Vakzination der Nasenschleimhaut. Dr. Lublinski (Waibel) 292
Ueber Prophylaxe und Therapie der Augeneiterung der Neugeborenen.
Prof. Dr. B. G re eff (Pflanz) ..293
Die Prostitution und die Dienstboten. Dr. W. Hanauer (Steinkopff) 294
Die Gesetzgebung auf dem Gebiete der Infektionskrankheiten und der
St&atsarzneikunde. Clark Bell (Mayer).296
Der Laie und der Fachmann gegenüber den Problemen der öffentlichen
Gesundheitspflege. J. Lederle, T. Sedgwick u. CI. Bell (Mayer) 296
Beitrag zur bakteriologischen Untersuchung der Fleischkonserven. Prof.
Dr. E. Pfuhl (Engels).32
Untersuchungen über den Einfluß der Herstellung, Verpackung und des
Kochsalzgehaltes der Butter auf ihre Haltbarkeit mit besonderer
Berücksichtigung des Versands in die Tropen. Dr. A. K e r n (Bost) 826
Untersuchungen über die Haltbarkeit der Magarine mit besonderer Be¬
rücksichtigung des Versands in die Tropen. Dr. A. Kraus (Bost) 327
Ueber die Verwendung der schwefligen Säure als Konservierungsmittel,
insbesondere den jetzigen Stand der Beurteilung geschwefelten
Dörrobstes. A. Beythien (Symanski).827
Ueber das Verhalten der schwefligen Säure in Nahrungs- und Genu߬
mitteln. W. K e r p (Symanski).328
Zur Kenntnis der Blei-Zinnlegierungen. Dr. Otto Sackur . . . . 328
Untersuchung der bleiglasierten irdenen Geschirre in sanitärer Hinsicht.
Mag. J. M. Brückmann (Symanski).328
Ueber Verwendung von Wassergas und anderen Gasen in Fabriken.
(Gewerbl.Kohlenoxydvergiftung.) Dr.Arthur Whitelegge (Mayer) 329
Welche Anforderungen sind vom hygienischen Standpunkte an die Unter¬
bringung der Mannschaften auf Kauffahrteischiffen zu stellen ?
Dr. Karl Pfitz (Israel).830
Verhütung der Selbstentzündung von Benzin. Bittmann (Bost) . . 330
Die Taubstummen im Deutschen Beiche nach den Ergebnissen der Volks¬
zählung von 1900 (Bost).330
Ueber Immunisierungsversuche gegen Tuberkulose. Prof. Dr. P. Baum¬
garten (Bäuber).393
Ueber Kaltblütertuberkulose. Dr. E. Küster (Waibel).394
Erfahrungen mit der Spengler sehen Formalinmethode zur Beinzüchtung
von Tuberkelbazillen aus Bakteriengemischen. Dr. A. Dworetz-
ky (Lentz).394
Weitere Beiträge zur Frage des Einflusses hoher Temperaturen auf Tuber¬
kelbazillen in der Milch. Chr. Barthel und 0. Stenström (Lentz) 395
Der Tuberkelbacillus im Blute nach Aufnahme infektiöser Nahrung.
Ch. Bisanti und L. Panisset (Mayer).895
Ueber Splittersputa Tuberkulöser. Dr. Carl Spengler (Engels) . . 395
Kuhpockenlymphe und Tuberkulose. Dr. A. Carini (Lentz) .... 396
Ueber den Einfluß der Inhalation schwefliger Säure auf die Entwicklung
der Lungentuberkulose. Dr. Carl Kisskalt (Engels) .... 396
Ueber Darmtuberkulose der Kinder in Waldenburg (Schl.). Dr. B.
Bichter (Bäuber).896
Verbreitung und Bekämpfung der Lungentuberkulose in der Stadt Posen.
Prof. E. Wernicke (Lentz).396
Ueber die Anzeigepflicht bei Tuberkulose. Prof. Dr. M. Kirchner (Lentz) 397
Untersuchungen über die Möglichkeit der Uebertragung von Krankheits-
XIV
Inhalt.
fielt*.
erregern. durch den gemeinsamen Abendmalskelch nebst Berner*
kungen Aber die Wahrscheinlichkeit solcher Uebertragung and
Vorschlägen za ihrer Vermeidung. Dr. 0. Boepke and Dr. E.
Hass (Rpd.).397
Taberkalose und Irrenanstalten. Dr. R. H. Hatchings (Mayer) . . 399
Zur Verhütung des Paerperalfiebers. Dr. Heinrich Dörfler (Waibel) 399
Hebammen-Lehrbuch nebst Bemerkangen über den Hebammenanterricht.
Prof. Dr. Ahlfeld (Dohrn).400
Pl¢alösung und Gummihandschuhe. Zugleich eine kurze Darstellung
des jetzigen Standes der Lehre von der Händedesinfektion. Prof.
Dr. Ahlfeld (Rpd.).401
Seifenkresol contra Lysol. Prof. Dr. Ahlfeld (Rpd.).401
Bakteriologische Untersuchungen zur Heißwasser*Alkoholdesinfektion.
Prof. Dr. O. Sarvey (Rpd.).402
Die Desinfektionskraft des käuflichen Liquor cresoli saponatus. Dr. H.
Uebelmesser (Lentz).402
Ueber den Desinfektionswert verschiedener Handelsmarken von Liquor
cresoli saponatus des Deutschen Arzneibuches. Dr. F e h r s (Schmidt) 403
Ueber berufliche Formalinonychien und -dermatiden. Dr. Galewsky
(Waibel).403
Ueber die Verhütung und Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten. Prof.
Dr. Lese er (Dohrn).459
Darf der Arzt zum außerehelichen Geschlechtsverkehr raten P Dr.
Hirsch (Dohrn).459
Ueber sexuelle Abstinenz. Dr. Loewenfeld (Dohrn).460
Ueber die nationale Bedeutung unserer Enthaltsamkeitsbewegung. 'SDr.
Rösler (Schenk).461
Beitrag zur Kenntnis der Polyneuritis alcoholica. Ahlen (Schenk) . . 461
Der Arzt und der Alkohol. Dr. Kassowitz (Schenk).461
Trunksucht und Temperenz in den Vereinigt. Staaten. Dr. La qu er (Schenk) 461
Ueber den Einfluß der Alkoholica auf die sekretorische und motorische
Tätigkeit des Magens. Dr. Ernst Meyer (Schenk).462
Ueber Alkohol als Nahrungsmittel. Dr. Go Idar d (Schenk) .... 462
Untersuchungen alkoholfreier Getränke. Dr. R. Otto und B. Tol-
macz (Symanski).463
Ueber die Beurteilung des Wassers vom bakteriologischen Standpunkt.
R. Emmerich (Symanski).463
Der gegenwärtige Stand der Beurteilung von Trink* und Abwasser nach
der chemischen Analyse. J. König (Symanski).463
Die Trinkwasserversorgung und die Entwässerungs* und Abfuhranlagen,
welche an im Gebirge gelegenen Badeorten erforderlich sind. Dr.
Karl Kompe (Hoffmann).464
Die Gärungsprobe bei 46° als Hilfsmittel bei der Trinkwasserunter-
suchung. Prof. Dr. C. Eijkmann (Lentz).464
Bedeutung der Untersuchung auf anaerobe Bakterien bei der Trink¬
wasseranalyse. H. Vincent (Mayer).465
Nachweis und Bestimmung des Mangans im Trinkwasscr. G. Baumert
und P. Huldefließ (Symanski).465
Eine neue Methode zur Prüfung eines Trinkwassers auf Ammoniak.
A. Trillat und Turchet (Mayer).466
Milchhygienische Untersuchungen. Prof. Dr. Ko Ile (Dohrn) .... 466
Ueber den Nachweis von Formol in der Milch. E. Nicolas (Mayer) . 467
Ueber die Veränderungen der Zusammensetzung der Weine durch
Schönen -mit Hausenblase, Gelatine Eiweiss und Spanischer Erde.
Prof. Dr. K. Windisch und Dr. T. Röttgen (Symanski) . . 467
Beitrag zur Untersuchung und Beurteilung kandierten Kaffees. Dr. E.
Orth (Symanski).467
Windpocken bei Erwachsenen. Dr. Mulert (Rpd.).493
Zur Differentialdiagnose zwischen Variola u. Varizellen. P.Salmon (Mayer) 493
Eine Diptherieepidemie in ursächlichem Zusammenhänge mit Kuhpocken.
Dr. Wm. Robertson (Mayer).493
Pockenbektmpfung in Togo. Dr. Külz (Dohrn).494
Inhalt.
XV
Seit«.
Heber die Lesensdauer und Infektiosität der Pestbazillen in den Ka-
davern von Pestratten. Dr. B. Otto (Lentz).494
Nene epidemiologische Erfahrungen ftber die Pest in Egypten. Prof. Dr.
Emil Gotschlich (Lentz).495
Beobachtangen über eine Epidemie der tropischen Malaria in Mostar.
Dr. Bichard Fi bisch (Waibel).,.495
Beobachtungen über Rötelnepidemien. Dr. U. Bahr dt'(Waibel) . . 496
Zur Verhütungjder epidemischen Cerebrospinalmeningitis. Dr. Otto Dorn-
blüth (Waibel).496
Ueber meine bisherigen Befunde bei der Genickstarre. Dr. Westen-
hoeffer (Bpd.).496
Meningismus typhosus xmd Meningothyphus. Dr. Stäubli (Dohrn) . . 497
Beitrag zur Frage der agglutinierenden Eigenschaften des Serums Typhus¬
kranker auf Paratyphus- und verwandte Bakterien. Grünberg
und Dr. Bolly (Waibel).498
Zur Typhusdiagnose mittels des Typhusdiagnostikums von Ficker. Dr.
Selter, Dr. Flatau, Dr. Wilke und Dr. Eichler (Waibel) 498
ZnrTechnikderGruber-WidalschenBeaktion.Dr.Schotteliu8(Waibel) 498
Endemisches Auftreten von myeloider Leukaemie. Dr. Ludwig Am-
sperger (Waibel).499
Die Milzbrandsporenbildung auf Fellen und ihre Desinfektion. Prof.
E. v. Esmarch (Lentz).500
Ueber Milzbrandantitoxin. Prof. Julio Mendez. — Beitrag zur Serum-
behandlung bei Anthrax. Prof. Jva Ban di (Lentz).500
Erfahrungen aus der Praxis mit einer neuen Methode zum Nach wehte
von Milzbrand und weitere Untersuchungen darüber. .Dr. Marxer
(Stoffels).500
Die Widerstandsfähigkeit verschiedener Bakterienarten gegen Trocknung
und die Aufbewahrung bakterienhaltigen Materials, insbesondere
beim Seuchendienst und für gerichtlich - medizinische Zwecke.
Prof. L. Heim (Merkel).628
Ueber die Bakteriämie und die Bedeutung der bakteriologischen Blut¬
untersuchung für die Klinik. Dr. Georg Jochmann (Dohrn) . 528
Zur Frage der Bakterizidie durch Alkohol. Dr. Victor Buß (Lentz) . 529
Krebs und Sarkom am gleichen Menschen, Dr. H. Landau (Waibel) 529
Die Heilung des Trachoms durch Badium. Pro! Dr. H. C o h n (Räuber) 530
Der Säuglings-Skorbut in Berlin. H. Neumann (Bäuber).680
Bemerkungen zur Ziehkinderfürsorge. Dr. Effler (Dohrn).530
Stüllvermögen. Dr. G. Martin (Dohrn).530
Ueber Luftverunreinigung, Wärmestauung und Lüftung in geschlossenen
Bäumen. Prof. Dr. C. Flügge (Engels).631
Das Verhalten Kranker gegenüber verunreinigter Wohnungsluft. Dr.
W. Ercklentz (Engels).532
Ueber den Einfluß wieder eingeatmeter Exspirationslult auf die Kohlen¬
säureabgabe. Dr. Brnno Hey mann (Engels).632
Die Wirkungen der Luft bewohnter Bäume. Dr. L. Paul (Engels). . 532
Ueber die Schutzmaßregein zur Verhütung von Berufskrankheiten der Ar¬
beiter bei Fabrikation mit Staubentwickelung. Dr. K. Zibell(Israel) 532
Die chronische Vergiftung des Auges mit Blei. L. Lewin (Bäuber) . 533
Beitrag zur Vereinfachung der Helligkeitsprüfung in geschlossenen
Bäumen. Dr. Walter Albrand (Bäuber).534
SchulärztLTätigkeitu. Augenuntersuchungen. Dr.Badziejewski(Dohrn) 534
Die Aufgaben des Schularztes in augenhygienischer Hinsicht. Dr.
Hübner (Dohrn).534
Epileptische Schulkinder. Dr. W. Wey g an dt (Fritz Hoppe) .... 535
Die Schwerhörigkeit in der Schule. Dr. Arthur Hartmann und Prof.
Dr. Passow (Bpd.).535
Versuch des Entwurfes eines Planes zur Entwicklung der Medizinal¬
reform in Preußen. Dr. Bichter (Troeger).637
Die Besultate der prophylaktischen Impfung mit Diphihcrieheilserum
im städtischen Mariahilf-Krankenhause zu Aachen. Prof. Dr.
F. Wesener (Waibel).606
XVI
Inhalt.
Seite.
(Jeher einige Beobachtangen während der diesjährigen Choleraepidemie
in Stidraßland and rassich Mittel-Asien. Prof. M. Hahn (Räuber) 607
(Jeher die agglutinierende Wirkung des Serams von Typhuskranken aal
Paratyphasbazillen nebst Bemerkungen über makroskopische [und
mikroskop. Serodiagnostik. Dr. Körte and Dr. Stein borg (Waibel) 608
Typhasbazillen and hypertrophische Lebercirrhose. A. Gilbert and
P. Lereboullet (Mayer).608
Abdominaltyphus nach Austerngenaß. Haftpflicht einer Stadlgemeinde
wegen fehlerhafter Kanalisationsanlage (Mayer).609
Ueber Aasbreitangswege des Unterleibstyphus in ländlichen and gro߬
städtischen Verhältnissen. Dr. Franz Nesemann (Israel) . . 609
Vorläufiger Bericht über das Vorkommen von Spirochaeten in syphiliti¬
schen Krankheitsprodakten and bei Papillomen. Dr. Fritz
Schandinn and Dr. Erich Holfmann (Kost).610
Ueber Spirochaete pallida bei Syphilis and die Unterschiede dieser Form
gegenüber anderen Arten dieser Gattang. Dr. Fritz Schandinn
and Dr. Hoffmann (Räuber).610
Ueber das Vorkommen der Spirochaete pallida bei Syphilis. C. Fränkel
(Waibel).610
Untersuchungen über Schweineseuche mit besonderer Berücksichtigang
der Immunitätsfrage. Prof. Dr. Beck and F. Koske (Rost) . 611
Zar Frage der Uebertragbarkeit der Schweineseache auf Geflügel and der
Geflügelcholera aal Schweine darch Verfütterang. F. Koske (Rost) 611
Welche Veränderungen entstehen nach Einspritzong von Bakterien,
Hefen, Schimmelpilzen und Bakteriengiften in die vordere Augen-
kammer ? F. K o s k e (Rost).611
Stadien über Säugetiertrypanosomen. S. Prowazek (Rost) .... 611
Stadien über Strongyloides stercoralis (Bavay) (Anguillula intestinalis
and stercoralis) nebst Bemerkungen über Ancylostomam duodenale.
Otto Leichtenstern (Rost).612
Cachexia and Tetania thyreopriva. Dr. Lanz (Fielitz).612
Die behördliche Kontrolle der ansteckenden Krankheiten. Dr. Howard
Wilkinson (Mayer).612
Einige praktische Winke in bezug auf die Verwaltung von Isolier¬
hospitälern. A. Knyvett (Mayer).613
Nenregelong der Anstellang and amtliche Stellung der Gesundheits¬
beamten and Sanitätsinspektoren in England (Mayer).614
Nicht offizielle Leistungen aaf dem Gebiete der öffentlichen Gesundheits¬
pflege. A. S. Norman (Mayer).614
Die hygienische Mitwirkung der Aerzte bei der Ausführung der deutschen
sozialpolitischen Gesetzgebung. Dr. O. Schwartz (Troeger). . 615
Ueber die Notwendigkeit der Errichtung eines Volkswohlfahrtsamtes.
Dr. Rob. Behla (Hoffmann). ..615
Farbentüchtigkeit im EiBenbahndienst. Dr. E. Schwächten (Troeger) 615
Ueber den Einfluß der Ohrerkrankongen auf die Berufstätigkeit der
Hebammen. Prof. Dr. Haag (Troeger).616
Ueber die antiseptischen Eigenschaften des Rauches zuckerhaltiger
Pflanzenstoö'e and ihre Ausnutzung. A. Trillat (Mayer). . . 617
Ergebnisse der Prüfung der Sichler sehen „Sinacid - Butyrometrie“.
Dr. M. Klassert (Symanski).617
Die Durchgängigkeit des Magendarmkanals neugeborener Tiere für
Bakterien und genaine Eiweißstoffe. Dr. A. Uffenheimer (Waibel) 636
Ueber die Keimdichte der normalen Schleimhaut des Intestinaltraktus.
Prof. M. Ficker (Lentz).687
Der Einfluß hoher Temperaturen auf den Schmelzpunkt der Nährgelatine. 637
Dr. Walter Gaehtgens (Lentz).687
Experimentelle Beiträge zur Theorie und Praxis der Gruber-Widal-
schen Agglutinationsprobe. Dr. Robert Scheller (Lentz). . . 637
Ueber den Einfluß des Temperaturoptimums von 55 0 C. auf die Aggluti¬
nation beim Fick er sehen und Widalschen Versuche. Dr.
Karl Sadler (Räuber).638
Ueber die makroskopische Agglutiuationsprobe bei Typhoidfieber. Dr.
G. Aaser (Räuber)., . 638
Iika.lt.
xvn
Die vaiwaadeehaftlichen Beziehungen zwischen dem Bacillus iaecalis
alkaligenes and dem Typhasbacillas. Dr. A. Doebert (Lentz)
Typhasbacillas and Bacillas Iaecalis alkaligenes, zwei nicht verwandte
Spedes. Dr. Richard Tromsdorff (Waibel).
Ueber Raasenonterschiede von Typhusstämmen and Aber Hemmungs¬
körper im Seram in ihrer Bedeatang Ihr die G r aber-Widalsche
Reaktion. Dr. Falta and Nocggerath (Dohrn).
Kasuistischer Beitrag zar Pathologie des Typhös. Dr. Lentz . .
Ueber chronische Typhosbazillenträger. Dr. Lentz .’
Weitere Mitteilungen über die Anreicherungsmethode für Typhös* nnd
Paratyphusbazillen mittelst einer Vorkaltnr aaf Malachitgrün -
agar. Dr. Lentz and Dr. Jalias Tietz. — Ueber die Grenzen
der Verwendbarkeit des Malechitgrünagara zum Nachweise der
Typhusbazillen im Stahle. Dr. K. Nowack (Lentz).
Albuminarie bei Abdominaltyphas. Dr. Stolte (Dohrn).
Ueber das Vorkommen von TyphnsbaziUen in der Gaile von Typhus*
kranken and Typhusbazillenträgern. Prof. J. Förster and Dr.
H. Kayser (Waibel).
Untersuchungen über die Lebensdauer von TyphnsbaziUen im Aquariam-
wnsser. Dr. W. Hollmann (Lentz).
TyphnsbaziUen in dem Wasser eines H&usbrunnens. Dr. Edmund
StrOszner (Lentz).
Ueber die Bedeutung des Bacterium coli im Brunnenwasser. Dr. M.
Kaiser (Lentz). % . . . .
Brunnen* oder Kontaktepidemie P Dr. Lentz .. . . .
Die Verhütung der Verbreitung des Typhös darch Wasserleitangsanlagen.
Auf Grand der bisherigen Erfahrungen. Dr. Lücke (Hoffmann)
Ueber Impfschatzverbände. Dr. Alfred Groth (Waibel).
Ueber die von den Impfärzten za befolgenden Vorschriften. Dr. Solbrig
(Hoffmann).
Säuglingssterblichkeit und ihre Bekämpfung. Dr, Sohlegtendal (Solbrig)
Ueber die Konservierung der Milch durch Wasserstoffsuperoxyd. Dr.
Ernst Banmann (Waibel).
Wie hat sich die Gesandheitspolizei gegenüber dem Verkanf pasteuri¬
sierter Milch zu steUen? Prot Dr. Ostertag (Teoeger) . . .
Biologisches zur MUchpasteurisierung. Alexander Hippius (Dohrn) .
Eine neue Methode zur Prüfung des Trinkwassers aul Ammoniak? Dr.
Bathmann. — Erwiderung. Dr. Mayer .
Zu Kenntnis der Meningitis cerebrospinalis epidemica. Dr. G ö p p e r t
(Räuber).
Pathologische Anatomie and Infektionsweg bei der Genickstarre. Dr.
Westenhöffer (Räuber).
Ueber die gegenwärtige Epidemie der Genickstarre und ihre Bekämpfung.
Prof. Dr. M. Kirchner (Räuber).
Beobachtun g en über die diesjährigen Fälle von Genickstarre. Prot Dr.
Grawitz (Räuber).
Ueber Augenztürungen bei der Genickstarre. Dr. Heine (Räuber) . .
Ueber Meningitis cerebrospinalis epidemica. (Weichselbanmsehe
Meningitis.) Dr. Hugo Schottmüller (Waibel).
Die Dysenterie in KonstantinopeL Deycke u. Reschad Eff endi (Lentz)
Ueber rohrartige Erkrankungen in Deutsch-Südwestafrika. Dr. Hille-
breoht (Dohrn).
Zwei seltene Beobachtungen bei Scharlach. Dr. L. Bleib treu (Waibel)
Ueber den Einfluß des roten Lichtes auf Scharlaohkranke, welcher im
Nürnberger Kinderhoepital beobachtet wurde. Dr. C n o p f (Waibel)
Ehe Masernepidemie. Dr. Heißler (Waibel).
Zu Aettologie der Pnenmonia crouposa. Dr. H. S c h o 11 m ü 11 e r (Waibel)
Heuere Arbeiten über Epidemiologie der Tuberknlose. Dr. Kutscher
(Räuber).
Praktische Ergebnisse der neueren Forschungen über die Beziehungen
zwischen der Meeschen- und Tiertnberknlose.. .
Tuberkulose und Schwangerschaft. Dr. F. Reiche (Waibel) . . . .
Seit«.
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xviü
Inhalt.
Bakteriologische Untersuchungen bei gonorrhoischen Allgemeininfektionen.
Dr. Proschaska (Dohrn).679
Das preuß. Landesgesetz, betr. die Bekämpfung übertragbarer Krank¬
heiten (Preuß. Seuchengesetz). Dr. Martin eck (Hoffmann) . . 680
Der Preußische Landesverein vom Boten Kreuz und die Bekämpfung
von Seuchen gemäß Beichsgesetz vom 80. Juni 1900. Dr. Max
Schuitze und C. A. Ewald (Bäuber).680
Zur Schularztfrage in Hamburg. Dr. Fürst und Gerken (Sobrig) . 680
Betrachtungen über schulärztliche Statistik und Vorschläge zur Herbei¬
führung einer Einheitlichkeit in derselben. Dr. Samosch (Solbrig) 680
Physiologische und pathologische Beobachtungen in der Dorfschule. Dr.
Kr ohne (Troeger).. . . 681
Die Nervenkrankheiten der Schulkinder. Dr. P. Meyer (Bäuber) . . 681
Die praktischen Schwierigkeiten bei der Befriedigung der hygienischen
Forderungen an die Subsellien. Dr. Bostowzeff (Solbrig) . . 681
Ein Beitrag zur Wachstumsphysiologie des Menschen. Dr. Alexander
Koch-Hesse (Solbrig).682
Die gesundheitlichen Mindestforderungen an Badeorte. Dr. Buge (Bäuber) 682
Ueber die wirtschaftlichen und gesundheitlichen Verhältnisse der in nicht
fabrikmäßig betriebenen Wäschereien, Bleichereien und Plättereien
beschäftigten Personen. Dr. Moritz Fürst (Dohrn).682
Ueber spontane Wacbstumshemmung der Bakterien infolge Selbst¬
vergiftung. Dr. Conradi und Dr. Kurpjuweit (Waibel) . . 706
Augenerkrankungen und gastro-intestinale Autointoxikation. Friedrich
Groyer (Waibel).706
Corynebacterium pseudodiphthericum commune als Erreger eines Hirn¬
abszesses. Dr. Steinhaus .706
Ueber Spirochaete pallida. G. Sobernheim u. Tomasczewski (Waibel) 707
Der Streptokokkenbefund bei Variola und Varizellen in bezug auf ein
differentialdiagnostisches Verfahren. Dr. H. De Woele und
Dr. E. Sugg (Waibel).707
Ueber zwei Malariaimpfungen. Dr. Max Glogner (Dohrn) .... 708
Die Ursachen der Zunahme des landwirtschaftlichen Milzbrandes in Gro߬
britannien. Prof. Dr. Sheridan Del6pine (Mayer).708
In welchem Moment wird das Gehirn von Menschen und Tieren, die von
einem wutkranken Hunde gebissen sind, virulentP P. Bern-
linger (Mayer).. . 709
Ein neues Tuberkulosemittel. Prof. Dr. Behring .710
Die neuen dänischen Tuberkulosegesetze. Dr. M. Salomon (Hoffmann) 713
Ueber Maßnahmen und Verfahren zur Bekämpfung der Batten- und
Mäuseplage. Prof. Dr. Wilhelm Kolle (Dohrn).. . 713
Staubversengung bezw. Zersetzung auf Heizkörpern. Herbst (Solbrig) 714
Ueber Bleistaub und Bleidämpfe. Prof. 0. Both (Merkel).715
Die Hilfe für Giftarbeiter. L. Lewin (Bäuber).. . . 715
Fortschritte auf dem Gebiete der Gewerbehygiene in England. Leonard
Ward (Mayer).715
Was lehrt uns die neueste bayerische Blindenstatistik P Dr. F. Salzer
(Waibel).716
Untersuchungen alkoholfreier Getränke (Berichtigung).748
Ergänzungsblätter zum neuen Preußischen Hebammen-Lehrbuch (Aus¬
gabe 1904) (Bpd.). ...... 779
Bemerkungen zu § 3 der Dienstanweisung für die Hebammen im König¬
reich Preußen. Dr. Liedke .783
Ist die im § 318 des neuen Preußischen Hebammenlehrbuches 1904 aus¬
gesprochene Forderung, bei jeder Gesichtslage die Leitung der
Geburt einem Arzte zu übergeben, gerechtfertigt P A. Zahn (Dohrn) 783
Das neue englische Hebammengesetz. Dr. G. H. Fosbroke und Edward
Sergeant (Mayer).784
Kritische Bemerkungen zu dem neuen englischen Hebammengesetze. Dr.
Edmund M. Smith (Mayer). 785
Ein Beitrag zur Bekämpfung der großen Säuglingssterblichkeit. Dr.
Max E b e r t (Dohrn). 785
Inhalt. XIX
Seite.
Ueber das Vorkommen von Spirochaeten bei syphilitischen and anderen
Krankheitsprodakten. Paal Malger (Bäaber).806
Die Spirochaeta vaccinae. Prof. Dr. Bonhoff (Bäaber).806
Untersuchungen über die Vakzine. Dr. S. Prowazek (Bost). . . . 807
Ein Fall von Meningokokken-Septikämie. Prof. Dr. Martini and Dr.
B o h d e (Bäaber).,.807
Die bakteriologische and klinische Diagnose bei den fibrinösen Ent¬
zündungen der oberen Luftwege. Prof. Gerber (Bäaber). . . 807
Zar bakteriologischen Choleradiagnose. Der direkte Agglntinationsversach.
Prof. Dr. Dan bar (Bäaber).808
Ueber die praktische Leistangsfähigkeit diagnostischer Flüssigkeiten für
typhoide Erkrankungen des Menschen. P. P. Klemens (Bäaber) 808
Der Wert der einzelnen klinischen Symptome des Typhös abdominalis
für die Diagnose. Prof. Dr. Treapel (Waibel).809
Typhusepidemie unter Kindern im Schulbezirke der Stadt Deggendorf
1904/1905. Dr. Tischler (Waibel).810
Bakteriologische Beobachtungen bei einer Paratyphasepidemie. Dr.
Alfred Schottelias (Waibel).810
Ueber einen Fall von Infusorien - Enteritis. Dr. Nagel (Waibel) . . 811
Meine Erfahrungen mit dem Antithyreoidin- Serum Möbius bei fünf
Fällen yon Morbus Basedowii. Dr. Th. Schüler (Hoffmann). . 811
Ueber Krankheiten, die dem Krebs yorangehen. E. y. Bergmann (Bäaber) 811
Spielen die Krätzmilben eine Bolle bei der Verbreitung der Lepra? Dr.
Ernst y. Baasewitz (Waibel). 812
Was haben wir yon einer staatlichen Trachombek&mpfang za erwarten ?
Prof. Dr. Greef (Bäaber).812
Ergebnisse der amtlichen Pockentodesstastistik im Deutschen Beiche
▼om Jahre 1903, nebst Anhang, betreffend die Pockenerkrankongen
im Jahre 1903. Dr. Sannemann (Bost).812
Die Ergebnisse des Impfgeschäfts im Deutschen Beiche für das Jahr
1903. Dr. Sannemann (Bost).813
Arbeiten ans dem Kaiserlichen Gesundheitsamt. Beferiert yon Bost.
Beiträge zur Untersuchung yon Schweineschmalz und Butter. Dr.
Edaard Polenske .. . 815
Beiträge zur Untersuchung yon Schweineschmalz. Dr. E. Polenske 815
Ueber Leukonie. Dr. P. Basenack .815
Chemische Untersuchung der Zela-Masse. Dr. E. Polenske . . 815
Fortsetzung der ehern. Untersuchung neuer, im Handel vorkommen-
den Konservierungsmittel für Fleisch und Fleischwaren. Dr. E.
Polenske .815
Ueber den Nachweis yon Kupfer in Gemüsekonserven und Gurken
mittels Eisen. Dr. G. Bieß .816
Chemische Untersuchung eines unter dem Namen Frnktin (Honig¬
ersatz) im Handel befindlichen Präparates. Dr. G. Bieß . . . 816
Die Ergebnisse einer biologischen Probeuntersuchung des Bheins.
Prot Dr. B. Lauterborn.816
III. Besprechungen. 1 )
Abel, Dr. Budolf: Taschenbuch für den bakteriologischen Praktikanten
(Boepke).580
Alexander, Dr. Carl: Geschlechtskrankheiten und Kurpfuscherei
(Blokusewski).651
Bardeleben, Prof. Dr. K. v.: Handbuch der Anatomie des Menschen (Bpd.) 684
Baur, Dr. Alfred: Lehrbuch für den Samariterunterricht (Bump) . . 750
Block, Dr. Felix: Wie schützen wir uns vor den Geschlechtskrank¬
heiten und deren üblen Folgen? (Blokusewski).652
Brealer, Dr. Joh.: Die Bechtspraxis der Ehescheidung bei Geistes-
*) Die Namen der Beferenten sind in Klammern beigefügt.
XX
Inhalt.
Seite.
krankheit and Tranksacht seit Inkrafttreten des Bürgerlichen
Gesetzbaches (Pollitz).683
Branner, Grandriß der Krankenpflege für den Unterricht in den Dia¬
konissenanstalten usw. (Rump).751
Calmette, A. and M. Breton: L’Ankylostomie (Tenholt) .... 651
Daum, Dr.: Praktische Gebartshülfc (Walther).502
Desing, Br. Ch.: Die Schalbankfrage (Roepke).581
Dessaaer, Friedrich: Röntgenologisches Hilfsbach (Roepke) . . . 438
Deutscher Hebammen'Kalender für 1906 (Blokasewski) . 788
Dieudonn6, Prof. Dr. A.: Hygienische Maßregeln bei ansteckenden
Krankheiten (Roepke).618
Eberth, Prof. Dr. C. J.: Die männlichen Geschlechtsorgane (Rpd.). . 684
Eschle, Dr. F. C. R.: Die krankhafte Willensschwäche und die Auf*
gaben der erziehlichen Therapie (Pollitz).650
Eulenburg, Prof. Dr. A.: Die Hysterie des Kindes (Pollitz). . . . 650
Pfeiffer; Dr.: Jahresbericht über die Fortschritte and Leistungen auf
dem Gebiete der Hygiene für das Jahr 1902 (Rpd.).500
Feistmantel, Dr. C.: Trinkwasser und Infektionskrankheiten (Ramp) 333
Feßler, Dr. Jalius: Taschenbach der Krankenpflege (Rump) .... 750
Fick, Prof. Rudolf: Anatomie und Mechanik der Gelenke unter Be¬
rücksichtigung der bewegenden Muskeln (Rpd.).684
Flinzer, Med.-Rat Dr. R.: Die Medizinalgesetjce and Verordnungen
des Königsreichs Sachsen (Rpd.).817
Fährmann, Dr. Manfred: Diagnostik und Prognostik der Geistes¬
krankheiten (Rump).297
Gesundheitsbüchlein (Roepke).580
Graack, Henry: Sammlung von deutschen und ausländischen Gesetzen
and Verordnungen, die Bekämpfung der Kurpfuscherei and die
Ausübung der Heilkunde betreffend (Roepke).581
Gräber: Prot Dr. Max: Tuberkulose and Wohnungsnot (Roepke) . . 868
Garwitz sch, Dr. Alexander: Morphologie u. Biologie der Zelle (Roepke) 438
Gntmaon, Dr.: Bedeutung der Geschlechtskrankheiten für die Hygiene
des Auges (Blokasewski).652
Hammer, Dr. Wilhelm: Die gesundheitlichen Gefahren geschlechtlicher
Enthaltsamkeit (Blokasewski).652
Hecker, Dr. und Dr. S. Trampp: Atlas und Grundriß der Kinder¬
krankheiten (Rpd.).787
Herzfeld, Dr. Georg: Handbuch der bahnärztlichen Praxis (Roepke). 227
Heyn, B.: Ueber Besessenheitswahn bei geistigen Erkrankungszuständen
H öl der, Dr. H. v.: Pathologische Anatomie der Gehirnerschütterung
beim Menschen (Hoffmann).653
Je Hin eck, Dr. S.: Elektropathologie (Roepke) .192
Jürss, Dr. Fritz: Beiträge zur Kenntnis der Wirkungen einiger als
Volksabortiva benutzten Pflanzen, Tanacetum, Thuja, Myristica
Kraepelin, Dr. Emil: Einführung in die psychiatrische Klinik (Rump) 683
Kratter, Dr. Julius: Beiträge zur Lehre von den Vergiftungen (Hoffmann) 684
Krenzlin, Reg.-Rat: Das staatliche Aufsichtsrecht gegenüber zen¬
tralen Wasserleitungen in Preußen (Dütschke). 87
Lehmanns m edizinische Handatlanten: siehe Lehmann,
Neumann, Zuckerbrandl, Hecker, Trumpp.
Lehmann, Prof. Dr.: Atlas und Grandriß der Bakteriologio und Lehr¬
buch der speziellen bakteriologischen Diagnostik (Engels) . . . 366
Lesser, Dr. Adolf: Stereoskopischer gerichtsärztlicher Atlas (Rpd.) . 438
Lenken, C.: Die Apothekengesetzgebung (Räuber).751
Mann: Die Pflege der Wöchnerin und des Säuglings (Walther) . . . 501
Marcuse, Dr. Max: Darf der Arzt zum außerehelichen Geschlechts¬
verkehr raten? (Blokusewski) ............. 652
Mense, Dr. Carl: Handbuch der Tropenkrankheiton (Rpd.) .... 751
Mez, Dr. Carl: Das Mikroskop und seine Anwendung (Roepke) . . . 501
Meyers Großes Konversations-Lexikon (Roepke).687
Inhalt.
XXI
368
Nauwerck, Pro L Dr. C.: Sektiönstechnik Ihr Stadicrende and Aerzte
(Roepke).537
Neuberger, Dr.: Die Verhütung der Qeschlechtskrankheiten (Blokosewski) 580
Neamann, Dr.: Atlas and Qrandriß der Bakteriologie and Lehrbach
der speziellen bakteriologischen Diagnostik (Engels).366
Nenmaan, Dr. jar. Hugo: Die öffentliche rechtliche Stellung der
Aerzte (Roepke).581
Neamann, Dr. W.: Ueber den sogenannten Weiche elzopf (Roepke). . 537
Ostertag, Dr. Robert: Handbuch der Fleischbeschau für Tierärzte,
Aerzte und Richter (Roepke).581
Pa hl, Dr. Gustav: Der österreichische Geriohtsarzt. Vademecum für
die forensische Praxis für Aerzte and Juristen (Ramp) .... 618
Pharmazie, Schale der: Bearbeitet von Dr. J. Holfert, Prof. Dr.
H. Thoms, Dr. E. Mylius, Prof. Dr. E. Glig and Dr. K. F.
Jordan (Ramp).718
Prnasnitz, Dr. W.: Grandzüge der Hygiene anter Berücksichtigung
der Gesetzgebung des Deutschen Reichs and Oesterreichs (Roepke) 681
Proksch. J. R.: Beiträge zur Geschichte der Syphilis (Blokosewski) 652
Rai mann, Dr. Emil: Die hysterischen Geistesstörungen (Pollitz) . 331
Rambousek, Dr. J.: Luftverunreinigung and Ventilation mit beson¬
derer Rücksicht auf Industrie and Gewerbe (Roepke) .... 487
Rapmand, Dr. 0.: Kalender für Medizinalbeamte (Fielitz) ... 50, 817
Bei fi ig, Dr. Carl: Das ärztliche Handbach für Gesunde a. Kranke (Roepke) 61
Ropp, Prot Dr. Carl: Das Geschlechtliche in der Jugenderziehung
(Blokosewski).652
Roth, Dr. E.: Kompendium der Gewerbekrankheiten and Einführung
in die Gewerbenygiene (Rpd.).686
Schelenz, Herrn.: Geschichte der Pharmazie (Gottschalk).367
S ehmedding, A.: Die Gesetze, betr. Bekämpfung ansteckender Krank¬
heiten (Meyer).818
Schroen Dr. Otto v.: Das neue Mikrobe der Lungenphthise und der
Unterschied zwischen Tuberkulose u. Schwangerschaft (Roepke) 369
Schroe ter; Das Fleischbeschaagesetz (Rpd.).686
Sehweehten, Dr. Eisenbahnhygiene (Roepke).717
8ommer, Prof. Dr.: Kriminalpsychologie and strafrechtliche Psycho¬
pathologie auf naturwissenschaftlicher Grundlage (Schütte). . . 638
Stier, Dr. Ewald: Fahnenflucht und unerlaubte Entfernung (Pollitz) . 711
8tuerz, Dr.: Praktisthe Anleitang zur Organisation von Fürsorgessellen
für Lungenkranke and deren Familien (Engels).191
Thompson, Helen Bradford: Vergleichende Psychologie der Geschlechter
(Pollitz).650
Trumpp, Dr. J.: Gesundheitspflege im Kindesalter. 52
Trumpp; s. Heeker.
Uhlenhat, Prof. Dr.: Das biologische Verfahren zar Erkennung und
Unterscheidung von Menschen- and Tierblat, sowie anderer Eiweiß-
substanzen und seine Anwendung in der forensischen Praxis (Ziemke) 749
Urban, E.: Die gesetzlichen Bestimmungen über die Ankündigung von
Geheimmitteln, Arzneimitteln und Heilmethoden im Deutschen
Reiche einschließlich der Vorschriften über den Verkekr mit Ge-
heimmittela (Rpd.).618
W e v 1,' Dr. Theodor: Handbuch der Hygiene (Rpd.).437
Wehmer, Dr. R.: Enzyklopädisches Handbuch der Schulhygiene (Rpd.) 438
Zuckerkandl, Dr. Otto: Attas und Grundriß der chirurgischen Ope¬
rationslehre (Rpd.).787
Tagesnachrichten.
Ans dem Reichstage:
Obligatorische Alters-'und Invalidenversicherung des Handwerks . 27
Erörterung über die freie Aerztewahl, Leipziger Aerztestreik usw. 192
XXII
Inhalt.
Seite.
Frage der Ausdehnung der Krankenkassenversicherung auf die Haus¬
industrie (Heimarbeiter) and landwirtschaftlichen Arbeiter . . . 192
Vermehrung der Gewerbeaufsichtsbeamten, wirksamere Kontrolle der
Kinderschutzgesetzgebung u. schärfere Vorschriften zum Schutz der
Arbeiter in Betrieben mit höherer Gesundbeits- u. Vergiftungsgefahr 192
Frage der Apothekenreform, rcichsgesetzliche Regelung des Verkehrs
mit Geheimmitteln u. Beaufsichtigung des Verkehrs mit Nahrungs¬
und Genußmitteln.193
Annahme der Resolutionen Aber Ausdehnung des Arbeiterschutzes
auf die Hausindustrie, den sanitären Maximalarbeitstag in den
Glashütten, größere Sonntagsruhe für Arbeiter und Vorsichtsma߬
regel für Verarbeitung giftiger und explosiver Stoffe.228
Annahme der von der Intern. Sanitätskonferenz zu Paris abgeschlossenen
Uebereinkunft betr. die Bekämpfung der Pest und der Cholera . 369
Aus dem preußischen Landtage:
Bericht über die Petition betr. die Neuregelung des Apothekenwesens 27
Annahme des Antrages in der Kommission, betr. Schaffung eines
Mitteilung über die Preisfestsetzung des Diphtherieserums . . . 156
Schadloshaltung der zur Verfügung gestellten Kreisphysiker und
Kreiswandärzte, Anregung der Frage betr. Regelung der Pensio¬
nierung der nicht vollbesoldeten Kreisärzte und Festsetzung einer
Reisepauschalsumme; Inaussichtstellung eines Hebammengesetzes
und Förderung der Wochenbettpflege.193
Antrag auf gesetzliche Regelung der Fürsorge für mittellose
geisteskranke und schwachsinnige Personen.228
Seuchengesetz, Sicherung der Mitwirkung Rob. Kochs bei seinem
Ausscheiden und Kinderheilkunde.264
Auftreten der Genickstarre in Schlesien.265
Beschluß einer Petition um Erlaß eines Gesetzes zum Schutz der
Mineralquellen und um Verbesserung der Einkommen- und Alters¬
versorgungsverhältnisse der Hebammen.333
Beratung des Gesetzentwurfs, betr. die Gebühren der Medizinalbe-
Beratung des Gesetzentwurf betr. die Bekämpfung übertragbarer
Interpellation betr. die Verunreinigung der Flüsse im hessischen Landtage 27
Bakteriologische Untersuchungsstation zur Bekämpfung des Typhus in
Neuen kirchen. 28
Besprechung vorläufiger Maßnahmen zur Bekämpfung dep Typhus . . 28
Gesundheitszustand der in den Gefängnissen der preuß. Justizverwal¬
tung untergebrachten Gefangenen während des Betriebsjahres 1902 . 28
22. Kongreß für innere Medizin. 28
Das preußische Medizinalwesen in dem Staatshaushaltsetat 1905/1906 52
Errichtung einer ordentlichen Professur für Hygiene in Tübingen . 66, 333
Hauptversammlung der Deutschen Gesellschaft für Volksbäder ... 66
Denkschrift über eine Reform des Medizinalwesens in Elsaß-Lothringen 87,116
Anstellung eines Stadtarztes in München. 87
Vergütung der ärztlichen Sachverständigen für Teilnahme an den
Sitzungen der Schiedsgerichte für Arbeiterversicherungen .... 87
Vermächtnis an das Krebsforschungsinstitut in Heidelberg. 88
26. Balneologenkongreß in Berlin .. 88
77. Versammlung Deutscher Naturforscher n. Aerzte 88, 299, 371, 469, 664, 688
Konferenz der Zentralstelle für Arbeiter-Wohlfahrtseinrichtungen . . 88
Einladung zur intern. Regierungskonferenz für Arbeiterschutz in Bern . 88, 370
Erscheinen des Statistischen Jahrbuchs für den preußischen Staat . . 88
Bedeutung einer einwandsfreien Wasserversorgung.115
Zustimmung des Bandesrats zu einer einheitlichen Arzneitaxe 115, 156,229, 819
Beleidigungsprozeß (Dr. Pfeiffer).116
Erörterung über die Stellung der Gefängnisärzte in Preußen .... 118
Maßnahmen zur Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit in Berlin . . . 118
Inhalt.
xxm
Seite.
Bildung eines Landeskomitees fttr Krebsforschung in Baden 118, in Bayern 408
Kongreß der deutschen Gesellschaft f&r Chirurgie.* 119
Böntgen- Kongreß.119
I. Internationaler Kongreß gegen Alkoholismus.119
VIL Internationaler Kongreß für Hydrologie, Klimatologie, Geologie
und physikalische Therapie.120
Preisausschreiben.120, 167, 408
Feststellung eines Verzeichnisses von Krankheiten und Todesursachen . 166
Neuordnung des Apothekenwesens in Sachsen-Weimar.166
Zweiter Kongreß der Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung der Ge¬
schlechtskrankheiten .157
IV. Kongreß der deutschen Gesellschaft für orthopädische Chirurgie . 157
22. Kongreß für innere Medizin.157
Einführung von Fortbildungskursen für die Oberamtsärzte und Alters¬
versorgung der Hebammen.* . . . 196
Errichtung einer gemeinsamen Anstalt für geisteskranke Verbrecher in
Thüringen.196
Versammlung von Juristen und Aerzten in Stuttgart.196
Versammlung des Deutschen Vereins für öffentl. Gesundheitspflege . 196, 664
Bildung eines Vereins in Berlin: Gesellschaft für soziale Medizin, Hy¬
giene und Medizinalstatistik.196
Bakteriologische Untersuchungstelle in Düsseldorf.229
Bakteriologischer Kursus für die bayerischen Amtsärzte u&w.228
Bekämpfung des Alkohols in Württemberg.228
Epidemische Kopfgenickstarre. . 228, 297, 369, 408, 430, 471, 620, 663, 762
Stand der Wurmkrankheit.228
Freisprechung eines Kurpfuschers wegen Geisteskrankheit.229
Hauptversammlung des Deutschen Apothekervereins. 229, 471, 683
Ablehnung der Errichtung einer Akademie für praktische Medizin in
Frankfurt a. M.333
Der erste Fortbildungskurs für Sanitätsoffiziere und Medizinalbeamte an
der Akademie für praktische Medizin in Köln.281
Aufruf zum Wettbewerb zur Erlangung einer Anleitung zur richtigen
Ernährung und Pflege der Säuglinge.266
Hauptversammlung des Deutschen Vereins für Volksbäder .... 298, 720
VI. Jahresversammlung des Deutschen Vereins für Schulgesundheitspflege 298
Schenkung zu wissenschaftlichen Zwecken.299
XXII. Hauptversammlung des Preußischen Medizinalbeamtenvereins . . 333
Eröffnung des erweiterten hygienischen Instituts in Berlin.333
Fortbildungskurse für die preußischen Kreistierärzte.333
Begelung des Handels mit Giften im Großherzogtum Hessen .... 333
Hy Versammlung des Deutschen Vereins für öffentl. Gesundheitspflege 334, 654
Internationaler medizinischer Unfallkongreß in Lüttich.334
Zugang der Grundsätze für Wasserversorgung beim Bundesrat . . . 369
Vorschriften über den Verkehr mit Geheimmitteln usw.370
9. Generalversammlung des Deutschen Zentralkomitees zur Errichtung
von Heilstätten für Lungenkranke.370
Knte Tagung der Deutschen Gesellschaft für gerichtliche Medizin . . 370
VIL Deutscher Samaritertag . . . ...371
Jahresversammlung Bayerischer Psychiater .371
Zweite Landesversammlung des Bayerischen Medizinalbeamtenvereins . 407
Znlasssung der Feuerbestattung im Herzogtum Meiningen.408
Internationaler Tuberkulosekongreß in Paris. 408, 502, 688
Zweiter Internationaler Kongreß für Milchwirtschaft. 408, 540
Generalversammlung des Zentralkomitees für ärztl. Fortbildungswesen . 439
Generalversammlung des Deutschen Vereins für Volkshygiene . . . 440
Todesfälle: (Kreisassistenzarzt Dr. Wagner) 440; (Geh. Ob.-Med.-Bat
Dr. Krieger) 440; San.-Bat Dr. Martens) 440; (Dr. Neetzke) 639
Erhebungen, betreffend Arbeiterschutz.. 469
Bekämpfung der aus der Verwendung von Blei drohenden Gesnndheitsgefabren 469
Bitte an die Leser der Zeitschrift ..472
Ban eines gerichtsärztlichen Instituts an der Universität Breslau . . 539
XXIV
Inhalt.
Seite.
Bekanntmachung hinsichtl. der Prüfung für den ärztl. Staatsdienst in Bayern 689
Dienstanweisung für die Hebammen in Hessen. 599, 752
Psychiatrischer Fortbildungskursus in Uchtspringe.589
7. Kongreß des Deutschen Vereins für Volks* und Jugendspiels . . . 540
Verteilung des Preises für die beste Abhandlung über die Körnerkraakheit 540
Cholera. 582, 619, 668, 688. 719, 752, 819
Erster internationaler Kongreß für Psychiatrie und Neurologie. . . . 582
Internationaler Kongreß über die Frage der Säuglingsmilchküchen . . 582
X. Internationaler Kongreß gegen den Alkoholismus.588
IV. Hauptversammlung des Deutschen Medizinalbeamtenvereins . . . 618
Deutscher Verein für Armenpflege und Wohltätigkeit. 620, 654
Jahresversammlung des Verbandes konditionierender Apotheker . . . 620
10. Kriminalistische Vereinigung.658
Gesundheits - Attaches. 655
Gesetz, betr. die Bekämpfung ansteckender Krankheiten. 688, 719
Personalien: (Reg.-u. Med.-Rat Dr. Abe 1) 688; (Dr. Köhler) 719; (Geh.
Rat Prof. Dr. Koch) . 720, 819
IV. Internationaler Kongreß für Versioherungsmedixin. 688, 819
Stimmrecht der technischen Mitglieder der Regierungen.719
Feuerbestattung in Sachsen.720
Internationaler Kongreß für Gewerbekrankheiten.720
Beschränkung des Handels mit Lysol.752
82. Plenarsitzung des König!. Sächsischen Landesmedizinalkollegiums 752, 788
Anwendung des § 45 (Stellvertretung) auch auf das Apothekergewerbe 752
Jahressitzung des preußischen Aerztekammer-Ausschusses.758
Zum Reichshaushaltsetat für 1906 . 788
Errichtung eines Volkswohlfahrtsamtes.818
Kosten für die medizinische Fakultät der Univerität Münster .... 819
Kongreß zur Bekämpfung der ungesetzlichen Ausübung der Heilkunde. 820
Notiz des Direktoriums der Versicherungskasse der Aerzte Deutschlands 820
Y erscMedenes.
Deutscher Medizinalbeamtenverein. 372, 508, 584
Preußischer Medizinalbeamtenveroin. 56, 159, 268
Bsyerischer Medizinalbeamtenverein. 267, 800, 834
Württembergischer Medizinalbeamtenverein .800
Sprechsaal . 120, 168, 299, 871, 472, 820
Berichtigungen. 28, 88, 159, 268, 300, 372, 408, 640, 656, 766
Neu eingegangene Bücher. 334, 758
•H—H -
Sach - Register.
iMMdultyphu, s. Typhös.
Abendmalskelch, gemeinsamer, Ueber-
tragung Ton Krankheitserregern 897.
Abgeordnetenhaus, preußisches, Bera¬
tung Aber Seuchengesetz 70,97,196,
250, 264, 404, 468; Aber Apotheken¬
wesen 27; Aber Volkswohlfahrt 118,
266; Diphtherieserum 156; Stellung
der Kreismedizinalbeamten 198 und
deren Gebühren 404, 468; Heb-
ammenwesen 193, 333; Fürsorge für
Geisteskranke 228; Genickstarre 265;
Mineralquellen 333.
Abort, krimineller 522.
Ahortivmittel 652.
Abstinenz, sexuelle 460.
Abziehbilder, bleihaltige 66.
Agglutination beim Fischerschen und
Widalschen Versuche 24, 498, 608,
637, 638, 809; bei Autoinfektionen
mit besonderer Berücksichtigung des
Icterus 28.
Akromegalie 776.
Albuminurie bei Abdominaltyphus 642,
renalpalpatorische 455.
Alkohol und Arzt 461; als Nahrungs¬
mittel 462; sein Einfluß auf die Tätig¬
keit des Magens 462; Bakterizidle
durch Alkohol 529.
Alkoholismus und Ehescheidung 259,
Bewertung des Tremors als Zeichen
dafür 598.
Alkoholparanoia, forensische, deren
Abgrenzung 259.
Alkoholpsychosen, chronische 701.
Ammoniak, Prüfung des Trinkwassers
auf 466, 647.
Anatomie des Menschen, Lehrbuch 644.
Anatomische Präparate, Konservie¬
rung 519.
Anchylostomiasis 651; Strongyloides
stercoralis 612: Einwanderung der
Larven durch die Haut 91.
Aneurysma der Aorta 321, der Ober-
schenkelader 322.
Ansteckende Krankheiten, s. Krank¬
heiten.
Ansteckung mit Lungentuberkulose,
Schadenersatz hierfür 816.
Anthrax, 8erumbehandlungbeidies.500.
Antithyreoidin • Serum bei Morbus Ba-
sedowii 811.
Anzeigepflicht bei Tuberkulose 397.
Aorta, Aneurysma 321, Buptur 321.
Apothekengesetzgebung 27, 751.
Arm, Erwerbsverminderung beim Ver¬
lust eines Armes 458.
Arsen, Ausscheidung als Natriumme-
thylarsenat 288; elektrolytische Be¬
stimmung kleiner Mengen 289; Lo¬
kalisation bei Vergiftung durch
arsenige Säure 288.
Arterienatherom, Pathogenese 46.
Arzneiexanthem nach Aspirin 520.
Arzt und Alkohol 461, Ausbildung in
der Sachverständigentätigkeit 602;
hygienische Mitwirkung bei der so¬
zialpolitischen Gesetzgebung 615;
Öffentliche rechtliche Stellung 581;
behandelnder, Einforderung von Gut¬
achten in landwirtschaftlichen Un¬
fallsachen 154; Wochenkarten bei
ansteckenden Krankheiten 621.
Atlas, stereoskopischer, gerichtsärzt¬
licher 488, medizinischer 866, 787.
Atmung, künstliche, Gefahren u. Vor¬
teile 15, 256.
Atoxylinjektion, Erblindung darn. 520.
Atropinvergiftung 44.
Aufsichtsrecht, staatl. gegenüber zen¬
tralen Wasserleitungen in Preußen 86.
Auge, Einfluß der chron. Bleivergif¬
tung auf dieses 533; Entzündung
der Neugeborenen 49, 293; Erkran¬
kung und gastro- intestinale Auto¬
intoxikation 706.
Augenkammer, vordere, Veränderung
nach Einspritzung von Bakterien usw.
611.
Augentropfgläser 50.
Augenuntersuchungen und schulärzt¬
liche Tätigkeit 534.
Autoinfektion, Agglutination dabei mit
besonderer Berücksichtigung des Ic¬
terus 28; gastro - intestinale und
Augenerkrankung 706; und Wachs¬
tumshemmung der Bakterien 706.
Bacillus faecalis alkaligenes u. Typhus¬
bacillus 638.
XXVI
Sach - Register.
Bacteriom coli im Brunnenwasser 643. j
Badeorte, hygienische Einrichtungen |
464; gesundheitliche Mindestfor- j
derungen 682.
Bahnärztliche Praxis, Handbuch 227. i
Bakterieaemie 528. I
Bakterien, spontane Wachstumshem- j
mung infolge Selbstvergiftung; anae¬
robe, bei Trinkwasser 465.
Bakterienarten, Widerstandsfähigkeit
verschiedener gegen Trocknung und |
Aufbewahrung.
Bakteriologie, Atlas u. Grundriß 366, j
560; der Ruhr 112.
Bakteriologische Untersuchungen zur
Heißwasserdesinfektion 402; der
Fleischkonserven 326.
Bakterizidie durch Alkohol 529. 1
Begnadigung und Strafaussetzung, be- ,
dingte 16. j
Beinbruch und Furunkulose 144.
Benzin, Verhütung seiner Selbstent¬
zündung 330.
Berger, der Fall B. und die ärztliche
Sachverständigentätigkeit 258.
Beriberi 184.
Besessenheitswahn bei geistigen Er¬
krankungszuständen 649.
Betriebsunfall s. Unfall.
Bezirksärzte, Bayer, und Schularzt-
frage 342, 378.
Bierdelirium, 598.
Biologie und Morphologie der Zelle 438.
Bißverletzung, Vena saphena, drohende
Verblutung 315.
Blase, Fremdkörper darin infolge von
Masturbation 89.
Bleichereien, gesundheitliche Verhält¬
nisse 682.
Bleiglasierte irdene Geschirre 328.
Bleistaub und Bleidämpfe 714.
Bleivergiftung und Lymphozytengehalt
des Lipuor cerebrospin. 189; Einfluß
auf Gebärmutter 95; auf d. Auge533.
Blei-Zinnlegierungen 328.
Blindenstatistik, neueste bayerische 716.
Blitzgefahr für Personen 323.
Blutentnahme, Besteck zur sero-dia¬
gnostischen 281, 510.
Blut, Nachweis, quantitativer 183; neue
Methode 421; Rieglersche 776; Em¬
pfindlichkeiteiniger chemischer Nach¬
weismethoden von CO» Blut 444;
Unterscheidung von Menschen- und
Tierblut 749; Einfluß der Peroxydase
bei den mit Blut erhaltenen Farben¬
reaktionen 45; Tuberkelbazillen im
Blute nach Aufnahme infektiöser
Nahrung 395.
Borsalbe, Todesfall nach Anwendung
bei einer Brandwunde 434.
Brabemtinde, Choleraüberwachungs-
stclle 799.
Brandwunde, Todesfall nach Anwen¬
dung von Borsalbe 434.
Brunnen- oder Eontaktepidemie 643.
Butter, Untersuchungen über Kochsalz¬
gehalt 326; über Butter u. Schweine¬
schmalz 815.
Butgeometrie 617.
Cachexia u. Tetania thyreopriva 612.
Cerebrospinalmcningitis, s. Meningitis
cerebrospinalis.
Chininprophylaxe in Neu-Guinea 188.
Chloroform, Leberveränderungen durch
diese 289.
Cholera- und Typhusbazillen, neue Ent¬
wickelungsformen 22.
Choleraepidemie in Südrußland 607.
Choleraüberwachungsstelle Brahe-
münde 799.
Choleradiagnose, bakteriologische 808.
Chorea, in forensischer Beziehung 316.
Choreatische Geistesstörung, Differen¬
tialdiagnose 317.
Corpora oryzoidea der Fingerbeuger
und Unfallbegutachtung 17.
Corynebacterium pseudodiphthericum
commune als Erreger eines Hirn¬
abszess 706.
Darm, und Lunge, Luftleere bei
Leichen Neugeborener 413.
Darmgeschwür und Unfall 146.
Darmtuberkulose der Kinder in Wal¬
denburg 396.
Darmwand, Durchgängigkeit für Mikro¬
organismen 21.
Dementia paralytica nach Unfall 703;
juvenile mit einem Heilerfolg 602.
Depressionszustände des höheren Al¬
ters 630.
Desinfektion, bakteriologische zur Heiß-
wasser-Alkohol 402.
Desinfektionsapparat, stationär und
transportabler 197; mit Formalin 25,
420, 480, 721, 741, 743.
Desinfektionsmittel, Saprol 24, Liq.
Cres. sapon. 402, 403, Formysol 606.
Desinfektionswirkung des Formalins
auf tuberkelbazillenhaltigen Lungen-
auswurf 208.
Detmold, Unterleibstyphus 1904das. 541
Diabetes melitus und Glykosurie und
Trauma 455.
Dienstboten und Prostitution 294.
Diphtherieepidemie in ursächlichem Zu¬
sammenhang mit Kuhpocken 493.
Diphthericheilserom, prophylaktische
Impfung 606.
Dörrobst, Konservierung durch schwef¬
lige Säure 327.
Doppelbildung, unvollständige des un¬
teren Körperendes 585.
Düren, Bewahrungshaus 190.
Sach - Register.
XXVII
Duisburg, Ruhrepidemie daselbst im
Jahre 1904 301.
Duodenum, Magen und Milz, Situs in-
rersus 108.
Dysenterie in Konstantinopel 673.
Ehescheidung und Alkoholismus 259;
bei Geisteskrankheit und Trunk*
sucht 683.
Ehe und Krankheiten 366.
Ehrenroth-Marxsche Verfahren zur
Unterscheidung yon Menschen- und
Tierblnt 449.
Eisenbahndienst, F&rbentüchtigkeit
darin 615.
Eisenbahnhygiene 717.
Elektrische Unfälle, Nerven- u. Geistes¬
krankheiten nach diesen 319.
Elektrizität, Tod durch diese 441.
Elektrolytische Bestimmung kleiner
Arsenmengen 289.
Elektropathologie 192.
Elsaß-Lothringen, Stellung der Kreis¬
ärzte daselbst 490, 611.
Embolia der Arteria mesenterica supe-
rior im Puerperium 47.
Embryoktonie oder geflissentliches Mi߬
gebären 283.
England, Neuregelung der Stellung des
Gesundheitsbeamten 614; Fürsorge
für Geisteskranke 632; Gewerbehy-
giene 715 ^Hebammenwesen 784,785.
Entbindungsanstalten, Wochenbett¬
infektionen in diesen 47.
Enteritis durch Infusorien 811.
Enthaltsamkeitsbewegung, nationale
Bedeutung 461.
Entmündigung, ärztliche Gutachten
behufs Wiederaufhebung 337; Trunk¬
süchtiger 632.
Epidemiologie, der Pest in Aegypten
495; der Tuberkulose 676.
Epilepsie, Fall 41, zur Lehre ders. 436;
Geistesstörungen in gerichtl.-mediz.
Bedeutung 317; bei Schulkindern 686;
Masturbation und Fremdkörper in
der Blase 89; Simulation yon epi¬
leptischen Krämpfen 318.
Erblindung nach Atoxilinjektionen bei
Lichen 520.
Erhängte, Obduktionsbefund 520.
Erkrankung und Unfall, Zusammen¬
hang behufs Begründung eines Ren¬
tenanspruchs 468.
Ernährung und Nahrung 26; künst¬
liche, der Säuglinge 416, 458.
Erstickungstod, Diagnose 626; durch
Fremdkörper oder Kehlkopfver-
letzung, Betriebsunfall? 464.
Ertrinkungsgefahr und Rettungswesen
an der 8ee 626.
Ertrinkungstod, gerichtsärztliche Dia¬
gnostik 432, 488, 626.
Erwerbsyerminderung, Feststellung des
Grades 188; bei Verlust des linken
Armes oberhalb des Ellenbogenge¬
lenks 527; bei glattem Verlust des
Mittelfingers 627 , 528; bei Verlust
des reehten Mittelfingers 636; des
Endgliedes des linken Daumens 779;
bei Verlust des linken Unterschen¬
kels 779.
Extrauteringravidität bei gleichzeitiger
Intrauteringravidität 14.
Fachmann und Laie gegenüber den
Problemen der öffentl. Gesundheits¬
pflege 296.
Fäulnisverdauung 764.
Fahnenflucht und unerlaubte Entfer¬
nung 716.
Familienmord 630.
Farbentüchtigkeit im Eisenbahndienst
615.
Fersenbein, seltene Fraktur dess. 604.
Fettgehalt der Leber nach kurzdau¬
ernder Ination 108.
Fettgeschwülste. entzündliche, an
Knie- und Fußgelenken 604.
Fettgewebe, am Knie und Unfall 143.
Ficker, Typhusdiagnostikum24,498,638
Fleischbeschau, Handbuch 581.
Fleischbeschaugesetz 686.
Fleischkonserven, bakteriologische Un¬
tersuchung 326, 327, 815.
Flüsse, Verseuchung 289.
Formaldehyddesinfektion 25, 420, 480,
721, 741, 773.
Formalin, Wirkung auf die Milch und
das Labferment 25; auf tuberkel¬
bazillenhaltigen Lungenauswurf 208.
Formalinmethode. Spenglersche, zur
Reinzüchtung von Tuberkelbazillen
aus Bakteriengemischen 394.
Formalinonychien und -dermatiden, be¬
rufliche 403.
Formol in der Milch 467.
Formysol, neues Desinfiziens 506.
Frühgeburt, eine selten kleine, am
Leben gebliebene 255.
Fruktin (Honigersatz), chemische Unter¬
suchung 816.
Fürsorgestellen für Lungenkranke 191.
Furunkulose und Beinbruch 144.
Fußgelenkdistorsion als Todesursache,
Unfall 143.
Gallenwege, Typhus- u. Paratyphusba¬
zillen bei Erkrankungen derselben22.
Gebärmutter, Wirkung des Bleies auf
diese 15; Vorfall und Unfall 324.
Geburt, prophylaktische Anwendung
von Sekalpräparaten 532; prak¬
tische. Lehrbuch 502;
Geburtshilfe, Gefahren der Sublimat¬
anwendung 49.
XXVIII
Sach-Register.
Gefängnispsychosen, akute und ihre
praktische Bedeutung 631.
GeflOgelcholera, Uebertragbarkeit auf
Schweine durch Verftttterung 611.
Geheimmittel, Verkehr 618.
Gehirnerschütterung, pathologische
Anatomie 653.
Gehirnveränderungen nach Schädel¬
trauma 435; Biß von wutkrankem
Hunde 709.
Geisteskranke, deren Fürsorge in Eng¬
land und Schottland 632; Verbrecher,
Unterbringung in Gefängnisirren¬
abteilungen 260.
Geisteskrankheiten, Diagnostik und
Prognose 296; choreatische 317; der
Epileptiker in forensischer Hinsicht
317; hysterische 331; nach Kopf¬
trauma 325; periodische, bei ln-
validenrentenbewerbern 325; Simu¬
lation 600, 601; Aetiologie 702.
Geistesstörungen, s. Geisteskrankheiten.
Gelbes Fieber 184.
Gelenke, Knie- und Fuß-, entzündliche
Fettgeschwülste an diesen 144, 604.
Gemeingefährlichkeit vom ärztlichen
Standpunkte aus 602.
Genickstarre, s. Meningitis cerebro¬
spinalis.
Genuß- und Nahrungsmittel, Verbalten
der schwefligen Säure auf diese 328.
Gerichtsärzte, Verfahren dieser bei
Obduktionen 121, 161, 211; öster¬
reichische 617.
Geschirre, bleiglasierte, irdene, ihre
Untersuchung 328.
Geschlechtliche Enthaltsamkeit 652.
Geschlechtskrankheiten,Verhütung und
Bekämpfung 459, 580.
Geschlechtsverkehr, außerehelicher 459,
652.
Geschwülste, Entstehung 20.
Gesundheitsamt, Kaiserliches, Arbeiten
aus diesem 807.
Gesundheitsbüchlein 580.
Gesundheitspflege, öffentliche, nicht
offizielle Leistungen auf dem Gebiete
derselben 614.
Getränke, Untersuchung alkoholfreier
463, 748.
Gewerbehygiene in England 715.
Gewerbekrankheiten und Gewerbe¬
hygiene 686.
Gewöhnungsrente oder Uebergangs-
rente 324.
Giftarbeiter, Hilfe für diese 715.
Glykosurie und Trauma und Diabetes
melitus 455.
Gonorrhoe der para- urethralen Gänge
des Weibes 114; gonorrhoische All¬
gemeininfektionen 679.
Gruber • W idalsche Agglutinationsprobe
24, 498, 637, 638, 639.
Gummibeine für Verletzte, zur Be¬
schaffung sind Berufsgenossenschaf-
ten nicht verpflichtet 325.
Gummihandschuhe und Placentalösung
401.
Gutachten, ärztliches, behufs Wieder¬
aufhebung einer Entmündigung 337;
Muster in UnfallBachen 325; Bedeu¬
tung in Invalidenversicherungs-
Sachen 605.
Gynäkomastie, kasuistischer Beitrag
zur Kenntnis derselben 16.
H&ndedesinfektionen, Placentalösung
und Gummihandschuhe 401.
Hamburg, Schularztfrage 680.
Hautentzündungen, gewerbliche, der
Seidenhasplerinnen 189; durch Pflan¬
zen verursachte und Primelkrank¬
heit 291.
Hautkarzinom, Entstehung u. Wachs¬
tum 20.
Hebammen, Dienstanweisung (Preußen)
783; Einfluß der Ohrenerkrankungen
auf ihre Berufstätigkeit 616.
Hebammenkalender 786.
Hebammenlehrbuch, künstliche Ernäh¬
rung der Säuglinge 416; Prophylaxe
der Wundinfektionskrankheiten 1;
Meldepflicht bei Kindbettfieber 242;
Unterricht 460; Ergänzungen 779,
783.
Hebammenpraxis, Kunstfehler in der¬
selben 13.
Hebammentasche 94, 307.
Hebammenunterricht 400.
Hebammenwesen, Beform 750; eng¬
lisches 784, 785.
Heilverfahren, Nichtberechtigung eines
Versicherten zu dessen U nterbrechung
147.
Heißwasser - Alkoholdesinfektion 402.
Helligkeitsprüfung in geschlossenen
Bäumen 534.
Hernie der Lunge und Trauma 142;
der Leisten und Trauma 146.
Herz, versicherungsärztliche Unter¬
suchung desselben 526.
Herzklappenzerreißung, traumat. 320.
Herzmassage, subdiaphragmatische,
behufs Wiederbelebung von anschei¬
nendem Chloroformtod 595.
Herzwunden, vom gerichtsärztlichen
Standpunkte aus 57.
Hirnabszeß, Corynebacterium pseudo-
diphthericum commune als Erreger
706.
Hirnembolie, Tod einer Wöchnerin da¬
durch 605.
Hirnsinus, abnormer, pulsierende Va¬
rizen an der Stirn dabei 625.
Hüftgelenksmuskeln. Tod durch Deh¬
nung derselben 147.
Sach« Register.
XXIX
Hygiene, soziale 487; Jahresbericht '
über die Fortschritte nsw. (1902)
500; Grundzftge 581.
Hyperplasie, angeborene, der einen
Longe 521.
Hysterie des Kindes 650; nach Unfall
189, 320, hysterische Geistesstörun¬
gen 831, 599; bei Telephonistinnen
456; Selbstverletzung 598; Verge¬
waltigung im hysterischen Anfall 663.
Icterus, durch Autoinfektionen 23.
Identifizierung einer Leiche 113 Jahre
nach dem Tode 594.
ImmunisierungsTersuche gegen Tuber¬
kulose 393.
Immunität und Infektion 368.
Immunitätsfrage bei der Schweine¬
seuche 611.
Impfärzte, Vorschriften für diese 645.
Impfgeschäft im Deutschen Beiche
1903 813.
Impfschäden, vermeidbare 269.
Impfschutzverbände 644.
Impfung, prophylaktische, gegen Diph¬
therie 606.
Ination, Fettgehalt der Leber nach
dieser 108.
Infektion und Immunität 368; psychi¬
sche (induziertes Irresein) 600; als
Morgengabe 114.
Infektionskrankheiten, s. Krankheiten.
Infusorien - Enteritis 811.
Inhalation von schwefliger Säure, ihr
Einfluß auf Lungentuberkulose 396.
Intestinaltraktus, Keimdichte seiner
Schleimhaut 637.
Invalidenrentenbewerber, Nichtberech¬
tigung zur Unterbrechung des Heil¬
verfahrens 147; periodische Geistes¬
störung 325.
Invalidenversicherung, Anweisung für
das Verfahren bei den unteren Ver¬
waltungsbehörden 152; Bedeutung
ärztlicher Gutachten 605.
Jodoformvergiftung od. Septikämie 657.
Irrenanstalten und Tuberkulose 399.
Irresein, hysterisches 599.
Isolierhospitäler, Winke betreffs ihrer
Verwaltung 613.
Isosafrol, Vergiftung hiermit 287.
Kaffee, kandierter, Untersuchung und
Beurteilung 467.
Kanalisation, fehlerhafte, aus Ursache
des Typhus nach Austerngenuß 609.
Ksdtblfitertuberkulose 394.
Kauffahrteischiffe, Unterbringung der
Mannschaften auf diesen 330.
Kehlkopfverletzung oder Erstickung
d. Fremdkörper. Betriebsunfall ? 454.
Kiadbettfieber, Meldepflicht 242; Be¬
kämpfung 473, 622.
Kindesmord, versuchter 373.
Kind, Nachweis in der Gebärmutter
mittelst Böntgenstrahlen 15.
Kleinhirn, Geschwulst in diesen, Un¬
fall? 632.
Knie, das darin gelegene Fettgewebe
und Unfall 143, 604.
Koffein, Wirkung auf Typhus- und
Kolibakterien 22.
Kohlenoxyd, Vergiftung, Nachweis¬
methoden im Blute 45, 444.
Koli- und Typhusbakterien, Wirkung
des Koffeins auf diese 22..
Konservierungsmittel für Fleisch- und
Fleischwaren 326, 815, schweflige
Säure als solches 327.
Konservierung von Organen 183.
Koutaktepidcmien oder Brunnenepide¬
mien 3, 643; von Ruhr in Metz 112.
Konversationslexikon, Meyers großes
687.
Kopftrauma, Geistesstörungen danach
525.
Krätzmilben in bezug auf die Ver¬
breitung der Lepra 812.
Krampfzustände nach Theophyllin¬
gebrauch 520.
Krankenhaus auf genossenschaftlicher
Grundlage 26.
Krankenpflege, Taschenbuch 750, 751.
Krankentransportwesen, Verbesserun-
gen 25.
Krankheit und Vergiftung 107; und
Ehe 365.
Krankheiten, ansteckende, Gesetzge¬
bung auf diesem Gebiete 295; ihre
Bekämpfung 92, in Preußen 9,70, 97,
196, 250, 264, 404, 468, 818; behörd¬
liche Kontrolle 612; hygienische
Maßregeln 618; Wochen-Meldekarten
für Aerzte 621.
Krankheitserreger, Übertragung durch
gemeinsamen Abendmalskelch 397.
Krebs 811; Röntgenbestrahlung 144;
Sarkom am gleichen Menschen 529.
Kreisärzte, ihre Stellung 356; Besol¬
dung und Pensionierung 362; Elsaß-
Lothringen 490, 511.
Kreuznach, Paratyphusepidemien da¬
selbst 233, 305, 306.
Kriminalpsychologie und strafrechtliche
Psychopathologie 638.
Kuhpocken, eine Diphtherieepidemie in
ursächlichem Zusammenhänge mit
diesen 493.
Kunstfehler in der Hebammenpraxis 13.
Kupfer, dessen Nachweis in Gemüse¬
konserven und Gurken 816.
Kurpfuscherei, deren Bekämpfung 581.
Labferment und Milch, Wirkung des
Formalins auf dieselben 25.
Lähmung, isolierte, der Musculi rhom-
boidei nach Operationen 318.
XXX
Sach-Register.
Laie und Fachmann gegenüber den
Problemen der öffentlichen Gesund¬
heitspflege 296.
Lebensprobe im Obduktionsregulativ
757.
Leber, Fettgehalt dieser nach Ination
108; Veränderungen durch Chloro¬
form 289; Cirrhose, hypertrophische
und Typhusbazillen 608.
Leichenstarre eines totgeborenen Kin¬
des, schon im Mutterleibe vollständig
ausgebildete 700.
Lehmanns mediz. Atlanten 366, 787.
Leichen, Verfahren der Gerichtsärzte
bei deren Untersuchung 121, 161.
Lepra, Verbreitung durch Krätzmilben
812.
Leuchtgas, als toxisches Gemisch 815.
Leukämie, myeloide, endemisches Auf¬
treten 499.
Leukonie 815.
Lichen rubor planus, Erblindung nacb
Atoxylinjektionen 520.
Liquor cerebro-spinalis, Lymphosyten-
gehalt derselb. u. Bleivergiftung 189.
Liquor cresoli saponatus, Desinfektions¬
kraft des käuflichen 402, 403.
Loosssche Lehre, Einwanderung der
AncbyloBtomum - Larven durch die
Haut 91.
Lügnerinnen, jugendliche 776.
Luft, Verunreinigung 437, 531; verun¬
reinigte Wohnungsluft 532; Einfluß
der Expirationsluft auf die Kohlen¬
säure • Abgabe 532; Gehalt der Lun¬
gen, Lungenschwimmprobe 257, 596;
Magendarmprobe 403, 757.
Luftwege, obere, fibrinöse Entzündun¬
gen 807.
Lunge, Lungenherzschlag infolge über¬
mäßiger Hitze und Einatmung gif¬
tiger Gase 527; -tuberkulöse s. Tu¬
berkulose; -blutung infolge schweren
Hebens als Betriebsunfall 605; Hy¬
perplasie 521; Entzündung, trauma¬
tische und Unfall 18; Schwimmprobe
257, 413, 596, 717.
Lymphe und Tetanus 110, Tuberku¬
lose 396.
Lymphozytengehalt des Lipuor cerebro¬
spinalis und Bleivergiftung 189.
Lymph röhrenhalter, neuer 280.
Lysol, Seifenkresol contra L. 401; Ver¬
giftung 287.
Lyssa, Diagnose 110.
Mäuse- und Rattenplage, Bekämpfung
713.
Magen, Duodenum, Situs inversus 108:
Einfluß der Alcoholica auf die se-
kretorischeTätigkeit des Magens 462.
Magendarmprobe bei Neugeborenen
413, 757.
Magendarmkanal neugeborener Tiere,
Durchgängigkeit für Bakterien 636.
Malachitgrün, Wirkung gegen Nagana-
Trypanosomen 108; -Agar, Verwen¬
dung zum Nachweis von Typhus- u.
Paratyphusbazillen 641.
Malaria, tropische, Epidemie in Mostar
495; Impfungen dagegen 708.
Mang an im Trinkwasser 465.
Margarine, Untersuchungen über ihre
Haltbarkeit 327.
Marine - Angehörige, deren Begutach¬
tung 435.
Marx-Ehrenrothsche Verfahren zur fo¬
rensischen Unterscheidung von Men¬
schen- und Tierblut 449.
Masern, Nagclveränderung hiernach
191; Epidemie 675.
Masturbation, bei einer Epileptischen 89.
Medizinalbeamte, ihr Standpunkt in
bezug anf die Tuberkulose in der
Schule 389; Kalender für diese 817.
Medizinalpolizeiliche Schriften, aus
alter Zeit 134.
Medizinalreform in Preußen, Entwurf
eines Planes 537.
Meldepflicht von Kindbettfieber nach
dem neuen Hebammenlehrbuch 242.
Meningismus typhosus und Meningo¬
typhus 497.
Meningitis cerebrospinalis 496,670,672.
Meningokokken -Septikämie 807.
Menstruationsvorgang, seine foren¬
sisch • psychiatrische Bedeutung 628.
Mikroskop und seine Anwendung 501.
Mikroorganismen, ihre Durchgängig¬
keit durch Darmwand 21; des Puer¬
peralfiebers 290.
Milch, Einfluß hoher Temperaturen auf
Tuberkelbazillen in dieser 397; hy¬
gienische Untersuchungen 466; Wir¬
kung des Formalins auf Milch 25;
Nachweis von Formol in Milch 467;
Konservierung d. Wasserstoffsuper¬
oxyd 646; pasteurisierte 646, 647.
Milz, Magen, Duodenum, Situs inver¬
sus derselben 108.
Milzbrand, zwei Fälle 112, in England
708, und Typhus, Verbreitung durch
öffentliche Gewässer 289, Nachweis
500. -Sporen auf Fellen und ihre
Desinfektion 500.
Minderwertige, ihre Behandlung 16;
Vorschläge zu ihrer strafrechtlichen
Behandlung 524.
Mißgebären, geflissentliches oder Em-
bryoktonie 283.
Mord oder Selbstmord 521.
Morphinist, Simulation von Schmerz¬
anfällen bei solchen 599.
Morphologie und Biologie der Zelle 438.
München, psychiatrische Klinik daselbst
703.
Sach-Register.
XXXI
Mascali rhomboidei, isolierte Lähmung
nach Operationen 318.
Myastemache Paralyse 269.
Saehgeburtateile, zorttckgebliebene,
forensische Begutachtung 699.
Nagana-Trypanosomen 188.
Nährböden, diagnostischer Wert 222.
Nährgelatine, Einfluß hoher Tempera¬
turen auf den Schmelzpunkt 637.
Nagelveränderungen nach Scharlach
und Masern 291.
Nahrung und Ernährung 25.
Nahrungs- und Genußmittel, Verhalten
der schwefligen Säure in diesen 328.
Nasenschleimhaut, akzidentelle Vakzi¬
nation 292.
Natriummethylarsenat 288.
Nervendruckpunkte u. Nervenmassagt
704.
Nervenkranke, Wert der Arbeit ftti
diese 456.
Nervenerkrankung, nach elektrischen
Unfällen 318; traumatische ähnlich
der Paralysis agitans 320.
Nervenmassage u. Nervendruckpunkte
704.
Neugeborene, Augeneiterung derselben,
Prophylaxe und Therapie 49, 293;
Lungenschwimmprobe 257, 596;
Magendarmprobe 413, 767.
Neuguinea, Chininprophylaxe daselbst
188.
Neurologische Untersuchungen von
Badrennfahrern 702.
Notzucht, vermeintliche 282.
Obduktionsbefunde bei Erhängten 520.
Obduktionsregulativ 121,161, 211,757.
Oberschenkelblutader, Aneurysma
durch Unfall 322.
Oeffentliche Gesundheitspflege, Bau¬
end Fachmann gegenüber den
Problemen derselben 296.
Ohrenerkrankungen, Einfluß auf die
Berufstätigkeit der Hebammen 616.
Onychogryphosis, Kasuistik der kon¬
genitalen 292.
Opiumtinktur, 10 ®/ 0 , Handverkaufsab¬
gabe 696.
Organe und Organinhalt, Konservie¬
rung 185.
Papillonen, Vorkommen von Spiro-
chaeten bei diesen 610.
Paralyse 526, 629.
Paralysis agitans, bei traumatischer
Nervenerkrankung 320.
Paralytiker, Unterschrift derselben 436.
Paranoia 437; chronische in verwal-
tungs-, straf- u. zivilrechtlicher Be¬
ziehung 525.
Parathphus 80, 810; Epidemie im
Kreise Kreuznach 233, 305, 306, im
Kreise Simmern 588; und Typhus¬
bazillen 22, 498, 608.
Para-urethrale Gänge des Weibes,
Gonorrhoe 114.
Pemphigus neonatorum 690.
Paroxydase, bei den mit dem Blute
erhaltenen Farbenreaktionen 45.
Perubalsam, Vergiftung 409.
Pestbazillen, Lebensdauer 494.
Pest in Aegypten, epidemiologische Er¬
fahrungen hierüber 495.
Pharmazie, Geschichte 367, Schule 718.
Pflanzen, als Volksabortiva benutzte 652.
Phosphorvergiftung, akute 488.
Pilzvergiftung 774.
Placenta, histologische Veränderungen
bei Sublimatvergiftungen 183; Lö¬
sung und Gummihandschuhe 401.
Plagiat, pathologisches 701.
Plättereien, gesundheitliche usw. Ver¬
hältnisse 682.
Pneumonia crouposa und Unfall 141;
Zwerchfellruptur mit anschließender
131; Aetiologie 676.
Pocken, Diagnose 109; Epidemie in
Bochum (1904) 110; Bekämpfung in
Togo 474.
Pockentodesstatistik n. Pockenerkran¬
kungen im Deutsch.Reiche (1903)812.
Polikliniken, gerichtsärztliche 182.
Polyneuritis alcoholica 461.
Posen, Stadt, Verbreitung und Be¬
kämpfung der Lungentuberkulose
daselbst 396.
Posthypnotische Aufträge in ihrer psy¬
chiatrischen u. juristischen Bedeu¬
tung 628.
Primelkrankheit 291.
Prostitution und die Dienstboten 294.
Psychiatrische Klinik, in München 703.
Psychische Infektion 600.
Psychopathologie, strafrechtliche 638.
Psychosen, Spätgenesung 601; s. auch
Geisteskrankheiten.
Psychologie, vergleichende der Ge¬
schlechter 650.
Puerperalfieber, in Entbindungsanstal¬
ten 47, Serumbehandlung 48, Ver¬
hütung 290, 369; forensische Bedeu¬
tung 13, 522.
Puerperium, Embolia der Arteria me-
senterica superior in demselben 47.
Quinquaudsches Zeichen, Kenntnis
desselben 597.
Radium, Heilung des Trachoms durch
dieses 530.
Radrennfahrer, neurologische Unter¬
suchungen 702.
Räume, geschlossene, Luftverunreini¬
gung, Wärmestauung und Lüftung
in diesen 531.
xxx n
8ach - Begister.
Batten- and Mäuseplage, Bekämpfung
713.
Baach zuckerhaltiger Pflanzenstoffe,
Eigenschaften 617.
Bansch, pathologischer 701.
Beichstag, Verhandlungen 27, 192,
228, 369.
Bettungswesen und Ertrinkungsgefahr
an der See 626.
Bhein, biologische Probeuntersuchun¬
gen 816.
Bieglersche Blutprobe 775.
Böntgenstrahlung, Nachweis des Kindes
im Uterus dadurch 15 und Krebs¬
bildung 145; Hillsbuch 438.
Röntgenepidemien 495.
Boheitsdelikte, Prophylaxe 630.
Botes Kreuz, Mitwirkung bei Seuchen¬
bekämpfung 680.
Bückenmarksleiden und Unfall, ärzt¬
liches Obergutachten 457.
Bohr, Auftreten in Metz 112, in Duis¬
burg 302, in Konstantinopel 673, in
Südwestafrika 674; Bakteriologie der
Bohr 112.
Sachverständigen-Tätlgkeit, ärzt¬
liche 258.
Sachsen, Königreich, Medizinalgesetz-
gebung 817.
Sackniere, doppelseitige nach Trauma
777.
Säugetiertrypanosomen 611.
Säuglinge, künstliche Ernährung 416,
453; Pflege 501; Skorbut in Berlin
530; Sterblichkeit und ihre Be¬
kämpfung 645, 694, 786.
Salmiakgeist, tödliche Vergiftung 282.
Samariterunterricht, Lehrbuch 750.
Saprol, Desinfektionswirkung 24.
Sarkom und Krebs am gleichen Men¬
schen 529.
Schadenersatz wegen Ansteckung mit
Lungentuberkulose 316.
Sch&delbrüche in gerichtsärztlicher
Beziehung 597.
Schädeltraumen, Gehirnyeränderungen
nach solchen 435.
Scharlach 674; Nagelveränderungen
hiernach 291.
Scharlachkranke, Einfluß des roten
Lichts auf diese 675.
Schlafkrankheit 184.
Schottland und England, Fürsorge für
die Geisteskranken 632.
Schrecklähmung 319. '
Schriften, aus alten medizinalpolizei¬
lichen 134.
Schularzt und Augenuntersuchungen
537; Statistik und Vorschläge für
eine einheitliche 680; im Hamburg
680.
Schularztfrage, mit Bücksicht auf die
amtliche Tätigkeit der Bayerischen
Bezirksärzte 342, 378.
Schulbankfrage 244, 248, 581, 592, 681.
Schule, die Tuberkulose 380; physio¬
logische und pathologische Beob¬
achtungen in dieser 681.
Schulhygiene, Handbuch 488.
Schulkinder, Nervenkrankheiten 681.
Schultzesche Schwingungen, deren Ge¬
fahren 15, 256.
Schwachsinnige, weibliche, Mißbrauch
524.
Schweineschmalz und Butter, Unter¬
suchung 815.
Schweineseuche und Immunit&tsfrage
611; Uebertragbarkeit auf Geflügel
611.
Schwangerschaft, die psychiatrischen
und neurologischen Indikationen bei
vorzeitiger Unterbrechung 627; Tu¬
berkulose 678.
Schwefelwasserstoffvergiftung als Un¬
fallerkrankung 778.
Schweflige Säure als Konservierungs¬
mittel 327.
Schweflige Säure, Einfluß der Inhala¬
tion solcher auf die Entwickelung
der Lungentuberkulose 396; Ver¬
halten in Nahrungs- und Genu߬
mitteln 328.
Schwerhörigkeit in der Schale 535.
Schwindsucht und Tuberkulose, ihr
Unterschied 369.
Sehkraft, Erwerbsverminderung beim
teilweisen Verlust 467.
Sehnervzerreißung, subkutane 777.
Seifenkresol contra Lysol 401.
Seidenhasplerinnen, ihre gewerbliche
Hautkrankheit 189.
Sektionstechnik für Studierende und
Aerzte 537.
Sekalpräparate, prophylaktische, An¬
wendung derselben während der Ge¬
burt 522.
Selbstentzündung von Benzin, ihre
Verhütung 530.
Selbstverletzung, hysterische 598.
Senföl, ätherisches, als Mittel zur
Konservierung anatomischer Präpa¬
rate 519.
Septikämie oder Jodoformvergiftung
657.
Sero - diagnostische Blutentnahme, Be¬
steck luerzu 281, 516.
Serumbehandlung bei Puerperalfieber
18; bei Anthrax 500; prophylak¬
tische bei Diphtherie 606.
Serumdiagno 80 des Typhus abdomina¬
lis 27, 498, 608, 637-639.
Serum Typhuskranker, agglutinierende
Eigenschaften 498, 608.
Seuchengesetz, s. Krankheiten, an¬
steckende
Sach - Register.
XXXIII
Siehlersche Sinacyd - Batyrometrie, Br- :
gebnisse der Prüfung 617. 1
Sin mein, Kreis, Paratyphusepidemie
588.
Simulation epileptischer Krämpfe 318;
Ton Schmerzanfällen bei einem Mor¬
phinisten 599; yon Geistesstörungen
600, 601.
Sinacyd - Batyrometrie, Siehlersche,
Prüfung 617.
SUtlichkeitsyerbrecher 524.
Situs inyersus des MagenB, Duodenums
und der Milz 108.
Skorbut, der Säuglinge, in Berlin 530.
Spätrezidive maligner Tumoren 699.
Spät gen esung yon Psychosen 601.
Spirochaeta v&ccin&e 806.
Spirochaete pallida bei Syphilis 610,
707, 806.
Sprachyerwirrtheit 702.
Staatsarzneikunde, Gesetzgebung 295.
Staubentwicklung, Verhütung yon
Berufskrankheiten der Arbeiter bei
dieser 532.
Staubyersengung bezw. Zersetzung auf
Heizkörpern 714.
Stereoskopischer gerichtsärztlicher At¬
las 438.
Stillyermögen 530.
Strafaussetzung, bedingte 16, 263.
Streptokokken bei Variola und Vari¬
zellen 707.
Strongyloides stercoralis 612.
8trychnin- Vergiftung 182, 315, 699.
Sturzgeburt, gerichtlich-medizinischer
Fall 596.
Sublimat, Gefahren seiner Anwendung in
der Geburtshülfe 40; Vergiftung 183.
Subluxation, spontane, der Hand 603.
Subsellien, s. Schulbänke.
Syphilis, Vererbung 113; gleichzeitiges
Vorkommen yon manifester S. und
Tabes 455; Spirochaete pallida 610,
707, 806.
Syringomyelie und Trauma 142.
Takes 455.
Taanine, methämoglobinisierende Wir¬
kung 46.
Taubstumme im Deutschen Reiche
330.
Telephonistinnen, hysterische Unfall¬
erkrankungen 456.
Temperaturen, hohe, Einfluß dieser
auf Tuberkelbazillen in der Milch 395. :
Temperenz und Trunksucht in den |
Vereinigten Staaten 461.
Tetania thyreopriva und Cachexia612.
Tetanus und Kuhpockenlymphe 110.
Theopbyllingebrauch, Krampfzustände
nach diesen 520.
Thymusdrüse und plötzliche Todes¬
fälle im Kindesalter 255.
Thyroidektomie und Pathogenese des
Arterienatheroms 46.
Tod durch Elektrizität 441.
Tod durch Ertrinken, gerichtsärztlicher
Nachweis desselben 432.
Tod, sicheres Zeichen desselben 46;
Zusammenhang zwischen diesem
und Unfall 458.
Todesfälle, plötzliche im Kindesalter
und Thymusdrüse 255.
Todesfall nach Anwendung der offi¬
zineilen Borsalbe bei einer Brand¬
wunde 434.
Toxine, Uebergang derselben yon der
Mutter auf die Frucht 255.
Toxisches Gemisch für Tiere; welches
Volum Leuchtgas muß man der Luft
zusetzen, um ein solches zu er¬
halten 3l5.
Trachom, Bekämpfung, staatliche 812;
Heilung desselben durch Radium 530.
Tragfähigkeit schwimmender Körper,
ist sie ein sicherer qualitativer oder
quantitatiyer Nachweis und Beweis
für ihren Luftgehalt? 596.
Trauma und Leistenbruch 146; und
Diabetes melitus und Glykosurie
455; und Lungenhernie 142; und
Syringomyelie 142; und chirurgische
Tuberkulose 603; und Ursprung
akuter Infektionskrankheiten 140.
Traumatische Herzklappenzerreißung
320; Hysterie mit ungewöhnlicher
Häufung von Symptomen 320; Ner¬
venerkrankung mit Paralysis agitans
ähnli chen Symptomen 320.
Tremor, Bewertung desselben als
Zeichen des Alkoholismus 598.
Trinkwasser, Analyse, Untersuchung
auf anärobe Bakterien 465; Mangan
in diesem 465; Untersuchung, Gä-
rangsprobe bei 46° 464; Prüfung
eines solchen auf Ammoniak 466,
647; und Infektionskrankheiten 332;
Versorgung, Entwässerungs- und Ab¬
fuhranlagen in Badeorten am Ge¬
birge 464.
Tropenkrankheiten (Gelbes Fieber,
Schlafkrankheit, Beriberi) 184; Hand¬
buch über diese 751.
Trunksucht und Temperenz in den
Vereinigten Staaten 461.
Trunksüchtige, praktische Erfahrung
bei Entmündigung dieser 632.
Trypanosomenkrankheiten 184, 186.
Tuberkelbazillen im Blute nach Auf¬
nahme infektiöser Nahrung 395; in
der Milch, Einfluß hoher Tempe¬
raturen auf diese 395; ihre Rein¬
züchtung aus Bakteriengemischen
mi t Spenglerscher Formalinmethode
394.
Tuberkelbazillenbaltiger Aus warf, Wir-
XXXIV
Sach - Register.
kung des Form&lins auf ihn (Roepke-
scher Apparat) 208.
Tuberkulindiagnose in der Unfallbegut-
achtung 602.
Tuberkulöse, Splittersputa 895.
Tuberkulose 869; Anzeigepflicht 897;
in der Schule 859; Immunisierungs-
versuche 393; in Irrenanstalten 399.
Debertragung durch Abendmalskelch
397; und Wohnungsnot 368; und
Trauma 603; Schwangerschaft 678;
Epidemiologie 676; Beziehungen
zwischen Menschen- und Tiertuber¬
kulose 677; neues Tuberkulosemittel
710; deutsche Tuberkulosegesetze
713; und Kuhpockenlymphe 396.
Tumor, maligner, Spätrezidive 699.
Typhoide Erkrankungen 638, 808.
Typhus, abdominalis, Serumdiagnose
24, 498,638; klinische Diagnose 809;
Auftreten in Detmold 545; in Gro߬
städten 609; Aetiologie 176; Patho¬
logie 639; Verhütung der Verbrei¬
tung durch Wasserleitungsanlagen
644.
Typhusbazillen, Nährböden dafür 22;
Wirkung des Koffeins auf diese 22;
neue Entwicklungsformen 22; Nach¬
weis nach Cambrier 22; Malachitgrün-
Agar zum Nachweisse 641, in der
Galle 22,642; hypertrophische Leber-
cirrhose nach Typhus 608; Typhus¬
träger, chronische 640, 642; Albu¬
minurie bei T. 642; nach Austern¬
genuß, Haftpflicht 609.
Typhusepidemien, zwei 178; unter Kin¬
dern im Schulbezirk der Stadt Deg¬
gendorf 1904/1905 810.
Typhushäuser 38, 40.
Typhustämme, Rassenunterschiede;
Hemmungskörper im Serum in ihrer
Bedeutnng für die Gruber-Widalsche
Reaktion 639.
Typhus- und Milzbrand, Verbreitung
desselben durch Verseuchung unserer
öffentlichen Gewässer 189.
Typhusuntersuchungen des Laborato¬
riums der Regierung in Coblenz 61.
Typhusverdächtige Personen, Besteck
für die Blutentnahme bei diesen 510.
Uebergangs- od. Gewöhnungsrente 324.
l T ebertragbare Krankheiten, s. Krank¬
heiten, ansteckende.
Ulcus ventriculi traumaticum 704.
Unfall, Corpora oryzoide der Finger¬
beuger 17, Hysterie 138, Pneumonie
141, Kniegelenksverletzung 143, Fu߬
gelenksdistorsion 143, Darmgeschwür
146, Beinbruch, Furunkulose 147,
Dehnung der Hüftgelenksmuskeln
147, Aneurysma der Aorta 321, der
Obcrschenkelblutader 322, Uebär-
muttervorfall 824, Hysterie der Te¬
lephonistinnen 456, Geschwulst im
Kleinhirn 632, Schlaganfall 685, De¬
mentia paralytica 703, Infektion 705,
Schwefelwasserstoffvergiftung 778;
Erkrankung bezw. Tod, Nachweis des
ursächlichen Zusammenhangs 458.
Unfallbegutachtung bei zweifelhafter
Sachlage 135, 137; Tuberkulindia¬
gnose dabei 602; Zuziehung des be¬
handelnden Arztes 153, 778.
Unfallrenten, Feststellung 148, 454.
Unterleibstyphus, s. Typhus.
Vaklmatlon, akzidentelle der Nasen¬
schleimhaut 292.
Vakzine, Untersuchungen über sie 807.
Variola und Varizellen, Differential¬
diagnose 493.
Varizen, pulsierende bei abnormem
Hirnsinus 625.
Vena saphena, Verblutung durch Bi߬
verletzung 815.
Ventilation u. Luftverunreinigung 487.
Verbrecher, geisteskranke, Unterbrin¬
gung in Gefängnisirrenabteilungen
260.
Vergiftungen, Verfettung der Organe
bei diesen 107; und Krankheit 107;
durch Strychnin 182, d. Salmiakgeist
282, durch Lysol 287, durch Isosafrol
287, durch arsenige Säure 288, durch
Perubalsam 409, durch Quecksilber
und Sublimat 519, durch Blei 583,
durch Veronal 770, 773, durch Pilze
774; zur Lehre der Vergiftungen 684.
Verletzungen, innere 434, mit fehlen¬
den äußeren 770; der weiblichen
äußeren Geschlechtsteile 523.
Veronal-Vergiftungen 770, 783.
Verrücktheit, katatonische 629.
Versicherungsrechtliche Medizin, Un¬
terricht in dieser 453; Rückständig¬
keit 705.
Volkswohlfahrtsamt 115, 266.
Wachstumphysiologie des Menschen
682.
Wäschereien, gesundheitliche Verhält¬
nisse 612.
Waldenburg, Darmtuberkulose der
Kinder daselbst 396.
Wanderzustände, pathologische 601.
Wasser, Beurteilung 463.
Wassergas, Verwendung in Fabriken
329.
Wasserleitungen, zentrale, staatliches
Aufsichtsrecht 86.
Wasserstoffsuperoxyd, Konservierung
der Milch 646.
Weichselzopf 537.
Weine, Veränderung der Zusammen¬
setzung 467.
Namen «Verzeichnis.
XXXV
Widalsche Agglatinationsprobe, siehe Wohnungsnot u. Tuberkulose 368.
Grober. j Wutschutzabteilung 111.
Wiederbelebung, durch subdiaphrag¬
matische Herzmassage bei anschei- i Zela* Masse 815.
nendem Chloroformtod 595. ' Zelle, Biologie u. Morphologie 438.
Willensschwäche, krankhafte 650. > Ziehkinderfürsorge 530.
Windpocken 493. Zurechnungsfähigkeit 525.
Wochenbettfieber, s. Puerperalfieber. , Zwangszustände, Geschichte u. Kritik
Wöchnerin, Pflege 561; Tod durch der sogenannten 436.
Hirnembolie 605. j Zwerchfellruptur mit anschließender
Wohnungsdesinfektion mit Formalde- ' Pneumonie 131.
hyd 25, 197, 420, 480, 721, 741, 743. Zwitterbildung 18.
Namen ^ V erzeichnis.
Aaser 638.
Abel 580.
Albrand 534.
Alexander 651.
Ambard 46.
Arbeit 356.
Arnsperger 499.
Arnspeyer 699.
Aronneim 318.
Auerbach 702.
Bahr 301.
Bandi 500.
Bardeleben 684.
Bahrdt 495.
Barthe 288.
Barthel 395.
de Bary 490, 511.
Bassewitz, t. 812.
Bauer 307.
Baumann 646.
Baumert 465.
Baumgarten 398.
Baumm 502.
Baur 750.
Baythien 327.
Beek 611.
Becker 137, 337, 454.
Behla 615.
Behring 710.
Bell 295, 296.
Berg 441.
Berger 92.
Bergmann, v. 811.
Berner 146.
Bernstein 55.
Billet 289.
Bisanti 395.
Bischoff 600, 601.
Bittmann 330.
Blarez 288.
Bleibtreu 674, 776.
Block 652.
Blokusewski 50.
Blum 24.
Blumenthal 22.
Boehmig 456.
Bonhoff 806.
Bornemann 520.
Borrmann 20.
Brennecke 750.
Bresler 683, 702.
Breton 651.
Brissemorct 46.
Brückmann 328.
Brüning 777.
Brunk 321.
Brunner 751.
Bruns (Hannover) 629.
B mnm 605.
Bumm, E. 48.
Bundt 789.
Burckhard 256.
Cahen 142.
Calmette 651.
Capitan 594.
Carini 110, 896.
Carnot 107.
Cnopf 575.
Cohn 529.
Conradi 112, 706.
Cordier 46.
Cramer, A. 16, 602.
Cramer (Bonn) 47.
Curt 289.
Deflandre 107.
Besing 581.
Dessauer 438.
Deutsch 409.
Deyke 673.
Diering 799.
Dieudonn6 618.
Dinkler 425.
Doebert 638.
Doerfler 399.
i Dopfer 434.
| Dor 519.
Dornblttth 496.
Drewes 690.
Dunbar 808.
Duyon 289.
Dworetzky 395.
Ebert 786.
Eberth 684.
Edline 112.
Effler 530.
Eichler 498.
Eijkmann 464.
Emmerich 468.
Engels 25, 197.
Ercklenz 532.
Eschle 650.
Esmarch, v. 500.
Eulenburg 319, 650.
Ewald 680.
Falta 639.
Federschmidt 595.
Feer 291.
Fehrs 403.
Feilchenfeld 436, 526.
Feistmantel 332.
Fellner 027.
Ferrai 764.
, Fertig 704.
Feßler 750.
: Fibisch 495.
Fick 684.
Ficker 637.
Finkh 436.
, Flatau (Berlin) 320.
Flatau (Kiel 498.
I Flechsig 632.
Flinzer 817.
Flügge (Grafenberg) 190.
■ Flügge (Breslau) 531.
XXXVI
Namen - Verzeichnis.
Focke 68.
Förster 642.
Frankel, C. 610.
Fränkel, E. 320.
Freund 620.
Friedei (Coblenz) 38, 61,
281, 306.
Fürbringer 140,698, 778.
Fürst 680, 682.
Fürstenheim, Walter 149.
Gaehtgens 637.
Qalewsky 403.
Gängele 604.
Ganpp 630.
Gantier 46.
Geißler 456.
Gerber 807.
Gerken 680.
Georgii 269.
Gilbert 108, 608.
Gilg 718.
Glogner 708.
Göppert 670.
Görbing 24.
Goldard 462.
Gollmer 705.
Gottsclich 495.
Graack 581.
Graff, v. 521.
Grawitz 672.
Greeff 293, 812.
Grehant (Nestor) 315.
Grigorgew 183.
Groth 644.
Groyer 706.
Gruber 368.
Grünberg 498.
Grünzweig 444.
Gndden 598.
Garwitsch 438, 538.
Gatmann 652.
Hahn 607.
Halff 108.
Hammer 652.
Hanaaer 294.
Hartmann 535.
Haag 616.
Hecker 787.
Heilbronner 260.
Heim 189, 528.
Heine 672.
Heiseier 174, 675.
Helm 317.
Helwes 622.
Hengge 15.
Herbst 714.
Hergcsell 323.
Herzfeld 227.
Heß 49.
Heymann 532.
Heyn 649.
Hillebrecht 674.
Hippios 747.
Hirsch 459.
Hitzig 457.
Högel 16.
Hölder, y. 643.
Hoffa 148.
Hoffman, H. 434, 575.
Hoffmann (Berlin) 291,
610..
Hoffmann, W. 434, 577.
Holfert 718.
Holz 44.
Hoppe 597.
Horstmann 776.
Hübner 534.
Hülsmeyer 280.
Huhs 208, 897.
Haldefließ 465.
Hatchings 399.
Jachm&nn 528.
Jacqa6 22.
Jesioneck 113.
Jordan 712.
Jornier 108.
Jürgens 109.
Jürss 652.
Jnliusbarger 701.
Kaiser 633.
Kaminer 365.
Kassowitz 461.
Kansch 455.
Kayser 642.
Kerb 328.
Kern 326.
Key hl 255.
Kirchgässer 621.
Kirchner 397, 670.
Kirstein 510.
Kisskalt 396.
Klassert 617.
Klemens 808.
Klimenko 21.
Klix-433.;
Kloamann 22.
Knyyett 613.
Kob 522.
Koch 186.
Koch - Hesse'982.
Köhler 17, 362.
Köhler, F.(Landeshut)002.
König 465.
Körting 602.
Köstlin 13.
KolleJ466, 713.
Kompe 464.
Kornfeld 524, 526.
Körte .608.
Koske, F. 611.
Kracpelin 683, 703.
Kratter 684.
Kraas 18, 327.
Kreazlin 86.
Krohne 289, 321, 681.
Külz 494.
Kürbitz 663.
Kürz 630.
Küster 394.
Kästner 699.
Kanowski 260.
Kurpjaweit 706.
Kätscher 676.
Landau 529.
Lange 287.
Lanz 612.
Laquer 461.
Lassar 144.
Laaterborn 816.
Lazaras 319.
Ledderhoset603.
Lederle‘296.
Leers 523.
Lehmann 366.
Leichtenstern 612.
Lembke 26, 233.
<Lentz 305, 639, 640, 641,
643.
Leppmann, F. 258, 259,
624, 776.
Lereboollet 608.
Lesser 438, 459.
Lenken 751.
Leopold, v. 691.
Lewin 15, 107, 533, 715
Lewinski 873.
Leyden, v. 18, 819.
Liedke 783.
Liyoa 110.
Lochte 520.
Loewenfeld 460.
Lomer 602.
Lortat- Jakob 46.
Lablinski 292.
Ladwig 773.
Lücke 644, 699.
Lüdke 23.
Maass 774.
Mai 289.
Malloissel 189.
Mann (Paderborn) 1.
Marcus 318, 604.
Marcuse 652.
Margalies 626.
Martin, G. (Stuttgart) 530
Martin, M. 315.
Martineck 525, 679.
Martini (Langensalza) 176.
Martini, Prof. 807.
Marx, H. 183, 290, 626.
Marxer 500.
Mayer (Simmern) 316,585,
784.
Mendez 500.
Xense751.
Meyer, P. (Berlin) 681.
Meyer (Brück) 141.
Meyer (Ernst) 462.
Meyer (Königsberg) 485,
600, 632.
Mez 501.
Moeli 524.
Mönkemüller 681.
Moitessier 45.
Kosny 189.
Morel 289.
Müller (Ohrdruf) 700.
Müller (Straßbarg) 292.
Müller, Paal Th. (Graz)
368.
Müller (Immenstadt) 598.
Malert 493.
Malger 806.
Maralt, Y. 630.
Mylias 718.
liehe 260.
Nagel 811.
Nanwerck 587.
Nerlich 599.
Nesemann 609.
Neuberger 580.
Neumann (Bromberg) 134.
Neomann (W ürzburg)366.
Neomann, EL 530.
Neomann (Neuenburg)
537.
Neomann, Dr. iur. (Ber¬
lin) 581.
Nickel 242.
Nicolas 467.
Nieolle 110.
Nocht 184.
Noeggerath 689.
Nonne 584.
Norman 614.
Nowack 641.
Obendorfer 628.
Oberwarth 255.
Oehmke 41.
Ollendorff 449.
Orth 467.
Ostertag 581, 646.
Otto 463, 494.
Ottolenghi 521.
Paehonskl 444.
Pahl 617.
PaUeske 481, 775.
Panisset 395.
Pantrier 189.
Papfllaalt 594.
Passow 585.
Paul 582.
Petkowitsch 22.
Namen - Verzeichnis.
1 Pflanz 182.
Pfeiffer 500.
Pfahl 326.
Ploacqet 283.
Polenske 815.
Pollak 114.
Prausnitz 581.
Proksch 652.
Proschaska 679.
Prowazek 611, 807.
Prusmann 622.
Pütz 830.
Pappe 182, 522.
Badziejewski 534.
Baecke 259, 599.
Baimann 331.
Bamboazek 487.
Bapmand 70,97,121,161.
211, 250, 817.
Basenack 815.
Bathmann 647.
Baatenberg 112.
Beiche 625, 678.
Beinhold 703.
Bemlinger 709.
Benvers 145.
Beschad Effendi 673.
Bettig 244, 592.
Beyenstorf 432, 433, 625.
Bichter (Dessau) 40, 389,
696.
Bichter (Bemscheid) 453,
587.
Bichter, B. (Waldenburg)
896.
Biess 816.
Bobertson 493.
Boepke 397, 480, 741.
Boesler 461.
Böttgen 467.
Bohde 807.
Bolly 498.
Bomeick 282.
Bopp 652.
Bostowzeff 681.
Both, 0. 714.
Both (Potsdam) 686.
Babner 641.
Büge 682.
Bass 529.
Sabareanu 46.
Sackar 328.
Sadler 638.
Salmon 498.
Salomon 713.
Salzer 716.
Samosch 680.
Sander 260.
Sannemann 812, 813.
Sarvey 402.
Schallmayer 114.
XXXVII
Schaudinn 610.
Schelenz 367.
Scheller 637.
Schenck 701.
Schlesinger 520.
Schlegtendal 645.
Schlieben 506.
Schmedding 818.
Schmidt 322.
Scbmidtlechner 255.
Schneider 248.
Scholz 416.
Schott 629.
Schottelias (München)498.
Schottelias (Freiburg) 810.
Schottmüller 672, 676.
Schreiber 465.
Schröder 701.
Schroen, F. 596.
Schroen, v. 369.
Schroeter 686.
Schüder 111.
Schüler 811.
Schultze 256.
Schaltze, Max 680.
Schulz 45, 183.
Schulze 603.
Schwaudner 263.
Schwartz, 0. 614.
Schwechten 615, 717.
Sedgwick 296.
Seelmann 138.
Seiffert 178.
Selter 498.
Senator 865.
Sencert 595.
Serratrice 521.
Siefert 437.
Sigel 601.
Smith 785.
Sobernheim 707.
Solbrig 645.
8ommer (Gießen) 538.
Sommer (Niedermendig)
16.
Sorge 183.
Spengler 395.
Springfeld 110.
Stäubli 497.
Stakemann 89.
Steinberg 608.
Steinharten 628.
Steinhaus 29, 706.
Stenström 395.
Stern, Emil 505.
Stern, B. 138.
Stier 716.
Stolper 453.
Stolte 642.
Stransky 702.
Straßmann 45, 259, 525.
Ströszner 643.
Stumpf 257.
XXXVIII
Namen • Verzeichnis.
Stoppel 317.
Sugg 707.
Tenholt 91.
Thiem 322.
Thomalla 282.
Thompson 649.
Thoms 718.
Tietz 641.
Tiling, ▼.
Tischler 810.
Toff 49.
Tolmacz 463.
Tomasczewski 707.
Treupel 809.
frillat 466, 617.
Troeger 131.
Tromsdorff 638.
Trumpp 787.
Torchet 466.
Uebelmesser 402.
Uffenheimer 636.
i Uhlenhut 749.
I Ungar 7ö7.
! Urban 618. *
Vincent 465.
Volkhausen 511.
Vollmer 688.
Waldvogel 287.
| Walther 13, 473.
Ward 715.
Warda 436.
Weber 626.
Wegner 694.
Wehmer 438, 632.
Wendelstadt 188.
Wendland 188.
Wengler 413.
Werner 420, 721, 773.
Wernicke 396.
Weaener 606.
Westenhöffer 496, 670.
Weyl 437.
’ Weygandt 586.
Whitelegge 329.
Wiemer 14.
I Wild 142.
I Wilke 498.
I Wilkinson 612.
i Windisch 467.
Windscheid 139.
Winternitz 25.
, de Woele 707.
Wolf, ß. 316.
Wolf (Minden) 519.
Wolffhügel 777.
Wollenberg 628.
Wullenweber 704.
Zahn 783.
Zander 255.
Zelle 657.
Zibell 532.
Zuckerkandl 787.
18. Jahrg.
Zeitschrift
1905.
für
MEDIZINALBEAMTE.
ZeatralUatt für gerichtliche fledizio ond Psychiatrie,
(Ir ärztliche Sachrerstindigentät igk e i t in Infall- and Invaliditätssacben, sowie
Rr IjgieBe, offeati. Sautätewesen, Medizinal - Gesetzgebung and Rechtsprechung.
Heraus gegeben
▼on
Dr. OTTO RAPMUND,
lUgierangs- and Geh. Medizinalrtt in Minden.
Verlag von Fischers mediz. Buchhandlg., H. Kornfeld,
HcnogL Bayer. Hof- u. Erzherzogl. Kammer - Buchhändler.
Berlin W. 35, Lützowstr. 10.
Inserat« nehmen die VerUgahandlung sowie eile Annoncen •Expeditionen drs In-
and Auslandes entgegen.
NV. 1. j| Erscheint am 1. und 15. Jeden Monnts. jj 1. JanUHr.
Die Prophylaxe der puerperalen Wundinfektionskrankheiten
nach den Vorschriften des preussischen Hebammenlehr¬
buches von 1904.
Von Assistenzarzt Dr. Hann .Paderborn.
Mit der Einführung des nen erschienenen Hebammenlelirbuchs
von 1904 erwachsen dem Mezinalbeamten und dem Hebammenlehrer
neue Aufgaben. Nicht bloss die kommende Generation der Heb¬
ammen soll danach ihre Kenntnisse und Fertigkeiten erwerben,
sondern auch die bereits in der Zeit unter dem alten Lelirbucbe
von 1892 ausgebildeten und praktizierenden Hebammen werden
in den Geist des von 1904 hinübergeführt werden müssen. Die
ganze Materie ist umfänglicher geworden und, was Inhalt und
Darstellung beträft, in wesentlich andere Form gebracht, wie in
dem früheren Lehrbuche. Ich stellte mir sofort die Frage, wie
es möglich sein würde, in den nächsten Wiederholungskursen
innerhalb der kurzen Frist von 3 Wochen die Kursistinnen
mit wünschenswerter Klarheit auf dem ihnen, fast kann man sagen,
neuen Gebiete zu orientieren; dazu kam der Wunsch des hiesigen
Hebammen Vereins, ihm einige Vorträge über die wichtigeren Neue¬
rungen in dem Lehrbuch zu halten. So sind denn an meinem
Schreibtische mehrere Stadien über einzelne Themata entstanden,
von denen ich mir erlaube im nachfolgenden eine Bearbeitung des
gewiss wichtigen Gegenstandes: „Die Methode zur Verhütung
von Wundinfektionskrankheiten im Wochenbette“ zu
veröffentlichen, in der Hoffnung, durch diese Darstellung den
Herren Kreisärzten die Arbeit za erleichtern, die ihnen bei der
2
Df. Mann.
Einführung der Hebammen ihres Bezirks in die neuen Vorschriften
bevorsteht.
Voransschicken möchte ich, dass das alte Lehrbuch in dem
ersten Kapitel des neunten Teiles nur von dem „Kindbett¬
fieber“ spricht, und unter diesen einen Begriff die ganze
Beihe der sonstigen Wundinfektionskrankheiten an den Unterleibs¬
organen der Wöchnerinnen einschliesst, wie aus den §§ 304 und
305 *) hervorgeht, in welchen die pathologischen Veränderungen
bei den Kranken geschildert werden, und aus dem § 303, wo es
heisst, dass für die Hebamme jeder Fall von Kindbettfieber,
Gebärmutter und Unterleibsentzüudung und alle als solche ver¬
dächtige Krankheiten anzeigepflichtig sind. Das neue Bach über¬
schreibt dagegen das entsprechende Kapitel im siebenten Teile
mit „die Wundkrankheiten des Wochenbettes“ und hebt
dann aus der ganzen Beihe der fieberhaften auf Infektion be¬
ruhenden Störungen in der Wunciheilung als „Kindbettfieber“
im § 479 nur die allgemeine Blutvergiftung, also die
Septichämie, die Pyämie und die Septicopyämie ab, wobei die dif¬
fuse Peritonitis eine besondere Würdigung erfährt.
Nach meinen Erfahrungen wäre es mindestens ebenso gut
gewesen, wenn der Name „Kindbettfieber“ ganz gefallen wäre.
Er bezeichnet auch in dieser Einschränkung weder in ätiologischer,
noch symptomatologischer Hinsicht ein abgeschlossenes Krankheits¬
bild. Dafür hätte ganz gut der Verlauf des „Faulfiebers“, des
„Eiterfiebers“ und deren Kombination nach den mehr lokal bleiben¬
den sonstigen Infektionen beschrieben werden können, so dass man
diese obsolete Diagnose gar nicht nötig haben würde.
A. Methode der Ausführung der Desinfektion in der
Geburtshilfe.
Motto: „Desinfizieren heisst keimfrei machen.“ Da man
nicht weiss, ob ein Gegenstand oder die Hand krankmachende
Spaltpilze enthält oder nicht, so ist alles vorher keimfrei zu machen,
was mit einer Wunde in Berührung kommen soll (§ 108).
Zur Ausführung der Desinfektion gehören folgende Mass¬
nahmen :
I. Allgemeine Vorschriften.
a) Die Hebamme hat sich immerfort an sich selbst der
grössten Beinlichkeitspflege zu befleissigen (§ 113, Ziffer 2).
Daher hat sie
1. ihren ganzen Körper durch häufigere Ganzwaschungen oder besser
Vollbäder sauber zu halten; dies ist wöchentlich wenigstens einmal vorzu-
nehmen (§ 118, Z. 2).
2. Als Kleider hat sie in ihrem Berufe Waschkleider zu tragen, die
bei Ausübung der Berufstätigkeit durch eine reine weiße den ganzen Vorder¬
körper bedeckende Schürze zu schützen sind (§§ 113, Z. 2, 194, Z. 9).
3. Vor allem hat sic ihre Hände zu pflegen.
Sie meide gröbere Arbeit; muß sic aber solche ausführen, so hat
sie ihre Hände durch häufige Waschung mit warmem Seifenwasser weich
zu erhalten (§ 113, Z. 3).
*) Wo nichts hinzugefügt ist, bedeuten die angeführten Paragraphen
stets diejenigen des neuen Hebammenlehrbuches.
Die Prophylaxe der puerperalen Wandinfektionskrankheiten osw.
3
Sie halte die Nägel karz und rund geschnitten, die Unternagel*
räume und N&gelfalze schmutzfrei (§ 113, Z. 3).
Ringe trage die Hebamme am besten nicht (§ 113, Z. 3).
Sie vermeide Verletzungen der Hände (§ 113, Z. 3).
Hände mit eiternden Stellen und Blutgeschwüren machen
die Hebamme zur Berufstätigkeit ungeeignet (§ 113, Z. 3 und Dienst¬
anweisung § 19).
Die Hebamme vermeide nach Möglichkeit jede Berührung mit
Gegenstände, vondenen sieweiß, daß sie Krankheitskeime
enthalten (§ 113, Z. 1).
b) Die Hebamme sorge für Reinlichkeitspflege in
Schwangerschaft, Geburt nnd Wochenbett (§ 165).
1. In der zweiten Hälfte der Schwangerschaft:
Es ist zweckmäßig wöchentlich 1—2 Vollbäder von 35° C. zu geben.
Täglich soll sich die Schwangere die äußeren Geschlechtsteile
unter Zuhilfenahmer reiner Verbandwatte (niemals eines Schwammes!) abseifen.
Der Beischlaf soll in der letzten Zeit der Schwangerschaft nicht
ausgeftbt werden.
Vor jeder inneren Untersuchung sind von der Hebamme die
Geschlechtsteile unter Zuhilfenahme eines Wattebausches warm abzuseifen.
2. Bei der Geburt:
Einer jeden Kreißenden sind von der Hebamme, wie vor jeder
inneren Untersuchung, die äußeren Geschlechtsteile abzuseifen.
Steht ein Bad zur Verfügung, so seife man sie im warmen Bade ab (§§ 113,
Z. 8, 143 und 197).
Die Kreißende ist mit reiner Leibwäsche zu bekleiden (§ 197).
In das Kreißbett kommt als unmittelbare Unterlage ein reines
leinenes Tuch; die wasserdichte Unterlage darunter ist mit lproz. Lysol¬
lösung abzureiben (§ 204).
Kissen und Zudecke sind womöglich frisch zu beziehen (§ 204).
3. Im Wochenbett:
Die Geschlechtsteile sind täglich wenigstens 1 mal durch Abspülen
zu reinigen (§§ 242 und 252).
Die Vorlagen von reiner Verbandwatte sind 3—4mal täglich zu er¬
neuern (§§ 117 und 242).
Die beschmutzten Vorlagen sind durch Verbrennen sofort zu
vernichten (§§ 117 und 242).
Unterlagen, Bett- und Leibwäsche sind nach Beschmutzung
rechtzeitig zu erneuern (§ 242).
Beschmutzte Gebrauchsgegenstände sind sofort aus dem
Zimmer zu entfernen (§ 242).
NB. Bei allen Waschungen und Spülungen ist nach Mög¬
lichkeit abgekochtes Wasser zu verwenden, wenn nicht vor¬
handen, lproz. Lysollösung (§ 113, Z. 8 sinngemäß erweitert).
II. Vorschriften für die Ausführung: der Desin¬
fektion selbst.
Als Desinfektionsmittel stehen der Hebamme zur Verfügung
(§ 109):
a) Die Hitze:
1 . Instrumente werden, wenn irgend möglich, */< Stunde lang im
Wasser mit Zusatz von 1 Teelöffel Soda ausgekocht. Der Hebamme ist
die Anschaffung eines billigen Desinfektionsapparates empfohlen (§§ 112 und
113, Ziffer 7).
2. Verbandstoffe, 'welche imströmenden erhitzten Was ser-
dimpfe sterilisiert sind, kommen in verlöteten Blechbüchsen in den Handel:
Tamponbüchse (§§ 95 u. 112).
3. Für Betten, Matratzen, Kleider bestehen in den meisten
Städten öffentliche Desinlektionsapparate (§ 112).
4
Br. Mann.
4. Vorlagen und Verbandstoffe, welche mit Wochenfluß, Eiter etc.
beschmutzt sind, werden sofort verbrannt (§§ 117 u. 242).
b) Chemische Mittel = Antiseptika. Hierzu gehören :
1. Das Sublimat in Lösung von 1 : 1000 = 1 °/oo = 1 pro mille, her¬
gestellt durch Auflösen von einer Angcrcrschen Sublimatpastille (enthält 1 g
Sublimat, Kochsalz und einen roten Farbstoff) in 1 Liter Wasser (§§ 109 u. 114).
NB. Sublimat ist zur Hündedesinfektion von vornherein
allein zugelassen (§ 114).
Es ist sehr giftig! (§ 114).
Darf daher auch nicht zur Reinigung der Geschlechtsteile verwendet
werden (§ 116).
Es greift metallene Instrumente an, darf also nicht zu deren Des¬
infektion gebracht werden (§ 116).
Es darf nicht mitScife inBerührung gebracht werden,
da es sonst seine Wirksamkeit verliert.
Hat sich die Lösung beim Gebrauche getrübt, so ist sie wertlos
geworden (§ 112, Z. 6.)
2. Lysol in Lösung von 1 : 100 = 1 °/o = 1 prozent. In einem Me߬
gefäß werden 10 g Lysol genau abgemessen und in einem Liter Wasser, welches
sich in einer reinen Schale oder einer reinen Literflasche befindet, unter sorg¬
fältigem Umrühren, resp. Schütteln aufgelöst (§ 113, Z. 10).
NB. Die Lösung darf nicht in der Spülkanne hergestellt werden (§ 113,
Ziffer 10).
Lysol wird verwendet
mit Erlaubnis desKreisarztcs zur Händedesinfektion,
an Stelle des Sublimats, wenn die betreffende Hebamme dieses nicht ver¬
trägt (§ 115);
zum Abreiben und Aufbewahren von Gerätschaften,
welche das Auskochen nicht vertragen, oder wenn keine Gelegenheit zum
Auskochen vorhanden ist (§ 113, Z. 7);
zum Abwaschen der Frau in Ermangelung von abgekochtem
Wasser (§ 113, Z. 8);
zu Ausspülungen in besonders bezcichnctcn Fällen und auf be¬
sondere Anweisung des Arztes (§ 113, Z. 9).
3. Alkohol = 85°/o Weingeist des Arzneibuches.
NB. Sein Gebrauch bei der Händedesinfektion ist immer erlaubt,
vorgeschrieben aber zur verschärftenHändcdesinfektion nach
Berührung von infektiösen Gegenständen (§ 113, Z. 5).
4. Karbolsäure und cssigsaure Toncrdelösung. Deren Ge¬
brauch ist nicht näher beschrieben (S 109).
5. Jodoform pul vor zum Bestreuen der Wattekugeln (§ 109).
III. Die Händedesinfektion im besonderen.
Motto: „Ohne keimfreie Hände keine gute Wundheilung“
(§ Hl).
a) Zu der Ausführung der Händedesinfektion hat die Heb¬
amme nötig:
1. Eine. Schale Nr. I mit heißem Wasser und eine Bürste Nr. I.
2. Ein reines Handtuch.
3. Einen metallenen (desinfizierten) Nngelkratzer.
4. Eine Schale Nr. II mit l ’| 0 , Sublimatlösung und eine Bürste Nr. II
(§ 113).
5. Eine Flasche mit Alkohol.
b) Methoden:
Ringe sind stets abzulegen (§ 113, Z. 2).
1. Die einfache Händedesinfektion = Heisswasser-Subli¬
matdesinfektion (§ 113).
I. Akt. In Schale Nr. I werden mit heißem Wasser durch die Bürste Nr. I
jeder Finger einzeln — jeder Nagel besonders — die ganzen Hände — die
Vorderarme beiderseits während 5 Minuten gründlich abgeseift.
Die Prophylaxe der puerperalen Wundinfektionskrankheiten usw.
5
II. Akt. Die Hände and Arme werden sorgfältig abgespillt and mit
dem Handtuch abgetrocknet.
III. Akt. Die Unternagelräumo werden mit dem Nagelkratzer genau
aufgekratzt.
I?. Akt. Die trockenen Hände werden in die Sublimatlosung der
Schale Nr. 2 eingetaucht, dann werden die Hände in der Heiken folge wie im
I. Akt 3 Minuten lang mit Bürste Nr. II und Sublimatlösung bearbeitet, die
Unterarme mit Sublimatlösung abgespült.
NB. Untersucht wird mit der noch von Sublimatlösung triefenden
Hand, ohne vorher etwas anderes zu berühren.
Nach dcrUntersuchung werden die Hände gewaschen, abgetrocknot
und mit Sublimatlösang abgespült and wieder abgetrocknet.
2. Die verschärfte Händedesinfektiun = Heisswasser —
Alkohol — Sublimatdesinfektio».
Nach Akt III der ersten Methode werden die Hände durch einen reinen
mit Alkohol getränkten Wattebausch unter besonderer Berücksichtigung der
Nägel kräftig 2 Minuten lang abgericben, dann geht die alkoholnasso Hand in
Sublimatlösang and es folgt Akt IV (§ 113).
B. Besondere Vorschriften zur Verhütung der Einimpfung
ansteckender Keime in die Wanden der Kreissenden and
Wöchnerin.
I. Motto: „Die Hebamme weiss, dass sie ihre Hände nicht
sicher desinfizieren kann, wenn sie mit ansteckenden Stoffen in
Berührung” gekommen ist“ (§ 470).
a) Daher muß sie alle Gegenstände und Orte meiden, welche
die gefährlichen Spaltpilze vor allem enthalten.
Dazu gehören:
1. Leichen und deren Kleider, sowie Leichenteile.
2. Faulende Gegenstände, zersetzte menschliche und tierische Teile
(Nachgeburt, Fruchtwasser, Wochenfluß) (fi§ 10C> u. 113).
Nß. Jeder Wochenfluß (vom 2. Tage ab) ist infektiös! (§£ 242 u. 497).
3. Kranke und eiternde Wunden und deren Ausflüsse (S§ 100 u. 113).
4. UebelriechenderAusfluß bei Krebs u. KindbetUiebcr (106 u. 113).
5. Personen, welche an ansteckenden Krankheiten leiden, vor allem
Kindbettfieber, Rose, Scharlach, Pocken, Typhus, Ruhr, Halsentzündung,
schließlich jeder Fieberkranke (sinngemäß auch Wundstarrkrampf bei
Mutter oder Kind, Schälblasen, Nabclentzundung) ($>$ 103 u. 113).
b) Wochen was che darf eine Hebamme selbst nicht waschen (§ 117
und Dienstanweisung § 21).
c) Beschmutzte Vorlagen sind sofort zu verbrennen.
d) Fiebernde Wöchnerinnen und deren Unterlagen sind
möglichst wenig zu berühren (Dienstanweisung § 29).
e) Hat die Hebamme an ihren Händen eiternde Wunden
oder Blutgeschwüre, so darf sic keine Geburt übernehmen (sinngemäß:
wenn auch die Hände davon erst vor kurzem geheilt sind) (Dienstanw. § 29).
II. Ist die Hebamme trotz aller Vorsicht doch
einmal mit den vorgenannten Stoffen in Berührung
gekommen, so hat sie die verschärfte Desinfektion
ihrer Hände und Arme vorzunehmen und die dazu ge¬
brauchten Bürsten 1 / 2 Stunde lang auszukoclien (Lehr¬
buch § 113, Ziffer 5 und § 482).
III. Weiter ist zu merken (§ 117):
1. Watte und Verbandstoffe zur Versorgung v<m Mutter und
Kicd sind vor der Verwendung nur mit genau desinfizierten Händen aiizufassen.
2. Von der Watte wird ans dem Behälter jedesmal nur so viel
entnommen, wie zunächst gebraucht wird, in ein reines Handtuch eingeschlogen
oder, zu Waschungen, sogleich in die Schale mit dem durchgekochten Wasser
oder der Lysollösung eingelegt.
6
Dr. Mann.
3. Ein Stück Watte, welches den Faßboden berührt hat, ist
als weiter zur Verwendung ungeeignet zu verbrennen.
4. Ein Instrument, welches zu Boden gefallen ist, muß
sofort ausgekocht werden.
IV. Dem Kreisarzt ist Anzeige zn erstatten (§ 34
der Dienstanweisung):
1. Von jedem Fall von Kindbettfieber, Wundrose, Wundstarrkrampf bei
Matter oder Kind (sinngemäß auch Nabelentzündung).
2. Von jedem Fall von Cholera, Diphtherie, Pocken, Bohr, Scharlach,
Typhus, sei er im Hause der Hebamme selbst oder in dem Hause, in welchem
die Hebamme eine Kraißende oder Wöchnerin versorgt hat, vorgekommen.
3. Von jedem Fall von Sch&lblasen der Neugeborenen.
4. Bei Erkrankung der Hebamme selbst an Geschwüren der Brust oder
übelriechenden Ausflüssen.
ß. Wenn die Hebamme eine an Krebs der Gebärmutter oder der äußeren
Geschlechtsteile erkrankte Schwangere oder Kreißende untersucht hat.
C. Verhaltungsmassregeln für die Hebammen
bei ansgebrochenem Wundfieber im Wochenbett vor allem
bei Kindbettfieber.
I. Der Arzt ist zuzuziehen (§ 481 und Dienstan¬
weisung § 28):
1. Bei Fieber im Wochenbett ist der Arzt zu fordern, wenn die
Temperatur der Wöchnerin zweimal über 38° C. gestiegen war.
2. Bei jedem Schüttelfrost ist auf Zuziehung eines Arztes zu
dringen.
8 . Bei dauernder Pulsbeschleunigung, auch wenn keine Tempe¬
raturerhöhung besteht, ist der Arzt zu benachrichtigen.
4. Wenn die Hebamme an den Geschlechtsteilen der Wöch¬
nerin ein Geschwür entdeckt, so ist ärztliche Behandlung nötig.
II. Dem Kreisarzt ist sofort persönlich oder
schriftlich zu melden (§ 481 und Dienstanweisung § 28):
1. Jeder Tod einer Wöchnerin.
2. Jeder (nachgewiesene) Fall von Kindbettfieber.
III. Daher hat die Hebamme, weil sie selbst nicht mit Be¬
stimmtheit sagen kann, ob gegebenenfalls bereits Kindbettfieber
da ist,
1. den hinzugezogenen Arzt zu fragen, ob bereits Kindbett¬
fieber vorliegt;
2 . wenn er es verneint, ihn zu bitten, ihr mitzuteilen, wann nach
seiner Meinung Kindbettfieber da ist.
IV. Hat der Arzt Kindbettfieber festgestellt, so
gelten nunmehr folgende Vorschriften (§ 482 u. Dienstanw. § 29):
1. Die weitere Pflege nach dem Eintreffen des Arztes darf die
Hebamme nur dann aufgeben, wenn
a) eine sachverständige Person die Wartung der Kranken übernimmt;
b) wenn der Kreisarzt dies erlaubt.
2. Am besten ist es, wenn die Hebamme in solchen Fällen (und wenn
auch nur Verdacht auf Kindbettfieber besteht) die Kranke nicht mehr be¬
sucht (sinngemäß: sie soll auf die Annahme einer sachver¬
ständigen Pflegerin dringen).
V. Ist die Hebamme bei einer an Kindbettfieber
kranken Frau tätig, so ist ihr
a) während der Dauer der Beschäftigung bei der Erkrankten
b) und noch weitere 8 Tage
jede sonstige Tätigkeit als Hebamme untersagt.
Die Prophylaxe der puerperalen Wundinfektionskrankheiten usw.
7
Der Kreisarzt ist berechtigt, vor Ablauf der zuletzt bezeichnten 8 Tage
die Aufnahme der Berufstätigkeit zu gestatten, wenn er es für unbedenklich hält.
Ist dagegen begründeter Verdacht einer Uebertragung von Ansteckungs¬
stoffen durch die Hebamme vorhanden, so kann sie der Kreisarzt immer auf
8 Tage außer Dienst setzen (§ 28 Dienstanweisung).
VI. Bevor nunmehr die Hebamme ihre Berufstätigkeit wieder
aufnimmt, hat sie die ihr vom Kreisärzte jedesmal anzuweisende
Reinigung und Desinfektion ihres Körpers und Ge-
brauchsgrgenstän: Wäsche, Kleidung und Instrumente, vor¬
zunehmen. Auf jeden Fall gilt (§ 482):
a) Nach jeder Berührung mit einer fieberkranken Wöchnerin (und
deren Unterlagen, Dienstanweisung § 29) sind sofort
1. Hände und Arme mit der Heiß wasser- Alkohol -Sublimat -Desinfektion
zu behandeln;
2. die dazu gebrauchten Bürsten •/* Stunde lang auszukochen.
b) Nach jeder Berührung mit einer Frau, bei welcher Kindbett¬
fieber oder nur der Verdacht auf diese Krankheit besteht, sind
1. die Hände und Arme mit der Heißwasser-Alkohol-Sublimatdesinfektion
zu behandeln;
2. der ganze Körper durch ein Vollbad oder eine Ganzwaschung zu
reinigen;
3. die dabei getragenen Kleider abzulegen, von dem sonstigen Kleider¬
vorrat zu trennen und entweder auszukochen und mit Seife zu waschen
oder — noch besser — im Desinfoktionsofen sterilisieren zu lassen;
4. die gebrauchten Instrumente und Bürsten sind */« Stunde lang
auszukochen;
5. der Schlauch der Spülkanne ist l l* Stunde lang in'Lysollösung zu legen
Die einschneidendste Neuerung (neben der nunmehr obligato¬
rischen Anwendung des Sublimats) in diesem System dürfte wohl
in den §§ 481 und 482 des Lehrbuches enthalten und oben nnter
CH, HI und IV wiedergegeben sein.
Das alte Hebammen-Lehrbuch machte den Hebammen an¬
zeigepflichtig: Kindbettfieber, Gebärmutter- oder Unterleibsent¬
zündung oder auch nur den Verdacht auf das Vorhandensein dieser
Krankheit. Es war nicht die Rede davon, ob die Krankheit vom
Arzte diagnostiziert sein muss, sondern die Hebamme musste im¬
stande sein, selbst sich dazu zu entscheiden, ob die Krankheit
oder wenigstens der Verdacht darauf vorliegt oder nicht. Das
ganze weitere Verhalten der Hebamme unterstand nach der An¬
zeige der speziellen Bestimmung des Kreisarztes. Bis jedoch
dessen Anordnungen ausgeführt waren, musste die Hebamme sich
ohne weiteres ihrer Berufstätigkeit enthalten.
Nunmehr ist die Hebamme sehr deutlich au den Arzt ver¬
wiesen. Dieser hat ihr zu sagen, ob und wann Kindbettfleber
= schwere allgemeine Blutvergiftung, da ist. Erst seine
bestimmt gestellte und mitgeteilte Diagnose zwingt nunmehr die
Hebamme zur Anzeige. Also:
1. Die Hebamme ist dem Kreisärzte nicht mehr persönlich
für die frühzeitige Meldung eines solchen Falles haftbar, sondern
de ist durch die Aeusserungen des Arztes gedeckt.
2. Ob sie selbst den Verdacht auf das Bestehen einer solchen
Krankheit hat, ist nach dieser Seite hin von keiner Bedeutung.
8. Die Hebamme soll jedoch auch jetzt noch imstande sein
8
Dr. Mann.
den Verdacht auf Kindbettfieber zu fassen. Sie soll sich freilich
nach der Berührung einer jeden fiebernden Wöchnerin verschärft
die Hände desinfizieren, aber auch nur bei dem Verdachte auf
Kindbettfieber — es steht nicht im Buche, dass der Arzt den
Verdacht ausgesprochen haben muss — soll sie sich aller sonstigen
Berufstätigkeit enthalten, die Erkrankte, falls keine sachver¬
ständige Pflegerin einspringt, weiter pflegen, und
4. am Ende dieser Pflege die Reinigung und Desinfektion
ihres Körpers genau wie nach der eines angezeigten Kindbett¬
fieberfalles vornehmen.
Ob sie dieses tut oder nicht, untersteht keiner Kontrolle,
sondern ist ihrer Gewissenhaftigkeit überlassen. Es schwebt nur
die Gefahr über ihr, dass der Kreisarzt bei begründetem Ver¬
dachte einer Uebertragung von ansteckenden Stoffen durch sie
ihr 8 Tage lang die Berufstätigkeit verbieten kann.
Das neue Buch bringt also den praktischen Aerzten
und Hebammen ein sehr grosses Vertrauen entgegen.
Die Motive seiner Autoren für die Zweckmässigkeit dieser Neue¬
rung sind mir nicht bekannt; von vornherein möchte ich aber mit
meinem Bedenken dagegen, ob durch diese Vorschrift die Siche¬
rung des Wochenbettes in wünschenswerter Gründlichkeit genüge
geleistet wird, nicht zurückhalten. Ich halte die gegenwärtige
Zeit für ein solches gewiss recht ehrendes Vertrauen auf Arzt
und Hebamme für noch nicht reif. Dass trotz der bislang gül¬
tigen Vorschrift der Desinfektion auch in der antiseptischen Zeit
Epidemien an Kindbettfieber vorgefallen sind, ist doch nicht zu
leugnen. Ich kenne einige solche. Sie sind deutlich entstanden,
trotzdem oder besser, weil sich die Hebamme auf den Arzt und
seine Diagnose verliess. Ich möchte in dieser Hinsicht drei Fälle
hier kurz niederlegen; vielleicht kennen die Leser noch manche
andere, ähnliche. Für unsere gegenwärtige Frage kann man
aber die nachstehenden Fälle wohl als Paradigmata bezeichnen.
1. Eine Dorfhebamrnc rief zu einer fiebernden Frau einen neu appro¬
bierten Kollegen, welcher eine Bauchfellentzündung feststellte. Da er
nicht von Kindhetttieber sprach, glaubte die Hebamme keinen Grund zu Weite¬
rungen zu haben. Erst die Häufung von Todesfällen im Wochenbette führte
zur Untersuchung durch den Kreisphysikus, und die weitere Verbreitung der
so entstandenen kleinen, aber schweren Epidemie wurde verhütet.
2. Mir ist noch deutlich die Verlegenheit eines gewiß sehr eifrigen
Kollegen in Erinnerung, mit welchem ich auf Wunsch des besorgten Ehe¬
mannes am Wochenbette zu konsultieren hatte, als ich die Diagnose auf
schwerste Sepsis stellte mit der ungünstigsten Prognose, die auch durch den
unglücklichen Ausgang nach nicht ganz 2 mal 24 Stunden bestätigt wurde,
nachdem er selbst kurz vorher die Sache für ungefährlich erklärt hatte. Die
Temperatur war in der Achselhöhle nie über 38,5° C. gestiegen, der be¬
schleunigte Puls konnte auf Nervosität beruhen. Auch hatte die neu ent¬
bundene Frau am Tage vorher frisches Brot gegessen. Der Ausfluß roch
auch nicht nennenswert übel. Ich traf die Hebamme an, als sie neben der
Kranken saß und das Iviud versorgte. In derselben Woche starb in ihrer
Praxis auch eine Frau au Lungenentzündung und eine früher ganz gesunde
Wöchnerin angeblich am Schlage.
3. Eine durch die Zange entbundene Frau erkrankt am Fieber; die
Hebamme fragt den behandelnden Arzt, ob Wochenbettfieber vorläge. Der
Arzt meint, das könne man noch nicht wisssen; er werde ihr schon Bescheid
Die Prophylaxe der puerperalen Wandinfektionskrankheiten usw.
9
sagen; man solle aber nicht gleich Lärm schlagen. Als der Bescheid aasbleibt,
glaubt die Hebamme berechtigt za sein, die Pflege weiter za führen. Die be¬
treffende Frau stirbt, einige Tage weiter in der Praxis derselben Hcbammo
eine zweite Frau an foudroyantester Sepsis und eine dritte an „Schlaganfall“.
Diese Hebamme ist keineswegs eine von den schlechtesten der hiesigen Qegend ;
sie wurde empfindlich im Verwaltungswege bestraft.
Ich befürchte, dass wir ähnliche Fälle, vor allem wie Nr. 8
in der Aera des neuen Lehrbaches ohne sonstige Sicherungsmass-
regeln häufiger sehen werden.
Ich habe bereits eingangs dieser Arbeit meine Ansicht aus*
gesprochen, dass ich vom theoretischen und praktischen Stand¬
punkte aus die weitere Beibehaltung einer Diagnose „Kindbett¬
fieber* vor allem in der nunmehr gemachten Einschränkung iür
nicht zweckmässig halte.
Eine septische Metroendometritis und Pelveoperitonitis kann
z. B. bei günstigen Verhältnissen auch günstig verlaufen. Die
Streptokokken können sich hier nicht austoben, und doch ist es
dieselbe Horde, von der eine andere Aussaat bei einer anderen
Frau eine schwere, allgemeine Sepsis erregen kann. Aetiologisch
dieselbe Krankheit, verlaufen doch diese beiden Fälle durchaus
verschieden.
Aber weiter! Der Arzt stellt eine Endometritis oder dergl.
fest, nachdem ihn die Hebamme an das Fieberbett gerufen hat.
Die Hebamme fragt ihn nun: Herr Doktor, ist es Wochenbett¬
fieber? Nein, sagt er, es ist freilich eine Störung der Wund¬
heilung, aber die Sache ist ja noch so leicht. Vielleicht ist es
nur eine Infektion mit „harmlosen Stäbchen*. Kann das aber in
der Hauspraxis bewiesen werden? Nein! Der therapeutische Prak¬
tiker ist zu dieser Meinung von vornherein durchaus berechtigt,
ohne dass man ihm daraus wenigstens einen Vorwurf zu machen
braucht. Nun ist der Fall aber dennoch eine pyogene Kokkeninfek¬
tion, bleibt jedoch milde, wenigstens vorläufig, und kann sich später
erst zu den schwersten Formen entwickeln. Von der Fiebernden
aus wird ihre ganze Umgebung auch bei leicht verlaufenden Fällen
infektiös. Die Hebamme bewegt sich ruhig bei der Krankenpflege
in der Krankenstube umher. Wenn sie weggeht, desinfiziert sie
gründlich nach Vorschrift ihre Hände, geht aber mit denselben
Kleidern zu einer anderen Geburt, denn weder sie, noch der Arzt
haben den Verdacht, dass es „Wochenbettfieber*, allgemeine
Blutvergiftung, sein könnte; denn „die Sache ist ja rein lokal*.
Wenn nun jetzt von diesem Falle aus eine breite Propagation der
Sepsis erfolgt, kann man dann unter den gegenwärtigen Vor¬
schriften jemandem einen begründeten Vorwurf machen? Ich
glaube kaum!
Ich habe in der hiesigen Hebammenlehranstalt Repetitions¬
standen abzuhalten und seit mehreren Jahren inoffiziell den Lehr¬
töchtern das Bild der puerperalen Wundkrankheit auf die Weise
geschildert, dass ich mit der Vaginitis und dem puerperalen Ge¬
schwür begann, zar saprischen und septischen Endometritis und
von da zur Parametritis und Pelveoperitonitis fortschritt. Ver¬
allgemeinern und kombinieren konnte ich dann das Bild des „Faul-
10
Dr. Mann.
fiebere“ und des „Eiterfiebers“, sowie der Mischform dieser beiden
und die diffuse Peritonitis leicht anschaulich machen, ohne dabei
den Namen Kindbettfieber überhaupt zu gebrauchen. Ich war mit
dem Erfolge recht zufrieden. Die Schülerinnen erhielten eine
wesentlich andere Anschauung von der Bedeutung der puerperalen
Infektion. Sie lernten auch die leichten Fälle fürchten, da nicht
blos hiervon andere leichte Krankheiten, sondern geeigneten Falles
die schwereren und schwersten Formen durch Uebertragung ent¬
stehen können. Bleibt es aber bei einem oder mehreren leichten
Erkrankungen, so können langwierige Unterleibsschäden, die den
Lebensgenuss und die Arbeitsfähigkeit der Frau verkümmern, Zu¬
rückbleiben. Diese Punkte sind im alten Buche gar nicht, im
neuen Buche viel zu kursorisch berührt und doch von unendlicher
Wichtigkeit.
In richtiger Würdigung der praktischen Verhältnisse ist im
hiesigen Regierungsbezirke für die Aerzte durch Polizeiverordnung
anzeigepflichtig: Wochenbettfieber oder entzündliche Er¬
krankung des Unterleibs im Wochenbett. Dadurch soll
dem Kreisarzt die Gelegenheit gegeben werden, sich selbst zeitig
genug von der Natur einer solchen Erkrankung zu überzeugen,
damit er dann der Hebamme die richtigen Verhaltungsmassregeln er¬
teilen kann, auch wenn die Hebamme selbst noch nicht vom Vor¬
handensein des Wochenbettfiebers überzeugt sein sollte. Würde nun
diese Vorschrift weiterhin von allen Aerzten genau innegehalten,
so würde ich gleich alle Bedenken gegen die obigen Vorschriften
fallen lassen, dann zeigt eben der Arzt, nicht die Hebamme, den
Verdacht auf Kindbettfieber an, und der Kreisarzt kann zeitig
genug in Wirksamkeit treten.
Man sehe sich aber einmal die praktischen Verhältnisse ge¬
nauer an. Ehe sich ein praktischer Routinier dazu entschliesst,
„Lärm zu schlagen“, muss die Sache schon einigermassen weit
gediehen sein. Bislang kam noch häufig schon früh die Anzeige,
weil die Hebamme ebenfalls zur spontanen Anzeige sich ver¬
pflichtet fühlte. Wird nun jetzt durch die neue Vorschrift Spiel¬
raum geschaffen, so werden voraussichtlich die Influenzen im
Wochenbett, die Magenkatarrhe, die Schleimfieber etc. noch häufiger
Vorkommen, und erst später kann der Frauenarzt aus den chronisch
gewordenen Adnexkrankheiten etc. feststellen, dass vermutlich
doch eine puerperale Infektion damals bestanden hat.
Dazu kommt noch, dass die oben genannte Polizeiverordnung
eigentlich ungültig ist. Sie geht über das Regulativ von 1835
hinaus, und das Gericht wird in der Berufungsinstanz eine event.
verhängte Strafe aufheben. Nicht einmal die schweren septischen
Erkrankungen anzuzeigen kann der Arzt gezwungen werden, und
ich kenne tatsächlich solche „Originale“, welche ungesetzlich mit
unrecht verwechseln, welche also dergleichen Anzeigen „prinzipiell“
unterlassen. Sie kennen eben den Spruch nicht „Summum jus summa
injuria“ = wenn man das Recht auf die Spitze treibt, so ent¬
steht das grösste Unrecht. Unsere Damen Hebammen werden
recht bald merken, „welche Aerzte immer anzeigen und welche
Die Prophylaxe der puerperalen Wandinfektionskrankheiten usw. 11
nicht*, zum Schaden jener Aerzte, welche darin etwas akku¬
rater sind, aber anch mit Gefährdung ihres Klienteis.
Man vertraut den Aerzten, dass sie die Hebammen zeitig
genug benachrichtigen, ob wir es mit dem ungemein infektiösen
»Kindbettfieber“ zu tun haben oder nicht. Demgegenüber halte
ich nach meiner Erfahrung es für zweckmässiger, wenn schon
bislang, so erst recht für die Folgezeit nach dem § 481, dass die
exakte Durchführung obiger Begiernngs-Polizeiverordnung mit
allen Mitteln in die Wege geleitet werden muss. Ich gestatte mir,
einen Weg zu zeigen, auf dem man ohne Polizei und Gericht doch
auf die Aerzte einen wirkungsvollen Zwang ausüben kann.
Auf der Versammlung der Hebammenlehrer in Würzburg
1903 wurde die Anregung gegeben, dass die ärztlichen Standes¬
vereine auf ihre Mitglieder in dem Sinne einwirken sollen, dass
Kollegen, welche Geburten ohne Zuziehung einer Hebamme leiten,
sich für verpflichtet halten müssen, alle den Hebammen für die
Sicherung des Verlaufes von Geburt und Wochenbett gegebenen
Vorschriften ebenfalls zu befolgen.
Ich möchte noch etwas weiter gehen. Der Stand der Aerzte
ist nicht bloss dazu da, den Kranken zur Genesung zu helfen.
Keine Nebensache für ihn ist es auch, geschlossen für die Ver¬
hütung einer Krankheitsverbreitung einzutreten. Ohne Zusammen¬
wirken aller Aerzte ist aber ein solches Bestreben von sehr un¬
sicherer Wirkung. Eine Einheitlichkeit kann jedoch nach dieser
Hinsicht nur erzielt werden, wenn sie sich alle um einen Mittel¬
punkt schaaren, welcher die genügende Einsicht besitzt und dem
auch genügende Autorität zur Verfügung steht, im gegebenen
Falle mit wünschenswerter Energie dem Publikum gegenüber zu
treten. Dieses kann gegenwärtig nur die Staatsregierung mit
ihren Organen sein, welchen die Sicherung des Volkswohles
obliegt.
Wenn also ein Arzt eine mit den Lehren seiner Wissenschaft
im Einklang stehende, von der Mehrzahl der Aerzte als zweck¬
mässig anerkannte polizeiliche Anordnung, auch wenn sie im Ge¬
setze bislang noch nicht vorgesehen ist und deren Be¬
folgung ihm keine unerfüllbaren Pflichten auferlegt, nicht
befolgt, also der gewiss ehrenvollen Aufgabe des ärztlichen Standes
in einer wichtigen hygienischen Sache entgegentritt, so handelt
er gegen seinen Stand, gegen die guten Sitten, wie sie bei seinen
Standesgenossen geübt werden sollen, und gegen die Standesehre.
Ohne die Benachrichtigung seitens der behandelnden Aerzte ist
es ja den Medizinalbehörden unmöglich ihres Amtes zu walten,
das ihnen auferlegt, die Bevölkerung auch bei ansteckenden Krank¬
heiten vor grossem Schaden zu bewahren.
Vielleicht verdient daher meine Anregung einige Beachtung,
dass nämlich die offizielle Standesvertretung, welche uns nun¬
mehr in den Kammern gegeben ist, erklärt, dass zum Kanon
der Standesehre auch das Bewusstsein der Verpflich¬
tung (und demgemässes Handeln) gehört, die behörd¬
licherseits erlassenen Vorschriften zur Bekämpfung
12 Dr. Mann: Die Prophylaxe der puerperalen Wund Infektionskrankheiten usw.
von gemeingefährlichen Krankheiten nach bestem
Willen zu befolgen. Ob dann noch disziplinäre Massnahmen
nötig sein werden, muss der Zukunft überlassen bleiben. Dann
brauchen wir nicht erst ein neues Gesetz, noch viel weniger den
Staatsanwalt mit seinem Fahrlässigkeitsparagraphen.
Eine gewisse Härte bietet auch die Vorschrift im neuen
Lehrbuche, dass die Hebamme eine an Wochenbettfieber kranke
Person weiter pflegen muss, wenn keine andere sachverständige
Pflegerin für sie eintritt, dass sie aber natürlich während der
Dauer dieser Pflege sich aller sonstigen Berufstätigkeit zu ent¬
halten halt. So wohltätig diese Vorschrift auch für die kranken
Frauen zu begrüssen ist; der Hebamme ist ganz gewiss nicht
immer die moralische Schuld an dem traurigen Falle beizumessen.
Religiöse Krankenpflegegenossenschaften lehnen vielfach noch die
Pflegen von kranken Wöchnerinnen aus nicht zu verstehender
Prüderie ab. Ausgebildete Wochenbettpflegerinnen gibt es aber
noch nicht überall in solcher Zahl, dass man damit immer rechnen
kann. Wird nun keine Pflegerin gefunden, so muss die Hebamme
selbst pflegen, und zwar in Krankheitsfällen, die sich über Monate
bis zur Vollendung der Genesung hinziehen können. Die Hebamme
ist in ihrem an und für sich nicht glänzenden Erwerbe aber
hauptsächlich auf die Geburten angewiesen und kann daher durch
solche Fälle empfindlich geschädigt werden. Mit der Einführung
des neuen Lehrbuches ist es also sehr wünschenswert, möglichst
bald dahin zu wirken, dass den Hebammen, wenn ihnen kein
Verschulden nachgewiesen wird, in solchen Fällen eine Ent¬
schädigung aus öffentlichen Mitteln zugewiesen werden kann. Sie
werden dann auch gewissenhafter sich an ihre Instruktion halten.
Die betreffende Vorschrift ist ohne weiteres durchführbar an
Orten, wo mehrere Hebammen neben einander arbeiten. Die ein¬
zelstehende Bezirkshebamme auf dem Lande aber kann sich ohne
grössere Unbequemlichkeit für die Ortseingesessenen nicht durch
eine Nachbarhebamme vertreten lassen, vor allem, wenn die Ort¬
schaften weit auseinander liegen. Hier wäre es wünschenswert,
dass dem Kreisärzte bezüglich Beurteilung der Qualifikation der
„sachverständigen“ Stellvertreterin in der Pflege ein grösserer
Spielraum gelassen werde. Ist keine berufsmässige Pflegerin zu
erhalten, so genügte meines Erachtens zur Not eine Frauens¬
person, welche rüstig genug ist, um für das Lagern der Frau
sorgen und Nachtwachen ertragen zu können, und geistig so be¬
fähigt ist, dass sie die für 24 Stunden zu gebenden ärztlichen
Weisungen behalten und einigermassen verständig ausführen kann.
Lässt sich freilich auch eine solche nicht finden, so müssten
gelegentlich die Landwirte auch einmal anspannen und die
Hebamme aus dem Nachbarorte holen; denn so hart kann man
nicht sein, eine arme kranke Frau mangels aller geeigneten Pflege
verkommen zu lassen. Vielleicht führen solche Fälle dann zu
häufigerer Anstellung von Gemeindepflegerinnen.
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
13
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
A. Gerichtliche Medizin und Psychiatrin.
Weiteres über Kunstfehler in der Uebammenpraxis. Von Professor
Dr. H. Walther, Hebammenlehrer in Gießen. Allgemeine Deutsche Heb¬
ammen* Zeitung; 1904, Nr. 10.
Im Anschluß an Erlebnisse aus seiner konsultativen Praxis bespricht
Verfasser, noch unter Bezugnahme auf das alte preußische Lehrbuch, zwei
Hilfeleistungen, welche die Hebamme vollständig beherrschen soll, das Kathe-
lerisieren und das Ausspülen der Scheide. Das Katheterisicren ist den Heb¬
ammen zur Pflicht gemacht in den §§ 159, 225 und 311 des alten preußischen
Lehrbuchs, und die Ausführung ist genau beschrieben im § 330. Das jetzt
erschienene Heb&mmenlchrbuch, mit den entsprechenden §§ 245, 286 und 489
und schließlich 92, hat die Vorschriften noch genauer gefaßt und zweckmäßiger
gestaltet; es erleichtert dadurch entschieden den Hebammen, die sich genau
danach richten, alle die Fehler zu vermeiden, welche Verfasser gesehen hat
und aulzählt, nämlich 1. ungenügende Desinfektion der Hände {Jetzt Sublimat)
und des Katheters (jetzt elastischer Jacques-Patent-Katheter), 2. das Bohren
.falscher Wege“ und sonstige Fehler der Technik. Hier ist das Verbot des
Met&llkathetcrs von Segen und der Umstand, daß die Hebamme schwierige
Einführungen des Katheters nicht mehr selbst machen muß, sondern, falls ein
vorsichtiger Versuch mißlingt, davon abstchcn und den Arzt rufen soll (§ 286
Ruckwärtsbeugung der schwangeren Gebärmutter). Daß eine Hebamme den
Katheter einer Wöchnerin in die Scheide statt in die Harnröhre einführt, wie
Verfasser sah, ist jedenfalls ein Unikum, selbst bei einer alten Hebamme;
Schaden wird er wohl da, falls vorher ausgekocht (§ 92), nicht anrichten.
Aehnlich liegt die Sache bei den Scheidenausspülungen. Das alte Lehr¬
buch (§ 332) sagt, wie das neue (§ 94), daß solche im allgemeinen nur auf ärzt¬
liche Verordnung ausgeführt werden dürfen, und gibt in den §§ 237, 218 und
246 die besonderen Fälle an, wo dio Hebammen von sich aus die Scheiden¬
spülung vornehmen sollen. Das neue Lehrbuch hat dafür die entsprechenden
SOI, 380 (Scheidenschleimfluß, hier keine Spülung mehr) und §£ 426 u. 427.
Die neuen Bestimmungen stellen wiederum einen Fortschritt, zugleich
aber auch eine Erleichterung für die Hebammen dar. Befolgen sie dieselben
strikt, so können Fehler, wie sie Verfasser berichtet, nicht Vorkommen.
So wird der Fehler, daß Luftblasen in die Scheide eindringen, durch die
Vorschrift, das Rohr .laufend“ einzuführen, sicher vermieden; falsche Tempe¬
raturen können bei der genauen Angabe nach Graden in Celsius nicht mehr
Vorkommen, gegen Verbrennungen bezw. Verätzungen durch Lysol oder sonstige
Schädigungen durch Desinfektionsmittel schützt die genaue Beachtung des
| 113. Nicht erwähnt, aber sehr beachtenswert ist die Forderung des Ver¬
fassers, die Spülkanne nicht über 1 m hoch zu heben, damit zu hoher Druck
der Spülflüssigkeit vermieden wird. Zum Schluß berichtet Verfasser noch über
einen besonders krassen Kunstfehler aus seiner Praxis: Eine Hebamme machte
die Spülung mit Lysol, die ihr aufgegeben war, 6tatt in die Scheide, in die
Harnröhre bezw. in die Blase und verursachte dadurch Verätzung der Blasen-
schleimhaut und langes schmerzhaftes Krankenlager.
Diese Vorkommnisse bei den scheinbar einfachsten Hilfeleistungen sind
dem Verfasser eine Mahnung, die Technik derselben bei Hebammenschülerinnen
und in den Nachkursen fleißig üben zu lassen und immer wieder auf Kunst¬
fehler, die dabei unterlaufen können oder unterlaufen sind, hinzuweisen. Für
diese Bestrebungen, denen sich die Kreisärzte bei den Nachprüfungen gewiß
anschließen, bietet das neue Hebammenlehrbuch eine sehr wertvolle Grundlage.
Dr. Steinkopff-Liebenwerda.
Die forensische Bedeutung des Puerperalfiebers. Vortrag von Dr.
Köstlin, Direktor der Provinzialhebammenlehranstalt in Danzig. Monats¬
schrift für Geburtshilfe und Gynäkologie; Bd. XIX., H. 5.
Der Vortrag des Verfassers samt der sich daran knüpfenden Diskussion
kt für den Medizinalbeamten in seiner Eigenschaft als gerichtlicher Sachver¬
ständiger von großer Bedeutung.
Jeder hat wohl schon erlebt, daß eine gerichtliche Verfolgung wegen
14
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
fahrlässiger Tötung gegen eine Hebamme mit Freisprechung endete, obgleich
für den Arzt die Schuldfrage klar lag. Und doch ist dies erklärlich; denn das
Gericht verlangt im konkreten Fall für den Kausalnexus „einen fast mathe¬
matischen Beweis“. — Soll nun der Kreisarzt von der Anzeige abstehen und
sich, in der Befürchtung, seinem Ansehen za schaden, auf die disziplinäre Be¬
strafung der schuldigen Hebamme beschränken? Gewiß nichtI Er soll sich
vor allem in jedem Fall seinen eigenen Standpunkt bilden, der sowohl seiner
eigenen Erfahrung, als den Fortschritten der Wissenschaft gerecht werden
muß. Nach ihm muß er bei der Schuldfrage eine möglichst präzise „zirkum¬
skripte“ Antwort geben. Erfolgt dann eine Verurteilung, so wirkt sie „wie
ein reinigendes Gewitter“; erfolgt sie nicht, so hat er sein Gewissen salviert.
Verfasser behandelt im Anschluß an zwei Freisprechungen von Heb¬
ammen die Verhältnisse, welche die Infektion herbeiführen können, insbesondere
die Möglichkeiten, welche die Hebamme vor Gericht zu entlasten geeignet sind.
In sehr ausführlicher und klarer Weise wird namentlich die Frage der Selbst¬
infektion, deren Gegner er ist, des Selbsttouchierens, der Infektion durch Unter¬
lagen und Wäsche erörtert. Der Standpunkt, zu dem er gelangt, entspricht
dem von Fritsch (Gerichtsärztliche Geburtshilfe) vertretenen. Danach ist die
Schuldfrage zu bejahen, wenn
1. die Quelle des Ansteckungsstoffes klar,
2. die Unterlassung der Desinfektion erwiesen und
3. eine andere Todesursache als Puerperalkrankheit ausgeschlossen ist.
Köstlin erweitert den ersten Punkt, indem er durch Ausschließung die
Quelle des Ansteckungsstoffes sicher zu stellen sucht, und demzufolge fordert,
daß die Frau vorher in bezug auf ihre Geschlechtsteile gesund gewesen sein
muß, die Geburt keine pathologische gewesen sein darf und Eingriffe anderer
Personen, als der geburtshelfenden, an oder in den Geschlechtsteilen auszu-
schließen sind.
Zum zweiten Punkt, die Unterlassung der Desinfektion, macht er den
Zusatz: „daß auch der Nachweis von Fahrlässigkeiten nach erfolgter Desin¬
fektion (welche diese illusorisch machen) genügt.
Im Vortrage sowohl, als in der Diskussion werden noch zahlreiche, das
Hebammenwesen überhaupt berührende Fragen erörtert, und manche ebenso be¬
rechtigte wie wichtige Forderungen erhoben: z. B. Meldepflicht der Hebammen
an den Kreisarzt, wenn sie erfährt, daß die Kreißende oder deren Angehörige
sich in irgend einer Weise in oder an den Geschlechtsteilen zu schaffen gemacht
haben; Zuziehung eines Sachverständigen schon bei der ersten gerichtlichen
Vernehmung der Hebamme und der etwaigen Zeugen; Fallenlassen des ver¬
alteten Begriffs „Puerperalfieber“.
Jedenfalls kann die Lektüre des Vortrages und der Diskussion den
Kollegen nur angelegentlichst empfohlen werden.
Dr. Steinkopff -Liebenwerda.
Extrauteringravidität bei gleichzeitig bestehender Intrauteringravl-
dität. Von Frauenarzt Dr. Wiener in München. Münchener med. Wochen¬
schrift; 1904, Nr. 46.
Das gleichzeitige Vorkommen von Extra- und Intrauteringravidität ist
sehr selten. Verfasser berichtet über einen solchen einwandfreien Fall, bei dem
durch die infolge einer Blutung notwendigen Operation die untrüglichen Zeichen
einer rechtsseitigen Tubarschwangerschaft festgcstellt wurden, und am 11. Tage
nach der Operation der Abgang eines 6 */2 cm langen, geringgradig mazerierten
Fötus aus dem Uterus stattfand. Nach Ansicht des Verfassers handelte es
sich um eine etwa 10 Wochen alte Gravidität, bei welcher die Befruchtung
der beiden Eier fast gleichzeitig oder wenigstens kurz hintereinander einge¬
treten war. Das eine Ei hatte nach der Befruchtung noch seinen Weg in den
Uterus gefunden, das andere war dagegen im Verlaufe der Tube stecken ge¬
blieben, wo es sich weiter entwickelt hatte. Die Tubargravidität ist wahr¬
scheinlich früher zum Absterben gekommen, als die intrauterine Gravidität;
daß diese aber bei der Operation ebenfalls schon unterbrochen war, dafür
sprach die Blässe des Uteru3, der Abgang von zersetztem Blut am Operations¬
tage und die Mazerationserscheinungen am Foetus.
_ Dr. W a i b e 1 - Kempten.
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
15
Heber den Nachweis des Kindes in der Geb&rmutter mittels Röntgen«
strahlen. Von Dr. Albers-Schönberg. Zentralbl. f. Gynäkologie; 1904, Nr.49.
Die auch in gerichtlich - medizinischer Hinsicht wichtigen Versuche, das
Kind im Mutterleibe durch Röntgenstrahlen nachzuweisen, sind bisher an den
technischen Schwierigkeiten gescheitert. Dem Verfasser ist es in zwei Fällen
gelungen, die vorhandenen Schwierigkeiten durch technische Hilfsmittel (An¬
wendung der Kompressionsblende) und durch Ausschaltung der kindlichen Be¬
wegungen zu überwinden. Die 8 monatlichen Früchte wurden deutlich zur
Darstellung gebracht.
Weitere Fortschritte der Röntgentechnik werden voraussichtlich noch
günstigere Resultate liefern, besonders für die Diagnose der Zwillings¬
schwangerschaft. Dr. Dohrn-Cassel.
Ueber die Wirkung des Bleis auf die Geb&rmutter. Von L. Lewin.
Berliner klin. Wochenschrift; 1904, Nr.41.
Schon das römische Altertum kannte die lähmende Wirkung des in den
Körper aufgenommenen Bleis auf den Geschlcchtsapparat. Zur verbrecherischen
Fruchtabtreibung wurden in den beiden letzten Jahrzehnten in England und
Deutschland Bleipräparate genommen. Das chronisch aufgenommene Blei kann
hei Tieren und Menschen, bei Mann und Weib die Generationssphäre schädigen.
Kühe, Schafe und Ziegen bekamen nach dem Genuß von in der Nähe von
Silberhütten wachsendem Futter Blutharnen und verwarfen. Frauen, die bei
Silberhütten wohnten, litten habituell an Abort. Die Schwangerschaft kann
Störungen erleiden sowohl wenn die Mutter mit Blei arbeitet, als auch wenn
der Mann, der den Zeugung6akt vollzogen hat, bleikrank ist. Unter solchen
Bedingungen zeigen sich 1. Gebärmutterblutungen bei Frauen, bei denen die
Menstruation ausgeblieben ist, und die als schwanger angesehen werden müssen,
2. Fehlgeburten im 3.-6. Monat, 3. Frühgeburten von Föten oder bald sterben¬
den Kindern, 4. eine Mortalität der geborenen Kindern in den ersten 3 Lebens¬
jahren, die das gewöhnliche Mittel übersteigt. Viele der bleikranken Frauen
haben vor ihrer Beschäftigung mit Blei normale Kinder geboren. Verläßt die
Bleiarbeiterin ihren Beruf, so kann sie wieder normal gebären. Wiederholt
sich das Aufhören und die Wiederaufnahme der Bleiarbeit seitens der Frau,
so kann dieser Wechsel auch in den Schwangerschaften zum Ausdruck kommen.
Aehnliche Erscheinungen ergeben sich, wenn nur der Erzeuger bleikrank war;
die Lebensschwäche der Kinder rafft sie oft sehr früh dahin. Von 31 Schwanger¬
schaften bei 7 Frauen bleikranker Maler endeten 11 mit Totgeburten und eine
mit Abort, während eine dieser Frauen vor der Beschäftigung ihres Mannes
mit Blei 7 lebende Kinder hatte. Die Vergiftungserscheinungen beim Vater
oder der Mutter können nur leichte sein, und trotzdem macht sich der verderb¬
liche Einfluß bemerkbar. Die aus solchen Ehen hervorgehenden Kinder gehen
frühzeitig zugrunde oder bleiben in ihrer Entwickelung zurück. In einem
hessischen Dorfe, dessen Einwohner meistens bleikrank waren (Glasieren von
Tonwaren) beträgt die Sterblichkeit der Kinder in den ersten 5—6 Lebens¬
jahren 50 s /o, die Ueberlebenden leiden an Hydrocephalus und sehr großen
Kröpfen. Roques fand bei seinen Beobachtungen in der Salpetriere und in
Bioetre, daß Kinder von bleikranken Vätern sehr häufig von Geisteskrankheit,
Idiotie, Schwachsinn, Epilepsie usw. befallen sind.
Tausende von Lebewesen werden so dahingerafft, kommen nicht zur
Entwickelung oder werden als Minderwertige oder Wertlose ein Ballast für
den Staat. Die Zeit muß kommen, wo vorerst einmal die Frauenarbeit in Gift¬
betrieben mit hoher Gefahr verboten wird. Frankreich ist hierin vorangegangen.
Es ist ein Hohn, der durch den „Nicht-Interventionismus“ gerade auf diesem
Gebiete dem Menschentum angetan wird. Dr. Raub er-Köslin.
Gefahren der Schnitze sehen Schwingungen. Von Dr. Henggc,
Assistent der Greifswalder Universitäts - Frauenklinik. Münchener med. Wochen¬
schrift; 1904, Nr. 48.
Verfasser fand bei der Obduktion von Neugeborenen wiederholt ätio¬
logisch wichtige und beachtungswerte Veränderungen. Er teilt vier derartige
Fälle mit, in aenen Schultzesche ausgiebige Schwingungen wegen Asphyxie
16
Kleinere Mitteilungen nnd Referate ans Zeitschriften.
aus geführt waren, und der Tod 19, 28 und 80 Stunden nach der Geburt ein-
getreten war.
In allen diesen Fällen fanden sich subseröse und intraparenchy¬
matöse Blutungen, und zwar zahlreiche Ekchymosen auf dem Perikard
und Epikard, auf der Pleura costalis und pulmonalis, sowie auf der Thymus,
z. T. auch flächenartigo subperitonealo Blataustritte auf der Leber bezw. blutige
Durchtränkung des Leberparenchyms und der Nebennieren, in einem Falle auch
Blataustritte auf der Wand des Dünndarms. Außer der Schultz eschen
Schwingungen waren noch Aspiration des Trachcalinhaltes und warmes Bad
zur Anwendung gekommen. Verfasser spricht sich in seinen epikritischen Be¬
merkungen dahin aus, daß bei allen Neugeborenen, welche mit Schultzeschen
Schwingungen behandelt werden und zur Obduktion kommen, für alle Befunde
von Blutungen und Läsionen in erster Linie zu erwägen sei, ob nicht die
Schultz eschen Schwingungen dafür als ursächliches Moment verantwortlich
zu machen sind. Erst neben bezw. nach dieser Erwägung sind weitere ätio¬
logische Möglichkeiten, wie Geburtstrauma, Erstickung, Eklampsie der Mutter,
ungenügende Entwickelung und Abkühlung des Kindes etc. in Frage zu ziehen,
und ist die Bedeutung der einzelnen Ursachen für jeden Fall gesondert zu
untersuchen. Dr. W a i b e 1 - Kempten.
Kasuistischer Beitrag zur Kenntnis der Gynäkomastie. Von Dr
Sommer in Niedermendig. Münchener med. Wochenschrift; 1904, Nr. 40.
Die männlichen Mammillae verkümmern beim Erwachsenen in der Regel
nach der Pubertätszeit. Als Kuriosum findet man in seltenen Fällen beim
Manne eine Hypertrophie der normalen Gewebsbestandteile, welche eine solche
Ausdehnung nehmen kann, daß sie an das Volumen einer gut entwickelten
weiblichen Brustdrüse heranreicht. Diese Erscheinung nennt man Gynäkomastie,
die damit Behafteten Gynäkomasten.
Verfasser berichtet über einen derartigen von ihm beobachteten Fall bei
einem 15jährigen Gymnasiasten, an dessen mädchenhaft aussehendem Thorax
die relativ kräftig entwickelten Mammae auffielen. Beide Drüsen waren gleich,
Höhe ca. 6 cm, Basaldurchmesscr 8 1 /» cm, Areolae leicht prominent, deutliche
Montgomerysche Drüsen. Warzen entsprechend stark. Durch Palpation ließ
sich deutlich ein Kranz von Drüsenläppchen nachweisen. Aetiologisch war
nichts Bemerkenswertes fcstzustellen. Dr. Waibei-Kempten.
Die Behandlung der Minderwertigen. Von Dr. jur. Hoegel, Ober¬
staatsanwalt in Wien. Monatsschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechts¬
reform; I, H. 6 und 7.
So lange man nicht wagt, das geltende Strafrechtssystem durch den an¬
geblich wirksameren Güterschutz zu ersetzen, führt die Frage der geistigen
Minderwertigkeit auf gefährliche Abwege. Dieser Geisteszustand ist für Oester¬
reich bereits seit der Mitte des 18. Jahrhunderts in den strafgesetzlichen Be¬
stimmungen unter den Umständen, welche die Zurechnung mindern, berück¬
sichtigt worden. Falsch ist das moderne Bestreben, die Minderwertigkeit durch
krankhafte Geistesbeschaffenheit aus den allgemeinen, strafrechtlichen Milde¬
rungsumständen herauszuheben und ihr eine eigene Behandlung zu sichern.
Denn da die Vorzugsrechte der Minderwertigkeit meist gerade den Verbrecher¬
naturen zugute kämen, würden von den strengeren Normalbestimmungen nur
die guten Elemente, die selten mit dem Strafgesetze kollidierten, betroffen.
Dasselbe gelte auch auf dem Gebiete des Strafvollzugs; hier würde eine
mildere Behandlung der Minderwertigen unheilvoll auf die Disziplin einwirken,
unter den intelligenteren Verbrechern und auch deren Angehörigen würde ein
allgemeines Streben nach Feststellung einer Minderwertigkeit entstehen, was
um so bedenklicher wäre, als nach Ansicht des Verfassers auch bei allen nor¬
malen Menschen eine gewisse erbliche Belastung oder eines der vielen Degene¬
rationszeichen nachzuweisen sei. (Vom psychiatrischen Standpunkte ist diesen
Ausführungen nicht beizustimmen. lief.) Dr. Fritz Hoppe-Allenberg.
Welche medizinischen Gesichtspunkte sprechen für die Einführung
einer bedingten Strafaussetzung nml Begnadigung. Von Prof. Dr. A. Cramer.
Monatsschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform; I, H. 6 und 7.
Kleinere Mitteilungen und Referate aas Zeitschriften.
17
Die Einführung einer bedingten Strafaussetzung und Begnadigung ist
vom Standpunkte des Mediziners hauptsächlich aus zwei Gründen wünschens¬
wert. Erstens kann der Gutachter dadurch Zeit zur genaueren Beurteilung
eines nicht ganz klaren Falles gewinnen. Dies trifft namentlich für den Be¬
ginn langsam sich entwickelnder und verlaufender Psychosen zu; bei der
arteriosklerotischen Gehirnatrophie, bei den präsenilen Geistesstörungen ist die
Straftat häufig das erste Symptom, während die übrigen leicht erkennbaren
Krankheitszeichen erst nach geraumer Zeit einsetzen. Auch für gewisse Fälle
von Epilepsie, von geschickt dissimulierter Paranoia, von langsam sich ent¬
wickelnden Schwachsinnsformen reicht die sechswöchige Beobachtungszeit, die
nach reichsgerichtlicher Entscheidung in keinem Falle überschritten werden
darf, zur richtigen Beurteilung nicht aus. Die größten Schwierigkeiten bereitet
die gutachtliche Entscheidung bei jugendlichen Verbrechern. Im 13. bis
15. Lebensjahre setzt am häutigsten der pathologische Entwicklungsstillstand
des Gehirns ein, der in Straftaten seine erste Aeulierung findet. Für den Gut¬
achter ist aber das Krankhafte des Stillstandes, des Fehlens moralischer und
ethischer Begriffe in der Anfangszeit nicht nachweisbar, sondern erst nach ca.
2 bis 3 Jahren. Daher werden psychiatrisch begutachtete Verbrecher in dem
13. bis 15. Lebensjahre meist verurteilt, während der objektive Nachweis einer
Geisteskrankheit im 17. bis 18. Jahre leichter gelingt. Verfasser fordert
übrigens bei strafrechtlicher Verfolgung von Jugendlichen in jedem Falle
psychiatrische Begutachtung des Geisteszustandes. Bei allen genannten Krank¬
heitsformen kann das bereits durch die sich entwickelnde Psychose bedingte
Delikt den deutlich erkennbaren Symptomen lange vorausgehen; trotzdem muß
den Tätern der Schutz des § 51 zuteil werden. Eine bedingte Strafaussetzung
kann hier großen Segen stiften, da die bekannte Schädigung der Strafhaft auf
entstehende Geistesstörungen fortfällt und eine rechtzeitige Wiederaufnahme
lies Verfahrens ermöglicht wird. Bei einer zweiten Gruppe von geistigen
Krankheitsfällen kann die bedingte Aussetzung des Strafvollzugs die Hemmungen,
die ans krankhafter Ursache fehlen, ersetzen. Hier kommen namentlich die
Grenzzu-tände zwischen geistiger Gesundheit und Krankheit in Betracht, leicht
Schwachsinnige, Degenen's, chronische Alkoholistcn, manche Hysterische nehmen
sich mehr zusammen und hüten sieh vor Gesetzesübertretungen, wenn die aus-
gesetzte Strafvollstreckung ihnen beständig wie ein Damoklesschwert droht.
Dabei wird ein erzieherischer Effekt erreicht und gleichzeitig der gesundheit¬
liche Nachteil, den die Gefäognishaft auf diese psychopathischen Naturen aus-
zuuben pflegt, vermieden. Dr. Fritz Hoppe-Allenberg.
B. Sachverständigentätigkeit in Unfall- und Invaliditäts¬
sachen.
Kasuistischer Beitrag zur Unfallsbegutachtuug bei Fällen von Cor¬
pora oryzoidea der Fingerbeuger in Kombination mit Tuberkulose der
Lungen. Von Dr. Köhler. Aerztliche Sachverständigen-Zeitung; 1904, Nr. 22.
Autor stellt den Satz auf: „Tritt nach Einwirkung einer Ueberan-
strengung oder einer Quetschung ohne äußere Wunde, Reiskörperchenbildung
an Sehnen auf, so haben wir es mit einem vorher tuberkuloseinfizierten Orga¬
nismus zu tun.“
In dem Falle Köhlers handelt es sich um eine LÜberanstrengung des
rechten Armes infolge Hebens eines schweren Holzmodells. Im Anschlüsse
daran entwickelte sich ein ßeiskörperchenhygrom an den Beugesehnen der
rechten Hand. Die Geschwulst wird operiert, rezidiviert, wird abermals ex-
stirpiert und jetzt erst wird die Diagnose auf tuberkulöses Reiskörperchen-
hygrom gestellt. Genau 2 Jahre nach dem Unfall wird eine Affektion beider
Lungenspitzen konstatiert. Im Gegensatz zu anderen Gutachtern kommt
Köhler zu dem Urteil, daß die Lungentuberkulose nicht mit der Reiskörperchen¬
bildung in ursächlichem Zusammenhang stehe, und zwar aus folgenden Er¬
wägungen : Angenommen den Fall, daß nach kurzer Zeit, nachdem eine Reis¬
körperchenbildung im Anschluß an ein direktes Extrcmitätentrauuia aufgetreten
ist, eine Lungentuberkulose festgestellt wird, so besteht die Möglichkeit der
Annahme, daS dieselbe schon vor der Reiskörperchenbildung bestanden hat,
aber nicht bemerkbar gewesen ist, und völlig unabhängig von der tuberkulösen
Sehnenscheidenaffektion sich weiter entwickelt hat. Oder aber es wäre die
18
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
Auffassung zulässig, daß durch die traumatisch bedingte Tuberkuloselokalisation
an den Sehnenscheiden und ihre Weiterentwickelung eine Summation des
Tuberkulosegiftes im Körper bewirkt worden ist, die schließlich auch zu einer
Lokalisation in den Lungen geführt hat. Drittens kann, unbekümmert um die
traumatisch bedingte Reiskörperchenbildung, die schon ein Kreisen des Tuber-
kulosegiftes im Körper zur Voraussetzung hatte, natürlich jederzeit das zir¬
kulierende Gift sich auch in der Lunge festsetzen, so daß wir zwei von ein¬
ander unabhängige Vorgänge vor uns haben, auf der gemeinsamen Basis der
tuberkulösen Durchseuchung des Organismus.
Zu diesen Erwägungen kam anumuestisch hinzu, daß der Verletzte ein
Jahr vordem Unfälle eine Pleuritis durchgemacht hatte. Köhler kam mithin
zu dem Urteil, daß die Affektion des rechten Armes der Unfall sei, nicht da¬
gegen die Lungentuberkulose. Dr. Troeger-Adelnau.
Traumatische Lungenentzündung durch allgemeine Zusammen¬
drückung (Kompression) des ßrnstkorbes, ohne eine bestimmt umschriebene,
unmittelbare äussere Gen alteinWirkung auf den Brustkorb. Obergut¬
achten, erstattet unterm 2 8. Januar 1904 auf Veranlassung des Reichs-
Versicherungsamts von Geh. Med.-Rat Prof. Dr. E. v. Leyden und Geh.
Med.-Rat Prof. Dr. F. Kraus. Amtliche Nachrichten des Reichs-Versiche¬
rungsamts; 1904, Nr. 9.
Nach dem von dem behandelnden Arzte Herrn Dr. G. mitgeteilten ob¬
jektiven Befund und dem ganzen Krankheitsverlaufe kann, obzwar keine Leichen¬
öffnung vorliegt, nicht bezweifelt werden, daß L. an einer Lungenentzündung
mit Ausgang in Brand erkrankt war und verstorben ist. Die von den bis¬
herigen Begutachtern in verschiedenem Sinne beantwortete Frage ist nur die,
ob diese Lungenentzündung durch einen Vorgang, wie derjenige am 25. Mai,
traumatisch angebahnt sein könne, bezw. ob durch einen solchen Vorfall der¬
artige Veränderungen in den Lungen gesetzt zu werden vermögen, daß sich
daran leicht eine Infektion mit Pneumonieerreger anschließt. Dabei brauchten
die durch den Unfall verursachten mechanischen Läsionen in den Lungen die
Entwickelung der kroupösen Pneumonie nicht anders zu vermitteln wie etwa
ein geringfügiges Trauma die Entstehung der akuten Osteomyelitis. Die
Lungenentzündung würde somit (in der Mehrzahl der Falle) auf einer Pneunio-
kokkeninvasion beruhen, wobei die durch den Unfall gesetzte Gewebsliision als
ein die Ansiedelung, Verbreitung und Vermehrung der Bakterien an der ge¬
schädigten Stelle wesentlich begünstigender Umstand zu betrachten ist. Der
behandelnde Arzt und erste Begutachter, Herr Dr. G., spricht sich für die
Wahrscheinlichkeit eines derartigen Zusammenhanges im Falle L. aus, während
Herr Geheimrat R. als Obergutachter einen solchen als ausgeschlossen erklärt
und unter allen Umständen daran festhält, daß (abgesehen von perforierenden
Lungeuvcrletzungen) nur umschriebene direkte Gewalteinwirkungen auf einen
bestimmten Teil des Brustkorbes selbst als Vermittler eines Eutziindungs-
prozesses in Lungen, welche nicht etwa schon vorher afliziert waren, angesehen
werden können. Letztere Behauptung steht und fällt aber mit der Voraus¬
setzung, daß alle bisher beobachteten sicheren Fälle von sogenannter Koutusions-
pneumonie ihre Entstehung ausschließlich diesem von Litten, seit dessen
einschlägiger Arbeit erst den Beziehungen zwischen Pneumonie und Trauma
vermehrte Aufmerksamkeit zugewendet wird, mit Recht in den Vordergrund
gestellten Mechanismus verdanken. Obzwar die einschlägigen Erfahrungen sich
bloß auf die letzten Jahrzehnte erstrecken, wissen wir jedoch jetzt schon, daß
die hier in Betracht kommende Art der Kontusion gelegentlich eine von dem
erwähnten Modus abweichende ist. Das wesentliche bei der Kontusion des
Thorax überhaupt ist die Einwirkung stumpfer Gewalt und eine plötzliche,
ausgiebige und unerwartete Kompression. Hierbei handelt es sich allerdings
wirklich zumeist um eine umschriebene, direkt eine bestimmte Stelle des Thorax
selbst betreffende Gewalteinwirkung: Stoß gegen die Brust (Pferdehufschlag,
Deichsel usw.), Zusammengedrücktwerden durch Eisenbahnpuffer, Ucberfahren-
werden, unmittelbares schweres Auffallen auf die Brustwand. Daß die schwere
Steinplatte auf eine solche Weise L. direkt gegen den Thorax gedruckt hat,
ist in der Tat aus den Akten nicht zu entnehmen. Immerhin sind aber doch
auch schon andere Fälle bekannt geworden, wo die Koutusion durch Herab-
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
19
fallen einerLast anf den ganzen Körper, durch Sturz aus mehr oder
weniger beträchtlicher Höhe mit Erschütterung des ganzen Leibes, oder durch
Tragen einer schweren Last bewirkt worden war. Daß das lokale Moment,
bezw. die direkte Wirkung nicht das hier einzig ausschlaggebende ist, geht
auch schon daraus hervor, daß nicht allemal die »Stelle der Verletzung seihst
den Ausgangspunkt der Lungenentzündung bildete, diese ist vielmehr auch an
dnem mehr oder weniger entfernten Punkte, selbst auf der entgegengesetzten
Körperseite zur Entwickelung gelangt. i)ie mit der schweren Arbeitsleistung,
speziell etwa beim Anheben, verbundene körperliche Anspannung braucht zu¬
nächst gar nicht herangezogen zu werden, obwohl der Ausspruch des Ueheim-
rats fi-, daß eine maximale Kraftanstrengung mit Kontraktion zahlreicher
Rumpfmuskein und kräftiger Exspirationsbewegung bei geschlossener Glottis
{Stimmritze) absolut nicht zu einer Verletzung des gesunden Lungengewebes
fuhren könne, auch nicht als unumstößlich anzusehen sein dürfte. Pur die Be¬
urteilung des Falles L . l ) ist es ausschlaggebend, daß das wesentliche des Vor¬
ganges beim Senken der Steinplatte, als derselbe in gebückter Haltung sich
befand, geschah. Auf den gebückten, mit angestrengten Aluskeln, fixiertem
Brustkorb und geschlossener Stimmritze hockenden Maurer und indirekt auf
dessen ganzen Thoraxinhalt kann sehr wohl die schwere Steinplatte sehr er¬
heblich komprimierend gewirkt haben, gleichgültig ob er früher mit mehr Ge¬
schick und Olnck ähnliche Arbeit schon verrichtet haben sollte. Ein Verständnis
für derartige Kompressionen des ganzen Brustkorbes zu geben sind Mitteilungen
von Perthes geeignet. Man beobachtet nämlich infolge derartiger Kom¬
pressionen selbst ausgedehnte Blutextravasate am Halse, am Kopfe usw., ohne
<LlB diese Teile direkt getroffen worden wären. Es können auch Blutinfil-
tr&tioncn irn Lungengewebe resultieren. Blutige Infiltrationen, selbst solche
von lobärer Ausdehnung, findet man wiederum gerade auch nach lokalisierter
Vaetschung einer bestimmten Stelle des Brustkorbes.
Der Tatbestand legt doch auch in seinen Einzelheiten eine Beziehung
l ) Der Verstorbene, der im letzten Jahre weder krank noch insbesondere
an der Lunge krank gewesen, hatte mit zwei anderen Arbeitern Steinplatten
im Gewichte von 1^7,5—277 kg gehoben. Das Aufheben der Platten geschah
mittels Brechstangen, worauf dieselben zur Seite gekantet wurden; nachdem
die Sandbettung wieder hergestellt war, wurden die Steinplatten wieder hin-
einsrelegt. Beim Senken einer Platte ließen die zwei Arbeiter dieselbe mit
beiden Händen vorn dem Körper entlang ganz allmählich herunter und traten
dann zurück. Beim Heben und Senken der Platte hatte L. eine gebückte
Stellung. Als die eine Steinplatte während des Senkens etwa J /* m hoch über
dem Erdboden sich befand, hatte sie L. plötzlich fallen gelassen, mit beiden
Händen sich links an die Brust gefaßt üud war, wahrend er sonst eine rote
Farbe hatte, ganz blaß geworden, hatte sich auch unter Schmerzen gekrümmt
und das Gesicht verzogen. Er ist dann nach Hause gefahren, nachdem er noch
einem Zengen gegenüber geklagt hatte: „Ich muß mir bei der Quälerei mit
den Platten etwas zu gezogen haben, ich habe starke Schmerzen in der Brust.“
Als L. nach Hause kam, aß und trank und sprach er nicht. In der darauf
folgenden Nacht verfiel er nach Angabe seiner Frau in eine Art Raserei, zweimal
wolite er aus dem Fenster steigen Am folgenden Tage brach er, bezw. spuckte
er Blut aus und mußte sich zu Bett legen. Ob und wann ein Schüttelfrost
eingetreten ist, ist nicht ermittelt. Aerztliche Hilfe erlangte L. erst am zweiten
T'ßge. Er sagte sofort seinem Arzte, Dr. G., „bei mir ist etwas geplatzt“. Herr
Dr. G. fand hohes Fieber, auffallend stark blutigen Auswurf, Rasselgeräusche,
lympanitischen Perkussionsschall über dem Unterlappen der linken Lunge. Der
Patient klagte über starke Brustschmerzen. Am siebenten Krankheitstagc war
L nach starkem Schwitzen fieberfrei, die Krankheit schien einen normalen
Verlauf unter Beschränkung auf den linken Unterlappen genommen zu haben.
Id den folgenden Tagen veränderte sich aber der Auswurf, er wurde schmutzig
grau und übelriechend, auch stellte sich wiederum mäßiges Fieber ein. Die
Erscheinungen des Lungenbrandes nahmen darauf rapid zu. Am 15. Tage er¬
folgte der Tod. Der behandelnde Arzt betont, daß der Auswurf L.s blutiger
gefärbt war, als er sonst bei Lungenentzündungen zu sein pflegt. Eine Leichen¬
öffnung ist nicht ausgeführt worden.
20
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
zwischen dem Vorfall am 25. Mai und der Erkrankung des L. nahe. Die
Stiche in der Brust des Maurers werden von dem Augenzeugen bestimmt als
eine unmittelbar aus der Beschäftigung hervorgegangene pathologische Er¬
scheinung aufgefaßt. Die charakteristische Blässe L.s gleich nach dem Un¬
fälle, welche derselbe Augenzeuge wiederholt betont, könnte in einer be¬
gleitenden commotio thoracica ihre Erklärung finden. Leider fehlt im Krank¬
heitsberichte der Schüttelfrost, der den Beginn der Lungenentzündung schärfer
markieren würde. Zwei Tage nach dem Unfälle wird die Pneumonie festgestellt;
wäre sie kurz vorher erst eingetreten, so entspräche dies etwa der Zeit, welche
gewöhnlich eine Kontusionspneumonie zu ihrer Entwickelung bedarf, nämlich
ein- bis zweimal 24 Stunden. Was die vom behandelnden Arzte festgestellte
besonders starke Hämoptoe (Blutspeien) anbelangt, so schreibt einer solchen
schon Litten auf Grund seiner Beobachtungen große Bedeutung zu. Blutung
überhaupt ist eine der häufigsten Folgen der Lungenkontusion; auch um¬
schriebene Infiltrationen des Lungengewebes mit Blut können sich durch
blutigen Auswurf zu erkennen geben. Wenn also auch in anderen Fällen von
Lungenkontusion die Zerreißung so unbedeutend ist, daß der Auswurf selbst
im Beginne keine rein blutige Beschaffenheit aufweist, so darf doch im Rahmen
des ganzen Symptomenbildes die wirklich beobachtete Lungenhlutung diagnostisch
nicht unterschätzt werden. Dahingegen bietet — darin muß man Herrn Ge¬
heimrat It. zustimmen — die schließlich hinzugetretene Gangrän kein Anhalts¬
punkt für de Annahme einer Kontusionspneumonie.
Herr Geheimrat ß. scheint geneigt, anzunehmen, daß es sich bei den
Stichen in der Brust des L. unmittelbar nach dem Unfälle nur um das erste
Zeichen einer zufällig in der Entwickelung begriffenen Pneumonie handelte.
Begründet wird dies mit der bekannten Tatsache, daß Lungenentzündungen
überhaupt gerade damit einsetzen, daß aus scheinbar völligem Wohlbefinden
heraus Individuen plötzlich erkranken, und daß gerade Brustschmerzen das
erste Alarmsignal der beginnenden Erkrankung darstellen können. Dagegen
wäre jedoch zu bedenken, daß fast in jedem einzelnen Falle von Kontusions¬
pneumonie die Möglichkeit erwogen werden könnte, ob nicht die Infektion schon
vor dem Unfälle bestanden habe. Wenn aber auch die Angaben über die
Häufigkeit des Vorkommens der Kontusionspneumonie noch stark schwanken,
für eine derartige Auslegung sind die einschlägigen Beobachtungen doch zu
häufig. Selbst wenn übrigens Diplokokken in der Lunge bereits unschädlich
vorhanden gewesen, denselben aber durch die Gefäß- oder Gewebsläsion erst
ein locus minoris resistentiae geschaffen worden wäre, bestände die Deutung
des Falles als Kontusionspneumonie in dem früher dargelegten erweiterten
Wortsinn immer noch zu Recht.
Die gestellte Frage des Reichs-Versicherungsamts wäre demnach dahin
zu beantworten, daß nach Lage des Falles ein Zusammenhang der Krankheit
nnd des Todes des L. mit dem Unfälle am 25. .Mai möglich, ja bis zu einem
gewissen Grade wahrscheinlich ist.
Das Rekursgericht hat das vorstehende Obergutachten zur Grundlage
seiner Entscheidung gemacht und unter Mitberücksichtigung der näheren Um¬
stände bei der plötzlichen Erkrankung des L. sowohl den Vorgang vom 25. Mai
1901 als einen Betriebsunfall aufgefaßt, wie auch den ursächlichen Zusammen¬
hang zwischen diesem und dem Tode des L. bejaht. Demgemäß ist die Be¬
klagte unter Aufhebung der Vorentscheidungen zur Entschädigung der Hinter¬
bliebenen des L. verurteilt worden.
C. Bakteriologie, Infektionskrankheiten und öffentliches
Sanitätswesen.
Die Eiitstolmng und das Wachstum des llautkarzinoms, nebst Be¬
merkungen über die Entstehung der Geschwülste im allgemeinem Von
Dr Borrmann-Göttingen. Zeitschrift für Krebsforschung; 1904, Band II,
mit 14 Tafeln und 117 Fignren im Text.
Von den Anhängern der parasitären Entstehung des Karzinoms laßt sich
nicht immer die Ueberzcugung gewinnen, daß sie ihre Anschauungen alle
auf tiefgründige, mühevolle Arbeit stützen. Flüchtig gewonnene Eindrücke
Kl einerc Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
2i
sacht man vielfach durch epidemiologische Beobachtungen weiter zu stützen,
die indessen vor einer strengen Kritik nicht immer Stund halten.
Ungleich gründlichere Forscherarbeit spricht bislang zweifellos aus den
Veröffentlichungen der pathologisch-anatomischen Werkstätten, unter denen
die R i b b e r t. \sche Schule obenan steht. Borrmunns umfangreiche Publikation
aas dem Göttinger pathologischen Institut, kann nicht dringend genug allen
Freundender Parasitentheoric empfohlen werden, vor allem auch den histologisch
arbeitenden unter ihnen. Sie werden von seinen Befunden an einem qualitativ
wie quantitativ ganz außergewöhnlich bedeutsamen Material manch einen
za widerlegen Muhe haben. Erst wenn ihnen das möglich werden sollte,
wird man die epidemiologische Krebsforschung als hinreichend begründet
Ansehen dürfen. Per Verfasser halt es in erster Linie für einen fundamentalen
Fehler, die mikroskopische Untersuchung an alten, voll entwickelten, womöglich
exulzerierten Krebsen vorzunehmen. Die Verhältnisse der liandpartieen eine«
Krebses können gar keinen Aufschluß über seine Genese gehen. Er hat deshalb
nur gauz kleine Tumoren (0.5 cm und weniger) zur Beurteilung herangezogen
und zwar solche der Haut, weil von dieser naturgemäß am ehesten solch begin¬
nende Tumoren erhaltbar sind. Mehrere hundert Abbildungen erläutern den klar
geschriebenen Text. Ohne des näheren auf diesen einzugehen, sei nur erwähnt,
daß Borrmann ein Corium- und ein Plattenepithelkarzinom der Haut unter¬
scheidet. Das erstere verhornt nicht und nimmt seinen Ursprung von unter
dem Deckepithcl liegenden isolierten Zcllkomploxen; das verhornende Platten-
epithelkarzinom entsteht aus ebensolchen embryonalen Dystopien im Deckepithel.
Diese Verhältnisse vermag Bor r manu aus seinem Material an winzigen Ge-
-cbwul.stchen zu erweisen. Er kommt also auf die alte C o h nh ei m 'sehe
Theorie zurück. Aber mit Ribkc rts sieht er in leichten Eutzüudungsvorgängon
und in einer mit dem Alter zusammenhängenden Gewebsdegeueration: (coliagenc
Umwandlung des Coriums, Quellung und Untergang der elastischen Kasein*
auslösende Momente für die Geschwulst bildung. }
Borrmann hat i*t seinem beginnenden jungen Karzinomen niemals
feine Gebilde gefunden, die von manchen als Parasiten angesehen w T orden sind.
Aber gerade hier mußte man Parasiten doch am ehesten linden. Freilich,
fuhrt er weiter gegen die Parasitentheoric an, wie sollten diese gerade an
solche unter dem unverletzten Deckepithel liegende Epithelinseln kommen?
Wie wäre zu erklären, daß bei vielen Individuen diese kleinen Karzinome
multipel auftretcu in einem umschriebenen Bezirk? Borrmann stützt sich
auf eine mühevolle, jahrelange mikroskopische Untersuchung, die durch den
Meinungsaustausch mit den praktischen Chirurgen doch auch die Verhältnisse
des täglichen Lebens berücksichtigt, und kommt schließlich zu einer völligen
Verneinung der parasitären Theorie. Dr. Stolper-Güttingen.
Beitrag zur Frage über die Durchgängigkeit der Darmwand für
Mikroorganismen bei physiologischen Verhältnissen. Von Dr. B. Kli-
menko aus St. Petersburg. Aus dem Institut zur Erforschung der Infektions¬
krankheiten in Bern, Direktor: Prof. Dr. Tavel. Zeitschrift für Hygiene und
Infektionskrankheiten; Bd. 48, H. 1.
Auf Grund eigener Beobachtungen und einer kritischen Betrachtung der
Ergebnisse der anderen Autoren kommt Verfasser zu folgenden Schlüssen: Die
unverletzte Darmwand vollkommen gesunder Tiere ist für Mikroorganismen
undurchgängig. Eine Durchwanderung durch die gesunde, unverletzte Darm¬
wand könnte höchstens nur bei kranken Tieren stattfinden; strikte Beweise
dafür sind jedoch nicht beigebracht. Vollkommen gesunde Tiere sind sehr
selten anzutreffen; es genügt schon die geringste pathologische Schädigung
des tierischen Gesamtorganismus oder eine unbedeutende mechanische Ver¬
letzung der Darmmukosa, um eine Durchw'anderung von Bakterien zu ermög¬
lichen. Deshalb tritt dieser Fall relativ häufig ein, was von wesentlicher
praktischer Bedeutung ist. Es ist wahrscheinlich, daß der Organismus in den
Mesenteriallymphdrüsen Schutzvorrichtungen besitzt, die das Eindringen der
Mikroorganismen auf dem bezeichneteu Wege verhindern. Wenigstens sind die
Tatsachen bezüglich des häufigen Befundes der resorbierten Bakterien in den
Mesenteriallymphdrüsen, selten in den inneren Organen, in diesem Sinne zu
deuten. Dr. Engels- Stralsund.
22
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
Neue Entwickelungsformen des Cholerasplrllls und der Typhus-
bakterie. Von Prof. Ernst Alm q ui st in Stockholm. Zentralblatt für Bak¬
teriologie; I. Abt., Orig., Bd. 37, H. 1.
Almquist hat in Cholera- und Typhuskulturen, die in verunreinigter
Erde oder auf 2°jo Kochsalz enthaltendem Agar angelegt waren, fädige und
kuglige Gebilde beobachtet, welche er als Myzeloid und Konidien anspricht.
Die Konidien können sich unter Bildung neuer Konidien oder auch von Vibri¬
onen bezw. Bazillen vermehren. Almquist unterscheidet die Konidien streng
von den sogenannten Involutionsforraen der Bakterien. Dauerforraen sind sie
nicht, doch glaubt Almquist in ihnen die Wachstumsformen gefunden zu
haben, in denen sich die Cholera- und Typhuskeimc unter ungünstigen Be¬
dingungen außerhalb des menschlichen Körpers, z. ß. im Boden, fortpffanzen
können. Er erhofft von einer Nachprüfung seiner Beobachtungen und Aus¬
dehnung dieser Untersuchungen auch auf andere ßakterienspezies einen großen
Nutzen für die Bakteriologie und unsere epidemiologischen Anschauungen.
Dr. Lentz-Berlin, z. Z. Idar.
Le procßdtf de Cambier pour la recherclie du bacille typhlque. Von
Dr. Leon Jacquö, Assistent 4 T institut de seroth^rapie de Bruxelles.
Beitrag zur Frage des diagnostischen Wertes einiger Nährböden für
die Typhusbakterien. Von Drag. S. Petkowitsch. Aus dem staatlichen
Institute zu Hamburg (Direktor: Prof. Dr. Dun bar).
Beitrag zur Frage der Wirkung des Koffeins auf Typhus- und Koli¬
bakterien. Von Dr. F. Kloumann aus Cbristiania. Aus demselben Institut.
Zentralblatt für Bakteriologie; 1. Abt., Orig., Bd. 26, H. 2.
Das Verfahren von Cambier, bei welchem eine Trennung der Typhus-
von den Kolibakterien mittels einer innen und außen von Nährlösung bespülten
Filterkerzc erstrebt wird, welche die Bakterien durchwachsen bezw. passieren
sollen, hat sich in den Versuchen von Jacqu6 nicht bewährt. Abgesehen von
einigen Fällen, in welchen die im Innenraura der Kerze befindliche Bouillon
auch nach 6 Tagen noch steril war, konnte Jacqu6 in vielen Versuchen nur
Reinkultur von Koli- oder Staphylokokken erzielen, auch wenn ein Ausstrich
des zur Untersuchung benutzten Stuhls auf v. D rigalski-Conradischeu
Agar unschwer die Typhusbazillen erkennen ließ.
Diesen Agar hält Petkowitsch für einen großen Fortschritt auf dem
Gebiete der Typhusdiagnose. In einigen Fällen erzielte er jedoch mit dem
Endoschcn Fuchsinagar noch bessere Resultate, wenn nämlich die zu unter¬
suchenden Stühle neben den Typhusbazillen noch sehr typhusähnlich wachsende
Parakoli- oder Paratyphuskeime enthielten. Diese Keime wuchsen auf dem
Endoseben Agar ähnlich dem gewöhnlichen Koli in mehr weniger deutlich
rot gefärbten Kolonien und waren dadurch leicht von den gänzlich farblos
wachsenden Typhuskeimen zu unterscheiden. Petkowitsch empfiehlt des¬
halb, neben dem Lakraus-Milchzuckeragar stets auch den Fuchsinagar zu
verwenden.
Kloumann konnte zwar die Angabe Roths bestätigen, daß das Koffein
das Wachstum des Bakterium coli stärker schädigt, als das des Typhusbacillus,
er fand aber, daß auch Konzentrationen dieses Alkaloids, welche Roth sowie
Ficker und Hoffmann für eine Anreicherung des Typhusbacillus empfehlen,
nicht nur das Wachstum des Typhuskeimes hemmen, sondern auf ihn auch
direkt abtötend wirken kann. Kloumann hat bei seinen allerdings nur in
geringer Zahl angestellten Versuchen Typhusbazillen aus Stühlen zu isolieren,
mit dem Ficker-Hoffmannschen Koffein-Verfahren keine besseren Resul¬
tate erzielt, als mit dem einfachen Ausstrich auf v. Drigalski-Conradi-
scliein Agar. Dr. Lentz-Berlin, z. Z. Idar.
lieber das Vorkommen von Typhus- und Paratyphusbazillen bei Er¬
krankungen der Gallcnvrege. Aus dem hygienischen institut der Univeisittä
Straßburg. Von Dr. Blumenthal, I. Assistent. Münchener med. Wochen¬
schrift; 1904, Nr. 37.
Verfasser berichtet über 2 Fälle, bei denen keine auf Typhus oder auf
eine ähnliche Erkrankung deutende Darmerscheinungen vorangegangen waren
und sich Typhusbazillen nachweisen ließen. Im ersten Falle fanden sich bei
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
23
der Operation in der eitrigen Gallenblasenflüssigkeit in großer Menge Stäbchen
in Reinkultur, die als Typhusbazillen identifiziert werden konnten. Im zweiten
Fdlle wurden aus dem operativ erhaltenen Gallensteinmaterial und auch aus
dem Fäces der Bacillus paratypki A gezüchtet. Die Angestellten Nachforschun¬
gen ergaben, daß die erste Patientin selbst nie an Typhus erkrankt war, da¬
gegen der erste Mann dieser Putientiu 1892 an Typhus gestorben ist und 1893.
als die Frau bei ihrer Mutter lebte, ihr Bruder an Typhus erkrankt war,
Anfangs Januar 1904 erkrankte das 10 Monate alte Kind der Patientin an
Oarchfall mit Fieber. 100 m vom Hause der Patientin befand sich ein Haus,
m welchem 1S97 fünf Typhusfälle beobachtet wurden, 1900 1 Typhusfall. —
Im zweiten Falle hatten die Ermittelungen kein Resultat.
Verfasser meint nun, daß derartige Fälle für die Umgehung eine Gefahr
sind und daher für die Prophylaxe des Typhus abdominalis deren Erkennung
von Bedeutung ist. Diese Fälle beweisen also, daß man sowohl in klinischer,
als auch in hygienisch-prophylaktischer Hiusicht •mit dem Vorkommen von
Typhusbazillen und den ihnen so nahe stehenden Paratyphusbazillen bei der
CüoleLithiasis resp. bei den ihr vorausgehenden Prozessen zu rechnen hat, auch
selbst dann, wenn die Anamnese keine Anhaltspunkte für einen früher über¬
standenen Typhus ergibt. Df. Wai bei-Kempten.
Agglutination bei Antoinfektionen mit besonderer Berücksichtigung
des Icterus. Von Dr. Lüdke. Archiv für klinische Medizin; 1904, Bd. 81,
Heft 1 und 2.
Bereits mehrfach ist darauf hingewiesen, daß nicht nur das Blutserum
Typhn-kranker, sondern auch andere Sera, besonders der mit Icterus einher-
gchenden Erkrankungen, positiven Ausfall der Wi dal sehen Reaktion veran¬
lassen können. Verfasser untersuchte zunächst in zahlreichen Versuchsreihen
«1Agglutinationsvermögen des Blutserums bei Lebererkrankungen (mit und
ohne Icterus), ferner bei Icterus neonatorum, bei Nephritis, Diabetes und einigen
Blut- und Darmerkrankungen:
Von den 52 mit Icterus einhergehenden Fällen zeigte das Serum in
li Fällen agglutinierende Wirkung im Verhältnis 1 : 50, in 19 Fällen bei einer
Verdünnung von 1 : 20. Die Steigerung der Agglutinationsfähigkeit des Blutes
bei Krankheiten, die mit Icterus eiuhergehen, ist demnach keineswegs konstant.
Auch scheint der Uebertritt von Galle ins Blut nur eine sehr geringe Rolle
bei dem Zustandekommen der Erscheinung zu spielen. Eine wichtige Rolle
kommt jedoch der den Icterus begleitenden bakteriellen Infektion zu. Hierfür
spricht auch der Umstand, daß bei den 9 untersuchten Fällen von katarrhali¬
schen Icterus 7 mal sehr stark ausgesprochene Agglutination auftrat.
Beim Icterus neonatorum (7 Fälle) trat, keine Agglutination auf.
Bti Nephritis (21 Fälle) und Diabetes (4 Fälle) wurde nur geringe Aggluti¬
nation beobachtet. Die 8 untersuchten Sera von Chlorosekranken zeigten mit
einer Ausnahme ein auffallend hohes Agglutinationsverrnögen.
Im zweiten Teil der Arbeit berichtet Lüdke über die Wirkung der
erwähnten Sera auf andere Bakterien als auf Typhusbazilien. Er fand dnbei
die von anderen Autoren gemachte Beobachtung bestätigt, daß die dem Typhus-
bacilJus nahestehenden Bakterien bei den mit Icterus einhergehenden Er¬
krankungen besonders häufig agglutiniert wurden (Gruppenagglutination). Bei
weitem am stärksten wurde jedoch immer der Typhusbaeillus agglutiniert.
Weitere direkte Untersuchungen über die Agglutinationsfähig¬
keit von Galle, oder von Galle und Blut oder nach Einbringung von Galle
in den Tierkörper legten deutlich klar, daß die Galle an sich keinesfalls die
Agglutinationsfähigkeit des Blutes veranlaßt. Jedoch ist es wohl möglich, daß
der Gebertritt von Galle ins Blut demselben indirekt agglutinierende Wirkung
verleihen kann.
Zum Zustandekommen des Agglutinationsphänomens gehört nach Ansicht
des Verfassers die Bindung des dem Typhusbaeillus gehörigen Rezeptors mit
-eichen Eiweißkörpern des Blutes, die eine besondere Affinität zu dem Rezeptor
besitzen. Diese Eiweißkörper werden durch besondere Vorgänge und Verände¬
rungen des Blutes frei, und haben dann Gelegenheit sich mit dem Rezeptor des
Typhusbazilias zu vereinen. Wie die oben angeführten Versuche z. T. lehren,
tritt diese Lockerung der Eiweißkörper im Blute am stärksten durch eine
24
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
Typhusinfektion ein. Das Agglutinationsphänomen erfolgt deshalb bei einer
Typhusinfektion am stärksten und vollständigsten. Dagegen können auch
andere Zustände das Blut in diesem Sinne beeinflussen, wie z. B. Icterus, In¬
fektionen, Erkrankungen des Blutes etc. Als eine direkt spezifische Reaktion
wird man demnach die Agglutination des Typhusbacillus nicht mehr an¬
seheu können. Dr. Dohrn-CasseL
Zur Serumdloguostik des Typhus abdominalis mittelst des Ficker¬
sehen Dlagnostlkums. Von Dr. Blum, Oberarzt in M.-Gladbach. Münchener
med. Wochenschrift; 1904, Nr. 41. (Mit Abbildung.)
Wie verschiedenen anderen Autoren hat das neue Fick ersehe Dia-
gnostikum auch dem Verfasser zuverlässige Resultate geliefert, freilich mit der
Einschränkung, daß cs die Frühdiagnose, besonders in leichteren oder atypischen
Fällen ebensowenig zu sichern vermag, wie die 0 ruber - WidaIsche Reaktion.
Da Verfasser gleich verschiedenen anderen Aerzten die von Ficker empfohlene
Technik zur Serumgewinnung unbequem erschien, teilte er neben den Methoden
anderer Aerzte auch sein Verfahren mit, welches er einerseits für ungefährlich,
anderseits für sehr einfach und bequem hält:
Nach leichter Umschnürung des Oberarms entnimmt man mit einer durch
Auskochen sterilisierten Spritze aus einer der prallgefüllten Vorderarmvenen
ca. 1 ccm Blut. Nach Entfernung der Nadel wird die Spritzcnüffnung mit
einem Kügelchen steriler Watte, Wachs, Siegellack oder einer kleinen Gummi¬
kapsel verschlossen und nach Abschraubern des Stempelkopfes die Spritze mit
dem ausgezogenen Stempel mich unten ln das dem Fick ersehen Instru¬
mentarium beigegebene Blechgestell zwecks Gerinnung des Blutes liiueingestellt.
In dem engen abgeschlossenen Raum der Spritze ist das Blut vor dem Eiu-
trocknen geschützt und gerinnt an kühlem Orte sehr bald. Unton dicht über
dem Kolbeu senkt sich der Blutkuchen nieder und darüber scheidet sich ein
schönes, klares Serum ab. Nach Abschraubm des zur Aufnahme der Nadel be¬
stimmten konischen Ansatzes der Spritze geschieht die Abpinettierung des
Serums zur Herstellung der Verdünnungen leicht und bequem direkt aus dem
Zylinder der Spritze. Zu acliteu ist dabei nur darauf, daß die Spritze bei der
Blutentnahme nicht ganz voilgesogen und nach der Gerinnung des Blutes nicht,
geschüttelt wird. Dr. W a i b e l - Kempten.
Zur Serumiliaguose des Typhus abdominalis mittels d*>s Fickorschen
Diagnostikums. Von Dr. v. Tiling, Assistenzarzt in Xewvork. Münchener
med. Wochenschrift; 1904, Nr. 4s.
Mit Rücksicht auf die für Arzt und Patienten zuweilen recht lästige
und unbequeme Methode der Blutentnahme und Serumgewiunung mittels des
Schröpfkopfes, sowie den mitunter schwierigen Transport des Blutes und
Serums vom Krankenbett zinu Laboratorium des Arztes, mit Rücksicht- ferner
darauf, daß auch die von Gram an n, Schaum bürg, ('ln mann, Walter
und Blum angegebenen Modifikationen diese Schwierigkeiten nur teilweise
belieben, lmt Verfasser in letzter Zeit die Reaktion in der Weise au^gefuhrt,
daß er einige aus einer kleinen Stichwunde am Finger hervorqHeilende Bluts¬
tropfen auf einem Objektträger oder — für den Transport noch einfacher —
auf einem Stückchen Fließpapier auffing, trocknen ließ und dann später im
Laboratorium in steriler physiologischer Kochsalzlösung in der gewünschten
Verdünnung auflöste. Die Flüssigkeit sieht zwar rötlich aus, was aber die
Deutlichkeit der Reaktion nicht im geringsten stört. Im Gegenteil heben sich
die weißlichen Bakterienh ßifchen bei positivem Ausfall der Reaktion sehr schön
von der rötlichen Flüssigkeit ab. Dr. W ai b e 1 - Kempten.
Einige Versuche über die Desinfektionswirkung des Saprols. Von
J. Görbing. Aus dem hygienischen Institut der Universität Göttingon
(Direktor: Prof. Dr. v. Esmarch).
Versuche, welche die Prüfung der Desinfektionswirkung des Saprols
gegenüber Bouillonkultureu von Pakt, coli, sowie faulenden Flüssigkeiten zum
Gegenstand hatten, ergaben, da.fi O.oproz. Saprollösuugen eine sichere und
schnelle Desinfektionswirkling entfalten.
Dr. Len tz- Berlin, z. Z. Idar.
Kleinere Mitteilungen und Referate ana Zeitschriften.
25
Experimentelle Beitrüge rar Wohnungsdeslnfektlon mit Formaldehyd.
L and IL Teil. Von Dr. Engels, KreisAssistenzarzt, beauftragt mit der
Leitung der bakteriologischen Untersuchungsstation bei der Königlichen Re¬
gierang zu Str&lsand. Archiv für Hygiene; Bd. 49, H. 2.
Bei einer Vergleichung des Schneiderschen Rapid-Formaldehyd-Des-
infektors mit dem Flügge'sehen Desinfektionsapparat fand Engels, daß
beide Apparate gleich vorzügliche Resultate lieferten. Wenngleich Engels
die Formaldehyddesinfektion als die beste und sicherste Methode der Zimmer¬
desinfektion empfiehlt, so übersieht er doch auch die Mängel nicht, welche dem
Formaldehyd anhaften, und welche auch bei seinen Versuchen sich geltend
machten. Hierher gehört zunächst der Mangel einer Tiefenwirkung, welcher
sich dadurch kund tut, daß schon die Umhüllung der Testobjekte mit einer
einfachen Schicht Gase genügt, um erstere vor der desinfizierenden Wirkung
des Formaldehyds zu schützen; ferner die geringe Einwirkung auf Tuberkel¬
bazillen. Diese tritt im Experiment allerdings erst hervor, wenn man zur
Präfang der Desinfektionswirkung den Tierversuch heranzieht; etwa */« der
Meerschweinchen, welchen die dem Formaldehyd ausgesetzten, mit tuberkel¬
bazillenhaltigem Sputum infizierten Leinwandläppchen in eine Hauttasche ein¬
genäht worden, gingen an allgemeiner Tuberkulose zugrunde.
Engels machte bei seinen Versuchen die Beobachtung, daß mit Pepton¬
lösung oder leim- und stärkehaltiger Flüssigkeit getränkte feuchte Objekte
(Seidenfäden, welche mit Bouillonkulturen von Bakterien imprägniert waren,
and appretierte oder gestärkte Leinwand) die desinfizierende Wirkung des
Formalüehyds dadurch aufheben, daß letzterer in Pepton-, Leim- und Starke-
lösungen unlösliche Niederschläge bildet, welche die Bakterien einschließen und
so gegen die desinfizierende Wirkung des Formaldehyds schützen.
Dr. Lentz-Berlin, z. Z. Idar.
Die Wirkeng des Formalins auf die Milch und das?Labferment. Von
Dr. Ernst Löwenstein, Assistenzarzt der Heilstätte Belzig bei Berlin.
Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten; Bd. 48, H. 2.
Das Formaldebyd verändert die Milch auch in dem Sinne, daß sie auf
Lab nicht mehr reagiert. Der Grad der Veränderung ist in erster Linie von
der Dauer der gegenseitigen Einwirkung und erst in zweiter Linie von der
Formalinmenge abhängig. Diese Veränderungen der Milch treten schon bei
den geringen Formaldehydmengen auf, welche für die Desinfektionspraxis in
Betracht kämen. Das Formaldehyd in Lösung vermag die Kochsalzlösung des
Lab nicht unwirksam zu machen, während Formaldchyd in Gasform das Lab¬
pulver seiner Wirkung beraubt. Dr. Engels-Stralsund.
Nahrung und Ernährung. Von Wilhelm Winternitz. Vortrag, ge¬
halten auf dem 25. Kongreß der Balnneolog. Gesellschaft in Aachen, 3. bis 9.
März 1904. Deutsche Medizinal-Zeitung; 1904, Nr. 69.
Das Thema „Sind Mastkuren nötig?“ interessiert auch den ärztlichen
Sachverständigen lebhaft, weil er oft vor der Frage steht, entscheiden zu sollen,
ob Unfall-Verletzte oder sonst Geschädigte einer Ueberernährung bedürfen.
Referent möchte zwei Sätze aus dieser Arbeit hervorheben:
„Es ist nicht die absolute Quantität der Nahrangsstoffe, bis zu einem
gewissen Minimum herab, sondern die relative zu den vorangegangenen Er¬
nährungsverhältnissen, die für den Ansatz von Bedeutung ist.“ „Das eine Mal,
je nach den vorangegangenen Ernährungsverhältnissen, wird bei einer be¬
stimmten Kost der Körper an Substanz gewinnen, ansetzen, das andere Mal
bei derselben Nahrung herabkommen, an Gewicht verlieren.“
Und den Schlußsatz: Mastkuren (allerdings perhorresziert Verf. das Wort
„Mastkur“) sind bis auf einige Ausnahmen nicht nötig.
Die Hauptaufgabe, die hier zu lösen ist, liegt gewöhnlich nicht in der
Ueberernährung, sondern in der besseren Ausnützung der oft nicht vermehrten
Nahrung. Hof f mann-Berlin.
Verbesserungen im Krankentransportwesen. Von Dr. Ernst Joseph.
AerztL Sachv.-Zeitung; 1904, Nr. 18.
Die Gründe für die noch mangelhafte Benutznng der Krankentransport-
26
Kleinere Mitteilungen und Referate au* Zeitschriften.
mittel sind teils deren mangelhafte Einrichtung, teils der Widerwillen des
Pnblikams dagegen, teils auch die za hohen Kosten. Der Hauptmangel indes
ist in dem Umstand zu suchen, daß das Krankentransportwesen hinsichtlich
der Uebertragbarkeit ansteckender Krankheiten noch keine genügende Garantie
bietet. Die generelle Lösung der Desinfektionsfrage der Krankenwagen ist
daher von fundamentaler Bedeutung für das Transportwesen.
Die Aufgabe, hier Wandel zu schaffen, hat sich im Einverständnis mit
den behördlichen Organen der „Verband für erste Hilfe“ gestellt, welcher sich
aus Vertretern der drei großen Rettungsinstitute der Reichshanptstadt zu¬
sammensetzt. Die Neuorganisation soll dadurch in die Wege geleitet werden,
daß sich die bestehenden Krankentransportinstitute zusammenschließen und ihr
Gesamtbetrieb in jeder Hinsicht, insbesondere in hygienischen, technischen und
geschäftlichen Fragen der Aufsicht der ganzen Korporation untersteht Es
wird für schnellste Requierierung von Transportmitteln gesorgt, unbeschadet
darum, ob der Betreffende zahlungsfähig ist oder nicht.
Nach jedem Transport soll eine Desinfektion vorgenommen werden, um
eine volle Gewähr gegen Krankheitsübertragungen zu haben. Es kann bei
dieser Forderung nur ein Verfahren in Anwendung kommen, welches, ohne das
Material anzugreifen, wenig Geld und Zeit verursacht. Ein in London geübtes
Verfahren ist in jeder Beziehung leicht und praktisch durchführbar. Mittels
eines Strahles wird das Innere des Wagens mit einer 2°/o Chlorkalklösung
durebgespült; sie genügt zur Desinfektion. Wünschenswert ist dabei, daß das
Innere des Wagens möglichst glatt und abgerundet ist. Die Trage, am zweck¬
mäßigsten aus einem Holzgestell und einer Lederunterl&ge bestehend, wird dann
ebenfalls mit Chlorkalklösung abgerieben. Für die Decken empfiehlt Joseph
eine Umhüllung mit festem Leinen und Drellbezug; diese müssen bei jedem
Transport gewechselt werden, ebenso wie der Uebermantel des Transporteurs.
Die benutzten Stücke läßt man vor erneutem Gebrauch entweder 2 Standen
lang in verdünntem Kresol-Wasser liegen oder man kocht sie aus. Bei diesem
Verfahren dürfte schon nach Ablauf einer Viertelstunde jeder Krankenwagen
wieder in Gebrauch genommen werden können.
Dr. Troeger-Adelnau.
Ein Krankenhaus auf genossenschaftlicher Grundlage. Von Kreisarzt
Dr. L e m b k e - Kreuznach (früher in Simmern). Sep.-Abd. aus der Zeitschrift:
„Das Land“; Berlin, Trowitsch & Sohn.
Die Arbeit schildert zunächst den Weg, auf dem es gelungen ist, trotz
des Fehlens guter Vorbilder für einen kleineren Bezirk ein selbständiges
Krankenhaus zu schaffen, das den modernen gesundheitlichen Ansprüchen ge¬
nügte. Es wurde ein Verein zur Errichtung und Verwaltung eines evangeli¬
schen Krankenhauses für die Synode Simmern gegründet. Jedes Mitglied war
verpflichtet, pro Jahr M. 1 zu bezahlen und eine Haftpflicht von M. 100 außer¬
dem zu übernehmen. Mit den durch 400 Mitglieder verbürgten M. 40000 wurde
es ermöglicht, den nötigen Kredit zu schaffen. Da die Baugelder aus frei¬
willigen Beiträgen einkamen, wurde die Haftpflicht des einzelnen Mitgliedes
nicht in Anspruch genommen. Die Stadt Simmern lieh M. 10000. — Die Ge¬
samtkosten des Krankenhauses betrugen M. 35000, pro Bett M. 2500. Da in
der ersten Zeit mit einer gewissen Abneigung der ländlichen Bevölkerung gegen
Krankenhäuser noch gerechnet werden muß, wird der Betrieb einen jährlichen
Zuschuß von voraussichtlich M. 2000 beanspruchen.
Der Bauplatz, auf freier etwas erhöhter Lage, hat vorzüglichen Ban¬
untergrund. Als Bausystem wurde der Einheitsbau gewählt. Jedes Stockwerk
erhielt einen eigenen Tageraum. Als Luftraum entfallen auf Zimmer mit
mehreren Kranken mindestens 30 cbm bei-7,5 qm Bodenfläche; Bodenflftche
bei Zimmern mit Einzelkranken 40 cbm bei 10 qm. Der Fußboden im Opera¬
tionszimmer erhielt Fliesenbelag; die Wände sind abwaschbar; ebenso in den
beiden isolierzimmern. Diese haben einen besonderen Korridor und einen
eigenen, direkten Eingang vom Garten aus.
Die Lüftung geschieht durch besondere Lüftungsrohre, die mit dem
Kamin in Verbindung stehen; die Heizung durch Einzelöfen. Für die Warm¬
wasserleitung ist eine in der Feuerung des Küchenherdes liegende Heizschlange
vorgesehen, die durch Rohrleitung mit einem Wasserbehälter in Verbindung
Tagesnachriehten.
27
steht, der sich rermittels Schwimmventils selbständig von der Wasserleitung
aus fallt. & m Tom Krankenbaase entfernt liegt die wasserdichte Sammel-
grabe, die eine Trennangswand zur Trennung der flüssigen von den festen
Stoffen erhalten hat.
Eingehendere'Darlegungen über die Einzelheiten, den Desinfektionsraum
das Badezimmer, die Einteilung der Geschosse, enthält die Arbeit selbst.
Dr. Mayer- Simmern.
Tagesnachrichten.
Aus dem Belohitage. Seitens der Abgg. Eickhoff und Dr.
ßenmer ist im Reichstage der Antrag gestellt, „daß unter entsprechender
Abänderung des § 6 der Prüfungsordnung für Aerzte vom 28. Mai 1901 auch
die Abiturienten der deutschen Oberrealschulen zu der Ärztlichen Prüfung
zugelassen werden.“ Nachdem diese auch zum juristischen Studium zugelassen
iind, wird sicherlich diesem Anträge stattgegeben werden.
In der Sitzung vom 13. v. Mts. ist die Resolution der Abgg. Dr. Becker
and Genossen: „Die verbündeten Regierungen zu ersuchen, unter Mitwirkung
der Handwerkskammern und Gewerbevereinsverbände Erhebungen über die
Grundlagen für eine obligatorische Alters- und Invalidenversicherung des
Handwerks alsbald in die Wege zu leiten und die hierfür nötigen Mittel durch
Nachtragsetat noch für das Rechnungsjahr 1904 anzufordern“, nach längerer
Debatte angenommen, obwohl sich der Staatssekretär des Innern, Graf v.Posa-
dowsky, entschieden gegen eine derartige Erweiterung der Alters- und In¬
validenversicherung aussprach.
Ans dem preusetsohen Abgeordnetenhaus«. Nach dem von
der Handels- und Gewerbekoinmission erstatteten Bericht über die Petition des
Verbandes preußischer Apothekenkonzessionsanwärter, betreffend Herbei¬
führung günstigerer Aussichten auf Erlangung der Selbst¬
ständigkeit im Apothekerberuf, äußerten sich die Regierungsvertreter
auf eine Anfrage des Referenten hinsichtlich der Neuregelung des Apotheken«
Wesens wie folgt:
„Die Anfrage des Herrn Referenten, ob die beabsichtigte gesetzliche
Neuregelung des Apothekenwesens auch die Konzessionierungsfrage umfassen
soll, ist zu bejahen, üeber die Einzelheiten nähere Mitteilungen zu machen,
erscheint zurzeit nicht angängig, da die Erwägungen hierüber noch nicht ab¬
geschlossen sind. Wir können nur erklären, daß die Neuregelung im Gange
ist und daß insbesondere auch das Material, welches die Fachpresse und die
sonstigen Veröffentlichungen aus den Kreisen der Beteiligten beigebracht haben
und noch beibringen, eingehend geprüft und entsprechend mitverwertet wird.“
Im übrigen werden von den Regierungsvertretern die nach der Petition
angeblich vorhandenen Mißstände des Apotheken - Konzessionswesens teils als
unbegründet, teils als sehr übertrieben bezeichnet und namentlich der gegen
die Konzessionsbehörden gerichtete Vorwurf der Rücksichtnahme auf persön¬
liche Beziehungen und der pflichtwidrigen Außerachtlassung der bestehenden
Vorschriften als jeder Unterlage entbehrend zurückgewiesen.
In der am 19. v. M. abgehaltenen Sitzung des hessischen
Landtages gelangte eine Interpellation der Abgg. Schienger, Reinhart
obü Gen., betreffend die Verunreinigung der Flüsse zur Verhandlung. Der
Antragsteller, Abg. Schienger, wies unter Bezugnahme auf den Gelsenkirchener
Prozeß auf die Gefahren hin, die durch Einführung der Fäkalien in die Flüsse
verschuldet werden. Von anderer Seite wurden die Abwässer der Fabriken
für noch gefährlicher als die Fäkalien bezeichnet. Geh. Obermedizinalrat Dr.
Neidhard betonte die hygienische Notwendigkeit, die Fäkalien so rasch als
möglich aus den Städten zu schaffen, wozu das sogenannte Schwemmsystem sich
am bestem eigne. Geh. Staatsrat v. Krug versicherte, daß die vereinigten
28
Tsgesnaehriehten.
Regierungen eifrigst bestrebt seien, alles zu tun, was zur Reinhaltung der
Flüsse erforderlich sei. Der derzeitige Zustand des Rheins gebe jedoch vor-
läoflg keinen Anlaß zu Befürchtungen.
In Neuenkirchen, Reg.-Bez. Trier, ist jetzt ebenfalls eine bakterio¬
logische Untersuchungsstation zur Bekämpfung des Typhus errichtet und
als deren Leiter der bisherige Leiter der bakteriologischen Untersuchungsstation
in Metz, Dr. Conradi, bestellt.
Behufs Besprechung vorläufiger Maßnahmen zur Bekämpfung des
Typhus sind am 19. Dezember v. J. die Leiter sämtlicher Typbusstationen
von Süd Westdeutschland, einschließlich der bayerischen Pfalz, unter Vorsitz des
Reichskommissars, Geheimrat Schneider, zu einer Konferenz in StraßburgLE.
zusammengetreten. An der Konferenz nahmen auch Geheimrat Prof. Dr. Koch
und der Präsident des Reichsgesundheitsamtes Dr. Köhler teil.
Gesundheitszustand der in den Gefängnissen der Prenssischen Justiz¬
verwaltung untergebrachten Gefangenen während des Rechnungsjahres
1902 (1. April 19o2 bis 31. Januar 1903).
Nach dem von der Preußischen Justizverwaltung erstatteten Bericht
über die ihr unterstellten Gefängnisse erkrankten von je 100 Gefangenen der
täglichen Durchschnittszahl (34402) 0,72; davon wurden 97,8 °/ 0 in der Anstalt
behandelt, 1,8®/ 0 einer besonderen Krankenanstalt überwiesen und 0,9°/ o aus
der Haft entlassen. Von den Erkrankungsfällcn entfielen 4,96 °/ 0 auf ansteckende
Krankheiten, 0,94°/ 0 auf Geistesstörungen, 3,ö6°/ 0 auf äußere Verletzungen;
von den Fällen ansteckender Krankheiten kamen 18,97 °/ 0 auf Tuberkulose,
2b,61 % auf Syphilis. Die Sterbefälle betrugen 0,06 u / 0 der Gesamtzahl
und 0,68 o/ 0 der Durchschnittszahl der Gefangenen.
Der 22. Kongress für innere Medizin findet vom 12. —15. April
1905 zu Wiesbaden statt unter dem Vorsitze des Herrn Geheimrat Erb-
Heidelberg. Als Verhandlungsthema des ersten Sitzungstages ist bestimmt:
Ueber Vererbung. 1 . Referat: Ueber den derzeitigen Stand der Vererbungs¬
lehre in der Biologie: Herr H. E. Ziegler-Jena; 2. Referat: Ueber die
Bedeutung der Vererbung und der Disposition in der Pathologie mit besonderer
Berücksichtigung der Tuberkulose: Herr Martins (Rostock). Vorträge haben
angemeldet: Herr A. Hof f mann- Düsseldorf: Ueber Behandlung der Leukämie
mit Röntgenstrahlen; Herr Paul Krause-Breslau: Ueber Röntgenstrahlen¬
behandlung der Leukämie und Pseudoleukämie; Herr Schütz-Wiesbaden:
Untersuchungen über die Schleimsekretion des Darmes; Herr M. Matthes-
Jena: Ueber Autolyse; Herr C1 emm-Darrostadt: Ueber die Bedeutung der
Heftpflasterstützverbände für die Behandlung der Bauchorgane.
Mit dem Kongresse ist die übliche Ausstellungvon Instrumenten,
Apparaten und Präparaten, soweit sie für die innere Medizin
von Interesse sind, verbunden.
Anmeldungen von Vorträgen und für die Ausstellung sind zu richten an
Geheimrat Dr. Emil Pfeiffer, Wiesbaden, Parkstraße 13.
Berichtigung: Laut Mitteilung der Verlagsbuchhandlung von A.
Trosche! (nicht Frischei) in Grunewald-Berlin beträgt der Preis für
die in Nr. 20 der Zeitschrift, Jahrg. 1904, besprochenen „Zusammenstellung
der Entschädigungssätze“ nicht 0,75, sondern 1,20 Mark.
Verantwort!. Redakteur: Dr. Rap mund, Reg.- u. Geh. Med.-Rat in Minden i. W.
J. C. C. Bruns, Herzog). Siebs, u. F. Seh.-L. Hofbuchdruckerei ln Minden.
18. Jahrg.
1905.
Zeitschrift
für
MEDIZINALBEAMTE.
Zentralblitt für gsriebtliehe Medizin nnd Psychiatrie,
für ärztfiehe SacliTerstiodigentätigkeit io Unfall- and loTaliditätssachen, sowie
für Hygiene, offcntL Saoitatsweseo, Medizinal - Gesetzgebung and Reefatsprecliuiig.
Herausgegeben
von
Dr. OTTO RAPMUND,
Reglerangt- and Geh. Medizinalrat in Mlod^n.
Verlag von Fischers mediz. Buehhandlg., H. Kornfeld,
HerzogL Bayer. Hof- tl Erzhcrzogl. Kammer - Bucüh&n Her.
Berlin W. 35, Lützowstr. 10.
Inserate nehmen die Verlagshandlang sowie alle Annoncen -Expeditionen des In-
and Auslandes entgegen.
Nr. 2 • ! ÄMclieiat am 1. und 15. Jeden Monat*
15. Januar.
lieber den Paratyphus.
Kurzes Sammelreferat nebst Bemerkungen zur Grub er- Wida Ischen
Agglutinationsprobe.
Von Dr. F. Steinhaus,
Stadtassistenzarzt und Assistent am baktcrioL Institute der Stadt Dortmund.
Seit Beginn dieses Jahrhunderts hat uns auch iu Deutsch¬
land die bakteriologische Wissenschaft mit einem Krankheits¬
erreger bekannt gemacht resp. einer Gruppe von Erregern, die in
klinischer Beziehung das klassische Bild eines Typhus abdominalis
hervorrufen können, die aber wegen ihrer biologischen Eigen¬
schaften von dem Bac. typhi Eberth-Gaffky getrennt werden
müssen. Nicht genug aber damit, dass der klassische Symptomen-
komplex des Abdominaltyphus durch ihre Wirkung auf den mensch¬
lichen Organismus sich kundgibt, sie teilen mit dem Typhusbacillus
als Krankheitserreger die ausserordentliche nnd genugsam bekannte
Vielgestaltigkeit der erzeugten Krankheitsbilder.
Anfangs, nach den ersten Publikationen, schien es, als ob
durch die Entdeckung dieser Krankheitserreger eine grosse Ver¬
wirrung in die Lehre vom Typhus abdominalis hineingetragen
würde. Die Forschungen der vergangenen 3 Jahre haben aber
soweit eine Klärung gebracht, dass die Erkrankung, die man nach
dem Vorgänge von Achard et Bensaude ( 1896 ) als „In¬
fektion paratyphoidique“, nach Schottmüller, ihrem
ersten Beobachter in Deutschland (1900), als Paratyphus be¬
zeichnet, keine ernstlichen diagnostischen Schwierigkeiten mehr
macht and in ihrer Bedeatang für die menschliche Pathologie
vollkommen sichergestellt ist.
80
Dr. Steinhaus.
Da nun der „Paratyphus“ infolge seiner Stellung in der
Reihe der Infektionskrankheiten für den beamteten Arzt von
allergrösster Bedeutung in sanitätspolizeilicher Hinsicht ist, so
dürfte es nicht unangebracht sein, den Lesern dieser Zeitschrift
eine gedrängte Uebersicht über den heutigen Stand unserer
Kenntnisse betreffs des Paratyphus zu geben, soweit das klinische
Krankheitsbild, die Biologie der Erreger, die Verbreitungswege
bei der Infektion und die aus alledem resultierenden sanitäts¬
polizeilichen Massnahmen in Frage kommen.
I. Geschichtlicher Ueberblick: Nachdem bereits
französische Forscher, Achard und Bensaude (1896), ferner
Widal und Noböcourt (1897), ferner aus Amerika Gwyn (1898)
über Paratyphusinfektionen berichtet hatten, gelang Schott-
müller (1900) in Deutschland zuerst der Nachweis der P&ra-
typhusbazillen in einem Falle von typhusähnlicher Erkrankung in
Hamburg aus dem der Vena mediana entnommenen Blute des
betreffenden Patienten. Im nächsten Jahre berichtete Kurth (1901)
über 5 klinisch zweifellose Typhusfälle, bei denen er (von 2 Pa¬
tienten) den von ihm so bezeichnet en Bac. bremensis febris gastricae
fand, der von dem Serum der Kranken agglutiniert wurde, mithin
aetiologmche Bedeutung besass, der aber beim Vergleich der
biologischen Eigenschaften sich als Paratyphusbacillus, Typus B,
erwies. Es hatte sich also in diesen Fällen gleichfalls um Para¬
typhus-Infektionen gehandelt.
Schottmüller konnte dann 1901 weitere 5 Fälle beobach¬
ten, bei deren bakteriologischer Untersuchung es sich herausstellte,
dass man es aetiologisch bei dem Paratyphus nicht mit einem
Krankheitserreger, sondern mit zwei, bei klinisch sich ähnelnden
resp. gleichen Krankheitsbildern verschiedenen und genau charak¬
terisierten Bakterien zu tun hatte, die beide isoliert werden
konnten und denen die Bezeichnung Typus A und B beigelegt wurde.
Während es sich bei den Fällen von Schottmüller und
Kurth um sporadisch auf tretende Fälle handelte, die nachweis¬
lich nicht zueinander in Beziehung standen, berichteten Hüner¬
mann, Conradi, v. Drigalski und Jürgens über epidemisches
Auftreten des Paratyphus beim II. Bataillon Inf.-Regt. Nr. 70 in
Saarbrücken, wo 88 Fälle innerhalb kurzer Zeit zur Beobachtung
gelangten. Sion und Negel beschrieben 1902 eine typhns-
ähnliche Hausendemie hydrischen Ursprungs von 6 Fällen, die
nach der Schilderung der aus dem Blute der Patienten und aus
dem Wasser des das betreffende Haus versorgenden Brunnens
isolierten Bakterien durch ParatyphuBbazillen hervorgerufen war.
— Eine ähnliche Endemie konnten de Feyfer und Kays er im
gleichen Jahre (1902) in Eibergen (Prov. Gelderland, Holland)
beobachten. Durch die bakteriologische Untersuchung wurden
14 Fälle als Paratyphuserkrankungen sichergestellt, erzeugt durch
den Paratyphusbacillus B.
In diesem Jahre beschrieb Erne einen Fall von Paratyphus
klinisch und bakteriologisch genau, bei dessen näherer Erforschung
sich ergab, dass noch zwei weitere Mitglieder der Familie inner-
Ueber den Paratyphne.
81
halb 14 Tagen unter typhusähnlichen Erscheinungen erkrankt
waren, so dass es sich also um eine kleine Hansendemie handelte.
Schliesslich beobachtete ich mit meinem Chef, Herrn Stadtarzt
Dr. Köttgen, eine Hausendemie von Paratyphus (Typus B), über
die wir demnächst zu berichten gedenken, hier in Dortmund. Es
lagen 6 Fälle in dem Hause eines hiesigen Metzgers vor, dessen
Tochter unter typhusähnlichen Erscheinungen erkrankt war. Der
Infektionsweg konnte nicht eruiert werden. Die übrigen 5 Fälle
betrafen sämtlich Kostgänger und sind als Kontaktinfektionen auf-
gefasst worden. Ueber eine Hausepidemie Typus B. hat Ritter
in dieser Zeitschrift (Nr. 20, 1904) berichtet.
Vereinzelte Erkrankungsfälle sind dann im Laufe der letzten
2 Jahre beschrieben worden von: Brion und Kayser, Znpnik
und Posner, Gwyn, Cushing, Coleman-Buxton, John-
ston, Hewlett, Hume, Grünbaum (Typus A); Achard
und Bensaude, Widal und Nobhcourt, Kayser, Zupnik,
Luksch, Körte, Leo, Stern (Typus B). Im ganzen dürften
wohl bis jetzt etwa 100 Fälle in der Litteratur niedergelegt sein.
II. Biologie der Bazillen: Ich glaube, dass eine ta¬
bellarische Zusammenstellung der biologischen Eigentümlichkeiten
am übersichtlichsten die nahe Verwandtschaft der Paratyphus¬
bazillen auf der einen Seite mit dem Typhusbacillus, auf der andern
Seite mit dem B&ct. coli commune zeigt:
Aus umstehender Tabelle geht hervor, dass der Typus A
dem Typhusbacillus nähersteht, während der Typus B in einzelnen
Eigenschaften sich mehr an das Bact. coli commune anschliesst.
Vom Typhusbacillus trennt beide Typen das Verhalten gegen
Traubenzucker und Neutralrotagar und auf Gelatine, während sie
vom Bact. coli commune anderseits durch ihr Verhalten gegen
Milch, den Mangel an Indolbildung und den positiven Ausfall der
Proteinochromreaktion (Erdmann und Winternitz) geschieden
sind. Beide Typen selbst unterscheiden sich ihrerseits wesentlich
durch das Wachstum auf Gelatine, auf Kartoffeln, in Lackmus¬
molke, Milch und in muskelzuckerfreier Lactosebouillon.
Vereinzelt ist auch über geringe Abweichungen des Typus B
berichtet worden. So sahen Conradi und v. Drigalski ihre
Stäbchen als unsichtbares Häutchen aut Kartoffeln wachsen. Erne
beobachtete geringe Indolbildung und Kurth sah Gerinnung der
Milch nach einigen Wochen. Im wesentlichen sind aber die in
der Tabelle aufgeführten Eigenschaften der beiden Typen be¬
stätigt worden.
IIL Klinisches Bild: Da an der aetiologischen Bedeutung
der Paratyphusbazillen bei der Erzeugung typhusähnlicher Er¬
krankungen heute nicht mehr zu zweifeln ist, weil ihr Nachweis
im Blute Erkrankter gelungen ist, so fragt es sich jetzt, welche
klinischen Erscheinungen bei einer Paratyphusinfektion zutage
treten. Alle Beobachter stimmen darin überein, dass eine grosse
Aehnlichkeit mit dem klassischen Typhus abdominalis vorliegt.
Die Prodrome sind dieselben, es werden Roseolen, Milztumor
Durchfälle und positive Diazoreaktion in den Krankengeschichten
an alkalisch
32
Dr. Steinhaus
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Paratypho8bacillus Paratyphusbacillus
lieber den Paratyphus.
33
notiert Die Untersuchung des Blutes ergibt Leukopenie, Ab¬
nahme der Zahl der Leukozyten, später Lymphozytose. Charak¬
teristisch ist ferner die im Vergleich zur hohen Temperatur
niedrige Palszahl (80—90 Schläge in der Minute). Abweichend
verhält sich wohl im wesentlichen die Temperaturkurve. Sie zeigt
einen plötzlicheren Anstieg zur Höhe als beim Abdominaltyphus.
Wenn auch in manchen Fällen eine Continua beobachtet worden
ist, so zeichnen sich nach der übereinstimmenden Mitteilung der¬
jenigen Autoren, die Temperaturkurven in ihren Arbeiten verwertet
haben, diese dadurch aus, dass in dem der Continua entsprechen¬
den Abschnitte ungewöhnliche Remissionen, oft auch Intermissionen
vorhanden sind. Der Abfall der Temperatur vollzieht sich wie
beim Typhus abdominalis lytisch, nur in kürzerer Zeit. Darm¬
blutungen sind nur vereinzelt vermerkt worden: 5®/ 0 . Dagegen
verdient ein Symptom wohl grössere Beachtung, das von den
Autoren fast durchweg erwähnt wird und auch von den hiesigen
Kollegen bei unserer Fällen hervorgehoben wurde: Beschwerden
von seiten der Halsorgane im Prodromalstadium; objektiv lassen
sich katarrhalische Schwellung der Tonsillen und der Rachen¬
schleimhaut sowie Schwellung der Halslymphdrüsen nachweisen.
In der Einleitung wies ich bereits darauf hin, dass der Para¬
typhus ebenso wie der Typhus abdominalis ein äusserst wechselndes
Bild zeigen kann. Einige Male fehlte der Milztumor, in anderen
Fällen waren keine Diarrhoeen, sondern eher Stuhlverhaltung vor¬
handen; auch die Diazoreaktion wurde verschiedentlich vermisst,
ganz abgesehen davon, dass die Temperaturkurve die verschiedent-
Uchsten Bilder zeigen kann. Man ist auf Grund der vorliegenden
Beobachtungen zu der Annahme genötigt, dass auch beim Para¬
typhus Fälle Vorkommen, die man dem Typhus abdominalis abortivus
und levissimus au die Seite stellen kann. Diese Tatsache, wie
die weitere, dass auch hier Bazillenträger ausfindig gemacht
werden können, die klinisch nicht erkranken, ist äusserst wichtig
mit bezug auf die sanitätspolizeiliche Bekämpfung der Krankheit.
Ein Punkt verdient noch hervorgehoben zu werden: die Gut¬
artigkeit der Erkrankung, die eine günstige Prognose zulässt,
wenn die Diagnose gestellt ist. Dieser Umstand bringt es mit
sich, dass die Literatur nur wenige Mitteilungen über die patho¬
logisch-anatomischen Veränderungen bei tötlichem Ausgange der
Erkrankung bringt. Der Kritik halten nur 3 Fälle stand, die
von Longiope, Sion und Negel sowie von Luk sch. Abweichend
gegen den Befund bei Typhus abdominalis verhält sich der Darm-
kanaL Es fehlen die Schwellung und Geschwürbildung an den
Pey er sehen Plaques und die Schwellung der mesenterialen
Lymphdrüsen. Im Dickdarm wurden Schwellung der Solitärfollikel
und dysenterieähnliche Geschwüre konstatiert. Der Dünndarm ist
demnach frei von Veränderungen.
IV. Bemerkungen zur Epidemiologie: Für den be¬
amteten Arzt ist natürlich die Epidemiologie der Paratyphus¬
erkrankungen von grosser Bedeutung. Es ist zunächst hervor¬
zuheben, dass die Erkrankung sehr leicht übertragbar ist. Bei
34
Dr. Steinhaus.
einigen Beobachtungen liess sich ein Zusammenhang zwischen
Genuss von Trinkwasser und Erkrankung konstruieren, wenig¬
stens lag es nahe, diesen Infektionsmodus heranzuziehen. So
nimmt Schottmüller bereits eine Infektion durch Genuss von
Trinkwasser an.
Von grösstem Interesse ist fernerhin die Beobachtung von
Sion und Negel, die bei ihrer Hausendemie aus dem Wand-
Schmutz eines in hygienischer Beziehung höchst bedenklichen
Brunnens einen Bacillus züchteten, der mit den Stämmen, die sie
ton ihren Patienten erhalten hatten, identisch war. Damit hatten
sie den lückenlosen Beweis erbracht, dass bei ihren Fällen die
Infektion auf das Brunnenwasser zurückzuführen war. Auch die
Epidemie beim II. Bataillon Inf.-Hegte. Nr. 70 in Saarbrücken ist
höchstwahrscheinlich auf den Genuss infizierten Trinkwassers
zurückzuführen.
Des weiteren gibt Körte von seinem Fall an, dass der
Patient die Gewohnheit hatte, ungekochtes Oderwasser zu trinken;
auch de Feyfer und Kayser führen für ihre Epidemie das
Wasser als Infektionsquelle an, da sich der Nachweis erbringen
Hess, dass die Wäsche eines Kranken in dem am Dorfe vorbei-
fliessenden Bache gewaschen worden war, dass einige Patienten
das Wasser dieses Baches getrunken hatten und dass ausserdem die
Wasserversorgung aus offenen Grundwasserbrunnen in der Nähe
des Baches erfolgte.
Schliesslich wäre noch eine Beobachtung Sternbergs an¬
zufügen, der aus Wasser (Brunnen der Wiener Wasserleitung)
isolierte Bakterien beschreibt, die nach ihren biologischen Eigen¬
schaften dem Paratyphusbacillus Typus B sehr nahe stehen, um
zu beweisen, dass tatsächlich das Wasser als Infektionsquelle in
Betracht kommen kann.
Selbstverständlich können bei der Infektion mit Paratyphus¬
bazillen auch die Nahrungsmittel eine grosse Rolle spielen
Milch, rohes Obst und rohes Gemüse. Hinsichtlich des
rohen Fleisches möchte ich an die Untersuchungen Trautmanns
erinnern, die eine nahe Verwandtschaft des Paratyphusbacillus
mit den Erregern der wichtigsten beschriebenen Massenvergiftungen
nach Fleischgenuss ermittelt haben, so dass Trautmann neuer¬
dings der natürlich noch nicht exakt bewiesenen Anschauung Aus¬
druck gegeben hat, dass auch bei den Fleischvergiftungen die
Paratyphusbazillen, namentlich aber ihre Toxine, als ursächliches
Moment heranzuziehen wären. Die Feststellung des Infektions¬
weges durch Genuss von Nahrungsmitteln wird aber immer auf
grosse Schwierigkeiten stossen, so dass es sich daraus wohl er¬
klärt, dass entsprechende Beobachtungen noch nicht mitgeteilt
sind. Desgleichen wird man, wie beim Typhus abdominalis, häufig
den Nachweis der Kontaktinfektion zu erbringen in der Lage sein.
V. Die Serumreaktion bei Paratyphus: Aus dem
Vorstehenden ergibt sich, dass sowohl die klinischen Bilder wie
auch die Epidemiologie der Paratyphusinfektionen eine dignostische
Abgrenzung derselben gegen Typhus abdominalis nur sehr schwer
Ueber den Paratyphus.
85
miauen. Um einmal eine exakte Diagnose zu stellen, womit wir
rach ein praktisch wichtiges Urteil hinsichtlich der Prognose ge¬
winnen, zum andern aber auch bei gehänfterem Auftreten von
Erkrankungen alle Individuen ausfindig zu machen, die als infiziert
zu gelten haben, und damit eine richtige Bekämpfung der Krank¬
heit einzuleiten, sind wir auf den Nachweis der Bazillen im Blute,
in den Faeces, im Urin und Roseolen, vor allem aber, und das
ist in praktischer Beziehung bedeutungsvoller, auf die Serum-
reaktion angewiesen. Nur mit ihrer Hilfe wird man im Sinne
der Anschauung Kochs rationell einen Erkrankungsherd beseitigen
können, wenn man nicht nur die klinisch Kranken ausscheidet,
sondern auch die klinisch nicht erkrankten Bazillenträger- und
•Verbreiter ausfindig und für ihre Umgebung unschädlich macht
(siehe Conradi, v. Drigalski und Jürgens, Epidemie in
Saarbrücken).
Es steht ja heute, namentlich nach den äusserst interessanten
Untersuchungen der Kommission zur Bekämpfung des Typhus
im Saargebiet, fest, dass Individuen als mit Typhusbazillen in¬
fiziert zu gelten haben und die Bazillen demgemäss auch ver¬
breiten, die bei vollkommen afebrilem Verlauf der Infektion ruhig
ihrer Tätigkeit nachgehen. Dasselbe trifft auch für den Paratyphus
zu (siehe de Feyfer und Kays er, Epidemie inEibergen).
Wenn nun bei ausgesprochener Typhuserkrankung oder
typhusähnlichen Erscheinungen die Agglutinationsfähigkeit des
Blutes durch die Serumreaktion geprüft wird, ergibt sich oft, dass
Typhusbazillen durch das Krankenserum nicht agglutiniert werden,
dass dagegen der eine oder andere Typus der Paratyphusbazillen
im Sinne eines positiven Ausfalls der Reaktion beeinflusst wird,
vorausgesetzt natürlich, dass die Infektion vor nicht zu kurzer
Zeit erfolgt ist. Auf der andern Seite werden häufig beide Ba¬
zillen, sowohl der Typhusbacillus wie der Paratyphusbacillus A
oder B agglutiniert. In den letzteren Fällen ist man natürlich
zunächst hinsichtlich des endgültigen Urteils vor ein Dilemma
gestellt; erst die genaue makroskopische und mikroskopische
Beobachtung des Agglutinationsphaenomens lässt einen Schluss
auf die Art der Infektion zu. Wir haben es in solchen Fällen,
was wir auch an Hand unseres Materials bestätigen können, mit
einer Gruppenagglutination nach den Untersuchungen von Stern,
Bruns und Kayser, Trautmann, Jürgens, Hoffmann
u. a. zu tun, der gegenüber wir darauf angewiesen sind, die
Grenzwerte der Agglutinationsfähigkeit des betr. Serums gegen¬
über den einzelnen Bazillen festzustellen, ev. nach Anstellung des
Castellanischen Versuchs, bei dem man die Agglutinine des
Blutes für den einen oder den andern Bacillus erst sättigt. So
konnte ich bei einem unserer Paratyphuspatienten eine Agglu-
tinationsfähigkeit gegenüber Typhusbazillen bis zu der Verdünnung
1: 300, gegenüber Paratyphusbacillus Typus B bis 1 : 50 000 fest¬
stellen. Der Fall gleicht damit dem von Stern mitgeteilten.
Man ist also bei solchem Verhalten des Serums
eines Kranken von jetzt ab genötigt, die Agglutina-
86
Dr. Steinhaus.
tionsfähigkeit sowohl für Typhusbazillen, wie auch
für Paratyphusbazillen Typus A und B zu prüfen, ehe
man den betr. Fall aetiologisch sicherstellen kann.
Damit ergeben sich aber für die Aufklärung von Typhus¬
oder typhusähnlichen Erkrankungen durch den Kreisarzt erhebliche
Schwierigkeiten. Nur bakteriologische Untersuchungsstationen,
die nach Tjadens bemerkenswerten Ausführungen entschieden
noch vermehrt werden müssen, vermögen solche Aufgaben zu lösen.
Im Anschlüsse hieran sei es mir gestattet, einige Be¬
merkungen zu der Agglutinationsprobe zu machen. Leider ist
immer noch keine einheitliche Auffassung inbezug auf die Zeit¬
dauer bis zum Eintritt der Agglutination, inbezug auf die Stärke
der Agglutination und die Methodik der Grub er-Widal sehen
Probe erzielt, trotzdem dieselbe sehr erwünscht wäre, um die
Resultate der einzelnen Beobachter direkt vergleichen zu können.
So kommt es, dass das Verhalten des Serum an verschiedenen
Orten eine verschiedene Beurteilung erfährt. Es ist zu betonen,
dass die Bakterienaufschwemmung in physiologischer
Kochsalzlösung vorgenommen werden muss, dass es ferner
durchaus angebracht, wenn nicht gar geboten ist, die makro¬
skopische und mikroskopische Untersuchung anzustellen,
da die letztere zu sehr in das Ermessen der einzelnen Beobachter
gestellt ist. Inbezug auf die Zeit, innerhalb deren die Reaktion
eingetreten sein muss, pflegen wir am hiesigen bakteriologischen
Institut, wie es auch an anderen Orten, namentlich in Hamburg,
geschieht, von einer positiven Reaktion dann zu sprechen, wenn
makroskopisch sich nach spätestens 2 Stunden deutliche
Flöckchen in der sich klärenden Flüssigkeit bilden, wenn mi¬
kroskopisch innerhalb 20 Minuten deutliche Häufchenbildung
sich zeigt und alle Bazillen unbeweglich geworden sind. Die
untere Grenze der Verdünnung, die einen Schluss auf die Art der
Erkrankung gestattet, erblicken wir in demVerhältnis 1 : 100.
Darunter sollte man nach den mitgeteilten positiven Reaktionen
bei Weilschem Icterus, Septicaemie und Tuberkulose nicht gehen
(ich selbst habe als Assistent am Augusta- Hospitale in Cöln
einen Erkrankungsfall als Typhus abdominalis gemeldet, bei dem
in der Verdünnung 1 : 80 die Reaktion positiv ausgefallen war;
bei der von mir vorgenommenen Autopsie stellte sich dann heraus,
dass es sich um eine subakute Miliartuberkulose gehandelt
hatte).
Aus alledem geht hervor, dass man stets mit scharfer Kritik
an die Beurteilung einer Agglutinationsprobe herantreten soll. Am
geeignetsen ist noch immer ihre Anstellung mit lebender Ba¬
zillenkultur. Wenn nun seit diesem Jahre, namentlich in der
Hand der Kreisärzte, die Fick ersehe Methode der Agglutination
vermittels einer Suspension von abgetöteten Typhusbazillen immer
mehr in Brauch gekommen ist, eine Methode, der wegen ihrer
Einfachheit sicherlich die ausgedehnteste Anwendung zu wünschen
wäre, so glaube ich doch eine Beobachtung gemacht zu haben, die
ich noch anfügen und zu deren Nachprüfung ich auffordern möchte.
Ueber den P&ratyphus.
37
Ficker schreibt vor, dass man das von ihm erfundene Diagnosti-
cum vor dem Gebrauche gründlich schütteln soll. Ich habe im
Anfang die Ficker sehe Probe bei allen untersuchten TyphusläHen
angestellt; eines Tages aber bot sich mir eine Ueberraschung:
Trotz längeren Schütteins der Flüssigkeit zeigte sich in dem
Eontrollspitzgläschen, das das Diagnosticum allein enthielt, deutliche
Fleckcheubilduug; die mikroskopische Untersuchung im hängen¬
den Tropfen liess zahlreiche Bazillenhäufchen erkennen. Die
Flüssigkeit war einige Monate alt, als sie dieses Verhalten zeigte.
Ich ziehe daraus den Schluss, dass Fickers Diagnosticum ein
nicht zu hohes Alter erreicht haben darf, um noch zu derAgglu-
tinatiousprobe verwertet werden zu können. Jedenfalls wird man
genötigt sein, stets eine Kontrolle zu üben.
VI. Die saniätspolizeilichen Massnahmen zur Be¬
kämpfung des Paratyphus decken sich nach den obigen
Ausführungen begreiflicherweise mit den beim Typhus abdominalis
Torgeschriebenen, von denen die wichtigsten sind: Isolierung des
Kranken, Ausfindigmachen der Verdächtigen und Erforschung des
Infektionsweges, Desinfektion sämtlicher Abgänge sowie der
Wäsche, Ueberwackung des Nahrungsmittel Verkehrs, Verbot oder
Beschränkung der Benutzung von Wasserversorgungsanlagen.
Von Interesse war eine Frage, die auf der III. Versammlung
der Rhein.-Westf. Gesellschaft für innere Medizin im Anschlüsse
an den Vortrag Leos über Paratyphus Geheimrat Schultze au
die Versammlung richtete, ob Paratyphusfälle anzeigepflichtig
seien. Wenn ein Kliniker von der Bedeutung Schultz es diese
Frage aufwirft, so beweist dies, dass Unklarheiten bestehen
müssen. Ich glaube nun, dass die Frage sich selbst dadurch be¬
antwortet, dass nach den heutigen Bestimmungen bereits auch
alle typhusverdächtigen Erkrankungsfälle zur Anzeige zu bringen
sind, dass es aber trotzdem, um alle Unklarheiten zu beseitigen,
sich empfehlen wird, den Paratyphus auch dem Namen nach in
die Ausführungsbestimmungen zum Reichsseuchengesetz noch vor
Toresschluss als anzeigepflichtige Krankheit aufzunehmen.
Ich glaube, damit alles Wesentliche hinsichtlich des Para¬
typhus berührt zu haben. Vielleicht werden diese Zeilen Anregung
dazu geben, der Erkrankung noch mehr als bisher Beachtung zu
schenken, da sicherlich gerade die Medizinalbeamten dazu berufen
sind, interessantes Material zur Pathologie, vornehmlich aber zur
Epidemiologie der Erkrankung zu sammeln.
Literatur (deutsche):
1. Schottmüller: Deutsche med. Wochenschrift; 1900, Zeitschr. f.
Hygiene und Infektionskrankh.; Bd. 36.
2. Brion und Kayser: Münch, med. Wochenschrift; 1902, Nr. 15.
3. Brion: Paratyphus. Deutsche Klinik; 1903, Bd. 2.
4. Hayo Bruns und Kayser: Zeitschrift f. Hygiene und Infektions-
krankh.; Bd. 43.
5. Conradi, v. Drigalski und Jürgens: Zeitschr. f. Hygiene und
Infektionskrankh.; Bd. 42.
6. Hünermann: Zeitschr. f. Hygiene und Infektionskrankh.; Bd. 40.
7. de Feyfcr und Kayser: Münch, med. Wochenschrift; 1902,41/42.
8. Kurth: Deutsche med. Wochenschrift; 1901, 40/41.
38
Dr. FriedeL
9. Sion and Negel: Zentralblatt 1 Bakteriologie; Bd. 32.
10. Zupnik and Posner: Prager med. Wochenschrift; 1908, 18.
11. Körte: Zeitschrift f. Hygiene and Infektionskrankheiten; Bd. 44.
12. Leo: Mttnch. med. Wochenschrift; 1904, 32; Sitzungsberichte.
13. Er ne: Münch, med. Wochenschrift; 1904, 34.
14. Kempff: Inaug.-Dissert. Straßbarg 1903.
15. Laksch: ZentralbL f. Bakteriologie; Bd 84.
16. —18. Kayser: Zentralbl. f. Bakteriologie; Bd. 31; Deutsche med.
Wochenschrift; 1903, Nr. 18 and Zentralblatt f. Bakt. Bd. 35, mit aasländischer
Literatarzasammenstellang.
19. Stern: Deutsche med. Wochenschrift; 1903, Vereinsbeilage S. 125.
20. Jürgens: Zeitschrift f. Hygiene und Infektionskrankh.; Bd. 48.
21. Hoff mann: Hygienische Bandschaa; 1902, Nr. 17.
22. Erdmann und Winternitz: Münch, med. Wochenschrift; 1903,
Nr. 23.
23. Sternberg: Zeitschrift f. Hygiene and Infektionskrankh; Bd. 84.
24. -25. Traatmann: Zeitschrift f. Hygiene und Infektionskrankh.;
Bd. 45, Heft 1 und Bd. 46, Heft 1, 1904.
26. Endo; Ueber ein Verfahren zam Nachweis_von Typhasbazillen.
Zentralbl. f. Bakt.; Band 35. 1.
27. As coli: Zeitschrift f. klin. Medizin; Bd. 48, 5—6.
28. K. Koch: Die Bekämpfung des Typhös, VeröffentL aas d. Gebiete
des Militär-Sanitätswesens; 1903, Heft 21.
29. Tjaden: Hygienische Bandschaa; 1904, Nr. 13.
30. Fischer: Festschrift f. Bobert Koch; Jena (Fischer) 1908.
31. Sobernheim: Offizieller Bericht über die III. Hauptversammlung
des Deutschen Medizinalbeamten- Vereins za Danzig; Berlin (Kornfeld) 1904.
32. Bitter: Eine Hansendemie von Paratyphas (Typ. B); Zeitschrift
f. Medizinalbeamte, 1904, Nr. 20.
Typhushäuser.
Von Dr. Friedei, Kreisassistenzarzt in Coblenz.
In dem Aufsätze „Etwas Aber ,Typhushäuser* and Typhös-
höfe‘“ Seite 840, Jahrg. 1904 dieser Zeitschrift versucht Reg.*
nnd Geh. Med.-Rat Dr. Richter die Annahme, dass Typhös*
bazillen sich viel länger, als man bisher allgemein glaobte, im
Erdboden, in Dielenritzen, im Manerwerk der Häoser lebend er*
halten können, durch seine Beobachtungen an 22 Typhushäusern
resp. Typhushöfen zu stützen. Er glaobt Typhuserkrankungen,
für die ihm eine andere Aetiologie fehlt, auf frühere Erkrankungen
in demselben Hause oder einem Nachbarhause zurückführen zu
können, auch wenn sie bis zu 20 Jahren zurücklagen und wenn
in der Zwischenzeit keine weitere Erkrankung vorgekommen ist.
Richter hält es für sehr wohl möglich und denkbar, dass die
Keime bei der ersten Erkrankung in die Umgebung verstreut und
sich hier die Jahre hindurch keimfähig erhalten haben. Allein
die Möglichkeit einer solchen Annahme, oder vielmehr die Nicht-
nachweisbarkeit ihrer Unmöglichkeit genügt nicht, sie uns auch
nur im entferntesten als plausibel erscheinen zu lassen. Möglich
ist nahezu alles, es kommt nur darauf an, unter den vielen Mög¬
lichkeiten die wahrscheinlichste herauszufinden, und das ist dem
Verfasser, wie mir scheint, nicht gelungen.
Bei der grossen Verbreitung des Typhus müssen auf diesen
Punkt gerichtete Nachforschungen mit Sicherheit ergeben, dass
Typhnshäuser.
89
es zahlreiche Häuser gibt, in denen im Verlauf von 20 Jahren
Typhuserkrankungen sich einmal oder mehrere Male wiederholten,
ohne dass sich damit eine Wahrscheinlichkeit für den Zusammen¬
hang der Erkrankung mit einer yorausgegangenen herausstellt,
and ohne dass solche Häuser den Namen „Typhushäuser“ ver¬
dienen. Wollte man diese Methode in analoger Weise auf andere
Erkrankungen übertragen, würde man wohl wenig Häuser finden,
die man nicht mit dem gleichen Recht als „Scharlach-* oder
„Pneumonie-Häuser* bezeichnen müsste.
Zweifellos gibt es „Typhushäuser*, in denen fast alle neu
anziehenden, das sind in der Regel Dienstboten, nach einiger Zeit
erkranken, während die dauernden Bewohner durch frühere Er¬
krankungen immun oder von Hause aus resistent sind. Das Haus
Nr. 7 Richters, dessen Aehnlichkeit er mit dem von Schlech¬
ten dahl beschriebenen Fall hervorhebt, gehört aber allein unter
seinen Aufzeichnungen zu dieser Kategorie; Richter gibt hierzu
an, dass der letzterkrankte Knecht ins Krankenhaus kam, und
dass von da an die Knechte gesund blieben, was nach seiner Auf¬
fassung von der Verseuchung des Hauses ihm als unerklärlich
doch auffallen müsste.
Die Existenz solcher „Typhushäuser* beruht nach meiner
Ueberzeugung meist, wenn nicht stets, auf der Anwesenheit eines
Bazillenträgers, die jedenfalls zunächst mit Sicherheit ausge¬
schlossen werden muss, ehe andere Erklärungen in Frage kommen.
Dass viele Personen nach überstandenem Typhus Bazillen in ihrem
Urin entleeren, ist ja bekannt. Weniger bekannt dürfte es aber
sein, dass auch ein geringer Prozentsatz der Rekonvaleszenten
dauernd Typhusbazillen im Stuhl behält. So habe ich z. B. zur¬
zeit aus dem Reg.-Bez. Coblenz 9 Personen unter Beobachtung,
die zum Teil von Herrn Dr. Lentz-Idar, zum Teil von mir fest¬
gestellt sind, bei denen die Erkrankung 4—16 Monate zurückliegt
und in jeder Stuhlprobe Bazillen fast in Reinkultur nachgewiesen
werden. Der letzte Umstand erleichtert die Feststellung ungemein;
man erhält beim Ausstreichen auf Lakmusmilchzuckeragar Platten,
wie man sie aus Stuhlproben eines Typhuskranken sehr selten
anlegen kann.
Wie lange Zeit noch diese Bazillenträger die Keime aus-
scheiden werden, und ob sie überhaupt jemals frei von ihnen
werden, entzieht sich vorläufig der Beurteilung. Eine Abnahme
der Keimzahl bei zwei Personen, deren Erkrankung am weitesten,
d. h. 16 Monate zurückliegt, ist durchaus nicht zu bemerken.
Ein Mittel von ähnlicher Wirkung wie das Urotropin, das hier
bei jedem Typhusrekonvaleszenten angewendet wird, besitzen wir
bis jetzt nicht
Ohne Zweifel bleiben diese Bazillen vollvirulent, dafür will
ich hier nur zwei Beispiele aus den letzten Tagen anführen:
1. Knecht J. G. beim Bauern M. in D., erkrankte Anfang Dezember 1904;
im Juli d. J. lag die Frau des Bauern M. am Typhus; ihr im Dezember
untersuchter Stuhl enthielt Bazillen in Beinkultur.
2. Frl. B. in C. erkrankte Anfang Dezember 1904; Ende August d. J. war ihre
40
Dr. Richter: Erwiderung.
Mutter am Typhus erkrankt; ihr im Dezember untersuchter Stuhl enthielt
Bazillen nahezu in Reinkultur.
Es empfiehlt sich demnach, in „Typhushäusern“ systematisch
Stuhl- und Urinuntersuchungen anzustellen; die Mühe wird sicher¬
lich oft belohnt werden.
Erwiderung.
Von Dr. Richter, Reg.- u. Med.-Rat in Dessau.
Herr Kreisassistenzarzt Dr. Friedei in Coblenz bestreitet
in dem vorstehenden Artikel die von mir vertretene Ansicht, dass
durch jahrelang im Boden ruhende Typhuskeime in gewissen
Häusern Typhuställe entständen, deren Aetiologie man schwerlich
anders erklären könne, und nimmt an, dass die Existenz solcher
Typhushäuser seiner Ueberzeugung nach meistenteils, wenn nicht
stets auf der Anwesenheit eines Bazillenträgers beruht, die jeden¬
falls zunächst mit Sicherheit ausgeschlossen werden müsse, ehe
andere Erklärungen in Frage kommen dürften.
Ich habe in meinem Artikel (Nr. 24, Jahrg. 1904, S. 840),
auch das Vorkommen genesener Bazillenträger als Depositoren von
Typhuskeimen erwähnt, aber auch die mitgeteilten Fälle des Herrn
Kollegen zwingen keineswegs zu der Annahme, dass keine Typhus¬
bazillen vom ersten Falle im Boden zurückgeblieben sein können
und der zweite Patient von dem bereits genesenen Bazillenträger
des ersten Falles auf irgend eine Weise, wie, ist nicht angegeben,
angesteckt sein müsse.
Es erkrankt 1904 Anfang Dezember der Knecht J. GL beim
Bauern M. in D., nachdem im Juli die Frau des Bauern einen
Typhus überstanden hatte und ihr im Dezember 1904 untersuchter
Stuhl Typhusbazillen in Reinkultur enthielt.
In den beiden anderen Fällen erkrankte ein Fräulein R.
Anfang Dezember, während ihre Mutter im August den Typhus
überstanden hatte und deren Stuhl im Dezember noch Bazillen
in Reinkultur enthielt.
Ich halte nach den Erfahrungen des täglichen Lebens die
genesenen Bazillenträger nur in sehr beschränkter Weise für
geeignet, durch ihre Ausleerungen, Kot und Urin, Typhuskeime
auf ihre Umgebung zu übertragen, schon deswegen, weil ein
Genesener seinen Stuhl und Urin nicht, wie der Kranke, im Bett
oder in die Bettschüssel, sondern im Klosett entleert und sich
dabei der Reinlichkeit befleissigt, welche der oft bewusstlose
Patient nicht anwenden kann. In grösseren Städten lässt der
Bazillenträger seinen Stuhl mit den Bazillen in das Klosett, von
wo diese in die Dunggrube oder in den Kanal gelangen und schon
nach einem bis zwei Tagen von Fäulnisbakterien überwuchert
werden; auf dem Lande, falls der Stuhl in den Abtritt gelangt,
werden die Bazillen ebenfalls sehr bald von den Antagonisten
überwuchert. Im Freien abgelegte Stühle verlieren sehr bald
ihre ansteckende Wirksamkeit, indem die in ihnen haftenden
Bazillen durch die Sonnenstrahlen unbedingt vernichtet werden.
Dr. Oehmke: Ein Fall von Epilepsie.
41
Es gehört mithin schon ein gewisses Zusammentreffen mehr¬
facher glücklicher Umstände dazn, sich vom Stuhle eines Bazillen¬
trägers ohne Weiteres anzustecken.
Was den Urin anbetrifft, so sind die einzelnen Entleerungen
der Blase in Klosetts und Pissoirs nicht geeignet, eine Gefahr zu
erzeugen, da sie fortgespült werden; der Urin, der einzeln im
Freien abgesetzt wird, verliert durch Fäulnis und eventuelle Ein¬
wirkung der Sonnenstrahlen seine Infektiosität. Der Bazillen¬
träger bietet daher eigentlich nur eine Gefahr für die Diener¬
schaft, die sein Nachtgeschirr von Urin reinigt.
Weit näher liegt es doch, die vom Krankenbett aus beim
Umbetten verstreuten und an Orten, an welche das Sonnenlicht
nicht gelangen kann, versteckten und später aufgewirbelten Krank¬
heitskeime, so wie die undesinfiziert vergrabenen Typhusstühle
ab Ursache später auftretender Fälle anzusprechen.
Herr Kollege Friedei sagt zum Schluss über von Bazillen¬
trägern abgeschiedenen Keime: „Ohne Zweifel bleiben diese Ba¬
zillen vollvirulent, dafür will ich nur zwei Beispiele aus den
letzten Tagen anführen“. Nun folgen seine zitierten Fälle. Mir
geht aus diesen nur hervor, dass zwei Leute im Dezember
1904 und zwei im Juli und August desselben Jahres ebenfalls
Typhus gehabt haben, sowie dass erfahrungsgemäss anzunehmen
ist, dass diese vier Typhusfälle einen inneren Zusammenhang
haben.
Wir wissen allerdings, dass es Bazillenträger gibt, die nach
überstandenem Typhus noch monate- und jahrelang mit Stuhl und
Urin TyphusbaziUen entleeren. Wir wissen ferner, dass diese
Typhusbazillen bei der Kultur in Wachstum und sonstigen Eigen¬
schaften sich mit den TyphusbaziUen identisch verhalten; ob diese
BazUlen jedoch, die im Körper eines typhusimmunen Menschen er¬
zeugt sind und von ihm ausgeschieden werden, nun auch ohne
Zweifel ebenso infektiös sind, wie die auf der Höhe der Krank¬
heit abgesonderten Bazillen, das steht meines Wissens durchaus
noch nicht fest; wir können es zwar vermuten, aber die Tatsache
onbezweifelt hinsteUen zu wollen, erscheint mir sehr gewagt.
Ein Fall von Epilepsie.
Von Dr. Oehmke, Kreisphysikns in Ballenstedt.
Vor kurzem wurde mir ein FaU von Epilepsie zur Begut¬
achtung fibergeben, der meiner Ansicht nach zur Veröffentlichung
geeignet erscheint.
Es war zur Kenntnis der Polizei gelangt, dass ein 16 jähriger
Handwerkerlehrling mit einem zwölfjährigen Schulmädchen N.
in geschlechtlichen Verkehr getreten war.
Daraufhin vernahm ein Fussjäger die N. und erfuhr, dass
der benachbart wohnende Lehrling sie zum Spielen aufgefordert
hätte, ab die Eltern beider Kinder nicht zu Hause waren. Die
N. will in das Nachbargrundstftck geklettert, in die Stube ge-
42
Dr. Oehmke.
gangen and dort geschlechtlich gebraucht worden sein. Der An-
geschuldigte bestritt bei seiner Vernehmung vor Gericht die ihm
zur Last gelegte Tat, behauptete, dass an dem fraglichen Abend
die Eltern beider Kinder zu Hause gewesen wären und gab an,
dass die N. öfter Sachen erzähle, die nicht wahr wären.
Die gerichtliche Vernehmung der N. ergab:
„Er ging mit mir in die Werkstelle; hier sagte er zu mir, ich sollte
mal das unten zeigen. Ich sagte, nein, das ist so schlecht. Da faßte er selber
hin und packte so eine Hand voll. Dann sind wir in die Stube gegangen, er
setzte sich auf einen Stuhl und nahm mich auf den Schoß. Er knöpfte seine
Hose auf und ein Bein dahin und ein Bein dahin — die Zeugin sagte hierbei:
ich lüge Ihnen nichts vor, ich sage die Wahrheit —, dann hatte er ein Ding
ganz anders wie meins und steckte es bei mir hinein und machte nur immer
so — die Zeugin machte hierbei Bewegungen, als hätte er sie immer an sich
herangedrttckt —, es tat immer weh und lutzelte. Ich sagte zu ihm, das tut
ja so weh. Er erwiderte, ach das tut ja nicht weh. Jetzt ging die Haustttr
auf. Er stand auf, schmiß mich an die Erde. Ich habe solche Dummheiten
mit keinem bis jetzt gemacht und der Junge hat alles allein von Anfang an«
gefangen und weiter ist nichts nachher. Ich habe dies meinen Eltern erzählt
und auch den Kindern in der Stube und weiter gar keinen. Auch dem Arbeiter
B. habe ich es erzählt bei X. Er sagte zu mir, ich sollte noch 6 Pfg. kriegen;
ich bin dann auch so dumm gewesen, und habe es ihm erzählt. B. sagte
dann nachher, Du kannst Dir doch mal die Jacke aufknöpfen, ich will mal
deine Tittchen sehen. Ich erwiderte ihm darauf, wer will mich nachher wieder
zumachen. Er sagte, na, dann macht Dir Marie X. zu. Die Frau X. dreht
es aber wieder anders rum und sagt, ich solle gesagt haben, Marie soll mich
wieder zuknöpfen. Ich habe mir dann die Jacke nicht aufgeknöpft, Marie X.
war hierbei zugegen. B., der auf dem Sofa saß, packte darauf unter meine
Böcke eine ganze Hand voll, als wenn er einen Proppen aufkriegen wollte, und
hat mich richtig dran gefaßt. Marie X. hat dabei immer gelesen und gelacht
und hat zu B. gesagt: Pfui, wie kannst Du denn da hinfassen.weiter
wäre nichts, nun ist das ganze fertig.“
Auf Ersuchen der Staatsanwaltschaft habe ich die N. auf
Defloration oder Vornahme unzüchtiger Handlungen untersucht.
Auf Grund dieser Untersuchung gab ich mein Urteil dahin ab:
„Spuren von Defloration oder Vornahme unzüchtiger Handlungen sind
nicht zu finden. Bei dem übermäßig stark entwickelten Mädchen ist nach An¬
gabe der Mutter schon vor mehreren Monaten die Menstruation eingetreten.
Das Mädchen soll sehr nervös sein, wie die Mutter behauptet. Auffallend ist
das ganze Benehmen des Kindes, der linke Arm zeigt fortwährend veitstanz¬
ähnliche Bewegungen. Eine Prüfung des Geisteszustandes erscheint mir er¬
forderlich.“
Auf die Aussage der N. hin wurde auch das Strafverfahren
gegen B. eingeleitet. Die Vernehmung der Zeugin Marie X. er¬
gab, dass der beschuldigte Arbeiter B. bei seinem Zusammensein
im Laden der X. keine unsittliche Handlung begangen, dass im
Gegenteil die N. ohne Aufforderung die Röcke selbst hochge¬
hoben hatte.
Der Lehrer der N. gab auf Befragen vor Gericht an, dass
die N. geistig nicht ganz normal sei und an epileptischen An¬
fällen leiden solle.
„Dem Unterricht kann sie nicht folgen, bisweilen mußte sie sogar auf-
hOren zu schreiben, vermutlich weil ihre Nerven zu aufgeregt waren. Sie ist
überhaupt im allgemeinen sehr leicht, erregbar, bei der geringsten Gelegenheit
gerät sie in Wut.Merkwürdig ist, daß sie im Bechnen gut ist, während
sie in den übrigen Fächern nichts leistet.“
Ein Fall von Epilepsie.
48
Daraufhin wurde mir der Auftrag erteilt, die N. auf den
Geisteszustand hin zu beobachten und mich hierüber gutachtlich
zu ftussern. Ich habe das Mädchen einmal in ihrer Wohnung
und zweimal in Gegenwart ihrer Mutter in meiner Behausung unter¬
sucht und mich über den festgestellten Befund wie folgt geäussert:
». . . Auf Befragen erklärte die Matter N., daß ihre einzige Tochter im
Alter ron 2*/* Jahren an Krämpfen erkrankt sei and, nachdem sie eine Nacht
lang in Krämpfen gelegen, eine Lähmang der linken Seite gezeigt habe. Das
linke Bein soll 2—3 Monate gelähmt geblieben and dann plötzlich wieder
lenser geworden sein, jedoch maß noch für längere Zeit Schwäche zurück¬
geblieben sein, da das Kind viel hingefallen sein soll. Der linke Arm warde
angeblich immer geschont. Trotzdem ärztlicherseits der Bat erteilt worden
war, das Kind nicht frühzeitig zur Schale za schicken, warde die N. dennoch
mit 6 Jahren in die Schale gegeben, wo sie langsam Fortschritte machte und
van der Matter yiel getadelt and gestraft warde. Seit der Erkrankung an
Krämpfen haben sich immer Anfälle von geringer Intensität, angeblich keine
Krämpfe, eingestellt, die von der Matter so beschrieben werden, daß die N.
mit den Händen zusammenschlägt, dieselben reibt and, nachdem sie gerufen:
es kommt, es kommt, etwa eine Minate lang wirres Zeug redet, die Eltern
x. B. mit Onkel and Tante anraft, dann aber wieder zar Besinnung gelangt
und in Schlaf verfällt. Nervenkrankheiten sollen in der Familie nicht vorge-
kommen sein, irgendwelche Krankheiten, außer der angegebenen, hat die N.
nicht durchgemacht; nur ein Unfall (Hafschlag) wird beiläufig erwähnt. Die
Menstruation besteht seit 1 */* Jahren. Die Matter betont, daß ihre Tochter
stets wahrheitsliebend gewesen sei. Der Leomond der Eltern der N. and des
Beschuldigten ist vorzüglich.
Die N. beschreibt ihre Anfälle: es reißt nach links im Kopfe, ich be¬
komme ein Gefühl, als ob eine Maos vom Magen bis zum Halse heraufläuft,
dann stellt sich ,Flappern 1 vor den Angen ein und dann sehe ich grünes Licht
and ich maß immer so hindurchkucken (dabei wird der Kopf ganz nach links
gedreht), danach muß ich schlafen eine halbe Stande; in der Schale stütze ich
dabei den Kopf auf den Schaltisch. Ich weiß nachher nicht, was während der
Zeit vorgefallen ist.
Die körperliche Untersuchung ergibt nichts Abnormes bis auf die Arm-
zocknngen. Nach Angabe der Matter soll die N. in der Schale leidlich fort-
kommen, das Bechnen ihr keine Schwierigkeiten machen, so daß sie sogar im
Laden selbstständig beschäftigt werden könne.
Während der Unterhaltung am 11. August sah die N. starr seitwärts
and ging zunächst nicht auf die Fragen ein. So besann sie sich nicht einmal,
daß ich sie schon am 9. Juli in meiner Wohnung untersacht hatte. Ueber das
Datum (11. August) ist sie orientiert. Die vorgelegten Bechenaofgaben
beantwortete sie wie folgt: 12 X 10 = 82, 10 X 10 = 20, 6 X 7 = 42,
66 Pf. X 2 = 1,80 Mark; die Hälfte von 1,50 Mark wußte sie nicht.
Am 22. August kann sie dagegen das Datum erst nach langem Besinnen
uneben, eine Bahnfahrkarte (von ihrem Heimatsorte nach Ballenstedt) nicht
richtig erklären, einfache Geldsummen nicht zusammenzählen, trotzdem sie
jedes einzelne Geldstück kennt. Der linke Arm bewegt sich immerfort, beim
Aasstrecken tritt Zittern der häafig in Beagestellang gehenden Hand ein.
Benagen von kleinen Gedichten geschieht ganz mechanisch, Erklären von ein¬
fachsten Begriffen ist nur schwer möglich. Ein Schulheft zeigt, in welcher
Verfassung sich die N. nach einem Anfall befindet; vor dem Niederschreiben
der wirren und unleserlichen Zeilen hat wahrscheinlich ein Anfall stattgefunden.
Auf Befragen erklärt die N. mit Bestimmtheit, kurz vor dem Besuch
in der Werkstelle keinen Anfall gehabt za haben.*
Nach der Untersuchung sind demnach an krankhaften Ver-
iaderangen vorhanden: anra,Z wangsbewegnngen, Bewusst¬
seinstrübung nnd Schlafsucht; es handelt sich also
am Epilepsie.
Die Anssage der N. vor Gericht macht einen sehr merk-
44
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
würdigen Eindruck. Mir gegenüber wurde der Vorgang ähnlich
geschildert, jedoch ohne die Zusätze: „ich lüge Ihnen nichts vor*
und „weiter ist nichts nachher usw.“
Nach Ho che ist das Verhalten der Epileptiker sehr ver¬
schieden, je nachdem die Beziehungen zwischen Vorstellen und
Selbstbewusstsein mehr oder minder gestört sind, eine mehr oder
weniger erhebliche Verwirrtheit besteht, Wahnvorstellungen,
Sinnestäuschungen, Affekte, triebartige Impulse das Handeln be¬
einflussen, Gedankenrichtungen und Motive des normalen Zustandes
in den Dämmerzustand hineinspielen. . . .
Ein körperlich übermässig entwickeltes Mädchen von 12
Jahren, das den Eindruck einer 15jährigen, kräftigen Person
macht, leidet seit frühester Jugend an abortiver Epilepsie; ihr
Benehmen ist so, dass man nach den Zeugenaussagen sexuelle
Erregung annehmen muss, die möglicherweise nach Eintritt der
Menstruation eine Steigerung erfahren hat. Zwischen der Familie
N. und der des Beschuldigten herrschte nachbarlicher Verkehr;
da die Kinder häufig zusammen spielten, so ist die Vermutung
naheliegend, dass, im Anschluss an ein Spiel bei der sexuell er¬
regten N. in einem Zustande von getrübtem Bewusstsein eine
Sinnestäuschung sich einstellte und von der krankhaften Person
in den wachen Zustand als etwas Erlebtes hiuübergenommen ist.
Dabei braucht durchaus nicht Mangel au Wahrheitsliebe vorzu¬
liegen, viel eher ist anzunehmen, dass die N. ihre Traumgebilde
ganz wahrheitsgetreu wiedergibt. In Einklang mit einer solchen
Annahme steht auch der am 9. Juli im Gutachten niedergelegte
Befund, dass Spuren von Defloration oder Vornahme unzüchtiger
Handlungen nicht zu finden sind.
Mein Gutachten lautete demgemäss dahin: „Die N. leidet an
Epilepsie; es ist nicht ausgeschlossen, dass die gegen den Lehr¬
ling gerichtete Anschuldigung ein Phautasiegebilde der N. ist.“ —
Daraufhin wurde das Strafverfahren gegen beide Beschuldigte
eingestellt.
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
A. Gerichtliche Medizin und Psychiatrie.
Ueber Atropin Vergiftung« Von Dr. Benno Holz in Berlin. Berliner
klin. Wochenschr.; 1904, Nr. 46.
Ein 7 jähriges Mädchen hatte Abends 9 Uhr aus Versehen einen Tee¬
löffel einer Lösung Atropin 0,1, Aq. dest. 10,0 eingenommen. Nachts 11 Uhr
Unruhe, die sich lebhaft steigerte, Nachts 2 J /2 Uhr größte Unruhe, das Kind
schrie laut, sprang im Bette hin und her, schlug und biß um sich, zerriß und
zerbiß in seiner Wut das Oberbett, so daß die Federn umherflogen. Pupillen
ad maximum erweitert, Haut hochrot, trocken und heiß, Leib stark meteoristisch
aufgetrieben, lebhaft gesteigerte, fliegende Inspiration. Zwei Dosen Morphium
& 0,005 gr subkutan in Zwischenräumen von 4 Stunden hatten vortreffliche
Wirkung. Gegen den starken Meteorismus Ableitungen durch Magensonde,
Anregung der Darmperistaltik durch Essigklystiere. Schon am nächsten Vor¬
mittag erfreute sich das Kind eines gesunden Schlafes; es trat völlige Heilung
•iü. Dr. B äu be r-Düsseldorf.
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften. 45
Untersuchungen zur Kohlonoxydvergiftung. Von Dr. Fr. S t r a ß m a n n
und Dr. A. Schulz. Berliner klin. Wochenschr.; 190», Nr. 48.
Die Frage, ob der Tod eines Menschen durch Einatmen von Kohlenoxyd
erfolgt ist oder ob erst die Leiche des Verstorbenen in die Kohlenoxydat-
mosphäre gelangte, wird häufig aufgeworfen, wenn bei verbrannt gefundenen
Leichen der Verdacht sich erhebt, daß die Verstorbenen das Opfer eines Ver¬
brechens geworden sind, dessen Spuren der Täter in den Flammen zu ver¬
nichten versuchte. Bis vor kurzem galt noch der Befund von CO im Blut als
unumstößlicher Beweis dafür, daß CO zu Lebzeiten durch die Lungen eingc-
drnngen sei. Nach neueren Versuchen von Wachholz, Lemberger u. a.
dringt jedoch CO nicht nur aus reiner CO atmosphäre, sondern auch aus
einem Gemisch von CO mit Luft und aus reiner Kohlendunstatmosphärc
durch die Hautdecken hindurch in die Leichen ein. Bei diesem Diffusions¬
vorgang ist das Gas in den peripherischen Abschnitten am reichlichsten
und frischesten enthalten und nimmt nach den Innern der Leiche hier an
Menge ab. Verfasser benutzten zu ihren Versuchen Leuchtgas, nach dessen
Einwirkung CO im Blut nachgewiesen werden konnte, doch sind die Befunde
am so undeutlicher und flüchtiger, je länger nach dem Tode das CO eindringt,
Einen Beweis für Eindringen des CO nach dem Tode liefert der Farbcnkon-
kontrast zwischen dem an der Oberfläche liegenden und dem darunter gelegenen
an CO armen Muskclhämoglobin, besonders der Brustmuskulatur (außen hell¬
rot, innen braunrot). Eine ungleiche Verteilung des CO in dieser Art ist bei
einer Vergiftung unmöglich. Ferner wird bei verbrannten Leichen mangels
sonstiger Befunde die Quantität des CO im Gefäßblute entscheidend sein. Die
spektroskopische Probe, die erst bei 25°/o einen Ausschlag gibt, versagte bei
den Versuchen an Leichen; die chemischen Farbenreaktiont», die im allge¬
meinen noch 5°/oigcs CO erkennen lassen, fielen unsicher aus, nur die Palla-
diumprobe fiel meistens positiv aus. Der COgehalt des Gefiißblutcs ist sonach
nicht ein absolut sicheres Zeichen der vitalen Vergiftung, wohl aber ein Zeichen,
das bei verständiger Erwägung der Verhältnisse in den meisten Fällen zu einem
bestimmten Gutachten führen wird. Hat eine Leiche nicht allzulang in einer
Bauchatmosphäre geweilt und läßt sich in ihrem innerhalb unversehrten Gefiiß-
abschnitte befindlichen Blntc CO mit aller Deutlichkeit spektroskopisch
nachweisen, so spricht dieser Befund gegen eine Diffusion und für eine Ver¬
giftung. Dr. Räuber -Düsseldorf.
Ueber die Rolle der Peroxydase bei den mit dem Blute erhaltenen
Farbenreaktionen. Von J. Moitessier. Comptcs rendus de la soc. de biol.;
1904, LVH, S. 373.
Bekannt ist die klassische Reaktion auch sehr verdünnter Blutösungen
mit alkoholischer Guajakh&rzlösnng und sauerstoffhaltigem Wasser oder altem
Terpentinöl. Aehnliche Reaktionen erhielten jüngst 0. und R. Adler, wenn
sie das Guajakharz durch andere organische Substanzen ersetzen; mit Benzidin
and Protokatechusäure ist die Reaktion sehr empfindlich and gestattet Blut in
einer Verdünnung von 1 :100000 nachzuweisen. In einer Besprechung der
Arbeit von 0. und R. Adler gab G. Bertrand seine Ansicht dahin kund,
daß alle diese und verwandte Farbenreaktionen des Blutes auf Anwesenheit
von Peroxydase 1 ) im Blute zurückzuführen seien. Der Autor weist dagegen
nach, daß die Peroxydase in den roten Blutkörperchen bei den fraglichen Re¬
aktionen keine Rolle spielt oder nur nebensächlicher Art ist. So geben ge¬
kochte Blntlösungen noch die typische Guajakreaktion. Die Reaktion ist aus¬
schließlich auf das Haemoglobin oder vielmehr das Haematin zurückzuführen.
Entzieht man den Blntlösungen durch Zusatz von Ca Fl» zu lackfarbencm
Blute die Peroxydase, so geben sie dieselben Farbenreaktionen mit demselben
Grade der Empfindlichkeit wie unveränderte Lösungen von Blut.
Umgekehrt verhält sich die Sache mit dem Eiter. Auch er gibt mit
Guajak und mit Benzidin Farbenreaktionen, wie sie das Blut gibt; aber die
Peroxydase der Eiterkörperchen ist der Träger, das Agens der Reaktion. Läßt
*) Unter Peroxydase (Linossier), indirekte Oxydasen (Bourquelot)
versteht man solche Fermente, die nur unter dem Einflüsse von Hyperoxyden
oxydierend wirken.
46
Kleinere Mitteilangen und Referate ans Zeitschriften.
man nämlich vorher auf dem Eiter eine hohe Temperatur einwirken, so ist die
Reaktion nahezu oder vollständig aufgehoben; tritt sie in schwachem Maßstabe
dennoch ein, so ist die Beimengung roter Blutkörperchen die Ursache. — Der
Nachweis von Haemoglobin bei gleichzeitigem Vorkommen von Eiter ist daher
leicht; man hat Guajaktinktur oder Benzidin nur den gekochten Lösungen
zuzusetzen. Dr. M a y e r - Simmern.
Meth&moglobinisirende Wirkung der Tannine. Von CL Gautier
und M. Cordier (Lyon). Comptes rendus soc. biol.; LVII, 1904, S. 432.
Die Autoren untersuchten die Einwirkung von Tanninen auf Hämoglobin,
welches sie aus Blut verschiedener Abkunft (Meerschweinchen, Kanarienvogel,
Frosch) gewonnen hatten, mit dom Spektroskop.
Versetzt man 10 ccm Hämoglobinlösung mit einer etwa gleichen Menge
*/», */» oder 1 promilliger Tanninlösung, so erhält man das charakteristische
Spektrum des sauren Methämoglobins. Nach Znsatz von Natronlauge
oder Ammoniak verschwindet der Streifen im Rot; während dieser, falls es
sich um Hämatin handelte, bleiben würde.
Methämoglobin entsteht, wie bekannt, bei Anwesenheit stark oxydierender
Körper, wie R Mn 0 4, Ozon, Chromsäure, ferner von Körpern die 0 energisch
absorbieren, wie naszierender H., Pyrogallussäure. Bei Einwirkung von Tannin
auf Hämoglobin braucht sich diese letztere Substanz nicht erst zu bilden, wenn
Methämoglobin entstehen soll. Dr. May er-Simmern.
Pathogerae des Arterienatheroms und Thyrotdektomie. Aus dem
Laboratorium dü Prof. Landonzy. Von L. Lortat-Jacob und G. Sabn-
reanu. Comptes rendus soc. biol.; LVII, 1904, S. 444.
Wie Jahrgang 1904, S. 16 dieser Zeitschrift mitgcteilt ist, hat Josufe
nachgewiesen, daß nach intravenösen Injektionen kleiner Dosen Adrenalin
an der Innenwand der Aorta von Kaninchen sich Veränderungen ausbilden,
die den typischen Charakter der atheromatösen und cndarteriitischen Affektionen
aufweisen. In der Intima fanden sich Kalkplatten von harter Konsistenz und
mit scharfen Rändern. In einem Falle entstand ein Aneurysma.
Die Autoren bestätigen diese Versuche. Es gelang ihnen neben Ver¬
änderung der Aortenwand auch Hypertrophie und Dilatation des 1. Ventrikels
zu erzielen.
Hatten sie dagegen dem Thiere vorher das Corpus thyreoideum abge¬
tragen, so haben Adrenalininjektionen die geschilderte Wirkung auf die Aorta
nicht, im Gegenteil, die Innenwand bleibt glatt, glänzend, wie in der Norm.
Die Sekretion der Schilddrüse scheint daher bei der Entstehung der Arterien¬
wandveränderung von grosser Bedeutung zu sein.
Interessant ist übrigens, daß in einem Fall trotz vorheriger Abtragung
der Thyroidea nach Adrenalininjektion ein Aneurysma dissecans der
Aorta, allerdings ohne Kalkablagerung der Innenwand, auftrat. Die Ränder
des Spaltes der Intima waren scharf, regelmäßig; das Blut hatte sich einen
Weg unter die äußeren Häute gebahnt. Diese waren durch Gerinnsel von
einander getrennt. Dr. Mayer-Srmmern.
Ein sicheres Zeichen des eingetretenen Todes: Die saure Reaktion
bestimmter Eingeweide, besonders von Leber und Milz. Von B risse-
moret und Am bar d. Aus den Laboratorien des Prof. Pouch et und des
Dr. Le Noir. Comptes rendus soc. de biol.; 1904, LVII., Nr. 33.
Da Leber und Milz beim Lebenden alkalische Reaktion haben, nach
dem Tode aber in progressiver Stärke sauer reagieren, so hielten die Ver¬
fasser diese sauere Reaktion für ein wertvolles Zeichen des eingetretenen
Todes, weil sie schnell nach dem Tode auftritt, vollständig konstant ist und
sich leicht nachweisen läßt. Man bedarf zur Ausführung nur des blauen Lak-
muspapiers und einer mit einer 7—8 cm langen Nadel versehenen Operations¬
spritze. Man stößt die Nadel in die Leber oder die Milz ein und saugt ein
Stückchen des Organs dabei an. Dabei tritt immer etwas Blut mit in die
Nadel ein. Waren schon mehrere Stunden nach dem Tode verflossen, so gibt
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
47
man Gewebsstückchen und Slnt auf das Lakmnspapier. Dieses zeigt sofort
die charakteristische Rosafärbung auf seiner unteren Fläche.
War der Tod vor noch nicht 2 Standen eingetreten, so würde die alka¬
lische Reaktion des Blutes dio sauere des Organstückchens maskieren. Man
läßt daher das Blut sich in das Lakmnspapier imbibieren, gibt das blntleer
gewordene Gewebsstückchen auf anderes Reagenspapier und wird alsdann hier
kleine Fleckchen von lebhafter Rotfärbung sehen.
Nach dieser Methode prüften die Autoren zunächst an Tieren die saure
Reaktion der großen Uuterleibsorgane. Dieselbe trat bei 12 Meerschweinchen,
die durch Strangulation getütet waren, 15 Minuten nach dem Aufhören der
Atmung auf, bei 2 Kaninchen 20 Minuten, bei drei Hunden 80—86 Minuten
nach dem Tode. Auch wenn dem Tode ein 9—18 tägiges Fasten voraufgegangen
war, war die Azidität noch deutlich.
Beim Menschen sind intra vitam Leber and Milz von alkalischer Reak¬
tion. Unter den oben besprochenen Vorsichtsmaßregeln läßt sich auch beim
Menschen eine halbe Stunde nach Eintritt des Todes die saure Reaktion eben
nachweisen; sie ist nach zwei Stunden sehr deutlich, nach 24 Stunden von
äußerst intensiver Stärke. In 9 Fällen (Magenkrebs, Hirnblutung, Lungen¬
tuberkulose, Uraemie, puerperale Septicämie) konnten sich die Verfasser von
dem Gesagten überzeugen. An der Leber eines Mannes, der an Strychninver¬
giftung gestorben war, bestand noch 6 Monate p. m. beträchtliche saure Re¬
aktion. _ Dr. Mayer-Simmern.
B. Bakteriologie, Infektionskrankheiten und öffentliches
Sanitätswesen.
Embolia der Arterla mesenterica snperlor im Puerperium. Von
Frauenarzt Dr. Cramer in Bonn. Münch, med. Wochenschrift; 1904, Nr. 46.
Verf. berichtet über eine seltene Ursache plötzlichen Todes im Wochen¬
bett bei einer 22jährigen Ipcra, welche am zwölften Tage nach geringen
Prodomalerscheinungen (Magendarmsymptome, Brechgefühl, leichte Tempera-
tursteigerung, dünne Stühle, Verhalten von Stuhl und Flatus zuletzt) plötzlich
kollebierte. Die sofort vorgenommene Operation ergab ein ganz überraschendes
Bild: graugrüne und blaurote Verfärbung der DünniarmscUingen, Verklebung
derselben durch dick eitrig fibrinöse Beläge, Umspülung durch fäkulent riechende,
blutigtrübe Flüssigkeit. Die Darmwand riß ein „wie Zander“. Wahrend
der Operation exitus letalis. Die Darmgangrän hatte etwa 2 /a des Dünndarmes
betroffen und war offenbar durch eine plötzlich einsetzende Ernährungsstörung
der Darm wand verursacht, welche sich nur durch eine Verstopfung im Gebiete
der Mesenterialgefäße erklären läßt. Wie eine schematische Skizze zeigt, ist
sehr wahrscheinlich durch einen Embolus die Passage für die unterhalb der
Art. colica dextra abgehenden Arterien, welche den unteren Teil des Dünn¬
darms versehen, plötzlich verlegt und dadarch die Darmgangrän verursacht
worden. Der Verf. verweist des weiteren auf das klinische Bild, wie es von
Kußmaul, Gerhard u. a. schon beschrieben wurde und eine größere zu-
sammenfassende Arbeit von D e c k a r t (Grenzgebiete der Med. n. Chir. Bd. 6).
Wo die Ursache für den Embolus zu suchen war, ließ sich (da Herzsektion nicht
gemacht wurde) nicht eruieren; nach Verf. möglicherweise Endocarditis mit
warzenartigen Auflagerungen auf den Klappen oder ein Venenthrombus, welcher
durch ein offenes Foramen ovale in das arterielle Gefäßsystem verschleppt
wurde. Bei der Seltenheit der Spontanheilung und den geringen therapeutischen
Mitteln, die zur Verfügung stehen, hält der Verfasser die Operation für
berechtigt, zumal der in den meisten Fällen vorhandene Ileus dazu drängt.
Prof. Dr. Walther- Gießen.
Lassen sieh Infektionen mit tödlichem Ausgange in Entbindungs¬
anstalten) die dem Lehrzwecke dienen, verhüten! Von Geh. Medizinalrat
Prof. Dr. Ahlfeld. Zentralblatt für Gynäkologie; 1904, Nr. 33.
Die Ahlfeld sehe Lehre von der Möglichkeit der Selbstinfektion ist
neuerdings von zwei Forschern bestätigt worden. Bumm fand, daß wahr¬
scheinlich in jeder Vagina Streptokokken anzutreffen sind; Zweifel vertrat
jüngst die Lehre von der Spontanimigration der Scheidcnkeimo in die am
48
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
Cervix liegenden Blutgerinnsel, und hält eine Entstehung von Wochenbett-
fieber anf diese Weise für möglich. Ahlfeld verwirft entschieden die ans
der Zweifelschen Lehre hergeleiteten and von Z. angewandten Maßnahmne
zur Verhütung des Wochenbettfiebers durch Wegtupfen der in der Scheide
liegenden Gerinnsel.
Von mancher Seite wurde aus der Ahlfeld sehen Lehre von der Selbst-
infektion als notwendige Folge hergeleitet, daß dadurch die Handhabung der
Dcsinfektionsmaßregeln die erforderliche Sorgfalt einbüßen müsse. Als Gegen¬
beweis führt A. an, daß jetzt, beim Abschluß von 7000 Geburten in der Mar-
burgor Anstalt, bei denen ca. 50000 innerliche Untersuchungen zum Teil von
ungeübten Händen ausgeführt wurden, bei unkomplizierter, spontan erfolgender
Geburt nicht ein einziger Fall von letal endender, septischer Erkrankung vor¬
gekommen ist. (Der einzige im Anschluß an eine normale Geburt vorge¬
kommene septische Todesfall war auf eine Infektion durch Selbsttouchieren
zurückzuführen.)
Die Resultate Ahlfelds erscheinen in besonders günstigem Lichte,
wenn man berücksichtigt, daß in Marburg die Praktikanten unter allen Um¬
ständen ohne Karenzzeit Geburten übernehmen dürfen, selbst wenn sie das
pathologische Institut besuchen. Auch die infizierten Fälle werden keineswegs
von der Untersuchung ausgeschlossen.
Seine vorzüglichen Resultate führt Ahlfeld hauptsächlich auf die von
ihm angegebene Methode der Händedesinfektion zurück.
_Dr. Dohrn-Cassel.
Ueber Serumbehandlung beim Puerperalfieber. Nach einem am
15. Juni 1904 in der Berliner med. Gesellschaft gehaltenen Vortrag. Von
Dr. E. Bumm. Berliner klin. Wochenschrift; 1904, Nr. 44.
Aus den Versuchen, die Verfasser im Laufe von 10 Jahren bei 67 Fällen
von Puerperalfieber mit Antistreptokokkenserum von M.armorck, Merk,
Tavel, Menzer, Aronson anstellte, hat sich erwiesen, daß cs bis heute
kein Serum gibt, welches auf krankhafte Veränderungen der Gewebe, die bei
der Ausbreitung der Streptokokken-Infektion über die ursprüngliche Eintritts¬
pforte hinaus entstanden sind, einen klinisch nachweisbaren Einfluß ausübt.
Wo also bereits puerperale allgemeine Peritonitis, parametrane Pflegmone,
Pyämie, Endocarditis, septische Pneumonie, Gelenkvereiterungen usw. ent¬
standen sind, ist die Anwendung des Antistreptokokkenserums unwirksam und
nutzlos. Dagegen vermag in allen jenen Fällen, wo die Streptokokken noch
nicht über die Eingangspforte am Endometrium hinansgclangt sind oder doch
nur, ohne Läsionen und Ansicdelungsherde in den Organen zu machen, ver¬
einzelt im Blute kreisen, das Serum die Ucberwindung der Infektion wirksam
zu unterstützen; seine Anwendung ist deshalb in diesen Fällen zu empfehlen.
Die Aussichten sind um so besser, je frühzeitiger cs nach der Infektion ein¬
verleibt wird. Diese frühzeitigen subkutanen Infektionen könuen 60 ccm und
mehr, event. 2—3 Tage hintereinander, betragen. Auch sofort nach schweren
Entbindungen, Plazentarlösungen, Zersetzung des Fruchtwassers und Fieber
intra partum dürfte es gerechtfertigt sein, kräftige Dosen prophylaktisch zu
verabreichen. Diejenigen Sera sind zu bevorzugen, welche durch Streptokokken
gewonnen sind, die direkt von septisch infizierten Menschen stammen.
Bei dieser Heilung der Streptokokken - Endometritis findet eine plötzlich
auftretende, der „Crise phagocytaire“ Bordets völlig entsprechende Aufnahme
der Streptokokken durch die Leukozyten statt. Das dünne serös - eitrige
Lochialsekret enthält zahlreiche Streptokokken, welche oft in vielgliedrigen
Ketten frei zwischen den Zellen liegen; das Herannahen der Besserung wird
angedeutet durch ein vermehrtes Auftreten von polynuklären Leukozyten; das
vorher seröse Wundsekret gewinnt mehr eitrigen Charakter. Sobald es zur
Lokalisation des Infektionsprozesses kommt, weist das Sekret in großer Anzahl
mit Kokken verhüllte Leukozyten auf.
Abgesehen von anderen dnreh das Serum günstig beeinflußten Fällen
konnte Verfasser in 4 Fällen nachweisen, daß die Phagozytose, die trotz hohen
Fiebers mehrere Tage lang nicht eingetreten war, 12 Stunden nach der Serum-
iujektion sich energisch einstellte. In diesem raschen Auftreten kokkcnhaltiger
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
49
Leukozyten nach der Injektion erblickt Verfasser einen positiven Beweis für
die Wirksamkeit des Serams bei septischer Endometritis.
Dr. Räuber-Köslin.
Ueber die Gefahren der Snblimatanwendong in der Geburtshilfe.
Von Dr. To ff in Braila, Rumänien. Münchener medizinische Wochenschrift;
1904, Nr. 49.
Trotzdem schon öfters auf die besondere Giftigkeit der Sublimataus¬
spülungen in geburtshilflichen Fällen hingewiesen wurde, wird das Mittel doch
noch sehr viel und ohne die nötige Vorsicht sowohl von Aerzten, als auch von
Hebammen angewendet. Demgegenüber muß immer wieder hervorgehoben
werden, daß Sublimat selbst in sehr verdünnten Lösungen ein
tückisches Gift ist und oft ernste Gesundheitsstörungen bewirken kann,
die tun so ernster ausfallen, als dieselben meist verkannt und folg¬
lich auch nicht entsprechend behandelt werden. Nicht immer
sind Salivation und Veränderungen des Zahnfleisches die ersten Quecksilber¬
vergiftungssymptome, sondern sehr häufig Erscheinungen von Darm- und
Nierenreizung. Die Darmreizung ergibt sich meistens zu erkennen durch
diarrhüische Stuhlenilcerungen, heftige Koliken etc. Bei der durch Quecksilber
verursachten Nierenreizung ist fast immer Fieber vorhanden mit mehr oder
weniger Eiweißabsonderung, Verminderung der Gesamtmenge des Harns, Er¬
höhung de3 spez. Gewichtes, zahlreichen weißen, spärlichen, roten Zellen,
selten Zylindern.
Verfasser berichtet über einen Fall, wo eine Frau 2 Wochen nach einem
Abortus starb und der behandelnde Arzt verhaftet wurde, da man ihn be¬
schuldigte, durch Sondierung die Fehlgeburt und Infektion herbeigefübrt zu
haben, während darch Autopsie und chemische Untersuchung erwiesen wurde,
daß es sich um eine Quecksilber- bezw. Sublimatvergiftung gehandelt hatte.
Auch hier hatten sich Veränderungen an der Mundschleimhaut erst spät, einen
oder zwei Tage vor dem Tode entwickelt. Zum Schlüsse bemerkt Verfasser,
daß schon Lösungen von 1 : 4000 ernste Erscheinungen hervorrufen können und
gibt deshalb den Rat, Sublimat nur in sehr verdünnten Lösungen, etwa 1 : 6000
bis 10000 anzuwenden und vorsichtshalber noch eine Spülung mit physiologi¬
scher Kochsalzlösung nachfolgen zu lassen. Bei bereits bestehenden Darm¬
erkrankungen soll Sublimat nicht an gewendet werden.
Dr. Wai bol -Kempten.
Veber die Angenentxflndung der Neugeborenen* Von Dr. Heß.
Medizin. Klinik; 1904, Nr. 3.
In einem, in der Fränkischen Gesellschaft für Gebnrtshilfe gehaltenen
Vortrag bespricht Heß (der bekannte Leiter der Universitätsaugenklinik zu
Würzburg) diese, für die Praxis so eminent wichtige Frage. Ausgehend von
der Tatsache, daß noch ein erschreckend großer Prozentsatz von Erblindungen
(20—25°/ 0 der Blindenanstalten) durch die Blennorrhoea neonatorum verur¬
sacht wird, stellt er zunächst fest, daß nicht für alle Fälle der Gonococcus,
sondern auch andere Keime zu beschuldigen sind. Die erste Frage, ob
dran durch die Credeisierung geschadet wird, beantwortet er dahin, daß nach
der Ansicht der neuesten Antoren dies nicht der Fall ist, vorausgesetzt, daß
die Einträufelung der 2proz. Argentum nitricum - Lösung vorsichtig und vor¬
schriftsmäßig geschieht. Von 19 Frauenkliniken wird in 17 stets credäisiert.
einige verwenden auch die lproz. Argentum nitricum-Lösung, die Heß
als Prophylaktikum gelten läßt. Nach seiner Ansicht bat die Freigabe
der Einträufelung in der Hebammenpraxis, zumal man noch schwierigere
technische Fertigkeiten von der Hebamme verlangt, keine Bedenken. Er ist
für eine obligatorische Einführung der Einträufelung, verwirft dagegen die
fakultative Credeisierung, da Hebammen nicht entscheiden können, welcher Fall
verdächtig ist, und auch Infektion beobachtet wurde, ohne daß verdächtiger
Ausfluß vorhanden gewesen war. Die Credeisierung bildet nur ein Schutz¬
mittel gegen das Auftreten der Blennorrhoe, aber kein absolut sicheres Mittel
zur Verhütung. Man muß die Hebammen aufmerksam machen, die Augen die
folgenden Tage noch zu beobachten, um bei verdächtigen entzündlichen Er¬
scheinungen sofort den Arzt za rufen. (Referent hat als Hcbammcnlchrcr in
diesem Sinne die Hebammen unterrichtet, da in Hessen die Credöisierang in
50
Besprechungen.
der Praxis noch nicht obligatorisch cingefiihit ist.) Neben der Crcd^isierung
hält Heß die Anzeigepflicht für Blcnnorrhoefälle für unbedingt erforderlich
(eine Forderung, die wohl jeder zugeben muß. lief.). Unter den, für etwa
eingctrctcnc Blennorrhoe zu treffenden Maßnahmen seien hervorgehoben: gründ¬
liche Peinigung des Auges durch häufige, mechanische Entfernung des Eiters
vermittelst Durchspülen des Bindehautsackes; dies ist erheblich besser als die
noch im Unterricht empfohlenen feuchten Umschläge, da sich unter der Wärme¬
wirkung derselben gerade der Prozeß rascher ausbreiten kann. Die Reinigung
hat alle l J* Stunde zu geschehen. Dazu kommen Pinselungen mit 2 prozentiger
Argentum nitricum-Lösung, die wochenlang fortzusetzen sind, da bei schein¬
barer Besserung noch Rezidive nach Wochen beobachtet sind. Argentum nitri¬
cum übertrifift auch hier alle anderen Mittel, so auch das Protargol. Bei ein¬
seitiger Erkrankung muß das gesunde Auge mit behandelt werden. Heß
schließt seinen interessanten Vortrag mit den Worten: „Wir müssen es
erreichen, daß kein Kind mehr an Blennorrhoe erblindet.“
Prof. Walther -Gießen.
Augentropfgliiser. Von Dr. Blokusewski-Nicderbrcisig. Klinische
Monatsblätter für Augenheilkunde; Märzbeft 1904.
Bei der Beschallung der Augentropfgläser für die
neuen Hebammentaschen dürfte sich besonders das
nach Dr. Blokusewskis Anweisung hcrgestelltc
Augentropfglas „Phoenix“ empfehlen, das, wie aus bei¬
stehender Zeichnung ersichtlich ist, folgende Vorteile hat:
Die Höllcnsreinlösung gelangt niemals an den Gummi,
denn sogar beim Umkchrcn der eingeschliffenen Pipette
fließen die aufgesangten Tropfen in die Winkel (a) zwischen
Trichter und Glaswand.
Die breite, glatte Druckfliiche gestattet ein Hin¬
stellen der Pipette, wodurch eine Verunreinigung der
Spitze durch die Unterlage vermieden wird.
Der Verbrauch ist sparsam, da infolge des Trichters
jedesmal nur 2—8 Tropfen aufgezogen werden können.
Die allgemeine Handhabung ist bequem und sicher.
Der Preis der 5 ccm enthaltenden Fläschchens beträgt in
Apotheken 0,40, mit Papphülse 0,45 M., ist also ein ver¬
hältnismäßig billiger. Weitere Auskunft erteilt die Firma
Gebrüder Bandekow-Berlin S. W. 61. Rpd.
Besprechungen.
Dr. D. Rapmund, Keg.- u. Ueb. Med.-Rat in Minden i. W.: Kalender
für Medizinalbeamte. IV. Jahrgang. Berlin 1905. Fischers medi-
dizinische Buchhandlung, H. Kornfeld. Ausgabe A (für die preußischen
Medizinalbcaraten) mit Beiheft Preis: 3,50 Mark. Ausgabe B (für die
übrigen deutschen Medizinalbeamten) Preis: 3 Mark.
Soeben ist der IV 7 . Jahrgang des Kalenders erschienen, etwas später als
sonst, aber um so vollständiger. Alle Abschnitte sind sorgfältig durchgearbeitet
und haben äußerst wertvolle Ergänzungen erfahren.
Im Kalender selbst ist vor allen Dingen das Reichsseuchengesetz
unter Zugrundelegung aller bisher erlassenen Ausführungsbestimmungen in
ausführlicher Weise kommentiert, z. T. sind die Ausführungsbestimmungen
vollständig wiedergegeben; dasselbe gilt betreffs der Grundsätze für die
Bekämpfung des Typhus, was um so wertvoller ist, als gerade der
Unterleibstyphus den Modizinalbcamten am meisten in Anspruch nimmt. Der
Kalender bietet somit für die wichtigste Tätigkeit des Kreisarztes, für die
Seuchenbekämpfung, den sichersten Ratgeber.
Aber auch sonst ist sein Inhalt vielfach vervollständigt worden. So
bringt er unter den Bestimmungen über Atteste die besonderen For¬
derungen, welche an Personen zu stellen sind, die sich zum Dienst in den
tropischen Schutzgebieten melden. Die Gutachtenfassung im
Entmündigungsverfahren ist ausführlicher behandelt, den Formularen
Besprechungen.
51
ist ein Master für die Besichtigung zentraler Wasserleitungen
beigefügt worden, kurz, cs dürften alle Wünsche erfüllt sein, die in dieser
Hinsicht gestellt werden konnten. Sogar in Kleinigkeiten bemerkt man das
Verständnis für die täglichen Ansprüche, so sind z. B. jetzt am Schluß des
Terminskalenders 14 statt 2 Seiten zu sonstigen Notizen beigefügt.
Auch das Beiheft hat wichtige Erweiterungen erfahren. Es bringt beson¬
ders die neue Todesursachen-Statistik und für die preußischen Medi¬
zinalbeamten die neuen Bestimmungen über Benutzung der Klein- und
Straßenbahnen. Die Personalien der bayerischen Medizinal¬
beamten sind durch diejenigen der bezirksärztlichen Stellvertreter vervoll¬
ständigt; bei den preußischen Kreisärzten sind die v ollbesold e ten
Steilen durch fetten Druck kenntlich gemacht.
Form und Ausstattung des bequemen Taschenbuches sind die¬
selben geblieben. Sein Inhalt ist so vollständig, daß der Kalender nicht nur
für die staatlichen Medizinalbeamten, sondern auch für alle diejenigen Aerztc
von größter Bedeutung geworden ist, welche im Dienste von Gemeinwesen
stehen oder sonst ein Interesse an den sanitätspoiizcilichen Vorschriften haben.
Dr. Fielitz-Hnlle a. S.
Dr. mad. Carl Balaalg - Hamburg: Da» Amtliche Hausbuch für Ge¬
sunde und Kranke. Mit 4S0 Abbildungen und 27 meist farbigen Tafeln.
Leipzig 1901. Verlag von F. C. W. VogoL Gr. 8°, 992 S. Im eleganten
Einband Preis: 15 Mk.
Es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß das Kurpfuschertum unserem
medizinisch nicht aufgeklärten Pnblikum seinen größten Zulauf verdankt. Dies
haben gerade in letzter Zeit die vor dem Forum der öffentlichen Gerichto ver¬
handelten Prozesse gegen die Kurpfuscher par exccllcnce bewiesen. Es ist
daher unter den obwaltenden Verhältnissen und beim Fehlen eines staatlichen
Kurpfuschereiverbotes Pflicht aller Einsichtigen, gegen das Kurpfuschcreiun-
wesen und seine zahllosen unmittelbaren und mittelbaren Gesundheitsscbädi-
gangen vorzugehen durch strenge Kritik und rücksichtslose Offenbarung der
Prahlereien und Schwindeleien, namentlich bleibt es besondere Pflicht der Aerztc,
nicht nur in ihrem Hcilplan denjenigen Behandlungsmethoden Rechnung za
tragen, die sich im Volke einer altehrwürdigen und berechtigten Wertschätzung
erfreuen, sondern auch aus ihrer selbstherrlichen Reserve im medizinischen
Wissen und Können herauszutreten und dem Verlangen des Volkes nach Auf¬
klärung in medizinischen Dingen gerecht zu werden. Letzteres ist ein be¬
merkenswertes Zeichen unserer Zeit, dem eine Unzahl minderwertiger Bücher
and eine geradezu verderbliche Schundliteratur zu entsprechen sucht. Hier
warnend und aufklärend einzutreten, ist Pflicht des Aerztestaudcs im eigensten
Interesse, da es den „Naturheilkundigen“ und „Naturärzten“ in ihren Schriften
in erster Linie darauf ankommt, die zwischen Aerzten und Patienten bestehen¬
den Beziehungen, welche auf Achtung, Wohlwollen und Vertrauen basieren,
zn zerstören. Als ein Buch, das diesen Bestrebungen der Kurpfuscher wirk¬
sam entgegenzuarbeiten geeignet ist, ist das vorliegende ärztliche Hausbuch
zu begrüßen. Seine Tendenz ist, dem unzweifelhaft bestehenden Verlangen der
Nichtmediziner nach „populärer Medizin“ Rechnung zu tragen, dabei aber
gleichzeitig dem Arzte zu geben, was des Arztes ist und vor dem Betrug und
Schwindel zu warnen, mit denen die falschen Heilkundigen und Wundertäter
arbeiten. Mit dem wohlgemeinten Rat an alle Kranke, „steh bei jeder Krank¬
heit sofort an einen Arzt zu wenden und nicht durch Inanspruchnahme von
Laienhilfe und Laienrat die günstige Zeit zur Heilung zu versäumen“, schließt
der kleinere allgemeine Teil des Werkes, der über Bau und Verrichtungen
des gesunden menschlichen Körpers und Erscheinungen, Ablauf und Heilung
der Krankheiten unterrichtet. Der spezielle Teil behandelt in alphabetischer
Reihenfolge der Stichworte alle Fächer und Gebiete der Medizien, über die
unterrichtet zu sein der Laie nur wünschen kann; und zwar ist dadurch, daß
die verschiedenen Abteilungen von einer größeren Anzahl bekannter Spezial¬
ärzte behandelt sind, die keineswegs leichte Aufgabe solcher Popularisierung
ii mustergütiger Weise gelöst. Im Texte ist überall auf eine gemeinverständ¬
liche Darstellungsweise der größte Wert gelegt; ebenso ist die Auswahl der
Abbildungen derartig getroffen, daß sie den Beschauer auch wirklich aufklären
and nicht verwirren. Die Abbildungen selbst sind gut gelungen nnd lassen
52
Tagesnachrichten.
auch die fttr ein Hausbuch wünschenswerte Dezenz nicht vermissen. Papier,
Druck and Ausstattung befriedigen vollkommen. Möchten die Aerzte diesem
in ihrem Interesse herausgegebenen Buche die weitgehendste Unterstützung
gewähren! Dr. Roepkc-Melsungen.
Dr. mii J. Tnunpp- München: Gesundheitspflege im Kindesalter.
Band 15 und 15a der Bibliothek der Gesundheitspflege. Stuttgart; Verlag
von Ernst Heinrich Moritz. Kl. 8°. Preis pro Band: 1 Mk.
Der I. Teil behandelt die Säuglingspflege und allgemeine Kinderpflege,
Teil II die Körper- und Geistespflege im schulpflichtigen Alter. In beiden
Bändchen sind hauptsächlich die Maßnahmen der häuslichen Hygiene und
Diätetik besprochen. In kurzer, gediegener Form zeigt Vcrf., was die Eltern
in ihrem Teil zum Gedeihen ihrer Kleinen und zum Wohlergehen ihrer schul¬
pflichtigen Kinder beitragen können. Neben den Eltern werden aber auch die
Schulärzte und Lehrer in dem II. Bändchen manche Anregungen zu einem ein¬
trächtigen und verständigen Zusammenwirken finden zum Besten unserer Schul¬
jugend. Dr. Roepke-Melsungen.
Tagesnachrichten.
Das preussische Medizinalwesen in dem Staatshaushalts - Etat
1905/1906. Trotz der verhältnismäßig günstigen Finanzlage des preußischen
Staates bringt der neue Etat nur wenig Aenderungen. Hervorzuheben ist in
bezug auf die Sanitäts- u. Medizinalverwaltung, daß auch in diesem Jahre wieder
Beträge zu Beihilfen zum Studium medizinal-technisch wichtiger
Einrichtungen und Vorgänge im In- und Ausland, zur Abhaltung
von Fortbildungskursen fii r Krei sä rzte und für Inf o rmations-
kurse der Regierungs- und Medizinalrätc über Wasserversorgung
und Abwässerbcseitigang eingestellt sind; erfreulich ist auch die weitere
Bereitstellung von Mitteln für diebaktcriologischenUntersuchungs-
stationen in Bouthen und Saarbrücken, für die Bekämfung des
Typhus im Reg.-Bez. Trier, für Krebsforschung usw. sowie für die
Neueinrichtung einer Tollwutstation beim hygienischen In¬
stitut in Breslau und für die sanitäts-polizeiliene Hafen* und
Schiffsüberwachung.
Im übrigen ist die Organisation dos Medizinalwesens in der
Zentranlistanz ebenso wie in der Provinzialinstanz unverändert geblieben,
für eine zeitgemäße Reform der Provinzial-Medizinalkollegicn sieht
auch der vorliegende Etat keine Mittel vor. Desgleichen ist die Zahl der
vollbesoldctcn Kreisärzte diesmal leider nur um 2 (l in Bielefeld und ein
zweiter in Cöln) vermehrt; sic beträgt jetzt mit den Hilfsarbeitern bei den
Regierungen 35 = 7,0°/o der Gesammtzahl. Von den nicht besoldeten
Krcisarztstellen ist außer derjenigen in Bielefeld, eine solche in Berlin
fortgcfallen, dagegen eine für Dortmund (Land) neu hinzugekommen; ihre
Zahl hat sich also um eine verringert (468 statt 469). Die Zahl der Kreis-
a rzt-Assistenten ist auf 43(-)-3) gestiegen, diejenige der Gerichtsärzte
(14) unverändert geblieben, jedoch ist die Gerichtsarztstelle in Dortmund auf¬
gehoben und dafür eine solche für den Stadt- und Landkreis Essen eingerichtet.
Die einzelne Positionen des Medizinaletats ergeben sich aus der
nachstehenden Zusammenstellung:
A. Dauernde Ausgaben.
1. Besoldung von 39 Mitgliedern (600—1200 M.) und 36
Assessoren (600—1050 M.) der Provinzial-Medizinalkollegien 59 850,— M. *)
2. Besoldung von 36 Regierungs- und Medizinalräten mit
4200—7200 M., und von 1 Regierungs- und Medizinalrat
mit 1200 M. 220200,— „ *)
3. Besoldung von 7 vollbesoldeten Kreisärzten als ständige
*) Mehr: 1200 M. für ein psychiatrisches Mitglied bei dem Provinzial-
Medizinalkollegium der Provinz Pstpreußen.
*) Mehr: 10800 M. nach Maßgabe des Dienstalters der Regierung*“
und Medizinalräte.
Tagesnachrichtoo.
»3
Hilfsarbeiter bei den Bcgierongen in Königsberg, Gumbinnen
Potsdam, Breslau, Oppeln, Arnsberg und Düsseldorf (mit
3600—5700 M.). 34400,—II. »)
4. Besoldung von 28 vollbesoldeten Kreisärzten (3000—5700 M.) 143 300,— „ 4 )
5. Besoldung von 408 nicht vollbesoldeten Kreisärzten (darunter
1 künftig in Berlin fortfallend) und )4 nicht vollbesoldeten
Gerichtsärzten mit mindestens 1800, höchstens 4200 M., im
Durchschnitt 2700 M. Gehalt, sowie für sonstige Besol¬
dungen .1309071,— „ *)
Vermerk: 1. Ersparnisse können zu Stellvertretungs-
kosten verwendet wdrden.
2. Bei der Beratung des pensionsfähigen Dienstein¬
kommens der nicht vollkesoldeten Kreisärzte werden
die amtsärztlichen Gebühren, welche nach § 3 des
Gesetzes, betreffend die Dienststellung des Kreis¬
arztes usw., vom 16. September 1800 und den
dazu erlassenen Ausführungsbcstimmungcn von den
vollbesoldetcn Kreisärzten zur Staatskasse abzuführen,
bezw. nicht mehr aus der Staatskasse zu erheben sind,
nach ihrem durchschnittlichen Betrage während der
drei letzten Etatsjahre vor dem Etatsjakrc, in welchem
die Pension festgesetzt wird, mit der Maßgabe zur
Anrechnung gebracht, daß das hiernach der Pension
zu Grunde zu legende Dicnsteinkommen nicht das
pensionsfähige Diensteinkommen eines vollbesoldeten
Kreisarztes von gleichem pensionsfähigen Dienstalter
übersteigen darf.
6. Wohnungsgeldzuschüsse. 47 920,— „ *)
7. Zur Remuneration von 43 Kreisarzt-Assistenten (mindestens
900 M., höchstens 1800 M., im Durchschnitt: 1200 M.),
sowie von Hilfsarbeitern im Bureau-, Kanzlei- und Unter¬
beamtendienst bei den Provinzial-Medizinalkollegien und
zu Beihilfen für die Wahrnehmung der Obliegenheiten des
Kreisarztes durch Stadtärzte.61101,— „ 7 )
8. Zu Bureaubedürfnissen der Provinzial-Medizinalkollegien,
Dienstaufwandsentschädigung für 2 Regicrungs- und Medi¬
zinalräte in Berlin (je 1200 M.), für Vertretung von Reg.-
and Medizinalräten und von als ständige Hilfsarbeiter bei
den Regierungen beschäftigte vollbesoldeto Kreisärzte, zu
Remunerationen für die Prüfung der Rezepte und Rech¬
nungen über die für Staatsanstalten gelieferten Arzneien,
zu Entschädigungen für Amtsunkosten für die vollbcsolde-
ten Kreisärzte bis zu 1000 M., im Durchschnitt 750 M.,
für die nicht vollbesoldeten Kreisärzte und Gerichtsärzto
bis zu 750 Mark, im Durchschnitt 250 M., sowie an Tage¬
geldern und Reisekosten für auswärtige Mitglieder der
•) Weniger: 1400 M. nach Maßgabe des Dienstalters der Kreisärzte.
4 ) Mehr: 13600 M. und zwar 6400 M. nach Maßgabe des Dieustalters
der Kreisärzte und 7200 M. für 2 vollbesoldete des Kreisarztbezirkes Bielefeld
and des Stadtkreises Cöln (je 3600 M. Mindestgehalt).
*) Mehr: Durchschnittsbesoldung für einen nicht vollbesoldeten Kreis¬
arzt für den Landkreis in Dortmund und einen besonderen Gerichtsarzt für den
Stadt- und Landkreis Essen je 2700 M; weniger: 9025 M. für je einen nicht
Tüllbesoldeten Kreisarzt in Berlin und des Kreisarztbezirkes Bielefeld, sowie
für einen besonderen Gerichtsarzt für den Stadt- und Landkreis Dortmund und
für wegfallende Gehälter von verstorbenen Amtsphysikern.
e ) Mehr: 3840 M. an Wohnungsgeldzuschüssen infolge anderweiten
Klasseneinteilung der Orte und für 2 weitere voll besoldete Kreisärzte.
7 ) Mehr: 3600 M. Durchschnittsremunerationen für 3 Kreisarzt-Assi¬
stenten in den Kreisarztbezirken Stadtkreis Magdeburg, Stadt- und Landkreis
Recklinghausen und Stadtkreis Frankfurt a. M. je 1200 M.
u
Tagesnachrichten.
Provinzi&l-Medizinalkollegien, zu Tagegeldern, Reisekosten
und Entschädigungen für die Erstattung schriftlicher Gut¬
achten und Berichte an die psychiatrischen Mitglieder der
Besuchskommission für die Beaufsichtigung der Privat¬
irrenanstalten und zu Tagegeldern und Reisekosten für die
auswärtigen Mitglieder des Beirats für das Apothekenwesen
a. Zu Beihilfen zum Studium medizinal-technischer Einrich¬
tungen und Vorgänge.
9. Zur Remunerierung der Mitglieder und Beamten der Kom¬
mission für die Staatsprüfung der Aerzte, Zahnärzte usw.
10. Zuschuß für das Charite-Krankenhaus in Berlin . . . .
11. Institut für Infektionskrankheiten.
12. Institut für experimentelle Therapie in Frankfurt a. M.
13. Zur Unterhaltung einer staatlichen Versuchs- und Prüfungs¬
anstalt für die Zwecke der Wasserversorgung und Ab-
wässcrbescitigung.
14. Bad Bertrich.
15. Hygienisches Institut in Posen.
16. Zuschüsse für einige Krankenanstalten .......
17. Zur Vermehrung des hilfsärztlichen Personals in den öffent¬
lichen Irrenanstalten.
18. Für das Impfwesen (Remunerierung) der Vorsteher und
Assistenten und Gewinnung tierischen Impfstoffes usw.) und
sächliche Ausgaben.
19. Zu Roagenticn hei (len Apol hckenrevisioncn.
20. Zu Unterstützungen für aktive Medizinalbeamtc (7500 M.)
und für ausgcschiotfcue Medizinalbeamtc (60000 M.), sowie
für Vvittwcn und Waisen von Medizinalhearnten . . . .
21. Wartegeld für die auf Grund des Kreisarztgesetzes zur
Vorlegung gestellten Medizinalbeamtcn (künftig weglallend)
22. Zur Unterstützung für die auf Grund des $ 15 des Kreis¬
arztgesetzes auf Wartegeld gestellten Medizinalbeamten
(künftig wegfallend).
167 885,—
3000,-
203000.—
590546,35
202 370,—
75 850,—
123110 —
44432 —
37 852,—
6 288,47
6 000 -
91970,-
1 900 —
67,500 -
125 293,48
40 000,—
M. 8 )
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, I8 )
*) LI ehr: 1650 M. an Dienstaufwands-Ent,Schädigung für 2 vollbesoldete
Kreisärzte (Differenz zwischen den Durchschnittssätzen von 250—750 M. von
500 M. und Durchschniitssatz für eine neue Steile in Culn 750 M.), einen Ge-
richtsarzt in Essen (20 M.) mul für Bureaubedürfnisse des Provinzial-Mt di-
zinalkoliegiums der Provinz Westpreußen.
'9 Mehr: 23 300 M. infolge gleich hoher Mehreinnahmen an Prüfungs¬
gebühren.
*°) Weniger: 12920,50 M.
i: > Mehr: 5000 M. Es ist jetzt ein besonderer Abteilungsvorsteher lür
die chemische Abteilung und ein Leiter für die neu zu begründende Abteilung
für Tropenkrankheiten und Tropenhygiene vorgesehen. Außerdem sind 3000 M.
als künftig wegfallend, zur Unterhaltung eines Laboratoriums für Geh. Med.-
Eat Prof. Dr. Koch eingestellt.
ia ) Mehr: 15890 M., darunter 1500 M. Gehaltszulage für den Anstalts¬
vorsteher. 600 M. Zulage für das mit der Vertretung des Vorstehers in der
Beaufsichtigung der chemischen Arbeiten zu betrauende Wissenschaft liehe Mit¬
glied und 9000 M. für 2 neue wissenschaftliche etatsmäßige Mitglieder init
dem Anfangsgehult von je 5600 M. und 900 Df. Wohnungsgeldzuschuß. Außer¬
dem soll durch diesen Mehrbetrag die Anstalt in die Lage versetzt werdm,
leistungsschwache Gemeinden mehr als bisher sachlich durch Rat und Hilfe
bei den Vorbereitungen in der Aufstellung von Projekten für Wasserleitungen
zu unterstützen.
,? ) Mehr: 17 M.
u ) Mehr: 7850 M. hauptsächlich durch Erhöhung der Remuneration
der Assistenten an den Anstalten zur Gewinnung tierischen Impfstoffes von
750 auf 1000 beztv. von 1200 auf 1500 (Berlin) und von 1000 auf 1200 M. (Cölu).
‘ 5 ) Mehr: 2500 M.
lti ) Weniger: 5238 M. infolge von Tod oder Wiedereinslellung auf
Wartcgeld gestellter Beamten.
* 7 ) Weniger: 40000 M. infolge verminderten Bedürfnisses,
Tagesnachrichten.
55
23. Zu Almosen an körperlich Gebrechliche znr Rückkehr in
die Heimat, sowie für arme Kranke. 900,— M.
24. Für inedizinalpolizeiliclie Zwecke, einschließlich 8000 M.
zur Bestreitung der Kosten der sanitätspolizeilichen Kon¬
trolle behufs Abwehr der Choleragefahr und 18110 M. für
das Lepraheiin im Kreise Memel.113110,— „ l8 )
25. Hafen* und Schiffsüberwachung einschließlich der Quaruii-
tfineanstalten.51 370,— „ i9 )
26. Verschiedene andere Ausgaben (Zuschub für Arzt auf der
KurPchen Nehrung, Quarant lincanstaltcn, Beihilfe für
ärztliche Fortbildungskurse (9000 M.) usw. 31832,92 w ,l) )
Zusammen: 3 893 792,22 M.
im Vorjahre: 3 701689,69 „
Darnach mehr: 1024'.>2,53 M.
B. Einmalige und ausserordentliche Ausgaben:
a) 2599400 M. (39S180 M. melir als im Vorjahre) für Neu- und Um¬
bauten von klinischen U ni v e r s i t ii r s • n s t i t u t e n, Ergänzung des
Inventars derselben, Deckung von Fehlbeträgen usw.; hiervon inter¬
essieren besonders: für Einrichtung von geeignet en Räumen zu gerichis-
ärztlichen Unter richts/, wecken i n K o n i g s b c r g i./Pr., Neuein¬
richtung und innere Ausstattung eines liy g io nis ch cn 1 n s t i tu ts in
Berlin (letzte Rate), einer Irrenklinik in Greifswald (IV. Rate)
und Breslau (III. Rate), einer Klinik und Poliklinik für Haut- und
Geschlechtskrankheiten in Breslau (I. Rate), einer Tollwut-
Station beim h y g i o n is eh e n 1 n s t i t u t-G daselbst, eines neuen pa-
thol o gis ch eu 1 ns ti tu ts in Kiel sowie für Erweiterung des hygie¬
nischen Instituts daselbst, für Neueinrichtung einer Augenklinik iu
G.irt in gen (II. Rate) usw.
hi 421 'O0 M. zum weiteren Ausbau des C h a r i t 6 - K r a n k e n h a u s e s.
c) 3.V) 090 M. zur Bekämpfung der Granulöse (wie im Vorjahre).
di *29-V»o M. zur Abhaltung von Fortbildungskursen für 50 Medi¬
zinal beamte und von 14-tägigen lnfurmat lonskursen für 12 Reg.- und
Med.-Räte in der staatlichen Versuchs- und PriifuiigsaustalL für Wasser¬
versorgung und Abwässerbeseitigung. *
ei 30< »00 M. zur Untersuchung der Maul- und Klauenseuche
(wie im Vorjahre).
f) 10O B M. zu Beihülfen zur Veranstaltung von Forschungen über die Ur-
s a c li c und Verbreitung d er Kr e b s krun k heit (wie im Vorjahre).
g) i4l.0J Al. für die erste medizinische Klinik der Charite zur
Erforschung der Iv r c b s k r a n k h e i t, insbesondere zur Aufstellung
von Baracken für Krebskranke (IV. Rate).
in 1^0 900 M. zur G r un d s t üc k s - E r w ei t c r u n g des Instituts für Infek¬
tionskrankheiten in Berlin.
i) 5 'Xm M. zur Errichtung eines Laboratoriums für Geh. Mid.-Rat
Prof. Dr. Koch le rn Institut für 1 ufektionskranheiten in Berlin.
k) 1860 M. für Instandsetzungsarbeiten beim Leprakrankenhause in
M e m e 1.
,5 > Mehr: 510 M.
i9 ) M ehr: 4: 000 M. für Hafen- nnd Schiffsüberwachung wegen der fort-
g-setzfon Gefahr der Einschleppung von Pest und Cholera; jetzt als dauernde
Ansgab ■ n ein gestellt.
) Mehr: 30(0 M. behufs Erhöhung der dem Zentralkommitee bisher
gewährten Bei hülfe von 6090 auf 9t .00 M.
‘ iJ ) Die Begründung sagt hierzu: «Zur Zeit besteht nur in Berlin eine
Tidlwutsfation. Die Errichtung eines solchen Instituts in Breslau entspricht
einem lebhaften Wunsche der Provinz Schlesien, weil gerade letztere eine
besonders grüße Zahl von Kranken stellt, die von tollwütigen Hunden gebissen
sind und sich der Behandlung mittels des Pasteurschen Verfahrens unterziehen
müssen. Auch erscheint eine Entlastung des Berliner Instituts erwünscht.
Dem Bedürfnis kann durch einen kleinen Anbau an das hygienische Institut
entsprochen werden.“
56
Tagesnachrichten.
1) 103G0M. zur Unterhaltung einer hygienischen Station in Bcuthen
O.-Schl. (1300 M. mehr als im Vorjahre),
in) 22000 Mark znr Unterhaltung einer bakteriologischenAnstalt in
Saarbrücken (wie im Vorjahre).
n) 30000 M. zur Bekämpfung des Typhus ira Rcg.-Bez. Trier. Die
medizinalpolizeilichc Bekämpfung des Typhus im Reg.-ßez. Trier soll
im Etatsjahrc 1005 erweitert fortgesetzt werden und der eingestellte Betrag*
auch zur Gewährung von Unterstützungen an bedürftige Gemeinden im
Kreise dienen.
Aus dem Etat ist sonst noch zu erwähnen, daß für die Kreistier-
arzte ein pensionsfähiges Durclischnittsgehalt von 1(350 AI. (3 gleiche Gehalts¬
klassen von 1200, 1(350 und 2150 M.), eine pensionsfähige Zulage von je 450 M.
vorgesehen ist, und als pensionsfähige Nebencinnahmen ein Durschnittsbetrag
von je 1500 Mark angenommen werden soll. Die Kreistierärzte sind demgemäß
in bezug auf ihre Pensionierung verhältnismäßig gängiger als die Mehrzahl
der nicht vollbesoldeten Kreisärzte gestellt, da die Kreisärzte mit einer Ein¬
nahme aus pensionsfähigen amtsärztlichen Gebühren von mehr als 1500 M.
zweifellos die große Minderheit bilden.
Auch die im Etat vorgesehene Bildung eines dritten Regierungs¬
bezirks in der Provinz Ostpreußen mit dem Amtssitze in Allenstein hat für
die Medizinalbeamten Interesse. Demselben sollen 9 Kreise (Osterode, Allenstein,
Ncidenburg, Rössel, Urtelsburg, Scnsburg, Lötzcn, Lyck und Johannisburg) mit
einem Flächeninhalt von 12 032 qkm und 519 626 Einwohnern zugeteilt werden.
Das von der Wissenschaftlichen Deputation ftlr das Mcdizinalwesen aus¬
gearbeitete neue preußische Obdukt ionsregi.lativ ist in dem soeben erschienenen
1. Heft der Vierteljahrsschrift für gcrichtl. Medizin und öffentliches Gesundheits¬
wesen veröffentlicht. Wir werden dasselbe in der nächsten Nummer der Zeit¬
schrift zum Abdruck bringen.
In dem neuen Wiirtfeiiibertriseheii Haushaltsetat ist die Errichtung
einer ordentlichen Professur für Hygiene in Tübingen vorgesehen, statt der
bisherigen dortigen außerordentlichen Professur für dieses Fach.
Der diesjährige Deutsche Aerztetug findet Ende Juni in Straßburg
i. E. statt. Zur Verhandlung kommen: 1. Antrag, betreffend die Erhöhung
des Mitgliederbeitrages; 2 Rechte und Pflichten eines Kassenarztes; 3. Aka¬
demien für praktische Medizin; 4. Revision der Vereinbarung des Deutschen
Aerztevereinsbundes mit den Lebens- und Unfallversichernngsverbänden.
Die nächste Hauptversammlung der Deutschen Gesellschaft für
Volksbader findet am 31. Mai (Tag vor Himmelfahrt) in München statt.
Die Herren Prof. Ho ehe der, Ingenieur Re cknagcl, Rechtsrat Schlicht,
Stadtbaiiinspektor Matzdorff, Dr. Holländer haben bereits Vorträge an¬
gesagt. Weitere Anmeldungen, sowie Vorschläge zur Diskussion und andere
Anregungen werden aus den Kreisen der Mitglieder erbeten.
Preussischer tfiedizinalbeamtenverein.
Der Vorstand bat beschlossen, daß die diesjährige
XXII. Hauptversammlung
am 28. n. 29. April d. J. in Hannover
stal tfinden soll.
Die Vereinsmitglieder werden ergebenst gebeten, Vorträge, Dis¬
kussionsgegenstände oder sonstige Wünsche für diese Hauptversammlung
bis zum 1. Februar d. J. hei dem Unterzeichneten anzumeldcn.
Minden i. W., den 12. Januar 1905.
Der Vorstand des Preussischen Medizinalbeamtenvereins.
Im Aufträge: Dr. Rapraund, Vorsitzender,
Ke^.- o. Geh. Med.-Rat ln Minden.
Verantworte Redakteur: Dr. Rapmuud, Reg.-u. Geh. Med.-Rat in Minden i. W.
J. C. C. Bruns, Herzog. Sachs, u. F. Sch.-L. Hofbuchdruckerel in Minden.
IS. Jahrg.
1905.
Zeitschrift
für
MEDIZINALBEAMTE.
ZwtralUstt Itr geridrtJkke Medizin ik Psychiatrie,
Sr intlfebe Saekrerstinkigentätigkeit in Unfall- and hmüiditatisaehM, sowie
fir Hygfeae, iffeati. Saiitstewesea, Mediziul - totzgekug aad teehtoyreekaig.
Herausgegeben
Ton
Dr. OTTO RAPMÜND,
Boftorongs« and Och. ladidulrtt I» Mlnd—«
Verlag von Fischers mediz. Buehhandlg, H. Kornleid,
HanogL Bayer. Bof* n. BnbmogL Kammer - BnahhliuTUr
Berlin W. 35, Lützowstr. 10.
InaomU nohacn dl* VarUfihapdlong sowie alle Annoneen - ■xpodMonea des Is-
nnd AuaUndcs entgegen«
Nr. 3. Kr*ek«l*t
1. ul IS. Je4ei Xauta
1. Februar.
Die Herzwunden, vom gerichtsärztlichen Standpunkte aus
betrachtet
Von Dr. Richard Bernstein,
Oberarzt beim Feldartillerie -Regt. Nr. 72 Hochmeister in Preußisch-Starg&rd.
Der Gerichtearzt hat bei der Beurteilung einer Herzwnnde
diagnostische and prognostische Erwägungen anznstellen.
1. Diagnostische Fragen:
Die Frage nach der Art des verletzenden Werkzeuges ist
bei Herzverletznngen nicht anders zu beantworten, als bei Ver¬
letzungen anderer Körperteile, bedarf daher keiner besonderen
Erörterung. Dagegen muss vor allem die Frage entschieden
werden, ob ttberhanpt das Herz verletzt ist.
Hierfür kommt in erster Linie der Ort der äusseren
Wände in Betracht. Befindet sich diese da, wo das Herz der
vorderen Brustwand unmittelbar anliegt, so ist die Wahrschein¬
lichkeit dafür, dass das Herz verletzt ist, am grössten; dabei
können auch die in diesem Gebiet liegenden Knochen glatt durch¬
stochen sein. Es muss auch an die Möglichkeit eines Situs trans-
versus gedacht werden. Jedoch ist eine Herzverletzung nicht
ausgeschlossen, wenn der verletzende Gegenstand von einer anderen
Stelle her in den Brustkorb eindringt, da er sich dann durch die
Longe oder durch das Zwerchfell den Weg zum Herzen bahnen
kann; ausser den Fällen, die G. Fischer [1] und Loison [2]
gesammelt haben, gehört ans neuerer Zeit der Fall von Stupa-
rich [3] hierher.
68
Dr. Bernstein.
Ausser dem Ort der Wunde kommt die Richtung des
Wundkanal8 in Betracht. Gegen die Sondierung des letzteren
wird mit Recht von den meisten Autoren Einspruch erhoben, nicht
nur weil ein Durchstossen der Herz wand oder ein Verdrängen von
Thromben möglich ist, sondern auch, weil ein Wundkanal, der in
einer bestimmten Körperstellung auf das Herz führt, bei einer
anderen Stellung, die der Betreffende vielleicht gerade im Augen¬
blick der Verletzung einnahm, das Herz nicht getroffen zu haben
braucht; die verschiedenen Füllungszustände, Drehungen und Ver¬
schiebungen des Herzens sind die Ursache hierfür. So erklären
sich Fälle, wie der eine Fall von Wetzel [4] (Einstich von vorn,
isolierte Verletzung der hinteren Vorhofswand), die Fälle von
B6rard und Viaunay [5] (Sonde erreicht unversehrte Herz¬
spitze, Schusswunde an anderer Stelle des Herzens erst bei der
Sektion gefunden), Morn bürg [6] (Verbindungslinie zwischen Ein-
und Ausschuss kreuzt die Herzgegend, keine Herzverletzung),
Franke [6] (ähnliche Verhältnisse durch Eindringen eines Besen¬
stiels, der aber auch das Herz verfehltet.
Auch eine starke Blutung darf nicht als sicheres Zeichen
einer Herz wunde angesehen werden. Einerseits kann eine solche
Blutung aus einer verletzten Arteria mammaria interna oder
intercostalis (Baracz [7] oder pericardialis (Wenn er ström [8])
stammen, und manche geheilte Herzverletzung mag so zu deuten
sein. Anderseits kann bei Herzwunden jede stärkere Blutung-
nach aussen, oder überhaupt jede stärkere Blutung fehlen, letzteres,
wenn die schräg durchbohrte Herzwand ventilartig sich scbliesst
oder durch einen Thrombus verschlossen wird. Auch dann kann
die Blutung fehlen, wenn ein Geschoss, ohne den Herzbeutel zu
verletzen, die Herz wand durchbohrt (3 Fälle von Fischer an¬
geführt, ferner der Fall von Justi [9] und Fall 23 des Sanitäts-
berichts der preussischen Armee 1900/01); das Blut ergiesst sich
dann in den uneröffneten Herzbeutel.
Das Fehlen der Herzd&mpfung bedeutet nur das Eindringen
von Luft in den Herzbeutel, also nur eine Verletzung des letzteren.
Funktionelle Störungen sind nach Momburg [10] fast
bei allen Herzverletzungen vorhanden; sie bilden aber ebenfalls
kein sicheres diagnostisches Hilfsmittel, weil dieselben Störungen
auch bei anderen Verletzungen durch Schreck, Blutverlust usw.
verursacht sein können.
Es ergibt sich hieraus, dass es meistens nicht möglich ist,
durch ein einziges Symptom das Vorhandensein der Herz Verletzung
festzustellen, und dass es Fälle geben muss, in denen diagnosti¬
sche Irrtümer nach beiden Seiten hin nicht zu vermeiden sind.
2. Prognostische Fragen:
Dies sind für den Gerichtsarzt folgende:
a. Mit welcher Wahrscheinlichkeit ist eine Herzwunde töd¬
lich, und wovon hängt diese Wahrscheinlichkeit abP
b. Ist im einzelnen Falle die Herzverletzung oder eine andere
Verletzung bezw. Erkrankung als Todesursache anzusehenP
Die Henwunden, Tom gerichta ärztlichen Standpunkt aus betrachtet 59
e. Bedingt die Herzverletzung im Falle der Heilung bleibendes
Siechtum, oder ist eine völlige Wiederherstellung des Verletzten
möglich?
Zu diesen Fragen sind folgende Erwägungen anzustellen:
Zu a.: Mit welcher Wahrscheinlichkeit ist eine
Herzwunde tödlich und wovon hängt diese Wahr¬
scheinlichkeit abP Es sind durchaus glaubwürdige Fälle
beobachtet worden, in denen Herzwunden entweder geheilt sind
oder wenigstens erBt so spät zum Tode geführt haben, dass der
Verletzte noch zu verschiedenen Handlungen, selbst solchen, die
körperliche Anstrengung erfordern, imstande war. Wovon dies
abhängt, ist im einzelnen Falle nicht vorher zu sagen. Während
der Tod schon nach dem Eindringen kleiner Nadeln in das Herz ein¬
getreten ist (Fälle von Rose [11] und Herman [12]), sind in
anderen Fällen Geschosse in das Herz eingeheilt (Zusammen¬
stellung solcher Fälle von Happel (Dissert. Marburg 1897), dazu
die Fälle von Beer und Brown [13], Stevenson nach Hill [14],
Trendelenburg-Riethus [15], Kienböck [16]). Es ist eher
anzunehmen, dass bestimmte Stellen des Herzens besonders lebens¬
wichtig oder lebensunwichtig sind, alB dass man dem Blutverlust
and anderen Momenten eine übergrosse Bedeutung beimessen darf.
Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass eine „allein gelassene“
Herzwunde heilen kann, ist nach Fischer [1] und Loison [2]
ziemlich gering, und wird dadurch noch geringer, dass erstens
geheilte Herz wunden häufiger veröffentlicht werden, als tödlich
verlaufene, und dass zweitens aus den oben angeführten Gründen
die geheilten Herzwunden nicht immer in Wirklichkeit Herz-
wunden gewesen sind.
Die Zahl der Heilungen beträgt:
nach G. Fischer 18°/o der Stich-, 8 °/ 0 der Stichschnitt-, 8,4°/ 0 der
Schußwunden;
nach Loison 89,1 % der Nadel-, 12,2 °/ 0 der Stich-, 2,7°/ 0 der Schu߬
wunden.
Nun sind aber von Fischers sehr alten und unzureichend
mitgeteilten Fällen als nicht einwandfrei 2 Nadelstichwunden, 19
Stichschnittwunden, 8 Schusswunden abzuziehen, zum Teil deshalb,
weil es nur Perikardverletzungen sind. Letztere müssen auch
von Loison8 Fällen abgezogen werden (nämlich 12 Stichver¬
letzungen mit 5 Heilungen und 12 Schussverletzungen mit 3
Heilungen), und ausserdem die Fälle, bei denen operativ durch
Naht des Herzens eingegriffen wurde. Es bleiben dann, wenn von
den Nadel Verletzungen abgesehen wird, übrig:
für Stich- (bezw. Stichschnitt-) Verletzungen nach Fischer 4,1 °/ 0 , nach
Loison 5,5°/ 0 Heilungen;
für Schußverletzangen nach Fischer 2,8 °/ 0 , nach L o i s o n 0 °/ # Heilungen.
Die Aussichten für Heilung einer Herzwunde sind also in
Wahrheit erheblich ungünstiger, als es nach den Berechnungen
von Fischer und Loison erscheint. Sie haben sich aber in
neuester Zeit durch die — von König zuerst vorgeschlagene —
Naht der Herzwunde ganz erheblich gebessert. Die Fälle von
60
Dr. Bernstein.
Herznaht sind von Momburg [10], Terrier n. Reymond [17],
Hill [14] nnd Wolff [18] zusammengestellt; die genaue Durch¬
sicht dieser Zusammenstellungen ergibt, dass einzelne Fälle
doppelt veröffentlicht und deshalb doppelt gezählt worden sind;
dafür kommen hinzu als genähte Stichwunden die Fälle von
Colombino [19], Gibbon [19], Henriksen [5], Mancini [19],
Milesi [16], Pomara [5], Schwerin [19], Stewart [14],
Stude [20], Weinlechner [21], Wennerström [8], Wolff-
Essen [19] und zwei von Giordano [5], sowie der Fall von
Noll [19] als Heilung einer genähten Herzschusswunde. Tatsäch¬
lich liegen zurzeit vor Berichte über:
68 Fälle von Herznaht bei Stichwunden mit 23 = 86,5 °/ 0 Heilungen;
5 oder 6 Fälle yon Herznaht bei Schußwunden mit 2 Heilungen.
Es ist kaum anzunehmen, dass nicht alle erfolglosen Ein¬
griffe veröffentlicht worden seien, so dass die Verhältniszahl wohl
wenigstens annähernd der Wahrheit nahe kommt. Aus dieser
Verhältniszahl aber ergibt sich, dass ein Herzverletzter, der gleich
nach der Verletzung in entsprechende chirurgische Behandlung
kommt, quoad vitam erheblich bessere Aussichten hat, als andere
in gleicher Weise Verletzte.
Trotzdem geht Bott er [22] zu weit, wenn er die Herznaht
mit der Tracheotomie auf eine Stufe stellt und ihre Ausführung
von jedem praktischen Arzt fordert. Demgegenüber darf daran
erinnert werden, dass die bisherigen Erfolge bei der Herznaht
fast ausnahmslos in Krankenhäusern, also unter den besten äusseren
Verhältnissen, erzielt wurden, und dass für ungenähte Herzwunden
die Prognose nicht ungünstiger sein kann, als sie es für Herz¬
wunden sein würde, die ungeübte Hände zu operieren versuchten.
Momburg spricht sich in ähnlicher Weise aus.
Ausser der IJerznaht kommt die Unterbindung der verletzten
Koronargefässe in Betracht. Dieselbe ist bisher noch nicht mit
Erfolg ausgeführt worden; Terrier und Beymond (Chirurgie
du coeur; Paris 1898) zitieren zwar einen Fall von Heilung einer
Unterbindung der Art. coronaria von Zoege-Manteuffel, haben
aber leider übersehen, dass es sich dabei um die Art. coronaria
des Magens handelte (Petersburger med. Wochenschr.; 1892, S. 91).
Bei Nadelverletzungen ist Vorsicht beim späten Herausziehen
der Nadel geboten, da der Stichkanal vermöge der Bildung von
Granulationen oder von Narbengewebe sich unter Umständen nicht
kontrahieren kann, so dass Blutung auftreten kann.
Zub.: Ist im Einzelfalle die Herz verletzung oder
eine andere Verletzung bezw. Erkrankung als Todes*
Ursache anzusehen? Als Folgen der Herzwunde werden in
der Literatur erwähnt: Entzündungen des Endokards und des
Perikards, Embolien, ferner Pneumonien und andere Krankheiten,
die als Folge der durch die schwere Verletzung bedingten Herab*
Setzung der Widerstandsfähigkeit des Körpers aufzufassen sind.
Auch beim Hinzutreten der genannten oder ähnlicher Kompli¬
kationen wird die Herzwunde als eigentliche Todesursache anzu¬
sehen sein.
Die Herzwunden, Tom gerichtsärztlichen Standpunkt aus betrachtet. 61
Zu c.: Bedingt die Herzverletzung im Falle der
Heilung bleibendes Siechtum, oder ist eine völlige
Wiederherstellung des Verletzten möglich? Gelangt
die Herzwunde mit oder ohne operativen Eingriff zur Heilung, so
kann die Heilung so vollkommen sein, dass von Siechtum auch
nieht im entferntesten gesprochen werden dari. Von den ope¬
rierten Fällen sind neun längere Zeit hindurch (der von Hehn etwa
6 Jahre lang) beschwerdefrei und arbeitsfähig geblieben; ähnliches
ist bei nicht operierten Verletzten festgestellt worden. Zu früh
darf das Urteil des Sachverständigen nicht abgegeben werden, da
durch Narbendehnung, Thrombenlösung usw. noch nach Monaten
eine anscheinend geheilte Herzwunde der Anlass zum Tode oder
zq erheblicher Verschlimmerung werden kann. Der Nichtjurist mag
es schmerzlich empfinden, dass eine so lebensgefährliche Ver¬
letzung unter Umständen nicht als schwere Körperverletzung nach
deutschem Strafrecht zu bestrafen ist, während das österreichische
Strafrecht die Begriffe „schwere 8 und „qualifizierte 8 körperliche
Beschädigung nach der 20-, bezw. 30 tägigen Dauer der Gesund¬
heitsstörung oder nach der Schwere, bezw. Lebensgefährlichkeit
der Verletzung abstuft, so dass jeder Fall einer Herzwunde
wenigstens unter einen dieser beiden Begriffe fallen muss.
Lit erat urverz eich nis.
1. Archiv für klinische Chirurgie; 1869.
2. Revue de Chirurgie; 1899.
3. Wiener medizinische Presse; 1900, Nr. 53.
4. Münchener medizinische Wochenschrift; 1902, Nr. 80.
5. Ret in Hildebr&nd Jahresb.; 1902.
6. Archiv für klinische Chirurgie; 1908.
7. Wiener klinische Wochenschrift; 1899.
8. Ref. in Münchener medizinische Wochenschrift; 1908, Nr. 17.
9. Deutsche medizinische Wochenschrift; 1900, Nr. 50.
10. Veröffentlichungen aus dem Oebiete des Militärwesens; H. 19.
11. Deutsche Zeitschrift für Chirurgie; 1896.
12. Ref. in Zentralblatt für Chirurgie; 1902.
13. Ref. in Vir chow-Hirsch; 1899.
14. Medical record; 1900 und 1902.
15. Deutsche Zeitschrift für Chirurgie; 1902.
16. Wiener medizinische Presse; 1903.
17. Congr&s de Chirurgie; 1902.
18. Deutsche Zeitschrift für Chirurgie; 1903.
19. Ref. in Zentralblatt für Chirurgie; 1903.
20. Deutsche militärärztliche Zeitschrift; 1904.
21. Wiener medizinische Wochenschrift; 1904.
22. Münchener medizinische Wochenschrift; 1904.
Typhusuntersuchungen des Laboratoriums der Königlichen
Regierung in Coblenz.
Von Kreisassistenzarzt Dr. Friedei-Coblenz.
Am 8. September 1904 begannen die vom Verfasser aus
gefehlten Arbeiten des neu errichteten Laboratoriums der Regierung
ia Coblenz, die hauptsächlich aber nicht ausschliesslich aus Typhus-
Untersuchungen bestanden.
62
Dr. Friedei.
Diese im Laboratorium ausgeführten Arbeiten, die zum Teil
durch lokale Nachforschungen unterstützt wurden, dienten im all¬
gemeinen der Bekämpfung des im hiesigen Regierungsbezirk, be¬
sonders in den Kreisen Kreuznach und Meisenheim, häufiger auf¬
tretenden Typhus, verfolgten aber im einzelnen verschiedene
Zwecke. Die Mehrzahl wurde zur Erlangung einer sicheren Dia¬
gnose bei Typhusverdacht angestellt; ein Teil erstrebte die Kon¬
statierung der bakteriologischen Heilung nach der klinischen Ge¬
nesung; ein kleiner Teil endlich wurde zur Auffindung bereits
gesundeter Personen, deren Erkrankung selbst unbekannt oder
unerkannt geblieben war, unternommen.
Im ganzen wurden vom 8. September bis 31. Dezember 1904
351 Proben verarbeitet, und zwar:
173 Blutproben auf Widal’sche Reaktion, davon positiv 86;
110 Stahlproben auf Bazillen, davon positiv 29 — 26 °/o;
67 Urinproben auf Bazillen, davon positiv 7 = 10 °/ 0 ;
1 Blutprobe auf Bazillen, positiv.
Wenn demnach auch unser Material bis jetzt noch nicht
umfangreich ist, teils weil sich die Benutzung des Laboratoriums
bei den Aerzten des Bezirks erst allmählich einbürgern muss,
teils weil in dieser Jahreszeit der Typhus überhaupt abzuebben
pflegt, so gab es doch zu Beobachtungen Anlass, die von allge¬
meinerem Interesse zu sein scheinen und deshalb hier mitgeteilt
werden sollen.
Die Widal sehe Reaktion wurde stets mindestens mit
einem sehr gut beweglichen, leicht agglutinabelen Typhusstamm TE
und einem ebensolchen Paratyphus B.-Stamm Pt, beide aus dem
Institut für Infektionskrankheiten, ausgelührt, ausserdem aber auch
oft noch mit anderen Stämmen, insbesondere, wo es möglich war,
mit dem von demselben Kranken gezüchteten Stamm. Es wurde
jedoch TE stets höher agglutiniert, als irgend ein anderer Typhus¬
stamm. In der Regel wurde die Agglutination im hängenden
Tropfen der Serum Verdünnung mit 0,8 °/ 0 Kochsalzlösung, in dem
eine Spur Agarkultur gleichmässig verrieben war, makroskopisch
und bei Lupen vergrösserung beobachtet; seltener, wenn die Serum¬
menge dazu ausreichte, im Reagenzröhrchen nach der Kolle sehen
Methode. Ein Unterschied in der Beurteilung des Resultates trat
da, wo beide Methoden zugleich angewendet wurden, nicht zutage.
Die verwendete Agarkultur war stets 18stündig; zweckmässig 1
ist es den Agar nicht schwach alkalisch zu machen, sondern ihn
genau auf den Lakmusneutralpunkt zu bringen, weil bei diesem
die Typhusbazillen sich stärker beweglich entwickeln und sich
daher gleichmässiger verreiben lassen. Jedes Serum wurde genau
bis zur Grenze austitriert. Annähernd lässt sich der Grenzwert
schon von dem Verhalten der Bakterien in den Verdünnungen 1:10
oder 1 : 20 nach einer Minute abschätzen, so dass man nicht in
jedem Falle die ganze Skala durchzuarbeiten braucht. Eine
makroskopisch wahrnehmbare Agglutination in der Verdünnung
1 : 60 und darüber nach höchstens zweistündigem Aufenthalt bei
37° wurde als positiv angesehen. Weun man sich danach auch
Typhusuntersuchungen des Laboratoriums der Königl. Regierung in Coblenz. 63
die Arbeit abkürzen könnte, indem man gleich mit einer ei sten
Verdünnung von 1 : 60 beginnt, so ist doch die Austitrierung eines
Serums mit niedrigem Grenzwert, wie etwa 1 : 20, insofern von
Wert, als dadurch die Möglichkeit gegeben ist, auf ein Ansteigen
des Titi es nach einigen Tagen, auch wenn der Grenzwert von
1:60 noch nicht erreicht wird, ein positives Urteil abzugeben.
So wurde in zwei Fällen, in denen zunächst ein Grenzwert von
1:10, nach drei Tagen von 1 : 40 ermittelt wurde, die Diagnose
Typhus abgegeben, die auch gleich darauf durch den Nachweis
der Bazillen in den Fäces bestätigt wurde.
Im ganzen wurde 86 mal positiver Ausfall beobachtet; dazu
kommen die eben erwähnten beiden Fälle mit Titre-Steigerung,
so dass in 88 Erkrankungsfällen mit mehr oder minder zweifel¬
hafter Diagnose ein positives Urteil auf Grund der Serodiagnostik
abgegeben wurde. Wenn auch bekanntlich positiver Ausfall der
Reaktion nicht absolut sicher für Typhus spricht, da sie auch
nach vor längerer Zeit überstandenem Typhus und bei Icterus
beobachtet werden kann, so wurden doch diese 88 Erkrankungen,
auch wenn daneben der Bazillennachweis nicht gelang, vom sanitäts¬
polizeilichen Standpunkt aus als Typhus angesehen. Diese Diagnose
wurde in keinem Falle auf Grund der klinischen Beobachtung
beanstandet.
Bei diesen 86 positiven Reaktionen waren in der Regel be¬
deutende Differenzen in der Agglutinationskraft des Serums gegen¬
über Typhus- und Paratyphusbazillen vorhanden; eine Art wurde
fast immer in der mindestens fünffach höheren Verdünnung als
die andere agglutiniert, meist sogar in der 10-20 fach höheren
Verdünnung. Die Annahme, dass in diesen Fällen die höhere
Agglutination die spezifische, und die niedrigere die Mitaggluti¬
nation darstellt, wurde in keinem Falle erschüttert dnrch etwaigen
Bazillennachweis, oder dnrch den Nachweis der bekannten In¬
fektionsquelle oder durch die Berücksichtigung des geographischen
Verbreitungsbezirkes des Paratyphus, der bisher mit wenigen
Ausnahmen nur in zwei Kreisen auftrat. Wir konnten demnach
keinen sicheren Fall beobachten, in dem die spezifische Aggluti¬
nation niedriger, als die Mitagglutination war. Allein in 5 Fällen
wurden Typhus- und Paratyphusbazillen in gleichem oder wenigstens
nicht sehr verschiedenem Grade agglutiniert. Der Grenzwert war
hier folgender:
1.
Nr. 89 M. S.
1 :100 T -
“ j
1: 200 Pt H
“ )
Paratyphus.
2.
„ 122 K. 0.
1: 160 T -
1 :100 Pt -
?
3.
„ 163 J. F.
l : 400 T -
” }
1 : 200 Pt -
- •
Typhus.
4.
„ 164 St.
1 :120 T -
1 :120 Pt -
- *
Typhus.
6.
, 169 F. F.
1 : 260 T -
~ 5
1 : 250 Pt -
“ 5
Typhus.
Die Kranke Nr. 169 war die Mutter der Patientin Nr. 163.
Die Diagnose konnte bei 4 von diesen Fällen dnrch Bazillennach¬
weis bei dem Erkrankten selbst oder bei einem gleichfalls er¬
krankten Angehörigen klar gestellt werden; bei Nr. 122 blieb sie
zweifelhaft.
Danach scheint die Annahme berechtigt, dass die Sero-
64
Dr. Friedei.
diagnostik in der Regel die Differentialdiagnose zwischen Typhus
und Paratyphus mit grosser Wahrscheinlichkeit, wenn nicht Sicher¬
heit erlaubt, und dass die zweifelhaften Fälle die Ausnahmen
bilden. Versuche die spezifische Agglutination durch Bindung der
Agglutinine nach Castellani zu bestimmen, wurden nicht gemacht.
Die 87 Blutproben mit negativem Widal stammten teils
von Patienten mit anderen Erkrankungen, teils von den oben er¬
wähnten 88 Typhuskranken vor dem Auftreten der Agglutinine
im Blut, einige auch von gesunden Personen ans der Umgebung
eines Kranken; endlich lieferte 6 dieser Proben ein Typhusfall,
der durch Fäzesbefund als solcher erwiesen wurde. Er betraf
einen 33 jährigen Schiffer J. K. in St. Goar, dessen Krankheit
einen klinisch sehr schweren Verlauf nahm, aber in Genesung
endete. Sein Serum wurde in etwa 10 tägigen Zwischenräumen
3 mal während der vierwöchigen Krankheit und 3 mal während
der Rekonvalescenz, zum letzten Male am 65. Tage nach Beginn
der Erkrankung untersucht und zwar auf den Stamm TE, den
Paratyphusstamm Pt, seinen eigenen aus den Fäces gezüchteten,
durch unser Testserum hoch agglutinabelen Stamm Tk und einen
frisch aus Venenblut gezüchteten gleichfalls gut agglutinabeln
Stamm TS.
1 .
2 .
3.
4.
5.
6 .
Die Resultate waren in chronologischer Reihenfolge:
1:20 TE+; 1:80 TB—;
1 : 20 TE--; 1 : 30 TE —;
1:30 TE--; 1:40 TE —;
1 : 80 TE--; 1 : 40 TE —;
1 : 26 Pt —.
1 :40 TE+; 1 : 60 TE -;
1 : 20 Pt -.
1:20 TE-f; 1:30 TE —;
1:10 Pt—;
1 : 10 Pt - ;
1 : 10 Pt
1 : 20 TK +;
1 : 30 TK -
1 : 20 TS +; 1 : 30 TS —
20 TK +; 1 : 30 TK —
10 TK+; 1 :20 TK-
1 : 10 Pt —|—
1 : 10 Pt +
1 : 10 Pt —
Es war demnach hier nur eine ganz geringe Steigerung des
Titres aufgetreten, die in der dritten Woche der Rekonvalescenz
ihren Höhepunkt erreichte, aber unter dem Grenzwert 1 : 60 TE
blieb. Einen weiteren Fall von negativem Widal bei sicherem
Typhus haben wir nicht beobachtet.
Zur Züchtung der Bazillen aus Stuhl und Urin
wurde allein der Lakmnsmilchzuckeragar benutzt. Von mir im
Januar und Februar 1904 im Institut für Infektionskrankheiten
angestellte Versuche mit dem Koffein verfahren nach Hoffmann-
Ficker und mit der Malachitgrün-Methode nach Len tz hatten
mich nicht ermutigt, diese Methode hier anzuwenden. Es gelang
mir zwar mit dem Koffeinverfahren einige Male der Bazillen-
Nachweis, wo der allein benutzte v. Drigalski-Conradische
Nährboden ihn nicht gestattete, doch hatte ich dabei nicht den
Eindruck einer wirklichen Anreicherung der Typhusbazillen. Ander¬
seits erfordert die Koffein • Methode eine so grosse Mehrarbeit, dass
sie in einem Laboratorium, das in erster Linie rein praktischen
Zwecken dient, in ihrer jetzigen Form kaum anwendbar ist. Be¬
sonders störend wird dabei der Umstand empfunden, dass die An-
reicherungskolben 13 Stunden bei 37° gehalten werden müssen.
Typhusuntersuchungen de« Laboratoriums der Königl. Regierung in Coblenz. 66
Das Malachitgrünverfahren ermöglicht zwar nach meinen Ver¬
suchen eine sehr bedeutende Anreicherung der Paratyphusbazillen
gegenüber dem Bact. coli, sie gelang mir jedoch nicht in gleicher
Weise mit Typhusbazillen.
Die Identifizierung der Keime erfolgte durch Agglutination
mit einem hochwertigen Serum vom Titre 1 : 5000—8000. £ine
Spur der fraglichen Kolonie wurde zuerst auf einer Glasplatte
mit einem Tröpfchen Kochsalzlösung verrieben, dann ein etwa
gleich grosses Tröpfchen Serum in der Verdünnung 1 : 200 zuge-
setzt, und die Agglutination also in der Verdünnung 1 :400
makroskopisch beobachtet. Trat innerhalb einer Minute keine
Agglutination ein, so wurde auch eine Verreibung in einer Serum-
verdünnung von 1 : 100 ausgeführt; sie fiel jedoch dann gleichfalls
stets negativ aus. Einige Male wurden trotz des negativen Aus¬
falles Kolonien wegen ihres verdächtigen Aussehens abgestochen
und in Reinkultur gezüchtet, gaben aber auch dann keine Aggluti¬
nation. Wir konnten demnach eine Beobachtung, wie sie u. a.
Kühn (Frühdiagnose des A. Typhus, Jena 1904, St. 118) erwähnt,
dass frisch aus dem Körper gezüchtete Bazillen mitunter nicht
agglutinabel sind, es aber nach Ueberimpfen auf künstlichen Nähr¬
boden rasch werden, nicht machen. Durch die vor dem Sernm-
zusatz vorgenommene Verreibung in Kochsalzlösung vermeidet man
einen Irrtum, der bei der Verreibung in Serumverdünnung da¬
durch möglich ist, dass mitunter typhusähnliche Kolonien schwer
verreibbar sind, und so leicht Agglutination Vortäuschen können.
Die agglutinabelen Kolonien wurden in Reinkultur gezüchtet und
auf Milch, Neutralrotzuckeragar und Lakmusmolke verimpft,
ausserdem nach K olle scher Methode mit unserem Testserum aus¬
titriert. Es ist unter unseren 86 positiven Befunden nicht vor¬
gekommen, dass eine in oben angegebener Weise durch Aggluti¬
nation bestimmte Art sich nachträglich durch ihr Verhalten in
diesen Nährböden nicht als Typhus- resp. Paratyphusbazillen her¬
ausgestellt hätte. Es wurde auch stets die Diagnose auf diesen
Agglutinationsbefund hin abgegeben. Ein dadurch vielleicht doch
einmal möglicher, aber bisher nicht beobachteter Fehler fällt
gegenüber dem in allen Fällen resultierenden Zeitgewinn nicht
ins Gewicht.
Auf diese Weise wurde 86 mal der Bazillen - Nachweis er¬
bracht, und zwar 29 mal in 110 Stuhl- und 7 mal in 67 Urinproben.
Zu diagnostischen Zwecken eignet sich die Stuhlunter¬
suchung leider erheblich weniger, als die Serodiagnostik, wegen
der vielen negativen Resultate, wenn sie auch den Vorzug hat,
dass man unter Umständen die Erreger sehr früh nachweisen
kann. Wir konnten nur fünfmal eine positive Diagnose auf Grund
des Bazillennachweises allein stellen, so dass demnach mit den
88 durch Sero - Diagnostik festgestellten Fällen im ganzen bei 98
Typhuserkrankungen die Diagnose von seiten des Laboratoriums
gesichert warde. 1 )
*) Darunter 20 durch Bac. Paratyphus B erregte Erkrankungen, mit
einem durch Serumdiagnostik und F&cesbeiund gesicherten Todeslail.
66
Dr. Friedei.
Eine sehr grosse, bis jetzt noch nicht allgemein anerkannte
Bedeutung besitzt dagegen die Stuhluntersuchung zur Konstatierung
der bakteriologischen Heilung nach der klinischen Genesung.
Während bei der grossen Mehrzahl der Rekonvaleszenten die
Ausscheidung der Erreger mit dem Stuhl nach einigen Wochen
von selbst aufhört, hält sie bei einem geringen Prozentsatz, den
abzuschätzen unser Material noch nicht erlaubt, auf lange Zeit
hinaus dauernd an. Die Ermittelung dieser „chronischen
Typhusträger“, die unerkannt eine grosse Gefahr für ihre
Umgebung bedeuten, ist nur möglich durch eine systematische
Stuhluntersuchung, die in Zeitabschnitten von 8 Tagen so lange
nach der Genesung fortzusetzen ist, bis dreimal nacheinander ein
negatives Resultat erhalten wird. Bei den so ermittelten Typhus¬
trägern genügt dann sehr bald eine monatlich zu wiederholende
Untersuchung. Das Vorkommen dieser Typhusträger allein schon
nötigt zur Errichtung von Untersuchungsämtem iu grösserer Zahl,
in denen kostenlos alle Rekonvaleszentenstühle bis zur bakterio¬
logischen Heilung untersucht werden können.
Die Untersuchung des Urins, in dem ja ebenfalls die Er¬
reger auf lange Zeit ausgeschieden werden können, hat nicht die
Bedeutung der Stuhluntersuchung, weil wir in dem Urotropin bei
zweckmässiger Anwendung ein sehr wirksames Mittel zur Urindes¬
infektion besitzen. Es wurde daher den Aerzten unseres Regierungs¬
bezirkes dringend empfohlen, jeden Rekonvaleszenten mit Urotropin
in der Weise zu behandeln, dass man etwa 8 Tage nach der Ent¬
fieberung an drei aufeinander folgenden Tagen 2—8 g pro die
Urotropin oder das billigere Hexamethylentetramin, einfachen
„Urotropinersatz“, gibt und nach 8 Tagen die gleiche Medikation
wiederholt. In dieser Weise wurden auch unsere 7 Fälle mit
Bakteriurie behandelt; bei 6 verschwanden die Bazillen bereits
nach der ersten Urotropinbebandlung, bei einem erst nach der
zweiten dauernd. Werden in dieser Weise alle Rekonvaleszenten
mit Urotropiu behandelt, so kann wohl von der Urinuntersuchung
Abstand genommen werden. Sie ist jedoch noch in Anwendung
zu ziehen bei Personen aus der Umgebung eines Kranken, deren
etwaige Erkrankung unbekannt oder unerkannt geblieben ist,
und ferner bei Nachforschungen iu sogen. „Typhushäusern“.
Anders verhält es sich jedoch mit der Ausscheidung der
Bazillen im Stuhl, da wir bis jetzt kein Mittel zur Darmdesin¬
fektion kennen. Es bleibt uns daher nur der Weg offen, die
Bazillenträger zu ermitteln und gegen die Weiter Verbreitung der
Krankheit von diesen aus durch geeignete, gleich zu besprechende
Massregeln anzukämpfen. Wenn uns bis jetzt diese Kontrolle der
Rekonvaleszenten noch nicht in jedem Falle möglich war, so
werden wir doch bestrebt sein, in Zukunft diesem Ziele näher zu
kommen.
Die Stuhluntersuchungen werden dadurch sehr erleichtert,
dass die Rekonvaleszentenstühle nach einigen Wochen entweder
gänzlich frei von Typhuskeimen werden, oder aber diese in solchen
Mengen enthalten, dass sie nicht leicht übersehen werden,
Typhusuntersuchungen des Laboratoriams der KönigL Regierang in Coblenz. 67
wenigstens nach unseren Erfahrungen. Oft wuchsen aus den
Stühlen der Typhusträger mehr Typhus- als Koli-Kolonien auf der
Lakmusmilchzuckeragar- Platte aus, oft war nahezu eine Rein¬
kultur von Typhusbazilleu resp. Paratyphusbazillen vorhanden. Es
hat in diesen Fällen den Anschein, als ob die Kolibakterien aus
dem Darm verdrängt werden und die Typhusbazillen vikariierend
auf treten.
Von solchen Typhusträgern mit überstandenem Typhus haben
wir bis jetzt 7 Personen unter dauernder Kontrolle; 4 davon
wurden von Dr. Lentz-Idar, der bis zur Eröffnung unserer
Untersuchungsstelle Typhusuntersuchungen im Kreise Kreuznach
und Meisenheim ansführte, 8 wurden von uns ermittelt. Es sind
die folgenden Fälle:
1.
2 .
8 .
4.
5.
6 .
7.
Fri. V. in K., 54j., erkrankt im August 1903 an Typhös;
Frau K. in S., 52 j.,
Frau W. in W., 54j.,
Frau B. in M., 28 j.,
Frau M. in D., 27 j.,
Frau R. in C., 51 j.,
Wilh. Z. in S., 2‘/*j.,
November 1903 an Typhus;
Dezember 1903 „ „
Dezember 1903 „ „
Juli 1901 an Paratyphus;
August 1904 an Typhus;
Oktober 1904 an Paratyphus.
Nr. 5 wurde dadurch ermittelt, dass ein Knecht in demselben
Hause im Dezember 1904 an Paratyphus, und Nr. 6 dadurch, dass
ihre Tochter ebenso im Dezember 1904 an Typhus erkrankte. 1 )
Zu diesen Typhusträgern nach überstandenem Typhus kommt
noch ein weiterer gleichfalls von Dr. Lentz-Idar ermittelter Fall
hinzu, in dem der Typhusträger, ein 14 j. Mädchen E. K. in S.,
das nicht nachweislich selbst erkrankt war, dessen Angehörige
aber im Oktober und November 1903 an Typhus erkrankt waren,
und das seit dem November 1903 ebenfalls dauernd Typhusbazillen
ausscheidet.
Bei den genannten Personen war die Ausscheidung der
Bazillen stets eine sehr reichliche und konnte in jeder Stuhlprobe
nachgewiesen werden. Wie lange sie noch andauern mag, ent¬
zieht sich jeder Vermutung; eine Abnahme der Keime ist jeden¬
falls auch bei denen, deren Erkrankung am weitesten zurückliegt,
(bis jetzt, Ende Dezember 1904) nicht nachweisbar.
Auch die Ursache dieser Dauerbesiedelung des Darmes mit
Typhuskeimen lässt sich zurzeit nicht angeben. Auffällig ist das
starke Ueberwiegen des weiblichen Geschlechtes (8) unter unseren
Typhusträgern. Möglich wäre es, dass in diesen Fällen die Ur¬
sache eine von Zeit zu Zeit wiederkehrende Neuaufnahme von
Keimen sein könnte, wobei die Infektionsquelle ausserhalb liegen,
oder aber eine Autoreinfektion stattfinden könnte, etwa wie bei
der Helminthiasis der Kinder; doch erscheint diese Erklärung
nicht sehr wahrscheinlich, weil in diesem Falle Erkrankungen in
der Umgebung häufiger sein müssten. Eher scheint es mir denk¬
bar, dass die Bakterien sich hier im Processus vermiformis oder
in der Gallenblase angesiedelt haben, und von da aus den Darm
*) Während des Druckes ein weiterer Fall Nr. 8: Frl. H. in C., 18j.,
erkrankte im Angust 1904 an Paratyphus; wurde dadurch ermittelt, daß im
Januar d. J. eine Freundin an Paratyphus erkrankte.
68
Dr Focke.
überschwemmen. Für eine solche Erklärung spricht der Umstand,
dass in letzter Zeit öfter Typhusbazillen nach Jahre lang vor*
ausgegangenem Typhus in der Gallenblase nachgewiesen wurden.
Doch sind das nur Vermutungen, deren Bestätigung nur durch
die Sektion eines Bazillenträgers erbracht werden könnte.
Jedenfalls sind diese Beobachtungen geeignet, Licht auf
manches Dunkel in der Aetiologie des Typhus zu werfen.
Um die Weiterverbreitung der Keime durch Typhusträger
nach Möglichkeit einzuschränken, hat der Herr Regierungspräsident
die in der Beilage zur heutigen Nummer (s. S. 15) abgedruckten
Rund Verfügung nebst Anweisung für die von den Eireisärzten zu
treffenden Massnahmen und einer allgemeinverständlichen „Be¬
lehrung“ erlassen. Den Anordnungen liegt das Bestreben zu¬
grunde, die Beschränkungen auf ein möglichst geringes Maass
herabzudrücken und den Betroffenen die erwachsenden Kosten
möglichst abzunehmen.
Ueber bleihaltige Abziehbilder.
Von Dr. Fooke • Düsseldorf.
Im letzten Jahre sah ich bei einem 6 jährigen Mädchen nach
einer akuten hochfleberhaften Gastroenteritis eine Albuminurie
(ohne Zylinder), die sich nicht in der gewöhnlichen Weise bald
und dauernd zum Verschwinden bringen liess, sondern 5 Monate
hindurch unter gleichzeitiger Beeinträchtigung des Allgemein¬
befindens immer zeitweise wiederkehrte. Die Albuminurie war
keine habituelle, weil sie weder hereditär, noch bei früheren Er¬
krankungen des Kindes beobachtet worden war; ebenso gehörte
sie nicht zu den als fanktionell beschriebenen Formen, die auf
Zirkulationsschwäche zurückgeführt werden; schliesslich waren
auch die zu einer anatomischen Läsion resp. Ernährungsstörung
der Nieren führenden Ursachen (Alkohol, Tuberkulose, Abszess)
auszuschliessen. Von toxischen Substanzen, an die gedacht werden
konnte, lag ja Blei am nächsten. Obgleich zwei Geschwister der
Patientin (ein grösseres und ein kleineres Kind) die meisten
Gegenstände mit ihr gemeinsam benutzten ohne nachteilige Folgen,
wurde alles Mögliche untersucht mit negativem Resultat. Auch
ein Bleisaum am Zahnfleisch war nicht bemerkt worden; trotzdem
blieb die Möglichkeit bestehen, dass in der Rekonvaleszenz die
nach dem typhoiden Fieber empfindlichen Nieren geschädigt worden
waren durch eine Bleieinwirkung, die so gering war, dass sie
eben keine stärkeren Zeichen hinterliess. Da wurde ich durch
eine Bemerkung von Schlegel-Nürnberg 1 ) darauf aufmerksam
gemacht, dass in den zur Verzierung von Emaillegeschirren be¬
nutzten Abziehbildern manchmal Blei enthalten sei. Es stellte
sich dann heraus, dass das Kind in den ersten drei Wochen nach
der Entfieberung fast täglich und meist stundenlang mit Abzieh¬
bildern gespielt hatte.
*) Blätter für Volksgesundheitspflege; 1904, H. 8, S. 37.
üeber bleihaltige Abziehbilder.
60
Um non za erfahren, ob die hier zam Spielen ge¬
brauchten Abziehbilder anch Blei enthielten, entnahm
ich vier hiesigen grossen Geschäften, in denen die damals von
dem Kinde benetzten Bilder ebenfalls gekauft waren, 20 ver¬
schiedene solcher Bilderbogen and untersuchte sie mit Hilfe von
Herrn Apotheker Feuth, hier. Die Bl&tter wurden einen Augen¬
blick in Wasser geweicht und dann einige Sekunden lang einem
Strom von Schwefelwasserstoffgas ausgesetzt. Dabei zeigten 15
Proben nichts Bemerkenswertes; aber 5 Proben änderten sofort
ihr Aussehen. Bei einer bräunte sich gleichmässig das ganze
Papier, auch der freie Baum zwischen den Figuren. Bei zweien
bräunten sich nur die Figuren, diese aber sehr stark; bei zwei
weiteren Proben trat die Braunfärbung der Figuren schwächer
auf. In allen 5 Fällen war die Bräunung jedenfalls die Folge
der Bildung von Schwefelblei. Die Reaktion mit Jodkalilösung,
bei der gelbes Jodblei entsteht, konnte natürlich nur auf dem
farblosen Papier beweiskräftig erwartet werden und trat bei der
ersterwähnten Probe tatsächlich schnell und stark ein. Somit
war etwa ein Viertel aller Bogen bleihaltig! Um ganz
sicher zu sein, übergab ich Teile derjenigen Bogen, die am
stärkten reagiert hatten, noch dem Stadtchemiker Herrn Dr. Loock
hier, der mir darauf mitteilte, dass er den Bleigehalt als „sehr
erheblich* bezeichnen müsse.
Wenn nun auch ein Bleisaum bei dem Kinde gefehlt hatte,
so ist dies bei der Geringfügigkeit der wahrscheinlichen Metall¬
aufnahme begreiflich. Die Urinuntersuchung auf Blei hätte an¬
fangs vermutlich ein positives Resultat ergeben; jetzt wurde sie
unterlassen, weil dafür schon zu lange Zeit nach dem Gebrauche
der Bilder verstrichen und das Kind bereits völlig hergestellt war.
Dennoch wird der Zusammenhang zwischen dem Bleigehalt der
Bilder und der lange dauernden Nierenreizung höchst wahrschein¬
lich, wenn man z. B. liest, was schon Bartels 1 ) und Kobert*)
über den Einfluss einer wiederholten geringen Bleiaufnahme auf
die Nieren geschrieben haben. Es wäre hiernach doch sehr zu
wünschen, dass jenes beliebte Kinderspielzeng nicht mehr die Ge¬
legenheit zur heimtückischen Nierenschädigung bei kranken oder
gesunden Kindern bieten möchte!
Die Angabe, dass zur Fabrikation von Abziehbildern auch
Bleiweiss gebraucht wird, fand ich nachträglich bei Flügge. 8 )
Wenn nun die Fabrikanten etwa den Einwand erheben sollten,
dass das Bleiweiss hier durch keine andere Deckfarbe ersetzt
werden könne, so dürfte derselbe bei der heutigen Farbentechnik
doch kaum noch gelten und keinesfalls den Ausschlag geben.
Ebenso wenig könnte der Einwand anerkannt werden, dass die
auf Bilderbogen benutzten Bleifarben wegen ihrer Unlöslichkeit
in Wasser für das Kind nicht gefährlich seien. Denn auch die
*) Diffuse Krankheiten der Nieren; Ziemssens Handbach der spez.
Pathologie; Bd. IX, 1877, S. 375.
*) Lehrbuch der Intoxikationen; 1893, S. 405.
*) Grundriss der Hygiene; 1894, S. 457.
70 Die zweite Beratung des preuß. Abgeordnetenhauses über den Entwurf
sonstigen gewerblichen Bleivergiftungen entstehen ja gerade durch
wasserunlösliche Präparate, die in geringsten Mengen an den
Fingern znm Munde gebracht und im Magendarmkanal dann ge¬
löst und resorbiert werden. Während aber der in einem gewerb¬
lichen Betriebe gefährdete Erwachsene durch Belehrung und Vor¬
schriften dazn angehalten werden kann, diesen Weg auszuschalten,
ist es bei spielenden Kindern unmöglich zu verhindern, dass sie
die von den nassen, „erheblich“ bleihaltigen Abziehbildern klebe-
rigen Finger gelegentlich zum Munde führen!
Selbst wenn nun eine Schädigung durch solche bleihaltigen
Bilder mit Sicherheit noch nicht nachgewiesen sein sollte, so kann
sie doch schon in zahllosen Fällen vorgekommen sein; dem wei¬
teren Vorkommen müsste daher vorgebeugt werden. Man sollte
annehmen, dass zur Vorbeugung eine Handhabe gegeben sei in
dem Reichsgesetz, betreffend die Verwendung gesundheitsschäd¬
licher Farben usw. vom 5. Juli 1887; denn dessen § 4 sagt:
„zur Herstellung von zum Verkauf bestimmten Spiel waren (ein¬
schliesslich der Bilderbogen, Bilderbücher und Tuschfarben für
Kinder).... dürfen die im § 1, Abs. 2 bezeichneten Farben“ —
d. h. auch solche, die Blei enthalten — „nicht verwendet werden.“
Ich muss aber befürchten, dass das Gesetz in dem hier vor¬
liegenden Falle versagen dürfte, weil es leider nur von „Farben“
redet, während das hier verwendete Blei wahrscheinlich
oft nur in dem leimähnlichen Ueberzuge enthalten ist.
Sicherlich trifft letzteres bei denjenigen Bogen zu, deren bildfreies
Papier die Bleireaktion ergeben hatte. Falls nun das Blei im
allgemeinen nicht in den Farben selbst enthalten ist — eine
Frage, deren Klärung wohl am besten von Seiten des Kaiserlichen
Gesundheitsamtes veranlasst würde —, so ist auf ein Vorgehen
nach dem obigen Paragraphen eine Verurteilung der betreffenden
Fabrikanten nicht zu erwarten. Es enthielte also das Gesetz
eine Lücke, deren Ausfüllung man sehr wünschen muss; denn für
die Kinder, die die Bilderbogen gebrauchen, macht es keinen
Unterschied, ob das Blei in den Farben oder im Ueberzuge sitzt;
die Bilderbogen sollten überhaupt kein Blei enthalten dürfen.
Es würde mich freuen, wenn das Vorstehende an anderen
Orten zu Nachprüfungen Anlass gäbe.
Die zweite Beratung des preussischen Abgeordnetenhauses
über den Entwurf eines Gesetzes, betr. die Bekämpfung
übertragbarer Krankheiten.
Vom Herausgeber.
Wie nach dem bisherigen Verlauf der Kommissionsberatungen
leider zu erwarten stand, hat die am 18. und 19. Januar d. J.
stattgehabte zweite Beratung des vorstehenden Gesetzentwurfes
noch nicht zu einem die endgültige Verabschiedung des Gesetzes
sichernden Ergebnis geführt. Der strittige Punkt ist nach wie
eines Gesetzes, betr. die BekBmpfang übertragbarer Krankheiten. 71
vor die Kostenfrage in bezug auf die schon während der
seuchenfreien Zeit erforderlichen Einrichtungen (§§ 27—29)
geblieben, während alle übrigen von der Kommission vorgeschlagenen
Aenderungen 1 ) angenommen sind und die Staatsregierang auch
hinsichtlich der Kostenfrage insofern dem Abgeordnetenhause ent¬
gegengekommen ist, als sie der von der Kommission vorgeschlagenen
Fassung des § 25 zugestimmt und sich damit bereit erklärt hat,
alle dorch die amtsärztliche Ermittelung einer anstecken¬
den Krankheit entstehenden Kosten, also auch bei den ersten,
nicht von Aerzten behandelten Fällen von Diphtherie, Scharlach
und Körnerkrankheit zu übernehmen. Dass dies voraussichtlich
der Fall sein würde, hatten wir bereits bei Besprechung der
Kommissionsberatungen *) angenommen; aber trotz dieses Ent¬
gegenkommens hat das Abgeordnetenhaus mit Rücksicht auf die
weniger leistungsfähigen Gemeinden und Gutsbezirke noch an der
Forderung einer weiteren Beteiligung des Staates bei Tragung
der Kosten für notwendige sanitäre Einrichtungen festgehalten,
obgleich der Kultus- und Finanzminister erklärten, dass das Gesetz
durch eine solche Forderung für die Staatsregierung unannehmbar
würde und der Herr Kultusminister wiederholt versicherte, dass
das Gesetz für die Gemeinden gegenüber dem bestehenden Zu¬
stande eine wesentliche Erleichterung bedeute, die Befürchtung
einer Mehrbelastung wegen zu hoher Anforderungen seitens der
Medizinalverwaltung, insbesondere seitens übereifriger Kreisärzte
inbezug auf die Beschaffung sanitärer Einrichtungen völlig un¬
berechtigt sei und etwaige, jedenfalls nur ausnahmsweise vor¬
kommenden Härten durch Beihülfen aus einem der Zentralinstanz
zur Verfügung stehenden Fonds künftighin um so eher vermieden
werden könne, als sich der Herr Finanzminister bereit erklärt
habe, diesen Dispositionsfonds angemessen zu erhöhen. Aus dieser
Erklärung geht auch hervor, dass der Herr Finanzminister die
von der Kommission vorgeschlagene und von dem Abgeordneten¬
hause angenommene Resolution, in den Haushaltsplan der Medi¬
zinalverwaltung einen Betrag von 500000 Mark, aus dem leistungs¬
unfähigen Gemeinden Beihülfen zu den Kosten sanitärer Einrich¬
tungen gewährt werden können, einzustellen, nicht ablehnend
gegenübersteht, sondern ihr stattgeben dürfte, falls das Gesetz in
der dritten Lesung schliesslich zustande kommt. Ebenso wie die
Staatsregierung wünschen alle politischen Parteien des Abgeord¬
netenhauses die Verabschiedung des Gesetzes, abgesehen von den
§§ 27—29 sind auch alle anderen Bestimmungen entweder ein¬
stimmig oder mit grosser Mehrheit angenommen; unter diesen
Umständen sollte man doch annehmen, dass über jene Paragraphen
noch eine Einigung erzielt und ein Weg zur Annahme des Gesetzes
gefunden werden könnte. Nach dem Verlauf der zweiten Beratung
und insbesondere der Verhandlungen über die strittigen Bestim¬
mungen ist diese Möglichkeit auch noch nicht aufgegeben, obwohl
jene bei der zweiten Beratung eine Fassung erhalten haben, die
') Siehe Nr. 24 dieser Zeitschrift, Jahrg. 1004, Seite 846 und folgd.
72 Die zweite Beratung des preuß. Abgeordnetenhauses Uber den Entwurf
für die St&atsregierang zweifellos an&nnelimbar ist; aber im Ab*
geordnetenh&use selbst herrschte noch eine so grosse Meinungs-
verschiedenheit, Unklarheit and Unschlttssigkeit über die betreffen*
den Paragraphen, dass bei der dritten Lesung sicherlich auf eine
andere Beschlussfassung zu rechnen ist. Von verschiedenen Seiten
wurde auch ausdrücklich die endgültige Stellungnahme biB zur
dritten Lesung Vorbehalten; ausserdem wurde noch eine genaue
Abgrenzung der landespolizeilichen und ortspolizei¬
lichen Kosten im Gesetz selbst, sowie volle Klarheit über die
finanzielle Tragweite des Gesetzes für die Gemeinden
verlangt.
Es werden also jetzt voraussichtlich noch Verhandlungen
zwischen Vertretern der Staatsregierung und der einzelnen Par¬
teien des Abgeordnetenhauses stattfinden, die hoffentlich zu einer
Einigung führen. Sollte dieses nicht der Fall sein, dann werden
wahrscheinlich die §§ 27—27 des Gesetzentwurfs überhaupt ge¬
strichen werden und es bei dem bisherigen Zustande in bezug
auf die Beschaffung sanitärer Einrichtungen bleiben, wie solches
vom Ministertische wiederholt vorgeschlagen ist. Im öffentlichen
Interesse würde dies allerdings zu bedauern sein; aber immerhin
ist es doch besser, das Gesetz wird ohne jene Bestimmungen an¬
genommen, als dass es wieder nicht zur Verabschiedung gelangt;
denn seine übrigen Vorschriften sind für die Bekämpfung der
Volksseuche von weit grösserer Bedeutung und bedeuten einen
ausserordentlichen Fortschritt auf diesem Gebiete.
Betreffs der Einzelheiten der Verhandlungen wird auf den
nachstehenden Bericht verwiesen; hervorgehoben zu werden ver¬
dient nur noch, dass jetzt konsequenter Weise hinsichtlich der
Frist zur Anzeige nicht nur im § 1 Abs. 2, sondern auch im § 1
Abs. 1 und § 2, Abs. 3 statt des Wortes „ unverzüglich *
die Fassung innerhalb 24 Stunden nach erlangter
Kenntnis“ gewählt ist, wie wir dies s. Z. auch vorgeschlagen
haben. Ein Antrag, die bei Erkrankung an vorgeschrittener
Lungen- und Kehlkopftuberkulose vorgeschriebene An¬
zeige (§ 1, Abs. 3) fallen zu lassen, wurde ebenso abgelehnt, wie
ein Antrag, die im § 2, Abs. 3 vorgesehene Anzeigepflicht
bei Geschlechtskrankheiten aktiver Militärpersonen (Unter¬
offiziere und Mannschaften) zu streichen. Dasselbe gilt betreffs
eines Antrages, durch den entsprechend der Regierungsvorlage
auch die fahrlässige Unterlassung der Anzeige durch Streichung
des von der Kommission hinzugefügten Wortes „wissentlich“ in
§31 Nr. 1 wieder unter Strafe gestellt werden sollte.
Der Berichterstatter, Abg. Sch medd ing (Zentr.), erörtert kurz die
Gründe, die im vorigen Jahre die nochmalige Zurückverweisung des Gesetz¬
entwurfs in die Kommission veranlaßt haben. Die damals von verschiedenen
Seiten gewünschte Teilung der Gesetzes ist von der Kommission abgelehnt, der
frühere Beschluß, daß der Staat alle Kosten der ärztlichen Feststellung an¬
steckender Krankheiten tragen solle, aufrecht erhalten und bei Fassung der
>?§ 27—29 betreffs Beschaffung sanitärer Einrichtungen in der seuchenfreien
Zeit den Wünschen des Abgeordnetenhauses Rechnung getragen.
Abg. Dr. Martens (nl.) führt aus, daß der Gesetzentwurf gegen-
eines Gesetzes, betr. die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten. 73
über dem jetzt bestehenden Zustande auf dem Gebiete der Gesundheits-
polizei einen ganz erheblichen Fortschritt bedeute. Oie große Angst, die in
manchen Kreisen vor den beamteten Aerzten herrsche, sei durchaus unbe¬
gründet. Die durch das Gesetz entstehenden Kosten würden außerordentlich
überschätzt; sie seien meist geringer als beim Fleischbeschaugesetz, dagegen
würden die Erfolge des Seuchengesetzes für die öffentliche Gesundheit weit
größere sein als die des Fieischbeschaugesetzes. Redner steht deshalb ebenso
wie seine Fraktion dem Gesetzentwurf durchaus wohlwollend gegenüber.
Abg. v. Kölichen (kons.) bedauert, daß eine Teilung des Gesetzentwürfe
in ein Ausführungsgesetz zum Reichseuchengesetz und ein Gesetz zur Bekäm¬
pfung gemeingefährlicher Krankheiten nicht stattgefunden habe. Gleichwohl
werde seine Partei für das Zustandekommen des Gesetzes eintreten. Allerdings
werde dieses wesentlich von der Regelung der Kostenfrage bei den §§ 26—29
abhängen; die Gemeinden dürften nicht noch mehr belastet werden.
Abg. Wellstein (Zentr.) erkennt an, daß das Gesetz einen Fortschritt
gegenüber dem bisherigen Zustand bedeutet; er ist deshalb ebenso wie seine
Fraktion durchaus bereit, nach Möglichkeit für dessen Verabschiedung mitzu¬
wirken, allerdings unter der Voraussetzung, daß die bestehenden Rechte der
Gemeinden aufrecht erhalten werden. Es herrsche eine große Angst nicht
sowohl vor den beamteten Aerzten, als vielmehr vor der Tätigkeit der Re¬
gierung. Das ganze Gesetz sei ein Polizeigesetz; deshalb müsse es mit sehr
großer Vorsicht und unter Forderung ausreichender Garantien behandelt werden.
Abg. Münsterberg (fr. Vgg.) erklärt, daß seine Partei ebenfalls
Wert auf das Zustandekommen des Gesetzes lege und eine Verständigung er¬
hoffe, da es sich um ein Wohlfartsgesetz handle. Die größeren Städte hätten
schon seit Jahren auf energischste Weise aus eigenem Antriebe und auf eigene
Kosten Maßnahmen zur Verbesserung der hygienischen Verhältnisse getroffen;
mit diesem Gesetz werde hoffentlich ein Gleiches auch für das Land erstrebt
und erreicht werden.
Abg. Gamp (freikons.) betont, daß auf diesem Gebiete Preußen noch
nicht in Deutschland vorangegangen, sondern noch erheblich im Rück¬
stand sei; seine Partei sei daher bereit, alle Maßnahmen zur Verbesserung
zu bewilligen. Es handele sich hauptsächlich um die Kostenfrage; der
Staat sei der leistungsfähigste Faktor, deshalb sei es unberechtigt, auf die
weniger leistungsfähigen Schultern der Gemeinden neue Lasten zu legen,
denn diese seien schon vielfach bis zur Grenze ihrer Leistungsfähigkeit für
allgemeine Zwecke in Anspruch geuommen. Es müsse deshalb genau ge¬
prüft werden, ob man die durch das Gesetz erwachsenden Lasten den Ge¬
meinden noch auferlegen könne. Ferner müsse das Gesetz klare, einwands¬
freie Bestimmungen haben, zu deren richtige Auslegung man nicht erst den
Prozeßweg zu beschreiten brauche. Da die Regierung dasselbe Interesse an
der Verbesserung der gesundheitlichen Verhältnisse wie das Abgeordnetenhaus
habe und das Gesetz für unbedingt nötig halte, so werde auch eine Verständigung
erzielt werden können; denn daß das Gesetz unter allen Umständen zustande
kommen müsse, darüber seien alle einig. Redner hofft, daß die Staatsregierung
in finanzieller Hinsicht noch mehr entgegenkomme, zumal das Gesetz viel
wichtiger sei als andere, bei deren Durchführung der Staat erheblich größere
Opfer bringe.
Abg. Gyßling (frs. Volksp.) führt aus, daß seine Partei schon eine
Reihe von Wünschen zurückgesteilt habe, um das Gesetz zustande zu bringen,
diesem Beispiele sollten auch die anderen Parteien, insbesondere die konserva¬
tive folgen. Gegen eine ungleiche Behandlung der Städte und Landgemeinden
müsse er sich aber entschieden aussprechen, wenn er auch keine Angst vor
einer Belastung der Städte habe. Schließlich bittet er, nicht mit Anträgen
zu kommen, die das Gesetz gefährden.
Abg. v. Ditfurth (kons.) erklärt im Aufträge seiner Partei, daß für
diese das Gesetz unannehmbar sei, wenn nicht die ungleiche Behandlung der
Gitsieziikc gegenüber den Landgemeinden beseitigt werde, denn nicht jeder
Guts bezirk sei leistungsfähig.
Abg. Dr. v. Savigny (Zentr.) bemängelt, daß nach dem g 1 auch jede
vorgeschrittene Erkrankung an Lungen- und Kehlkopftuber-
k ul ose bei einem Wohnungswechsel anzuzeigen sei Die tuberkulöse Erkrankung
74 Die zweite Beratung des preuß. Abgeordnetenhauses über den Entwurf
erstrecke sich nicht auf kurze Zeit, sondern auf viele Jahre; man könne mit
etwa 800000 solcher Kranken rechnen, von denen ein erheblicher Teil unter
diese Bestimmungen fallen werde. Die Wirkung würde dann sein, daß ein
solcher Kranker keine Unterkunft bei einem Gastwirt oder keine Wohnung
finden werde. Ueber das Maß des absolut notwendigen dürfe nicht hinaus¬
gegangen werden. Ein erheblicher Fortschritt sei schon die Anzeige der
Todesfälle infolge von Tuberkulose, man solle es deshalb hierbei belassen und
die Anzeigen bei Erkrankungen überhaupt streichen. Redner stellt einen
dementsprechenden Antrag.
Kultusminister Dr. S t u d t konstatiert zunächst mit Genugtuung, daß
allseitig die Notwendigkeit und Nützlichkeit des durch den vorliegenden Gesetz¬
entwurf vorgeschlagenen gesetzgeberischen Vorgehens anerkannt sei. Auch in
der öffentlichen Meinung und in der beteiligten Fachpresse bestehe kein
Zweifel darüber, daß der preußische Staat, der grüßte Bundesstaat des Deutschen
Reichs, endlich diese wichtige Materie ordnen und auf dem Gebiete der Seuchen¬
bekämpfung einen den modernen Anforderungen der Wissenschaft, den Verkehrs¬
verhältnissen und vor allen Dingen auch den sanitären Anforderungen ent¬
sprechenden gesetzlichen Zustand herstellen müsse. Hoffentlich würden sich
auch die gegen den Gesetzentwurf geltend gemachten Bedenken, denen zum
Teil eine irrtümliche Auffassung und gewisse Vorurteile zu Grunde liegen,
zerstreuen lassen. Daß der jetzige, auf dem Regulativ von 1885 beruhende
Zustand ein unhaltbarer sei, darüber bestehe kein Zweifel. Inbezug auf die
Kostenfrage bringe aber der vorgelegte Gesetzentwurf eine erhebliche Erleich¬
terung der Gemeinden, die jetzt nicht nur die Kosten der ärztlichen Fest¬
stellung der Krankheit, sondern auch diejenigen für alle übrigen Maßnahmen
zu tragen haben. Der Minister glaubt außerdem noch auf ein weiteres Ent¬
gegenkommen der Finanzverwaltung zu rechnen, dahingehend, daß auch die
den Gemeinden nach dem Entwurf noch obliegenden Kosten für die ärzt¬
liche Feststellung von Scharlach, Diphterie und Granulöse zum größten Teile
vom Staate übernommen würden. Es würden dann nur als hauptsächlichster
Streitpunkt die Bestimmungen in den §§ 27, 28, 29 übrig bleiben. Sollte hier
eine Verständigung nicht möglich sein, dann wäre es am besten, diese Para¬
graphen zu streichen und damit den bisherigen gesetzlichen Zustand aufrecht
zu halten, wonach die Kosten der im gesundheitlichen Interesse zu ergreifenden
Maßnahmen den Gemeinden zur Last fallen. Das behördliche Vorgehen in
dieser Hinsicht habe bisher zu keinen unbilligen Härten geführt; der Medizinal-
verwaltunf? stehe auch für Fälle, wo es sich um leistungsunfähige Gemeinden
handele, ein Unterstützungsfonds zur Verfügung, der von der Finanzverwaltung
voraussichtlich im nächsten Jahre noch erheblich erhöht werden würde. Gegen¬
über der Behauptung des Abg. Gamp, daß die sanitären Verhältnisse des
Landes sehr viel zu wünschen übrig ließen, betont der Herr Minister, daß in
den letzten Jahren überall eine beträchtliche Besserung erreicht sei und sich
diese auch durch eine erhebliche Abnahme der Sterblichkeit kenntlich mache.
Aber gerade der mangelhafte gesetzliche Zustand inbezug auf die Seuchen¬
bekämpfung trage z. T. Schuld an den noch vorhandenen sanitären Uebel-
ständen. Eine Verpflichtung des Staates zur Ucbernahme neuer Lasten kann
der Minister jedoch nicht anerkennen; die Forderung, daß in allen Fällen, wo
Leistungsunfähigkeit vorliege, der Staat sofort mit seinen Mitteln eintreten
müsse, stehe in so großem Widerspruche mit den allgemeinen Grundsätzen
über die Tragung der Kosten für polizeiliche Einrichtungen und Maßnahmen,
daß der Staat darauf nicht eingchen könne. Eine große Anzahl von anderen
Bundesstaaten habe diese gesetzgeberische Aufgabe bereits gelöst und zwar
hauptsächlich auf der Grundlage, daß den Gemeinden die Kosten dieser ge*
sundheitspolizeilichen Maßnahmen zur Last fallen; der preußische Staat da-
gagen lege sich ganz erhebliche neue Opfer zugunsten der Gemeinden durch
die gegenwärtige Vorlage auf. Die von dem Abg. Wellstein zum Ausdruck
gebrachte Furcht vor dem angeblich übertriebenen Berufseifer der Kreis¬
ärzte sei völlig unbegründet, im § 88 ihrer Dienstanweisung sei ihnen auch
besonders ein vorsichtiges Vorgehen unter Berücksichtigung der Leistungs¬
fähigkeit der beteiligten Gemeinden und unter Berücksichtigung der konkreten
Verhältnisse zur ausdrücklichen Pflicht gemacht. Auch die Ansicht, daß jeder
Landrat den Forderungen des Kreisarztes Folge geben würde, sei unzutreffend;
eine« Gesetzes, betr. die Bekämpfung Übertragbarer Krankheiten. 7fi
denn jeder Landrat werde im Gegenteil die Vorschläge des Kreisarztes auf
das sorgfältigste prüfen, ehe er sich dazu entschliesse, an die Gemeinden irgend
eine Anforderung zu stellen. Werden die Gemeinden aber in einem ihre
Leistungsfähigkeit etwa übersteigendem Maße in Anspruch genommen, so
bieten sich verschiedene Wege, um ihnen, auch im Verwaltungsstreitverfahren,
einen durchaus zureichenden Rechtsschutz zu gewähren.
Geh. Ob.• Ued.• Bat Dr. Kirchner wendet sich gegen die von dem
Abg. Dr. v. Savigny befürwortete Beseitigung der Anzeigepflicht bei Kehl¬
kopf- und Lungentuberkulose-Erkrankungen. Die starke Infektionskraft der
Taberkulose sei noch in allerjüngster Zeit durch eine große Reihe von Fällen
nachgewiesen worden. Die Tuberkulose sei eine Familienkrankheit, die Familie
und die Wohnung müsse man von ihr frei zu machen suchen. Zwar habe die
Krankheit erfreulicher Weise wesentlich abgenommen, aber nur unter den Er¬
wachsenen, während sie unter den Kindern im schulpflichtigen Alter (6 bis
15 Jahren) zugenommen habe, da die bisher gegen die Seuche ergriffenen Ma߬
nahmen sich besonders auf den Schutz der arbeitenden Altersklassen erstreckt
hätten. Die Einführung der Anzcigepflicht bei Tuberkulose sei auf allen
wissenschaftlichen Kongressen als notwendig anerkannt und in vielen Staaten,
zuerst in dem freien Amerika, eingeführt. In anderen Staaten, z. B. in Nor¬
wegen, gehe man viel weiter und habe auch die Absonderung der Kranken vor¬
geschrieben, während hier nur die Desinfektion beim Wohnungswechsel verlangt
werde; darauf könne man aber unter keinen Umständen verzichten, das sei das
Mindeste, um die kolossale soziale Gefahr einer Weiterverbreitung der Tuber¬
kulose wenigstens etwas oinzudämmen. Die Rücksichten, welche der Antrag¬
steller genommen wissen wolle, müßten gegenüber den Rücksichten auf die
Allgemeinheit und angesichts der eminenten Verscuchungsgefahr, die der Be¬
völkerung von der Tuberkulose drohe, zurücktreten. Ein Seuchengesetz ohne
Berücksichtigung der Tuberkulose sei ein Unding. Von allen ansteckenden
Krankheiten fordere sie die meisten Opfer; gelinge es daher, sie durch wirk¬
same Handhaben zu bekämpfen, so werde dadurch die Volksgesundheit in der
nachdrücklichsten Weise gefördert, die Sterblichkeit und die Not der Bevölke¬
rung merklich verringert.
Der Berichterstatter, Abg. Schmedding, erklärt, daß die Kommission
einen Antrag auf Streichung der Anzeigepflicht bei Tuberkulose voraussichtlich
abgelehnt haben würde, wenn ein solcher überhaupt gestellt worden wäre. Er
befürwortet gleichzeitig einen vom Abg. Pallaske gestellten Antrag, in § 1,
Abs. 1 das Wort „unverzüglich“ durch die Worte „innerhalb 24 Standen
nach erlangter Kenntnis“ zu ersetzen.
Abg. Gyßling (freis. Volksp.) erklärt sich sowohl gegen den Antrag
Pallaske, als gegen den Antrag v. Savigny.
Abg. Münsterberg (freis. Vgg.) spricht sich ebenfalls entschieden
gegen den Antrag v. Savigny aus, bei dessen Annahme die Möglichkeit einer
verschärften Kontrolle von schwerkranken Tuberkulösen wegfallen und dadurch
die Gesundheit aufs schwerste geschädigt werden würde.
Abg. Peltasohn (fr. Vgg.) wendet sich gegen den Antrag Pallaske.
Der Ausdruck „unverzüglich“ stehe schon im Reielisgesetz und sei auch im
übrigen ein gesetzestechnischer Ausdruck, der zu keinen Zweifeln Anlaß
geben könne.
Abg. Dr. v. Savigny (Zent.) äußert sich nochmals gegen den letzten
Satz des § 1. Nach der vom medizinisch - technischen Standpunkte vertretenen
Theorie müsse logischerweise das Wort „vorgeschrittener“ gestrichen und die
Anzeigepflicht auf alle Tuberkuloseerkrankungen ausgedehnt werden, um für
jeden Fall des Wohnungswechsels eines Lungen- und Kehlkopftuberkulose-
kranken die Wohnungsdesinfektion anordnen zu können. Schließlich käme man
dazu, die Kranken vollständig abzusondern. Das wäre die sich aus der Theorie
ergebende Logik. Dazu schreite man aber nicht, sondern mache nur einen
halben Schritt und stigmatisiere Hunderttausende als für ihre Mitmenschen
gefährlich, ohne ihnen den Weg zn zeigen, anf dem sie sich ans dieser Zwangs¬
lage befreien können. Die vorgeschlagene Maßregel bedeute eine weitgehende
wirtschaftliche und moralische Schädigung für die betreffenden Kranken und
ihre Familien; deshalb kann Redner nur nochmals empfehlen, sie zn streichen.
Abg. Pallaske (kons.) befürwortet seinen Antrag damit, daß das Wort
76 Oie xireite Beratung des preoß. Abgeordnetenhauses über den Entwnrl
„unverzüglich“ verschiedener Dentnng unterliegen and dem richterlichen Er¬
messen einen weiten Spielraum lasse. Mit der Bestimmung des § 81, daß eine
Bestrafung erfolgen solle, wenn die Anzeige länger als 24 Standen verzögert
werde, sei gesagt, um welche Frist es sich handeln soll Deshalb sei es besser,
diese Frist gleich im § 1 selbst zu bestimmen.
Ministerialdirektor Dr. Förster bittet mit Bttcksicht auf die gleiche
Bestimmung im Beichsseuchengesetz das Wort „unverzüglich“ beizubehalten.
Wenn es aber im § 1, Abs. 2 nicht beibehalten werden solle, dann müsse
konsequenter Weise auch im Abs. 1 die fragliche Aenderung eintreten.
Bei der nun folgenden Abstimmung wird § 1 mit dem Antrag Pallaske
angenommen, der Antrag des Abg. v. Savigny aber abgelehnt.
Zu § 2 beantragt Abg. Pallaske ebenfalls das Wort „unverzüglich“
im letzten Absatz zu ersetzen durch die Worte: „innerhalb 24 Stunden“;
außerdem beantragt der
Abg. Münsterberg (fr. Vgg.) die Streichung des Abs. 8, betreffend
die Anzeigepflicht der behandelnden Aerzte etc. bei Geschlechts¬
krankheiten der Soldaten.
Der Berichterstatter, Abg. Schmedding (Zcntr.), spricht sich gegen
diesen Antrag aus, der schon von der Kommission abgelehnt sei, da die An¬
zeigepflicht nicht nur im Interesse der infizierten Mannschaften selbst, sondern
auch der gesunden Mannschaften liege, um die ersteren möglichst schnell in ärzt¬
liche Behandlung zu bringen und die letzteren gegen Ansteckung zu sichern.
Abg. Münsterberg (fr. Vgg.) begründet den von ihm gestellten Antrag
hauptsächlich mit dem Hinweis darauf, daß sonst die Wahrung des Berufsgeheim¬
nisses der Aerzte durchbrochen werde. Ferner würden die Soldaten, die bisher
zur Heilung einen Zivilarzt aufgesucht hätten, jetzt aus Furcht vor der An¬
zeige sich überhaupt nicht behandeln lassen. Nach einer auf seine Veranlassung
in Danzig angestellten Umfrage seien jährlich durchschnittlich 1 '/* Soldaten
und 29 1 /« Unteroffiziere von Zivilärzten wegen Geschlechtskrankheiten behandelt.
Es handele sich deshalb nur um Unteroffiziere, die aus freien Stücken Heilung
bei einem Zivilarzt suchen, künftig aber zu den Kurpfuschern gehen würden
Konsequenterweise müsse man die Bestimmung auf alle Personen des aktiven
Militärstandes, Freiwillige, Fähnriche und Offiziere ausdehnen.
Abg. Dr. Buegenberg (Zentr.) hält für seine Person den Antrag
Mänsterberg für durchaus berechtigt. Es kämen überhaupt nur wenige Fälle
vor, wo die Soldaten zum Zivilarzt gehen. Wenn die Militärbehörde alle vier
Wochen dienstlich bekannt gebe, daß jeder Geschlechtskranke sich zu melden
habe und bestraft werde, wenn er zum Zivilarzte oder Kurpfuscher gehe, so
genüge das völlig. Jedenfalls werde das Berufsgeheimnis des Arztes, das
Palladium des Aerztestandes, auf dem die Vertrauensstellung des Arztes be¬
ruhe, durch diese Bestimmung schwer geschädigt, der gewollte Zweck aber
nicht erreicht und das Kurpfuschertum gefördert.
Generaloberarzt Dr. Paalzow, Bevollmächtigter des Kriegsministers,
weist darauf hin, wie viele Leute sich in den Zeitungen anbieten, Geschlechts¬
krankheiten zu heilen. Würden die Soldaten nur zu den Zivilärzten gehen,
so würde man vielleicht nicht so sehr auf die Anzeigepflicht dringen. Aber
gerade die vornehmen Zivilärzte werden eine Behandlung ablehnen, weil dazu
auch Schonung und Buhe des Kranken gehören. Auf das Berufsgeheimnis
könne man sich bei Seuchengefahr doch nicht immer berufen; dann müßten
auch andere Paragraphen des Gesetzes gestrichen werden. Schon im Jahre
1899 habe sich ein sehr bekannter Spezial arzt in Breslau dahin geäußert, die
Anzeigepflicht sei für die Soldaten bei diesen Krankheiten bedingungslos zu
verlangen. Die Umfrage in Danzig beweise, daß dort eine starke zivilärztliche
Beteiligung stattgefunden habe, aber gerade in Danzig sei die Zahl der Ge¬
schlechtskrankheiten unter den Militärpersonen im letzten Jahre um das doppelte
f ewachsen, ein Beweis, daß die zivilärztliche Mitwirkung nicht zur Verbesserung
er betreffenden Verhältnisse beigetragen habe. Die Militärverwaltung sei be¬
strebt, alles, was seit 50 Jahren auf dem Gebiet der Bekämpfung der Ge¬
schlechtskrankheiten in der Armee erreicht sei, zu erhalten. Von der Militär¬
verwaltung werde alles getan, um den Kranken nicht bloß zum Arzt zu bringen,
sondern auch um ihn zu heilen und dafür zu sorgen, daß die eingestellten
Söhne nicht als morsches Holz oder als Krüppel, sondern als gesunde Menschen
ins Elternhaus zurückkehren.
eines Gesetzes, betr. die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten. 77
Abg. Dr. Martens (natL) schließt sich in allen Punkten den Aus¬
führungen des Vertreters des Kriegsministeriums an.
Abg. Wilkens (kons.) erklärt sich für seine Person für den Antrag
Minsterberg und hofft, daß auch viele seiner Freunde dafür stimmen
werden. Die Bestimmung bedeute nur eine viertel Maßregel; man sollte lieber
warten, bis die Sache spruchreif sei und dann nicht nur gegen das Militär,
sondern auch gegen das Zivil mit ganzen Maßregeln zur Bekämpfung der Ge¬
schlechtskrankheiten Vorgehen.
Abg. Münsterberg (freie. Vgg.) tritt den Ausführungen des Ver¬
treters des Kriegsministeriums entgegen und befürwortet nochmals seinen An¬
trag. Man solle wenigstens die Aerzte von der Anzeigepflicht befreien und
dadurch besonders den Unteroffizieren die Möglichkeit geben, Zivilärzte auf«
zusuchen, ohne daß sie eine Anzeige bei ihrer Vorgesetzten Militärbehörde zu
befürchten brauchen.
Bei der darauffolgenden Abstimmung wird der Antrag Münsterberg
abgelehnt, und § 2 mit dem Antrag Pallaske angenommen.
Die §§ 3 bis 7 werden ohne Debatte angenommen.
Bei § 8 (Schutzmaßregeln) spricht Abg. Buegenberg (Zentr.)
den Wunsch aus, daß die beamteten Aerzte im Einvernehmen mit den Privat¬
ärzten Vorgehen möchten, da sie auf deren Mitwirkung angewiesen seien. Er
teile zwar nicht die von manchen ärztlichen Kreisen gehegte Befürchtung, daß
die größere Machtvollkommenheit, die den beamteten Aerzten durch das Gesetz
gegeben werde, öfter zu Beibereien zwischen ihm und den praktischen Aerzten
Veranlassung geben würde; immerhin sei es erwünscht, daß in den Aus-
fflhrungsbestimmungen den beamteten Aerzten entsprechende Instruktionen ge¬
geben werden, damit nicht Personen vom beamteten Arzt ins Krankenhaus
geschickt werden, ehe der behandelnde Arzt befragt sei, wie solche Fälle vor¬
gekommen seien.
Geh. Ob.-Med.-Bat Dr. Kirchner hält eine solche Befürchtung mit
Bücksicht auf § 14, Abs. 2 des Beichsseuchengesetzes und den Bestimmungen
des vorliegenden Gesetzes für unbegründet. Den behandelnden Arzt vor Ueber-
führung eines Kranken in das Krankenhaus zu benachrichtigen, sei jedoch nicht
Sache des beamteten Arztes, sondern Sache der Polizeibehörde. Die angeregte
Frage werde aber in den Ausführungsbestimmungen Berücksichtigung finden,
90 daß etwaige Uebelstände, die das Einvernehmen zwischen den beamteten
and behandelnden Aerzten stören könnten, ausgeschlossen seien.
Abg. Gamp (freikons.) ist der Ansicht, daß auch den beamteten Aerzten
die Verpflichtung obliege, einen Kranken nicht in ein Krankenhaus zu schicken,
ehe sie nicht mit dem behandelnden Arzt sich in Einvernehmen gesetzt hätten;
das gehe schon aus § 8 hervor, der den Zutritt des beamteten Arztes zu einem
Kranken von der Zustimmung des behandelnden Arztes abhängig mache. Jeden¬
falls müsse den beamteten Aerzten in den Ausführungsbestimmungen die Pflicht
aulerlegt werden, daß sie nicht weiter gehen, als es unbedingt notwendig sei.
Sie dürfen durch ihr Auftreten keinen Anlaß zu Konflikten mit anderen Aerzten
geben und sich diesen gegenüber nicht etwa als Vorgesetzte Beamte fühlen.
§ 8 wird hierauf angenommen, desgleichen die §§ 9—24 ohne jede
Debatte.
Zu § 25 (Kosten der amtsärztlichen Feststellung) hat der
Abg. v. Kölichen (kons.) beantragt, a. das Wort „amtliche" vor „Be¬
teiligung des beamteten Arztes" einzufügen und b. zwischen den Worten
»Diptherie" und „handelt" die Worte „in einem weiter als 4 km von
dem Wohnorte des nächsten Arztes entfernten Orte" einzu-
sehieben, so daß die Ortspolizeibehörde nur in Orten von weniger als 4 km
Entfernung von dem Wohnorte des nächsten Arztes die Kosten der ärztlichen
Feststellung zu tragen hätte, während diese nach der Kommissionsverfassung
in allen Fällen vom Staate zu tragen sind.
Abg. Schmedding (Münster), Berichterstatter, bittet es bei dem Vor¬
schläge der Kommission zu belassen. Die Fälle, wo bei Diphtherie, Körner-
kr&nkheit, Scharlach, ein Arzt nicht zugezogen und demzufolge keine Anzeige
erstattet werde, seien selten und deshalb die dem Staate durch ihre Fest¬
stellung erwachsenden Kosten gering.
Abg. Gamp (freik.) bittet ebenfalls, beide Anträge abzulehnen, nament¬
lich den zweiten, bei dem man sich auf einem absolut unsicheren Bechtsboden
78 Die zweite Beratung des preuß. Abgeordnetenhauses über den Entwurf
befinde. Außerdem handle es sich hier um verhältnismäßig minimale Kosten.
Gleichzeitig betont er, daß weder in der Kommission noch bei den Vertretern
der Staatsregierung darüber ein Zweifel bestehe, daß, wenn der beamtete Arzt
in Anspruch genommen sei und es sich herausstelle, daß keine anzeigepflichtige
Krankheit vorliege, der Ortspolizeibehörde, die den Arzt requiriert habe, keine
Kosten daraus erwachsen dürfe.
Minist.-Direktor Dr. Förster bittet die Anträge des Abg. v. Kölichen
anzunehmen. Der Begriff „Beteiligung“ sei so allgemein und dehnbar, daß der
Unterschied zwischen privatärztlicher und amtsärztlicher Tätigkeit des Kreis¬
arztes leicht verwischt werden könne. Jede Privatperson würde dann berech¬
tigt sein, nach ausgebrochener Seuche die Tätigkeit des Kreisarztes in Bewe¬
gung zu setzen und die Staatskasse verpflichtet sein, die Kosten zu tragen.
Deshalb empfehle es sich, hier das Wort „amtlich“ einzufügen, damit nur eine
solche Beteiligung verstanden werden könne, wie sie auf Grund des Gesetzes
und auf Grund der Dienstvorschriften näher begrenzt sei. Betreffs des Abs. 2
könne der Staat nicht für die Ausführung von Aufträgen haftbar gemacht
werden, die er garnicht selbst, sondern die Ortspolizeibehörde erteilt habe.
Er habe auch keine Sicherheit, daß die Ortspolizeibehörde dementsprechend
sparsam vorgehe. Damit dies geschehe, ließe sich vielleicht ein Weg zur Ver¬
ständigung in der Weise finden, daß auch für diese Kosten die Bestimmung
des § 26 a (Drittelung auf Gemeinde, Kreis und Staat) stattfinde.
Abg. Wellstein (Zentr.) kann dem Vorschlag des Begierungskommissars
nicht zustimmen und nur die Fassung der Kommission befürworten. Dagegen
hat er gegen Einfügung des Wortes „amtlich“ nichts einzuwenden, wenn er sie
auch an sich für unnötig hält.
Abg. Gyßling (fr. Volksp.) spricht sich in gleichem Sinne aus.
Abg. v. Kölichen befürwortet seine Anträge. Die Medizinalbeamten
wüßten zwar genau, was ihre amtliche Tätigkeit sei, dem Publikum gegen¬
über sei es aber wichtig, bestimmt festzulegen, daß es sich hier um die Fest¬
stellung einer Krankheit und nicht um Herbeiführung ihrer Heilung handle.
Deshalb sei die Hinzufügung des Wortes „amtlich“ angezeigt, um jeden
Zweifel zu beseitigen. Die von der Kommission vorgeschlagene Fassung des
Abs. 3 wäre allerdings das Allerbeste, bedeute aber eine große Erleichterung
gegenüber den Städten, welche bisher ohne weiteres diese Lasten getragen hätten.
Abg. Meyer (Diepholz) (nat. lib.) spricht sich entschieden gegen die
beiden Anträge aus; der erste sei überflüssig, der andere würde zu Ungerech-
kelten führen, während durch die Annahme des Kommissionsbeschlusses ein
einheitliches Rechtsgebiet für die Monarchie geschaffen würde. In einzelnen
Provinzen würden schon jetzt die gesamten Kosten der Feststellung vom Staate
getragen, z B. in Hessen-Nassau und in der Provinz Hannover; deshalb sei
es nur billig, wenn dies auch in den sämtlichen übrigen Gemeinden des Landes
geschehe.
Bei der hierauf folgenden Abstimmung wird der erste Antrag des v.
Kölichen (Elinfügung des Wortes „amtlich“ in Abs. 1 § 25) angenommen,
der zweite Antrag abgelehnt, also die Kommissionsfassung des Paragraphen
Abs. 2, beibehalten.
Bei der jetzt folgenden Beratung über die §§ 26 und 26a (Kosten
der Desinfektion und der besonderen Vorsichtsmaßregeln,
insbesondere auch der Absonderung der Kranken beim Ausbruch
von übertragbaren Krankheiten) vermißt Abg. Wellstein (Zentr.)
eine genaue Uebersicht über die nach dem bestehenden Rechte und dem jetzigen
Gesetze eintretende Verteilung der Kosten auf Staat und Gemeinden; er bittet
deshalb die Staatsregierung, einige Tage vor der dritten Lesung eine Zusammen¬
stellung darüber vorzulegen, in welcher Weise die Kosten, die durch das
Reichsgesetz und dieses Gesetz veranlaßt würden, sich auf die verschiedenen
Faktoren verteilen.
Abg. Gamp (freik.) schließt sich den Ausführungen des Vorredners in
allen Punkten an und bedauert, daß aus dem Gesetzentwurf nicht klar hervor¬
gehe, wer nun eigentlich der Träger dieser Lasten sei. Es bestehe allerdings
über das, was als landespolizeiliche und ortspolizeiliche Kosten anzuschen sei,
ein Ministerialerlaß, in dem sei aber der Begriff der landespolizeilichen Ma߬
nahmen etwas zu enge gefaßt. Ueberhaupt müßten gerade Maßnahmen gegen
ansteckende Krankh eiten mehr als bisher als landespolizeiliche angesehen
ftinea Gesetzes, betr. die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten. 79
weiden. Bei der Meinungsverschiedenheit über orte- und landespolizeQiches
Interesse hätte es sich empfohlen, alle Kosten zusammenzuwerfen und dem
Staat, der Gemeinde und dem Kreise je ein Drittel aufzuerlegen. Dann hätte
der Staat keine größere Belastung gehabt als jetzt, und das Volk würde für
diese Regelung volles Verständnis haben. Die Staatsregierung habe diese
Regelung aber abgelehnt. Dringend wünschenswert sei es auch, daß die Grenze
für die Gewährung etwaiger staatlicher Beihilfen höher hinaufgesetzt würde,
statt in Gemeinden unter 5000 Einwohner, auf alle Landstädte bis zu 20000
Einwohnern.
Kultusminister Dr. Studt erklärt, daß die Forderung einer alle Zweifel
ausschließenden Erklärung der Königlichen Staatsregierung darüber, welche
Kosten zu den landespolizeilichen und welche zu den ortspolizeilichen zu rechnen
seien, ebensowenig zu erfüllen sei, wie eine vollständige Kodifikation über
diese Materie in dem Gesetze. Eine solche könnte höchstens im Wege eines
allgemeinen Polizeikostengesetzes, aber nicht in einem Spezialgesetze erfolgen,
da sie alle anderen Zweige der polizeilichen Verwaltung berühre. Aber selbst
eine noch so scharfe Abgrenzung der orts- und l&ndespolizeilichen Kosten
würde auf diesem viel umstrittenen Gebiete alle Klagen über ungerechte Heran¬
ziehung zu den Kosten und alle Prozesse nicht verhindern können; hier müsse
man zu den Gerichten das Vertrauen haben, daß sie nach Recht und Gesetz
entscheiden. Zum Schluß bestätigt der Herr Minister, daß, soweit durch den
beamteten Arzt eine erste Feststellung einer übertragbaren Krankheit vor¬
genommen wird, und sich dabei herausstellt, daß es eine übertragbare Krank¬
heit nicht ist, doch die Kosten der Staatskasse zur Last fallen.
Abg. Schmedding, Berichterstatter, pflichtet den Ausführungen des
Herrn Ministers über die Schwierigkeit der Abgrenzung der Kosten, je nachdem
sie ortspolizeilicher oder landespolizeilicher Natur sind, voll und ganz bei; es
sei auch ihm als Referenten nicht gelungen, eine Abgrenzung zu finden. Er
gibt sodann eine genaue Uebersicht darüber, wie sich jetzt im einzelnen die
Kosten auf die Beteiligten verteilen würden, macht aber auf Unfehlbarkeit für
alle Einzelheiten dieser Uebersicht keinen Anspruch.
Kultusminister Dr. Studt erkennt zwar die sehr mühevolle und aus¬
gezeichnete Arbeit des Herrn Referenten als eine objektive und in wesentlichen
Punkten zutreffende an, behält sich aber im übrigen die Stellun gnah me zu
diesen Einzelheiten vor.
Abg. Wellstein (Zentr.) erwartet, daß die mühevolle Arbeit des Herrn
Referenten von der Königlichen Staatsregierung genau durchgeprüft wird und
diese dann bis zur dritten Lesung eine Erklärung abgiebt, inwieweit diese
Darstellung richtig oder unrichtig sei Jedenfalls gehe das eine aus ihr sicher
hervor, daß die Gemeinden eine kolossale Belastung erfahren. Im übrigen
hält er es ebenso wie der Abg. Gamp für erforderlich und auch für möglich,
in das Gesetz eine Bestimmung darüber hineinzubringen, was unter landea-
polizeilichen und ortspolizeilichen Maßnahmen zu verstehen ist.
Kultusminister Dr. Studt bestreitet entschieden, daß das Gesetz eine
Mehrbelastung der Gemeinden zur Folge haben werde. Davon könne gar nicht
die Rede sein. Es werde im Gegenteil eine erhebliche Erleichterung für die
Gemeinden bringen, namentlich in bezug auf die Kosten der ersten Feststellung
von übertragbaren Krankheiten, die nach der jetzigen Fassung des § 25 sämt¬
lich von der Staatskasse zu tragen seien. Der Herr Minister betont nochmals,
daß nach den den Medizinalbeamten und den beteiligten Staatsbeamten er¬
teilten Weisungen es völlig ausgeschlossen sei, daß das neue Gesetz der Aus¬
gangspunkt von erheblichen neuen, die Gemeinden überlastenden Anforderungen
bilden würde. Die tatsächliche Durchführung des Gesetzes werde auch be¬
weisen, daß dieses in der Tat eine erhebliche Erleichterung zur Folge habe,
wie sich schon jetzt mathematisch nachweisen lasse. Etwaige, nur in ganz
wenig Ausnahmefällen eintretende Härten würden wie bisher um so eher durch
Beihülfen aus dem Dispositionsfonds der Medizinalverwaltung ausgeglichen
werden können, als dieser dank dem Entgegenkommen der Finanzverwaltung für
die nächsten Jahre eine angemessene Erhöhung erfahren werde.
Abg. Wellstein (Zentr.) hält es nach wie vor für notwendig, daß
die Grundlagen des Gesetzes durchaus klargestellt werden; ein Gesetzgeber
dürfe keinen Sprung ins Dunkle machen. Deshalb müsse er darauf bestehen,
80 Die zweite Beratung des preuß. Abgeordnetenhauses über den Entwurf
daß zunächst eine Uebersicht Aber die Verteilung der Kosten vorgelegt werde.
Wenn mathematische Nachweise einer Entlastung der Gemeinden gegenüber
dem bisherigen Recht erbracht würden, so könne dies den Abgeordneten nur
angenehm sein.
Abg. Gamp (freik.) glaubt zwar, daß der Staat durch das neue Gesetz
mit erheblich höheren Kosten belastet werde, aber auch bei den Gemeinden
werde dies der Fall sein. Der Staat trage z. B. jetzt fast ausschließlich die
Kosten zur Bekämpfang der Granulöse; künftighin würden auch die Gemeinden
dazu herangezogen werden können. Jedenfalls sei es auch erforderlich, die
Verpflichtungen der Landespolizeibehörde und der Ortspolizeibehörden so ab¬
zugrenzen und zu fixieren, daß ein leidlich verständiger Mann daraus klug
werden könne. Dia Frage sei allerdings sehr schwierig; bei ihrer Beantwor¬
tung komme es auch wesentlich darauf an, wo die überwiegenden Inter¬
essen liegen.
Geh. Reg.-Rat Frhr. v. Zedlitz u. Neukirch betont zunächst, daß
der Staat keineswegs die Verpflichtung habe, die Kosten für die Bekämpfung
der Granulöse zu tragen; wenn er dies tatsächlich zum großen Teil in den
östlichen Provinzen tue, so geschehe es nur, weil die hier den Gemeinden ge¬
setzlich obliegenden Pflichten infolge der Massenhafiigkeit der Erkrankungen
derartig schwer auf ihnen lasten, daß sie nicht in der Lage sind, ihnen finan¬
ziell zu genügen. Es sei genau dasselbe, was der Staat jetzt auch im Süd¬
westen der Monarchie zur Bekämpfung des Typhus tue; auch hier habe der Staat
erhebliche Mittel zur Verfügung gestellt, um den leistungsunfähigen Gemeinden
die Erfüllung ihrer Aufgaben in bezug auf die Bekämpfung der Krankheit zr
erleichtern. Redner legt dann an der Hand des bestehenden Rechtszustands
und des Entwurfs klar, inwieweit eine Entlastung der Gemeinden eintritt. Die
Bekämpfung der gemeingefährlichen Krankheiten spiele sich notwendigerweise
in verschiedenen Stadien ab: Anzeige, Feststellung, Bekämpfungsmaßregeln,
Bereitstellung des Rüstzeuges. Alle diese Maßregeln finden sich bereits in
den bestehenden Gesetzen; im Regulativ von 1835, wie im Reichsseuchengesetz.
Die Anzeigepflicht habe den Gemeinden bisher keine oder nur minimale Kosten
verursacht, wohl aber die Feststellung, deren Kosten sie bisher allein zu
tragen hatten, während sie künftighin sämtlich vom Staate übernommen werden,
was für die Gemeinden eine erhebliche Entlastung bedeutet. Auch für die
Durchführung der einzelnen Bekämpfungsmaßregeln (Isolierung, Des¬
infektion, die Ueberwachung des Leichentransportes usw.) seien bisher ledig¬
lich die Gemeinden Träger der Lasten; künftighin trete dagegen eine Drit-
telung dieser Lasten ein bei allen Gemeinden unter 6000 Einwohnern, falls von
diesen mehr als 160 °/o der Staatssteuern an direkten Gemeindesteuern erhoben
und die Kosten mehr als 6 °/ 0 des Einkommensteuersolls betragen; dies werde
aber bei fast sämtlichen Landgemeinden, ausgenommen von ganz besonders günstig
situierten, der Fall sein. Sie haben also künftig nur ein Drittel der bisherigen
Kosten zu tragen; wiederum eine außerordentliche Entlastung. Betreffs der
Bereitstellung des erforderlichen Rüstzeugs habe der Staat aller¬
dings eine Mitlast nicht übernommen, sondern vorgeschlagen, eine Entlastung
der Gemeinden durch Heranziehung der breiteren und leistungsfähigen Schul¬
tern des Kreises herbeizuführen. Von den gewaltigen Aufgaben, die den
Gemeinden bereits jetzt obliegen, werde ihnen also ein erheblicher Teil
abgenommen. Käme das Gesetz dagegen nicht zustande, so könne beim Aas¬
bruch einer Epidemie die Gemeinde tatsächlich wirtschaftlich ruiniert werden,
da ihr dann die staatliche Unterstützung fehle. Auch in der Provinz Hannover
habe jetzt der Staat nur die Kosten des unmittelbaren Dienstbetriebes, also
nur diejenigen behufs Feststellung einer Krankheit auf dem platten Lande zu
tragen, die mittelbaren Kosten für die Bekämpfung ansteckender Krankheiten
dagegen die betreffenden Gemeinden. Auch für die Landgemeinden der Provinz
Hannover würden demnach die Erleichterungen, die das Gesetz den Gemeinden
biete, zum größeren Teil praktische Bedeutung haben.
Abg. Winkler (kons.) erklärt, daß seine politischen Freunde dem Ge¬
setze nur zustimmen könnten, wenn sie sicher seien, daß die Gemeinden da¬
durch nicht überlastet werden. Es müsse deshalb volle Klarheit über die
finanzielle Tragweite des Gesetzes gegenüber den Gemeinden vorliegen, ehe
man zu einer endgültigen Beschlußfassung über das ganze Gesetz schreiten
eines Gesetzes, betr. die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten. 81
könne. Redner richtet deshalb an die Staatsregierung die Bitte, bis dahin
doch ihrerseits alles za tan, am diese Klarheit za schaffen.
Finanzminister Frh. v. Rheinbaben widerspricht entschieden der yom
Abg. Ga mp vertretenen Ansicht, daß die Finanzyerwaltang geneigt sei, „aaf
die am wenigsten leistangsfähigen Schaltern immer and immer wieder neae
Lasten za bürden*. Der Staat sei im Gegenteil in Anerkennung der hohen
Belastung der Gemeinden immer mehr bestrebt gewesen, Staatsbeihilfen za
gewähren. Der Herr Minister weist zahlenmäßig nach, daß der Staat in ein¬
zelnen Provinzen allein für Schalzwecke mehr Staatszaschüsse gewährt, als
diese an Einkommensteaer^aafbringen. Aach darch das Fürsorge- and Dotations¬
gesetz sei der Staat zugunsten der Gemeinden erheblich belastet; desgleichen
denke er nicht daran, die bedeutenden Summen für die Bekämpfung der
Granulöse seinerseits zarückzuziehen. Eine Grenze zwischen Landespolizei and
Ortspolizei lasse sich nicht genan fixieren, am wenigsten darch ein Spezial¬
gesetz. ln Anerkennung, daß gerade die kleinen Gemeinden vielfach überlastet
seien, werde ihnen darch das Gesetz eine weitere Erleichterung insofern zateil,
ab sie künftig nur ein Drittel der Kosten für die Bekämpfungsmaßregeln zu
tragen haben, während das zweite Drittel der Kreis bezahle and das dritte
Drittel aof den Staat entfalle. Dagegen könne dieses Verteilungsprinzip nicht
nach aaf die Maßnahmen der §§ 27—29 ausgedehnt werden; denn hier handele
es sich am Maßnahmen, die im Frieden vor Ausbrach der Seuche getroffen
werden müssen, wo man also vollkommen in der Lage sei, nicht nur die medi¬
ziaalpolizeiliche Seite, sondern auch die Frage der Leistungsfähigkeit der Ge¬
meinden vollkommen za berücksichtigen. Hier sei die Befürchtung, daß darch
solche plötzlich notwendigen Maßnahmen die Gemeinden überlastet werden,
mn so mehr ausgeschlossen, als die Entscheidung nicht etwa in den Händen
der Medizinalverwaltung, sondern in denjenigen der Kommanalaufsichtsbehörden,
des Landrats, des Regierungspräsidenten asw., liege, and man von diesen In¬
stanzen doch gewiß annehmen könne, daß sie aach die Frage der Leistungs¬
fähigkeit der Beteiligten würdigen and danach ihre Maßnahmen einrichten
werden. Durch eine Beteiligung des Staates bei den Kosten für diese Ma߬
regeln werden nnr die Grenzen zwischen Kommunal- and Staatsaufgaben ver¬
wischt werden, und der Staat aaf eine schiefe Ebene geraten. Der Minister
resümiert sich dahin, daß die jetzige Vorlage nicht eine Verschlechterung,
sondern eine wesentliche Verbesserung in bezug auf die Gemeindelasten dar¬
stelle; kommt das Gesetz nicht zustande, so spare er eine sehr große Summe
Geldes; gleichwohl würde er das Nichtzastandekommen des Gesetzes sehr be¬
dauern, denn sowohl die Medizinalverwaltung, als vor allen Dingen auch die
Gemeinden würden darunter leiden. Er kann deshalb vom Standpunkt der
Fürsorge einer guten Medizinalverwaltung, sowie im Interesse der Gemeinden
und der Kreise nur bitten, der Vorlage zazostimmen.
Abg. K r e t h (kons.) betont, daß die großen Schal- and Armenlasten za
der größten Vorsicht gegenüber Gesetzentwürfen zwingen, die eine weitere
Belastung der Gemeinden znr Folge haben können. Es sei allerdings ganz
richtig, daß in hygienischer Beziehung aaf dem flachen Lande sehr vieles ge¬
schehen müsse; aber daß damit große Ausgaben und große Belastungen der
Gemeinden verbunden sein würden, sei gleichfalls zweifellos. In dieser Be¬
ziehung helfend einzagreifen, sei Aufgabe des Staates. Mit der Granulöse habe
nan aber in Ostpreußen trübe Erfahrungen gemacht. Hier hätten in erster
Linie die Eirebe der Not gehorchend, nicht dem eigenen Trieb, die zum
Teil erheblichen Kosten übernommen, obwohl die Bekämpfung der Körner¬
krankheit Sache nicht nar der Landespolizei, sondern des ganzen Staates
sei, da ein großes staatliches and militärisches Interesse hierbei auf
dem Spiele stehe. Ab Vertreter des äußeren Ostens könne er sich nar mit
dem Gesetz einverstanden erklären, wenn der Staat sich bereit erkläre,
wenigstens die Kosten für die Körnerkrankheit, nicht nur durch Abmachung
ah den Kreben, die vielleicht jeden Augenblick wieder aofgehoben werden
kannte, sondern in verbindlicher Form zom großen Teile aaf sich za über¬
nehmen.
Finanzminister Frh. v. Rheinbaben erklärt, daß die Kreise im Osten
>ur */t der gesamten Kosten für die Granulosebekämpfang aufbringen, */t trage
der Staat.
82 Die zweite Beratung des preuß. Abgeordnetenhauses über den Entwurf
Abg. Ga mp (freik.) führt aus, daß es weder aus dem Gesetze, noch aus
der Erklärung des Finanzministers ersichtlich sei, ob der Staat auch künf¬
tighin im Verhältnis von 6:1 die Kosten für die Granulosebekämpfung über¬
nehmen wolle. Eine Ueberlastung bestehe nicht blos bei den Gemeinden, son¬
dern auch bei den Gutsgemeinden, denen keine Staatshilfe gewährt werde.
Abg Meyer-Diepholz (natl.) will nicht zngeben, daß die mittelbaren
Kosten der örtlichen Polizeiverwaltung in der Provinz Hannover den Gemeinden
zur Last fallen.
Abg. Wellstein (Zentr.) will nach den Erklärungen vom Ministertische
aus nicht weiter darauf drücken, daß eine Definition, was unter landespolizei¬
lichen und ortspolizeilichen Maßnahmen zu verstehen sei, in da9 Gesetz auf¬
genommen werde; dagegen widerspreche es nicht, im Gesetz zu bestimmen:
diese Kosten sind als Tandespolizeiliche und diese als ortspolizeiliche anzusehen.
Eine Mehrbelastung der Gemeinden komme nicht durch die Vorschriften des
Gesetzes, sondern durch die Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse in
bezug auf den Verkehr und die hygienischen Maßregeln. Die Uebertragung
einer Krankheit von einem Ort auf den anderen sei bei den heutigen Ver¬
kehrsverhältnissen weit leichter als früher.
Abg. Kreth (kons.) fragt an, wie es mit der Deckung der Kosten für
die Granulosebekämpfung in Zukunft gehalten werde; desgleichen wünscht
er, daß die Staatskasse auch zu den sanitären Einrichtungen (§§ 27—29) etwas
beitrage, damit nicht vielleicht doch zu große Liebhaberanforderungen an die
Gemeinden gestellt würden.
Finanzminister Frh. v. Rheinbaben erklärt, daß es hinsichtlich der
Bekämpfung der Granulöse bei dem Zustande bleiben soll, wie er gegenwärtig
besteht: Prüfung von Fall zu Fall und ein Entgegenkommen bis zu der
Grenze, wie es bisher schon geschehen ist, da, wo die einzelnen Gemeinden
tatsächlich schon als leistungsunfähig anzusehen sind.
Bei der jetzt folgenden Abstimmung werden die §§ 26 nnd 26 a mit
großer Mehrheit angenommen.
Es wird jetzt beschlossen, die §§ 27—29 zusammen zu beraten und die
Beratung über § 26 b erst nach diesen vorzunehmen.
Zum § 27 hat der Abg. Gamp beantragt, die Worte „nach Maßgabe
ihrer Leistungsfähigkeit“ zu streichen, während der Abg. Wellstein folgende
Fassung vorschlägt:
„Ist der Ausbruch einer übertragbaren Krankheit festgestellt oder
liegt die begründete Gefahr des Ausbruchs oder der Verbreitung einer
solchen vor, so sind die Gemeinden verpflichtet, diejenigen Einrichtungen,
welche zur Bekämpfung der übertragbaren Krankheiten notwendig sind,
zu treffen.
Sofern diese Einrichtungen Bedürfnissen dienen, welche über die
Grenzen einer einzelnen Gemeinde hinausgehen, kann die Verpflichtung
dem Kreisverbande auferlegt werden.“
Hierzu hat im Falle der Annahme des Antrages der Abg. Ga mp den
Zusatz beantragt: „Den Kreisen ist die Hälfte der in Gemäßheit der vor¬
stehenden Vorschriften geleisteten Ausgaben vom Staate zu erstatten.“
Bei § 28 wünscht Abg. Wellstein die Wiederherstellung der Re¬
gierungsvorlage und Abg. Gamp die Worte „die zu gewährende Anforderung“
zu ersetzen durch die Worte: „die Inanspruchnahme derselben“.
Zu § 29 beantragen der Abg. Gamp den Schlußsatz „Die Beschwerde
hat aufschicbende Wirkung“ zu streichen und die Abgg. Dr. Iderhoff und
Frh. v. Zedlitz und Nenkirch die Hinzufügung des Absatzes: „Bei Ge¬
fahr im Verzüge kann die von der Kommunalaufsichtsbehörde geforderte Ein¬
richtung hergestellt werden, bevor das Beschlußverfahren zum Abschluß
gebracht ist. Die Kosten der Einrichtung trägt in diesem Falle der Staat,
sofern nicht in dem Beschlußverfahren die Gemeinde für verpflichtet er¬
kannt wird.“
Abg. Schmedding (Zentr.), Berichterstatter, führt aus, daß ein früherer
Antrag, wonach sich auch der Staat an den Kosten prohibitiver Einrichtungen
beteiligen solle, von der Staatsregiernng als unannehmbar bezeichnet, und ein
anderer Antrag, die §§ 27—29 zu streichen, von der Kommission abgelehnt sei.
Dagegen sei ein Vermittelungsantrag angenommen, wonach die Gemeinden nur
da« Gesetzes, befer, die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten. 88
naeb Maßgabe ihrer Leistungsfähigkeit zur Herstellung und Unter¬
haltung von Einrichtungen angehalten werden können; anderseits aber auch
die Kreise befugt sein sollen, diese Einrichtungen an Stelle der Gemeinden
zu treffen.
Abg. Oamp (freik.) betont unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte
des hier in Betracht kommenden § 23 des Beichsseuchengesetzes, daß die Be¬
schlüsse der Kommission als außerordentlich maßvoll und dem Fiskus ent¬
gegenkommend anzusehen seien. Um § 27 jedoch in formale Uebereinstimmung
mit § 23 des Beichsgesetzes zu bringen, hält er die Streichung der Worte
.nach Maßgabe ihrer Leistungsfähigkeit“ für angezeigt. Auch der Vorschlag,
die Worte .die zu gewährende Anforderung“ durch die Worte .die Inan¬
spruchnahme derselben“ zu ersetzen, sei lediglich eine formale Korrektur des
Kommissionsbeschlusses.
Abg. Frh. v. Zedlitz und Neukirch (freikons.) bittet, bei den §§ 27,
28 und 29 den Antrag Wellstein nicht anzunehmen, sondern es bei den Be¬
schlüssen der Kommission mit den vom Abg. Ga mp vorgeschlagenen Aende-
rungen zu lassen. Durch das vorgesehene Beschlußverfahren werde gegen
übertriebene Anforderungen der Behörden an die Leistungsfähigkeit der Ge¬
meinden ein größeres Sicherheitsventil vorgeschoben, als durch die Beschwerde
im Aufsichtswege. Bedner begründet sodann den von ihm zu § 24 gestellten
Zusatzantrag, indem er ausführt, daß, wenn auch in der Begel die in seuchen¬
freier Zeit zu treffenden Einrichtungen nicht besonders eiligor Natur seien,
ausnahmsweise doch das Gegenteil der Fall sein könne und für solche Aus-
aahm efälle Sorge getragen werden müsse. Durch seinen Zusatzantrag werde
die Sache so geordnet, daß dem Bedürfnis genügt werden könne und doch eine
Belastung der Gemeinden, sowie eine unberechtigte Heranziehung des Staates
zu den Kosten vermieden werde.
Abg. Wellstein (Zentr.) ist an sich mit der Streichung der Worte
.nach Maßgabe ihrer Leistungsfähigkeit“ im § 27 einverstanden, desgleichen
mit der redaktionellen Aenderung im § 28 und dem beantragten Zusatz zu
| 29. Sein eigener Antrag bedeute, daß die betreffenden Maßnahmen erst beim
Ausbruche einer Seuche oder einer begründeten Gefahr einer solchen eintreten
sollten. Der Antrag bezwecke eine Ausgleichung zwischen der Begierungs-
vorlage und der Kommissionsfassung. Er lasse allerdings eine Lücke betreffs
der Einrichtungen in seuchenfreier Zeit übrig. Bedner behält sich daher vor,
bei der dritten Lesung eine Fassung zu finden, um diese Lücke auszufüllen.
Jedenfalls habe aber nach seiner Ansicht die Begierung nicht schon auf Grund
des § 23 des Beichsseuchengesetzes das Becht, auch wegen der sonstigen
übertragbaren Krankheiten in der seuchenfreien Zeit Anordnungen auf Be¬
schaffung sanitärer Einrichtungen zu treffen.
Abg. v. Kölichen (kons.) erklärt, daß seine Partei in bezug auf den
§ 23 des Beichsgesetzes ebenfalls der Ansicht sei, daß sich dieser nur auf die
hier genannten gemeingefährlichen Seuchen, nicht aber auch auf die übertrag¬
baren Krankheiten beziehe. Mit dem ersten Teil des Antrags Wellstein sei
seine Partei einverstanden, dagegen nicht mit dem zweiten Teil, da sie
grundsätzlich gegen jede weitere Heranziehung der Kreise sei. Wenn die zur
Kostentragung verpflichteten Gemeinden lcistungsunfähig seien, müsse der
Staat eintreten. Ebenso müsse an dem Beschlußverfahren bei Beschwerden
festgehalten werden; auch der Zusatz zu § 29 sei zweckmäßig und seine An¬
nahme nur zu empfehlen.
Abg. Meyer-Diepholz (n.-lib.): Die §§ 27—29 sind ohne Zweifel die
schwierigsten des Gesetzes, weil man nicht wisse, welche Anforderungen bei
Annahme der Begierungsvorlage an die Gemeinden gestellt werden können.
Bedner habe deshalb eine Uebersicht über die voraussichtlichen Kosten ver¬
langt, nicht aus Angst vor der Tätigkeit der Kreisärzte, sondern um sich als
guter Hausvater über die Tragweite der Kosten zu versichern. Die heutige
Abstimmung könne für ihn und seine Partei nicht bindend sein; an und für
sich sei ihm der Antrag Wellstein sympathisch, nur sei bei Erledigung
von Beschwerden der Bezirksausschuß vorzuziehen.
Kultusminister Dr. Studt gibt zu, daß die Verkehrsverhältnisse seit
Erlaß des Begulativs von 1836 sich total verändert haben; aber ebenso sei
die Bekämpfung der Seuchen durch die verbesserten Verkehrsverhältnisse eine
84 Die zweite Beratung des preuß. Abgeordnetenhauses über den Entwurf
viel einfachere geworden. Jedenfalls liege der Medizinalverwaltung nichts
ferner, als das neue Gesetz zum Ausgangspunkt einer großen Fälle von Ver¬
besserungsmaßnahmen usw. zu nehmen. Es werde in der vorsichtigsten Weise
vorgegangen werden. Der Herr Minister spricht sich sodann gegen die An¬
träge des Abg. Gamp aus und betont, daß nach der Begründung und Ent¬
stehungsgeschichte des § 23 des Reichsseuchengesetzes es zweifellos feststehe,
daß die Befugnis der zuständigen Landespolizeibehörde, die erforderlichen
sanitären Einrichtungen zu fordern, eine unbedingte sei Bleibe deshalb die
jetzige Landesgesetzgebung bestehen, so würden die Kosten der sanitätspoli-
zeilichen Einrichtungen von den Ortsgemeinden bezw. den örtlichen Kommunal¬
einheiten zu tragen sein. Der Antrag des Abg. Wellstein enthalte eine
sehr weitgehende Einschränkung sowohl des bisherigen Rechtszustandes, als
auch desjenigen, wie er in den §§ 27 und 28 der Regierungsvorlage vorge¬
sehen sei. Es würden dadurch den Staatsbehörden die Hände in einer un¬
erwünschten Weise gebunden, und es könnte die Schlußfolgerung daraus ge¬
zogen werden, daß auch zu gewöhnlichen Zeiten, wo eine derartige Gefahr
nicht vorliegt, die Polizeibehörde bezw. die Sanitätsbehörde nicht in der Lage
sei, an die Gemeinden irgend welche Zumutungen wegen verbesserter sanitärer
Einrichtungen zu treffen. Wolle man das Gesetz mit einer solchen Fülle von
Klauseln belasten, dann wäre es besser, die §§ 27, 28 und 29 der Regierungs¬
vorlage überhaupt zu streichen und es in dem alten Zustande zu lassen. Bis¬
her sei es in den meisten Fällen gelungen, den sanitären Anforderungen gerecht
zu werden; das werde auch künftig umsomehr der Fall sein, als bei gemein¬
gefährlichen Krankheiten der § 23 des Reichsgesetzes nach wie vor den zu¬
ständigen Behörden die Möglichkeit biete, die notwendigen Einrichtungen her-
stellen zu lassen.
Abg. Münsterberg (fr. Vgg.) zieht die Fassung der Regierungsvor¬
lage vor; jedenfalls behielten sich seineFreunde ihre definitive Stellungnahme
vor, bis in der dritten Lesung größere Klarheit geschaffen sei
Finanzminister Freiherr v. Rheinbaben erklärt, daß die §§ 27—29
nach der Fassung der Kommission insofern über das Ziel hinausgingen, als sie
die Selbstverwaltungsbehörden nicht nur über die Leistungsfähigkeit der be¬
teiligten Gemeinden entscheiden lassen wollen, sondern auch über die Frage
des Bedürfnisses. Jedenfalls sei die Schlußfolgerung falsch, daß die Beträge,
soweit sie den Gemeinden nicht auferlegt werden können, ohne weiteres vom
Staat zu tragen seien. Nur im Einzelfalle, wenn es sich leistungsunfähigen
Gemeinden gegenüber um dergleichen Fälle handele, werde der Staat Bei¬
hülfen gewähren. Auch der Antrag des Abg. Dr. Iderhoff sei unannehm¬
bar, da er nur die Gemeinden veranlassen werde, die Kosten auf den Staat
abzuwälzen. Unter diesen Umständen sei es am besten, die §§ 27—29 zu
streichen. Allenfalls lasse sich auf der Grundlage der Antrages Wellstein
eine Verständigung erzielen.
Abg. Gamp (freik.) spricht sich entschieden gegen die Streichung der
§§ 27—29 aus. Bei den Maßnahmen in der seuchenfreien Zeit handele es sich
meist nicht um ortspolizeiliche Interessen, sondern um landespolizeiliche, so
daß der Staat wegen der Kosten in Anspruch zu nehmen sei.
Geh. Reg. - Rat Freiherr v. Zedlitz u. Neukirch, Regierungs¬
kommissar: Der Reichstag hat durch die Fassung des §23 des Reichsseuchen-
gesetzes nicht seine schützende Hand über die Gemeinden gehalten, sondern
nur über die Landesgesetzgebung, der die Regelung der Kostentragung Vor¬
behalten bleiben solle. Nach der Landesgesetzgebuug sei aber in Preußen
zweifellos die Ortspolizeibehörde und damit die Gemeinde kostenpflichtig; in
diesem Sinne habe sich auch das Oberverwaltnngsgericht ausgesprochen.
Abg. Gamp (freis.) spricht sich entschieden gegen diese Auffassung
aus, während Geh. Reg.-Rat Freib. v. Zedlitz n. Neukirch daran festhält.
Abg. Gamp (freik.) betont demgegenüber nochmals, daß nach dem Reichs¬
seuchengesetze zwar die Kostenfrage lediglich durch Landesrecht zu regeln,
aber die Anspruchnahme leistungsunfähiger Gemeinden für sanitäre Einrichtungen
davon ausgeschlossen sei.
Bei der nun folgenden Abstimmung wird § 27 in der Fassung des ersten
Absatzes des Antrages Wellstein angenommen, der zweite Absatz dieses
Antrages aber abgelehnt. § 28 wird in der Kommissionsfassung mit der Aen-
eines Gesetzes, betr. die Bekämpfung Übertragbarer Krankheiten. 85
dernng nach dem Anträge Gamp und g 29 ebenfalls in der Kommissions*
faasung mit dem Zusatz des Abg. Dr. Iderhoff angenommen.
Es folgt non die Beratung über den § 26b (Regelang der Kosten¬
frage in Gntsbezirken), der jetzt als § 29a eingefügt werden soll.
Hieran beantragen die Abg. Dr. v. Heydebrand u. der Lasa, Winckler
nad v. Ditfarth als ersten Absatz voranzastellen „die Vorschriften dieses
Abschnittes finden aaf Gatsbezirke and Zweckverbände sinngemäß Anwendung“,
während der Abg. Graw (Zentr.) beantragt, hinter dem Wort „Zweckverbände“
einznschalten: „mit Ausnahme domänenfiskalischer Gats bezirke“.
Abg. Freih. v. Zedlitz a. Neakirch (freik.) erklärt sich für den
Torgeschlagenen ersten Absatz; im übrigen aber gegen den § 29a, da doch,
wo derartige Verhältnisse in Gatsbezirken vorlägen, die Voraassetzangen für
eine Gemeindebildang gegeben seien. Abhilfe werde in solchen Fällen richtiger¬
weise dadurch geschaffen, daß der Gatsbezirk in einen Gemeindebezirk ver¬
wandelt werde.
Abg. v. Ditfarth (kons.) betont, daß die Gatsbezirke nicht schlechter
behandelt werden dürften als die Landgemeinden; von der Anerkennung dieses
Grundsatzes sei die Zustimmung seiner Partei zu dem Gesetze abhängig.
Geh. Ob.-Reg.-Bat Dr. Freund, Regierungskommissar, spricht sich
entschieden gegen den § 29 a sowie gegen den dazu beantragten Vordersatz aas.
Finanzminister Frhr. v. Ehe in haben bittet alle diejenigen, welche
das Gesetz verabschiedet za sehen wünschen, dringend, dem vorliegenden An¬
träge die Zastimmang nicht za erteilen, da sonst die ganze Gesetzesvorlage
scheitern würde, da es nicht zugänglich sei, die Gatsbezirke den Gemeinden
gleichzustellen; beim Dotationsgesetz sei dies auch nicht geschehen. Es sei
auch gar nicht möglich, den Grandsatz des § 26 aaf die Gatsbezirke sinn¬
gemäß za übertragen.
Abg. Gamp (freik.) erkennt die Schwierigkeiten an, welche der Ueber-
tr&gnng des § 26 aaf die Gatsbezirke entgegenstehen, bittet aber, für den
Fall der Annahme des Antrags Heydebrand wenigstens den Antrag Graw
einzofügen.
Abg. Frhr. v. Zedlitz a. Neakirch beantragt, in den Antrag Heyde¬
brand den Uebergang folgendermaßen za fassen: „Die Vorschriften der
§§ 27—29 finden“ usw.
Abg. v. Ditfarth (kons.) erklärt gegenüber dem Finanzminister, daß
der Fehler, der im Dotationsgesetz gemacht sei, hier vermieden werden solle.
Nach einigen weiteren Bemerkungen des Abg. Frhr. v. Zedlitz u.
Neakirch and nachdem Abg. Graw (Zentr.) karz seinen Antrag empfohlen
hat, erklärt der Finanzminister v. Eh ein haben nochmals sich gegen die
Anträge and betont in vollem Ernste, daß ihre Annahme die Verabschiedung
des Gesetzes aafs äußerste erschweren würde.
Bei der Abstimmung wird nur § 29 a, Abs. 1 nach dem Anträge von
Heydebrand angenommen, alle anderen Anträge abgelehnt.
Za § 30 (Strafvorschriften) befürwortet Abg. Peltasohn (fr. Vgg.)die
An nahm e eines Antrags, das Wort „wissentlich“, das erst die Kommission ein¬
gefügt hat, zu streichen, damit auch die fahrlässige Unterlassung der Anzeige
getroffen werden könne. Aach beim Beichsseuchengesetz sowie im Viehseachen-
gesetz sei die fahrlässige Unterlassong der Anzeige unter Strafe gestellt; wer
die Augen zamache, wo er sie pflichtgemäß offen halten müsse, könne nicht
Ton Strafe befreit werden.
Ministerialdirektor Förster stimmt dem Anträge za.
Abg. Wilckens (kons.) bittet, das Wort „wissentlich“ stehen zu
lassen, dann könne Niemand onversehends über eine Schlinge des Gesetzes
stolpern.
Unter Ablehnung des Antrags wird § 30 anverändert angenommen, des¬
gleichen ohne weitere Debatte der ganze Abschnitt der Strafvorschriften.
Die Ueberschrift des Gesetzes wird nach dem Kommissions-
antrage doJiin geändert: „Entwarf eines Gesetzes, betr. die Bekämpfung
übertragbarer Krankheiten*.
Ferner wird die von der Kommission beantragte Resolution:
„die Königliche Staatsregierang za ersachen, in den Haushaltsplan des Mi-
niaterioms der usw. Angelegenheiten einen Betrag von 600000 Mark einzu-
86
Besprechungen.
stellen, aas welchem die leistungsunfähigen Gemeinden, für welche aach die
Kreise wegen eigener starker Belastung die erforderlichen Einrichtungen
nicht treffen und unterhalten, Beihilfen zu den Kosten dieser Einrichtungen
gewährt werden können*
ohne Widerspruch angenommen.
Die dritte Lesung des Gesetzentwurfes wird voraussichtlich in den
ersten Tagen des Februar stattfinden.
Besprechungen.
Beg.-Bkt Krtulin in Arnsberg: Dan staatliche JLufsiohtsreoht
gegenüber centralen Wasserleitungen in Preussen. Braunschweig
1904. Verlag der Viewegsche Verlagsbuchhandlung. Preis: 1,20 Mk.
Die in der Deutschen Vierteljahrsschriit fttr öffentliche Gesundheitspflege
Band 26, Heft 2 veröffentlichte Abhandlung des Verfassers Über „das staat¬
liche Aufsichtsrecht gegenüber zentralen Wasserleitungen in Preußen* ist nun¬
mehr als Broschüre in dem oben erwähnten Verlage erschienen und damit
einem größeren Leserkreise zugängig gemacht.
Ohne Frage entspricht die Abhandlung einem dringenden Bedürfnis, da
es bislang an einer Bearbeitung dieses schwierigen Gegenstandes gänzlich
gefehlt hat und die Medizinal- und Verwaltungsbeamten, bei dem aktuellen
Interesse, welches z. Z. die Beaufsichtigung der zentralen Wasserversorgungs¬
anlagen einnimmt, schon seit geraumer Zeit nach einer Arbeit Umschau ge¬
halten haben, welche ihnen die rechtliche Lage in kurzen Zügen darlegte.
Gestützt auf eine eingebende Kenntnis der in betracht kommenden rechtlichen
Verhältnisse und auf eine umfangreiche praktische Erfahrung als Justitiar an
der Arnsberger Regierung, welche hinsichtlich der Zahl der zentralen Wasser¬
versorgungsstellen mit an der Spitze der Preußischen Monarchie steht, hat der
Verfasser in übersichtlicher und leicht verständlicher Form in seiner Arbeit
zunächst die Grundlagen des Aufsichtsrechts und den Umfang desselben ge¬
schildert, sowohl hinsichtlich der Anlegung oder Veränderung von Wasser¬
werksanlagen, als der Ueberwachung des Betriebes.
Die allgemeine Befugnis der Polizeibehörden, die gesundheitlichen In¬
teressen gegenüber Wasscrversorgungsanlagen durch besondere polizeiliche
Anordnungen wahrzunehmen, folgt aus den bekannten Vorschriften des § 10II,
17 des Allg. Landrechts, sowie aus § 6 Nr. f. des Gesetzes über die Polizei¬
verwaltung vom 11. März 1850: Zu den Gegenständen der ortspolizeilichen
Vorschriften gehören: f) Sorge für Leben und Gesundheit. Außerdem kommen
noch wege- und baupolizeiliche Vorschriften in betracht. Oeffentlich rechtliche
Sonderbestimmungen für Wasserleitungen bestehen in Preußen nur im
Geltungsgebiete des Allg. Landrechts und werden die einschlägigen Paragraphen
kurz auf geführt.
Bei Wasserwerken, welche einen gewerblichen Charakter haben, ist
eine Konzession bezw. polizeiliche Genehmigung nicht erforderlich, da sie nicht
unter § 16 der Gewerbe-Ordnung fallen; dahingegen ist gegen eine Polizei¬
vorschrift nichts einzuwenden, welche bestimmt, daß bei Einrichtung neuer, bei
Erweiterung oder sonstiger Veränderung bestehender Wasserleitungsanlagen
eine gewisse Frist vor Beginn der Herstellungsarbeiten von dem Vorhaben der
Polizeibehörde unter Beifügung der erforderlichen Unterlagen (Lageplan, Zeich¬
nungen, Erläuterungsbericht) Anzeige zu machen ist. Ebenso kaun eine
Anzeige von der Ingebrauchnahme der neuhergestellten oder veränderten An¬
lage angeordnet werden. Eine solche Verordnung verstößt nach dem Verfasser
nicht gegen § 1 der Gewerbeordnung, da hier nur von Zulassung zum Ge¬
werbebetriebe die Rede ist, während die Ausübung des Gewerbebetriebes
Beschränkungen unterworfen wird, welche den Schutz allgemeiner polizeilicher
Interessen bezwecken. Diese Anzeigepflicht würde nur als eine aus allgemein
gesundheitspolizeilichen Rücksichten gerechtfertigte Beschränkung anzusehea
sein und in § 6 d. P. V. G. ihre gesetzliche Stütze finden.
Für nicht gewerbsmäßig betriebene Wasserversorgungsanlagen
darf dagegen sowohl die Einholung einer polizeilichen Erlaubnis zu Ihrer An-
Tagesnachriehten.
87
legung, wie za ihrer Ingebrauchnahme gefordert werden, wenngleich die Polizei¬
behörden ans praktischen Rücksichten hiervon möglichst Abstand nehmen
dürften.
Nachdem der Verfasser sich sodann der Besprechung der Zuständigkeit
der zur Ausübung des Aufsichtsrechts berufenen Behörden und Beamten zu¬
gewandt hat, streift er noch kurz die Frage der Kosten der Aufsichts-
maßn&hmen und resümiert sich schließlich dahin, daß nach dem Ergebnis der
rorangeschickten Ausführungen die Polizeibehörde imstande sei, die Anlegung,
Erweiterung oder sonstige Veränderung, sowie den Betrieb von zentralen
Wasserleitungsanlagen so zu beaufsichtigen, daß eine genügende Wahrung der
gesundheitlichen Interessen möglich ist. Die praktische Durchführung der
polizeilichen Maßregeln erfolgt am zweckmäßigsten mit Hilfe von Polizei-
rerordnungen, deren Geltungsbereich mindestens auf einen Regierungsbezirk
aaszudehnen sein wird. Als Muster einer solchen P.-V. ist die für den Reg.-
Bez. Arnsberg entworfene beigefügt.
Dieser kurze Hinweis auf den interessanten Inhalt der obigen Arbeit,
welche die in betracht kommenden rechtlichen Fragen in knapper und dabei
erschöpfender Form behandelt, möge die Medizinal- und Verwaltungsbeamtcn
zur Beschaffung der Broschüre veranlassen. Dr. Dütschke- Erfurt.
Tagesnachrichten.
Dem diesjährigen Landeshaushaltsetat für Elsaß-Lothrin gen
ist eine Denkschrift über eine Reform?des Medizinalwesens beigeftigt,durch
die hauptsächlich die Stellung der'Kreisärzte eine ähnliche Umge¬
staltung wie in Preußen erfahren soll. Es sind 6 vollbesoldete und 15 nicht
Tollbesoldete Kreisarztstellen mit Pensionsberechtigung vorgesehen; außerdem
sollen die Kreisarztstellen am Sitze der Bezirkspräsidien (Straßburg, Metz und
Colmar) von den an diesen angestellten Medizinalreferenten im Nebenamt versehen
und zu diesem Zwecke eine neue Regierungs- und Medizinalratsstelle beim Be-
zirkspräsidium in Straßburg geschaffen werden. Der durch die Reform bedingte
Mehraufwand beträgt 52000 Mark.
In München ist die Anstellung eines Stadtarztes beabsichtigt, der als
sachverständiger hygienischer Beirat in allen Fragen des städtischen^Sanitäts-
wesens zu fungieren hat. _
Auf die Eingabe des Ausschusses der preußischen Aerzte-
kämmern, betreffend die Vergütung der ärztlichen Sachverständigen für
die Teilnahme an den Sitzungen der Schiedsgerichte für Arbeiterverslche-
ringen, ist folgender Bescheid des Handels ministers eingegangen : „Durch
das Zustandekommen des dem Landtage zur verfassungsmäßigen Beschlu߬
fassung vorliegenden Gesetzentwurfs, betreffend die Gebühren der Medizinal¬
beamten, werden die vorgetragenen Mißstände in der Hauptsache beseitigt
werden- Ich sehe daher vorläufig davon ab, dem Anträge weitere Folge zu
geben, und stelle dem Ausschuß anheim, ihn erforderlichenfalls später zu er¬
neuern.“ Infolgedessen hat sich der Ausschuß jetzt an den Medizinalminister
gewandt. In dem Schreiben wird bezweifelt, daß die Mißstände durch die
Verabschiedung des dem Landtage vorliegenden Gesetzentwurfs ihre Erledigung
faden werden. — Das stimmt allerdings, so lange an maßgebender Stelle die
Aasicht vorherrscht, daß der Sachverständige bei den Schiedsgerichten lediglich
uif Grund der Akten sein Urteil abgeben soll, die Honorierung nachfStundenzahl
erfolgen und in dieser Honorierung auch die etwa während der Sitzung vorzu-
aebmenden Untersuchungen abgegolten werden sollen. Unseres Erachtens ist die
Frage der Vergütung bei weitem nicht so wichtig, als die Regelung der Tätig¬
keit der Sachverständigen bei den Schiedsgerichten; hier muß
ft erster Linie der Hebel angesetzt und eine nicht nur der Stellung des Sach¬
verständigen, sondern vor allem auch dem Zwecke ihrer Zuziehung ent¬
sprechende Regelung gefordert werden, dann wird diejenige über die Vergütung
voa selbst folgen. _
88
Tagesnachrlchten.
Dem Krebsforschungslnstitut der Heidelberger UnivesehAt hat der
Landrat Ebbinghaus in Düsseldorf 160000 Mark vermacht.
Für die diesjährige, in Meran stattfindende 77. Versammlung Deut¬
scher Naturforscher und Aerzte sind die Tage vom 24.— 30. September
bestimmt.
Der 26. Baineologenkongress findet vom 9.—13. März d. J. in Berlin
statt. Während des Kongresses wird auch der Ausschuß für die gesund¬
heitlichen Einrichtungen in Kurorten im Kultusministerium im
Beisein des Geh. Ob.-Med.-Bats Dr. Dietrich als Vertreter des Ministers
tagen.
Die diesjährige Konferenz der Zentralstelle für Arbeiter - Wohlfarts-
elnrlchtungen wird am 6. und 6. Juni in Hagen L/W. stattfinden. Auf der
Tagesordnung steht für den ersten Tag: Die Belehrung der Arbeiter
über die Giftgefahren in gewerblichen Betrieben (Referenten:
Prof. Dr. Lewin-Berlin, Prof. Dr. Lehmann-Würzburg, Prof. Lepsius-
Griesheim, Dr. H. Rös sie r-Frankfurt &./M., Dr. B1 u m - Frankfurt a.fM., Reg.-
und Gewerberat Oppermann-Arnsberg, Reg.- u. Geh. Med.-Rat Dr. Roth-
Potsdam, Geh. Reg. - Rat Dr. Liebrecht - Hannover, Schulrat Dr. Kerschen-
steiner-München, Prof. Dr. E. Franke-Berlin); für den zweiten Tag: Die
Gestaltung der Arbeiterwohnungen (Referenten: K. E. Osthaus-
Hagen, Reg.- und Gewerbeschulrat Dr. Muthesius-Berlin, Dierektor der
RheinischenProv.-Feuersozietät Dr.Brandts -Düsseldorf, Prof.Dr.Schultze-
Naumburg a./S., Architekt Riemerschmid-München, Geh. Reg.-Rat Dr.
Henrici, Prof. Dr. Lichtwark -Hamburg. Mit der Konferenz ist eine Aus¬
stellung verbunden, in der architektonisch mustergültige Arbeiterwohnhänser
und Beispiele guter, einfacher Häuser aus allen Teilen Deutschlands in Photo¬
graphien und Zeichnungen dar gestellt sein werden.
Der schweizerische Bundesrat hat den Regierungen von Deutsch¬
land, Oesterreich - Ungarn, Belgien, Dänemark, Spanien, Frankreich, Gro߬
britannien, Griechenland, Italien, Luxemburg, Niederlande, Portugal, Rumänien,
Serbien, Schweden und Norwegen die Einladung zu der am 8. Mai 1905 in
Bern zusammentretenden internationalen Regierungskonferenz für Arbeiter¬
schutz zugehen lassen. Auf dem Programm stehen folgende Punkte: 1. V e r -
bot der Verwendang des weißen Phosphors bei der Herstellung
von Zündhölzchen; 2. Verbot der gewerblichen Nachtarbeit
bei Frauen.
Das vom kgl. preußischen Statistischen Bureauherausgegebene
„Statistische Jahrbuch für den preussischen Staat“ ist im zweiten Jahr-
gange erschienen und sämtlichen Kreisärzten ein Dienstexemplar zugestellt.
Erstaunlich ist übrigens der außerordentlich niedrige Preis des Buches; über
260 Seiten stark, kostet cs in gefälligem Einband nicht mehr als 1 Mark.
Wenn bei allen anderen im amtlichen Aufträge erscheinenden Büchern, Schriften
usw. ein ähnlich billiger Preis gesetzt würde, dann dürfte dies für deren Ver¬
breitung sicherlich von bestem Erfolg sein.
Berichtlgnng. In Nr. 2 der Zeitschrift, S. 46, Zeile 18 von oben
muß es „KMn0 4 “ statt „RMn0 4 “ und Zeile 4 von unten „Aspirationsspritze*
statt „Operationsspritze“ heißen.
Verantwortl. Redakteur: Dr. Rapmund, Reg.- u. Geh. Med.-Rat in Mindeni. W.
J. C. C. Bruns, HerzogL Sftcha u. F. 8ch.-L. Hofbucbdruckersi ln Minden.
18 . Jahrg.
1905 .
Zeitschrift
ffir
MEDIZINALBEAMTE.
Zentralblatt fnr geriektfiehe Medizin und Psyebiatrie,
lir intfiehe Saebverstudigentitigkeit in Unfall- und InTiliditataiadMa, itwie
lir Ijgiene, üentL Suitatsweseu, Medizinal-Gesetzgebung und Keebtsyreekug.
Heraasgegeben
TOB
Dr. OTTO RAPMUND,
ftefUraafe- ind Geh. Meriliinolroi in Minden«
Verlag von Fischers mediz. Buehhandlg, H. Kornfeld,
HflnogL Bayer. Hof- u. BnbenogL Kamm s r -B no i üi i ndl e r .
Berlin W. 35, Lützowstr. 10.
TnranUi nohaon die YerUf Handlung sowie alle Annoncen - Expeditionen des ln-
nnd Anfllnndes entgegen.
Nr. 4.
Knekelat u l. nl IS. Jedes Hesets
15. Febr.
Fremdkörper (Haarnadel) in der Blase einer geistesschwachen
Epileptischen infolge von Masturbation.
Von Dr. Stakemann, leitendem Arzt des Asyls für Epileptische
in Botenbarg L H., staatsärztL approb.
Im Dezember 1904 hatte ich Gelegenheit, obigen Fall zu
beobachten, welcher einer kurzen Wiedergabe wert erscheint.
Die 16jährige, geistesschwache, halbseitig gelähmte, aber
sonst für ihr Alter gut entwickelte Kranke C. ans L. blieb am
17. Dezember za Bett liegen, weil sie sich angeblich nicht wohl
fühlte nnd Kopfschmerzen hatte.
Bei der Visite machte die auch sonst recht wortkarge Kranke
einen sehr gedrückten Eindruck auf mich, so dass ich sie in der
Annahme, es handle sich am einen gewöhnlichen Depressionsza-
stand, wie Patientin ihn häufiger bekam, liegen liess, ohne
weiter ärztliche Anordnungen zu treffen, zumal die sofortige ober¬
flächliche Untersuchung für das Vorhandensein einer körperlichen
Erkrankung nicht sprach, insbesondere Fieber nicht vorhanden
war. Patientin antwortete auf Fragen meist nnr durch bejahende
and verneinende, anwillige Kopfbewegangen. Die Stationsschwester
gab noch an, dass Patientin seit einigen Tagen menstruiert sei.
Derselbe negative Befund blieb auch in den nächsten Tagen unver-
iadert bestehen. Am 21. Dezember stand Patientin auf, nachdem
die übrigen Kranken den Schlafsaal bereits verlassen hatten, nnd
kam verspätet zum Morgenkaffee. Der Schwester fiel bei dem
Herein treten der Kranken deren wachsbleiche Gesichtsfarbe nnd
ihr schleppender, schwerer Gang auf. Sie brachte die Kranke,
90 Dr. Stakemann: Fremdkörper (Haarnadel) in der Blase usw.
welche Ohnmachtsanwandlungen bekam, sofort ins Bett zurück,
setzte mich alsbald von dieser Wendung im Krankheitsbilde in
Kenntnis und berichtete mir nunmehr, am 13. Dezember habe
eine ihrer Kranken ihr erzählt, die C. habe während des Mittag¬
essens der Schwestern an ihren Geschlechtsteilen herummanipuliert
und sich „vorne“ etwas hineingesteckt. Sie (die Schwester)
habe aber den Vorfall, den sie nicht für möglich gehalten habe,
ganz vergessen; er sei ihr erst bei dem Anblick der sichtlich
leidenden Kranken wieder eingefallen.
Die sofort ausgeführte Untersuchung ergab jungfräuliche Beschaffenheit
des Scheideneinganges. Die kleinen Schamlippen waren schlaff, vergrößert
und bräunlich pigmentiert, der Kitzler fiel durch besondere Beschaffenheit
dagegen nicht auf. Der Scheideneingang und die Mündung der Harnröhre
wiesen keinerlei Rötung oder sonstige Veränderungen auf, insbesondere keine
Blutaustretungen, Risse u. drgl. Bei der mit dem Kleinfinger ausgeführten
Scheidenuntersuchung stieß ich an der vorderen Scheidenwand, etwa 3 cm
vom Scheideneingang entfernt, auf einen sich spitz anfühlenden, leicht federnden,
von der vorderen Wand der Scheide bedeckten Gegenstand, über dessen Natur
zunächst ein sicheres Urteil nicht abgegeben werden konnte.
Da der Fremdkörper nur in der Blase gelegen sein konnte, so beschloß
ich, denselben sofort operativ zu entfernen, umsomehr, als die Morgentemperatur
leicht erhöht, der Leib in der Blasengcgend leicht aufgetrieben war, und diese
Stelle als sehr schmerzeinpfindlich angegeben wurde.
Durch eine gemeinsam mit Herrn Kreisarzt Dr. M., welcher mir freund-
lichst half, ausgeführte Sondenuntersuchung in Chloroformnarkose wurde fest¬
gestellt, daß quer in der Blase ein federnder, metallener Gegenstand lag. Die
Harnröhrenmündung wurde daraufhin mit H e g a r sehen Erweiterern bis zur Dicke
des Kleinfingers erweitert, und durch Betasten des Gegenstandes festgcstellt,
daß es sich um eine starke Haarnadel handelte, welche sich sehr fest in der
Blase eingeklemmt und an der vorderen Scheidenwand angespießt hatte. Wäh¬
rend der Fingeruntersuchung entleerte sich stark getrübter und scharf nach
Ammoniak riechender Urin unter hohem Druck.
Die Operation selbst interessiert wohl nur insofern, als es nach mehreren
vergeblichen Versuchen gelang, die Haarnadel durch kombinierten Druck von
der Scheide, den Bauchdecken und der Blase aus so zu wenden, daß das ge¬
bogene Ende der Nadel erfaßt und ohne Verletzung der Blasenschleimhaut
herausgezogen werden konnte. Die Haarnadel war auffallend groß, wie man
sie jetzt nur selten noch sieht: 11 cm lang, Entfernung der Schenkel von ein¬
ander 9 mm, Dicke der Schenkel 2 mm. Sie war von schmutzig braunen, übel¬
riechenden und fetzigen Häuten (Schleimhautmembranen) vollkommen ein¬
gehüllt.
Der bestehende Blasenkatarrh ist unter entsprechender Behandlung ver¬
hältnismäßig schnell ausgeheilt. Lähmungserscheinungen von seiten der Blase
wurden nicht beobachtet, selbst nicht am Tage der Operation.
Bezüglich des wirklichen Vorganges bei der Masturbation, die
bei der Kranken schon seit langen Jahren beobachtet wird, h&llt
sich Kranke noch heute in tiefes Schweigen, so dass lediglich
der Umstand, dass der Vorgang von einer anderen Kranken be¬
obachtet und gemeldet wurde, zur Entdeckung des Leidens führte.
Vom Standpunkte der Krankenpflege, zumal der psychia¬
trischen, aus betrachtet, lehrt dieser besonders glücklich verlau¬
fene Fall aufs neue, wie wichtig es ist, dass das Pflegepersonal
allem und jedem seine Aufmerksamkeit schenken und dem Arzt,
der so häufig ganz auf die Angaben des Personals sich stützen
muss, sofort pflichtgetreu von seinen Beobachtungen Kenntnis
geben muss.
Dr. Tenholt: Einwanderung der Anchylostomom-Larven durch die Haut. 91
lieber die Loosssche Lehre, betr. die Einwanderung der
Anchylostomum-Larven durch die Haut.
Von Dr. Tenholt, Oberarzt des Allgemeinen Knappschafts-Vereins in Bochum.
Als vorläufige Mitteilung von besonderem Interesse möge
folgender Fall dienen:
Am 16. Dezember v. J. übertrug ich bei einem jungen Arzte,
der sich freiwillig, aus eigenem wissenschaftlichen Drange, dazu
erbot, auf die Aussenfläche seines linken Armes, etwa handbreit
oberhalb des Handgelenks, 8—10 Tropfen einer eingekapselte
Larven des Anchylostomum hominis enthaltenen Flüssigkeit. Es
waren, wie kurz vorher mikroskopisch festgestellt wurde, etwa
80—100 lebende, recht bewegliche Larven in der übertragenen
Flüssigkeit vorhanden. Dieselbe wurde mittelst eines Glasstäbchens
sanft auseinandergebreitet, um auf der Haut zu verdunsten. Etwa
eine halbe Stunde später war die Haut trocken; mit der Lupe
konnten die Larven nicht mehr wahrgenommeu werden. Zum
Sehutze des Armes warde ein Watteverband angelegt. Etwa
6 Stunden hierauf empfand der Kollege an der betreffenden Stelle
ein leichtes Jucken, am anderen Morgen aber bemerkte er etwa
10 gerötete Fleckchen mit je einem kleinen Knötchen in der Mitte.
Diese Knötchen lagen sämtlich an Haarwurzeln. Die Flecken
verschwanden bald, sonstige objektive und subjektive Erschei¬
nungen blieben zunächst aus. Aber um Mitte Januar stellte
sich ein leichter Magenkatarrh, ein Magendruck, ein, dem aber
eise besondere Bedeutung umsoweniger beigelegt wurde, als der
Kollege, selbst mit der Untersuchung auf Anchylostomumeier ver¬
traut, jede Woche ein- oder mehrmalige derartige Untersuchungen
seiner Faeces vorgenommen hatte und zwar stets mit negativem
Erfolge. Auch wochenlang vor dem Experimente am 16. Dezember
waren seine Faeces frei von Anchylostomum- oder sonstigen Ento-
zoeneiern befunden worden. Noch am 25. Januar teilte er mir
mit, dass die vor einigen Tagen wiederum vorgenommene Unter¬
suchung von 2 0 Präparaten keine Anchylostomumeier ergeben hätte.
Am 1. Februar aber erhielt ich, gleichzeitig mit einer Probezusen-
dang seines Stuhlgangs, von dem Kollegen die Mitteilung, dass die
Eier jetzt vorhanden seien. Die von mir und meinen Assistenten
vorgenommene Nachuntersuchung bestätigte dies; in jedem Deck¬
glaspräparate fanden sich 4—6 Ovula Anchylostomi.
Der Versuch ist durchaus einwandsfrei und in Gegenwart
meiner Assistenzärzte gemacht worden; jede andere Entstehungs¬
weise der nunmehr von dem opferwilligen Kollegen beherbergten
Geschlechtsreifen Anchylostomum - Würmer ist ausgeschlossen; sie
haben sich aus den am 16. Dezember auf die Haut übertragenen
Larven entwickelt.
Auf die Bedeutung dieses Erfolges hier näher einzugehen,
muss ich mir jetzt versagen, ich werde darauf später zurück¬
kommen.
92
Dr. Berger.
Die Bekämpfung der ansteckenden Krankheiten.
Von Dr. Berger, Kreisarzt in Hannover.
Wenn man sich bei dem gehäufteren Auftreten von an¬
steckenden Krankheiten auf die Belehrung in den betroffenen
Familien und auf Sicherheitsmassnahmen bezüglich der Schale
beschränkt, so erlebt man nicht selten die Enttäuschung, dass das
Uebel immer weiter nm sich frisst, und mancher hat wohl schon
fatalistisch geseufzt: „da ist nichts zu machen“.
Mit Recht wird von allen Seiten betont, dass es daranf
ankommt, die ersten Fälle für die Allgemeinheit unschädlich zu
machen. Und in der Regel tritt glücklicherweise eine Seuche
nicht gleich von Anfang an so verbreitet auf, dass dieses Be¬
streben als ein zu umfangreiches und deswegen mehr oder minder
aussichtsloses zu bezeichnen wäre. Darauf kommt es aber an,
die ersten Fälle zu fassen, und das ist möglich!
In der Stadt liegt die Frage der Verbreitung der ansteckenden
Krankheiten etwas anders als auf dem platten Lande, aber im
grossen ganzen ähnlich.
Darüber sind sich alle Praktiker einig, auf dem Lande wird
die Krankheit von Haus zu Haus verschleppt. Die Besuche von
Verwandten — und dreiviertel des Dorfes sind ja immer mitein¬
ander verwandt — und Bekannten — das ist das letzte Viertel
der Dorfbewohner — hören in Familien, in denen Kranke sind,
nicht auf. Teilnahme, Neugier, Drang, gute Ratschläge an den
Mann zu bringen, sind die Triebfedern. Diese Be Sucher ei ist
der springende Punkt in der Verbreitung ansteckender Krank¬
heiten auf dem Lande. Belehrung allein ist nicht ausreichend,
diesem Uebelstande abzuhelfen; wie sollte sie es auch können,
da nicht jedes Haus im Dorfe besucht werden kann. Ich habe
deshalb vor einiger Zeit in 2 Dörfern, in denen Scharlach und
Diphtherie ausgebrochen waren, öffentlich durch den Ausrufer be¬
kannt machen lassen:
1. Im Dorfe herrscht Diphtherie bezw. Scharlach.
2. Das ist eine sehr ansteckende Krankheit.
3. Die Krankheit hat häufig den Tod zur Folge.
4. Es wird auf das Dringendste gewarnt, Häuser, in denen
kranke Kinder sind, unnötig zu besuchen.
Der Erfolg war ein ausgezeichneter, die Krankheit trat
noch in zwei Fällen auf, in denen offenbar die Ansteckung schon
erfolgt war, und war verschwunden.
Ich bin weit entfernt, etwa andere Gründe für das Ver¬
schwinden der Krankheit unberücksichtigt zu lassen; ich weise
sehr wohl, dass vielleicht meine Massnahmen gar nicht die Ur¬
sache waren, aber ich glaube es. Und wer unbefangen an die
Beurteilung geht, wird geneigt sein, mir Recht zu geben. Jeden¬
falls empfehle ich dringend, einen Versuch mit der Massnahme
zu machen; nur die allgemeine Beobachtung kann über ihre
Zweckmässigkeit entscheiden.
Die Gründe, die für die Wirksamkeit der Massnahme
Die Bekämpfung der ansteckenden Krankheiten.
93
sprechen, sind so einleuchtende, dass ich sie vor den Lesern dieser
Zeitschrift nicht zu erörtern brauche. Es ist jedem unbenommen,
die Bekanntmachung nach seinem Geschmack abzuändern und zu
ergänzen; unter bestimmten Umständen wird man zweckmässig
dies oder jenes hinzusetzen, z. B. kann man die so wichtige Be¬
rührung von Gegenständen, mit denen der Kranke in Berührung
gekommen ist oder in Berührung gekommen sein kann, erwähnen,
Der Laie sagt sich ja zuweilen, wenn das Alles so schlimm wäre
mit dem Verschleppen, müssen dann nicht eigentlich die Aerzte
die schlimmsten Verbreiter seinP Dem, der diese}; Behauptung
aufstellt, kann aber sofort entgegengehalten werden, dass doch
verhältnismässig selten — es kommt vor und es gibt tragische
Fälle — die Aerzte die Krankheiten in ihre Familien einschleppen,
und die Gründe dafür sind naheliegende: der Arzt fasst eben vor
allen Dingen nichts unnötig an.
Ich möchte neben dieser Bekanntmachung noch eine weitere
Massnahme empfehlen.
Die Aerzte in dem Board of health, der Gesundheitsbehörde
in New York, deren Liebenswürdigkeit ich manche interessante
Beobachtung im letzten Sommer jenseits des Ozeans zu verdanken
habe, zeigten mir 24 : 16 cm grosse, hinten gummierte Zettel,
welche an die Türen von Haushaltungen geklebt werden, in denen
ansteckende Krankheiten ausgebrochen sind.
Solch ein Zettel sieht folgendermassen aus:
Department of Ho<h, City of New York.
Diphtheria.
Alle Personen, welche nicht in diesen Bäumen wohnen, werden hierdurch
benachrichtigt, daß Diphtherie hier ausgebrochen ist, und werden gewarnt,
diese Wohnung zu betreten.
Die mit Diphtherie kranken Personen dürfen die Wohnung nicht eher
verlassen, bis dieses Plakat von der Gesundheitsbehörde wieder entfernt ist.
Im Aufträge des Bathes
N. N., President.
Date,.
Diese Zettel sind bei dem kosmopolitischen Charakter New
Yorks übrigens in allen Sprachen vorrätig, sogar die Hieroglyphen
des Alten Testaments vermisst man nicht.
Die Massnahme wurde mir von den amerikanischen Aerzten
als sehr erfolgreich empfohlen. Mir ist es hier nur vorläufig darum
ra tun, das System zu erwähnen, über die zweckmässigste Aus¬
führung lässt sich nach genereller Billigung des Systems ein Ein¬
vernehmen erreichen.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit anführen, dass in der
neuen Welt auch die Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit
für die ja auch die Ursache eine infektiöse ist, in einer eigen¬
artigen Weise in Angriff genommen ist. Die Medical Inspectors
stellen bei den Kranken die Temperatur der Milch, die Beschaf¬
fenheit des Trinkgefässes fest, auf, den Zählkarten wird sogar
ein Diagramm der Wohnung gegeben. Bei uns ist die Bekämpfung
der Säuglingssterblichkeit gewissermassen mehr eine summarische,
bei den Amerikanern mehr eine individuelle; es kann nicht
94
Dr. Ahlfeld.
zweifelhaft sein, welche den Vorzug verdient. Das Eingehen
auf den einzelnen Fall hat naturgemäss generelle Massnahmen
mit im Gefolge, während die generelle Verordnung beispielsweise
über Beschaffenheit der Kindermilch noch nicht in die Einzelfälle
greift; freilich gehört zu den amerikanischen Massnahmen eine
umfangreiche Organisation von Sanitätspersonal.
Das neue Hebammeninstrumentarium.
Von Geh. Med.-Bat Prof. Dr. F. Ahlfeld, Direktor der Königl. Frauenklinik
und Hebammenlehranstalt.
Mit dem Inkrafttreten eines neuen Hebammenlehrbuches nnd
neuer Instruktionen ist auch das Instrumentarium der Hebamme
nicht unwesentlich verändert worden, und dementsprechend hat
auch die Tasche, die zur Aufbewahrung der zu jeder Entbindung
mitzunehmenden Gegenstände dient, eine Aenderung erfahren
müssen.
Das Problem, eine Tasche zu konstruieren, die in geeigneter
Weise die nötigen Utensilien birgt, dabei nicht zu umfangreich
ist und eine genügende Desinfektion gestattet, ist nicht leicht zu
lösen und ist auch durch die mir vorliegenden Modelle des medi¬
zinischen Warenhauses, der Fabrikanten Mahrt und Hörning
in Göttingen und Kurz in Wiesbaden nicht gelöst worden.
Die Hauptbedingungen einer guten, auch für den Gebrauch
über Land dienlichen Hebammentasche sind:
1. die Tasche darf nicht zu umfangreich und nicht zu
schwer sein;
2. sie muss innen und aussen leicht zu desinfizieren sein;
3. sie muss die einzelnen Instrumente und Utensilien so
fixieren, dass sie nicht untereinander rollen;
4. sie muss eine Trennung der gebrauchten, noch nicht
wieder desinfizierten Utensilien von den reinen ermög¬
lichen ;
5. sie darf einen gewissen Preis nicht übersteigen.
Die bezeichneten Taschen haben sämtlich die gleiche Form,
die eines kleinen Handkoffers, und ungefähr die gleiche Grösse.
Für den Gebrauch von Dorf zu Dorf sind sie zu gross und die
Göttinger Tasche ist zu schwer. Soll die Hebamme in der einen
Hand die Tasche, in der anderen den Schirm tragen, auch wohl
noch ihre Kleidung aufraffen, so wird dies nicht gut angehen.
Ich habe daher zu unserer Marburger Tasche, die nicht so
umfangreich ist als die bezeichneten, einen Tragriemen angegeben,
der es der Hebamme gestattet, bei schlechtem Wetter die Tasche
über den Schultern zu tragen, so dass sie beide Hände frei hat
und sich selbst, sowie die Tasche vor Regen schützen kann.
Unsere Marburger Tasche ist durch einen Ueberzug von
braunem Segeltuch, der, wie weiter erörtert werden wird, zur
Aufnahme der Handtücher, der Schürze, des Lehrbuchs und des
Tagebuchs dient, vor Unbill geschützt.
Das nene Hebammeninstramentarium.
95
Keine der anderen Taschen ist im Innenraum genau zu des¬
infizieren. Sie sind durch Gummituch oder Segeltuch ausgekleidet,
aber die Form der Tasche mit ihren tiefen Kanten gestattet die
genügende Waschung mit Seifenkresol nicht. So bleiben stets in
den Ecken und Kanten, wie ich mich bei einer grossen Zahl der¬
artiger Taschen überzeugen konnte, die uns von den Gemeinden
zur Einsicht zugeschickt wurden, Schmutz und Blutspuren zurück.
Das ist ein grosser Nachteil dieser sonst sehr beliebten Form.
Die Tasche des medizinischen Warenhauses und besonders
die Wiesbadener lassen sich innen überhaupt nicht reinigen, weil
die Instrumente durch Riemen oder Gurte fest mit der Innenwand
verheftet sind.
Unsere Tasche ist die einzige, die diesen Nachteil gfinzlich
vermeidet, weil ihre Konstruktion das Auseinanderlegen der Seiten¬
winde gestattet und weil, bei der älteren Zusammensetzung, die
Gegenstände nicht fest mit der Taschenwand verbunden sind,
sondern samt ihren Anheftungsriemen herausgenommen werden
können. In den neueren Taschen sind die Instrumente in einer
Hälfte des Sterilisators untergebracht, so dass in beiden Fällen
die Innenwände ganz glatte, für die Bürste allerseits leicht zu¬
gängliche Flächen bieten. Für die äussere Bekleidung ist ein
lederartiger, leicht abwaschbarer Stof, Pergamott genannt, ge¬
wählt worden.
Wenn man eine der kleinen Koffertaschen vom Instrumenten¬
macher bezieht, so findet man den Inhalt natürlich in wunderbar
schöner Ordnung. Form und innere Anordnung sind dann derart
bestechend, dass Hebammen, besonders aber auch die Kreisärzte
sich für diese Taschen zu begeistern pflegen.
Nach einem Jahre sehen die Taschen ganz anders aus.
Innen sind sie meist schmutzig, da das verwendete Gummituch
bald Flecken, besonders Blutflecken, bekommt. Die Utensilien
liegen vielfach kunterbunt durcheinander. Dann beschuldigt man
die Hebamme der Unordnung, was ja auch vielfach berechtigt sein
mag; man beschuldigt aber zu wenig die Konstruktion der Taschen.
Eine Ausnahme macht die Göttinger Tasche, da in dieser
die Utensilien sehr zweckmässig einzeln in vernickelten Blech¬
kästen oder in sterilisierbaren Beutelchen untergebracht sind und
ao nicht untereinander geraten können. Der Nachteil dieser sorg¬
fältigen Einpackung ist die auffallende Schwere der Tasche
(6,300 kg ohne Handtücher, Schürzen, Lehr- und Tagebuch) und
der hohe Preis. Das Gewicht der Warenhaustasche beträgt 4,750 kg,
das der Wiesbadener Tasche 4 kg. Die Marburger Tasche wiegt
mit Sterilisator und Spiritusbrenner 4,750, ohne diese und statt
deren mit zwei Weissblechgefässen versehen, 4,250 kg.
Das hat mir die grösste Mühe gemacht, den Inhalt so kom¬
press wie möglich zusammenzuschachteln, damit eben die Tasche
keinen zu grossen Umfang erhielte und dabei doch die Gegen¬
stände leicht herausgenommen werden können. Auf den ersten
Anblick erscheint daher unsere Tasche den anderen gegenüber
im Nachteile.
96
Dr. Ahlfcld: Das neue Hebammeninstrumentarium.
Wohin die Hebamme bei den anderen Taschen die gebrauchten
Handtücher, die Schürze, eventuell die noch nicht gereinigten In¬
strumente und andere Utensilien tun soll, weiss ich nicht. Wohl
ist an einzelnen dieser Koffertaschen auf der Aussenfläche eine
Tasche angebracht, diese ist aber in ihrem Innenraum nicht
sterilisierbar.
Unsere Tasche bietet dafür den stets durchkochbaren Ueber-
zug mit seinen Seitentaschen.
Für Lehrbuch und Tagebuch, die zu jeder Entbindung mit¬
genommen werden sollen, ist höchstens in der grossen Göttinger
Tasche Raum. Wir bringen beide innerhalb des Ueberzugs unter.
Für die Sterilisierung der Instrumente findet sich nur in der
Göttinger Tasche ein Sterilisator, aus Neusilber verfertigt und
vernickelt, weich mit Zinn gelötet, dazu ein Spiritusbrenner. Unser
Apparat ist der einzige gestanzte, also unverwüstliche.
Die Blecheinsätze der übrigen Taschen sind, aus Weissblech
gearbeitet und gelötet, zum Sterilisieren nicht geeignet.
Abbildung
der umgeänderten Marburger Tasche.
Fig. 1. Fig. 2.
Die geschlossene Tasche. Die geöffnete Tasche.
Fig. 3. Die Tasche auseinandergenommen.
Gesetzentwurf betr. die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten. 97
Was nun endlich den Preis anbelangt, so ist die Marbnrger
Tasche, gefüllt mit allem, was der Instrumentenmacher zu liefern
hat, mit Beigabe eines gestanzten Sterilisators mit Spirituslampe,
zu 48 M. käuflich, ohne den Sterilisator zu 38 M.; während für
die Tasche des Warenhauses 47,50 M., für die Wiesbadener
49,10 M., mit Einschluss von zwei Handtüchern und einer Kittel¬
schürze, für die Göttinger 60 M. gefordert werden. Der Preis¬
unterschied kommt in der Hauptsache auf Rechnung der Tasche
selbst, nicht des Inhalts. Das medizinische Warenhaus setzt für
Tasche und Blecheinsätze 27,50 M. an, die Koffertaschen anderer
Instrumentenmacher sind mit ca. 22 M. berechnet. Die Marburger
Tasche mit Ueberzug kostet nur 12 Mark.
Ich bin für jeden guten Rat in betreff unserer Tasche dank¬
bar. Sobald die Vorschläge nicht den Grundprinzipien wider¬
sprechen, werden sie eingehende Beachtung finden. Da sich bei
der Herstellung unserer Tasche der Fachmann und der Instru¬
mentenmacher stets in die Hände gearbeitet haben, so wird da¬
durch eine Garantie für die Gebrauchsfähigkeit gegeben.
III. Beratung des preuss. Abgeordnetenhauses Uber den Gesetz¬
entwurf, betr. die Bekämpfung Übertragbarer Krankheiten.
Vom Herausgeber.
Bereits am 1. d. Mts. hat die dritte Beratung über den vor¬
stehenden Gesetzentwurf im preussischen Abgeordnetenhause statt-
gefunden; die verhältnismässig kurze Zeit nach der zweiten
Lesung (s. den Bericht darüber in Nr. 3 der Zeitschrift, S. 70)
hat jedoch nicht genügt, um eine Verständigung über die noch
strittigen, hauptsächlich die Kostenfrage betreffenden Be¬
stimmungen der §§ 27—30 herbeizuführen. Auffallender Weise
liess die konservative Partei jetzt durch ihren Vertreter (Abg.
Winkler) erklären, dass für sie das Gesetz überhaupt unan¬
nehmbar sei, und zwar einmal, weil das Gesetz zu tief in die
persönlichen Verhältnisse, in das Familienleben eingreife, und
anderseits, weil es die Gemeinden zu sehr belaste. Sie sei bereit,
für ein Ausführungsgesetz zum Reichsseuchengesetz zu stimmen,
aber nicht dazu, das Gesetz auch auf die übrigen übertragbaren
Krankheiten auszudehnen. Hält die konservative Partei an diesem
Standpunkt fest, so würde das Zustandekommen des Gesetzes in
hohem Grade gefährdet sein; es darf jedoch auch jetzt noch an¬
genommen werden, dass sie bei einer befriedigenden Lösung der
Kostenfrage ihre bisherigen Bedenken gegen die Ausdehnung
des Gesetzes auf die übrigen übertragbaren Krankheiten fallen
lassen wird. Mit Recht betonten nicht nur der Herr Kultus¬
minister, sondern auch die Redner aller anderen Parteien, dass
ron einem weitgehenden Eingriff des Gesetzes in das
Privat-undFamilienleben gegenüber den zurzeit geltenden
Vorschriften absolut nicht die Rede sein kann, im Gegenteil, das
Regulativ vom 8. August 1835 geht in mancher Hinsicht noch
98
Dritte Beratung des preuß. Abgeordnetenhauses
viel weiter. Dasselbe gilt von der angeblich za grossen Be¬
lastung der Gemeinden; denn das Gesetz bringt tatsächlich
in seiner jetzigen Fassung nicht eine Mehrbelastung, sondern eine
nicht unerhebliche Entlastung der Gemeinden, wie sowohl von
den beteiligten Herren Ministern, als namentlich von dem Bericht¬
erstatter, Abg. Schmedding, auf Grund einer ganz genauen
Zusammenstellung nachgewiesen wurde. Aus den Erklärungen
der Herren Minister geht auch hervor, dass die Staatsregierung
noch weiter entgegenzukommen bereit und gewillt ist, einen TeU
der Kosten aus den §§ 27—30 zu übernehmen, falls die Kreis-
und Provinzialverbände Beihilfen in gleicher Höhe gewähren;
dieses Entgegenkommen wird hoffentlich die im öffentlichen
Interesse dringend notwendige Verabschiedung des für das All¬
gemeinwohl so wichtigen Gesetzes ermöglichen. Bei den zurzeit
über die Fassung jener Paragraphen noch herrschenden Meinungs¬
verschiedenheiten war es für das Zustandekommen des Gesetzes
jedenfalls besser, dass die weitere Beratung nach der General¬
diskussion abgebrochen wurde; denn sonst würde es bei der Ab¬
stimmung wohl mit Sicherheit abgelehnt sein. Nach dem Verlauf der
Generaldiskussion ist dagegen jetzt Aussicht auf seine Annahme
vorhanden, wenn der von dem Abg. Frh. v. Zedlitz angeregte,
auch von den Herren Ministern als gangbar bezeichnete Weg zur
Verständigung beschritten wird.
Dass namentlich auf konservativer Seite der angebliche U eber¬
eiter der Kreisärzte, die angeblich „schlechten Erfahrungen mit
der Medizinalreform“ wiederum als Bedenken gegen die Gesetzes¬
vorlage ins Feld geführt wurden, war nicht anders zu erwarten;
es ist dies in jenen Kreisen gleichsam zu einer fixen Idee ge¬
worden, gegen die sich bekanntlich schwer ankämpfen lässt. Dass
aber gerade von dieser Stelle aus die Berichte der Regierungs¬
präsidenten, die sich bekanntlich über die Tätigkeit der Kreisärzte
ausserordentlich günstig geäussert haben, als den tatsächlichen
Verhältnissen nicht entsprechend bezeichnet wurden, beweist am
besten die Voreingenommenheit gegen die Medizinalbeamten. Man
weiss ja, wie solche Berichte gemacht werden, sagte der Abg.
v. Zedlitz: in der unteren Instanz liefert der Kreisarzt selbst
das Material, in der Regierungsinstanz macht es der Medizinalrat,
und „eine Krähe hackt der anderen die Augen nicht aus“. Der
Herr Minister des Innern ist dieser Anschauung schon auf das ent¬
schiedenste entgegengetreten und hat sie als völlig unzutreffend zu¬
rückgewiesen ; sie beruht in dem vorliegenden Falle auch auf einem
tatsächlichen Irrtum, denn nicht die Kreisärzte sind seinerzeit
zur Aeusserung aufgefordert, sondern die Landräte, die znm
grössten Teil der konservativen Partei angehören dürften. Ihre
Berichte haben hauptsächlich das Material für die Berichte der
Regierungspräsidenten geliefert. Der Vergleich mit der Krähe,
die anderen Krähen die Augen nicht aushackt, ist somit völlig
hinfällig. Erwägt man weiter, dass zu den Berichten der Land¬
räte diejenigen der Lokalbehörden (Amtsvorsteher, Amtmänner,
Bürgermeister usw.) die Unterlage gebildet haben, so wird wohl
Aber den Gesetzentwurf betr. die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten. 99
jeder zugeben müssen, dass genug Männer der Praxis, die eigene
Erfahrungen haben, zur Sache gehört sind, nnd die Berichte der
Begienuigspräsidenten demgemäss den tatsächlichen Verhältnissen
nach jeder Richtung hin entsprechen. Es gibt bekanntlich auch
jetzt noch eine ganze Reihe von Personen, die der Ansicht huldigen,
dass die Kreisärzte das „Herumschnüffeln nach sanitären Miss-
ständen“ gleichsam als Sport betreiben, ihre Hände in alle mög¬
lichen Sachen mischen and kein grösseres Verlangen haben, als
ihren Amtsbezirk mit kostspieligen Plänen zu beglücken. Dem¬
gegenüber können wir auf Grund langjähriger Erfahrung nur
nochmals betonen: So tatkräftig auch mancher Kreisarzt sein
mag, so töricht ist er doch sicherlich nicht, dass er sich un¬
nötig Arbeit macht, die nicht nur ihm, sondern allen Beteiligten
Aerger und Verdruss verursacht. Es ist deshalb gar nicht nötig,
dem Medizinalbeamten „Zügel anzulegen“; denn das Herum-
schnüffeln, Revidieren, Kontrollieren, Zurstrafebringen usw. ist
eine viel zu unangenehme Arbeit, als dass er sich in dieser Hin¬
sicht nicht schon selbst Zügel anlegen sollte. Es gibt aber
auch viele Leute, die dem Kreisarzt am liebsten die Augen
verbinden möchten, damit er ausserstande ist, irgend einen der
vielen offenliegenden hygienischen Missstände zu sehen; und da
diese Missstände, an denen eben ein Gesundheitsbeamter beim
besten Willen nicht achtlos Vorbeigehen kann, am meisten auf
dem platten Lande zu finden sind, so ist es auch begreiflich,
dass die Tätigkeit des Kreisarztes hier von denen nicht gern
gesehen wird, denen die Beseitigung der Missstände und dem¬
zufolge die Tragung der dadurch entstehenden Kosten obliegt.
Hinc illae lacrimael Deshalb wird auch nur der Uebereifer der
Kreisärzte von konservativer Seite bemängelt, von einem Ueber¬
eifer der Gewerbeinspektoren ist dagegen in den Landtagsver-
handlungen nie die Rede, obwohl von diesen Beamten an die
Besitzer der gewerblichen und industriellen Anlagen im gesund¬
heitlichen Interesse der Arbeiter oft weit grössere und kost¬
spieligere Anforderungen gestellt werden müssen, als dies z. B.
seitens der Kreisärzte im Interesse der ländlichen Arbeiter ge¬
schieht Dabei ist es eine nicht wegzuleugnende Tatsache, dass
die sogenannte Landflucht der Arbeiter in den östlichen Provinzen
zum Teil auf die * mangelhaften, ungesunden Wohnungs-, Trink¬
wasser- usw. Verhältnisse zurückzuführen ist, und deren Be¬
seitigung deshalbjnicht r nur im öffentlichen Interesse, sondern auch
im Interesse der Besitzer selbst liegt.
Ausserdem darf man nicht vergessen, dass . der Kreisarzt nur
der Berater der ausführenden Behörden ist, und die Durchführung
seiner Vorschläge besonders in finanzieller Hinsicht der Prüfung
des zuständigen Landrates unterliegt. Man sollte*meinen, dass dies
doch ein ausreichendes Sicherheitsventil gegen seine etwa zu weit¬
gehenden Forderungen ist, oder traut man auf konservativer Seite
such den Landräten in dieser Hinsicht ebensowenig Selbstständig¬
keit zu wie den Regierungspräsidenten in bezug auf ihre Berichte?
Es wäre vielleicht recht gut, wenn sich der Herr Minister einmal
100
Dritte Beratung des preuß. Abgeordnetenhauses
der Aufforderung des Abg. v. Pappenheim gemäss die Akten
der einzelnen Landratsämter mit Rücksicht auf die Tätigkeit der
Kreisärzte vorlegen liesse; er würde dann sicherlich finden, dass
in den Kreisen, wo Landrat und Kreisarzt den gegebenen Vor¬
schriften gemäss Hand in Hand gehen, die Erfolge dieses Zu¬
sammengehens nicht ausgeblieben sind, dass dagegen in den
Kreisen, wo der Landrat ein taubes Ohr für die Vorschläge des
Kreisarztes hat und dieser lieber „ad acta“ schreibt, als es mit
irgend einem Grundbesitzer oder einer Gemeinde zu verderben,
Zustände herrschen, die in einem Kulturstaate nicht Vorkommen
sollten. Material gegen die Tätigkeit der Kreisärzte werden
diese Akten gewiss nicht liefern, wohl aber recht viel Material
dafür, dass es die höchste Zeit war, den Kreisärzten in Preussen
endlich eine den Ansprüchen der öffentlichen Gesundheitspflege
entsprechende Stellung einzuräumen!
Und hat denn die Medizinalreform, mit der man angeblich
so „schlechte Erfahrungen“ gemacht hat, nicht bereits ganz an¬
erkennenswerte Erfolge erzielt? Sollte es wirklich nur Zufall
sein, dass z. B. gerade in den letzten Jahren das Interesse und
die Opferwilligkeit für alle gesundheitlichen Einrichtungen in
sämtlichen Schichten der Bevölkerung gewachsen ist, oder sollten
hierbei die Kreisärzte nicht einen wesentlichen Einfluss gehabt
haben? Sollte es z. B. nicht auf ihre Einwirkung zurückzuführen
sein, wenn jetzt der Abwässerbeseitigung, der Trinkwasserversor¬
gung, der Krankenfttrsorge usw. ein weit grösseres Interesse als
früher entgegengebracht wird, Wasserleitungen selbst in kleinen
Orten angelegt werden, in denen man früher jeden Gedanken
daran als absurd zurückgewiesen hatte und jetzt Gott dankt, dem
Rate des Kreisarztes gefolgt zu sein! Dasselbe gilt in bezug
auf den Bau und die bessere Einrichtung von Kranken¬
häusern ! Warum stehen denn die Krankenhäuser jetzt nicht mehr
leer, warum ist denn die frühere Scheu der Bevölkerung gegen
sie verschwunden? Doch lediglich darum, weil sie den hygienischen
Anforderungen genügen und demzufolge die grösste Sicherheit für
die Heilung der Kranken bieten! Mit Itecht betont der Herr Kultus¬
minister, dass die Medizinal Verwaltung nicht die Verantwortung für
die Folgen auf sich laden könne, die bei einer technisch und wissen¬
schaftlich nicht einwandsfreien Einrichtung der Krankenhäuser für die
Kranken zu befürchten seien—und diese V erant wortung trägt in erster
Linie der Kreisarzt. Auf seine Tätigkeit ist es auch nicht zum gering¬
sten zurückzuführen, wenn jetzt nicht blos der Staat, sondern auch die
Provinzial- und Kreisverbände grössere Mittel zu Zwecken
der öffentlichen Gesundheit bereit stellen, die vorzugsweise
gerade den bedürftigen Gemeinden zugute kommen; denn
vor diese Bereitstellung musste doch erst das Bedürfnis klar, die
Wunde offen gelegt werden; gerade diese Klar- und Offenlegung
ist aber eine der wichtigsten Aufgaben der Kreisärzte. Dass
diese mit grösster Freudigkeit, Umsicht, Aufopferung und bestem
Erfolge ihre Schuldigkeit tun, ist vom Herrn Ministerunter Hinweis
auf ihre Tätigkeit bei der im vorigen Jahre drohenden Typhusgefahr
über den Gesetzentwurf betr. die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten. 101
im Überschwemmungsgebiet der Oder mit warmen Worten aner¬
kannt; die Medizin&lbe&mten werden ihm hierfür mit ToUem
Herzen dankbar sein. Man muss dem Abg. Dr. Martens auch
vollständig beistimmen, „wenn er das für gesundheitliche Einrich¬
tungen zur Verminderung der Sterblichkeit und Sanierung unseres
Volkes ansgegebene Kapital zu den bestrentierenden Geldern
rechnet“; und je mehr sich diese Ansicht in immer weiteren Kreisen
Bahn bricht, desto mehr Anerkennung wird auch die Tätigkeit
der Kreisärzte finden und desto schneller werden die jetzt noch
dagegen erhobenen Vorwürfe verstummen!
Betreffs der Einzelheiten der Verhandlung wird auf den
nachstehenden Auszug des stenographischen Bericht verwiesen;
es sei nur noch erwähnt, dass von der Mehrzahl der Mitglieder
der Kommission zur Beratung des betreffenden Gesetzentwurfs
zu den §§ 26—30folgende Abänderungsvorschläge gemacht waren;
,1. Dem § 26 Abs.2 folgenden Zusatz zu geben: „ , mit der Maßgabe,
daß die Verpflichtung des Staates, diejenigen Kosten zu tragen, welche durch
laudespolizeiliche Maßnahmen bedingt sind, hierdurch nicht berührt wird“.
2. Dem § 27 einen neuen (5.) Absatz hinzuzusetzen folgenden Wort¬
lauts: „Den Gutsbezirken können im Falle ihrer Leistungsunfähigkeit die auf¬
gewendeten Kosten ganz oder teilweise vom Staate erstattet werden“.
3. Einen neuen § 27 a folgenden Inhalts aufzunehmen: „Steht ein Guts¬
bezirk nicht ausschließlich im Eigentum des Gutsbesitzers, so ist auf dessen
Antrag ein Statut zu erlassen, welches die Aufbringung der durch das Reichs¬
gesetz, betreffend die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten, und das
gegenwärtige Gesetz entstehenden Kosten anderweit regelt und den mitheran-
zuziehenden Grundbesitzern oder Einwohnern eine entsprechende Beteiligung
bei der Beschlußfassung über die Ausführung der erforderlichen Leistungen
enräumt.
Das Statut wird nach Anhörung der Beteiligten durch den Kreisausschuß
festgestellt und muß hinsichtlich der Beitragspflicht den gesetzlichen Bestim¬
mungen über die Verteilung der Kommunallasten in den ländlichen Gemeinden
folgen. Dasselbe unterliegt der Bestätigung des Bezirksausschusses.“
4. Den § 28 wie folgt zu fassen: „Die Gemeinden (Gutsbezirke) können
durch die Kommunalaufsichtsbehörde schon zu seuchenfreier Zeit zur Her¬
stellung und Unterhaltung der Einrichtungen angehalten werden, welche bei
oder nach dem Ausbruch übertragbarer Krankheiten notwendig sind.
Die Kreise sind befugt, diese Einrichtungen an Stelle der Gemeinden
su treffen und zu unterhalten.
Die Verpflichtung des Staates, diejenigen Kosten zu tragen, welche durch
landeepolizeiliche Maßnahmen bedingt sind, wird hierdurch nicht berührt.“
5. Den Abs. 2 des § 30 wie folgt zu fassen: „Bei dringender Gefahr
im Verzüge kann die von der Kommunalaufsichtsbehörde erlassene Anforderung
durchgeführt werden, bevor das Beschlußverfahren zum Abschluß gebracht ist.
Die Kosten der Einrichtungen trägt in diesem Falle der Staat, sofern nicht in
dm Beschlußverfahren die Gemeinde (Gutsbezirk) für verpflichtet erklärt wird.“
Abg. Wellstein (Zentr.) tritt warm für die Verabschiedung des Ge¬
setzes ein. Trotz aller Vorsichtsmaßregeln seien im Jahre 1903 an Kindbett¬
fieber 1986, an Scharlach 12247, an Diphtherie und Croup 14914 und an
Tuberkulose 70049 Menschen gestorben, also in einem Jahre zusammen 100000
Menschen an diesen vermeidlichen Krankheiten. Um so mehr habe der Landtag
die Pflicht, die Gesundheit, das kostbarste Gut der Menschen, nach besten
Kräften zu schützen und der Staatsregierung die dazu erforderlichen Mittel
in die Hand zu geben; denn die jetzigen gesetzlichen Bestimmungen reichen
weder aus, noch entsprechen sie den vorgeschrittenen Anforderungen der Wissen-
•ch&ft. Seitens der Staatsregierang sei ein hygienischer Feldzug gegen die
Seuchen geplant, dafür solle das Gesetz den Mobilmachungsplan liefern. Es
tei denn auch erwünscht, daß es nicht ein toter Buchstabe bleibe, und die
102
Dritte Beratung des preufl. Abgeordnetenhauses
Begierung mit fester Hand eingreife, nur müsse dies mit Nachsicht und nicht
mit rauher Hand geschehen. Die Ansicht, daß der § 23 des Rcichsseuchen-
gesetzes der Regierung schon die Befugnis einräume, in seuchenfreier Zeit auch
gegen die hier nicht erwähnten übertragbaren Krankheiten diejenigen Ma߬
nahmen zu treffen, die zu ihrer Bekämpfung erforderiieh seien, sei nicht zu¬
treffend ; erst durch den vorliegenden Entwurf werde ihr diese Befugnis eingeräumt
werden. Aber gerade hiergegen seien viele Bedenken laut geworden, nament¬
lich mit Rücksicht auf das möglicher Weise zu scharfe Vorgehen der Kreis¬
ärzte, indem den Qemeinden unnötige und ihrer Leistungsfähigkeit übersteigende
Anforderungen auferlegt werden könnten. Deshalb seien von der Kommission
gewisse Kautelen geschaffen, mit denen sich jedoch nur zum Teil die Staats¬
regierung einverstanden erklärt habe. Redner hofft aber, daß eine Eini¬
gung schließlich erzielt werden würde.
Abg. Winkler (kons.) erklärt im Namen seiner Partei, daß diese mit
wenigen Ausnahmen entschlossen sei, dem Gesetz, wie es vorliege, die Zu¬
stimmung zu versagen, weil seine Bestimmungen viel zu tief in die persönlichen
Verhältnisse, in die Familienverhältnisse eingreifen und anderseits die durch
das Gesetz den Gemeinden und überhaupt den kommunalen Trägern aufzu¬
erlegenden Lasten viel zu groß seien. Wenn wiederholt hervorgehoben sei,
daß man auf eine wohlwollende Ausführung des Gesetzes rechnen, und Ver¬
trauen zu den ausführenden Instanzen haben könne, so sei demgegenüber her-
vorzuheben, daß die auf diesem Gebiete in der letzten Zeit gemachten Er¬
fahrungen nicht geeignet seien, jene Bedenken ohne weiteres zurückzustellen P
Im Lande höre man manches Unerfreuliche über die Tätigkeit der Kreisärzte;
die Anforderungen, die jetzt schon in den kleinsten Dörfern manchmal gestelllt
würden, gingen vielfach über das Maß des zu billigenden hinaus. Dasselbe gelte
hinsichtlich der Anforderungen an die Errichtung von Krankenhäusern, so daß
deren Unterhaltung den Gemeinden geradezu verleidet werde. Vor allem müsse
aber jede Mehrbelastung der Gemeinden vermieden werden. Der Minister des
Innern weise den Gemeinden gegenüber immer auf die Notwendigkeit geregelter
Finanzen hin, während durch die Maßnahmen anderer Ressorts die Gemeinde¬
lasten sich immer mehr steigerten. Deshalb sei es Pflicht des Abgeordneten¬
hauses, allen neuen Gesetzen ein Nein entgegenzusetzen, von denen man eine
weitere Belastung der Gemeinden und Gutsbezirke ohne entsprechende Unter¬
stützung des Staats erwarten müsse. Aus diesem Grunde lehne auch seine
Partei ,das vorliegende Gesetz ab, denn alle in der Kommission gefaßten
Beschlüsse seien nicht im stände, die Bedenken dagegen abzuschwächen; ins¬
besondere müßten die Gutsbezirke in der Erleichterung der Lasten mit den
Gemeinden gleich behandelt werden.
Kultusminister Dr. Studt bedauert lebhaft die ablehnende Haltung der
konservativen Partei und weist die von dem Vorredner erhobenen Bedenken
als unbegründet zurück. Ein vermehrtes polizeiliches Eingreifen in Privat-
vorhältnisse werde durch das Gesetz nicht bedingt; das Regulativ von 1886
gestatte vielmehr den Polizeibehörden bezw. den amtlichen Medizinalpersonen
ein viel tieferes Eingreifen in die Privatverhältnisse, als der vorliegende Ent¬
wurf. Es trete in dieser Beziehung eher eine Erleichterung als eine Er¬
schwerung des bisherigen Zustandes ein. Auch das Mißtrauen gegen die Sani-
täts- und Polizeibehörden, weil sich angeblich verschiedene übereifrige Medi¬
zinalbeamten eine geradezu belästigende Einwirkung auf das Publikum gestattet
hätten, sei nach dem Ergebnis der im Vorjahre veranlaßten Umfrage völlig
unbegründet. Abgesehen von ganz geringen Einzelfällen sei sowohl ein durch¬
aus korrektes Verhalten der Medizinalbemten, wie Zufriedenheit der Bevölke¬
rung mit den Maßnahmen konstatiert worden. Mit Recht frägt der Herr
Minister, ob etwa dies anch heute wieder in so scharfer Form geäußerte Mi߬
trauen die Belohnung sein solle für die wirklich aufopfernde Tätig¬
keit, die eine große Anzahl von Medizinalbeamten namentlich
in Schlesien voriges Jahr entwickelt habe, als es sich darum
handelte, der sehr akuten Typhusgefahr im Ueberschwemmungsgebiet der Oder
vorzubeugen? Und die dortigen Maßnahmen, die mit größter Freudigkeit, mit
Umsicht nnd dem ‘besten Erfolge durchgeführt worden seien, hätten [nicht
einmal die Gemeinden irgendwie erheblich belastet; denn der größte Teil der
entstandenen Kosten sei auf die Staatskasse übernommen worden. Ebenso un-
aber den Gesetzentwurf betr. die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten. 103
berechtigt sei der Vorwurf, daß zu weitgehende Anforderungen an die tech¬
nische Beschaffenheit der Krankenhäuser gestellt würden. Die gesteigerten
Anforderungen seien lediglich die Folge der Fortschritte der Wissenschaft in
bezug von Antiseptik und Aseptik; davon, daß die Krankenhäuser im allge¬
meinen technisch und wissenschaftlich einwandsfrei hergestellt werden, könne
die Medizinalrerwaltung unmöglich Abstand nehmen, wenn sie auch ferner die
Verantwortung für die Volksgesundheit tragen solle. Daß sich dieses Vor¬
gehen außerhalb des Bahmens der Angemessenheit bewegt habe, müsse ent¬
schieden bestritten werden; und sollte wirklich einmal dadurch eine zu hohe
Belastung einer Gemeinde eintreten, so sei die Zcntralinstanz gern bereit, aus
ihrem Dispensationsfond Beihilfen zu gewähren. — Das Abgeordnetenhaus
stehe vor einer schweren und bedeutungsvollen Entscheidung; denn der bis¬
herige lückenhafte und veraltete Bcchtszustand, der es den polizeilichen und
Sanitätsbehörden in wichtigen Fällen unmöglich mache, wirksam einzngreifen,
müsse beseitigt werden. Auch die Bedenken betreffs der vielbestrittenen
Kostenfrage seien nicht begründet. Schritt vor Schritt habe in dieser Hinsicht
die Staatsregierung gemacht, das größte Entgegenkommen bewiesen und nicht
nur die sämtlichen Kosten der amtsärztlichen Kontrolle der Seuchenbekämpfung,
der Leitung und Ueberwachung der Schutzmaßregeln, sondern auch ein
Drittel der Kosten nach § 26 bei hilfsbedürftigen Gemeinden, sowie sechs
Siebentel der Kosten zur Bekämpfung der Körnerkrankheit auf die Staats¬
kasse übernommen; desgleichen habe der Finanzminister in Aussicht ge¬
stellt, den Dispositionsfonds der Medizinalverwaltung zur Gewährung von Bei¬
hilfen in Bedarfsfällen zu verdoppeln; das bedeute ein gewaltiges finanzielles
Opfer des Staates zugunsten der Gemeinden. Der Herr Minister bittet noch¬
mals, der untergeordneten Kostenfrage eine übermäßige Bedeutung nicht bei-
zumessen und daran die ganze Gesetzesvorlage scheitern zu lassen. Es würde
dies äußerst bedenklich sein gegenüber der Tatsache, daß der Landtag mit dem
eigentlichen Kern des Gesetzes einverstanden sei, und die Notwendigkeit zu
Verbesserungen des bisherigen sanitätspolizeilichen Zustandes einmütig aner¬
kannt habe.
Abg. Frhr. v. Zedlitz u. Neukirch (freikons.): In der Bevölkerung
sei — das lasse sich nicht leugnen — die Besorgnis vorhanden, daß die Me¬
dizinalbeamten über den Rahmen der berechtigten Anforderungen den Gemeinden
gegenüber hinausgehen werden. Die Erfahrung der letzten Jahre stütze diese
Befürchtung. Wenn der Minister sich auf das Ergebnis einer Umfrage beiden
Regierungspräsidenten berufe, se könne dies um so weniger ausschlaggebend
sein, als in der Verwaltung mehr und mehr der Unfug einreiße, so zu berichten,
wie man es oben gern hören wolle. Wie würden denn solche Berichte gemacht?
Für die untere Instanz liefere der Kreisarzt selbst das Material, in der Regie-
rnngsinstanz trete der Medizinalrat ein: eine Krähe hacke bekanntlich der
anderen die Augen nicht aus. Der Wunsch gehe also dahin, die Medizinal-
beamteu möchten etwas am Zügel gehalten werden. Der zweite Einwand
gegen die Vorlage sei der, daß eine recht große Anzahl von Gemeinden, die
heute schon überlastet seien, mit diesem Gesetze eine weitere Steigerung ihrer
Belastung erfahren sollen. Deshalb müsse die Grenze der Leistungsfähigkeit
so niedrig gegriffen werden, daß Ueberlastung vermieden werde. Es sei keine
untergeordnete Frage, wie die Verteilung der Kosten geregelt werde. Der
jetzt vorgeschlagene § 27 habe eigentlich keinen Inhalt; er besage nur: dem
Minister sei nicht verboten, aus seinem Dispositionsfonds den Gutsbezirken
Unterstützungen zu gewähren; das sei aber überhaupt nicht verboten. Auch
die anderen Kompromißanträge beseitigten die großen Bedenken nicht, die
gegen ungerechtfertigte Ueberlastung der Gemeinden geltend gemacht würden.
Vielleicht ließe sich eine Einigung in der Weise erzielen, daß im Beschlußver-
fahren nur über die Leistungsfähigkeit der Gemeinden und nicht über die Be-
dftrfnisfrage entschieden werde, und daß bei Verneinung der ersteron die über
die Leistungsfähigkeit der Gemeinden hinausgehenden Kosten halbschichtig
von Staat und der Provinz getragen würden. Redner schlägt deshalb vor,
jetzt nur bis § 27 zu beraten und die anderen Paragraphen des Gesetzes noch
einmal an die Kommission zurückzuverweisen.
Minister des Innern, Frhr. v. Hammerstein tritt zunächst den vom
Vorredner gegen die Berichte der Regierungspräsidenten erhobenen Vorwürfen
104
Dritte Beratung des preuß. Abgeordnetenhauses
auf das entschiedenste entgegen. Sämtliche Begierungspräsidenten seien frei¬
mütig in ihren Urteilen und Beobachtungen; ihre Selbständigkeit nach dieser
Bichtung hin irgendwie in Zweifel zu ziehen, sei deshalb völlig unberechtigt.
Im übrigen könne er sich der Warnung vor gesetzgeberischen Maßnahmen,
welche die Gemeinden mehr als nötig belasten, nur anschließen; sowohl die
Königliche Staatsregierung, als der Landtag müsse die größtmöglichste Vorsicht
anwenden, um eine Verschuldung und Steuerbelastung der Gemeinden zu ver¬
hüten. Aber das gegenwärtige Gesetz sei in seinem Erfolge keine Belastung,
sondern eine Entlastung der Gemeinden. Damit, daß über die in § 28 vor¬
gesehene Frage die Selbstverwaltungsbehörden zu entscheiden haben, der Kreis¬
ausschuß, Bezirksausschuß, in höherer Instanz der Provinzialausschuß, erklärt
sich der Herr Minister einverstanden, nicht aber damit, daß z. B. über die
Frage, ob eine Angelegenheit ortspolizeilicher oder landespolizeilicher Natur sei,
der Kreisausschuß entscheiden solle; denn dadurch würde der Regierungspräsi¬
dent unter den Kreisausschuß gestellt. Ebenso bedenklich sei es auch, daß über
die Frage, ob die Gemeinde eine von der Staatsbehörde geforderte polizeiliche
Einrichtung zu treffen habe, eine Provinzialbehörde, der Provinzialrat endgültig
entscheiden solle, alles dies passo nicht in den jetzigen Bahmen der bestehenden
Verwaltungsorganisation. Es sei deshalb der Gedanke aufgetaucht, als letzte
Instanz die drei wesentlich beteiligten Minister: den Kultusminister, den Finanz-
minister und den Minister des Innern zu setzen, aber auch dies werde ein
Novum sein, dessen Einführung in das Gesetz jedenfalls noch eines eingehenden
Studiums bedürfe. Zweckmäßiger sei cs vielleicht, daß, analog der Dritteilung
des Kostenbedarfs — zwischen Gemeinde, Kreis und Staat — nach § 27,
auch in den Fällen der §§ 28 und 29 eine Beteiligung höherer Verbände an
der Kostenlast der Gemeinde eingeführt werde, indem für den Fall, daß der
Provinzialrat beschlossen hat, die Gemeinde frei zu stellen, die Provinz den
gleichen Teil der aus diesem Beschlüsse sich ergebenden Kosten zu tragen
hat, wie der Staat
Die bisher beschlossene Form des Gesetzes würde es der Staatsregierung
unmöglich machen, das Gesetz Sr. Majestät zur Bestätigung vorzulegen. Gegen
den neuen Absatz zu § 27, wonach „den Gutsbezirken im Falle ihrer Leistungs¬
unfähigkeit die aufgewendeten Kosten ganz oder teilweise vom Staat erstattet
werden können“, hat der Herr Minister nichts einzuwenden; denn dadurch er¬
wachse doch wenigstens eine moralische Verpflichtung für die Staatsregierang
in den Fällen, in denen in der Tat überlastete Gutsbezirke vorhanden sind,
diese nicht schlechter zu stellen als benachbarte Gemeinden. Ebenso ist der
Minister damit sehr einverstanden, wenn über die Kostenfrage, also über die
wird; er hofft, daß es dann noch gelingen wird, zu einem Einverständnis zu
§§ 27 usw. des Gesetzes die endgültige Beschlußfassung heute ausgesetzt
kommen, das nicht bloß die Staatsregierung, sondern auch alle Teile des
Hauses befriedigt.
Abg. Schmedding (Zentr.) glaubt, daß es zum Zustandekommen des
Gesetzes nicht einer abermaligen Zurückverweisung an die Kommission bedarf,
da der neue, von mehreren Kommissionsmitgliedern eingcbrachte Antrag den
in der zweiten Lesung laut gewordenen Wünschen Bechnung trage. Auch der
Unterschied zwischen ortspolizeilich und landespolizeilich sei im Gesetz inso¬
fern berücksichtigt, als in strittigen Fällen nach dem bestehendem Bechte,
also in letzter Instanz, durch das Oberverwaltungsgcricht entschieden werden
müsse. Eine neue aus drei Ministern bestehende Instanz dafür einzuführen,
würde eine Verschlechterung des Gesetzes durch Beiseiteschiebung der Selbst¬
verwaltungskörper bedeuten. Bcdner gibt eine kurze Uebersicht über die
durch das Gesetz gegenüber den bisherigen Verhältnissen bewirkten Kosten-
Erleichterungen und Kosten-Erschwerungen; er zieht hieraus das Gesamt¬
ergebnis, daß sich danach eine nicht unwes entliehe Verbesserug
der Gemeinden ergebe. Ebensowenig bringejlas Gesetz größere Eingriffe in
das Privat- und Familienleben.
Finanzminister Freiherr von Bheinbaben betont ebenfalls, daß der
Gesetzentwurf zwar eine Mehrbelastung für die Staatskasse bringe, aber im
wesentlichen eine große Entlastung für die Gemeinden darstelle. Die Finanz¬
verwaltung habe sich bemüht, von Punkt zu Punkt entgegenzukommen, um
die Verabschiedung des Gesetzes zu ermöglichen; sie habe sich bereit erklärt,
aber den Gesetzentwarf betr. die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten. lOä
die sehr erheblichen Kosten der amtsärztlichen Feststellung der Krankheiten
and der Ueberwachnng durch den beamteten Arzt auf die Staatskasse zu
übernehmen; ferner sei die Beteiligung des Staats mit zwei Dritteln an den
durch § 27 bedingten Maßnahmen in Aussicht gestellt; desgleichen solle an der
weitgehenden Beteiligung des Staats an den Kosten zur Bekämpfung der Körncr-
krankheit nichts geändert werden. Mit Rücksicht auf diese sehr wesentliche Ent¬
lastung der Gemeinden ist alle Veranlassung gegeben, auf die Vorlage einzugehen,
während diese durchaus nicht im Interesse der Finanzverwaltung liege. Mit
den von der Kommission beschlossenen Abänderungsanträgen zu den §$j 28—30
sei aber die Vorlage für die Finanzverwaltung unannehmbar; denn es gebe kein
schlechteres Verfahren auf irgend einem Gebiete des öffentlichen Lebens als
das, wonach die eine Instanz zu beschließen, die andere die Kosten zu
tragen habe. Wer über die Kosten beschließe, müsse auch an der Kosten¬
tragung teilnehmen, wenn anders die Beschlußfassung sachlich und sparsam
sein solle. Der ganze Effekt der Abänderungsvorschläge würde der sein, daß
keine Gemeinde in seuchent'reier Zeit irgend etwas tue, sondern sich darauf
verlasse, daß wohl einmal ein Scuchenfall kommen und es dann gelingen werde,
mit Hilfe des Kreisausschusses und des Provinzialrats die ganzen Kosten auf den
8taat abzuwälzen. Wenn man im Dringlichkeitsfalle die Kosten auf die Staats¬
kasse wälzen wolle, dann müsse man auch schließlich die Entscheidung mit in
die Hände des Staates legen, also die drei Minister wieder als letzte Instanz
einsetzen. Das Prinzip des § 27 lasse sich auf § 30 Abs. 2 eben nur über¬
tragen, wenn derjenige, der in diesem Falle die Kosten zu tragen habe — der
Staat — an der ganzen Entscheidung sachgemäß beteiligt 6ei. Sollten da¬
gegen die Minister als letzte Instanz ausscheiden und die endgültige Entschei¬
dung bei der Provinzialinstanz, beim Provinzialrat, bleiben, dann sei cs uner¬
läßlich, die Provinz auch verantwortlich für die Entscheidung der ihr nach
ihrer Zusammensetzung nahestehenden Instanz zu machen, also anch die Provinz
an den Kosten mitzubeteiligen, sonst komme die Sache einfach dahin, daß keine
Gemeinde etwas tun und jeder Kreisausschuß und Provinzialrat die Gemeinde,
nachher für unfähig erklären würde, weil dann die Kosten vom Staat getragen
werden müssten. Welche von den beiden Wegen der bessere sei, bedürfe noch
der näheren Erörterung; deshalb sei es richtig, die Beratung jetzt nur bis § 27
gedeihen zu lassen und die Beschlußfassung über die anderen Paragraphen
einige Tage zu verschieben.
Abg. v. Pappenheim (konsA bemerkt, daß der Hauptgrund für die
ablehnende Haltung seiner Partei aui den Erfahrungen beruhe, die sie mit der
Einführung der Medizinalreform gemacht hätten. Der Herr Minister müßte
sich nur einmal die Akten der einzelnen Landratsämter vorlegen lassen, da
würde er zu einem ganz anderen Urteil über die Tätigkeit der Kreisärzte
kommen, als nach den Berichten der Regierungspräsidenten. Redner findet cs
ganz begreiflich, wenn die Medizinalbeamten so weit wie möglich mit ihren
Vorschlägen, Warnungen usw. gehen, aber sie können die Ausführbarkeit dieser
Wunsche nicht beurteilen und wenn auch der Landrat in vielen Fällen deshalb
die Wünsche ad acta schreibe, so geben sie doch zu einer Beunruhigung Ver¬
anlassung. Das Mißtrauen seiner Partei richte sich nicht gegen den Herrn
Minister, sondern gegen die unteren Instanzen. Allerdings würden auch von
der Zentralinstanz mitunter zu weit gehende Ansprüche gestellt, z. B. in bezug
auf Isolierräumen für Typhuskranke bei Krankenhäusern, Ansprüche, denen die
Staatsregierung in ihrem eigenen Universitätskliniken keineswegs genüge.
Man solle die hygienischen Anforderungen den tatsächlichen finanziellen Ver¬
hältnissen anpassen und in dieser Hinsicht nicht über die Leistungsfähigkeit
der Gemeinden hinausgehen. Wenn Bich der Staat auf ein Ausführungsgesetz
des Reichsseuchengesetzes beschränke, so werde er bei der Partei des Red-
aers bereite Mitarbeiter finden und auf diesem Wege ein brauchbares, den An¬
forderungen der Neuzeit entsprechendes Gesetz zustande bringen.
Kultusminister Dr. Stadt bemerkt gegenüber dem Vorredner, daß
betreffs der Isolierung von Typhuskrauken nur die Absonderung in besonderen
Bäumen, wo solche vorhanden seien, gefordert und außerdem empfohlen sei,
äberall da, wo derartige Räume fehlen, auf ihre Beschaffung hinzuwirken. Der
gegen die Universitätskliniken gemachte Vorwurf sei ebenfalls unzutreffend.
Abg. Dr. Martens (natL) weist auf die große Bedeutung und Wichtig¬
keit des Gesetzes hin, die sowohl in der Presse, wie im Hause selbst nicht
106 Gesetzentwurf betr. die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten.
genügend gewürdigt werde. Das Kapital, das für Maßregeln gegeben werde,
nm die Sterblichkeit zu vermindern und eine Sanierung des Volkes herbeizu¬
führen, gehöre zu den best rentierenden Geldern. Um so mehr Bei zu bedauern,
daß die konservative Partei das Gesetz ablehne aus Gründen, die nicht als
durchschlagend anerkannt werden könnten. Ein zu starkes Eingreifen in das
Familienleben sei ebensowenig zu befürchten, wie zu hohe Anforderungen seitens
der Kreisärzte und eine größere Belastung der Gemeinden. Wenn die Gesetzes¬
vorlage auch noch einzelne zu verschiedener Ansicht Veranlassung gebende
Bestimmungen enthalte, so sei Kedner doch ebenso wie seine Fraktion mit der
Grundtendenz des Gesetzes einverstanden und werde für dieses stimmen. Er
bittet deshalb auch, die Beratung bei § 27 nicht abzubrechen, sondern das
Gesetz jetzt durchzuberaten.
Abg. Dr. v. Savigny (Zentr.) erklärt, daß seine Partei auf dem Boden
der Kompromißbeschlüsse stehe und durch die ablehnende Erklärung der Kon¬
servativen um so mehr überrascht sei, als einige Mitglieder dieser Partei den
Kompromißantrag unterschrieben hätten und dieser auch gerade den Wünschen
der Konservativen in bezug auf die Gutsbezirke entspreche. Was den Ge¬
meinden recht sei, müsse den leistungsfähigen Gutsbezirken billig sein. Wenn
trotzdem die Konservativen gegen das Gesetz stimmen wollen, so erscheine es
bedenklich, an die weitere Beratung des Gesetzes heranzugehen, zumal
auch die vom Abg. v. Zedlitz angeregten Vorschläge noch einer eingehenden
Erwägung bedürften. Es empfehle sich dann jedoch nicht, heute die ersten
26 Paragraphen hier weiter zu beraten, denn es könne doch sein, daß die Zu¬
stimmung dazu von der Gestaltung der folgenden Paragraphen abhängig sei,
oder deren Fassung eine Aenderung der ersten Paragraphen notwendig
mache. Deshalb sei es besser, die Beratung nach dem Schluß der General¬
diskussion abzubrechen und die Spezialdiskussion zu vertagen, bis über die
heute geäußerten Bedenken eine Verständigung erzielt sei. Bcdner stellt daher
den Antrag auf Vertagung der Beratung nach Schluß der Ge¬
neraldebatte.
Abg. Franken (natl.) erklärt, daß seine Partei mit diesem Antrag ein¬
verstanden sei, aber nicht mit der nochmaligen Zurückverweisung des Gesetzes
an die Kommission. Er betont, daß man Epidemien Vorbeugen müsse, ehe sie
ausgebrochen seien und bittet den Minister, daß durch Zuschüsse von In¬
dustriellen und Kommunen in Gelsenkirchcn bei Gelegenheit der Typhus¬
epidemie gegründete bakteriologische Musterinstitut auch weiterhin zu fördern.
Wenn die §§ 27—SO aus dem Gesetzo ausgeschaltet würden, dann habe es
seinen Zweck, die Gesundheit des Volkes zu schützen, verfehlt.
Abg. Gyßling (fr. Volksp.) bittet wenigstens in der Beratung bis § 27
fortzufahren; denn gegen diese Bestimmungen liegen keine Bedenken vor. Die
Konservativen standen früher auf dem Standpunkt, daß nicht nur ein Ausführungs¬
gesetz zum Reichsgesetz, sondern auch ein Gesetz zur Bekämpfung der übrigen
übertragbaren Krankheiten erforderlich sei, heute wollten sie nur das erstere.
Die Konservativen seien doch sonst nicht so zimperlich, der Polizei Befugnisse
zu geben, z. B. bei der Ueberwachung der elektrischen Anlagen; aber bei diesen
sollten die Unternehmer die Kosten tragen, hier die Gemeinden, daher der
Widerspruch. Wolle man alle Kosten dem Staat übertragen, dann würde ein
Wettlauf der Gemeinden um die Herstellung von sanitären Einrichtungen ent¬
stehen ; deshalb sei es richtiger, wenn die Kosten zwischen beiden geteilt würden.
Auffallend sei, daß man angeblich auf die Berichte der Regierungspräsidenten
über die Tätigkeit der Kreisärzte nicht viel geben könne, während sie sonst,
z. B. in politischen Fragen, von konservativer Seite stets als zweifelsfrei hin¬
gestellt würden. Redner spricht sich weiter entschieden gegen eine Begünstigung
der selbständigen Gutsbezirkc aus; wenn diese Gutsbezirke selbständig ent¬
scheiden wollen, müssen sio auch die Pflichten übernehmen. Er erklärt schlie߬
lich, daß seine Freunde einzelne Bedenken zurückstellen würden, damit das
Gesetz endlich zu stände komme.
Abg. Gamp (freikons.) steht in bezug auf die Gutsbezirke auf dem
Standpunkt des Kompromißantrages und ist der Ansicht, daß die Gemeinden
nach dem Gesetz weit besser als bisher gestellt würden. Auch diejenigen
welche sich über die Haltung der Kreisärzte beschweren, müßten das Gesetz
mit Freuden annchmen, da nach diesem die Tätigkeit der Kreisärzte gleichsam
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
107
oster die Kontrolle des Kreisausschnsses und des Proyinzialrates gestellt
werden wurde; gerade hierin liege aber die sicherste Gewähr, daß sie ihre
berechtigten Grenzen nicht überschreiten würden. Im übrigen sei es nur logisch
und entspreche der Billigkeit, daß der Staat bei dringenden Fallen die Kosten
der angeordneten Maßnahmen übernehme, wenn im Beschlußverfahren ent¬
schieden werde, daß die Gemeinde nicht dazu verpflichtet gewesen wäre. Die
meisten Anordnungen würden außerdem nicht von den Gemeinden, sondern von
den Kommunalaufsichtsbehörden getroffen. Redner bittet, das Gesetz anzu-
nehmen; er fürchtet, bei weiterer Kommissionsberatung werde die Position der
Gemeinden nicht verbessert werden. Wenn das erreicht werde, was durch die
Kommissionsvorschläge zur Wahrung der Interessen der Gemeinden bezweckt
sei, so könne man das Gesetz mit gutem Gewissen annehmen und vor dem
Lande vertreten.
Die allgemeine Besprechung des Entwurfes wird hierauf ge¬
schlossen und der Antrag v. Savigny auf Vertagung der Spezial¬
besprechung angenommen.
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
A. Gerichtliche Medizin und Psychiatrie.
Krankheit und Vergiftung. Von L. Lew in-Berlin. Berliner klinische
Wochenschrift; 1904, Nr. 42.
Krankheit and Vergiftung, beides Funktionsstörungen von Körperorganen,
sind oft selbst für den Arzt, der nicht gut geschult ist und über viel toxiko¬
logisches Wissen verfügt, nicht zu unterscheiden, da es kein Organ des mensch¬
lichen Körpers und keine Gewehsart gibt, die nicht durch bestimmte Gifte so
erkranken können, wie durch Leidensursachen anderer Art. Für die kausale
Beurteilung müssen außer den Symptomen des Leidens noch andere Hilfsmittel
herangezogeu werden. Der Arzt, welcher Arbeiter in Giftbetrieben behandelt,
muß bei ungewohnten Symptomen seiner Kranken die allernächste Ursache für
die in die Erscheinung tretende Wirkung verantwortlich machen. Er soll in
(einen Krankheits- oder Todosbescheinigungen volle Wahrheit gelten lassen.
Methodische Körperuntersuchungen der Giftarbeiter würden ergeben, daß der
überwiegende Teil derselben, dem Individuum oft gar nicht zum Bewußtsein
kommende Störungen aufweist, die sich auf das betreffende Gift zurückführen
lassen. Auch an denjenigen Stellen, die unterrichtet sein sollten, scheint man
weder über den Umfang der Giftgefahren, noch über die Arten der Vergiftungs-
iaßerungen genügend orientiert zu sein. Wie wäre es sonst möglich, dieses
furchtbare Stück sozialen Elends fortbestehen za lassen, ohne die radikal
ändernde Hand anzulegen? Die Giftleiden, von denen viele Tausende von
Menschen heimgesucht werden, erzeugen sehr greifbare Volksschädigungen, die
wahrscheinlich viel größer sind, als es heute auch Eingeweihte ahnen. Den
hierher gehörigen Fragen ist noch lange nicht genug nachgegangen worden.
Bei gutem Willen der beobachtenden Aerzte und mit dem notwendigen Wissen,
da« sich nur auf einer genügenden toxikologischen Schulung aufbauen kann,
wird es gelingen, sie besser als bisher zu beantworten.
Dr. Räuber-Köslin.
Welche Bedeutung hat die Verfettung der Organe bei Vergiftungen 2
(Sur la signifleation defensive des surcharges graisseuses p&thologiques). Von
Paal Car not and Mlle. CI. De fl and re. Comptes rendus soc. de biol.;
1904, LVII, Nr. 39.
Die Autoren legten sich die Frage vor, welche teleologische Bedeutung
die Ansammlung von Fett in der Leber und anderen Organen bei der
Alkohol-, Ph osphor-, Arsen- und anderen Vergiftungen zuzuschreiben
sei, ob es sich um einen reaktiven Vorgang handle, welcher Nutzen, welcher
Sinn ihm unterzuschieben sei.
Zunächst dürfte es sich wohl um Aufspeicherung von Reservestoffen
handeln, die dazu dienen, die Nachbarzellen zu ernähren, die Lebensfähigkeit
za erhöhen und die antitoxische Wehrfähigkeit zu steigern.
108
Kleinert* Mitteilungen und Referate au» Zeitschriften.
Der Fcttnnsammlung scheint aber auch an sich ein antitoxischer
Wert zuzakommen.
Da ist nun folgender Versuch recht illustrativ: Die Verfasser er¬
zeugten bei einer Reihe Meerschweinchen durch tägliche Verabreichung von
2 gr Butter 8 Tage hindurch eine Fettinfiltration der Leber; daß dies möglich
war, hatten frühere Versuche nachgewiesen. Nach eintägiger Pause vergifteten
sie diese und gleichzeitig andere nicht mit Fett ernährte Kontrolliere mit
Alkohol in einer Dose von 8—10 ccm pro Kilo.
Es ergab sich, daß die Fetttiere widerstandsfähiger waren,
als die übrigen. Jene zeigten nur geringe Zeichen von Trunkenheit und einen
Temperaturabfall von nur 1° in 2 Stunden, diese starben schon bei einer
Dose von 6 gr pro Kilo mit zunehmender Hypothermie.
Man muß sich im Zusammenhang hiermit daran erinnern, daß englische
Gintrinker gewöhnt sind, bei ihren Gelagen Oel zu trinken, um mehr vertragen
zu können. Dieses Oel könnte vielleicht von der Leber aus wirken und sich
in den Leberzellen ansammeln, von dort aus eine antitoxische Wirksamkeit
entfalten.
Wenn Patienten im Beginne des chronischen Alkoholismus sich bei ihrer
Fettleber wohl fühlen und eine akute Intoxikation mit neuen Dosen gut ver¬
tragen, so scheint diese Tatsache mit den Experimenten der Autoren verein¬
bar zu sein.
Für den Phosphor hat Rosenfold nachgewiesen, daß bei hungern¬
den Tieren nicht die bedeutende Fettmetamorphose und Degeneration von
Leber und Muskeln eintritt, wie sie für die Vergiftung mit Phosphor charak¬
teristisch ist. Für die Kokainvergiftung haben Gilbert und Carnot
festgestellt, daß nur die Endothelzellen der Leber eine Fettinfiltration durch¬
machen, daß sie die zirkulierenden Fetttropfen zurückhalten und daß erst
zuletzt die Leberzelle selbst sich mit Fett anfüllt: alles ein Beweis, daß die
fettinfiltrierte Zelle vollständig lebensfähig und tätig sein kann.
Dr. Mayer-Simmern.
Fettgehalt der Leber nach kurzdauernder Inanitlon. Von A. Gil¬
bert und J. Jornier. Comptos rendus soc. de biol.; 1904, LVII, Nr. 84.
Die Arbeit ist für die Lehre vom Tode durch Verhungern von
Bedeutung.
Die Autoren weisen nach, daß bei kurzdauernder Inanition das Leberfett
nicht allein persistiert, sondern sogar reichlicher sein kann, als in der Norm.
Sie untersuchten bei 8 Hunden und 6 Kaninchen, die einer vollständigen Ina¬
nition während einer Zeitdauer von- 26 Stunden bis 8'/* Tagen unterworfen
worden waren, die Leber histologisch. Während bei den Kaninchen die Re¬
sultate nicht grade augenfällig waren, zeigte sich bei den Hunden Lokalisation,
Aussehen und Verteilung des Fettes nicht anders, als bei verschieden ernährten
Kontrollieren. Es handelte sich, was besonders zu erwähnen ist, nicht um
eine fettige Degeneration.
Zum Vergleiche waren 86 andere Hundelebern herangezogen worden.
Den größten Fettreichtum wiesen die Lebern zweier Hunde auf, die 4—8'/*
Tage Inanition hinter sich hatten. Ihre Blutkapillaren waren von gewaltigen,
im Präparate schwarz gefärbten Fetthaufen angefüllt, die ebenso bedeutend
nur bei Hunden waren, welchen nur Milch und Butter als Nahrung gereicht
worden war. Der tettärmste Inanitionshund hatte noch 15 Futtertiere hinter
sich. Der Dauer der Inanition war übrigens der Fettgehalt nicht proportional.
(Nach einem Referate der Münchener med. Wochenschrift, 1903, 8. 278
hatte R. Traina aus dem path. Institute zu Freiburg i. Br. Untersuchungen
geliefert, die mit den oben wiedergegebenen insofern übereinstimmen, als auch
er nachweist, daß bei akuten Hungerzuständen zwar das Fett im subkutanen
Gewebe eine starke Verminderung erfährt — wanderndes Fett —, daß dagegen
die in den Zellen drüsiger Organe befindlichen Fettkörner völlig unverändert
bleiben — seßhaftes Fett — und dort einen konstanten und integrierenden
Bestandteil des Zellprotoplasmas bilden. Ref.) Dr. May e r - Simmern.
Ein Fall von Situs inversus des Magens, Duodenums und der Mlls
bei einem 68jährigen, weiblichen Individuum. Von Dr. Josef Halff,
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 109
früher Assistent an der path. - anatom. Anstalt za Basel. Münchener mediz.
Wochenschr.; 1904, Nr. öl.
Ben bisher publizierten 3 Fällen von Situs inversus der Bauchorgane
reiht sich der vom Verfasser mitgeteilte Fall an, bei dem der Tod durch
Magen- und Leberkrebs verursacht war.
Aas dem ausführlichen Sektionsprotokoll mit Abbildung sei nur der
Baachbefand hervorgehoben:
.Bei der Eröffnung des Abdomens nimmt die vergrößerte und durch
Geschwalstknoten unregelmäßig höckrig gestaltete Leber die oberen Bauchpar-
tien ein; nach unten davon finden sich mäßig geblähte Dünndarmscblingen,
von denen die der Leber zunächst liegenden mit der Leber und mit der Bauch¬
wand verwachsen sind. ... Der Magen verläuft auf der rechten Hälfte
der Leberhinterfläche, die große Kurvatur sieht nach rechts,
die kleine nach links, statt einer Milz finden sich zwei je etwa
taub eneigroße Milzen, die rechts außen am Fundus des Magens
liegen; der Pjlorus liegt nach links von der Mittellinie, die
Krümmung des Duodenums ist nach links konvex. Ucber dem
oberen Schenkel des Duodenums, in der Mittellinie, links von
der Leberpforte findet sich, mit seinem Längsdurchmesser
vertikal gestellt, das verkrümmte, höckerig konfiguriert«
Pankreas. Ductus choledochus und Wirsingianus münden nebeneinander
anf der Papille, die im oberen Schenkel des Duodenums ca. 6 cm vom Pylorus
entfernt liegt.“
Verfasser geht dann an der Hand einer entsprechenden Zeichnung auf
das Verhalten der Gefäße der abnorm gelagerten Organe, sowie auf die Er¬
klärungsversuche für den Situs inversus ein und kommt zusammenfassend zu
dem Schlußsätze, daß bis jetzt eine befriedigende Klarstellung der Ursachen
des Situs inversus partialis von Bauchorganen nicht gefunden ist.
Dr. Wai bei-Kempten.
B. Bakteriologie, Infektionskrankheiten und öffentliches
Sanitätswesen.
Die ätiologische Begründung der Pockendiagnose. Von Stabsarzt Dr.
Jürgens, Assistent der II. Medizinischen Klinik in Berlin. Deutsche med.
Wochenschrift; 1904, Nr. 45.
Nach kritischer Besprechung der Arbeiten über die Vaccincerreger, die
von van derLoeff und Pfeiffer im Pockcnpnstolinhnlt als protoplas-
matische Gebilde nachgewiesen, von Guarnieri auch in der Haut Pocken¬
kranker gefunden und als Parasiten und Erreger der Pocken, als Cytorhyctes
vaccinae, angesprochen sind, hebt Verfasser hervor, daß die Differentialdia¬
gnose zwischen Variola, Varizellen und anderen Krankheitsprozessen in klinisch
undeutlichen Fällen allein und sicher nur durch den Tierversuch zu stellen
ist Zu diesem Zwecke sind, wie es Verf. auf der Infektionsabteilung der
Charite getan hat, Verimpfungen des Pustelinhalts auf die Kaninchencornea
in der Weise aaszuführen, daß mittels einer sehr scharfen Lanzettnadel eine
Pustel angestochen, der ausfließende Inhalt auf die Kaninchencornea übertragen
und hier durch möglichst flache Einschnitte in bezw. unter das Epithel der
Cornea gebracht wird. Am nächsten Tage schon zeigen sich an den Impf¬
stellen zarte Trübungen, und zugleich treten eben wahrnehmbare Epithel¬
wucherungen auf, die am nächsten und übernächsten Tag sehr viel deutlicher
werden. Im gefärbten Schnittpräparat sieht man den mit Epithelzellen ansgefüllten
Impfstich als dicken Zapfen schräg durch die Epithelschicht der Cornea hin¬
einragen und fast sämtliche Epithelzellen dieses Zapfens sowie der nächsten
Umgebung lassen den Parasiten erkennen, der sich nach Eisen-Hämatoxylin-
behandlung tiefblau von den Zellkernen und der übrigen Umgebung abhebt.
Da derartige deutlich hervortretende Zelleinschlüsse, wie diese vermutlichen
Parasiten sie darstellen, bisher nur nachgewiesen werden konnten, wenn Impf¬
ungen mit Vaccine- oder Variolalyrapho vorgenommen waren, so liegt hierin
der diagnostische Wert solcher Untersuchungen, die nicht allein die sichere
Bestätigung der Diagnose, sondern auch die allein mögliche Aufklärung
der Art eines vorliegenden Falles geben, zumal wenn die charakteristischen
Erscheinungen der Blattcrne&rankung fehlen und wo nur allgemeine, leichte
110
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
Symptome auftreten. Nicht minder wichtig aber köunen diese Untersuchungen
für unsere ganze Auffassung der Pathogenese und Epidemiologie der
Pocken werden. Wenn auch bei uns die Blattern für den Arzt fast völlig
ihre Bedeutung verloren haben, so bildet doch die Verhütung der Variola noch
ein wichtiges Kapitel in der öffentlichen Gesundheitspflege. Bei jedem pocken¬
verdächtigen Fall ist die Medizinalbehörde im hoben Maße interessiert; für die
Anordnung ihrer Maßnahmen bildet aber ebenso wie für die Beurteilung des
tatsächlichen Effektes derselben die exakte wissenschaftliche Diagnose ein not¬
wendiges Postulat. Auch die noch offenen Fragen der Entstehungs- und Ver¬
breitungsweise der Pocken, des Verhältnisses der Variola und Variolois zur
Vaccine werden eine Erklärung erst dann finden können, wenn in jedem ein¬
zelnen Falle der Nachweis des Pockenerregers durch den oben geschilderten
Tierversuch erbracht wird. £>r. Roepke-Melsungen.
Die Pockenepldemie in Bochum im Jahre 1904. Von Reg.- und Med.-
Rat Dr. Springfeld-Arnsberg. Klinisches Jahrbuch; 1904, Bd. 13, H. 2.
In Stadt- und Landkreis Bochum erkrankten insgesamt 52 Personen an
Pocken. Die Einschleppung fand mit großer Wahrscheinlichkeit Anfang De¬
zember 1903 aus Belgien statt. Erst Ende März 1904 bekam die Sanitäts¬
polizei von dem Bestehen einer Epidemie Kenntnis.
Der Feststellung des Umfanges der Epidemie stellte das gleichzeitige
Bestehen einer Windpockenepidemie große Schwierigkeiten entgegen. Erst
durch umständliche Ermittelungen (Prüfung der Schulvcrsäumnislisten, Haus¬
suchungen etc.) gelang es vielfach die Kranken ausfindig zu machen. Der
Verlauf der Epidemie wird durch einen Stammbaum sehr übersichtlich dar¬
gestellt.
Als Abwehrmaßregeln kam hauptsächlich die Impfung der Bevölkerung,
Isolierung der Erkrankten und Desinfektion in Betracht. Die fälligen 40000
Kinderimpfungen wurden sofort ausgeführt. Die Bevölkerung wurde durch
Bekanntmachungen oder, soweit angängig, durch Veranlassung Vorgesetzter
Behörden der Nachimpfung zugeführt. Im Monat April wurden mehr als
80000 Personen hierdurch zur Nachimpfung veranlaßt.
Große Mißstände entstanden aus der Unfähigkeit der Krankenhäuser, die
Pockenkranken aufzunehmen und zu verpflegen, isolierräume fehlten vielfach
oder waren in gänzlich unzureichender Verfassung. Es mutet den Leser recht
mittelalterlich an, wenn er liest, daß ein Kranker in einer nur zur Aufnahme
von Vagabunden sich eignenden Bretterbude, — ein anderer in den Sektions¬
raum einer Leichenhalle untergebracht wurde. Dr. Dohrn-Cassel.
Knhpockenlymphe und Tetanus. Von Dr. A. Carini, Chef der
Vaecineabteilung des Instituts zur Erforschung der Infektionskrankheiten Bern.
Zentralblatt für Bakteriologie; I. Abt., Originale, Bd. 57, H. 1.
Carini hat 50 verschiedene Vaccineproben auf ihren Gehalt an Tetanus-
keimen bezw. -Sporen untersucht und diese Krankheitserreger in 5 der Proben
nachweisen können. Wenngleich er die Gefahr der Entstehung von Tetanus
nicht für groß hielt — auch mit jenen 5 Lymphsorten waren tausende von
Impfungen vorgenommen worden, ohne daß bei den Impflingen auch nur ein
Tetanusfall zur Beobachtung gekommen wäre, so hält er doch gewisso Vor¬
sichtsmaßregeln für die Impfung für empfehlenswert. Als solche schlägt er
vor a. für die Impfung: ausschließliche Anwendung der Skarifikation, Vermeidung
des Stichs und eines fcstanliegendcn Verbandes, wodurch anaörobe Verhält¬
nisse geschaffen werden können, b. für die Lymphanstaltcn : Prüfung der Lymphe
vor der Abgabe auf ihren etwaigen Gehalt an Tetanuskeimen.
Dr. L e n t z - Berlin, z. Z. Idar.
Die experimentelle Lyssadiagnose bei Fäulnis der eingesandten
Nervenzentren. Von Karl Nicolle (Institut Pasteur do Tunis). Comptes
rendus soc. biol.; 1904, LVII, S. 349.
Die experimentelle Diagnose der Lyssa. Von Ch. Livon. (Institut
antirabique de Marseille.) Ebenda.
Die Pasteurschen Institute der heißen Länder haben außerordentlich
mit den Schwierigkeiten zu kämpfen, die die Fäulnis der ihnen zur Diagnose
Kleinere Mitteilungen und Referate aua Zeitschriften.
111
übersandten Tierkadaver bedingt. Wird die Sendung nur irgendwie verzögert,
so läßt sich das Gehirn des lyssaverdächtigen Tieres nicht mehr zur subdu¬
ralen oder intraokularen Impfung auf das Kaninchen verwenden, da dieses im
Durchschnitt schon nach 1—4 Tage der Sepsis erliegt oder in selteneren
Fällen der Abmagerung und Kachexie verfällt. Die Schwierigkeiten waren
im Jahre 1903 und anfangs 1901 so groß, daß unter 42 Fällen nur 25 ein
Resultat ergaben; in 7 eine Impfung überhaupt nicht versucht werden konnte.
Im Sommer 1904 wandte Verfasser nun zur Konservierung der
nbersandten Tierhirne Glyzerin an. Er ließ die Organe 48 Stunden
lang in sterilisiertem Glyzerin und verwandte sio alsdann zur Impfung. Von.
7 Fällen erzengte nur einer beim Kaninchen Septicämie; 5 gaben die charak¬
teristischen Rabies - Symptome. Nie olle empfiehlt daher das Glyzerinbad.
Die Angaben von Nico Ile werden von Livo n vollständig bestätigt. L.
berichtet, daß er schon seit dem Jahre 1894 die konservierenden und antisep¬
tischen Eigenschaften des Glyzerins in dem von ihm geleiteten Marseiller In-
stitnte benutzt habe und daß er nie eine Impfung vorgenommen habe, ohne
das übersandte Zentralnervensystem 24—48 Stunden im Glyzerin auf bewahrt
za haben. Auch die Tierärzte, die dem Institut zur Kontrollimpfung die
vorgeschriebenen Organe einsenden wollen, haben den Auftrag, die
Stücke alsbald in Glyzerin zu geben und sie so einzuschicken.
Dr. Mayer-Simmern.
Bericht Aber die Tätigkeit der Wutgchutzabtellung am KSnlglloh
Preußischen Institut für Infektionskrankheiten zn Berlin im Jahre 1908.
Von Dr. Schüder. Klinisches Jahrbuch; 1904, Bd. 13, H. 1.
Die Anstalt hat während ihres nunmehr ö 1 /* jährigen Bestehens 1816
Personen zur Vornahme der Schutzimpfung aufgenommen. Trotz der Impfung
starben im ganzen 9 Personen (0,49 “/«); V woitcre Todesfälle kommen nicht
in Betracht, da sie vor Eintritt der Wirksamkeit der Impfung eintraten.
Im Jahre 1903 wurden 400 Personen geimpft (darunter 4 Tierärzte). Die
größte Anzahl der Geimpften stellte auch in diesem Jahr die Provinz Schlesien
i31,4°/o). — Im ganzen starben 4 Personen; alle nach Abschluß der Behand¬
lung und nach der Rückkehr in die Heimat.
Nur in 18,75 "/o der eingeliefcrten Fälle war ein Versuch zur Zerstörung
des Wutgiftes in der Wunde gemacht worden. — Eine Anzahl sehr schwerer
Fälle wurde ebenso wie im Vorjahre nach Beendigung der ersten Schutzimpfung
einer zweiten Behandlung unterzogen; von diesen starb keiner. — Die Zahl
der untersuchten Tiergehirne betrug 379.
Den Aerzten und besonders den Medizinalbeamten kann nicht dringend
genug ans Herz gelegt werden, daß sie die Verletzten möglichst sofort der
Behandlung im Institut zuführen; insbesondere darf auch die Ueberweisung
nicht erst von dem Ausfall des Resultates abhängig gemacht werden, welches
die Untersuchung des dem Institut eingesandten Tiergehirns gehabt hat. —
Weiterhin sieht sich Sch. im Interesse der Sache noch zu folgenden Mahnungen
veranlaßt, deren Wiedergabe an dieser Stelle geboten erscheint:
1. Die Schutzzuimpfenden sind (an die neue Adresse des Institutes) nach
Berlin, Nordufer Führer Straße am Ringbahnhof, Putlitzstraßo zu weisen.
2. Es muß dafür Sorge getragen werden, daß die Patienten zu einer
Zeit abreisen, daß sie noch im Laufe des Tages, wenn möglich bis nachmittags
5 Uhr im Institnt eintreffen.
3. Die Patienten müssen in sauberem Zustand, ohne Ungeziefer und
mit den nötigen Kleidungsstücken versehen, eintreffen.
4. Den Patienten muß von der zuweisenden Behörde, vielleicht bei der
Einhändigung der Ueberweisungspapiere, die etwaige Furcht vor der ihnen be¬
vorstehenden Behandlung genommen werden, indem sie darauf hingewiesen
werden, daß die Behandlung nur in einer täglich vorzunehmenden Einspritzung
besteht, und niemand eine Einsperrung zu gewärtigen hat.
6. Neben der Anzahlung von 60 Mark für Erwachsene und 45 Mark
für Kinder unter 12 Jahren für die Verpflegung sind auch sogleich die Kosten
für die Rückreise einzuzahlen, sofern die Patienten nicht mit Rückfahrkarten
versehen werden. Dr. Dohrn -Cassel.
112
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
Zwei Fälle von Milzbrand. (An out break of anthrax.) (Vortrag vor
der N.- W. Sektion des engl. Medizinalbeamtenvcreins.) Von H. E. Edlin,
mcd. off. of health, Levenshulme. Public health; September 1904.
Impfmilzbrand kommt in London relativ häufig vor. Im St. Bartholomäus¬
hospital werden alljährlich 7—8 Fälle behandelt. Die Wool-sortcrs disease
findet sich zumeist in Yorkshire, Bradford; besonders gefährlich sind Häute
und Wolle aus gewissen Gegenden von Persien und der Türkei.
Die Ausführung der Verordnungen, betr. den Milzbrand, liegt in Eng¬
land und Wales den städtischen und Grafschaftsbehörden ob; insoweit die
Maßregeln die erkrankten Tiere betreffen, werden sie unter Aufsicht besonderer
Inspektoren von den Polizeibehörden ausgeführt. Das Vorkommen eines jeden
Falles von Milzbrand ist dem Medizinalbeamten zu melden.
Als der Autor von seinem ersten Falle Kenntnis erhielt, hatte er die
Anthrax Order von 1899, auf welche er von einem befreundeten Medizinal¬
beamten hingewiesen wurde, nicht zur Hand. Er wandte sich an die Zentral¬
behörde, von welcher er nach einigen Tagen einen Abdruck erhielt mit dem
Zusatze: „Der Medical officer of health hat mit Anthrax nur insofern zu tun,
als es sich um Beschränkung der Infektion auf den Menschen handelt, und um
Vorbeugung von Mißständen, die auf Verstoß der Lokalbehörden gegen die
Anthrax Order beruhen. . . . Die Zentralbehörde nimmt an, daß der betr.
Tierkadaver so beseitigt worden ist, daß er zur menschlichen Nahrung un¬
tauglich ist.“
Die Milzbrandfälle betrafen einen Farmer, der ein krankes Rind ge¬
schlachtet hatte, und einen Metzger, der bei der Enthäutung geholfen hatte.
Jener starb an Impfmilzbrand, dieser genas im Krankenhause.
Das Fleisch der kranken Kuh war in den Verkehr gebracht und
verkauft worden. Erkrankungen sind nicht beobachtet worden, obwohl
Prof. Del€pine in der dem Verkauf entgangenen Zunge Anthraxbazillen
nachweisen konnte.
(Aus der ganzen Darlegung geht hervor, daß die Tätigkeit des Medi¬
zinalbeamten wesentlich hätte gefördert werden können, wenn das Gesetz auch
das Eingreifen eines tierärztlichen Sachverständigen vorgesehen hätte.)
Dr. Mayer-Simmcrn.
Zur Bakteriologie der Ruhr. Von Dr. E. Rautenberg. Aus der
Königl. iued. Klinik zu Königsberg (Direktor: Geh. Rat Prof. Licht he im).
Zentralblatt für Bakteriologie; I. Abt., Orig., Bd. 36, H. 3.
Rautenberg züchtete aus dem Stuhle eines Dysenteriekranken, der
sich während einer im Kreise Angerburg in Ostpreußen herrschenden Ruhr-
epidemie infiziert hatte, den Shiga-Kruseschen Bacillus und lieferte da¬
durch den Beweis, daß die bazilläre Dysenterie auch in Ostpreußen vorkommt.
Der erwähnte Fall war dadurch bemerkenswert, daß im Anschluß an
die Dysenterie bei dem Kranken unter erneutem Fieberanstieg eitrige Con¬
junctivitis und Urethritis (ohne Gonokokkenbefund), sowie starke Schwellung
mehrerer großer Gelenke auftraten. Letztere war, wie durch Punktion eines
Kniegelenks und bakteriologische Untersuchung des Exsudats erwiesen wurde,
durch Bact. coli hervorgerufen worden. Das Serum des Kranken agglutinierte
sowohl den Ruhrbacillus, als auch das Bact. coli in beträchtlichen Ver¬
dünnungen. Dr. L e n t z • Berlin, z. Z. Idar.
Uehor eine Kontaktepidemlo von Ruhr in der Umgegend von Metz.
Von Dr. H. Conradi, Leiter der bahteriologischen Anstalt für Lothringen.
Festschrift zum 60. Geburtstage von Robert Koch; Jena 1904.
Conradi beobachtete in Metz und einigen umliegenden Dörfern im
Herbst 1903 eine ziemlich umfangreiche Ruhrepidemie. 60 Ruhrkranke kamen
zur Untersuchung; bei 56 von ihnen konnte in den Dcjektioncn der Shiga-
Krusesche Bacillus nachgewiesen werden. Die Krankheit verlief im all¬
gemeinen leicht, nur 3 Personen, ein 68 jähriger Mann, ein schlecht genährtes
4jähriges Kind und ein 9 Monate alter Säugling erlagen ihr; doch zog sich
die Rekonvaleszenz häufig sehr in die Länge. Meist stellte sich nach Ablauf
der Krankheitserscheinungen hartnäckige Verstopfung ein. Nie wurden Rezidive,
nur einmal eine Komplikation, gutartige hämorrhagische Nephritis, beobachtet.
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
118
Nie fanden sich Ruhrbazillen im Blut oder dem Harn der Patienten, doch
wurden sie bisweilen in den Faezes von anscheinend ganz gesunden Personen,
hauptsächlich Kindern, in der Umgebung von Kranken gefunden. Die Serum¬
reaktion trat meist gegen Ende der 1. oder anfangs der 2. Krankheitswoche
anf und kam für die Diagnose gewöhnlich nicht in Betracht. Die Rcinzüch-
tnng der Ruhrbazillen geschah mit Hülfe des von v. Drigalski und Conradi
für die Reinzüchtung des Typhusbacillus angegebenen Lakmus- Agars mit
Nutrose- und Krystallviolett * Zusatz. Die frisch gezüchteten Ruhrbazillen
waren sehr virulent.
Für die Reinzüchtung von Ruhrbazillen aus anscheinend bereits normalen
geformten Faeces von Ruhrrekonvaleszenten hat Conradi in 27 Fällen mit
Erfolg folgendes Verfahren angewandt: Die spärlichen, dem geformten Stuhle
beigemischten Schleimflocken werden herausgefischt, in 1 °/ 00 Sublimatlösung auf
etwp 1 Minute übertragen, danach in steriler physiologischer Kochsalzlösung
tüchtig abgespült, und dann auf Agarplatten ausgestrichen. Auf diese Weise
gelang es Conradi bei 5 Rekonvaleszenten noch in der 4. Woche nach Be¬
ginn der Erkrankung Ruhrbazillen nachzuweisen. 6 von den 27 Rekonvales¬
zenten boten z. Z. des Bazillennachweiscs keine Zeichen der überstandenen
Krankheit mehr, sondern waren als vollkommen genesen zu bezeichnen. Con-
r&di konnte so feststcllen, daß in leichten Krankheitsfällen die Ruhrbazillen
sich gewöhnlich 8—14 Tage, in schweren Fällen jedoch bis zu 4 Wochen¬
lang in den Faeces finden können, wenn die Krankheitserschcinungon
längst abgelaufen sind. In einem Falle, der einen 55jährigen Mann betraf,
fanden sich jedoch noch 9 Wochen nach Beginn der Krankheit Ruhrbazillen
in den Faeces. Weiterhin fand C. dann bei 5 Kindern, die selbst kern¬
gesund waren, während in ihren Familien Ruhrkranke waren, Ruhrbazillen
im Stuhl. Es treten also bei der Ruhr dieselben epidemiologisch wichtigen
Erscheinungen auf wie beim Typhus: langes Verweilen der Erreger im Stuhl
ron Rekonvaleszenten und ihr Vorkommen bei Gesunden, Erscheinungen, welche
eine strenge bakteriologische Kontrolle der Rekonvaleszenten und die Unter¬
suchung aller Individuen in der Umgebung von Ruhrkranken notwendig machen,
sm eine Verbreitung der Krankheit durch solche anscheinend gesnnden Bazillen¬
träger zu verhindern.
Der ganze’Verhmf der Epidemie charakterisierte sich als eine Kontakt¬
epidemie ; ihr Zusammenhang mit früheren Epidemien und den in und um Metz
alljährlich zur Beobachtung kommenden vereinzelten Ruhrfüllcn ist mehr als
wahrscheinlich. Daß einmaliges Ueberstehen der Ruhr eine lang dauernde
Immunität schafft, konnte Conradi dadurch bestätigen, daß in den von ihm
beobachteten Orten, in denen früher häufig Ruhr geherrscht hatte, 1903 von
der eingeborenen Bevölkerung nur junge Leute unter 22 Jahren erkrankten,
während 25 ältere Personen, die von der Krankheit ergriffen wurden, aus ruhr¬
freien Gegenden zugewandert waren. Dr. L entz-Berlin, z. Z. Idar.
Ein Beitrag zur Lehre von der Vererbung der Syphilis. Von Privat¬
dozent Dr. Jesioneck. (Aus der dermatologischen Klinik zu München; Prof.
Posseit). Münchener med. Wochenschrift; 1904, Nr. 49.
Die allgemeine Anschauung ging bislang dahin, daß die Vererbung der
Syphilis vom Vater in gleicher Weise wie von der Mutter möglich sei. Dieser
bisherigen,'von namhaften Autoren, wio Neumann,Finger etc. unterstützten
Anschauung gegenüber vertritt Matzen au er den Standpunkt, daß die Ver-
erbung’der;Syphilis stets von seiten der Mutter auf plazentarem Wege durch
intrauterine Infektion erfolge, und eine paterne Vererbung ebensowenig erwiesen
sei, wie eine Vererbung auf germinativem Wege, durch das infizierte Sperma¬
tozoon oder Ovulum. Verfasser beabsichtigt nicht, in eine Besprechung oder
Bekämpfung des Matzen au ersehen Ideenganges und seiner Argumentation
«ich einzulassen, sondern berichtet nur über zwei Beobachtungen, dio zu den
Schlußfolgerungen berechtigen, daß 1) das Sperma eines Syphilitikers
Kontaktinfektion bewirken kann, 2) das Sperma die Syphilis
vom Vater auf die Frucht übertragen kann, cs also eine
paterne Vererbung gibt, und daß es 3) einen „choc en retour“
gibt- Dr. W a i b e 1 - Kempten.
114
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
l)Ie Gonorrhoe der para - urethralen Gänge des Weibes. Von Dr.
Pollak. Zentralblatt für Gynäkologie; 1904, Nr. 9.
Die gonorrhoische Infektion der para-urethralen Gänge hat insofern be¬
sondere Wichtigkeit zu beanspruchen, als von hier aus bei sonst ausgeheilter
Gonorrhoe Reinfektionen erfolgen können. Verfasser stellte Untersuchungen
darüber an, in welchem Häufigkeitsverhältnis sich bei positivem Gonokokken-
befund in der Urethra auch die paraurethralen Gänge affiziert erweisen. Unter¬
sucht wurden 100 Frauen mit gonokokkenhaltigcm Urethralsekret. Meist
handelte es sich um chronische Fälle. In 45 u /o aller Fälle wurden Gonokokken
nachgewiesen; in 25°/o waren Gonokokken sehr reichlich vorhanden. Diese
Zahlen würden bei akuten Fällen mit ausgedehnter Vulvovaginitis noch wesent¬
lich höher sein. — Die Befunde des Verfassers lassen eine sorgfältige Berück¬
sichtigung der paraurethralen Gänge, besonders bei der Untersuchung der Pro¬
stituierten, dringend geboten erscheinen. Dr. Dohrn-CasseL.
Infektion als Morgengabe. Von Dr. Schallmayer. Zeitschrift für
Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten; Bd. I, Nr. 10.
Mehr und mehr bricht sich die Ueberzeugung Bahn, daß gerade der
Staat in rationellem Interesse für die Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten
eintreten muß. Abgesehen von der Schädigung des rationellen Wohlstandes
durch Beschränkung und Verlust der verfügbaren Arbeitskräfte, machen die
Geschlechtskrankheiten auf die Fortpflanzung und Erhaltung einer gesunden
und leistungsfähigen Rasse ihren verderblichen Einfluß geltend. An dem
weiterschreitenden Rückgang der Geburten, der Zunahme der Aborte, an der
Zeugung einer schwächlichen und degenerativen Nachkommenschaft tragen in
vieler Hinsicht die Geschlechtskrankheiten Schuld. In besonderer Weise wird
der Staat durch Syphilis und Gonorrhoe darin geschädigt, daß grade die höheren,
d. h. die allgemein als begabter und geistig produktiver anzusehenden Klassen
wegen ihres vorzugsweisen Befallenseins von Geschlechtskrankheiten in ihrer
Fortpflanzung ungünstig beeinflußt werden. Hiermit wird der Verbesserung
der Rasse durch Vermehrung dieser höherwertigen Elemente eine Grenze gelegt.
Verfasser behandelt die Frage, wie ist der quantitativ und qualitativ
rasseschädigenden Wirkung der Geschlechtskrankheiten entgegen zu arbeiten ?
Das rationellste Mittel wäre das, daß den Ehekandidaten, welche au an¬
steckenden Geschlechtskrankheiten leiden, der Eintritt in die Ehe unmöglich
gemacht wird.
Bisher wird von dem größten Teil der Ehekandidaten die Befragung
eines sachverständigen Arztes teils aus Unkenntnis, teils aus Leichtsinn unter¬
lassen. Anderseits fühlen aber infolge des mehr und mehr zunehmenden Ver¬
ständnisses für die Gefahren der Geschlechtskrankheiten die zukünftigen
Schwiegereltern jetzt häufiger als früher die Verpflichtung, sich über die
gesundheitlichen Verhältnisse des Schwiegersohnes Gewißheit zu verschaffen.
In Amerika macht man deshalb in vielen Fällen die Einwilligung zur Ehe¬
schließung von der Aufnahme des Bräutigams in eine Lebensversicherung ab¬
hängig. Weil hierbei jedoch auf das Vorhandensein noch ansteckungsfähiger
chronischer Katarrhe kaum geachtet wird, so kann diese Maßnahme keine
Sicherheit gewähren.
Da die privatärztliche Untersuchung der Ehekandidaten aus zahlreichen
Gründen der Zuverlässigkeit entbehrt, so muß an Stelle dessen durch das
Gesetz eine Untersuchung durch beamtete Acrzte angeordnet werden. Der
Ehekandidat hätte neben den sonstigen Papieren ein amtsärztliches Zeugnis
darüber beizubringen, daß er nicht mit einer ansteckenden Krankheit be¬
haftet ist. Zur Vornahme der Untersuchung würden nur vollständig unab¬
hängige, d. h. vollbesoldete Medizinalbeamte mit spezialistischer Vorbildung,
oder besonders aufzustellende Amtsärzte heranzuzichou sein.
Verfasser verhehlt sich keineswegs, daß der Durchführung seiner Pläne
von mancher Seite, besonders von „Liberalen“, die darin eine Einschränkung
der persönlichen Freiheit sehen würden. Widerstand erwachsen wird. Auch
von juristischer Seite sind derartige Vorschläge vielfach abgelehnt, z. T. unter
Hinweis auf die bestehende Möglichkeit der Ehescheidung und Anfechtung.
Verfasser widerlegt sämtliche Eiuwände durch sachgemäße, praktische
Tagesnachrichten.
115
Gründe. Was nützt es, der in der Ehe gonorrhöisch oder syphilitisch in fi¬
xierten Erna die Ehe scheiden oder anfechten za lassen ? Falls sie überhaupt
ron der Infektion Kenntnis erhält, wird sie meist aus Schonung für den Mann
oder die Kinder die Anzeige unterlassen. Außerdem muß sic fürchten, daß sie
durch das Bek&nntwerden ihres Leidens noch weiteren Schaden erleidet.
Das Wesentliche bleibt deshalb die Vorbeugung, d. h. die Verhinderung
derartiger Eheschließungen. Eine Unsumme von Unglück, Elend und ver¬
fehltem Lebensglück würde dadurch beseitigt werden. Bei der Einführung des
Torgeschlagenen Verfahrens würde die persönliche Freiheit nur unwesentlich
beeinträchtigt werden, da es sich ja in den meisten Fällen nicht um eine Be¬
hinderung, sondern nur um eine Verschiebung der Eheschließung handeln würde.
Dr. D o h r n - Cassel.
Tagesnachrichten.
Mit Rücksicht auf die große Bedeutung einer einwandsfreien Warner-
Tersorgung für die öffentliche Gesundheitspflege, namentlich für die Verhütung
der Weiterverbreitung ansteckender Krankheiten, und die darauf bezüglichen
Bestimmungen im Reichsseuchengesetz (§ 35), haben im Beichs-Gesund-
heitsrate eingehende Verhandlungen stattgefunden, um die Anforde¬
rungen festzustellen, welche bei der Anlegung zentralisierter Betriebe zur
öffentlichen Wasserversorgung zu stellen und zu erfüllen sind und demgemäß
auch bei der staatlichen Ueberwachung dieser Betriebe im Auge behalten
werden müssen. An den Verhandlungen haben Aerzte, Chemiker, Baubeamte,
Wasserwerkstechniker und ein hervorragender Geologe teilgenommen, so daß
alle in Betracht kommenden fachmännischen Gesichtspunkte zur Erörterung
gelangten und von erfahrenen Sachverständigen vertreten wurden. Die Ergeb¬
nisse der Beratungen, bei denen die Herren Geh. Hofrat Prof. Dr. Gärtner-
Jena und Geh. Ob.-Med.-Bat Prof. Dr. Schmidtmann-Berlin als Bericht¬
erstatter tätig waren, sind niedergelegt in einem Entwürfe von „Grundsätzen
für die Einrichtung, denBetrieb und die Ueberwachung öffent¬
licher Wasserversorgungsanlagen, welche nicht ausschlie߬
lich technischen Zwecken dienen“, der voraussichtlich den ein¬
zelnen Bundesstaaten behufs weiterer Entschließungen mitgeteilt werden wird.
Der Bund es rat hat in seiner Sitzung vom 9. d. Mts. der Einführung
einer einheitlichen Arzneitaxe zugestimmt
Die 83. Kommission des preußischen Abgeordnetenhauses zur Vorbe¬
ratung des Antrags Graf Douglas, betr. die Förderung der Landes¬
wohlfahrt, hat am 6. d. M. ihre zweite Sitzung abgehalten und nach längerer
Debatte den nachstehenden, von den Abgg. Graf Douglas, Frhr. v. Willisen,
Se hi ff er gestellten Antrag einstimmig angenommen: „Das Haus der Abge¬
ordneten wolle beschließen, die Staatsregierang zu ersuchen, möglichst bald
als behördliche Einrichtung zur Förderung der Volkswohlfahrt in Stadt und
Land ein Yolkswohlfahrtsamt zu schaffen, behufs ausgiebiger Mitwirkung des
Laienelements ihm einen ständigen Beirat anzugliedern und die hierfür er¬
forderlichen Mittel im Staatshaushalt bereitzustellen.“
Das Volkswohlfahrstamt soll unmittelbar dem Staatsministerium unter¬
stellt werden, die Ernennung des Vorsitzenden und der Mitglieder durch den
König erfolgen. Es soll ihm insbesondere obliegen:
1) Die Entwicklung der Volkswohlfahrtspflege im In- und Auslande zu ver¬
folgen und darüber der Staatsregierung fortlaufend Bericht zu erstatten.
2) Wahrnehmungen, die ein Eingreifen oder eine Abänderung der Gesetz¬
gebung oder der Vcrwaltungstätigkeit erforderlich erscheinen lassen, der
Staatsregierung mitzuteilen.
3) Auf Anordnung der Staatsregierang Gutachten zu erstatten, Vorschläge
aaszuarbeiten und bei der Vorbereitung von Gesetzentwürfen und Ver¬
waltungsauordnungen mitzuwirken.
4) Auf Anordnung der Staatsregierung bei größeren Unglücksfällen oder
Notständen die freiwillige Hilfetätigkeit einheitlich zu leiten.
Bei der Berufung in den ständigen Beirat sollen die privaten Volks-
116
Tagesnachrichtcn.
wohlfahrtsorganisationcn und die beiden Häuser des Landtags besonders be¬
rücksichtigt werden. Der Beirat soll jährlich mindestens einmal einbe¬
rufen werden, um den Geschäftsbericht des Volkswohlfahrtsamts entgegen-
zunehmen und sich über ihn zu äußern. Er soll einzelne Fragen der
Volks Wohlfahrtspflege beraten und begutachten, wenn dies von der Staats¬
regierung angeordnet oder von einem Viertel der Mitglieder beantragt wird,
und soll befugt sein, selbständig Anträge an die Regierung zu stellen. Den
Sitzungen des Beirats sollen Beauftragte der Staatsregierung mit beratender
Stimme beiwohnen dürfen. Im übrigen soll der Geschäftsgang des Amtes und
des Beirates durch eine Verordnung des Staatsministcriums geregelt werden . L
Wio die Frankfurter Ztg. mitteilt, ist in dem bekannten Beleidigtings«
prozess der Wiesbadener Aerzte gegen den dortigen Reg.- u. Geh. Med.-Rat
Dr. Pfeiffer seitens der Regierung der Kompetenzkonflikt erhoben worden.
Damit ist, falls der Konflikt auch im Verwaltungsstreitverfahren anerkannt
wird, die Sache den ordentlichen Gerichten entzogen. Bei Lage der Sache ist
die demnächstige Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts für alle Beamten
von grundsätzlicher Bedeutung; denn cs handelt sich hier hauptsächlich um
die Frage, ob und inwieweit ein Beamter wegen Aeußerungen, die von ihm auf
amtliche Veranlassung zu den Akten gemacht und nur für diese bestimmt sind,
im Wege des Zivil- und Strafprozesses herangezogen werden kann, falls diese
versehentlich oder durch einen Vertrauensbruch zur Kenntnis der Beteiligten
gelangt sind. Wenn nicht schon in der ersten Instanz von der Regierung der
Konflikt erhoben ist, so hat dies jedenfalls darin seinen Grund gehabt, daß
entsprechend dem Min.-Erl. vom 5. Oktober 1880 das Ergebnis der gerichtlichen
Beweisaufnahme erst abgewartet worden sollte. Die jetzt erfolgte Erhebung
des Konflikts spricht somit dafür, daß die zuständige Behörde auf Grund dieser
Beweisaufnahme die Ueberzeugung gewonnen hat, daß der betreffende Beamte
in der Absicht und mit dem Bewußtsein, einer Pflicht zu genügen, gehandelt
hat. Hoffentlich gelangt das Oberverwaltungsgericht zu derselben Ansicht,
die übrigens auch in dem Urteil des Schöffengerichts zum Ausdruck ge¬
kommen ist.
In Ergänzung der in Nr. 3 (s. S. 87) gebrachten Mitteilung über die
Reform des Modizinalwesens in Eisass-Lothringen sei aus der dem Etat
beigefügten Denkschrift noch folgendes initgcteilt. Nachdem in dieser zunächst
ein kurzer Ueberblick über die bisherige Einrichtung der Medizinalbehörden,
insbesondere die Stellung und Obliegenheiten der Kreisärzte gegeben ist, werden
die nach den jetzigen Anforderungen der öffentlichen Gesundheitspflege dem
Medizinalbcamten erwachsenden Aufgaben auf dem Gebiete der Seuchen¬
bekämpfung, Woknungskygiene, Reinhaltung des Bodens und der Wasserläufe,
der Wasserversorgung, des Nahrungsmittelverkehrs,' der Schulhygiene und
Krankenfürsorge, des Begräbnis- und Lciclienwesens, des Verkehrs mit Arznei¬
mitteln, Giften und Geheimmitteln, des Hebammenwesens, der Beaufsichtigung
des niederen Heilpersonals usw. dargelcgt.
„Um einer so vielseitigen Arbeit gerecht zu werden, heißt es dann
in der Denkschrift, bedarf der Kreisarzt, der staatliche Gesundheitsbearate des
Kreises, nicht allein einer entsprechenden fachwissenschaftlichen Ausbildung,
sondern auch fortwährender Weiterbildung in seinen Kenntnissen; er darf auch
nicht durch die Mühen einer ausgedehnten privat ärztlichen Praxis in seiner
amtlichen Tätigkeit und in seinem Studium, welche die volle Arbeitskraft eines
Mannes fordern, gehemmt werden. Dazu kommt, daß er, solange er Konkurrent
in der ärztlichen Praxis ist, die notwendige Mitwirkung der praktischen Aerzte
bei der Ausführung gesundbeitspolizeilicher Maßnahmen vielfach vermissen,
wird, und daß er, um diese Maßnahmen durebzuführen, unabhängig von der
Bevölkerung sein muß. Alle diese Umstände lassen cs geraten erscheinen,
nach dem Vorbilde von Preußen eine wenigstens teilweise Anstellung von voll¬
besoldeten Kreisärzten in Aussicht zu nehmen, denen die Ausübung einer
weiteren Praxis als Ilauskonsultationen uud Konsultationen mit anderen Aerzten
regelmäßig nicht zu gestatten sein wird. Das auch die Gebühren dieser „voll¬
besoldeten“ Kreisärzte für Rechnung der Landeskasse eingezogen werden, wie
in Preußen, empfiehlt sich einstweilen nicht, so lange ein besonderes Gebühren¬
wesen für beamtete Aerzte nicht ausgebildct und eine besondere Gebühren-
Tagasnaohriebten
117
ordnung nicht erlassen ist. Es wird aber in den Anstcllnngsnrkunden der
„rollbesoldeten* Kreisärzte ein Vorbehalt wegen späterer Einziehung der
Gebühren für Rechnung der Landeskasse aafzunehmen sein. Wenn zunächst
nur 6 rollb es o ldetc Kreis ärzte in Aussicht genommen sind, so geschah
dies deswegen, um einerseits die praktische Erfahrung zu gewinnen, ob sich
die neue Einrichtung auch hierzulande in der Praxis bewähren wird und
namentlich auch um festzustellcn, ob nicht ein vollbesoldetcr Kreisarzt für
zwei, namentlich kleinere, Kreise genügt. Für die vollbesoldeten Kreisärzte
ist ein Gehalt von 4000—6000 Mk.,‘) steigend in Dienstaltersstufen von je
3 Jahren um den Betrag von 500 Mk., in Aussicht genommen, zunächst aber
in der Uebergangszeit und mit Rücksicht auf die allgemeine Finanzlage für
alle 6 Stellen nur der Mindestbetrag von je 4u00 Mk. eingesetzt. Alle übrigen
Kreisarztstellen sollen als „nichtvollbesoldete“ aufgeführt werden.
Auch diese Stellen müssen besser als bisher ausgestattet werden. Denn wenn
ihren Inhabern auch die Ausübung der ärztlichen Praxis im allgemeinen
gestattet bleibt, so darf darunter die amtliche Tätigkeit nicht leiden und der
Bezirkspräsident wird, wie den Stelleninhabern bei der Festsetzung ihrer
Bezüge eröffnet werden wird, ermächtigt werden, aus dienstlichen Gründen
eine Einschränkung der Privatpraxis zu fordern. Als angemessene Besoldung
der nicht vollbesoldeten Kreisärzte erschien der Betrag von 2000—3000 Mk.,
durchschnittlich 2500 Mk. Dienstaltcrsstufen sind nicht vorgesehen, das Auf*
steigen soll vielmehr nach Maßgabe der durch Abgang frei werdenden Beträge
erfolgen. Es sind 15 Stellen vorgesehen. Im ganzen bestehen 23 Kreisarzt¬
stellen, drei davon, die Stellen am Sitz des Bezirkspräsidiums, können im
Nebenamt durch den Mediziualreferenten des Bezirkspräsidenten wahrgenommen
werden; bei dem gegenwärtigen Inhaber der Kreisarztstelle in Straßburg wird
sich diese Kombination indessen zunächst nicht ermöglichen lassen, es sind
daher neben den 6 vollbesoldeten 15 nicht vollbesoldcte Stellen vorgesehen.
Auch diese Stellen sind mit Gehältern dotiert, also pensionsfähig, was
indessen nicht aosschiießt, daß einzelne Stelleninhaber zunächst auf Probe oder
auf Kündigung angcstellt werden.“ — Betreffs der Obliegenheiten des
Kreisarztes heißt es dann weiter:
„Der Kreisarzt soll der gesondheitstechnische Berater des Kreisdirektors
und das ausführende Organ des Bezirkspräsidenten in Angelegenheiten des
Gesundheitswesens bleiben. Ein unmittelbares Verfügungsrecht soll ihm, so¬
weit es nicht durch die bestehenden Gesetze (za vgl. insbesondere das Reichs¬
seuchengesetz vom 30. Juni 1900 § 9) festgesetzt wird, nicht übertragen werden,
doch soll er bei den zuständigen Behörden Vorschläge zur Abstellung von
Mängeln machen und die für die öffentliche Gesundheit geeigneten Maßnahmen
in Anregung bringen; dies gilt insbesondere auch für die Gemeindeverwaltungen,
denen der Kreisarzt beim Erlaß ortspolizeilicher, das Gesundheitswesen be¬
treffender Verordnungen mit Rat nnd Tat an die Hand gehen soll. Mit den
technischen Beamten des Kreises (Gewerbeanfsichtsbeamten, Kreisbaninspektor,
Meliorationsbaninspektor, Kreisschulinspektor and Kreistierarzt, auch mit den
Bergbehörden) soll der Kreisarzt über die ihren Wirkungskreis berührenden
Fragen in Fühlung bleiben. Der vollbesoldete Kreisarzt hat ferner einfache
physikalische, chemische, mikroskopische und bakteriologische Untersuchungen
in der Regel selbst auszuführen. Eine Dienstanweisung wird diese Obliegen¬
heiten des Kreisarztes des näheren regeln.“ — Für Amtsunkosten und
Reisekosten der Medizinalbeamten einschließlich der Regierungs- und
Medizinalräte sind 20500 Mk. in dem Etat ausgesetzt, also noch nicht 900 Mk.
für jeden einzelnen; ein Betrag, der jedenfalls zu niedrig bemessen ist. Im
übrigen sind, abgesehen von der Neueinrichtung einer etatsmäßigen Stelle eines
Regierung»- und Medizinalrats beim Bezirkspräsidium in Straßburg (Gebalt
5000—7500 Mk ) im Medizinalwesen keine Aenderungen eingetreten. . Das
bewährte Institut der Kantonalärzte als Armenärzte, Impfärzte and als Gerichts¬
ärzte soll ebenso wie die Einrichtung der Gesundheitsräte unberührt bleiben;
die Bestellung eines Medizinalkollegiums als begutachtende Behörde für die
Zentralinstanz ist weiterer Erwägnng Vorbehalten.
Die Denkschrift bringt in Anlage eine Uebersicht der Kosten des
Medixinalwesens in Preußen, Bayern, Baden und Hessen; es geht daraus her-
l ) Wohnungsgeldzuschuß wird in Elsaß - Lothringen nicht gewährt.
118
Tagesnachrichten.
vor, daß auf 100000 Einwohner berechnet ausgegobcn werden für die Medizinal¬
beamten erster Instanz (Kreisärzte, Bezirksärzte usw.) an Gehalt, Wohnungs¬
geldzuschuß, Amtsunkostenentschädigung usw. in Preußen: 6007 Mk., in
Bayern: 8426 Mk., in Baden: 10 222 Mk., in H e s s e n: 9100 Mk., in E1 s a ß -
Lothringen: bisher 1600, künftig 3580 Mk. Dabei entfallen auf 100000 Ein¬
wohner in Preußen: 1,63 Kreisärzte, in Bayern: 3,2 Bezirks- und
Landgerichtsärzte, in Baden: 3,6 Berzirksärzte, in Hessen: 1,6 Kreisärzte
und in Elsaß-Lothringen: 1,33 Kreisärzte.
Die Aerztekammer der Bheinproyinz hat auf ihrer letzten
Sitzung die Stellung der Gefängnisärzte in Prenssen einer Erörterung unter¬
zogen und hierzu folgende, dem Ausschuß der preußischen Aerztekammern zur
weiteren Veranlassung mitgeteilten Leitsätze angenommen:
1. Die bisherigen Gehälter der Gefängnisärzte entsprechen in ihrer Nor¬
mierung weder den an Beamtengehälter zu stellenden Anforderungen gerechter
Gleichartigkeit, noch der für ärztliche Tätigkeit sonst allgemein und durch die
Gebührenordnung vom 16. Mai 1896 anerkannten Entschädigungspflicht. 2. Die
Aerztekammer der Bheinproyinz und der Hohenzollernschen Lande beantragt
beim Aerztekammer-Ausschuß: Der Minister des Innern und der Justizminister
wollen tunlichst bald in die Wege leiten, daß als Grundlagen für die Anstellung
und Normierung der Gehälter der Aerzte in preußischen Gefängnissen, Straf¬
anstalten und Erziehungsinstituten festgcstellt werden: a) Der Jahresdurch¬
schnitt der der ärztlichen Aufsicht unterworfenen Internierten und die Auf¬
nahmeziffer; b) die Zahl der wöchentlichen Dienststunden einschließlich der
Konferenzen (außerordentliche Besuche bei Unfällen oder aus anderen Gründen
sind nach der Minimaltaxe besonders zu bezahlen); c) die Lage der Anstalt,
ob innerhalb des bewohnten Ortes oder an dessen Peripherie oder außerhalb
desselben; d) die Verbindung mit besonderen ärztlichen Aufgaben, z. B. Beob¬
achtung yon angeblich Geistesgestörten in größerem Umfange (Irrenabteilung),
die Verbindung mit einer Polizeistation; e) Sicherung des Gefängnisarztes gegen
Verletzungen oder Krankheiten, die er nachweislich in Ausübung seines Dienstes
sich zugezogen hat: f) Pensionsfähigkeit des Gehaltes nach zehnjähriger Dienst¬
zeit; g) im Falle der Behinderung durch Krankheit Gewährung eines Zuschusses
yon 4—9 Mark, je nach der Höhe des Gehaltes, für den Vertreter bis zur
Dauer von sechs Monaten. Die Herren ßessortminister werden gebeten, vor
endgültiger Beschlußfassung über die angeregten Punkte mit den Aerzte¬
kammern bezw. dem Aerztekammerausschuß in Verbindung zu treten und deren
Ansicht bei der Beschlußfassung die angängige Berücksichtigung zuteil werden
zu lassen.
Die vom Berliner Magistrat der Stadtverordnetenversammlung unter¬
breitete Vorlage über das Eingreifen von Maßnahmen zur Bekämpfung der
Säuglingssterblichkeit hat der zur Vorberatung gewählte Ausschuß im wesent¬
lichen angenommen. Darnach sollen nicht nur bedürftige Säuglinge in den
zu errichtenden Polikliniken einwandfreie Milch und Nährmittel erhalten, sondern
auch den stillenden Müttern soll gute Milch im Bedarfsfälle unentgeltlich ver¬
abreicht werden. Es werden zunächst vier Fürsorgestellen für bestimmt ab¬
gegrenzte Bezirke eingerichtet, in denen die in diesen Bezirken wohnenden
bedürftigen Mütter und Pflegemütter von Säuglingen (Kindern des ersten Lebens¬
jahres) sich unentgeltlich spezialärztlichen Kat über die Wartung und Er¬
nährung der Säuglinge einholcn können. Die ärztlichen Leiter dieser Fürsorge¬
stellen haben in geeigneten Fällen in erster Linie darauf hinzuwirken, daß die
Mütter der Säuglinge stillen. Auch sollen Zuschüsse zum Pflegegeld der Mütter
gewährt werden, ebenso bei der Anstaltspflege oder bei der Unterbringung in
Familien. Die hierzu erforderlichen Mittel sollen teils aus einer Stiftung, teils
aus einem zu bewilligenden städtischen Zuschuß (130000 Mark) gedeckt werden.
Auch im?Großherzogtum Baden ist jetzt nach Anregung von
Geheime Bat Prof. Dr. Czerny in Heidelberg ein Landeskomttee für Krebs¬
forschung In Baden, mit dem Sitze in Karlsruhe, gebildet. Vorsitzender des
Komitees^ Geheime Bat Prof. Dr. Cz e r ny, Mitglieder des Vorstandes: Geheime
Tagesnachrichten.
119
Rat Prof. Dr. Hegar-Freiburg, die Obermedizinalräte Dr. Oreiff und Dr.
Hauser, Prof. Dr. v. Beck, Geh. Ob.-Reg.-Rat Glöckner und Ob.-Reg.-
Bat Lange, sämtlich in Karlsruhe. Bekanntlich ist in Heidelberg durch
Geheime Bat Prof. Dr. Czerny mit Beihilfe reicher Spenden und Unterstützung-
der Regierung ein Institut für Krebsforschung errichtet, das experimentell
und klinisch die Lösung der Frage der Krebsätiologie, Biologie und Therapie
bearbeitet. Das Landeskomitee wird dio Arbeiten dieses Instituts durch Sammel-
forschungen, Beobachtungen über das Vorkommen, die Verbreitung usw. des
Krebses in bestimmten Gegenden, Orten, Häusern, Familien („Cancer ä deux“),
Berufsklassen usw. unterstützen.
Der diesjährige Kongress der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie
findet rom 26. — 29. April 1905 in Berlin statt. Für die Diskussion
sind folgende Themata in Aussicht genommen:
1. Ueber die Größe der Cnfallsfolgen bei unblutiger und blutiger Be¬
handlung der subkutanen Querfraktur der Patella.
3. Zur Perityphitisfrage: Ueber den günstigsten Zeitpunkt des operativen
Einschreitens.
3. Ueber Vorkommen, Ursachen und Verhütung der postoperativen
Pneumonie nach Bauchoperationen.
4. Welche Indikationen, resp. Kontraindikationen sind für die Nephro¬
tomie, insbesondere bei Nierentuberkulose auf Grund der neuesten Erfahrungen
bei Verwertung der funktionellen Nierendiagnostik aufzustellen.
Der erste Röntgen• Kongress wird vom 80. April bis 3. Mai 1905
in Berlin (in den Bäumen der „Ressource“ Oranienburger-Straße 18 [am
Monbijouplatz]) stattfinden und mit einer Ausstellung verbunden sein.
Das vorläufige Programm ist wie folgt festgesetzt:
Sonntag, den 30. April, 12 Uhr Mittags: Eröffnung des Kongresses
und der Ausstellung.
Montag, den 1. Mai, 9 Uhr vormittags: Physikalisch - technische
Hauptsitzung; 3 Uhr nachmittags: Sektionssitzungen; 9 Uhr abends: Pro¬
jektionsabend.
Mittwoch, den 3. Mai, 9 Uhr vormittags und 3 Uhr nachmittags:
Sektionssitzungen.
Die Mitgliedorkarten (Preis 15 Mark einschl. der Verhandlungen)
werden vom 27. April 1905 ab auf dem Bureau des Kongresses ausgegeben
Werden-
Anmeldungen nimmt der Vorsitzende, Prof. Dr. Eberlein, Berlin
X.W. 6, Tierärztliche Hochschule, schon jetzt entgegen.
Vorträge sind bald gefälligst unter Angabe des genauen Titels, wie
er im definitiven Programme figurieren soll, und unter Angabe der etwa er¬
forderlichen Apparate bei dem Schriftführer, Dr. M. Immelmann, Berlin W.,
Lützowstr. 72, anzumelden.
Der X. Internationale Kongress gegen den Alkoholismus wird in
Budapest vom 12. bis 16. September d. J. stattfinden. Für die Tages¬
ordnung sind folgende Beratungsgegenstände in Aussicht genommen: 1. Der
Einfluß des Alkohols auf die Widerstandsfähigkeit des menschlichen und tieri¬
schen Organismus, mit besonderer Berücksichtigung der Vererbung. 2. Die
hygienische Bedeutung des Kunstweines gegenüber dem Alkoholgenuß über¬
haupt. 3. Ist Alkohol ein Nahrungsmittel? 4. Alkohol und Geschlechtsleben.
5. Alkohol und Strafgesetz. 6. Die kulturellen Bestrebungen der Arbeiter und
der Alkohol. 7. Alkohol und physische Leistungsfähigkeit, mit besonderer Be¬
rücksichtigung des militärischen Trainings. 8. Die Organisation der Antinlkohol-
bewegung. 9. Schule und Erziehung im Kampfe gegen den Alkohol. 10. Die
Reform des Schankwesens. 11. Die industrielle Verwertung des Alkohols als
Kampfesmittel gegen den Alkohol. 12. Der verderbliche Einfluß des Spirituosen¬
handels auf die Eingeborenen in Afrika. — Alle Zuschriften sind an das Exe¬
kutiv -Komitee des Kongresses, Budapest, IV. Kösponti-väroshaza, zu richten.
Sprechsaal.
120
Der VII. Internationale Kongress für Hydrologie, Klimatologie, Geo¬
logie und physikalische Therapie findet am 10. Oktober ln Venedig statt.
Anmeldungen (der Beitrag für Mitglieder beträgt 20 Frank) nimmt der General¬
sekretär des Kongresses, Dr. F. Oreffice-Venedig, S. Stefano Nr. 2803 —
entgegen.
Seitens der Pariser Akademie der Wissenschaften für das
Jahr 1905 sind n. & folgende Preise ausgeschrieben, um die sich auch Aus¬
länder bewerben können: 1. Der Bräant-Preis von 100000 Fr. für die Ent¬
deckung eines unfehlbaren Heilmittels gegen die asiatische Cholera
oder für die sichere Feststellung ihrer Ursachen derart, daß die Ausrottung
der Seuche erfolgen kann. Wenn im laufenden Jahr diese Forderung wieder
nicht erfüllt wird, so sollen die Zinsen des Kapitals für den Nachweis des
Vorhandenseins eines Stoffes in der Luft bewilligt werden, der bei der Er¬
zeugung oder Verbreitung von Seuchen eine Rolle spielt.
2. Der Dusgate-Preis von 2500 Fr. für die beste Arbeit über die
Erkennung des Todes und die Verhütung eines vorzeitigen Begräbnisses.
Sprechsaal.
Anfrage des Kreisarztes Dr. M. in B.: Kann ein Kreisarzt, wenn
er an einem Tage auswärts eine Ortsbesichtigung vorgenommen und
nach deren Beendigung in einem anderen Ort eine gerichtliche Sektion
ausgeführt hat, für die Ortsbesichtigung 12 M. Tagegelder und für die
Sektion 12 Mk. Sektlonsgebüren berechnen !
Antwort: Nein! Nach § 5 des Gesetzes vom 9. März 1872 und
nach wiederholten dazu getroffenen gerichtlichen Entscheidungen (s. u. a. Be¬
schluß des Oberlandcsgerichts in Breslau vom 2. Februar 1900, Beil, zu Nr. 7
der Zeitschr., Jahrg. 1900, S. 65) ist die gleichzeitige Gewährung von Tage¬
geldern und Gebühren bei Wahrnehmung verschiedener Amtsgeschäfte an
ein und demselbem Tage unzulässig, gleichgiltig, ob die Zahlung für die be¬
treffenden Geschäfte aus verschiedenen Kassen zu erfolgen hat. Im Falle der
Konkurrenz von mehreren Zahlungspflichtigen sind vielmehr die Kosten auf
diese entsprechend zu verteilen (s. Min.-Erl. vom 20. Februar 1878 und 1. Fe¬
bruar 1889); im vorliegendem Falle würde also die Hälfte der Tagegelder bei
der Regierung, die Hälfte der Gebühr für die Obduktion bei dem requirie¬
renden Gerichte und die Reisekosten für die Hinreise zur Ortsbesichtigung bei
der ersteren, die Kosten für die Weiterreise und Rückreise bei dem letzteren
zu liquidieren sein.
Anfrage des Kreisarztes Dr. L. in K.: Hat ein Kreisarzt, der den
beurlaubten Kreisarzt des Nachbarkreises vertritt, bei auswärtigen Dienst¬
reisen in dessen Bezirk die Reisekosten von seinem Wohnorte oder von
dem Wohnorte des vertretenen Kreisarztes zn beanspruchen!
Antwort: Die Reisekosten sind von dem Wohnort des zu vertre¬
tenden und nicht von demjenigen des vertretenen Kreisarztes zu berechnen.
Dio Bestimmung im § 30 der Dienstanweisung, daß „bei Beurlaubungen der Kreis¬
ärzte der Staatskasse keine Kosten erwachsen sollen“, bezieht sich lediglich'.'auf
etwaige Vertretungskosten für Besorgung der amtlichen Geschäfte überhaupt,
aber nicht auf etwaige Mohrkosten durch Dienstreisen; ganz abgesehen davon,
daß hei Dienstreisen des vertretenden Kreisarztes in den Nachbarkreisen häufig
keine größeren, sondern geringere Reisekosten entstehen und sich demzufolge
die Kosten in der Regel ausgleichcn werden. Für diese Auffassung spricht auch
§ 31, Abs. 8 der Dienst-Anweisung, nach dem der Stellvertreter erhält: „Bei
Dienstreisen Reisekosten und Tagegelder, sowie die Gebühren und sonstige
Entschädigung, auf welche der Vertreter, je nachdem er vollbesoldeter oder
nicht vollbesoldeter Kreisarzt war, Anspruch gehabt haben würde“; denn die
Worte „auf welche usw. haben würde“, beziehen sich zweifellos nur auf
„Gebühren und sonstige Entschädigungen“, aber nicht auf „Tagegelder und
Reisekosten“. Jedenfalls ist im hiesigen Regierungsbezirke stets in dieser
Weise verfahren, ohne daß jemals eine Beanstandung seitens der Oberrech-
nungskammer erfolgt ist._Red._
Verantwort! Redakteur: Dr. Rap mund, Reg.-u. Geh. Med.-Rat in Minden i. W.
J. 0. C. Brunft, Herzog!. Sachs, u. F. Sch.-L. Hofbuchdruckerei in Minden.
18. Jahrg.
1905.
Zeitschrift
für
MEDIZINALBEAMTE.
Zeatnftlatt für geriektlkfce iedirii und Psychiatrie,
fir irztfiehe SacfaTcrstaodigentätigkeit in Unfall' und InTaliditatuachen, sowie
lir Bjgieae, dfentL Sanitatewesen, Medizinal-Gesetzgebung and Reehtspreehnng.
Heraus gegeben
Ton
Dp. OTTO RAPMÜND,
Begittronft- and Geh. MedMnjJrtt In Minden.
Verlag von Fischers mediz. Buchhandlg, H. Kornfeld,
HenogL Bayer. Hof- u. Entaetaogl. Kammer-Bush htndlw.
Berlin W. 35, Lützowstr. 10.
Inserate nehmen die
VerlAfflhandlnng sowie alle Annonoen - Expeditionen des In-
und Aoslandos entgegen.
Nr. 5.
Erscheint am 1. und IS. Jedem Momats.
1. März.
Die neuen preussischen Vorschriften vom 4. Januar 1905
für das Verfahren der Gerichtsärzte bei den gericht¬
lichen Untersuchungen menschlicher Leichen.
Vom Herausgeber.
Der s. Z: von Placzek ’) ansgesprochene Wunsch, dass statt
der schon seit langer Zeit sich als notwendig erwiesenen Um¬
arbeitung des preussischen Obdnktions-Regulativs vom 6. Januar
bezw. 15. Februar 1875 der Erlass eines einheitlichen deutschen
gerichteärztlichen Leichenöffnungsverfahrens ins Auge gefasst
werden möchte, hat sich vorläufig nicht verwirklicht, obwohl dieser
Wunsch mit Rücksicht auf die einheitliche Gesetzgebung anf straf-
und zivilrechtlichem Gebiete im Deutschen Reiche eine gewisse
Berechtigung hat. Für die nächste Zeit wird voraussichtlich die
bisherige Buntscheckigkeit der in den verschiedenen deutschen
Einzelstaaten geltenden Obdnktionsregulative fortbestehen; viel¬
leicht bildet aber die jetzt erlassene neue preussische Anweisung
für gerichtliche Leichenöffnungen die Grundlage für eine spätere
deutsche, eine Hoffnung, die um so berechtigter erscheint, als bei
ihrer Ausarbeitung nicht nur dem jetzigen Standpunkt der patho¬
logisch-anatomischen und gerichtlich-medizinischen Wissenschaft
in jeder Weise Rechnung getragen, sondern anch manche Vor-
*) Siehe Nr. 16 der Zeitschrift für Medizinalbeamten, Jahrgang 1903,
Seite 637 und folgende.
122 Die neuen preußischen Vorschriften für das Verfahren der Gerichtsärzte
schrift aas den betreffenden Anweisungen der anderen Bundes¬
staaten aufgenommen ist, die sich hier als praktisch be¬
währt hat.
Die Einteilung und Reihenfolge der Vorschriften ist
die gleiche geblieben wie früher: I. Allgemeine Bestimmungen,
II. Verfahren bei der Leichenöffnung, III. Abfassung des Proto¬
kolls über die Leichenöffnung und des Gutachtens; nur ist noch
ein ganz kurzer IV. Abschnitt hinzugekommen: Verfahren bei der
Leichenschau. Auch die einzelnen Unterabschnitte und Para¬
graphen stimmen im wesentlichen mit der früheren Einteilung
überein. Dagegen zeigen die neuen Vorschriften gegenüber den
bisherigen zunächst insofern einen grossen Vorzug, als nicht
nur ihre stilistische Fassung eine bedeutende Verbesserung
erfahren hat, sondern auch Fremdwörter tunlichst ver¬
mieden sind. Es hätte in dieser Hinsicht vielleicht noch
etwas weiter gegangen und z. B. der Gebrauch des Fürwortes
„welcher, welche, welches“ in Relativsätzen an Stelle von „der,
die, das“, sowie des Fürwortes „derselbe“ usw. statt des per¬
sönlichen Fürwortes „er, sie, es“ vermieden werden können;
dasselbe gilt betreffs mancher noch gebrauchter Fremdwörter,
wie „Obduzent“, „fungieren,“ „Instrumente“, „Skalpelle“, „Ab¬
normitäten“, „Identität“, „horizontal“, „Resultat“ usw.; immer¬
hin verdient die weit bessere stilistische Fassung der Vor¬
schriften und die tunlichste Vermeidung von Fremdwörtern volle
Anerkennung.
Weit grösser und bedeutungsvoller ist allerdings der ausser¬
ordentliche Fortschritt, den die praktische Ausführung der
gerichtlichen Leichenöffnung durch die neuen Vorschriften
erfährt. Fast alle gegen die bisher geltenden Bestimmungen er¬
hobenen Bedenken sind berücksichtigt und an Stelle der Vorschriften,
die sich als unzureichend und unzweckmässig erwiesen haben, solche
getroffen, nach denen in den gerichtlich-medizinischen und patho¬
logisch-anatomischen Instituten schon seit langem verfahren ist,
und die hier in jeder Weise als brauchbar befunden sind. Des¬
gleichen haben die Vorschriften in vielen Punkten sehr wertvolle
Ergänzungen erfahren, so dass jetzt kaum noch eine Lücke vor¬
handen sein dürfte. Erwähnt zu werden verdienen in dieser Hin¬
sicht besonders die Bestimmungen über die Ausgrabung einer
Leiche, über die Untersuchung und Beschreibung von Ver¬
letzungen des Nasenrachenraums, des inneren Ohres,
der Nasenhöhle mit ihren Nebenhöhlen, des Augapfels,
des Halses, Rachens, der Bauchspeicheldrüse, des Ge¬
kröses usw. Desgleichen haben wesentliche Abänderungen und.
Ergänzungen die Vorschriften über die Untersuchungen des Ge¬
hirns, des Rückenmarks, des Herzens und der Bauch¬
organe erfahren; namentlich sind die Bestimmungen über die
Eröffnung der Bauchhöhle, über die Untersuchung und Heraus¬
nahme des Magens, Dünndarms usw. bei Vergiftungen in
zweckmässiger Weise umgestaltet; bei der Leichenöffnung'
Neugeborener ist auch die Magendarmprobe vorge-
bei den gerichtlichen Untersuchungen menschlicher Leichen.
123
schrieben, falls das Ergebnis der Lnngenprobe negativ oder
zweifelhaft geblieben ist.
Mit Recht heisst es jetzt ferner im § 9 der Vorschriften, dass
sie nicht „schablonenhaft angewendet, sondern nnr als allgemeiner
Leitfaden betrachtet werden sollen, von dem je nach der Eigen¬
tümlichkeit des Falles auch abgewichen werden kann“; denn nichts
würde verkehrter sein, als dem Uerichtsarzte in bezug auf die
technische Ausführung einer Leichenöffnung jede Freiheit des
Handelns nehmen oder ihn in zu weitgehender Weise einschränken
za wollen. Der Gerichtsarzt muss sich eine gewisse Selbständig¬
keit wahren und darf sich nicht ängstlich an den Wortlaut der
Vorschriften halten; er länft sonst zu leicht Gefahr, dass er zwar
ein auch in den Augen der Revisionsinstanz tadelloses Obduktions-
protokoll liefert, aber bei der Leichenöffnung selbst Befunde über¬
sieht, die für die Rechtsprechung von grösster Bedeutung sein
können. Allerdings wird dies bei dem richtigen Verständnis und
der genauen Beachtung der jetzigen Vorschriften kaum noch mög¬
lich sein; denn wenn diese dem Gerichtsarzt auch nur als all¬
gemeiner Leitfaden dienen sollen, so bieten sie doch für den
ganzen Gang und die technische Ausführung einer Leichenöffnung
einen so vorzüglichen Anhalt und Wegweiser, dass in jedem Einzel¬
falle alle diejenigen Befunde, auf deren Feststellung und Offen¬
legung es für den gerichtlichen Zweck ankommt, bei entsprechender
Aufmerksamkeit auch tatsächlich ermittelt werden müssen.
In dem nachfolgenden Texte der neuen Vorschriften sind alle
Abänderungen, Zusätze usw. gegenüber der bisherigen Anweisung
darch Schrägschrift kenntlich gemacht und, soweit erforderlich,
in Anmerkung noch besonders darauf hingewiesen. Bei den bei¬
gefügten Erläuterungen sind neben der Sektionstecknik von Nau-
werck (4. Auflage, Jena 1905) besonders die in dieser Hinsicht
von Prof. Dr. Puppe im „Beamteten und sachverständigen Arzt“
(L Bd., II. T.: Gerichtliche Medizin, S. 56—81) gegebenen be¬
rücksichtigt; 1 ); sie sollen einen Ersatz für den betreffenden
Abschnitt 1 ) des von dem Verfasser herausgegebenen Kalenders
für Medizinalbeamte bilden, bei dessen Abfassung die neuen Vor¬
schriften noch nicht bekannt gegeben waren und demgemäss
imberücksichtigt bleiben mussten.
L Allgemeine Bestimmungen.
Gesetzliche Bestimmungen.
§. 1. Die gerichtliche Leichenöffnung (Obduktion) wird nach den be¬
stehenden Vorschriften von zwei Aerzten, unter denen sich ein Gerichts¬
arzt befinden muß, im Beisein eines Bichters vorgenommen. Die Obdu-
’) Siehe auch den Abschnitt fiber Obduktionstechnik (VI) im Kalender
für Medizinalbeamte; Jahrgang 1905. Die von Geh. Med.-B.at Prof. Dr. Orth
in Aussicht gestellten Erläuterungen konnten noch nicht berücksichtigt werden,
da nach einer Mitteilung der Verlagsbuchhandlung ihr Erscheinen erst in etwa
zwei Monaten zu erwarten steht; deshalb ist auch davon Abstand genommen,
mit dem Abdruck des jetzt schon in Kraft tretenden Regulativs bis zu ihrem
Erscheinen zu warten.
124 Die neuen preußischen Vorschriften für dos Verfahren der Gerichtsärzte
zenten haben die Pflichten gerichtlicher Sachverständiger. (Ueber Leichen¬
schau s. § 80).
Weitere Bestimmungen sind enthalten in der Str.-Pr.-Ordn. § 87ff. 1 ) (R-
Oes.-Bl. 1877, S. 268 ff) und in dem Erlasse des Justizministers vom 25. Januar
1902 (Min.-Bl. für die Medizinal- und medizinischen Unterrichtsangelegenheiten,
(S. 60)*).
Die obduzierenden Aerzte.
§ 2. Als Gerichtsarzt im Sinne des Gesetzes gilt dort, wo ein
besonderer Gerichtsarzt angestellt ist, dieser, sonst der zugleich als Ge¬
richtsarzt tätige Kreisarzt*). Der zuständige Gerichtsarzt (Kreisarzt) fun-
S 'ert als erster Obduzent; er entscheidet, wenn über die technische Aus-
hrung der Leichenöffnung Zweifel entstehen, vorbehaltlich der Befugnis
*) Die hier angezogenen Bestimmungen der Str.-Pr.-Ord. lauten:
„§ 87. Die richterliche Leichenschau wird unter Zuziehung eines
Arztes, die Leichenöffnung im Beisein des Bichters von zwei Aerzten, unter
welchen sich ein Gerichtsarzt befinden muß, vorgenommen. Demjenigen Arzte,
welcher den Verstorbenen in der dem Tode unmittelbar vorausgegangenen
Krankheit behandelt hat, ist die Leichenöffnung nicht zu übertragen. Derselbe
kann jedoch aufgefordert werden, der Leichenöffnung anzuwohnen, um aus der
Krankheitsgeschichte Aufschlüsse zu geben.
Die Zuziehung eines Arztes kann bei der Leichenschau unterbleiben,
wenn sie nach dem Ermessen des Richters entbehrlich ist.
Behufs der Besichtigung oder Oeffnung einer schon beerdigten Leiche
ist ihre Ausgrabung statthaft.
§ 88. Vor der Leichenöffnung ist, wenn nicht besondere Hindernisse
entgegen stehen, die Persönlichkeit des Verstorbenen, insbesondere durch Be¬
fragung von Personen, welche den Verstorbenen gekannt haben, festzustellen.
Ist ein Beschuldigter vorhanden, so ist ihm die Leiche zur Anerkennung vor¬
zuzeigen.
§ 89. Die Leichenöffnung muß sich, soweit der Zustand der Leiche
dies gestattet, stets auf die Oeffnung der Kopf-, Brust- und Bauchhöhle er¬
strecken.
§ 90. Bei Oeffnung der Leiche eines neugeborenen Kindes ist die
Untersuchung insbesondere auch darauf zu richten, ob dasselbe _ nach oder
während der Geburt gelebt habe, und ob es reif oder wenigstens fähig gewesen
sei, das Leben außerhalb des Mutterleibes fortzusetzen.
§ 91. Liegt der Verdacht einer Vergiftung vor. so ist die Unter¬
suchung der in der Leiche oder sonst gefundenen verdächtigen Stoffe durch
einen Chemiker oder durch eine für solche Untersuchungen bestehende Fach¬
behörde vorzunehmen.“
*) Als zweiter Obduzent muß nach der Allg. Verf. des Justiz¬
ministers vom 26. Januar 1902 a) neben dem besonders angestellten Gerichts¬
arzte, sofern ein zweiter Gerichtsarzt vorhanden ist, dieser, sonst der Kreis¬
arzt; b) neben dem Kreisärzte, sofern ein Kreisassistenzarzt vorhanden ist,
dieser, sonst der Kreisarzt des benachbarten Kreises zugezogen werden. Gleich¬
zeitig wird empfohlen, eine Regelung dahin herbeizuführen, daß ein regelmäßiges
Zusammenwirken von zwei Kreisärzten benachbarter Kreise in der Weise statt¬
findet, daß jeder von ihnen als zuständiger Gerichtsarzt den anderen als
zweiten Sachverständigen zugeordnet erhält.
Ist ein Zurückgreifen auf Privatärzte erforderlich, so sind solche,
welche die kreisärztliche oder Physikats - Prüfung bestanden haben, in erster
Linie zu berücksichtigen (Verf. vom 30. Januar 1893), außerdem soll möglichst
ein bestimmter derartiger Arzt nach vorgängiger Verständigung mit ihm als
zweiter Sachverständiger regelmäßig herangezogen werden, damit dieser in die
Lage versetzt wird, sich die für die Tätigkeit erforderliche Uebung und Er¬
fahrung anzueignen.
*) Siehe vorstehende Anmerkung.
bei den gerichtlichen Untersuchungen menschlicher Leichen. 125
des zweiten Obduzenten 1 ), seine abweichende Ansicht zu Protokoll zu
geben 8 ).
Zeit der Leichenöffnung.
§ 3. Leichenöffnungen sollen in der Regel nicht vor Ablauf von 12
Stunden nach dem Tode vorgenommen werden. Ausnahmsweise und aus beson¬
deren Gründen kann die Oeffnung in dringenden Fällen auch früher erfolgen;
indessen ist dann erforderlich, 1. dass die besonderen Gründe im Protokoll ver¬
merkt werden, und 2. dass dieses auch genauen Aufschluss darüber gibt, in
welcher Weise der Tod festgestellt worden ist *).
Behandlung von Leichen, welche in Fäulnis ttbergegangen
sind.
§ 4. Wegen vorhandener Fäulnis dürfen Leichenöffnungen von den
Aerzten nicht abgelehnt werden. Denn selbst bei einem hohen Orade der
Fäulnis können Abnormitäten und Verletzungen der Knochen noch ermittelt,
manche die noch zweifelhaft gebliebene Identität der Leiche betreffende Be¬
funde, z. B. Farbe und Beschaffenheit der Haare, Mangel von Gliedmaßen usw.
festgestellt, eingedrungene fremde Körper aufgefunden, Schwangerschaften
entdeckt und Vergiftungen noch nachgewiesen werden. Es haben deshalb auch
die Aerzte, wenn es sich zur Ermittelung derartiger Tatsachen um die Wieder¬
ausgrabung einer Leiche handelt, für dieselbe zu stimmen, ohne Rücksicht auf
die seit dem Tode verstrichene Zeit.
Gerichtlichen Ausgrabungen hat mindestens einer der Aerzte beizu¬
wohnen, welche später die Besichtigung oder Untersuchung der Leiche vor¬
nehmen. Derselbe hat im Einvernehmen mit dem Richter dafür zu sorgen, dass
die Blosslegung und Erhebung des Sarges, sowie dessen spätere Eröffnung mit
möglichster Vorsicht geschehe. Liegt der Verdacht einer Vergiftung vor, so ist
das Mittelstück der unteren Seite des Sarges herauszunehmen und aufzubewahren.
Von der unterhalb desselben gelegenen Erde sowie auch zur Kontrolle von dem
gewachsenen Boden der Seitenwände des Grabes oder in einiger Entfernung von
demselben sind Proben in einem reinen Glas- oder Porzellangefäss zur chemischen
Untersuchung mitzunehmen.*)
Instrumente. 6 )
| 5. Die Gerichtsärzte *) haben dafür zu sorgen, daß zur Verrichtung der
*) Bei der Sektion trägt in der Hegel der zuständige Gerichts¬
arzt (Kreisarzt) gemäß § 25 des Regulativs für die richtige Aufnahme des
Befundes in das Protokoll Sorge, während der zweite Gerichtsarzt die Leichen¬
öffnung aasführt; jedoch steht einer anderen Vereinbarung zwischen den beiden
Gerichtsärzten inbezug apf die Arbeitsteilung nichts entgegen. Es ist z. B.
durchaus zulässig und zweckmäßig, wenn der die Leichenöffnung ausführende
Gerichtsarzt auch gleichzeitig das Protokoll diktiert, da er so weniger Gefahr
läuft, etwas zu übersehen, als wenn er blos zusieht. Keinesfalls ist aber der
erste Gerichtsarzt berechtigt, die Vornahme der Leichenöffnung zu verweigern,
wenn der zweite hinzugezogene Arzt dazu unfähig oder durch besondere Um¬
stände (z. B. zugezogene Verletzung usw.) verhindert sein sollte; er würde
sonst Gefahr laufen, auf Grund des § 77 der Str.-Pr.-O. bestraft zu werden.
8 ) Vergl. auch § 25, Abs. 2.
3 ) Bisher durfte eine Leichenöffnung nicht vor Ablauf von 24 Stunden
Torgenommen werden, während sie jetzt bereits nach 12 Stunden gestattet ist,
die Gerichtsärzte haben dann jedoch vor Beginn der Sektion die vorhandenen
Zeichen des Todes festzustellen und diese im Protokoll genau zu vermerken.
4 ) Die Bestimmungen über die Ausgrabung einer Leiche entsprechen
in ihrem Wortlaut der darüber im § 8 des Württembergischen Regulativs vom
30. Dezember 1885 enthaltenen Vorschrift.
6 ) Nicht mit Unrecht empfiehlt Nauwcrck die Instrumente, soweit
als angängig ganz aus Metall mit gerifften hohligen Griffen und zerlegbar zu
wählen, um sie nach jedem Gebrauche leicht durch Auskochen in l°/ 0 Soda¬
lösung desinfizieren zu können.
*) Beide Gerichtsärzte sind nach dem R.-Erl. vom 22. März 1880 für
die Mitnahme der erforderlichen Instrumente verantwortlich.
126 Die neuen preußischen Vorschriften für das Verfahren der Gerichtsärzte
ihnen obliegenden Leichenöffnung folgende Sektions-Instrumente in guter
Beschaffenheit zur Stelle sind:
4 bis 6 Skalpelle, 1 )
1 Schermesser,
2 starke Knorpelmesser,
3 Pinzetten,*)
2 Doppelhaken,
2 Scheren, eine stärkere, deren einer Arm stumpf, der andere spitzig ist,
und eine feinere, deren einer Arm geknöpft, der andere spitzig ist. 3 )
1 Darmschere,
1 Tubulus mit drehbarem Verschluß,
1 neuailbener Katheter,*)
1 grobe und 2 feine Sonden, 6 )
1 Bogensäge und 1 Stichsäge , 9 )
1 Meißel und 1 Schlägel, 7 )
1 KnochenBchere,
1 Schraubstock , 9 )
6 krumme Madeln von verschiedener Größe, 9 )
1 Tasterzirkel,
1 Meterstab und 1 metallenes Bandmass *) mit Einteilung in Zentimeter
und Millimeter,
1 Meßgefäß mit Einteilung in 100, 50, 25 Kubikzentimeter.
1 Wage mit Gewichtsstücken bis zu 5 Kilogramm,
1 gute Lupe,
blaues und rotes Lakmuspapier,
1 in jeder Beziehung leistungsfähiges Mikroskop. 10 )
die zur Herstellung frischer mikroskopischer Präparate erforder¬
lichen Instrumente, Gläser n ) und Beagcntien '*) (vgl. § 11 u. a.),
*) Darunter 2 feinere Messer mit gerader und 2 stärkere mit bauchiger
Schneide; außerdem empfiehlt sich ein sog. Hirnmesser.
*) Bisher waren nur 2 Pinzetten nötig. Zweckmäßig ist es, wenn
durunter eine Hacken- und eine Schieber - Pinzette ist.
•) Auch eine über die Fläche gekrümmte (Coopersche) Scheere ist
kaum zu entbehren.
4 ) Jedenfalls ein männlicher Katheter oder noch besser ein männ¬
licher und weiblicher zum Zusammenschrauben.
6 ) Die Sonden müssen selbstverständlich geknöpft sein, als Material ist
Metall oder Fischbein zu wählen. Außerdem empfiehlt sich eine Hohlsonde von
Metall; auch einige Schweineborsten sind unter Umständen recht zweckmäßig.
6 ) Bisher war nur eine Säge erforderlich.
7 ) Will man ein vollständigeres Besteck habe#, so empfiehlt sich die Be¬
schaffung einer einfachen oder Lu ersehen Wirbelsäge (Rhachiotom).
*) War bisher nicht nötig.
9 ) Dazu gehört natürlich auch Hanfzwirn.
,0 ) Während früher ein Mikroskop mit zwei Objektiven und mindestens
400maliger Vergrößerung vorgoschrieben war, wird jetzt ein in jeder Be¬
ziehung leistungsfähiges Mikroskop, also ein solches mit Oelimmersion
und bis 1000facher Vergrößerung gefordert. Ein Mikroskop soll jetzt also
bei jeder Sektion mitgebracht werden, während sein Mitnehmen bisher nur
empfohlen war. Bei Sektionen auf dem Lande wird aber auch jetzt davon in
der Regel abgesehen werden können, da dem Gcrichtsarzt hier meist gar kein
geeigneter Raum zur Verfügung steht, um mit der erforderlichen Sorgfalt und
Ruhe mikroskopieren zu können. Das Mitnehmen des Mikroskops würde somit
gar nichts nützen (s. auch § 11, Abs. 2).
n ) Objektträger und Deckgläser; s. auch Anm. 1 auf S. 127.
**) Als Reagentien kommen besonders in Betracht: Hofmann-
Pacinische Flüssigkeit, Essigsäure, alkoholische Gunjaklösung und altes Ter-
pentinoel für Blutuntersuchungen; Florencesches Reagcus (für Sperma-
Nachweis). Will man auch an Ort und Stelle spektroskopische Unter¬
suchungen (z. B. mit dem Taschenspektroskop von Browning) nnstcllen, so
bedarf man hierzu noch gelbes Schwefelammon, konzentrierte ('yaukaliumlösung
uud konzentrierte Schwefelsäure.
bei den gerichtlichen Untersuchungen menschlicher Leichen.
127
sowie einige reine Olae- und POrzellangefässe zur Aufbewahrung
von Leichenteilen, *) welche mikroskopisch oder chemisch *) unter¬
sucht werden sollen.
Die schneidenden Instrumente müssen vollständig scharf sein. 1 )
Sektionsranm und dessen Beleuchtung.
§ 6. Für die Leichenöffnung ist ein hinreichend geräumiger und heller
B&tun zu beschaffen; auch muss für angemessene Lagerang der Leiche and Ent¬
fernung störender Umgebangen gesorgt werden. 4 ) Leichenöffnungen bei künst¬
lichem Licht sind, einzelne keinen Anfschab gestattende Fälle aasgenommen
unzulässig. Eine solche Ausnahme ist im Protokoll (§ 26) unter Anführung der
Gründe ausdrücklich zu erwähnen. 5 )
Gefrorene Leichen.
§ 7. Ist die Leiche gefroren, so ist sie in einen massig geheizten Baum
za bringen; mit der Leichenöffnung ist zu warten, bis die Leiche genügend
anfgetaut ist. Die Anwendung von warmem Wasser oder von anderen warmen
Gegenständen zur Beschleunigung des Auftauens ist unzulässig. 5 )
') Will man größere Leichenteile einige Tage konservieren oder sie
znr weiteren Untersuchung an ein gerichtlich -medizinisches Institut einschicken,
so werden sie nach Strauß am besten in 2 bis 3 reino, mit Brunnenwasser
befeuchtete Tücher eingeschlagen und in einen gut schließenden, nicht porösen
Steingut- oder Emailletopf gelegt. Die Versendung durch die Post muß durch
Eilbotenbestellung erfolgen. Noch besser und länger werden Leichenteile durch
Einlegen in 4°/ 0 Formalinlösung konserviert; man benutzt dazu am zweck¬
mäßigsten einfache Einmachegläser, deren dichter Verschluß von jedem Glaser
durch einen mit Glaskitt zu befestigenden Glasdeckel leicht bewirkt werden
kann. Patent-Einmachegläser sind hierzu auch recht brauchbar, aber nicht
überall zur Hand. Kleinere Leichenteile werden am besten in sog. Pulver-
gläsern mit eingeriebenen Glasstöpseln oder gutschließcnden Korkstöpseln
unter Formalinlösung aufbewahrt; derartige Gläser empfehlen sich auch zur
Aufbewahrung von schleimigen Massen, Urin usw.; deshalb sollten immer
derartige Gefäße (3—4) mitgenommen werden; auch die Mitnahme von engen
Petrischen Doppelschalen empfiehlt sich. Ganz geringe Mengen eines Unter-
snchungsmaterials sind für die spätere Untersuchung in dünner Schicht auf
Deckgläsern auszustreichen, einzutrockneu und mit einem Objektträger oder
zweiten Deckgläschen zu bedecken. Geringe Mengen Flüssigkeiten sind
in Kapillarröhrchen aufzusaugen und diese dann zu schmelzen.
0 Zur Mitnahme von Leichenteilen zur chemischen Untersuchung
eignen sich Gläser mit weitem Hals, etwa 4 zu 3—500 g mit gut schließen¬
den Stöpseln. Um sie fest zu verschließen, ist noch Pergamentpapier und
Bindfaden nötig. Die Kosten für die Gläser hat in dem Falle, daß sie benutzt
werden, das Gericht zu tragen.
*) Außerdem empfiehlt sich zur Mitnahme: Eine Schürze mit Aermeln,
Seife, Nagelbürste und Sublimatpastillen (A n g e r e r s), etwas Jodoformkollodium,
Heftpflaster, einige Fingerhüte aus Kautschuk und ein großer Schwamm (§ 18,
Abs. 7).
4 ) Nach dem Ministerial• Erlaß vom 23. November 1890 sind die Orts¬
polizeibehörden zur Beschaffung eines geeigneten Obduktionsraumes ver¬
pflichtet; sie haben den in dieser Hinsicht an sie ergehenden Ersuchen der
zoständigen Justizbeamten unverzüglich Folge zu leisten. Die durch die Be¬
schaffung des Lokals oder durch sonstige Hilfeleistung (Heildiener usw.) ent¬
stehenden Kosten fallen jedoch dem Justizfonds zur Last.
5 ) Selbstverständlich ist ein solcher Vermerk auch in das Protokoll zu
machen, wenn sich wider Erwarten die Vollendung einer bei Tageslicht be¬
gonnenen Leichenöffnung verzögert und bei künstlichem Licht beendet
werden muß.
5 ) Betreffs der Auftauung gefrorener Leichen gilt auch ferner
die vom Justizminister im Einverständnis mit dem Minister des Innern durch
Erlaß vom 13. April 1899 getroffenen Vorschrift, daß „der Richter bei
Anberaumung des Termins zur Leichenöffnung, falls nach dou augenblicklichen
128 Die neuen preußischen Vorschriften für das Verfahren der Gerichtsärzte
Fortschaffnng der Leichen von einer Stelle zur anderen.
§. 8. Bei allen mit der Leiche yorznnehmenden Bewegungen, namentlich
bei dem Ueberführen derselben von einer Stelle znr anderen, ist sorgfältig darauf
zu achten, daß kein zu starker Druck auf einzelne Teile ausgefibt und daß die
Horizontallage der größeren Höhlen und die durch die Leichenstarre bedingte
Stellung der Gliedmassen nicht erheblich verändert werde.
EL Verfahren bei der Leiohenäfimng.
Richterlicher Zweck der Leichenöffnung.
§ 9. Beim Erheben der Leichenbefunde müssen die Gerichtsärzte im
wesentlichen ebenso verfahren, wie wenn die Sektion aus rein ärztlichem Interesse
unternommen würde, nur haben sie überall den richterlichen Zweck der Leichen¬
untersuchung im Auge zu behalten und alles, was diesem Zwecke dient, mit
besonderer Genauigkeit und Vollständigkeit zu untersuchen. Die folgenden
technischen Vorschriften über den Gang der Untersuchung sollen nicht schablonen¬
haft angewendet, sondern nur als allgemeiner Leitfaden betrachtet werden, von
dem je nach der Eigentümlichkeit des Falles auch abgewichen werden kann.
Wesentliche Abweichungen müssen jedoch im Protokoll (§ 26) begründet werden. 1 )
Alle erheblichen Befunde sind dem Richter von den Gerichtsärzten vor¬
zuzeigen, bevor sie in das Protokoll aufgenommen werden.
Pflichten der Gerichtsärzte in bezug auf die Ermittelung
besonderer Umstände des Falles.
§ 10. Die Gerichtsärzte sind verpflichtet, in den Fällen, in denen
ihnen dies erforderlich erscheint, den Richter rechtzeitig zu ersuchen, daß vor
der Leichenöffnung der Ort, wo die Leiche gefunden wurde, in Augenschein
J genommen, die Lage, in welcher sie sich befand, ermittelt und daß innen Ge-
egenheit gegeben werde, die Kleidungsstücke, welche der Verstorbene bei
seinem Aufflnden getragen hat, zu besichtigen.*)
Temperaturverhältnissen und den sonstigen Umständen des Falles die Besorgnis
vorliegt, daß die Leiche sich im Gerichtstermin in gefrorenem Zustande be¬
finden wird, an die Ortspolizeibehörde das Ersuchen zu richten hat, die Leiche
so lange in einem auf 20° C. erwärmten Raum aufzubewahren, daß sie bis zu
dem Termin aufgetaut ist. Der Zeitraum ist auf mindestens 12 Stunden zu
bemessen; bei starkem Gefrorensein der Leiche aber entsprechend, nötigenfalls
bis auf 24 Stunden zu verlängern . . . Die Kosten der Maßnahme trägt der
Justizfiskus.“
*) Zu derartigen Abweichungen braucht aber nicht etwa erst der auf¬
sichtsführende Richter um Erlaubnis gebeten werden, sondern die Gerichtsärzte,
namentlich der erste Gerichtsarzt, haben allein darüber zu befinden und sind
allein dafür verantwortlich.
*) Die Württembergischen Vorschriften geben hierzu in § 11, Abs. 1 fol¬
gende recht zweckmäßige Anweisung:
„Haften an den Kleidern der Leiche oder an anderen in ihrer un¬
mittelbaren Nähe befindlichen Gegenständen Haare oder dergl., so werden
dieselben pünktlich aufgcsammelt. VerdächtigeFlecken, Werkzeuge,
Strangulationsmittel und Gegenstände, welche die Spuren eines
stattgefnndenen Kampfes an sich tragen, oder die Entstehung vorhandener
Verletzungen, oder die Art des Todes aufklären können, sind an den verdächtigen
Stellen mit der Lupe zu besichtigen. Hierbei soll die Aufmerksamkeit auch
darauf gerichtet werden, ob in den Flecken von Blut, Eiter, Samen, Speiseresten
usw. nicht Haare, Zeugfasern oder andere fremde Körper festgeklebt sind.
Zum Zwecke einer späteren mikroskopischen oder chemischen Unter¬
suchung werden die betreffenden Stellen der Kleider, Bettstücke usw. ausge¬
schnitten. Wäre die Zahl der Flecken an einem solchen Gegenstand eine sehr
große, so wird das ganze Stück aufbowahrt. Verdächtige Stellen auf der Ober¬
fläche hölzener Gegenstände werden ausgesägt oder mit einem Holzmeißel ent¬
sprechend tief abgehoben, auf Flächen von Stein im Notfall mit einem Stein¬
meißel abgesprengt.
Alle diese Gegenstände werden, ebenso wie Werkzeuge von Metall, auf
welchen näher zu untersuchende Stellen gefunden wurden, jedes für sich in
reines glattes Papier gewickelt und mit der nötigen Aufschrift versehen.“
bei den gerichtlichen Untersuchungen menschlicher Leichen.
129
In der Regel wird es indes genügen, daß sie ein hierauf gerichtetes
Ersuchen des Richters abwarten.
Sie sind verpflichtet, auch über andere, für die Leichenöffnung und das
abxugebende Gutachten erhebliche, etwa schon ermittelte Umstände sich von
dm Richter Aufschluß zu erbitten.
Mikroskopische Untersuchungen.
§ 11. In allen Fällen, in denen es zur schnellen und sicheren Ent*
Scheidung eines zweifelhaften Befundes, z. B. zur Unterscheidung von Blut
uod von nur blutfarbstoffhaltigen Flüssigkeiten, erforderlich ist, eine mikro*
skopische Untersuchung vorzunehmen, ist diese sofort bei der Leichenöffnung
zu veranstalten.
Wenn die äußeren Umstände dies unmöglich machen, oder schwierige
mikroskopische Untersuchungen, z. B. von Gewebsteilen der Leiche, nötig sind,
welche sich nicht sofort ausführen lassen, so sind die betreffenden Teile so
schnell als möglich einer nachträglichen Untersuchung zu unterwerfen.M.
In dem über die Untersuchung zu erstattenden Bericht ist die Zeit, zu
welcher diese nachträgliche Untersuchung vorgenommen wurde, und die ange¬
wandte Untersuchungsmethode stets genau anzugeben.
Die Leichenöffnung zerfällt in zwei Hauptteile:
A. Aeußere Besichtigung,
B. Innere Besichtigung (Sektion).
JL. Aeussere Besichtigung.
§ 12. Bei der äußeren Besichtigung ist die äußere Beschaffenheit des
Körpers im allgemeinen und die seiner einzelnen Abschnitte za untersuchen.
Demgemäß sind, soweit die Besichtigung solches ermöglicht, zu ermitteln
and anzugeben:
1. Alter, Geschlecht, Größe,*) Körperbau*), allgemeiner Ernährungszustand 4 ),
etwa vorhandene krankhafte Veränderungen oder Abnormitäten*) (z. B. sog.
Fußgeschwüre, Narben, Maler, Tätowierungen, Ueberzahl oder Mangel an
Gliedmaßen),
2. die Zeichen des Todes und diejenigen der etwa schon eingetretenen Ver¬
wesung.
Zu diesem Zwecke sind zunächst etwa vorhandene Besudelungen der
Leiche mit Blut, Kot, Eiter, Schmutz und dergleichen zu beschreiben und ge¬
gebenen Falles mit der Lupe oder dem Mikroskop zu untersuchen und darauf
durch Abwaschen zu beseitigen. Dann wird die An* oder Abwesenheit der
Muskelstarre*), die allgemeine Hautfarbe der Leiche 7 ) die Art und der Grad
der etwaigen Färbungen und Verfärbungen einzelner Teile durch die Ver-
*) Betreffs der bei Mitnahme von Leichenteilen zu beachtenden
Maßnahmen s. Anmerkung 1 auf S. 127.
Behufs Vornahme der biologischen Blutuntersuchung ist das
Blut an das Institut für Staatsarzneiknnde in Berlin (NW., Hannoversche
Straße 6) oder an das hygienische Institut in Greifswald, das Institut für Infek¬
tionskrankheiten in Berlin (Nr. 39, Nordnfer), das Institut fitr experimentelle
Therapie in Frankfurt a. M. zu senden (Min.-Erlaß vom 24. Juli bezw. 8. Sept
tember 1903). Auch in dem gerichtsärztlichen Universitätsinstitute in Königs¬
berg und Breslau wird diese Untersuchung ausgeführt.
*) Die Körpergröße wird durch Messung von Scheitel bis zur Fußsohle
bei wagerechter Lage der Leiche festgestellt. Betreffs der sonstigen Körper¬
maße und Länge der einzelnen Knochen usw. s. Anm. zu § 24 Abs. 2.
*) Körperbau, ob kräftig, schwächlich, mißgestaltet usw.
*) Maßgebend für den allgemeinen Ernährungszustand sind
Muskulatur und Fettpolster der Leiche.
*) Eine genaue Beschreibung der Abnormitäten ist besonders bei
Leichen unbekannter Personen von Wichtigkeit.
®) Die Leichenstarre beginnt iu der Regel an den Kiefern und geht
von da nach abwärts; sie verschwindet in der gleichen Reihenfolge und bleibt
demnach am längsten in den Fußgelenken. Ist sie einmal gewaltsam (beim
Umkleiden usw.) gelöst, so tritt sie nicht wieder ein.
*) Die Hautfarbe ist für gewöhnlich weißgrau, bei Blutverlusten
wachsbleich, bei Kachexie schmutzig-fahl und trocken, bei Gelbsucht gelb.
130 Die neuen preußischen Vorschriften für das Verfahren der Gerichtsinte
wesung'), sowie die Farbe, Art, Lage und Ausdehnung der Totenflecke fest-
gestellt; die Totenflecke sind einzuschneiden, wo eine Verwechselung mit Blut -
austretungen möglich wäre . *)
Für die einzelnen Teile ist folgendes festzustellen:
1. Bei Leichen unbekannter 3 ) Personen die Farbe und sonstige Beschaffen¬
heit der Haare 4 ) (Kopf und Bart), sowie die Farbe der Augen, B )
2. das Vorhandensein yon fremden Gegenständen in den natürlichen Oeff-
nungen des Kopfes, die Beschaffenheit der Zahnreihen *) und die Beschaffen¬
heit und Lage der Zunge. 7 )
Ergiesst sich Flüssigkeit aus Mund oder Nase, so ist deren Farbe und
Geruch anzugeben, bei Verdacht einer Vergiftung auch die Reaktion zu
prüfen.
3. Demnächst sind zu untersuchen:
der Hals, 8 ) dann die Brust,®) der Unterleib, ,# ) die Bückenfläche, 11 ) der
After, 1 *) die äußeren Geschlechtsteile 18 ) und endlich die Glieder. 14 )
*) Stehenbleiben yon Hautfalten und etwa vorhandener Ver¬
wesungsgeruch sind ebenfalls festzustellen.
*) Die frühere Fassung lautete: die Totenflecke sind einzuschneiden,
genau zu untersuchen und zu beschreiben, um eine Verwechselung derselben
mit Blutaustretungen zu vermeiden, während jetzt nur bei solchen Totenflecken
ein Ein8chneiden usw. erforderlich ist, bei denen die Möglichkeit einer solchen
Verwechselung vor liegt; immerhin sollten Einschnitte in die Totenflecke nicht
unterlassen werden. Hellrote Totenflecke findet man bei Kohlenoxyd- und
mitunter bei Zyankali-Vergiftung, grau oder bräunlich gefärbte bei Kali-
chloricumvergiftung.
*) S. Anm. 5, S. 129 und nachstehend Anm. 4 u. 5.
4 ) Auch Länge, Dicke und Dichtigkeit der Haare; bei Leichen unbe¬
kannter Personen auch die Form der Stirn, der Nase und Ohrmuscheln,
bes. die Ohrläppchen.
6 ) Nicht blos die Form der Regenbogenhaut, sondern auch die der Augen¬
brauen. Bei allen Leichen ist außerdem die Beschaffenheit der Augenbinde¬
haut, des Augapfels und die Weite der Pupillen festzustellen.
*) Eine genaue Beurteilung der Zahnreihen (Zahl, Stellung usw. der
Zähne) ist besonders bei den Leichen unbekannter Personen erforderlich.
7 ) Ob zwischen oder hinter den Zähnen.
8 ) Am Hals sind besonders die Beweglichkeit, natürliche Hautfalten,
Erhängungsmarken, Erwürgungsspuren usw., sowie die Form (lang, schmal
oder kurz und dick), Lago und Beschaffenheit des Zungenbeines und Kehlkopfes,
der Schilddrüse wie der oberen und unteren Lymphdrüsen zu beachten.
e ) An der Brust ist zu berücksichtigen: Form und Umfang des Brust¬
korbes, Weite der Zwischenrippen; bei weiblichen Personen die Beschaffenheit
der Milchdrüsen, Brustwarzen (Colostrum), Warzenhöfe (Farbe) usw.
,0 ) Am Bauch ist auf Wölbung (ob eingesunken, schlaff, aufgetrieben)
zu achten, ferner auf das Vorhandensein von Brüchen, bei weiblichen Personen
auf Schwangerschaftsnarben, Pigmentierungen usw.
“) Bei der Rttckenfläche kommt namentlich der Verlauf der Wirbel¬
säule (gerade, ausgebogen usw.) in Betracht.
**) After, ob offen oder geschlossen, ob unversehrt, ob Kot oder fremde
Körper in ihm oder in seiner Umgebung; der Damm ist auf Narben, Feig¬
warzen usw. zu untersuchen.
ia ) Bei den männlichen äußeren Geschlechtsteilen ist die Be¬
schaffenheit der Vorhaut (ob Eichel bedeckend oder nicht), der Eichel, der
Harnröhrenmündung (auf etwaigen Inhalt), des Gliedes und der Hoden (ob im
Hodensack usw.) zu ermitteln, bei den weiblichen sind die großen und
kleinen Scbamlappen, der Kitzler und der Hymen zu beschreiben.
14 ) Die Untersuchung der oberen und unteren Glieder hat sich
besonders auf etwa vorhandene Verletzungen, Narben, Beschaffenheit der
Knochen und Gelenke zu erstrecken. Betreffs der Untersuchung der Nägel
empfiehlt sich die Beachtung der Württembergischen Anweisung, wo es im
§ 14 heißt: „Die Nägel werden mit der Lupe untersucht, um zu ermitteln,ob
ichs nicht unter den ihnen anliegenden Hautfalten größere Fetzen von Ober-
bei den gerichtliches Untersuchungen menschlicher Leichen. 131
findet sich an irgend einem Teile eine Verletzung, so ist ihre Gestalt,
ihre Lage und Richtung mit Beziehung auf feste Punkte des Körpers, ferner
ihre Länge und Breite in Metermaß anzugeben. 1 ) Das Sondieren von Trennungen
des Zusammenhanges ist bei der äußeren Besichtigung in der Regel zu ver¬
meiden, da sich deren Tiefe bei der weiteren Untersuchung der verletzten
Stellen ergibt. Halten die Gerichtsärzte die Einführung der Sonde für erforder¬
lich, so ist dieselbe mit Vorsicht zu bewirken; die Gründe für ihr Verfahren
sind im Protokoll (§ 26) besonders zu erwähnen.
Bei Wunden ist ferner die Beschaffenheit ihrer Ränder und deren Um¬
gebung festzustellen. Die verwundeten Stellen der Haid sollen im unveränderten
Teil Umschnitten, ihre Umgebung unter Schonung der Hautwunde durch Flach-
schnitte in einzelne wie die Blätter eines Buches übereinanderliegende Schichten
getrennt werden , damit man den Umfang und die Art der Verwundung der
Weichteile feststellen kann , ohne das Aussehen der Hauptwunde zu verändern})
Bei Schusswunden ist besonders auf Pulvereinsprengungen und Versengung
um Härchen zu achten und im Zweifelfall eine mikroskopisch < Untersuchung der
Härchen vorzunehmen. Dieses gilt auch von Fällen, in welchen zwischen Ver¬
brühung und Verbrennung durch die Flamme zu unterscheiden ist.
In besonders wichtigen Fällen ist es empfehlenswert, die etwa vorhandenen
Verletzungen oder andere bedeutungsvolle Befunde photographisch aufzunehmen
oder durch eine Zeichnung wiederzugehen})
Bei Verletzungen und Beschädigungen der Leiche, die unzweifelhaft
einen nicht mit dem Tode in Zusammenhang stehenden Ursprung haben, z. B.
bei Merkmalen von Rettungsversuchen, Zernagung durch Tiere und dergleichen,
genügt eine summarische Beschreibung dieser Befunde.
(Fortsetzung folgt.)
Ueber einen interessanten Fall von Zwerchfellruptur mit
V 2 Jahr später anschliessender Pneumonie.
Von Kreisarzt Dr. Tröger in Adelnau.
Der Schlosser G. R. erlitt am 5. September 1898 einen
Unfall dadurch, dass er beim Zuschlägen mit einem schweren
Hammer plötzlich einen starken Schmerz am vorderen linken
Rippenbogen verspürte, der ihn zwang sich hinzusetzen und zu¬
nächst eins halbe Stunde in stark vornübergebeugter Stellung zu
sitzen. Als ich den R. kurze Zeit darauf sab, lag er zu Bett
mit Angst8chwei8s auf der Stirne. Er machte den Eindruck eines
schwerkranken Mannes; jede Bewegung mied er auf das pein¬
lichste, da sie ihm Schmerzen verursachte. Die objektive Unter¬
suchung ergab zunächst als einzigen Befund das Fehlen des
ersten Herztones an der Herzspitze und an seiner Stelle ein lautes
metallisches Geräusch, wie wenn eine grössere Blase platzt.
Dieses Geräusch war so laut, dass man es noch in etwa 1 m
haut, Blut, Haare, Zeugfasern, abgerissene Teile von Pflanzen, Erde oder der¬
gleichen finden. Etwaige Funde sind sofort mit dem Mikroskop zu untersuchen
oder für eine spätere Prüfung sorgfältig aufzubewahren.
*) Findet sich eine Verletzung an behaarten Teilen des Körpers,
besonders am Kopf, so sind vorher die Haare dicht über der Haut abzu¬
schneiden oder abzurasieren.
*) Entspricht der Württembergischen Anweisung.
•) Dies gilt namentlich dann, wenn die Beschreibung von Verletzungen
schwierig ist und kein anschauliches Bild gibt, z. B. wenn mehrere Verletzungen
in verschiedenen Richtungen auf einen verhältnismäßig kleinen Raum vor¬
handen sind usw.
182
Dr. Tröger.
Entfernung vom Bette hörte. Das schwere Krankheitsbild und
das auffallende Geräusch in der Herzgegend, für das ich mir bei
der ersten Untersuchung eine Erklärung nicht geben konnte, ver-
anlassten mich, am folgenden Tage einen Kollegen hinzuzuziehen.
Das Geräusch bestand noch unverändert fort und das Krankheits¬
bild war dasselbe wie am Tage vorher. Der Kollege glaubte,
dass eine Mitralklappe abgerissen sei. Dieser Diagnose konnte
ich nicht beitreten, einmal mit Rücksicht auf das Geräusch in
Klangfarbe und Intensität, zum andern mit Rücksicht auf die
grosse Schmerzhaftigkeit in der vorderen linken Brusthälfte. Nach
eingehendster Abwägung aller in Betracht kommenden Verhält¬
nisse kam ich zu der Diagnose, dass es sich um einen Riss im
Zwerchfell handeln müsse, in den sich ein Stück des Magens ein¬
geklemmt habe, welches seinerseits das metallische Geräuch ver¬
ursache. (Mit derselben Diagnose ist der Kranke einige Zeit
darauf in der Hallenser Klinik den Studenten vorgestellt worden.)
Patient blieb zunächst 5 Wochen bettlägerig, das Geräusch verlor
sich allmählich, doch konnte er es noch monatelang willkürlich
durch eine bestimmte Körperhaltung im Liegen und auch im
Bücken erzeugen.
Etwas über 5 Monate später nahm R. die Arbeit wieder
auf, obwohl er sich noch nicht dazu kräftig und schmerzfrei genug
fühlte. Er hat dann unter starken Schmerzen in der linken Seite
etwa 14 Tage gearbeitet. Jetzt erkrankte er und zwar genau
am Sitze der erlittenen Verletzung in der linken Brustseite, an
einer typischen kruppösen Pneumonie, die auch auf den rechten
Unterlappen am vierten Krankheitstage überging. Bei dieser
Sachlage war es für mich fraglos, dass die Pneumonie mit dem
Unfall am 5. September 1898 in ursächlichem Zusammenhang
stand. Die Genossenschaft lehnte jedoch auf Grund des Gut¬
achtens ihres Vertrauensarztes jede Entschädigungspflicht ab,
weil die Lungenentzündung in keinem ursächlichen Verhältnisse
mit dem Unfall stände. In einem Gutachten an das Schieds¬
gericht führte ich damals aus:
„Es ist möglich, daß Verwachsungen zwischen linker, unterer Lunge und
Zwerchfell bestehen, oder ein Teil der Lunge von Zwerchfell umschlossen ist.
Wenn nun ß. genötigt ist, als Schlosser zu arbeiten, so inuL» er unwillkürlich
die Lunge und das Zwerchfell mehr in Anspruch nehmen, d. h. in diesem Falle
die Lunge, die noch nicht als normal wieder zu bezeichnen war, von neuem
schädigen. Bricht daher in einer solchen noch nicht ausgeheilten Lungenpartie,
die täglich neuen Schädigungen ausgesetzt wird, eine Lungenentzündung aus,
so ist entschieden ein ursächlicher Zusammenhang zwischen diesen Schädigungen
und der Lungenentzündung nicht nur nicht abzustreiten, sondern es scheint
fast geboten, denselben anzunehmen.“
Der Entscheid des Schiedgerichts vom 17. Oktober 1899
lautete:
„Nach dem Gutachten des Sachverständigen (ß. wurde im Termin von
einem Leipziger Arzte untersucht) hat das Schiedsgericht nun zwar für er¬
wiesen angesehen, daß die im März 1899 zum Ausbruch gekommene Lungen¬
entzündung Berufsklägers eine Folge des am 5. September 1898 erlittenen
Betriebsunfalles nicht ist. Wenn aber der Sachverständige es für durchans
glaublich hält, daß Berufskläger bei schwerer Arhcit noch jetzt Folgen des
Unfalles spürt, da die erlittene Verletzung eine derartig schwere gewesen ist
Fall von Zwerchfellruptur mit */* Jahr später anschließender Pneumonie. 133
daß eine Beseitigung der Unfallfolgen am Tage des AufhOrens der Vollrente
— 9. Februar 1899 — vermutlich noch nicht eingetreten gewesen ist, so hat
das Schiedsgericht die Absprechung jeder weiteren Rente — es bewilligte ihm
2 ö j (9 der Vollrente — nach diesem Zeitpunkte nicht für gerechtfertigt be¬
fanden. Vielmehr ist dasselbe dem Qutachten dos Sachverständigen auch
darin beigetreten, daß bei dem Berufskläger infolge der schweren Lungenent¬
zündung noch jetzt ein solcher Schwächezustand besteht, daß derselbe schä¬
digend auf die Erwerbsfähigkeit derselben einwirkt, und dieser Zustand der
Dinge die noch vorhandenen Unfallsfolgen zu schwereren macht, als sie es
ohne die Lungenentzündung wären."
Bei diesem Urteil beruhigte sich B. auf mein Anraten nicht.
Das Beich8ver8icherung8amt entschied am 23. Febr. 1900:
«Bezüglich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem Unfall vom
5. September 1898 und der am 1. März 1899 in die Erscheinung getretenen
Lungenentzündung des Klägers gehen die ärztlichen Gutachten auseinander.
Während Dr. T. in seinem Gutachten vom 16. Mai und 16. November 1899
den Znsammenhang annimmt, der Prof. Dr. E. in L. in dem Gutachten vom
vom 26. Juli 18b9 ihn für sehr wohl möglich hält, tritt Dr. P. in seinen wieder¬
holten gutachtlichen Aeusserungen vom 22. Juni, 10. Juli und 28. August 1899
einer solchen Schlußfolgerung bestimmt entgegen; auch der vom Schiedsgericht
am 17. Oktober 1899 vernommene Dr. W. hält die Lungenentzündung keines¬
wegs für eine Folge des Unfalles.
Einen unmittelbaren ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Unfall
and der Lungenentzündung des Klägers hat das Rekursgericht mit Rücksicht
ani die widersprechenden ärztlichen Gutachten nicht angenommen. Dagegen
erschien auf Grund der Gutachten des Dr. W. und Dr. T. die Annahme aus¬
reichend begründet, daß die Unfallsfolgen bei dem Eintritt der Lungenentzün¬
dung noch nicht völlig beseitigt waren, und daß der durch die Unfallsfolgen
erheblich geschwächte Körper des Klägers für die damals in Z. endemisch
anftretende Lungenentzündung (wovon mir jedoch absolut nichts bekannt war
and auch nichts hatte in Erfahrung gebracht werden können) besonders un¬
günstig prädisponiert war. Infolgedessen ist die Lungenentzündung bei dem
Kläger sehr schwer aufgetreten usw.“
Meinem Vorschlag, dem R. vom 1. März 1899 bis Ende
Oktober die Vollrente und von da ab 50 °/ 0 der Vollrente za ge¬
währen, schloss sich das B.-V.-A. an.
Hiermit war jedoch der Fall noch nicht abgeschlossen;
denn B. erkrankte zum dritten Male bettlägerig vom 19. April
bis 31. Mai 1900. Ich konstatierte damals in der vorderen
Axillarlinie in der Höhe der 7. Bippe in etwa 5 Markstückgrösse
eine Pleuritis sicca. Der Vertrauensarzt der Berufsgenossenschaft
hatte eine „Erkältungskrankheit“ festgestellt; mit Bücksicht
hierauf lehnte die Berufsgenossenschaft eine Entschädigung ab.
Das Schiedsgericht in M. erkannte jedoch auf Grund einer ärzt¬
lichen Untersuchung durch Dr. S. an, dass die Krankheit mit dem
Unfall vom 5. September 1898 in ursächlichem Zusammenhang
stehe und dass dem Verletzten nach wie vor 50°/ 0 Bente zu gewähren
seien. Diese Bente wurde ihm am 1. Oktober 1901 wieder ent¬
zogen, da er angeblich geheilt sein sollte. Die hiergegen einge¬
legte Berufung wurde vom Schiedsgericht in M. am 22. März
1902 als unbegründet zurückgewiesen. Das Urteil stützte sich
auf ein Gutachten des Dr. P., während ich in meinem Gutachten
zu dem Urteil gekommen war, dass B. mit Bücksicht auf die
eng lokalisierte Pleuritis sicca noch um 20°/o in seiner Erwerbs-
tlhigkeit beschränkt sei.
Am 4. Februar 1903 entschied das R.-V.-A. auf Grund eines
134
Dr. Neumann.
erneut von mir eingeforderten Gutachtens und eines Obergutach¬
tens der Hallenser Klinik, in der eine 18 tägige Beobachtung des ß.
stattgefunden hatte, dass R. mit Rücksicht auf seine beschriebene
lokalisierte Pleuritis sicca zu 25 °/o als erwerbsunfähig zu erachten
sei. Ich kann noch mitteilen, dass R. noch heute ab und zu von
stärkeren Schmerzen in der linken Brustseite befallen wird.
Aus alten medizinalpolizeilichen Schriften.
Von Oberstabsarzt Dr. Neumann- Bromberg.
In unserer an hygienischen Errungenschaften, an sanitäts¬
polizeilichen Gesetzen und Verordnungen so reichen Zeit scheint
es von Interesse, diese scheinbar ganz modernen Bestrebungen
mit denen einer früheren Periode zu vergleichen. Vor mir liegen
die Bände eines für die damalige Zeit wahrscheinlich sehr wich¬
tigen Werkes: „Die Königlich Preussische Medizinal-Verfassung
oder vollständige Darstellung aller, das Medizinalwesen und die
medizinische Polizei in den Königlich preussischen Staaten be¬
treffenden Gesetze, Verordnungen und Einrichtungen von Augustin,
Königlicher Regierungs- und Medizinalrat usw.“, das die Jahre
1818—1835 umfasst. Ob und wie das Werk fortgesetzt worden
ist, habe ich nicht ermitteln können. Wenn auch der Umfang
des ersten Jahresbandes nur 1300 Seiten mittleren Formates um¬
fasst — die Anordnung des Stofles ist alphabetisch — und natur-
gemäss klein erscheint im Vergleich zu der Fülle der Literatur
der heutigen Zeit, so Anden sich doch eine Menge von Analogien
zur Jetztzeit von interessanter Art, von denen ich einige mitteilen
möchte, ausgehend von dem Gedanken, dass der Sinn für die ge¬
schichtliche Entwickelung des Medizinalwesens zu erwecken und
zu befördern ist, wenn auch unsere gegenwärtige schnelllebige
Zeit anscheinend wenig Zeit dazu hat. Die Schrift beweist, wie
der alte Ben-Akiba Recht hat, wenn er sagt: „Alles schon (lage¬
wesen“; wie aber anderseits so manche gegenwärtige Einrichtung
lediglich in historischem Licht verstanden und gewertet werden
kann. Das Werk Augustins, das erste seiner Art, fällt in die
Zeit, in der das Medizinalwesen vom Ministerium des Innern
zu dem der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten
übertrat. Ich gebe einige Notizen aus dem Werk wie folgt:
Die Instruktion über die wissenschaftliche Deputation
wird eingehend mitgeteilt.
Das erste Obduktionsregulativ rührt 1744 von Buddeus her,
welches durch die Kriminalordnung von 1805 ergänzt wurde.
Eine langatmige Verfügung ergeht sich über die meteorologischen
Beobachtungen der Physiker, d. h. der Medizinalbeamten.
Vor dem Erscheinen der Amtsblätter hatte der Kreis- und Stadt-
physikus die Verfügungen der Medizinalbehörden den Medizinalpcrsonen durch
Zirkularien bekannt zu machen.
Die Approbation eines praktischen Arztes kostete damals 7 Thaler
11 Groschen 6 Pf., eines Geburtshelfers 3 Thaler 12 Groschen, eines Zahn¬
arztes 3 Thaler 22 Groschen.
Jüdische Aerzte durften erst Praxis treiben, nachdem sio das Staats-
Aus alten medizinalpolizeilichen Schriften.
195
bürgerrecht erlangt hatten; ihnen das Apothekerrecht zu Überlassen wird nicht
für ratsam gehalten.
Es wird die Frage aufgeworfen, ob der Arzt befagt sei, neue Versnche
bei seinen Kranken anzostelien. Er darf keine neuen Versuche machen,
auch wenn der Kranke einwilligt; hält der Arzt den Versuch indes für nütz*
lieh, so solle er bei der oberen Medizinalbehörde anfragen — und habe „deren
Autorisation* abzuwarten.
Den „thierischen Magnetismus* zu verordnen, wird nur approbierten
Aerzten gestattet; diese hatten Uber magnetische Kuren zu berichten.
Ueber Kontrakte mit Armenärzten finden sich Verordnungen.
Den Chirurgen wird neu eingeschärft, was schon 1736 verboten war,
Aderlässen zur Unzeit und bei heftigem hitzigen Fieber ohne Anraten eines
Arztes nicht zu unternehmen.
Ein Antrag, daß die Personen, welche das Beschneiden der Juden*
k in der vornehmen, vom Kreisphysikus zu prüfen seien, blieb unberücksichtigt.
Vor den „Afterärzten“ als Kurpfuschern wird gewarnt. Die Defi¬
nition der Kurpfuscherei ist nicht ohne Interesse: „Pfuscherei, ärztliche,
so heißt es, ist jede von dazu nicht autorisierten Personen unternommene Cur.
Wer eine solche unternimmt, begeht eine unerlaubte Handlung.“ Das wären
passende einleitende Worte für ein Kurpfuschereiverbot der Zukunft!
Ueber das Hebammenwesen finden sich allerhand Belehrungen, sowie
ein Auszug aus Hägens Hebammen-Katechismus von 1768, dem ersten Lehr¬
buch für Hebammen. Hebammenrepitorien werden 1816 eingerichtet.
Vor Winkelhebammen wird gewarnt, unehelich Geschwängerte
sollen Gebärhäuser aufsuchen. Die Einrichtung derselben wird eingehend,
ebenso die Verpflegung beschrieben; diese wird verlockend geschildert; eine
Notiz heißt: „Auch wird nachmittags Kaffee gegeben.“
Die Zuziehung von Wickelfrauen bei Entbindungen seitens der
Aerzte, anstatt der konzessionierten Hebammen wird verboten; nur die Heb¬
amme darf nach der Entbindung eine Wickelfrau annehmen.
Mitgeteilt wird eine Belenrung des Publikums über die Augen-
entzündnng Neugeborener, was man heute „Merkblatt“ nennt.
Pestordnungen werden ausführlich mitgeteilt; Betten von Pest¬
kranken sollen verbrannt werden.
Verordnungen gegen die Blattern und über Schutzpocken¬
impfung nehmen naturgemäß einen breiten Baum ein. Das Oberkollegium
hatte schon 1796 eine Belehrung herausgegeben, wie der Landmann sich bei
grassierenden Pocken und Scharlachfieber zu verhalten habe.
Auf die Verschleppung ansteckender Krankheiten durch „Krüppel¬
führer* wird aufmerksam gemacht.
Ein „Typhusmerkblatt“ hatte das Oberkollegium schon 1772 er¬
lassen : „Anweisung, auf was Art der Landmann bei gegenwärtig sich äußernden
hitzigen Fiebern in Ermangelung eines geschickten und erfahrenen Medici sich
selbst behandeln könne.“
Ueber die „häutige Bräune“ wird eine Belehrung der Clever Be-
gierung veröffentlicht; über die Influenza eine solche der Begierung in
Marienwerder.
Die Cholera von 1831 und das ihrem Auftreten entsprossene Begulativ
von 1835 zeitigte eine große Beihe von Verfügungen, die Augustin aus¬
führlich mitteilt und erläutert.
An dieses Begulativ wird eine Belehrung über die Schwindsucht
geknüpft, wiederum eine Vorgängerin des modernen Tuberkulosemerkblattes;
ebenso über Weichselzopf und feuchte Wohnungen.
Ueber die Desinfektion ergehen auf Grund des Begulativs von 1835
lange Verordnungen.
Ueber die venerischen Krankheiten werden Belehrungen gegeben.
Vor der Verlockung „einfältiger Mädchen“ aus kleinen Städten nach
Berliner Bordells wird schon 1792 gewarnt. Für Lohn Hurerei treibende
Dinen halten, war nur mit polizeilicher Erlaubnis gestattet.
Unter den Titel Volksschriften erwähnt Augustin eine Beihe Be¬
lehrungen über die Verhütung und diätetische Behandlung der wich¬
tigstes Krankheiten, nachdem schon 1788 die Kirchenpatrone durch die Land-
136
Dr. Neumann: Aas alten medizinalpolizeilichen Schriften.
räte zum Ankauf des Beck er sehen Not* und Hilfsbüchleins aufgefordert
waren. Wir haben hier anscheinend den offiziellen Anfang der populären medi¬
zinischen Literatur vor uns.
Der Vorgänger des „Pilzbüchleins“ des Kaiserlichen Gesundheitsamtes
bildet das 1801 an die Schulen verteilte May er sehe Giftpflanzenbach.
Die Veröffentlichung der Belehrungen geschah offiziell durch
die Zeitungen.
Gegen die kontagiöse Augenentzündung wird Mercurius prae-
cipitatus albus empfohlen und zwar, was modernen Gepflogenheiten ceteris pa-
ribus entspricht, von der Militär* und Zivil - Medizinalverwaltung gleichzeitig.
Die Regierung zu Posen erläßt 1819 ein Publikandum über den nach¬
teiligen Einfluß des Milzbrandgiftes auf die Gesundheit der Menschen.
Ueber Vergiftung durch Blut- und Leber Würste ergeht eine lang¬
atmige Verfügung über die „bisher unbekannte, unabsichtliche Vergiftung“.
Eine Reihe von Regierungsverfügongen ergehen sich gegen das Wurstgift.
Gegen das Käse gif t und seine Wirkung richtet sich eine Verfügung der
Regierung zu Minden.
Das Collegium medicum kaufte 1799 dem Apotheker Matthieu ein
Bandwarmmittel ab, bestehend aus Filix und Zittwer.
Vor dem Auf brechen der Daumen bei Epilepsie wird gewarnt.
Es wird angeraten, von Blitz getroffene Scheintote in Erdbäder za
legen. Zeigt sich, so heißt es wörtlich, „nach drei Stunden im Erdbad keine
Spur des Lebens, so war der Unglückliche wahrscheinlich allzu heftig vom
Blitze getroffen und gleich anfänglich getötet.“ 1!!
Gegen die Krätze wird offiziell Sulphur und Veratram empfohlen. Die
Bürgermeister werden angewiesen, die Krätzkranken auszumitteln.
Wider den Hundebiß wird der Mai wurm offiziell empfohlen.
Ueber den Vagitus uterinus stellt die Wissenschaftliche Deputation
1816 ein Urteil aus.
Ueber die Verhütung von Nabelbrüchen ergeht 1828 ein Verordnung
der Regierung in Minden.
Für Rettung aus Todesgefahr ergehen lange Edikte.
Die Totenschau war in einigen Städten obligatorisch. Augustin
bemerkt, daß die allgemeine Verbreitung dieser nützlichen Anordnung beab¬
sichtigt wird. Leider ist sie bis heute noch nicht allgemein gesetzlich.
Eine Belehrung betrifft das Baden in Flüssen und die Behandlung
Ertrunkener. Für die Schwimmschule zu Cöln am Rhein wird eine In¬
struktion erlassen.
Ueber die Gefahren des Kohlendunstes erläßt die Regierung in
Potsdam wiederholte Belehrungen.
Der Unterrichtsplan der G c d i c k e sehen Krankenwärterschule in Berlin
wird ausführlich dargestellt.
In Königsberg wird 1862 ein orthopädisches Institut errichtet,
welches offiziell empfohlen wird.
Ueber Schulgesundheitspflege ergeht 1835 eine Zirkularverfügung
der Regierung in Trier, die einen durchaus modernen Charakter zeigt.
Vor dem Genuß unreifer Kartoffeln wird gewarnt, ebenso vordem
kohlensauren Gas in Gärkellern.
Wer Bier verfälscht, soll für jede Tonne 9 Thaler Strafe zahlen; der
Denunziant erhielt davon S Thaler mit Verschweigung seines Namens.
Eine Verordnung von 1817 warnt vor fehlerhafter Brotbereitung.
Betreffs Schlachthäuser erging schon 1766 eine Verfügung, die
durchaus modern klingt. Bezüglich der Fleisch sch au heißt es: „In Berlin
muß jedes Stück Rindvieh vor dem Schlachten besichtigt werden.“ Es folgt
eine lange Belehrung über die Franzosenkrankheit beim Rindvieh. Vor der
Schlampefütterung des Rindviehs wird 1835 gewarnt.
Die Regierung zu Liegnitz empfiehlt eine vom Töpfer Altmann zu
Bunzlau erfundene Glasurmischung für Topf ge schirre, welche weniger
Bleigätte enthält, als bisher nötig war. Die Regierung fordert hierbei die
Töpfer auf, eine Mischung zu finden, die noch weniger Bleiglätte als die Alt¬
mann sehe enthält, also sicherer, wie es wörtlich heißt, „jeden Nachteil für die
Gesundheit ausschließt;“
Kleinere Mitteilungen nnd Referate aus Zeitschriften.
137
Der Hauptwort wird auf die „Reinlichkeitspolizei* gelegt.
Die Regierung in Königsberg erlaßt eine Verfügung über die Reinlich¬
keit in den Gasthöfen, die durchaus modern klingt.
Schweineställe, Kloaken, Dünger- und Lohgruben müssen-
wenigstens 3 Fuß von den benachbarten Gebäuden, Scheuern entfernt bleiben;
auch müssen sie von Grund aus aufgemauert sein.
Beim Arsenik erwähnt Augustin die Ministerialreskripte über Ver¬
packung und Versendung desselben.
Die Regierung zu Magdeburg verbietet 1823, EaudeCologne als
Arzneimittel auzupreisen.
Geber Geheimmittel finden sich eine Reihe verbietender Verord¬
nungen, z. B. des Karras und Ronatsehen Geheimmittels gegen den Hunde¬
biß; Verbot des holländischen Gesundheitsbieres, die uns nach Analogie gegen¬
wärtiger Warnungen ganz modern anmuten. Auch vor den Gosundheitsbittern
wird gewarnt, tout comme chex nous.
Die Regierung zu Bromberg empfiehlt 1824 die Methode des Zollbeamten
Hellmund gegen den Krebs, bestehend in der Applikation von Arsenik,
S&nguis draconis und Cinabaris, Perubalsam und Kosmisches Pulver.
Die wichtigen Neuerung en auf medizinischem Gebiet scheinen
damals offiziell empfohlen worden zu sein; so empfiehlt die Regierung zu Minden
1831 den Gebrauch der Baumwolle anstatt der Chnrpie, auf welche, wie die Be¬
kanntmachung sagt, Hofrat Dr. Faust in dem Bückcburgischen Landesanzciger
aufmerksam macht. Dieselbe Regierung empfiehlt 1828, Chlorkalk eingeatmet
als Wiederbelebungsmittel und belegt diese Empfehlung mit einer ausführ¬
lichen Krankheitsgeschichte.
Geber Luftreinigung finden sich mehrere Reskripte.
Müll er sehe Fiebertropfen werden als Gcheimmittel gebrandmarkt.
Leber den Blutegelhandel, auf dessen Hebung Prämien gesetzt waren,
erlassen verschiedene Regierung Verordnungen.
Die karze etwas aphoristische Auslese aus den alten Schriften
zeigt, wie eingehend schon damals die Warnungen und Belehrungen
der Vorgesetzten Behörden waren, wie sie mannigfache Analogien
und Anklänge an das Gebrauchtum der Jetztzeit zeigen und zu
einem immerhin interessanten Vergleich auffordern.
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
Sachverständigentätigkeit in Unfall- und Invalidi täts-
sachcn.
Zur Begutachtung Unfallverletzter. Von Geb. Med.-Rat Dr. L. Becker.
Aerztl. Sachverst.-Ztg.; 1904, Nr. 24.
Alle fachmännischen Gutachten, im Bauwesen, in chemischen Fragen,
in der Maschinenkunde, in Handelssachen, auch in tierärztlichen Streitfragen,
können auf ein allgemein festgestelltes tatsächliches Material fußen. Bei der
Begutachtung eines Unfallverletzten kommt jedoch ein begutachtendes Moment,
die Glaubwürdigkeit der Angaben des Untersuchten, in Frage und muß bejaht
oder verneint werden. Bei der Beantwortung dieser Frage, speziell bei man¬
gelndem objektiven Befund, tritt der Arzt gewissermaßen aus der Stelle eines
Sachverständigen heraus und wird Richter. Nach Autors Erachten muß
von jedem Arzte, welcher einen Verletzten für einen Simulanten erklärt, ver¬
langt werden, daß er sein Urteil begründet. Simulation und Täuschung sollte
nur dann angenommen werden, wenn die voigebrachten Beschwerden einem
positiven Befunde direkt widersprechen oder in direktem Widerspruch stehen
mit der allgemeinen ärztlichen Erfahrung Uber die Folgen der geschehenen
Verletzung.
Ueber den ursächlichen Zusammenhang einer Krankheit und einen vor¬
auf gegangenen Unfall faßt Becker seine Erfahrungen in den Satz zusammen:
-Wenn wir nun bei den traumatischen Krankheiten nach Art der Vcrletznng,
nach dem zeitlichen Verlaufe, nach der Lokalisation und sonstigen Begleit¬
erscheinungen schließen müssen, daß gewisse wesentliche Bedingungen zur
138
kleiner« Mittelläufen und Referate aus Zeitschriften.
Entwicklung des resultierenden Krankheitszustandes dadurch gegeben werden
so müssen wir die Ursächlichkeit bejahen, auch wenn fttr unser fachmännisches
Verständnis noch manches fehlt.“
Der Begriff der „Entstehung“ einer Krankheit, aber die wir riehter-
licherseits gefragt werden können, interpretiert Becker dahin, daB Entstehung
und Entwicklung als gleichbedeutend anzusehen sind, und daß in diesem Sinne
die richterliche Frage zu beantworten ist. Tun wir dies, so dienen wir in
sachgemäßer Weise den praktischen Zwecken, welche die soziale Gesetzgebung
von uns fordert. Die Begriffe „Entstehung“ und „Entwicklung“ können wir
umsomehr als gleichbedeutend ansehen, als nach der Rechtsprechung des R.-
V.-A. ausdrücklich die Verschlimmerung eines schon bestehenden Leidens durch
einen Unfall in bezug auf die Entschädigungspflicht der Entstehung desselben
gleich zu achten ist
Becker schließt mit den Worten: „Da es sich aber bei der Begut¬
achtung Unfallverletzter um unsere Mitwirkung bei einem sozialen Fttrsorge-
gesetz handelt, so kann es fttr einen humanen Arzt keinem Zweifel unterliegen,
daß er sich nie durch doktrinäre Befangenheit, noch durch schroffe Vorein¬
eingenommenheit, noch ungerechtfertigtes Mißtrauen in seinem Urteil beeinflussen
lassen darf, sondern unter gewissenhafter Abwägung aller Umstände, auch
derjenigen, welche außerhalb der engeren Fachwissenschaft liegen, zu einem
unparteiischen Gutachten kommen muß.“
Dr. Tröger -Adelnau.
Ueber Unfallbegutachtung bei zweifelhafter Sachlage. Von Prof.
Dr. R. Stern in Breslau. Aerztl. Sachverst.-Ztg.; 1905, Nr. 1.
Die Entscheidung über den ursächlichen Zusammenhang zwischen Un¬
fällen und inneren Krankheiten ist für den Arzt in der Unfallbcgutachtung die
schwierigste. Hier kommen nicht selten Fälle zur Begutachtung, in denen die
Sachlage zweifelhaft, die Entscheidung schwierig oder unmöglich ist. Die
Gründe hierfür liegen 1) in der ungenügenden Feststellung des Tatbestandes,
ä) in dem anscheinenden Fehlen einer Kontinuität zwischen Unfall und Ent¬
wicklung der Krankheit, 3) in den Mängeln unserer gegenwärtigen Kenntnisse
über die Bedeutung des Traumas für die Entstehung von Krankheiten. Bei
etwaigem Fehlen der Kontinuität zwischen Unfall und Krankheit müssen die
Aerzte sich die Frage vorlegcn, ob das „freie Intervall“ zwischen dem Trauma
und den ersten Krankhoitssymptomen mit unseren sonstigen ärztlichen Er¬
fahrungen vereinbar ist, ob wir trotz dieses Intervalls es für wahrscheinlich
halten dürfen, daß der Unfall eine Wirkung auf die Entwicklung der Krank¬
heit gehabt hat. Eine sichere Entscheidung ist in derartigen Fällen meist
nicht möglich, außer wenn eine Operation oder die Obduktion den Zusammen¬
hang erweist. Zu Punkt 3 plaidiert dann Stern fttr ein öfteres „non liquet*.
Dies geschieht bis jetzt in der Unfallbegutachtung sehr selten. Der Arzt soll
weder Behörden und Patienten zuliebe ein bestimmtes Urteil abgeben, Bondern
er muß stets auf dem Boden der Tatsachen bleiben; er darf nicht unsichere
Behauptungen mit dem Scheine der Sicherheit vortragen.
Dr. Tröger-Adelnau.
Neue Vorschläge für die Feststellung des Grades der Erwerbs¬
unfähigkeit. Von Hans Seelmann, stellvertretender Magistratskommissar
fttr die Invalidenversicherung zu Königsberg LPr. Archiv fttr soziale Medizin
und Hygiene; I. Bd., 1. Heft.
In dem im Verlage von F.C.W. Vogel neu erscheinenden Archiv
(neue Folge der Monatsschrift für soziale Medizin), herausgegeben von Dr. Fürst
und Dr. J af f 6-Hamburg, bespricht Verfasser die heutige Art der Begutachtung
von Anwärtern auf Invaliden- und Unfallrente. Diese Materie ist gerade in
der jüngsten Zeit Gegenstand vieler Erörterungen gewesen, die auch zur
Formulierung neuer Vorschläge seitens einiger auf dem einschlägigen Gebiets
erfahrenen Autoren geführt haben. Theoretisch ist das Verfahren so geregelt,
daß der Arzt nur den Krankheitsbefund feststellen soll, während die Rontcn-
festsetznngsinstanzen auf Grund des Vorgefundenen Befundes den Grad der
Erworbsfäbigkeit feststellen sollen. In dor Praxis wird davon abgewichen,
weil der Arzt zugleich abschätzen soll, am wieviel Prozent der Versicherte
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften. 139
m seiner Erwerbsfähigkeit beeinträchtigt ist. Nach Verfasser ist aber der
int an einer richtigen Schätzung gar nicht imstande, weil dazu nicht ledig*
Heb medizinische Kenntnisse gehören, sondern auch eine gewisse juristische
Schulung, Kenntnisse über die Lage des Arbeitsmarktes, die Verrichtungen in
des einzelnen Berufen usw. Um in einer Rentensache ein zutreffendes Urteil
abzageben, gehören hiernach immer zwei, der Arzt und der Laie. Soll ein
gedeihliches Zusammenwirken stattfinden, so müssen beide örtlich und zeitlich
Zusammenarbeiten. Bei der heutigen Art der Beurteilung kann dies nur bei
der unteren Verwaltungsbehörde stattfinden, welcher leider nur die Begut¬
achtung der Rentenanträge, nicht aber die Entscheidung über dieselben obliegt
Man hat nun die Forderung aufgesteilt, daß diejenigen Aerzte, welche sich
■it der Begutachtung von Erwerbsfähigkeit beschäftigen, sich die nötigen
Kenntnisse auf diesem Gebiete der Verwaltung aneignen. Da dies nach Ver¬
fassers Ansicht kaum verlangt werden kann, so muß man umgekehrt von der
Bentenfestsetzungsinstanz verlangen, daß sie sich durch Selbststudium soviel
Kenntnisse aneignet daß sie beurteilen kann, wie die vom Arzte festgestellten
krankhaften Veränderungen auf die Leistungsfähigkeit einwirken, welche Be¬
schwerden die Krankheit verursacht usw. Verfasser bedauert es daher, daß
es nicht ein von einem Arzt geschriebenes, für Nicbtmediziner berechnetes
Handbuch gibt, in welchem für die gewöhnlichsten und häufigsten Krankheiten
die nötige Aufklärung gegeben wird. Mit Recht ist dom Verfasser schon von
ärztlicher Seite erwidert worden, daß es nicht möglich sei, über all diese
Fragen dem Laien die notwenige Belehrung zu geben. Dieses Selbststudium
genügt dem Verfasser allerdings auch nicht, sondern er wünscht eine Abände¬
rung des ganzen heutigen Systems und formuliert seine Wünsche in folgenden
Sätzen:
1. Die erstinstanzliche Entscheidung über den Rentenanspruch muß den
Versicherungsanstalten und Berufsgenosscnschaften abgenommen und in die
Hand der lokalen Behörden gelegt werden, die über ihn nach mündlicher Ver¬
handlung unter Zuziehung des Rentenbewerbers entscheiden.
2. Als lokale Behörden sollen nicht die unteren Verwaltungsbehörden
fungieren, sondern es sind für diese Zwecke besondere Dienststellen einzurichten.
3. Von den Beamten dieser neuen sozialen Lokalbehörden ist eine be¬
sondere, für ihre Dienstzwecke zugeschnittene Vorbildung zu fordern.
Was die letztere Forderung betrifft, schlägt Verfasser vor, daß die be¬
treffenden Beamten zunächst ein juristisches und staatswissenschaftliches Studium,
insbesondere der sozialpolitischen Gesetze zu absolvieren hätten. Daneben
sollte ein medizinisches Studium stattfinden, natürlich nicht dasselbe wie das
für die Fachmediziner übliche; es wäre insbesondere zu treiben Anatomie und
die Lehre von den Beschwerden, welche die einzelnen Krankheiten machen,
letztere vielleicht in Verbindung mit der pathologischen Anatomie. Dadurch
sollten die Verwaltungsbeamten befähigt werden, die ärztlichen Gutachten zu
rersteheu und Schlüsse aus ihnen zu ziehen. Die Kompetenzen dieser sozialen
Lok&lbehörden könnten dahin erweitert werden, daß ihnen die Durchführung
der sämtlichen sozialen Gesetze übertragen wird.
Ob diese Vorschläge praktisch durchführbar sind, erscheint uns zweifel¬
haft: wir wollen außerdem hervorheben, daß bei dem heutigen Verfahren viel¬
fach Verbesserungen möglich sind, z. B. müßte bei jeder Beurteilung eines
Beutenbewerbers durch den Arzt nicht nur die Frage nach dem Prozentsätze
zu beantworten sein, sondern auch eine Begründung hierfür verlangt werden.
Auch können wir nicht einsehen, weshalb es den ärztlichen Gutachtern, welche
sich viel mit der Abschätzung der Erwerbsfähigkeit beschäftigen (ich denke
hierbei besonders an die beamteten Aerzte), unmöglich sein sollte, sich die
sötigen sozialen Kenntnisse anzneignen, besonders wenn sich die Renten¬
bewerber vorwiegend ans einem bestimmten Stande (Landwirtschafts-, Fabrik¬
arbeiter) rekrutieren. Dr. Israel-Fischhausen.
Ueber den Begriff und die Möglichkeit des Nachweises der „wesent¬
lichen Veränderung 4 * bei Unfallhysterlkern Von Prof. Dr. Windscheid.
AentL Sachverst-Ztg.; 1904, Nr. 24.
Der § 88, Abs. 1 des G.-U.-V.-G. sagt: „Tritt in den Verhältnissen,
welche für die Festsetzung der Entschädigung maßgebend gewesen sind, eine
wesentlich« Veränderung ein, so kann eine anderweite Feststellung erfolgen.
140
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
Windscheid beschäftigt sich nun allein mit dem Nachweis der
Besserung durch die Berufsgenossenschaft, da er der weitaus richtigere ist.
Der Nachweis der Verschlimmerung, der vom Verletzten zu führen ist, erfolgt
übrigens nach denselben Grundsätzen. Nach prinzipieller Bejahung der Frage,
ob denn eine Unfallhysterie überhaupt einer Besserung fähig sei, wird ausge¬
führt, daß der Weg zum Nachweise der Besserung gangbar sei mit Hilfe a)
des Arztes, b) des Vertrauensmannes, c) anderweitiger Erörterungen.
Erforderlich ist, 1) daß die Begutachtung des einzelnen Falles in einer
Hand bleibt, 2) daß eine ständige Kontrolle des ünfallhysterikers durch erneute,
in regelmäßigen, nieht zu großen Zwischenräumen, deren Größe von Fall zu
Fall festzusetzen ist, vorzunehmende ärztliche Untersuchungen und Begutach¬
tung stattfindet. Diese Untersuchungen finden am zweckmäßigsten in klinischen
Instituten statt.
Wissenschaftliche, objektive Zeichen der Hysterie und somit auch der
Unfallhysterie sind die hysterogenen Zonen -Ovarie, Nostalgie, Femoralgie,
die Beflexstörungen — Erhöhung der Patellarreflexe, Aufhebung oder Herab¬
setzung der Konjunktivalreflexe und des Gaumenreflexes —, Störungen der
Sensibilität — Hemihyp- und Anaesthesien, manschettenförmige Anaesthesien —,
Einengung des Gesichtsfeldes, funktionelle Störungen der Sinnesorgane, das
Rombergsche, das Rosenbachsche Phänomen, die Klopfempfindlichkeit
des Schädels, die Druckempfindlichkeit der Orbitalnerven, der Tremor der
Zunge und der Extremitäten, die erhöhte Herztätigkeit, die nicht in ihrem Ver¬
hältnis zu ihrem Umfange stehende Kraft der Extremitätenmuskulatur, die
Demographie — um nur die hauptsächlichsten Symptome aufzuzählen.
Die subjektiven Empfindungen der Patienten wird der Gutachter ge-
nauestens registrieren; er wird ihnen jedoch bei der Frage der Besserung kein«)
Wert beilegen, sondern nur überlegen, inwieweit die Intensität der subjektiven
Empfindungen sich mit den objektiven Erscheinungen vereinbaren läßt bezw. welche
Veränderungen hierin gegen früher eingetreten sind. Bei der arbeitenden
Klasse wird man auf Veränderung des körperlichen Zustandes durch besseres
Aussehen oder Gewichtszunahme Wert legen, desgleichen auf die Erhöhung
des Arbeitsverdienstes bei regelmäßiger Arbeit. Es sind dies Anhaltspunkte
für die Beurteilung der Besserung.
Die sekreten Beobachtungen nnd Mitteilungen seitens des Ver-
trauensmannes sind geeignet, in wertvoller Weise die Beurteilung des Falles
zu unterstützen, da er oft in der Lage ist, Tatsachen zu erbringen, die dem
Arzte niemals zu Ohren kommen. Auf medizinisches Gebiet darf er jedoch
nicht übertreten. Arzt und Vertrauensmann zusammen bilden das Fundament
für Beurteilung eines Falles.
Anderweitige Erörterungen sind Auskünfte von Behörden über Ar¬
beitsverdienst, Verhalten des Verletzten, Leumund usw.
Bei der Unfallhysterie hält Windscheid den Arzt für den alleinigen
kompetenten Sachverständigen, das Schiedsgericht mit seinen Laienrichtern
muß hier, im Gegensatz zu anderen Begutachtungen, zurücktreten.
Als einziges Heilmittel für die Unfallhysterie sieht Windscheid, ich
glaube shmtliche Aerzte werden ihm Dank hierfür wissen, die Arbeit an.
„Jeder Weg, auf dem er (der Verletzte) sich dieses Heilmittel verschaffen
kann, soll uns (Aerzte) recht sein — leider wird er es selber nur in den aller¬
wenigsten Fällen freiwillig tun. Da müssen andere für ihn die Aufgabe über¬
nehmen, ihn wieder zu einem brauchbaren Mitgliede der menschlichen Ge¬
sellschaft zu machen. Und das kann nur geschehen, indem man den Nachweis
der Besserung erbringt und auf dieser Basis die Rente verkürzt, allerdings —
und das habe ich immer wieder betont — in kleinen vorsichtigen Sprüngen.“
Dr. T r ö g e r - Adelnau.
Zur Würdigung des traumatischen Ursprungs akuter Infektions¬
krankheiten. Von Prof. Dr. Fttrbringer in Berlin. Aerztl. Sachverst.-
Ztg.; 1904, Nr. 24.
Den Fall Lippmanns von „traumatischem Scharlach“ beanstandet
Darbringer im Gegensatz zu anderen Autoren nicht. (Ein 8jähriger Knabe,
•l' T vor 6 und 3 Jahren Scharlach überstanden und Tonsillenhypertrophie,
zuriickbehalten hatte, erkrankte unmittelbar im Anschluß an eine Ohrfeige
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
141
wieder an Scharlach, and zwar nach Ansicht Lippmanns durch Sprengung der
Schutzhülle eines verborgenen tonsillaren Scharlachherdes durch das Trauma).
Zu dem * chirurgischen Scharlach“ steht Fürbringer auf dem Stand¬
punkt, daß eine Uebertragung des akuten Exanthems durch Infektion einor
aus Verletzungen bezw. Operationen resultierenden Wunde — sie kann beim
Ausbruch der Krankheit geheilt sein — sehr wohl möglich ist, aber der Be¬
troffene nur .etwas leichter“ von der Krankheit ergriffen wird, als es sonst
bei ihm der Fall gewesen wäre. Eine Verwechselung mit scharlachähnlichcn,
besonders septischen Erythemen ist natürlich ausgeschlossen. Die Abhängigkeit
such anderer akuter Exantheme von Verletzungen sind Fürbringer litte-
r&risch nicht bekannt geworden. Dasselbe gilt von Typhus.
Die Entwicklung von Miliartuberkulose bezw. die Uoberführung ört¬
licher, chronischer Tuberkulose in das manifeste Stadium der allgemeinen akuten
miliaren Form auf metatastischem Wege durch Verletzungen von Skeletteilcn
oder intensive Erschütterung des Brustkastens gehört zu den meist durchsich¬
tigen, gewissermaßen regelrechten Vorkommnissen. Stern nennt auch den
Durchbruch einer tuberkulösen Lymphdrüse in ein Blut- oder Lymphgefäß eine
theoretische Möglichkeit des Zusammenhangs der akuten Infektionskrankheit
mit einem Trauma.
Bei Milzbrand, den man nach Fürbringer getrost zu den Wund¬
infektionskrankheiten im weitesten Sinne zählen kann, mag in dem oder jenen
Falle, in welchem die Annahme irgendwelcher Hautverletzung schlechterdings
gezwungen erscheint, auch die Respirationsschleimhaut als Eingangspforte in
Betracht kommen. Aehnlich liegen die Verhältnisse bei Tetanus, der Lyssa
und dem Rotz. Bei der Lyssa interressiert hier der Satz: „Die Möglichkeit
daß infektionsfähige, also das Krankheitsgift schon in den Speicheldrüsen be¬
herbergende Hunde, ohne überhaupt Krankheitssymptome zu zeigen, wieder
gesunden, ist noch nicht einwandsfrei erwiesen.“ Von der W ei Ischen Krank¬
heit ist Fürbringer kein Fall in der Litteratur bekannt geworden, des¬
gleichen ist ihm nicht von der Influenza ihre direkte Verbindung zu einem
Trauma in Erinnerung. Den akuten Gelenkrheumatismus hält Fürbringer
für einen wohl charakteristischen, spezifischen Krankheitsprozeß, dessen Ur¬
sache noch nicht sicher ermittelt ist. Mit Bezug auf seine Entstehung wird
mit Recht von der Mehrzahl der Autoren zur Anerkennung der hinreichenden
Wahrscheinlichkeit des Zusammenhangs der Nachweis der Kontinuität der Er¬
scheinungen verlangt. Die Zwischenzeit zwischen Unfall und Beginn des akuten
Gelenkrheumatismus muß, dem ganzen Charakter derselben entsprechend, nur
eine kurze, nach Tage und Standen sich berechnende sein; je kürzer der
Intervall, um so wahrscheinlicher der Zusammenhang.
Dr. Tröger-Adelnau.
Pneumonie und Unfall. Von Dr. Meyer in Brück. Aerztl. Sachverst.-
Ztg.; 1906, Nr. 1.
Was die Häufigkeit der durch Unfall verursachten Pneumonien anbe¬
trifft, so hat Litten eine Frequenz von 4,4°/o hcrausgerechnet; Stern gibt
2,4*/*, Demuth 1,6°/o, Jürgensen 0,13°/o an. Autor selbst rechnet 1,8 °/„
heraus. Ein Zeitraum von 8—48 Stunden zwischen dem Unfall und dem Beginn
der Pneumonie ist die Norm. Verfasser publiziert zwei neue Fälle, die jedoch
etwas Besonderes nicht bieten. Er tritt dann in eine ausführliche Erörterung
der theoretischen Entstehungsmöglichkeiten der Kontusions-Pneumonie ein; er
selbst neigt der Ansicht zu, daß bei der Kontusion des Brustkorbes geringe
Blutungen auftreten, ohne daß deswegen blutiger Auswurf vorhanden zu sein
kraucht. Daß das extravasierte Blut einen hervorragenden Nährboden für
den Pneumococcus abgibt, ist bekannt. Weshalb, so meint Autor, sollte man
ik> die Möglichkeit verneinen, daß Pneumokokken weniger virulenten Charak¬
ters oder in geringer Zahl, die unter normalen Umständen keinen infek¬
tiösen Charakter ausüben würden, auf diesem guten Nährboden sich ansie-
deln, sich vermehren oder an Virulenz gewinnen und nunmehr erst ihre schäd¬
liche Wirkung entfalten.
Einen sicheren anatomisch begründeten Beweis über dies Thema zu
fuhren, ist vor der Hand nicht möglich, für den Gutachter kann es jedoch
142
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
genügen, wenn er nur die Wahrscheinlichkeit ursächlichen Zusammentreffens
beweisen kann. Dr. T r ö g e r - Adelnau.
Ein Fall ron traumatischer Lungenhernie ohne äussere Verletzung.
Aus der orthopädischen Heilanstalt von Dr. Cahen und Fulda in Mannheim;
mitgeteilt von Dr. Cahen. Münchener med. Wochenschr.; 1905, Nr. 1.
Dem 40 jährigen Tabakarbeiter J. H. war Ende Februar 1904 eine Tabak¬
kiste gegen (len rechten Oberarm gefallen, wobei er mit dem Thorax an ein*
Wand gedrückt wurde. Zunächst äußerten sich die Unfallfolgen nur in Be¬
wegungsstörungen im Schultergelenk, welche sich bald wieder besserten.
Bei der vor der beabsichtigten Entlassung vorgenommenen Untersuchung
erklärte der Verletzte, er habe seit einigen Tagen beim Bücken das Hervor-
treten einer Geschwulst auf der rechten Seite der Brust bemerkt. Die Kon-
trolluntersuchung bestätigte tatsächlich die Hervorwülbung einer Geschwulat
im rechten Sternoklavikufarwinkel beim Bücken, welche in aufrechter Stellung
wieder verschwand. Außerdem ergab die Untersuchung des Thorax und der
Brustorgane nichts Bemerkenswertes. Wie beim Bücken, so wölbte sich auch
bei forzierter Exspiration (Pressen) die Geschwulst im rechten Sternoklavikular-
muskel wieder vor, schob sich nach unten über die 2. Rippe, nach oben über
die Clavicula und lag schließlich schräg über Clavicula und Sternum, tob
Gestalt und Größe eines Hühnereies.
Die Untersuchung über der Geschwulst ergab hellen Lungenschall
und vesikuläres Atmen; 2 mit der Pravazspritze vorgenommene Probe¬
punktionen hatten negatives Resultat. Hierdurch und durch spätere Einklem¬
mungen der Hernie war die Diagnose gesichert. Die Frage der Berufsge¬
nossenschaft, ob die Hernie als Unfallfolge zu betrcchten sei, wurde bejaht,
weil bei Würdigung aller in Betracht kommenden Verhältnisse sowohl das
Angeborensein der Hernie, als deren Akquisition vor dem Unfälle anszuschließen
war und in den meisten bisher beschriebenen derartigen Fällen darauf hinge¬
wiesen wurde, daß die Hernie, wie im vorliegenden Falle, erst einige Wochen
nach dem erlittenen Unfälle aufgetreten war und beobachtet wurde. Der Um¬
stand, daß eine Rippenfraktur fehlte, spricht ebenfalls nicht gegen die unfalls¬
weise Entstehung der Hernie, da es sehr leicht möglich erscheint, daß bei
einer starken Quetschung des Thorax durch das an die Wand Gedrücktwerden
nur eine Zerreißung der lnt6rkostalnmskalatnr ohne Rippenfraktur erfolgte
und durch die so entstandene Muskellücke allmählich Lungengewebe hindurch¬
drängte und die Hant vorwölbte. Eine Besserang des Zustandes war nnr
durch operativen Eingriff zu erwarten. Als Rente wurden 40°/ 0 vorgeschlagcn.
_ Dr. W a i b e 1 - Kempten.
Syringomyelie und Trauma. Von Dr. W. Wild. Aerztl. Sachverat.-
Ztg.; 1905, Nr. 1.
Die Anschannng, daß die Syringomyelie eine der häufigsten Rücken¬
markskrankheiten ist, ist noch nicht allgemein bekannt. Der Grand hierfür
liegt allgemein darin, daß die meisten und gerade grandlegenden Arbeiten
auf diesem Gebiete dem praktischen Arzte schwer zugänglich sind. Die Krank¬
heit wird im Anfang sehr häufig nicht erkannt. — Die Ansicht der Autoren
(vor allem Kienböck, Schlesinger» über den Zusammenhang von Syringo¬
myelie und Trauma geht dahin, daß die eigentliche progressive Syringomyelie
resp. ihre Anlage angeboren ist, und daß das Trauma ebenso wie andere
schädliche Einflüsse (Temperatur, Infektionskrankheiten usw.) nur den Anstoß
zu ihrer Weiterentwicklung gibt, während eine eigentliche, durch Trauma ent¬
standene Syringomyelie bisher noch nicht sicher beobachtet worden ist. Ptlr
die Unfallver8icherungsgesctzgebung genügt jedoch bekanntlich die verschlim¬
mernde Wirkung des Unfalles, um einen Rcntenanspruch zu begründen.
Aus zwei Krankengeschichten zieht Autor die Mahnung, daß es sich
dringend empfiehlt, nach jedem Unfälle, der seinem Verlauf nach eine schwöre
Einwirkung auf das Rückenmark zur Folge gehabt haben kann, eine genaue
Untersuchung des Nervensystems anzustellen. Finden sich dann an den oberen
Extremitäten Muskelatrophicn, die für Syringomylie typisch bekannt sind, oder
an den Beinen Sensibilitätsanomalien mit vorwiegender Störung des Schmerz-
und Temporatnrsinncs, Krümmung der Wirbelsäule, Erhöhung der Pateller-
Kloimsrs Mitteilungen and Rofernte aaa Zeitschriften.
143
rsfiexs, etwaige tropische Störungen an Haut und Gelenken usw., so ist der
Verdacht auf Syringomyelie begründet. l)er weitere Verlauf wird dann er¬
gaben, ob der Unfall mit einiger Wahrscheinlichkeit eine verschlimmernde
Wirkung ausgeübt hat oder nicht. Dr. T röger-Adelnau.
Die Bedeutung des Im Knie gelegenen Fettgewebes für die Unfall¬
heilkunde* Von Geh. Kat Prof. Dr. Hoffa in Berlin. AerztL Sachverat.-Ztg.;
1*06, Nr. 1.
An einem gesunden Kniegelenk finden sich hinter dem Ligament, patell&e
drei Synovialfalten, die beiden Plic&e al&res und die Plica synovialis patellaris.
Die Piicae alares bestehen aus Fettgewebe, welches, von einem Bezüge der
Synovialis bekleidet, in der Form eines lappigen Lipoms von dem vorderen
Schienbeinrande aus in die Gelenkhöhle hineinprominiert. Der mittlere Teil
dieses Fettgewebes wird von außen her durch das Lig. patellae bedeckt, wäh¬
rend seine seitlichen Partien dieses Band noch um ein gutes Stück überragen.
Wichtig ist es, daß dieses Fettgewebe stets mit zwei oder drei Zotten frei in
das Gewebe hinein endigt. Von der höchsten Spitze der Piicae alares, genau in
Mittellinie, erhebt sich ein bindegewebiger, aber auch meist fetthaltiger Strang
von wechselnder Dicke, der sich in der Fossa intercondyloidea femoris ansstzt,
die Plica synovialis patellaris.
Dieses normale Fettgewebe kann nun gelegentlich in „entzündliche Hyper¬
plasie unter Durchwachsung des Fettgewebes durch ein derbes fibröses Binde¬
gewebe* geraten infolge Traumen, die das Kniegelenk treffen, oft gar nicht
•ehr erheblicher Natur. Es entwickelt sich dann hinter und zu beiden Seiten
des Lig. patellae ein dicker, derber Fettklumpen. Von dem normalen Fett¬
gewebe unterscheidet sich eine solche Fettmasse bereits makroskopisch wesent¬
lich in drei Punkten: hinsichtlich ihrer Größe (bis weit über Hühnercigröße),
ihrer Farbe (’reingelb, häufiger aber rötlichgelb), und ihrer viel derberen Konsi¬
stenz. Histologisch handelt es sich um einen im Fettgewebe unter dem En¬
dothel der Synovialis, auch unter deren Beteiligung abspielenden Entzündungs¬
prozeß, und zwar findet man alle Stadien der Entzündung.
Dieser entzündliche Prozeß ist, da alle anderen ätiologischen Momente ,
fehlen, regelmäßig dagegen ein Trauma angegeben wird, auf dieses als
ursächliches Moment zurückzuführen. Das Trauma kann auch von dem Inneren
des Gelenks ausgehen, insofern das Fettgewebe durch einen chronischen Reiz-
instand des Gelenkes selbst in Mitleidenschaft gezogen werden kann.
Die Elinklemmungen der vergrößerten Zotten zwischen die Gelenkkörper
machen nun die charakteristischen Erscheinungen, welche die Patienten zum
Arzte führen. Es handelt sich um typische Einklemmungscrscheinungcn, wie
sie uns namentlich von den freien Gelenkkörpern her bekannt sind.
Der objektive Befund ist ein charakteristischer. Man findet zunächst
die mehr oder weniger erhebliche Quadricepsatrophie. Dann ist aber eine fast
typische Anschwellung des Kniegelenks vorhanden. Diese Anschwellung sitzt
bei sonst intaktem Gelenk dicht unterhalb und zu beiden Seiten der Patella.
Es ist eine pseudofluktuierende Anschwellung, die das Lig. patellae in die
Höhe hebt. Der obere Becessus des Gelenks ist frei. Sobald man aber die
Teile seitlich neben der Patella prüft, fühlt man die teigige Anschwellung,
die sich bis unter das Lig. patellae verfolgen läßt. Man muß beide Knie ver¬
gleichen, am besten in der Weise, daß man die Patienten mit entblößtem Knie
vor sich hintreten und die Knie durchdrücken läßt. Es kommt dann die stär¬
kere Anschwellung zu beiden Seiten des Lig. patellae deutlich zum Ausdruck.
Im übrigen ist das Gewebe vollständig intakt. Dr. Tröger- Adelnau.
Fassgelenksdistorsion als Todesursache; ein Beitrag zu Unfällen.
Von Dr. Walter Fürstenheim, Assistenzarzt am städt. Krankenhause in
Hinehberg (Schles.). Münchener mediz. Wochenschr.; 1904, Nr. 47.
Ein früher stets gesunder, 30 jähriger Stellenbesitzer erlitt ca. 5 Wochen
zuvor b eim Mistausräumen in der Abflußrinne der Stalljauche eine Fußver-
(Uachung mit Anschwellung des nach außen umgeknickten Fußes, so daß
laufen nur unter Schmerzen möglich war. 8 Tage später wurden die linke
2. und 3. Zehe kalt, nach 14 Tagen verfärbten sich die Zehen blau und wurden
bald darauf gangränös. Nach Absetzung der Zehen (n. L i s f r a n c) zeigte sich
144
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
beim Verbandwechsel der Brand fast bis zu den Knöcheln vorgeschritten, Ra¬
dialpuls beiderseits nicht fühlbar, Puls an der Schläfe 142, sehr klein, im Urin
Eiweiß, Temp. 38,2, im Kreuz eine talergroße, gangränöse Hautstelle, Erschei¬
nungen einer foudroyanten Peritonitis, Temperaturerhöhung bis 39,3°, am fol¬
genden Tage, also 3 Tage nach der Operation, bereits Exitus.
Die pathologisch - anatomische Diagnose lautete auf Qrund des Sektions¬
befundes: Thrombosis der Vena tibialis postica unterhalb des Malleolus inter¬
nus ; trockener Brand des linken Fußes; chronische parenchymatöse Nierenent¬
zündung; Stauungsmilz; frische Bauchfellentzündung. Alte Kavernen in
beiden Lungen, in deren Wand miliare Tuberkeln. Lymphdrüscnerweiterang
in der Brust- und Bauchhöhle, Lungenerweiterung. Doppelseitige Pleuritis
exsudativa-adhasiva. Lymphangitis am linken Oberschenkel.
Das Zusammentreffen von Eiterung und Qangrän ist eine klinisch wohl-
bekannte Erscheinung. Die Qangrän kann sich an die Eiterung und umgekehrt
die Eiterung an Qangrän anschließen. Im vorliegenden Falle ist die Eiterung
als Folge der Qangrän anzusehen. Qegen die Annahme, daß die Eiterungs¬
prozesse älteren Datums als die Qangrän seien, spricht die Tatsache, daß Pa¬
tient fieberfrei ins Krankenhaus eingeliefert wurde.
Mit großer Wahrscheinlichkeit ist die alte Tuberkulose, mehr noch die
schwere Nephritis für die Entstehung des Brandes verantwortlich zu machen;
denn eine Fußverstauchung an sich führt doch kaum zu derartiger Qangrän,
ebensowenig freilich eine bloße Tuberkulose oder B r i g h t sehe Krankheit.
Wohl läßt sich aber annehmen, daß bei der schon bestehenden „Dyskrasie“
ein geringer Anlaß die Blutgerinnung im Qefäß und damit den Brand herbei¬
zuführen genügte. Von sonstigen Ursachen der Qangrän kann Altersbrand
nicht in Frage kommen, ebensowenig Zuckerkrankheit beim vollständigen
Fehlen von Zucker im Harn. Auch für nervöse Störungen als Ursache des
Zehenbrands sind keine Anhaltspunkte da. Patient hat nie Mutterkorn ge¬
nommen, auch kein Karbol an seinen Fuß gebracht. Es bleibt demnach nur
die Annahme einer mechanischen Verlegung des Qefäßlumens (Abknickung)
übrig, womit Alter und Beselin ffenkeit des Pfropfens gut übereinstimmen.
Tuberkulose als Todesursache ist abzulehncn, weil sich miliare Knötchen aus-
* schließlich in den Kavernenwänden befanden, und auch hier nur solche älteren
Datums, weil ferner in den frisch vereiterten Lymphdrüsen keine Tuberkel-
bazillen gefunden wurden.
Das Endgutachten spricht sich demnach „mit aller Wahrscheinlichkeit
für eine gewaltsame Einwirkung (Abknickung der Vena tib. post.) als Ursache
des Fußbrandes aus. Die giftigen Zerfallprodukte des brandigen Gewebes sind
in die Lymphbahnen aufgesaugt worden und haben zur Vereiterung der Bauch-
und weiterhin der Brustlymphdrüscn geführt. Von jenen pflanzte sich der
Entzündungsprozeß auf das Bauchfell, von diesen auf die Lunge fort. Wie
weit eine schon bestehende schlechte Blutbeschaffenheit (Nierenentzündung,
alte Tuberkulose) das Entstehen des Gefäßpropfes bei der Abknickung — ein
immerhin seltenes Ereignis — begünstigt hat, kommt für die rechtliche Seite
des Falles nicht in Frage. Der Tod ist mittelbare Folge des Unfalls.“ Die
Hinterbliebenen bekamen die Rente zugesprochen. Dr. W a i b e 1 - Kempten.
Ursächlicher Zusammenhang zwischen einem Beinbruch und eitrigen
Blutschw&ren (Furunkulose) an dem verletzten Beine. Obergutachten,
erstattet auf Ersuchen des Reichs-Versicherungsamts unterm 17. Juli 1903
von Dr. Lassar, a. o. Professor an der Universität Berlin. Ebenda.
Es ist in der Tat mit hoher, an Gewißheit grenzender Wahrscheinlich¬
keit anzunehmen, daß der am 19. September 1902 eingetretene Tod des Bier¬
fahrers Franz T. in B. mit dessen Unfall vom 26. Februar 1902 in einem mittel¬
baren, jedoch ausgesprochenen ursächlichen Zusammenhänge steht.
Gründe: Offenbar war der Patient zur Zeit des Unfalls, als er wegen
seines Beinbruchs in ärztliche Behandlung trat, im übrigen gesund und hat
weder über Ekzeme, noch sonstige Hauterkrankungen geklagt. Die Ab¬
schürfungen und Hautblasen, welche mit dem UnfaUe verbunden waren, sind
zur Heilung gelangt. Dagegen muß in den durch den Beinbruch herbei¬
geführten Aenderungen im normalen Kreisläufe des verletzten Beines bereits
eine Schädigung erblickt werden. Nun ist der Verunglückte znr Nachbehand-
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
146
lang in die Dr. M.'sche Heilanstalt gelangt, und von dieser Zeit erst datieren
die Klagen über Jucken und Reizzustände der Haut. Mag auch dahingestellt
bleiben, ob dieselben rein zufälliger Natur gewesen sind, so ist doch anzu-
n ebnen, daß unter der vorausgegangenen notwendig gewesenen Verband behänd*
lang eine Reizung entstanden ist, zu der sonst ein Anlaß sich nicht finden
läßt, und an welcher der Patient auch vordem nach Aussage des Herrn Dr. A.
nicht gelitten hat. Derartige Hautreizungen kommen nach chirurgischer und
orthopädischer Behandlung ohne jedes Verschulden der Aerzte einfach als
Folge der erforderlich gewordenen Maßnahmen vor. Alsdann ist eine nicht
näher bezeichnete indifferente Salbe dem Patienten übergeben, und dieser einer
liassagekur unterzogen worden. Nun steht erfahrungsgemäß fest, daß Furunku¬
lose (Eintritt von Eitererregern in die Haut) nach Massage zu entstehen ver¬
mag. Dies kann herrühren entweder von Fcttsalben, die in Zersetzung über¬
gegangen sind, oder durch verschmutzende Beimengungen einer an sich ein¬
wandfreien zur Massage dienenden Fettmischung. Ob T. sich durch Massieren
mit eigener oder fremder Hand dieses weitertragende Uebel zugezogen hat,
darf nicht als maßgebend erachtet werden. Jedenfalls hat ein Zusammenhang
zwischen dem Beinbruche, dessen direkten Folgen und der später aufgetretenen
eitrigen Blutvergiftung stattgefunden. Bis zu dem Unfall und unmittelbar
nach ihm war nach allseitiger übereinstimmender Aussage ein Hautleiden nicht
vorhanden. Infolge des Beinbruchs ist bei dem 61 jährigen Manne eine geringere
Widerstandskraft des ganzen Beines zurückgeblieben. Dazu trat ein im Ver¬
laufe der Behandlung, wo der Kranke jeder weiteren Schädlichkeit entrückt
war, auftretendes Ekzem. Dieses kann, wie erwähnt, eine Folge der Verbände,
oder eine Folge der durch den Unfall bedingten Stauungen gewesen sein,
welche zu juckenden Hautveränderungen führen. Das Jucken führt zum
Kratzen, und durch die kleinen Kratzwunden wird die Empfänglichkeit der
Hautljmphwege für krankmachende Einflüsse (Eitererreger) tatsächlich ge¬
steigert. Wird eine solche Haut nun, sei es durch einen unglücklichen Zufall,
durch Vernachlässigung, durch Unsauberkeit der Hände oder durch zersetzte,
beziehentlich verschmutzte Salben angegriffen, so kann sich eine eitrige Blut¬
vergiftung hieraus ohne weiteres ergeben.
Diese meine Ansicht findet auch in dem Gutachten des Krankenhaus-
urztes B. vollständige Bestätigung. Die Vorfälle haben sich folgendermaßen
abgespielt:
Beinbruch bei einem älteren Manne — längere Rekonvaleszenz —
reMicrende Schwäche und schwere Beweglichkeit — juckende Ekzeme an dem
verletzten Beine — Massagebehandlung — Auftreten von eitrigen Blutschwären
iFurunkeln) — Eitervergiftung (Pyämie) — Tod.
Es fehlt an jedem Grunde für die Annahme, daß der Patient in der
geschilderten Weise weiter erkrankt und verstorben wäre ohne den voraus¬
gegangenen Unfall Somit muß der Tod als in einem mittelbaren ursächlichen
Zusammenhänge zu dem erlittenen Unfälle stehend angesehen werden.
Ursächlicher Zusammenhang zwischen einer einmaligen zu starken
Röntgenbestrahlung einer Hand und einer an derselben Hand anfgetretenen
Krebsbildung. Obergutachten, erstattet auf Ersuchen des Reichs-Ver-
sicherungsamts unterm 10. September 1903 von Geh. Med.-Rat Professor
Dr. Renvers in Berlin. Amtliche Nachrichten des Reichsversicheningsamtes;
Jahrg. 1904, Nr. 12.
Ans den Akten geht mit Sicherheit hervor, daß B. infolge seiner Be¬
schäftigung mit Röntgenstrahlen an chronischen Hautveränderungen an den
Extremitäten und am Oberkörper litt, die sich durch eine vermehrte Pigment-
bildung, Trockenheit der Haut und Haarausfall bemerkbar machten. Es steht
durch Zeugenaussagen, sowie durch die Aussagen des Patienten selbst weiterhin
fest, daß außer diesen allgemeinen, als Gewerbekrankheit aufzufassenden Haut-
Störungen infolge der Röntgenstrahleneinwirkung eine zeitlich und örtlich be¬
grenzte Erkrankung am Handrücken sich im Mai 1899 bildete, die laut Zeugen¬
aussagen Blatt 14 v der Schiedsgerichtsakten zunächst als eine Säureverbrennung,
dann aber als eine direkte Wirkung der Röntgenstrahlen auf die schon ver¬
änderte Haut aufgefaßt wurde. Diese im Mai 1899 akut aufgetretene Haut¬
verbrennung führte zu einer Geschwürsbildnng an dieser Hautstelle, die nun-
146
Kleinere Mitteilung©» «nd Referat« iu Z«it»ohrifte«.
mehr Gegenstand andauernder ärztlicher Behandlung wurde. Im Verlaufe der
folgenden Jahre verhärteten sich allmählich die Bänder des Geschwürs, welches
nicht zur Vernarbung zu bringen war. Nachdem nun im Anschluß an dieses
Geschwür eine Drüsenerkrankung in der Ellenbogenbeuge aufgetreten war,
konnte durch die mikroskopische Untersuchung eines ausgeschnittenen Ge¬
schwürsteils eine bösartige Krebsneubildung festgestellt werden, welche die
Absetzung des ganzen rechten Armes notwendig machte.
Es fragt sich nun: In welchen Zusammenhang ist die Krebsbildung mit
der Böntgenstrahlenerkrankung zu bringen, und ist letztere eine einfache Ge¬
werbeerkrankung oder lag bei der Bildung des Geschwürs im Mai 1899 ein
Unfall vor?
Die Beschäftigung mit den Böntgenstrahlen hat uns gelehrt, daß bei
häufiger Anwendung derselben oder zu starker Bestrahlung oder zu großer
Annäherung der Röntgenröhre an die Haut Veränderungen der bestrahlten
Haut eintreten, die sich im wesentlichen als Verbrennungserscheinungen charak¬
terisieren. Eine besondere Eigentümlichkeit dieser zunächst entzündlichen Vor¬
gänge ist der rasche Uebergang in atrophische Veränderungen. Damit in Zu¬
sammenhang zu bringen ist die stets sich zeigende mangelhafte Ernährung der
ergriffenen Hautpartien. Gerade infolge dieser atrophischen Hautveränderungen
und der damit im Zusammenhänge stehenden ungünstigen Ernährungsverhält-
nisse sind die Begenerationsprozesse sehr langsame. Wunden infolge von
Röntgenbestrahlungen bestehen monatelang und trotzen allen Wundheilmitteln.
Daß eine solche langdauernde Wundheilung den Boden für alle möglichen In¬
fektionen ebnet, ist leicht verständlich. Wenn auch die Ursache der Krebs¬
erkrankung noch nicht klargelegt ist, so sind doch viele Anhaltspunkte für die
Annahme vorhanden, daß ein von außen eintretendes Agens die Krebsentwicke¬
lung veranlaßt, wenn der Boden dafür empfänglich geworden ist. In diesem
Sinne wird man die Frage des Zusammenhanges der Krebsbildung mit der
Böntgenverbrennung dahin beantworten müssen, daß die chronischen entzünd¬
lichen Hautvorgänge die Entwickelung der Krebskrankheit veranlaßt oder
mindestens begünstigt haben.
Die Krobsentwickelung trat aber außerdem an einer Stelle auf, die durch
eine zeitlich deutlich abgegrenzte Einwirkung der Böntgenstrahlen im Mai 1899
besondere Verbrennungsveränderungen erlitten hatte. Während eine Gewerbe¬
krankheit sich schon längst entwickelt hatte, trat durch eine als Unfall auf¬
zufassende zu starke Bestrahlung das Geschwür auf, welches die Veranlassung
zur Krebsbildung und Amputation wurde.
Ich gebe mein Obergutachten dahin ab, daß mit großer Wahrscheinlich¬
keit die krebsige Erkrankung mit der im Mai 1899 erlittenen Röntgenverletzung
in Zusammenhang gebracht werden muß.
Ueber traumatische Entstehung von Leistenbrüchen. Von Dr. B e r n e r
in Fürstenberg. Aerztl. Sachverst.-Ztg.; 1904, Nr. 23.
Verfasser resümiert dahin:
1) Es gibt eine besondere Bruchanlage, die angeboren oder erworben
sein kann.
2) Die Mehrzahl der Leistenbrüche Erwachsener entsteht allmählich
durch eine Verstülpung des Bauchfells, die wir als Bruchsack bezeichnen.
81 Eine plötzliche, gewaltsame Entstehung eines Leistenbruchs in allen
seinen Bestandteilen ist theoretisch undenkbar und praktisch nicht erwiesen;
ohne Bruchsack keinen Bruch!
4) Die plötzliche Vergrößerung eines in der Entstehung begriffenen
Leistenbruches ist möglich und muß, wenn durch Betriebsunfall nachgewiesener¬
maßen entstanden, im Sinne des Gesetzes begutachtet und entschädigt werden.
5) Die Diagnostik eines Unfallbruches bleibt eine Wahrscheinlichkeits¬
diagnostik, da ein bestimmtes Symptomenbild fehlt. Dr. T r ö g e r - Adelnau.
Tod durch Perforation eines Darmgeschwürs. Unfall verneint.
Bekurs-Entscheidung des Reichs-Versicherungsamtes vom
26. September 1904.
Der Tod des F. kann als Folge eines Betriebsunfalls nur dann angesehen
werden, wenn als bewiesen oder wenigstens als wahrscheinlich anzunehmen
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
147
wäre, daß irgend eine Betriebstätigkeit oder ein Betriebsvorgang eine „wesent¬
liche“ Einwirkung auf den krankhaften Zustand des Verstorbenen anagetlbt
und so dessen Tod mitherbeigeführt hätte. Ein solcher Beweis oder eine der¬
artige Wahrscheinlichkeit liegt aber nicht vor. Nach den übereinstimmenden
Gutachten des Dr. M. vom 8. Dezember 1903 und des Dr. B. vom 11. August
1904 muß als erwiesen erachtet werden, daß F. an einer eitrigen Bauchfell¬
entzündung gestorben ist und daß das Durchbrechen eines Darmgeschwürs zu
dieser Krankheit geführt hat. Nach der Annahme des Dr. B. befand sich das
Geschwür am Todestage des F. kurz vor dem Durchbruch. Es genügte also
der geringste Anlaß, diesen Durchbruch herbeizuführen. Demgemäß hätten
auch, selbst wenn eine Betriebshandlung oder ein Betriebsvorgang, wie etwa
das Aufheben eines Gegenstandes, einen solchen Anlaß zum Durchbruche des
Geschwürs gegeben hätte, diese Vorgänge doch damit nicht auch eine „wesent¬
lich“ mitwirkende Ursache zur Verschlimmerung und zum Tode des F. dar¬
gestellt Diese Ursache war vielmehr allein oder wenigstens nahezu aus¬
schließlich in dem Geschwüre zu finden, welches auch ohne eine solche
Betriebshandlung in kurzer Frist unvermeidlich zum Durchbruche gekommen
wäre und zum gleichen Ausgange geführt haben würde. Die Betriebshandlung
hätte dann also nicht ein notwendiges Glied in dem ursächlichen Zusammen¬
hänge zwischen Krankheit und Tod gebildet. Schon deshalb, weil somit der
Betrieb nicht wesentlich zu dem tödlichen Ausgange mitgewirkt hat, kann
ein Betriebsunfall als erwiesen nicht angesehen werden.
Dazu kommt daß es überhaupt an einem Beweise dafür fehlt daß ein
Betriebsvorgang irgendwie, wenn auch nur einigermaßen den Krankheitsprozeß
beeinflussend, mitgewirkt hat. Wenn der Zeuge K. bekundet hat, daß der
Verstorbene sich gebückt und dann, plötzlich sich erhebend, krampfhaft die
Arme zusammengeschlagen habe, so ist damit noch nicht erwiesen, daß das
einmalige, einfache Bücken einen Anlaß zum Durchbruch des Darmgeschwürs
gebildet hat. Vielmehr kann umgekehrt die Körperbewegung, die dem Zeugen
als ein Bücken erschien, vielleicht ein Sichkrümmen infolge des durch einen
plötzlichen Durchbruch des Geschwürs hervorgerufenen heftigen Schmerzes
gewesen sein. Die erstere Möglichkeit kann um so weniger als wahrscheinlich
angenommen werden, da der Verstorbene bei dem Bücken nicht etwa einen
schweren Gegenstand aufgehoben hatte, wodurch der Durchbruch des Ge¬
schwürs als Folge der mit dieser Anstrengung verbundenen Pressung des
Unterleibes erklärlich erschiene. Daß er überhaupt, um einen Gegenstand auf¬
zuheben, sich gebückt hat, ist lediglich eine Vermutung des K., und es fehlt
daher auch an einem ausreichenden Anhalte dafür, daß das Bücken eine Be¬
triebshandlung war. Hiernach können auch die von den Klägern angeführten
Rekursentscheidungen nicht mit Recht zum Vergleiche herangezogen werden,
da in den diesen Entscheidungen zugrunde liegenden Fällen mit Betriebstätig¬
keiten verbundene erhebliche Anstrengungen als wahrscheinliche Ursachen für
die wesentlichn Verschlimmerung in der Entwickelung begriffener Leiden in
Betracht kamen. Da somit ein Betriebsunfall als Ursache des Todes nicht
dargetan ist, so liegt eine Entschädigungspflicht der Berufsgenossenschaft nicht
vor, und es mußte daher der Rekurs zurückgewiesen werden.
Kompaß; 1904, Nr. 24.
Die Möglichkeit, dass ohne einen lm Betrieb zugestossenen (Beh¬
ang der Hüftgelenksmuskeln durch Ansrutsehen auf einem Trittbrett)
Uafkll der Tod bei einem tuberkulösen Arbeiter nicht ganz so früh etn-
fstreten sein würde, berechtigt nicht, das Ableben als durch den Betriebs-
nhll verursacht anzunehmen. Entscheidung der Sächsischen
Landesversicherungs-Anstalt vom 28. April 1904.
Ha Versicherter ist ohne triftigen Grund nicht berechtigt, das nach
118 des Invalidenverslcherungsgesetxes mit seiner Einwilligung ein geleitete
Heilverfahren zu unterbrechen und die Krankenanstalt zu verlassen.
Rekurs-Ent'scheidung des Reichs-Versicherungsamts vom
11 Januar 1904. Amtliche Nachrichten des Reichsversicherungsamtes;
1904, Nr. 11.
Nach § 18, Abs. 2 des Invalidenvereicherungsgcsetzcs bedarf zwar die
Utberaahme des Heilverfahrens der Zustimmung des Versicherten, wenn er
148
Kleinere Mitteilungen nnd Referate ans Zeitschriften.
verheiratet ist usw. Ist aber das Heilverfahren mit Einwilligung des Erkrankten
übernommen, so ist er ohne triftige Gründe nicht mehr berechtigt, das Heil¬
verfahren zu unterbrechen und damit seinen Erfolg in Frage zu stellen. In
dem Gesotz ist kein Anhalt dafür gegeben, daß auch das weitere Verbleiben
des verheirateten Erkrankten von seiner Zustimmung abhängig ist, vielmehr
gibt der § 22 des Invalidenversicherungsgcsetzes den Versicherungsanstalten
ganz allgemein die Befugnis, dem Versicherten, der sich den gemäß §§ 18, 19
von den Versicherungsanstalten getroffenen Maßnahmen ohne gesetzlichen oder
sonst triftigen Grund entzogen hat, die Invalidenrente auf Zeit ganz oder teil¬
weise zu versagen, sofern er auf diese Folgen hingewiesen worden ist und
nachgewiesen wird, daß die Erwerbsunfähigkeit durch sein Verhalten veranlaßt
ist. Der von dem Kläger in der Bevisionsinstanz geltend gemachte Grund,
daß er keine Besserung gespürt und sich auch wegen der Sehnsucht nach seiner
Frau und seinen sieben Kindern in der Heilanstalt nicht habe erholen können,
rechtfertigt die Unterbrechung des Heilverfahres nicht, weil der Kläger seine
eigene Ansicht über den Erfolg der Kur nicht über das sachverständige Er¬
messen der behandelnden Aerzte stellen durfte und mit Bücksicht darauf die
Sehnsucht nach seiner Frau und Kinder überwinden mußte. Der Kläger ist
auch von dem Arzte ausdrücklich auf die Folgen der Unterbrechung der Kur
aufmerksam gemacht worden.
Feststellung der Entschädigungen. Bundschreiben des Bcichs-
VersicherungBamts vom 15. N ovember 1904 — I. 23696 — an die
Berufsgenossenschaftsvorstände.
I. Mitwirkung der Berufsgenoasensohaften bei den poliaeilichen
Unfallunternuohungen.
§ 3. c) Insbesondere scheint die auf Antrag der Berufsgenossenschaften
seitens der Untersuchungsbehörde zu bewirkende Zuziehung von Sachverständigen
(§ 65, Abs. 2 G. U. V. G., § 72, Abs. 2 L. U. V. G.) nicht in dem wünschens¬
werten Umfange zu erfolgen. Die erforderliche Aufklärung der in Betracht
kommenden technischen und medizinischen Fragen ist häuflg nur auf diesem
Wege zu erreichen.
§ 4. d) Da die Kosten der pflichtmäßigen behördlichen Unfallunter-
suohung (§ 2), zu der unter Umständen auch eine Leichenöffnung gehört,
nicht von den Berufsgenossenschaften zu tragen sind, während ihnen die aus der
beantragten Zuziehung von Sachverständigen (§ 3) erwachsenen Kosten zur
Last fallen, so haben die Berufsgenossenschaftsorgane bei ihren eine Einwirkung
auf die behördlichen Untersuchungsverhandlungen bezweckenden schriftlichen
oder mündlichen Anträgen deutlich zum Ausdrucke zu bringen, ob sie die Er¬
ledigung der Anträge gemäß § 64 G. U. V. G., § 71 L. U. V. G. kostenlos
erwarten oder gemäß § 65, Abs. 2, § 144 G. U. V. G., § 72, Abs. 2, §. 154 L.
U. V. G. begehren und somit etwaige Kosten (§ 144, Abs. 2 G. U. V. G., § 154,
Abs. 2 L. U. V. G.) erstatten wollen.
IL Die ernte Feststellung der Entschädigung durch die Berufs-
genossenschaft.
A. Ansprüche der Verletzten.
1. Vorbereitung der Bescheidserteilung.
§ 6. a) Erlangt die Berufsgenossenschaft Kenntnis von einem Betriebs¬
unfälle, durch den ein Versicherter eine — nicht offenbar bedeutungslose —
Verletzung erlitten hat, oder werden Entschädigungsansprüche aus einem Un¬
fälle bei ihr erhoben, so ist die Beschlußfassung des Feststellungsorgans mit
möglichster Beschleunigung vorzubereiten. Ausreichende Anhaltspunkte werden
in vielen Fällen die Vorverhandlungen, insbesondere die Ergebnisse der polizei¬
lichen Unfalluntersnchung bieten. Andernfalls sind die Ermittelungen durch
Bückfrage bei dem Betriebsunternehmer oder dem Verletzten (gegebenenfalls
durch Vermittelung des Vertrauensmanns), durch Einholung ärztlicher
Gutachten oder in sonst geeigneter Weise zu ergänzen.
§ 7. b) Die Art und der Umfang der zu erhebenden Beweise ist im
allgemeinen dem pflichtmäßigen Ermessen der Berufsgenossenschaft überlassen.
Nur in dem Falle des § 69, Abs. 3 G. ü. V. G., § 75, Abs. 8 L. U. V. G. ist
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
149
diese an bestimmte Vorschriften gebunden. Hiernach kann die Ablehnung einer
Entschädigung oder die Bewilligung einer Teilrento auf Grund eines ärzt¬
lichen Gutachtens nur dann erfolgen, wenn vorher der behandelnde
Arzt oder, falls dieser zu der Genossenschaft in einem Vertragsverhältnisse
steht, auf Antrag des Berechtigten ein anderer Arzt gehört ist (wegen des
Begriffs »behandelnder Arzt" und wegen der etwaigen Notwendigkeit der
Anhörung mehrerer behandelnder Aerzte zu vergl. Besch. 1843, A. N. 1901,
8 . ISO und Bek. E. 2072, A. N. 1904 S. 619) *)• Die Vorschrift ist von dem Ge¬
setzgeber für so wichtig erachtet worden, daß in ihrer Außerachtlassung ein
wesentlicher Mangel des Verfahrens erblickt werden muß, der die höheren In-
«Unzen zur Zurückweisung der Sache an eine der Vorinstanzen berechtigt
t Bek. E. 2001 und 2002, A. N. 1903, 8. 472). -)
In welcher Form und in welchem Umfange die Anhörung des Arztes
zn erfolgen hat, richtet sich nach den Umständen des Einzelfailes, ohne daß
allgemeine Grundsätze sich darüber aufstcllen ließen. Erforderlich ist nur, daß
der Sachverständige hinsichtlich der ärztlichen Beurteilung des Falles zum
Worte gelangt (Bek. E. 2047, A. N. 1904, S. 412). Dies aber muß unbedingt
geschehen, es genügt daher nicht, daß dem Arzte lediglich eine Aeußerung
anheimgestellt wird; liegt eine solche nicht schon vor, so muß vielmehr die
Berufsgenossenschaft sie ihrerseits berbeiführen (Bek. E. 2072, A. N. 1904,
8.619). Das Ersuchen an den Arzt darf dabei nicht in einer
Weise erfolgen, daß dieser die Auffassung gewinnen kann,
es werde auf die Aeußerung kein Gewicht gelegt oder es
werde ihm keine Vergütung gewährt werden.
Aus der bezeichneten Vorschrift folgt übrigens nicht etwa, daß in jedem
Falle die Einholung zweier ärztlicher Gutachten erforderlich wäre, das Gut¬
achten des behandelnden Arztes kann vielmehr — abgesehen von dem bezeich¬
neten Anträge des Berechtigten — auch für sich allein als ausreichend ange¬
sehen werden (Besch. 1879, A. N. 1901, 8. 569). Anderseits findet die Vorschrift
dann keine Anwendung, wenn die Feststellung nicht auf Grund eines ärztlichen
Gutachtens, sondern unabhängig von einem solchen erfolgt (Bek. E. 1877,
A. N. 1901, 8. 557).»)
2. Vorbescheid.
§ 9.Endlich ist der angenommene Grad der durch den Unfall
verursachten Erwerbsunfähigkeit anzugeben. Hierbei sind die tatsächlichen
Verhältnisse, auf die sich die Annahme gründet, unter Bezeichnung der Beweis¬
mittel, insbesondere der für maßgebend erachteten ärztlichen Gutachten, zu
erörtern (bezüglich der Bedeutung der ärztlichen Gutachten für die
Feststellung des Maßes der Erwerbsunfähigkeit zu vergleichen
Rundschreiben vom 31. Dezember 1901, A. N. 1902, S. 178). 4 ) In geeigneten
Fällen ist auch der Inhalt dieser Gutachten wenigstens insoweit zur Kenntnis
des Verletzten zu bringen, als er für die Bemessung der Entschädigung ma߬
gebend ist.
3. Berufsmässiger Bescheid.
§ 13. c) Für den Inhalt des berufungsfähigen Bescheids gilt in sach¬
licher Beziehung im wesentlichen dasselbe, was oben von dem Vorbescheide
gesagt ist.
VI. Heilverfahren.
A. Heilverfahren im allgemeinen.
§ 40. a) Die Berufsgenossenschaft hat die Pflicht, dem Verletzten seit
Beginn der vierzehnten Woche nach dem Unfälle neben der Bcnte die in dem
§ 1, Abs. 1, Ziffer 1 G. U. V. G., § 8, Abs. 1, Ziffer 1 L. U. V. G. vorge¬
schriebenen Leistungen (zu denen unter Umständen auch die Lieferung
nad Instandhaltung künstlicher Gliedmaßen gehört — Besch.
') Siehe Nr. 19 dieser Zeitschrift; Jahrg. 1901, 8. 644 und Nr. 16, Jahrg.
1904, 8. 628 und nachstehend 8. 153.
*) 8iehe Nr. 18 dieser Zeitschrift; Jahrg. 1903, 8, 674.
*) Siehe Nr. 19 dieser Teitschrift; Jahrg. 1901, 8. 645.
4 ) Siche Nr. 5 dieser Zeitschrift; Jahrg. 1902, 8. 177.
150 Kleinere Mitteilungen und Referate aua Zeitschriften.
1861 und 2006, A. N.1901, S. 398 und 1903, S. 476 —) zu gewähren *). Es
steht ihr frei, zu diesem Zwecke ihrerseits Maßnahmen zu treffen, also nament¬
lich ein Heilverfahren einzuleiten. Ist das Heilverfahren einmal abgeschlossen,
so ist sie jedoch zur erneuten Einleitung eines solchen nur unter den Vor¬
aussetzungen des § 23, Abs. 1 G. U. V. G., § 24, Abs. 1 L. U. V. G. befugt.
b) Vor Beginn der vierzehnten Woche seit dem Unfälle liegt, abgesehen
von den Fällen des § 13 G. U. V. G., § 16 L. U. V. G., die Fürsorge für den
Verletzten, insbesondere also auch dessen ärztliche Behandlung der Kranken¬
kasse nach Maßgabe de3 § 6 des K. V. G. oder in dem gleichen Umfange dem
Betriebsunternehmer gemäß § 12, Abs. 2 G. U. V. G. ob. Die Berufsgenossen¬
schaft hat jedoch das Recht, schon während dieser Zeit auf Grund des § 76 c
des K. V. G. „das Heilverfahren* und ebenso gemäß § 12, Abs. 2 G. U. V. G.
„die dem Unternehmer obliegenden Leistungen ganz oder teilweise* zu über¬
nehmen. Die Uebernahme ist an keinerlei Förmlichkeiten gebunden, sie erfolgt
durch eine entsprechende Mitteilung an die Krankenkasse oder den Unternehmer
unter Benachrichtigung des Verletzten. Umgekehrt ist die Berufsgenossenschaft
nach § 11, Abs. 1 G. U. V. G., § 14, Abs. 1 L. U. V. G. befugt, der Kranken¬
kasse, welcher der Verletzte angehört oder zuletzt angehört hat, „die Fürsorge
für den Verletzten“, also die Heilbehandlung und etwaige Geldentschädigung,
über den Beginn der vierzehnten Woche hinaus bis zur Beendigung des Heil¬
verfahrens in demjenigen Umfange zu übertragen, den sie für geboten erachtet.
Die Uebertragung der Fürsorge erfolgt ebenfalls durch einfaches Ersuchen der
Berufsgenossenschaft an die Krankenkasse unter Benachrichtigung des Verletzten.
c) In allen diesen Fällen, sowohl vor wie nach Beginn der vierzehnten
Woche seit dem Unfälle, kann dem Verletzten an Stelle der sonstigen Leistungen
einschließlich der Rente unter den Voraussetzungen des § 7 K. V. G. „freie
Kur und Verpflegung in einem Krankenhause“ und unter denen des § 22, § 23,
Abs. 1 G. U. V. G., § 23, § 24, Abs. 1 L. U. V. G. „freie Kur und Verpflegung
in einer Heilanstalt“ gewährt werden (§§ 41 ff.).
B. Heilanstaltsbehandlung.
1. Anwendungsgebiet der Gesetze.
§ 41. Liegt die Fürsorge für den Verletzten der Krankenkasse ob, so
richtet sich die Gewährung der Krankenhausbehandlung, auch wenn das Heil¬
verfahren von der Bernfsgenossenschaft übernommen wird, nach den Vorschriften
des K. V. G. (Besch. 1424, A. N. 1895, S. 222).
Hat dagegen die Berufsgenossenschaft die dem Unternehmer nach § 12,
Abs. 2 G. U. V. G. obliegenden Leistungen übernommen, oder liegt ihr selbst
bereits die Entschädigungspflicht ob, so sind hinsichtlich der Heilanstaltsbehand¬
lung, gleichviel ob diese dem Verletzten unmittelbar durch die Berufsgenossen-
schaft oder durch Vermittelung der Krankenkasse gewährt wird, die Vor¬
schriften der Unfallversicherungsgesetze maßgebend.
2. Ausübung des Wahlrechts der Berufsgenossenschaft.
§ 42. Nach § 22, Abs. 1, § 23, Abs. 1 G. ü. V. G., § 23, Abs. 1, § 24,
Abs. 1 L. U. V. G. steht ausschließlich der Bernfsgenossenschaft, falls die
dortigen Voraussetzungen gegeben sind, das Wahlrecht zwischen den in den
§§ 9 und 12 G. U. V. G., § 8 L. U. V. G. vorgeschriebenen Leistungen und der
Gewährung freier Kur und Verpflegung in einer Heilanstalt zu. Eine Heil¬
anstaltsbehandlung kann also wedor von dem Verletzten gefordert, noch der
Berufsgenossenschaft von den Rechtsmittelinstanzen auferlegt werden. Ihre
Anordnuig liegt auch nach Ablauf von fünf Jahron seit der Rechtskraft der
ersten Entschädigungsfeststellung in der Hand der Berufsgenossenschaft und
ist auch frei von den Jahresfristen des § 88, Abs. 2 G. U. V. G., § 94, Abs. 2
L. U. V. G. Die Heilanstaltsbehandlung darf indessen nur durch Erteilung
eines berufungsfähigen Bescheides angeordnet werden (§ 69, Abs. 1, Ziffer 1 d
G. U. V. G., § 76, Abs. 1, Ziffer 1 d L. U. V. G.). Wird ein förmlicher Bescheid
nicht erteilt, so können aus der Weigerung des Verletzten, sich in die Heil¬
anstalt zu begeben, keine Rechtsnachteile für diesen hergeleitet werden.
Befindet sich der Verletzte noch nicht anderweitig in Heilanstaltsbehand-
*) Siehe Nr. 17 dieser Zeitschrift; Jahrg. 1901, S. 582 und Nr. 24, Jabr<j.
1903, S. 881.
Kleinere Kitteilangen and Referate »ne Zeitschriften.
161
lang, so ist es in eilbedtirftigen Fällen zulässig, daß der Vorsitzende oder
sin sonstiges Mitglied des Feststellangsorgans kraft einer ihm allgemein er¬
teilten Ermächtigung zunächst eine formlose Aufforderung an den Verletzten
richtet, sich in eine zu bezeichnende Heilanstalt zu begeben. Diese Anordnung
ist alsdann aber unter möglichster Beschleunigung durch Erteilung eines be-
rnfongsfähigen Bescheides zu bestätigen.
Die Berufsgenossenschaft kann von dem ihr zustehenden Wahlrecht
weh noch nachträglich Gebrauch machen, wenn der Verletzte ohne ihr Zutun
in einer Heilanstalt untergebracht war. Diese Befugnis steht ihr jedoch ohne
Zustimmung des Berechtigten nur so lange zu, als die Heilanstaltsbehandlung
■och nicht abgeschlossen ist.
3. Inhalt und Anfechtung des Einweisungsbescheids.
§ 43. ln dem Einweisungsbescheide muß mit klaren Worten zum Aus¬
drucke gebracht werden, daß dem Verletzten an Stelle der sonstigen Leistungen
freie Kur und Verpflegung in einer bestimmten Heilanstalt gewährt werden
solle. Die gesetzlichen Grundlagen für diese Form der Entschädigung (§ 22,
Abs. 1, § 23, Abs. 1 G. ü. V. G., § 23, Abs. 1, § 24, Abs. 1 L. U. V. G.), sowie
gegebenenfalls der wesentliche Inhalt der hierbei für maßgebend erachteten
ärztlichen Gutachten sind dem Verletzten mitzuteilen. Da die genannten Be¬
stimmungen im Falle einer Untersuchung oder vorübergehenden Beobachtung
in einer Heilanstalt nicht anwendbar sind, so ist eine unbestimmte Fassung
des Bescheides etwa dahin, daß die Einweisung „zwecks Beobachtung bezw.
ärztlicher Behandlung“ erfolge, nicht zulässig. Es empfiehlt sich, dem Ver¬
letzten in dem Bescheide zugleich zu eröffnen, daß er in der Heilanstalt zu
verbleiben habe, bis er von der Berufsgenossenschaft oder den zuständigen
Aerzten entlassen werde, und daß er sich in der Anstalt den ihm vorge¬
schriebenen Uebungen und Kuren zu unterwerfen habe. Der Bescheid muß
ferner den Hinweis auf die Folgen einer etwaigen Weigerung des Verletzten,
wie sie in dem § 23, Abs. 2 G. U. V. G., § 24, Abs. 2 L. U. V. G. angedroht
werden (§ 46), enthalten. Es kann in ihm endlich der Zeitpunkt angegeben
werden, an welchem sich der Verletzte in der Heilanstalt einfinden solle, wobei
«ri dessen persönliche Verhältnisse Rücksicht zu nehmen ist.
Wird innerhalb der ersten fünf Jahre seit der ersten rechtskräftigen
Feststellung der Entschädigung ein Einweisungsbescheid erlassen, so finden
«rf diesen die Vorschriften des § 89, Abs. 1 G. U. V. G., § 95, Abs. 1 L. U. V. G.
Inwendung. In diesem Falle muß also der Bescheid die dort vorgeschriebene
fiechtsmittelbelehrung enthalten.
Befindet sich die Heilanstalt außerhalb des Wohnorts des Verletzten, so
nnd diesem die zur Reise erforderlichen Kosten rechtzeitig zur Verfügung
za stellen.
Im Falle der Anfechtung des Bescheids entscheidet das Schiedsgericht
endgültig (§ 80, Abs. 1 G. U. V. G., g 86, Abs. 1 L. U. V. G.). Das Urteil des
Schiedsgerichts unterliegt auch dann nicht dem Rekurse, wenn der Bescheid
die Torgeschriebene Belehrung über die Folgen der etwaigen Weigerung des
Verletzten mithält (Rek. E. 1892, A. N. 1901, 8. 625) oder ihn darauf hinweist,
daß seine eigene Rente für die tatsächliche Dauer der Heilanstaltsbehandlung
in Wegfall komme, da der Wegfall der Rente eine selbstverständliche Folg«
dteser Behandlung bildet (Rek. E. 1937, A. N. 1902, 8. 468).
4. Angehörigenrente.
§ 44. Die den Angehörigen des Verletzten für die Dauer seiner Ver¬
pflegung in der Heilanstedt zustehenden Ansprüche (§ 22, Abs. 3 G. U. V. G.,
§ 21, Abs. 2 L. U. V. G.) sind ebenfalls durch berufungsfähigen Bescheid fest-
zasteüen (§ 69, Abs. 1, Ziffer 1 c G. U. V. G., § 76, Abs. 1, Ziffer 1 c L. ü. V. G.).
Einer Notlage der Angehörigen ist in geeigneten Fällen durch Zahlung einer
mläufigen Entschädigung (§ 17) vorzubeugen. Die Ehefrau des Verletzten
gehört auch dann zu den Angehörigen im Sinne dieser Bestimmung, wenn die
Ehe erat nach* dem Unfälle geschlossen ist (Besch. 1947, A. N. 1902, 8. 499).
Da die Angehörigen nach dem Gesetz einen selbstständigen Anspruch auf die
Rate haben, so ut der Bescheid diesen und nicht dem Verletzten zu erteilen,
wie «r denn auch nur von den Angehörigen angefochtea werden kann. Der
152
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
Verletzte ist zur Entgegennahme und Anfechtung des Bescheids nur in Ver¬
tretung seiner Angehörigen berufen.
Bei nachträglicher Gewährung der Heilanstaltsbehandlung (§ 42, Abs. 3)
ist auch die AngehOrigenrentc nachträglich durch berufungsfähigen Bescheid
festzustellen.
5. Abschluß des Heilverfahrens.
Sobald der Verletzte aus der Heilanstalt entlassen wird, muß die Berufs¬
genossenschaft — mag vor der Unterbringung eine Rente bereits festgestellt
J ewesen sein oder nicht — unverzüglich zu dem Entschädigungsansprüche seit
em Tage der Entlassung Stellung nehmen. Zu diesem Zwecke ist dem Ver¬
letzten zunächst ein Vorbescheid im Sinne des § 70, Abs. 1 G. U. V. G., § 76,
Abs. 1 L. U. V. G. (oben § 9) und demnächst ein berufungsfähiger Bescheid,
gegebenenfalls unter Anwendung der Vorschriften des § 89, Abs. 1 G. U. V. G.,
§ 96, Abs. 1 L. U. V. G. zu erteilen, welcher den ordentlichen Rechtsmitteln
unterliegt.
Aus der Gewährung der Heilanstaltsbehandlung folgt nicht ohne weiteres,
daß die Berufsgenossenschaft ihre Entschädigungspflicht anerkannt hat. Die
Berufsgenossenschaft ist vielmehr befugt, die Entschädigungspflicht an sich
noch nachzuprüfen und gegebenenfalls zu verneinen.
Ist die Rente nach Abschluß der Heilanstaltsbehandlung wiederum fest¬
gestellt, so sind für eine etwa späterhin vorzunehmende anderweite Feststellung
die für eine solche allgemein geltenden Grundsätze maßgebend.
C. Verweigerung des Heilverfahrens.
§ 46. Hat der Verletzte sich den zu Zwecken des Heilverfahrens ein¬
schließlich der Anstaltsbehandlung getroffenen Maßnahmen oder Anordnungen
(§§ 40 bis 43) entzogen, so kann die Berufsgenossenschaft ihm unter den Vor¬
aussetzungen des § 23, Abs. 2 G. U. V. G., § 24, Abs. 2 L. U. V. G. den Schadens¬
ersatz auf Zeit ganz oder teilweise versagen. Hierbei ist zu beachten, daß die
Berufung im Falle des § 23 G. U. V. G., § 24 L. U. V. G. aufschiebende Wirkung
hat (§ 76, Abs. 5 G. U. V. G., § 82, Abs. 5 L. U. V. G.). Eine ausführliche Dar¬
legung der Rechtsnachteile, welche einem Verletzten im Falle der Verweige¬
rung der Heilanstaltsbehandlung auferlegt werden können, und des hierbei von
der Berufsgenossenschaft zu beobachtenden Verfahrens findet sich in der Rek.
E. 2000 (A. N. 1903, S. 468). Dort (letzter Absatz) werden auch die Ma߬
nahmen erörtert, die nach Ablauf der Zeit, für welche der Schadensersatz ver¬
sagt war, oder die in dem Falle zu treffen sind, wenn der Verletzte sich
wuirend dieser Zeit der Heilanstaltsbehandlung tatsächlich unterwirft
Anweisung, betreffend das Verfahren vor den unteren Verwaltungs¬
behörden (§§ 57 bis 64 des Invalidenversicherungsgesetzes). Erlaß des
preußischen Ministers für Handel und Gewerbe vom 15. No¬
vember 1904.
IL Entgegennahme, Vorbereitung und Begutachtung von
Anträgen auf Bewilligung von Invaliden oder Altersrenten
(§ 67, Ziffer 1, § 112.)
5. Wird bei dem Antrag auf Bewilligung einer Invalidenrente ein aus¬
reichendes ärztliches Zeugnis von dem Versicherten nicht vorgelegt, so hat die
untere Verwaltungsbehörde die Untersuchung des Gesundheitszustandes und die
Abgabe eines Gutachtens über das Maß der Erwerbsfähigkeit des Antragstellers
herbeizuführen; dabei sind die von der Versicherungsanstalt wegen Beschaffung
dieser Zeugnisse getroffenen Maßnahmen tunlichst zu berücksichtigen.
Von einer ärztlichen Untersuchung ist abzusehen, wenn sich aus
Vorlagen klar ergibt, daß die Wartezeit nicht erfüllt oder die Anwartschaft
erloschen ist oder daß der Antragsteller weder versicherungspflichtig noch ver¬
sicherungsberechtigt gewesen ist, oder daß ein früherer Invaliddnrentenantrag,
der mangels Nachweises der dauernden Erwerbsunfähigkeit zurückgewiesen
worden ist, innerhalb eines Jahres seit der Zustellung der letzten endgültigen
Entscheidung ohne die uach § 120 erforderliche Bescheinigung wiederholt wird.
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
153
Von euer ärztlichen Untersuchung kann in der Regel abgesehen
werden, wenn
a) die Erwerbsunfähigkeit durch einen Unfall herbeigeführt ist und der Ver¬
letzte eine Unfallrente erhält,
b) ein früherer Invalidenrentenantrag, welcher, obwohl Erwerbsunfähigkeit
vorlag, wegen nicht erfüllter Wartezeit zurückgewiesen war, wieder¬
holt wird,
c) der Antragsteller eine Altersrente bezieht und auf andere Weise die Er¬
werbsunfähigkeit glaubhaft festgestellt ist,
d) augenscheinlich erkennbar oder in einem voraufgegangenen Heilverfahren
oder in anderer Weise glaubhaft nachgewieseu ist, daß Erwerbsunfähigkeit
nicht vorliegt oder daß und seit wann dauernde Erwerbsunfähigkeit ein¬
getreten ist.
Ergibt sich, daß der Rentenbewerber bereits den Antrag auf Gewährung
einer Alters-, Invaliden- oder Unfallrente oder auch Uebernahme des Heilver¬
fahrens gestellt hatte, so sind zunächst die Vorgänge einzufordern und soweit
dies nach Lage der Verhältnisse tunlich erscheint, dem untersuchenden Arzte
zngänglich zu machen.
8. Zu der mündlichen Verhandlung beruft die untere Verwaltungsbehörde
je einen Vertreter der Arbeitgeber und der Versicherten in der von dem Re¬
gierungspräsidenten (in Berlin von dem Oberpräsidenten) bestimmten Reihen¬
folge. Zugleich sind die Zeugen und Sachverständigen zu laden und der An¬
tragsteller von der Anberaumung des Termins zu benachrichtigen.
10. Ueber die Verhandlung ist unter Zuziehung eines Protokollführers
eia Protokoll aufzunehmen. Dasselbe muß den wesentlichen Hergang der Ver¬
handlung, sowie die Namen des Vorsitzenden, der Vertreter und des Protokoll¬
führers, den wesentlichen Inhalt der Aussagen des Antragstellers oder seines
Berollmächtigten, der Zeugen und Sachverständigen und das Gutachten der
toteren Verwaltungsbehörde enthalten.
IV. Begutachtung der Entziehung von Invalidenrenten.
(§ 47, § 57, Ziffer ‘2, § 121.)
15. Die untere Verwaltungsbehörde hat, sobald ihr das Ersuchen um
Abgabe eines Gutachtens über Entziehung einer Invalidenrente zugeht, den
Beatenempfänger zu veranlassen, daß er sich zwecks Feststellung des Maßes
Miner Erwerbsfähigkeit durch einen Arzt untersuchen lasse; dabei sind die
tob der Versicherungsanstalt wegen Vornahme dieser Untersuchungen ge¬
troffenen Maßnahmen tunlichst zu beachten. Hat der Rentenempfänger sich
dem von der Versicherungsanstalt angeordneten Heilverfahren entzogen, so ist
die ärztliche Untersuchung auch darauf zu erstrecken, ob der Rentenempfänger
| durch sein Verhalten die Wiedererlangung der Erwerbsfähigkeit vereitelt hat.
i Zagleich sind die etwa erforderlichen Erhebungen über die Arbeitsverrichtungen
| des Rentenempfängers anzustellen. Wird von dem Vorstande der Versicherungs-
* änstalt ein ausreichendes ärztliches Zeugnis beigefügt oder ist die Wieder-
* erlangung der Erwerbsfähigkeit von dem Rentenempfänger ausdrücklich an-
[ erkannt, oder wird auf den Fortbezug der Rente verzichtet, so ist von einer
; nochmaligen ärztlichen Untersuchung des Rentenempfängers Abstand zu nehmen.
^ 19. Die den Vertretern zustehenden Bezüge, sowie die sonstigen durch
| das Verfahren entstehenden baren Auslagen trägt die Versicherungsanstalt.
! Zu den baren Auslagen des Verfahrens gehören:
| ») die Gebühren der Zeugen und Sachverständigen. Für die Zahlung
| der Zeugen- und Sachverständigengebühren sind, soweit nicht die Anstalt
1 mit den Aerzten ihres Bezirkes besondere Gebührensätze vereinbart hat,
j die Bestimmungen der Gebührenordnung für Zeugen und Sachverständige
maßgebend.
i
Zar Befolgung des f 75, Abs. 3 des Unfallversieherungsgesetzes für
[ Und- und Forstwirtschaft, § 69, Abs. 8 des Gewerbe-Unfallversichernngs-
\ gesetzee, genügt es nicht, dass die Berufsgenossenschaft dem behandelnden
Ante die Abgabe einer gutachtlichen Aeusserung anheimstellt; sie muss
Mae solehe von ihm erfordern. — Sind nacheinander mehrere Aerzte in
i gleicher Weise an der Behandlung beteiligt gewesen, ohne dass einer für
j sieh als der „behandelnde“ Arzt angesehen werden kann, so kann die
154 kleinere Mittelungen und Referate aus Zeitschriften*
Uebergehung eines von ihnen einen ^ie Zurßckvflnreismng w die Berufs-
genossenschaft rechtfertigenden wesentlichen Mangel des Verfahrens be¬
gründen. Bekur s-Entscheidung des Beichs-V? rsicherungsamts
vom 97. Juli 1904. Amtliche Nachrichten des Beichsveraicherungsamtes;
4904, Nr. 11.
§ 76, Abs. 3 des iJnfallverBicherungsgesetzes für Land* und Forstwirt¬
schaft bestimmt, daß. wenn auf Grand eines ärztlichen Gutachtens die Be¬
willigung einer Entschädigung abgelehnt oder nur eine Teilrente iestgesteilt
werden soll, vorher der behandelnde Arzt, und wenn dieser zu dev Genossen¬
schaft in einem Vertragsverhältnisse steht, auf Antrag ein anderer Arzt zu
hören ist.
Die Ansicht der Beklagten, daß zur Befolgung dieser Vorschrift'die
Einforderung eines Gutachtens nicht geboten sei, es vielmehr genüge, wenn
dem behandelnden Arzte Gelegenheit zur Erstattung einer gutachtlichen Aeuße-
rung gegeben werde, ist verfehlt. Die zur Unterstützung ihrer Auslegung von.
ihr vorgebrachten Ausführungen sind nicht stichhaltig. Allerdings ist in ver¬
schiedenen anderen Beichsgesetzen, insbesondere in den sogenannten Beichs-
justizgesetzen, an einer Beihe von Stellen die Vorschrift, es seien bestimmte
Personen zu „hören“, nur dahin aufzufassen, daß diese zum Worte zu ver¬
stauen sind. Hieraus kann jedoch nicht ohne weiteres gefolgert werden, daß
die im § 75, Abs. 3 a. a. 0. angeordnete Anhörung des behandelnden Arztes in
gleichem Sinne zu deuten sei. Denn der besondere Sprachgebrauch der Beichs-
justizgesetze ist von der Unfallversicherungsgesetzgebung keineswegs durchweg
übernommen und befolgt worden, und nach allgemeinen sprachlichen Begeln
erscheint eine anderweitige Auslegung des Wortes „hören“ sehr wohl möglich.
Für seine anderweitige Auslegung auf dem Gebiete der Unfallversicherungs¬
gesetze spricht aber schon der Umstand, daß die Stellung des behandelnden
Arztes im Bentenfestsetzungsverfahren eine wesentlich andere ist, als die
Stellung derjenigen Personen, deren Anhörung in den von der Beklagten, an¬
geführten Paragraphen der Beichsjustizgesetze angeordnet ist.
.... Der Stellung dieser Personen entspricht im Unfall entschädigen gs-
verfahren die Stellung des Bentenbewerbers. Auch er soll nach § 76, Abs. 1
und § 95, Abs. 2 des Unfallversicherungsgesetzes für Land- und Forstwirtschaft
vor der Entscheidung des Versicherungsträgers über die Festsetzung oder
Minderung der Bcnte Gelegenheit zu einer Aeußerung haben; das heißt, er
soll im Sinne der Beichsjustizgesetze „gehört“ werden.
Ganz anders als die Stellung der bezeichnten Personen ist aber die
Stellung des behandelnden Arztes im Bentenfestsetzungsverfahren* Et hat
regelmäßig kein erhebliches Interesse daran, wie die Entscheidung über den
Bentenanspruch des Verletzten ausfällt. Nicht im Interesse des Arztes und
nicht um dessen Bechte zu schützen, wie man nach dem Inhalt des Schreibens
der Beklagten an die behandelnden Aerzte annehmen müßte, ist die gedachte
Bestimmung getroffen. Vielmehr ist es der Verletzte, für den es häufig von
wesentlicher Bedeutung ist, daß vor der Beschlußfassung über seine Bente die
Meinung des behandelnden Arztes eingeholt werde. Dem letzteren ist daher
nicht ein Becht eingeräumt, sondern die Pflicht auferlegt worden, seine Eenntqia
auf Erfordern mitzuteilen. Er kennt den Verletzten und den Verlanf seiner
Krankheit in der Begel genau, kann häufig über die oft schwer zu beant¬
wortende Frage, ob ein Leiden erst durch den Unfall entstanden ist oder schon
früher vorhanden war, maßgebenden Aufschluß erteilen und vermag nicht
selten auch über andere für die Beurteilung des Entschädigungsanspruchs des
Verletzten wichtige Tatsachen Angaben zu machen. Auch ist die Anhörung
des behandelnden Arztes geeignet, ein etwa bestehendes Mißtrauen der Ver¬
letzten gegen Unparteilichkeit der berufsgenossenschaftlicheu Organe in einem
wesentlichen Punkte zu beseitigen. Daß solche Erwägungen tatsächlich für
die Einführung der in Bede stehenden Bestimmung bestimmend waren, erhellt
mit Sicherheit aus den Verhandlungen des Beichstags.
Die Vorschrift würde aber auch jeder praktischen Bedeutung ermangeln,
wenn die von der Beklagten ihr gegebene Auslegung richtig wäre. Dem} der
behandelnde Arzt wird sich der Mühe der Erstattung einer gutachtlichen
Aeußerung im allgemeinen nur dann unterziehen, wenn ihm eine solche nicht
nur anheimgestellt, sondern von ihm erfordert wird. Die Ansicht der Be¬
klagten, daß es Sache des Verletzten sei, den Arzt, nötigenfalls durch Zahlung
Kleinere Mitteilun££b tand Referate ans Zeitschriften.
155
einer Vergütung, zur Einreichung eines Gutachtens za veranlassen, ist offenbar
hinfällig. Träfe sie za, so würde die erst in die Unfallversicherungsgesetze
rote 30. Juni 1900 eingefügtc neue Bestimmung sachlich nichts Neues ge¬
schaffen haben and überflüssig sein. Denn die Beibringung ärztlicher Gut¬
achten auf eigene Kosten stand dem Rentensacher schon nach den früheren
Unfallversicherangsgesetzen za and Wäre ihm auch ohne jene Bestimmung nicht
verwehrt. Nicht der Rentenbewerber, sondern der Versicherungsträger soll
nach der Absicht der neuen Gesetze für eine Aeußerong des behandelnden
Arztes Sorge und die Kosten dieser Aeußerang tragen. Der Verletzte, der
häufig zudem keine Geschäftsgewandtheit besitzt, ist in vielen Fällen außer¬
stande, die Vergütung aufzubringen; vor allem fehlt ihm die Möglichkeit, den
Arzt zur Abgabe des Gutachtens zu nötigen, wenn dieser dessen Erstattung
ihm gegenüber ablehnt.
Dagegen ist den Ausführungen der Rekursschrift darin beizutreten, daß
eine Anhörung des behandelnden Arztes seitens der Berufsgenossenschaft dann
nicht mehr erforderlich ist, wenn bereits durch deh Verletzten ein ausreichendes
Gutachten dieses Arztes vorgelegt ist. § 75, Abs. 3 a. a. 0. verlangt lediglich,
dafl der behandelnde Arzt vor der Entscheidung über den Rentenansprnch zu
Worte gelange; hitagegen regelt sich die Frage, in welcher Form und ita
welchem Umfange das „Hören“ zu erfolgen hat, nach den Umständen des
Kinzelfalls und bleibt dem richterlichen Ermessen überlassen. Hiernach ist
zwar in bezug auf Dr. B. durch das von der Klägerin eingereichte Gutachten
vom 20. Mai 1903 dem § 75, Abs. 3 des Unfallversicherungsgesetzes für Land-
and Forstwirtschaft genügt. Jedoch ist der erstbehandelnde Arzt Dr. K. über¬
haupt nicht zu Worte gelangt, obwohl seine Anhörung nach Lage der Sache
zweifellos geboten war. Ist der Verletzte zu verschiedenen Zeiten von ver¬
schiedenen Anraten behandelt worden, so ist freilich nicht unter allen Um¬
ständen die Anhörung aller dieser Aerzte erforderlich, sondern cs muß dem
piiehtmäßigen Ermessen der entscheidenden Stellen überlassen bleiben, den¬
jenigen Arzt oder diejenigen Aerzte ausznwählen, welche nach Lage des Einzel¬
falls als „behandelnde Aerzte“ im Sinne des § 75, Abs. 3 a. a. 0. zu gelten
haben. Uebergeht die Beruisgenossensehaft einen Arzt, der infolge seiner Be¬
handlung in der Lage ist, der Sachbeurteilung dienliche wesentliche Auf¬
klärungen so geben, so verstößt sie gegen das vorgeschriebene Verfahren, und
es ist ihr nicht etwa bloß eine von den weiteren Instanzen auszugleichende
Cavollstiadigkeit in der sachlichen Klarstellung zur Last zu legen.
Im vorliegenden Falle sind nacheinander zwei Aerzte in gleicher Weise
u dem Heilverfahren beteiligt gewesen, ohne daß einer von beiden für sich
allein als „der behandelnde Arzt“ im Sinne des § 75, Abs. 8 des Unfall-
vermcherungsgesetzes für Land- und Forstwirtschaft betrachtet werden könnte,
>la keiner von ihnen den hier erforderlichen vollen Aufschluß über die Krank¬
heitsgeschichte zu geben vermag. Der in der Rekursschrift hervorgehobenc
Umstand, daß die Klägerin dem Dr. K. ihr Vertrauen anscheinend entzogen
and deshalb an seiner Stelle den Dr. B. zu Rate gezogen hat, ist für die hier
vorliegende Frage unerheblich. Denn da Dr. K. eine Zeitlang die Behandlung
der Klägerin allein geleitet hat, so bleibt er für diese Zeit der behandelnde
Arzt, gleichviel, ob er vor Beendigung des Heilverfahrens aus dieser Stellung
aosgeschieden ist oder nicht Seine Anhörung war um so mehr geboten, als
er die Klägerin unmittelbar nach ihrem angeblichen Unfall untersucht hat und
daher allein darüber Auskunft geben kann, ob damals bei ihr auf den Unfall
zirückzuführende Verletzungen festzustellen waren, und bejahendenfalls welche.
Durch das an Dr. K. gerichtete Schreiben vom 10. August 1903 *) hat
die Beklagte aber, wie oben dargelegt ist, der ihr durch § 75, Abs. 3 a. a. 0.
auferlegten Verpflichtung nicht genügt § 75, Abs. 3 des Unfallversicherungs¬
gesetzes für Land- und Forstwirtschaft ist somit verletzt worden, und dieser
verstoß begründet einen wesentlichen Mangel des Verfahrens, der das Schieds¬
gericht berechtigte, die Sache in entsprechender Anwendung des g 539 der
Zivilprozeßordnung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.
*) Es war in diesem den Aerzten eine gutachtliche Aeußerung nur an-
bfimgesteilt; beide Aerzte hatten demzufolge das Schreiben unbeantwortet
gelassen.
166
Tagesnachrichten.
Tagesnachrichten.
Bei Beratung des preußischen Medizinaletats in der Budget-
kommisslon wurden yon der Regierung über die Preisfestsetzung des Diph¬
therieserums, sowie über die mit den Höchster Werken abgeschlossenen
Verträge weitere Mitteilungen gemacht. Danach wird sich diese bemühen, die
weiteren von Prof. v. Behring gemachten Versuche zu verwerten und den
Preis des Diphtherieserums möglichst herabzusetzen. Bemängelt wurde von
seiten einzelner Kommissionsmitglicder die Empfehlung einer bestimmten Firma
zur Anschaffung von Instrumenten für die Hebammen; desgleichen
wurde auch über die infolge der Ortsbesichtigungen durch die Kreisärzte, zu
hohen an die Gemeinden gestellten Anforderungen geklagt, während im übrigen
diese Besichtigungen selbst als nützlich bezeichnet wurden. Ordinarium und
Extraordinarium des Etats wurden hierauf bewilligt.
Das im Kaiserlichen Gesundheitsamte festgestelltc Ver¬
zeichnis von Krankheiten und Todesursachen ist jetzt in einer Sonderbeilage
zu Nr. 5 der „Veröffentlichungen des Gesundheitsamts“ bekannt gegeben und
auch bereits von einzelnen Bundesregierungen, z. B. Bayern durch Erlaß des
Königl. Minist, vom 14. Januar 1905 eingeführt. Das Verzeichnis entspricht
dem durch Min.-Erl. vom 22. April 1904 für Preußen eingeführten (s. Bei¬
lage zu Nr. 11 dieser Zeitschrift, 1904, S. 126); von seinem Abdruck ist des¬
halb Abstand genommen. _
Nach einer Bekanntmachung im „Reichsanzeiger“ vom 23. Februar 1905
soll die Einführung einer einheitlichen deutschen Arzneitaxe vom 1. April
d. J. ab erfolgen. Den Bundesregierungen ist es überlassen geblieben, einen
Nachlaß (Rabatt) für Arzneilieferungen an öffentliche Anstalten und Kassen
und an solche Vereine und Anstalten, welche der öffentlichen Armenpflege
dienen, sowie für Tierarzneien vorzuschreiben.
Im Großherzogtum Sachsen-Weimar ist eine Nenordnnng des Apo¬
thekenwesens beabsichtigt. Dem dortigen Landtage ist eine Vorlage za¬
gegangen, durch die der § 107 der Medizinalordnung vom 1. Juli 1858 folgende
Neufassung erhalten soll:
„Wer das Apothekergewerbe außerhalb einer mit einem Privilegium
versehenen Apotheke betreiben will, bedarf einer Konzession des Staats¬
ministeriums (vorbehaltlich jedoch der bei Erlassung des gegenwärtigen Ge¬
setzes etwa bereits bestandenen Konzessionsberechtigungen). Die Erteilung
der Konzession ist abhängig von dem Vorhandensein eines Bedürfnisses und
zweckmäßig belegener und beschaffener Räumlichkeiten zum Betrieb des Ge¬
werbes. Ueber das Vorhandensein dieser Voraussetzungen sind die Gemeinde¬
behörden und der Bezirksausschuß zu hören. Die Konzession darf nur an
Apotheker erteilt werden, deren Vorleben und Persönlichkeit eine genügende
Gewähr für die gesetzmäßige und zuverlässige Verwaltung einer Apotheke
bietet. Realgewerbeberechtigmigen zum Betrieb von Apotheken dürfen fortan
nicht mehr begründet werden. Rticksichtlieh des Gewerbebetriebes in den jetzt
mit einem Privilegium versehenen Apotheken bewendet es bei den bisherigen
Vorschriften. Der Betrieb de9 Apothekergcwerbes außerhalb einer privilegierten
Apotheke ist einer jährlichen Betriebsabgabe unterworfen, deren Höhe nach dem
Ertrag des Apothekergewerbebetriebes zu bemessen ist und von dem Staats¬
ministerium festgesetzt wird. Innerhalb eines Bezirks, für den Verbreitungs¬
rechte gegen Anlegung weiterer Apotheken als Bestandteile des Privilegs einer
oder auch mehrerer Apotheken verliehen worden sind, sollen Apotheker zur
Ausübung ihres Gewerbes, so lange diese Verbreitungsrechte nicht beseitigt
sind, nicht konzessioniert werden. Solche Verbreitungsrechte bleiben auf den
Bezirk (Amtsbezirk, Gemeindebezirk, Stadtweichbild usw.), für die sie zur Zeit
gelten, beschränkt und ergreifen nicht die Vergrößerungen, welche den Bezirk
Zuwachsen.“
Danach soll für Neuanlagcn die Personalkonzession eingeführt
nnd der Betrieb dieses Apothekengewerbes einer jährlichen Betriebsabgabc
unterworfen werden. Ein späterer Gesetzentwurf soll eine Art Ablösung der
bestehenden Rechte bringen. _
Tagesnachrichten.
167
Zur Bekämpfung der Bleigefahr hat die Internationale Vereinigung für
gesetzlichen Arbeiterschutz soeben einPreisausschreiben erlassen, dessen
Bedingungen in der „Sozialen Praxis“ veröffentlicht werden. Es handelt sich
hierbei um einen Preis von 5000 Mark für die beste Schrift über die Be*
scitigung der Bleifarben bei der Förderung und Auf Bereitung
ron Bleierzen, ferner um einen Preis von 10000 Mark für die beste Schrift
betreffs der Bleigefahren in Bleihütten, um zwei Preise von 2500 M.
bezw. 1500 M. für die besten Schriften über die Beseitigung der Blei*
gefahren bei der chemischen Verwendung von Blei in Blei¬
farbenwerken; ferner sind vier Preise von 1500, 1000 und je 750 M. für
die besten Schriften über die Vermeidung der Bleigefahr im (be¬
werbe der Anstreicher, Maler usw. ausgesetzt. Endlich sollen die
baten Schriften über die Beseitigung der Bleigefahr in Schrift¬
gießereien, Buchdruckereien und dergl. vier Preise von 1500 M. bis
herab zu 750 M. erhalten. Die Mitglieder des Preisrichterkollegiums werden
big Ende Juni d. J. namhaft gemacht werden. Alle Bewerbungen sind an das
Internationale Arbeitsamt in Basel zu richten.
Der Zweite Kongress der Deutschen Gesellschaft, zur Bekämpfung
der Geschlechtskrankheiten findet am 17. und 18. März d. J. in München
statt. Als Tagesordnung ist festgestellt: Donnerstag, den 16. März,
nachmittags 4 Uhr: Ausschussitzung im magistratischen Beratungssaal. Neues
Rathaus U. Stock. Abends 8 Uhr gemeinsames Abendessen in der Weinhand-
long von Heinrich Eckel, Burgstraße 17/0. Freitag, den 17. und Sams-
t»g, den 18. März: Vormittags von 9*/*—12*/* und nachmittags von 2—5 Uhr
Strang im großen Saale des alten Bathauses: 1. „Aerztlichcs Be¬
rufsgeheimnis und Geschlechtskrankheiten“ (Beferenten: Geb. Bat Dr. N e i s s e r
[Breslau], Justizrat Dr. Bernstein [München] u.Prof. Dr. F1 esch [Frankfurt
*.£.]); 2. „Bordelle u. Bordellstraßen“ (Beferenten: Prof. Dr. Wolff [Straßburg],
Dr.Stachow [Bremen], Bechtsanwalt Dr. Hippe [Dresden], Prof. Dr. v. Dü¬
ring [Kiel], Frau Henr. Fürth [Frankfurt a. M.], Dr. Fabry [Dortmund]);
3. „Strafbarkeit der Ankündigung von Schutzmitteln zur Bekämpfung der
Geschlechtskrankheiten“ < Beferenten: Dr. 0. Neustätter [München], Georg
Bernhard [Berlin], A. Meyerhof [Hildesheim]). Freitag, den 17. März,
abends 8 Uhr, findet im großen Saale des „Hotel vier Jahreszeiten“,
Maximilianstraße 4, ein Festessen statt.
Der IV. Kongress der deutschen Gesellschaft für orthopädische
Chirurgie findet am 25. April in Berlin (Langenbeckhaus), unmittelbar vor
dem Chirurgen-Kongreß statt.
Der 22. Kongress für innere Medizin findet vom 12.—16. Ap ril 1905
raWiesbaden statt unter dem Vorsitze des Herrn Geheimrat Prof. Dr. E r b -
Heidelberg. Als Verhandlungsthema des ersten Sitzungstages ist bestimmt:
Feber Vererbung. 1. Beferat: Ueber den derzeitigen Stand der Vererbungslehre
ia der Biologie: Herr H. E. Ziegler- Jena, 2. Beferat: Ueber die Bedeutung
der Vererbung und der Disposition in der Pathologie mit besonderer Berücksich¬
tigung der Tuberkulose: Herr Martins -Bostock. Vorträge haben angemeldet:
Herr A-Hoffmann - Düsseldorf: Ueber Behandlung der Leukämie mit Böntgcn-
strahlen: Herr Paul Krause-Breslau: Ueber Böntgonstrahlenbchandlung der
Leukämie und Pseudoleukämie; Herr Schütz-Wiesbaden: Untersuchungen
aber die Schleimsekretion des Darmes; Herr M. Matth es- Jena: Ueber Auto-
lyse; Herr C1 e m ra - Darmstadt: Ueber die Bedeutung der Heftpflasterstütz-
rerbände für die Behandlung der Bauchorgane; Herr Siegfried Kamin er und
Herr Ernst Meyer- Berlin: Experimentelle Untersuchungen über die Bedeutung
des Applikationsortes für die Beaktionshöhe bei diagnostischen Tuberkulin-
iajektionen; Herr A. Bi ekel-Berlin: Experimentelle Untersuchungen überden
Eiafiuß von Kochsalzthermen auf die Magensaftsekretion; Herr Aug. Laqueur-
Berlin: Mitteilungen zur Behandlung von Herzkrankheiten mit Wechselstrom¬
bädern ; Herr Aufrecht - Magdeburg: Erfolgreiche Anwendung des Tuberkulin
bei sonst fast aussichtslos kranken fiebernden Phthisikern; Herr Hornberger -
Frankfurt a. M.: Die Mechanik des Kreislaufes; Herr Bumpf-Bonn: Ueber
chemische Befunde im Blute und in den Organen bei Nephritis; Herr L. Gtt-
168
T&gestiachrichten.
fisch-Parchwitz: Oie tonslllare Radikaltherapie des Gelenkrheumatismus (mit
Demonstrationen); Herr Rothschild-Soden a. T.: Der angeborene Thora»
paraliticus; Herr 0. H e i e 1 - Wiesbaden: 1. Beitrag zu den Frtihsymptomen der
Tabes dorsalis; 2. Ueber eine gelungene Nervenpfropfung, ausgeffthrt mir
Heilung einer alten stationär gebliebenen Lähmung einiger Muskeln aus dem
Gebiete des N. peroneus; Herr Bernh. Fis eher-Bonn: Ueber Arterien-
erkrankungen nach Adrenalininjcktionen; Herr Gerhardt-Erlangen: Beitrag
zur Lehre von der Mechanik der Klappenfehler; Herr Lttthjc-Tübingen:
Beitrag zum experimentellen Diabetes; Herr Kohnstamm -Königstein i. T.:
Dia zentrifugale Strömung im sensiblen Nerven; Herr Goldman-BrennbUrg-
Sopron: Neuere Beiträge zur Eisentherapie bei Chlorose und Anämie; Herr
Frtedel Pick-Prag: Ueber Influenza; Herr Turban-Davos: Demonstration
uud Erläuterung mikroskopischer Präparate: 1. Tuberkelbazillen: Kern- und
Membranbildung; 2. Elastische Fasern: Fettorganisation und DoppelfKrbung;
3. Geheilte Kaverne; 4. Tuberkulose und Karzinom.
Mit dem Kongresse ist die übliche Ausstellung von Instru¬
menten, Apparaten und Präparaten, soweit sie für die innere
M edizin von Interesse sind, verbunden.
Anmeldungen von Vorträgen und für die AussteUung sind zu richten an
Gcheimrat Dr. Emil Pfeiffer, Wiesbaden, Parkstraße 18.
Ülprechsaal.
Kreisarzt Vr. R. in I. Anfrage I: Wo findet sich die Verfügung
des Herrn Justizministers vom 27. Oktober 1877, wonach für Obduktion
einer mehr als 6 Wochen alten Leiche die erhöhte Obduktlonsgebflhr an
zahlen ist, auch wenn die Leiche nicht beerdigt war?
Antwort: Ia Simeon: „Gerichtskostengesetz“; 2. T., S. 39.
Anfrage II: Wo findet sieh die Bestimmung, dass der Sachverständig«
nach pfllchtgemässetn Ermessen festzustellen hat, ob mehr als 6 Wothea
seit dem Tode einer Person verflossen sind?
Antwort: Eine solche Bestimmung ist nicht erlassen; sie ergibt sich
aber aus dem Umstande, daß in den Fällen, in denen der Todestag unbekannt
ist, lediglich das auf Grund des Leichenbefundes von dem Sachverständig«*
abzogebende Urteil Uber die nach dem Tode verflossene Zeitdauer maßgebend
sein kann.
Kreisarzt Br. 8.-8. in B. Anfrage I: Darf bei dem Zusammen¬
treffen einer Reise im staatlichen Interesse und einer Reise in einer
gerichtlichen Obduktion anf einen Tag die volle Gebühr für die Obduktion
in das Gebtthrenverzeiohnis aufgenommen werden, obwohl nur die Hälfte
dafür liquidiert worden kann?
Antwort: In das Gebührenverzcichnis ist die volle Obduktions-
f ebühr mit 12 Mark ab pensionsfähig einzutragen; denn nach dem Erlaß vom
4. März 1902 — M. Nr. 882 — sind die nicht vollbesoldeten Kreisärzte
berechtigt, hei Wahrnehmung von Dienstgeschäften außerhalb ihres Wohn¬
ortes von den erhobenen Tagegeldern soviel in das Gebührenverzeichnis auf-
zunchmen, als der Gebühr entspricht, welche sie wahlweise nach § 5 des
Gesetzes vom 9. März 1872 hätten beanspruchen können.
Anfrage II: Darf man bei einer Dienstreise, welche nur dann im
einem Tage ansgefllhrt werden kann, wenn man einen Eisenbahtzug
benutzt, der um 4 Uhr 50 Mia. Vormittags vom WohnoTte abgeht, Tage¬
gelder für 2 Tage liquidieren, wenn man diesen Zug benutzt — wozu um
nicht verpflichtet ist — and die Reise in einem Tage beendet?
Antwort: Nein! Nach den bestehenden Bestimmungen bt ein Be¬
amter nicht verpflichtet, des Vormittags 4 Uhr 50 Min. eine Rebe anzutreten -
tut er es aber trotzdem, so hat er auch dann nicht die Berechtigung, für
zwei Tage Tagegelder zu berechnen, wenn bei einem späteren Antritt der Bebe
die. Dienstgeschäfte nicht an einem Tage hätten erledigt werde* können.
Anfrage des Kreisarztes Br. v. K. n. Sch.: Welche Ffrttta liefert
Amtsschflder fflr Kreisärzte mit heraldbchetn Adler?
Antwort: Carl Hellmuth, Stempel-und Schilder-Industrie, Cassel-
Wehlheiden. Preis ebes derartigen massiven Schildes: 7,50 Mk.
Tagesordn. zur XXIX. Hauptversammlung des Preuß. MedizinalbeamUmverains. Iö9
ß^r|«lltt(IUi(e«: In Nr. 4 auf 8. 114 Zeile 18 «ad 19 von oben
muß es „nationalem* bezw. „nationalen“ statt „rationellem* bezw.
.rationellen* heißen.
Auf Seite 97, Z. 12 von oben maß es heißen: „Tasche ohne* (statt mit)
i l L rgn>C kostet nur 19 Mark.* Gleichzeitig wird bemerkt, daß dte hier be¬
schriebene Harbarger Hebammentasche voa der Firma Wilhelm Holz¬
hauses* Marburg (Steinweg Nr. 1) hergestellt und von dieser za dem in
Nr. 4 angegebenen Preise (gefüllt : 88 Mark, mit Beigabe eine« gestanzten
Sterilisators and einer Spiritaslnmpe: 48 Mk., ohne Instrumente: 13 Mark)
geliefert wird.
Preuesteclter Medfeinalbeamtenverein.
xxn. Hauptversammlung
in
Tagesordnung:
Donnerstag, den 27. April:
9 Uhr abends: Gesellige Vereinigung zur BegrUssung
(mit Damen) in dem reservierten Saale des Hotels „Vier
Jahreszeiten*, Aegidientorplatz Nr. 2.
Freitag, den 28 . April:
8 Uhr vormittags: Erste Sitzung w Ratha use stOe
(Köbelingeratrasse Nr. 60, in der Nähe der Marktkirche).
L Mfiug der Versammlung.
1 Geschäfte- and Kassenbericht ; Wahl der Kassonreviooren.
*. Der preussische Wohnungsgesetzentwnrf vom gesundheitlichen
Standpunkte. Referent: Med.-Rat Dr. H a a s e, Kreisarzt in Danzig:
4, Die Verhütung and Bekämpfung des Kindbettßebers. Referent.
Kreisarzt Dr. Kr ohne, medizinischer Hilfsarbeiter bei der Königl.
Regierung in Düsseldorf.
». Die praktische Durchführung den Desinfektion auf, dem pteilte»
Lende. Referent: Kreisarzt Dr. Romeiok in Mohrungen.
Nach Schluss der Sitzung: Besichtigung der tier¬
ärztlichen Hochechule (Afisburgerdamm Nr. 16); Fahrt
mit der elektrischen Strassenbahn.
4 l / t Ubr abends: Festessen mit Damen im Hötel Kasten,
Theaterplatz 9.
7 1 /» Uhr- a b e nds ? Besuch» desHoftheater» oder eines anderen
Theaters; lür die ein Theater nicht besuchenden Mitglieder
Zusammenkunft im Restaurant „Bristol* Mn Bahnhof.
Sonnabend, den 29. Aprii:
0 Uhr vormittags : Zweite Sitzung im Rathaussaale.
1. Die gerichtsärztliehe Beurteilung der-Kurpfuscherei «Delikte. Refe¬
renten: 1. Prof. Dr. Puppe, Gerichtsarzt in Königsberg i. Pr.
2. Amtsgerichtsrat v. Jhering in Hannover,
i Vcndaadairahl ; Bartete de» KaascnreviBozeiw
160 T&gesordn. zur XXII. Hauptversammlung des Prenß. Medizinalbeamten Vereins.
8. Die Aufgaben der Medizinalbeamten ln bezug auf die Fürsorge für
Geisteskranke, Epileptische und Idioten. Referent: Gerichtsarzt
Dr. Schwabe in Hannover.
Nach. Schluss der Sitzung: Gemeinschaftliches Essen
(mit Damen) nach der Karte im Ratskeller.
£ XJhr nachmittags: Besichtigung der städtischen
Wasserwerke nebst Enteisennngsanlage, des städti¬
schen Krankenhauses I und der bakteriologischen
Untersuchungsstelle der Regierung (Herschelstr. 25).
Die Besichtigungen schliessen sich unmittelbar aneinander
an; die Entfernungen werden mit bereitgehaltenen Wagen
zurückgelegt.
7 TJhr abends: Besuch eines Theaters; hierauf Gesellige
Zusammenkunft im Restaurant „Rheinischer Hof*.
Sonntag, den 30. April:
Bei genügender Beteiligung: 11 XJhr Yormittags: Ausflug
nach der an Sehenswürdigkeiten reichen, altehrwürdigen
Nachbarstadt Hildesheim (Fahrt mit der elektrischen
Strassenbahn von Cafe Kröpke ab [Theaterplatz 16 B]*
Rückkehr gegen 6 Uhr abends).
Das Nähere betreffs der Veranstaltungen des Lokal-Damen-
komitees, der Besichtigungen und des Ausfluges wird
am Begrüssungsabend bezw. in den Sitzungen bekannt gegeben;
Bestellungen von Wohnungen sind unter Angabe etwaiger Wünsche
betreffs der Lage, Zahl der Betten, des Preises usw. rechtzeitig an den Vor¬
sitzenden des Wohnungsausschuß cs, H. Kreisarzt Dr. Berger in
Hannover vom 1. April an zu richten. Als geeignet gelegene Hotels (sämt¬
lich im Zentrum der Stadt oder am Bahnhof) sind zu empfehlen: „Hötel
Royal“, „Kastens Hötel (Georgshalle)“, „Hötel Bristol“ (Preis für Wohnung
von 3 M. 50 Pf. an), „Rheinischer Hof“ (Wohnung mit Frühstück von 3 M.
50 Pf. an), „Hötel Monopol“ (Wohnung von 3 M. an), Hötel „Vier Jahres¬
zeiten“ (Wohnung von 2 Mark 50 Pf. an), „Hötel Hannover“, Joachimstr. 1
(Wohnung mit Frühstück von 3 Mk. an).
Indem der Unterzeichnete Vorstand auf eine recht zahlreiche
Beteiligung der Vereinsmitglieder hofft, bittet er, etwaige Wünsche
oder Diskussionsgegenstände bis zum 1. April d. J. dem Vor¬
sitzenden des Vereins gefälligst mitteilen zu wollen.
Der Vorstand des Preussischen Medizinalbeamtenvereins.
Dr. Rapmund, Vorsitzender,
Reg.- u. Geh. Med.-Rat
in Minden.
Dr. Elten,
Kreisarzt und Med.-Rat
in Berlin.
Dr. Flelltz, Schriftführer,
Kreisarzt u. Med.-Rat
in Halle a./S.
Prof. Dr. 8trassmann,
Gerichtsarzt in Berlin.
Dr. Wodtke,
Reg.- u. Med.-Rat in Merseburg.
Verantwort! Redakteur: Dr. Rapmund, Reg.- u. Geb. Med.-Rat in Minden i. W.
J. C. O. Brau, Henofl. Wehs. u. F. Sch.-L. Hofbucbdrnckecet ln Maden.
18. Jahrg.
1905
Zeitschrift
für
MEDIZINALBEAMTE.
ZentnJbhtt fir gerieiitUdie Me4izia u4 Psychiatrie,
tir iratliek Sadferstaadigentatigkeit in Unfall- nnd Invaliditatosachen, sowie
fir Ijgieae, öfeatL Sanitätswesei, Medizinal - Gesetzgebung and Kcditepreckang.
Herausgegeben
▼on
Dr. OTTO RAPMÜND,
Regltningi- and Geh. Medixinalrat io Minden,
Verlag von Fischers mediz. Buehhandlg, H. Kornfeld,
HeraogL Bayer. Hof- n. ErshanogL g a mm e r -B a e Mila aie r .
Berlin W. 85, Lützowstr. 10.
Inserate nehmen die VerUgshandlonr sowie eile Annonoen - Expeditionen des In-
nnd Auslandes entgegen.
Nr. 6.
Erscheint am 1. nnd IS. Jeden Monats.
15. März.
Die neuen preussischen Vorschriften vom 4. Januar 1905
für das Verfahren der Gerichtsärzte bei den gericht¬
lichen Untersuchungen menschlicher Leichen.
Vom Herausgeber.
(Fortsetzung.)
B. Innere Besichtigung.')
Allgemeine Bestimmungen.
§ 13. Behnls der inneren Besichtigung sind die drei Hanpthöhlen
des Körpers: Kopf- Brust- nnd Bauchhöhle zu öffnen. 1 )
In allen Fällen, in welchen von der Oeffnung des Wirbelkanals oder
einzelner Gelenkhöhlen irgend erhebliche Befunde erwartet werden können, ist
dieselbe nicht zu nnterlassen.
Besteht ein bestimmter Verdacht in bezng auf die Ursache des Todes,
;o ist mit derjenigen Höhle zn beginnen, in welcher sich die hauptsächlichen
') Es sind stets sämtliche Körperhöhlen zn öffnen, auch wenn die
Todesursache schon bei der Oeffnung einer oder zweier Höhlen scheinbar ge¬
funden ist. Ob im Einzelfalle von der inneren Besichtigung einer Leiche ü b e r -
banpt Abstand genommen werden kann, hat lediglich der Richter zu ent¬
scheiden. Zulässig dürfte dies nnr sein, wenn über die Todesursache auf GrUnd
der äußeren Besichtigung nnd der sonstigen Beweismittel kein Zweifel besteht,
i- B. wenn dnreh dasselbe Ereignis mehrere Personen getötet sind nnd die
Todesursache durch die Oeffnung von ein oder zwei Leichen zweifellos ermittelt
ist. Voraussetzung ist dabei jedoch stets, daß eine andere Todesursache auch
uar als mitwirkende nach Lage der Sache ausgeschlossen ist.
*) Es ist hierbei auch anf auffallende Gerüche zn achten, z. B. auf
Chloroform oder nach sauren Aepfeln (Diabetes mellitos), nach bitteren Mandeln
! Blausäurerergiftnng), nach Zwiebeln (Phosphorvergiftung), nach Knoblauch
(Armrergiftung).
182 Die neuen preußischen Vorschriften für des Verfahren der Gerichts ärate
Veränderungen vermuten lassen; andernfalls ist zuerst die Kopf-, dann die
Brust- und zuletzt die Bauchhöhle zu untersuchen. 1 )
Zuerst ist die Lage der in jeder der bezeichneten Höhlen befindlichen
Organe, sodann die Farbe und Beschaffenheit der Oberflächen und ferner anzu¬
geben, ob sich ein ungehöriger Inhalt vorfindet, namentlich fremde Körper,
Gas, Flüssigkeiten oder Gerinnsel; die beiden letzterwähnten Befunde sind nach
Maß oder Gewicht zu bestimmen. Endlich ist jedes einzelne Organ äußerlich
und innerlich zu untersuchen. Bei anscheinenden Grössenabweichungen der
Organe hat ebenfalls eine Bestimmung derselben durch Messung oder Wägung
zu geschehen.*) *)
I. Kopfhöhle.
§ 14. Die Oeffnung der Kopfhöhle geschieht, wenn nicht etwa Ver¬
letzungen, die soviel als möglich mit dem Messer umgangen werden müssen,
ein anderes Verfahren gebieten, mittels eines von einem Ohr zum andern mitten
über den Scheitel hin geführten Schnittes, worauf zunächst die weichen Kopf¬
bedeckungen nach vorn und hinten abgezogen werden.
Nachdem alsdann die Beschaffenheit der Weichteile mit Einschluss der
Beinhaut und nach Entfernung der Beinhaut die Oberfläche der knöchernen
Schädeldecke geprüft worden ist, 4 ) wird diese durch einen Sägen-Kreisschnitt
getrennt/).abgenommen®) und sowohl die Schnittfläche 7 ) und die Innenfläche
untersucht, als auch die sonstige Beschaffenheit des Schädeldaches festgestellt.')
Hierauf wird die äußere Oberfläche der harten Hirnhaut 9 ) untersucht, der
*) Betreffs des Verfahrens bei Neugeborenen s. §§ 22 und 23.
*) Bei jedem Organ ist außer Lage, Farbe, Gewicht, Blut¬
gehalt usw. auch die Gestalt und Festigkeit (durch Befühlen) zu be¬
rücksichtigen. Die durchschnittliche Größe und das Gewicht ist bei den
einzelnen Organen später in Anmerkung angegeben; bei vergleichender Ab¬
schätzung der Größe und des Gewichts eines Organs muß immer das Ver¬
hältnis zum Gesamtkörper beachtet werden.
•) Finden sich krankhafte Geschwülste, so ist ebenfalls ihre Lase
im Verhältnis zur Umgebung (ob abgekapselt, scharf abgegrenzt, beweglich,
verwachsen usw.), Farbe, Größe, Gestalt und Festigkeit, Blutgehalt, Be¬
schaffenheit der Schnittfläche usw. festzustellen.
4 ) Es ist hierbei besonders auf das Vorhandensein von Blutaustritten
in oder unter den weichen Kopfbedeckungen, oberhalb oder unterhalb der
Beinhaut, sowie auf Verletzungen des knöchernen Schädeldaches zu achten (s
auch Anm. 5).
*) In der Höhe des größten Umfanges (zwischen Stirn- und Hinterhaupt¬
höcker).
*) Das Abheben des Schädeldaches geschieht am besten mit Hülfe eines
Meißels. Ist die harte Hirnhaut mit dem Schädel verwachsen, so ist sie vorher
sorgfältig mit der Schere oder einen Skalpell zu durchtrennen und mit dem
Schädeldach zusammen abzuheben; ist sie vom Gehirn nicht abziehbar, so wird
dieses am besten gleich kunstgerecht mit herausgenommen.
7 ) Bei der Schnittfläche des Schädeldaches kommt die Dicke
der Knochen, die Farbe der Marksubstanz und der Blutgehalt in Betracht;
die Dicke beträgt durchschnittlich 0,6 cm; am Hinterhaupt 1,0—1,6 cm, am
Schläfenbein dagegen nur 0,1—0,2 cm.
*) Es ist demgemäß auf die Gestalt (etwaige Ungleichheiten) des
Schädels (Längendurchmesser beim Mann 17—18 cm, beim Weibe 16,8 cm,
Querdurchmesser 18,6—16,6 cm, Umfang 49—65 cm), auf Verletzungen, Ver¬
knöcherung der Nähte, Vorhandensein von Schaltknochen usw. zu achten, des¬
gleichen durch Halten gegen das Licht auf etwaige durchscheinende dünne,
Stellen. Bei Betrachtung der Innenfläche des Schädeldaches ist auf
die Erkennbarkeit der Impressiones digitatae und Juga cerebraüa, auf Gruben
für Pacchionische Granulationen, sowie auf Vertiefung der Furchen für die
Meningealarterien zu achten.
®) Die Untersuchung der vorher mit Wasser abzuapülenden äußeren
Oberfläche der harten Hirnhaut hat sich auf Glanz, Farbe (normal: grau-,
weiß), Spannung (durch Aufheben einer Falte mittels Pinzette), DurcMchtig-
keit (bei nicht verdickter Hirnhaut schimmern die Gehirnwandungen durch)
bei den gerichtlichen Untersuchungen menschlicher Leiche«.
163
obere lange Blatleiter geöffnet and sein Inhalt bestimmt, sodann die harte
Hirnhaut zuerst auf einer Seite getrennt, zurückgeschlagen und sowohl die
imere Oberfläche derselben, als auch die Beschaffenheit der vorliegenden Ab¬
schnitte der weichen Hirnhaut untersucht. 1 )
Nachdem dasselbe auch auf der anderen Seite geschehen uud der Sichel¬
fortsatz an einer vorderen Ansatzstelle abgetrennt worden ist,*) wird die harte
Hirnhaut nach hinten zurückgeschlagen, wobei das Verhalten der in den Längs-
blutleiter einmündenden Blutadern vor ihrer Durchtrennung au beachten ist.
Nunmehr wird das Gehirn kunstgerecht herausgenommen,*) wobei sofort auf die
Anwesenheit eines ungehörigen Inhalts am Schädelgrunde zu achten ist. Es
wird nun zunächst die Beschaffenheit der weichen Hirnhaut 1 ) am Grunde und
den Seitenteilen, insbesondere auch in den Seitenspalten (Sgloischen Spalten oder
Gruben) ermittelt, auch das Verhalten der größeren Schlagadern, welche auf¬
zuschneiden sind,*) sowie der Nerven festgestellt.
Nunmehr wird die Größe und Gestalt des Gehirns 3 ) im ganzen wie seiner
einzelnen Abschnitte und Windungen betrachtet und durch eine Reihe geordneter
Schnitte die Untersuchung der einzelnen Hirnteile, namentlich der Großhirn¬
hemisphären, der großen Ganglien (Seh- und Streifenhttgel nebst Linsenkem ),
der Yierhügel, des Kleinhirns, der Brücke und des verlängerten Markes vor-
genommen, wobei namentlich die Farbe, die Füllung der Gefäße, die Konsistenz
und die Struktur festzustellen sind. 6 )
und Blutgehalt (Füllung der Gefäße) zu erstrecken. Ihre Abtrennung ge¬
schieht am besten mit nach oben gehaltener Messerklinge längs der Säge-
flache; bei ihrem Abziehen ist auf etwaige Verwachsungen mit der weichen
Hirnhaut zu achten und bei Betrachtung Ihrer Innenfläche festzustellen, ob
diese feucht, glatt und glänzend ist, ob etwaige Blutaustritte vorhanden
sind usw.
*) Beschaffenheit der weichen Hirnhaut (Spinnewebenhaut —
Arachnoidea, Subarachnoidalräume und weiche Hirnhaut — Pia mater — zu¬
sammengenommen) : Ob ihre Oberfläche feucht, glatt, glänzend und durchsichtig
ist; Blutgehalt (Füllung ihrer Gefäße); ob eitriger oder wässeriger Inhalt im
Gewebe; ob leicht oder schwer abziehbar; Pacchionische Granulationen.
*) Die Abtrennung des Sichelfortsatzes geschieht am besten in der
Weise, daß man von vorn her mit dem parallel zum Fortsatze gehaltenen
Messer in die Tiefe zwischen beide Hirnhalbkugeln bis in die Gegend des
Hahnenkammes geht, das Messer dann um 90° wendet, so daß die Schneide
gegen den Sichelfortsatz gerichtet ist, und diesen hierauf durch einen leichten
Druck durchtrennt.
*) Die Herausnahme des Gehirns hat ohne Zerrungen zu geschehen.
Es wird dies am besten durch Beachtung der nachstehenden Vorschriften der
Sächsischen Anleitung erreicht: „Mit der linken Hand wird der vordere Teil
da Großhirns vorsichtig emporgehoben, während die Hirnnerven und die Gefäß-
Himme in der Richtung von vorn nach hinten durchschnitten werden; das
Kleinhirnzelt wird durch zwei unmittelbar hinter dem Felsenbein durchlaufende
•Schnitte durchtrennt. Es wird hierauf das Gehirn noch weiter emporgehoben,
das Kleinhirn mit dem verlängerten Mark und der Brücke vorsichtig unter¬
stützt und mit einem langen, in den oberen Teil des Wirbelkanals eingeführten
Messer das Bückenmark mit seinen Häuten quer durchschnitten.“
*) Bei Eröffnung der größeren Schlagadern sind besonders etwaige
Gerinnungen festzustellen.
*) Nicht nur die Größe, sondern auch das Gewicht des Gehirns
uad seine Gestalt (ob beide Hälften symmmetrisch, Gyri abgeplattet oder
rerbreitert sind) sind festzustellen. Die Länge des Gehirns beträgt im Durch¬
schnitt beim Manne 16—17 cm, beim Weibe 15—16 cm, die Breite 18—14 cm,
die Höhe 11—12,5 cm, das Gewicht 1400 (1250—1550) bezw. 1275 (1050 bis
1550) g.
*) Heber den Gang der Untersuchung des Gehirns werden ebenso
wie früher nur allgemeine Vorschriften gegeben, während diese z. B. in Bayern
Iris in die Einzelheiten (Art und Reihenfolge der zu führenden Schnitte usw.)
festgelegt sind. Puppe empfiehlt hierzu folgendes Verfahren:
Den ersten Akt bildet die Eröffnung der Hirnhöhlen. Das
164 Die neuen preußischen Vorschriften für das Verfahren der Gerichtsärzte
Die Ansdehnung und der Inhalt der einzelnen Hirnhöhlen, sowie iie Be¬
schaffenheit and Gefäßfüllung der oberen Gefäßplatte sowie der verschiedenen
Adergeflechte sind bei den einzelnen Abschnitten besonders ins Ange za fassen,
auch das Vorhandensein etwaiger Blutgerinnsel außerhalb der Gefäße zu ermitteln.
Den Schluß macht die Untersuchung der harten Hirnhaut des Schädel¬
grundes, die Eröffnung und Untersuchung der queren, und falls ein Grund dazu
vorliegt, der übrigen Blutleiter und ihres Inhalts und endlich nach Entfernung
der harten Hirnhaut die Untersuchung der Knochen des Grundes und der
Seitenteile des Schädels. 1 )
Gehirn wird auf seine Grundfläche gelegt, die weiche Hirnhaut wird abgezogen,
hierbei ist auf etwaige Verwachsungen zu achten; dann wird zunächst durch
einen seichten Schnitt, etwa 3 mm links von der Mittellinie des Balkens, das Dach
der linken Seitenhöhle eingeschnitten und hierbei sofort auf die Anwesen¬
heit etwaigen Inhalts (ob klar, trüb, blutig, eiterig usw., die Menge beträgt
bei normalen Verhältnissen etwa einen Teelöffel voll klarer Flüssigkeit) ge¬
achtet. Darauf werden Vorder- und Hinterhorn dieser Höhle eröffnet, indem
man mit der Messerspitze, und zwar mit nach vorn gehaltener Klinge,
in das Vorderhorn eingeht und sodann in der Richtung des Vorderhornver¬
laufes um die Messerspitze mit der Klinge annähernd einen Winkel
von 180 Grad beschreibt. In entsprechender Weise wird auch das Hinter¬
horn eröffnet. Danach wird am seitlichen Rande der nunmehr eröffneten
Seitenhöhle entlang eine steile Umschneidung des Seh- und Streifenhügels vor¬
genommen, worauf die linke Großhirnhälfte ohne weiteres sich auf die Seite
legen läßt. Die Eröffnung der rechten Seitenhöhle erfolgt in gleicher Weise.
Danach wird die dritte Hirnhöhle in der Weise freigelegt, daß man mit der
linken Hand den Balken leicht anzieht, die Messerklinge durch das Monroische
Loch hindurchführt, mit einem möglichst wagerecht geführten Schnitt den
Balken erst nach vorn hin, und nachdem er nach hinten umgeklappt ist, auch
an seinem hinteren Abschnitt durchscbneidet, um ihn so völlig abzutragen. Die
drei Hirnhöhlen des Großhirns liegen nunmehr frei vor; sie werden, nachdem
noch der Zustand der Gefäßplatte und der Adergeflechte, ihre Farbe, die in
ihnen verlaufenden Gefäße oder zystische Bildungen betrachtet und beschrieben
sind, einer genauen Musterung bezüglich ihrer Weite, des Verhaltens ihrer
Innenfläche unterzogen, ob diese glatt oder uneben ist usw. Im Anschluß
hieran erfolgt die Untersuchung der vierten Hirnhöhle, nachdem sie durch
einen von vorn nach hinten durch den Wurm gelegten Schnitt eröffnet ist.
Der nächste Akt ist die Untersuchung der Großhirn-Halbkugeln 1
die zu diesem Zwecke von innen her durch eine Reihe längs geführter Schnitte
zerlegt werden und zwar so, daß man zunächst die linke Hirnhalbkugel halbiert,
jede dieser beiden Hälften wiederum halbiert und so fort Sämtliche Schnitte
müssen bis in die Gegend der Hirnrinde geführt und die dadurch gebildeten
Hirnlappen durch Dazwischenlegen der Fingerspitzen zum Auseinanderklappen
gebracht werden, um die Feuchtigkeit, den Glanz und das Verhalten der Blut¬
punkte des Gehirns beurteilen zu können. Insbesondere ist darauf zu achten,
ob und wieviel Blutpunkte in einem bestimmten Flächenraum auf der Schnitt¬
fläche hervortreten, sowie darauf, ob diese Blutpunkte, nachdem man sie durch
einen Wasserstrahl entfernt hat, etwa wiederkommen oder nicht.
Nachdem hierauf Seh- und Streifenhügel nebst Linsenkern durch
in gleicher Entfernung geführte, aber quer verlaufende Schnitte zerlegt sind, wobei
das Verhalten der Gehirnsubstanz, namentlich dasjenige der inneren Kapsel, ferner
die Zahl und Erscheinungsweise der Blutpunkte zu beachten ist, und nachdem die
Vierhügel an ihrer Oberfläche und auf dem Durchschnitt geprüft sind, er¬
folgt die Untersuchung des Kleinhirns, indem jede der beiden Klein-
hirnhälften in eine obere und in eine untere Hälfte und diese wiederum durch
strahlenförmig von der Gegend der vierten Hirnhöhle ausgehende Schnitte zer¬
legt werden, die bis in die Kleinhirnrinde zu verlaufen haben. Zum Schluß
wird sowohl das Kleinhirn, als auch das Grosshirn zusammengelegt und um¬
gedreht, so daß ihre Unterfläche nach oben kommt und die Prüfung der
Brücke und des verlängerten Markes durch eine Anzahl gleichweit
und querverlaufender Schnitte vorgenommen werden kann.
a ) Zu diesem Zwecke ist die harte Hirnhaut durch kräftige Züge mit
bei den gerichtliehen Untersuchungen menschlicher Leichen.
166
Gesicht, Ohrspeicheldrüse, Gehörgang, Nasen-Rachenhöhle
und Augen. 1 )
§ 15. Wo es nötig wird, die Oeffnung der inneren Teile des Gesichtes,
die Untersuchung der Ohrspeicheldrüse, des Gehörorgans und der Nasen-Rachen-
hökle Torzunehmen, ist in der Regel der über den Kopf geführte Schnitt jeder-
niu hinter dem Ohre in einem nach hinten gewölbten Bogen bis zum oberen
Rande des Brustbeins zu verlängern und von hier aus die Haut nach vorne und
<Mn hin abzupräparieren. Der spätere Eröffnungsschnitt für Brust- und Bauch¬
höhle 17) beginnt dann nicht am Kinn, sondern an der Vereinigungsstelle
beider Halsschnitte am oberen Rande des Brustbeins.
Die Untersuchung des inneren Ohres, insbesondere der Paukenhöhle geschieht
am einfachsten, indem man mit einigen Meisseischlägen die seitliche Hälfte der
Kuppe des Felsenbeines entfernt; men kann aber auch das ganze Felsenbein mit
einem Teil der Schläfen schuppe heraussägen und die Paukenhöhle durch einen
con dem hinteren Bande des äusseren nach dem vorderen (inneren) Rande des
inneren Gehörganges gerichteten senkrechten Sägeschnitt eröffnen.*)
Die Nasenhöhle mit ihren Nebenhöhlen kann am einfachsten der Unter-
fuchung zugängig gemacht werden, indem man die knöcherne Schädelgrundfläche
i»t Pfeildurchmesser durchsägt und dann die beiden Hälften auseinanderbiegt,
es kann aber auch ein Stück der Schädelgrundfläche mit der Nasenscheidewand,
den Muscheln usw. kunstgerecht herausgesägt werden.*)
Kommt die innere Untersuchung eines Auges in Frage, so kann man den
Augapfel im ganzen aus der Augenhöhle von vorn her entfernen und durch einen
Aequatorialschnitt eröffnen; doch genügt es in der Regel von der Schädelhöhle
her nach Entfernung der knöchernen Augenhöhlendecke nur die hintere Hälfte
du Augapfels zu entfernen.
Wirbelkanal und Rückenmark.
§ 16. Die Oeffnung des Wirbelkanals (§ 18 Abs. 2), welche sowohl vor
uie nach der Untersuchung der Schädelhöhle vorgenommen werden kann,*) erfolgt
einer Pinzette vom Schädelgrunde abzuziehen und dabei festzustellen, ob
Teile derselben am Schädelgrunde haften bleiben, sowie auch ob Verletzungen
des knöchernen Schädelgrundes vorhanden sind.
*) Während früher nur für die Oeffnung der inneren Teile des Gesichts,
die Untersuchung der Ohrenspeicheldrüse oder des Gehörganges die äußere
Schnittführung angegeben war, sind jetzt im § 15 genauere Vorschriften sowohl
aber diese Schnittführung, als über die Untersuchung des inneren Ohres
(die Eröffnung der Paukenhöhle), der Nasenhöhle, der Nasen-Rachen-
höhle und des Augapfels angegeben für diejenigen Fälle, wo sich eine
solche als nötig erweist.
J ) Die zur Eröffnung der Paukenhöhle erforderlichen Sägeschnitte
werden mit der gewöhnlichen Säge ausgeführt, nachdem das mittelst der Stich-
säge (§ 5) herausgesägte Felsenbein in einen Schraubstock geklemmt ist (§ 5).
Das äußere Ohr und die äußeren Partieen des Schädelgrundes müssen vorher
selbstverständlich von Wcichtcilen befreit sein.
*) Bei Eröffnung der Nasenhöhle werden die Sägeschnitte eben¬
falls mit einer Stichsäge ausgeführt. Will man die Nebenhöhlen dadurch zu-
gängig machen, daß man die knöcherne Schädelgrundfläche im Pfeildurchmesser
durchsägt und dann die beiden Hälften auseinander biegt, so sind vorher die
Weich teile der Stirn bis über die Augenbrauen und den Nasengrund und be¬
sonders diejenige des Nackens vom Knochen vorsichtig abzulösen und nach
osten zu schlagen. Die Durchsägung geschieht mit der gewöhnlichen Bogen¬
säge, die aber ausreichend groß hierzu sein muß. Brauchbar ist z. B. die
Bogensäge in dem von Puppe angegebenen Sektionsbesteck des Medizinischen
Warenhauses in Berlin N., Friedrichstraße 108.
*) Die Oeffnung des Wirbelkanals soll dann nicht unterlassen werden,
wenn irgend welche erhebliche Befunde vermutet werden können (s. § 16, Abs. 2),
l. B. bei Verletzungen der Wirbelsäule, bei Rückenmarkserkrankungen usw.
Ihre Vornahme soll entweder vor, oder nach Oeffnung der Kopfhöhle stattfinden;
in solchen Fällen, wo größere Lageveränderungen der Leiche nichts wünschens¬
wert sind, dürfte es jedoch angezeigt sein, die Wirbelsäule erst am Schluß der
Leichenöffnung, also nach Untersuchung der Bauchhöhle (111) zu eröffnen.
166 Die neuen preußischen Vorschriften für das Verfahren der Gerichtsärzte
in der Beuel von der Rückseite her. Es wird zunächst die Haut und das
Unterhautfett gerade über den Dornfortsätzen durchschnitten; sodann wird za
den Seiten der letzteren und der Bogenstücke die Maskalatar abpräpariert. 1 )
Dabei ist auf Blutaustretungen, Zerreißungen und sonstige Veränderungen,
namentlich auf Brüche der Knocnen, sorgfältig zu achten.
Sodann wird mittels des Meißels oder mit einer Wirbelsäge (Rhachiotom) *)
der Länge nach aus allen Wirbeln der Dornfortsatz mit dem nächstanstoßenden
Teile des Bogenstücks abgetrennt und herausgenommen.*) Nachdem die äußere
Fläche der nun vorliegenden harten Haut geprüft ist, wird der Sack derselben
durch einen Längsschnitt vorsichtig geöffnet 4 ) und dabei sofort ein ungehöriger
Inhalt, namentlich Flüssigkeit oder ausgetretenes Blut, festgestellt, auch Farbe,
Aussehen und sonstige Beschaffenheit des hinteren Abschnittes der weichen
Haut und des Rückenmarkes sowie durch sanftes Herübcrgleiten des Fingers
über das Rückenmark der Grad des Widerstandes desselben ormittelt.
Nunmehr fasst man die harte Rückenmarkshaut unterhalb des Rückenmarks¬
endes, schneidet sie quer durch und hebt sie mitsamt dem Rückenmark aus dem
Wirbelkanal heraus, indem man die abgehenden Nerven an der äusseren Seite
durchschneidet *)/ dabei ist darauf zu achten, ob zwischen harter Haut und
Wirbelsäule Blutergüsse oder sonstige fremde Körper vorhanden sind. In der
Nähe des grossen Hinterhauptloches wird die harte Haut wieder quer durchtrennt
und, falls die Sektion des Gehirns schon vorgenommen worden war, das obere
Ende des Rückenmarks aus dem grossen Hinterhauptloche hervor gezogen, im
anderen Kalle das Rückenmark selbst mit der harten Haut quer durchschnitten.
Bei allen diesen Tätigkeiten ist besonders darauf zu achten, daß dos
Rückenmark weder gedrückt noch geknickt wird. Ist es herausgenommen, so
wird zunächst die Beschaffenheit der äusseren und, nach ihrer Durchtrennung
in der Längsrichtung, diejenige der inneren Seite der harten Haut an der
Vorderseite, desgleichen diejenige der weichen Haut geprüft, nächstdem die
Größe und Farbe des Rückenmarks 6 ) und der äußeren Erscheinung angegeben
und endlich durch eine größere Reihe von Querschnitten, die mit einem ganz
scharfen und dünnen Messer zu führen sind, die innere Beschaffenheit des
Rückenmarkes und zwar sowohl der weißen Stränge, als der grauen Substanz
dargelegt. 7 ) Schließlich wird die Wandung des Wirbelkanals daraufhin besich¬
tigt, ob Verletzungen oder krankhafte Veränderungen an den Knochen, be»
*) Haut und Fettgewebe sind zunächst nach beiden Seiten abzu¬
präparieren und dann erst die Muskulatur loszulösen, also nicht mit Haut-
und Fettgewebe zusammen.
*) Bei Kindern läßt sich die Eröffnung der Wirbelsäule einfacher
und leichter mit der Knochenschere ausführen.
*) Die Herausnahme von Dornfortsätzen und Wirbelboge n
geschieht im Zusammenhang; Verletzungen des Rückenmarkes durch Instru¬
mente oder Knochenstücke müssen sorgsam vermieden werden. Nach Durch¬
trennung sämtlicher Wirbelbogen wird das zwischen Atlas und Hinterhaupt
befindliche Ligamentum obturatorium poster. zerschnitten, dann der hintere
Bogen des Atlas mit einer Knochenzange gefaßt und die abgetrennten Bogcn-
stücke nebst Dornfortsätzen durch einen Zug nach abwärts herausgenommen,
wobei etwaige noch vorhandene Verbindungen mit Messer oder Schere zu
lösen sind.
4 ) Zu diesem Zwecke hebt man am Hinterhauptsende vorsichtig eine
Falte mit der Pinzette empor, schneidet diese mit der Schere ein, führt hier¬
auf den stampfen Scherenarm in den Duralsack und öffnet diesen durch einen
in der Mitte geführten Längsschnitt bis zum Kreuzbeinende.
•) Die Durchschneidung der abgehenden Nerven hat also
außerhalb des Duralsackes zu erfolgen, an ihrer Eintrittsstelle in die Zwi¬
schenwirbellöcher; sie geschieht mit einem schmalen und spitzen Messer.
•) Die mittlere Länge des Rückenmarks beträgt 41,3—44,8 cm., der
Querdurchmesser an der Halsanschwellung 1,3—1,4 cm, im Rückenteil 1,0 cm,
an der Lendenanschwellung 1,2 cm; das Gewicht 37 g (Verhältnis zum Gehirn
wie 1 : 88).
7 ) Bei den Querschnitten durch das Rückenmark ist zu achten auf
Vorwöloen oder Einsinken der Schnittfläche, Färbung und Festigkeit der ein-
bei den gerichtlichen Untersuchungen menschlicher Leichen.
16 T
sondert den Wirbelkörpem oder an den Zwischenwirbelseheiben vorhanden sind.
finden sich solche, so ist der betreffende Teil der Wirbelsäule noch der Sektion
der Brust- und Bauchhöhle herauszunehmen und in der Regel in der Richtung
du Pfeildurchmessers zu durchsägen, um die Knochenveränderungen noch Art ,
Ausdehnung usw. genauer untersuchen zu können.
II. Hals, Brust- and BauehhOhle. '
Allgemeine Bestimmungen.
§ 17. Die Oeffhung des Halses, der Brost- and Bauchhöhle
wird, wenn nicht nach der im § 15, Abs. 1 angegebenen Methode verfahren wurde ,
um für alle Fälle zulässig ist, in der Regel eingeleitet durch einen einzigen
lugen, vom Kinn bis zur Schambeinfuge und zwar links vom Nabel geführter
Schnitt 1 ). Dieser Schnitt darf am Unterleibe nicht sogleich bis in die Bauchhöhle
jeführt werden, sondern soll nur in das Unterhautgewebe eindringen, dessen Bau
und Dicke zu beachten ist. Man kann nun entweder die Bauchhaut im Unter -
kautgewebe nach den Seiten, sowie nach oben bis zum Rippenrand ablösen und
an Brustkörbe die Ablösung mit Einschluss der Brustmuskeln bis Über die
Knochenknorpelgrenze der Rippen hinaus fortsetzen, um dann erst die übrigen
Bauchlandungen durch einen Kreuzschnitt zu zertrennen, wodurch man eine sehr
brüte Eröffnung der Bauchhöhle erreicht, oder man lässt die Bauchhaut mit den
Muskeln im Zusammenhänge, eröffnet die Bauchhöhle nur durch einen dem
Heutschnitt entsprechenden Längsschnitt und löst dann ebenfalls die weichen Be¬
deckungen des Brustkorbes ab, nachdem man die Bauchmuskeln längs des Rippen -
runde* bis auf die Rippen durchtrennt hat. Am besten löst man dabei auch
schon die Haut des Halses samt dem Hautmuskel bis an den Kieferwinkel ab .*)
Die Eröffnung der Bauchhöhle geschieht am besten in der Art, daß zu¬
erst nur ein ganz kleiner Einschnitt in das Bauchfell gemacht wird. Bei dem
Ehuchueiden ist darauf zu achten, ob Gas oder Flüssigkeit austritt. Es wird
dun zuerst ein, sodann noch ein Finger eingeführt, vermittels derselben die
Bauchhöhle von den Eingeweiden abgezogen und zwischen beiden Fingern der
Schnitt durch das Bauchfell fortgesetzt.
Nach der vollständigen Eröffnung der Bauchhöhle ist sofort die Lage,
die Farbe und das sonstige Aussehen der vorliegenden Eingeweide, sowie ein
etwa vorhandener ungehöriger Inhalt anzugeben, auch durch Zufühlen mit der
5ud der Stand wie das sonstige Verhalten des Zwerchfelles zu bestimmen.*)
xehes Faserzüge, Färbung der grauen Substanz, Weite des Zentralkanals
1 b allen Fällen, in denen es geboten erscheint, hat man mikroskopische Unter¬
suchung der veränderten Stellen entweder sofort oder später am gehärteten
Btckeomark stattzufinden; das Rückenmark ist demzufolge in Verwahrung
m nehmen.
i) Der Schnitt wird links vom Nabel geführt, um das Ligamentum teres
ra schonen.
*) Während früher der Schnitt in der Regel gleich bis in die Bauch-
höhle geführt und diese eröffnet werden konnte, ist jetzt vorgeschrieben, daß
der Schnitt zunächst nur bis in das Unterhautgewebe eindringen und die Er¬
öffnung der Bauchhöhle erst nach Loslösung der Bauchdecken usw. vorgenommen
werden soll. Es entspricht dieses Verfahren dem in der Württembergischen
Anweisung vorgeschriebenen, um zu verhüten, daß bei der sofortigen Eröffnung
der Bauchhöhle das Ergebnis der späteren Untersuchung getrübt werden könnte.
Bei dem Einschnitt und späterer Ablösung ist nicht nur auf Dicke, Farbe und
Bandes Fettpolsters, sondern auch auf die Muskulatur (s. auch § 18,
Abs. 1} zu achten. Bei Loslösung der Haut des Halses sind nur die Haut-
noskeln mit abzulösen, alle anderen Muskeln bleiben zunächst unberührt.
’) Bei der Betrachtung der Bauchhöhle ist nicht nur die Lage
der Baucheingeweide, wie weit die Leber in die Brustwarzen-und Inder
Mittellinie den Rippenbogenrand überragt, wie weit der Magen hinabreicht, ob
er durch Gas ausgedehnt ist, ob das Netz die Därme bedeckt, festzustellen,
«Odern auch, ob alle Baucheingeweide eine glatte und glänzende Oberfläche
heben, oder ob sich Verwachsungen oder Verklebungen zwischen ihnen vor-
faden, soweit sich dies ohne Trennung ihres Zusammenhangs allein durch eine
Besichtigung feststellen läßt. Um zu ermitteln, ob und welcher fremde ln-
168 Die neuen preußischen Vorschriften für das Verfahren der Gerichts&rzte
Die Untersuchung der Organe der Bauchhöhle wird nur dann sofort an-
g eschlossen, wenn die Vermutung besteht, es sei die Todesursache an den
rganen der Bauchhöhle zu finden (§ 13, Abs. 3). 1 ) Für gewöhnlich hat die
Untersuchung der Brusthöhle der weiteren Erforschung der Bauchhöhle vor-
aufzugehen.
a. Brusthöhle.
§. 18. Bei dem Ablösen der Weichteile der Brust (8. §17) ist auf das
Verhalten der Muskeln und bei Frauen auf dasjenige der Milchdrüse,*) welche von
hinterher eingeschnitten wird, zu achten.
Zur Eröffnung der Brusthöhle werden die Bippenknorpel um wenige
Millimeter nach innen von ihren Ansatzstellen an die Bippen mit einem starken
Knorpelmesser durchschnitten. Dasselbe ist so zu führen, daß das Eindringen
der Spitze in die Lunge oder das Herz vermieden wird.
Bei Verknöcherung der Knorpel ist es vorzuziehen, die Bippen selbst
etwas nach außen von den Ansatzstellen der Knorpel mit einer Säge oder einer
Knochenschere zu durchtrennen.
In jedem Falle wird dabei jederseits die Brusthöhle eröffnet, deren Zu¬
stand (ob leer oder verwachsen, ob mit abnormem Inhalt und welchem versehen)
bereits jetzt für die vorderen Abschnitte festgestellt werden sollte.
Wenn die Möglichkeit einer Gas-(Luft-) Anhäufung in dem Brustfellsack 1 )
vorliegt, insbesondere wenn die Weichteile der Zwischenrippenräume vorgewölbt
erscheinen, ist zunächst, bevor die Rippen durchschnitten werden, nur ein kleiner
Einschnitt in das Brustfell, oder es sind nacheinander in verschiedenen Zwischen¬
rippenräumen mehrere kleine Einschnitte zu machen, wobei auf etwa heraus¬
strömendes Gas besonders zu achten ist.
Sodann wird jederseits das Schlüsselbein vom Handgriffe des Brustbeins
durch halbmondförmig geführte vertikale Schnitte im Gelenk getrennt und die
erste Bippe, sei es im Knorpel, sei es im Knochen, mit Messer oder Knochen¬
schere durchschnitten, wobei die größte Vorsicht anzuwenden ist, daß nicht
die dicht darunter liegenden Gefäße verletzt werden. Alsdann wird das Zwerch¬
fell, soweit es zwischen den Endpunkten der genannten Schnittlinien angeheftet
ist, dicht an den Bippenknorpeln und dem Schwertfortsatz abgetrennt, das
Brustbein nach aufwärts geschlagen und das Mittelteil mit sorgsamer Ver¬
meidung jeder Verletzung des Herzbeutels und der großen Gefäße durch¬
schnitten. 4 )
Nachdem das Brustbein entfernt ist, wird zunächst der Zustand der
Brustfellsäcke, namentlich ein ungehöriger Inhalt derselben nach Menge
und nach Beschaffenheit, sowie der Ausdehnungszustand und das Aussehen der
vorliegenden Lungenteile festgestellt.*) Hat bei der Entfernung des Brustbeins
halt sich im kleinen Becken vorfindet, sind die hier liegenden Darmschlingen
emporzuheben.
Der Stand des Zwerchfells (gewöhnlich zwischen 4. u. 5. Bippe,
links etwas tiefer als rechts) wird in der Brustwarzenlinie festgestcllt.
*) Die Untersuchung der Bauchhöhle ist auch bei Vergiftungen so¬
fort anznschließen (s. § 21).
*) Eine Untersuchung der „Milchdrüse“ war früher nicht ausdrück¬
lich vorgeschrieben. (Mamma = Milchdrüse; Thymus = Brustdrüse.)
а ) Also bei Verdacht auf Pneumothorax.
4 ) Bei dem Aufwärtsschlagen und der Entfernung des Brustbeins ist
gleichzeitig darauf zu achten, ob es unversehrt ist. Es empfiehlt sich übrigens,
die Durchschneidung des ersten Bippenknorpels erst auszuführen, nachdem man
das Brustbein von den unterliegenden Teilen abgelöst und nach oben ge¬
schlagen hat; der Bippenknorpel wird dann von unten durchschnitten, hierauf
das Brustbein noch stärker in die Höhe geschlagen und das Brustbein-Schlüssel¬
beingelenk von hinten her geöffnet. Bei diesem Verfahren ist eine Verletzung
der großen Gefäße so gut wie ausgeschlossen.
б ) Bei der Besichtigung der eröffneten Brusthöhle ist u. a. auch
darauf zu achten, ob die Lungen zurückgesunken, wie weit ihre vorderen
Bänder voneinander entfernt sind, wieweit der Herzbeutel von der Lunge be¬
deckt ist, ob und inwieweit die Lungen mit den Brustfellsäcken verwachsen
sind usw.
bei den gerichtlichen Untersuchungen menschlicher Leichen. 169
eise Verletzung von Gefäßen stattgefunden, so ist sofort eine Unterbindung
oder wenigstens ein Abschlnß derselben durch einen Schwamm yorzunehmen,
damit das ausfließende Blut nicht in die Brustfellsäcke trete und später das
Urteil störe. Die Zustände des Uittelf eiles, insbesondere das Verhalten
der darin yorhandenen Brust* und Thymusdrüse werden schon hier
ermittelt. 1 )
Nächstdem wird der Herzbeutel geöffnet und untersucht und das
Herz selbst geprüft. Bei letzterem ist Größe, Gestalt, Füllung der Kranz¬
gefäße und der einzelnen Abschnitte (Vorhöfe und Kammern), Farbe und
Konsistenz (Leichenstarre) zu bestimmen, bevor irgend ein Schnitt in das Herz
gemacht oder gar dasselbe aus dem Körper entfernt wird*). Sodann ist, während
das Herz noch in seinem natürlichen Zusammenhänge sich befindet, jede
Kammer und jeder Vorhof einzeln zu öffnen und der Inhalt jedes einzelnen
Abschnittes nach Menge, Gerinnungszustand und Aussehen zu bestimmen, auch
die Weite der Vorhofskammeröffnung durch vorsichtige Einführung zweier Finger
yom Vorhof aus zu erproben. Bei Vergi-össerung, besonders einseitiger, des
Herzens kann zuerst ein horizontaler Schnitt durch < ie Mitte beider Herzkammern
gelegt werden, der bis an das Herzfell der Rückseite reicht.*)
1 ) Muß Brust- oder (statt und) Thymusdrüse heißen. Sie ist
falls noch vorhanden, herauszunehmen und auf Größe, Farbe, Bau (Beschaffen¬
heit and Schnittfläche) zu untersuchen. Ihre Länge beträgt bei Kindern bis
zum 9 Monate durchschnittlich 5,9 cm (3,3—9,0 cm), bis zum 2. Jahre 6,9 (3,2
bis 21,0 cm), vom 3.—14. Jahre 8,5 cm; die Breite an der breitesten Stelle die
Hälfte der Länge; das Gewicht bei der reifen Frucht 9—11 g, bis zum
2. Jahre 22 g (11—35 g), von 3—14 Jahren 25 g, dann immer weniger. Die
Thymusdrüse vergrößert sich bekanntlich nur bis zum dritten Lebensjahre,
bleibt bis zum 14. Jahre unverändert und bildet sich dann allmählich
zarfick. Sie wird dabei nach und nach von Fettgewebe durchwachsen, bo daß
man schließlich bei Erwachsenen nur noch solches findet, das zwar oft noch
die Form der Drüse zeigt, in seinem Innern aber nur einige inselartige Tbymus-
reste enthält. Wenn Verengerung der Luft r öhre durch eine über¬
groß o Thymusdrüse anzunehmen ist, so muß schon jetzt die Luftröhre in
ihrer natürlichen Lage quer durchschnitten werden, um durch Einblick in die
Lichtung nach oben und unten eine etwa vorhandene Einengung sicher fest¬
stellen zu können (s. § 19, Abs. 9, S. 173). I
*) Die Eröffnung des Herzbeutels geschieht durch einen f\ förmigen
Schnitt; zunächst wird die Beschaffenheit der Innenfläche des Herzbeutels, der
Oberfläche des Herzens und das Vorhandensein etwaigen Inhalts (in gewöhn¬
lichen Verhältnissen etwa 10 ccm), indem man das Herz an seiner Spitze in
die Höhe hebt, festgcstellt, wobei gleichzeitig die hintere Fläche des Herzens
besichtigt werden kann. Beim Herzen selbst ist außer Größe (ob der ge¬
ballten rechten Faust der Leiche entsprechend), Gestalt, Farbe und Konsistenz,
auch die Beschaffenheit der Oberfläche (Fettablagerung, Sehnenflecke), sowie
schon vor der Eröffnung die Füllung der Vorhöfe und Herzkammern (durch
Befühlen) und der Kranzgefäße zu ermitteln. Die Größenmaße sind bei Er¬
wachsenen: Länge 9—10 cm, Breite 11 cm, Dicke 3—5 cm; das Gewicht (ohno
Blutinhalt) 300 g, beim Weibe 250 g.
*) Die Eröffnung des Herzens muss auch jetzt stets in situ
erfolgen; dagegen ist es zulässig, statt hierauf das Herz allein zur weiteren
Untersuchung herauszuschneiden, diese erst nach der Untersuchung der Hals¬
organe vorzunehmen und demzufolge gleich sämtliche Halsorgane im Zusammen¬
hänge mit allen Brustorganen herauszunebmen, ein Verfahren, was nicht nur
eine bessere Uebersicht gewährt, sondern auch die Untersuchung erleichtert.
Ina übrigen sind die Vorschriften über die Untersuchung des Herzens wenig
geändert; es ist nur noch besonders auf die Möglichkeit einer Täuschung bei
Prüfung der Schlußfähigkeit der Schlagaderklappen durch Aufgießen von Wasser
hingewiesen, das Aufschneiden der Schlagadermündungen und die Prüfung des
Zustandes ihrer Klappen und der Vorhofkammerklappen, die Ocffnung der
Kranzgefäße und ihre Untersuchung auf Lichtung und Wandbeschaffenheit an¬
geordnet, sowie bei plötzlichen Todesfällen empfohlen, vor der Herausnahme des
Herzens die Lungenschlagader von der rechten Kammer ans zu eröffnen, um
170 Oie neuen preußischen Vorschriften für das Verfahren der Gerichtslnte
Nunmehr kann man entweder das Herz herausschneiden und weiter unter¬
suchen, darauf die Lungen und endlich die Halsorgane nebst Speiseröhre und
auf etwaige Verstopfungen durch Embolie zu fahnden. Die Untersuchung
des Herzens wird demnach in folgender Weise vorgenommen:
Das noch in seiner natürlichen Lage befindliche Herz wird mit
der linken Hand gefaßt, so daß die rechte Vor- und Herzkammer deutlich
sichtbar werden und mit ihrer Seitenwand (äußeren Band) nach oben sehen.
Hierauf erfolgt die Eröffnung des rechten Vorhofes durch einen von der Gegend
der Einmündung der Hohlvenen an bis an die Gegend der Vorhofkammerklappe,
möglichst genau an der Seitenwand des Herzens geführten Schnitt, und alsdann
eine Durchtrennung der Seitenwand des rechten Ventrikels bis an die Herzspitze.
Mit den Fingern der rechten Hand wird danach der Inhalt von Vorhof und
Herzkammer bezüglich seiner Beschaffenheit, ob flüssiges, ob geronnenes Blut,
ob Speckgerinnsel usw., sowie bezüglich seiner nach Kubikzentimeter zu
messenden Menge geprüft und schließlich durch vorsichtiges Einführen von
zwei Fingern vom Vorhofe aus die Weite der Vorhofkammer-Eröffnung erprobt.
„Jeder Versuch, schon jetzt durch Fühlen, Beiben usw. die Klappenränder zu
ermitteln, muß unterbleiben, da er geeignet ist, Veränderungen zu erzeugen
oder vorhandene Veränderungen zu beseitigen, z. B. aufsitzende Gerinnsel zu zer¬
bröckeln oder gar abzulösen“ (Nauwerk). Das Herz wird hierauf so mit der
linken Hand ergriffen, daß die Seitenwand der linken Vor- und Herzkammer nach
oben sieht und beide Kammern durch eineu in der vorderen Lungenvene un¬
mittelbar hinter dem linken Herzohr beginnenden, die Kranzfurche übersprin¬
genden und am seitlichen Bande der linken Herzkammer bis in die Herzspitze
fortgesetzten Schnitt geöffnet. Die Prüfung des Inhalts und der Durchgängig¬
keit der Klappe hat ebenso wie auf der rechten Seite zu erfolgen. Ist das
Herz vergrößert, so kann ein wagerechter Schnitt durch die Mitte beider
Herzkammern gelegt werden, der bis an das Herzfell der Bückseite reicht.
Nach Herausnahme und Abtrennung des Herzens, die am
besten in der Weise erfolgt, daß man dieses durch die beiden Herzkammer¬
schnitte erfaßt, kräftig nach oben zieht und die großen Gefäße von unten her
durch einige, möglichst weit vom Herzgrunde entfernte Schnitte durchtrennt,
wird die weitere Untersuchung mit Prüfung der Schlußfähigkeit
der Schlagaderklappen begonnen. Das Herz wird zu diesem Zwecke
an den beiden Herzohren hoch gehalten und darauf durch Eingießen von
Wasser in die beiden Schlagadern geprüft, ob ihre Klappen schlußfähig sind.
Um Täuschungen, namentlich bei der Prüfung der Lungenschlagader (Pulmo-
nalis) zu vermeiden, empfiehlt es sich, diese durch Auseinanderziehen der
Schlagaderwand zum Klaffen zu bringen. Hierauf werden die beiden großen
Schlagadern unter Benutzung der Darmschcre geöffnet, und zwar zuerst
die Lungenschlagader in der Weise, daß man den geknöpften Arm von dem
Eröffnungsschnitt der rechten Herzkammer aus durch die Pulmonalis schiebt
und die Vorderwand der Herzkammer, unter Erhaltung des Papillarmus-
kels der dreizipfligen Klappe, sowie die Schlagader selbst schräg durch¬
schneidet. Bei Eröffnung der großen Körperschlagader wird dagegen der
geknöpfte Scherenarm von dem Eröffnungsschnitt der linken Herzkammer aus
gerade längs der Scheidewand der Herzkammern bis in diese Schlagader
vorgeschoben und dann Kammer und Schlagader anfgeschnittcn. Jetzt werden
in beiden geöffneten Herzhälften die Weite der Herzhöhlen und die Beschaffenheit
der Vorhofkammer- und halbmondförmigen Klappen, der Innenhaut, der Papillar-
muskcln, Sehnenfäden und des Herzfleisches, insbesondere dessen Dicke, Farbe,
Aussehen fcstgestellt; hierbei ist auf krankhafte Veränderung (Fettentartung,
Schwielen, Trübung usw.) zu achten. Die Dicke der Herzwandungen, die rechts
durchschnittlich 0,5—0,7, links 1,1—1,4 cm beträgt, wird an der Spitze und
am Grunde gemessen, auch der Umfang der großen Schlagadern am Klappen¬
ring (Lungcnschlagader 8,9—9,2 cm, Körperschlagader 7,7—8 cm) und des
Klappeurings der rechten (11 cm) und linken (10 cm) Vorhofs - Kammerklappen
ist zu ermitteln. Den Schluß bildet die Untersuchung der Kranzgeffiße
und größeren Gefäße mit Ausnahme der absteigenden Schlagader) mit
Bücksicht auf ihre Weite, Füllung, Beschaffenheit der Wandungen und der
Innenhaut; sie sind zu diesem Zwecke auch zu öffnen.
bei den gerichtlichen Untersuchungen menschlicher Leichen.
171
Brustsehlagader vornehmen, oder man beginnt in der später anzugebenden Weise
mit der Untersuchung der Haieorgane, nimmt dann diese im Zusammenhänge mit
sämtlichen Brustorganen heraus und trentit nun erst je nach Bedürfnis die ein¬
zelnen Organe ab, um sie weiter zu untersuchen, oder man nimmt die weitere
Untersuchung vor, ohne den Zusammenhang der Teile auf zuheben.
Hat man das Herz abgetrennt, so kann man die Schlnßfähigkeit der
Schlag&derklappen durch Aufgießen von Wasser prüfen, doch muss man dabei
se\r vorsichtig zu Werke gehen, um nicht Täuschungen zu unterliegen. In jedem
Falle müssen die Schlagadermündungen auf geschnitten und der Zustand ihrer
Klappen ebenso wie derjenige der Vorhof kammerklappen geprüft werden. Es
folgt die Feststellung der Beschaffenheit des Herzfleisches nach Größe (Dicke),
Farbe und Aussehen; entsteht dabei die Vermutung, daß Veränderungen des
Muskelgewebes, z. B. Fettentartung desselben, in größerer Ausdehnung vor*
handen seien, so ist jedesmal eine mikroskopische Untersuchung zu veranstalten.
Besondere Aufmerksamkeit ist den Kranzgefüssen zu schenken, welche
n» eröffnen und in bezug auf Lichtung und Wandbeschaffenheit zu unter¬
suchen sind.
Au die Untersuchung des Herzens schließt sich die der größeren Gefäße,
mit einziger Ausnahme der absteigenden Aorta, welche erst nach den Lungen
za prüfen ist.
Bei plötzlichen Todesfällen empfiehlt es sich, vor der Herausnahme des
Herzens die Lungenschlagader von der rechten Kammer aus zu eröffnen, um auf
etwaige Verstopfungen derselben (durch Embolie) zu fahnden.
Die genauere Untersuchung der Lungen setzt ihre Herausnahme aus
der Brusthöhle voraus. Dabei ist jedoch mit großer Vorsicht zu verfahren
and jede Zerreißung oder Zerdrückung des Gewebes zu vermeiden. Sind aus¬
gedehntere, namentlich ältere Verwachsungen vorhanden, so sind dieselben nicht
zn trennen. 1 ) Nachdem die Lungen herausgenommen sind, wird noch einmal
sorgsam ihre Oberfläche betrachtet, um namentlich frischere Veränderungen,
z. B. die Anfänge entzündlicher Ausschwitzung, nicht zu übersehen. Sodann
werden Luftgchalt, Farbe und Konsistenz der einzelnen Lungenabschnitte an¬
gegeben, endlich große glatte Einschnitte gemacht und die Beschaffenheit der
Schnittflächen, der Luft-, Blut- und Flüssigkeitsgehalt, der etwaige feste Inhalt
der Lungenbläschen, der Zustand der Bronchien und Lungenarterien, letzterer
namentlich mit Bücksicht auf eingetretene Verstopfungen usw. festgestellt.
Zu diesem Zwecke sind die Luftwege und die größeren Lungengefäßc mit der
Schere aulzuschneiden und bis in ihre feinsten *) Verästelungen zu verfolgen
*) Verwachsungen zwischen Lunge und Rippenfoll sind vor¬
sichtig mit der Hand erst links, dann rechts zu lösen; ist dies ohne Zerreißung
oder Zerdrückung des Gewebes nicht möglich, so ist der betreffende Teil des
Rippenfells mit zu entfernen. Ebenso werden unlösbare Verwachsungen der
Lunge mit dem Zwerchfell oder Herzbeutel Umschnitten und heraus¬
genommen.
*) Die Vorschriften über die Untersuchung der Lungen sind sonst nur
insoweit abgeändert, daß jetzt die Luftwege und Lungengefäße bis in die
^feinsten“ Verzweigungen mit der Schere aufzuschneiden und zu verfolgen
and. Betreffs der Farbe der Lungen ist zu beachten, daß diese an den hin¬
teren Abschnitten in der Hegel etwas dunkler ist, als in den vorderen; die
Konsistenz wird zunächst durch Fühlen (ob luftkissenartig, elastisch,
schlecht, lederartig usw.) festgestellt. Behufs Ausführung der Einschnitte
wird die Lunge fest auf ihre Basis gestellt und zunächst ein Hanptschnitt von
der Spitze des Oberlappens bis zum Hände des Unterlappens auf der größten
Wölbung und bis zur Tiefe der Hauptbronchus ausgeführt. Die Schnittfläche
darf vor der Besichtigung nicht mit den Fingern berührt oder mit Wasser
abgespült werden, weil dadurch wertvolle Befunde verloren gehen würden.
Wichtig ist, ob Blut, schaumige Flüssigkeit usw. in großen Mengen und ohne
jeden Druck auf der Schnittfläche hervortritt, oder ob dies nur bei Druck er¬
folgt. Beim Aufschneiden der Luftröhronäste ist nicht nur auf ihren
lolult, sondern auch auf die Beschaffenheit ihrer Schleimhaut za achten.
Das Gewicht der Lunge beträgt rechts 360—570 gr, links 325—480 gr ;
die Größe der Luftbläschen 0,25—0,3 mm. Nach Untersuchung der Lungen
erfolgt diejenige der Bronchialdrüsen und der absteigenden Schlagader.
j
172 Die neuen preußischen Vorschriften für das Verfahren der Gerichta&rzte
Wo der Verdacht vorliegt, daß fremde Massen in die Luftwege hinein*
gelangt sind, and wo Stoffe in den Luftwegen gefunden werden, deren Natar
durch ihre groben Merkmale nicht sicher angezeigt wird, ist eine mikroskopi¬
sche Untersuchung zu veranstalten. Ebenso sind, wo der Verdacht einer Fett¬
embolie vorliegt, alsbald Schnitte des Lungengewebes daraufhin mikroskopisch zu
durchmustern, um ein Urteil über das Vorhandensein und gegebenen Falles den
Umfang der Embolie zu gewinnen.
§ 19. Die Untersuchung des Halses kann, wie erwähnt, je nach der
Eigentümlichkeit des Falles nach derjenigen der Brustorgane oder in Ver¬
bindung mit derselben vorgenommen werden. In der Regel empfiehlt es sich,
die großen Gefäße und die Nervenstämmc') in ihrer natürlichen Lage zu unter¬
suchen, was insbesondere bei Erhängten oder bei dem Verdacht des Erwürgungs¬
todes geboten ist, um zu ermitteln, ob die inneren Häute der Halsschlagadern
verletzt sind oder nicht, ln diesen Fällen sind vorher etwaige Veränderungen
an den vorderen Halsmuskeln festzustellen, auch ist dabei die Ablösung der Haut
des Halses in besonders vorsichtiger Weise zu bewirken, damit eine Verwechse¬
lung zwischen den während des Lebens entstandenen Rissen in den Halsmuskeln
und den bei der Sektion etwa bewirkten Verletzungen derselben ausgeschlossen
werden kann.
Wenn, wie bei Ertrunkenen, auf den Inhalt der Luftwege besonderer
Wert zu legen ist, werden stets der Kehlkopf und die Luftröhre vor
Herausnahme der Lungen in ihrer natürlichen Lage durch einen Schnitt von
vornher eröffnet, welcher in die größeren Luftröhrenäste fortzusetzen ist. Dabei
ist zugleich ein vorsichtiger Druck auf die Lungen auszuüben, um zu sehen,
ob und welche Flüssigkeiten usw. dabei in die Luftröhre aufsteigen. Für ge¬
wöhnlich, insbesondere in Fällen, wo Verletzungen des Kehlkopfes und der
Luftröhre stattgefunden haben, oder wichtige Veränderungen ihres Gewebes
vermutet werden, findet die Oeffnung der Luftwege erst nach ihrer Heraus¬
nahme von der hinteren Seite her statt.
Die Luftwege werden im Zusammenhänge mit der Zunge, dem
weichen Gaumen, dem Schlunde, der Speiseröhre und der Haupt¬
schlagader herausgenommen; die schleimhäutigen Kanäle werden von hinten
her aufgeschnitten und namentlich auf die Zustände ihrer Schleimhäute unter¬
sucht, doch müssen auch die übrigen Bestandteile der Wand, insbesondere die
Knorpel des Kehlkopfes ebenso wie das Zungenbein, besonders etwa vorhandene
Verletzungen beachtet werden.*)
Die Mandeln und Speicheldrüsen, die Schilddrüse, sowie die
Lymphdrtisen des Halses sind zu betrachten und einzuschneiden. Die
Hauptschlagader wird an ihrer vorderen Seite auf geschnitten.*)
') Von den großen Gefäßen und Nervenstämmen kommen be¬
sonders in Betracht die Karotiden, Drosselvenen, Nervi vagi und der
Sympathicus.
*) Die Herausnahme und Untersuchung der Halsorgane
erfolgt nach Puppe am besten in folgender Weise: Zunächst werden beider¬
seits die Ansätze der Kopfnicker vom Brastbcin abgetrennt und die unteren
Enden dieser Muskeln bis über die Gegend der großen Gefäße hinaus nach der
Seite hin abpräpariert. Sodann schneidet man erst links, dann rechts mit einem
kräftigen bis auf die Wirbel gehenden Schnitt, möglichst hoch oben beginnend,
das Gewebe zwischen Kehlkopf und Carotis durch, verlängert den Schnitt nach
untca hin so weit wie möglich und biegt schließlich beim Eingang in die Brust¬
höhle etwas nach außen hin ab, um die Subklavikular- Gefäße ebenfalls gänzlich
zu durchtrennen. Nunmehr wird die Zungcnrauskulatur vom Unterkiefer ab-
getrennt, indem man am Kinn dicht hinter dem Unterkiefer einsticht, den ge¬
machten Einstich nach links und hinten genau am Knochen entlang gehend bis
in die Gegend des Kiefcrwinkels verlängert uod dann das Messer kräftig nach
unten in den vorher zwischen Kehlkopf und Carotis gemachten Schnitt aus¬
zieht. Nachdem in gleicher Weise auf der rechten Seite verfahren ist, wird
die Zunge mit Daumen und Zeigefinger gefaßt (erforderlichenfalls mit Pinzette
oder Doppelhaken, falls sie zu schlüpfrig ist), kräftig nach unten gezogen
und die Mundhöhle von unten eröffnet. Nunmehr erfolgt die Abtrennung des
weichen Gaumens vom harten; kräftige Querschnitte durchtrennen alsdann
bei den gerichtlichen Untersuchungen menschlicher Leichen. 173
Wenn Herz und Lungen sehon vor der Untersuchung der Halsorgane ent -
ftrnt worden waren, ist besonders darauf zu achten, dass von den Luftröhren
and der Speiseröhre nichts in der Brusthöhle zurückbleibt . *)
Erscheint es wünschenswert , den Zusammenhang von Speiseröhre und
Magen oder von Brust• und Bauchschlagader nicht zu zerstören, so löst man
diese Teile , soweit sie oberhalb des Zwerchfells liegen, nur von der Wirbelsäule
los , trtnnt sie aber über dem Zwerchfell nicht ab, sondern legt sie nach vorge-
nommener Untersuchung in die Brusthöhle zurück, bis die entsprechenden Bauch -
höklevorgatte zur Sektion gelangen . *)
Falls der Zustand des Rachens von wesentlicher Bedeutung ist, wie bei
der Erstickung durch Fremdkörper, ist es ratsam, statt des einen Mittelschnittes
durch die Halshaut die vorher (§ 15) angegebenen Seitenschnitte auszuführen;
nach Abtrennung der Weichteile, besonders der Zunge, vom Unterkiefer wird da¬
durch in der Regel eine genügende Uebersicht des Schlundes und Kehlkopfein -
ganges zu gewinnen sein; eine noch freiere Uebersicht erhält man, wenn man
den Unterkiefer aus seinen Gelenken löst und mitsamt den Hautlappen nach oben
(auf das Gesicht) zurückschlägt .
Es ist auch zulässig, den Hautschnitt über das Kinn durch die Unterlippe
u*ch oben zu verlängern, die Haut beiderseits bis zu den Kieferwinkeln abzulösen,
diese zu durchsägen und das losgelöste Mittelstück des Unterkiefers ah Handhabe
zu benutzen, um leichter und fteier den Schlund übersehen und entfernen
zu können .
Wenn eine Verengerung der Luftröhre durch Druck seitens benachbarter
Ttile, z. B. einer übergrossen Thymusdrüse anzunehmen ist, empfiehlt es sich,
schon vor der Eröffnung der Brusthöhle oder doch sofort nach Entfernung des
Brustbeins die Luftröhre in ihrer natürlichen Lage quer zu durchschneiden, um
das Gewebe unmittelbar vor den Hals- und Brustwirbclkörpern, so daß Zunge,
Bachen, Kehlkof, oberer Teil der Speiseröhre und die Luftröhre, einschließlich
ihrer Bifurkation mit samt dem Aortenbogen in Zusammenhang herausgenommen
werden können. Hierauf wird zunächst die Zunge untersucht, ob sie verletzt
«.der unversehrt ist, ob sie Narben aufweist, insbesondere an ihren seitlichen
Rindern, wie ihre Oberfläche beschaffen ist, welche Farbe und welche Kon¬
sistenz sie hat; desgleichen wird die Beschaffenheit ihres Gewebes durch
mehrere Querschnitte festgestellt. Sodann werden der weiche Gaumen und
das Zäpfchen betrachtet (Beschaffenheit seiner Schleimhaut, Länge, Dicke
und Konsistenz des Zäpfchens, sowie Farbe und Beschaffenheit seines Durch¬
schnittes), Länge, Größe und Beschaffenheit der Mandeln festgestellt (ob
ihre Oberfläche glatt oder zerklüftet ist, wie sich die Entleerung ihrer
Höhlungen auf Druck gestaltet, Schnittfläche ihres der Länge nach einzu¬
schneidenden Gewebes) und die Speicheldrüse in gleicher Weise untersucht.
Hierauf wird die hintere Rachenwand und unmittelbar daran anschließend
die hintere Speiseröhrenwand in der Mitte aufgeschnitten (am besten mit einer
Dirmschere) und ermittelt, ob und welche Veränderungen die normalerweise
glatte und glanzende Schleimhaut erlitten hat, etwaiger fremder Inhalt vor¬
handen ist usw. Nachdem man sich durch einen Blick in das Innere des Kehl¬
kopfs davon überzeugt hat, daß seine Lichtung nirgends fremden Inhalt oder
andere verstopfenden Körper aufweist, wird er ebenfalls von hinten geöffnet
und der Schnitt bis in die Trachea und den rechten und linken Bronchus fort-
gefahrt. Hierbei ist auf das Verhalten der Schleimhaut (Farbe, Gefäße usw.),
^owie auf die Anwesenheit etwaiger Auflagerungen oder fremden Inhalts
iSchleim, Schmutz, Mageninhalt usw.) zu achten. Die Untersuchung der
Schilddrüse (Gewicht: 80—60 g, Höhe der Seitenlappen: 6—7 cm,
Breite: 3—4 cm, Dicke: 1,5—2,5 cm), der Lymphdrüs en des Halses,
die der Länge nach aufzuschneiden sind, sowie der großen Halsschlagader
und I) rosselvenen, die an der vorderen Fläche aufgeschnitten werden (Um¬
fang, Inhalt und Wandung), der Nervi vagi und desSympathicus bilden
d»:n Schluß, soweit diese Untersuchung nicht schon vorher in der natürlichen
Lage stattgefunden hat (s. Anm. 1 auf S. 169).
*) Siehe auch Anmerk. 2 zu § 18, Abs. 7, S. 169.
*) Bei Vergiftungen erfolgt die Herausnahme der Halsorgane in Zu¬
sammenhang mit dem Magen (s. § 21, Abs. 4).
174
Dr. Hetßler.
durch Einblick in die Lichtung nach oben und unten eine etwa vorhandene Ver¬
engerung sicherer zu erkennen .')
Nach Entfernung der Hals- und Brustorgane ist zum Schluß der Zn*
stand der tiefen Halsmuskulatur sowie der Hals* und Brustwirbel¬
säule zu berücksichtigen. Veränderte Abschnitte der Wirbelsäule werden am
besten erst nach Beendigung det Bauchsektion herausgenommen und nach § 16,
Schlussatz weiter behandelt.
(Schluß folgt.)
Bekämpfung ansteckender Krankheiten.
Von Dr. Helssler, Königlicher Bezirksarzt zu Teuschnitz.
Die Abhandlung des Herrn Kollegen Dr. Berger unter
obigem Titel in Nr. 4 dieser Zeitschrift ist mir Anlass, eine Be¬
obachtung aus der Praxis mitzuteilen, welche an sich ebenso viel
und ebenso wenig beweiskräftig ist, mir aber geeignet erscheint,
Bergers Forderung zu stützen, dass es in dieser Frage ganz
wesentlich auf die Massregeln gegen die ersten Fälle ankommt.
Als praktischer Arzt wurde ich in ein Dorf gerufen znm
Kinde des dortigen Lehrers und musste bei demselben Diphtherie
konstatieren. Im heiligen, damals allerdings antizipierten Eifer
ordnete ich neben anderem an, dass die Schule sofort geschlossen
werde, resp. da es an einem Sonntage war, dass die Schüler am
nächsten Tage nicht mehr ins Haus gelassen werden. Es trug
mir dies eine kleine, aber wohlgemeinte Büge ein, auf die ich
heute noch stolz bin. Der alte, ängstliche Lokalschulinspektor
hatte au das Amt berichtet, dass ich die Schule geschlossen hätte,
statt dass er provisorisch Schluss verfügt habe, wie es meiner¬
seits gemeint war. Bei meiner Ankunft im Krankenzimmer war
natürlich die hilfreiche Frau Nachbarin bereits an der Arbeit,
der jungen Mutter mit ihren guten Ratschlägen zu dienen. Mein
Hinweis auf die Gefahren, die aus ihrem Verhalten der eigenen
Familie drohen, wurde mit überlegenem Lächeln abgetan: «Das
kenne ich schon, die Krankheit fürchte ich nicht, ich werde mich
nicht abhalten lassen, das liebe Mariele zu besuchen.“ Des Lehrers
verständiges Verhalten und eine gewisse Furcht, welche als Folge
einer sehr schweren Diphtherie-Epidemie in eisern Nachbardorfe
noch nicht ganz verschwunden war, bewirkten, dass bis nach er¬
folgter Desinfektion kein Unberufener das Schulhaus betrat. Und
der Effekt: Ausser dem Lehrerkinde erkrankten zwei Kinder der
überklugen Nachbarin an Diphtherie, das ganze übrige Dorf blieb
verschont1
Ich war damals ebenso fest, wie noch heute überzeugt, dass
lediglich die sofort wirksam gewordene Massregel den erfreulichen
Erfolg gezeitigt hatte, und werde darin bestärkt durch folgende, aus
amtlicher Zeit stammende Wahrnehmung: Ein praktischer Arzt
hatte gemeldet, dass zwei Kinder des Lehrers in N. an Scharlach
erkrankt seien. Das Königliche Bezirksamt verfügte auf meinen
>) Es ist hier besonders auf etwaige Verletzungen zu achten; die Unter¬
suchung hat sich auch aul die Bippen zu erstrecken.
Bekimpfnng ansteckender Krankheiten.
176
Antrag die sofortige Schliessung der Schule. Ein weiterer Schar¬
lachfall kam nicht vor.
Energische, bei Eintritt der ersten Fälle wirksame Maas-
regeln lassen allein Erfolg erwarten im Kampfe gegen ansteckende
Krankheiten; gerade das Fehlen dieses Momentes erklärt die
ungenügende Wirksamkeit unserer Absperr -Massregeln. Bis das
Amt Kenntnis von einer Krankheit erhält, bis dann die Nachricht
den Dienstweg durchlaufen hat und die Massregeln in Vollzug
gesetzt werden, ist die kostbarste Zeit meist verloren. Die In¬
fektion hat ihr Werk bis dahin gewöhnlich vollendet. Wir müssen
darum bestrebt sein, jede Infektion möglichst in den ersten An¬
lagen zu treffen. Nur dann, dann aber auch sicher, wird der
Erfolg nicht ausbleiben! Die Grundbedingung hierfür wäre die
Anzeigepflicht für jeden Fall einer infektiösen Er¬
krankung an den zuständigen Medizinalbeamten.
Einem beliebten und stets gerne vorgebrachten Einwande
möchte ich hier einige Worte widmen, der Frage: „Woher der
erste Fall?“ Die Antwort liegt für mich in der folgenden Ueber-
legung: Abgesehen von der zeitlichen, örtlichen und der persönlichen
Disposition, deren Bedeutung ich durchaus nicht unterschätze, ge¬
hört zum Zustandekommen einer Infektion der Infektionskeim, des
grossen Pettenkofers X. Die Infektionskeime, ob pflanzlicher,
ob tierischer Natur, sind ubiquitär; immer und überall sind sie
vorhanden, in nicht geringen Fällen und Zahl selbst in des ge¬
sunden Menschen Mundhöhle; sie befinden sich aber in einem
Zustande latenter Infektiosität. Unter bestimmten, wenn auch
noch unbekannten Umständen, die in dem Verhalten des Trägers,
rap. in dem seiner Körpersäfte gelegen sind, erleiden die Keime
eine Umänderung im physiologischen Sinne, sie erlangen ihre un¬
heimlichen Eigenschaften. Unter gleichzeitig unermesslicher Ver¬
mehrung werden sie wirklich pathogen und befähigt, auf ein
anderes Individuum übertragen, in diesem ohne weiteres ihre ver¬
derbliche Wirkung zu entölten. Diese Wirkung geht unter an¬
fänglich sich steigernder Virulenz weiter, bis entweder die Natur
selbst oder menschliches Eingreifen ein Ziel setzen. Mangels
geeigneter Nährmedien verlieren die Keime mehr und mehr ihre
Virulenz und vegetieren unter geänderten Verhältnissen in ihrer
relativ unschuldigen Form, bis sie wieder Gelegenheit haben, sich
von der unerwünschten Seite zu zeigen. Solange die im Menschen
oder sonst einem Wirte virulent gewordenen Keime auf andere
Individuen übertragen werden, vermitteln sie das massen¬
hafte, epidemische Auftreten der betreffenden Krankheit, während
welchem sich der Vorgang des Virulentwerdens beliebig oft wieder¬
holen kann. In ihrer anderen, gewissermassen Latenzgestalt ver¬
ursachen die Keime unter Bedingungen, die zum Teil ausserhalb
ihrer Fähigkeiten liegen, die einzelne Erkrankung. Dieser letztere
Vorgang ist immer die Einleitung zum epidemischen Auftreten
ud lässt erhoffen, dass es gelingen wird, den Kampf dagegen
mit stetig verbesserten Waffen immer erfolgreicher zu führen.
Eiie Infektionskrankheit vollständig aueiutilgen, d. h. ihre Keime
176
Dr. Martini.
gänzlich za vernichten, wird den Menschen wohl nie gelingen.
Zu erhoffen ist aber deren räumliche Beschränkung während der
verhältnismässig kurzen Zeit der direkten Pathogenität, in der
sie aus ihrer Wirkung sinnlich wahrnehmbar ist. Der Kampf
wird um so aussichtsreicher sein, je mehr es uns gelingt, die
Quelle der weiteren Ansteckung, den zuerst erkrankten Menschen
zu isolieren. Diese Beschränkung der Infektionskrankheit auf
den Erkrankten muss das Ziel des Kampfes gegen ansteckende
Krankheiten sein.
Ein Beitrag zur Entstehungsweise des Unterleibstyphus.
Von Kreisarzt Dr. Martini in Langensalza.
Die lebhaften Erörterungen über die Entstehungs* und Ver¬
breitungsweise des Unterleibstyphus bei Gelegenheit des Prozesses
über die Gelsenkirchener Epidemie, welche vor Gericht schliesslich
in dem Feldgeschrei „hie Boden-, hie Wasser-Theorie 8 ausklangen,
haben bei mir gewisse Erinnerungen wachgerufen, die, wie ich
glaube, wegen der Eigenartigkeit der dabei mitspielenden Ver¬
hältnisse auch in weiteren Kreisen einiges Interesse verdienen
dürften.
Als beamteter Arzt auf der schönen Nordseeinsel Helgoland
während der Jahre 1896—1901 hatte ich mehrfach Gelegenheit
mich mit der Frage nach der Entstehung des Unterleibstyphus zu
beschäftigen, da daselbst alljährlich einige Typhusfälle (etwa 6
bis 10 bei 2500 Einwohnern) vorkamen. Die Krankheit trat ge¬
wöhnlich nach Schluss der Badezeit im Spätherbst zuerst auf, zog
sich in vereinzelt bleibenden Fällen bis zum Frühjahr hin, um in
jedem Jahre zu Beginn des Sommers zur grössten Freude der aof
den Fremdenzufluss angewiesenen Helgoländer wieder zu erlöschen.
Zu einer eigentlichen Epidemie kam es wenigstens während meiner
Anwesenheit nicht, eine solche hat aber schon einige Male auf
Helgoland geherrscht, z. B. wahrscheinlich schon in den Jahren
1757/58, 1824, sowie 1894/95.
Die Verhältnisse sind auf Helgoland insofern ganz besondere,
als ein Grundwasser in unserem Sinne dort nicht vorhanden ist.
Die Insel besteht bekanntlich aus einem 20—80 m hohen, schroffen
Buntsandsteinfelsen (Oberland) von etwa V* qkm Bodenfläche,
welcher auf Kreide und Tertiärschichten aufliegt und nach allen
Seiten hin steil zum Meere abfällt, sowie aus einem bei weitem
kleineren, niedrigen Vorlande (Unterland), das, wie alte Karten
der Insel zeigen, früher gar nicht vorhanden war und sich erst
allmählich aus den Anschwemmungen der von den hohen Felsen
abgebröckelten Geröllstücke durch die Meeresströmungen ge¬
bildet hat.
Man findet wohl auch auf dem Oberlande Wasser, wenn man
nur genügend tief, bis etwa auf den Meeresspiegel, in den Felsen
eindringt, wie dies z. B. durch einen Brunnenschacht seitens der
deutschen Marine Verwaltung ausgeführt worden ist; dieses Wasser
ist aber nichts anderes, als Seewasser, welches durch die Spalten
Ein Beitrag zur Entetehungsweise des Unterleibstyphus.
177
und Klüfte des Felsens von der See her hindurchsickert and so
salzhaltig ist, dass es als Trinkwasser and za Wirtschaftszwecken
keine Verwendung finden kann. Man hat daher auch alle weiteren
Mirersnche aulgegeben and andere Einrichtungen zur Wasser-
gewinnong (Destillations- und Filteranlagen) ans Seewasser za
militärischen Zwecken getroffen.
Das Niederschlagswasser sickert aaf dem Oberlande durch
die kaum 1 */, m tiefe Ackerbodenschicht hindurch, bis es auf den
Felsen kommt and der Neigung der Schichten folgend nach seinem
Bande hin abfliesst. Die Menge dieses Wassers ist aber so ge-
. ring, dass es niemals eine Quelle oder einen Brunnen speisen
kamt. Die Einwohner der Insel benutzen daher ausschliesslich
das Begenwasser zum Trinken und für sonstigen Gebrauch, und
mr wird dasselbe ifir jedes einzelne Haus auf dem Dache auf-
ge&ngen, durch Binnen abgeleitet und in gemauerten Zisternen
aafbewahrt.
Die Beseitigung der Fäkalien und anderer Auswurfstoffe
erfolgt schon seit undenklichen Zeiten nach einer Art Tonnen-
lystem, d. h. ein jedes Haus besitzt eine Anzahl Eimer, in denen
alle Exkremente und sonstiger Unrat angesammelt und nach Bedarf
in das Meer geschüttet werden. Es geschieht dies an drei Punkten
der Insel durch sog. Abfallschledden, von denen der Bevölkerungs¬
dichte entsprechend zwei auf dem Oberlande und eine im Unter¬
landegelegen sind. Diese Abfallschledden sind kurze mit Geländern
versehene, hölzerne Brücken, im Volksmunde Schmutzbrücken ge¬
nannt, welche einige Schritte über den Felsrand hinausragen.
Während nun diejenige des flachen Unterlandes es jederzeit ge-
stattet, den Inhalt der Eimer direkt in die See zu entleeren,
fallen die Schmutzstoffe von den Schiedden des Oberlandes etwa
25 m hoch frei herab und sammeln sich am Fasse der Klippe zu
grossen Ablagerungen an, die z. T. so hoch liegen, dass sie von
dem höchsten Wasserstande unberührt bleiben.
Unter diesen Verhältnissen dürfte es den Anhängern der
. sog. Pettenkofersehen Bodentheorie wohl sehr schwer fallen,
die Entstehung der alljährlich im Spätherbst wiederkehrenden
! ! Typhuserkrankungen zu erklären. Grundwasser, welches ver¬
uneinigt werden könnte, ist nicht vorhanden, der Untergrund ist
r r | uckter Fels, nur von einer dünnen durch seine Verwitterungs-
‘ | Produkte gebildeten Bodenkrume bedeckt. Von einem Empor-
, 1 steigen der Typhusbakterien aus den tieferen Bodenschichten an
! die Erdoberfläche usw. kann hier nicht die Rede sein, auch
i I sind die Erkrankungen gerade in der Zeit der reichlichsten
Niederschläge vorgekommen.
Ich bemerke ferner, dass ich die Entstehung der Krankheit
, durch jedesmalige direkte Einschleppung von aussen fast mit ab-
5 »luter Sicherheit ausschliessen konnte; denn abgesehen davon,
dass die Erkrankungen stets in die Zeit des schwachen Winter-
verkehre mit nur zweimaliger Dampferverbindung wöchentlich
j Selo, während sie im Sommer mit seinem gewaltigen Fremden-
i
f
178
Br. Seiftert.
ström aasblieben, betrafen sie anch ausnahmslos Helgoländer,
die oft viele Jahre lang die Insel nicht verlassen hatten.
Als wahrscheinlichste, ja fast einzige stichhaltige Erklärung
blieb hier nur, abgesehen von einzelnen Kontaktinfektionen, die
natürlich anch vorkamen, die Verbreitung des Typhuskeimes durch
das Trinkwasser übrig. Die Typhuserreger sind bei der letzten
Epidemie des Jahres 1894/95, wie ich aus den Aufzeichnungen
meines Vorgängers, des jetzigen Kreisarztes Dr. Mewius in
Neustadt O.-S., entnehmen konnte, vom Festlande her auf der
Insel eingeschleppt und in grossen Mengen durch die Auswurf*
Stoffe der Erkrankten in den Schmutzablagerungen unter den Ab*
fallschledden des Oberlandes aufgestapelt worden. Sie erhalten
sich auf diesem günstigen Nährboden sehr lange lebensfähig,
werden durch die heftigen Winde, also gerade im Herbst und
Frühjahr, immer von neuem mit den Schmutzteilen, an denen sie
haften, aufgewirbelt und über die Dächer der Häuser weithin
verstreut; sie gelangen auf diese Weise in das Zisternenwasser,
wo sie zwar bald absterben, aber doch hier und da eine Typhus¬
erkrankung auslösen.
Mein damals gegebener Bat die offenen Abfallschiedden des
Oberlandes in weite geschlossene Böhren umzuwandeln, welche die
Schmutzstoffe direkt der See zuführen sollten, ist wegen der hohen
Kosten und der bedeutenden technischen Schwierigkeiten der An¬
lage nicht ausgeführt worden, und so blieb der Typhus besonders
in der stürmischen Jahreszeit auf Helgoland ein ständiger Gast
Jedenfalls glaubte ich dieses Beispiel als eine Stütze an¬
führen zu dürfen für die uralte und fest in der Volksmeinung
haftende Annahme, dass bei der Entstehung des Unterleibstyphus,
abgesehen von den gewiss auch zahlreichen Fällen direkter Ueber-
tragung, das Wasser eine Hauptrolle spielt.
Zwei Typhusepidemien.
Von Kreisarzt Dr. Selffert in Mühlhausen in Thüringen.
Die beiden nachstehend zu schildernden Typhusepidemien
zeichnen sich weder durch Umfang, noch die besondere Art ihres
Verlaufes aus, dürften aber ein gewisses Interesse für sich in
Anspruch nehmen, weil sie klar, wie bei einem Laboratoriums¬
experiment die Entstehung der Epidemie aus dem Trinkwasser
erkennen lassen.
Die erste — ebenso wie die zweite nur von geringem
Umfange — entstand im Sommer 1901 auf dem hiesigen, ca. 3 km
von der Stadt gelegenen Stadtgut Pfafferode. Zu gleicher Zeit
erkrankten plötzlich drei Feldarbeiter an Unterleibstyphus. Diese
gleichzeitige Erkrankung schloss eine Kontaktübertragung
von einem zum andern aus; vielmehr musste eine gemeinsame
Infektionsquelle vorliegen. Da die Fäkalien der Stadt Mühlhausen
Zwei Typhtuepidemien.
179
uch diesen Gute abgefahren and dort als Dong verwendet werden,
»lag der Gedanke eines Zusammenhanges zwischen dieser Fä-
kaüenabfohr und der Typhnsepidemie um so näher, als kurz vorher
ia Mühlhausen einige Typhusfälle vorgekommen waren, also auch
Typhuskeime in den Fäkalien nach Pfafferode verschleppt sein
kannten. Da anderseits der Zufall höchst wunderlich hätte spielen
■flaaen, wenn die gleichzeitig aufgetretenen Erkrankungen von
direkter Infektion durch die etwa in den Fäkalien enthaltenen
Typinlikeime herrühren sollten, so musste ein auf die Erkrankten
gleichzeitig wirkendes Medium angenommen werden; es drängte
lieh also der Gedanke auf, dass durch den Genuss eines mit den
aaeh Pfafferode verschleppten Typhuskeimen verseuchten Nahrungs-
oder Genussmittels die Erkrankungen entstanden seien. Nach
Prüfung der leicht übersehbaren örtlichen Verhältnisse schien das
Wasser des Gutsbrunnens dieses Medium zu sein. Die Unter¬
suchung des Brunnens ergab einen eigenartigen Bau desselben:
Ia einem kellerartigen, weit in den felsigen Untergrund parallel
nr Erdoberfläche hineinreichenden Gewölbe sammelte sich das
aas der Felsspalte hervortretende Grundwasser an; über dem Ge-
wölbe befand sich eine sogenannte Brunnenstube, ein überdachter
ud mit zementiertem Fussboden versehener Raum, in dem eine
durch den Fussboden hindurchgehende Pumpe stand, mittels der
das Wasser aus dem darunter liegenden Wassergewölbe herauf-
gepumpt wurde. Es war ersichtlich, dass bei etwaigen Defekten
des Fassbodens in der Brunnenstube das Überfliessende Wasser
•amt den am Fussboden befindlichen Schmutzstoffen in das Ge¬
wölbe und damit das Brunnenwasser hindurchsickern musste.
Namentlich der in die Brunnenstube von den Wasserholern hinein¬
gebrachte Stiefelschmutz konnte dann in das Brunnenwasser ge¬
raten. Letzteres musste aber um so gefährlicher sein, als die
weitere Feststellung ergab, dass die mit der Ausbreitung der
Fäkalien beschäftigten Feldarbeiter die Angewöhnung hatten, nach
beendeter Arbeit unter dieser Pumpe die Fäkalienreste von ihren
Stiefeln zu spülen. Es konnten also bei vorhandener Undichtig¬
keit des Fassbodens auf diese Weise etwa in den Fäkalien ent¬
haltene Typhuskeime direkt dem Trinkwasser einverleibt werden.
Zw Feststellung der Dichtigkeit wurde nun ein Eimer Kalkmilch
aif dem Fassboden ausgegossen. Sofort liess sich vom Wasser-
gewölbe aus ein lebhaftes Durchsickern der milchig weissen Kalk-
tüasigkeit beobachten. Die Durchgängigkeit war also festgestellt,
worauf Desinfektion des Brunnens und sachgemässe Reparatur
erfolgte. Da nun die Erkrankten bereits bei Beginn der Er¬
krankung durch Ueberführung in das städtische Krankenhaus
kotiert, Kontaktinfektionen demnach ausgeschaltet waren, so
■niste, falls das Wasser wirklich die alleinige Ursache der plötz¬
lich entstandenen kleinen Epidemie war, dieselbe nunmehr be¬
endet sein. Und tatsächlich war es so, die Epidemie war damit
obgmehlossen. In dem epidemiologischen Beweis, dass
oi lieh um eine echte Wasserepidemie gehandelt hat,
vsr damit die Probe auf das Exempel gemacht.
18 Ö
l)r. Saiffert.
Die zweite Epidemie ist das Pendant zu der ersten, ln
Diedorf, einem Gebirgsdorfe des hiesigen Landkreises, in dem
bis dahin niemals Typhnsfälle vorgekommen waren, erfolgten plötz¬
lich 7 derartige Erkrankungen. Die nähere Untersuchung ergab,
dass seit einigen Monaten bereits ab und zu ähnliche Erkrankungs¬
fälle vorgekommen, aber als „Influenza“ diagnostiziert waren;
charakteristisch für alle diese Fälle war der wahre Wolfshunger,
den die Befallenen während der Rekonvaleszenz entwickelt hatten.
Der sich von selbst einstellende Verdacht, dass diese „Influenza¬
fälle“ Typhusfälle gewesen seien, wurde durch die Feststellung
bestätigt, dass der erste dieser Fälle aus einem Nachbarkreise
eingeschleppt war und aus einer Familie stammte, in der zu
gleicher Zeit zwei andere Mitglieder an positiv festgestelltem
Unterleibstyphus erkrankt waren. Die sieben plötzlich aus¬
gebrochenen neuen Fälle Hessen sich aber nicht durch Kontakt
erklären, hier musste wieder ein geeignetes Medium angenommen
werden, welches die gleichzeitige Entstehung dieser für dörf¬
liche Verhältnisse nicht unbedeutenden Zahl von Erkrankungen
verursacht hatte. Da die Kranken alle in einem ziemUch be¬
grenzten Rayon des ausgedehnten Dorfes wohnten, so konnte ein
das ganze Dorf gleichmässig berührendes Medium nicht in Frage
kommen; und da sich weiter ergab, dass die Erkrankten ihr
Wasser aus einem bestimmten.(Brunnen genommen hatten, der
unmittelbar vor einem Gehöfte lag, in dem einer jener „Influenza¬
fälle“ vorgekommen war, und in dem sich auch jetzt ein Typhus¬
kranker befand, so wurde dieser Brunnen als verdächtig ins
Auge gefasst. Derselbe war dies im übrigen auch schon aus
dem Grunde, weil dicht neben ihm eine mit recht schmutzigem
Wasser gefüllte Viehtränke lag, in welche durch Vermittelung
der Strasse Jauche aus dem genannten Gehöft hineinfliessen
konnte. Die MögUchkeit, dass auf diese Weise anch Typhuskeime
von dem Gehöft in die Tränke geschwemmt werden konnten, lag
jedenfalls offen zutage; ebenso, dass sie in den Schmutzstoffen
dieser Tränke sich halten und weiter entwickeln konnten. Aus
dieser Tränke durch das Vieh konnte aber der Typhus nicht ver¬
schleppt sein; denn dann hätten sich die einzelnen Fälle mehr
über das ganze Dorf verteilen müssen. Der Grund lag wohl
daran, dass unter dem Einfluss der vorjährigen enormen Sonnen-
glut die Typhuskeime sehr schnell nach Verlassen der Tränke
auf der Haut der Tiere abstarben. Vielmehr mussten die Typhus¬
keime in dem Wasser des nebenan Hegenden Brunnens enthalten
sein, aus welchem die in dem genannten Rayon Wohnenden ihr
Trinkwasser holten. Es musste dann aber eine Verbindung
zwischen Tränke und Brunnen > bestehen. Da die Untersuchung
des an sich sehr klaren Wassers das Vorhandensein von salpetriger
Säure, Ammoniak, viel Chlor, sowie einen Bakteriengehalt von
über 4000 Keimen im Kubikzentimeter ergab, so verdichtete sich
dieser Verdacht so weit, dass eine weitere Prüfung der Verhält¬
nisse geboten war. Mittels der Feuerspritze wurde der Brunnen
leer gepumpt und die Viehtränke mit Kalk weiss gefärbt. Sofort
Zwei Typhasepidemien.
181
war im Br unnen gewölbe ein Durchfliessen des milchig -weissen
T rtakeinhal tes durch die anstossende Brannenwand zu sehen, die
Verbindung als o nachgewiesen. Dieses praktische demonstrandum
ad ocolo8 hatte übrigens denselben Erfolg wie bei der ersten Epi¬
demie: Wie dort der Gutsverwalter, so hatten hier Ortsvorsteher
und Brunnenmeister den Gedanken an eine Verseuchung des
Bronnens mit Entrüstung von sich gewiesen; der Augenschein
bekehrte sie, und mit dem überzeugungsfrohen Eifer der Neophyten
gingen sie nun an die notwendigen Verbesserungen. Auch der
Erfolg hinsichtlich der Epidemie war der gleiche: Mit der Des¬
infektion des Brunnens hörte die Epidemie auf; der Zusam¬
menhang zwischen Seuche und Wasser war also auch
in diesem Falle epidemiologisch bewiesen.
Die Desinfektion des Brunnens wurde wie im ersten Falle
folgendennassen ausgeführt:
Zunächst Auspumpung des Brunnens, sodann sorgfältigste Auskratzung
der Brannenwände unter Entfernung allen irgendwie schadhaften oder nicht
mehr absolut festen Materials, namentlich losen Mörtels; darauf frische Zemen¬
tierung der schadhaften SteÜen. Der Brunnengrund wurde mit Ka lkmi lch
reichlich begossen, indem mit Rücksicht auf das sich ansammelnde Wasser ein
entsprechender Ueberschuß von Kalk verwendet wurde; auch die Wände wurden
sorgfältig mit Kalkmilch abgewaschen. Das an gesammelte Wasser blieb
24 Stunden mit dem Kalk vermischt stehen und wurde darauf so lange aus¬
gepumpt, bis es wieder klar ablief. Den Schluß bildete einp Aufschüttung von
Kies auf dem Brunnengrunde.
Nach erneuter Untersuchung des Wassers wurde der Brunnen
freigegeben. Welchen Effekt diese Methode der Brunnendes¬
infektion hatte, ergab sich daraus, dass das Wasser nachher
chemisch völlig einwandsfrei war und anstatt 4000 Keimen nur
deren 7 im Kubikzentimeter enthielt. Der Nachweis der Undich¬
tigkeit mittels Kalkmilch war auch für die Laien sehr instruktiv.
Wo dieselbe durchsickerte, bildeten sich sofort in dem klaren
Brunnenwasser wolkige, milchige Trübungen, die selbst in ge¬
ringsten Mengen deutlich wahrnehmbar waren; ebenso hoben sich
die Kalkmilchwolken in dem schwarzen Tränkewasser in scharfem
Kontrast ab. Von einem Nachweis der Undichtigkeiten mittels
Fluoreszin wurde abgesehen wegen der schweren Entfernbarkeit
desselben aus dem Trinkwasser.
Interessant war schliesslich bei der zweiten Epidemie noch
der Ausfall der Gruber-Widalschen Blutprobe. In vier Fällen
▼ar dieselbe positiv, in drei Fällen negativ, ohne dass sich irgend
ein Grund für diesen verschiedenen Ausfall wahrnehmen liess.
Alle Kranken befanden sich etwa in derselben Krankheitsperiode,
die drei mit der negativen Reaktion waren Angehörige von solchen
nit positiver Reaktion und lagen mit ihnen in demselben Zimmer
bei teilweise erheblich schwereren klinischen Erscheinungen. Die
letzteren waren demnach auf den Ausfall der Reaktion ebenso
einflusslos, wie die Zugehörigkeit zu derselben Familie und
Epidemie.
182
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
A. Gerichtliche Medizin and Psychiatrie.
Ueber gerichtsärztliche Polikliniken. Von Prof. Dr. Pappe, Königs¬
berg L Pr. Aerztliche Sachverständigen - Zeitung; 1904, Nr. 24.
Nach Pappe liegt das Bedürfnis nach gerichtsärztlichen Polikliniken
in Universitätsstädten vor; Material würden sie ausreichend haben. Der
Gegenstand einer gerichtsärztlichen Poliklinik würde der sein, ärztliche Gut¬
achten und Urteile abzageben für den allgemeinen Gebrauch des Pablikums,
welches sein Recht sacht, and zwar auf Erfordern des Recht Suchenden. In
erster Linie kommen Unfallverletzte and Invaliden in Frage, die Abschätzung
ihrer Erwerbsfähigkeit würde Aufgabe einer gericbtsärztÜchen Po liklinik sein
können. Aach Untersuchungen auf den Gcisteszastand, ob eine Entmündigung
oder eine Pflegschaft einzuleiten ist, kommen in Betracht, desgleichen Unter-
sachongen in sexueller Hinsicht, behafs Anfcchtang einer Ehe, ferner bei be¬
hauptetem Stuprum, Zeugungsfähigkeit etc. Es würden auch Untersuchungen
auf fragliche Spuren von Verbrechen, z. B. Spermaflecken etc., statthaben können,
Sektionen Unfall-Verstorbener würden weiteres Material bilden. Die Begut¬
achtung muß, da sie häufig ohne eine gehörige aktenmäßige Unterlage erfolgt,
sich eng an die Untersuchungsergebnisse anschließen; sie muß mit der erforder¬
lichen Vorsicht einhergehen. Würde sie das nicht, dann würde die Einrichtung
in Mißkredit kommen, und das Gegenteil von dem, was mit den gerichtsärzt-
lichen Polikliniken beabsichtigt wird , wäre erreicht. Für Universitätsstädte
möchte Referent auch der Ansicht sein, daß sie speziell mit Rücksicht auf die
Ausbildung der angehenden Aerzte ein Bedürfnis sind.
Dr. Troeger-Adelnau.
Gerichtsärztliche Bedeutung der Strychnin-Vergiftung. Von Dr. Wilh.
Pflanz. Friedreichs Blätter; 1904, H. 8 und 4, 1905, H. 1.
Die Dosis toxica für das Strychnin ist 0,02 bis 0,03 £. Nach 0,08 g
und darüber sind wiederholt Todesfälle beobachtet; anderseits ist auch Lebeus-
rettung nach 0,18—0,42, ja selbst noch nach 1,25 g vorgekommen. Der Aus¬
gang der Vergiftung hängt von den individuellen Verhältnissen, der Art der
Beibringung des Giftes, sowie eventuellen therapeutischen Eingriffen ab. Bei
Verabreichung von Strychnin zu therapeutischen Zwecken ist seine kumulative
Wirkung zu beachten, auch als Abortivum kann Strychnin Verwendung finden,
da es Uteruskontraktionen auslöst. Die Wirkung des Strychnins äußert sich
in typischen Reflexkrämpfen vorwiegend tonischer Art, die sich nach mehr
oder weniger kurzen Pausen wiederholen; nur selten ist ein Paroxismus be¬
obachtet. Die ersten Vergiftungserscheinungen treten nach der Applikation
des Strychnins in wenigen Minuten (5—10—20), aber auch nach einer Stunde
und noch später auf. Die Höhe der Dosis ist wenig bestimmend für den
schnallen Eintritt der Symptome, sondern vorwiegend die Resorptionsverhältniase.
Die Strychninvergiftung verläuft sehr schnell, in der Regel innerhalb weniger
Stunden, selten währt sie, auch bei Genesung länger als einen Tag. Der Tod
nach Applikation von Strychnin erfolgt meist nach mehreren Paroxysmen ent¬
weder durch Asphyxie im Anfall selbst, oder bald darauf durch Erschöpfung,
Lähmung der Medulla oblingata und des Rückenmarkes. Es sind aus¬
nahmsweise und selten auch Todesfälle ohne Krämpfe beobachtet worden. Der
äußere Leichenbefund hat nichts Charakteristisches an sich, ebensowenig
der Obduktionsbefund, der oft die Erscheinungen der Asphyxie zeigt.
Der chemische Nachweis ist bei der großen Anzahl typischer Reaktionen
vollständig eindeutig zu führen; schon 0,01 mg Strychnin nitric. können auf
diese Weise naoh gewiesen werden. Wenn alle Reaktionen durchgeprüft
werden, ist eine Verwechselung mit Ptomainen (Leichenstrychnin) ausge¬
schlossen.
Der physiologische Nachweis des Strychnins kann zur Beweiskräftigung
neben dem chemischen herangezogen werden, vermag ihn aber nicht zu ersetzen,
da noch andere Substanzen etc. (Toxine) ähnliche und dieselben Erscheinungen
beim Tierversuche auslösen können. Das Strychnin ist derart widerstandsfähig,
daß es auch in exhumierten Leichen noch nach langer Zeit nachgewiesen
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
183
werden kann. Wo dieser Nachweis nicht gelingt, kann das Alkaloid mit den
Körpersäften in die Umgebung der Leiche diffundiert sein. Bei den charakte¬
ristischen Krankheitserscheinungen läßt sich event. ans diesen and etwaigen
richterlichen Erhebungen auch ohne chemischen und physiologischen Nachweis
die Diagnose mit einer an Gewißheit grenzenden Wahrscheinlichkeit stellen.
Eine Unterscheidung der Vergiftung durch Strychnin von einer solchen durch
andere, ähnlich wirkende Gifte ist durch die chemische Analyse zu bewirken.
Von spontan auftretenden Krankheiten ist mit einer Strychninvergiftung nur
der Tetanus unter Umständen zu verwechseln; wo dieser in Frage kommt,
kann das physiologische Experiment mit dem Serum der Leiche, oder bei trau¬
matischem Tetanus — auch der bakteriologische Nachweis eventuell Klarheit
verschaffen. Dr. Rump-Osnabrück.
Ueber die histologischen Veränderungen der Plaeenta hei der Sub-
timatrergiflaag. Von Dr. H. Marx und Dr. A. Sorge. Vierteljahrsschrift
für gerichtliche Medizin; Bd. XXIX, Heft 1.
Durch Versuche von Straß mann und Ziemke ist bewiesen, daß bei
der akuten Subiimatvergiftung durch große Dosen das Gift von der Matter
anf den Fötus übergeht. Durch histologische Untersuchungen haben nun die
Verfasser festgestellt, daß als Ursache hierfür ausgedehnte auf den fötalen
Anteil übergreifende Zellnekrose der Plaeenta anzusehen ist. Bei kleineren,
für das Muttertier auch schon tödlichen Dosen findet ein Uebergang des Giftes
von der Mutter auf den Fötus nicht statt, was darin eine Erklärung findet,
daß in diesem Falle die Epithelien in den Grenzzonen der Plaeenta intakt bleiben.
ProL Ziemke-Halle a. S.
Ueber quantitativen Blutnachweis. Von Dr. A. Schulz. Viertel-
jahraschrift für gerichtliche Medizin; Bd. XXIX, 1. Heft.
Straßmann und Ziemke haben zuerst aus Anlaß des Polnaer Mord¬
prozesses Versuche darüber angestellt, wie sich eine außerhalb des Körpers
befindliche Blutmenge quantitativ bestimmen lässt. Von den erprobten Methoden
empfahlen sie für frisches Blut eine kolorimetrische Methode, für älteres die
Bestimmung der Trockensubstanz. Schulz ging daran, auch in anderen Stoffen,
als Leinwand, so namentlich in Erde, Sand und auf Holz, Blut quantitativ zu
bestimmmen. Seine Ergebnisse mit der kolorimetrischen Methode erwiesen ihre
Brauchbarkeit auch in den vorliegenden Fällen. Als eine sehr zweckmäßige
Methode empfiehlt er ferner ein von ihm ünter Zuhilfenahme des biologischen
Blutnachweises aasgearbeitetes Verfahren, welches darauf beruht, daß das Auf¬
treten der spezifischen Trübungen und ihr zeitlicher Ablauf ein gesetzmäßiges
Verhalten erkennen lassen. Die Leistungsfähigkeit dieser Methode war so
groß, daß noch nach 8 Monaten auf Leinewand angetrocknetes Blut in ganzer
Menge nachweisbar war. Prof. Ziemke- Halle a. S.
Ueber Konservierung von Organen und Organinhalt zu nachträglicher
mikroskopischer und chemischer Untersuchung. Von Dr. A. Grigorjew.
Vierteljahrsschrift für gerichtliche Medizin; Bd. XXIX, Heft 1.
Nach den Erfahrungen des Verfassers eignet sich die lOproz. Formalin¬
lösung zur Konservierung von Organen und Organinhalt besonders gut, wenn
auch der Obduktion eine mikroskopische oder chemische Untersuchung statt-
flnden soll, dämtlichc in der Vergiftungspraxis am häufigsten vorkommenden
Gifte mit Ausnahme des Alkohols lassen sich in den durch Formalin gehärteten
Organen noch nachweisen. Dies ist auch deswegen von forensischer Bedeutung,
weil durch den Formalinzusatz die Bildung der störenden Leichenptomaine
-verhindert werden kann, welche in ihren Reaktionen den Alkaloiden bekannt¬
lich sehr ähnlich sind und daher den Alkaloidnachweis erheblich erschweren
können. Prof. Ziemke-Hallea.S.
184
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
B. Bakteriologie, Infektionskrankheiten und öffentliche« -
Sanitätswesen.
Veber Tropenkrankhelten (Gelbe» Fieber, Schlafkrankheit, Heribert).
Aus dem Zyklus von Vorträgen über „Volksseuchen“ veranstaltet vom Zentral¬
komitee für das ärztliche Fortbildungswesen in Preußen. Von Dr. B. Nocht-
Zeitschrift für ärztliche Fortbildung. 1. November 1904, Nr. 21.
Das gelbe Fieber ist eine akute Infektionskrankheit, die von ihren
tropischen endemischen Herden aus sich zeitweise epidemisch weiter verbreitet,
doch nur bei einer mittleren Temperatur von 20 Grad. Die Krankheit kommt
vor auf den Antillen, am mexikanischen Golf, den Südstaaten der Union, an
der Ostkttste Südamerikas, besonders in Brasilien und in gewissen Teilen We3t-
afrikas. Nach Europa verschleppt, hat das gelbe Fieber nur im Süden und
auch dort nur im Sommer zu Epidemien geführt; an den Küsten Mittel- und
Nordeuropas treten nur eingeschleppte Fälle auf, die höchstens schnell vor¬
übergehende lokale Ausbrüche im heißen Sommer verursachen. Längerer Auf¬
enthalt in den Gegenden des gelben Fiebers verleiht Immunität, die darauf
beruht, daß diese Immunen einmal einen ganz leichten Anfall von gelbem
Fieber überstanden haben, der als leichte, nicht charakteristische fieberhafte
Erkrankung auftritt.
Es gibt drei Formen der Krankheit: eine leichte 2—3tägige, nicht
charakteristische fieberhafte Allgemeinerkrankung, die bisweilen mit Erbrechen
und Albuminurie einhergeht und eine günstige Prognose hat. Die zweite und
häufigste Form beginnt mit plötzlichem, eventuell .unter Schüttelfrost auf¬
tretendem Fieber, Kopf-, Augen-, Bücken- und Lendenschmerzen. Nach 3 bis
4 tägigem Fieber sinkt die Temperatur, bald aber treten die Zeichen allge¬
meiner Blutdissolution auf: Nasen-, Zahnfleisch-, Magenblutungen, Blutstühle
und enormer Icterus. Dazu große Schmerzhaftigkeit des Leibes; Urinsekretion
entweder ganz unterdrückt oder sehr spärliche Absonderung stark eiweißhaltigen
Urins; Puls eher retardiert; Milz wenig oder gar nicht geschwollen. Heilung
ist hier selten, der Tod erfolgt im Kollaps. — Pathologisch - anatomischer Be¬
fund: Ikterische Leber mit heftiger Degeneration; akute parenchymatöse Ent¬
zündung oder fettige Degeneration des Herzens und der Nieren. Im Magen-
Darmkanal reichliche Mengen frischen und alten Blutes. — Blutergüsse in der
Haut, den Schleimhäuten und Muskeln. — Die dritte Form führt foudroyant
unter Hyperpyresie in wenigen Stunden zum Tode, ohne daß es zur Ausbildung
charakteristischer Symptome und Veränderungen kommt.
Die Diagnose ist in den leichten Fällen kaum zu stellen; diffe¬
rentialdiagnostisch kommt dabei die Malaria in Betracht; hier würde aber der
mikroskopische Nachweis der Malariaparasiten im Blute jeden Zweifel be¬
seitigen. — Der ausgesprochene Gelbfieberanfall ist nicht mit Malaria zu
verwechseln, wohl aber könnte eine Komplikation derselben, das Schwarzwasser¬
fieber, unter Umständen ähnliche Erscheinungen hervorrufen, da die Haemo-
globinurie bei dieser Krankheit ganz fehlen kann. Hier werden jedoch die
Malariaanamnese und die deutliche Milzschwellung vor Verwechselung
schützen.
Der Infektionsstoff selbst ist noch nicht gefunden; Nocht be¬
gründet hieran des näheren, daß der von Sanarelli als Gelbfiebererreger
beanspruchte Bacillus ätiologisch nicht mehr in Betracht kommen kann. Wir
wissen, daß der Infektionsstoff des gelben Fiebers sich in den ersten drei
Tagen der Erkrankung im Blute der Erkrankten in übertragbarer
Form findet, daß er sowohl durch direkte Blutimpfung, wie durch die Stiche
einer bestimmten Mückenart, der Stegomyia fasciata, übertragen werden kann.
Die durch Moskitos übermittelte Infektion verläuft um so schwerer, je längere
Zeit verflossen ist, nachdem sich der Moskito infiziert hat; vor Ablauf von 12
Tagen nach dem Aufsaugen des Blutes der Kranken ist der Stich überhaupt
nicht gefährlich. Nur wenn die Mücke in den ersten drei Tagen der Er¬
krankung einen Gelbfieberkranken gestochen hat, vermag ihr Stich eine weitere
Erkrankung hervorzurufen. Die Inkubation nach Uebertragnng durch Stich
kann 14 Tage betragen. Die Stegomyia ist, wie das Gelbfieber, auf die
wärmeren Länder beschränkt und geht bei niedriger Temperatur zugrunde.
Sie kann mit Schiffen und Beisegepäck weit verschleppt werden, bevorzugt
dabei auf Schiffen die warmen Bäume, wie Küchen- und Maschinenräume. Auch
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
186
du Bilschwasser der Schiffe, das znm Ablegen der Eier von der Stegomyia
aufgesueht wird, kann zur Weiterverbreitung auf diese Art beitragen.
Der Verkehr mit einem Gelbfieberkranken und die noch so innige und
lange Berührung mit seinen Auswurfstoffen, seinen Kleidern usw. vermag die
Krankheit nicht zu übertragen. 1 )
Für die Verhütung des Gelbfiebers kommen dieselben Methoden in
Betracht, wie für die der Malaria; aber da die Gefahr, daß die Mücken sich
an den Kranken infizieren, nur drei Tage dauert, liegen die Verhältnisse für
die Bekämpfung hier viel günstiger. Bei einer einigermaßen geordneter Sani¬
tätsverwaltung ist es möglich, daß alle Gclbfieberkranken und alle fieberhaft
Erkrankten, bei denen der Golbfieberverdacbt nicht ausgeschlossen werden
kann, zur Anzeige kommen. Die Kranken werden während der ersten 3 Tage,
während welcher sie gefährlich sind, unter Moskitonetzen isoliert und die
Häuser, in denen die Krankheit auftrat, von den Moskitos durch Ansschwefeln
befreit. Die gesunden Leute der Umgebung des Kranken werden während der
Inkubationszeit (circa 14 Tage) überwacht und sobald sie Fieber bekommen,
unter Netzen isoliert. Weitere Isolierungen und Desinfektionen scheinen nicht
nötig zu sein. Gor gas bat im Jahre 1901 in Havanna, wo seit 140 Jahren
kein Monat ohne Gelbfieberfälle vergangen war; es mit diesen Mitteln erreicht,
daß innerhalb eines knappen Jahres die Krankheit verschwand: denn seit Sep¬
tember 1901 ist Havanna vollständig frei von Gelbfieber geblieben.
Die afrikanische Schlafkrankheit*) bedeutet eine ernste Gefahr für
Ackerbau und Handel im tropischen Afrika; denn sie hat schon ganze Dörfer
entvölkert und hat bereits die Grenzen des deutschen Schutzgebiets über¬
schritten, was für uns um so bedeutungsvoller ist, als die bisherige Ansicht,
daß die weiße Basse gegen diese Krankheit immun sei, nicht mehr aufrecht
zu erhalten ist. Die Schlafkrankheit dauert mehrere Monate bis zu 1—2 Jahren
und endet anscheinend immer tödlich. Sie beginnt mit gelegentlichen Fieber¬
attacken, dazu kommen Kopfschmerz und Schwindel und gedunsenes Aussehen.
Nach und nach stellt sich zunehmende Müdigkeit ein, die Kranken schlafen
bei der Arbeit, selbst beim Essen ein. Die Intelligenz ist wohl erhalten, keine
Sensibilitätsstörungen, keine Lähmungen, wohl aber Schwäche und Zittern der
Muskulatur. Dazu Schwellung der Lymphdrttsen, besonders am Halse und
Nacken. — Da die Ernährung schließlich Schwierigkaiten macht, sterben die
Kranken kraftlos und komatös, manchmal mit terminalen Konvulsionen, unter
meaingitischen Erscheinungen. — Pathologisch anatomisch ist eine
diffuse Meningo-Encephalitis nachweisbar. Aetiologisch kommen hier in
Betracht die zuerst 1903 von Castellani, dann von einer ganzen Anzahl
anderer Forscher in der Lumbalflüssigkeit der Schlafkranken gefundenen Try¬
panosomen, die sich auch auf Tiere (z. B. Affen) übertragen ließen und hier
ein ähnliches Krankheitsbild auslösen. Die Trypanosomen halten sich nach der
Infektion zunächst im Blute auf und dringen erst später in die nervösen Zentral¬
organe ein, wo sie die Erscheinungen der Schlafkrankheit hervorrufen; hiernach
scheint es erklärlich, daß die Inkubationszeit sich über Jahre erstrecken kann.
Debertragen werden die Trypanosomen nach Ansicht französischer und
eaglischer Forscher durch eine große, nur am Tage im Freien umherfliegende
Stechfliege, eine Tsetseart.
Die Beriberlkrankhelt hat ihren Hauptherd in Ostasien, ist aber schon
aber aUe Weltteile verbreitet, mit Ausnahme von Europa, wo sie noch keinen
festen Fuß gefaßt hat. Nur in einigen Irrenanstalten in England, Irland und
Frankreich sind vorübergehende Ausbrüche einer beriberiartigen Krankheit be¬
obachtet worden.
*) Nach diesen neueren Forschungen würde der das Gelbfieber behandelnde
S 13 der Polizeiverordnung, betr. die gesundheitspolizeiliche Kontrolle der
einen Preußischen Hafen anlaufenden Seeschiffe, vom 31. Juli 1895, in der
Fassung der Polizei-Verordnung vom 23. April 1900 (Veröffentlichungen des
Kaiserlichen Gesundheitsamts S. 901) eine Aenderung bezw. Ergänzung erfahren
müssen. — Beferent.
*) Siehe das Beferat über den von Bobert Koch über die Schlafkrank¬
heit am 26. Oktober v. J.’in der Berliner Medizin. Gesellschaft gehaltenen
Fortrag; S. 186.
186
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
Klinisch erscheint die Beriberi sehr vielgestaltig, ihre Hauptsymptome
werden bedingt durch eine degenerative Neuromyositis; am meisten in die
Augen springend sind die Prozesse, welche die Gliedmaßen (Paresen, Atrophien),
und diejenigen, welche den Zirkulationsapparat, namentlich das Herz und den
Vagus (Oedeme, Herzinsuffizienz) betreffen. — Man kann 4 Formen der Beri¬
beri unterscheiden.
1. Die unvollkommen ausgebildete: ein chronischer Zustand von Muskel¬
schwäche in den Beinen, Herzklopfen und Beklemmungsgefühl, bleibt oft
monatelang bestehen; 2. die atrophische Form: fortschreitende Parese and
Atrophie der Bein- und Armmuskeln, Herzerscheinungen selten oder nur wenig
ausgesprochen; 3. die hydropische Form mit mehr oder weniger allgemeinen
Oedemen, verminderter Urinmenge, Herzklopfen, Beklemmung, Vergrößerung
und Insuffizienz des Herzens; 4. die akute kardiale Form: schwere akute Herz¬
dilation, die in wenigen Tagen oder Stunden zu Tode führt — Heilung ist
möglich, tritt aber erst nach vielen Monaten ein; oft tritt in der Rekonvales¬
zenz akute Verschlimmerung und Tod ein.
Bei der Sektion findet man: Herzdilatation, besonders am rechten
Ventrikel, Degeneration der Herzmuskulatur, Stauungsleber; häufig Milz¬
schwellung und Stauungsniere, aber auch parenchymatöse und Glomerulo¬
nephritis. Ferner degenerative Veränderungen in den peripheren Nerven and
Muskeln der Gliedmaßen, im Phrenicus und Vagus mit seinen Kernen am
Boden des vierten Ventrikels.
Für die Aetiologie und Pathogenese der Krankhoit fehlt noch
eine sichere Begründung im einzelnen. Verfasser führt an Beispielen aus, daß
hier noch unvereinbare Gegensätze bestehen: auf der einen Seite existieren
sichere Belege, die dafür sprechen, daß die Beriberi infektiösen Ursprungs Ist
und mit der Ernährung nichts zu tun hat, auf der anderen Seite können die
in der japanischen Marine und bei unserer Handelsmarine gemachten Er¬
fahrungen gar nicht anders gedeutet werden, als daß die Ernährung hierbei
eine ursächliche Rolle spielt Daher kommt Verfasser zu dem Resultat, daß
die Beriberi keine einheitliche Aetiologie hat, sondern daß ihr wie bei der
Ruhr verschiedene Ursachen zugrunde liegen. Aus diesen Gründen darf man
bei der Bekämpfung und Prophylaxe der Beriberi nicht nur infektiösen
Einflüssen nachgehen, sondern man sollte sich auch über die Ernährung orien¬
tieren und ihrer Verbesserung die größte Aufmerksamkeit zuwenden. *)
Zum Schluß bespricht Verfasser noch eine auf unserer Handelsmarine
vorkommende Erkrankung, die mit Beriberi große Aehnlichkeit hat und häufig
in Verbindung mit Skorbut auftritt Dr. Pflanz-Adlersbof b. Berlin.
Ueber die Trypanosomenkrankheiten. Von Robert Koch. Vortrag,
gehalten in der Berliner medizinischen Gesellschaft am 26. Oktober 1904.
Deutsche medizinische Wochenschrift; Nr. 47,1904.
Die Trypanosomen gehören zu den Flagellaten, den geißeltragenden
Protozoen und sind in dem damit behafteten Blute schon bei mittlerer Ver¬
größerung leicht als lebhaft bewegliche Parasiten von fischähnlicher Form za
erkennen. Sie sind zwei- bis dreimal so lang als ein rotes Blutkörperchen and
haben eine lange Geißel, sowie an einer Seite eine undulierende Membran.
Durch die nach Giemsa modifizierte Romanowskisehe Färbung erscheint
das Plasma des Leibes blau gefärbt mit einem ziemlich großen rot fingierten
Kern und einem am hinteren Ende gelegenen, intensiv rot gefärbten Korn
(Centrosoma); von letzterem geht eine rot gefärbte Linie aus, welche sich am
Rande der undulierenden Membran hinzieht und in die ebenfalls rot gefärbte
Geißel übergeht. Da die Trypanosomen nicht wie die Malariaparasiten Pigment
bilden, kann man schließen, daß sie auch nicht von Haemoglobin, sondern von
*) In Nr. 45 der Med. Woche vom 7. November 1904 wird berichtet, daß
der englische Konsul in Numea auf Neu-Kaledonien an das auswärtige Amt in
London depeschiert hat, daß die Brunnenkresse ein fast sicheres Heilmittel
gegen Beriberi zu sein scheint. Hier in Neu - Kaledonien scheint ebenfalls die
schlechte Ernährung, besonders der Mangel an Gemüse, die Natur der Berg¬
arbeiter für Beriberi zugänglich zu machen, und wahrscheinlich verringert die
Einführung von Gemüsekost die Häufigkeit dieser Erkrankungen. Referent.
Kleinere Mitteilungen nnd Referate aus Zeitschriften.
187
Bestandteilen des Blutplasmas leben. Alle Trypanosomenkrankheiten können
zwar auch, wie die Malaria, einen ziemlich akuten Verlauf nehmen, in der
Begel jedoch ziehen sie sich lange Zeit, oft jahrelang, hin. Sie veranlassen
unregelmäßiges Fieber, das oft durch kürzere oder längere Intermissionen unter¬
brochen ist, Anaemie, Abmagerung, Sinken der Kräfte, lokalisierte Oedeme,
Auchwellung der Lymphdrüsen und der Milz. Die hier in Betracht kommenden
TTypanosomenkrankheiten sind die bei Säugetieren, besonders den Haustieren,
ia Afrika auftretende Tsetsekrankheit, deren Analogon in Asien (Vorderindien)
die Surra ist, und das Mal de Caderas in Südamerika, das dort den Pferden
besonders gefährlich wird. K. hält die beiden erstgenannten Krankheitsprozesse
für identisch trotz des lebhaften Widerspruchs, den er hier von manchen
Autoren erfahren hat; von Musgrave wird auch das Mal de Caderas
nit Tsetse und Surra vereinigt. Für die Tsetsekrankheit ist der Mensch ganz
unempfindlich.
Beim Menschen wurden Trypanosomen zuerst im Jahre 1901 von Dutton
am Gambia im Blute eines Malariaverdächtigen gefunden; 2 Jahre später
fand Castellani solche Protozoen in der Cerebrospinalflüssigkeit von Schlaf¬
kranken. Die Bedeutung der Trypanosomen für die Schlafkrankheit stellte
Bruce fest, der auch den Nachweis führte, daß hier eine Stechfliege, die
Glossina palpalis, die Vermittlerin der Infektion ist. Bald stellte sich heraus,
daß die Schlafkranken nicht nur in der Cerebrospinalflüssigkeit, sondern auch
im Blute die Trypanosomen haben, und daß bei denjenigen, welche nur im
Blute die Trypanosomen haben, sich später die Schlafkrankheit entwickeln
kann: Die Schlafkrankheit ist also nur ein Symptom der Trypanosomiasis
des Menschen, das sich dann einstellt, wenn die betreffenden Protozoen ihren
Weg zum Cerobrospinalraum gefunden haben, wonach, soweit bis jetzt bekannt
ist, wohl stets der Tod eintritt. Fraglich ist es aber, ob es in jedem Falle
von Trypanosomiasis zur Entwickelung der Schlafkrankheit kommt, da auch
Fälle beobachtet sind, die ohne Cerebralsymptome durch Entkräftung zum Tode
führten. Es steht auch noch nicht einmal fest, ob nicht eine spontane Heilung
hier vorkommt.
Nach der Infektion kann noch lange Zeit Wohlbefinden bestehen bis
»ich unregelmäßiges Fieber einstellt, dem dann die anderen schweren Krank-
heitserscheinungen folgen. Einen gewissen Anhaltspunkt für die Verbreitung
der Trypanosomen in einem endemischen Gebiet geben die Zahlen von Bruce,
der in Uganda bei Untersuchung von 80 scheinbar gesunden Eingeborenen bei
23 derselben (= 28,7 °/ 0 ) Trypanosomen im Blute fand. Hier in Uganda hat
die Krankheit in wenigen Jahren etwa 200000 Menschen dahingerafft. Auch
Europäer können ergriffen werden, wie mehrfach Beispiele gezeigt haben. —
Die beim Menschen gefundenen Trypanosomen lassen sich weder morphologisch
aoeh in bezug auf ihre pathogenen Eigenschaften gegenüber den Haus- und
Versuchstieren von denjenigen der Tsetse und Surra unterscheiden. Von dieser
Gruppe sind aber zwei Trypanosomenarten scharf abgegrenzt in ihrem morpho¬
logischen Verhalten, ihrer Virulenz und ihrem Verhalten zum Wirtstier: das
Trypanosoma Theileri, das, ausschließlich für Rinder pathogen, bei diesen
Tieren in Südafrika gefunden wurde, und die Erreger der Trypanosomiasis der
Batten, die in diesen daraufhin untersuchten Tieren in 10—30°/„, ja gelegent¬
lich bis zu 90°/ 0 der Fälle gefunden werden, ohne dass die davon befallenen
Here sichtlich krank erscheinen. — K. geht dann des näheren auf seine inter¬
essanten Versuche ein, die mit den Trypanosomen der Tsetsekrankheit ange-
stellt wurden, um hierdurch den Beweis dafür zu führen, daß die Gruppe, zu
welcher Tsetse, Surra, Mal de Caderas und Trypanosomiasis des Menschen ge¬
hören, sich untereinander morphologisch nicht scharf abgrenzen lassen, daß ihre
Virulenz in weiten Grenzen schwankt und daß sie nicht ausschließlich auf
einen bestimmten Wirt angewiesen sind. Die Trypanosomen wechselten in
Größe und Gestalt, wenn sie auf verschiedene Tiere übertragen wurden;
ihre Virulenz ließ sich durch Tierpassagen nach Belieben beträchtlich erhöhen
aad auch herabsetzen. Da sich die Trypanosomen auf fast alle Säugetiere,
welche daraufhin untersucht wurden, verimpfen ließen, zieht K. den Schluß,
daß sie erst verhältnismäßig kurze Zeit in ihren Wirten leben, sich also diesen
gegenüber noch nicht fest angepaßt und sich noch nicht zu festen Arten ent-
wickelt haben.
188
Kleinere Mitteilungen und Referate aua Zeitschriften.
Was non die Immunisierung betrifft, so gelang es zwar mit Trypano¬
somen, die in ihrer Virulenz abgeschwächt waren, Rinder so zu immunisieren,
daß sie auch nach Impfung mit sehr virulenten Trypanosomen gesund blieben.
Aber wie beim Texasfieber und Küstenfieber sich im Blute der immunen Tiere
die Parasiten mikroskopisch nachweisen lassen, so zeigte es sich auch, daß
künstlich gegen Tsetse immunisierte Rinder trotz anscheinenden Wohlbefindens
jahrelang die Trypanosomen bei sich hatten, die sich zwar nicht mikroskopisch,
wohl aber durch den Tierversuch nachweisen ließen. Es würden demnach also
die so immunisierten Rinder nur weitere Infektionsquellen schaffen und somit
die Tsetse, anstatt ausgerottet zu werden, dauernd erhalten bleiben. Daher
hält K. es nicht für ratsam, die Tsetsekrankheit durch künstliche Immunisierung
zu bekämpfen. Er weist auf einen anderen Weg zur Bekämpfung der
Seuche hin, indem er darauf aufmerksam macht, daß überall dort, wo das
große Wild weggeschossen ist, oder sich verzogen hat, auch die Tsetsekrank¬
heit aufgehört hat, da mit dem Verschwinden des Wildes auch die Zwischen¬
träger der Infektion, die Tsetsefliegen, verschwinden. Guter Viehstand und
guter Wildstand vertragen sich nicht zusammen auf afrikanischem Boden. —
Sehr erfolgreich wirken Maßregeln gegen die Trypanosomen selbst: alle Tiere,
welche Trypanosomen beherbergen, müssen aufgesucht und durch Vernichten
oder Abschlachten unschädlich gemacht werden, oder aber, wenn sie für
Schlachtzwecke aufbewahrt werden sollen, müssen sie so isoliert werden, daß
sie andere Tiere nicht mehr infizieren können. Natürlich müssen nicht nur die
sichtlich kranken, sondern auch die scheinbar noch gesunden, aber verdächtigen
Tiere untersucht werden.
Was nun die Trypanosomiasis des Menschen betrifft, so würden die an
ausgesprochener Schlafkrankheit leidenden wohl leicht in Hospitälern isoliert
werden können. Aber damit wäre nichts erreicht; denn die Infektionsquelle
bilden hier die Tausende scheinbar Gesunde, welche schon mit Trypanosomen
behaftet sind und doch unmöglich zu isolieren sind. Die Bekämpfung dieser
Krankheit ließe sich nach dem Beispiele der Malariabekämpfung ins Werk
setzen, wenn es ein Mittel gäbe, das die Trypanosomen im Blute vernichten
würde. Ein solches Mittel gibt es vorläufig noch nicht, wenn auch Aussichten
vorhanden sind, daß es noch gefunden wird, da einige, wenn auch noch unzu¬
reichende Erfolge mit Arsenpräparaten, mit Trypanrot und Malachitgrün (siehe
folgendes Referat) erzielt sind. Um zu den gewünschten Erfolgen bei der Be¬
kämpfung der Trypanosomen zu gelangen, ist es notwendig, daß alle Stationen,
welche ein Interesse hieran haben, sich nach Kräften beteiligen. Zu diesen
Nationen gehört auch die deutsche; denn die Schlafkrankheit hat von Uganda
aus sich schnell bis an die Grenze des Deutsch • Ostafrikanischen Schutzgebietes
ausgebreitet, vielleicht es jetzt schon überschritten.
Dr. Pflanz-Adlershof bei Berlin.
Ueber die Wirkung von Malachitgrün und anderen verschieden¬
artigen Steffen gegen Nagana • Trypanosomen bei weissen Ratten. Kurze
Mitteilung von Prof. H. Wendelstadt, Assistenten am Pharmakologischen
Institut der Universität in Bonn. Deutsche med. Wochenschrift; Nr. 47, 1904.
Verfasser kommt zu dem Schluß, daß es nicht ausgeschlossen erscheint,
daß wir im Melachitgrün einen Stoff haben, der in einer geeigneten Modifikation
allein oder in Verbindung mit anderen Mitteln eine Bedeutung für die Behand¬
lung der Trypanosomenkrankheit gewinnen könnte. Eingehende Versuche sind
jedoch noch notwendig, ehe ein Urteil gefällt werden kann.
Dr. Pflanz-Adlershof bei Berlin.
Ueber Chininprophylaxe in Neuguinea. Von Dr. Wen dl and. Archiv
für Schiffs- und Tropenhygiene; 1904, Nr. 10.
Die von R. Koch angegebene Methode der Chininprophylaxe bietet
nach den Erfahrungen des Autors den wirksamsten Schutz gegen Malaria-Er¬
krankungen. Bei Darreichung von 1,0 g Chinin jeden 9. und 10. Tag während
monatelanger Dauer kamen Keine Malaria-Erkrankungen, selbst nicht in den
stark durchseuchten Gegenden, vor. Keiner der nach Koch behandelten Fälle
Kleinere Mitteilungen Und Referate ius Zeitschriften.
m
erkrankte an Schwarzwasserfieber, wohl aber zahlreiche solche, die ihre Malaria
mit ungenügenden Chiningaben nicht gründlich ausgeheilt hatten.
uegen die Cbininbeschwerden zeigte Bromkali (1,0 g */* Stande nach der
Chiningabe) vielfach günstige Wirkungen. Gesundheitliche Nachteile des
Chiningebraaches worden nicht beobachtet. Die Tageszeit des Einnehmens ist
gleichgültig; für die Wirksamkeit wichtig ist nur das Einnehmen aaf nüchternen
Magen. Dr. Dohm- Cassel.
Bleivergiftung und Ly mphozy tengekalt des Liquor cerebro-spinal 1s.
Ton Mosny und Malloisel. Aus dem Laboratorium des Dr. Mosny im
Hospital Saint-Antoine. Comptes rendus de la soc. de biol.; LYII Band,
Kr. 27, Seite 211.
Die Verfasser untersuchten den Lymphozytengehalt des Liquor cerebro¬
spinalis bei Arbeitern, die an Symptomen von Bleivergiftung litten; z. B. an Blei¬
kolik, an Encephalopathia saturnina, an Bleigicht, an Bleiniere. Es handelte
sich nm Anstreicher, Farbenreiber, Gießer, Arbeiter in Akkumulatorenfabriken.
Sie fanden die Intensität der Lymphozytose der Zerebrospinalflüssigkeit
nicht proportional der Dauer der Ausübung der schädlichen Beschäftigung,
wohl aber im Zusammenhänge mit dem Grade der Intoxikation. Die Lympho-
zytose scheint dem Grade der Imprägnation des Zentral¬
nervensystems mit dem Gifte zu entsprechen, weniger allerdings
der Stärke der jeweiligen Symptome. So fanden sich im Gesichtsfelde bei
einem Anstreicher, der vor 8 Jahren seine erste Bleikolik gehabt hatte, bei
einem neuen typischen Anfalle 5—15 Lymphozyten; bei einem Arbeiter, der
seit 17 Monaten in einer Akkumulatorenfabrik tätig war, an vagen Verdauungs¬
störungen ohne akute Symptome litt, 9—28 solcher Körperchen.
Bemerkenswert ist folgende Beobachtung:
Ein Gießer hatte während einer Bleikolik im Gesichtsfelde 7—11 Lympho¬
zyten im Liquor cerebro - spinalis; etwas später erkrankte er an Encephalo¬
pathia saturnina. Bei dieser fanden die Autoren einen Lymphozytengehalt von
104, dessen Höhe noch 1 Monat persistierte. Solche Zahlen sind ein Beweis
für die intensive Sättigung des Nervensystems durch das Blei.
Schwierig ist es, die Immunität gegen Blei bei solchen Arbeitern der
Hleiindustrie zu erklären, deren Liquor keine geformten Element enthält. So
fand sich bei einem Manne, der seit 1870 als Anstreicher mit Blei zu tun
hatte und an Bleiniere litt, bei einem anderen mit Bleigicht kein oder nur ein
minimaler Lymphozytengehalt.
Die Methode dürfte mit der Zeit wesentliche diagnostische Vorteile
bieten und es ermöglichen, die Imprägnation des Körpers mit Blei, insbeson¬
dere jene des Zentralnervensystems mit Blei, gewissermassen zu messen; sie
wird hie und da auch in der Gewerbehygiene prophylaktisch von Wert
sein. Dr. Mayer -Simmern.
Die gewerbliche Hauterkrankung der Seidenhasplerinnen (Hai de
hassine) und ihre experimentelle Erzeugung* Von F. Heim und L. M.
Pantrier. Comptes rendus de la soc. de Biologie; 1904, LVII, S. 217.
Vom französischen Handelsministerium hatten die Autoren den Auftrag
erhalten, die unter dem Namen „mal de bassine“ bekannte Gewerbekrankheit
da Seidenhasplerinnen zu studieren. Man versteht darunter bekanntlich eine
Hautkrankheit, die sich in Erythem, dann in Bläschen, Blasen, die mit bell-
wisaeriger, schließlich mit eitriger Flüssigkeit gefüllt sind, äußert, und die
uh intensiven Schmerzen cinhergeht. Die Heilung tritt nach Eröffnung der
Pastein auf, falls sich die Krankheit nicht mit tieferer Entzündung una der
Bildung umschriebener Phlegmonen kompliziert.
Diejenigen Arbeiterinnen werden davon betroffen, welche die von ihrer
flockigen Hülle befreiten Kokons in Becken, die mit kochendem Wasser gefüllt
sind, mazerieren müssen. Hierdurch löst sich der Schleim, welcher die Seiden¬
fäden verklebt, und das Abhaspeln kann vorgenommen werden. Die Hand
wird demnach bei dieser Tätigkeit in eine mehr weniger konzentrierte Lösung
der Stoffe getaucht, welche das heiße Wasser dem Wurm und der im Kokon
«ingesehlossenen Puppe entzieht.
Potton, der vor 50 Jahren das „mal de bassine“ beschrieb, erblickte
190
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
seine Ursache in Fäulnisprodukten der Pappen, die sich in den Becken
abspielen, in denen die Mazeration der Kokons vorgenommen wird. Nun hat
jüngst Fahre-Avignon eine dieser Anschauung, die bisher allgemein gültig
war, entgegenstehende Vorstellung zu begründen vermocht. Er führt die
Krankheit auf ein Irritans zurück, welches von der Raupe auf die Oberfläche
der Kokons im Moment der Puppenbildang abgesondert wird. Er konnte
aus Blut und Auswurfstoffen der Raupen verschiedener Bom-
byxarten einen blasenziehenden, in Aethcr löslichen Stoff
dars teilen.
Die Autoren kommen zu einem ähnlichen Ergebnisse; sie nehmen nur
an, daß der Reizstoff, das blasenziehende Irritans, sich in der Puppe des
Seidenwurms bildet. Sie benutzten zu ihren Versuchen solche Kokons, deren
Schädlichkeit sich bereits praktisch durch Erzeugung von Hauterkrankungen
dokumentiert hatte, und die in der Industrie seit langem als geringere, minder¬
wertige Ware angesprochen zu werden pflegten. In solchen Kokons war aller¬
dings dem groben Aussehen der Puppen nach eine Abweichung von vollwertigen
nicht zu konstatieren. Die Verfasser konnten aus denselben indessen ein Pulver
gewinnen, welches sie mit Lanolin-Vaselin zu Salben verarbeiteten und auf
die menschliche Epidermis, die vorher durch Umschläge mazeriert war, &□-
wandten. Nach 36 Stunden entstand eine düstere Röte, leichtes Oedem, kleine
Bläschen. Allmählich bildeten sich Krusten aus, unter denen die Haut ober¬
flächlich ulzeriert war. Das Gefühl der Spannung, des Juckreizes, der Druck-
emp&ndlichkeit begleitete die Erkrankung, die nach etwa 12 Tagen unter Ab¬
schuppung heilte. Dr. Mayer-Simmern.
Ueber das Bewahrungshaus ln Düren. Vortrag, gehalten im Psychia¬
trischen Verein der Rheinprovinz von Dr. Flügge, früher an der Provinzial-
Heil- und Pflegeanstalt zu Düren, jetzt Oberarzt in Grafenberg. Allgemeine
Zeitschrift für Psychiatrie; 61. Bd., 3. H.
Auf Grund eingehender Erwägungen wurde der Irrenanstalt Düren eine
Abteilung für 48 geisteskranke Verbrecher angegliedert, in Form eines von der
Hauptanstalt völlig abgetrennten Pavillons. Letzterem sind 2, durch hohe
Mauern eingefriedigte, Höfe beigegeben, die an einen öffentlichen Weg an¬
grenzen. Der Bau ist so eingeteilt, daß die Kranken in vier verschiedene
Abteilungen getrennt werden können, zu denen wiederum je 4 Isolier¬
räume zugehören, so daß deren insgesamt 16 vorhanden sind. Bei der ersten
Einrichtung hatte man den Bau möglichst im Sinne eines modernen Irren¬
anstaltsbaus hergestellt; die weiteren Erfahrungen schlimmster Art haben aber
sehr bald gezeigt, daß nur ein sehr starkes, fest vergittertes Bauwerk die
nötige Sicherheit gegenüber den hier von allen Seiten zusammengebrachten
Elementen darbietet, so daß man schließlich zu mancherlei Umbauten und Er¬
neuerungen genötigt war. Seit 3 Jahren ist die Anstalt im Betriebe; sie be¬
herbergt neben geisteskranken Verbrechern eine verhältnismäßig große Zahl
von verbrecherischen Irren; von 137 solchen in den Provinzialanstalten unter¬
gebrachten Kranken konnte naturgemäß nur ein Teil interniert werden.
Das größte Kontingent stellten imbezille, moralisch und erzieherisch verwahr¬
loste Gewohnheitsverbrecher. Verfasser teilt die recht zahlreichen bösen Er¬
fahrungen seiner Abteilung eingehend mit: Schwere Revolten, Zerstörung des
Mobiliars, der Einrichtungen, der Gitter, Röhrenleitungen, waren ein häufig
wiederkehrendes Ereignis; Eisenteile wurden nachts entfernt und versteckt; die
Isolierzimmer erwiesen sich sehr bald als zu schwach, ihre Einrichtung als zu
wenig widerstandsfähig. Aerzte und Personal waren täglich den schwersten
Angriffen und Bedrohungen der stets „bewaffneten“ Kranken ausgesetzt, so
daß schließlich oft nichts anderes übrig blieb, als mittels Feuerspritze vorzu¬
gehen ; eine „eigentümliche ärztliche Anordnung in der Zeit des non restraint*,
wie Verfasser resigniert bemerkt. Auch die Nähe eines öffentlichen Weges
führte zu vielen Uebergriffen und zu Verabredungen mit herumtreibendem
Gesindel. Für den Betrieb der Anstalt war die Ausbildung tüchtiger Pfleger
die wichtigste Frage; gerade solche sind fortgesetzten Verdächtigungen ganz
besonders ausgesetzt. Es wurden schließlich 20 Pfleger und 2 Stationspfleger
angestellt, eine immerhin recht reichliche Zahl, denen insbesondere eine sehr
eingehende Nachtwache übertragen wird. Eine besondere Sorge ist die Be-
Besprechungen.
ldl
Mhfcftmg geeigneter, unbedenklicher Arbeit für einen großen Teil der Insassen.
Allmähli ch sind, nachdem man einsehen gelernt hatte, daß konsequente Energie,
gepaart mit Humanität, am meisten fördert, ruhigere Zeiten eingetreten; immer¬
hin haben einzelne Beamten, so auch ein seit 26 Jahren im Anstaltsdienste
tätiger Geistlicher, die Freude an ihrem Berufe verloren, und ihre Stellungen
anfgegeben. Br. Pollitz-Münster.
Besprechungen.
Sr. fltuen, Stabsarzt und Assissent der II. medizinischen Universitätsklinik
in Berlin: Praktische Anleitung sur Organisation von Fürsorge-
steilen für Lungenkranke und deren Familien. Für Aerzte,
Kommunalbehörden, Organe der Privatwohltätigkeit und Arbeitgeber. Mit
einem Vorwort von Prof. Br. Friedrich Kraus, Geh. Medizinalrat und
Direktor der II. medizinischen Universitätsklinik in Berlin. Verlag von
Urban und Schwarzenberg. Berlin 1904. Preis: 4 M., geb. 6 M.
Im vorliegenden Werke hat sich Stuerz der dankenswerten Aufgabe
uterzogen, auf Grund der vorhandenen Literatur, der Ergebnisse der Tuber-
knlosekongresse und gestützt auf seine bei der Fürsorgestelle des Volksheil¬
stättenvereins vom Boten Kreuz gesammelte reiche Erfahrung das gesamte auf
die Organisation von Fürsorgestellen für Tuberkulöse und deren Familien im
ln- und Auslande sich beziehende Material einschließlich der von ihm selbst
durchgeführten Einrichtungen zusammenzustellen. Nach kurzem geschichtlichen
Vorwort über den Stand der Tuberkulosebekämpfung und die Heilstätten-
behandlung im allgemeinen geht Verfasser über zur Besprechung derjenigen
Tuberkuloseabwehreinrichtungen, welche neben der Heilstättenbehandlung her¬
gehen und diese ergänzen. 1» eingehender, anschaulicher und gemeinverständ¬
licher Form werden zunächst die Bechersehen TageserholungsBtätten be¬
sprochen, dabei in zeckmäßiger Weise stets auch die Höhe des Anlagekapitals,
der Betriebsunkosten und einiger sonstiger wirtschaftlichen Fragen erörtert.
Erwähnung finden weiter die Kinderheilstätten, Ferienkolonien, Sommerpflege¬
kolonien, Arbeitergärten, Polikliniken für Lungenkranke und Pflegestätten für
unheilbare infektiöse Tuberkulöse. Bie Hauptansteckungsquellen für die Tuber-
knkne werden unter Zugrundelegung der Literatur in einem besonderen Kapitel
besprochen, dabei auch die neuen v. Behringschen Hypothesen kritisch ver¬
wertet. Ben Hauptteil der vorliegenden Abhandlung nehmen die Beschreibungen
der verschiedenen, bisher veröffentlichten Fürsorgeeinrichtungen für Lungen¬
kranke im In- und Auslande ein. Uebersichtlich und besonders eingehend be¬
spricht Stuerz die von ihm selbst geschaffene Familienfürsorge des Volks-
holstättenvereins vom Boten Kreuz. Bei scharfer Beschränkung des Arbeits¬
gebietes wird den einzelnen Familien eine intensive und gründliche Fürsorge
n teil. Bas Verhältnis der Abteilung zu den praktischen Aerzten ist ein er-
treuliches; die Unterstützung durch die Landesversicherung, Armenverwaltuug
tat rege. Bie Organisationsform wird kurz und treffend präzisiert, inspiriert
ra reicher Erfahrung. Bei der Beschaffung der Geldmittel kommt die Privat-
wohhätigkeit an letzter Stelle. In erster Linie sind Landesversiclierungsanstalten,
Krankenkassen, Armenpflege und der Staat heranzuziehen. Am Schluß des
Werkes gibt Verfasser noch zusammenfassende Schlußsätze über die Fürsorge-
«ganisation und fügt schließlich auch das von Pannwitz entworfene Schema
4er Tuberkulose-Einrichtungen in Beutschland bei.
Alles, was mit der Tuberkulosefürsorge zusammenhängt, findet gebührende
Berücksichtigung; es ist daher zu wünschen, daß das Büchlein besonders überall
Int Eingang findet, wo Sinn und Verständnis für die schwebenden Fragen der
Taberkulosebekämpfung von vornherein vorausgesetzt werden muß, bei Aerzten,
Beamten der Provinzial- und Kreisbehörden, Komnmnalbeamten, Annenpflege-
«gaaea, bei industriellen Arbeitgebern und Vertretern der Wohlfahrtsvereine,
hsbesondere ist das Büchlein ein treuer Batgeber dort, wo die Organisation
ttaer Fürsorgestelle für Lungenkranke und deren Familien geplant ist. Aber
tack für Private ist das Studium vorliegenden Büchleins sehr empfehlenswert,
mal der Preis niedrig bemessen ist. Br. E n g e 1 s - Stralsund.
192
Ta gönn aeh riohten.
Dt. 8. Jelliuek - Wien: Elektropathologie. Die Erkrankungen durch
Blitzschlag und elektrischen Starkstrom in klinischer und forensischer Dar¬
stellung. Verlag von F. Enke. Stuttgart 1904. Gr. 8°, 245 S. Preis: 9 M.
Verf. erläutert in den ersten Kapiteln die technische und allgemein
physikalische Seite des Gegenstandes an konkreten Fällen in der richtigen An¬
nahme, daß für die Beurteilung der elektrischen Verunglückungen in klinischer
wie in forensischer Hinsicht die Kenntnis der wichtigsten Säue der Elektro¬
technik unerläßlich ist. Nach ausführlicher Schilderung der an verschiedenen
Tiergattungen angestelltcn Tierexperimente und der Eigenbeobachtungen des
Verfassers über technisch-elektrische Unfälle behandeln die folgenden Ab¬
schnitte die pathologisch-anatomischen und klinischen Krankheitsbilder, die als
animalische Effekte aus der Einwirkung des elektrischen Trauma entstehen.
Auf Grund derselben vertritt J. die Ansicht, daß wir es bei den elektrischen
Verunglückungen mit Erkrankungen auf organischer, materieller Grundlage zu
tun haben (gröbere und feinere strukturelle Veränderungen und Verletzungen
im Zentralnervensystem), gegenüber der bisherigen Anschauung, welche die
durch elektrischen Kontakt verursachten Lähmungen und andere ähnliche
Krankheitserscheinungen als „nervöse* und „funktionelle* Störungen auffaßt.
Dieser veränderten Auffassung entsprechen die Ausführungen über Diagnose,
Prognose, Prophylaxe und vor allem über die Therapie der elektrischen Un¬
fälle. In den letzten 3 Kapiteln („forensische Medizin“, „Elektrisches Unfall¬
wesen“ und „Hygiene“) werden die forensischen und sozial rechtlichen Fragen
der Materie behandelt, die gerade für den staatlichen Gesundheitsbeamten in
Ausübung seiner hygienischen, gutachtlichen und gerichtsärztlichen Funktionen
von besonderem Interesse sein müssen. Das Werk ist mit 72 Abbildungen
und 4 chromolithographischen Tafeln versehen. Bei dem Mangel einer ähn¬
lichen oder gleichen zusammenfassenden Arbeit ist die vorliegende mit Freuden
zu begrüßen. Dr. Roepke-Melsungen.
Tagesnachrichten.
Ans dem Relohztage. Bei der Beratung des Etats des Reichs-
amtes des Innern, die fast sämtliche Sitzungen des Reichstages seit Anfang
dieses Monats in Anspruch genommen hat, kamen eine ganze Reihe auch die
Medizinalbeamten und Aorzte interessierende Fragen zur Erörterung. (J. a.
wurde die Frage betreffs Zulassung der Oberrealsclmlabiturienten zum
medizinischen Studium von dem Staatssekretär, Graf v. Posadowski, dahin
beantwortet, daß eine Entscheidung des Bandesrats noch nicht vorliege, Preußen
aber dieser Frage günstig gegenüberstehe. Weiter wurde der Erlaß der
deutschen Arzneitaxe erörtert und von sozialdemokratischer Seite bemängelt,
daß Vertreter der Krankenkassen nicht zugezogen seien. Eine lange und zum
Teil sehr errege Erörterung fand über freie Aerztewahl, Leipziger Aerzte-
streik usw. statt, bei der der Abg. Dr. Mugdan energisch die Interessen
des ärztlichen Standes gegenüber den Sozialdemokraten wahrnahm. Von ver¬
schiedenen Seiten wurde die Ausdehnung der Kraukenkasseuversicherung
auf die Hausindustrie (Heimarbeiter) und landwirtschaftlichen Arbeiter ver¬
langt; der Staatssekretär, Graf v. Posadowsky, hob die dieser Forderung
entgegenstehenden Schwierigkeiten hervor, betonte jedoch, daß Vorarbeiten zu
einem entsprechenden Gesetzentwurf eingeleitct seien. Bei dieser Gelegenheit
wies er auch darauf hin, daß in Zukunft die drei Versicherungsgesellschaften
gegen Krankheit, Unfall, Invalidität und Alter in eine einheitliche Form ge¬
bracht werden müssten. Aber das große Werk einer einheitlichen Arbeiter-
versicherungsgesetzgebnng heute zu schaffen, dazu sei ein Diktator nötig;
es müsse sich auch ein Reichstag finden, der die großen Grundsätze annehme.
Den Beifall, den dieser Vorschlag einer solchen Reform im Reichstage fand,
bewies, daß dieser derselben nicht abgeneigt ist. — Weiterhin wurde eine
Vermehrung der Gewerbeaufsichtsbeamten, eine wirksamere Kontrolle der
Kinderschutzgesetzgebung, schärfere Vorschriften zum Schutz der Arbeiter
in Betrieben mit höherer Gesundheits- bezw. Vergiftungsgefahr ver¬
langt. Der Staatssekretär des Innern teilte mit, daß der Erlaß wirksamer
Vorschriften zum Schutze der Arbeiter in gesundhcitsgefährlickon Betrieben,
sowie bei der Verarbeitung giftiger und explosiver Stoffe bevoretehe.
Tageanachricbten.
198
Auch die Frage der Apotkekenreform kam zur Erörterung; Graf v.Po-
imdowsky erklärte^ daß man bei der in Preußen beabsichtigten Regelung
dieser Frage auf große Schwierigkeiten gestoßen sei. Er halte es für sehr
wünschenswert, wenn eine reiehs gesetzliche Regelung des Apothekenwesens
hcrbeigeführt würde. Desgleichen ist von den beiden freisinnigen Parteien ein
Antrag eingebracht, in dem eine reichsgesetzliche Regelung des Ver¬
kehrs mit Gehetmmitteln verlangt wird; ferner hat der Abg. Baumann
(Ztr.) und Gen. wiederum die Vorlegung eines Entwurfs zu einem Reichs¬
gesetze beantragt, das die Beaufsichtigung des Verkehrs mit Nahrungs-
and Genussmitteln und deren Durchführung durch die Landesbehördeu ein¬
heitlich regelt.
Au dem preuslaolieii Abgeordnetenhaus©. Die diesjährigen
tm 3. d. Mts. stattgefondenen Verhandlungen des Abgeordnetenhauses über den
■edlzinaletat hat noch nicht eine Stunde gedauert. Wie aus dem nach¬
stehenden Bericht hervorgeht, kamen die verschiedensten Fragen zur Erörterung;
die Medizinalbeamten wird besonders die Erklärung des Ministerialdirektors
Dr. Förster interessieren, wonach hei der im nächsten Jahre eintretenden
Pensionierung der zur Verfügung gestellten Kreisphysiker und Kreis-
Wundärzte diese tunlichst schadlos gehalten werden sollen. Auf die von dem
Abg. Dr. Martens angeregte Frage einer anderweitigen Regelung der
Pensionierung der nicht vollbesoldeten Kreisärzte wurde von dem Minister¬
tische ebenso wenig eine Antwort erteilt, wie auf den von dem Abg. Wallen¬
born gemachten Vorschlag, für die Kreisärzte eine Keisepanachalsumnie fest¬
zusetzen. Ein Hebammengesetz wurde für das nächste Jahr in Aussicht
gestellt, desgleichen wird sich die Staatsregierung die Förderung der Wochen-
bettpflege angelegen sein lassen.
Abg. Dr. Görck (natl.) weist auf die Notwendigkeit hin, die erheblichen
Mißstände im Hebammenwesen mittels einer durchgreifenden und um¬
fassenden Reform des gesamten Hebammenwesens zu beseitigen, durch eine
Reform, welche insbesondere den Hebammen auch eine Besseruug ihrer wirt¬
schaftlichen Lage verschaffe. In den ungünstigen Einkommensverhältnissen
der Hebammen sei hauptsächlich die Ursache für alle Mängel auf diesem Gebiete
zu suchen, die nach Einführung der Antiseptik und infolge der dadurch ge¬
steigerten Anforderungen der Geburtshygiene immer stärker hervorgetreten
seien. Auch fehle es an einer geregelten Fürsorge für den Fall des Alters
und der Invalidität der Hebammen. Die ungünstige Folge dieser wirtschaft¬
lichen Notlage sei aber die, daß es nicht möglich sei, in genügender Zahl
tüchtige, dem Ernst und der Verantwortlichkeit des Berufes gewachsene Kräfte
für den Hebammenstand zu gewinnen. Redner bittet den Herrn Minister um
Auskunft über den Stand der Vorbereitungen für einen das Hcbaminenwcsen
regelnden Gesetzentwurf. Gleichzeitig wünscht er ein einheitliches, refor-
matorisches Vorgehen zur Verbesserung der Wöchnerinnen pflege das am
besten in Angliederung an die Neugestaltung des Hebamrnenwesens erfolgen
könne. Es handele sich namentlich um die Beschaffung geschulter
Wochenpflegerinnen, die im Interesse unseres ganzen Volkswohls
dringend nötig seien.
Ministerialdirektor Dr. Förster erklärt, daß die Königliche Staats¬
regierung die Notwendigkeit einer Hebammenreform ohne weiteres an¬
erkenne; ein Gesetz-Entwurf sei bereits fertiggestcllt und zunächst zur gut¬
achtlichen Aeußerung an die Provinzialbehörden hinausgegangen. Die Berichte
der Behörden seien vor einigen Tagen eingegangen; voraussichtlich werde
ia der nächsten Session dem Landtage ein Gesetzentwurf vorgelegt werden
können. Auch der Frage der Wochenbettpflegerinnen lasse die Me-
xmlverwaltung ihre besondere Aufmerksamkeit an gedeihen.
Abg. Rosenow (fr. Volksp.) fragt unter Hinweis auf eine amtliche
Umfrage über die Spezialärzte an, ob etwa beabsichtigt sei, die Zahl der
ßpezialärzte zu beschränken oder sie einer besonderen Approbation zu unter¬
werfen. Die Beschränkung der Spezialärzte liege nicht im Interesse der Be¬
völkerung; diese würde dann noch mehr veranlaßt sein, sich Pfuschern anzu¬
vertrauen. — Für die Absolvierungdes praktischen Jahres der jungen
Mediziner hätten manche Krankenanstalten die Bestimmung getroffen, daß nur
evangelische, und manche, daß nur katholische Praktikanten angenommen
194
Kleinere Mitteilangen and Referate ans Zeitschriften.
werden sollen. Es sei zu befürchten, daß auch andere Krankenhäuser die
Praktikanten zurückweisen könnten, die ihnen nicht genehm seien, and daß
manche deshalb vielleicht gar keine Aufnahme fänden.
Ministerialdirektor Dr. Förster erwidert, daß die Umfrage betreffs der
Spezialärzte rein informatorischen Absichten entsprangen sei, and nicht
die Absicht bestehe, das Spezialarzttnm von besonderen Prüfungen abhängig
za machen. Za der weiteren Anfrage sei za bemerken, daß die Krankenhäuser
über die Aafnahme der Aerzte zur Absolvierung ihres praktischen Jahres selbst
zu entscheiden haben, eine Zwangseinwirkung stehe der Verwaltung nicht zu,
sie könne nar bei wiederholter unbegründeter Zurückweisung eines Prakti-
kanten der betreffenden Krankenanstalt die Ermächtigung zur Annahme Ton
Praktikanten entziehen.
Abg. Dr. Ruegenberg (Zentr.) legt ein Wort ein für die darch das
Kreisarztgesetz vom Jahre 1899 auf Wartegeld gestellten Kreis-
physiker, deren künftige Durchschnittspension nur 960 Mark betragen
werde, eine kärgliche Summe für jahrzehntelang dem allgemeinen Staatswohle
geleistete Dienste. Es entspreche auch nicht der Billigkeit, daß diese Beamten
nur die Halfte Pension der früheren Kreistierärzte bekommen; es sei vielmehr
wenigstens für ihre Gleichstellung zu sorgen. So gut wie das Haus der Pen¬
sionierung der Kreistierärztn mit 1800 Mark einstimmig zugestimmt habe,
würde es auch sicherlich den früheren Kreisphysikern eine gleiche Pension
gewähren.
Ministerialdirektor Dr. Förster: Es muß leider anerkannt werden, daß
die Veterinär beamten bei der Pensionierung b esser weggekommen sind,
als seinerzeit die Medizinalbeamten. Anderseits hat sich die Königliche
Staatsregierung sofort nach Verabschiedung des Kreisarztgesetzes bereit er¬
klärt, zur Beseitigung von Härten und Unbilligkeiten, welche durch die Zur-
dispositionsstellung für einzelne Medizinalbeamte entstehen würden, einen Dis¬
positionsfonds von 50000 Mark jährlich zur Verfügung zu stellen. Es darf
wohl angenommen werden, daß sich auch Mittel und Wege finden lassen
werden, um Unbilligkeiten und Schädigungen bei der späteren Pensionierung
dieser Wartegeldcmpfänger in gleicher Weise zu begegnen.
Abg. Kuhr (fr. Vgg.) führt darüber Beschwerde, daß die Entscheidung
über die Dispensationsgesuche vom praktischen Jahre oft 2 bis
4 Monate dauere und daß manche Krankenanstalten die Praktikanten da
zurückweisen, bevor nicht feststeho, daß sie ein ganzes Jahr lang in diesen
Stellungen bleiben. Dadurch werde die Forderung der Prüfungsordnung, daß
sich das Praktikum unmittelbar an das Examen anschließen solle, hinfällig
gemacht.
Geh. Ob.-Med.-Rat Dr. Dietrich gibt zu, daß sich die Enscheidung
über Dispensationsgesuche mehrfach verzögert habe, da der Reichskanzler
dabei mitwirken müsse; sie würden aber jetzt stets als »eilig“ bezw. »sofort*
behandelt. Desgleichen werde der Herr Minister durch einen Erlaß an die
Aufsichtsbehörden die Leiter der Krankenanstalten ersuchen, möglichst en^
gegenkommend in bezug auf die Annahme von Praktikanten zu verfahren.
Abg. Dr. Martens (natl.) schließt sich den Ausführungen des Abg.
Dr. Ruegenberg in bezug auf die Pensionierung der auf Warte¬
geld gestellten Medizinalbeamten an. Es sei eine ganz außerordent¬
liche Divergenz zwischen der Behandlung, wie sie den alten Physikern, und
zwischen der Behandlung, wie sie den Kreistierärzten zuteil geworden sei Die
ersteren hätten das Maturum gemacht, ein längeres Studium von 4, 5 bis
6 Jahren hinter sich; nichtsdestoweniger hätten die Kreistierärzte die doppelte
Abfindung (1800 M. Pension), wie die Kreisphysiker erhalten, während bei dem
Kreisphysikus erst nachgewiesen werden müßte, daß er auch bedürftig wäre.
Es sei dies etwas ganz Unerhörtes, und wenn auch die Königliche Staats¬
regierung in den einzelnen Fällen bestrebt gewesen sei, Härten auszugleichen,
so sei es doch nur recht und billig, wenn künftighin die Kreispbysiker ebenso
günstig behandelt würden, wie die Kreistierärzte.— Auch die Pensionierung
der nicht vollbesoldeten Kreisärzte habe große Mängel. Das
pensionsfäbige Gehalt betrage bei ihnen nur 1800—2700 Mark, außerdem
erhalten einzelne von ihnen Stellenzulagen, die zwischen 600 und 12(K) Mark
schwanken, und zwar geschehe die Verteilung so, daß bei denjenigen Stellen,
welche wenig Arbeit machen, die höchste Stellenzulage gezahlt werde, wäh-
Kleinere Mitteilangen and Referate aas Zeitschriften.
195
rend diejenigen Stellen, wo viel zu tan sei, keine Stellenzulagen bekommen.
Es sei aber eine Anomalie, daß derjenige, welcher wenig za tan habe, vom
Stute ein höheres Gehalt erhalte, als derjenige, der viel za tan habe. Diese
Ungleichheit mache sich später aach bei der Pensionierang geltend; deshalb
«scheine es notwendig, eine Gleichheit hinsichtlich der Pensionsberechtigung
Id tUen nicht vollbesoldeten Kreisärzten za erzielen — entweder darch Fest*
Mtaog der Pension, wie bei den vollbesoldeten, oder darch Hinzafügang eines
fei allen gleichen Zuschlages zum Gehalt. Gegen eine einheitliche Regelung
in Hebammenwesens für die ganze Monarchie hat Redner große Bedenken,
fc üe Verhältnisse in den einzelnen Provinzen za verschieden seien. In der Pro*
riuSchleswig-Holstein würden die Hebammen schon jetzt ganz gut bezahlt; so
luge sich die Hebammen auch aas dem Arbeiterstande rekrutieren, sei es aus¬
reichend, wenn sie das Einkommen eines Arbeiters erreichten. Erst wenn es
gelinge, Franen und Mädchen aas dem Mittelstände für den Hebammenberaf
n gerinnen, solle man an eine bessere Besoldung, Pensionsberechtigung osw.
denken. Die geplante Reform werde außerdem erhebliche Geldmittel fordern;
der Staat aber ebenso wenig zu deren Hergabe bereit, wie die Gemeinden
u deren Uebernahme.
Abg. Dr. Heisig (Zentr.) spricht seine Befriedigung aus über die Ar¬
beiten der staatlichen Versuchs- und Prüfungsanstalt für die
Zweeke der Wasserversorgung und Abwässerbeseitigung in
Berlin. Die Frage der Beseitigung der Abwässer sei eine außerordentlich
richtige für Stadt und Land; durch eine systematische Regelung sei auch für
die Landwirtschaft ein erheblicher Nutzen zu erwarten. Der Redner bittet,
den Mitgliedern des Hauses die Besichtigung der genannten Anstalt gestatten
za vollen.
Geh. Ob.-Med.-Rat Prot Dr. Schmidtmann sagt im Namen der Ver¬
waltung gern die Erlaubnis zur Besichtigung der Anstalt zu.
Abg. Henning (kons.) hält eine Neuordnung des He bammenwesens
*nd der Wöchnerinnenpflege für sehr erwünscht und freut sich, daß
ehe solche in sicherer Aussicht stehe; denn die Gesundheit sei ein sehr teures
6nl Aber diese Neuordnung dürfe nicht zu teuer werden und nicht zu neuen
erheblichen Belastungen der Gemeinden und deren Bewohner führen. In¬
zwischen solle man aber Aerzten und Hebammen gegenüber die bestehenden
Vorschriften über die Verhütung des Wochenbettflebers strenger als bisher zur
Anwendung bringen.
Abg. v. Savigny (Zentr.) bringt mit Rücksicht auf die im Sommer
1904 hervorgetretenen Schäden durch den Wassermangel in Anregung,
d&ß der Staat finanziell die Gemeinden unterstütze, um die von der Technik
vorbereiteten ausgezeichneten Vorrichtungen zur Wasserversorgung
fihera.ll nutzbar zu machen. Bayern und Württemberg seien darin schon
Preußen vorangegangen. Redner bittet deshalb den Kultusminister recht
dringend, seinen doch sicher sehr weit reichenden Einflaß im Staatsministerium
energisch dafür einzusetzen, daß ihm ein recht reich dotierter Fonds zur
Unterstützung armer Gemeinden für Anlagen von Wasserleitungen zur Ver-
ftpng gestellt werde.
Abg. Wallenborn (Zentr.) macht auf die ganz unheimlich anschwel¬
lende Höhe der Diäten und Reisekosten der Kreisärzte aufmerksam, die seit
1899 Ton 359432 M. auf 402000 M. (1900), 638000 M. (1901), 752000 M. (1902,
818000 M. (1903) gestiegen sei. Redner liegt es fern, den Kreisärzten ihre
Bezüge kürzen zu wollen, aber es wäre sehr wünschenswert, wenn man der
Inge ernstlich näher träte, die Bezüge durch Festsetzung einer Pauschal-
uunine zu regeln.
Die in den Etat eingestellten Positionen werden sämtlich bewilligt.
_ Interessieren dürfte noch eine in der Sitzung vom 2. März abgegebene
Erklärung des Ministerialdirektors Dr. Alt hoff, wonach für das zahnärztliche
Studium in Zukunft voraussichtlich auch das Reifezeugnis verlangt werden
sowie eine Erklärung desselben Ministerialkommissars, daß die von dem
Abg. Bosen ow gegebene Anregung, einen Lehrstuhl für soziale Medizin
errichten, beachtenswert sei, wenn sich der Begriff der sozialen Medizin
noch nicht genau festlegen lasse.
Einen eigentümlichen Verlauf nahm die für die Sitzung am 4. März
«wzamte Fortsetzung der dritten Beratung des Gesetzentwurfs betr. die
196
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
BekÜmpfang übertragbarer Krankheiten. Diese Beratung war angesetzt in
der Hoffnung, daß keine weitere Diskussion über den Gesetzentwurf erfolgen
würde. Der Abg. Dr. ▼. Heydebrand u. der Lasa (kons.) erklärte jedoch,
daß nach Ansicht seiner Partei, wenn überhaupt Uber den Gegenstand yerhandelt
werden solle, auch materiell in die Sache eingetreten werden müsse. Die Vor¬
aussetzung, unter welcher der Entwurf auf die Tagesordnung gestellt sei, sei
danach fortgefallen; er beantrage deshalb, ihn yon der Tagesordnung wieder
abzusetzen. Die Abg. Meyer-Diepholz (nl.) und Herold (Zentr.) schlossen
sich diesem Anträge an; demzufolge wurde yon einer Beratung über den
Gegenstand bis auf Weiteres Abstand genommen.
Der Wunsch der Württembergischen Medizinalbeamten betreffs
Einführung yon Fortbildungskursen für die Oberamtsärzte ist jetzt in Er¬
füllung gegangen, ln den diesjährigen Etat des Departements des Innern
(Kap. BO: Oeffcntliche Gesundheitspflege) sind 5000 Mark zu diesem Zwecke
eingestellt und diese Position auch bereits von der Finanzkommission der Ab¬
geordnetenkammer genehmigt. Auch die für Altersversorgung der Hebammen
eingestellte Betrag von 6000 Mark hat diese Kommission bewilligt.
Aus Thüringen. Zwischen den Begierungen sämtlicher thüringischen
Staaten sind Verhandlungen ein geleitet, dio auf die Errichtung einer gemein¬
samen Anstalt für geisteskranke Verbrecher abzielen.
Am Sonntag, den 26. März d. J., vormittags 11 Uhr, findet im
Schwurgerichtssaale des Königlichen Justizgebäudes zu Stuttgart (Urban¬
straße 18) wiederum eine Versammlung yon Jnristen nnd Aerzten statt zur
Erörterung von Fragen aus dem Gebiete der Psychiatrie, die für die beider¬
seitigen Berufskreise von praktischer Bedeutung werden können. Als Verhand-
lungsgegenstäudc sind bis jetzt bestimmt:
1. Die Stellung der Geisteskranken in Strafgesetzgebung und Straf¬
prozeß. Referenten: Med.-Rat Dr. Kreuser, Winnental; Oberlandesgerichtsrat
l)r. Schanz, Stuttgart.
2. Zur Psychologie der Aussage. Referenten: Oberarzt Dr. Schott-
Weinsberg; Landgerichtsrat Dr. Gmelin, Stuttgart.
3. Die Berechtigung der Vernichtung des kindlichen Lebens mit Rück¬
sicht auf Geisteskrankheit der Mutter. Referenten: Dr. Krauß, Kennenberg;
Justizministerialsekretur Landrichter Teich mann, Stuttgart.
Die diesjährige Versammlung des Deutschen Vereins für öffentliche Ge¬
sundheitspflege wird vom 13.—15. Septbr. d. J. in Mannheim stattfinden«
Am 16. v. M. hat sich in Berlin ein neuer Verein Gesellschaft für
soziale Medizin, Hygiene und Medizinalstatistik gebildet. Der Verein will
grundsätzlich vermeiden, in das Arbeitsgebiet verwandter Veranstaltungen, die
der praktischen Sozialpolitik oder der praktischen Hygiene gewidmet sind*
überzugreifen. Er soll der theoretischen Verständigung und dem syste¬
matischen Ausbau der sozialen Medizin und Hygiene dienen.
Der Mitgliedsbeitrag beträgt für die in Berlin und Umgegend woh¬
nenden 10 Mark, für die außerhalb wohnenden die Hälfte; Anmeldungen nimmt
der 1. Schriftführer, Dr. B. Lennhof f, Berlin SO. 16, Sehmidtstr. 37, entgegen.
Notiz für di© Leser der Zeitschrift. Vielfach an die Redaktion
herangetretenen Wünschen entsprechend werden die von dem Herausgeber
erläuterten Neuen preussiseken Vorschriften vom 4. Januar 1905
für das Verfahren der Gerichtsärzte hei den gerichtlichen TJnter-
gnchungen menschlicher Leichen demnächst in Sonderabdruck
erscheinen zum Preise von 1 Mark pro Exemplar. Um die Hoho der Auflage
zu bestimmen, nimmt die Verlagsbuchhandlung schon jetzt Bestellungen ent¬
gegen ; eine Postkarte ist zu diesem Zwecke beigefügt.
Die Redaktion. Die Verlagsbuchhandlung.
Verantwort. Redakteur: Dr. Rapmund, Reg.-u. Geh. Med.-Rat in Mindeni. W.
J. C. C. Bruns, llori’otfl. Siiclis. u. F. Seli.-L. Honjucbdruckerei in Minden.
18. Jahrg.
1905.
Zeitschrift
für
MEDIZINALBEAMTE.
Zeotralblatt für gerichtliche fledizii ud Psychiatrie,
Sr intlidw Sachierständigentätigkeit io Unfall- ond lofaliditätasaeheo, sowie
lirljgieo* ofeoti Saoititsweseo, Mediziüal-Gesetzgebung ocd Eeehteprechuog.
Heraasgegeben
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Dr. OTTO RAPMUND,
tegieraogi- and Geh. Medizinalrat in Minden«
Verlag von Fischer s mediz. Buehhandlg., H. Kornfeld,
BenogL Bayer. Hof- u. Erzherxogl. Kammer - Buchh&ndler.
Berlin W. 35, Lützowstr. 10.
Inserate nahmen die Yeriagthaadlang sowie alle Annoncen - Expeditionen des ln-
and Auslandes entgegen.
Nr. 7.
KfsekeUt »at 1. ud IS. Jeden Kennt«.
1. April.
Einige Versuche
mit einem neuen Apparat zur Wohnungsdesinfektion
fiir stationären und transportablen Gebrauch.
(System Dr. 0. ßoepke,
Chefarzt der Eisenbahnheilstätte Stadtwald bei Melsungen.)
Von Dr. Engels, Kreisassistenzarzt und Vorsteher der bakt. Untersuchungsstelle
der Königlichen Regierung zu Stralsund.
In der Wohnungsdesinfektionsfrage beansprucht heute die
WoliMngsdesinfektion mit Formaldehyd unser grösstes Interesse.
Wie ich schon in früheren experimentellen Arbeiten *) feststellen
haute, ist die Wirksamkeit des Formaldehyds nicht stets eine
frleichmässige und konstante, das Penetrationsvermögen des Formal-
debydgasea ein sehr geringes. Trotzdem möchte ich den Be¬
hauptungen von Ahha und Bondelli, 2 ), dass die mit Formaldehyd
angeführte Desinfektion in „allen“ Fällen eine unvollständige sei,
oitschieden widersprechen. In der Mehrzahl der Fälle hatte
och bei meinen Versuchen der Formaldehyd den einzelnen Test¬
objekten gegenüber als gleich wirksam erwiesen, so dass ich zn
dem Schlassergehnis kommen zu dürfen glaubte:
.Wenn ich trotz der Nachteile, welche die Fonnaldehyd - Dcsinfcktions-
oethode sicherlich hat, dieselbe empfehle, so geschieht es aas dem Grande,
’) Engels: Experimentelle Beiträge zar Wohnungsdesinfektion mit
rermildeliyd. L u. II. Teil. Archiv für Hygiene; Bd. XLIX.
*) Abba and Bondelli: Weitere behufs Desinfektion von Wobnräumen
Bit dem Flüg gesehen und dem Sch er in g sehen (kombinierten Aeskulap-
Apparat) formogenen Apparat ansgeführten Versuche. Zentralblatt für Bak-
tMiolojie etc; 1900, Bd. XXVIII, I.
198
Dr. Engels.
well wir erstens keine Methode haben, welche ans bessere Besaltate liefert,
da aach der Formaldehyd bei einer bestimmten Konzentration die größte
Zahl der Keime vernichtet, and weil wir zweitens keine Methode kennen,
welche so leicht za erlernen ist wie die Formalindesinfektion. Aaf den letz¬
teren Pankt möchte ich einen ganz besonderen Nachdruck legen, da die Woh-
nangsdesinfektion heutzutage in •/10 der Fälle in den Händen des niederen
Heilpersonals liegt, an deren Intelligenz, wie uns vielfache Erfahrung au
unseren Desinfektionsknrsen gelehrt hat, wir so wie so schon nicht allzu große
Anforderangen stellen dürfen.“
Von diesen Gesichtspunkten ans müssen wir für jede Ver¬
besserung und Vereinfachung unserer vorhandenen Desinfektions¬
apparate dankbar sein und diese modifizierten Apparate nach-
prttfen, ob die Frage der Wohnungsdesinfektion dadurch ihrer
Lösung näher gebracht ist, ob die neuen Apparate vielleicht mehr
zu leisten versprechen, als die bisher geprüften.
Nun hat vor kurzer Zeit Dr. Roepke, Chefarzt der Heil¬
stätte Stadtwald der Pensionskasse für die Arbeiter der Preussisch-
Hessischen Eisenbahngemeinschaft zu Melsungen bei Cassel, es
übernommen, in dem Eisenbahn-Direktionsbezirke Cassel das
Wohnungsdesinfektionswesen der Eisenbahner zu organisieren und
einheitlich zu regeln. Zu diesem Zwecke sollen, wie Dr. Roepke
mir mitteilt, in der ihm unterstellten Heilstätte eine Anzahl von
Desinfektoren ausgebildet werden, die dann mit ihren Apparaten
die einzelnen Wohnungsdesinfektionen gemäss bahnärztlichen Auf¬
trages ausführen. Da ihm die bisherigen Apparate für den Trans¬
port, namentlich auf die Verhältnisse der Eisenbahner an Bahn¬
strecken oder an entlegenen Ortschaften angewendet, nicht
hinreichend praktisch und zu teuer erschienen, hat er einen neuen
Apparat zur Verdunstung des Formalins mit Ammoniakentwickler
und Behälter für die zur Desinfektion notwendigen Utensilien
konstruiert und zwar in der Weise, dass der Formalinapp&rat
und Ammoniakentwickler bequem in einer Segeltuchtasche unter¬
gebracht werden können, welche über der Schulter getragen wird,
während in einer Handtrommel die übrigen Apparate wie Spiritus¬
brenner, Chemikalien usw. Platz finden. Dadurch werden für den
Transport besondere Beförderungsmittel überflüssig, ein Vorzug,
der neben den relativ geringen Kosten des Apparats die all¬
gemeine Durchführung der Wohnungsdesinfektion auch in kleineren
Gemeinden wesentlich erleichtert.
Ein weiterer Vorzug des Böpkeschen Apparats ist der,
dass bei Berechnung der nötigen Mengen Formalin, Ammoniak
und Spiritus besonderer Wert darauf gelegt ist, die Quantitäten
so zu wählen, dass bei möglichst langsam verbrennendem
Spiritus die Verdampfung des Formalinwassers und des Ammoniaks
derart vonstatten geht, dass höchstens Beste von Flüssigkeiten
in dem betreffenden Behälter Zurückbleiben. Wichtig war natür¬
lich diese Errungenschaft in erster Linie für den ersten Teil der
Desinfektion, die Formalinverdampfung, um womöglich in langsamer
Folge, aber dauernd den gesamten Formaldehyd auB dem Hessel
in das Zimmer zu treiben. Aus diesem Grunde sind von Roepke
auch besondere Tabellen angefertigt, welche für die verschiedenen
Einige Veraache mit einem neuen Apparat zar Wohnungsdesinfektion usw. 199
Zimmergrössen, die entsprechenden Mengen Formalin, Wasser,
Ammoniak and Spiritas in der bekannten Form registrieren.
Der Apparat lehnt sich eng an die Fliiggesche Form, den
Breslauer Apparat an, insofern zur Aufnahme des flüssigen For-
malins und des Wassers nur ein gemeinsamer Kessel zur An¬
wendung gelangt und nicht getrennte Behälter, wie wir solche
in dem Schn ei der sehen Rapid - Desinfektor - System besitzen.
Der darch Dauerhaftigkeit und Ungefährlichkeit beim Gebrauche
sich noch besonders vorteilhaft auszeichnende Roepkesche Apparat
wurde durch D. R. G. M. geschützt und die Anfertigung und
der Vertrieb dem Medizinischen Warenhaus in Berlin übertragen.
Den praktischen Erfordernisssen entsprechend ist er
sowohl stationär in Krankenhäusern, Heilstätten, Sanatorien,
Eorhäusern etc., als auch transportabel zur Wohnungs¬
desinfektion in Stadt und Land zu gebrauchen und so,
wie schon kurz angegeben, eingerichtet, dass er bequem
von einer Person ohne
besondere körperliche An- i V’’' ^
strengung getragen wer¬
den kann.
Der eigentliche Formalin-
Verdampfun gs - Apparat (s.
(Fig. A) besteht aas einem aas star¬
kem Kupferblech gestanzten j't
Kessel mit aofgefalztem, gewölbtem
kupfernen Deckel, der eine Yer-
schraubung zum Einfällen des For- Jjjp
malins und W assers trägt; die Yer- ■P**““---—" ~ ~
schraubung ist möglichst nahe am
Bande des Kessels angeordnet, um jj ; fc MT j
etwaige Rückstände nach erfolgter - '
Desinfektion ohne Schwierigkeit und U % \
vollkommen entfernen zu können. Aggyjj} - igt
Die Aasströmungsdüse auf dem Ji Ä ™
Deckel ist abschraubbar, um für W / w
teten, federnden Metallklemme be- \| '*
festigt werden zu können.
Damit der Apparat beim Trans- ~ .
Port möglichst wenig Raum bean- Fl «' A * Formahn-Apparat.
I
200
B. Ammoniakentwickler mit Transporteimer (C a).
dämpfe, eine aofgenietete
federnde Metallklemme für
die Abströmungsdüse nach
dem Gebrauch und eine
nahe am Rande angeord-
nete Verschraubung für
Füllung und Entleerung
des Kessels vorgesehen.
Der Boden des Apparates
ist nach innen gewölbt,
entsprechend der nach
außen gehenden Wölbung
des Deckels des Formalin¬
apparates, da ersterer beim
Transport auf letzteren
aufgesetzt wird.
Der Ammoniakentwick¬
ler ruht auf angenieteten
Füßen aus Messing. Die¬
selben haben eine solche
Spreizung nach außen, daß
sie über den Formalinap¬
parat fest übergreifen.
Die Erwärmung des
Ammoniaks erfolgt eben¬
falls wie beim Formalin¬
apparat durch eine Spiri¬
tusgaslampe, welche auch
ganz aus Messing herge¬
stellt ist. Während des
Betriebes finden Apparat
a und Spirituslampe Auf¬
nahme in einem Metall¬
untersatz zum Schutz
gegen Feuersgefahr.
Weiterhin ist der Am¬
moniakentwickler der bes¬
seren Haltbarkeit wegen
mit einem Metallspiralschlauch ausgestattet,
welcher die Verbindung zwischen der Düse
und der an der Tür befestigten Auffangrinnen
herstellt.
Für den Transport wird, wie schon an¬
gedeutet, nach Entfernung und Befestigung
der Düsen in den zugehörigen Klemmen der
Ammoniakentwickler auf den Formalinapparat
auf gestellt und beide Apparate in einer Segel-
tuchtasche (Fig. D) mit Tragriemen unter¬
gebracht. Auf diese Weise erfolgt ein sicherer
Transport beider Apparate ohne irgend welche
Umstände.
Das Zubehörinstrumentarium (s.
nachfolgende Fig C) umfaßt die nötigen Gegen¬
stände zur Vorbereitung und Ausführung der
Desinfektion. In einem Einsatzgestell sind
übersichtlich angeordnet: Fensterkitt und
Kartoffelmehl in Büchsen, Glaserkittmesser,
Schere, Papier und Watte, Büchse mit Steck¬
nadeln, Meßstab mit Federn, Wäscheleine,
Schnur, große Schürze und Schutzärmel für
den Desinfektor, Handtücher, Wischtücher,
Glas mit Sublimatpastillen, Bürste, Mensur
Ca. Transporteimer (C) mit den zur Desinfektion notwen¬
digen Utensilien, Desinfektionsmitteln n. drgl.
D. Die Tasobe (D) mit Formalindampfer (A) und Ammo¬
niakentwickler (B).
Der Desinfektor
in voller Ausrüstung.
D
Einige Versuche mit einem neuen Apparat zur Wohnungsdesinfektion usw. 201
au emailliertem Eisen, Behälter aus Messing fttr den erforderlichen Spiritus,
eine braune Eiasche für Formalin und eine weiße für Ammoniak, beide mit
Vorrichtung, welche ein selbständiges Lösen der Stopfen unmöglich macht. Auch
die Lampen für den Formalinapparat und den Ammoniakentwicklcr finden in dem
dem Einsatzgestell Aufnahme. Dieses
wird mit dem gesamten Inhalt für den
Transport in einem eimerartigen
Gefäß (s. Fig. Ca) aus verbleitem
Eisenblech untergebracht. Ein Deckel
mit Bajonettverschluß sichert den
Transport des Ganzen, der durch
einen seitlich angebrachten Handgriff
erleichtert wird.
Der Transporteimer dient
während der Desinfektion des Raumes
znm Einweichen der Bett- und Leib¬
wäsche in einer Sublimatlösung. Zu
diesem Zweck sind an der Innenwand
des Eimers Marken angelötet, welche
rar Herstellung der Lösung das Ab¬
messen von 10 und 20 Litern Wassers
ersparen. Um die Polymerisation des
Formaldebyds an der Flüssigkeit des
Eimers zu verhindern, ist derselbe am
besten vor die Tür des Zimmers zu
setzen, wo er später als Untergestell
für die Aufstellung des Ammoniak-
eatwicklers dient.
Einsatz des Transporteimers (C)
mit Geräten.
Die Apparate sind für Räumlichkeiten bis zu 120 cbm Luft¬
raum bemessen.
Die Preise der einzelnen Teile sind die nachfolgenden:
A. Formalinverdampfungsapparat aus Kupfer mit in Scharnier
gehenden Klappfüßen, große Spiritusgaslampe aus Messing, Trichter und
Untersatzteller aus verbleitem Eisenblech, zusammen.Hk. 44.
B. Ammoniakentwickler aus Kupfer, Metallspiralschlauch und
Zinkblechrinne, Spiritusgaslampe aus Messing und Untersatzteller aus ver¬
bleitem Eisenblech.Mk. 23,50.
A. und B. genügen beim stationären Gebrauch für den eigentlichen
Desinfektionsakt.
C. Ausrüstungsgegenstände: Transporteimer aus verbleitem
Eisenblech mit Meßmarken, Deckel und Tragegriff, Einsatzgestcll mit Trage-
bügel, 1 Spiritusbehälter, 1 braune Flasche für Formalin und 1 weiße Flasche
für Ammoniak, je l'/s Liter Inhalt, 1 Emaillemensur, 100 g Watte, 1 Glaser¬
kittmesser, je 1 Büchse mit Kartoffelmehl und Fensterkitt, 3 Bogen Packpapier,
1 Schere, 1 Büchse mit 60 Stecknadeln, 1 Meßstab mit Federn, 1 Wäscheleine,
ca. 30 m Schnur, 2 Handtücher, 2 Wischtücher, 1 Bürste, 1 große blaue Schürze
and 2 Schutzärmel für den Desinfektor, 1 Glas mit 10 Sublimatpastillen,
zusammen.Mk. 33,50.
D. 1 Segeltuchtasche zum Transport des Formalin Verdampfungs¬
apparates und des Ammoniakentwicklers.Mk. 8.
A., B., C. und D. bilden die komplette Ausstattung für den transportablen
Gebrauch.
Jedem Apparat wird eine ausführliche Gebrauchsanweisung,
sowie Tabellen für die Formalin- und Ammoniakentwicklung bei¬
gegeben, deren Wiedergabe an dieser Stelle nicht von Interesse
sein dürfte.
Alle Einzelheiten sind aus den beigefügten Abbildungen zu
ersehen.
Dr. Engels.
202
Für die Versuche, welche ich auf Wunsch von Dr. Roepke
mit seinem Apparat angestellt habe, wählte ich folgende Ver¬
suchsanordnung:
Als Versachsr&om diente ein Hinterzimmer der mir unterstellten bak¬
teriologischen Untersuchungsstelle. Dasselbe ist in Fachwerk aufgebaut and
liegt nach Westen und teilweise nach Süden frei. Der Baum ist einfenstrig,
seine Türen und Fenster leicht verschließbar und abzudichten. Die zu den
Vorderräumen des Laboratoriums führende Tür des Versuchsraumes besitzt im
oberen Teilo zwei große Glasscheiben, so daß alle Vorgänge während eines
Versuches gut verfolgt und die nötigen Ablesungen leicht und bequem vor-
genommen werden konnten.
Die Größe des Versuchszimmers wurde so festgestellt, daß ich stets
0,5 und alles über 5,5 nach oben abrundete, um gerade Zahlen zu erhalten,
desgleichen alles unter 0,5 einfach strich. Darnach ergab sich bei 4,53 = 5 m
Länge, 3,05 = 3 m Höhe und 2,63 = 8 m Breite des Versuchsraumes ein
Kubikinhalt von 50 cbm.
Um in etwa wenigstens die Verhältnisse in der Praxis nachzuahmen,
wurden die im Zimmer befindlichen Sachen auch während der Versuche in
demselben belassen. So befanden sich in dem Versuchsraume ein großer Kachel¬
ofen, mehrere Arbeitskittel, ein Bücherrepositorium mit einer Beihe von Zeit¬
schriften etc., weiterhin ein Tisch mit verschiedenen Apparaten, mehrere Be¬
hälter für Laboratoriumstiere, Schulbankmodelle und noch eine Beihe Ton
anderen kleinen Dingen.
An verschiedenen Stellen des Zimmers wurden Postamente zur Aufnahme
der die Testobjekte enthaltenden Petrischen Schälchen angebracht und zwar
in Höhe von 0,95 m und 2,10 m. Außerdem wurden Testobjekte dem Formal-
dehyd exponiert in einem Schälchen, welches in der äußersten, d. h. von dem
Desinfektor am weitesten entfernten Ecke des Baumes auf dem Fußboden
untergebracht war.
Eine Prüfang auf die Tiefenwirkung des Formaldehyds konnte unter¬
bleiben, da, wie auch meine früheren Versuche (L c.) ergeben haben, kaom
mehr ein Fortschritt in dieser Beziehung zu erwarten ist.
Was die Testobjekte angeht, so worden benutzt 1—l 1 /* cm
lange, mittelstarke sterile Seidenföden nnd ca. 1 qcm grosse
sterile Leinenläppchen ohne Appretur mit Reinkulturen imprägniert
von:
1. Typhusbazillen, . 5. Diphtheriebazillen,
2. Choleravibrionen, 6. Sporenhaltigen Heubazillen und
8. Staph. pyog. aureus, 7. Prodigiosus.
4. Streptokokken,
Zwecks Herstellung der Testobjekte wurden 24 ständige
Agarkulturen genommen, und der gewachsene Rasen in „sterilem
Wasser“ aufgeschwemmt, und in diesen hinein die sterilen Seiden¬
fäden und die sterilen Leinenläppchen gelegt. Die Fäden und
Läppchen blieben mindestens solange in der im „ Wasser* auf¬
geschwemmten Kultur liegen, bis sie soweit imprägniert waren,
dass sie auf dem Boden des Gefässes niedersanken.
Ein Teil der Fäden und Läppchen wurde bei Bruttemperatur
von 37 0 C. während ca. 2 Stunden getrocknet und in diesem Zu¬
stande dem Formaldehyd ausgesetzt. Neben trockenem wurde
stets auch feuchtes Bakterienmaterial, d. h. ganz kurz vor dem
Versuche aus der „ wässerigen“ Kultur herausgenommene Fäden
und Läppchen der Desinfektion übergeben, um zu einem möglichst
vielseitigen Resultate bei der Prüfang zu gelangen.
Eine besondere Prüfung des Apparates auf Unschädlich-
Eilige Versuche mit einem neuen Apparat zur Wohnungadesinfektion usw. 208
i«
di a-
Al 'S
ü : j I
i
i
: i
bi-;
i
f
1
r}
j"
6
mthnng bezw. Abtötung von Taborkelbazillen wurde von mir
nicht vorgenommen, da ich bei früheren Experimenten (1* c 0 zu
einem negativen Resultate gelangt bin and an eine sichere
Abtitung von Tuberkelbazillen dnrch Formaldehyd
in der überwiegenden Mehrzahl der F&lle, gestützt
mfmeine experimentellen Ergebnisse, nicht glaube.
Ich habe noch kurz za erwähnen, weshalb die
B&kterienrasen in sterilem Wasser, and nicht in Bonilion
oder Pepton, wie es gewöhnlich za geschehen pflegt, auf-
feschvemmt wurden:
,Eeagensglasversuche mit Formalin und aufgelöstem Pepton haben mich
.... überzeugt, daß Formalin und Pepton einen unlöslichen Niederschlag in
bestimmten Mischungsverhältnissen bilden“ (1. c.). Fs war mir früher schon
ulgei&Uen, daß die feuchten (mit peptonhaltiger Bouillon angefertigte) Test*
objekte eine größere Resistenz gegenüber Formaldehyd an den Tag legten, als
Oie trockenen, was einzig und allein auf die Anwesenheit des Peptons in der
iokhvemmungsflüssigkeit zurückzuführen war und nicht auf den etwa zu
tödlichen Wassergehalt, auch nicht auf eine wesentliche Abschwächung der
»getrockneten Bakterien, da die Kontrollen stets rechtzeitig positiv ausfielen.
,a bleibt daher nur die vorsichtige Aufschwemmung der Bakterien in
sterilem Wasser als die beste Methode zur Gewinnung von ... Testobjekten
tbrig* (L c.).
Weiterhin erwähne ich noch, dass Seidenfäden und Leinen-
Uppchen für Wohnungsdesinfektionsprüfongen zweckmässiger sind,
tb jedes andere Menstrnum, da wir uns damit den zunächst in
der Praxis gegebenen Verhältnissen nähern.
Die Versuchsanordnung war non weiterhin folgende:
Die sterilen Petrischen Schälchen wurden mit Hilfe eines Blaustiftes
rot der Unterfläche her in zwei Hälften geteilt, von denen die eine die
bödmen, die andere die feuchten Seidenfäden bezw. Leinenläppchen enthielt,
vdch' letztere kurz vor dem jedesmaligen Versuche aus dem „Wasser“ heraus*
gawmmen wurden. Die Schäldien mit Inhalt wurden die vorgeschriebene Zeit —
*unserem Falle nach ßoepkes Angaben 5 Stunden — dem Formaldehyd*
gue in möglichst schrägen Lagen ausgesetzt, um dem Gase freien Zutritt zu
den Testobjekten zu verschaffen. Nachdem auch der Ammoniak die nötige
Zeit eingewirkt hatte, — in meinen Versuchen noch */* Stunde nach Verlöschen
der Spiritusflamme — wurden die Schälchen schnell zugedeckt, darauf im Labo¬
ratorium die Testobjekte in ca. 10 ccm Bouillon übertragen, geschüttelt und
diese Eöhrchen sodann 8 Tage bei Bruttemperatur gehalten. Dann erst folgte
d« Begistrieren der Resultate.
Dass bei jedem Versuche für die nötige Abdichtung des Ver-
*whsraame8 gesorgt warde, brauche ich wohl kaum zu erwähnen.
Der Formalinapparat warde im Zimmer aafgestellt.
Um mir gleichzeitig über die Verhältnisse der Temperatur
md der Feuchtigkeit während der Einwirkung des Formal-
dehyds Aufklärung zu verschaffen, wurde ein Lambrecht scher
Polymeter so in der Nähe der Tür im Zimmer aufgehängt, dass
durch die oben erwähnten Fensterscheiben leicht Ablesungen ge*
■übt werden konnten, was halbstündlich geschah.
Angestellt worden auf diese Weise im ganzen 5 Versuche.
ft jeden Versuch hatte ich B6 Testobjekte.
Zwischen je zwei Versuchen fand eine gründliche Durch-
des Ver^uchsraumes statt.
204
Dr. Engels.
Die näheren Angaben über die Versuchsergebnisse ent¬
hält die nebenstehende Uebersicht; über die bei den einzelnen
Versuchen festgestellte relative Feuchtigkeit und Tempe¬
ratur giebt die nachstehende Tabelle Aufschluss.
Za Versuch I.
| Versuch II.
Versuch III.
| Versuch IV.
Versuch V.
Stunde
i
relative
Feuchtigkeit
Temperatur |
relative
Feuchtigkeit j
Temperatur
relative
Feuchtigkeit
Temperatur
relative
Feuchtigkeit
i
Temperatur
relative
Feuchtigkeit
Temperatur
7 vorm.
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77 „;
11 ° :
i
Aus den Resultaten ist folgendes zu erwähnen.
Die relative Feuchtigkeit hat den Höhepunkt erreicht:
bei Versuch 1 mit 100 »/„ nach 1 Std.,
„ 2 n 96 „ „ 2 „
■ * 3 „ 94 „ „ 2 „
„ fl 4 „ 95 n 1 fl
fl - 5 „ 98 „ „ IV» «
im Durcbsclmitt demnach mit ca. 97 °/ 0 nach 1*/» Standen.
Die Temperatur erreichte den Höhepunkt:
bei Versuch 1 mit 16° C. nach 1 '/* Std.,
fl A 2 „ 16 „ , 2
« fl 3 „ 16 , , 1 ,
fl , 4 „ 16 „ „ IV* fl
fl fl ö 1, 15 fl fl 1 fl
im Durchschnitt also mit ca. 16° C. nach 1 */» Standen.
Von Wichtigkeit sind für den vorliegenden Apparat auch die
Angaben, wie lange die Spiritusflamme die Verdampfung unter¬
hielt, sowie ob eine vollständige, restlose Verdampfung der
Flüssigkeiten zu konstatieren war.
Die Formalin- und Ammoniakflammen waren erloschen:
Versuch I. II 111 IV. V.
Formalinflnmme: nach 2 Std. 2 1 /» Std. 2 Std. 1 */« Std. 1 */« Std.
Ammoniakfiammc: „ '/* » 35 Min. V* « V* n 40 Min.
Formalinrest: — — — 250 ccm 110 ccm
Ammoniakrest: ca. 100 ccm 80 ccm 130 ccm 37 ccm 60 ccm
Die Flammen brannten demnach sowohl bei dem Formalin*,
wie bei dem Ammoniakverdampfer geraume Zeit, so dass die grösst-
raögliche Verdampfung der Flüssigkeiten erfolgen konnte. Der
Trockono Toatobjokto
Einige Versuche mit einem neuen Apparat zur Wohnungsdesinfektion usw. 205
206
Dr. Engels.
Spiritus verbrennt infolge der Vergasung langsamer, daher vor¬
teilhafter für den Desinfektionserfolg. Sicher ist, dass bei den
Flflggeschen und Schneiderschen Apparaten, bei denen wir
offene Feuerung haben, der Spiritus schneller verbrennt. In dem
neuen Spiritnsbrenner Boepkes sehe ich einengrossen
Vorteil, weil einmal die Feuersgefahr geringer ist,
sodann aber auch der Spiritus erheblich langsamer
verbrennt, daher das Formalinwasser vollständiger
verdampfen kann, desgleichen der Ammoniak.
In der Tat waren die Testierenden, nicht vergasten Formalin-
wasser- bezw. Ammoniakmengen meistens nur geringe; in drei
Versuchen war sogar gar kein Formalinwasserrest zu konstatieren.
Was den eigentlichen Desinfektiouseffekt angeht, so können
die Besultate als sehr schön bezeichnet werden. Der Apparat
Boepkes leistet dasselbe wie die übrigen vorhandenen Des¬
infektoren, insbesondere auch wie die von mir (1. c.) früher ge¬
prüften Breslaner Apparate und Schneiderschen Bapid-Des¬
infektoren.
Die beste Wirkung wurde sowohl für die feuchten, wie für
die trockenen Testobjekte in einer Höhe von 1—2 m erzielt, wie
besonders eklatant hervorgeht aus den für die Typhus-, sporen¬
haltigen Heubazillen- und Staphylokokken-Testobjekte erreichten
Zahlen hervorgeht. Dasselbe Ergebnis konnte auch früher für
die anderen Apparate festgestellt werden.
Ein Unterschied in der Wirkung des Formaldehydes gegen¬
über den Seidenfäden und den Läppchen konnte nur bei den
feuchten Testobjekten konstatiert werden, und auch hier nur gegen¬
über den Typhus-Testobjekten.
Das Nähere ergeben die folgenden Tabellen:
Feuchte Testobjekte 1 )
Höhe im
Versuchsraum
Typhus
Cholera
bi)
o
£3
•9.5
§**
OQ
Strepto¬
kokken
Diphtherie
Sporen¬
haltige Heu¬
bazillen
Prodigiosus
Seiden- 1
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100 „
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l 2,10 m
100 „
100 „
100 ,
100 „
100 „
20 ff
80 „
Läppchen
2,10 m
60 „
100 „
100 „
100 „
100 „
1 20 ,
80 „
Veranschaulichen wir uns nun noch die Gesamtresult&te
meiner Versuche (Seidenfäden und Läppchen), so erhalten wir
das nachfolgende Ergebnis bezüglich der erreichten Abtötung:
*) Die Zahlen geben die jedesmal erreichte Abtötung in Prozenten an.
Einige Versuche mit einem neuen Apparat zur Wohnungsdesinfektion new. 207
Testobjekte
Cholera
©
TS
©
Xi
-ta»
Xi
Pe
3
iS
«3
i
Staph.
pyogenes
aureus
Prodigio-
8 US
Typhus
Sporen¬
haltige Heu¬
bazillen
Trockene Fäden .
Feuchte Eiden .
100 °/„
100 ,
i
100 »/,
100 ,
8 8
o
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90 «/,
100 ,
,
l
«&«/,
76 ,
o
*
O IO
90 «/,
16 ,
Die Differenz zwischen den feuchten und trockenen Test*
Objekten ist so geringfügig, dass dieselbe wenig oder gar nicht
ins Gewicht fällt.
Es sei mir nun noch gestattet, zum Vergleich zwei kleine
Tabellen meiner obengenannten Arbeiten hinznzufügen:
Desinfektionsresultate, erzielt mit Hilfe des Schneiderschen
Formaldehyd • Desinfektors.
Test¬
objekte
Diphtherie
Cholera
Strepto¬
kokken
Tuberkel¬
bazillen
Friedländer
Dysenterie
Milzbrand¬
bazillen
Typhus
|9
Mg
Ji
Staph. pyog.
aureus
n
•2 ä.
i-
Trockene
Fäden
Feuchte
Fäden
88 o/.
i
98«/,
94«/,
HR
60«/,
92 ,
82 ,
78 ,
76 ,
54 ,
46 ,
14 ,
Desnfektionsresultate, erzielt mit Hilfe des Breslauer Apparates.
Test¬
objekte
Diphtherie
Cholera
Strepto¬
kokken
Tuberkel¬
bazillen
Friedländer
Dysenterie
fcb
©
ää
to
Js *
00
Typhus
■g S
&|
H
Milzbrand¬
bazillen
Milzbrand- 1
sporen |
Trockene
Fäden
100«/,
100»/,
100»/,
100«/,
100»/,
8
o
o"^
100»/,
100«/,
90»/,
■
60«/,
Feuchte
Fäden
100 ,
100 ,
100 ,
100 ,
90 ,
90 ,
86,6,
88,8,
88,8,
70 ,
80 ,
Wenngleich somit die Prozentzahlen nicht ganz überein-
staunen, so ist meist die Differenz doch so geringfügig, dass ich
zn dem Schlnssergebnis kommen zu dürfen glaube, dass der
yon Roepke angegebene Apparat zur Wohnungsdes¬
infektion hinsichtlich des Desinfektionseffektes das-
aelbeleistet wie der Flüggesche nnd der Schneidersche
Desinfektor, dass dahingegen der Boepkesche Ap¬
parat vor den beiden anderen Desinfektoren den vor¬
teilhafteren Spiritusbrenner nnd die kompendiöse
Form des Ganzen voraus hat, so dass hiermit zweifel¬
los eine Verbesserung, Vereinfachung und leichtere
Handhabung erzielt ist, und der Apparat Boepkes
demnach seinen Zwecken in jeder WeiBe gerecht wird.
208
Dr. Huhs.
Oie desinfektorlsche Wirkung des Formatins
auf tuberkelbazillenhaltigen Lungenauswurf. (Versuche mit
dem Roepkesehen Apparat zur Wohnungs-Desinfektion.)
Von Dr. E. Hnhs,
Assistenzarzt der Eisenbahn'Heilstätte Stadtwald-Melsungen.
Für den Heilstättenarzt war es von ganz besonderer Wich¬
tigkeit zu prüfen, in welcher Weise der Roepke sehe Apparat
zur Wohnungsdesinfektion mittels flüssigen Formalins auf die
Erreger der Tuberkulose wirkt und zwar in ihrer häufigsten
Erscheinungs- und Verbreitungsform: auf die Tuberkelbazillen
im Sputum. Bekanntlich ist die Wohnungsdesinfektion gerade
für die Bekämpfung der Tuberkulose als Volkskrankheit eine
ungemein wichtige MaBsnahme, anderseits ist aber von Spengler,
Engels und mit besonderem Nachdruck von v. Behring be¬
hauptet, dass die Formaldehyddesinfektion gerade bei der Tuber¬
kulose versage. Dieser Behauptung widersprechen die viel um¬
fangreicheren Untersuchungen von Fairbanks, Walter,
Aronsohn, Neisser, Valagussa, Pfuhl, v. Brunn,
Hess, Flügge, Steinitz, Jörgensen und in allerneueeter
Zeit die sehr sorgfältigen Versuche von Werner. Letzterer hat
auch in Nr. 13 dieser Zeitschrift — Jahrgang 1904 — das Für
und Wider in der ganzen Frage der „Formalindesinfektion von
Phthisikerwohnungen“ so zutreffend behandelt, dass sich hierüber
unter Hinweis aut die Wern ersehe Arbeit weitere Einzelheiten
erübrigen.
Meine Versuchsanordnung, die das Ergebnis der Engel8-
schen Versuche mit dem von Roepke konstruierten Apparat in
wünschenswerter Weise ergänzt, war folgende:
Leinwandläppchen worden in mäßig dicker Schicht mit frischem Spntum
bestrichen, das ein florider Fall von Phthise lieferte. Es war yon eitriger
Konsistenz, so daß es sich wie Butter anfsckmicrcn ließ, und enthielt neben
zahlreichen Staphylokokken außerordentlich zahlreiche Tuberkelbazillen. Nachdem
das aufgetragene Sputum angetrocknet war, wurden in einem Krankenzimmer
von 60 cbm Rauminhalt an vier verschiedenen Stellen — in verschiedener Ent¬
fernung vom Formalinverdampfungsnpparat und in verschiedener Zimmerhöhe —
je fünf Läppchen an Zwirnsfäden aufgehängt. Dann erfolgte unter genauer
Beobachtung der dem It.’schen Apparat beigegebenen Anleitung der Desin¬
fektionsakt mit der vorgeschriebenen Menge flüssigen Formalins und nach fünf¬
stündiger Einwirkung desselben die Einleitung des Ammoniaks von außen durch
das Schlüsselloch. Eine Stunde später konnte das Zimmer betreten werden,
ohne daß Formalin- oder Ammoniakdämpfe belästigend wirkten.
Von den an verschiedenen Stellen aufgehängten Testobjekten wurden je
4 Stück — im ganzen also 16 Stück — mit Bouillon angefeuchtet und einzeln
auf Somatosenährboden, der sich uns für das Wachstum der Tuberkelbazillen
ganz vorzüglich bewährt hat, sehr sorgfältig ausgestrichen, zum Teil sogar in
den Röhrchen belassen.
Die ununterbrochen — 6 Wochen lang — im Brut¬
schrank bei 37° gehaltenen Röhrchen blieben sämtlich
steril. Dieses Ergebnis deckt sich mit den Feststellungen des
Marburger hygienischen Instituts und spricht gegen die Be¬
hauptung Spenglers, dass Tuberkelbazillen noch nach Ein¬
wirkung weit grösserer Formaldehydmengen, als sie für die
Versuche mit dem Boepkeschen Apparat zar Wohnangadesinfektion. 209
Wohningsdesinfektion in Betracht kommen, auf geeigneten Nähr¬
böden Lebensercheinungen zeigen.
Ferner wurden die in verschiedener Entfernung und Höhen¬
lage noch hängenden 4 Läppchen nacheinander von den Fäden
abgeschnitten und sofort 4 Meerschweinchen direkt in die Bauch¬
höhle gebracht.
* Meerschweinchen Nr. 1: Gewicht 560 g. 23. Januar intraperitoneale
Verimpfung des Läppchens. Am 23. Februar auf 1 und 3 mg Alt - Tuberkulin
keine Beaktion. Am 6. März Tötung. Gewicht 590 g. Sektionsbefund: Läpp«
chen dem Peritoneum der Bauchseite reaktionslos augewachsen. Peritoneum
spiegelnd, sämtliche Organe der Bauch- und Brusthöhle gesund.
Meerschweinchen Nr. 2. Gewicht 430 g. Am 23. Januar Operation.
Am 23. Februar auf 3 mg Alt-Tuberkulin nicht reagiert. Am 6. März Tötung.
Otvkht 580 g. Sektionsbefund: Läppchen von Dünnarmschlingen um¬
schlossen. Keine Beaktionserscheinungen. Keine Spur von Tuberkulose
üch weisbar.
Meerschweinchen Nr. 3. Gewicht 420 g. Am 23. Januar Operation:
Auf 1 und 3 mg Alt-Tuberkulin am 23. Februar keine Beaktion. Tötung am
6.März. Gewicht 550 g. Sektionsbefund: Das Läppchen hat zur Verwachsung
ron Darm, Testikel und Mesenterium geführt; sonst ganz normaler Befund;
insbesondere keine Tuberkulose.
Meerschweinchen Nr. 4. Gewicht 430 g. Operiert am 23. Januar.
Taberkulininjektion von 1 und 3 mg bleibt ohne Beaktion. Tötung am 6. März.
Gewicht 550 g. Sektionsbefund: Läppchen im Mesenterium eingebettet.
Keine Drüsenschwellung; im ganzen Tierkörper keine Tuberkulose.
Die beiden Kontrolltiere, denen je ein mit dem gleichen Sputum be¬
schmiertes, aber nicht desinfiziertes Läppchen in die Buuchhöle gebracht war,
zeigten bei der Sektion ausgesprochene Formen allgemeiner Tuberkulose.
Nach dem Ergebnis dieser Versuche unterliegt es
keinem Zweifel, dass die desinfektorische Wirkung des Formal-
dehyds bei Anwendung des Boepkeschen Apparates der Tuber¬
kulose gegenüber vollständig und sicher ist. Denn wenn die
Tiberkelbazillen in der Sputumschicht durch den Desinfektionsakt
io beeinflusst werden, dass sie bei Verimpfung auf das für Tuber¬
kulose hoch empfindliche Meerschweinchen keinerlei nachteilige
Wirkung mehr hervorznrufen vermögen, dann können sie dem
Menschen sicherlich nicht mehr gefährlich werden.
Allerdings wird die Formalindesinfektion versagen müssen,
venn die Taberkelbazillen in so massigen und kompakten Sputum-
kallen eingeschlossen sind, dass ein Durchdringen des Desinfektions-
Mittels unmöglich ist. Solche mit Auswurf grob und sichtbar
beschmutzten Stellen des Fussbodens, der Bettstelle, der Wände,
Möbel U8W. sollen nach der Vorschrift aber mit in Sublimat ge¬
hinkter Bürste abgescheuert bezw. mit Watte auf genommen und diese
jftta verbrannt werden, während die beschmutzten Taschentücher
® einer Sublimatlösung eingeweicht werden. Es bleibt also in der
Phthisikerwohnnng eigentlich nichts anderes unschädlich zu machen,
die kleinsten und deshalb dem Auge entgehenden Sputum-
, ; hilcheu find die dem Stanbe beigemischten Tuberkelbazillen, die
' | ▼<» verstäubten oder verspritzten Auswurf herrühren können.
^ j Beides erscheint sicher, wenn sogar, wie durch obige Versuche
’ [ uchgewiesen ist, tuberkelbazillenhaltiges Sputum in mässig dicker
| j Schicht durch den R.’schen Apparat abgetötet wird.
210 Dr. Hahs: Versache mit dem Boepkeschen Apparat uaw.
Danach erscheint der von Engels 1 ) ausgesprochene
Zweifel an einer sicheren Abtötung von Tuberkel-
bazillen durch Formaldehyd nicht berechtigt, zum
wenigsten dort nicht, wo der Boepkesche Apparat
Verwendung findet!
Schliesslich habe ich noch in Ergänzung der Engels sehen
Versuchsanordnung Zimmer von verschiedener Grösse desinfiziert,
um festzustellen, ob die von Boepke zur Fällung seines Appa¬
rates angegebenen Formalinmengen für die einzelnen Zimmer¬
grössen ausreichen. Zu dem Zwecke wurden Zimmer von 60, 90 u.
120 cbm Bauminhalt lege artis der Desinfektion unterworfen. Als
Testobjekte dienten Leinwandläppchen, auf die eine wässerige Auf¬
schwemmung von Staphylokokken- und Streptokokken-Beinkulturen
ausgestrichen und angetrocknet war. Nach erfolgter Desinfektion
wurden die Läppchen teils in Bouillon, teils in Gelatine- und
Somatoseröhrchen eingebracht bezw. in Platten ausgegossen.
Während die Eontroll-Böhrchen und Platten in allen Fällen
üppiges Wachstum zeigten, ergaben die desinfizierten Läppchen —
in Uebereinstimmung mit den Engels sehen Ergebnissen bei
50 cbm Bauminhalt — 100 °/o Abtötung. Interessant war hierbei
die Feststellung, dass bei einem Formaldehydgebrauch von 4 g
pro Kubikmeter der Prozentsatz der Abtötung 80—90 betragen
hatte und erst auf 100 stieg durch eine Erhöhung des Formal¬
dehyds auf 4,5 g pro Kubikmeter bei 5stündiger Einwirkungs¬
dauer.
Nach allem entspricht der B.sche Apparat im weitgehendsten
Masse den Anforderungen, die man an einen Wohnungsdesinfektions-
apparat der Natur der Sache nach wird stellen müssen, wenn der
Aufwand an Zeit und Geld für die Ausführung der Desinfektion
gerechtfertigt erscheinen soll. Dazu kommen noch Vorteile, die
den B.schen Apparat vor den anderen auszeichnen. Das ist in
erster Linie die Handlichkeit und leichte Transportfähigkeit des
B.schen Instrumentariums, die die Durchführung der Wohnungs¬
desinfektion auf dem platten Lande und in der Diaspora erheblich
erleichtern wird. Formalinapparat und Ammoniakentwickler wiegen
mit der zugehörigen Segeltuchtasche 3 kg, sämtliche Ausrüstungs¬
gegenstände in dem bequemen tragbaren Transporteimer 10 kg.
Auch was die Preise anbelangt, so ist der von Boepke kon¬
struierte Formalin-Verdampfungsapparat der billigste von allen
in Frage kommenden Modellen. Er kostet nämlich komplett
44 Mark, während für den Bapid- Formaldehyd -Desinfektor der
Firma Schneider-Hannover und den Apparat „Berolina* je
45 Mark, für den Flüggeschen Breslauer Desinfektionsappar&t
46 Mark, den Scheringschen kombinierten Aeskulap 50 Mark,
den Colonia-Apparat nach Dr. Czaplewski 65 Mark und den
L in gn er sehen Desinfektionsapparat 70 Mark gefordert werden.
Auch der Preis des Boepkeschen Ammoniakentwicklers, der ans
Kupfer gestanzt mit sämtlichem Zubehör 23,50 Mark kostet,
*) Siehe vorstehende Arbeit von Engels, 8. 208.
Vorschriften für das Verfahren der Gerichtsärzte nsw.
211
übersteigt nicht die Anschaffangskosten anderer kompletter und
Urans verbleitem Eisenblech konstruierter Ammoniakent-
liekler. Endlich kostet der Trierer DesiDfektions- Tornister 45 M.,
der Boepkesehe Transporteimer mit Einsatzgestell und allem,
ns der Desinfektor gebraucht, nur 33,50 Mark.
Auch die Kosten für die Desinfektionsmittel bleiben bei An*
leniimg des Roepkeschen Apparates hinter denen zurück, die
der Gebrauch anderer Modelle verursacht. Um hier nur die
beiden bisher gebräuchlichsten Apparate, den kombinierten „Aes-
falap* and den Breslauer Apparat — zum Vergleich heranzu*
flehen, so kosten Formalin, Ammoniak und Spiritus für die Des*
inlektion einer 100 cbm mit dem kombinierten Aeskulap
dH. 99 Pf., mit dem Breslauer Apparat 2 M. 43 Pf., mit
denBoepkeschen Apparat nur 2 M. 31 Pf.
Ofe neuen preussischen Vorschriften vom 4. Januar 1905
für das Verfahren der Gerichtsärzte bei den gericht¬
lichen Untersuchungen menschlicher Leichen.
Vom Heraasgeber.
(Schloß.)
b. Baachhohle.
§ 20. Die weitere Untersuchung der Baachhohle and ihrer Organe
Ü17) geschieht stets in einer solchen Reihenfolge, daß durch die Herausnahme
einen Organs die genauere Erforschung seiner Verbindungen mit einem
«deren nicht beeinträchtigt wird. 1 ) So hat die Untersuchung des Zwölffinger¬
darms nnd des Gallenganges der Herausnahme der Leber voranzugehen. In
der Kegel empfiehlt sich nachstehende Reihenfolge: 1. Bauchfell der Bauch -
und Netz, 2. Milz, 8. Nieren- und Nebennieren, 4. Harnblase, 6. Geschlechts¬
teile (beim Manne Vorsteherdrüse und Samenbläschen, Hoden, Ente mit der
Harnröhre ^ beim Weibe EierstOcke, Trompeten, Gebärmutter und Scheide),
o. Mastdarm, 7. Zwölffingerdarm und Magen, 8. Gallengang, 9. Leber, 10.
wehspeicheldrüse, 11. Gekröse, 12. Dünndarm, 13. Dickdarm, 14. die großen
Blutgefäße vor der Wirbelsäule nebst den sie begleitenden Lyutphdrüsen, 15. die
und Knochen der Wirbelsäule und des Beckens .
Hoch kann auch mitunter, um Raum zu gewinnen, alsbald nach der Milt
"***• «ad Dickdarm von dem vorher zu untersuchenden Gekröse abgelöst und
•oozsgenommen werden. In diesem Falle ist eine Unterbindung des Darmes
and unten zweckmässig.
Wenn besondere Gründe dazu vorliegen *), ist es gestattet, sämtliche Organe
Bauchhöhle oder einen Teil derselben im Zusammenhang herauszunehmen
*) Vor Herausnahme jedes Organes sind deshalb auch stets in
«üblicher Lage seine Verbindungen und Beziehungen zu den benachbarten
wganen festzusteilen. Etwaige Verwachsungen müssen vorsichtig, am
bestes mit Stampfer Gewalt gelöst werden; ist eine solche Lösung nicht ohne
Verletzung der betreffenden Organe möglich, dann sind diese im Zusammen-
nage herauszunehmen. Finden sich fremdartige Geschwülste in der Bauch-
«hie, so ist bei deren Herausnahme in gleicher Weise wie bei denjenigen der
wehorgane selbst za verfahren; um den Ausgangspunkt der Geschwülste zu
bnittelo, sind zunächst die benachbartenEingeweide herauszunehmen, bis die
®«*ehwttlst völlig freiliegt.
*) Z. B. bei schwer lösbaren Verwachsungen, s. vorher Anm . 1.
212 Die neuen preußischen Vorschriften für das Verfahren der Gcrichtsärzte
und erst dann die einzelnen Teile in ihrem natürlichen Zusammenhang oder
nach ihrer Entfernung weiter zu untersuchen. 1 )
Die Milz wird jedesmal in bezug auf Länge, Breite und Dicke und
zwar in liegender Stellung (nicht in der Hand) und ohne daß der Maßstab an¬
gedrückt wird, gemessen, sodann der Länge nach und, falls sich veränderte
Stellen zeigen, in mehreren Richtungen durchschnitten. Jedesmal ist eine Be¬
schreibung ihres Blutgehaltes zu geben.")
Nieren und Nebennieren werden in der Art herausgenommen, daß
ein vertikaler Längsschnitt durch das Bauchfell nach außen von dem auf- oder
absteigenden Dickdarm gemacht, letzterer zurückgeschoben und die Niere nebst
Nebenniere ausgelöst wird.') Dabei ist au f das Verhalten des Harnleiters zu
achten, welcher, wenn er nichts abweichendes zeigt, zu durchschneiden, aber im
Zusammenhänge mit den Beckenorganen zu lassen ist, sobald an ihm eine Ver¬
änderung wahrgenommen wird. Die weitere Sektion der Niere kann dann ver¬
bleiben, bis die Beckenorgane herausgenommen worden sind, sie kann aber auch
sofort wie bei der frei herausgeschnittenen Niere vorgenommen werden. Die
Nebennieren werden auf einen mitten über ihre Flachseite geführten Schnitt
untersucht; bei den Nieren wird zunächst durch einen über den konvexen Rand
geführten Längsschnitt die Kapsel eingeschnitten und vorsichtig abgezogen,
worauf die freigelegte Oberfläche in bezug auf Größe, Gestalt, Farbe Blut¬
gehalt, krankhafte Zustände beschrieben wird. Dann wird ein Längsschnitt
durch die ganzo Niere bis zum Becken geführt, die Schnittfläche in Wasser
abgespült und beschrieben, wobei Mark- und Rindensubstanz, Gefäße und Pa¬
renchym zu berücksichtigen sind. Vom Nierenbecken aus wird der Harnleiter
bei erhaltenem Zusammenhänge bis zu seiner Eintrittsstelle in die Blasenwand
mit einer Schere auf geschlitzt.
*) Die Sektion der Bauchhöhle beginnt also mit der Besichtigung des
Bauchfells der Bauchwand und des Netzes. Das Netz wird zu
diesem Zwecke vom Querdarm abgetrennt, gegen das Licht gehalten (ob durch¬
sichtig oder stark mit Fett durchwachsen) und dann auf einen Teller zur wei¬
teren Untersuchung ausgebreitet, bei der besonders auf die Füllung der Ge¬
fäße zu achten ist.
*) Behufs Herausnahme der Milz wird der Magen mit der rechten Hand
nach rechts herübergezogen, die Milz mit der linken Hand gefaßt und aus der
Bauchhöhle emporgehoben. Hierauf erfolgt die Durchtrennung ihrer Gefäßo
und Verbindungen unmittelbar an der Pforte (Hilus); bestehen Verwachsungen
mit dem Zwerchfell, so werden diese mit dem Messer Umschnitten und mit der
Milz herausgenommen. Die Milz wird sodann mit' der Pforte nach abwärts auf
einen Teller gelegt und nicht nur ihre Lange, Breite und Dicke (durch¬
schnittlich 12 : 7,6 : 3,0 cm; Gewicht 140—180 g) festgestellt, sondern auch
ihre Konsistenz (ob schlaff, ob Fingereindriicke bestehen bleiben, ob derb
oder matschig usw.), Farbe, Beschaffenheit der Oberfläche und der Ränder. Der
hierauf vorzunehmende Längsschnitt wird so geführt, daß beide Hälften in der
Gegend der Milzpforte noch etwas zusammenhängend bleiben; bei Untersuchung
der Schnittfläche ist auf die Beschaffenheit des Milzgewebes (der Palpa, der
Milzbälkchen und der Malpighischcn Körperchen) sowie auf den Blutgeh<
der Gefäße zu achten.
*) Die Nieren und Nebennieren werden zusammen herausgenom¬
men. Zu diesem Zwecke empfiehlt es sich nach dem Vorschläge von Puppe
gleich den ganzen Dickdarm von der Flexura sigmoidea bis zum Blinddarm
abzutrennen und ihn, als vorläufig nicht in Betracht kommend, bei Seite, etwa
zwischen die Beine der Leiche zu legen. Hierauf wird die linke Niere und
Nebenniere mittels eines vertikalen, nach außen von dem absteigenden Dick¬
darm geführten Längsschnittes durch das Bauchfell zugänglich gemacht und
ausgelöst, wobei das Verhalten des Harnleiters (Dicke, Verlauf usw.) zu
beachten und dieser zu durchschneiden ist, falls pathologische Befunde (Er¬
weiterungen, Veränderungen usw.) nicht ein anderes Verfahren (Herausnahme
des Urogenitalapparates im Ganzen) erfordern. Die weitere Sektion wird mit
derjenigen der Nebenniere begonnen, indem man zunächst ihre Größe (durch¬
schnittlich 8,6 : 3,0 : 0,6 cm), Konsistenz, erforderlichenfalls auch ihr Ge¬
wicht (normal 4,8—7,8 g) und sodann durch einen Längsschnitt die Farbe und
bei den gerichtlichen Untersuchungen menschlicher Leichen.
2 IS
Die Beckenorgane (Harnblase, Mastdarm and die damit im
I Zmmaeahange stehenden Geschlechtsteile) werden, nachdem die Harn«
blue in ihrer natürlichen Lage geöffnet and ihr Inhalt bestimmt ist, auch die
Up, die Grösst sowie die gegenseitigen Beziehungen der übrigen Beckenorgane
mUM vorden sind , am besten im Zusammenhänge herausgeschnitten and dann
ent der weiteren Untersuchung unterzogen, bei welcher die Geschlechtsteile
I nletit rar Betrachtang and Oeffnang gelangen. 1 ) Dabei hat die Untersuchung
Beschaffenheit ihrer Schichten (Binden*, Mark« und Zwischensubstanz) feststcllt.
Beruf wird die Niere mit der linken Hand so gefaßt, daß der Hilus gegen
tic Hohlhand sieht, ihre Kapsel (Fett- und Bindegcwebskapsel) durch einen
iber den konvexen Rand bis in die Bindensubstanz geführten Längsschnitt
, gespalten, vorsichtig (mit Daunen und Zeigefinger der rechten Hand) nach
beiden Seiten bis zum Hilus abgezogen und dabei auf Dicke und Farbe der
. fetthpsel sowie auf die Abziehbarkeit der Bindegewebskapsel geachtet. Da»
' Si ach wird die Niere selbst in bezug auf Oberfläche (Farbe and Glätte),
-, Konsistenz (ob schlaff, derb, elastisch), Gestalt, Größe (durchschnittlich
.11-12:5—7 : 3—4 cm), Gewicht (120—200 g), Blutgehalt und äußerlich
;" , ächtbare krankhafte Zustände beschrieben und sodann der bei Spaltung der
\ Kapsel bereits bis in die Bindensubstanz geführte Längsschnitt bis in das
' Nierenbecken fortgesetzt, so daß sich die Niere in zwei noch zusammenh&n-
, . pde Hälften amklappen läßt. Bei der jetzt folgenden Betrachtung der
j Schnittfläche sind der Blutgehalt (ob und wieviel Blut sich auf ihr vorfindet,
, ob solches nur bei Druck und nur an einzelnen Stellen hervortritt),
Breite, Farbe und Beschaffenheit der Bindensubstanz, Farbe und Beschaffenheit
der Marksubstanz, Verhalten der gewundenen und geraden Harnkanälchen zu
ermitteln, die größeren Gefäße auf Inhalt und Beschaffenheit der Wandungen
~ i ® prüfen. Schließlich sind vom Längsschnitt aus das Nierenbecken und die
Nitrenkelche mit einer Schere zu eröffnen und mit Bücksicht auf ihre Schleim-
hnt, etwaigen Inhalt osw. zu Untersachen.
Die Herausnahme and Sektion der rechten Niere und Nebenniere
erfolgt in gleicher Weise.
i *) Die Sektion der Beckenorgane beginnt mit der Eröffnung
der Harnblase in ihrer natürlichen Lage durch einen von der Vorderwana
ron oben nach unten gehenden Schnitt, Ausschöpfung und Feststellung ihres
uults nach Uenge und Beschaffenheit; ist die Blase stark gefüllt oder eine
totere chemische Untersuchung des Urins angezeigt, so empfiehlt sich dessen
r Entfernung durch den Katheter, ehe die Blase geöffnet wird. Hierauf wird
| der Hastdarm, nachdem der etwa in ihm vorhandene Inhalt nach oben und
! mir ts gestrichen ist, an seiner Eintrittsstelle im kleinen Becken unterbunden
itm besten doppelt) und unterhalb der Unterbindung (bezw. zwischen beiden
I Ligaturen) durchschnitten; sodann werden Mastdarm una Blase (im Eröffnungs-
ttuitt) — bei weiblichen Leichen auch die Gebärmutter mit ihren Anhängen
~ gefaßt, nach oben gezogen, ihre Verbindungen mit dem Becken mittels
eines sich stets dicht an der knöchernen Wandung des Beckeneingangs hal-
i Schnittes erst hinten, dann vom gelöst und die Herausnahme sämtlicher
j Beckenorgane schließlich durch einige Querschnitte ermöglicht, wobei das
jketam ror dem inneren Schließmuskel, die männliche Harnröhre vor der
Vorsteherdrüse, die weibliche Scheide etwa in der Mitte zu trennen und Vcr-
Mrangen der äußeren Genitalien, des Dammes und der Aftergegend zu ver-
neiden sind. Die herausgenommenen Organe werden nunmehr so auf einen
«er gelegt, daß der Mastdarm aufliegt, die Blase mit dem Fundus dem
öbauzenten zugekehrt ist. Nachdem die Blase durch Verlängerong des
s i wmngs8chnittc8 (mit der Darmschere) bis in die Harnröhre völlig offen
- : fie Beschaffenheit der Blasenwand (Dicke) und Blasenschleimhaut fest»
■ Kötellt ist, werden die Geschlechtsorgane untersucht.
L j a Beim männlichen Geschlecht: Vorsteherdrüse (Farbe, Ge-
' [ Sp — durchschnittlich 2,7 cm lang, 4,5 cm breit, 2 cm dick und
' f I schwer —, Konsistenz, Beschaffenheit der Schnittfläche), die außen von
• I t® «menleitern unmittelbar oberhalb der Vorsteherdrüse an der Hinterwand
-j «f Blase liegenden Samenbläschen (Farbe, Gestalt, Größe — durch-
; i Wüuttlich 4,8 cm lang, 1,7 cm breit und 0,9 cm dick —, Inhalt [die Eröffnung
214 Die neuen preußischen Vorschriften fttr das Verfahren der Gerichtsärzte
der Eierstöcke, vor allem wegen der Wichtigkeit etwa vorhandener gelber
Körper, derjenigen der Übrigen weiblichen Geschlechtsteile, die Oeffnung der
Scheide derjenigen der Gebärmutter vorherzugehen. Bei Wöchnerinnen ist den
venösen und lymphatischen Gefäßen sowohl an der inneren Oberfläche der Ge¬
bärmutter, als auch in der Wand und in den Anhängen besondere Aufmerk¬
samkeit zu schenken, namentlich ist ihre Weite und ihr Inhalt festzustellea.
Die Hoden werden am besten an dem Samenstrang durch den Leistenkanal in
die Bauchhöhle gezogen und nach Eröffnung der Scheidenhöhle vom freien Bande
gegen den Nebenhoden hin durchschnitten; der Schnitt wird sofort durch den
Nebenhoden hindurchgeführt.
Magen und Zwölffingerdarm werden, nachdem ihr Zustand äußer¬
lich ermittelt worden ist, in ihrer natürlichen Lage, und zwar der Zwölffinger¬
darm an seiner vorderen Seite, der Magen an der großen Krümmung mit einer
Schere aufgeschnitten und zunächst einer genauen Prüfung ihres Inhalts unter¬
zogen. Hierauf wird die Beschaffenheit der Schleimhaut des Zwölffingerdarms
geschieht durch einen Längsschnitt], Beschaffenheit der Schleimhaut), Samen¬
leiter (Dicke, Weite), Hoden und Nebenhoden, die zu diesem Zwecke
von dem Samenstrang durch den zu erweiternden Leistenkanal in die Bauch¬
höhle gezogen werden (Spaltung der Hüllen, etwaige Flüssigkeit innerhalb
der Tunica vaginal, propria oder Verwachsungen; Farbe, Glanz und Dicke der
Scheidenhaut blätter; Beschaffenheit der Oberfläche, Konsistenz, Gestalt und
Größe [bei Erwachsenen 4,0—5.0 cm lang, 2,5—3,5 cm hoch, 2,0—2,7 cm breit
und 20—27 g schwer; vor Eintritt der Pabertät und bei alten Leuten
3,0 : 2,0 : 1,6], Beschaffenheit der Schnittfläche).
b. Beim weiblichen Geschlechter Aeußere Untersuchung der Gebär¬
mutter in bezug auf Größe, Gestalt, Festigkeit, Bauchfellüberzug usw.; Zurück¬
präparieren von Blase und Harnröhre nach erfolgter Untersuchung (s. vorher).
Eröffnung der Scheide mit einer geknöpften Schere (etwaiger fremder In¬
halt — Samenfäden —, Weite, Farbe, Faltenbildung und sonstige Beschaffen¬
heit der Schleimhaut) und danach der Gebärmutter durch einen Schnitt in
der Mittellinie vom Muttermunde her, der am Fundus ~f förmig nach beiden
Seiten quer erweitert wird. Bei der nun folgenden Untersuchung des Uterus
ist auf den Inhalt und die Weite der Gebärmutterhöhlc, Größenverhältnisse
zwischen Körperteil und Halsteil, Farbe, Dicke und Konsistenz der Schleim¬
haut, Stärke der Wandungen, Beschaffenheit des Muttermundes (ob rund, quer,
regelmäßig, narbig) zu achten, desgleichen sind besonders bei Wöchnerinnen
die venösen und lymphatischen Gefäße zu öffnen, um ihre Weite und ihren
Inhalt festzustellen. Die Gebärmutter hat jungfräulich eine Länge von 7,8 bis
8,1 cm, eine Breite von 3,4—4,5 cm, eine Dicke von 1,8—2,7 cm, ein Gewicht
von 33—41 g sowie eine Dicke der Wandungen von 1—1,5 cm, am Cervix
0,7—0.8 cm; nach Geburten beträgt dagegen die Länge 8,7—9,4 cm, die
Breite 5,4—6,1 cm, die Dicke 3,2—3,6 cm, die Dicke der Wandungen 1—2 cm,
am Cervix 0,8—0,9 cm, das Gewicht 102—117 g. Der jungfräuliche Gebär¬
mutterhals ist 2,9—3,4 cm lang, 2,5 cm breit und 1,6—2,0 cm dick.
An die Sektion der Gebärmutter schließt sich die äußere Untersuchung
der Eileiter (Länge, Gestalt, Beschaffenheit der Fimbrien), die hierauf mit
einer kleinen Schere der Länge nach behufs Feststellung ihrer Durchgängigkeit,
ihres Inhalts und Beschaffenheit ihrer Schleimhaut peöffnet werden. Den
Schluß bildet die Sektion der Eierstöcke (Farbe und Beschaffenheit der
Oberfläche, ob höckerig oder glatt. Gestalt, Größe — bei Jungfrauen 4,1—6,2
cm lang, 2,0—2,7 cm breit und 1,0—1,1 cm dick, bei Frauen 2,7—4,1 : 1,4 bis
1,6 : 0,7—0,9, Gewicht 5,0—10,9 g — Konsistenz, Schnittfläche [Farbe, Blut¬
gehalt], Graafsche Follikel, gelbe Körper), der breiten Mutterbänder
und Parametrien. Betreffs der etwaigen Feststellung der Beck ea~
durchmess er s. Anm. 5 auf S. 216.
Behufs Untersuchung des Mastdarms werden die herausgenom¬
menen Beckenorgane umgedreht; der jetzt nach oben liegende Mastdarm wird
mit einer Darmschere an seiner Hinterfläche geöffnet und sein Inhalt sowie
die Beschaffenheit seiner Schleimhaut (ob glatt, glänzend, unverletzt) n»^
Dicke seiner Wandungen festgestellt.
bei den gerichtlich es Untersuchungen menechlkher Leichen.
215
wie iie Durchgängigkeit und der Inhalt des Mündangsteiles des Gallengangs
utaneht, der Gattengang bi» zur Leberpforte auf geschlitzt , die Pfortader frei *
</kji tnd auf ihren Inhalt geprüft, and nan erst der Magen beimfs weiterer
iDtemehaag herausgeschnitten. 1 )
Die Leber wird äußerlich in ihrer natürlichen Lage beschrieben and
kn beraasgeschnitten. Durch einen oder nach Bedürfnis mehrere lange, quer
fmk du Organ (gleichzeitig durch den linken und rechten Lappen) gelegte
fhtte Schnitte wird der Blutgehalt und das Verhalten des Gewebes festge-
Sellt Bei der Beschreibung ist stets eine kurze Mitteilung über das allge-
i atin Verhalten der Leberläppchen, namentlich über das Verhalten der inneren
ui «Heren Abschnitte derselben zu geben. 1 ) Den Beschluss der Leberunter-
«1 «*q macht die Eröffnung und Untersuchung der Gallenblase.
Dii Bauchspeicheldrüse kann in ihrer natürlichen Lage belassen
ni nur durch einen Längsschnitt gespalten werden, von welchem aus ihr Aus -
fihmpgang eröffnet werden kann; sind wesentliche Aenderungen von aussen
j n bürten, so wird sie mitsamt dem absteigenden Teil des Zwölffingerdarms
Umschnitten und dann erst genauer untersucht.*)
• i
:' (
')Hagen and Zwölffingerdarm werden, nachdem ihr äußerer
Zutind (Größe, Form, Länge, Farbe, Festigkeit der Wandungen, Bauchfell-
tberzug) geprüft ist, gleichzeitig aufgeschnitten und zwar vom Zwölffingerdarm
ws; ihr Inhalt ist sofort in bezug auf Menge, Farbe, Geruch, Konsistenz, Zu-
smU msetzung, chemische Reaktion und sonstige Beschaffenheit einer genauen
Prüfung zu unterwerfen. Hierauf folgt die genauere Untersuchung des Zwölf¬
fingerdarms (Beschaffenheit der Schleimhaut, Kerckringsche Falten), die
Prüfung der Durchgängigkeit des Gallenausführungsganges, indem
sau einen kräftigen Druck auf die Gallenblase ausübt, die Eröffnung des
öiJiengange8 (Inhalt, Weite), sowie die Freilegung und Eröffnung der
Pfortader (Weite, Inhalt, Beschaffenheit der Innenwand). Erst dann wird
kr Hagen herausgeschnitten und in bezug auf Beschaffenheit seiner
Windungen und Schleimhaut (Glätte, Farbe, Verdickung, ob gleichmäßig oder
putiell, Schleimbelag, etwaige Substanzverluste, Füllung der Blutgefäße, Blut-
austritte usw.) untersucht.
r ) Die Herausnahme der Leber wird am besten in der Weise bewirkt,
hi man den rechten Lappen von der Seite her in die Höhe hebt und alle
«festignngen bis zur Wirbelsäule lostrennt, diesen Lnppen dann über den
rechten Rippenrand herüberlegt und, indem man nunmehr den linken Lappen
n die Höhe zieht, den Rest der vorhandenen Befestigungen durchschneidet
(Orth). Sie wird jetzt mit der Unterfläche auf einen Teller gelegt und zu-
nchst ihre Gestalt und Größe (Breite 25—31 cm, Höhe 19—22 cm, Dicke 6,0
ra 9,0 cm, Gewicht 1250—1980 g, durchschnittlich 1600 g), Farbe und Be¬
schaffenheit der Oberfläche (ob glatt oder uneben, mit Furchen versehen usw.),
aonsistenz (ob Fingerdrücke sich in normaler Weise bald ausgleichen oder
bestehen bleiben [Fettleber, Amyloidleber] oder überhaupt keine Spuren
ümterlasjen [Cirrhose]), Beschaffenheit der Ränder, besonders der vorderen,
B • R? enui< * e * (Fettleber, Amyloidleber) oder zugespitzt (Atrophie) festgestellt.
Q Betrachtung der hierauf durch die ganze Leber quer anzulegenden Schnitt-
® auf den Blutgehalt der durchgeschnittenen Gefäße (ob aus ihnen
hrit ? 0 ^ a °^ er Dar einzelne Blutstropfen ausfließen), die Farbe und Beschaffen-
ds ft i! , ew ’®bes im ganzen wie der einzelnen Leberläppchen (ob vergrößert —
wetocimittlich 1—2 mm lang und 1 mm breit — oder verkleinert, ob scharf
•P-grenzt oder ilre Abgrenzung verwischt, ob über die Schnittfläche hervor-
vW zurück sinkend usw.) zu achten. Die Schnittfläche ist normal
Vettleber: weißgelblich, bei Amyloidleber: grau, bei Icterus:
ms grün, bei akuter Atrophie: ockergelb; bei Fettleber bleibt auf der
^^fdinge beim Herüberstreichen über die Schnittfläche ein Fettbeschlag
leber wird jetzt amgedreht, die Gallenblase in der Längs-
3 cm h J ^re Weite (je nach dem Füllungsgrad 8—14 cm lang und
Dich iii nT 0WJ ' e (Farbe, Menge, dick- oder dünnflüssig usw.), die
üiv (l—2 mm) und Beschaffenheit ihrer Schleimhaut ermittelt.
Mue Bauchspeicheldrüse ist durchschnittlich 23 cm lang, 4,5 cm
216 Die neuen preußischen Vorschriften für das Verfahren der Gerichtsinte
Gekröse, Darm und Dickdarm. Der Untersuchung de» Darmkanal»
hat stet« diejenige des Gekröses mit seinen Lymphdrüsen, Lymph- (Chylus-) und
Blutgefässen vorauszugehen. Wo sich Veränderungen an Lymphdrüsen oder -Go*
fässen finden, da ist stets der entsprechende Teil des Darmes zunächst äusserlich,
bei vorhandenen Veränderungen auch sofort (nach Eröffnung dieses Teils) der Zu¬
stand der Schleimhaut genau zu untersuchen. Die gewöhnliche Untersuchung des
Dannkanals beginnt mit der äußeren Betrachtung seiner einzelnen Abschnitte in
bezug auf Ausdehnnng, Farbe und sonstige Beschaffenheit und kann weiterhin
in verschiedener Weise vorgenommen werden. Entweder wird der Darm im Zu¬
sammenhänge mit dem Gekröse gelassen und am Dünndarm längs der Ansatzstelle
des Gekröses, am Dickdarm im Verlaufe eines Längsbandes auf geschnitten, oder
er wird, was reinlicher ist, uneröffnet hart am Gekröse abgeschnitten, so dass
er in gerader Linie ausgestreckt werden kann, und nun ebenfalls an den oben
angegebenen Stellen mit der Darmschere auf geschnitten. Schon während des Auf«
schlitzens wird der Inhalt der einzelnen Abschnitte betrachtet und bestimmt.
Sodann wird das Ganze gereinigt und der Zustand (der einzelnen Abschnitte
und zwar im Düündarm'mit besonderer Bücksicht auf die Peyersehen Drüsen¬
haufen, die Einzelknötchen, die Zotten und Falten bestimmt. 1 )
Mindestens in jedem Falle von Bauchfellentzündung ist der Wurm¬
fortsatz zu untersuchen.
Nachdem die grossen Qefässe *) und die sie begleitenden Lymph¬
drüsen •) untersucht worden sind, macht die Betrachtung der Bauch- und
Beckenmuskulatur 4 ) sowie die Untersuchung der Wirbelsäule und
Beckenknochen*) den Beschluss der Bauchhöhlensektion. Veränderte Knochen¬
abschnitte können jetzt herausgenommen und an Sägeschnitten weiter untersucht
werden (cergl. § 16 Schluss).
breit, 3,8 cm dick und 90—120 g schwer. Außer ihrer Größe, Form und Farbe
ist auch ihre Konsistenz festzusteüen und die Schnittfläche des Längsschnittes
in bezug auf Blutgehalt, Farbe, Größe und Erkennbarkeit der einzelnen Läpp¬
chen zu prüfen.
*) Nachdem äußerüch das Gekröse (Dicke, Lymphdrüsen, Füllung der
Gefäße) sowie der ganze Darmkanal (Farbe und Beschaffenheit seines Bauch¬
fellüberzuges, etwaige Verwachsungen, durchschnittliche Weite usw.) besichtigt
ist, wird am besten das Gekröse unmittelbar an seiner Ansatzstellc vom Darm
abgetrennt, wobei dieser mit der linken Hand gefaßt und stark angespannt
wird, während die rechte Hand das Messer fast senkrecht zur Bichtung des
Darmes führt. Der ganze Darmkanal wird dann herausgenommen, vom
Zwölffingerdram an bis zum Ende des Dickdarms mit der Darmschere längs
der Ansatzstelle des Gekröses bezw. vom Dickdarm im Verlaufe eines Längs¬
bandes aufgeschützt und hierbei gleich auf die Beschaffenheit des etwaigen
Inhalts (Menge, Farbe, Konsistenz, 'Geruch, Speisereste oder sonstige Bei¬
mengungen usw.) in den einzelnen Darmabschnitten geachtet. Nach gründ-
Uchem Abspülen des Darminhaltes, das am besten Uber einem Eimer geschieht,
wird die Darmschleimhaut auf ihre Beschaffenheit — Farbe, Füllung der Ge-
fässe, etwaige Substanzverluste, Falten und Zotten, Einzelknötchen und
Pey er sehen Drüsenhaufen [ob vergrößert] und schüeßlich der Wurmfort¬
satz (Inhalt, Schleimhaut) untersucht.
*) Die großen Gefäße (untere Hohlvene und Bauchsch l agader mit
ihren Hauptästen) sind aufzuschneiden, ihr Inhalt sowie ihre Weite, Dicke der
Wandungen und Beschaffenheit des Innenwand) festzustellen.
•) Bei den Lymphdrüsen ist auf Größe, Konsistenz, Farbe und Be¬
schaffenheit der Oberfläche und der Schnittfläche zu achten.
4 ) Von der Bauch- und Beckenmuskulation kommt namentlich
der Heopsoas in Betracht.
*) Wirbelsäule und Beckenknochen sind besonders auf Ver¬
letzungen zu untersuchen; bei Schwangeren und Wöchnerinnen sind auch die
Durchmesser des Beckeneingangs (gerader 11 cm, querer 18*/» cm,
schräger 12,0—12,5 cm), der Beckenhöhle (12,75 : 12,5 : 18,5) und des
Beckenausgangs (gerader Durchmesser 11,0—11,5, querer 10,5cm) zu. er¬
mitteln.
bei den gerichtlichen Untersuchungen menschlicher Leichen. 217
§ 21. Bei Verdacht einer Vergiftung vom Munde au» beginnt die
inen Besichtigung mit der Bauchhöhle, wenn nicht ein bestimmter Verdacht
*4 Vergiftung mit Blausäure oder deren Verbindungen es empfehlenswert
esdt, die Oeffnung der Kopf höhle vorauszuschicken, bei der der charakteristische
Qench 1 ) in grösserer Reinheit hervortritt. In der Bauchhöhle ist vor jedem
«eiteren Eingriff die äußere Beschaffenheit der oberen Baacheingeweide, ihre
Life und Ausdehnung, die Füllung der Gefässe and der Geruch 8 ) za ermitteln.
Hier wie bei anderen wichtigen Organen ist stets festzastellen, ob auch die
Unsren Verzweigungen der Schlag- and Blatadern oder nar Stämme and
Manchen bis zu einer gewissen Große gefüllt sind and ob die Aasdehnang
der Oefäßlicbtung eine beträchtliche ist oder nicht.
Besonders genau ist der Magen zu besichtigen und festzustellen, ob dessen
Wad unversehrt ist oder ob sie zu zerreissen droht oder gar schon zerrissen ist.
hn ersten Falle findet die Sektion der Brusthöhle in der üblichen Weise
Sät, jedoch wird das Blut des Herzens samt dem aus den grossen Oefässen
otsmmenen in ein reines Oefäss von Porzellan oder Olas (A) gebracht*); in
m fites Oefäss (B) legt man die Stücke der Lunge und des Herzens*). Bnd-
bä werden die Halsorgane in der § 19, Absatz 6 beschriebenen Weise nur frei
fmedu, jedoch nicht durchtrennt ; die Speiseröhre aber wird, am ein Aasfließen
4es Mageninhaltes zu verhindern, oberhalb des Zwerchfells unterbanden.
Dann wird in der allgemein üblichen Weise Netz und Milz untersucht,
ad «m dieser ein Stück ebenfalls in das Gefäss B gebracht. Nach Ablösung
mi Zurücklegung des Querdarms and doppelter Unterbindung des Zwölffinger-
iuni im oberen Drittel wird dieser zwischen beiden Unterbindungen durch-
Khitten und der Magen im Zusammenhänge mit den Halsorganen unter Durch -
trwmng der Aorta oberhalb des Zwerchfells sowie des Zwerchfells selbst heraus -
ftstmmn. Magen und Halsteile werden aitf einer passenden Unterlage ausge-
htäd, der Magen an der grossen Krümmung bis in die Speiseröhre und diese
w Aren ganzen Verlauf durchtrennt. 4 ) Es wird jetzt der Inhalt des Magens
uch Menge, Farbe, Zusammenhang, Reaktion und Geruch bestimmt und in
da drittes Gefäß (C) gegeben und nunmehr die Schleimhaut von Zunge, Rachen,
SptmrÖhrt und Magen auf Dicke, Farbe, Oberfläche und Zusammenhang unter-
mefe. Bei dieser Untersuchung ist sowohl dem Zustande der Blutgefäße als
uefc dem Gefüge der Schleimhaut selbst besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden,
■OMBtlieh ist festzustellen, ob das vorhandene Blut in Gefäßen enthalten oder
in den Gefässen aasgetreten ist, ob es frisch oder durch Fäulnis oder Er¬
stschlag verändert oder in diesem Zustande in benachbarte Gewebe ein ge¬
dungen ist. Ist Blut ausgetreten, so ist festzustellen, ob es auf der Ober-
•ehe oder im Gewebe liegt, ob es geronnen ist oder nicht. Endlich ist be-
ttedere Sorgfalt zu verwenden auf die Untersuchung des Zusammenhangs der
Oberfläche namentlich darauf, ob Substanzverloste, Abschürfungen, Geschwüre
verbanden sind. Die Frage, ob gewisse Veränderungen möglicherweise durch
') Nach bitteren Mandeln.
*) Siehe vorher Anmerkung 2 auf S. 161.
*) Es ist also jetzt in allen Fällen Blut zu entnehmen und in ein be-
ssiderea Gefäß zu bringen, gleichgültig, ob von dessen spektroskopischer
Ditersuchung ein besonderer Aufschluß zu erwarten ist oder nicht.
*) Im Gegensatz zu früher wird jetzt nicht mehr die Speiseröhre dicht
Iber dem Magenmunde doppelt unterbanden und zunächst nur Zwölffingerdarm
nd Magen herausgenommen, sondern es erfolgt nur eine doppelte Unter-
■sdimg des Zwölfingerdarms, dessen Durchschneidung zwischen beiden Unter-
Maduagen und H erausnahme des Zwölffingerdarms, MagensimZusammen-
uige mit Speiseröhre und Halsorganen (s. Anm. 2 auf S. 172), ein
verfahren, das wesentlich zweckmäßiger als das bisherige ist. Die Sektion
*o Magens und der Halsorgane erfolgt wie vorher angegeben ist (s. Anm. 1
Mi 8 . «16, u. Anm. 2 auf 8 . 172), jedoch mit dem Unterschiede, daß die Er¬
dung des Zwölffingerdarms und des Magens erst nach der Herausnahme
«bist und gleichzeitig mit der Eröffnung der Speiseröhre. Nur in dem Falle,
ufi die Magenwand durchweicht und bei der Herausnahme zu zerreißen droht,
nt der Magen und Zwölffingerdarm schon vor der Herausnahme za öffnen und
lihalt sorgfältig anfznfangen (s. Abs. 6 des § 21, S. 218).
218 Die neuen preußischen Vorschriften für das Verfahren der Gerichtsärzte
den natürlichen Gang der Zersetzung nach dem Tode namentlich unter Ein¬
wirkung gärenden Mageninhaltes zustande gekommen sind, ist stets im Auge
zu behalten. Ergibt die Betrachtung mit bloßem Auge, daß die Magenschleim¬
haut durch besondere Trübung und Schwellung ausgezeichnet ist, so ist jedes¬
mal, und zwar möglichst bald eine mikroskopische Untersuchung der Schleim¬
haut, namentlich mit Bezug auf das Verhalten der Labdrüsen zu veranstalten.
Ifix Mageninhalt gefundene verdächtige Körper, z. B. Bestandteile von Blättern
oder sonstige Pflanzenteile oder Beste von tierischer Nahrang sind einer mi¬
kroskopischen Untersuchung zn unterwerfen.
Nachdem nun noch die übrigen Halsorgane in der erforderlichen Weise
untersucht und dann abgetrennt worden sind, werden der Magen und die
Speiseröhre in das Gefäß (0) zu dem Mageninhalt gelegt.
Hat sich bei der äusseren Betrachtung der Bauchhöhle ergeben, dass die
Magenwand sehr erweicht ist, so dass sie zu zerreissen droht, so ist der Inhalt
des Magens und des Zwölffingerdar?ns aus einem Einschnitt an der grossen
Krümmung aufzufangen und in gleicher Weise zu untersuchen und zu ver¬
wahren ; es wird dann der Zwölffingerdarm ebenfalls in seinem oberen Drittel
unterbunden und danach mit der Sektion fortgefahren wie in den oben er¬
wähnten, die Regel bildenden Fällen.
Ist der Mageninhalt infolge Durchlöcherung des Magens ganz oder zum
Teil schon in die Bauchhöhle geflossen 1 ), so ist er aus dieser und dem Magen als¬
bald sorgfältig auszuschöpfen, m der angegebenen Weise zu untersuchen und zu
verfahren, worauf die Unterbindung des Zwölffingerdarmes und die weitere Sek¬
tion in der eben geschilderten Weise erfolgt .
Danach wird der Dickdarm an seinem unteren Ende doppelt unterbunden,
zwischen beiden Fäden durchschnitten und dann Dickdarm, Dünndarm sowie
Zwölffingerdarm herausgenommen . * Die Därme werden gleichfalls auf einer
passenden Unterlage ausgebreitet, auf geschnitten und untersucht, Därme und
Darminhalt kommen dann ebenfalls in das Gefäss C; nur bei Vorhandensein
sehr reichlicher Kotmassen ist die Aufbewahrung des Dickdarms samt Inhalt in
einem eigenen Gefäss ( C2) geboten .
Dann folgt die Untersuchung der Nieren, die in ein besonderes Gefäss
(D) zu geben sind, nachdem erforderlichenfalls von ihnen ebenso wie von anderen
Organen Stücke zur sofortigen oder späteren mikroskopischen Untersuchung
zurückbehalten worden sind . Falls Verdacht auf eine nach dem Tode erfolgte
Gifteinfuhr vorliegt, simi linke und rechte Niere in besonderen Gefässen Dl und
D2 aufzubewahren. Weiter folgt die Untersuchung der Beckenorgane, wobei der
Ham am besten mittels Katheters in ein besonderes Gefäss (E) entleert wird ;
in ein ferneres (F) gelangt die Leber mit der Gallenblase. In das Gefäss B
kommen später noch Teile des Gehirns .
Bei Vergiftung durch narkotische Substanzen ( Morphium, Strychnin, Al¬
kohol, Chloroform u . a.) ist es jedoch geboten, das Gehirn in einem bessndsrsn
Gefäss aufzubewahren .
Jedes dieser Gefäße wird verschlossen, versiegelt und inhaltsgemäß be¬
zeichnet. a )
1 ) Z. B. bei Vergiftungen durch ätzende Mineralsäuren.
*) Es sind demnach jetzt für die weitere Untersuchung in besonderen
Gefäßen aufzubewahren:
Gefäß A: Blut aus dem Herzen und den großen Gefäßen.
Gefäß B: Stücke von Herz, Lungen, Netz, Milz, Gehirn, falls
für dieses nicht ein besonderes Gefäß nötig ist, s. G.
Gefäß C: Magen mit Speiseröhre nebst Inhalt; Zwölffinger-
Darm und Dickdarm, erforderlichenfalls ist für den Dickdarm und dessen
Inhalt ein besonderes Gefäß (C2) zu benutzen, falls er mit reichlichen Kob¬
massen angefüllt ist.
Gefäß D: Nieren; liegt der Verdacht auf eine nach dem Tode erfolgte
Gifteinfuhr vor, so ist jede Niere in einem besonderen Gefäße (Dl und D2)
aufzubewahren.
Gefäß E: Harn, der am besten durch den Katheter entleert wird.
Gefäß F: Leber mit Gallenblase.
Gefäß G: Gehirn bei Verdacht auf Vergiftung durch besondere nar-
bei den gerichtlichen Untersuchungen menschlicher Leichen. 219
Ist die Vergiftung durch Einatmung geschehen, so kann die Sektion in
der allgemein üblichen Weise vorgenommen werden; auch hier sind jedoch Blut,
Har», Magendarmkanal nebst Inhalt, ansehnliche Teile der übrigen Organe, ge-
eignetenfalls auch das ganze Gehirn gesondert in je einem Glasgefäss zurück-
susitlUn.
Die Unterlage, auf welcher die Organe bei Verdacht auf Vergiftung auf-
geschnitten werden, muss nach der Durchforschung eines jeden einzelnen sorg¬
fältig gereinigt werden; jedes Organ ist nach seiner Betrachtung sofort in das
betreffende Glas zu legen, so dass eine Berührung mit anderen Teilen ausge-
%thlossen ist. Die Organe dürfen im Waschgefäss nicht abgespült werden; über¬
haupt ist es für die Zwecke der chemischen Analyse vorteilhaft, die Anwendung
km Wasser bei der Sektion möglichst zu beschränken.
Bei Verdacht einer Erkrankung durch Trichinen hat sich die mikro¬
skopische Untersuchung zunächst mit dem Inhalt des Magens und des oberen
Dünndarms zu beschäftigen, jedoch ist zugleich ein Teil der Muskulatur
(Zwerchfell, Hals- und Brustmuskeln) zur weiteren Prüfung zurückzulegen.
Neugeborene. Ermittelung der Keife und
Entwickelungszeit.
§ 22. Bei den Leichenöffnungen Neugeborener sind außer den oben
angeführten allgemeinen Vorschriften noch folgende besondere Punkte zu be¬
achten:
Es müssen erstens die Zeichen ermittelt werden, aus welchen auf die
Seife nnd die Entwickelungsfähigkeit des Kindes geschlossen werden kann.
Dahin gehören: Länge und Gewicht des Kindes 1 ), Beschaffenheit der
allgemeinen Bedeckungen (Wollhaare, Käseschmiere) und der Nabelschnur*^
kotiache Substanzen (Morphium, Strychnin, Alkohol, Chloroform usw.) oder
durch Einatmung.
Bei Verdacht auf Tod durch Trichinenerkrankung ist auch ein Teil der
Muskulatur (Zwerchfell, Hals- und Brustmuskeln) in einem besonderen Ge¬
fäße zur weiteren Untersuchung zurückzulegen.
Zu beachten ist besonders, daß die zur Sektion der einzelnen Organe
benutzten Unterlagen (Teller usw.) stets nach Durchforschung jedes einzelnen
Organs sorgfältig gereinigt werden und jedes Organ nach der Untersuchung
sofort in das betreffende Gefäß gelegt wird. Abspülen der Organe ist unzu¬
lässig; die Verwendung von Wasser ist überhaupt bei der Untersuchung
der Organe möglichst zu vermeiden. Siehe im übrigen Anmerkung 1 und 2
auf Seite 127.
*) Die Länge des reifen Kindes beträgt 50 cm (48—58 cm), das Ge¬
wicht 3300 g (2500—5500 g); Mädchen sind im allgemeinen etwas kleiner und
leichter. Das Wa eh st um der Leibesfrucht gestaltet sich im allgemeinen
wie folgt: Im 1. Monat erreicht diese eine Länge von annähernd 1 cm, gegen
Made des Monats ist das Auge und die erste Anlage der Extremitäten vor¬
handen, die Nackenkrümmung ist ausgebildet; die vier Gaumenbögen sind
sichtbar. Am Ende des 2. Monats ist sie annähernd 4 cm lang; Hände und
Füße sind angedeutet, die Nase hebt sich ab, der Kopf ist noch größer als der
Rumpf. Im 3. Munat erreicht die Frucht eine Länge von 9 cm, in den meisten
Knochen haben sich Ossifikationspunkte gebildet, die Differenzierung der äußeren
Genitalien beginnt. Ende des 4. Monats beträgt ihre Länge 16 cm, Ende des
5. Monats 25 cm; die Kopfhaare treten auf, Wollhaar zeigt sich am ganzen
Körper. Im 6. Monat erreicht die Frucht eine Länge von annähernd 80 cm
ud ein Gewicht bis 1200 g, die Haut ist runzelig, die Fettablagerung im
Uuterhautzellgewebe beginnt; im 7. Monat wird sie etwa 85 cm lang und 1500
bis 1750 g schwer, die Augenlider sind getrennt. Am Ende des 8. Monats be¬
trägt ihre Länge 40 cm und ihr Gewicht annähernd 2000 g; die Pupillar-
aembran schwindet, die Haut ist noch gefaltet und schlaff'. Gegen Ende des
>. Monats hat die Frucht eine Länge von 45 cm, ein Gewicht von 2500—2800 g.
*) Die Nabelschnur hat eine Länge von 47—56 cm; der Mutter¬
kuchen, der mitunter zur Untersuchung vorliegt, einen Durchmesser von
15£—18£ cm und ein Gewicht von 500—700 g. Die Nabelschnur wird meist
220 Die neuen preußischen Vorschriften für dos Verfahren der Gerichtsärzte
Länge und Beschaffenheit der Kopfhaare 1 ), Größe der Fontanellen*), Umfang
(grösster horizontaler), Längs-, Quer- und Schr&gdurchmesser des Kopfes 9 ), Be¬
schaffenheit der Augen (Pupillarmembran), 4 ) der Nasen- und Ohrknorpel
Länge und Beschaffenheit der Nägel 6 ), Querdurchmesser der Schultern und
Hüften 0 ), bei Knaben die Beschaffenheit des Hodensackes und die Lage der
Hoden 7 ), bei Mädchen die Beschaffenheit der äußeren Geschlechtsteile. 8 )
Endlich ist zu ermitteln, ob und in welcher Ausdehnung in der unteren
Epiphyse des Oberschenkels ein Knochenkern vorhanden ist. Zu diesem Be¬
hufs wird das Kniegelenk durch einen unterhalb der Kniescheibe verlaufenden
Querschnitt geöffnet, die Extremität im Gelenke stark gebeugt und die Knie¬
scheibe durch seitliche Längsschnitte abpräpariert und nach oben hin zurück¬
geschlagen. Alsdann werden dünne Knorpelschichten von der Geleknflüche des
Oberschenkels aus schaftwärts so lange abgetragen, bis man an den Schaft ge¬
langt; der größte Durchmesser des Knochenkerns wird nach Millimetern ge¬
messen.*)
Ergibt sich aus der Beschaffenheit der Frucht, daß sie vor Vollendung
der dreißigsten Woche geboren ist, so kann von der Leichenöffnung Abstand
genommen werden, wenn sie nicht von dem Richter ausdrücklich gefordert wird. 10 )
Ermittelung stattgehabter Atmung.
§ 23. Ist anzunehmen, daß das Kind nach der dreißigsten Woche geboren
worden ist, so muß zweitens untersucht werden, ob es in oder nach der Geburt
geatmet hat. Es ist deshalb die Atemprobe in nachstehender Reihenfolge
anzustellen:
a) Schon nach Oeffnung der Bauchhöhle ist der Stand des Zwerchfells zu
am 5.—6. Tage abgestoßen, die an der Abstoßungsstelle eintretende Entzündung
beginnt am 2.—3. Tage. An dem Nabelschnurrest ist besonders auf die Trennungs¬
fläche (ob glatt, uneben, fetzig usw.), auf die Art und Festigkeit der Unter¬
bindung usw. zu achten.
l ) Die Haare sind bei reifen Früchten 2—3 cm lang.
*) Bei der großen Fontanelle beträgt der Abstand der parallelen
Ränder 2—2,5 cm; die kleine Hinterhauptsfontanelle ist bei der Geburt fast
geschlossen.
*) Kopfumfang 34,5 cm, vorderer Querdurchmesser 8 cm, hinterer
9,25 cm, gerader Durchmesser 11,75 cm, langer schräger (vom Kinn über Hinter¬
hauptshöcker) 13,5 cm, kurzer schräger (vom Nacken bis zur Mitte der großen
Fontanelle) 9,5 cm.
4 ) Eine Prüfung der Pupillarmembran, die in der Regel yom
8. Monat ab verschwindet, kann nur dann erfolgen, wenn die Regenbogenhaut
aus dem Auge entfernt und der mikroskopischen Betrachtung zugänglich ge¬
macht ist. Dies geschieht nach P u p p e in der Weise, daß das Auge ausgelöst,
der Augapfel durch Scherenschläge in eine vordere und hintere Hälfte ge¬
spalten und hierauf die vordere Hälfte in einer mit Wasser gefüllten Schale
mit Zuhilfenahme einer Präpariernadel von der Iris befreit wird, die im Wasser
schwimmend sofort auf den Objektträger gebracht werden muß. Das Vor¬
handensein der für die Pupillarmembran charakteristischen arkadenförmigen
Gefäße beweist, daß auch tatsächlich eine die Pupille ausfüllende Membran
vorhanden ist.
°) Festzustellen ist, ob die Nägel die Finger- bezw. Zehenspitzen er¬
reichen oder überragen.
•) Sch ult er breite 11—12 cm, Hüft breite 9—10 cm.
r ) Der Eintritt der Hoden in den Hodensack erfolgt in der Regel nach
dem 7. Monat.
*) Die kleinen Schamlippen werden von den großen bedeckt.
*) Der Knochenkern hat eine Breite von 2—5 mm; bei Früchten in
der 37.—38. Woche 1—1,5 mm, bei jüngerep fehlt er.
10 ) Eine Geburt vor Vollendung der 30. Woche ist’bei einer Körper¬
länge der Frucht von unter 37,5 cm anzunehmen; cs empfiehlt sich jedoch, bei
Früchten über 33 cm Körperlänge von der inneren Besichtigung nicht Abstand
zu nehmen, da solche nach der 28. Lebenswoche geborene Früchte |noch als
lebensfähig anzusehen sind.
bei den gerichtlichen Untersuchungen menschlicher Leichen. 221
ermitteln; deshalb ist bei Neugeborenen stets die Bauchhöhle xuerat und
für sich, und dann erst die Brust* und Kopfböhle zu öffnen.') *)
b) Vor Oeffnung der Brusthöhle ist die Luftröhre oberhalb des Brustbeins
einfach zu unterbinden.
e) Demnächst ist die Brusthöhle zu eröffnen und die Ausdehnung und die
ron derselben abhängige Lage der Lungen (letztere namentlich in Be¬
ziehung zum Herzbeutel), sowie die Farbe und Konsistenz der Lungen
zu ermitteln.*)
d) Der Herzbeutel ist zu öffnen und sowohl sein Zustand, als die äußere
Beschaffenheit des Herzens festzustellen.
e) Die einzelnen Abschnitte des Herzens sind zu öffnen, ihr Inhalt ist zu
bestimmen.
f) Der Kehlkopf und der Teil der Luftröhre oberhalb der Unterbindung ist
durch einen Längsschnitt zu öffnen und sein Inhalt, sowie die Beschaffen¬
heit seiner Wandungen festzustellen.
g) Die Luftröhre ist oberhalb der Unterbindung zu durchschneiden und in
Verbindung mit den gesamten Brustorganen herauszunehmen.
h) Nachdem die Lungenschlagader und nötigenfalls die grosse Körperschlag -
oder (von hinten her) auf geschnitten worden ist, wird die Durchgängigkeit
des Botallischen Ganges geprüft *), darauf das Herz s ) entfernt und in der
üblichen Weise untersucht; es folgt die Entfernung und Untersuchung der
Thymusdrüse*) und nunmehr ist die Lunge in einem geräumigen, mit reinem
kalten Wasser gefüllten Gefäß auf ihre Schwimmfähigkeit zu prüfen.
1) Der untere Teil der Luftröhre und ihre Verzweigungen sind zu öffnen
nnd namentlich auf ihren Inhalt zu untersuchen.
k) In beide Lungen sind Einschnitte zu machen, wobei auf knisterndes Ge¬
räusch, auf Menge und Beschaffenheit der bei gelindem Druck auf diese
Schnittflächen hervorquellenden Blutes, sowie auf die Beschaffenheit des
Gewebes, wie bei jeder anderen Leichenöffnung (§ 18) zu achten ist. 7 )
l) Die Lungen sind auch unterhalb des Wasserspiegels einzuschneiden, um
zu beobachten, ob Luftbläschen aus den Schnittflächen emporsteigen.
o) Beide Lungen sind zunächst in ihre einzelnen Lappen, sodann noch in
einzelne Stückchen zu zerschneiden und alle insgesamt auf ihre Schwimm¬
fähigkeit zu prüfen.
fi) Die Haisorgane sind in der (§ 19) beschriebenen Weise aus der Leiche tu
erdfernen und zu untersuchen; besonders ist derSchl und zu öffnen und
sein Zustand festzustellen. 8 )
*) Die Sektion der Organe der Bauchhöhle soll keineswegs vor der
Oeffnung und Untersuchung der Brusthöhle veranstaltet werden; jedoch ist es
zweckmäßig, bei dem Baucnschnitt gleich auf den Zustand der Nabelarte¬
rien nnd der Nabelvene zu achten (ob leer oder Gerinnungen bezw. flüssiges
Bist usw. enthaltend).
*) Der Zwerchfellstand ist nach vollständiger Atmung rechts im
fünften, links im sechsten Zwischenraum, bei unvollständiger oder gar nicht
erfolgter Atmung beiderseits an der vierten Hippe.
*) Lungen, die geatmet haben, überragen den Herzbeutel, haben eine
Qiebene marmorierte Oberfläche und fühlen sich lufthaltig (polsterartig) an;
foetale Lungen bedecken dagegen den Herzbeutel nicht, sind derb, leberartig,
mt glatter Oberfläche.
4 ) Der Botanische Gang ist in der Hegel am 3. oder 4. Tage noch
offen.
*) Das Gewicht des Herzens eines Neugeborenen beträgt durchschnitt¬
lich 21 g; des die beiden Vorhöfe verbindende Foramen ovale verwächst erst
in 2. oder 8. Lebensjahre.
*) Ueber die Größenverhältnisse der Thymusdrüse s. Anm. 1 auf
Seite 169.
T ) Die Untersuchung der Lungen hat also in der Weise zu erfolgen,
diß zunächst die Prüfung ihrer Schwimmfähigkeit im Ganzen erfolgt, dann
ihre eigentliche Sektion in der vorgeschriebenen Weise (s. § 18, Abs. 15, S. 171)
und schließlich die Prüfung der Schwimmfähigkeit ihrer einzelnen Teile. Das
Gewicht der Lungen eines Neugeborenen beträgt durchschnittlich 58 g.
*) Siehe Anmerkung 2 zu § 19, S. 172.
222 Die neuen preußischen Vorschriften für das Verfahren der Gerichtsärzte
o) Ergibt sich der Verdacht, daß die Lunge wegen Anfüllung ihrer Bäume
mit krankhaften Stoffen (Hepatisation) oder fremden Bestandteilen (Kinds*
schleim, Kindspech) Luft aufzunchmen nicht imstande war, so ist eine
mikroskopische Untersuchung vorzunehmen.
p) Bei negativem oder zweifelhaftem Resultat der Lungenprobe kann die
Magendarmprobe ergänzend herangezogen werden. Zu ihrer Ausführung
ist bei der Herausnahme der Halsorgane die Speiseröhre am unteren Ende
einfach, vor Herausnahme des Magens der Zwölffingerdarm im oberen Ab¬
schnitte doppelt zu unterbinden . Der herausgenommene Magen ist n ie die
Lungen auf Schwimmfähigkeit zu prüfen und darauf unter Wasser zu
eröffnen . Ebenso wird nachher der gesamte Darm, nachdem er oberhalb
des Mastdarms nochmals unterbunden und dann in der üblichen Weist
herausgenommen worden ist, auf Wasser gelegt und festgestellt, ob und
welche Teile schwimmfähig sind. 1 )
Bei der Oeffnung der Kopf höhle von Heugeborenen darf die äussere Bein¬
haut nickt sofort mit den übvigen weichen Bedeckungen abgezogen werden, damit
eine etwa vorhandene Kopfblutgeschwulst 2 * 4 * 6 * * ) nicht übersehen wird. Vor der Durch¬
trennung der Schädelkapsel muss die Verschieblichkeit der Kopfknochen geprüft
werden. 9 ) Die Durchtrennung der Kopfknochen geschieht mittels einer starken
Schere im grössten Umfange des Schädels, entweder sofort nachdem der Längs¬
blutleiter von aussen her eröffnet und durch Durchschneiden der Nähte und Aus¬
einanderbiegen der Knochen ein Einblick in die Schädelhöhle genommen wurde 9 ) B )
Sonstige Untersuchungen.
§ 24. Schließlich wird den Gerichtsärzten zur Pflicht gemacht, auch
alle in dem Vorhergehenden nicht namentlich angeführten Organe wie die
grossen Gefässe, die Gelenke und Knochen der Glieder , falls an denselben Ver¬
letzungen oder sonstige BegelWidrigkeiten erwartet werden können, zu unter¬
suchen, erforderlichenfalls durch Freilegen und Aufsägen der Knochen in ver¬
schiedenen Richtungen .
Besonders ist auch , wo es sich um eine unbekannte Leiche handelt
1 ) Die Breslausche Magendarmprobe ist jetzt, wenn auch nicht
obligatorisch, so doch wenigstens bei negativem oder zweifelhaftem Ergebnis
der Lungenprobe vorgeschrieben. Man sollte sie aber in keinem Falle unter¬
lassen, da sie namentlich in bezug auf die Dauer des Lebens wertvolle Anhalts¬
punkte gibt. Im Anschluß hieran ist dann gleich die Sektion von Magen und
Darm, Milz (Gewicht durchschnittlich 11 g), Nieren (Gewicht durchschnittlich
12 g), Leber (Gewicht durchschnittlich 118 g) und der übrigen Bauchorgane
vorzunehmen.
*) Die Kopfgeschwulst, deren Sitz, Größe, Beschaffenheit festzu¬
stellen ist, pflegt nach 12—48 Stunden zu verschwinden; sie findet sich in der
Begel auf einem Scheitelbein (bei der ersten Schädellage auf dem rechten, bei
der zweiten auf dem linken) und charakterisiert, sich als ödematös-gallertige
Schwellung der Weichteile. Mit der Kopfgeschwulst darf die Kopfblut¬
geschwulst (Kephalhämatom), eine Ansammlung von Blut zwischen Schädel¬
knochen und Knochenhaut, nicht verwechselt werden; sie wird in etwa 0,5°/ 0
der Geburten beobachtet und bildet eine scharf abgegrenzte, schwappende
Geschwulst, die niemals die Knochennähte überschreitet, weil hier die
Knochenhaut fest haftet Die Kopfblutgeschwülste nehmen in den ersten
Lebenstagen meist noch an Größe zu; ihre Rückbildung beginnt erst mit der
zweiten Woche; sie sind anfangs oft von einer Kopfgeschwulst überdeckt.
*) Starke Uebereinanderschiebung der Schädeldachknochen kann zur
Zerreißung der Piavenen an ihrem U ebergang in den Sinus und damit zu
subduralen Blutungen führen (Nauwerck).
4 ) Das Gehirn ist bei Neugeborenen meist so weich oder breiartig, daß
eine genaue Untersuchung nicht möglich ist, und sich diese auf die Bestimmung
des allgemeinen Blutgehaltes, auf das etwaige Vorhandensein von größeren
Blutergüssen beschränken muß. Ist seine Konsistenz noch fest, so hat die
Untersuchung gemäß § 14 stattzufinden.
6 ) Die von Wreden und Wendt angegebene Mittelohrprobe sei
mit Becht auch in den neuen Vorschriften unberücksichtigt geblieben, da sie
zuverlässige und verwertbare Ergebnisse nicht bietet.
bei den gerichtlichen Untersuchungen menschlicher Leichen. 228
die Beschaffenheit des Skelette (Länge der Knochen, Naht - und Knorptlver -
knöcherung) zu berücksichtigen, um so Anhaltspunkte für das Alter und die
Qr&s* und damit für die Identität der unbekannten Person zu gewinnen. 1 )
Dies gilt auch von zerstückelten Leichen. Im übrigen ist in solchen Fällen
die Untersuchung der einzelnen Stücke der Reihe nach und möglichst im An¬
schluss an die allgemeine Untersuchungsmethode vorzunehmen. 1 )
HL AbffcMranff Am Protokolls fibor dis LsAo h e n dflhtmg
und dss Gutachtens.
Aufnahme des Protokolls.
§. 25. Ueber alles die Leicheröffnung betreffende wird an Ort und
Stelle ron dem Richter ein Protokoll aufgenommen. •)
Der erste Oerichtsarst hat dafür zu sorgen, daß der technische Befund
*) Die hierbei in Betracht kommenden Maße sind, außer den bereits
früher erwähnten Maßen für Kopf (s. Anm. 8, S. 162), folgende: Skelettlänge
eines erwachsenen Mannes 166 cm, einer Frau 155 cm, bei Kindern im Alter
roa 1—5 Monaten: 60—55 cm, 11—12 ML: 50—60 cm, von 2 Jahren: 70 cm,
ron 3 J.: 80 cm, ron 4 J.: 85 cm, von 5 J.: 95 cm, von 6 J.: 100 cm, von
7 J.: 105 cm, von 8 J.: 115 cm, von 9 J.: 120 cm, von 10 J.: 125 cm, von
11 J.: 130 cm, von 12 J.: 135 cm, von 13 J.: 140 cm, von 14 J.: 145 cm,
von 15 J.: 150 cm.
Im Becken ist der Querdurchmesser im Beckeneingang beim Manne
12$, beim Weibe 13,5 cm groß, am Beckenausgang 8,1 bezw. 10,5 cm. Der
Oberarmknochen ist beim Manne 32,5 cm, beim Weibe 30,0 cm lang, die
Speiche: 2-,5 bezw. 22,0 cm, die Elle: 26,5 bezw. 23,5 cm, die Hand: 20
bezw. 17,5 cm, der Oberschenkelknochen: 47,0 bezw. 43,5 cm, das
Schienbein: 33,0 bezw. 34,0 em, das Wadenbein: 37,0 bezw. 32 cm, der
Faß: 25 bezw. 22 cm.
Das Verhältnis einzelner Knochen zur Körpergröße stellt
sich bei Erwachsenen (bezw. Neugeborenen) wie folgt: Wirbelsäule 1 : 2,82
(2,60), Oberschenkelknochen 1 : 3,84 (5,19), Schienbein 1:4,65 (6,20), Ober¬
arm 1 : 5 (6,12), Speiche 1 : 7,06 (8,34), Hand 1 : 9,03 (9,05), Fuß
1:9,72 (8,62). Das Gewicht des Kopfes beträgt */“—’/”, des Stammes
Vt, der beiden oberen Extremitäten zusammen mit der Schulter */•» der
beiden unteren Extremitäten mit den Hüften */ 7 des ganzen Körpergewichtes.
Wird die Totalhöhe eines Menschen 1,0 angenommen, so beträgt die Ent¬
fernung vom Scheitel bis zum Kinn: 0,133, vom Kinn bis zum Brustbein:
0,039, vom Brustbein bis zum Schambein: 0,320, vom Schambein bis zur Erde:
0,506, vom Schambein bis Mitte Knie: 0,225, von Mitte Knie bis Knöchel:
0,232, vom Knöchel bis zur Erde: 0,051, von einem Acromium zum andern:
0,232, von einer Hüfte zur andern; 0,139, vom Acromium bis Ellbogen: 0,196,
ran Ellbogen bis zur Handwurzel: 0,145 und die Länge der Hand: 0,113.
*) Nach den bisherigen Vorschriften war der Gerichts-(Kreis-) Wundarzt,
bezw. der zugezogene zweite Arzt verpflichtet, nach beendigter Obduktion die
kBMtgerechte Schließung der geöffneten Körperböhlen zu bewirken. Selbst¬
verständlich haben auch jetzt die Gerichtsärzte für diese Schließung zu sorgen
nad zwar wird dies, falls nicht die zur Hülfeleistung herangezogene Person
dam befähigt ist, der zweite Obduzent in der Regel zu übernehmen haben.
Es ist hierbei darauf zu achten, daß nicht allein alle Beschmutzungen usw. der
Leiche beseitigt, alle Höhlen, Einschnitte usw. wieder geschlossen werden,
»adern daß die Höhlen auch vor ihrer Schließung ordentlich aus getrocknet
(mit einem Schwamm) und wieder entsprechend ausgefüllt werden, eventl. mit
Hülfe von Holzwolle, Heu, Watte, Torfmull usw. Etwa zurückbehaltene Knochen
müssen in geeigneter Weise — Röhrenknochen durch entsprechende Holzstücke,
das Schädeldach durch ein aus Pappe herzustellendes Dach usw. — ersetzt
«erden.
*) Streng genommen hat der Richter nach den Angaben des Gerichts-
arztee dss Protokoll aufzunehmen; es wird aber stets so verfahren, daß der
Richter nur den Eingang und den Schluß der Verhandlung, der Gerichtsarzt
dagegen den technischen Befund unmittelbar dem Gerichtsschreiber diktiert
224 Die neuen preußischen Vorschriften für das Verfahren der Gerichtsärzte
in allen seinen Teilen, wie er von den Gerichtsärzten festgestellt worden ist,
wörtlich in das Protokoll aofgenommen werde.
Der Bichter ist zu ersuchen, dies so geschehen zu lassen, daß die Be¬
schreibung und der Befund jedes einzelnen Organs aufgezeichnet ist, bevor zur
Untersuchung eines folgenden geschritten wird.
Einrichtung und Fassung des Protokolls.
g 26. Der den technischen Befund ergebende Teil des Protokolls muß
von dem Gerichtsarzt deutlich, bestimmt und auch dem Nichtarzt verständlich
angegeben werden. 1 ) Zu letzterem Zwecke sind namentlich bei der Bezeichnung
der einzelnen Befunde fremde Kunstausdrücke, soweit es unbeschadet der Deut¬
lichkeit möglich ist, zu vermeiden. 1 )
Die beiden Hauptabteilungen — die äußere und die innere Besichtigung
— sind mit großen Buchstaben (A und B), die Abschnitte über die Oeffnungen
der Höhlen in der Reihenfolge, in welcher dieselben stattgefunden, mit römischen
Zahlen (I, II), die der Brust- und Bauchhöhle aber unter einer Nummer zu
bezeichnen. In dem Abschnitte, welcher die Brust- und Bauchhöhle umfaßt,
sind zunächst die allgemeinen, in dem vorletzten Absatz des § 17 erwähnten
>) Für die Fassung des Obduktionsprotokolls gibt Puppe
die nachstehenden sehr beachtenswerten Ratschläge:
„Um nichts Wichtiges zu übersehen, hat man es sich zur Regel zu
machen, daß, wenn es sich um die Beschreibung der Oberfläche eines
Organs handelt, stets anzugeben ist, ob diese feucht und glatt, glänzend und
durchsichtig oder uneben, höckerig, trübe, undurchsichtig ist. Ferner ist die
Größe der Organe (Länge, Breite und Höhe in Zentimetern), bezw. die Dicke
ihrer Wandungen (und erforderlichenfalls das Gewicht) anzugeben. Besonderer
Wert ist ferner auf die Beschreibung ihrer Gestalt zu legen, wie sich die
Ränder verhalten, ob sie scharf oder plump sind, oder ob überhaupt in der
Konfiguration des ganzen Organes auffallende Verhältnisse zu registrieren sind.
Betreffs der Beschreibung der Farbe eines Organs ist zu beachten, ob diese
bei allen Teilen des Organs die gleiche ist, oder ob nicht etwa bei einzelnen
Teilen Unterschiede in der Färbung zu konstatieren sind. Hierbei ist übrigens
nicht außer Acht zu lassen, daß ikterische Färbungen bei Licht nicht zu sehen
sind und demgemäß den Obduzenten bei künstlicher Beleuchtung eventuell ein
sehr wichtiger Befund entgehen kann. Weiterhin ist stets die Konsistenz
jedes Organs zu beschreiben, ob sio derb oder so weich ist, daß Fingereindrücke
bestehen bleiben usw. Auch die Beschaffenheit eines durch jedes Organ zu
machenden Durchschnitts ist zu schildern und zwar sowohl vor, als nach
der Abspülung mit Wasser: ob sich auf demselben viel Blut findet oder nur
aus einigen zerschnittenen Gefäßen Blut herausquillt; ob sonst Gewebsflüssig¬
keiten auf der Schnittfläche vorhanden sind, wie die durch den Schnitt frei¬
gelegte Adni beschaffen sind usw. Bei der Beschreibung des Blutgehaltes
der Arterien und Venen ist stets zu unterscheiden, ob sie leer oder bis zur
halben oder vollen Rundung gefüllt sind, ob sich die Füllung nur auf ihre
Hauptäste oder auch auf ihre mittleren oder bis in ihre feinsten Verzweigungen
hinein erstreckt. — Im übrigen ist es nicht die Aufgabe eines Obduzenten,
jedes Organ wie bei einer Examensektion nach allen Richtungen genau zu
beschreiben und nichts unerwähnt zu lassen, was sich überhaupt erwähnen läßt,
sondern er muß mit dem richtigen Blick die wichtigsten Befunde des zu unter¬
suchenden Organs herausgreifen und festlegen; er wird dies um so eher
können, je mehr ihm die pathologischen Prozesse hierbei bekannt sind. Ander¬
seits muß er sich stets daran erinnern, daß der Befund völlig objektiv und so
genau anzugeben ist, daß eine Nachprüfung ohne weiteres möglich ist. Er hat
sich deshalb auch jedes Urteils zu enthalten; glaubt er ohne ein Urteil in sich
schließende Bezeichnung nicht auskommen zu können, so ist das betreffende
Wort hinter der Beschreibung eingeklammert beizufügen.*
*) Der Gerichtsarzt hat auch darauf zu achten, daß von dem betreffenden
Gerichtsschreiber sinnentstellende Schreibfehler vermieden werden. Er sollte
es deshalb niemals unterlassen, das aufgenommene Protokoll vor dem Abschluß
selbst durchzulesen und nicht nur etwaige Schreibfehler, sondern auch undeutlich
geschriebene Worte berichtigen zu lassen, damit auch bei späteren Abschriften
keine Irrtümer entstehen können.
jbei den gerichtlichen Untersuchungen menschlicher Leichen. 226
Befände, sodann unter a and b die Befände an den Organen der BrasthOhle,
beziehungsweise an denen der Bauchhöhle darzolegen.
Wird der Wirbelkanal vor oder unmittelbar nach der Schädelhöhle er¬
öffn et, so werden die Befunde in beiden Höhlen unter Ia und b eingetragen;
findet die Eröffnung der Wirbelhöhle am Schlüsse der Sektion statt, so wird der
Befund unter III niedergesrchieben.
Das Ergebnis der Untersnchung ist in einem besonderen, mit arabischer
Zahl za bezeichnenden Absatz niederzolegen. Die Zahlen laufen von Anfang
bis zum Schluß des Protokolls fort
Die Befunde müssen überall in genauen Angaben des tatsächlich Beob¬
achteten, nicht in der Form von bloßen Urteilen (z. B. „entzündet“, „brandig“,
.gesund“, „normal“, „Wunde“, „Geschwür“ und dergleichen) zu Protokoll ge¬
geben werden. Jedoch steht es den Gerichtsärzten frei, falls es ihnen zur
Deutlichkeit notwendig erscheint, der Angabe des tatsächlich Beobachteten
derartige Bezeichnungen in Klammern beizufügen.
So notwendig für den Zweck der Leichenöffnung die genaue und bestimmte
Wiedergabe der wichtigen Befunde ist, so wenig erforderlich erscheint die um¬
ständliche Wiedergabe der Befunde, welche für den Richter ohne Bedeutung sind.
Für solche Befunde genügt eine kurze zusammen fassende Bemerkung .*)
Ueber die technische Ausführung der Leichenöffnung in ihren einzelnen
Teilen sind nur dann Angaben zu machen, wenn und soweit dieselbe aus be¬
stimmten Gründen von der vorgeschriebenen Form abweicht.
In jedem Falle muß eine Angabe über den Blutgehalt jedes einzelnen
wichtigen Teiles und zwar auch hier eine kurze Beschreibung und nicht blos
rin Urteil (z. B. „stark“, mäßig“, „ziemlich“, „sehr gerbtet“ „blutreich“, „blut¬
arm“) gegeben werden. Bei der Beschreibung sind der Reihe nach die Grüße,
das Gewicht, die Gestalt, die Farbe, ungewöhnlicher Geruch und die Konsistenz
der betreffenden Teile anzugeben, bevor dieselben zerschnitten werden.
Alle Angaben Über Grössen- und Gewichtsverhältnisse müssen, wo ihnen
grössere Wichtigkeil zukommt, in Zahlen nach Grammen und Zentimetern ge¬
macht werden.
Vorläufiges Gutachten.
§ 27. Am Schlüsse der Leichenöffnung haben die Gerichtsärzte ihr vor¬
läufiges Gutachten über den Fall zusammengefaßt und ohne Angabe der Gründe
zu Protokoll zu geben.
Sind ihnen aus den Akten oder sonst besondere, den Fall betreffende
Tatsachen bekannt, welche auf das abgegebene Gutachten Elinfluß ausüben,
so müssen auch diese kurz erwähnt werden.
Legt ihnen der Richter besondere Fragen vor, so ist in dem Protokoll
ersichtlich zu machen, daß die Beantwortung auf Befragen des Richters erfolgt.
Auf jeden Fall ist das Gutachten zuerst auf die Todesursache, und
zwar nach Maßgabe desjenigen, was sich aus dem objektiven Befunde ergibt,
aichstdem aber auf die Frage der verbrecherischen Veranlassung zu richten.*)*)
Ist die Todesursache nicht aufgefunden worden, so muß dies ausdrück-
fieh angegeben werden. Niemals genügt es zu sagen, der Tod sei aus innerer
Ursache oder aus Krankheit erfolg, es ist vielmehr die letztere zu benennen.
In Fällen, wo weitere technische Untersuchungen nötig sind oder wo
*) Siehe Awm. 8 auf S. 128 u. Anm. 1 auf S. 224, letzter Absatz.
*) Die Frage der etwaigen verbrecherischen Handlung (Beteili¬
gung eines Dritten), ist somit stets, afcch ohne besondere Aufforderung des
Richters zu beantworten. Ebenso haben sich die Gerichtsärzte bei Verlet¬
zungen stets über die Art ihrer Entstehung und über die Beschaffenheit der
dabei in Anwendung gekommenen Werkzeuge oder Gewalt zu äußern (§ 28,
Abs. 2), während sie bei allen sonstigen in Betracht kommenden Umständen
eia Befragen seitens des Richrers abzuwarten haben.
*) Bei der Sektion eines neugeborenen Kindes ist im vorläufigen
Gutachten zunächst die Frage zu beantworten, ob das untersuchte Kind reif
und lebensfähig war, sowie ob es gelebt und geatmet hat; erst dann ist das
Urteil über die Todesursache abzugeben und die Frage der verbrecherischen
Handlung zu beantworten.
228 Die neuen preußischen Vorschriften für das Verfahren der Gerichtsärzte
zweifelhafte Verhältnisse vorliegen, ist ein besonderes Gutachten mit Begrün¬
dung ausdrücklich vorzubehalten. 1 )
Zusätzliche Erklärungen über Werkzeuge.
§ 28. Zeigen sich an der Leiche Verletzungen, welche mutmaßlich die
Ursache des Todes gewesen sind, und ist der Verdacht vorhanden, daß ein
Vorgefundenes Werkzeug bei Zufügung der Verletzungen benutzt worden ist,
so haben die Gerichtsärzte auf Erfordern des Richters beide zu vergleichen
und sich darüber zu äußern, ob und welche Verletzungen mit dem Werkzeuge
bewirkt werden konnten und ob und welche Schlüsse (nus der Lage und der
Beschaffenheit der Verletzung) auf die Art, wie der Täter, und auf die Kraft,
mit der er verfahren ist, zu ziehen seien.
Werden bestimmte Werkzeuge nicht vorgelegt, so haben sich die Ge¬
richtsärzte, soweit dies dem Befunde nach möglich ist, über die Art der Ent¬
stehung der Verletzungen, und über die Beschaffenheit der dabei in Anwen¬
dung gekommenen Werkzeuge zu äußern.
Begründetes Gutachten.
§ 29. Wird von den Gerichtsärzten ein begründetes Gutachten erfor¬
dert, so ist dasselbe in folgender Form zu erstatten:
Es wird, unter Fernhaltung unnützer Formalien, mit einer gedrängten,
aber genauen Geschichtserzählung des Falls, wenn und soweit sie auf Grand
einer Kenntnisnahme der einzusehenden Verhandlungen möglich ist, unter An¬
gabe der Aktenblätter begonnen. Sodann wird das Protokoll über die Leichen¬
öffnung jedoch nur insoweit, als sein Inhalt für die Beurteilung der
Sache wesentlich ist, wörtlich und mit den Nummern des Protokolls auf¬
genommen; dabei ist auf Abweichungen von demselben ausdrücklich aufmerk¬
sam zu machen.
Die Fassung des begründeten Gutachten muß bündig und deutlich sein
und die Begründung desselben so entwickelt werden, daß sie auch für den
Nichtarzt verständlich und überzeugend ist. Es haben sich die Gerichtsärzte
daher möglichst deutlicher Ausdrücke und allgemein faßlicher Wendungen zu
bedienen. Besondere Beziehungen auf literarische Quellen sind in der Hegel
zu unterlassen.
Vom Richter zur Begutachtung vorgelegte bestimmte Fragen haben die
Gerichtsärzte vollständig und möglichst wörtlich zu beantworten oder die
Gründe anzuführen, aus welchen dies nicht möglich gewesen ist.
Das begründete Gutachten muß von beiden Gerichtsärzten unterschrieben
und wenn ein beamteter Arzt die Leichenöffnung mit vorgenommen hat, mit
dessen Amtssiegel versehen werden.*)
Jedes erforderte Gutachten muss von den Gerichtsärzten spätestens
Innerhalb vier Wochen eingereicht werden.
IV. Verfahren bei der Lelohenaohatt.
§ 30. Wird ein Gerichtsarzt zu einer Leichenschau zugezogen, so hat er
nach Massgabe des § 12 zu verfahren; die dort vorgesehenen Einschnitte können
unterlassen werden.*)
*) Ein Obduktionsbericht ist namentlich auch dann ausdrücklich
vorzubehalten, wenn eine bestimmte Todesursache nicht aufgefunden ist, oder
zur Beurteilung des durch die Sektion nicht genügend aufgeklärten Falles
noch weitere Ermittelungen in bezug auf den vorhergehenden Krankheitsver¬
lauf (Krankheitsgeschichte), die sonstigen Umstände usw. nötig sind (s. auch
§ 10 der Vorschriften).
*) Die Abfassung des Obduktionsberichts geschieht durch den
ersten Gerichtsarzt; hat der zweite Gerichtsarzt eine abweichende Ansicht,
so muß er diese durch einen besonderen Obduktionsbericht begründen.
*) Diese Vorschrift ist neu, wenn auch bisher bei einer gerichtlichen
Leichenschau allgemein unter Berücksichtigung der im Regulntiv über die
äußere Besichtigung gegebenen Vorschriften verfahren ist. Jetzt ist dies also
obligatorisch vorgeschrieben. Kommt der Gerichtsarzt zu dem Ergebnis, daß
eine vollständige Sektion zur Klarstellung des Falles nötig ist und diese, weil
sehr häufig ein zweiter Gerichtsarzt nicht sofort zur Verfügung steht, nicht
bei den gerichtlichen Untersuchungen menschlicher Leichen.
227
Auf die Abfassung des Protokolls und des Gutachtens finden die Vor -
xhriften der §§ 26 und 27 Anwendung»
In einfachen fällen kann , wenn Richter und Arzt einverstanden sind
m den im § 12 vorgeschriebenen Feststellungen, soweit sie nach Lage der Sache
tntlthrlich ersehe'men, abgesehen werden. 1 )
Besprechungen.
Dr. Georg Herzfeld, Sanitätsrat in Berlin: Handbuch der b&hn&rzt-
lichen Praxis. Verlag von Richard Schoetz. Berlin 1904. Gr. 8° f
466 8. Preis; 12 Mark.
H. faßt unter Benutzung der vorhandenen Literatur und Ergebnisse der
Ttrschiedenen Kongresse, Versammlungen und Vereinssitzungen der bahn&rlt-
lichen Organisationen in dem vorliegendem Werke alles dasjenige zusammen,
was dem Bahnarzt in seinem Beruf als solchem zu wissen und zu kennen not¬
wendig ist. Hierzu gehört als Vorbedingung außer der rein ärztlichen Be¬
fähigung die genaue Kenntnis aller Einrichtungen der Eisenbahn, der betriebs-
wie der verwaltungstechnischen, so die der Eisenbahnorgane, der Betriebsmittel
and Betriebsordnung, des Signalwesens, der einzelnen Dienstzweige und der
damit verbundenen Verantwortung und dergleichen mehr. Alle diese Fragen,
die neben den Verwaltungsbeamten und Technikern der Eisenbahn auch die
Bdhnärzte interessieren müssen, wenn anders die Sicherheit ira Eisenbahnwesen
Terburgt sein soll, finden eine übersichtliche, erschöpfende Darstellung. Weiter*
hin informiert das Handbuch in knapper, gediegener Weise über Art, Schwere
und Einllusse des Dienstes, über Berufskrankheiten nnd Unfallerkrankungen
des Dienstpersonals, über die großzügige Bearatenfürsorge nnd das gerade in
den letzten Jahren vorzüglich erweiterte und ausgebaute Rettungswesen. Den
Fragen der bahnärztlichen Sachverständigentätigkeit ist ein besonderer Ab¬
schnitt gewidmet entsprechend der überaus großen Bedeutung dieses Teiles
ärztlichen Bahndienstes für den normalen und sicheren Ablauf des gesamten
Eisenbahnverkehr*, dem täglich Millionen Menschenleben nnd ebensoviele
Millionen an Geldwert anvertraut sind. Die Mitwirkung des Bahnarztes bei
Ausfuhrnng der sozialen Gesetze wird erläutert und erleichtert durch die instrufc*
tiren Zusammenstellungen der — zum großen Teil in extenso wiedorgegebenen
- einschlägigen Vorschriften über die Kranken-, Unfall-, Alters- nnd In-
raliditätsversicherung; bekanntlich ist bei allen drei Gesetzen den Eisenbahn-
Terwaltnngen eine Ausnahmestellung zugewiesen, deren Kenntnis darum für
Jen Eisenbahn-Kassenarzt ganz besonders notwendig ist. Die folgenden
Kapitel behandeln in ziemlicher Kürze die hygienischen und sanitätspolizeilichen
Aufgaben des Bahnarztes sowie die Hygiene der Reisenden und zwar in An¬
lehnung an die bahnbrechende Tätigkeit des ersten Eisenbahnhygienikers Otto
Brähmer. Im letzten Abschnitt orientiert Verf., der selbst Bahnarzt und
Mitglied des Ausschusses des Verbandes deutscher Bahnärzte ist, über die
staatliche und freiwillige Organisation der Bahnärzte und bringt im Anschluß
daran den Wortlaut bestehender Bahnärzte-Verträge. Die Zusammenstellung
der sämtlichen in der Bahnpraxis vorkommenden Formulare, ferner Literatur-
wgaben und ausführliches Sachregister beschließen das Werk. Die Fülle des
Materials, seine übersichtliche Anordnung und kritische Verarbeitung werden
das vorliegende Handbuch für jeden Bahnarzt zu einem hochwillkommenen
Nachschlagewerk machen, das, obwohl der Verf. nach keiner Richtung hin ein
Vorbild hatte, dem er hätte nacheifern können, bereits in seiner ersten Auf¬
lage meisterhaft gelungen ist. Dr. Roepke-Melsnngen.
tutmittelbar an die Leichenschau angeschlossen werden kann, so müssen alle
Einschnitte oder sonstige Eingriffe, durch die das Ergebnis der Sektion beein¬
flußt werden könnte, vermieden werden.
*) ünter „einfachen“ Fällen sind nur solche zu verstehen, in denen
nber die Todesursache, eigene oder fremde Schuld usw. kein Zweifel besteht
and auch eine etwaige mitwirkende andere Todesursache ausgeschlossen ist.
328
Tagesnachrichten.
Tagesnachrichten.
Au dem B«lohita|«. ln der Sitzung vom 27. März d. J. worden
die Resolutionen
Eickhoff-Beumer über die Zolassang der Oberrealschul*Abiturienten
zum Studium der Medizin, Gröber Uber Ansdehnung des Arbeiter*
sehntzes auf die Hausindustrie, Erzberger über den sanitären Maxi*
malarbettstag ln den Glashütten, grössere Sonntagsruhe für Arbeiter
und Torsiehtsmassregeln für Verarbeitung giftiger and explosiver Stoffe,
angenommen.
Au dem preusisohen Abgeordnetenhaus. In der Sitzung
Tom 24. März gelangte der Antrag des Abg. Schmedding (Ztr.) auf gesetz¬
liche Regelung der Fürsorge für mittellose geisteskranke und schwach¬
sinnige Personen zur Verhandlung und wurde in folgender von der Kommission
für das Gemeindewesen vorgeschlagenen Fassung:
.Die Regierung zu ersuchen, einen Gesetzentwurf vorzulegen, wonach
folgendes bestimmt wird: Soweit die Landarmenverbände nicht gemäß dem
Gesetze vom 11. Juli 1891 über die außerordentliche Armenpflege ver¬
pflichtet sind, die Kosten der Unterbringung derjenigen mittellosen Geistes¬
kranken und schwachsinnigen Personen zu übernehmen, welche nur oder
überwiegend behufs des Schutzes anderer Personen gegen ihre Aus¬
schreitungen der Unterbringung in Anstalten bedürfen, hat der Staat diese
Kosten auf die Staatskasse za übernehmen.“
angenommen, nachdem sich sämtliche Redner dafür ausgesprochen und nament¬
lich die Notwendigkeit betont hatten, daß der Staat gesetzlich verpflichtet
werden müßte, für die Unterbringung derartiger Geisteskranken die Kosten
zu tragen. _
Bei der Königlichen Regierung in Düsseldorf ist jetzt auch eine
bakteriologische Untersuchungsstelle eingerichtet und deren Leitung dem als
Hilfsarbeiter bei der Regierung bestellten Kreisarzt Dr. Kr ohne übertragen.
Nach Bekanntmachung des Bayerischen Ministeriums des
Innern vom 11. März d. J. findet auch in diesem Jahre in der Zeit vom
4. bis 16. September ein bakteriologischer Kursus für die bayerischen
Amtsärzte und staatsärztlich approbierten Aerzte statt, und zwar
in dem hygienisch-bakteriologischen Institut der Universität Erlangen. Um
die Teilnahme an diesem Kursus zu erleichtern, wird sechszehn von diesen
Aerzten, soweit sie nicht in einer der drei Universitäten wohnen, ein Aversalbetrag
von je 250 Mark gewährt. Gesuche um Gewährung eines derartigen Zuschusses
sind bis zum 10. April d. J. beim Ministerium des Innern einzureichen.
Bekämpfung des Alkoholismus. Um der vielfach verbreiteten Gewohn¬
heit, Kindern unter 14 Jahren geistige Getränke zu geben, entgegenzutreten,
ist im Königreich Württemberg, entsprechend einer Anregung des Deut¬
schen Vereins gegen den Mißbrauch geistiger Getränke, durch Ministerialerlaß
vom 22. Februar 1905, betreffend die öffentliche Impfungen im Jahre 1905,
angeordnet, daß gelegentlich der öffentlichen Impfungen an die
Mütter der zur Impfung gebrachten Kinder das von Regierungsrat Quensel
in Köln verfaßte Merkblatt über die Schädlichkeit des Alkohol¬
genusses namentlich für Kinder verteilt werden soll. Die betreffenden
Belehrungen werden von der Registratur des Ministeriums des Innern unent¬
geltlich geliefert.
In Oberschlcsien, namentlich im Kreise Bcuthen und in Königshütte,
herrscht schon seit längerer Zeit die epidemische Kopfgenickstarre. Die
Gesamtzahl der Erkrankungen hat seit Beginn der Epidemie im Kreise Beuthen
vom 1. November 1904 bis zum 22. März d. J. 135, die der Todesfälle 48 be¬
tragen, davon 32 bezw. 4 in der Woche vom 13.—22. März, in Königshütte
vom 19. November v. J. bis 28. März 304 bezw. 165.
Nach einem amtlichen Bericht ist auch inWürzburg seit Oktober v. J.
bis zum 10. März d. J. unter der dortigen Garnison eine kleine Epidemie von
Tagesnachrichten.
229
Genickstarre vorgekommen; 9 Soldaten sind erkrankt und 7 davon gestorben,
einer ist genesen, einer befindet sich noch in ärztlicher Behandlung.
Im „Reichs&nz. 44 vom 1. d. Mts. worden weitere Mitteilungen über den
Staad der Wormkrankheit gebracht. Danach sind auf 108 Schachtanlagen
des Überbergamtsbezirks Dortmund, auf denen eine mehrfache Untersuchung
sUttgefunden hat, bei den letzten Untersuchungen zusammen 2655 Wurmtriiger
gegenüber 14 483 bei der ersten Untersuchung ermittelt worden; das bedeutet
eine Abnahme um 81,67 Proz. Ara schwersten verseucht ist die Zeche „Graf
Schwerin* 4 bei Castrop, die hinsichtlich der Wurmkrankheit unter ganz be¬
sonders ungünstigen Verhältnissen steht. Aber auch hier haben die Maßregeln
xnr Eekampfung der Krankheit einen erfreulichen Erfolg gehabt; denn die Zahl
der ermittelten Wurmträger, die bei der ersten Untersuchung über 66 Prozent
der unterirdischen Belegschaft betrug, ist jetzt auf ungefähr 30 Proz. ge¬
sunken; auch ist bei den einzelnen Wurmträgem die Schwere der Erkrankung
ganz wesentlich zurückgogangen. — Erkrankungen von Familienangehörigen
wurmkranker Bergleute sind, abgesehen von dem einen, früher beobachteten
Falle, nicht vorgekommen und schwere Folgen der Abtreibungskuren nicht
mehr zur Kenntnis gelangt.
Im Wurmrevier (Oberbergamtsbezirk Bonn) ist die gesamte unterirdische
Belegschaft untersucht, und die ermittelten Wurmträger einer Abtreibungskur
unterzogen. Während bei der ersten Untersuchung von 6686 Bergarbeitern
1653 = 24,8 ,M 0 als Wurmträger ermittelt wurden, beträgt ihre Zahl jetzt nur
noch 4,3* : a . Erkrankungen von Familienangehörigen sind hier nicht beobachtet.
Freisprechung eines Kurpfuschers wegen Geisteskrankheit* In
München ist vor kurzem ein schon hochbetagter Kurpfuscher, der wegen
Betrugs und unbefugter Arzneiabgabe angeklagt war, vom Schöffengerichte
freige^prochen, weil er nach ärztlichem Gutachten geisteskrank und
unzurechnungsfähig ist. Die Münchener medizinische Wochenschrift sagt
hierzu in Nr. 10 d. J. mit Recht, daß „dieser Fall deutlich erkennen läßt, wie
ungenügend die Mittel zur Bekämpfung der Kurpfuscherei sind. Wäre die
von «lern Aerztetag beantragte Ergänzung des § 35 der Reichsgewerboordnung
bereits erlassen, wonach die Ausübung der Heilkunde wegen Unzuverlässigkeit
in bezug auf diesen Gewerbebetrieb zu untersagen wäre, so hätte die Polizei-
direktion die gesetzliche Befugnis die Fortsetzung der Kurpfuscherei seitens
einoa Geisteskranken durch Zwangsmittel zu verhindern. So aber mnß sie den
Mann ruhig weiter gewähren lassen; sie bringt ihn lediglich zeitweise zur An¬
züge. mii dem regelmäßigem Erfolge, daß er vom Gerichte wegen Unzurech¬
nungsfähigkeit freigesprochcn wird. Wir glauben, daß ein derartiger Zustand
nicht geduldet werden darf und weisen deshalb auf diese Lücke in der Gesetz¬
gebung eindringlichst hin. Um dem für Gesundheit und Vermögen des Hilfe¬
suchenden im höchsten Grade bedenklichen Treiben dieses Kurpfuschers ein
Ende zu machen, sollte die Polizeidirektion übrigens in Erwägung ziehen, ob
aieht nach Art. 80 des Polizeistrafgesetzbuches seine Unterbringung in eine
Irrenanstalt oder seine sonstige genügende Verwahrung anzuordnen wäre 44 .
Da ein derartiger Kurpfuscher zweifellos als „gemeingefährlicher 11
Geisteskranker anzusehen ist, so wird auch seine zwangsweise Unterbringung
b eine Irrenanstalt kaum auf Schwierigkeiten stoßen. Dem Herausgeber dieser
Zeitschrift sind verschiedene Fälle bekannt, wo diese Maßregel gegen geistes¬
kranke Aerzte mit Erfolg angewandt ist; gegen Kurpfuscher dürfte ihre An¬
wendung nicht minder gerechtfertigt sein.
Die diesjährige Hauptversammlung des Deutscheu Apothekervereixis
*ird in Breslau vom 2 3.-2 6. August stattfinden.
Die jetzt vorliegende neue Deutsche Arzneitaxe bringt in mancher
Hinsicht recht wesentliche Aenderungen gegenüber den bisher geltenden Arznei-
tuen. Die in den früheren Taxen in einzelnen Abschnitten behandelten
Grundsätze, Allgemeine Bestimmungen der Arbeitspreise, Preise der Gefäße,
Tue für homöopathische Arzneimittel sind jetzt in einem Abschnitt „All-
J cmeine Bestimmungen 44 mit fortlaufenden Nummern zusammengefaßt,
on diua die Preisliste der Arzneimittel folgt. Die allgemeinen Be¬
stimmungen enthalten I. die Grundsätze für die Berechnung der Arznei-
230
Tagesnachrichten.
mittelpreise, bei denen hauptsächlich die preußischen Bestimmungen als
Grundlage gedient haben, II. Grundsätze für die Berechnung der Arznei-
preise, für die namentlich die Hessische Arzneitaxe hinsichtlich derBezep-
turarbeitspreise und die Preußische Arzneitaxe hinsichtlich der Gefäße
Torbildlich gewesen ist. Ueberall tritt das Bestreben der Vereinfachung
hervor; namentlich sind für die Arbeitspreisc Pauschalsätze vorgesehen,
und in diesen nicht nur alle zur Herstellung der betreffenden Arzneiformen
erforderlichen Arbeiten einschl. des etwa erforderlichen Zerreibens, der Zugabe
von Kapseln usw., sondern auch die Wägungen mit eingeschlossen, nur die
Dispensationsgebühr ist geblieben und auf 15 Pfg. erhöht. Es ist dies
zweifellos ein großer Fortschritt, durch den manche kleinliche Taxstreitigkeiten
vermieden werden. Die wichtigsten Bestimmungen über die Arzneimittel-
preise, die hier besonders interessieren, sind folgende:
Bei Berechnung der Arzneimittel tritt ebenso wie bisher, wenn
in der Taxe für verschiedene Mengen eines Arzneimittels verschiedene
Preise eingesetzt sind, der ermäßigte Preis erst bei Berechnung der verordnten
größeren Menge ein, jedoch darf dieser bei Berechnung einer verordneten ge¬
ringeren Menge nie überschritten werden. Der niedrigste Preisansatz
beträgt nach wie vor 5 Pf, für Mittel der Tab. B. de3 Arzneibuches jetzt jedoch
10 Pf.; jeder Pfennig - Bruch wird auf einen vollen Pfennig abgerundet. Für
nicht in der Taxe aufgeführte Arzneimittel ist der Preis nach den
Grundsätzen für die Berechnung der Arzneimittelpreise festzustellen, für fabrik¬
mäßig hergestellte Arzneizubereitungen ist ein Zuschlag von 60 °/ 0 zu dem An¬
kaufspreis gestattet, sofern nicht ein höherer Originalverkaufspreis seitens des
Herstellers festgesetzt ist. Werden diese Arzneimittel aber im Anbruch ver¬
ordnet, so ist das Doppelte des Ankaufspreises, die Dispensation und das etwa
erforderliche Gefäß zu berechnen.
Als Arbeits p reise sind folgende vorgesehen: a) Einzelpreise
für Dispensation einschl. Kork, Tektur, Papierbentel und Signatur, sowie Kopie
15 Pf.; für Abdampfen von je 100 g, Zerquetschen oder Zerreiben
(falls nicht schon im Pauschale enthaltend) und Filtration (wenn erforder¬
lich) je 10 Pf.; für Sterilisieren eines Gerätes, eines Gefäßes oder einer
Arznei bis 100 g 30 Pf.; für größere Gefäße oder Mengen 50 Pf.
b) Pauschalpreise: Für Mischungen von Flüssigkeiten 10 Pt;
für Auflösen oder Anreiben eines oder mehrerer nicht flüssiger Mittel,
Anfertigung von Schleim einschl. dost. Wasser: 35 Pfg.; für Ab¬
kochungen und Aufgüsse, Einkochungen, Auszüge (Mazerat. und
Digestionen), Saturationen, Emulsionen, Gallerten u. Salepschleim,
auch in Verbindung untereinander oder mit einer oder mehreren Arbeiten (Auf¬
lösen oder Anreiben) ausgeführt einschl. dest. Wasser: 40 Pf.; für Latwergen
oder innerl. Pasten einschl. Wasser: 30 Pf.; für Pflaster: 40, Streichen von
Pflaster bis 100 qcm einschl. Stoff: 30 Pf., jede weitere 100 qcm: 20 PL;
für Salben und äußerl. Pasten: 40 Pf., (Teilung von Salben jede Dosis ein¬
schließlich Wachspapier: 5 Pf.), für Pastillen pp. bis 5 Stück je 10 PL,
jedes weitere: 5 Pf.; für Pillen bis 50 Stück: 40 Pf., jede weitere 50 Stück:
20 Pfg., (Ueberziehen mit irgend welchen Stoffen je 50 Stück 75 Pf.); für
Körner aller Art inkl. Versilb. bis 10 Stück: 40 PL, jede weitere 10: 20 PL;
für Mengen von Tee oder Pulver einschl. Verrreiben: 20 Pf., geteilte Pulver:
5 Pf. pro Stück, Verabreichung in Kapseln von Gelatine oder Oblaten: 10 Pf.
pro Stück; für Suppositorien und Wundstäbchen bis 3 Stück: 40 PL,
jedes weitere Stück: 10 Pf. Alle Preise unter b schließen, wie schon erwähnt,
Vergütung für alle dazu erforderlichen Arbeiten, sowie die Zugabe der Kapseln,
Konvolute pp. ein. — Dispensation und Gefäße werden nicht berechnet bei
Diphtherieserum und Tuberkulin.
Preise der Gefässe: Gläser, glcicbgiltig, ob runde oder eckige,
enge oder weite, weiße oder braune, bis 200 g Inhalt 10 PL, bis 300 g,
15 PL, bis 500 g 25 PL, für je 25 g mehr: 15 PL; — mit eingeriebenen
Glasstöpseln bezw. Tropfgläser bis 15 g 25 Pf., bis 100 g 30 PL, bis
200 g 50 Pf., bis 500 g 80 PL; Deckel zu Pulverglüsern und Salbenkruken
bis zu 20 g 40 PL, größere 15 PL — Kruken, graue oder gelbe, bis
200 g 10 PL, bis 500 g 20 Pf., je 500 g mehr 10 Pf.; weiße, bis 50 g 15 Pf.
bis 100 g 20 Pf., bis 200 g 30 PL, bis 300 g 50 Pf., bis 400 g f>0 Pf. bis
500 g 75 PL; — Pappschachteln bis 100 g 10 Pf., bis 200 g 20 Pf.,
Tagesnachrichten.
231
gröbere 30 Pf.; Pul ve rkästchen 10 Pf, für 10 Pulver, für mehr als 10
Pulver 20 Pf. Gläser mit eingeriebenen Glasstöpseln, Tropfgläser, sowie
Holzkorkstöpsel dürfen nur berechnet werden, wenn sie ausdrücklich verlangt
oder verordnet sind, oder durch die Natur des Arzneimittels notwendig sind,
oder wenn die Verhältnisse der Arzneiempfänger die Zustimmung für deren
Verwendung vor&ussetzen lassen. Bei Verordnungen, deren Kosten aus Staats¬
oder Gemeindemitteln, von Krankenkassen usw. bezahlt werden, dürfen Pulver-
kästchen, Pappschachteln, Glä-?er mit eingeriebenen Glasstöpseln, Tropfgläser,
feste Deckel jeder Art zu Salbenkruken, sowie weiße Kruken nur auf ärztliche
Anweisung verwendet werden, jedoch sind bei Abgabe von abget. Pulvern oder
Pastillen, welche Mittel der Tab. B, Opium oder dessen Alkaloide oder Chloral-
hvdrat enthalten, Pulverkästchen oder Pappschachteln stets zu verwenden und
zu berechnen, soweit das Arzneibuch nicht andere Bestimmungen enthält.
— Werden verwendbare reine Gläser, Kruken, Schachteln oder Pulverkästchen
bei Wiederholungen zur Aufnahme der Arznei zurückgebracht (es findet sich
dann auf dem Rezept der Vermerk: s. v. (sine vitro), v. r. oder v. a. (vitrum
remotum oder allatum), s. sc. oder s. o. (sine scatula oder sine olla) usw., so
Ln dafür der volle Taxpreis abzurechnen.
Auf allen Rezepten, auch auf denjenigen für Privatpersonen sind
jetzt die Einzelsätze der Taxe zu vermerken. Bei der Zusammen¬
stellung der einzelnen Ansätze findet bei allen Rezepten (auch bei
den aus Staats- und Gemeindemitteln oder Krankenkassen zu bezahlenden) eine
Abrundung in der Weise statt, daß, wenn er 1 Mark nicht übersteigt,
1-4 Pf. auf 5 Pf. und 6—9 Pf. auf 10 Pf. erhöht werden; tibersteigt der
Preis jedoch 1 Mark, so werden 1 M. 1—4 Pf. auf 1 M„ 1 M. und 6—9 Pf.
auf 1 M. 5 Pf. usw. herabgesetzt. Die Gewährung von Rabatt ist den Be¬
stimmungen der Einzelstaaten überlassen; in Preußen sind solche nicht ge¬
troffen; über die in den anderen Bundesstaaten darüber ergangenen Vor¬
schriften siehe Anra. 2 auf S. 49 der Beilage zur heutigen Nummer.
Neu ist endlich die Einführung einer Nachttaxe für die Verabfolgung
von Arzneien während der Zeit von 10 Uhr Abends bis 6 Uhr Morgens; es ist
fhnn eine Zusatzgebiihr bis zu 50 Pf. zulässig. Ebenso wie bei der ärztlichen
^bührenordnung hätte man hier die Zeit von 9 Uhr Abends bis 7 Uhr Mor¬
gens festsetzen sollen.
Der erste Fortbildungskurs für Sanitätsoffiziere und Medizinalbeamte
an der Akademie für praktische Medizin in Köln vom 30. Januar bis
18. Februar 1905.
Zum ersten Male hat sich in diesem Jahre die Fürsorge der zentralen
IDdizinalbehörde auch auf die Fortbildung der Kreisassistenzärzte erstreckt:
5 Ton ihnen wurden zu einem 3 wöchigen Fortbildungskurs nach Köln überwiesen.
Dieser erste Versuch ist so vortrefflich gelungen, daß man nur wünschen kann,
diese Kurse möchten eine dauernde Einrichtung für die Weiterbildung der
Kreisassistenzärzte werden.
Wegen der Neuheit der Sache wird den Lesern vielleicht ein kurzer
Bericht über den verflossenen Kurs willkommen sein. Es ist in ärztlichen
Zeitschriften und in den Tagesblättern manches über den Wert oder Unwert
der Akademien geschrieben, das geeignet ist., das Urteil Fernstehender un¬
sinnig zu beeinflussen. Da mag auch das Wort eines, der die Leistungen
einer solchen Akademie an sich selber erfahren hat, am Platze sein.
Der Kursus war überhaupt der erste, der an der neuen Kölner Akademie
hi» gerichtet worden ist. Die Teilnehmer waren 13 aktive, 17 Reserve-Sanitäts¬
offiziere und 4 Krebassistenzärzte (1 war an der Teilnahme behindert).
Durch diese Zusammensetzung hatte der Kurs zwar ein überwiegend mili¬
tärisches Aussehen, die Auswahl der klinischen Vorlesungen belehrt jedoch,
daß für alle eine möglichst vielseitige, allgemeine ärztliche Fortbildung
ernrebt wurde. Tatsächlich sind auch die Kreisassistenzärzte mit dem
Gebotenen recht zufrieden gewesen. Der Stundenplan war in folgender
Webe festgestellt worden: Vormittags 8—9 l /* Uhr: Operationsnbungen
an der Leiche (Prof. Dr. Till mann); 9 1 /*—10 Uhr: Militär-Sanitäts¬
dienst, Lungentuberkulose, (Oberstabsarzt Dr. Dautwiz); 10—11 Uhr: Chirur¬
gische Klinik (Prof. Dr. Bardenhener und Prof. Dr. Ti 11 mann abwechselnd);
nachmittags 1—2 Uhr: Hygiene und Bakteriologie (Dr. Czaplewski);
232
Tagesnachrichten.
2—4 Uhr: Besichtigungen (Dr. Czaplewski), abwechselnd mit: Klinik der
Hautkrankheiten (Dr. Zinsser) und Klinik der Geisteskrankheiten (Professor
Dr. Aschaffenburg). Da die neuen Bauten der Akademie, für welche fünf
Hillionen Mark ausgeworfen sind, noch nicht vorhanden sind, so wurden die
Vorlesungen in den drei je 15 Minuten voneinander entfernt liegenden Kranken¬
häusern: Bürger-, Augusta- und Lindenburg-Hospital, gehalten. Trotzdem
durch die Wege, die Frühstückspause und einen katholischen Feiertag Zeit
verloren ging, wurde doch eine erstaunliche Fülle von Lehrstoff in den drei
Wochen bewältigt. Um dafür einen Beweis zu geben, will ich einiges aus dem
Unterrichtsmaterial anführen:
Im ganzen wurden 45 Operationen ausgeführt, ln besonderen Stunden
demonstrierte Dozent Dr. Graeßner die Barden heu er sehe Extensions¬
behandlung der Knochenbrüchc und die Technik der Boentgenaufnahmcn nebst
Orthodiagraphen.
ln der inneren Klinik wurden die verschiedenartigsten Kranken
vorgcstellt; außerdem hielten die Prof. Dr. Hochhaus und Dr. Minkowski
noch zusammenfassende Vorträgo über Perkussion, Diagnose des Pulses, Blut¬
untersuchungen, Hämoptoe, Kryoskopie, Aphasie, Sauerstoffbehandlung. Dabei
wurden die neuen Apparate und Hilfsmittel der Diagnostik vorgeführt. Neu
war für viele die ständige Heranziehung der Roentgenbildcr zur Diagnose der
inneren Organerkrankungen.
Dr. Zinsser zeigte zahlreiche Fälle von Haut- und Geschlechts¬
krankheiten. Ganz besonders fesselnd war die Vorführung der Behandlungs¬
weisen mit Rocntgenstrahlen, mit Finsonlicht und Radium-Bestrahlung, deren
wunderbare Heilerfolge wir an zahlreichen vorgestellten Kranken beobachtet
hatten. Da außerdem noch zahlreiche mikroskopische Präparate und stereo¬
skopische Bilder die Vorträge erläuterten, so galt vielen von den Zuhörern
die dermatologische Klinik als die interessanteste.
Prof. Dr. Aschaffenburg besprach unter gleichzeitiger Vorstellung
einschlägiger Fälle folgende Kapitel der Psychiatrie: Delirium tremens,
epileptische Dämmerzustände, Melancholie, Erschöpfung3psychosc, Dementia
paralytica, Simplex und praecox, Hebephrenie, Katatonie, Idiotie, Imbezillität,
Manie, Paranoia, Simulation geistiger Störung, traumatische Neurose, Hysterie.
Aschaffenburg gelang es trotz der Abspannung, die sich in der
letzten Unterrichtsstunde am Tage fühlbar machte, die allgemeine Aufmerk¬
samkeit auf die vorgestellten Patienten zu lenken. Für die meisten Zuhörer
war auch die besonders lehrreiche Art der Entwickelung der Diagnose durch
den Vortragenden neu. Es wurden auch forensisch wichtige Fälle und zweifel¬
hafte Geisteszustände durch Vorstellungen erörtert.
Beiden hygienischen Vorträgen mußte sich Dr. Czaplewski
wegen der Kürze der Zeit auf einige wichtige Kapitel beschränken. Der
Hauptwert wurde auf die Besichtigungen und praktischen Vorführungen ge¬
legt. Besichtigt wurden: die Desinfektionsanstalt, die Wasserwerke der Stadt
Köln Altsburg und Severin, die Kanalisation, die Kläranlage, das Hohen¬
staufenbad, der Scblachthof. Im bakteriologischen Laboratorium wurde der
Gang der Diagnose bei Typhus, Cholera, Diphtherie und Gonorrhoe gezeigt.
Während der ganzen Zeit des Kurses herrschte ein nettes kameradschaft¬
liches Zusammenhalten unter den Teilnehmern; sehr fröhlich verlaufende Bier¬
abende und ein Festmahl am Schluß brachten die Kursisten auch außerhalb der
Kliniken den Professoren und Dozenten näher, die zu dem Festmahl sämtlich
erschienen waren; außerdem nahmen an diesem noch der Reg.- und Med.-Rat
Dr. Rusack, die Sanitätsoffiziere der Garnison, der Bürgermeister und der
Kreisarzt Dr. Meder teil. Dem letzteren sind die Kursisten, namentlich die
Kreisassistenzärzte, zu besonderem Danke verpflichtet; denn er hat nicht nur
die hygienischen Besichtigungen mit geleitet und die ihm unterstellte Lyroph-
erzeugungsanstalt gezeigt, sondern ist auch fast jederzeit zur Unterstützung
mit seinem Rat bereit gewesen. Sicherlich wird jeder Teilnehmer reiche Be¬
lehrung mit nach Hause genommen haben und der Akademie in Köln dankbare
Erinnerung dafür bewahren.
Kreisassistenzarzt Dr. Berg-Neufahrwasser hei Danzig.
Verantwortl. Redakteur: Dr. Rapmund, Reg.- u. Geh. Med.-Rat in Minden i. W.
J. 0. O. Bruns, HunogL Slehu u. F. Seh.-L. Hof buck druck erel in Hindun.
18. Jahrg.
1905.
Zeitschrift
für
MEDIZINALBEAMTE.
Zeitnlblatt für gerichtliche Medizin ud Psychiatrie,
Sr intliche Sacbverstiodigentätigkeit in Unfall- and Inraliditätssachen, sowie
fir Hygiene, efentL Sanitätswesen, Medizin«]-Gesetzgebung nnd Rechtsprechung.
Heraasgegeben
TOD
Dr. OTTO RAPMOND,
Btfterttnft- and Geh. Msdixinalrat ln Minden,
Verlag von Fischers mediz. Buchhandlg, H. Kornfeld,
HcraogL Bayer. Bot- n. Erxhenogl. Kammer - Bnchhlndlw.
Berlin W. 35, Lützowstr. 10.
Inserate nehmen die Yerlagahandlnng sowie alle Annoncen -Expeditionen des In-
nnd Auslandes entgegen.
Nr. 8.
1 ]
|i Bmheiat am
1. nnd 15* Jeden Monate.
15. April.
Eine Paratyphusepidemie im Kreise Kreuznach.
Von Kreisarzt Dr. Lembke - Kreuznach.
Am 20. September 1904 kam ein Typhnsfall ans Sobernheim,
einem Städtchen von ca. 3500 Einwohnern im Kreise Kreuznach,
zor Anzeige; die Blutnntersnchung ergab jedoch, dass es sich nm
Paratyphus handele. Am 6. Oktober folgte ein zweiter, am 8. Ok¬
tober ein dritter Fall nnd am 10. Oktober wurde ein weiterer
Paratyphusfall im Dorfe Argenschwang, 10 km von Sobernheim
entfernt, festgestellt. Dieser Kranke hatte bis zu seiner Er¬
krankung auf einer Ziegelei in Sobernheim gearbeitet nnd sich
snr von Sonnabends abend bis Montags früh in seiner Heimat
Argenschwang aufgehalten. Da dieser Ort frei von Typhus war,
so musste natürlich angenommen werden, dass die Infektion in
Sobernheim erfolgt war. Es waren dies die ersten Paratyphus¬
tille, die im Kreise festgestellt wurden. Blutuntersuchungen waren
bereits seit Oktober 1903 bei den meisten Typhuserkrankungen
Torgenommen worden, ohne dass bisher jemals Paratypbus ge¬
tänden war. Da die Zahl der Typhuserkrankungen im Kreise
eine grosse ist (1903: 126 Fälle, 1904: 73 Fälle), so wäre es
wunderbar gewesen, wenn zufälligerweise gerade die Paratyphus-
.fiUle bei den Blatantersnchnngen nicht gefunden worden wären.
Man konnte also annehmen, dass im Laufe des letzten Jahres
Paratyphus im Kreise nicht aufgetreten war; deshalb mussten die
jetzigen Erkrankungen ganz besonderes Interesse erwecken.
Die innerhalb vier Wochen nacheinander erkrankten vier
Personen hatten untereinander gar keine Verbindung gehabt,
fall I war Arbeiter auf einer oberhalb Sobernheims isoliert im Felde
234
Dr. Lcmbke.
liegenden Pf.schen Ziegelei (s. Skizze S. 236); er hatte seinen Wohn¬
sitz in Argenschwang und demzufolge kaum in Sobernheim verkehrt.
Fall II (Uebers. Nr. 3) war Dienstmädchen in einem Manufaktur¬
warengeschäft mitten in Sobernheim. Fall III (Uebers. Nr. 8)
war zwar ebenfalls Ziegeleiarbeiter, aber in einer anderen, ganz
entfeint von der ersten vor einem anderen Tore liegenden Zie¬
gelei (von Ha.); er war ein Saisonarbeiter, ein Lippe - Detmolder,
der wochenlang nicht von der Ziegelei gekommen und insbeson¬
dere nicht mit Arbeitern der anderen Ziegelei verkehrt hatte.
Fall IV (Uebers. Nr. 9) betraf ein Schulkind, das ebenfalls vor
der Stadt, aber an entgegengesetztem Ende wohnte. Ein Verkehr
dieser Personen untereinander oder durch Zwischenpersonen hatte
tatsächlich nicht stattgefunden. Die Bezugsquellen für Fleisch,
Wasser, Milch etc. waren bei allen vier Erkrankten ganz ver¬
schieden. Gleichwohl musste nach Lage der Dinge für alle vier
Erkrankungen eine gemeinsame Quelle angenommen werden. Es
lag nun die Vermutung nahe, dass vielleicht eine Reihe von Para¬
typhusfällen in Sobernheim in den letzten Monaten vorgekommen,
aber nicht zur amtlichen Kenntnis gelangt waren. Es galt daher
die einzelnen Glieder der Kette oder wenigstens mehrere Glieder
der Kette zu suchen. Zu diesem Zwecke wurden die Schulver¬
säumnislisten, die Erkrankungslisten aller Krankenkassen in
Sobernheim durchgesehen, und bei allen vier in Sobernheim
praktizierenden Aerzten Nachfragen nach typhusverdächtigen
Kranken vorgenommen. Alle Kranken, die nur irgend wie in Be¬
tracht kommen konnten, wurden aufgesucht und von ihnen Blut¬
proben an das Laboratorium der Königlichen Regierung zu Ooblenz
geschickt. Die meisten dieser Personen waren bereits wieder
genesen. Es gelang aber auf diese Weise noch 9 Paratyphusfälle
ausfindig zu machen (s. Uebersicht, S. 237); bei 7 Kranken, die
ebenfalls verdächtig waren, fielen die Blutuntersuchungen negativ
aus. Vier weitere Kranke, die nach der Angabe des behandelnden
Arztes dieselben Krankheitserscheinungen gezeigt hatten, wie die
13 festgestellten Fälle, waren nicht zur Untersuchung gekommen.
Die sichere Feststellung von 13 Paratyphuskranken, die sich
ziemlich gleichmässig über die ganze Stadt verteilten, lässt jedoch
erkennen, dass in Sobernheim von Ende August bis Oktober 1904
eine über die ganze Stadt verbreitete Paratyphusepidemie ge¬
herrscht hatte. Von Sobernheim aus war dann durch den Ziegelei¬
arbeiter die Krankheit nach Argenschwang verschleppt worden,
wo noch dessen Frau und zwei Kinder an Paratyphus erkrankten.
Der erste von den Paratyphuskranken ist am 29. August
erkrankt, der zweite 12 Tage später und hierauf ein Kranker
nach dem audern in Zwischenräumen von 1, 2, 3 auch 4 Tagen
gefolgt; die beiden letzten Erkrankungen haben 6 und 7 Tage
zwischen sich. Niemals erkrankte eine Gruppe von Kranken
gleichzeitig. Rechnet man selbst alle 11 verdächtigen Kranken
hinzu, so wird das Bild kaum anders; zwar sind die zwei Söhne
des Kaufmanns Hz. (Fall 2 und 3 der Paratyphusverdächtigen) und
am 29. September auch 2 Personen gleichzeitig erkrankt, aber ein
Eine Paratyphosepidemie im Kreise Kreuznach.
235
gemeinsames Erkranken, wie es bei einer Bronnen- oder Milch¬
epidemie beobachtet wird, hat nicht stattgefunden.
Ueber die Inkubationszeit lassen sich aus den Beob¬
achtungen dieser kleinen Epidemie keine sicheren Schlösse ziehen;
immerhin gewähren sie einige Anhaltspunkte. Der zuerst am
29. August erkrankte Arbeiter S. ging noch am gleichen Tage
nach Stromberg, um eine 14 tägige Gefängnishaft abzubüssen. Er
fühlte sich damals nicht schwer krank und glaubte, sich im Ge¬
fängnis auskurieren zu können. Die Kranken, die von ihm in
Sobernheim direkt infiziert sein können, müssen also vor dem
29. August infiziert sein. Da nun hier die nächsten Kranken am
10. und 13. September krank geworden sind, so würde sich eine
Inkubationszeit von mehr als 14 Tagen (direkte Uebertragung
vorausgesetzt) ergeben. S. hat auch seine in Argenschwang
wohnende Frau und Kinder angesteckt. Er ist am 27. August
Sonnabends von Sobernheim nach Hause gekommen und hier bis
znm 29. August geblieben. Die zuerst infizierte und am 5. Oktober
erkrankte Tochter kann jedoch nicht gut in dieser Zeit infiziert
sein; da sie später mit dem Vater erst wieder am 13. September
sach seiner Rückkehr aus dem Gefängnis in Berührung gekommen
ist, so kann die Inkubationszeit nicht mehr als 22 Tage betragen.
Nach dieser Berechnung würde also eine Inkubationszeit von 15
bis höchstens 21 Tagen herauskommen. Priefer hat bei der
Saarbrücker Epidemie eine solche von 13 bis 17 Tagen berechnet.
Ueber die Krankheitserscheinungen vermag ich de¬
taillierte genaue Angaben nicht beizubringen, da ich die Kranken
weder behandelt, noch regelmässig gesehen habe. Einzelne Kranke
sah ich allerdings mehrmals; ebenso habe ich wiederholt mit
den behandelnden Aerzten die Krankheitserscheinungen besprochen.
Ich habe den Eindruck gewonnen, dass der Paratyphus weit
leichter und kürzer verläuft, als der Typhus abdominalis. Das
Fieber war meist leicht und kurz, selten über 38,5°; es zeigte
Bichts Typisches und dauerte selten länger als 14 Tage, meistens
weniger. In einzelnen Fällen bestand die Krankheit überhaupt
bot in 2 — 3tägigem fieberhaften Unwohlsein; die Krankheits-
erscheinungen waren hier so geringfügig, dass der Arzt nur ein-
bis zweimal konsultiert wurde. Roseola und MilzvergrösBerungen
fdilten meistens oder sind wenigstens von den Aerzten nicht fest¬
gestellt. Die Zunge war nur wenig belegt und nicht trocken.
Diarrhöen fanden sich mitunter im Anfänge, bisweilen auch Er¬
brechen. Während der eigentlichen Krankheit herrschte meistens
Verstopfung. Allgemein wurde über grosse Müdigkeit und
Schmerzen im Kopf und Bücken geklagt, im Anfang besonders
fber Halsschmerzen. Im allgemeinen glichen die Krankheits¬
erscheinungen mehr denen bei Influenza als bei Typhus. Be¬
zeichnend ist ja auch, dass aus der ganzen Epidemie nur vier
Fälle, und zwar gerade die schwersten, als Typhus zur Anzeige
gebracht wurden, wiewohl gerade die dortigen Aerzte durchaus
sicht Typhuställe durch Nichtanzeige zu vertuschen pflegen.
Ueber */, aller Paratyphusfälle waren klinisch als Typhus nicht
236
Dr. Lembke.
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Eine Paratyphusopidemie im Kreise Kreuznach.
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Paratyphusepidemie im Kreise Kreuznach.
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A. Paratyphuskranke in Sobernheim.
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42 Hintergasse 22
20 Neugassc 87
18 Ober-
viertelsg. 370
Gerberciarbciter
Dienstmädchen
Hausknecht im
Hotel
(am Markt)
28 Priorhofstr. C 53| Bahnarbeiters¬
frau
39 Neugasse A 69
12 Alter Weg C 82
21 Ziegelei Ma.
5 1 /* Monzinger
Chaußee
24 Mittlere Groß
gasse C 24
38 Alter Weg G 94!
Koloni&lwaren-
bändlcr
Fabrikarbeiter
(Papierfabrik)
i Ziegeleiarbeitcr
1 Ackerer und
Schuhmacher
Ackerer
Schirmmacher
12 Schl. 45 Herrengasse C82
13 Z. 2 l /e| Fröschengasse
B. Paratyphusv
32 Igelsbach A 37
12 Igelsbacb
13 j Igelsbach
30 |UntcreGroßgasse
Hüttenbergstr.
®; D 108
Monzinger
-51 Chaußee
dSjl Neugasse 100
Gymnasialstr.
B 111
Neugosse 100
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5. X.
10. X.
4 W.
20. X.
26. X.
3 W.
27. X.
mir ver¬
däch¬
tig
3 T.
2Z.,2E.,5K.,
benutzt 1Z.
2Z.,4E.,2K.
5 Z., 4 E., 1 K.
1 Z.,3E.,2 K.,
krank ge¬
legen beim
Bruder
5Z.,4E.,5K.,
benutzt nur
1Z.
9 Z., 4 E.
4Z.,4E.,3K.,
benutzt nur
1 Z.
2 Z., 5 E.
7Z.,5E.,3K.,
benutzt 2 Z.
5 Z., 5 E., 1K.
4Z.,4E.,6K.,
benutzt nur
1Z.
5Z.,2E.,2K.
1Z.,2E.,2K.
heim.
Blutunter¬
suchungen
fanden
nicht statt
Blutunter¬
suchungen
fielen
negativ aus
identisch mit
S. Nr. 1.
Blutprobe am
10. X. nega¬
tiv, am 26. X.
positiv
Blutunter¬
suchung
negativ
I
238
Dr. Lembke.
zu erkennen. Ein Patient (der zuerst erkrankte S.) starb; er
war ein schwächlicher Arbeiter, der in sehr ärmlichen Verhält¬
nissen lebte und nach Ausbruch der ersten Krankheitserscheinungen
„sein leichtes Unwohlsein“ benutzt hatte, eine 14 tägige Gefängnis¬
strafe zu verbüssen, um sich „dort zu erholen“. Während der
Haft gelang es ihm, sein Kranksein zu verheimlichen. Gleich
nach seiner Entlassung musste er sich zu Bett legen und starb
am 13. Oktober 1904, also 46 Tage nach Ausbruch der Krankheit,
unter Darmblutungen. Ich möchte diesen Todesfall weniger dem
Paratyphus zur Last legen, als den Entbehrungen, schlechter
Pflege und allgemeiner Körperschwäche.
Bei dieser Paratyphusepidemie interessiert vor allen Dingen
die Frage ihres Ursprungs. Bekanntlich nimmt man an, dass der
Paratyphus infolge Genusses infizierten Fleisches entstehen kann;
die Paratyphusepidemie spielt sich dann zunächst unter dem Bilde
einer Fleischvergiftung ab (s. Trautmann’s „Höchstakute Er¬
scheinungsform dieser Infektionshrankheit“); es entwickelt sich
hierauf „die subakute Erscheinungsform der Krankheit“, und ihre
weitere Verbreitung kann gerade so wie bei Typhus abdominalis
erfolgen, durch Kontakt, durch Wasserversorgungsanlagen, Milch
usw. und auf diese Weise auch Verschleppung in andere Orte statt¬
finden. Trautmann sagt: „Kot und Harn der kranken Tiere oder
typhuskranker Menschen kann so gut ins Trinkwasser gelangen
wie Typhusstuhl. Auch alle anderen Infektionswege gelten hier wie
für Typhus.“ Dass es sich bei unserer Epidemie um keine Fleisch¬
vergiftung gehandelt hat, liegt auf der Hand. Schon die zeitliche
Aufeinanderfolge der einzelnen Fälle spricht dagegen. Bei einer
Fleischvergiftung hätten wir gleichzeitig eine Gruppe von Para¬
typhuserkrankungen in einer Familie haben müssen. Nichts von
alledem. Ueberdies wurde auch durch Nachfragen festgestellt, dass
gerade die ersten Kranken teilweise überhaupt kein Rindfleisch, —
und dieses soll ja vor allem der Träger der Paratyphusbazillen sein, —
gegessen oder Fleisch von verschiedenen Metzgern geholt hatten.
Insbesondere wurde auch festgestellt, dass in den Familien der
zuerst Erkrankten weiter keine Erkrankungsfälle aufgetreten
waren. Ueberdies war nach den Angaben des dortigen Tierarztes,
der auch die Fleischbeschau in Sobernheim ausübt, irgendwie
verdächtiges Vieh in der fraglichen Zeit nicht geschlachtet.
Notgedrungen musste man somit Einschleppung des Para¬
typhus in den Kreis annehmen. Dafür gaben auch die weiteren
Nachforschungen gewisse Anhaltspunkte: In den zum benachbarten
Kreis Meisenheim gehörenden und von Sobernheim 8—12—14 km
entfernten Orten Meisenheim, Raumbach, Desloch, Bärweiler waren
namentlich in den Monaten Juli und August 1904 mehrere Fälle
von Paratyphus vorgekommen, so dass der Gedanke naheliegt,
dass von dort aus der Paratyphus nach Sobernheim eingeschleppt
ist, zumal in den anderen Nachbarkreisen Paratyphus bisher nicht
aufgetreten war. Dafür spricht auch der Umstand, dass der zu¬
erst erkrankte Ziegelarbeiter im Juli und August mit zwei Ar¬
beitern aus Lauschied, */* Stunde von den eben erwähnten Orten
Eine Paratypkusepidemie im Kreise Kreuznach.
239
des Kreises Meisenheim entfernt, die täglich von dort nach Sobern-
heim kommen, zusammengearbeitet hatte, und einer dieser Arbeiter
von einem der Sobernheimer Aerzte mehrere Tage lang Ende
August an einem „fieberhaften Darmkatarrh“ behandelt worden
war. Ob auf diese Weise wirklich der Paratyphus nach Sobern-
heim verschleppt ist, hat sich allerdings durch die weiteren Nach¬
forschungen nicht erweisen lassen; unwahrscheinlich wird sie
sogar, wenn der Pfarrer St., der nach Angabe des behandelnden
Arztes bereits Mitte August die klinischen Erscheinungen des
Paratyphus bot, wirklich Paratyphus gehabt hat. Immerhin kann
aber auch aus dem Kreise Meisenheim auf andere Weise als durch
die Ziegeleiarbeiter der Infektionsstoff nach Sobernheim geschleppt
sein; jedenfalls muss eine Einschleppung von auswärts angenommen
werden.
Wie hat sich nun der Gang der Weiterverbreitung in
Sobernheim gestaltet, nachdem einmal der Krankheitsstoff dorthin
gelangt war? Dass nicht eine gleichzeitige gemeinsame Infek¬
tion der Mehrzahl oder auch nur einer Gruppe von Personen
durch Nahrungsmittel stattgefunden hat, ist vorher schon bemerkt
worden; dagegen spricht nicht nur das Nacheinandei auftreten der
einzelnen Fälle, sondern auch der Umstand, dass die einzelnen
Kranken gar keine gemeinsamen Bezugsquellen von Nahrungs¬
mitteln gehabt haben. Sobernheim besitzt zwar eine Zentralwasser¬
leitung, aber zufälligerweise war von den vier zuerst erkrankten
Personen nur eine Haushaltung der Leitung angeschlossen; von
den übrigen hatte jede einen besonderen Brunnen benutzt. Ebenso
waren für alle anderen in Betracht kommenden Nahrungsmittel die
Bezugsquellen verschieden. Berechtigt erscheint dagegen die An¬
nahme einer Kontaktinfektion, dazu würde auch das Nacheinander¬
auftreten der Fälle passen. Die Uebertragungen in Argenschwang
müssen überhaupt als solche aufgefasst werden; denn hier sind
die Frau und zwei Töchter (eine nur verdächtig) des zuerst er¬
krankten Ziegeleiarbeiters S. nacheinander erkrankt. Aber auch
für einzelne Fälle in Sobernheim liess sich ein Verkehr der ein¬
zelnen erkrankten Personen direkt untereinander oder durch
Mittelspersonen nachweisen. So hat z. B. der Hausbursche in
einem Hotel (Fall 4) täglich das Mittagessen für die Söhne des
Besitzers nach der Ziegelei hinausgetragen und hierbei mit dem
Ziegeleiarbeiter J. (Fall 8) verkehrt; der erstere erkrankte am
17. Septbr., der andere am 27. Septbr. Die Angehörigen der Kranken
Nr. 7 und 9 arbeiteten zusammen in derselben Fabrik und in dem¬
selben Zimmer. Eine weitere Anzahl von Kranken hatte wieder
Verbindung durch die Schule. Im allgemeinen ist aber der Verkehr
der einzelnen Kranken untereinander doch ein zu geringer ge¬
wesen, als dass dadurch überall die Infektion erklärt werden könnte,
zumal es anderseits doch auffallen muss, dass gerade die nächste
Umgebung des Kranken von der Ansteckung verschont geblieben
ist. Wenn man unbefangenen Auges die Verhältnisse betrachtet, muss
man sich vielmehr unwillkürlich die Frage vorlegen: „Ist denn
dieKrankheit überhaupt von Person zu Person direkt über-
240
Dr. Lembke.
tragbar?“ Bei allen Kranken herrschten die denkbar ungünstigsten
sanitären Verhältnisse. Enge Wobnräume, unsaubere Zimmer, als
Abort häufig einfache Erdlöcher, die ihren Inhalt ttber den ganzen
Hof ergossen. Dabei war fast nirgends von irgend welcher Isolie¬
rung oder Desinfektion der Abgänge die Rede, da ja bei den meisten
der Erkrankten während der Erkrankung an Ansteckungsmöglich¬
keit überhaupt nicht gedacht worden war; denn die meisten Fälle
wurden erst festgestellt, nachdem die Krankheit beendet war.
Einer der Kranken, Hm., (Nr. 4) hatte z. B. während der ganzen
Krankheit, fast 4 Wochen, mit seinem älteren Bruder in einem
Bette geschlafen. Diese Familie, eine Arbeiterfamilie, bestand
aus drei Erwachsenen und zwei Kindern und hatte nur einen
Raum, der als Wohn-, Schlafzimmer und Küche, und jetzt auch
noch als Krankenzimmer diente. In einer anderen Familie (Nr. 5)
wohnten vier Erwachsene und fünf Kinder in demselben Raum,
in dem überdies noch gekocht wurde; die Kinder hatten ab¬
wechselnd bei der kranken Mutter vier Wochen lang im Bett
gelegen. Eine Ackerersfrau, die ihren kranken Sohn wochenlang
gepflegt hatte, hatte gleichzeitig auch den Milchverkauf besorgt;
von den sämtlichen Milchkunden erkrankte nicht einer. Aehnlich
lagen die Verhältnisse bei den anderen Kranken. Uebertragungen
auf andere Familienmitglieder oder Hausgenossen oder Nachbarn
sind nicht vorgekommen. (In einem anderen Orte des Kreises
habe ich später noch beobachten können, dass eine Paratyphus¬
kranke, bis sie bettlägerig krank wurde, die sog. kalte Küche
der Bahnhofs-Restauration besorgt hatte; von nachfolgenden In¬
fektionen ist mir nichts bekannt geworden.) Ich möchte hier auch
hinweisen auf die gleiche Beobachtung, die Stabsarzt Priefer
bei der Saarbrücker Epidemie gemacht hat. Hier wurden vom
II. Bataillon des Infanterie-Regiments Nr. 70 80 Personen be¬
fallen. Der zuerst erkrankte Musketier, von dem die Epidemie
ihren Ausgang nahm, infizierte keinen Mann von seinen Stuben¬
kameraden und auch sonst keinen, mit dem er umzugehen pflegte.
Jedenfalls lässt die Beobachtung aus der Sobernheimer Epidemie
den Schluss zu, dass die Gefahr der Uebertragung von Person zu
Person nicht sehr gross sein kann; mag nun Mangel an Empfäng¬
lichkeit, an Disposition, oder leichtes Zugrundegehen der Infektions¬
keime die Ursache sein. Ebenso wird die eigenartige Verbreitung
im Ort nicht erklärt durch infizierte Wasserleitung, infizierte
Milch, infiziertes Fleisch usw.
Bei weiterem Fahnden nach gemeinsamem Träger und Ver¬
breiter des Infektionsstoffes stiess ich auf die eigenartige Durch¬
spülung der Strassengossen durch einen kleinen Bach:
Dieser Bach kommt, wie aus dem bei ge fügten Stadtplan ersichtlich ist,
in südlicher Richtung auf Sobcrnheim zugeflossen, gabelt sich etwas unterhalb
der Pf. sehen Ziegelei (Fall 1) in der Weise, daß die größere Wassermenge
um Sobernheim herumzieht und den früheren alten Stadtgraben speist, während
ein kleiner Teil durch die Stadt geleitet ist, der an der höchsten im Norden
gelegenen Stelle in die alte Stadt eintritt und sich hier an der Ecke der
Herrengasse und des Obemertelweges teilt, um von hier aus in zwei Armen —
einmal durch Oberviertelweg, Wilhelmstraße, Großgasse nach dem Obertor zu und
durch die Neugasse, das andere mal durch die Herrengasse und Froschgasse
Eine Par&typhnsepidemie im Kreise Kreuznach.
241
nach dem Markt zu und dnrch die Igelsbachgasse nach dem Stadtgraben zu —
die Stadt zu durchziehen. Eine weitere Abzweigung umzieht das Häuserviertel
an der Herrengasse, um an der Froschgasse wieder in den Hauptkanal zu
münden. Vom Marktplatz aus zweigt sich ein Strang ab, um durch die Pfaffen¬
gasse zum Stadtgraben zu gehen. In der mittleren Großgasse verbindet ein
Arm beide Hauptstränge. Dieses Bachwasser läuft aber nicht in einem be¬
sonderen Bett, sondern benutzt die offenen flachen Straßengossen, die durchaus
nicht besonders vertieft sind. Oberhalb der Stadt, am Hauptbach, ist eine
Stauvorrichtung, mittels derer man beliebig viel Wasser durch die Stadtgossen
schicken kann. Ist wenig Wasser im Bach, so sind diese Straßengossen ganz
trocken, bei Begenwasser führen sie reichlich Wasser. Allwöchentlich wird
aber wenigstens einmal durch Aufstauung des Baches Wasser durch die
Straßengossen geschickt; die Vorrichtung dient dazu, die Straßengossen zu
durchspfllen und zu reinigen. Leider hat nun diese an und für sich ganz
zweckmäßige Einrichtung dazu geführt, daß man die offenen Straßengossen
auch dazu benutzt hat, sämtliche Hauswässer, Küchenabwässer, Schmutzwässer
von den Höfen oberirdisch durch sie abzuleiten. Auch alle Nebenstraßen senden
ihr mit den Hausabwässern beladenes Straßenwasser in jene Straßengossen. Da
nun aber, namentlich in den kleinen Seitengassen, das Gefäll nur sehr gering
ist, zum Teil sogar die Gossen der Pflasterung entbehren und an vielen Tagen
kein Bachwasser durch die Straßen geht, so stagnieren hier oft und lange
große Schmutzlachen, Jauche und Küchenabfälle. Bei stärkerem Zufluß des
oben erwähnten Baches, insbesondere nach Bcgcnwetter, werden dann von Zeit
zu Zeit diese Schmutzstoffe von den oberen Teilen der Stadt durch die Straßen
des Ortes in den Stadtgraben gespült. Wie groß die Menge der durch die
Stadtgossen gespülten Schmutzstoffe ist, läßt sich am besten daran erkennen,
daß in dem Stadtgraben unterhalb der Stadt dieser einen Schlamm von 1 m Höhe
abgesetzt hat. Daß bei dieser Einrichtung einmal auch Infektionsstoffe durch
alle Straßengossen geschwemmt und durch den ganzen Ort verbreitet werden
können, liegt auf der Hand. Auch ist es sehr wohl möglich, daß einmal in
dem stagnierenden Schmutzwasser der Straßengossen Infektionskeime längere
Zeit erhalten bleiben.
Für die in Rede stehende Par&typhns- Epidemie ist es non
ron Bedeutung, dass der zuerst erkrankte Arbeiter S. auf der
Ziegelei in der Nähe dieses Baches oberhalb Sobernheims ge¬
arbeitet hat, und die anderen Arbeiter dieser Ziegelei, welche
möglicherweise den Paratyphus nach Sobernheim geschleppt haben,
grade täglich bei ihrem Wege zur Arbeitsstätte am Bach und
einem Seitengraben desselben entlang gegangen sind und vielleicht
auch dort ihre Notdurft in den Wassergraben hinein verrichtet
haben. Von hier aus können dann infektiöse Stuhlgänge in die
Strassengossen gelangt sein und sich in der Stadt verteilt haben.
Weiterhin hat eine der zuerst erkrankten Personen (Fall 4) vom
17. September ab, also vom Anbeginn der Epidemie ab, vier
Wochen lang in der Oberviertelsgasse bei seinem Bruder krank
gelegen; gerade von diesem Hause gehen aber die Hauswässer
anf die ungepflasterte Strassengosse, und vermutlich sind auch
meistens die Stuhlgänge dieses Kranken in die Strassengosse un-
desinfiziert gegossen worden, so dass wahrscheinlich von hier aus
von Zeit zu Zeit infektiöse Stuhlgänge durch die offenen Strassen¬
gossen der Stadt gespült sind. Die Möglichkeit, ja sogar eine
grosse Wahrscheinlichkeit spricht dafür, dass hierdurch die Para¬
typhuskeime sich in der ganzen Stadt verbreiten konnten und
durch die Stiefel der in die Gossen tretenden Personen in die
Wohnungen geschleppt worden sind. Fast alle Personen, die er¬
krankt sind, sind solche, die gewohnt sind, sich selbst und für
242
Dr. Nickel.
andere das Schuhzeug zu putzen. — Hausdiener im Hotel, Haus¬
mädchen, Ziegelei-, Gerbereiarbeiter, Ackerer —; es liegt somit
nahe, dass sie auch mal mit schmutzigen und auf diese Weise
infizierten Fingern gegessen und sich infiziert haben. Durch diese
Annahme würde dreierlei erklärt: einmal das Nacheinanderaultreten
der Krankheitsfälle und die eigenartige Verteilung in der Stadt und
der Umstand, dass im ganzen doch nur wenig Personen erkrankten.
Auffallen muss es, dass, trotzdem der Infektionsstoff in der
ganzen Stadt verbreitet war, die Epidemie nicht mehr Er¬
krankungen verursacht hat und dass es nirgends zu einer Massen¬
erkrankung durch Wasser, Milch etc. gekommen ist, wozu doch
reichlich Gelegenheit war, zumal doch während der ganzen Wochen
fast nirgends Isolierung der Kranken und Desinfektion der Ab¬
gänge vorgenommen worden ist und in fast allen Typhushäusern
die für die Verbreitung denkbar günstigsten Verhältnisse herrschten.
Die beiden Kranken, deren Meldung am 20. September und
6. Oktober einging, wurden sofort in das dortige Krankenhaus
überführt und ihre Wohnung desinfiziert. Eine eigentliche Be¬
kämpfung der Epidemie setzte erst ein, als der dritte und vierte
Fall zur Kenntnis kam, nämlich am 10. Oktober. Damals aber
waren fast alle Kranken bereits genesen oder doch schon Rekon¬
valeszenten. Es wurden ihre Wohnungen sofort durch Scheuer¬
und Formalindesinfektion und ebenso auch die Aborte mit Kalk¬
milch desinfiziert. Ferner wurde angeordnet, dass sämtliche
Schulaborte und alle öffentlichen Aborte und Pissoirs, auch die
aller Gastwirtschaften zweimal wöchentlich mit Kalkmilch des¬
infiziert wurden. Nach jener Zeit trat nur noch eine Erkrankung
am 15. Oktober ein; die Epidemie hatte somit ihr Ende schneU
erreicht. Mehrere tüchtige Regentage haben vermutlich auch den
Infektionsstoff aus den Gossen der Strassen hinausgespült.
lieber die Meldepflicht von Kindbettfieber nach dem neuen
Hebammenlehrbuch.
Von Kreisarzt Dr. Nickel • Perleberg.
Das neue Hebammenlehrbuch macht im Gegensatz zu dem
bisherigen die Meldepflicht der Hebammen bei Kindbettfieber von
der Beurteilung des Krankheitsfalles durch den behandelnden Arzt
abhängig. Welche Konsequenzen diese Vorschrift nach sich ziehen
kann, dafür bin ich jetzt schon in der Lage, ein leider sehr trauriges
Beispiel anzuführen.
ln der Stadt A. wurde die Hebamme B. am 28. Dezember 1904 zu der
Frau C., einer 28jährigen Zweitgebärenden gerufen, um den nötigen Beistand
bei der Entbindung zu leisten. Diese ging ohne Kunsthilfe von statten; die
Frau fühlte sich jedoch schon bei der Entbindung nicht wohl. Der hinzu¬
gezogene Arzt Dr. D. hielt die Krankheit bei der herrschenden Influenzaepidemie
für Grippe, ließ aber in der Annahme, daß die Fiebersteigerung vielleicht
durch zurückgebliebene Blutgerinnsel verursacht sein konnte, durch die Heb¬
amme Scheidenausspülungen machen. Nach Angabe der Frau C. selbst war
der Ausfluß auch übelriechend. Die Wöchnerin erholte sich sehr langsam.
Am 31. Dezember 1904 wurde die Frau E. (32 Jahre alt, Zweitgebärende)
von derselben Hebamme entbunden. Auch diese Frau erkrankte am dritten
Tage unter Fiebererscheiuungen und Schmerzen in der rechten Bauchseite.
Heber die Meldepflicht von Kindbettfieber nach d. neuen Hebammenlehrbuch. 243
Das Fieber stieg bis auf 40°, ließ aber nach einigen Tagen wieder nach.
Aerztlieh wurde dieser Fall von Dr. F. als Influenza angesprochen. Die Frau
£. wurde wieder gesund.
Am 3. Januar 1905 leistete nun die Hebamme B. der in der Nachbar¬
schaft der Frau C. wohnenden Frau G. Hilfe bei ihrer sechsten Entbindung.
Diese verlief leicht, und das Befinden der Wöchnerin war in den ersten drei
Tagen des Wochenbettes normal. Am 6. Januar früh Schüttelfrost, Ziehen in
den Gliedern und besonders im Leib, Temperatur früh 40, abends 39,4. Die
Hebamme drang nun am Abend auf die Zuziehung eines Arztes. Dr. F. erklärte
bei dem Mangel an nachweisbaren objektiven Veränderungen die Krankheit
für Influenza und gestattete der Hebamme die weitere Wochenbesuchc. Das
Fieber schwankte in den nächsten Tagen zwischen 3S,7 und 39,6; das Befinden
der Wöchnerin verschlechterte sich von Tag zu Tag. Am 12. Januar wurde
noch ein zweiter Arzt Dr. H. zugezogen; mit den Ratschlägen beider Aorzte
war jedoch der Ehemann nicht zufrieden, und übertrug am 13. Januar die Be¬
handlung seiner Frau dem Dr. J. Dieser erstattete sogleich Anzeige von dem
Krankheitsfall und verbot der Hebamme die weiteren Wochenbesuche. Bei der
Besichtigung am selben Tage war Fieber 40,3, starke Somnolenz, beschleunigter
Atem, Puls schnell und weich, Leib stark aufgetrieben, jedoch nicht prall ge¬
spannt, Ausfluß stinkend. Am 14. Januar 1905 Exitus.
Dieselbe Hebamme Frau B. hat endlich am 7. Januar die Frau K.
(30jährige Erstgebärende) entbunden. Auch diese Entbindung verlief normal,
and das Befinden der Wöchnerin war zunächst ein gutes. Am 10. Januar
jedoch traten Fieber und Kopfschmerzen ein, die Temperatur war früh 40,
Abends 39,6. Brüste waren 6tark angcschwollen, Ausfluß nicht übelriechend,
Leib nicht empfindlich, äußere Genitalien nicht angeschwollen. Am 11. Januar
früh 39,4, abends 39,3. Der hinzugezogene Arzt Dr. F. erklärte auch diesen
Krankheitsfall zunächst für Influenza. Erst am 16. Januar wurde derselbe als
Puerperalfieber gemeldet. Bei der Besichtigung am 17. Januar Puls 130—140,
Respiration 48. Delirien. Leib aufgetrieben, in der rechten Seite schmerz¬
empfindlich. Ausfluß wenig übelriechend. Aeußcre Genitalien nicht angc¬
schwollen. Am 19. Januar Exitus.
Wenn man nun aueü in den beiden ersten Fällen annehmen
wollte, dass es sich nicht um eine puerperale Erkrankung, sondern
um Influenza gehandelt habe, so sind doch die beiden zuletzt ge¬
nannten unzweifelhaft als Kindbettfieber anzusprechen.
< k Nach der in hiesiger Provinz unter dem lt. Dezember 1879
erlassenen Ob er präsidial Verordnung ist die Hebamme verpflichtet,
jeden Fall von Kindbettfieber und jeden den Verdacht des Kindbett¬
fiebers erregenden Krankheitsfall unverzüglich dem Kreisarzt schrift¬
lich oder mündlich anzuzeigen. Von dieser Verpflichtung glaubte
sich die betreffende Hebamme nach dem Wortlaut des neuen Lehr¬
buchs befreit nnd hatte deswegen die beiden ersten Krankheits-
f&lle berhaupt nicht und den dritten erst nach Zuziehung des
Dr. J. angezeigt. Ich selbst teilte die Ansicht der Hebamme, unter¬
breitete jedoch die Angelegenheit dem Herrn Regierungspräsidenten.
Nach dessen Bescheidung wird die Gültigkeit der Polizeiverord-
nuug von dem Hebammenlehrbuch nicht berührt und bleibt nach
wie vor in Kraft.
Welche Gesichtspunkte für die Fassung des § 481 des
Hebammenlehrbuchs massgebend gewesen sind, entzieht sich
meiner Kenntnis. Dem Arzt wird dadurch eine grössere Verant¬
wortlichkeit in sanitätspolizeilicher Beziehung aufgebürdet, ohne
dass er irgendwie darauf aufmerksam gemacht wird. Auch der
Entwurf zur Bekämpfung ansteckender Krankheiten sieht eine
Anzeigepflicht bei den verdächtigen Fällen vor; warum also diese
ganz abweichende Bestimmung im neuen Hebammenlehrbuch?
244
W. Rettig
Nach Lage der mitgeteilten Fälle möchte ich den Fall G.
als die Ursprungsqaelle der puerperalen Erkrankungen ansehen;
von ihm aus sind die Fälle E., G-. und K. infiziert. Selbst wenn
man die Fälle C. und E. als Influenzaerkrankungen ausschalten
wollte, dann würden immer noch die beiden Erkrankungen Gr. und
K. übrig bleiben. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen diesen
beiden Kindbettfieber ist nach meiner Ansicht ganz zweifellos. Die
Erkrankung K. hätte sich vermeiden lassen, wenn der Fall ö.
sogleich, d. h. am 6. Januar zur Meldung gebracht wäre; denn in
keinem Falle würde der Hebamme gestattet worden sein, schon
am 7. Januar Entbindungen zu machen.
Die Hebamme hatte bei allen vier Frauen die zur Verhütung
des Kindbettfiebers gegebenen Vorschriften dem Wortlaute nach
erfüllt. Sie hatte jedoch in allen Fällen Scheidenausspülungen
auf eigene Faust gemacht und wurde deswegen im Aufsichtswege
bestraft. Für ein gerichtliches Einschreiten lag keine Handhabe
vor. Mit Rücksicht auf die bevorstehende Verhandlung der vor¬
stehenden Frage auf der Hauptversammlung der Preussischen
Medizinalbeamten möchte ich hier weitere Erörterungen unter¬
lassen; für dringend notwendig erachte ich jedoch die Abände¬
rungen der obigen Bestimmungen des Lehrbuches über die Melde¬
pflicht der Wochenbetterkrankungen. Nicht nur jedes ausge¬
sprochene Kindbettfieber, sondern jede fieberhafte Erkrankung im
Wochenbett, bei der die Möglichkeit der Uebertragbarkeit auf
andere vorliegt, muss m. E. die Hebamme unverzüglich melden.
Nur so lässt sich eine Weiterverbreitung infektiöser Wochenbett¬
erkrankungen mit einiger Sicherheit verhüten.
Zur Schulbankfrage.
Erwiderung auf den Schn eiderschcn Artikel.
Von Oberbaurat a. D. W. Rettig - München.
In der Nr. 22 vom vorigen Jahrgang dieser Zeitschrift ist
ein Aufsatz „Zur Schulbankfrage“ von Kreisarzt Dr. Schneider,
ständigem Hilfsarbeiter der Königlichen Regierung in Arnsberg,
erschienen, auf welchen, wenn auch sehr verspätet, meine Auf¬
merksamkeit gelenkt wurde.
Da aber der Herr Verfasser im Rahmen seiner Ausführungen
ungerechtfertigte Bemängelungen meiner „Rettigbank“ erhebt, so
sehe ich mich genötigt, diese abzuwehren, und zwar um so mehr,
als sie von einem Kreisarzt und ständigen Hilfsarbeiter einer
Königlichen Regierung ausgehend, in einem Organ für Medizinal¬
beamte erschienen und solcherweise wohl imstande sind, in ärzt¬
lichen, besonders aber in schulärztlichen Kreisen, das Urteil zu
verwirren. Erwähnen will ich noch, dass Herr Dr. Schneider
seitens der Schulbank-Firma P. Joh’s Müller & Co. in Charlotten¬
burg, als Inhaberin meines Patentrechtes, in einer Zuschrift
darüber aufgeklärt wurde, dass sich die Rettigbank, wie
schon aus den Preisverzeichnissen und Katalogen
Zur Schulb&nkfrage.
245
ersichtlich ist, in jeder gewünschten Abmessung her¬
steilen lässt, dass man sie mit aufklappbarer, um¬
klappbarer oder verschiebbarer Tischplatte und mit
beweglichem Sitz ausftthren kann, in einzelnen Fällen
auf Wunsch der Besteller auch ausgeführt hat, und
ersucht worden ist, auf Grund dieser Aufklärung eine Berichtigung
seiner irrtümlichen Angriffe zu bringen, dass Herr Dr. Schneider
aber diese Berichtigung zu bringen, sich nicht veranlasst sah,
und es in seiner Erwiderung der genannten Firma anheimstellte,
selbst zu berichtigen.
An deren Stelle habe ich nun die Berichtigung im folgenden
selbst übernommen:
Herr Dr. Schneider schrieb: „Das wirklich Neue, das die
Bettigbank brachte, ist bekanntlich allein die Umlegevorrichtung.
Zweisitzige Bänke gab es schon vor der Rettigbank, ebenso bieten
ihre bekanntlich im Laufe der Jahre teilweise geänderten Ab¬
messungen nichts Eigenartiges.“ Hierauf habe ich nur zu er¬
widern, dass ich mir keineswegs anmasse, die „zweisitzige Bank“
erfunden zn haben. Ich habe aber diejenige zweisitzige
Bank erfunden, welche brauchbarer ist, als die vor¬
dem bekannte, was der hunderttausendfache Ersatz
der letzteren durch die „Rettigbank“ beweist. Die
Umlegbarkeit an und für sich allein ist nicht die Er¬
findung, auf welche ich in erster Linie stolz bin. Erst
der Umstand, dass die Umlegbarkeit die Gestaltung
der Schulbank unabhängig macht von der Rücksicht
auf die unumgänglich notwendige Schulsaalreinigung,
so dass sie ausschliesslich nach Massgabe der Rück-
sichtauf die schulische Benutzung selbst hergestellt
werden kann, erst dieser Umstand ist es, durch
welchen meine Erfindung bahnbrechend geworden
ist. Ueber Abmessungen, Anbringen eines Fuss-
rostes, verkürzten Sitz, feste oder bewegliche Teile
habe ich zwar meine sichere persönliche Meinung,
welche ich seinerzeit in meiner im Jahre 1895 er¬
schienenen Druckschrift „Neue Schulbank“ dargelegt
habe und auch heute noch in allen wesentlichen
Punkten aufrecht erhalte; aber gerade das habe ich
stets als einen Vorzug meines Systems angesehen,
dass jede Schulbehörde meine Bänke nach ihren
eigenen Ueberzeugungen ausführen lassen kann, so¬
weit Einzelheiten in Frage kommen.
Ich ergreife die Gelegenheit, dies einmal all den missver¬
ständlichen Angriffen gegenüber, welche auch in viel gelesenen
Bichern allen den ihren Herren Verfassern wiederholt zugegangenen
Aufklärungen zum Trotz immer noch ein zähes Leben führen, deut¬
lieh zu erklären.
Ich habe mich niemals mit dem naiven Gedanken getragen
„Eigenartiges der Abmessungen“ erfinden zu wollen. Die Ab¬
messungen der Schulbänke hängen bekanntlich von dem Ergebnisse
246
W. Bettig.
der Schalkinder-Messungen ab; ich hatte mich deshalb, wie schon
meine oben genannte Abhandlung auf S. 33—34 besagt, mit jenen
hauptsächlich an die Daten von Dr. med. Spiess-Frankfurt ge¬
halten, dessen umfangreiche Arbeiten auf dem Gebiete der
Messungen und der aus diesen zu ziehenden Lehren auch heute
noch in Fachkreisen als mustergültig angesehen werden. Dass
aber Herr Dr. Schneider konstatiert, die von mir seinerzeit
angegebenen Abmessungen meiner Schulbank seien „im Laufe der
Jahre teilweise geändert“ worden, ist mir nur sehr angenehm,
weil damit erwiesen wird, dass mein System kein Hindernis für
eine freie Ausgestaltung der Einzelheiten in sich birgt. Seite 44,
Punkt 36 heisst es in meiner Schritt: „Die neue Bank kann
unbeschadet ihrer Eigentümlichkeiten in jeder be¬
liebigen Abmessung hergestellt werden.“
Man sollte doch meinen, das wäre nicht misszuverstehen.
Wenn also der Herr Kreisarzt Dr. Schneider in seinem Bezirke
genügende Schulkinder*Messungen vorgenommen hat, um die Bank¬
abmessungen den lokalen Verhältnissen vollkommener anpassen
zu können, als ihm dies nach den in jedem Jahre neu erscheinenden
und im Einverständnis mit mir neu bearbeiteten Katalogen der
Firma P. Joh’s. Müller & Co. angegebenen Abmessungen er¬
reichbar erscheint, so steht diesem Verlangen absolut gar nichts
im Wege.
Herr Dr. Schneider sagt ferner: „Als einer ihrer Haupt¬
vorzüge wird das Fehlen der beweglichen Teile gerühmt,“ und
fügt hinzu, „namentlich für den Verwaltungsbeamten und Archi¬
tekten hat die Einfachheit der Rettigbank etwas Bestechendes.“
Da Herr Dr. Schneider im Anschluss hieran gleich selbst „die
ganzen Unannehmlichkeiten der beweglichen Teile, wie störende
Geräusche, Versagen des Mechanismus, Unhaltbarkeit, häufige
Reparaturen, teure Preise, Verletzungen der Kinder usw.“ angibt,
so kann ich es mir ersparen, dieses „usw.“ durch Ausführung
weiterer Gründe für die Unzulässigkeit beweglicher Bankteile aus-
znfüllen, denn die aufgezählten genügen und sind bekannt genug.
Schrieb doch Herr Geh. Sanitätsrat Dr. Spiess-Frankfurt schon
im Jahre 1885 in der Deutschen Vierteljahrsschrift für öffentliche
Gesundheitspflege, Bd. 17, Heft 2: „Ich neige immer mehr
dazu, bei zweisitzigen Subsellien auf jede Beweg-
lichmachung der Bank zu verzichten, und die Schüler,
wenn sie aufstehen wollen, aus der Bank austreten
zu lassen.“
Die „Einfachheit“ ist bei jeglichen Dingen ein Haupterfor¬
dernis, in ganz besonders hohem Grade aber bei der Schulbank,
die einem steten rigorosen Gebrauch unterworfen ist und zugleich
vieljährige Dauerhaftigkeit besitzen muss. Die Einfachheit eines
Systems wird stets bestechend wirken, nicht nur durch ihren
äusserlich gefälligen Eindruck, wie Herr Dr. Schneider offenbar
meint, sondern infolge der mit Einfachheit stets verbundenen
Dauerhaftigkeit und somit Billigkeit in erster Linie auf diejenigen,
welche pflichtgemäss das sachlich und zugleich wirtschaftlich
Zur Schalbankfrage. 247
Brauchbarste für die ihnen obliegende Verwaltung herauszu¬
finden haben.
Herr Dr. Schneider gesteht zu, „dass man die Reini¬
gung eines Schulzimmers leichter vornehmen kann,
wenn man nach Rettigs Vorgang die Schulbänke seit¬
lich umlegt.* Statt der seitlichen Umlegung empfiehlt er aber
nun Einrichtungen, bei denen man die Reinigung „minder leicht*
vornehmen kann, wie die Aufklappung von Tischplatte und Sitz¬
brett, wobei die Hantierung in dem entstehenden engen Raum
des Subsells bekanntlich sehr unbequem ist, — oder gar drei
hintereinander stehende Bänke zusammenzukuppeln und diese Bank¬
gruppe nach hinten oder vorne umzulegen!!
Bezüglich der Anwendung von staubbindenden Oelen, die Herr
Dr. Schneider auch als Ersatz für die Umlegung empfiehlt, ist
Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Wernicke, Direktor des Hygienischen
Instituts in Posen (Versuche über Dustles-Oel und seine Ver¬
wendung in Schulen. „Gesundheit“, 1902, Nr. 22) für deren Ein¬
führung nur „in solchen Schulen, in welchen wegen mangelnder
Mittel die Verbesserung des Fussbodens, die Beschaffung umleg¬
barer Bänke und täglich feuchte Reinigung zurzeit noch nicht
möglich ist*. Die Anwendung staubbindender Oele ist eben nichts
weiter als ein Aushilfsmittel in Fällen, in welchen man sich eben
nach Lage gegebener Verhältnisse nicht anders helfen kann. Ich
stelle übrigens fest, dass Herr Dr. Schneider alle diese Vor¬
schlägemacht, ohne dass er auch nur den Versuch macht,
nachzuweisen, dass das seitliche Umlegen irgend
welche Nachteile mit sich bringt.
Ein weiterer Punkt: Nach der Bemängelung des seitlichen
Heraustretens bei der Rettigbank erklärt H. Dr. Schneider,
dieses „würde jedoch für mich nicht ausschlaggebend sein*, sondern
der „gewichtigere Nachteil“ ist „der unveränderliche Leh¬
nenabstand*. Bezüglich des seitlichen Heraustretens verweise
ich im besonderen, um zunächst nur die Urteile von Aerzten
dem Urteile Dr. Schneiders gegenüberzustellen, auf den bereits
erwähnten Ausspruch von Geh. Rat Dr. Spiess und die Abhand¬
lungen von Dr. med. Desing, Prof. Dr. med. Gr eff und Dr. med.
Moses, dann aber auch vor allem auf den nachstehend erwähnten
Erlass des Königl. preuss. Unterrichtsministeriums vom
Jahre 18 88. Da aber Herr Dr. Schneider am Schluss seiner
Angriffe gegen die Rettigbank selber sagt: „Was hier von der
Rettigbank gesagt ist, das trifft natürlich bei allen
Bänken zu, die einen nnveränderlichen Lehnenabstand
haben*, so richten sich die Dr. Scheider sehen Bemängelungen
eigentlich gegen das feste System mit unveränderlichem
Lehnenabstand, und es ist demnach ganz ungerechtfertigt,
dabei gerade auf die Rettigbank loszuschlagen, und so den Schein
zu erwecken, die erhobenen Beschuldigungen träfen einzig und
allein die Rettigbank, von der Herr Dr. Schneider doch vorher
sagte, das „wirklich Neue* sei „nnr ihre Umlegevorrich¬
tung“.
248
ür. Schneider.
W&snnn aber überhaupt den unveränderlichen Lehnen-
abatand anbelangt, den Herr Dr. Schneider als so „gewichtigen
Nachteil“ bezeichnet und die verschiebbare Tischplatte zur Er¬
zeugung des veränderlichen Lehnenabstandes empfiehlt, so gestatte
ich mir, ihn auf den Erlass des Königlich preussischen
Unterrichtsministeriums vom 11. April 1888 zu ver¬
weisen, welcher, gestützt auf das eingeholte Gutachten der König¬
lich preussischen Wissenschaftlichen Deputation für das Medizinal¬
wesen (der obersten Sanitätsbehörde des Landes)
ausdrücklich besagt, dass für die Veränderung des
Lehnenabstandes bei mehrsitzigen Bänken wegen des
Aufstehens nicht die Tischplatte beweglich gemacht
werden soll. Jener Ministerialerlass besagt aber auch, dass
bei zweisitzigem Gestühle „Bänke mit unveränder¬
licher Null- oder besser Minusdistanz (d. i. also mit
unveränderlichem Lehneuabstand) anzuwenden sind,
weil die Schüler alsdann beim Aufstehen in die
Zwischengänge heraustreten können“. Der Vorwurf
Dr. Schneiders wegen des unveränderlichen Lehnen¬
abstandes hat sich demnach nicht gegen die Rettigbank, sondern
gegen obigen Ministerialerlass, welcher heute noch Geltung
hat, zu richten.
Entgegnung auf den Artikel zur Schulbankfrage
von Oberbaurat a. D. W. Rettig.
Von Kreisarzt Dr. Sehneider, ständigem Hilfsarbeiter der Königl. Regierung
in Breslau.
In meinem Aufsatz zur Schulbankfrage in Nr. 22 des vorigen
Jahrganges dieser Zeitschrift habe ich wie viele andere Schul¬
bänke auch die Rettigbank einer sachlichen Kritik zu unterziehen
mich bemüht.
Wenn ich dem Ersuchen der Schulbank-Firma P. Joh.
Müller & Co. in Charlottenbnrg, um eine von mir ausgehende
Berichtigung zu diesem Aufsatz nicht entsprochen habe, so liegt
dies einmal daran, weil ich es für selbstverständlich halte, dass
eine Fabrik auf Verlangen der Besteller beliebige Aenderungen
an ihren gangbaren Fabrikaten anbringt, anderseits hatte mir
die Firma eine Berichtigung in dieser Zeitschrift mit folgendem
Schlusssatz vorgeschlagen : „Unter diesen Voraussetzungen^;wird
meine Behauptung hinfällig, wonach ich nicht mit denen überein¬
stimme, welche die Rettigbank für die beste Schulbank erklären.“
Zu einer solchen Berichtigung lag aber für mich gar keine Ver¬
anlassung vor! — Ich erkenne die Vorzüge der Rettigbank und
die Verdienste des Herrn Rettig gern an, ohne gerade diese
Bank, wie der Erfinder es tut, liir bahnbrechend zu halten.
Aber ich glaube, dass man in irgend einer Frage nicht weiter
kommt — und abgeschlossen ist die Schulbankfrage noch lange
nicht •— wenn man überall nur die Lichtseiten sieht und die
Schattenseiten übersieht oder nicht sehen will. Schattenseiten
Entgegnung &. den Artikel zur Schalbankfrage von Oberbaarat a. D. W. Rettig 249
hat jedoch, wenigstens meiner Meinung nach — andere mögen
anders darüber denken — auch die Rettigbank!
Ihre Umlegevorrichtung hat zwar den Vorteil, dass
man mehr Platz für die Reinigung frei bekommt, ganz frei von
Nachteilen ist sie aber auch nicht. So bleibt die Stelle, wo die
EUenschiene fest in den Boden gelassen ist, der gründlichen
Reinigung für gewöhnlich unzugänglich und dient gerade zur
Aufspeicherung von Schmutz, der unter Umständen Krankheits¬
erreger enthält. Ferner erfordert das Umlegen und Wieder-
znrücklegen der Bänke eine gewisse Zeit, weshalb die Gefahr
besteht, dass die reinigenden Personen, wenn die Zeit drängt,
das Umlegen unterlassen und nur neben den Bänken reinigen, ein
Umstand, der in der Praxis keineswegs ganz gleichgültig ist.
Anderseits kann man auch durch die andern von mir erwähnten
Hilfemittel, wie Fehlen der Bankstollen, Aufklappbarkeit der
Tische usw. eine gute und gründliche Zimmerreinigung ermög¬
lichen. Dies zu erreichen, ist aber m. E. nicht überflüssig, weil
es z. B. für ärmere Gemeinden sehr darauf ankommt, dass sie
nicht ohne zwingenden Grund genötigt werden, für ein Patent ihr
Geld auszugeben.
Herr Rettig schreibt ferner gelegentlich seiner Bemerkungen
über das Umlegen mit zwei Ausrufungszeichen, dass ich sogar
drei hintereinander stehende Bänke zusammenzukoppeln und diese
Bankgruppe nach hinten oder vorn umzulegen empfehle. Aus dem
Zusammenhänge gerissen, erscheint dies natürlich als ein sehr
törichter Vorschlag. Im Zusammenhänge bezieht es sich aber nur
auf einsitzige Bänke, an denen man, wie es z. B. Schäfer in
Elberfeld getan hat, sehr gut zwei oder drei zu einem Ganzen
vereinigen kann. Ich habe nun nur gesagt, wenn man bei diesen
einsitzigen Bänken das Bedürfnis fühlt, sie umzulegen, — ob man
es fühlt, ist, wie ich jetzt hinzufüge, eine andere Sache — so
kann das Umlegen nach vorn oder hinten geschehen. Dass dies
technisch möglich ist, und dass zwei oder drei hintereinander
befindliche, zu einem Ganzen vereinigte Sitze mehr Platz für die
Reinigung beim Umlegen nach vorn oder hinten, als dem nach der
Seite frei lassen, kann wohl nicht ernstlich in Abrede gestellt
werden.
Was die Einfachheit anbetrifft, so ist sie gewiss an sich
etwas sehr Erstrebenswertes, aber leider steht sie in diesem Falle
im Widerspruch mit einer wichtigen gesundheitlichen Forderung,
die erst in neuester Zeit mehr in den Vordergrund getreten ist,
nämlich mit der des veränderlichen Lehnenabstandes. Die
Erfüllung dieser Forderung halte ich wenigstens für wichtiger als
die Einfachheit. Die Schreibhaltung mit Anlehnen der Lenden¬
gegend und Gradehalten des Oberkörpers erfordert eben, wie man
sich durch den Augenschein überzeugen kann, einen geringeren
Lehnenabstand als die Ruhehaltung, wenn man bei dieser dem
Schüler ausser der Möglichkeit sich zurückzulehnen, auch einen
gewissen Bewegungsspielraum gönnen will. Die Rettigbank Modell
1903, das nunmehr abgeschlossene Ergebnis einer achtjährigen
250 Dritte Beratung des preuß. Abgeordnetenbaases über den Gesetzentwarf
Arbeit, wie es in der letzten mir zugänglichen Preisliste heisst,
hat diesen veränderlichen Lehnenabstand nicht. Dass auch andere
Bänke ihn nicht haben, habe ich in meinem Aufsatz so ausdrück¬
lich gesagt, dass ich nicht verstehe, wieso ich den Schein er¬
wecken soll, als ob ich dies einzig und allein bei der Rettigb&uk
als einen Nachteil ansehe.
Im übrigen muss ich es dem sachverständigen Urteil der
Leser dieses Blattes überlassen, ob und inwieweit sie meine Aus¬
führungen über die Rettigbank für irrtümlich, ungerechtfertigt
und Verwirrung stiftend ansehen.
Wenn schliesslich Herr Rettig andeutet, dass ich mich
einer Verletzung meiner Pflichten als preussischer Beamter da¬
durch schuldig gemacht habe, dass ich an der von ihm erfundenen
Schulbank den unvermeidlichen Lehnenabstand als ein Nachteil
bezeichnet habe, so muss ich mich darüber, da Herr Rettig des¬
wegen auch, wie ich von dem Herausgeber dieser Zeitschrift er¬
fahren habe, eine Beschwerde über mich bei dem Herrn Minister
eingereicht hat, selbstverständlich an dieser Stelle jeder weiteren
Bemerkung enthalten, weil die Entscheidung über einen solchen
Vorwurf lediglich meiner Vorgesetzten Behörde zusteht.
Dritte Beratung des preussischen Abgeordnetenhauses
über den Gesetzentwurf, betr. Massregein zur Bekämpfung
ansteckender Krankheiten.
Vom Herausgeber.
Die am 1. d. Mts. nach der Generaldiskussion abgebrochene
dritte Beratung des Abgeordnetenhauses über den vorstehenden
Gesetzentwurf 1 ) ist am 7. und 8. April fortgesetzt und hat zu der
mit grosser Mehrheit erfolgten Annahme des Gesetz¬
entwurfes geführt. Das gehäufte epidemische Auftreten der
Kopfgenickstarre nicht nur in Oberschlesien, sondern in den ver¬
schiedensten Teilen der Monarchie, 2 ) sowie der Umstand, dass
gerade diese Erankheit zu denjenigen gehört, zu deren Be¬
kämpfung zurzeit im Geltungsbezirke des Regulativs vom 8. August
1835 die erforderliche gesetzliche Handhabe fehlt, auch
nicht auf dem Wege der Polizei Verordnung geschaffen werden
kann, hat jedenfalls nicht unwesentlich dazu beigetragen, dass
dieses für die öffentliche Gesundheitspflege so notwendige und
wichtige Gesetz, der Schlussstein der preussischen Medizinalreform,
endlich zur Verabschiedung gelangt ist. Anderseits sind auch
manche früher von seiten der Abgeordneten geäusserten Bedenken
fallen gelassen, soweit sie nicht in der dritten Beratung noch
durch eine entsprechende Aenderung des Entwurfs Berücksichti¬
gung gefunden haben; vor allem ist aber in bezug auf die bisher
*) Siche Bericht darüber in Nr. 4 dieser Zeitschrift, S. 97 u. flg.
*) Betreffs der Verhandlungen des preußischen Abgeordnetenhauses über
das Auftreten der Kopfgenickst&rre in Oberschlesien s. Tagesnachrichten.
betreffend Maßregeln zur Bekämpfung ansteckender Krankheiten. 251
hauptsächlich strittige Kostenfrage durch weiteres Entgegen¬
kommen seitens der Königlichen Sta&tsregierung eine für alle
Parteien annehmbare Lösung gefunden worden.
Vom gesundheitlichen Standpunkte aus kann die Annahme
des Gesetzentwurfes nur mit grosser Freude begrüsst werden!
Wenn er auch nicht allen Wünschen und Forderungen in dieser
Hinsicht Bechnung trägt, so bietet er doch im grossen und ganzen
eine recht gute und brauchbare gesetzliche Grundlage, um die
Bekämpfung der übertragbaren Krankheiten mit Erfolg auf¬
nehmen zu können, und bedeutet, wie wir dies bereits wiederholt
betont haben, einen ausserordentlichen Fortschritt auf diesem Ge¬
biete. Auch die bei der dritten Beratung gegenüber dem Er¬
gebnis der zweiten Beratung (s. Nr. 3 der Zeitschrift, S. 71) vor-
genommenen Abänderungen können dieses Gesamturteil nicht
beeinflussen, denn die hierdurch herbeigeführte Einschränkung der
Anzeigepflicht bei Tuberkulose (§ 1, Abs. 3) und Sy¬
philis (§ 2, Abs. 3), sowie die etwas mehr eingeschränkte Be¬
fugnis des beamteten Arztes in bezug auf den Zutritt
za den in ärztlicher Behandlung befindlichen Kranken, können
nicht ins Gewicht fallen gegenüber der wesentlich günstigeren
Regelung der Kostenfrage (§§ 25—31). Auch § 33 hat inso¬
fern eine Verbesserung erfahren, als eine Bestrafung unterlassener
Anzeige nicht bei „wissentlicher“, sondern bei „schuldhafter“
Unterlassung eintritt.
Die dritte Beratung selbst brachte keine wesentlich neuen
Gesichtspunte; der nachstehende Bericht beschränkt sich daher
ansschliesslich auf diejenigen Verhandlungen, die zu den vorher
erwähnten Abänderungen fühlten, indem er gleichzeitig den Wort¬
laut der betreffenden Bestimmungen in der beschlossenen Fassung
wiedergibt:
Abg. Schmeding (Berichterstatter), gibt eine ausführliche und sach¬
gemäße Schilderung der .Rechtslage, wenn das vorliegende Gesetz nicht zu¬
stande kommt und beantwortet im Anschluß hieran auch die Frage, wer dann
die Kosten für die Bekämpfung der ansteckenden Krankheiten zu tragen hat.
Er kommt hierbei zn dem Schlußergebnis, daß die gesetzlichen Bestimmungen
zweifellos nicht ausreichend seien und anderseits der Gesetzentwurf keine Be¬
schwerung, sondern im Gegenteil eine große Erleichterung der Gemeinden mit
Rücksicht auf die Kosten bedeute.
Kultusminister Dr. Studt hebt ebenfalls hervor, daß die Staatsregierung
hinsichtlich der Kostenfrage den Gemeinden außerordentlich weit entgegen
gekommen sei, und demzufolge die Vorteile des Gesetzes nur auf seiten der
Gemeinden lägen. Das Gesetz stelle außerdem die Befugnis der Medizinal¬
beamten genau fest, so daß die von mancher Seite gehegte Befürchtung gegen
den Debereifcr dieser Beamten unbegründet sei.
Geh. Ober-Med.-Rat Prof. Dr. Kirchner betont die Notwendigkeit der
im § 1, Abs. 3 vorgesehenen Anzeigepflicht bei Erkrankung an
Tuberkulose; denn nicht weniger als jährlich 70000 Personen werden
durch diese Krankheit in Preußen dahingerafft. Jeder Tuberkulöse sei eine
Gefahr für seine Umgebung. Er bittet deshalb ebenso wie der Abg. Münater-
berg (freis. Vereinig.) diese Anzeigepflicht bcizubebalten.
Abg. v. Savigny (Zentrum) beantragt die Anzeigepflicht bei Tuber¬
kulose-Erkrankungen zu streichen, da dadurch die Familien schwer belästigt
würden. Die Ansteckungsgefahr bei der Tuberkulose werde bedeutend über¬
schätzt Auch der Abg. Winckler (kons.) schließt sich dieser Ansicht an,
während sich Geh. Ober-Med.-Rat Prof. Dr. Kirchner nochmals gegen den
252 Dritte Beratung des preuß. Abgeordnetenhauses über den Gesetzentwurf
Antrag unter Hinweis auf die große Ansteckungsgefahr der Tuberkulose aus¬
spricht und hierbei von dem Abg. Dr. Rügen berg (Zentrum) unterstützt wird.
Der Antrag v. Savigny wird hierauf angenommen; demzufolge hat
9 1, Abs. 3 folgenden Wortlaut erhalten:
„Anzeigepflichtig in Gemäßheit der Bestimmung des Abs. 1 ist auch jeder
Todesfall an Lungen- und Kehlkopftuberkulose.“
Bei § 2 des Gesetzes, betreffend die zur Anzeige verpflichteten Personen,
wurde auf Antrag und nach kurzer Begründung seitens des Abg. Münster¬
berg (fr. Vgg.) Abs. 3,
„wonach der Arzt bezw. jede sonstige mit der Behandlung oder Pflege be¬
schäftigte Person in jedem Fall, in welchem sie von Unteroffizieren und
Mannschaften des aktiven Heeres zur Behandlung von Syphilis, Tripper
oder Schanker zugezogen werden, verpflichtet ist, sie dem Kommando
des betreffenden Truppenteils, bezw. dem Obermilitärarzt innerhalb 24
Stunden nach erlangter Kenntnis anzuzeigen,“
G estrichen, trotz des von dem Kommissar des Kriegsministers, Generaloberarzt
>r. Paalzow, erhobenen Widerspruchs.
In § 6 wird entsprechend einem Anträge des Abg. v. Savigny (Zentr.)
und in Konsequenz zu der auf dessen Antrag angenommenen Abänderung des
§ 1, Abs. 3 der zweite Absatz:
„Das Staatsministerium ist ermächtigt, bei der Lungen- und Kehlkopf¬
tuberkulose die Anzeigepflicht über den in dem § 1 dieses Gesetzes be-
zeichneten Umfang für einzelne Teile der Monarchie vorübergehend zu
erweitern, auch wenn die Voraussetzungen des ersten Absatzes nicht
vorliegen“
gestrichen.
Zu $ Abs. 1 wird auf Antrag des Abg. Hodler und Wallenborn
(Zentrum) folgender Zusatz:
„Vor dem Zutritt des beamteten Arztes ist dem behandelnden
Arzt Gelegenheit zu dieser Erklärung zu geben. Außerdem ist bei Kind¬
bettfieber oder Verdacht eines solchen dem beamteten Arzte der Zutritt
nur mit Zustimmung des Haushaltungsvorstandes gestattet“
angenommen, nachdem sich die Regierungskommissare Ministerialdirektor
Dr. Förster und Geh. Ob. - Med. - Rat Prof. Dr. Kirchner, sowie die Abgg.
Münsterberg (fr. Vgg.), Gyßling (fr. Volksp.) und Dr. Martens (natL)
dagegen, der Antragsteller, Dr. v. Savigny (Ztr.), sowie Winkler (kons.)
dafür ausgesprochen hatten.
Zu § 8, Nr. 1 wird ein Antrag v. Savigny (Ztr.), wonach an Diph¬
therie leidende Kinder nicht gegen den Widerspruch der Eltern in ein
Krankenhaus übergeführt werden dürfen, nach längerer Debatte, in der sich
der Herr Kultusminister, die Abgg. Münsterberg (fr. Vgg.), Dr.
Martens (natl.) dagegen, die Abgg. Winkler (kons.) und v. Strachwitz
(Ztr.) dafür ausgesprochen haben, abgelehnt, und auf Antrag des Abg.
Schmedding dieser Bestimmung folgende Fassung gegeben:
„1. Diphtherie (Rachenbräune): Absonderung kranker Personen (§ 14, Abs. 2),
jedoch mit der Maßgabe, daß die Ueberführung von Kindern in ein Kranken¬
haus oder in einen anderen geeigneten Unterkunftsraum gegen den Wider¬
spruch der Eltern nur angeordnet werden darf, wenn nach der Ansicht
des beamteten Arztes oder Hausarztes eine ausreichende Absonderung in
der Wohnung nicht sichergestellt ist, Verkehrsbeschränkungen usw.“
Zu § 8, Nr. 6, 7 und 10 (Rückfallfieber, Ruhr und Typhus)
wird ein Antrag des Abg. Dr. v. Savigny, wonach ein Verbot oder eine
Beschränkung der Ansammlung größerer Menschenmengen
nicht zulässig sein soll „für Versammlungen zum Zwecke des öffentlichen
Gottesdienstes und während der Wahlen“, von dem Antragsteller zurückgezogen,
nachdem seitens des Herrn Kultusministers erklärt war, daß es nicht in der
Absicht der Staatsregierung liege, unter Umständen auch die gewöhnlichen
Gottesdienste zu verbieten. Ueberhaupt werde von diesem Verbote nur in
äußersten Notfällen Gebrauch gemacht werden, dann allerdings auch bei außer-
betr. Maßregeln zur Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten. 253
gewöhnlichen Kirchenfesten und Messen, die denjenigen des regelmäßigen
Gottesdienstes nicht beizurechnen sind.
Im § il wird das Staatsministerium ermächtigt, Absperrungs- und
Anfsichtsmaßregeln in besonderen Ausnahmefällen auch auf andere
übertragbare Krankheiten auszudehnen, es aber gleichzeitig verpflich¬
tet, die betreffenden Verordnungen dem Landtage sofort, eventuell beim näch¬
sten Zusammentreten zur Zustimmung vorzulegen. Diese Vorschrift wird auf
Antrag des Abg. Dr. v. Savigny auch auf die Verordnungen ausgedehnt, die
sich auf Ausdehnung der Anzeigepflicht und Krankheitsermitte-
lnng in solchen Fällen beziehen und demzufolge § 21, Abs. 2 wie folgt
abgeändert:
„Die auf Grund der vorstehenden Bestimmung und auf Grund der
§§ 5 und 7 ergangenen Verordnungen sind dem Landtage vorzulegen.“
§ 12, Abs. 1 wird mit einer von dem Abg. Schmedding (Zentr.) be¬
antragten geringen redaktionellen Aenderung (statt der Worte „Fall einer
gemeingefährlichen oder sonst übertragbaren Krankheit“ soll es künftig heißen:
„Fall einer übertragbaren Krankheit“) angenommen, nachdem Min.-Direktor
Dr. Förster erklärt hat, daß an allen Stellen der Vorlage, wo jetzt schlechthin
Ton übertragbarer Krankheiten die Bede ist, darunter die gemeingefähr¬
lichen Krankheiten des Beichsgesetzes mit verstanden werden.
Zu dem 27 und 27a (früher § 26a u. b) Aufbringung der Kosten
für die zur Bekämpfung der übertragbaren Krankheiten er¬
forderlichen Schutzmaßregeln lag eine große Anzahl von Anträgen
vor, die hauptsächlich bezweckten, auch den Gutsbezirken die gleiche
Unterstützung seitens der Kreise und des Staates zuzuwenden, wie den Ge¬
meinden. Nach einer langen Debatte, an der sich außer dem H. Finanzmini¬
ster und dem H. Kultusminister die Abgg. v. Ditfurth (kons.), Gamp
(freik.), Frhr. v. Zedlitz u. Neukirch (frdk.), Meyer-Diepholz (nat.-lib.),
Winkler (kons.), Dr. v. Savigny (Zentr.) und Gyßling (freis. Volksp.)
beteiligten, wurde § 27 mit einigen redaktionellen Aenderungen und einen
neuen Zusatz als Abs. 5 sowie § 27 a in folgender Fassung angenommen:
,§ 27. Uebersteigen die nach diesen Vorschriften einer Gemeinde mit
weniger als 5000 Einwohnern zur Last fallenden Kosten in einem Etatsjahre
5’/o des Veranlagungssolls an Staatseinkommensteuer einschließlich der fingierten
Nonnalsteuersätze, so ist der Mehrbetrag der Gemeinde auf ihren Antrag zu
zwei Dritteln vom Kreise zu erstatten.
Die Erstattung findet jedoch nur dann statt, wenn entweder der Bedarf
an direkten Gemeindesteuern einschließlich des in Geld zu veranschlagenden
Naturaldienste mehr als das Eineinhalbfache des Veranlagungssolls an Ein¬
kommensteuer, Bealsteuern betrug, oder wenn diese Belastung durch die
geforderte Leistung überschritten wird.
Den Kreisen ist die Hälfte der in Gemäßheit der vorstehennen Vor¬
schriften geleisteten Ausgaben vom Staate zu erstatten.
Streitigkeiten zwischen den Gemeinden und den Kreisen über die zu er¬
stattenden Beträge unterliegen der Entscheidung im Verwaltungsstreitv er¬
fahren. Zuständig ist in erster Instanz der Bezirksauschuß, in zweiter das
Oberverwaltungsgericht.
Den Gutsbezirken kann im Falle ihrer Lcistungsunfähigkeit ein
entsprechender Teil der aufzuwendenden Kosten vom Kreise ersetzt werden.
Dem Kreise ist die Hälfte der demgemäß zu leistenden Ausgaben vom Staate
zu erstatten.
§ 27 a. Steht ein Guts bezirk nicht ausschließlich im Eigentum des
Gutsbesitzers, so ist auf dessen Antrag ein Statut zu erlassen, welches die
Aufbringung der durch das Beichsscuchengesetz und das gegenwärtige Gesetz
entstehenden Kosten anderweit ändert und den mit heranzuziehenden Grund¬
besitzern oder Einwohnern eine entsprechende Beteiligung bei der Beschlu߬
fassung über die Ausführung der erforderlichen Leistungen einräumt.
Das Statut wird nach Anhörung der Beteiligten durch den Kreisaus¬
schuß festgestellt und muß hinsichtlich der Beitragspflicht dem Gesetz über
die Verteilung der Kommunallasten in den ländlichen Gemeinden folgen. Das¬
selbe unterliegt der Bestätigung des Bezirksausschusses.“
254 Dritte Beratung über den Gesetzentwurf betr. Maßregeln usw.
Betreffs der §§ 28—31 (früher §§ 27—29) Kosten für die Ein¬
richtungen zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten in der seuchen¬
freien Zeit, hatten sich die Vertreter der verschiedenen Parteien zu nach¬
stehender Fassung geeinigt:
„§ 28. Die Gemeinden sind verpflichtet, diejenigen Einrichtungen, welche
zur Bekämpfung der übertragbaren Krankheiten notwendig sind, zu treffen und
für deren ordnungsmäßige Unterhaltung zu sorgen. Die Kreise sind befugt,
diese Einrichtungen an Stelle der Gemeinden zu treffen und zu unterhalten.
§ 29. Die Anordnung zur Beschaffung der in § 28 bezeicbneten Ein¬
richtungen erläßt die Kommunalaufsiclitsbchörde. Gegen die Anordnung findet
innerhalb zwei Wochen die Beschwerde, und zwar bei Landgemeinden an den
Kreisausschuß, in den Hohenzollernschen Landen an den Amtsausschuß, bei
Stadtgemeinden an den Bezirksausschuß, und in weiterer Instanz an den Pro¬
vinzialrat, in den Hohenzollernschen Landen an den Minister des Innern und
der Medizinalangelegenheiten statt. Wird die Beschwerde auf die Behaup¬
tung mangelnder Leistungsfähigkeit zur Ausführung der Anordnung gestützt,
so ist auch über die Höhe der von der Gemeinde zu gewährenden Leistung
zu beschließen. Gegen die Entscheidung des Provinzialrats bezw. des Mini¬
sters des Innern und der Medizinalangelegenheiten steht den Parteien die Kalge
im Verwaltungsstreitverfahren innerhalb derselben Frist beim Oberverwaltungs¬
gericht zu.
§ 30. Beicht die im Beschlußverfahren festgesetzte Leistung der Ge¬
meinde nicht zur Ausführung der angeordneten Einrichtung aus, so trägt, so¬
fern die Kommunalaufsichtsbebörde ihre Anordnung aufrecht erhält, die Provinz
die Mehrkosten. Die Hälfte derselben ist vom Staate zu erstatten.
§ 31. Bei dringender Gefahr im Verzüge kann die Kommunalaufsichts-
behördo die Anordnung zur Durchführung bringen, bevor das Verfahren nach
§ 29 eingeleitet oder zum Abschluß gebracht ist. — Die Kosten der Einrichtung
trägt in diesem Falle der Staat, sofern die Anordnung der Kommunalaufsichts¬
behörde aufgehoben wird. — Beicht die im Beschlußverfahren festgesetzte
Leistung zur Deckung der Kosten nicht aus, so greift die Bestimmung des
§ 30 Platz.
§ 31 a. Unberührt bleibt die Verpflichtung des Staates, diejenigen Kosten
zu tragen, welche durch landespolizeilichc Maßnahmen zur Bekämpfung über¬
tragbarer Krankheiten entstehen.“
Die Paragraphen wurden nach längerer Debatte, an die sich der H. Fi¬
nanzminister und der H. Kultusminister, die Abg. v. Ditfurthfkons.), Well-
stein (Zcntr.), Sc hmedding (Zedtr.), Mey e r-Diepholz (nat.-lib.), Münster¬
berg (freis. Verein.) und Winkler kons.) beteiligen, mit einer in der vor¬
stehenden Fassung bereits berücksichtigten redaktionellen Aenderung ange¬
nommen, nachdem von seiten der Stantsregierung die Erklärung abgegeben
war, daß in den betreffenden Paragraphen unter den Gemeinden auch die Guts¬
bezirke mit einbegriffen und diese sowohl in bezug auf Pflichten, als auf
Beihilfen des Staates den Gemeinden gleichgestellt sind.
Danach hat also bei leis tun gsunf ähi gen Gemeinden und
Gutsbezirken die Provinz die Mehrkosten für sanitäreEinrich-
tungen in der seuchefreien Zeit zu tragenundderStaat dieser
dieHälfteder Kosten zu erstatten. Es bedeutet dies ein weiteres finan¬
zielles Entgegenkommen seitens des Staates, dem die Verabschiedung des Ge¬
setzes innerster Linie zu danken ist.
Hinsichtlich der Strafvorschrift im § 38 (früher § 31) wurde .auf
Antrag des Abg. Pallaske beschlossen, das Wort „wissentlich* durch
„schuldhaft“ zu ersetzen.
Endlich wurde der § 36 (früher 34) (Zeitpunkt des Inkraft¬
tretens des Gesetzes) auf Antrag der Abgg. Dr. Martens und
Schmedding wie folgt geändert:
„Diejenigen Vorschriften des gegenwärtigen Gesetzes, welche sich auf die
Genickstarre beziehen, treten mit dem Tuge der Verkündigung dieses
Gesetzes in Kraft; im übrigen wird der Zeitpunkt des Inkrafttretens durch
Königliche Verordnung bestimmt.“
Kleinere Mitteilnngen and Referate ans Zeitschriften.
255
Die grosse Mehrheit, die das Gesetz schliesslich bei der
Gesamtabstimmung fand, berechtigt zu der Hoffnung, dass es auch
die Zustimmung des Herrenhauses finden wird, und die Bedenken,
die hier bei Gelegenheit der Etatsberatung 1 ) dagegen laut ge*
worden sind, fallen gelassen werden. Quod deus bene vertat!
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
Gerichtliche Medizin and Psychiatrie.
Thymusdrüse und plötzliche Todesfälle im Kindesalter. Von Dr.
Zander und Dr. Keyhl in München. Jahrbuch für Kinderheilkunde; 1901,
Bd. 10, H. 2.
Die Verfasser führen aas der Rank eschen Klinik in München eine
Seihe plötzlicher Todesfälle an, in denen Hypertrophie der Thymus als Todes¬
ursache anzusehen war. Die Schiaßfolgerungen lauten dahin, daß der Status
iymphaticus nur insofern als direkte Todesursache in Betracht kommen kann,
als er eine Herabsetzung der Widerstandsfähigkeit des Organismus bedingt.
Der plötzlich eintretende Tod beim Status Iymphaticus wird durch Druck der
vergrößerten Thymusdrüse auf die Trachea, die Gefäße und Nerven herbei-
gefuhrt (Die AUgemeingültigkeit dieser Ansicht ist keineswegs bewiesen. Ref.)
Dr. D o h r n - Cassel.
Ueber eine selten kleine, am Leben gebliebene Frühgeburt. Ein
Beitrag zur Frage nach dem Eintritt der Lebensfähigkeit. Von Dr. Ober¬
warth in Berlin - Charlottenburg. Jahrbuch für Kinderheilkunde; 1904,
Bd. 10, H. 2.
Das Kind wurde nach 26 wöchentlicher Schwangerschaft geboren, 5 Tage
nachdem die Mutter die ersten Kindsbewegungen gespürt hatte. Man wickelte
ö nach der Geburt in Zeitungspapier und ließ es so ohne weitere Bedeckung
die ersten 7 Stunden seines Lebens liegen. Trotz mangelhafter Pflege gedieh
das Kind ganz gut, bis es an einer Ohrenentzündung erkrankte. 30 Tage nach
der Geburt warde es deshalb in die Pol iklinik gebracht, wo es 12 Wochen
nach der Geburt an Eiterfieber starb.
Die nach jeder Richtung hin angestellten Nachprüfungen über das Alter
des Kindes bestätigten die Richtigkeit der Annahme, daß das Kind nicht länger
als 26 Wochen getragen worden ist. Trotz der unzweckmäßigen Pflege hat
es dauernd den Eindruck der Lebensfähigkeit gemacht. Verfasser führt noch
7 weitere in der Literatur nicdergelegte Fälle an, in denen Kinder ziemlich
weit vor dem im Bürgerlichen Gesetzbuch festgclegten Termin (181 Tage) sich
als lebensfähig erwiesen. Dr. Dohm- Cassel.
Uebergang der Toxine von der Matter auf die Frucht. Von Dr.
Schmidlechner. Zeitschrift für Geburtshilfe; 1904, Bd. 52.
Die auch in gerichtlich - medizinischer Hinsicht sehr interessanten Ex¬
perimente wurden von dem Verfasser mit Diphtherietoxin an Meerschweinchen
«gestellt. Die Resultate waren folgende:
Bei der Intoxikation des schwangeren Tieres geht ein Teil dos Toxins
in das Blut der Frucht über und verursacht im Leben und im Organismus der
Frucht dieselben Veränderungen wie im Organismus der Mutter.
Der Grad der Intensität der Veränderungen hängt von der Menge des
in die Matter gelangten Toxins ab.
Die Veränderungen entwickeln sich in der Fracht schneller und in
höherem Grade als in der Matter.
Der Uebergang des Toxins von der mütterlichen Zirkulation auf die
fötale kann nur in der Placenta vor sich gehen.
Zum Uebergang des Toxins ist eine sehr kurze Zeit genügend.
‘t Siehe unter Tagesnachrichten.
256
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
Die überflüssige Menge des in die fötale Zirkulation gelangten Toxins
bleibt eine Zeitlang unverändert; wenn dieses fötale Blut auf geeignete Weise
in den Organismus eines anderen Tieres gelangt, verursacht es im Leben und
im Organismus desselben die gleichen Veränderungen, wie im Organismus des
vergifteten Tieres und seiner Frucht. Dr. Dohm- Cassel.
1. Die angeblichen Gefahren und die sicheren Vorteile der künst¬
lichen Atmung durch Schwingen des tief scheintoten Kindes. Von B. S.
Schnitze in Jena. Münchener mcd. Wochenschrift; 1905, Nr. 6.
2. Beobachtungen über die Gefahren der Schultzeschen Schwingungen.
Von Dr. G. Burckhard-Würzburg. Ibidem.
1. Altmeister Schnitze reagiert in eingehender Weise gegen die in
früherer und jünster Zeit seinem Verfahren, „den Schultzeschen Schwingungen,“
gemachten Vorwürfe. Insbesondere wendet er sich gegen die häufigste, da¬
durch zustande kommende Anklage, daß Sektions befunde, die das Resultat
der in utero erworbenen Asphyxie sind, dem Schwingen zugerechnet
werden, sei es daß die Schwingungen erfolglos waren, sei es daß nach ge¬
lungener Wiederbelebung das Kind nach einigen Tagen starb.
In einem solchen Irrtum wäre auch H e n g g e *) befangen gewesen, als er
einzelne Sektionsbefunde „geschwungener“ Kinder mitteilto. Hämatome der Leber,
namentlich subkapsulare, trifft man nach Schnitze nicht selten an bei der
Obduktion in der Geburt suffokatorisch gestorbener Kinder, totgeborener, bei
denen Schwingungen doch nicht in Frage kommen, und zwar weit umfang¬
reichere Hämatome als die nur beinahe erbsengroße in Hengges Falle. Kon¬
stanter Befund bei in der Geburt gestorbenen Kindern ist ein ganz bedeutender
Blutreichtum der voluminösen Leber; die Erklärung dafür aus der Todesart
solcher Kinder liegt nahe. Die vorzeitigen Atembewegungen bringen die Pul¬
monalzirkulation in Gang und veranlassen reichlichen Blutstrom aus den
Lungenvenen zum linken Vorhof, wodurch dem Blut der unteren Hohlvene die
bisher freie Passage zum linken Vorhof (For. ovale) erheblich beeinträchtigt
wird. Die Stauung befällt zunächst die Leber. Wird die Spannung der Blut¬
gefäße zu groß, so bersten die Kapillaren da und dort, seltener ins Parenchym,
meist unter dem Peritonealüherzng, der in flachen oder auch hohen Blasen ab-
S ehoben wird. Diese Befunde sind von namhaften Autoren als typisch für in der
eburt gestorbene Kinder berichtet, noch ehe Kinder überhaupt geschwungen
sind. Nächst den Lebervenen trifft Rückstauung des Blutes in die untere Hohlvene
die Venen der Nebenniere, weshalb Hämatom der Nebenniere auch kein ganz
seltener Befund bei in der Geburt erstickter und bei scheintot geborenen,
päter gestorbenen Kindern ist; von Weber sind auch aus der Zeit, bevor
Kinder geschwungen wurden, derlei Fälle mitgeteilt. Auch die subperito¬
nealen Ekcbymosen und Extravasate am Darm und Bauchfell sind bereits von
Weber und Maschka mehrmals beobachtet worden bei erstickten Kindern.
Da der Tod der Kinder in der Geburt fast ohne Ausnahme Erstickungstod ist,
da scheintot geborene Kinder nur eben vor vollendeter Erstickung geboren
werden, liegt es am nächsten, die hier in Rede stehenden kapillaren Blutaus¬
tritte auch bei Kindern, die wiederbelebt und erst einige Tage später ge¬
storben sind, als Effekte der in utero bestandenen Erstickungsnot zu deuten.
Verfasser gibt Heng ge recht darin, daß bei nicht ausgetragenen
Kindern leichter ein Trauma beim Schwingen sich ereignen kann und die Ab¬
kühlung mehr zu fürchten ist, weshalb man solche Kinder zwischen dem
Schwingen länger im recht warmen Bade verweilen lassen muß. Bei schein¬
toten Kindern, denen viel an der Reife fehlt, bietet ohnehin künstliche Atmung
mit Schwingen keine erfolgreiche Aussicht. Verfasser hat bereits früher das
Schwingen nur für den schlaffen, den bleichen, den früher sogenannten anämi¬
schen Scheintod bei tief gesunkener Herzaktion empfohlen. Hat das Kind noch
Farbe, haben die Muskeln noch Tonus, dann erholt sich das Kind entweder
von selbst im Bad, oder Hautreize genügen, die Atmung in Gang zu bringen.
Nachdem Verfasser noch auf die physiologische Bedeutung und Wirkling
der verschiedenen Methoden der künstlichen Atmung (insbesondere des Luft-
') Siehe Referat in Nr. 1, Jahrg. 1905 dieser Zeitschrift.
Kleinere Mitteilangen and Referate aus Zeitschriften.
257
einbluens and des Schwingens) eingegangen ist, wendet er sich gegen die Schlu߬
bemerkungen Hengges and meint, bei der Bearteilung des Sektionsbefundes
Neugeborener soll man zuerst — und mit einiger Vorkenntnis der Effekte des
natürlichen Todes der Kinder in partu, der Erstickung, — prüfen, wie
weit die für diese Todesart charakteristischen Befände im gegebenen Falle
sich darbieten nnd dann erst, was etwa darüber hinaus der Erklärung bedarf,
die Möglichkeit eines Trauma ansprechen.
2. Burckhard, der während seiner Assistententätigkeit an der
Würzburger Universität^-Frauenklinik zu anderen Zwecken eine Zeitlang
regelmäßig eine genaue Sektion des Gehirns und vor allem des Rücken*
markes aller intra und post partum gestorbenen Kinder vorgenommen hatte,
fand bei manchen Kindern keinerlei Blutaustritte und zwar stets bei solchen
Kindern, die intra partum abgestorben und spontan geboren waren, und bei
denen Wiederbelebungsversuche nicht gemacht worden waren. Dagegen
fanden sich fast regelmäßig Blutergüsse von verschiedener Größe im
Wirbelkanal, und zwar zum Teil unter der Dura, zum Teil unter der Pia, zum
Teil sogar in der Substanz des Rückenmarkes selbst bei denjenigen Kindern,
die wegen Asphyxie geschwungen worden waren und bei solchen, welche nach
ausgeführter Wendung extrahiert waren. Diese Blutungen im Rückenmarks¬
kanal können nach Verfasser kaum mit Sicherheit auf vergebliche Atem¬
bewegungen zurückgeführt werden, sondern müssen wahrscheinlich in den
Manipulationen gesucht werden, die in dem kindlichen Körper während und
nach der Geburt vorgenommen sind, wobei Extraktion und Schwingungen
in Betracht kommen. Wenn man bei Extraktionen, besonders bei engem Becken
und bei straffen Weichteilen nicht selten ganz erhebliche Kraft an wenden muß
und wenn man bedenkt, daß der am Beckenrande ausgeübte Zug in seiner
ganzen Stärke auf die Wirbelsäule übertragen wird, so wird das Entstehen
Ton Gefäßzerreißungen dabei durchaus nicht unerklärlich sein. Die gleichen
Verletzungen können bei der Ausführung der Schultz eschen Schwingungen
und der dabei oft sehr erheblichen bezw. außergewöhnlichen Deberstreckung
der Wirbelsäule Vorkommen. Frühgeborene Kinder werden leichter zu der¬
artigen Verletzungen disponiert sein als reife Kinder.
Die bei oder nach der Geburt erfolgten Blutaustritte in die Organe der
Brust- und Bauchhöhle können resorbiert werden und so symptomlos verlaufen
oder aber, wenn sie in größerer Ausdehnung lebenswichtige Organe durch¬
setzen, zum Tode des Kindes führen. Auch die Blutungen im Rückenmarks¬
kanal können bei großer Ausdehnung und besonders im Bereiche der Medulla
oblongata tötlich wirken. Aber auch kleinere Blutungen können durch Druck
auf die Rückenmarkssubstanz die nervösen Bahnen schädigen und verschiedene
nervöse Störungen (spastische Gliederstarre oder Littlcsche Krankheit etc.)
bedingen.
Zum Glück sind diese Wirkungen der Blutaustritte nicht sehr häufig;
es dürfte daher die Forderung Hengges, die Schultzeschen Schwing¬
ungen nur sparsam anzuwenden und durch einfachere Methoden zu ersetzen,
eine zu weitgehende sein, da alle anderen Methoden nicht das leisten, was die
Schultz eschen Schwingungen bei tiefer Asphyxie leisten. Darin sei Hengge
recht zu geben, daß man bei frühgeborenen Kindern .große Vorsicht walten
lassen und die Te chnik der Schwingungen beherrschen müsse.
Dr. W a i b e 1 - Kempten.
Ueber die quantitative Bestimmung des Luftgehaltes der Lungen,
besonders bei Neugeborenen; eine Erweiterung der Lungenschwimmprobe.
Von Dr. Stumpf, k. Landgerichtsarzt und a. o. Professor für gerichtL Me¬
dizin in Würzburg. Münchener med. Wochcnschr.; 1905, Nr. 11.
Verl hat den Eindruck, als lasse man sich im allgemeinen nicht selten
darch die einfache Tatsache des Schwimmens der kindlichen Lunge allzu¬
sehr von den strengen Erwägungen über den Grad der vorhanden gewesenen
Lebenstätigkeit und über die Ursache der Nichtentfaltung einer vollen
Lungentätigkeit ablenken. Bei dieser Sachlage drängte sich ihm immer mehr
die Frage auf, ob es denn nicht möglich sein sollte, den Luftgehalt der kind¬
lichen Langen in mehr oder weniger präziser Form zahlenmäßig festzustellen.
Kr berichtet dann eingehend über die von ihm ersonnene Methode, ver-
258
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
möge deren der Luftgch< von noch so kleinen and noch so großen Langen
im Momente der Lungenöffnung sehr bequem und innerhalb weniger Minaten
in genügend präziser Weise sich feststellen läßt dadurch, daß man einerseits
das Lungengewicht und anderseits die Schwimmfähigkeit der Lungen (Trag¬
fähigkeit oder Bclastungsfähigkeit derselben im Wasser) berechnet, selbst¬
verständlich unter Voraussetzung der Kenntnis des Maximalluftgehaltes
vollentfalteter Lungen der Leichen Erwachsener und Neugeborener und des
ungefähren Verhältnisses des Lungengewich tes zur Lungentrag-
fjähigkeit, das ungefähr 2 (g) zu 1 (ebem) beträgt. Verfasser vermutet,
daß seine Untersuchungen in bezug auf die Feststellung gewisser gewalt¬
samer Todesarten beim Menschen künftig in folgender Weise eine gewisse
Berücksichtigung verdienen werden:
1. „Relativ hohes Lungengewicht (1500—1600 g beim Erwachsenen) bei
relativ hohem Luftgehalt (800 ccm und darüber) spricht für Erstickungstod
oder für einen plötzlichen Tod mehr oder weniger suffokatorischen Charakters.
2. Wird ein ziemlich hohes Lungengewicht (etwa zwischen 1100—1400 g)
durch die Lungentragfähigheit oder den Luftgehalt der Lungen nicht nur er¬
reicht, sondern noch übertroffen, so wird dieser Befund für Tod durch Er¬
trinken sprechen.
3. Je mehr sich bei einem niedrigen Lungengewicht die Lungentrag¬
fähigkeit demselben nähert, um so wahrscheinlicher wird Verblutungstod an¬
genommen werden müssen.
4. Hohes Lungengewicht bei auffällig niedrigem Luftgehalt macht vor¬
ausgegangene Entzündungsprozesse oder überhaupt krankhafte Veränderungen
der Lungen sowie einen stattgehabten längeren agonalen Vorgang wahr¬
scheinlich.“
Ferner wird die Frage, ob das bei der Sektion eines Neugeborenen durch
des Verfassers Methode etwa in den Lungen festgestellte Blutquantum als ein
annähernd zutreffender Maßstab für die vom Kinde intra vitam tatsächlich
entfaltete Atmungsfähigkeit angenommen werden kann, unbedenklich bejaht
werden können.
Zum vollen Verständnis der höchst interessanten und ausführlichen Ar¬
beit über die Untersuchungsmethode, ihre wissenschaftliche Qrundlage und
Zweckmäßigkeit muß auf das Original verwiesen werden, da es im Rahmen
eines Referates nicht möglich ist, alle die wichtigen und in Frage kommenden
Punkte zu berühren. Dr. Waibei-Kempten.
Der Fall Berger und die ärztliohe Sachverständigentätigkeit. Von
Med.-Rat Dr. Leppmann. Aerztl. Sachverst.-Ztg.; 1905, Nr. 1.
Ein 8jähriges Mädchen war von einem Zuhälter namens Berger ge¬
tötet und zerstückelt worden. An den Geschlechtsteilen waren die Scham¬
lippen, Hymen nnd Scheide durch Einwirkung einer stumpfen Gewalt bis in
den Mastdarm hinein auseinandergerisson. Prof. Dr. Straßmann schloß aus
dem Umstande und der Art der Beschädigung, daß dieselbe nicht durch ein
gesteiftes Glied, sondern durch einen härteren, umfangreicheren Gegenstand,
etwa durch ein oder mehrere Finger bewirkt war. Die Anklage lautete auf
Mord und basierte auf einem komplizcrten Indizienbeweis; hierbei waren aus¬
schlaggebend die ärztlichen Sachverständigen.
Leppmann, der kurz vor der Verhandlung noch eine Ladung erhielt,
weil er gelegentlich eines Vortrags über die Psychologie des Mordes beiläufig
gesagt batte, Lustverbrechen seien meist keine Tötungen mit Vorsatz und
Ueberlegung, sondern Augenblickshandlungen, vermißte in dem Prozeß die An¬
tretung eines besonderen Beweises für die etwaigen Motive einer derartigen
Tat und für die seelische Artung eines Menschen, dem man einer solchen Tat
für fähig erachten kann. Die Ausführungen, die er al3 Sachverständiger über
die Psychologie des sogenannten Lustmordes gemacht hat, müssen im Original
nachgelesen werden; hier sei nur kurz erwähnt, daß nach seinen Erfahrungen
Lusttötungen in der Regel Augenblickshandlungen sind, und daß zweitens zur
Annahme einer Tötung aus wollüstigen Motiven nicht die gleichzeitige Annahme
einer geistigen Verkehrtheit und Unfreiheit notwendig ist.
Dr. T r ö g e r - Adelnau.
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
259
Alkoholismus und Ehescheidung. Von Dr. F. Leppmann. Acrztl.
Sachreret-Ztg.; 1905, Nr. 1.
Die §§ 1565—1568 und 1569 im B. G. B., welche von der Ehescheidung
handeln, setzen entweder ein bewußt schuldhaftes Verhalten eines Ehegatten
als notwendig voraus, oder es handelt sich im § 1569 um Geistesstörung. Ein
Etcgatte kann auf Ehescheidung klagen, wenn der audere Ehegatte sich des
Ehebruchs oder einer nach den §§ 171 u. 175 des St. G. B. strafbaren Hand¬
lang schuldig gemacht hat, ihm nach dem Leben trachtet, ihn böswillig ver¬
lassen hat, durch schwere Verletzung der durch die Ehe begründeten Pflichten
oder durch ehrloses oder unsittliches Verhalten eine so tiefe Zerrüttung des
ehelichen Verhältnisses verschuldet hat, daß dem anderen Ehegatton die Fort¬
setzung der Ehe nicht mehr zugemutet werden kann.
Nach Leppmann ist es Pflicht der Aerzte, sich darüber klar zu
werden, ob das Gesetz hinreichend diejenigen Fälle berücksichtigt hat, in
denen äußerlich zwar der Tatbestand der t?§ 1565—1568 gegeben erscheint,
die Frage des Verschuldens aber wegen Geisteskrankheit des betreffenden
Ehegatten verneint werden muß, und diese Geisteskrankheit gleichwohl nicht
den Forderungen des § 1669 (Dauer von 3 Jahren während der Ehe, Unheil¬
barkeit, Aufhebung der geistigen Gemeinschaft) entspricht. Hier besteht eine
Lücke im Gesetz. Leppmann hat sich nun die Aufgabe gestellt, die
einschlägigen Verhältnisse auf dem für die Allgemeinheit besonders wichtigen
Gebiete, auf dem des Alkoholismus, zu prüfen. Er kommt zu dem Urteil, daß
der Alkoholismus als Eheschcidungsgrnnd dem Bürgerlichen Recht eingefügt
werden muß. Der Gesetzesparagraph würde etwa folgende Fassung haben:
.Ein Ehegatte kann auf Scheidung klagen, wenn durch Trunkfälligkeit oder
Trunksucht des anderen Ehegatten eine so tiefe Zerrüttung des ehelichen Ver¬
hältnisses bewirkt ist, daß dem Ehegatten die Fortsetzung der Ehe nicht zu¬
gemutet werden kann.“ Dr. Troeger -Adelnau.
Alkohol Ismus und Ehescheidung. Von Prof. Dr. F. Straßmann.
Aerztl. Sachverst-Ztg.; 1905, Nr. 4.
Auch Straßmann tritt dafür ein, daß die Einreihung des Alkoholismus
als solcher unter die Ehescheidungsgründe ein dringendes Benürfnis ist. Der
Versuch, die Ehe mit einem Trinker wegen „Mißhandlung“, oder, wenn das
nicht angängig, wegen „Geisteskrankheit“, oder, wenn auch dies nicht angängig,
wegen „ehrlosen nnd unsittlichen Lebenswandels“ scheiden zu lassen, gelingt
nicht immer. In einem solchen Falle, in dem auf Grund derartig liegender
Fälle keine Möglichkeit gegeben schien, eine unhaltbar gewordene Ehe zu
lösen, hat das Gericht oberster Instanz einen Weg gefunden, zwar nicht die
Ehescheidung, aber doch die Aufhebung der Ehe herbeizuführen. Es stützte
sich dabei auf § 1333 des B. G., welcher den „Error in persona“ bei Schließung
der Ehe zum Inhalt hat. In der krankhaften Anlage des Ehemannnes, die ihn
dazu bestimmte, den Alkoholismus zum Opfer zu fallen, sah das Gericht eine
solche persönliche Eigenschaft. Straßmann wurden in diesem Prozeß die
Fragen vorgelegt, ob solcher degenerativer Zustand bei dem Beklagten vor¬
handen wäre und schon vor der Ehe vorhanden gewesen seL Er bejahte beide
Fragen. Dr. T r o e g e r - Adelnau.
Zur Abgrenzung der forensischen Alkoholparanoia. Von Dr. R a e c k e,
Privatdozent und Oberarzt an der psychiatrischen und Nervenklinik zu Kiel.
Sach einem Vortrage. Archiv für Psychiatrie; 39. Bd., 2. H.
In einer eingehenden Uebersicht über die Literatur zeigt Verfasser, daß
die chronischen Psychosen der Trinker bisher nur eine geringe Bearbeitung
gefunden haben, und daß speziell bei der Beurteilung gewisser parauoischer
Formen wenig Uebereinstimmung herrscht. Zu diesen Gegensätzen hat beson¬
ders die beliebte Auffassung des Eifersuchtswahns als ein besonderes Krank-
heitsbild beigetragen. Nicht selten treten jedoch Wahnideen der Eifersucht
unter dem Einfluß der akuten Alkoholwirkung auf, um nach deren Abklingen
wieder zu verschwinden, ohne Tendenz zu einer Weiterverbreitung zu zeigen.
Oft heilen diese Wahnideen noch nach einigen Wochen, oder es verbleiben
nach dem Verschwinden der akuten Symptome einzelne Ideen der Eifersucht
als „reaiduäre“ Wahnideen bestehen. Verfasser zeigt, daß man vorzüglich
260
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
zwei Gruppen von Endzuständen zu unterscheiden habe, einmal den Ausgang
in Verblödung und ferner den in fortschreitende chronische Psychose. Diese
letztere Form findet ihre Erläuterung an fünf eingehend dargestellteu Fällen¬
in denen neben dem allen gemeinsamen Eifersucht* wahn Größen- und VerfoL
gungsideen von systematischem Charakter und Halluzinationen bestehen,
Mehrfach geht die chronische Psychose aus einer akuten unmittelbar hervor,
stets sind Anfälle von Delirium mehrfach vorangegangen. Verfasser betont
die absolut ungünstige Prognose dieser an sich seltenen Störungen (auf 200
Kranke 3 Fälle) und weiterhin ihre ganz besonders große Gemeingefährlichkeit,
die die des gewöhnlichen Alkoholisten sehr wesentlich durch oft recht über¬
legtes Vorgehen gegen vermeintliche Verfolger übertrifft.
Dr. Pollitz-Münster.
Die Versorgung der geisteskranken Verbrecher mit Bemerkungen
über die Wirksamkeit der Gefängnisirrenabteilungen in Prenssen. Von
Dr. Karl Heilbronner, o. Professor der Psychiatrie in Utrecht. Monatsschr.
für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform; I, H. 5.
Bemerkungen hierzu von Dr. San der-Graudeuz („Sprechsaal“ der
Monatschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform; I., H. 8); Dr.
Näcke-Hubertusburg (psychiatrisch-neurologische Wochenschrift; VI, Nr.41);
v. Kunowski-Lebus (Ebenda; VI, Nr. 43).
Auf Grund seiner früheren Tätigkeit an der Beobachtungsabteilung für
geisteskranke Verbrecher am Strafgefängnisse zu Breslau und unter Benutzung
amtlicher Zusammenstellungen über die Gefängnisirrenabteilungen Preußens
beleuchtet Verfasser die Versorgung geisteskranker Verbrecher und macht
positive Vorschläge zu ihrer Verbesserung. Der Satz, daß geisteskranke Ver¬
brecher im Strafvollzüge keinen Platz haben sollen, wird als allgemein an¬
erkannt vorausgesetzt. Strittig aber ist die Frage, welche Gruppen von In¬
dividuen unter den Begriff des „geisteskranken Verbrechers“ zu rechnen sind.
Hierher gehören nicht nur die in der Strafhaft erkrankten Gefangenen, von
denen die meisten eigentlich besser den Namen „verbrecherische Geisteskranke“
verdienten, da ihre Straftat bereits unter dem Einflüsse der Krankheit be¬
gangen wurde, deren Symptome aber erst in der Haft manifest wurden; es
müssen dazu auch alle anderen verbrecherischen Geisteskranken gerechnet
werden, solche die trotz erwiesener Täterschaft wegen Geisteskrankheit frei¬
gesprochen wurden und solche deren Aburteilung wegen rechtzeitiger Er¬
kenntnis des krankhaften Geisteszustandes nicht erfolgte. Zweifelhaft ist die
Mitzählung derer, die wegen Geisteskrankheit freigesprochen wurden, ohne
daß die Verhandlung Aufschluß über die Täterschaft brachte, ebenso derer,
die von den Geschworenen als „nicht schuldig“ bezeichnet wurden ohne Be¬
gründung, ob wegen Geisteskrankheit oder wegen mangelnder Beweise der
Täterschaft oder wegen fehlender Strafbarkeit der Handlung. Das gleiche gilt
von den als sicher geisteskrank Erkannten, gegen die gar kein Verfahren ein¬
geleitet wurde, oder bei denen das ein geleitete unterbrochen wurde ohne Ent¬
scheidung über die Täterschaft. Auch über die Zeit, während welcher ein
Kranker als „verbrecherischer Geisteskranker“ gelten soll, herrscht keine Ueber-
einstimmung, ob bis zum Ablaufe der verhängten Strafe oder bis zur Beendi¬
gung der Krankheit. In Frage kommt auch die Zuzählung der vorbestraften
Kranken. Bei der Festlegung des Begriffes „geisteskranker Verbrecher“ ist
zu warnen vor einer Rubrizierang darnach, ob die Straftat Folge der Krankheit
war, oder nach der Koinzidenz von Straftat mit Geisteskrankheit, da beide
Fragen in den meisten Fällen unlösbar sind. Schon aus der Schwierigkeit der
Begriffsbestimmung ist die Errichtung besonderer, großer Irrenanstalten für
Verbrecher bedenklich. Tatsächlich ist es auch nur ein gewisser Typus von
kriminellen Individuen, die Schwierigkeiten in der Versorgung bereiten. Diese
zeichnen sich durch Ungefügigkeit und Gewalttätigkeit in der Strafanstalt aus,
unter günstigeren Bedingungen, wie in der Lazarett- oder Irrenanstaltsbehand¬
lung pflegt bei ihnen eine gewisse Bessernng einzutreten, die bei Rückver¬
setzung in den geordneten Strafvollzug wieder verloren geht. Wenn solche
Kranken, um dem häufigen Wechsel zwischen Straf- und Irrenanstalt, zwischen
kurzer Freiheit und erneuter Verurteilung ein Ende zu bereiten, dauernd der
Irrenanstalt überwiesen werden, bilden sie dort die Rädelsführer zu gemein-
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
261
s&men Ausbrüchen, Komplotten, Attentaten und dorgl. und machen der modernen
freieren Irrenanstaltsbehandlung die größten Schwierigkeiten. Für diese Indi¬
viduen sind kleine, sehr fest gebaute Irrenabteilungen mit erheblicherer Frei-
heits- und Bewegungsbeschränkung in Vorschlag gebracht. Hiergegen spricht
aber der Umstand, daß erstens die Zahl solcher gefährlichen Kranken sehr
gering ist; infolgedessen würde der Kostenaufwand durch die sich über weite
Entfernungen erstreckenden Transporte ein verhältnismäßig sehr hoher werden.
Zweitens würde die Möglichkeit des Komplottierens und die Gefahr für die
Anstaltsbeamten durch die Anhäufung der gefährlichen Elemente derartig
potenziert werden, daß so strenge Maßregeln in Anwendung kommen müßten,
daß sie psychiatrischen Grundsätzen widersprächen, zumal eine sichere Garantie
der Unschädlichmachung dadurch doch nicht erreicht würde. Die Erbauung
tob großen Anstalten für alle „geisteskranken Verbrecher“ im weitesten Sinne
ist weniger bedenklich, da die wenigen gefährlichen Kranken dann unter der
harmlosen Mehrzahl verschwinden und der freien psychiatrischen Behandlung
kein Hindernis bilden würden. Doch damit sind Geisteskranke zweiter Klasse
geschaffen, wodurch manchen Kranken und deren Familien unverschuldet eine
große Kränkung zugefügt wird. Außerdem ist es wahrscheinlich, daß auch nicht
kriminelle, aber sehr lästige und gefährliche Kranke als „mit verbrecherischen
Neigungen“ behaftet von den übrigen Irrenanstalten nach diesen Anstalten
IL Klasse abgeschoben werden würden, wodurch wiederum eine bedenkliche
Häufung gefährlicher Elemente zu befürchten wäre. Daher bleibt nur die
Möglichkeit offen, alle geisteskranken Verbrecher in die allgemeinen Irren¬
anstalten aufzunehmen. Der Einwurf, daß diese Anstalten aus Sicherheits¬
rücksichten um der Gefährlichen willen die Bewegungsfreiheit der übrigen In¬
sassen entgegen den psychiatrischen Prinzipien wesentlich einschränkeu müßten,
ist hinfällig , wenn die wenigen Gefährlichen gleichmäßig in sämtlichen An¬
stalten verteilt und nicht, wie es jetzt meistens geschieht, aus einem großen
Aufnahmerayon nur einer Anstalt aufgebürdet würden. Die Statistik lehrt,
daß dann auf jede Anstalt nur verschwindend wenig gefährliche Verbrecher
ß öchstens 30 : 17 000) kommen, deren man mit den üblichen Einrichtungen mit
iichtigkeit Herr bleiben könne. In der Unterbringung der irren Verbrecher
sind zurzeit zwar gewisse schwere Mißstände vorhanden, doch gelingt deren
Beseitigung auch ohne gesetzgeberische Umwälzungen. Die Schwierigkeit bei
der Aufnahme in die öffentlichen Irrenanstalten besteht erstens in den oft recht
unklaren Unterstützungs-Wohnsitzverhältnissen. Hier müßte durch Verfolgung
aller strittigen Fälle bis zur letztinstanzlichen Entscheidung Abhilfe geschaffen
werden. Zweitens aber halten die Provinzialverwaltungen den steigenden An¬
forderungen nicht durch entsprechende Vermehrung oder Vergrößerung der
Anstalten Schritt, so daß dadurch eine Unterbringungsschwierigkeit oft ent¬
steht; die Abhilfe liegt auf der Hand. Zur Entlastung der Anstalten macht
Verfasser [folgenden, bemerkenswerten Vorschlag für eine gewisse Kategorie
von leichten geisteskranken, noch arbeitsfähigen Sträflingen, die zwar wegen
wiederholter, aber nicht besonders gefährlicher Vergehen bestraft wurden.
Diese Kranken sollten auch ohne Verbüßung ihrer Reststrafe aus der Irren¬
anstalt entlassen werden können, wenn sie sich freiwillig bestimmten Be¬
dingungen über ihre künftige Beschäftigung (Landwirt 1) und ihren Aufent¬
haltsort (Gefahren der Großstadt!) unterwerfen wollen. Die Kontrolle hierüber
hätten Fürsorgevereine zu übernehmen, bei Mißbrauch der Entlassungs¬
vergünstigung droht dauernde Irrenanstaltsinternierung. Andere Sträflinge
ähnlicher Art könnten nach Besserung ihrer Geisteskrankheit in dem Irren¬
adnex durch den Rest ihrer Strafzeit „durchgeschleppt“ werden, indem sie in
der zum Adnex zugehörigen Hauptanstalt in den Strafvollzug zurückversetzt,
in Beschäftigungs- und Behandlungsart, aber unter ständiger, psychiatrischer
Aufsicht ihrem Geisteszustände entsprechend berücksichtigt werden. Dtroit
bei späteren Anklagen derartig in Freiheit gesetzter, irrer Verbrecher ihre
mangelhafte Geistesbeschaffenheit nicht aus Unkenntnis unbeachtet bleibt, ist
folgende Bestimmung empfehlenswert:
„In jedem Falle:
1. der Freisprechung, resp. außer Verfolgungssetzung auf Grund § 51 Str.G.B.,
2. der vorläufigen Einstellung eines Verfahrens auf Grund § 203 Str.G.B.,
3. der geistigen Erkrankung eines Gefangenen, gleichviel ob sie in der Straf-
262
Kleinere Mitteilungen and Referate aus Zeitschriften.
anstalt abgeklnngen, zur Entlassung in die Freiheit oder zur Ueberftthrung
in eine Irrenanstalt Anlaß gegeben hat,
4. der Ueberfährang eines Gefangenen in die Beobachtungsabteilung (nota¬
bene auch wenn dort keine Erkrankung, sogar eventuell ausnahmsweise
Simulation fcstgestellt ist)
hat ein entsprechender Eintrag in das Strafregister zu geschehen.“
Von größter Wichtigkeit ist es, daß frühzeitig erkannt wird, welcher
Gefangene sich infolge seiner Geistesbeschaffenheit nicht für den Strafvollzug
eignet und durch ihn geschädigt wird. Dies festzustellen ist die Hauptaufgabe
der Gefängnisirrenabteilungen. Diese Adnexe erfüllen aber zurzeit noch nicht
ihre Aufgabe; denn die Statistik ergibt, daß die Mehrzahl der geistig Er¬
krankten zum Teil gar nicht, zum Teil recht spät, erst wenn sie im Betriebe
des Strafvollzugs sehr lästig fallen, eingeliefert werden. Die Gefängnisirren¬
anstalt soll in erster Linie den Beobachtungszweck erfüllen; nicht nur die als
schwer geisteskrank bereits erkannten Häftlinge, sondern überhaupt alle, an
deren Geistesgesundheit Zweifel auftauchon, sollen dorthin unverzüglich über¬
führt werden. Wer sich hier als unheilbar geisteskrank und dauernd straf¬
vollzugsunfähig erweist, kommt, je nach seiner Gefährlichkeit, sofort in die
öffentliche Irrenpflege oder wird unter den oben genannten Kautelen entlassen.
Die zweite Aufgabe der Gefängnisadnexe besteht in der Heilung kurz dauern¬
der, akuten, heilbaren Geistesstörungen, die bisher gewöhnlich in den Gefäng¬
nislazaretten behandelt wurden; dazu ist es aber notwendig, daß derartig
Erkrankte sofort dem Strafvollzüge entzogen und der Irren ab teilung über¬
wiesen werden. Die bestehenden Gefängnisirrenabteilangen können bezüglich
der Aufnahmezahl nach Schätzung des Verfassers recht gut das Dreifache
leisten von dem, was sie bisher erfüllt haben. Damit die erlassenen Bestim¬
mungen in der geschilderten Weise auch überall richtig aasgeführt werden,
sollte bei den ordentlichen Gefangcnanstaltsrevisionen durch die Bezirks¬
regierung regelmäßig eine genaue Kontrolle in den betreffenden Punkten aus¬
geübt werden. Falls die Aufnahmeziffer zu hoch steigen sollte, ist die
Schaffung weiterer, kleinerer Adnexe vorwiegend als Beobachtungsstationen
zu empfehlen; die dadurch entstehende Dezentralisation ist als erwünscht an-
zuseben, da sie die Betriebsschwicrigkoiten erleichtert. Von hoher Bedeutung
für die Wirksamkeit der Gefängnisirrenabteilungen ist die Besetzung der
leitenden Arztstellen; hierzu dürfen nur tüchtig ausgebildete Psychiater aua-
gewählt worden. Bei Neuanlagen sind stets solche Orte zu bevorzugen, an
denen sich eine größere Irrenanstalt oder eine psychiatrische Universitätsklinik
befindet, damit deren Aerzte nebenamtlich die Strafanstaltsadnexe ärztlich ver¬
sorgen können. Dadurch dürfte auch die Kenntnis von der Psychopathologie
des Verbrechers eine wirksame Förderung erhalten. An den größeren Adnexen
sind hauptamtliche, vollbesoldete, pensionsberechtigte Gefängnisarztstellen ein¬
zurichten, deren Inhaber Psychiater sein müssen. Ihnen sind zweckmäßig
jüngere Assistenzärzte und Praktikanten zur Ausbildung in diesem Spezialfache
beizugeben. Auch das psychiatrische Wissen der Aerzte an den gewöhnlichen
Strafanstalten ist zu erweitern durch Kurse an größeren, psychiatrischen
Adnexen, damit nicht durch eine mangelhafte Auswahl der dem Strafvollzüge
zu entziehenden Kranken die getroffenen Maßnahmen illusorisch würden.
Zu vorstehenden Ausführungen Heilbronners bemerkt Sander, der
ärztliche Leiter des Graudenzer Strafanstaltsadnexes, daß in praxi die Um¬
grenzung des Begriffes „geisteskranker Verbrecher“ keine so großen Schwie¬
rigkeiten mache; tatsächlich kämen vorwiegend die im Stravollzuge Er¬
krankten in Betracht. Sander hält es für zweckmäßig, daß die Irrenadnexe
allmählich vergrößert und in ihrer Zweckbestimmung dahin erweitert würden,
daß die besonders gefährlichen, geisteskranken Verbrecher dort dauernd ver¬
pflegt werden könnten. Auch eine Anzahl geistig minderwertiger Sträflinge,
die zurzeit noch unter großen Schwierigkeiten durch den gewöhnlichen
Strafvollzug durchgcschleppt würden, könnten in den Adnexen bis zum Ende
ihrer Strafzeit gehalten werden.
Näcke stimmt Heilbronner im allgemeinen zu, namentlich bezüglich
der Forderung nach besserer psychiatrischer Ausbildung der Gefängnisärzte.
Auch er verwirft große Zentralirrenanstalten für Verbrecher als unnötig und
unzweckmäßig; doch ähnlich wie Sander will er die Gefängnisirrenabtei-
Besprechungen.
263
langen erweitert wissen, sie sollen nicht nnr dem Beobachtungszwecke dienen,
sondern nach Heilanstalten sein und unheilbar geisteskranke, gefährliche Ver¬
brecher dauernd aufnehmen können.
r. Kunowski greift Heilbronner an, er glaubt, daß dieser in seiner
Statistik die Zahl der irren Verbrecher und die Schwierigkeit ihrer Verpflegung
in den allgemeinen Irrenanstalten wesentlich unterschätzt habe; die Verteilung
der gefährlichen, kriminellen Kranken in den öffentlichen Anstalten sei unmöglich,
da sich ihre sichere Verwahrung nicht mit den dort üblichen, modernen,
freien Behandlungsprinzipien vereinen ließe. Sichere Abhilfe aller Uebelstände
kann seiner Ansicht nach nur die Errichtung großer, zentraler Anstalten für
sämtliche geisteskranken Verbrecher bringen, die er bereits früher (psychiatrisch-
neorol Wochenschr. V, Nr. 44) empfohlen hat.
Referent ist infolge seiner früheren Tätigkeit an den ostpreußischen
Provinzialanstalten zu Tapiau in der Lage, über 7 jährige Erfahrungen in einer
kleinen, besonders festgebauten Irrenabteilung zu berichten, die zuerst
nur zur Unterbringung gefährlicher, irrer Verbrecher bestimmt waren 1 ).
Diese Anstalt wurde als Adnex zu der Tapiauer Korrektionsanstalt gebaut;
bei ihrer Eröffnung (im Jahre 1898) wurde ihre Zweckbestimmung auch auf
solche, nicht kriminelle Geisteskranke ausgedehnt, die infolge ihrer Gefährlich¬
keit den allgemeinen, ostpr. Irrenanstalten lästig fielen und dort bei der
üblichen, möglichst freien Behandlungsart nur schwer zu halten waren. Hier
sind also eine große Anzahl jener gefährlichen Elemente, die zu Revolten,
Attentaten und Ausbrüchen neigen, vereinigt; doch die bösen Erfahrungen, die
z. B. anfangs im Bewahrungshause zu Düren gemacht wurden, sind der
Tapiaaer Anstalt erspart geblieben. Es ist bis auf 2 einfache Entweichungen,
die in den ersten Monaten nach der Eröffnung wohl wegen der Ungeübtheit
des Wartepersonals vorkamen, keine einzige wesentliche Störung des Anstalts¬
betriebes eingetreten; Attentate Bind zwar versucht worden, aber keines ist
gelungen. Und doch werden die Insassen nicht wie Gefangene, sondern nach
den üblichen Irrenanstaltsprinzipien verpflegt, allerdings unter Verwendung
eines relativ zahlreichen Wartepersonals (auf 68 Kranke kommt 1 Oberwärter
mit 19 Wärtern) und unter strenger Innehaltung einer festgelegten Haus¬
ordnung. Damit erhält die Ansicht Heilbronners, daß solche, feste Bewah¬
rungsabteilungen für gefährliche, irre Verbrecher nicht zu empfehlen seien,
weil sie auch unter den möglichsten Vorsichtsmaßregeln keine Garantie für
ihr« Zweckbestimmung und die persönliche Sicherheit der Beamten bildeten,
durch die 7 jährige Praxis der Tapiauer Anstalt keine Bestätigung. Im Be¬
reiche der Provinz Ostpreußen sind nach der Eröffnung dieser kleinen Anstalt
keinerlei Klagen über die Unterbringungsart der irren Verbrecher bemerkbar
geworden. Durch Erbauung einer großen Irrenpflegeanstalt in Tapiau, die die
Korrektionsanstalt ärztlich mitversorgt, ist die feste Irrenabteilung, die anfangs
ein Adnex zur Korrektionsanstalt war, jetzt zwar nicht der örtlichen Lage
nach, aber doch in jeder anderen Beziehung tatsächlich als Adnex zur Irren¬
pflegeanstalt zu betrachten. Dr. Fritz H o p p c - Allenberg.
Aus der Praxis der vorläufigen Entlassung. Von Oberjustizat
Schwandner. Monatsschrift für Kriminalpsychologie u. Strafrechtsreform;
L, H. 6/7.
Ans seiner 15jährigen Erfahrung als Leiter des Kgl. Württ. Landes¬
gefängnisses Schwäbisch - Hall berichtet Verfasser über die Erfahrungen, die
bisher mit der vorläufigen Entlassung gemacht sind. Die Möglichkeit, einen
Gefangenen bei guter Führung nach Verbüßung von 5 « seiner Strafe bedingt
entlassen, ihn aber bei Mißbrauch dieser Vergünstigung wieder einziehen zu
können (R.-8tr.-G.-B. §§ 23, 24), hat die erste Bresche in das alte Vergeltungs-
strafrechtssystcm gelegt und bildet den Ucbergang zu den modernen For¬
derungen nach Individualisierung der Strafe mit dem Besserungszwecke. In
Württemberg wird von dieser Maßregel recht häufig (im Gegensätze zu Preußen)
und, wie die Statistiken des Verfassers und v. Siqharts zeigen, mit gutem
Erfolge Gebrauch gemacht. Von 1896—1902 wurden dort in den Zentralstraf-
*) Hoppe: Die Pflegeanstalt für geisteskranke Männer zu Tapiau,
psychiatrisch - neurolog. Wochenschr.; VI, Nr. 11.
264
Tagesnachrichten.
anstalteil 7,7°/o Zuchthaus- und 34,7 °/o Gefängnisgefangene vorläufig ent¬
lassen. Die Entlassung wurde in 2°/o der Fälle widerrufen; von den vorläufig
Entlassenen blieben fernerhin straflos 82 u /o. Aus dem Zuchthause Ludwigs¬
burg wurden in den Jahren 1872—1904 10,9 °/o der Insassen vorläufig ent¬
lassen; die Widerrufung erfolgte in 2,4 °/<> der Fälle, 87°/o bewährten sich
dauernd. Die Hauptvorzüge der vorläufigen Entlassung liegen fürs erste in
der erzieherischen Wirkung. Es wird ein Uebergangsstadium zwischen der
strengen Haft und der völligen Freiheit geschaffen. Die Strafvollzugsbeamten
haben die Möglichkeit, gute Führung in der Anstalt zu belohnen und auch
über das Strafhaus hinaus auf die Entlassenen bessernd einzuwirken. Zweitens
werden auch den Angehörigen viel Kummer und Not durch frühere Entlassung
gemildert und den Armenverbänden nicht unwesentliche Summen an Unter¬
stützungen für die Familien der Gefangenen erspart. Hauptvorbedingung der
vorläufigen Entlassung ist die erfolgte Besserung des Gefangenen und die Un¬
wahrscheinlichkeit seines Rückfalles, worüber in erster Linie das Urteil des
Strafanstaltsbeamten maßgeblich ist. Verfasser schließt mit folgenden For¬
derungen de lege forenda:
,1. Auch im Strafgesetzbuche sollte nicht blos die gute Führung des
Gefangenen als Bedingung der vorläufigen Entlassung gefordert werden; es
sollte vielmehr im Gesetz verlangt werden, daß das Vorleben, die ganze Per¬
sönlichkeit des Gefangenen und die Verhältnisse, in die er nach der Entlassung
eintritt, so beschaffen sein müssen, daß die Gefahr des Rückfalles nicht zu
besorgen ist.
2. Im Interesse der Rechtsgleichheit sollte bestimmt werden, daß von
der vorläufigen Entlassung beim Vorhandensein der gesetzlichen Voraus¬
setzungen Gebrauch gemacht werden müsse.
3. Die Frist, innerhalb welcher die vorläufige Entlassung zurückge¬
nommen werden kann, sollte für alle Fälle auf 2 Jahre ausgedehnt werden.
4. Die vorläufige Eutlassung sollte auch auf kürzere Strafen (etwa her¬
unter bis auf 6 Monate) ausgedehnt werden.“
Dr. Fritz Hoppe-Allenberg.
Tagesnachrichten.
Aus Asm preussisohen Landtage.
A. Herrenhaus. Bei Gelegenheit der Etatsberatung wurden in der Sitzung
des Herrenhauses am 31. v. Mts. auch einzelne medizinische Fragen ange¬
schnitten. Graf v. Oppendorf sprach mit Rücksicht auf die jetzt in Ober¬
schlesien herrschende Epidemie von Kopfgonickstarre die Hoffnung aus, daß
der dem Abgeordnetenhause vorgelegte Entwurf eines Seuchengesetzes recht
bald zur Verabschiedung gelangen möge. Außerdem hofft er, daß sich die
Medizinalverwaltung die Mitwirkung Robert Kochs bei der Seuchenbekämpfung
auch nach seinem Ausscheiden aus seiner bisherigen Stellung gesichert habe.
Endlich wünscht er, daß die Kinderheilkunde künftighin nicht mehr als Neben¬
zweig der inneren Medizin, sondern als ein eigenes Hauptfach der medizini¬
schen Wissenschaft behandelt und demzufolge auf jeder Universität eine be¬
sondere Professur dafür vorgesehen werde. Der Herr Kultusminister erwiderte,
daß seitens der Medizinalverwaltung alles geschehen sei, um eine weitere Aus¬
breitung der Genickstarre in Oberschlesien zu verhindern; die Bekämpfung
dieser Seuche aber nach der Lage der gegenwärtigen Gesetzgebung eine
schwierige sei. Für Robert Koch sei ein besonderes Laboratorium in dem
Institut für Infektionskrankheiten eingerichtet, und Fürsorge getroffen, daß die
wertvolle Forschensarbeit dieses ausgezeichneten Gelehrten dem Staate und
der Gesamtheit auch in Zukunft erhalten bleibe. Auch die Berechtigung be¬
sonderer Lehrstühle für die Kinderheilkunde wird von dem Herrn Minister
anerkannt; an drei Universitäten seien solche bereits vorhanden, an den übrigen
würden sie nach Maßgabe der vorhandenen Mittel eingerichtet werden. Dr.
Frh. Lucius von Ballhausen ist der Ansicht, daß infolge der Verbindung
verschiedener Materien das Ausführungsgesetz zum Reichsseuchengesetz bisher
immer noch nicht zustande gekommen sei; dadurch, daß in dieses nicht bloß
die großen Volksseuchen, sondern auch eine Menge häufig wiederkehrender
Tagesnachrichten.
266
ansteckender Krankheiten einbezogen seien, werde eine große persönliche Be¬
lästigung für das Publikum bedingt; auch die im Gesetze vorgesehenen Au*-
führungsmaßregeln seien nicht nur schwer durch zuführen, sondern bedeuten
einen weitgehenden Eingriff in die persönliche Freiheit und das Hausrecht.
Außerdem würden an die Gemeinden betreffs der Kosten für die Bekämpfung
der Seuchen zu große Ansprüche gestellt, so daß die Kreise für leistungs*
unfähige Gemeinden eintreten müßten. Auch die Kreisärzte stellen zu hohe
hygienische Forderungen an die Gemeinden. Redner ist deshalb der Ansicht, daß
hs Gesetz nur auf die im Reichsgesetz genannten Seuchen beschränkt werden
müsse. Die Grundursachen der Seuchen liegen in den sozialen Verhältnissen.
Wenn jede Familie eine gesunde, große Wohnung hätte, wäre die Bekämpfung
der Krankheit sehr leicht. Der Herr Kultusminister betonte gegenüber
dieser abfälligen Kritik des betreffenden Gesetzentwurfes mit großer Ent¬
schiedenheit dessen Notwendigkeit, indem er darauf hinwies, daß die Zahl der
Todesfälle an den sogenannten gemeingefährlichen Krankheiten ganz gering¬
fügig sei gegenüber den durch die übrigen übertragbaren Krankheiten verur¬
sachten Sterbefälle (100 :120000). Er wies ferner darauf hin, daß der Gesetz¬
entwurf keineswegs eine Verschärfung der polizeilichen Maßregeln gegenüber
den jetzt geltenden Vorschriften bedinge, sondern im Gegenteil eher eine
wesentliche Milderung. Dasselbe gelte betreffs der Kostenfrage, die sich für
die leistungsschwachen Gemeinden künftighin durch die Beihilfe des Staates
erheblich günstiger stellen werde. Hinsichtlich der angeblich übertriebenen,
kleinlichen und bureaukratischen Tätigkeit der Kreisärzte könne es sich nach
den Berichten der zuständigen Behörden nur um vereinzelte Ausnahmefälle
handeln; jedenfalls sei an dem stetigen Rückgang der Sterblichkeitsziffer nicht
in letzter Reihe die Tätigkeit der Medizinalbeamten beteiligt.
B. Abgeordnetenhaus. In der Sitzung vom 6. d. M. gelangte zunächst
eine Interpellation betreffend das Auftreten der Kopfgeniokstarre in Ober¬
schlesien zur Verhandlung, die von dem Antragsteller, Abg. Falt in,
in ausführlicher Weise begründet wurde, indem er auf die außerordentliche
Gefährlichkeit der Krankheit, auf ihre große Verbreitung in Oberschlesien
hinwies und eine Aufklärung über die zu ihrer Bekämpfung und Verhütung
lagewendeten Maßregeln ersuchte.
Der Herr Kultusminister Dr. Studt hob hervor, daß, sobald die erste
Anzeige von dem Auftreten der Seuche im November v. J. erfolgt sei, die
Behörden sofort energische Maßnahmen veranlaßt haben. Trotz diesen um¬
sichtigen Maßnahmen hat die Krankheit im Januar einen ausgesprochen
epidemischen Charakter angenommen. Im Regierungsbezirk Oppeln sind unge¬
fähr 1200 Erkrankungen mit über 600 Todesfällen und im Regierungsbezirk
Breslau 60 bezw. 9 vorgekommen. Selbstverständlich haben die Behörden ihre
Aufmerksamkeit darauf gerichtet, die Entstehungsursachen der Krankheit zu
erforschen, aber die Forschungen haben leider zu einem nennenswerten Er¬
gebnis nicht geführt. Kennzeichnend für die Seuche ist, daß nie ausnahms¬
weise mehrere Erkrankungen in demselben Haase und in derselben Familie
Torkommen. Alle Behörden und Privatverwaltungen sowie namentlich die
Medizinalverwaltung haben vollkommen ihre Pflicht zur Bekämpfung der
Krankheit getan, die Zahl der Neuerkrankungen ist auch in den letzten Wochen
zurückgegangen. Der Herr Minister gibt sodann eine eingehende Schilderung
der zur Bekämpfung der Krankheit getroffenen Maßnahmen: Anzeigeptlicht,
Ermittelung mit Hilfe der bakteriologischen Untersuchung, Absonderung der
Kranken (90°/« in Krankenhäusern) — Aussetzung des Schulunterrichts, Des¬
infektion, Belehrung der Bevölkerung durch Merkblätter usw.; er spricht die
Hoffnung ans, daß das dem Hause vorliegende Gesetz über die Bekämpfung
der übertragbaren Krankheiten eine Handhabe dazu bieten werde, auch
dieser Seuche entgegenzutreten. Wenn auch die Epidemie schon eine erheb¬
liche Anzahl von Menschenleben erfordert habe, so liege doch eine Veran¬
lassung zu einer großen Beunruhigung nicht vor.
Geh. Ober-Med.-Rat Dr. Kirchner, der sich an Ort und Stelle über
den Verlauf der Epidemie unterrichtet hat, gibt eine eingehende Schilderung
tob den Ursachen und den Verlauf der Krankheit. Danach beträgt die Sterb¬
lichkeit bis jetzt 52°/o. Er verbreitet sich sodann über die Mittel, die bisher
zur Bekämpfung der Seuche angewandt worden sind und betont, daß insbe¬
sondere die Unterbringung von Kranken in Krankenanstalten auf keine
266
Tagesnachrichten.
Schwierigkeiten gestoßen sei. Wenn die Epidemie auch außerordentlich
gefährlich sei, so sei doch Aussicht vorhanden, daß man ihr mit Erfolg ent¬
gegentreten könne.
ln derselben Sitzung fand auch die dritte Beratung über den Antrag des
Abg. Dr. Graf Douglas, betreffend die Schaffung eines Volkswohlfahrt»-
amtes, statt. Die Kommission hatte sich zu dem in Nr. 4 dieser Zeitschrift
S. 115 bereits mitgeteilten Antrag geeinigt, und über die Kommissionsverhand-
lungen einen eingehenden schriftlichen Bericht mit verschiedenen Anlagen
(Abhandlung des Abg. Prof. Dr. Faßbender Über Wohlfahrtspflege, Abhand¬
lung über die Organisation der Volkswohlfahrt in Hannover, Entwurf zu
einer systematischen Ordnung der in Frage kommenden Gesichtspunkte der
Volkswohlfahrt von Geh. Med.-Bat Dr. B e h 1 a - Potsdam, Regulativ für
das Landesoekonomie- Kollegium vom 1. Mai 1878, Satzungen der mit
der Zentralstelle für Arbeiter-Wohlfahrts-Einrichtungen verbundenen Ab¬
teilung für ländliche Wohlfahrt- und Heimatpflege, Liste der dem Verbände
Deutscher Wohlfahrtsvereine angehörenden Vereine, Bericht über die
Tätigkeit der Zentralstelle für Arbeiter-Wohlfahrtseinrichtnngen) erstattet,
ln der Sitzung befürworteten sämtliche Redner (Linz [Berichterstatter],
Schiffer [natl.], Frh. v. Williesen [kons.], Schmedding [Ztr.], Gold-
Schmidt [fr. Volksp.), Dr. Faßbender [Ztr.], Münsterberg [fr. Vgg.])
die Annahme des Antrages; auch der neue Minister des Innern Dr. vonBeth-
mann-Hollweg erklärte eine weitere Ausgestaltung der Volkswohlfahrts-
pflege als eine der wichtigsten und ernstesten Aufgaben der Gegenwart.
Trotzdem auf diesem Gebiete schon viel geschehen sei, bleibe noch viel zu
tun übrig; insbesondere auch inbezug auf die Fürsorge für die Gesunden.
Der Minister steht deshalb dem Antrag sympathisch gegenüber, wenn er auch
befürchtet, daß es bei der Organisation eines Volkswohlfahrtsamtes nicht ganz
ohne Reibungen mit anderen Organisationen abgehen dürfte. Jedenfalls gehöre
zur Wohlfahrtspflege nicht nur ein warmes Herz, sondern auch ein sehr voUcr
Beutel; die Königl. Staatsregierung sei jedoch fest entschlossen, im Verein mit
dem Landtage an der Lösung der nationalen Wohlfahrtspflege weiter zu ar¬
beiten.
Nachdem sodann der Antragsteller Dr. Graf Douglas (freik.) für die
seinem Anträge allseitig, nicht nur im Landtage, sondern auch in allen Kreisen,
besonders in der Presse entgegengebrachte Sympathie und Unterstützung sowie
für die warmen Worte des H. Ministers gedankt und die Hoffnung ausge¬
sprochen hatte, daß der Humanitätsgedanke in seinem welterobernden Sieges¬
lauf immer weitere Kreise ziehen möge, wurde der Antrag einstimmig
angenommen. _
Der Niederrheinische Verein für öffentliche Gesund¬
heitspflege erläßt einen Aufruf zum Wettbewerb zur Erlangung einer
kurzen, klaren, der einfachsten Mutter oder Pflegerin verständlichen und mit
den kleinsten Mitteln ausführbaren Anleitung zur richtigen Ernährung
und Pflege des Säuglings. Die volkstümlich abgefaßte, für die Massen
zu verwendende Anleitung soll den Umfang von 160 Zeilen zu 9 Worten nicht
übersteigen. — Es gelangen Preise zu 150, 100 und 50 Mark zur Verteilung.
Bewerbungen sind in verschlossenem Umschlag mit einem Zeichen oder
Motto ohne Namensangabe und unter Hinzufügung eines zweiten Umschlages,
mit demselben Sinnspruch oder Zeichen, in welchem der Name des Bewerbers
sich befindet, bis zum 15. Juni 1905 einzureichen an den ständigen Geschäfts¬
führer des Niederrheinischen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege Herrn
Geh. San.-Rat Prof. Dr. Lent, Cöln.
Auf die Tagesordnung des diesjährigen Aerztetages in Straßburg
sind folgende Gegenstände gesetzt: 1. Erhöhung des Beitrages um 8 Mark.
Referent: Pfoiffer-Weimar. 2. Rechte und Pflichten des Kassenarztes. Re¬
ferent: Dr. Streffcr-Leipzig. 3. Die Akademien für praktische Medizin.
Referent Dr. Hausberg-Dortmund. 4. Berichte der Kommissionen für
Krankenkasscnangelegenheiten, für Lebens- und Unfallversicherung, zur Be¬
kämpfung der Kurpfuscherei, für das ärztliche Unterstützungs- und Versiche¬
rungswesen; sowie Berichte über die Unterstützungskasse für die Aerzte
Tagesnachrichten.
267
Deutschlands, Ober die wirtschaftliche Abteilung des Deutschen Aerztevereins-
bundes and aber die Auskunftsstelle in Hambarg. 5. Vorschläge zar Er¬
gänzung der §§ 11 and 13 der Geschäftsordnung für die Aerztetage, den
Wahlmodas des Geschäftsaasschusses and die Regelang der Beziehungen zar
Presse betreffend.
Bayerischer Medizinalbeamten-Verein (E. V.)
Krelaveraammlungen.
Regierung« - Bezirk. Oberbayern.
Die Versammlung findet am Samstag, den 29. April 1905, vorm.
8 */* Uhr, im „Hygienischen Institute“ za München statt.
Tagesordnung: 1. 8'/* Uhr: Geschäftsbericht, Wahlen, Wünsche
ud Anträge.
2. $ Uhr: Herr Ober-Medizinalrat Prof. Dr. Gräber: „Ueber
Desinfektion.“
3. 11 Uhr: Herr Prot Dr. Emmerich: „Ueber Untersuchung der
Verkaofsmilch und Ueber wachung des Milch verkauf es.“
4 3 Uhr nachm.: Gemeinschaftlicher Besuch der Ausstellung „Volks-
krukheiten und deren Bekämpfung.“
Regierung* - Bezirk Oberpfalz.
Die Versammlung findet am Montag, den 24. April 1905 in
Begensburg statt.
Tagesordnung: 1. Vornahme der Wahlen nach § 4 der Satzung des
Bayerischen Medizinalbeamten-Vereins.
2. Vortrag des Regierangs- und Kreismediziralratcs Dr. Dorff¬
meister: „Ueber einige bei Durchführung des öffentlichen Impfgeschäftes
besonders beachtenswerte Punkte.“
3. Vortrag des Bezirksarztes Dr. Graßmann in Regensburg: „Zur
Kurpfuscherfrage.“
4. Antrag auf Einladung der dem Vereine noch nicht angehörigen Amts¬
ärzte und für den ärztlichen Staatsdienst geprüften Aerzte des Kreises
zum Beitritt.
Regierung«-Bezirk Oberfranken.
Die Versammlung findet am Sonntag, den 30. April 1905,
uchm. 4 Uhr, in Kulmbach (Soolbad Wittelsbach) statt.
Tagesordnung: 1. Wahl des Kreis-Vorsitzenden und Schriftführers
und deren Stellvertreter.
2. Die Beteiligung der Bezirksärzte an der Untersuchung der Nahrungs-
aid Genußmittel, besonders der Milch.
3. Die amtsärztliche Registratur für die Aufbewahrung der Impflisten,
Leichenschauregister und Hebammentabellen.
4. Wünsche und Anträge.
5. Kurze Demonstrationen einzelner mit einfachsten Hilfsmitteln aus¬
führbarer chemischer und spektroskopischer Untersuchungen zu amtsärztlichen
Zwecken. Bezirksarzt Dr. Dietsch in Hof.
Regierung«-Bezirk Mlttelfranken.
Die Versammlung findet am Dienstag, den 25. April 1905,
czehmittags 2 Ubr, in Nürnberg, Restauration „Zum Krokodil“ (I. Stock)
R4tt:
Tagesordnung: 1. Wahlen.
2. Die Beteiligung der Bezirksärzte an der Untersuchung der Nahrungs
aad Genußmittel, besonders der Milch. (Besprechung).
3. Die amtsärztliche Registratur für die Aufbewahrung der Impflisten
Uichenschauregister und Hebammentabellen. (Besprechung).
4. Wünsche und Anträge.
268
TageBnachrichten.
Regierungs-Bezirk Unterfr&nkea.
Die Versammlung findet am Samstag, den 6. Mai 1905, nachm
2'l* Uhr, im „Hygienischen Institut“ zu Würzburg statt.
Tagesordnung: 1. Frühdiagnosen von Geisteskrankheiten. Referent:
Prof. Dr. Weygandt.
2. Hygienische Anforderungen an die Milch und Beteiligung der Me¬
dizinalbeamten an der Ueberwachung des Milchverkaufes. Referent: Dr.
H. Lang, Inspektor der Dampfmolkerei und Assistent für Chemie am
hyg. Institut.
8 Besichtigung der Sammlung des hyg. Instituts unter Führung des
Herrn Professor Dr. Lehmann.
4. Wahlen, Wünsche und Anträge.
Sollten sich einzelne Teilnehmer schon Vormittlgs einfinden, so wird
Gelegenheit geboten zur Besichtigung des neuen Wasserwerkes usw. usw.
Regierungs - Bezirk Schwaben.
Die Versammlung findet am Samstag, den 15. April 1905, nachm-
2 1 /« Uhr, in dem reservierten Saale des Hotels zu den „Drei Kronen“
Bahnhofstraßc) zu Augsburg statt.
Tagesordnung: 1. Wahlen. 2. Die Nahrungs- und Genußmittel,
deren Verunreinigung und Fälschung, besonders die der Milch; Maßregeln
hiergegen, Beteiligung der Amtsärzte bei deren Durchführung sowie an der
Förderung der hygienischen Interessen ihres Bezirks. Referent: Dr. F. Böhm,
Bezirksarzt der Stadt Augsburg. 3. Die amtsärztliche Registratur, die Auf¬
bewahrung der Impflisten, Leichenschauregister und Hebammentabellen. Re¬
ferent: Dr. Waibel, Bezirksarzt in Kempten. 4. Wünsche und Anträge.
Die Kreisversammlung der Medizinalbeamten des Reg.-Bezirks Nieder¬
bayerns hat bereits am 18. d. M. zu Plattling stattgefunden. Auf der
Tagesordnung standen: 1. Vorstandswahl; 2. Bericht über die konstituierende
Versammlung des Bayerischen Medizinal-Bcamtenvereins in Nürnberg; 3. Hy¬
giene der Milchversorgung und Untersuchung der Milch; Referent: Bczirksarzt
und Med.-Rat Dr. Späth in Landeshut; 4. Verschiedene Anträge; darunter
einer betreffend Fürsorge für Geisteskranke.
Preu88i8cher Medizinalbeamtenverein.
Die Vcreinsmitglicder werden nochmals auf die am 28. und 29. April
in Hannover stattfindende
XXII. Hauptversammlung
aufmerksam gemacht; die ausführliche Tagesordnung ist in Nr. 5 der Zeit¬
schrift, S. 159 veröffentlicht. Der heutigen Nummer sind die Leitsätze zu
einzelnen Vorträgen beigegeben.
Minden, den 15. April 1905.
Der Vorstand des Preussischen Medizinalbeamten-Vereins.
Im Auftr.: Dr. Rapmund, Vorsitzender,
Ke*.- u. Geh. Med.-Rat in Minden.
Berichtigung. In den Erläuterungen zum neuen Obduktions-
Regulativ muß es auf S. 127, Anm. 1, 3. Zeile nicht „Strauß“, sondern
„Strauch“, auf S. 169, Anm. 1 (Thymusdrüse) Zeile 6 nicht „9—11 g“, son¬
dern „9 — 33, durchschnittlich 14 g“, auf S. 221, Anm. 5 Zeile 3 nicht
2.—3. Lebensjahre, sondern „2.—3. Lebensmonate“ lauten. Außerdem ist
auf S. 129, Anm. 1, versehentlich das unter Leitung des H. Med.-Rats Prof. Dr.
Beumer stehende gerichtsärztliche Institut nicht unter denjenigen Instituten
genannt, in denen biologische Blutuntersuchungen vorgenommen werden.
Vcrantwortl. Redakteur: Dr. Rap man d, Reg.- u. Geb. Med.-Rat in Minden i. W.
J. C. C. Bruns, Hcrzogl. Sach*, u. F. Sch.-Ia. Iiofhuchdruok«rei in Minden.
Zeitschrift
für
1905.
MEDIZINALBEAMTE.
Kentnlblatt filr geriektlidw Medirii ui Psjtkiatrfo,
lir irzUkhe Saefarerstiidigeotatigkeit in Unfall- and Invalidititaaetai, wwie
fir lygNM, efentl 8aaitatewesen, Medizinal-Gcsetzgekug and ftMsktepreekug.
Heraasgegeben
▼OB
Dr. OTTO RAPMUND,
Kegierangi- and Och. McdixinAlrat !b Mlndn.
Verlag von Fischers mediz. Buehhandlg, H. Kornfeld,
HarsogL Bayer. Hof- n. ErshersogL Kammer -BoohMLodler.
Berlin W. 35, Lützowstr. 10.
Inserat« nehmen die YerUgthnndlnng sowie alle Annoncen - Expeditionen des In-
and Auslandes entgegen.
Nr. 9.
Brfleheiit »■ 1. mmd 15. jeden Monate.
1. Mai.
Ueber die vermeidbaren Impfschäden.
Von Oberamtsarzt Dr. Georgii in Maulbronn.
Die Aetiologie und Pathologie der Impfkrankheiten ist in den
letzten 10 Jahren einer eingehenden Durchsicht unterzogen worden.
Die Ergebnisse dieser Forschungen Hessen den Gedanken immer
mehr durchdringen, dass eine Reform der Schutzpockenimpfung
unumgänglich sei nnd veranlassten den Bundesratsbeschluss vom
28. Juni 1899, durch welchen alle neugewonnenen Kenntnisse und
Anschauungen Aber die Vermeidung von Impfschädigungen einer»
»eits und die Sicherung des Impferfolges anderseits ihre praktische
Verwirklichung finden sollten. Vergleicht man die Anlagen A—D
dieser Bandesratsbeschlüsse mit denen vom 18. Jnni 1885 bezw.
25. April, so erkennt man sofort die Absicht, die darin gipfelt,
die gesamte Durchführung der Impfung der modernen Hygiene
und Chirargie unterzustellen; s. z. B. 1899, Anlage B, Abs. b, § 18:
die Impfnng ist jals eine chirurgische Operation anznsehen usw.
Viele Impfschäden, die noch vor 10 Jahren als unvermeid¬
lich galten, müssen heute zu den vermeidbaren gezählt werden.
Hierher gehören z. B. die Primärinfektionen durch Staphylokokken,
die im frischen Impfstoff enthalten sind: Eiterprozesse in der Haut,
Ulzerationen, Lymphdrüsenabszesse, Impetigo contagiosa etc. Es
ist noch gar nicht lange her, dass für alle derartigen starkent-
zQndlichen Reaktionen die Impfärzte verantwortlich gemacht wurden.
Heute wissen wir, dass diese Infektionen durch Verwendung allzu
junger Lymphe hervorgerufen und durch Ablagerung und Glyzerin¬
vermischung der letzteren vermieden werden können. (Selbst¬
reinigung des Impfstoffes [Leoni, Paul, E. Levy]).
270
Dr. Georgii.
Man hat ferner genau unterscheiden gelernt, was auf Rech¬
nung einer sorglosen bezw. nachlässigen Ausführung der Impfung
zu setzen und was als ein zufälliges, teils vermeidbares, teils
unvermeidbares Ereignis anzusehen ist. In dieses Kapitel gehören:
Nichtbeachtung der Regeln der Anti- und Asepsis und Mangel
jeglicher Reinlichkeit durch den Arzt, nicht kunstgerecht ange¬
legte Impfschnitte Bowie Impf Stiche, Kreuz- und Gitterschnitte,
unerwünscht lange Impfritzer bei ungeberdigen Kindern; man¬
gelhafte Kinderpflege, Vakzineophthalmie durch zufällige Ueber-
tragung der Lymphe von der Impfstelle auf die Augen des Impf¬
lings und anderer Personen oder auf andere exkoriierte Körper-
steilen, z. B. Nase, Lippen, Ohr, Genitalien; Ekzem und Impfung,
Verschlimmerung bestehender Krankheiten, Lehre von der sog.
Vaccina generalisata, Lehre von der individuellen Disposition,
Heredität, latente Krankheiten, hohe Reflexerregbarkeit der Kinder,
Beziehungen zu akuten Exanthemen, Gastroenteritis, Sommerhitze,
Dentition usw.; Frage der Impfschutzverbände u. m.
Hiervon wurde neuerdings in den Vordergrund des Interesses
gerückt die Uebertragung des Impfstoffes von der Impfstelle auf
andere Körperstellen des Impflings, sowie auf andere Personen,
insbesondere auf Mütter, Pflegerinnen, ungeimpfte Geschwister,
zumal auf solche, die mit Ekzem behaftet sind. Der Tübinger
Zoologe Blochmann hat in seinem Buche „Ist die Schutzpocken¬
impfung mit allen notwendigen Kautelen umgeben?“ 1 ) auf Grund
seiner persönlichen Beobachtungen und eingehenden Studien der
Literatur diese Frage verneint, sowohl hinsichtlich der Anlage C
der Bundesratsbeschlüsse vom 28. Juni 1899, als auch betreffs
der Ausbildung der angehenden Aerzte und der gesamten ein¬
schlägigen Literatur. Vom rein theoretischen Standpunkte aus
ist unbedingt den Blochmann sehen Ausführungen Recht zu
geben. Unter ihrem Eindruck und Einfluss wurde im vergan¬
genen Jahr die Impfung im Bezirk Maulbronn vollzogen; gleich¬
zeitig drängte die Schrift geradezu zum Studium der modernen
Impfliteratur.
Für die Impfpraxis ist nun von besonderer Wichtigkeit die
Frage: Können zurzeit alle vermeidbaren Impfunfälle tatsächlich
auch vermieden werden? Voraussetzung hierfür ist, dass eine
Reihe prinzipieller Forderungen von vornherein erfüllt ist. Be¬
ginnen wir mit dem Impflokal und was dazu gehört. In An¬
lage A der Bundesratsbeschlüsse vom 28. Juni 1899 (Vorschriften,
welche von den Behörden bei der Ausführung des Impfgeschäfts
zu befolgen sind) werden im § 3 für die öffentliche Impfung helle,
heizbare, genügend grosse, gehörig gereinigte und gelüftete Räume
verlangt, welche womöglich auch eine Trennung des Warteraumes
vom Operationszimmer gestatten. Das liest sich wunderhübsch
und macht auf den Unerfahrenen bezw. den Theoretiker, der nie
öffentlichen Terminen angewohnt bezw. solche selbst besorgt hat,
den denkbar günstigsten Eindruck. In Wirklichkeit aber ent-
*) Siehe Referat darüber in Nr. 5 der Zeitschrift, Jahrg. 1904, S. 161.
Ueber die vermeidbaren Impfschäden.
271
sprechen die in den einzelnen Ortschaften zur Verfügung stehenden
Räumlichkeiten den'-obigen an sie gestellten Anforderungen nur
in Ausnahme fällen. Im hiesigen Bezirk steht z. B. nirgends ein
Warteraum und ein Operationszimmer zur Verfügung; oft sind die
Zimmer nicht genügend gross und je nach Witterung nicht ge¬
nügend gelüftet und gereinigt und dergl. Wenn man sich in den
Jahresberichten darüber nicht weiter auslässt, so geschieht dies
wohl deshalb, weil andere Lokale nicht zu haben sind, und man
sich eben ins Unvermeidliche zu schicken hat.
Zum Impllokal gehört nun ein gewisses Mobiliar, was in
Anlage A als selbstverständlich angenommen wird. Es ist deshalb
hiervon gar nicht die Rede, allein für eine einwandfreie Vollziehung
der Impfung auf dem Boden unserer heutigen Kenntnisse ist die
Mobiliarfrage nicht gleichgültig, indem zu bedenken ist, dass die
Zeiten vorüber sind, wo der Impfarzt sein Impfmesser in einem
Stück Zeitungspapier im Westentäschchen mitbrachte und damit
von einem Stuhl oder einer Schulbank aus drauflos impfte nach
dem Grundsatz je rascher um so besser. Es fehlt nämlich manchmal
an einem Tisch, auf dem die Spirituslampe mit dem Träger der
sonzuglühenden Impfmesser so Platz finden kann, dass nichts um¬
geworfen wird, es fehlt da und dort selbst bei kleinen Terminen
an der genügenden Anzahl von Stühlen und Bänken, ja, wenn nur ein
Schalzimmer zur Verfügung steht, hat es mitunter Mühe, ausser
dem Kathederstuhl einen Tisch und einen weiteren Stuhl zu er¬
halten, auf dem die den Erstimpfling haltende Mutter Platz finden
konnte. Es geht also öfters eng und ungemütlich zu, und dies
sehliesst die ideale Forderung einer „aseptischen Durchführung“
der Impfung aus. Zum Mobiliar gehört dann namentlich die
Waschgelegenheit: ein genügend grosses sauberes Wasch¬
becken mit reinem Wasser, gute Seife und mindestens zwei frische
Handtücher. Im Jahre 1902 schon habe ich bei Bestellung der
Impftermine dies ausdrücklich verlangt, weil in Anlage A, die bei
dieser Gelegenheit den Herren Ortsvorstehern jedesmal in em¬
pfehlende Erinnerung gebracht wird, hiervon nichts erwähnt ist.
Trotzdem musste auch wieder im vergangenen Jahr erst im Termin
die Waschgelegenheit einmal requiriert werden; in mehreren Fällen
fehlte die Seife und ein Handtuch; einige Male fehlte es sogar
an einem Stuhl oder Tisch, worauf das Waschbecken zur richtigen
Vornahme der Händereinigung hätte gestellt werden können.
Betreffs der Schreibhilfe heisst es in Anlage A, § 4,
Abs. 2: „Entsprechende Schreibhilfe ist bereit zu stellen.“ Was
da manchmal bereit gestellt wird, ist von mir an anderer Stelle
des näheren ansgeftthrt worden: ungeeignete ältere Gemeinderäte
oder Polizeiwachtmeister mit schwerer Hand und herabgesetztem
Seh- und Hörvermögen verunzieren die Impfiisten derart, dass
man lieber auf solche Schreibhilfe verzichtet zum Nachteil der
Asepsis. Damit ist zugleich die Auffassung beleuchtet, die manche
Ortsvorsteher Über ihre Mitwirkung bei der Ausführung des Impf¬
geschäfts haben.
Was die Beteiligung der Lehrer nach § 4, Abs. 3 be-
272
Dr. Georgii.
trifft, so sieht es hier auch nicht glänzend aus: Viele Lehrer
bestreiten, dass sie zu den Impfterminen ausserhalb der Schulzeit
ohne Entschädigung herbeigezogen werden können, manche leben
im Konflikt mit dem Ortsvorsteher, und so kommt es, dass nicht
immer ein Lehrer anwesend ist. Gerade die Teilnahme der Lehrer
ist aber unendlich wichtig, weniger aus Gründen der Aufrecht*
erhaltung der Ordnung, als im Interesse der öffentlichen Gesund*
heitspflege; sie könnten viel lernen und dies wieder im Unterricht
verwerten, namentlich auch in bezug auf die Vermeidung der so
häufig bei Wiederimpfungen auftretenden Impfbeschädigungen
(Sekundär-Infektionen infolge Kratzens, Arbeitens, Turnens, Mu*
sizierens etc,).
Die so sehr wichtige Lehrer- und Schreibhilfe - Frage lässt
sich am besten als Assistenzfrage überhaupt lösen, und zwar am
einfachsten dadurch, dass als einzige bezahlte Assistenz bezw.
Schreibhilfe nur Lehrer bestellt würden. Nach meinen Er¬
fahrungen würden die Lehrer mit 1,50 Mk. für die erste Stunde
und 1 Mk. für jede weitere angefangene Stunde zufrieden sein;
wo angängig, sollten die jüngeren Lehrer bevorzugt werden.
Alle bisher angedeuteten Missstände, die mit der speziellen
Impftechnik noch nichts zu tun haben, sind zweifellos geeignet,
zufällige Primär- und Sekundär - Infektionen inkl. die Vakzine-In¬
fektion, die man vom theoretischen Standpunkte aus als vermeidbar
bezeichnen kann, auch heute noch zustande kommen zu lassen,
weil eben in der Praxis die Voraussetzungen für ihre Vermeidbar¬
keit teils nicht erfüllt werden, teils nicht erfüllbar sind.
Die Anlage B gibt die Vorschriften, die von den Aerzten bei
der Ausführung des Impfgeschäfts zu befolgen sind. Im Unter¬
schied gegen früher gelten diese Vorschriften auch für die Pri¬
vatimpfärzte (s. Krauss; 1901, S. 516, §16, Abs. 6). Hier
glaube ich darauf aufmerksam machen zu müssen, dass im Interesse
der vermeidbaren Impfschäden für die Impfungen der Privatärzte
eigene, besonders genaue Vorschriften zu erlassen sind, wenigstens
sofern die Impfung einer grösseren Zahl von Kindern im Hause
des Privatarztes vorgenommen wird. Nirgends gibt es beispiels¬
weise mehr Gelegenheit zu akzidentellen Wund- und anderen
Krankheiten, als in den Sprechzimmern vielbeschäftigter Land*
und Kassenärzte, wo tagtäglich die gefährlichsten Phlegmonen,
Furunkeln, Abszesse, Panaritien, Ulzerationen und Hautkrank¬
heiten aller Art aus Mangel an Zeit in Eile erledigt, wohin
diphtherie-, masern- und scharlachkranke Kinder zur ersten Unter¬
suchung oder zur Seruminjektion gebracht werden usw., und wo
eine Zimmerdesinfektion vor der Impfung meines Wissens noch
nicht üblich ist. Eine diesbezügliche Vorschrift dürfte auch ge¬
eignet sein, die unnötigen Massenprivatirapfungen einzuschränken.
Die Mängel der Anlage C (Verhaltungs-Vorschriften für die
Angehörigen der Impflinge) sind von Blochmann genügend be¬
leuchtet. Es mag deshalb hier nur ein im Jahre 1903 im Bezirk
beobachtetes Vorkommnis Erwähnung finden: Bei der Vorladung
zur öffentlichen Impfung wiesen viele Leute die Annahme der
Uober die vermeidbaren Impfschäden.
273
gedruckten Verhaltungsvorschriften zurück mit der Begründung,
sie lassen privatim impfen. Für solche Leute wären auch die ge¬
nauesten nach der Forderung Blochmanns ergänzten Vorschriften
zweeklos, so lange deren Annahme verweigert werden darf und die
Ausstellung einer Empfangsbescheinigung nicht vorgeschrieben ist.
Die Verhaltungsvorschriften bedeuten einen entschie¬
denen Fortschritt; Blochmann meint, dass alle Erkrankungen
an Autoinokulation, Vakzineinfektion, an vakziniertem Ekzem ohne
Schwierigkeit in einem guten Haushalt mit Sicherheit vermieden
werden können, wenn eine ausreichende und richtige Belehrung
der Laien stattfinde. Dieser Optimismus berührt äusserst wohl¬
tuend, verrät aber sofort den einseitigen subjektiven Standpunkt
des Theoretikers, der die wirklichen Verhältnisse eben nicht
kennt, ln der allgemeinen Impfpraxis sind nämlich die guten
Häuser im Sinne Blochmanns leider etwas seltenes. Wenn
auch kein offener Widerstand gegen die Impfung bei uns im
grossen und ganzen zu verzeichnen ist, so muss man sich doch
häufig gewaltig über abfällige und höchst bornierte Aeusserungen
▼on Leuten wundern, die sich zu den Gebildeten rechnen; Aeusse-
rangen, aus denen hervorgeht, dass diese Gebildeten kaum wissen,
um was es sich bei der Impfung handelt, und dass sie gar keine
Lost haben, sich richtig belehren zu lassen; sie wissen es von
Haus aus schon besser, dass das Impfen überhaupt ein Unsinn ist.
Steht also die Intelligenz bei diesen „Gebildeten" auf einer solchen
Stufe, so darf man sich keinen besonderen Hoffnungen hiugeben,
bei der grossen Masse, die das Hauptkontingent an Impflingen
stellt, etwa auf mehr Entgegenkommen in dieser Hinsicht zu
stoesen. Fragt man vor dem Beginn der Impfung: „habt Ihr die
erhaltenen Vorschriften auch gelesen", so bekommt man oft merk¬
würdige Antworten; eine der häufigsten negativen Antworten ist
die, dass die Vorschriften unnötig seien, sie wüssten schon längst,
was darin enthalten sei; eine andere ist die, das Impfen bleiben
zu lassen, dann brauche man die Vorschriften nicht. Eine Mutter,
die ihr Kind zur Nachschau brachte mit total verschmiertem Arm,
schmutzigster Wäsche und denkbar schlechtester Körperpflege, gab
nach dem Hinweis auf die Verhaltungsvorschriften zur Antwort,
„die gängen sie nichts an; sie habe nicht verlangt, dass ihr Kind
geimpft werde, sie habe deshalb auch keinen Grund etwas Be¬
sonderes zu tun."
Trotz solcher Erfahrungen verhehle ich mir nicht, dass eine
Neubearbeitung der Vorschriften nur Günstiges, wenn auch
langsam, erreichen wird, namentlich, wenn den Impfärzten zur
Pflicht gemacht wird, vor Beginn der einzelnen Impftermine die
Verhaltungsvorschriften durchzusprechen und zu erläutern. Be¬
sonderer Nachdruck ist darauf zu legen, dass die ausserordentliche
Pflege und Wartung der Kinder auch nach dem Nachschautermin
anzohalten hat bis zum Abfall der Borken; denn in dieser Zeit
kommen die meisten „vermeidbaren“ Impfschäden vor aus Mangel
an Reinlichkeit und Aufmerksamkeit. Um solche Impfschäden
wirklich zu vermeiden, dazu gehören dann ausser der offiziellen
274
Dr. GeorgiL
ausdrücklichen Belehrung in erster Linie lauter „gute Häuser*,
und die zu beschaffen, wird dauernd das Ideal der sozialen Hy¬
giene sein.
Vielfach und weitläufig sind die Beziehungen des Impfarztes
zu den vermeidbaren Impfschäden. Der Besprechung wichtig an
dieser Stelle erschienen mir die objektive und subjektive Des¬
infektion, das Instrumentarium, der Impfstoff, die Ausführung der
Schnitte und der Schutzverband, dann das Kindermaterial und die
Zahl der Kinder.
Dass die Beherrschung und Befolgung der strengen Regeln
der allgemeinen Chirurgie über Asepsis und Antisepsis oberster
Grundsatz für die impfenden Aerzte sein muss, ist die erste Vor¬
aussetzung. Wird sie immer erfüllt? Diese Frage kann nicht
ohne weiteres mit ja beantwortet werden. Kalt überläuft es einem,
wenn man z. B. bei Blochmann liest, dass der impfende Arzt
die aufgebrochenen Pusteln mit einer Windel verbinden liess, oder
wenn man sieht, wie ein Impfarzt den besorgten Müttern rät, auf
die stark geröteten Entzündungshöfe und aufgekrazten Impfstellen
„Schmeer* zu legen.
Was die Reinheit der Hände des Impfarztes betrifft,
so wird in Anlage B die Desinfektion im streng chirurgischen
Sinne des Wortes: also heisses Wasser, Bürste, Seife, Alkohol
und Desinfiziens nicht verlangt. Meines Erachtens mit Recht
nicht ; denn es ist geradezu unmöglich, in öffentlichen Terminen
die hierzu nötige Zeit zu finden. Selbstredend hat eine solche
Desinfektion stattzufinden, wenn der Arzt in den letzten 24 Stunden
mit infektiösem Material zu tun hatte, sie wird aber dann besser zu
Hause vor der Abreise zum Impftermin besorgen; im Zweifelsfall,
z. B. bei dringenden nicht mehr verschiebbaren Eingriffen und Ter¬
minen, stehen stets die feinen sterilisierten Operationshandschuhe
zur Verfügung. Anderseits ist es unerlässlich, dass in den Impf¬
lokalen Waschwasser, Seife und frische Handtücher bereit ge¬
halten werden, und dass der Arzt jedesmal vor und im Verlaufe
eines grösseren Termins sich mehrmals gründlich mit Wasser und
Seife reinigt, damit in erster Linie akzidentelle Vakzineinfektionen
durch seine Finger vermieden werden, weil es trotz aller Vor¬
sicht passieren kann, dass an seine Finger Impfstoff gelangt (un-
geberdige Kinder!). Dann aber kann er bei dieser Gelegenheit
die Anwesenden über die Ursache und Bedeutung der Vakzine¬
infektion belehren und ihnen die Technik einer richtig vorge¬
nommenen Händewaschung und Abtrocknung vorzeigen.
In bezug auf die Reinigung der Impfstelle ist eine um¬
ständliche Desinfektion gleichfalls unmöglich, es würde dies zu viel
Mühe und Zeit erfordern. Nach Paul ist sie sogar entbehrlich,
weil die Hautepiphyten ziemlich harmlos seien; er verlangt eine
kurze Abreibung mit einem Aetherbausch. Zu bedenken ist hierbei
übrigens, dass durch ein Reiben des kindlichen Arms mit ge¬
tränkter Watte zahlreiche mikroskopisch kleine Risschen in der
zarten Epidermis erzeugt werden können, was die Gefahr eines
unerwünscht starken Impferfolges und der Autoinokulation be-
Ueber die vermeidbaren Impfschäden.
275
deutend erhöhen würde. Der bayerische Zentralimpfarzt Stampf
teilt in seinem Bericht für 1902 mit, dass in einem Bezirk der
Arm von 15 Erstimpfungen mit alkoholgetränkter Watte abge¬
rieben warde, während eine andere Serie von 12 Erstimpflingen
unbehandelt büeb; der Erfolg war, dass nicht der geringste Unter¬
schied in der örtlichen Reaktion der beiden Gruppen wahr¬
genommen werden konnte. In einem anderen Bezirke konnte die
Häufigkeit der Entzündung des Oberarms (12 %) nicht durch vor¬
herige Desinfektion der ImpfsteUe verhindert werden. (Es wird
wohl zu frischer Impfstoff verwendet worden sein.)
Nach allen Erfahrungen ist es ausreichend, dass die Kinder,
wie Anlage C verlangt, absolut sauber (event. mit Seife) gewaschen
und sauber gekleidet zur Impfung gebracht werden, und dass un¬
reine Kinder ohne weiteres abgewiesen werden; letzteres wirkt
besser als langatmige Vorschriften bei Müttern und Wiederimpf¬
ungen, denn coram publico als Schmutzfink hingestellt zu werden,
passt selbst Indolenten keineswegs, wovon ich mich schon mehr¬
fach mit Genugtuung überzeugen konnte.
Was die Kleidung der Impflinge anlangt, so wäre wünschens¬
wert, wenn auf mögUchst weite Aermel aufmerksam gemacht würde.
Hinsichtlich des Instrumentariums dürften die ausglüh-
baren Platiniridiumlanzetten zurzeit das denkbar beste darstellen,
sie bieten volle Gewähr für eine gefahrlose Impfung: für jedes
einzelne Kind hat man ein ganz frisch keimfrei gemachtes In¬
strument, der Impfstoff kann in seinem Gläschen bleiben, die Ge¬
fahr einer Infektion des Impfstoffs mit pathogenen Keimen durch
die Lanzette ist nicht mehr vorhanden. Das sind Vorteile gegen¬
über welchen alle Klagen verstummen müssen, wie z. B. über die
Zeitfrage, den Mangel an Festigkeit, leichtes Umbiegen der Spitze,
vorzeitiges Stumpfwerden, das störende Flackern der Flamme. Es
scheint verschiedene Fabrikate zu geben, man muss eben das beste
kaufen, dann hat man über Materialfehler nicht zu klagen; die
Zeitfrage ist durchaus belanglos, wenn man über drei Lanzetten
zu verfügen hat. Nach Stumpfs Jahresberichten gewinnt die
Platiniridiumlanzette tatsächlich von Jahr zu Jahr an Boden.
Neuerdings ist im Interesse der Asepsis auch schon die Rede
von der Elinführung von Operationsmänteln gewesen; sie wird
vorerst ein frommer Wunsch bleiben müssen zunächst wegen der
Geldfrage, dann mit Rücksicht auf das grosse Publikum, bei
welchem bekanntlich der Anblick eines Arztes im blendend weissen
Operationsrock sofort die Schauer blutigster Operationen wachruft.
Die Hauptsache ist und bleibt, dass die Hände und die Instru¬
mente einwandfrei sind; von den Kleidern des Arztes droht kaum
Gefahr, da sie mit den Impflingen nicht in Berührung kommen,
was eher bei den Müttern zutrifft, die ihre geimpften Kinder an
sich drücken.
Eine grosse Rolle bei der Vermeidung von unangenehmen
Impfkomplikationen spielen der Impfstoff, die Ausführung der
Schnitte und die Frage des Schutz verbau des. Dass der Impf¬
stoff tadellos rein sein muss, ist längst anerkannt und seitdem
276
Dr. Georgii.
nur animale Lymphe verwendet werden darf und die Notwendig¬
keit der Ablagerung des frisch abgenommenen Kuhpockeninhalts
erkannt ist, ist dieser Voraussetzung vollkommen entsprochen.
Gefährlich kann er nur noch werden, wenn zu viel verwendet
wird, also ein unnötiger Ueberschuss auf die Impfinsertionen ge¬
strichen wird, wovon die Vakzineinfektionen so gern ihren Aus¬
gang nehmen. In engem Zusammenhang damit steht die Form
der Schnitte. Obwohl nach Anlage C, § 16 nur 4 leichte
Schnitte von höchstens 1 cm Länge als genügend empfohlen werden,
scheint der Kreuz-, der Doppel- und der Gitterschnitt noch ver¬
hältnismässig häufig namentlich von älteren Impfärzten angewendet
za werden; diese Schnitte erfordern entsprechend mehr Lymphe,
geben Anlass zu heftigen Reizerscheinungen und zu den mit Recht
so verpönten Vakzineinfektionen; sie stammen noch aus der Zeit
der Verwendung humanisierten Impfstoffes her, dessen Wirksam¬
keit vorher nicht geprüft werden konnte, weshalb die Sicherheit
des Erfolgs nicht immer zweifellos war. Die Fortschritte der
Impfstoffgewinnung und die Herstellung tadelloser sicher wirkender
Tierlymphe machen nunmehr diese komplizierten und deshalb ge¬
fährlichen Schnitte überflüssig. Es sollte daher der § 16 aus¬
drücklich diese Schnittformen verbieten und dementsprechend
ergänzt werden.
Die Frage des Schutzverbandes ist in letzter Zeit viel
erörtert worden: er hat die Frühinfektionen und die Uebertragung
von überschüssiger Lymphe auf andere gefährdete Körpergegenden
zu verhüten. Paul ist der begeistertste und energischste Ver¬
fechter dieser Forderung. Er verlangt die Bedeckung der Impf¬
stellen mit einem aseptischen Verband unmittelbar nach der
Impfung für mindestens 24 Stunden und verwendet die in dem
Laboratorium des Apothekers B. Rothziegel in Wien unter
streng aseptischen Kautelen hergestellten Tegminverbändchen, die
sich ihm seit einer Reihe von Jahren als die zweckmässigsten,
einfachsten und billigsten Impfverbände vorzüglich bewährt und
u. a. den Beweis geliefert haben, dass man Ekzembehaftete bei
ihrer Anwendung anstandslos impfen kann. Der Anschaffungspreis
beträgt weniger als zwei Heller pro Impfling. Nach den Stump f-
schen Berichten wird die Anwendung eines Deckverbandes als
wirkungslos, zeitraubend und teuer verworfen; auch die von
Ludwig besprochenen Fürst sehen Impfschutz verbände (40 Pfg.
pro Impfling) sind für die allgemeine Impfpraxis zu umständlich
und zu teuer. Car in i will wegen der Tetanusgefahr einen fest
anliegenden Verband, wodurch anaerobe Verhältnisse geschaffen
werden können, vermieden wissen.
Die rationellste Lösung der Frage wäre m. E. die, wenn
sich für die Lymphe ein anderes ebenso gutes Verdünnungsmittel
als das Glyzerin finden liesse, welches den Nachteil des Glyzerins,
die Unmöglichkeit vollkommener Eintrocknung nicht hat, sondern
eine rasche vollständige Vertrocknung des aufgetragenen Impf¬
stoffes zulassen würde; dann würde die Gefahr des Verschmierens
durch Kleidung und Finger beseitigt.
Heber die vermeidbaren Impfschäden.
277
Anders verhält sichs mit der Behandlung der aufgeplatzten
oder aufgekratzten Impfpusteln, was man oft bei der Nach*
schau zu sehen bekommt; hier ist es Pflicht des Impfarztes, vor
nnzweckinässiger Behandlung, besonders vor all den gefährlichen
meist schmutzigen Hausmitteln, die zur Linderung der Beschwerden
angewendet werden, energisch zu warnen und entsprechende Ver-
h<ungsmassregeln zu geben, weil ja die meisten „vermeidbaren“
Impfschäden in derZeit nach der Nachschau durch solche Mittel
and Behandlung aus Mangel an Aufmerksamkeit entstehen. Also
immer und immer wieder ist Sauberkeit zu predigen; als Mittel bei
aofgeplatzten oder aufgekratzten Impfpusteln sind aseptische, aus¬
trocknende, häufig anzuweudende Streupulver und aseptische
Salben zu verordnen; wenn Okklusivverbände sich nötig erweisen,
ist reines Verbandmaterial zu verwenden und keine Windeln,
Schmalzflecken oder Schmeerhäutchen!
Von grosser Bedeutung ist weiterhin die Zahl der in
einem Termin zu impfenden Kinder. Je weniger Kinder
vorgeladen sind, um so eher wird eine Ueberhastung und damit
eine Verminderung der Sicherheit des Impfgeschäfts vermieden.
Wird z. B. der Erlass des Königl. württembergischen Medizinal-
Kollegiums vom 9. Februar 1897 (Krauss, 1901, S. 514) streng
befolgt, so ist nicht nur die Notwendigkeit der Prüfung des Ge¬
sundheitszustandes des einzelnen Impflings vor der Impfung ge¬
währleistet, auch ihre exakte Ausführung gewinnt wesentlich und
mancher Impfschaden wird somit vermieden. Paul verlangt, dass
höchstens 60 Impflinge an einem Termin geimpft werden, um
diesen Forderungen gerecht zu werden. Er rechnet zwei Minuten
im Durchschnitt für jeden Impfling, also zwei Stunden für jeden
einzelnen Termin; das ist dnrchaus richtig und notwendig.
Für unsere Verhältnisse ist nun die Frage wichtig, wieviel solcher
Termine dürfen von einem öffentlichen Impfarzt an einem Tag
abgehalten werden ? Die Beantwortung ist schwierig insofern, als
zunächst individuelle Momente eine grosse Rolle spielen, z.B. Alters¬
unterschiede: der eine arbeitet bei gleicher Pünktlichkeit rasch,
der andere langsamer; der eine hat als vielbeschäftigter prakti¬
scher Arzt immer Eile und will mit dem schlecht bezahlten Impf¬
geschäft deshalb möglichst rasch fertig werden, der andere ist
glücklich, wenn die Impfzeit naht und er Gelegenheit bekommt,
möglichst lange seinen Bezirk zu bereisen und dabei Land und
Leute kennen zu lernen. Impft also der eilige Routinier in zwei
Stunden 200 Kinder, so ist das etwas anderes, als wenn der Impf¬
frohe einen ganzen Tag ausschliesslich auf 4—6 Termine mit zu¬
sammen 200 Impflingen verwendet. Nur einen Tagestermin ä 50
bis 60 zuzulassen, ist wegen der geographischen Verhältnisse und
des Zeitverlustes unmöglich. Die Frage ist also zurzeit vor¬
wiegend eine Geldfrage und wird am schönsten gelöst werden,
wenn diese bei einer etwaigen Festlegung der Zahl und Dauer
der Termine vorwiegend berücksichtigt wird.
Es mögen hieran die häufigsten Erkrankungen kurze Er¬
wähnung finden, welche unter den zur Impfung gebrachten Kindern
278
Dr. Georgii.
zur Beobachtung kommen: von den allgemeinen Ernährungsstörungen
das Kleeblatt: Rhachitis, Anämie und Skrophulose inkl. chronischer
Darmkatarrhe (Atrophie); dann kommen die Varizellen und ver¬
blasste Masern; von den örtlichen’: verschiedene Dermatosen, wie
Ekzem, Prurigo, Ichthyosis, Ulcera, lokale tuberkulöse Affektionen,
Knochen- und Drüsenfisteln; ferner laufende Ohren, Lid- und andere
Furunkel, Panaritien (letztere bei Wiederimpflingen namentlich),
und sehr häufig wunde Hautstellen und Hautfalten an Nates,
Vulva, Scrotum, Achsel- und Inguinalfalten.
Diese Zusammenstellung mag genügen, um darzutun, dass
die Untersuchung des Gesundheitszustandes der Impflinge sich
nicht bloss auf die Betrachtung des Gesichts und des Arms be¬
schränken darf, sondern eine gründlichere sein muss, wenn man
sich vor so fatalen Dingen, wie z. B. der Vakzineophthalmie
schützen will; ganz besonders wichtig ist die Beachtung des oft so
verborgenen Intertrigo.
Je gründlicher die Untersuchung der Impflinge ausfällt, um
so häufiger kommt man zur eigenen Ueberraschung und oft zum
Erstaunen der Mütter zur Zurückweisung scheinbar ganz gesunder
Kinder. Uebrigens darf die Frage, ob man Ekzemkinder impfen
soll, nicht ohne weiteres verneint werden; während im all¬
gemeinen, wenn keine Blatterngefahr besteht, sie besser zurück
gewiesen werden, wird man anderseits solche ruhig impfen können,
wenn man sich der event. Tragweite seines Tuns bewusst ist;
denn diejenigen, welche auf der Höhe der Zeit stehen, wissen,
dass ein zufällig vakziniertes Ekzem eine recht unangenehme und
unter Umständen sehr gefährliche Impfkomplikation ist, sie wissen,
dass nur die direkte Uebertragung der Vakzine auf eine ekze¬
matöse Hautstelle des Impflings oder eines Ungeimpften diese
Komplikation zur Folge hat, sowie dass bei den Ungeimpften die
Affektion einen schwereren Verlauf nimmt, als bei den Geimpften,
somit kennen sie auch die Prophylaxe. Will man also aus irgend
einem Grunde ein sonst gesundes Ekzemkind ohne Gefahr für
seine Gesundheit impfen, so kann dies künftig wie bisher zuge¬
lassen werden, wenn dabei alle Vorsichtsmassregeln beachtet
werden, die diesen Voraussetzungen entsprechen (Paul). Die
Entscheidung und die Verantwortung muss dagegen selbstredend
künftig einzig und allein dem Arzt zufallen (Bl och mann).
Aber auch die Nachschau ist nicht so einfach, als man
vielfach glaubt; denn sie erfordert ebenfalls die volle Aufmerk¬
samkeit des Arztes. Nicht nur die Impfstelle und die Zahl der
entwickelten Pusteln, das ganze Kind ist einer sachverständigen
Besichtigung zu unterwerfen, und hier bietet sich reichlich Ge¬
legenheit, vermeintliche wie wirkliche Impfschäden durch ver¬
ständliche Belehrung der Mütter und Wiederimpflinge zu verhüten.
Dass aber hier der kurz hingeworfene Hinweis, z. B. auf Salben¬
flecke, Bleiwasserumschläge und dergl. nicht genügt, ist sicher;
mau muss sich Zeit nehmen und näher auf etwaige Abweichungen
vom normalen Impf verlauf, sowie auf andere Krankheiten eingehen.
So ist z. B. die Messung der Körpertemperatur in allen verdäch-
Ueber die vermeidbaren Impfschäden.
279
tigen Fällen ausserordentlich wichtig; in gewissen Fällen ist eine
eingehende Untersuchung eines Kindes ausschlaggebend dafür, ob
eine Gesundheitsstörung die zwischen Impfung und Nachschau sich
einatellt, der Vakzination zur Last gelegt werden muss oder nicht.
Geschieht dies nicht, so wird hinterher alles eo ipso dem Impf¬
zwang in die Schuhe geschoben. Die geeignete Illustration hierzu
möge folgende Zusammenstellung geben: Es wurden in Nachschau-
terminen beobachtet: Erytheme, Nebenpusteln, Autoinokulationen,
aQfgeplatzte und aufgekratzte Pusteln, letztere mit ranzigem
Oel, Meerzwiebelblättern, selbstbereiteten Salben, zum Teil aus
der Dreckapotheke stammend, schmutzigen, von anderen Kranken
abgelegten Verbandstoffen und alten Hemdfetzen verbunden usw.,
dann Achseldrüsenschwellungen, zufällige Verbrennungen, ferner
Magenkatarrhe, Sommerdiarrhoeen, Kapillarbronchitis, Pneumonien;
Varizellen und Masern; besonders starke Allgemeinreaktion ohne
sonstige Störungen; schmutzige Wäsche, Kleidung und Hände von
Kindern und Müttern nicht zu vergessen! Also auch hier spielt
die Zeitfrage eine grosse Rolle bei der Verhütung einer Reihe
von vermeidbaren Impfschäden, insbesondere den Spätinfektionen.
Literatur in chronologischer Folge.
1. Fürst: Die Pathologie der Schutzpockenimpfung. Berlin 1896.
2. Leoni: zitiert von Fürst 1. c.
3. Stumpf: Ueber Züchtung von Tierlymphe. Münch, med. Wochen¬
schrift; 1898, 5, S. 135 ff.
4. Medizinalberichte von Württemberg für 1900, 1901, 1902.
5. Stumpf: Berichte über die Ergebnisse der Schutzpockenimpfung im
Königreich Bayern für 1900,1901, 1902,1903 in Münchener med. Wochenschrift,
1901, Nr. 51; 1902, Nr. 48; 1904, Nr. 3, Nr. 49.
6. Paul: G., Jahresbericht der k. k. Impfstoffgewinnungsanstalt in Wien
über das Betriebsjahr 1900. Das österreichische Sanitätswesen; 1901,
.\'r. 39-42.
7. Krauss: Medizinalwesen im Königreich Württemberg, 1891 u. 1901.
8. Paul, G., Ueber den gegenwärtigen Stand der aseptischen Impf-
technik. Das Oesterreichische Sanitätswesen; 1901, Nr. 46 f.
9. Paul, G. : Studie über Aetiologie und Pathogenese der sogenannten
generalisierten Vaccine. Archiv für Dermatologie; Bd. 52.
10. Bl och mann: Ist die Schutzpockenimpfung mit allen notwendigen
Kautelen umgeben? Tübingen 1904.
11. Levy: E., Glyzerin und Lymphe. Münchener med. Wochenschrift;
1904, S. 307.
12. Baginski: Generalisierte Vaccine. Ibidem; 1904, Nr. 31, S. 1409.
13. Düring: Zur Lehre vom Ekzem. Ibidem; 1904, 36, S. 1599.
14. Lublinski: Akzidentelle Vakzination der Nasenschleimhaut. Ibidem;
1904, Nr. 52, S. 2328.
15. Paul: G., Ueber Impfschäden. Das österreichische Sanitätswesen;
1904, Nr. 8—16.
16. Ludwig: Erfahrungen über Impfschutzverbände. Württembergisches
med. Correspondenz - Blatt; 1904, Nr. 80.
17. Stumpf: Zur Geschichte der Königl. bayerischen Zentralimpfanstalt.
Münchener med. Wochenschrift; 1905, Nr. 3, S. 128 f.
18. Flachs: Beitrag zur Impftechnik. Archiv für Kinderheilkunde;
40. Bd., 1.-3. Heft.
19. Wilhelmi: Impfschädigungen. Beilage zur Zeitschrift für Mcdi-
zinalbeamte; IIL, 1905.
20. Carini: Kuhpockenlymphe und Tetanus. Referat in Zeitschrift
für Medizinalbcamtc; 1905, Nr. 4, S. 110.
280
Dr. Hülsmeycr: Ueber einen neaen Lymphröhrenhalter.
Ueber einen neuen Lymphröhrenhalter.
Von Kreisarzt Dr. L. Uülsmeyer in Bütow.
Im folgenden möchte ich die Herren Kollegen auf einen sehr
praktischen Lymphröhrenhalter aufmerksam machen, den ich be¬
reits in der vorigen Impfsaison anwenden konnte.
Es handelt sich um ein aus starkem Draht zierlich gefertigtes
Hebelgestell, welches auf einem Holzbrettchen angebracht ist. In
das Gestell wird der gefüllte Lymphtubus, wie er aus der Anstalt
zur Gewinnung tierischen Impfstoffs geliefert wird, eingeklemmt.
Ein zweckmässig angebrachter Deckel bedeckt das Gläschen
während des Impfens; derselbe wird nur zur Lymphentnahme für
einen Augenblick geöffnet. Nach dem Gebrauche wird das Gläs¬
chen, mit dem Korkstöpsel versehen, bis zum definitiven Verbrauch
der Lymphe in dem Apparat belassen, der vollkommen zusammen¬
gelegt und in ein kleines Futteral gesteckt werden kann. Die
Grösse des ganzen Gestells beträgt 2 1 /* : 8 : 3 cm (S. Abbildung).
Die Handhabung dieses Lymphröhrenhalters ist höchst ein¬
fach und praktisch. Die linke Hand des Operateurs bleibt voll¬
kommen frei. Mit dem kleinen Finger der rechten Hand, welche
das Impfin8truraent schreibfederartig hält, wird der Hebel nieder¬
gedrückt und dadurch der Lymphtubus unter dem kleinen Deckel
hervorgehebelt. Nach der äusserst bequemen Entnahme der Lymphe
verschwindet der Tubus sogleich wieder unter dem Deckel. Die
Einrichtung ist so zierlich, dabei aber stabil und leicht zu hand¬
haben, dass die Benutzung des kleinen Apparates eine Freude
ist. Sie erleichtert die Impfung einer grösseren Anzahl von
Kindern ungemein.
Als besondere Vorzüge des Apparates sind hervorzuheben:
1. Die Lymphe ist während des Impfens permanent bedeckt.
Die Oeffnung des Impfröhrchens bei der Lymphentnahme ist eine
ganz momentane.
2. Die Verimpfung der Lymphe geschieht direkt aus dem
Röhrchen. Dadurch wird das Ausgiessen in eine Schale, womit
Vergeudung von Lymphe verbunden ist, und die lästige Reinigung
W T*
Dr. Friedei: Ein Besteck zur sero• diagnostischen Blutentnahme. 281
und Desinfektion des Lymphbehälters überflüssig. Die Lymphe
wird ans dem Röhrchen bis zum letzten Rest verbraucht.
3. Der Apparat ist äusserst bequem und leicht zu handhaben.
4. Derselbe beschwert das Impfinstrumeutarium nicht mehr,
eher weniger, als irgend ein anderes Lymphentnahmegefäss.
Ich bemerke noch, dass der Lymphröhrchenhalter von dem
prakt. Arzt Herrn Dr. Grimm in Gross-Tuchen konstruiert ist.
Die fabrikmä8sige Herstellung desselben hat die Firma Evens &
Pi stör in Cassel übernommen.
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Ein Besteck zur sero-diagnostischen Blutentnahme.
Von Kreisassistenzarzt Dr. Frledel - Coblenz.
Von W. Goetz, Fabrik chirurgischer Instrumente in Coblenz,
wird nach meinen Angaben ein kleines Metallkästchen ausgeführt,
das in kompendiöser Form alles enthält, was man bei der Blut¬
entnahme zu sero - diagnostischen Zwecken, also vor allem zur
Typhus - Diagnose braucht. Wie aus der Abbildung ersichtlich,
ist in dem Bodenteil in besonderen Fächern untergebracht: ein
Fläschchen mit Alkohol oder Seifenspiritus zur Desinfektion, Licht,
Zündhölzer, Siegellack, Glaskapillaren und ein Lakerscher Stecher;
im Deckel ist Platz für gefüllte Röhrchen und Watte vorgesehen.
Die Benutzung des Lak er sehen Stechers kann ich dringend
empfehlen; es lässt sich mit ihm die kleine Verletzung, am besten
am Ohrläppchen, so vollkommen schmerzlos ausführen, dass z. B.
Kinder den Einstich überhaupt nicht bemerken, wenn man ihn
ohne jede Vorrede, durch die man sie meist nur ängstigt, vor-
mmmt. Die Kapillaren haben zweckmässig eine gleichmässige
lichte Weite von 2—2*/* mm bei einer Länge von 12 cm und sind
an den Enden nicht spitz zugeschmolzen, sondern weit offen; in
ihnen findet eine schnelle Gerinnung des Blutes nicht statt, so
dass man sie in aller Ruhe vollständig füllen kann; Sterilität
der Kapillar - Röhrchen ist nicht erforderlich. Nach der Füllung
'»ird auf die kleine Wunde ein Watteflöckchen gelegt, das sich
sofort ansaugt und die Blutung stillt.
Die Zusammenstellung hat sich besonders bei den Typhus-
Ermittelungen der Kreisärzte als recht handlich bewährt; Preis:
komplett 12 Mark.
I
282
Dr. Thomalla: Vermeintliche Notzucht.
Vermeintliche Notzucht.
Von Dr. Robert Thomalla, Kreisassistenzarzt in Waldenburg.
Vor kurzer Zeit wurde ick zu einer guten Biirgerf&milie in
Berlin gerufen mit der Bitte, das sechsjährige Töchterchen zu unter¬
suchen, welches angeblich gemissbraucht worden sei. Man schien
auch schon den Verdacht auf eine bestimmte Person gelenkt zn
haben. Bei der Untersuchung der Geschlechtsteile fand ich
zwischen den Schamlippen reichlich Schleim und dünnflüssiges
Sekret, ausserdem an den kleinen und grossen Schamlippen ong
aneinander liegend und zerstreut einzelne mit flachen Borken be¬
deckte Stellen und dazwischen eitrige Pusteln an der Spitze mit
kleinen schon vertrockneten Borken bedeckt. Das Hymen war
völlig intakt. Das Kind leugnete jegliche Berührung von seiten
eines Mannes. Ich war bald davon überzeugt, dass von einer
Notzucht keine Rede sein konnte. Das Kind gab auf meine An¬
fragen gern zu, an der Vulva stets an Juckreiz zu leiden and
sich öfters mit der blossen Hand daselbst gekratzt und „ge-
krümmert“ zu haben. — Ich vermutete sofort Oxyuren, die allein
aber diese Erscheinung noch nicht hervorgebracht haben konnten.
Nun fand ich an der Stirn, vom Ohr bis über die Haargrenze
reichend, eine Impetigo contagiosa, die in einer hiesigen Poliklinik
behandelt wurde. Jetzt war mir die Diagnose klar. Das Kind
hatte sich an der kranken Stelle an der Stirn gekratzt und mit
derselben Hand sich an der Vulva gejuckt und dadurch daselbst
eine Autoinfektion hervorgerufen.
Mit derselben Salbe mit der die Impetigo an der Stirn be¬
handelt wurde, waren in wenigen Tagen die krankhaften Er¬
scheinungen der Vulva beseitigt.
Welches Unheil hätte angerichtet werden können, wenn der
verdächtigte Mann, ohne Zuziehung eines Arztes, denunziert
worden wäre.
Eine tödliche Vergiftung mit Salmiakgeist.
Von Kreisarzt Dr. Romeick in Mohrnngen.
Das 8 Monate alte, kräftige Mädchen des Herrn X. von hier
erkrankte am 26. Januar an leichtem Luftröhrenkatarrh und wurde
meiner Behandlung übergeben. Ich verordnet« Mixtura solvens
zweistündlich einen Kinderlöffel und wiederholte nach Verbrauch
diese Verordnung. Die zweite Medizin wurde in einer neuen
Flasche angefertigt. In der ersten Flasche hatte sich der Vater
des Kindes aus der hiesigen Drogenhandlung (welche keine Gift¬
konzession besitzt) für 20 Pf. Salmiakgeist (Aetzammoniak, Liquor
Ammonii caustici) gegen seinen Schnupfen geholt, und diese neben
die Medizin des Kindes auf den Nachttisch gestellt. Am 5. Fe¬
bruar, 6 Uhi* morgens, gab er dem Kinde durch Verwechselung
der Flaschen einen Kinderlöffel Salmiakgeist. Ich verordnete so¬
fort die üblichen Gegenmittel: verdünnte Essig- und Zitronen¬
säure, Oel, Schleim und Milch. Die Schleimhaut des Mundes und
Dr. Romeick: Eine tödliche Vergiftung mit Salmiakgeist.
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Rachens zeigte weisse Schorfe; es trat blutiges Erbrechen, blutiger
Stuhl, Bochein, Atemnot und nach 48 Stunden unter Bewusst¬
losigkeit und Krämpfen der Tod ein.
Eine Strafverfolgung des Vaters wegen fahrlässiger Tötung
zu beantragen, war ich weder geneigt, noch m. E. wegen der
Pflicht ärztlicher Verschwiegenheit überhaupt befugt. Dagegen
scheint es mir nötig zu erwägen, ob solche Vorkommnisse sich
nicht verhüten lassen. Salmiakgeist (mit dem üblichen Gehalt
von 10—15 % Ammoniak) darf von jedermann in jedem beliebigen
Gefass abgegeben werden. Ein irrtümlicher innerer Gebrauch
vird wegen des stechenden Geruchs und Geschmacks bei Er¬
wachsenen und grösseren Kindern nicht leicht Vorkommen. Der
vorliegende Fall lehrt aber, dass dieses Unglück bei kleinen
Kindern eintreten und den Tod zur Folge haben kann. Daraus
ergibt sich die Forderung, den Salmiakgeist in die Zahl der Gifte
aufzunehmen (in Abteilung 8 der Anlage I der Vorschriften über
den Handel mit Giften — Bundesratsbeschluss vom 29. November
1894; preuss. Ministerial-Polizei-Verfügung vom 24. August 1895),
so dass es nur bei vorhandener Giftkonzession und nur in Ge-
fässen mit der Aufschrift „Gift“ und Inhaltsangabe in roter
Schrift auf weissem Grunde abgegeben werden darf. Sollte dies
nicht angängig sein, so müsste wenigstens die für die Apotheke
gütige Bestimmung, dass die zum äusseren Gebrauche verord¬
nten flüssigen Arzneien nur in sechseckigen Gläsern mit Zet¬
teln von roter Grundfarbe abgegeben werden dürfen (Bundes¬
ratsbeschluss vom 13. Mai 1896; preuss. Ministerial-Erlass vom
22. Juni 1896, § 9), verallgemeinert werden. Es müssten alle nur
zum äusseren Gebrauch bestimmten Mittel, sofern ihr innerlicher
Gebrauch von irgend welchen gesundheitsgefährlichen Folgen be¬
gleitet sein kann, sowohl in den Apotheken, als auch in allen
anderen Verkaufsstellen der gleichen Bestimmung unterworfen
werden. Solche Mittel in Trink- oder Kochgefässen oder alten
Hedizinflaschen usw. abzugeben, ist zu verbieten.
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
Gerichtliche Medizin und Psychiatrie.
Ton der Embryoktonle oder dem geflissentlichen Missgebären. Von
Ploacqaet. Referat, erstattet von San.-Rat Dr. Malert, Kreisphysikus
rn Waren.
Die Ploncqnetsche Langenblntprobe ist jedem Gerichtsarzt bekannt,
dagegen dürfte das Originalwerk, in dem Ploacqaet die von ihm angegebene
Probe beschreibt and begründet, nar wenigen Kollegen bekannt sein. Durch
Zufall kam ich in den Besitz dieses Werkes; sein Inhalt ist so interessant,
daß es mir angezeigt erschien, einiges daraus im Wege des Referates zu ver¬
öffentlichen bezw. wieder von neuem in die Oeffentlichkeit zu bringen.
Das Ploucqaetsche Werk ist in der ersten Auflage noch lateinisch
geschrieben; eine zweite, mir za Gebote stehende and 1788 heraasgegebene
Ansgabe ist in deutscher Sprache erschienen, am, wie der anbekannte üeber-
setzer in der Vorrede sagt, die Beobachtungen und Entdeckungen, deren
Wichtigkeit jedermann einsehen wird, allgemeiner and bekannter za machen.
Das Bach ist betitelt: D. Wilhelm Gottfried Ploacqaet's öffentlichen
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Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften.
ordentlichen Lehrers der Arzneigelahrtheit za Tübingen Abhandlang aber die
gewaltsamen Todesarten. Als ein Beitrag za der mcdicinischen Rechtsgelahrt¬
heit. Zweite, aas dem Lateinischen übersetzte and sehr vermehrte Auflage.
Tübingen, bei Jakob Friedrich Heerbrandt 17.S8. Es zerfällt in drei Ab¬
schnitte: Abschnitt I handelt von dem Menschenmorde; Abschnitt II von
dem Kindermorde — hier findet sich aach die Beschreibung der Langen*
blatprobe—; Abschnitt III von der Embryoktonie oder dem geflissentlichen
Mißgcbähren, oder, wie wir heute sagen, von dem verbrecherischen Abort.
Mißgebähren and Mißgebart bedeuten bei Ploacqaet nämlich nar Abort,
nicht das, was wir anter Mißgeburt verstehen.
Der Abschnitt von der Embryoktonie zerfällt in zwei Kapitel, von
denen das erste mit folgendem Paragraphen eingeleitet wird: „Beides, das Er¬
morden einer in der Mutter enthaltenen Fracht, oder das geflissentliche Mi߬
gebähren, will ich anter dem Wort Embryoktonia (oder wann ich lateinische
Wörter machen dürfte) anter dem Wort feticidiam verstanden wissen.* Es
folgen dann einige geschichtliche Bemerke, aas welchen za erwähnen ist, daß
bei den Römern die Frachtabtreibung lange ungestraft geblieben sein soll, ob¬
gleich sie häafig aasgeübt warde, wie aas folgenden Versen Javenals
(Sat. VI) hervorgeht.
„Sed jacet aurato vix ulla puerpera lecto
Tantum artes hujas, tantam medicamina possant,
Qaae steriles facit, atque homines in ventre necandos.“
„Aach heutigen Tages, erzählt Ploacqaet dann weiter, soll die Frncht-
abtreibung bei einigen Nationen geduldet werden. Bei uns ist es ein Gegen¬
stand der peinlichsten Rcchtsgelehrsamkeit, and wird anter die Verbrechen
gezählt.*
Das zweite Kapitel handelt von der Embryoktonie insbesondere. Das
Töten einer Fracht in der Matter geschieht entweder unmittelbar oder mittelbar.
Die anmittelbare Tötung wird vorgenommen einmal vermittels eines
spitzigen Instrumentes, das durch den Muttermund oder durch die Matter
selbst hineingestochen wird; das kann die ganze Schwangerschaft hindurch
geschehen, hauptsächlich auch in den letzten Monaten, wann der Mattermnnd
weiter offen steht. Zam Beweise dafür, daß auch die Römer diese Methode
kannten und aasübten, werden folgende Verse Ovids angeführt:
Vestra quid essoditis subiectis viscera telis,
et nondum natis dira venena datis ?
Haec neque in Armeniis tigres fecere latebris,
perdere nec fetus ausa leaena suos.
At tenerae faciant, sed non impane, paellae,
saepe suos utero quae necat, ipsa perit.
Nachdem P. im Anschluß hieran berichtet hat, daß Hippocrates,
Asclepiades, Erasistratus, Herophilns and Soranas die Früchte
bei der Unmöglichkeit einer natürlichen Entbindung mittels eines ehernen
spitzigen Instrumentes getötet hätten „damit sie nicht lebendig gemezelt
werden“, erzählt er, daß nach dem Berichte von Hebenstreit „1692 eine
gottlose Hebamme zu Paris gehenkt worden, da sie die Matter der sehwangeren
Frau durch ein taugliches Instrument durchbohrt und die Frucht getötet habe,
damit die Frau mißgebähren sollte; aber der Aasgang war so anglücklich, daß
die Matter Gichter bekam und starb, worauf das abscheuliche Weib selbst
gestand, daß sie mehrere Kinder auf diese Art amgebracht, ohne Schaden der
Mütter.“ Weiter wird folgende Stelle aus Hallers Vorlesungen angeführt:
„Tn Italien, als wo die Bosheit sinreicher ist, dann nirgend, haben die geilen
Dirnen den Gebrauch, wann sie an sich Zeichen der Empfängniß wahrnehmen,
mit einer Haarnadel, die sie durch den Muttermund in den uteras za bringen
wissen, den Fötus zu tödten; die Sache ist an und für sich mehr als möglich
and anter allen Arten des Kindermords ist diese gewis für eine der straf¬
barsten zu halten.“
Aus theoretischen Erwägungen kommt P. za dem Schloß, daß auch
„starke elektrische Stöße“ unmittelbar zur Tötung der Frucht dienen können;
er führt hierfür aus Ludovicus Bonaciolus de format. foetas als Beispiel
an, daß „Martia die vornehmste unter den Römern vom Blitz getroffen worden
and obwolen ihr Kind starb, selbst doch außer einigen Uebelbefinden gesund
und beim Leben geblieben sei.“
Kleinere Mitteilungen nnd Referate ans Zeitschriften.
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Ob die Pracht durch Stöße, Druck und Treten vor den schwangeren
Unterleib getötet werden könne, ist nach P. nicht gewiß. Daß die Frucht ver¬
giftet werden könne, ohne daß die Matter ams Leben käme, hält er für möglich.
Mittelbar wird eine unreife Fracht getötet, wenn ihr Säfte, welche
aus der Matter in sie übergehen, entzogen werden. Dies hat statt
1. bei häufigen Aderlässen,
2. wenn eine aafs neae schwangere Person ein anderes Kind za lange sängt,
3. durch Fasten,
4. durch einen vermittelst des Quecksilbers erregten Speichelflaß.
Aber diese Arten, sagt P., richten auch die Schwangere selbst zagrnnde
and werden daher selten versucht. Eine andere und häufiger geübte Art der
mittelbaren Tötung besteht in Störung der Verbindung zwischen Mutter und
EL Hierin gehören heftige mechanische Erschütterungen, Stöße, Schläge, Fall,
heftiges Erbrechen, Niesen, Husten und Schreien. Es wird als Beispiel aus
Hippocrates (•pvaixehov d) folgende, wie P. sagt, für uns ärgerliche Ge¬
schichte angeführt: „Eine uns sehr bekannte Frau hatte eine schöne Singerin,
welche mit Männern Umgang hatte, und vor welche es sich garnicht schickte,
schwanger zu sein, damit sie nicht verachtet würde. — Und da sie einmal
gefühlt hatte, daß der Saame nicht abging, so sagte sie es ihrer Frau, und
die Sache kam auch vor mich; und da ich es gehört hätte, hieß ich sie auf
die Erde springen, und da sie das siebenmal gethan hatte, so kam die Geburt
hervor und that einen Klapf.“ Haller bezweifelte die Geschichte, P. aber
hält sie für wahrscheinlich und sagt: „sie ist so garnicht wider die medizini¬
schen Grundsätze, daß sogar auch das Tanzen von Gaubius unter die Ur¬
sachen des Misgebährens gezählt wird.“ Dagegen bezweifelt P. folgende
Geschichte des Arnoldus Montanus, der von den Weibern in Formosa er¬
zählt, «daß diejenigen, welche vor dem 37. Jahre schwanger werden, auf eine
abscheuliche Weise ihre Leibesfrucht töten. Sie legen sich anf ihre Schlafstätte
nieder und die herzugerufenen Priesterinnen druken und treten solange auf
ihren befruchteten Leib, bis die Frucht nicht ohne erschreckliche Schmerzen
abgeht.“ George Camdius, evangelischer Prediger auf Formosa, erzählet:
.daß er eine Frau gekannt habe, welche 16 Kinder auf ermeldete greuliche
Weise losgeworden, und nun mit dem 17. schwangor gegangen, welches sie
znr Geburt kommen lassen, weil sie die .Jahren erreicht, da sie ohne Schande
gebähren mögen.“ —
Als weitere, aber schwächer wirkende mechanische Mittel werden an¬
geführt: „Druck, jede gewaltsame Anstrengung mit Anhaltung des Atems, im
Tragen, Heben der Lasten, im Ziehen, Ringen beim Ausstrecken der Glieder,
Wasserlassen, Stuhlgchen, Stuhlzwang; ferner die Wirkung drastischer Purgir-
mittel, enge Schnürbrüste, Binden, Holz oder Eisen um den Unterleib gebunden.“
Nächst diesen mechanisch wirke n den Ursachen kommen daun die Mittel
ia Betracht, welche „einen größeren Zutrieb des Blutes gegen die Gebärmutter“
und dadurch eine Trennung von Ei und Mutter bewirken. Solch Zutrieb ent¬
steht durch „Wallungen“ nnd die Wallungen werden bewirkt durch erhitzende
Speisen, Getränke, Arzneimittel, Gifte.
Hier führt P. folgendes Verzeichnis an:
Die Wurzel von der langen und runden Osterluzei (Aristolochia longa
et rotunda).
Das Kraut von der Stabwurz und dem weißen Beifuß (Artemisia vulgaris
et abrotanum).
Das Melissenkraut (Melissa officinalis).
Das Beimünthenkraut (Montha Pulegium).
Der Same und das Kraut der Weinraute (Ruta graveolcns).
Das Kraut und Oel vom Sevenbaum (Juniperus Sabina).
Die Lorbeere (Laurus nobilis).
Die Staubfäden von dem Safran (Crocus sativus).
Das Eisen.
Bei der Sabina ist bemerkt, daß der öffentliche Verkauf den Apothekern
verboten sei.
Ferner werden angeführt: Harze, Balsame, Gewürze, destillierte Oele die
Mittel, welche aus diesen zusammengesetzt sind ferner der Wein, Weingeist,
286 Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
Mohns&ft, der Kaffee und die Ananas, die ein starkes fruchtabtreibendes Mittel
sein soll.
„Einen besonderen Zatrieb gegen die Matter bringt aach zuwege die
Erschlaffung der Gefäße, welche nahe bei der Matter sind.“ Hierfür werden als
Ursachen angeführt: Faßbäder, warme Bäder, erweichende Breiumschläge in
der Gegend des Uterus, erweichende Klystiere, Aderlässe auf dem Faße, Blat¬
egel an den Labien; ferner sollen hierher gehören mechanische Ableitnng des
Blutes durch Druck der Schenkelschlagadern (nach Hamilton) and das Reiten.
Als weitere Ursachen werden genannt Reize, die Krämpfe and Zu¬
sammenziehungen der Matter zawege bringen. Als solche werden angeführt:
Das Reiben der äußerlichen und inneren Gebartsteile and der benach¬
barten Teile.
Trockene Schröpfköpfe auf Schenkel and Unterleib.
Drastische Pargiermittel and Klystiere, wie Aloe, Jalappa, Coloquinte,
Scammonium, Purgierkörner and dergL
Scharfe urintreibende Mittel, spanische Fliegen und dergL So sagt
Schröder (Thesaor. Phannacol.): „Die gottlosen Haren tödten and ermorden
ihre zarte Fracht mit spanischen Fliegen.“
Heftige Kälte.
Scharfe feste oder flüssige Körper, welche man dem Matterhals und
Muttermund beibringt, wie Salze, Gewürze, destillierte Oele, Balsame, andere
scharfe Dinge, z. B. spanische Fliegen.
Muthwilliger häufiger Beischlaf, wo ein Druck mitwürket.
Zusammenziehungen der Matter werden endlich aach bewirkt durch
Unordnungen des ganzen Nervensystems, die hervorgebracht werden durch
allerlei Gifte, zu starke Aderlässe, heftige Gemütbewegangen, langes Wachen,
heßliche Gerüche, z. B. von einer aasgelöschten Unschlitt-Kerze, Ekel, wohin
man auch das Mißgebären einer Frau, welche Leinöl kostete, rechnen kann, ver¬
derbte and angestrengte Einbildungskraft.
Von der Wirkung der Einbildungskraft wird ein Beispiel aas
Fortonatas Fidelis (de relat. medic.) von einem Mädchen erzählt, dem der Arzt
versprach, ein Abortivmittel zu geben, aber ein Mittel gab, „das der Frucht
mehr Stärke und Festigkeit gab“, worauf der Abort erfolgte. Plouquet
kommt diese Erzählung wohl selbst etwas wunderbar vor, doch versucht er
sie mit der Annahme za erklären, „daß jenes Mittel vielleicht aus hitzigen
Arzneien zusammengesetzt war“. Daß durch Zauberkräfte ein Abort
herbeigeführt werden könne, glaabt PI. zwar nicht mehr, doch „kann, sagt er,
die Einbildungskraft und die Gemütsbewegungen, welche durch solche schlechte
Bezauberungen erweckt werden, in allweg heftig würken.“
Nachdem dann noch bemerkt ist, daß der dritte Schwangerschaftsmon&t
sich sehr zur Einleitung eines Aborts eigene, weil dann nach Haller „eine
Vollblütigkeit eintrete“, geht P. zur Besprechung der gerichtlichen
Fragen über.
„Es ist zu unterscheiden:
1. ob würklich eine Misgeburt gebohren worden. Die Frage kann nor
durch genaue Untersuchung und Besichtigung dessen, was man vor eine Mis¬
geburt hält, entschieden werden. Wird eine Frucht gefunden, ist die Sache
klar, andern Falls aber oder wenn überhaupt nichts mehr zur Untersuchung
vorhanden ist, so fehlt das corpus delicti und die Sache bleibt im Zweifel;
2. ob die Misgeburt von selbst vor sich gegangen oder ob sie eine Folge
der Embryoktonie sei. Hierzu ist folgendes bemerkt. Innere Krankheiten
können einen Abort (freiwilliges Misgebähren) bewirken, es kann aber auch
die Embryoktonie im einzelnen Falle versucht sein. Ob das geschehen, kann
man namentlich aus dem verdächtigen Verhalten der betreffenden Mutter arg¬
wöhnen. Ob aber Absicht oder intentio directa oder indirecta vorgewaltet, ist
den Herren Rechtsgelehrten zu überlassen.
Daß es physisch war sei, ob solche Unternehmungen die unzeitige Frucht
entweder getödtet oder abgetrieben haben, wird man erfahren: durch die Be¬
sichtigung der abgegangenen Frucht (Verletzungen) und durch die Vergleichung
der Handlungen, der Versuche, der genommenen Arzneien mit der Person, ihrer
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 287
individuellen Beschaffenheit, der Jahreszeit, der Zeit der Schwangerschaft, vor«
angegangene Krankheiten u. d. g.
Den Ausgang selbst vor den Beweis der Tat zu nehmen wäre unbillig.“
P. kommt dann zu der Frage, ob die Frucht zur Zeit des einge¬
leiteten Aborts gelebt habe, oder ob sie zu dieser Zeit habe leben
können und sagt darüber folgendes: „Wenn auch das Leben gleich in dem
Augenblick der Empfängnis anfange und die frühzeitige Abtreibung im philo¬
sophischen Sinne immer und in jedem Zeitpunkt der Schwangerschaft dem
Menschenmorde gleich zu schätzen sei, so sei es praktisch doch richtig, das
Leben einer Frucht erst von dem Moment an zu rechnen, seit welchem Kinds¬
bewegungen festgestellt seien.“ Allerdings gibt er zu, daß die Zeichen der
Bewegung nicht ganz sicher seien und mit anderen Bewegungen im Unterleib
verwechselt werden könnten, auch würden die meisten Angeklagten sie leugnen;
er meint aber, daß darüber die Besichtigung der abgetriebenen Frucht Licht
geben könne. „Wenn nemlich die Frucht frisch, von gehöriger Größe ist, oder
vielleicht gar geathmet hätte, welches man bei einer fünfmonatlichen wohl
jagen kann, so ist anzunehmen, daß die Frucht gelebt habe, und also entweder
durch eine Verletzung, oder frühzeitige Abtreibung getödtet worden seye.“
Die Gründe, welche P. zu dieser Definition bestimmen, liegen in den
damals geltenden gesetzlichen Bestimmungen. Es sagte nämlich der 133. Artikel
der peirüichen Hakgerichtsordnung Kaiser Karls: „So jemand einem Weibsbild
durch Bezwang, Essen oder Trinken ein lebendiges Kind abtreibt, so solches
Torsezlicher oder boshafter Weise geschiehst, solle der Mann mit dem Schwerdt
als ein Todschläger und die Frau, so sic es auch ihr selbst thät, ertränket
oder sonst zum Tode bestrafet werden. So aber ein Kind, das noch nicht
lebendig wäre, von einem Weibsbild getrieben wird, sollen die Urteiler der
Strafe halber zu denen Rechtsverständigen oder sonst Rathts pflegen.“ —
P. wollte also durch seine Definition erreichen, daß die Todesstrafe auf
diejenigen Fälle des kriminellen Aborts beschränkt bliebe, bei denen fraglos
eine lebende bezw. lebensfähige Frucht vorhanden war. Es scheint auch, als
ob juristischerseits hierbei allerlei spitzfindige Entscheidungen vorgekommen
wären, denn P. sagt u. a.: „Der Streit war um so verwirrter, weil man den
Begriff des Lebens und der Seele trennte, welches nicht seyen sollte.“
Ueber Lysol Vergiftung. Von Dr. Lange. Therapie der Gegenwart;
1904, Heft 7.
Mitteilung von drei Fällen von Lysolvergiftung; einer verlief tödlich.
Das klinische Bild ist sehr verschiedenartig. Die Herztätigkeit war in dem
einen Fall sehr beschleunigt, in den beiden anderen Fällen verlangsamt. Das
Sensorium war mehr oder minder getrübt. Motorische Reizerscheinungen fehlten.
In dem einen Fall trat vorübergehend Albuminurie ohne Beimengung von
Zvlindern auf; in dem tödlich verlaufenden Fall wurde Trübung des Nieren¬
epithels beobachtet; daneben allerdings auch auf ältere interstitielle Prozesse
hinweisende Veränderungen. Vielleicht wurde hierdurch die Ausscheidung des
Giftes verzögert und der tödliche Ausgang beschleunigt.
Dr. D o h r n - Cassel.
Vergiftung mit Isosafrol. Von Privatdozent Dr. Waldvogel, Ober¬
arzt der med. Universitäts-Klinik in Göttingen (Prof. Dr. Ebstein). Münchener
med. Wochenschrift; 1905, Nr. 5.
Verfasser teilt die Krankengeschichte eines Schlossers mit, welcher ge¬
legentlich der Reparatur eines Kessels, in welchem Isosafrol gekocht wurde,
von diesem kochenden Isosafrol an einzelnen Körperteilen (im Gesicht, Hals
and an den Händen) verbrüht wurde und dabei Dämpfe des Rohisosafrols ein-
atmete. Dieser Mann (zu Stauungen im Venensystem disponiert) bekam an
Hautpartien, die mit dem Isosafrol nicht in Berührung gekommen waren, an
den vom Herzen am weitesten entfernten Extremitätenenden Stauungserschei-
nungen in den Venen, so daß das über den Kluppen stagnierende Blut die
Venen kugelig hervorwölbte. Die in ihrer Ernährung beeinträchtigte Haut
reagierte an diesen Partien mit Rötung, Epithclabschilfcrung und Gcschwürs-
lildung; diese Erscheinungen entwickelten sich auch an Hautstellen, die, wohl
288
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
weil Venenklappen fehlen, die regelmäßig angeordneten, gleich großen Vcnen-
knötchen nicht erkennen ließen. Das Leiden verschlimmerte sich in Anfällen,
in denen die Knoten an den Venen in größerer Zahl hervortraten; sie fehlten
auch außerhalb der Anfälle nicht und bestanden jahrelang an den Armen. Die
wohl als Folge der venösen Stase aufzufassenden Hautveränderungen heilten
langsam; das lästigste Symptom, das Hautjucken trat noch lange nach der
Vergiftung auf, sobald die Haut warm wurde. Ein neurasthenischcr Zustand
schloß sich an die Vergiftung mit Isosafrol.
Verfasser teilt dann noch seine Isosafrolvergiftungsversuche durch sub¬
kutane Injektion bei Kaninchen mit; seine Ergebnisse sprechen dafür, daß
das Isosafrol wie das Safrol, eingeatmet und von subkutanen Geweben aus
resorbiert, Venenerweiterungen setzt, wie sie das oben geschilderte Krankheits¬
bild beherrschten. Dr. W a i b e 1 - Kempten.
Beitrag zum Studium der Lokalisation des Arseniks bei Vergiftung
durch arsenige Säure. Von Ch. Blarcz und G. Deniges. Reunion bio-
logique de Bordeaux. Comptes rendus de la soc. de biol.; LVHI, 1905, Nr. 6.
Von dem Schwurgericht in Gers kam im Oktober 1904 ein Fall von
dreifacher Arsenvergiftung (affaire G a 11 i 6) zur Verhandlung. Die Autoren,
die die verschiedenen Organe der drei Vergifteten chemisch untersucht hatten,
waren zu Sachverständige ernannt worden. Zur toxikologischen Bestimmung
des Arsens waren sowohl die von Gautier-Bertrand 1 ); als die von De-
n i g ö s selbst angegebene Methode benutzt worden. Der sehr akut verlaufenden
letfden Vergiftung waren in verschiedenen Zwischenräumen leichtere Vergiftungs¬
versuche vorausgegangen, die nach Ablauf krankhafter Zustände sich wieder
ausgeglichen hatten. Im Magendarmkanal fanden sich auf das Kilogramm
nicht getrockneter anatomischer Organe berechnet bei I (Mann) 960, II (Mann)
900, III (altes Fräulein) 890 mg Arsen; in der Leber 217, 258, 330; in den
Nieren 310, 160, 365; in den Muskeln 8, 4, 8,5; im Herzen 4, 14,6, 42,6; im
Gehirn 2, 4, 2; im Femur 12, 10, 8; in den Haaren 40, 8,5, 22, in den Nägeln
61, 40, 14 mg.
Die Autoren betonen, daß gegenüber den Versuchen an Tieren (Scolo-
s ul off) die Nervenzentren im vorliegenden Falle beim Menschen wenig Arsen
zurückhielten. Die großen Arsenmengen, die aus den Epidcrmoid&lgebilden und
den Knochen gewonnen wurden, führen sie auf die wiederholt ausgeführte sub¬
akute Vergiftung zurück. Dr. May er-Simmern.
Veber vollständige Ausscheidung des organischen Arsens nach Auf¬
nahme als Natriummethylarsenat. Von L. Bart he. Comptes rendus de la
soc. de biol.; LVIII, 1905, Nr. 2.
Der Autor beweist durch die chemische Untersuchung der Organe eines
19 jährigen Diabetikers, der vom Oktober 1902 bis Juni 1903 in einem Kranken¬
hause in Bordeaux zusammen 6'/* bis 7 g Natriummethylarsenat (Arrhenal)
erhalten hatte, dann ohne Arsen - Medikation geblieben und an Entkräftung
6 Monate später gestorben war, daß Nat riummethylarsenat die Eigen¬
schaft hat, die Organe nur zu passieren und sich nicht zu
lokalisieren.
Zur Untersuchung gelangten: Herz, Nieren, Gehirn und Leber. Es
wurde die Methode A. Gautiers angewandt. Die in den Marshschen
Apparat gegebene Flüssigkeiten entsprachen einer Menge von 100 g Herz,
200 g Nieren, 250 g Gehirn, 300 g Leber. Ein deutlicher Arsenspiegel war
nicht zu erzielen. Auch andere Reaktionen auf Arsen in den übrigen Organen
waren negativ.
(So interessant auch die Ergebnisse des Autors sind, so muß daran er¬
innert werden, daß immerhin auch für andere Arsenverbindungen Aehnliches
nachgewiesen ist, so daß aus diesen Angaben auf besondere Eigentümlich¬
keiten des Natriammethylarsenats in bezug auf die mangelnde Tendenz, sich
in den Organen aufzuspeichern, nichts geschlossen werden darf. In seiner
Arbeit; „Ueber die Dauer der Ausscheidung des Arsens in gerichtlich - chemi-
*) Vergl. Ziemke: Ueber das Vorkommen von Arsen.; Viertel¬
jahrsschrift für ger. Medizin; 3. F., XXIII, 1902, S. 55.
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
289
scher Beziehung* (Vierteljahrsschrift für gerichtL Medizin; 3. F., XIX, 1900)
sagt D. Scherbatschef f: „Aus obigen Experimenten schließe ich folgendes:
1. Sogar nach therapeutischen Dosen bleibt Arsenik recht lange im Organismus,
besonders aber im Gehirn und Knochen. So war nach meinen Beobachtungen
z. ß. die längste Zeit, wenn es subkutan injiziert war, 160 Tage, d. h. 6 Monato
und 10 Tage. . . .“) _ Dr. M ay e r-Simmern.
Elektrolytische Bestimmung kleiner Arsenmengen. Von C. Mai und
H. Curt Zeitschrift für Untersuchung der Nnhrungs- und Gcnußmittel;
B<L 9, H. 4, S. 193.
Die Verfasser hatten gelegentlich ihrer Arbeit über den forensisch-
chemischen Nachweis von Giften in den Rückständen verbrannter Leichen (Zeit¬
schrift angew. Chemie; 1904, 17, 1601—1605) den Mangel eines brauchbaren
Verfahrens zur genauen Bestimmung kleiner Arsenmengen empfunden und Ver¬
suche angestellt darüber, ob sich aus einem arsenhaltigen Elektrolyten von
bekanntem Gehalt an Arsentri- oder peutoxyd das Arsen an der Kathode
'luantitativ in Form von gasförmigem Arsenwasserstoff abscheidet und durch
dessen Umsetzung mit Silbernitrat genau bestimmen läßt. Dieser Versuch ist
in der Tat den Verfassern gelungen, und zwar mittels Elektroden aus absolut
reinem Blei (entweder selbst hergestellt durch Glühen von reinem Bleiazetat
mit Holzkohlepulver oder von Kahlbaum-Bcrlin bezogenes reines Blei) und
mittels 12 proz. Schwefelsäure als Elektrolyt. Als Stromquelle diente ein Stark¬
strom von 110 Volt und als Auffangflüssigkeit */ioo N.-Silbemitratlösung. Bei
Gegenwart von Arsen tritt schon nach wenigen Minuten Schwärzung der Silber¬
losung ein, und nach höchstens drei Stunden ist die Reduktion beendet. Die
Riickiitrierung der Reduktionsfiüssigkeit erfolgt dann mit '/'»o N.-Rliodan-
ammoniumlösung. Die untere Grenze der Bestimmbarkeit fanden die Verfasser
bisher bei ca. ‘I&o mg. Für qualitative Zwecke ist die Empfindlichkeit größer;
es lassen sich Mengen bis 0,0005 mg leicht erkennen. Die Versuche werden
weiter fortgesetzt. _ Dr. Sy man ski-Hagenau.
lieber durch Chloroform verursachte Leberveränderungen. Von M
Doyon, A. Morel und Billet. Comptcs rendus de la soc. de biol.; 1905
Seite 108.
Nothnagel hat zuerst naebgewiesen, daß Chloroform Läsionen der
Leber erzeugen kann. Mertens hat beim Kaninchen kleine Chloroformdoscn
in längeren Zwischenräumen subkutan injiziert und Leberveränderungen er¬
zielt, die den Befunden der atrophischen Lcbercirrhosc beim Menschen Punkt
für Punkt gleichen.
Die Autoren, deren Versuche im Laboratoriam der Professoren Morat
und Ren aut ausgeführt wurden, injizierten einem Hunde am ersten Tage
iö ccm Chloroformöl in den Magen, am zweiten 50 ccm; am vierten Tage
trat der Tod ein.
Die frische Leber enthielt 14,6 0 o Fettsubstanzen. Bei schwacher Ver¬
größerung fand sich bedeutende Gefäßfüllung und zeigten sich zahlreiche hello
Zonen, die nekrotischen Leberpartien entsprachen. Starke Vergröße¬
rung zeigte vollständige Nekrose einer großen Zahl von Zellen; das Zellproto-
plasma war geschwunden, auf einige Granulationen reduziert. Viele polynu¬
kleäre Leukozyten fanden sich auf den Schnitten.
Choroform vermag also in der Dose von 1—2 gr auf das Kilogramm
Körpergewicht nahezu vollständige Nekrose der Leber zu erzeugen.
Dr. May e r-Simmern.
B. Bakteriologie, Infektionskrankheiten und öffentliches
Sanitäts wesen.
Die Bedeutung der Verseuchung unserer öffentlichen Gewässer und
der hierdurch bewirkten Verbreitung des Typhus und des Milzbrandes.
Von Kreisarzt Dr. Kr ohne in Großkarasdorf. Vicrteljahrsschr. für gerichtl.
Medizin und öffentliches Sanitätswesen; III. Heft, Jahrg. 1904.
Nach einem zusammenfassenden Bericht über den heutigen Stand der
Stromverseuchungsfrage und Anführung eigener Beobachtungen kommt Verf.
290
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
za dem Resultat, daß die Notwendigkeit, die Stromverseuchungen wirksam zu
bekämpfen, eine zwingende ist. Leider wird der Verunreinigung noch nicht
überall die gebührende ernste Beachtung geschenkt. Die Frage, wie am
ehesten eine Reinhaltung der Gewässer gewährleistet werden kann, bedarf der
rcichsgesetzlichen Regelung. Bis dahin wäre zur Vorbeugung von Strom¬
verseuchungen folgendes nachdrücklich zu fordern: Die zahllosen Fälle der
Einleitung von Fäkalien und ungeklärten Abwässern, insbesondere auch der
Abwässer von Gerbereien in kleinere Flußläufe, für die eine nach Lage des
Falles zwingende Notwendigkeit nicht vorliegt, ebenso der damit zusammen¬
hängende Mißstand unhygienischer Anlage und Entleerung von Jauchegruben
sind — mehr als bisher — mit scharfen Maßnahmen zu bekämpfen. Die recht¬
zeitige Feststellung der ersten Fälle von Typhus resp. Typhusverdacht usw.
ist noch besser als bisher durchzuführen. Typhuskranke sind möglichst zu
isolieren und, soweit tunlich, die Behandlung derselben in Krankenhäusern an¬
zustreben. Eine zweckmäßige Desinfektion der Typhusstühle usw. ist sofort
einzuleiten. Vor Entnahme von Wasser aus verseuchten Gewässern ist dos
Publikum in gemeinverständlicher Form zu warnen, insbesondere ist überall
die Versorgung mit einwandfreiem Trinkwasser mehr und mehr durchzuführen.
Das Wasser von Leitungen, die mit Flußwasscr versorgt werden, ist fort¬
dauernd bakteriologisch zu überwachen. Dr. Israel-Fischhausen.
Veber die für das Puerperalfieber in Betracht kommenden Mikro¬
organismen und die Prophylaxe der Krankheit vom sanitfitspoliseillehen
Standpunkt. Von Dr. Hugo Marx, Assistent der Unterrichtsanstalt für
Staatsarzneikunde zu Berlin. Vierteljahrsschr. für gcrichtl. Medizin und öffent¬
liches Sanitätswesen; Jahrg. 1904, III. und IV. Heft.
Eine ausführliche und zusammenfassende Darstellung an der Hand
eigener Erfahrungen und einer reichlichen Literatur (178 Nummern), deren
Ergebnisse zu folgenden Schlüssen führen: Die Erreger schwerer Puerperal¬
fieberinfektion sind in der Regel die pyogenen Kokken; am häufigsten werden
Streptokokken gefunden, daneben aber auch Staphylokokken in einer großen
Anzahl von Fällen. Ein prinzipieller Unterschied zwischen Streptokokken-
und Staphylokokkeninfektion besteht weder vom bakteriologischen, noch vom
klinischen Standpunkte. In seltenen Fällen verursacht der Diplococcus pneu¬
moniae eine puerperale Sepsis, während die Erreger des Tetanus, der Diph¬
therie, des Scharlachs, des Typhus nicht zu den für das Puerperalfieber in Betracht
kommenden Organismen zählen. Die gonorrhoesche Wochenbettserkrankung ist
nicht als Puerperalfieber im engeren Sinne anzusehen; denn der Gonococcus ist
nicht als Erreger einer eigentlichen Wundinfektion zu betrachten, seine Tena-
zität ist in eingetrocknetem Zustande gleich Null. Der klinische Verlauf läßt
häufig die scharfe Abgrenzung der Wocbenbettsgonorrhoe gegen das eigentliche
Puerperalfieber zu; dagegen ist bezüglich der Meldepflicht eine strenge Son¬
derung der Gonorrhoe vom Puerperalfieber nicht immer durchzuführen. Selten
verursacht das Bacterium coli eine Puerperalinfektion. Die Tympania uteri
scheint nicht von ihm bewirkt zu werden, sondern von anaeroben Bakterien,
die meist als Saprophyten im Genitalschlauch an der Oberfläche der Schleim¬
haut leben. Sie können als solche gelegentlich eine Intoxikation (Saprämie)
bewirken; in ganz vereinzelten Fällen erregen sie eine schwere puerperale
Infektion mit tödlichem Ausgange. Die Virulenz der Bakterien hängt zum
Teil von der Herkunft des Infektionsstoffcs ab; die Infektionsquelle kann dar¬
gestellt werden durch Erysipele, Phlegmone, Paronychien, zerfallende Neu¬
bildungen usw. Nicht immer kann der Tierversuch über die Virulenz der
Keime Aufklärung bringen. Was die Selbstinfektion betrifft, so ist nicht zu
zweifeln, daß normalerweise in der Vagina gesunder Schwangerer und Gebären¬
der pyogene Kokken Vorkommen und durch diese eine Selbstinfektion entstehen
kann. Diese Fälle von Selbstinfektion verlaufen fust stets günstig; indessen
kann nicht geleugnet werden, daß ganz vereinzelt einmal eine tödliche Selbst¬
infektion eintreten kann. Auch die saprophytischen Anaeroben des Vaginal¬
schlauches können gelegentlich zur Selbstinfektion Anlaß geben. Selbstredend
kann nur da Selbstinfektion angenommen werden, wo eine sorgfältige Unter¬
suchung jede andere Ursache für eine fieberhafte Erkrankung im Wochenbett
ausschließen kann. Ferner sollten für eine unantastbare Begründung der Lehre
Kleinere Mitteilnngen und Referate aus Zeitschriften.
291
ron der Selbetinfektion nur solche Fälle fieberhafter Wochenbettserkrankungen
kenn gesogen werden, in denen jede Möglichkeit einer Infektion yon außen
ausgeschlossen ist.
Bei der Besprechung der Prophylaxe des Puerperalfiebers werden die
Maßnahmen eingeteilt in solche, welche 1. die Entstehung, 2. die Weiter¬
verbreitung des Kindbettfiebers verhüten sollen. Prophylaktische Scheiden¬
spülungen bei normalen Oeburtcn vor und nach der inneren Untersuchung sind
m unterlassen. Verf. fordert eine Besserung der Desinfektionsvorschriften des
Hebammenlehrbuches, Forderungen, welche zum Teil wie die Alkohol-Sublimat¬
desinfektion durch die Vorschriften des soeben erschienenen neuen Hebammen¬
lehrbuches erfüllt sind. Dagegen ist die soziale Besserstellung der Hebammen
immer noch Zukunftsmusik. Die Meldepflicht für Puerperalfieber ist den
Aerzten durch die Bestimmungen des neuen Seuchengesetzes aufzugeben; auch
ist ein einträchtiges Zusammenarbeiten zwischen den praktischen und beamteten
Aerzten dringend notwendig zur erfolgreichen Bekämpfung des Puerperal¬
fiebers. Dr. Israel-Fischhausen.
Ueber die Primelkrankheit und andere dnreh Pflanzen verursachte
Hautentzflndungn. Von Dr. Hoffmann, Privatdozent und Assistent der
Universitätsklinik von Prol Besser in Berlin. Münchener medizin. Wochen¬
schrift; 1904, Nr. 44.
Die verbreiteste und wichtigste unter den zu mitunter qualvollen Haut¬
entzündungen Anlaß gebenden Pflanzen bezw. Blumen ist sicherlich die japani¬
sche Primel (Primula obconica). Ursache der den Qärtnern schon länger
als den Aerzten bekannten entzündungserregenden Eigenschaft ist das Sekret
der an den Blattstielen und Nerven in größerer Zahl vorhandenen Drüsenhaare,
welches einen dickflüssigen, zähen, gelbgrünen Saft darstellt, dessen haut¬
reizende Wirkung auch nach der Eintrocknung noch fortbesteht und nach
Nestler auf dem Vorhandensein einer in rhombischen Krystallen ausfallenden
Substanz beruht. Die Krankheitserscheinungen beruhen meist in heftigem
Jacken, schmerzhaftem Brennen, Anschwellung und Rötung der Haut der
Hager, Vorderarme und des Handrückens, sowie des Gesichtes, Bildung von
kleineren und größeren Blasen mit anfangs klarem, später getrübtem Inhalt.
Neben diesen lokalen Erscheinungen finden sich häufig Störungen des Allge¬
meinbefindens infolge des fast unerträglichen Juckreizes und des Fiebers.
Die meisten Menschen sind gegen das Primelgift unempfindlihh, andere
bekommen schon nach einmaliger Berührung heftige Entzündungserscheinungen;
andere können eine Zeit lang ungestraft mit der Primel umgehen, bis dann
plötzlich die Reizwirkung hervortritt.
Die Entfernung der Primel aus der Wohnung bewirkt fast imm er
schnelle Heilung.
Aehnlich, jedoch weniger heftig, wirkt bei einzelnen Individuen die
chinesische Primel (Primula sinensis), ebenso kann auch die wenig verbreitete
Primula sieboldii und curtusoides entzündlich reizen.
Hochgradige Hautentzündung mit Störung des Allgemeinbefindens ver¬
ursacht auch ein bei uns stellenweise kultivierter nordamerikanischer Strauch,
der Giftsnmach (Rhus Toxicodendron); ebenso entzündlich wirken die Früchte
von Anacardium orientale und occidentale, die sog. Elephanten-
läuse (Volksmittel gegen rheumatische Beschwerden), dann Chrysanthe¬
mum, ferner die Blätter und Wurzel der Meerzwiebel (Scilla maritima)
a»d endlich die Blätter des Lehensbaumes (Thuja occidentalis).
Dr. Waibel-Kempten.
Nagel Veränderungen nach Scharlach und Masern. Von Privatdozent
br. Feer in Basel. Münchener med. Wochenschrift; 1904, Nr. 40.
Verfasser fand bei einer Scharlachepidemie in Basel 1887/88 und
1903/04 Veränderungen an den Nägeln der Kranken beobachtet, welche er für
eia sehr häufiges und typisches Scharlachsymptom erklärt, das nicht nur
pathologisches Interesse bietet, sondern einen besonderen
Wert zur nachträglichen Diagnosestellung der Krankheit
besitzt.
In typischen Fällen zeigt sich 4 bis 5 Wochen nach Beginn des Schar-
292
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
lachs, also fast am Ende der Abschuppung, an der Wurzel der Fingernägel
auf der Nageloberfläche eine querverlaufende lineare, leicht konvex gegen das
freie Nagelcnde hingcrichtcte, überall gleich weit von der Nagelwurzcl ent¬
fernte Furche, seltener ein entsprechender schmaler Wall (Scharlachlinie). Mit
dem weiteren Hervorwachsen des Nagels schiebt sich auch diese Seharls chlinic
weiter vor und ist 2 Monate nach Beginn des Scharlachs sehr deutlich ge¬
worden. Der normale Fingernagel wächst etwa in einbm halben Jahr von der
Wurzel bis zum freien Hand aus (am Daumen in ca. 6 Monaten, an den übrigen
Nägeln in ca. 5 Monaten); ebenso wandert die Scharlachlinie in etwa l j% Jahre
bis zum freien Rande vor. Am deutlichsten und häufigsten sind die Scharlach¬
veränderungen an den Daumennägeln, um so deutlicher, je kräftiger und
stärker der Nagel und je älter das Kind bezw. die Person und je intensiver
das Exanthem ist. Manchmal ist die Linie nur andeutungsweise vorhanden.
Auch an den Füßen, besonders an der großen Zehe, wurde diese Scharlach¬
linie beobachtet.
Aehnliche Nagelveränderungen wie bei Scharlach hat Verfasser auch bei
Masern gefunden, doch sind diese Veränderungen hier viel schwächer aus-
gebildet als bei Scharlach.
Die beschriebenen Nagulveränderungcn gestatten bei Scharlach und
Masern ziemlich genau die Zeit abzusekätzen, welche seit Beginn der Krankheit
verflossen ist, sobald man sich vergegenwärtigt, daß der Nagel 6—6 Monate
zu seiner Erneuerung bedarf.
Außer bei Scharlach und Masern hat Verfasser diese Nagelveränderungen
nie bei Allgemeinerkrankungen beobachtet; doch soll Dr. Hagcnbach nach
einem schweren akuten Gelenkrheumatismus an allen Fingernägeln ähnliche
Veränderungen wahrgenommen haben.
Zur Erklärung der Entstehung dieser Nagcllinie bemerkt Verfasser, daß
gleichzeitig mit der Erkrankang und späteren Abstoßung der ganzen Epidermis
auch eine entsprechende Störung die epitheliale Keimschicht der Nagelwurzel
betrifft, wodurch die gleichmäßige Bildung des Nagels in diesem Zeitpunkt unter¬
brochen wird, was zu der querverlaufenden Furche oder zu dem Walle führt,
welche 4—6 Wochen nachher sichtbar werden. Dr. W a i b e 1 - Kempten.
Zur Kasuistik der kongenitalen Onychogryphosis. Von Dr. Müller,
Assistent der Universitätsklinik für Haut- und Geschlechtskrankheiten zu Stra߬
bürg. Münchener med. Wochenschrift; 1904, Nr. 49.
Man versteht unter Onychogryphosis nach Heller „eine durch ver¬
schiedene Ursachen hervorgerufene anormale Wachstumstendenz des Nagels,
welche unter mehr oder weniger starker Beteiligung einer vom Nagelbett aus¬
gehenden Hornproduktion zu Veränderungen der ganzen Nagclplatte in ihren
verschiedenen Durchmessern führt und fast immer mit einer Zunahme der
Konsistenz und der Kohärenz der einzelnen Nagelplatten einhergeht.“ Diese
durch direkte oder indirekte Reizung des Nagelorgans veranlagte trophische
Störung wird beobachtet nach Traumen, veränderter Stellung der Nagelphalanx
bei Hallux valgus, bei verschiedenen Hautkrankheiten, bei Pocken, Lepra,
Syphilis, Trichophytie, bei Erkrankungen des zentralen und peripheren Nerven¬
systems und danach auftretenden Verletzungen, bei Varizen, varikösen Ekzemen
und Unterschenkelgeschwüren (hier an den Zehennägeln), im Alter mit seiner
größeren Tendenz zu pathologischen Hornbildungen.
Zu den wenigen bisher berichteten Fällen von kongenitaler Onychogry¬
phosis bringt Verfasser einen Fall, welcher bei einer an Psoriasis leidenden
Patientin vorkam, die neben einer kongenitalen Alopezie resp. Hypotrichosis
onychogryphotische Nagelveränderungen aufwies. Dr. Wa i b e 1 - Kempten.
Akzidentelle Vakzination der Nasensehleimhaut« Von Dr. Lublinski,
Sanitätsrat in Berlin. Münchener med. Wochenschrift; 1904, Nr. 62.
Fälle von gelegentlicher Uebertragung der Vakzine durch unbeab¬
sichtigte Impfung eines anderen Menschen sind zahlreich bekannt
geworden. So beobachtete Werner ein über den ganzen Körper verbreitetes
Vakzineexanthem bei einem 2 1 /»jährigen Mädchen, das wegen Ekzems nicht
geimpft worden war. Die zufällige Uebertragung hatte von einem eben ge¬
impften Bruder ihren Ausgang genommen. Dasselbe beobachtete Plonsk
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
293
geuau im gleichen Fall. Ebenso berichtet Richter von der Uebertragnng
der Vakzine auf ein siebenmonatliches, an Kopf- and Oesichtsekzom leidendes
Mädchen von den Pastein eines anderen, eben mit Erfolg geimpften Kindes,
ll&ls, Kampf and Extremitäten zeigten sich vollständig frei, während das ge¬
schwollene Gesicht and die Kopfhaut von etwa 800 zum Teil konfluierenden
Pusteln bedeckt waren. Das Kind starb.
Diese and andere Fälle zeigen die große Gefährlichkeit ekze¬
matöser Kinder, weshalb Verfasser solche Kinder schon seit vielen Jahren
nicht eher impft, als bis das Ekzem vollständig abgeheilt ist and die Haut
wieder ihre vollkommene Glätte nnd Geschmeidigkeit bekommen hat.
Sehr interessant ist die häufige Uebcrtragung auf die Genitalien.
Von den übrigen Körperstellen scheint das Gesicht am häufigsten der In¬
fektion za verfallen. Anf der Schleimhaut ist akzidontello Vakzi¬
nation von besonderer Bedeutung, wenn die Conjunctiva be¬
troffen wird, da durch Uebertragang auf das Auge dessen Sehkraft ge¬
fährdet werden kann. Verfasser berichtet ferner eingehend über 4 Fälle
Ton Nasenhöhleninfektion. Im letzten von ihm selbst beobachteten
Falle trocknete eine Fraa die stark absondernden Impfpusteln ihres geimpften
Kindes aus Versehen mit dem Taschentuch ab und wischte dann ihre damals
häutig blutende Nase damit ab. Die Frau war früher nicht revakziniert worden.
Diese Impfschädigungen verdanken ihre Entstehung nur einer Fahr¬
lässigkeit seitens der Beteiligten and können der Impfung als solcher nicht
zur Last gelegt werden. Immerhin empfiehlt es sich, Personen, die mit
frisch geimpften Kindern amgehen, die größtmögliche Vor¬
sicht und die peinlichste Sauberkeit auch andern, namentlich
au Ekzem oder Prurigo leidenden Kindern gegenüber anzu¬
empfehlen, da nicht alle diese gelegentlichen Ucbertragungen harmlos ver¬
laufen, sondern in einzelnen Fällen letal enden können und, wie aus der Lite¬
ratur hervorgeht, auch letal endeten. Deshalb sind auch die erfahrensten
Impfärzte im Gegensätze zu Unna gegen die Impfang ekzematöser
Kinder. 1 ) Dr. Waibei-Kempten.
Ueber Prophylaxe and Therapie der Angeneitemng der Neu¬
geborenen. Von Prof. Dr. R. G re eff-Berlin. Zeitschrift für ärztliche Fort¬
bildung; 1904, Nr. 11.
Keine andere Erblindungsursache erreicht in der Blindenstatistik die
hohe Ziffer wie die Augencitcrung der Neugeborenen, trotdzem diese eine
absolut und in jedem Falle heilbare Erkrankung ist. Ueber die Gefährlichkeit
dieser Augeneiterong, die, sich selbst überlassen, zar Erblindung führt, muß
das Publikum durch populäre Belehrung aufgeklärt werden, wie es ja schon
vielfach geschehen ist.
Wichtig ist die Anzeigepflicht der Hebammen und allgemeine Belehrung
dahin, daß bei einer Augeneiterung der Neugeborenen lieber hundertmal ver¬
geblich, als einmal za wenig zum Arzt geschickt wird.
Die Vorschriften in den Lehrbüchern für Hebammen, betr. die Prophy¬
laxe hält Verfasser in maneher Hinsicht für verbesserungsbedürftig. Die vor-
gcschriebcne 2 proz. Höllensteinlösung ist nach G.s Ansicht viel zu stark, *) da
hiernach Eiterungen and Hornhauttrübungen auftreten können. Eine I / 4 P roz -
Lösung genügt sicher zur Prophylaxe, da einmal dünnere Lösungen viel besser
und tiefer in.dos Gewebe eindringen, als starke, und außerdem nach v. Behrings
Untersuchungen (Deutsche med. Wochenschrift; 1887) schon durch eine Silber¬
lösung von 1 : 7500 die Gonokokken abgetötet werden. Auf diese bakteriolo¬
gischen Untersuchungen müßte die Gesetzgebung Rücksicht nehmen und das
•'redesehe Verfahren in dieser Hinsicht verbessern. Therapeutisch schlägt
') In Bayern dürfen z. B. zufolge einer Min.-Entschl. vom Jahre 1899 Kinder
und andere Personen, welche mit Hautausschlägen oder entzündlichen Ohrcn-
affcktionen behaftet sind, erst nach Ablauf dieser entzündlichen Erscheinungen
der Impfung unterzogen werden.
*) Vergl. auch Dauber: Zur Prophylaxe der Ophthalmoblenorrhoea
neonatorum. Münchener med. Wochenschrift; 1904, Nr. 7. Referat: Diese
Zeitschrift; 1904, S. 398.
294
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
G. häufige Ausspülungen des Auges mit 0,1 prozentigen Lösungen vor;
die Technik könne sich jede Mutter und Hebamme leicht aneignen.
(Die Hebamme dürfte wohl besser nicht zu dieser Behandlung zuge¬
lassen werden. Ref.) Dr. Pf lanz- Adlershof-Berlin.
Die Prostitution und die Dienstboten. Von Dr. W. Hanauer-
Frankfurt a./M. Monatsschrift für Soziale Medizin; Jahrg. 1904.
Aus der Auffassung heraus, daß bei der Bekämpfung der Prostitution
der anthropologisch - soziale Gesichtspunkt gegenüber dem sanitär-prophylak¬
tischen bisher im Hintergrund geblieben sei, regt der Verfasser das Studium
der Aetiologie der Prostitution an. Eine zielbewußte Prophylaxe und Therapie
können erst dann einsetzen, wenn man den Anteil der einzelnen Berufsarten
an der Prostitution, sowie ihre sozialen Verhältnisse eingehend festgestellt
habe. Nach 8 Statistiken, aus Berlin, Frankfurt a./M. und Paris, beträgt der
Anteil der Dienstboten an der Prostitution zwischen 80 und 60 Prozent. Die
Gründe für diese enorme Beteiligung findet der Verfasser in der gesamten
wirtschaftlichen, sozialen und rechtlichen Lage dieses Standes, speziell der
Dienstmädchen. Wirtschaftlich sind sie schlecht gestellt; denn sie erhalten
ein Drittel weniger Lohn als eine Fabrikarbeiterin; ihre Beköstigung und
Wohnung läßt „durchweg viel zu wünschen übrig“, ihre Arbeitszeit ist zu
lang, dazu kommt noch die lieblose Behandlung seitens vieler Hausfrauen. In
sozialer Beziehung sind sie schlecht gestellt, weil ihnen der Segen der sozial¬
politischen Gesetzgebung fast ganz versagt geblieben ist; auch ihre rechtliche
Lage ist eine ungünstige, weil sie noch immer unter der Gesindeordnung stehen.
Daß ein solcher Stand, der rechtlich und sozial um 100 Jahre zurück¬
geblieben ist, ein großes Kontingent zur Prostitution stellt, ist nach dem Ver¬
fasser gar nicht verwunderlich. Als spezielle Gründe führt Verf. noch an;
Verführung durch männliche Familienglieder und die Dienstbotenzeugnisse.
Aus Gedankenlosigkeit, aber auch gehässiger Weise „um Rache zu nehmen“,
werden von den Frauen Zeugnisse ausgestellt, welche es den Dienstmädchen
unmöglich machen, andere Stellen zu finden und sie zwingen, den Dirnenberuf
zn ergreifen! Nur oberflächliche Urteiler können also in dem familiären Ver¬
hältnis der Dienstmädchen zur Herrschaft einen Schutz vor Verführung und
somit einen Wall gegen die Prostitution erkennen.
Die Reformvorschläge ergeben sich von selbst: Beseitigung der Gesinde¬
ordnung, Abschaffung der Dienstbücher, Ausdehnung der Fürsorgegesetzgebung
auf die Dienstboten. Und dann die Hauptsache: Das sogenannte patriarcha¬
lische Verhältnis ist zu beseitigen; der Dienstbote soll nicht mehr „Haussklave“,
sondern ein freier Mensch sein, der sich seiner Fortbildung, dem geselligen
Verkehr, gemeinnützigen Vereinen widmen kann, der seine eigene Wohnung
und seine eigene Beköstigung hat. Dann wird das Ziel, die Dienstboten von
der Prostitution fern zu halten, erreicht sein!
Referent vermag dem Verfasser bei diesen Vorschlägen nicht zu folgen.
Gewiß ist es nötig, einen Stand, den man hygienisch nach irgend einer Seite
beeinflussen will, genau in seinen Lebensbedingungen nach allen Richtungen
zu kennen. Dazu gehört aber eine unbefangene Beurteilung der Gesamtlage
nach der günstigen wie nach der ungünstigen Seite hin; man darf nicht das, was
sich als das schlechteste bei ausnahmsweise schlechten Bedingungen entwickelt
hat, zum Ausgangspunkt der Beurteilung machen.
Sehen wir die angegebene Statistik! Paris scheidet nach den vom Ver¬
fasser selbst angeführten besonderen Verhältnissen (Verbindung von Bordell¬
besitzern und Stellenvermittlern) für unsere Verhältnisse aus. Bleiben Berlin
und Frankfurt a./M., welche als Großstädte für die Beurteilung der allgemeinen
Dienstbotenlage und ihres Verhaltens zur Prostitution gewiß nicht als ma߬
gebend gelten können. In Klein- und Mittelstädten, besonders auf dem Lande,
ist's sicherlich anders, schon deshalb, weil sich Dienstboten, welche der Pro¬
stitution verfallen, nach den Großstädten ziehen. Die Zahlen der Großstadt
sind gewissermaßen die Quintessenz eines großen, von der Großstadt beeinflußten
Bezirks. Immerhin soll zugegeben werden, daß die Beteiligung der weiblichen
Dienstboten an der Prostitution noch eine bedauerlich große bleibt.
Ist es aber nun wirklich in erster Linie die Notlage, welche die Dienstboten
der Prostitution in die Arme treibt ? Verfasser schildert diese Notlage in sehr
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
295
schwarzen Farben, nach Ansicht des Referenten viel za schwarz, doch ist das
Sache persönlicher Erfahrung and subjektiven Ürteils. Die Fälle jedenfalls,
wo die Notlage allein ein Dienstmädchen zar Prostitution treibt, sind gewiß
die seltneren. Dnd bei diesen ist die Hebung des Standes darch rechtliche
und soziale Gleichstellung mit den übrigen Gewerbetreibenden als Heilmittel
zu begrüßen, wie sie überhaupt schon aus Gründen der Billigkeit lebhaft zu
wünschen ist.
Ganz anders verhält es sich mit der Beseitigung des „patriarchalen“
Verhältnisses. Wenn dieses in rechter Art, den heutigen Lebensverhältnissen
angepaßt und individuell geübt wird, so ist es der grüßte Segen für die Dienst¬
boten, der größte Feind der Prostitution. Wir geben mit ihm den Dienst¬
mädchen, wenn wir es recht zu üben verstehen, das, was wir unseren Töchtern
geben, den festen Schatz des Hauses gegen die verderblichen Einflüsse des
Lebens draußen, die nötige Stütze für den noch nicht gefestigten Charakter,
der sonst so leicht der lockenden Außenseite der Verführung, wie sie nament¬
lich die Großstadt so mannigfach bietet, erliegen würde.
Es sind nicht in erster Linie die größere Charakterstärke, die bessere
Moral, welche Töchter guter Familien selten einen Fehltritt begehen lassen,
sondern die festen Bande der Ordnung, der Sitte und hergebrachten Lebens¬
anschauung in der Familie, welche sie davor bewahren. Gewiß hat dieses
partriachalische Verhältnis teils durch Schuld der „Herrschaft", teils durch die
moderne Lebensführung vielfach gelitten, oft wird es gar nicht, oft nicht in
der rechten Art geübt. Das ist aber kein Grund, es fallen zu lassen, sondern
our ein Grund, auf Besserung zu sinnen, es den heutigen Lebensbedingungen
inzupassen. Referent fürchtet auch nicht, daß man es ganz fallen lassen und
den letzten Reformvorschlag des Verfassers annehmen wird; denn was sollte
man wohl mit einem Dienstboten anfangen, der außer dem Hause wohnt, ißt
and Verkehr pflegt? Er würde wohl selten zu haben sein, wenn man seiner
Dienste bedarf. Dr. Steinkopff, Liebenwerda.
Die Gesetzgebung auf dem Gebiete der Infektionskrankheiten und
der Staatearzneikunde. (Präventive legislation in forensie medicine.) Von
Clark Bell, Esq.-New-York. The medico-lcgal journal; XXII, Nr. 2 r 1904,
S. 121-127.
Der in der staatswissenschaftlichen Gesellschaft von Texas gehaltene
Vortrag erinnert zunächst daran, daß die Maßregeln, die der Staat zur Be¬
kämpfung der gemeingefährlichen Krankheiten, Cholera, Gelbfieber und Pocken,
darchzuführen berechtigt ist, gar oft für den einzelnen oder eine Gruppe von
Individuen das schlimmste Unglück bedeuten. Zum Nutzen der Gesamtheit
wird die ganze Macht des Staates bei der Durchführung dieser durch das
Gesetz gebilligten Regulative und Beschränkungen herangezogen; das private
kocht des Individuums wird hintangestellt, bei der Trennung des Familien¬
lebens, der Anordnung der Isolierung, der Ausführung der strengen Quarantäne¬
gesetze wird dieses Recht sogar verletzt. Trotz dieses Eingriffs in das
ordentliche Recht des Bürgers haben die Gerichte der Vereinigten Staaten in
Fällen, in denen die Krankheit des Einzelnen eine Gefahr für das öffentliche
Wohl bildet, die von den Verwaltungsbehörden getroffenen Maßregeln aufrecht
erhalten.
Der Autor plädiert nun auch für die Heranziehung der Gesetzgebung
bei Bekämpfung der Tuberkulose. Bei den Einladungen zu dem amerikanischen
Taberkulosekongreß 1900 hatte er verschiedenen Autoritäten die Frage vor¬
gelegt: Welches ist auf dem Gebiete der Staatsarzneikunde, insoweit sie mit
ihr vertraut geworden sind, im 19. Jahrhundert der größte Fortschritt gewesen?
Darauf hatte Dr. Baker, der Chef des State board of health des Staates
Michigan, jenes Staates, in dem die Anzeigepflicht bei Tuberkulose 1893 bereits
eingeführt ist, geantwortet: „Der bedeutendste Fortschritt ist die Unterstützung,
die das Gesetz in der Beschränkung jener Krankheit gibt, die die meisten
Todesfälle zur Folge hat“. So hofft der Autor, daß die Regierungen die Be¬
kämpfung der Tuberkulose auf dem Wege der Gesetzgebung weiterhin
sich zur Aufgabe machen werden. Dr. Mayer-Simmern.
296
Besprechungen.
Der Laie und der Fachmann gegenüber den Problemen der öffent¬
lichen Gesundheitspflege. Von J. Lcderlo, T. Scdgwick und Clark
Bell. Ebenda. Seite 213.
Der Artikel bespricht die auf der Sektion für öffentliche Gesundheits¬
pflege auf dem internationalen Kongreß in St. Louis gehaltenen Vorträge.
1. Ernst J. Ledcrlc, früher Commissioner of public health der Stadt
New-York, von Beruf Chemiker, führte etwa folgendes aus:
In der Person des Hygienikers hat sich ein neuer Stand ausgebildct.
Man habe zwar die Gesundheitspflege als Domäne der Aerzte angesehen;
da indessen die Schule, die der Arzt bei seiner Ausbildung durchmacht, ihn
nicht zu einem guten Verwaltungsbeamten erzieht, so dürfte ein gut aus-
gebildeter Laie auf dem Gebiete der öffentlichen Gesundheits¬
pflege die besten Resultate erzielen, wenn ihm bei rein ärztlichen Dingen
sachverständiger ärztlicher Rat zur Seite steht.
Ein ideales Gesundheitsamt sollte daher aus einem ärztlich gebildeten
Bakteriologen, einem geschulten Ingenieur und aus einem „man of affairs“ be¬
stehen, der besonders mit Rücksicht auf seine Tüchtigkeit in Verwaltungs¬
sachen und die Weite seiner Ansichten ausgesucht ist.
Allerdings muss sich zu dem Stande des „Sanitarian“ eine höher
gebildete Klasse von Menschen melden, als es zur Zeit geschieht; auch muß
die Bezahlung eine bessere sein. Die richtige Schulung und Ausbildung dieser
aus dem Laienstande hervorgehenden Gesundheitsbeamten dürfte Sache eines
nationalen Gesundheitsamtes sein, von dem die Politik der Parteien fern zu
halten ist, dem alle privaten Laboratorien zu unterstellen sind, und dessen
Aufgabe es ist, die Fragen der Quarantäne, der Untersuchung der öffentlichen
Schulen, der Wasser- und Millchversorgung, der Fabrik- und Kinderarbeit zu
fördern.
2. Prof. William T. Sedgwick, vom Massachusett Institute ol Tech¬
nology, hebt ebenfalls hervor, daß zur Zeit beim Unterricht der angehenden
Aerzte die Hygiene vernachlässigt werde. Sollte ein solcher Unterricht auf
die Dauer nicht angängig sein, so müsse sich das Publikum in bezug auf
Gesetzgebung und Verwaltung auf dem Gebiete der öffentlichen Gesundheits¬
pflege anderswo Umsehen. Er erinnert daran, welche Verdienste die Chemie
und dieingenicurwissenschaften sich um die Hygiene erworben hätten.
Hierher gehören die chemischen Studien des Gesundheitsamtes des Staates
Massachusett unter Br owe; die Untersuchungen der Flüsse von Illinois unter
Palmer. Bei der Frage der Reinigung des Wassers habe der Ingenieur
bereits viel geleistet, ebenso bei der der Beleuchtung, der Wasserversorgung,
der Kanalisation.
Auch Clark Bell selbst bestreitet dem Arzte das Recht, auf dem
Gebiete der Hygiene und der gerichtlichen Medizin nur auf Grund der bis¬
herigen rein ärztlichen Ausbildung als Sachverständiger zu gelten.
Dr. Mayer-Simmern.
Besprechungen.
Dr. Manfred Fuhrmann: Diagnostik und Prognostik der Geistes¬
krankheiten. A b e 1 s medizinische Lehrbücher. Verlag von Joh. Ambrosius
Barth. Leipzig 1904. Preis: 5,75 Mark.
Verfasser gibt in kurzen, scharf umschriebenen Skizzen eine Schilderung
der verschiedenen Formen geistiger Erkrankungen, ohne auf theoretische Er¬
wägungen cinzugehen. Er ist seiner Aufgabe gerecht geworden, ein Buch zu
schreiben, das den Studierenden und Acrzten genügt. Der Praktiker will fest¬
stehende Krankhcitsbilder, an denen er seine Fälle vergleicht, und darum be¬
schränkt sich der Verfasser in richtig abwägendem Urteile auf die Wiedergabe
des sicher Feststehenden, wobei im wesentlichen die Differentialdiagnostik be¬
rücksichtigt wird.
Die im allgemeinen Teile sorgfältig bearbeiteten Kapitel über die Unter¬
haltung mit dem Kranken und die Untersuchung sind sehr lehrreich; im
speziellen Teile sind die einzelnen Psychosen nach ihrer Häufigkeit mehr oder
weniger ausführlich behandelt worden. Mit besonderer Genauigkeit ist die
Diagnose der Paralyse und der Dementia praecox dargestellt, letztere im
Tagesnachrichten.
297
großen and ganzen in Uebereinstimmang mit den Lehren Eraepelins. Der
Begriff der Dementia praecox im Sinne Kraepelins ist sehr umfangreich
und schließt eine ganze Reihe heterogener Prozesso in sich, die früher oder
später Toneinander abgetrennt werden müssen. In dem Kapitel über Asso¬
ziationen sind die Lehren Sommers-Gießen weiter ansgebant. Soviel über
den Inhalt. Die Ausstattung des Buches ist vorzüglich.
Dr. Rump-Osnabrück.
Tagesnachrichten.
Das preußische Ministerialblatt für Medizinal- und medizinische Unter¬
richts - Angelegenheiten bringt in Nr. 8 nachstehenden Bericht über die
Genickstarre in Oberschlesien: Im letzten Drittel des November vorigen
Jahres traten im nördlichen Teile der Stadt Königshütte und in
dem benachbarten Orte Neu Heiduk des Landkreises Beuthcn einige Fälle
Ton epidemischer Genickstarre auf, denen bald vereinzelte Fälle in einigen
Orten der Kreise Beuthen Land und Tarnowitz folgten. Eine Entstehungs-
Ursache ließ sich nicht feststellen. Die sofort angeordneten Maßnahmen —
Absonderung der Erkrankten, und zwar tunlichst in Krankenhäusern, Aus¬
schließung der gesunden Kinder aus erkrankten Familien vom Schulbesuch,
Desinfektion der Kleidung, Wäsche und Bettzeug der Erkrankten — vermochten
die Entstehung einer Epidemie und die Weiter Verbreitung der Seuche nicht zu
verhindern. Bis Ende Dezember stieg die Zahl der Erkrankten in Königshütte
auf 15, in Beuthen auf 3, im Landkreise Beuthen (in Neu Heiduk) auf ö. Im
Januar breitete sich die Epidemie in den befallenen Orten und in der Umgebung
langsam, im Februar sehr viel schneller aus. In der Woche vom 13. bis
19. Februar betrug die Zahl der Neuerkrankungen im Regierungsbezirk Oppeln
in 7 Kreisen, in der Woche vom 20. bis 26. Februar 106 in 8 Kreisen, in
der Woche vom 6. bis 12. März 125 in 11 Kreisen, in der Woche vom 13. bis
19. März 166 in 11 Kreisen, in der Woche vom 20. bis 26. März 147 in
13 Kreisen.
Von Beginn der Epidemie bis zum 31. März erkrankten (starben) an
Genickstarre:
1. Im Regierungsbezirk Oppeln 1065 (569), und zwar in den Kreisen:
Stadtkreis Beuthen 52 (20), Landkreis Beuthen 203 (98), Cosel 6 (5), Falken¬
berg 1 (1), Stadtkreis Gleiwitz 6 (1), Landkreis Gleiwitz 4, Grotkau 2 (1),
Stadtkreis Kattowitz 34 (23), Landkreis Kattowitz 219 (134), Stadtkreis
Königshütte 292 (169), Kreuzburg 7 (3), Lublinitz 6 (3), Neiße 2 (1), Neu¬
stadt O.S. 4 (2), Stadtkreis Oppeln 5 (2), Landkreis Oppeln 12 (4), Pleß 71
(33), Rosenberg 2, Rybnik 20 (5), Groß Strehlitz 13 (5), Tarnowitz 35 (21),
Zabrze 70 (38). Von den 25 Kreisen des Bezirks blieben nur die Kreise
Leofachutz, Stadtkreis Ratibor und Landkreis Katibor verschont.
2. Im Regierungsbezirk Breslau 16 (9) und zwar in den Kreisen:
Stadtkreis Breslau 2 (2), Landkreis Breslau 4 (3), Brieg 1, Oels 2, Ohlau
4 (3), Landkreis Schweidnitz 2.
Vereinzelte Fälle von Genickstarre kamen auch bei Mannschaften des
TL Armeekorps vor, und zwar erkrankten in der Zeit vom 11. Februar bis
24. März in Brieg 3, Lambsdorf 1, Ohlau 3, im ganzen also 7, von denen 4
starben.
Die Erkrankungen betrafen hauptsächlich das jugendliche Alter. Von
-DOS Erkrankten im Bezirk Oppeln, deren Alter sich genau feststellcn ließ,
Waiden im Alter
von 0 bis
1 Jahr
81 1
von
10 bis
11 Jahr
24
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VT
VI
5
1
zus. 87
103
298
Tagesnachriehten.
Kinder unter 16 Jahren waren also 903 = 89,t °/o; im Alter Ton 0 bis
6 Jahren, also vor dem schalpflichtigen Alter, standen 583 = 58* °/ 0 , im Alter
von 6 bis 14 Jahren, also im schalpflichtigen Alter, 311 = 90,» °/ 0 ; über 15 Jahre
alt waren dagegen nar 103 = 10,» °/ 0 der Erkrankten.
Die znr Bekämpfung der Epidemie angeordneten Maßregeln stützten sich
aaf den Erlaß des Münsters der Medizinalangelegenheiten vom 23. No¬
vember 1888.
1. Die dort nar für Aerzte vorgeschriebene Anzeigepflicht wurde
allgemein eingeführt 2. Die Kranken worden streng abgesondert, and
zwar tunlichst in Kr&nkenhäasern. Dies wurde wesentlich erleichtert darch
die große Anzahl und teilweise vorzügliche Beschaffenheit der in dem Industrie¬
gebiet vorhandenen Krankenhäuser, namentlich darch die Knappschaftslazarette,
welch letztere ausnahmsweise auch für Kinder zar Verfügung gestellt wurden.
Bis Ende März konnten 95 °/ 0 der Erkrankten in Krankenhauspflege genommen
werden. 3. Schulkinder aus Häusern, in denen Fälle von Genickstarre
vorkamen, wurden für die Dauer der Erkrankung und noch 14 Tage nach der
Genesung bezw. dem Tode des Erkrankten vom Schulbesuch ausgeschlossen.
Schtüschließangen wurden vermieden; nur zweimal wurde eine Schulklasse vor¬
übergehend geschlossen, weil in dem betreffenden Schulhause eine Erkrankung
vorgekommen war. 4. Streng durchgeführt wurde die Desinfektion, was
wesentlich erleichtert wurde durch die erhebliche Anzahl an geschulten Des¬
infektoren und leistungsfähigen Desinfektionsapparaten, die im Bezirk vorhanden
waren. 5. Im bakteriologischen Institut in Beuthen — Direktor Professor
Dr. vonLingelsheim — wurden die erforderlichen Untersuchungen von
Nasen- und Bachenschleim, Lumbalpunktionsflüssigkeit usw. der Erkrankten —
bis Ende März von 760 — mit dem Erfolg vorgenommen, daß ausnahmslos der
Diplococcus intracellularis Weichselbaum-Jäger gefunden wurde. Anfang
April wurde das Personal der Station um 1 Assistenten und 1 Diener verstärkt.
6. Die Impfung der Kinder im Bezirk Oppeln wird verschoben bis nach dem
Erlöschen der Epidemie. 7. Eine gemeinverständliche Belehrung über die
Erkrankung ist an die Bevölkerung verteilt worden. 8. Den Kreisärzten in
Beuthen und in Kattowitz ist je 1 Kreisassistenzarzt für die Dauer der Epi¬
demie beigegeben worden. — Bei der Behandlung der Kranken hat sich
nach der Angabe der Aerzte namentlich die Anwendung von heißen Bädern
und die mehrmalige Wiederholung der Lumbalpunktion bewährt.
Die Hauptversammlung der Deutschen Gesellschaft für Volksbider
findet unter dem Ehrenpräsidium Se. Königl. Hoheit des Herzogs Dr. Carl
Theodor in Bayern am 31. Mai 1905, vormittags 10 Uhr, im alten Bat-
hause zu München statt. Auf der Tagesordnung stehen folgende Vorträge:
I. Mitteilungen über ästhetische Anforderungen an moderne Badeanlagen.
Beferent: Prof. C. Hocheder -München. — II. Die Münchener Bäder. Beferent:
Bauamtmann jBichard Schachner-München. — III. Künstliche Wellen-
erzeugung für Bassin- und Wannenbäder. Beferent: Dipl. - Ingenieur H. B e c k:
n a g e 1 - München. — IV. Das Bad in kunstgeschichtlicher Beziehung. Befe¬
rent: Dr. Eugen Holländer-Berlin. Außerdem sind nicht weniger als
30 Gegenstände und Fragen zur Besprechung angemeldet Unmittelbar an die
Sitzung schließt sich eine Besichtigung des Müllerschen Volksbades
und des Freilichtbades in München an. Für den Abend 9 Uhr ist ein
gemeinsames Abendessen mit Damen in Aussicht genommen und für den
folgenden Tag, Donnerstag, den 1. Juni, ist, sofern die Witterung
günstig, ein Ausflug in das Gebiet der Quellwasserversorgung vorgesehen.
VI. Jahresversammlung des Allgemeinen Deutschen Vereins für
Schulgesundheitspflego am 14. und 15. Juni 1905 in Stuttgart. Auf der
Tagesordnung stehen außer Beratungen über a. Satzungen, b. Neuwahl des
Vorstandes und c. andere geschäftliche Angelegenheiten folgende Vorträge:
I. Anfang und Anordnung des fremdsprachlichen Unterrichts. Pädagogischer
Beferent: Prof. Dr. Vietor-Marburg. Medizinischer Beferent: Dr. Jäger-
Schwäb.- Hall. — II. Ueber Schüleruntersuchungen. Aerztl. Beferent: Stadtarzt
Dr. Gastpar. — III. Der ungeteilte Unterricht (Kürzung der einzelnen Unter¬
richtsstunden und Verlegung des wissenschaftlichen Unterrichts auf den Vor-
Tagesnachrichten.
299
mittag). Pädagogische Beferenten: für höhere Schnlen: Oberachaldirektor Dr.
Heintzm&nn-Elberfeld, für Volksschulen: Sektor M ü 11 e r - Eilenburg. Me-
dbdoischer Referent: Dr. med. et. phiL Willy Hellb&rt, Nervenarzt - Karlsruhe.
Von dem Geschäftsführer der am 29.—30. September in Meran statt-
findenden 77. Versammlung der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und
Aente wird mitgeteilt, daß die allgemeinen Sitzungen der diesjährigen
Tagung am 25. und 29. September abgehalten und in denselben Gegenstände
von allgemeinem Interesse behandelt werden sollen. Für den 28. September
vormittags ist eine Gesamtsitzung der beiden wissenschaftlichen
Hauptgruppen geplant, in der Prof. Langley-Cambridge über die neueren
Erfahrungen in der Nerrenlehre, Prof. Correus-Leipzig und Prof. Dr.
Heider-Innsbruck über Vererbungsgesetze sprechen werden. Für den 28. Sep¬
tember nachmittags sind für jede der beiden Hauptgruppen gemeinsame
Sitzungen vorgesehen. Die Themata sind noch nicht fest bestimmt. Die
Abteilungssitzungen sollen am 25. September nachmittags, am 26. und
27. September vor- und nachmittags, sowie eventl. am 28. September nach-
oittags abgehalten werden.
Der Vorstand der Abteilung für gerichtliche Medizin bittet,
Vorträge und Demonstrationen wenn möglich bis zum 13. Mai bei dem Bezirks¬
arzt Dr. Neuhauser in Meran anzumelden.
Schenkung zu wissenschaftlichen Zwecken. Der Kommerzienrat Richard
Passavant-Gontard hat der Stadt Frankfurt die Summe von 100 000 Mk.
rar Verfügung gestellt, die für wissenschaftliche Studien auf dem Gebiete der
Medizin, vor allem für die Tuberkulosebekämpfung, verwendet werden soll.
Hprechsaal.
Anfrage des Kreisarztes Schl, ln L. 1. Können im landwirtschaft¬
liehen Betriebe Verunfallte, welche einer Krankenkasse nicht ange¬
boren, von der Berufsgenosenschaft gezwungen werden, sich auch
nährend der ersten 13 Wochen nach dem Unfall der Heilbehandlung in
ehern Krankenhanse zu unterziehen!
Antwort: Ja, auf Grund des § 23, Abs. 1 in Verbindung mit § 27,
Abs. 3 des Unfallversicheruugsgesetzes für Land- und Forstwirtschaft vom
90. Juni 1900.
2. Inwieweit kann die Gemeinde von der Berufsgenossenschaft ersatz¬
pflichtig gemacht werden, wenn sie — fahrlässig oder nicht fahrlässig —
lieht für ärztliche oder für nicht anszelchende ärztliche Behandlung des
Unfallverletzten Sorge getragen hat!
Antwort : Das Unf&llversicherungsgesetz enthält darüber keine Bestim¬
mung; dagegen können derartige Ansprüche auf Grund des Bürgerl. Gesetz¬
buches (§ 823, Abs. 2) gemacht werden. Es ist dabei aber Voraussetzung,
daß die Gemeinde Kenntnis von dem Unfall erhalten und der Unfallverletzte
dm Anspruch auf Heilverfahren (§ 27 d. Ges.) erhoben hat.
Anfrage des Krelsartes W. in D. Wo finden sich die Unterlagen
dafür, dass die Ausstellung der Gesundheitszeugnisse für den Eintritt ln
des Reichs- und Staatsdienst, speziell für den Eintritt ln den Postdlenst
and den niederen Gerichtsdienst (Gerichtsdiener) ausdrücklich den Kreis¬
ärzten Vorbehalten sind und demgemäss die Gebühren für diese Zeug¬
nisse als pensionsfähig in das Gebührenverzeichnls aufzunehmen sind!
Antwort: Die Unterlagen sind, speziell für den Postdienst usw.
durch die Verfügung des Staatssekretärs des Reichspostamts vom 1. Ja¬
nuar 1900 bezw. den Vorschriften der „Allgemeinen Dienstanweisung für Post-
und Telegraphie“ gegeben, nach der die Bewerber für die mittlere Beamten-
inufbahn und für den Unterbeamtendienst bei der Reichs-Post- und Telegraphen¬
verwaltung ein von einem Postvertrauensarzt oder einem Staats-Medi¬
zin albeamten ausgestelltes Zeugnis über ihren Gesundheitszustand beizu-
briigen haben. In dem Min.-ErL vom 20. April 1901 (s. Beilage zn Nr. 16
der Zeitschrift, 1901) ist außerdem ausdrücklich anerkannt, daß die von dem
300
Versammlungen nnd Berichtigung.
Kreisärzte zum Zwecke der Bewerbung im Post- und Telegraphendienste er¬
statteten Gesundheitszeugnisse als amtsärztliche anzusehen sind. Für den
Eintritt in den mittleren oder unteren Justizdienst wird dagegen allge¬
mein nur „der Nachweis der erforderlichen körperlichen Rüstigkeit“ verlangt;
das von einem Kreisarzt derartig ausgestellte Zeugnis ist somit nnr dann als
„amtsärztliches“ anzusehen, wenn die betreffende Behörde ausdrücklich
ein solches verlangt hat.
Bayerischer Medizinalbeamten-Verein (E. V.)
Landes - Versammlung zu Würzburg
am 3. Juni 1005.
Tagesordnung:
1. Neueste Forschungen über Infektionskrankheiten. Referent: Prof.
Dr. Lehmann-Würzburg.
2. Geistige Minderwertigkeit im schulpflichtigen Alter und Hülfsschulen.
Referent: Prof. Dr. Weygandt-Wtirzburg.
3. Quantitative Bestimmung des Luftgehaltes der Lungen. Referent:
Prof. Dr. Stumpf-Würzburg.
4. Die amtsärztliche Revision der Rczepttaxierung. Referent: Bez.-Arzt
Dr. Graßl-Viechtach.
Württembergischer Medizinalbeamtenverein.
Die vierte Jahres •Versammlung des Wdrttemberglsohen
Medl Sin aibeam te nvereins wird am Sonntag, den 14. Mai 190 5
nachmittags 3 Uhr in Stuttgart im kleinen Saal des Oberen Museums
(Kanzleistraße 11) abgehalten werden.
Tagesordnung:
1. Geschäftliches.
2. Neuwahl des Vorstandes gemäß § 5 der Satzungen.
3. Ueber Verbreitung und Bekämpfung des Abdominaltyphus in Württem¬
berg. Referent: Ober-Med.-Rat Dr. v. R e m b o 1 d - Stuttgart.
4. Ueber die Schularztfrage vom Standpunkt des Medizinalbeamten.
Referent: Med.-Rat Dr. Blezinger-Cannstatt.
Nach Schluß der Versammlung findet eine zwanglose Vereinigung der
Vereinsmitglieder im Stadtgarten statt.
Berichtigung. In der in Nr. 7 dieses Jahrgangs erschienenen Arbeit
von Herrn Dr. E. Huhs über „die desinfektorische Wirkung des Form&lins
auf tuberkelbazillenhaltigen Lungenauswurf* sind die, die L in gn er sehen Des¬
infektionsapparate betreffenden Preisangaben irrtümlicherweise zu hoch an¬
gegeben. Der Preis des Lin gn er sehen Desinfektionsapparates ist ink). voll¬
ständigen Zubehörs &0 Mark.
Die Angabe, daß der Preis des Roepk eschen Ammoniak - Entwicklers
die Anschaffungskosten anderer kompletter Ammoniak - Entwickler nicht über¬
steige, beruht ebenfalls auf einem Irrtum; denn der Roepkesehe Ammoniak-
Entwickler kostet Mark 23,50, der von der Firma Lingner konstruierte
Mark 15,00.
Es ist ferner ein Irrtum, daß der Lingner sehe Ammoniakentwickler
aus verbleitem Eisenblech besteht. Er ist aus doppelseitig emailliertem starkem
Eisenblech konstruirt; aus Kupfer deshalb nicht, weil Kupfer bekanntlich von
Ammoniak sehr angegriffen und schnell zerstört wird.
Die Anschaffungskosten für den Lingnerschen Formaldehyd - Apparat
inkl. Ammoniakentwickler stellen sich demnach nur auf M. 35.—.
Dresdener ohemlsohes Laboratorium Lingner.
Verantwort!. Redakteur: Dr. Rap mun d, Reg.- u. Geh. Med.-Rat in Minden i. W.
J. C. C. Bruns, Hersogl. Büchs, u. F. Bcb.-L. Hofbucbdrncksral ln Mlndsn.
1905.
18. Jahrg.
Zeitschrift
für
MEDIZINALBEAMTE.
ZeitralbUtt fir gerichtliche Medirii ud Psychiatrie,
Sr Sntfiche 8achverstaiidigefltatigkeit in Unfall- und InYaliditätmcke«, sowie
fr ljgieie, efeatJ. Sanitatswesen, Medizinal - Gesetzgebung ud Rechtsprechung.
Eeransgegeben
TOA
Dr. OTTO RAPMUND,
fcofterAAgs- mnd Geh. M*di*in*Lrat In Mlnd—.
Verlag von Fischers mediz. Buehhandlg, H. Kornfeld,
HnogL Bayer. Hof- u. ErshersogL Kammer-BuobhindlM*.
Berlin W. 35, Lützowstr. 10.
Imrile nahmen die Y erUf »handlang sowie alle Annonoen - Expeditionen des ln-
und Auslandes entgegen.
Nr. 10.
Knebelst
1. ud 18. jedes Monats.
15. Mai.
Ruhrepidemie in Duisburg im Jahre 1904.
Von Kreisarzt Dr. Bahr in Duisburg.
Am 7. Angast 1904 erkrankte die Ehefrau des Restaurateurs
8p. in Duisburg-Hochfeld, Brückenplatz 30, an Ruhr. Bezüglich
der Diagnose bestanden zunächst Zweifel; die Kranke war etwa
sieben Tage lang in einem Zimmerchen untergebracht, das unmit¬
telbar neben dem gemeinsamen Hausflur nnd dem Schanklokal
lag. So ist es gekommen, dass dieser eine Krankheitsfall zum
Ausgangspunkt für eine kleine Epidemie werden konnte.
Am 8. August erkrankte in der Eigenstrasse 20 eine Frau E.
an Ruhr. Der Fall war nicht gemeldet, er wurde erst bei den
Ermittelungen betreffs der anderen Fällen von mir festgestellt.
Der Ehemann dieser Kranken pflegte die Sp.sche Restauration zu
besuchen. Während Frau E. zu Bett lag, kam Frau B., die in
demselben Hause wohnte, um zu helfen und zu pflegen; bei diesen
Besuchen hatte sie ihr kleines Kind bei sich. Das Kind starb am
10. August an Rohr. Am 15. legte sich Frau B. selbst, und am
16. August eine Frau 0., Immendabl 10, welche die Bett- und
Leibwäsche des verstorbenen Kindes gewaschen hatte.
Am 19. August erkrankte in der Linkstrasse 26 die Frau
des Kaufmanns P., der in der gleichen Fabrik mit dem Ehemanne
der Frau E. tätig war und auch mit den Fabrikarbeitern in
direkte Berührung kam. In der Eigenstrasse verbreitete sich
die Rohr noch weiter: In dem neben Nr. 20 liegenden Hause Nr. 18
bekam am 18. August ein Knabe Th., der mit den E.’schen Kindern
*ni der Strasse gespielt hatte, die Ruhr; am 13. September er-
302
Dr: Bahr.
krankten in dem gegenüberliegenden Hanse Nr. 23 zwei Kinder Br.,
die täglich mit den Kindern der gegenüberliegenden Häuser ge¬
spielt hatten.
Hiermit war der eine Strom der Infektion erschöpft; von
dem Hanse Brückebplatz Nr. 30 nahmen jedoch noch zwei weitere
Gruppen von Erkrankungen ihren Ansgang:
Die eine Gruppe betraf die in demselben Hause wohnende
Familie A., von der zunächst der 72 Jahre alte, Reichsstrasse
Nr. 117 wohnende Schwiegervater H., der seine Kinder am
Brückenplatz häufig besucht hatte, die Ruhr bekam; er wurde in
das Krankenhaus Bethesda übergeführt und ist daselbst am 11. No¬
vember an Herzlähmung gestorben. Seine Frau war inzwischen
zu A. gezogen, hat aber ihren schwerkranken Mann häufig im
Krankenhause besucht und erkrankte am 23. Aug. an der Ruhr;
sie starb noch vor ihrem Mann. Am 25. Aug. erkrankte dann
ihr Enkelkind A. an Ruhr, das sich aber bald erholte. Weiterhin
erkrankte der für H., bei dem sich eine Lähmung des Schliess-
muskels eingestellt hatte, zur Reinhaltung und Pflege an¬
genommene besondere Wärter Sch. Er hatte H. fast vier
Monate hindurch gepflegt und gesäubert, bis er am 5. November
selbst die Ruhr bekam. Endlich gehört zu dieser Gruppe noch
ein Erkrankungsfall, der sich in einer ganz anderen Stadtgegend,
Pulverweg Nr. 24, einstellte. Hier erkrankte die Frau des städti¬
schen Bureau- Assistenten Ba., deren Ehemann auf dem Rathaus
in demselben Zimmer und an demselben Pulte mit dem städtischen
Desinfektions - Aufseher Ho., der bei Sp. arbeitete, und in der
Heerstrasse zuvor die Zimmer ausgemessen hatte etc.
Die dritte Gruppe von Ruhrfällen, die sich an den Fall Sp.
anschliesst, betraf drei Fälle: Am 15. August bekam die Hökersfrau
Be., Wanheimerstr. 2, die Ruhr. Sie wohnte im Nachbarhause des
Hauses Brückenplatz 30 und hatte direkten Verkehr mit diesem
gehabt. Bereits am 16. August erkrankte dann Frau Schi., Heer¬
strasse 132, die wiederum häufig bei Be. zu tun hatte, und am
31. Aug. wurde bei einem Kinde Eb., das durch Fall aus einem Man¬
sardenzimmer des Hauses Wanheimerstrasse 2 beide Oberschenkel
gebrochen hatte und nach dem Krankenhause geschafft war, hier
festgestellt, dass es gleichzeitig an Ruhr erkrankt war. Das
Kind war mit Frau Be. verwandt, und hatte in deren Hause ver¬
kehrt resp. gewohnt.
Gleichfalls in Hochfeld, unweit des Brückenplatzes, kamen
ausserdem noch drei Ruhrerkrankungen vor, doch war hier ein
direkter Zusammenhang mit den übrigen Fällen nicht nachzu¬
weisen: Am 26. August starb in der Liebfrauenstr. 14 ein Kind
Bro. angeblich an Brechdurchfall. Die Frau des Invaliden St.,
Wanheimerstr. 90, die das Kind gepflegt hatte, legte sich am
27. August mit Ruhr, und am 9. September erkrankte der Vater
des Kindes Bro. an Ruhr.
Schliesslich erkrankte am 20. September noch eine Frau SchL
in Hochfeld, Werthauserstr. 77, an Ruhr, die für fremde Leute
304
Dr. Bahr: Bahrepidemie in Duisburg im Jahre 1904.
wasch and plättete, so dass man wohl annehmen darf, dass auch
sie darch infizierte Wäsche die Krankheit bekommen hat.
Es frägt sich nan noch, woher die zuerst erkrankte Frau Sp.
die Bahr bekommen hatP Nach ihrer Genesung machte sie in
dieser Hinsicht folgende Mitteilungen: Wenige Tage vor ihrer
Krankheit sei ein gewaltiges Gewitter mit Regengüssen nieder¬
gegangen ; die Leute hätten ihr Lokal förmlich gestürmt, um einen
Unterschlupf zu finden. Unter diesen Gästen sei ein Mann ge¬
wesen , der dem Arbeiterstand angehörte, mit einem etwa 7 Jahre
alten Mädchen. Beide hätten sich etwa */ 4 Stunden im Lokal
aufgehalten, und in dieser Zeit sei das Kind nicht weniger als
8—10 mal auf das Klosett gegangen. Die Möglichkeit, dass dieses
Kind die Bahr hatte, ist nicht ausgeschlossen; Frau Sp. wenigstens
nimmt an, dass sie durch dieses Kind angesteckt worden seL
Anderseits besteht auch die Möglichkeit, dass Frau E.,
Eigenstr. 20, die zuerst erkrankte Person gewesen ist, und dass
durch deren Ehemann die Buhr in das Sp.sche Haus am Brücken¬
platz gekommen ist.
Ausser den genannten Fällen sind nur noch drei Ruhrfälle
in Duisburg vorgekommen. Der eine Fall trat am 1. September
in der Düssernstrasse 9 bei der Frau eines Angestellten der städti¬
schen Hafenbahn auf. Die beiden anderen, Ende Oktober vorge-
' kommenen Fälle betrafen Kinder eines Kaufmanns in der Luther¬
strasse, der Geschäftsreisender ist. In diesen drei Fällen war der
Weg der Infektion nicht nachzuweisen.
Betrachtet man diese kleine Epidemie in Hochfeld etwas
genauer, so bietet sie manches Beachtenswerte: Zunächst weist
sie mit zwingender Notwendigkeit wieder auf die Tatsache hin,
dass bei der Bekämpfung der Buhr alles darauf ankommt, die
ersten Fälle schnell und sicher zu isolieren. Das abwartende
Verhalten der behandelnden Aerzte gegenüber dem ersten Krank¬
heitsfall ist hier geradezu verhängnisvoll geworden. Hätte man
die ruhrverdächtige Frau nicht 7 Tage in dem Zimmer neben der
Wirtschaft gelassen, dann wären 16 Familien von der Buhr ver¬
schont geblieben.
Bezüglich des Kontaktcharakters der Buhr sind vier Momente
hervorzuheben.
1. Am meisten gefährdet sind diejenigen Personen, die mit
der Wartung und Pflege der Kranken betraut sind, die also mit
den Franken in direkte Berührung kommen: (Frau B., Frau St.,
Wärter Sch.)
2. Die Infektion kann auch durch Gegenstände, namentlich
durch Leib- und Bettwäsche der Kranken erfolgen. (Waschfrauen
0. und Schl.)
3. Gesunde Zwischenträger können die Ruhrkeime in die
Häuser bringen. (Ehemänner E., P. nnd Ba.)
4. Von Buhr anscheinend genesene Personen können noch
lange Zeit nach dem Ueberstehen der Krankheit, wenn klinische
Krankheitszeichen nicht mehr nachzuweisen sind, die Buhr ver¬
breiten. Der Wärter Sch. hat z. B. den alten H. fast vier Monate
Dr. Lentz: Bemerkungen z. d. Artikel: Paratyphusepidemie im Er. Kreuznach. 305
hindurch täglich sauber halten mttssen (9. August bis 5. November),
seine Ansteckung erfolgte erst, als bei H. keine Zeichen von
Bohr mehr nachzuweisen waren. Er war übrigens von dem
Chefarzt des Krankenhauses besonders instruiert, und auf die ihm
drohende Gefahr aufmerksam gemacht worden. Solange er mit
der erforderlichen Sorgfalt und Vorsicht verfuhr, hat er sich gegen
die Bohr geschützt, sobald er sich jedoch vor Ansteckung sicher
fühlte, und sorgloser bei der Desinfektion seiner Hände verfuhr,
bekam er die Bohr.
Einige kurze Bemerkungen zu der Abhandlung des Herrn
Kreisarztes Dr. Lembke: Eine Paratyphusepidemie im
Kreise Kreuznach.
Ton Kreisassistenzarzt Dr. Lentz, Leiter der Kgl. bakteriologischen Unter¬
suchungsanstalt in Saarbrücken, früher in Idar a. d. Nahe.
Herr Kreisarzt Dr. Lembke‘Kreuznach berichtet in Nr. 8
dieses Blattes über eine kleine Paratyphusepidemie im Kreise Kreuz¬
nach. Er erwähnt dabei, dass bei 15 der Kranken durch den
positiven Ausfall der Blutuntersuchung die Diagnose Paratyphus
gesichert worden sei. Ob auch durch den Nachweis von Paratyphus¬
bazillen der Beweis für die Richtigkeit der Diagnose gebracht
wurde, sagt er nicht, und setzt sich damit berechtigten Zweifeln
bei Klinikern und Bakteriologen aus; denn Stern, v. Drigalski
und Jürgens, deren Arbeiten über Paratyphus heute noch grund¬
legende Bedeutung haben, sprechen sich gerade dahin aus, dass
aus einem, auch anscheinend ganz eindeutig positiven Ausfall der
Blutuntertuchung die Diagnose Paratyphus nicht gestellt werden
könne, dass bei vielmehr ganz eindeutiger Paratyphusreaktion des
Blutserums eines Kranken ein echter, durch Eberth-Gaffkysehe
Bazillen verursachter Typhus vorliegen könne.
Ohne auf die Richtigkeit dieser Behauptung näher eingehen
zu wollen, halte ich es doch für meine Pflicht, hier zur Stütze
der Ansicht Lembkes zu berichten, dass der vollgiltige Beweis
für das Bestehen einer Paratyphusepidemie iu Sobernheim
b. Z. erbracht worden ist.
Dem Königl. bakteriologischen Institut in Idar a. d. Nahe,
das vom Oktober 1903 bis zum September 1904 auch für die
Kreise Meisenheim, Kreuznach und Simmern des Regierungsbezirks
Koblenz Untersuchungen auf Typhus ausfuhrte, gingen im Sep¬
tember und Oktober 1904 aus Sobernheim Proben von 4 verdächtigen
Kranken zu (soweit ich das aus den Bezeichnungen Lembkes
mitnehmen kann, von den Fällen nur Nr. 3, 9 und 13 sowie
einem Ga., vielleicht Nr. 7 in Lembkes Tabelle). Bei allen 4
Fällen gelang der Nachweis der Paratyphusbazillen im Stuhlgang,
bei Ga. fand sich ausserdem eine ausgesprochene Serumreaktion
auf Paratyphusbazillen. Es hat sich also in Sobernheim tatsächlich
um eine Paratyphusepidemie gehandelt.
Aus den Untersuchungen der Anstalt in Idar sowie den
Nachrichten, welche dieser von der Königl. bakteriologischen
808 Dr. Friedei: Bemerkungen z. d. Artikel: P&ratyphuflepidemie L Kr.Kreuznach.
Untersuchungsanstalt in Kaiserslautern i. d. Pfalz zugiiigen,
glaube ich auch, die weitere Vermutung Lern bk es bestätigen
zu können, dass der Paratyphus auf dem Wege fiber den Kreis
Meisenheim nach Sobernheim eingeschleppt worden ist Im Jahre
1903 kamen nämlich in den Orten der Nordwestpfalz mehrfach
Paratyphusfälle zur Beobachtung, und im Spätherbst 1908 wurde
der Paratyphus nach Odenbach (pfälzischer Ort bei Meisenheim)
eingeschleppt. Im Frühjahr 1904 trat er dann in Meisenheim,
wenige Wochen später auch in Desloch und Baumbach (Orte im
Eireise Meisenheim, letzterer wenige Kilometer von Sobernheim
entfernt) auf. Besonders in Baumbach gewann er eine anscheinend
erhebliche Ausbreitung. Eine Verschleppung von hier nach dem
nächsten grosseren (Industrie*) Orte Sobernheim konnte somit nicht
überraschen.
Ob allerdings die Sobernheimer Epidemie nur die wenigen
Fälle umfasst hat, welche Lembke aufzählt, erscheint mir nach
meinen in Idar gesammelten Erfahrungen unwahrscheinlich. In
dieser Anstalt kamen in den l a / 4 Jahren meiner dortigen
Tätigkeit etwa 60 Paratyphuskranke zur Untersuchung. Von
diesen ergaben nur 20 eine positive Blutreaktion, während sie bei
den übrigen, meist nur leicht und vorübergehend Kranken auch
bei wiederholter Untersuchung nicht in die Erscheinung trat.
Fast stets konnten aber in der Umgebung von ausgesprochenen
Eiranken eine ganze Beihe von Personen ermittelt werden, die
kurze Zeit, oft nur 1 Tag lang, an kaum beachteten Krankheits¬
erscheinungen, Kopfschmerzen, Unbehagen, leichter Durchfall,
gelitten hatten, in deren Exkrementen die Untersuchung wochen-,
ja monatelang Paratyphusbazillen ergab. Mehrfach konnten mit
allergrösster Wahrscheinlichkeit gerade auf solche kaum krank
gewesene Infizierte, bei denen Widal stets negativ war, weitere
Infektionen znrückgeführt werden. Ich habe dadurch den Ein¬
druck gewonnen, dass die Infektiosität des Paratyphus eine ausser¬
ordentlich grosse, die Uebertragung von Paratyphusbazillen von
Mensch zu Mensch eine sehr häufige ist. Dass diese Ansicht
noch nicht allgemein geteilt wird, liegt m. E. nur daran, dass
die Verbindung zwischen den einzelnen schweren Erkrankungen
an Paratyphus in der Begel durch eine grössere Zahl ganz leichter
Kranker oder auch gesund bleibender Infizierter vermittelt wird,
deren Infektion nur durch sehr sorgfältige Untersuchung von Stuhl
und Urin der betreffenden Individuen erkannt werden kann.
Einige weitere Bemerkungen zu der Abhandlung
des H. Kreisarztes Dr. Lembke: Eine Paratyphusepidemie
im Kreise Kreuznach.
Von Kreisassistenzarzt Dr. Frledel - Coblenz.
Auch das bakteriologische Laboratorium der Begierung in
Koblenz hat zweifelsfrei festgestellt, dass die Epidemie durch
Paratyphus-Bazillen verursacht war: Es gingen im Oktober 1904
Dr. Bauer: Oie Hebammentasche.
307
3 ßtnhlproben von 3 Erkrankten ein, von denen einer starb; in
alles von den Paratyphnsbazillen nachgewiesen. Die Untersuchung
mb er 4. Stuhlprobe im November, von einem Rekonvaleszenten
stammend, fiel negativ aus. Die Blutreaktionen scheinen mir
übrigens zum grossen Teil durchaus eindeutig zu sein. Bei 12
der Erkrankten waren die Agglutinationswerte folgende:
1:1000 Paratyph. -f-
1 : 200 , +
1 : 500
1 : 200
1 : 60
1:1000 „
1: BOTyph. —
1:60 , -
1:60„-
1: 60 „ -
1 : 20 „ -
1 : 10 . -
1:1000-Paratypb,
1: BO „
1: 300 „
1: 100
1:1000
1: 400
; 1:100 Typh. —;
; 1 : 20 .
; 1 : 50 „
; 1:20 ,
; 1 : 20 „
; 1 : 20 ,
Unter den 150 Typhus- und 25 Paratyphuserkrankungen aus
dem Reg.-Berirk Koblenz, die seit dem Bestehen des bakteriolo¬
gischen Laboratoriums bis jetzt zur Untersuchung gelangt sind,
konnte überhaupt in keinem Fall ein Ueberwiegen der Mitagglu-
tinadon über die spezifische nachgewiesen werden. Gegenteilige
Befände scheinen danach doch nicht häufig zu sein.
Die Hebammentasche.
Von Medizinalrat Dr. Bauer, Kreisarzt in Mörs.
Vor ca. 9 Jahren ist von der Hebammen - Lehranstalt in Cöln
eine Tasche ausgegangen, die einen wesentlichen Fortschritt be¬
deutete und in der Praxis sich gut bewährt hat. Sie war in
folgender Weise eingerichtet:
Ihre Hauptbestandteile bildeten zwei länglich - viereckige Nickelmetall*
toeken mit abgerundeten Ecken und Kanten, die schacbtelartig ineinander
f*&en, so daß der ttbergreifende obere Teil als Deckel das Ganze schloß. Das
utere Becken hatte eine lichte Länge von 28,6 cm, eine lichte Breite von
16,4 cm und eine lichte Höhe von 9,7 cm, auf der Innenseite eine Skala fttr
1, l'it, 2, 2'/t, 3, 3‘/*t 4 Liter. Das obere Becken hatte eine lichte Länge
tob 29, eine lichte Breite von 16,9 und eine lichte Höhe von 7,3 cm. In der
Me von etwa 3,B cm ragten 4 stumpfe runde Zapfen von etwa 0,4 cm Länge
öden Innenraum vor, während an einer Längsseite eine Skala von 1, 1 */», 2,
2*K S Liter die Maße für den Bauminhalt abgaben.
Die beiden Kasten waren aus Nickelblech .derart hergestellt, daß auf
gestanzten Boden mit aufgekremptem Bandteil ein rechteckig gebogenes,
nr an einer Schmalseite vernietetes und verlötetes Blechband angelötet war.
Ich vermute, daß wegen der Sprödigkeit des Nickelmetalles das Ganze nicht
direh Stanzen hergeatellt werden konnte.
In dem von den beiden Metallkasten umschlossenen Baum waren die
Gerätschaften der Hebammen untergebraebt, und zwar fand man, wenn man
den Deckelkasten abhob, zunächst eine Tasche aus braunem Segeltuch von der
Wkunten Briefumschlagform mit zwei Innentaschen, von denen die eine zwei
Soadnhren, für */« Minute und 3 Minuten, zwei Glasröhren für den After, einen
üszimalthermometer und ein Nageleisen, die andere einen nensilbernen Katheter,
twd winkelig gebogene Glasröhren mit gebauchten runden Enden für Scheiden*
•wjpttlnngen, von welchen die eine nur eine zentrale Endöffnung, die andere
Hfer dieser noch vier seitliche, im ganzen fünf Oeffnungen hatte; ferner ein
Augen tropf röhrchen mit Gummihütchen, eine Nabelschnurscheere und N&bel-
biodehen derart enthielt, daß ein fortlaufendes breites Band unter festgenähten,
® zweckentsprechenden Abständen befindlichen Bandbrücken fortlief, so daß
Ais einzelnen Gegenstände unter lüftbaren und wieder anziehbaren Bandbügeln
feügthalten wurden, und die beiden Tascbenabteile durch eine Schleife der
hda Enden geschlossen werden konnten.
308
Dr. Bauer.
Nach Herausnahme dieser Tasche fand man einen rechtwinkeligen Draht-
btlgel, welcher der Länge nach den Innenraom überspannte, aber rar Seite
geneigt lag, nnd senkrecht gestellt, sich als Griffbügel von einem durch¬
löcherten Blechboden mit niedrigen Seitenrändern erwies, der dnrch eine auf-
rechtstehende, herausnehmbare Blechwand von etwa 3,5 cm Höhe, der Länge
nach in einen größeren nnd kleineren Baum geteilt war nnd auf welchem fol¬
gende Gegenstände ruhten:
Im vorderen größeren lag der Irrigator aus vernickeltem Blech mit
einem Deckel verschlossen, in dessen Hohlraum eine verlötete Blechbüchse für
sterile Wattekugeln sich befand, daneben der Gummischlauch und ein Bade¬
thermometer; in dem hinteren schmaleren befanden sich eine Bürste, ein me¬
tallener geschlossener Behälter für Seife, eventuell eine Büchse mit Vaselin.
An einer Schmalseite des durchlochten Plechbodens war in etwa 2,5 cm Höhe
ein wagerecht in einen Ausschnitt der aufrecht stehenden Blechwand einge¬
lassenes und ebenfalls herausnehmbares Blechstück angebracht, mit passend
durchlochten Oeffnungen für die Gläser für Lysol, Hoffmannstropfen, Höllen¬
steinlösung, Meßglas etc. Sämtliche Gegenstände mit Einschluß der Blech¬
scheidewände konnten mit Leichtigkeit entfernt und der übrigbleibende durch¬
lochte Blechboden mit Bügelgriff zum Auskochen der Instrumente in dem mit
Zapfen versehenen Deckelbecken verwendet werden. Der ganze Inhalt war in
dem geschlossenen Blechkasten so gut geborgen, daß die Unterbringung der
einzelnen Gegenstände auch in der Praxis sich als zweckmäßig und geschützt
erwies.
Der geschlossene Kasten wurde in einer starken, braunen Segeltuch¬
tasche verwahrt, welche seitlich noch Außentaschen hatte und durch Druck¬
knöpfe verschlossen wurde. Auf diese geschlossene Segeltuchtasche wurde
dann eine zweite besondere Segeltuchtasche von Briefumschlagformat aufge¬
lagert, welche eine reine Schürze, zwei reine Handtücher und ein gut ver-
paktes Paket sterile Watte enthielt und mit der Beckentasche durch zwei
Beisedeckenriemen verbunden wurde, deren handlicher Griff das Tragen der
nicht ganz zehn Pfund wiegenden Tasche erleichterte. Diese außerhalb des
Beckenkastens gelagerte Segeltuchtasche enthielt, wenn die Hebamme zur
Kreißenden, zur Wöchnerin ging, nur reine Wäsche, wenn sie von ihr ging,
nur gebrauchte Wäsche, aber wohlgemerkt, außerhalb des Beckeninnenraumes,
so daß die gebrauchte Wäsche von diesem getrennt und in der besonderen
Auflagetasche isoliert blieb. Auch die an der Beckentasche angebrachten
Seitentaschen konnten noch verschiedene Gegenstände nach Wahl aufnehmen.
Ich rechne es dem Direktor der Cölner Hebammenlehranstalt
Herrn Dr. Frank als ein grosses Verdienst an, dass er diese
vollständig desinflzierbare, auskochbare Tasche in die Praxis ein*
führte, vor allem auf ein schönes, geschmackvolles Aeussere, auf
Leder- etc. Arbeit verzichtete, nur das Praktische und den einen
Hauptzweck, die Sterilisierbarkeit, im Auge behielt.
Gleichwohl ist dies nicht der einzige und eigentliche Vorzug
der seitherigen Cölner Tasche. Das Schwergewicht ihres Wertes
lag in einem anderen Umstande: Die Hebamme wurde mit
einem Schlage frei und unabhängig von den Näpfen,
Schalen und Schüsseln des Publikums. Sie führte ihre
eigenen und zwar desinfizierten Becken für das Waschen der
Hände und Arme, für die Bereitung der Lysollösung mit sich,
wurde mit einem Male selbständig, von der Not und Unzulänglich¬
keit des Lebens befreit. Sie wusste, dass sie jetzt nur treu und
gewissenhaft zu sein brauchte, um die vorschriftsmäßige Rein¬
haltung ihrer Gefässe auch wirklich durchzuführen, dass sie nicht
mehr in Notlagen versetzt werden konnte, deren Ueberwindung
im Sinne einer durchzuführenden Asepsis unter Umständen geradezu
unmöglich war. Ich will hier nicht die Zustände schildern, die
Die Hebammentasche.
809
das wirkliche Leben in bezug auf Waschnäpfe, Töpfe, Kessel etc.
bot nnd noch bietet, wie die Hebamme, wenn sie anch bei einer
grossen Mehrzahl der Fälle brauchbare Schalen und Schflsseln etc.
finden mochte, doch bei einer beträchtlichen Minderzahl der Familien
in so grosse Verlegenheit geriet und geraten musste, dass eine
keimfreie Reinhaltung der Gefässe nicht nur ausgeschlossen,
sondern die Gefahr der Infektion der Gebärenden, der Wöchnerin
geradezu nahe gerückt war.
Von diesen Mängeln, den unbeschreiblichen und unberechen¬
baren Missständen des wirklichen Lebens wurde die Hebamme
nicht nur befreit, sondern auch in eine aseptische Region entrückt,
deren Erhaltung lediglich nur noch von ihrer Gewissenhaftigkeit
abhängig blieb! In der Tat ein ausserordentlicher Fortschritt 1
Indem die beiden Becken noch die Behälter für die übrigen Ge¬
rätschaften und Mittel wurden, welche die Hebamme mit sich
führen musste, wurde eine besondere kofferartige Ledertasche er¬
spart und ein Ganzes geschaffen, welches einfach und praktisch
war, das Notwendigste, aber zugleich auch das Beste bot, was
Wissenschaft und Praxis dem Leben bieten konnten.
Die Cölner Tasche hat hier am Niederrhein mehr und mehr
Eingang gefunden und da, wo sie von gewissenhafter Hand ge¬
braucht wurde, auch sichtbaren Segen verbreitet. Wir hätten noch
Jahrzehnte mit der Cölner Tasche und Lysol weiter arbeiten
können nnd dann wahrscheinlich statistische Ergebnisse aufzu¬
weisen gehabt, welche das überhaupt Erreichbare auch als wirk¬
lich erreicht erscheinen liessen.
Nun kommt die Desinfektion mit Sublimatlösung
and behauptet ihr Vorrecht gegenüber dem Lysol. Mit Nachdruck
wird gesagt: „Wenn es richtig ist, dass wir in dem Sublimat
das zuverlässigste Desinfektionsmittel der Hände be¬
sitzen, so ist es falsch, dieses Mittel den Hebammen vorzuent¬
halten. K Ich würde den Vorsatz auch bejaht, aber für den Schluss¬
satz eine objektivere Fassung, etwa derart vorgeschlagsn haben:
,so ist es zunächst angezeigt, zu ermitteln, welche tatsächlichen
Hindernisse im wirklichen Leben der Sublimateinführung entgegen-
ittnden.* Hier wäre der Ort gewesen, wo man eine Anfrage bei
simtliehen Anstaltsdirektoren und auch — bei den dem wirklichen
Leben nahestehenden Kreisärzten veranlassen konnte, oder auch
Basste, um zu ermitteln, dass der Einführung des Sublimats nicht
etwa Vorurteil, Mangel an gutem Willen, an Bildung oder Bildungs-
fthigkeit der Hebammen, sondern bedenkliche Mängel und Unzu¬
länglichkeiten des wirklichen Lebens entgegenstehen.
Ich würde, wenn gefragt, mein Gutachten dahin abgegeben
haben, dass, zunächst abgesehen von der Gefahr der Verbreitung
eines so gefährlichen Giftes durch die Hebammen, die Desinfektion
mit Sublimat nur dann ausführbar und durchführbar erscheint,
wenn das Grundprinzip der Cölner Tasche beibehalten, die Heb¬
amme mit den nötigen Gefässen für die Ausführung der Des¬
infektion aasgerüstet wird und gerade mit bezug auf die nament-
810
Dr. Bauer.
lieh gegen Seife so empfindliche Sublimatlösung vor den Näpfen,
Schalen nnd Schüsseln des Publikums erst recht bewahrt bleibt.
Hat das neue Hebammenlehrbuch diese Frage gelöst oder
ist die Situation noch schwieriger geworden P
Das Lehrbuch spricht von vier (I) Schalen, welche die Heb¬
amme nötig hat. Auf Seite 79 ist von zwei Schalen die Bede,
von denen die eine für das Waschen der Hände, die andere für
die Sublimatlösung bestimmt ist; auf Seite 154 wird eine dritte
Schale für die Reinigung der Geschlechtsteile gefordert, und auf
Seite 81 noch eine reine Schüssel oder eine reine Flasche für die
Bereitung der Lysollösung.
Also eventuell vier Schalen! Nähmen wir nur drei brauch¬
bare an, welche die Hebamme im Haushalte jeder Bremsenden
vorfinden müsste. Welche optimistische Voraussetzung!
Es ist keine Frage, dass eine Gebäranstalt über eine reiche
Auswahl von keimfreien, geradezu idealen Schüsseln, Schalen und
Flaschen verfügt. Aber, wenn einmal die Hebammen die Schüsseln,
Schalen und Flaschen, die ihnen das wirkliche Leben bietet, in
einer Anstalt vorzeigen könnten, welch ein Schrei der Entrüstung
würde diese keimfreien Hallen durchgellen! Wie wüi de der Opti¬
mismus, der stillschweigend auch nur annähernd ähnliche ideale
Zustände voraussetzte, einem entmutigenden Pessimismus weichen
müssen! Es gibt Familien, in denen sich auch nicht eine brauch¬
bare Schüssel vorfindet, andere, welche vielleicht eine «Schale*
darbieten, die erst gründlich mit Sand und Seife gereinigt nnd
dann noch ausgekocht werden müsste, wozu aber die Hebamme
nicht immer und überall die nötige Zeit und Gelegenheit (Kessel)
findet, wieder andere, die, wie ich wiederholt erlebt habe, Salat¬
oder Essschüsseln (!) zur Verfügung stellen, und ausserdem recht
viele, deren Waschschüsseln ganze Ringe von alter angetrockneter
Seife aufweisen. Und nun sollte die Hebamme, welcher das Lehr¬
buch eingehende, präzise Vorschriften gibt, eine peinliche Beob¬
achtung zur Pflicht macht, auch wenn sie gründliche Kenntnisse
und den besten Willen hat, sie anzuwenden, unter dem Druck
einer drängenden Geburt mit allem Wissen und Können an solchen
äusseren Missständen, an solchen unqualifizierbaren Waschnäpfen
scheitern und sich mit einer «Desinfektion* begnügen müssen,
welche wegen der äusseren Umstände «leider* nicht anders ausr
führbar war?!
Das Lehrbuch zählt im § 194 die Instrumente und Mittel
auf, welche die Tasche enthalten muss, aber von der unerlässlichen
Ausrüstung der Hebamme mit den nötigen Gefässen, Becken oder
Schalen ist mit keinem Worte die Rede! Hier ist eine wesent¬
liche Lücke zu finden. Das im übrigen gediegene Buch war in
dieser Hinsicht längst von der Cölner Tasche überholt; es würde
auf der Höhe der Zeit gestanden haben, wenn es das Cölner
Grundprinzip mit aufgenommen und die notwendige Ausrüstung
der neuen Hebammentasche mit mindestens drei entsprechenden
Becken vorgesehen hätte. Dass die Hebamme aber gerade für die
Sublimatlö8ung eventuell wieder auf die Schüsseln und Schalen
Die Hebammentasche.
311
im Publikum angewiesen blieb, war für mich ein bedenklicher
Rückschritt. Der Gedanke war mir unerträglich! Ich habe be¬
reits am 3. Dezember 1904 in der Versammlung der Kreisärzte
in Düsseldorf meine Bedenken geäussert und versprochen, mir
Mähe zu geben, um das Prinzip der Cölner Tasche auch für die
Neuordnung der Dinge zu erhalten und auch für die Sublimat¬
lösung zu erweitern.
Es trat aber eine neue Schwierigkeit in den Vordergrund:
Sublimat zerstört wie bekannt Metalle; die Cölner Becken konnten
deshalb nicht für eine Sublimatlösung verwendet werden. Auch
musste man annehmen, dass die Sublimatlösung selbst in metallenen
Becken verändert, ihre desinfizierende Wirkung beeinträchtigt
wurde. Guter Rat war teuer! Ich wandte mich an verschiedene
Firmen, liess mir Taschen kommen, prüfte diese und von anderen
Firmen eingesandte Zeichnungen und Beschreibungen und formu¬
lierte für drei Hauptfirmen die Aufgabe, welche nach meinen An¬
forderungen durch die zu schaffende Tasche zu lösen wäre.
Von diesen ging das Medizinische Warenhaus in Berlin be¬
reitwillig auf meine Vorschläge ein, stellte vielfache Versuche mit
metallischen und nicht metallischen Stoffen an und kam, nachdem
Olas und Porzellan, weil zu schwer und zu zerbrechlich, als nicht
verwendbar befunden war, auf meinen ursprünglichen Vorschlag,
Papiermache zu verwenden, zurück. Das Medizinische Warenhaus
konstruierte verschiedene Taschenmodelle, behielt aber zuletzt das
einfachste, meines Erachtens zweckmässigste Stülpmodell bei,
welches hier in den Abbildungen dargestellt ist.
Die ganze Tasche, Fig. 1, wiegt etwa 4 kg 600 g. Zwei
braune Segeltuchbehälter werden durch zwei kräftige Riemen mit
Handgriff zusammengehalten. Die kleinere aufliegende Segeltuch-
tascbe enthält Schürze und Handtücher.
Fig. 1.
Die grosse Segeltuchhülle, welche vorn durch eine abnehm¬
bare Lederschnalle geschlossen wird, hat auf ihrer hinteren Seite
noch eine grosse Tasche, durch Druckknöpfe zu schliessen, für
Tagebuch und Lehrbuch und umschliesst zwei grosse Becken aus
Weissblech, welche als Gehäuse der ganzen Tasche und Behälter
für die übrigen Utensilien dienen.
312
Dr. Bauer.
Fig. 2.
Das vorstehende Bild (Fig. 2)
stellt die leere Hülle, die Wäsche¬
tasche und den Stülpblechkasten
dar, während das nachstehende
Bild (Figur 3) die herunterge¬
nommene Deckelstülpe (Länge
19 Vj cm, Breite 16 1 /« cm, Höhe
10 cm) und das untere Becken
(Länge 19 cm, Breite 16 cm, Höhe 10 cm) zeigt, auf welchem ein
Fig. 3.
drittes, etwas kleineres Becken (Länge 18,3 cm, Breite 15 1 /* cm,
Höhe 5 ‘/t cm) aus Papiermache für Sublimatlösung ruht.
Fig. 4.
Im Bild 4 sieht man die drei Becken
Die Heb&mmentosche.
818
0
und den Inhalt des unteren Beckens, wie er gelagert ist. Unter dem
W&ttepaket liegt im Becken der Irrigator aus vernickeltem Blech,
in diesem die Büchse mit Fig. 5 .
Jodoform wattekugeln und
der rote Gummischlauch.
Für die Einlagerung der
Wattein dem Karton hat
das Warenhaus die zweck¬
mässige Einrichtung ge¬
tröden, dass die Watte
bandartig hervorzuziehen
nndabzutrennen ist, wäh¬
rend die übrige Watte un¬
berührt in dem Futteral
geborgen bleibt. Neben
derWatte liegt eine graue
zosammengerollte Segel-
tnchtasche, deren Inhalt
Bild 5 enthüllt.
Bild 6 zeigt den Inhalt des unteren Beckens auseinander-
Fig. 6.
gestellt. Das Blechgestell für die Arzneimittel enthält die Flaschen
für Alkohol, Lysol, Hoffmannstropfen, Höllensteinlösung aufrecht-
I
814
Dr. Bauer: Die Hebammentaache.
stehend mit gut schliessenden Glasstopfen, die durch eine
Federkl&mmer in ihrer Lage erhalten werden, eine wesentliche
Verbesserung: die Flaschen können nicht auslaufen. Ausserdem
sieht man in dem Gestell noch ein aufrechtstehendes Metallkäst*
chen für Seife und unten ein horizontal liegendes für Nabelläpp¬
chen, die in und mit dem Metallkästchen in kochendem Wasser
oder heisser Luft leicht desinfiziert werden können.
In bezug auf den Gummihandschuh sei hier eingeschaltet,
dass ich denselben in einem Umschlag von Pergamentpapier habe
bergen lassen, welcher die Aufschrift trägt: „Nur unmittelbar vor
dem wirklichen Gebrauch zu öffnen.“ Ausserdem erhält die Heb*
amme noch einige Reservepergamentumschläge, die wieder in
anderen Kuverts geborgen sind, welche die Aufschrift tragen:
„Zu öffnen, wenn der wieder sterilisierte Handschuh geborgen
werden soll.“ Diese Verwahrungsart hielt ich deshalb ffir not¬
wendig, weil der Gummihandschuh ein Gegenstand der Neugierde,
eine Sehenswürdigkeit ist, welche, wie ich mich überzeugt habe,
von Hand zu Hand wandert und niemals keimfrei bleiben dürfte,
wenn man ihn nicht sorgfältig schützt. Das Pergamentpapier
gestattet wegen seiner Durchsichtigkeit den Handschuh zu sehen.
Die Reserveumschläge birgt die Hebamme in ihrem Schrank. Es
sei hier erwähnt, dass die Hebammen meines Kreises schon seit
1883 sich einen verschliessbaren Schrank mit drei Fächern für
ihre spezifischen Hebammensachen haben anschaffen müssen. In
dem einen Fache haben sie die reine Wäsche, Schürzen und Hand¬
tücher, in dem anderen ihre Tasche und Instrumente, Desinfektions¬
mittel, in dem dritten das Lehrbuch, das Tagebuch, Zuschriften vom
Kreisarzt, jetzt noch die Reserveumschläge lür den Gummihand¬
schuh zu bergen. Dieser Schrank ist unerlässlich, zumal jetzt nach
Einführung des Sublimats; er sollte allgemein eingeführt werden.
Wie sich die Papiermachö-Becken in der Praxis bewähren, wie
lange sie halten werden, muss die Erfahrung lehren. Auf jeden
Fall lassen sie sich leicht und ohne grosse Opfer wieder ersetzen.
Vor der Hand ist wenigstens erreicht, dass die Hebammen gerade
in bezug auf die empfindliche Sublimatlösung von den Wasch¬
becken des Publikums freigemacht, im ganzen mit drei Becken
ausgerüstet und auch für die Neuordnung der Dinge wieder so
unabhängig von den Unzulänglichkeiten des wirklichen Lebens
geworden sind, wie sie es vorher bei der Desinfektion mit Ljsol
durch die Cölner Tasche geworden waren.
Die neue Warenhaus-Tasche ist, wenn auch in vielem ver¬
schieden, im ganzen nach dem Vorbild der alten Cölner Tasche
die einfachste Einrichtung, die es geben kann. Es ist das Ver¬
dienst des Medizinischen Warenhauses, meine Vorschläge eingehend
geprüft, wo sie sich als zweckmässig erwiesen, auch angewendet,
die Tasche im ganzen und einzelnen praktisch, die innere Aus¬
rüstung handlich und übersichtlich gestaltet zu haben. Auch der
Preis ist ein mässiger; er beträgt für die Tasche mit allen Ge¬
räten: 87 Mark; ohne Geräte, jedoch mit den drei Schalen:
12 Mark; der Segeltuchüberzug mit Schürzentasche und Tragriemen
Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften. 815
kostet: 7,50 Mark. Ein Vergleich mit anderen Taschen dürfte
was (Jewicht, Einrichtung und Ausrüstung, Sterilisierbarkeit,
Preiswürdigkeit anlangt, unschwer die Vorzüge der neuen Waren-
haostasche erkennen hissen.
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
Gerichtliche Medizin und Psychiatrie.
Neues über die Stryehnlnwirkung. Von Dr. M. Martin. AerztL Sach*
verständigen - Zeitung; 1905, Nr. 7.
Bisher war man der Anschauung, daß das Strychnin seine krampf-
erregende Wirkung auf das Rückenmark und seine Ausläufer erat entfalte,
wenn es in das Blut übergegangen sei, daß es dagegen auf die nervösen
Organe direkt gebracht, wirkungslos sei.
Durch Tierversuche hat nun Martin festgestellt, daß die subkutane
und peranale Beibringung des Strychnins hinsichtlich der Heftigkeit und
Schnelligkeit etwa dieselben Erscheinungen zeitigen. Ihre Wirkung wird über¬
troffen von der intravenösen Injektion; sie alle übertrifft jedoch bei weitem
die intradurale Injektion mittels Lumbalpunktion. Dr. Troeger-Adelnau.
Welches Yolum Leuchtgas muss man der Luft saftigen, um ein für
Tiere toxisches Gemisch zu erhalten! Von Nestor Grähant. (Travail du
laboratoire de pbys. g£n6rale du Masöum d'histoire naturelle.) Comptes rendus
de la soc. de bioL; LVH, 1904, Nr. 37.
Der Autor erinnert an das aktuelle Interesse, welches die aufgeworfene
Trage zur Zeit in Frankreich beansprucht und beantwortet dieselbe dahin, daß
ein Gemisch von 10 Litern Leuchtgas und 290 Litern Luft, etwa im Verhält¬
nis 1:80 für den Hund sehr gefährlich ist und den Tod eines Menschen
verursachen kann.
In einem ersten Versuche ließ Gröhant einen Hund in einer stärkeren
Konzentration (1 :10) das Luft - Leuchtgasgemenge einatmen. Nach 8 Minuten
trat leichte Aufregung, nach 8—9 Erregung und Klagen, reichliche Harn¬
entleerung ein, nach 19 Minuten Stockung der Pfoten, Atemstillstand, nach
22 vorübergehender Wiederbeginn der Atmung, nach 23 definitiver Atemstill-
staad, nach 24 Minuten Herzstillstand und Tod ein.
14 Minuten nach Beginn der Vergiftung waren der Carotis 46 ccm Blut
entzogen worden. In diesem Blute wies der Autor auf 100 ccm Blut berechnet
16,1 ccm Kohlenoxyd bei 0° und 760 mm Druck nach.
Der Vena cava inferior nach dem Tode durch Punktion entnommenes
Blot enthielt in 100 ccm 18,6 ccm CO.
In einem weiteren Versuche ließ Verfasser einen Hund ein Gemisch von
Leuchtgas und Luft im Verhältnis 1: 80 einatmnn. Nach einer halben Stunde
Stande trat Rötung der Haut des Abdomens ein. Das Karotisblut, das eine
8tande und 15 Minuten nach Beginn der Vergiftung aspiriert wurde, enthielt
sogar 17,5 ccm CO auf 0° und 760 mm Druck berechnet. Obwohl die Dose
der toxischen sehr nahe war, erholte sich das Tier wieder, nachdem es reine
Loft einatmen durfte.
Sogar bei Einatmung eines Gemenges von 1 Liter Gas auf 299 Liter
Luft gelang es dem Autor, nachdem das Tier 2 Stunden lang diesem Gemenge
usgesetzt gewesen war, in 100 ccm Blut 4 ccm CO nachzuweisen, eine Quan¬
tität, die 4 mal geringer ist, als die toxische Dose. (Vergl. auch die Referate
iu Vierteljahrsschr. f. ger. Med. 3. F., 1903, Bd. XXVI, S. 185 und in dieser
Zeitschrift, 1903, 8. 467. _ Dr. Mayer-Simmern.
Biss Verletzung zweier Aeste der Vena saphena. Drohende Ver-
blutnag. Eigenartiges Verfahren der Blutstillung. Von Kreiswundarzt z. D.
Dr. Moritz Mayer in Simmern. Münchener med. Wochenschrift; 1904, Nr. 17.
Verf. hatte in einem Aufsatz'): „Zur forensischen Bedeutung der durch
*) Siehe Referat in dieser Zeitschrift; 1901, S. 199.
816
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
chemische Mittel erzeugten Eiterung“ (Viertelj&hrschr. f. ger. Med., 8. F„
1901, XXI) darauf hingewiesen, daß in der Wundbehandlung Balsame aller
Art zwar praktisch wirksam seien, aber gelegentlich mannigfache Reizerschei¬
nungen aller Art, Entzündungen, Oedeme, Schwellungen der Umgebung,
Eiterungen in der Haut und in der Tiefe hervorrufen können.
Der hier beschriebene Fall erläutert das Gesagte. Eine Hirtin war von
ihren Hunden an 4 Stellen des rechten Unterschenkels ins Fleisch gebissen
worden. Es trat eine außerordentlich heftige Blutung ein. Aerztliche Hülfe
war weit entfernt. Die Torläufige Blutstillung gelang den Angehörigen durch
Anwendung eines Hausmittels, eines perubalsamhaltigen Balsams. Die Blutung
war bedingt worden durch vollständige, nahezu quere Durchtrennung zweier
längs verlaufender Acste der Vena saphena. War die Blutstillung tatsächlich
eine Folge der Anwendung des Balsams, so traten gleichzeitig auch jene oben
erwähnten Reizerscheinun^en auf und es bildeten sich echte Unterschenkel¬
geschwüre aus, die allmählich heilten. Die Reizwirkung scheint eine essentielle,
notwendige Eigenschaft der styptischen Mittel zu sein. Autoreferat.
Schadenersatz wegen Ansteckung mit Lungentuberkulose. Von
Dr. K. Wolf. Vierteljahrsschrift für gerichtliche Medizin; Bd. XXIX, 1. Heft
Die Hinterbliebenen eines an Lungentuberkulose verstorbenen Poet¬
assistenten erhoben bei dem Postfiskus Ansprüche auf Schadenersatz und be¬
gründeten sie damit, daß sich der Verstorbene durch zwei tuberkulöse Post¬
sekretäre im Dienst die Ansteckung zugezogen habe. Diese habe notwendig
erfolgen müssen, weil der Verstorbene jahrelang fast täglich mit den beiden
erkrankten Beamten im gleichen Dienstraum habe verkehren, insbesondere den
gleichen Fernsprechapparat habe benutzen müssen. Der Postfiskus hätte recht¬
zeitig dafür Sorge tragen müssen, daß jene beiden an ansteckenden Krankheiten
leidenden Beamten nicht durch weitere dienstliche Beschäftigung die Ursache
zur Erkrankung bisher gesunder Beamten wurden. In dem Gutachten des
Verfassers wird ausgeführt, daß eine Uebertragung von Tuberkelbazillen durch
den Fernsprechapparat ausgeschlossen sei — dieser wurde übrigens täglich mit
8 prozentiger Karbolsäure abgerieben —, da eine Infektion des Apparates nur
durch etwa beim Sprechen sich loslösende Tröpfchen in Frage komme und der
Weg der am Schalltrichter angeklebten Bazillen zur Lunge des Sprechenden
noch ein sehr weiter seil Gleichwohl wäre eine Uebertragung der Tuberkel¬
bazillen von den kranken Beamten auf den Verstorbenen durch Tröpfchen in
anderer Weise zwar wenig wahrscheinlich, aber nicht gänzlich ausgeschlossen.
Durch Aufstellung von Spucknäpfen mit Wasserfüllung und durch die An¬
ordnung, daß erstens die Fußböden täglich naß aufgewischt und daß zweitens
die Fernsprechapparate ebenfalls täglich mit einer keimtötenden Lösung ge¬
reinigt wurden, habe die Postbehörde alles getan, was hygienischerseits zur
Verhütung der Uebertragung von Krankheiten zu fordern war. Die schwind¬
süchtigen Beamten ihrer Krankheit wegen aus dem Dienst zu entfernen, war
die Behörde nicht berechtigt, da ein entsqrechendes Medizinalgeset« nicht
existiert. Prof. Ziemke-Halle a.8.
Ein Fall von Chorea ln forensischer Beziehung. Von Dr. Nerlich.
Aerztl. Sachverst.-Zeitg.; 1905, Nr. 3.
Ein Mann war früher wegen Sittlichkeitsverbrechens im Zuehthanse
gewesen und, nachdem er von psychiatrischer Seite als an „angeborenem
Schwachsinn mit Chorea“ leidend begutachtet worden war, in eine Irrenanstalt
überführt worden. Der Mann und seine Angehörigen versuchten nun auf
Grund des § 51 des St.-G.-B. eine Revision des Prozesses herbeizuzführea.
Dies veranlaßte N erlich, sich eingehend mit dem Falle zu beschäftigen. Br
kam zu folgenden Resumö: K. stammt aus einer Familie, in welcher Veitstanz
erblich ist; er selbst ist zwar nur ein mäßig befähigter Schüler gewesen, hat
sich aber doch geistig gut entwickelt. Während er sich stets einer guten
Gesundheit erfreute, erkrankte er nach dem Jahre 1897, d. h. im Alter tob
ungefähr 32 Jahren, an ungewollten Muskelzuckungen, welche bald den Charakter
einer ausgesprochenen Chorea annahmen und Ende 1900 in voller Blüte standen.
Bei Begehung des Sittlichkeit#verbrechen im Jahre 1900 benahm er sich eben¬
so wie später in den ersten 1 */ t Jahren der Strafhaft durchaus geordnet und
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
817
sveekmifiig; ent im August 1902 zeigen sich bei ihm die ersten Zeichen einer
psychischen Alienation, welche durch das Auftreten von Wahnvorstellungen
beeinträchtigenden Inhalts gekennzeichnet ist. Einige Monate später — im
Oktober 1902 — gelingt es, bei ihm einen mäßigen Grad geistiger Schwäche
festzustellen, welche weiterhin innerhalb zweier Jahre bereits zu völliger Ver¬
blödung geführt hat. Wir haben hier also das Bild einer, wenn auch seltenen,
so doch wohlbekannten Form des Veitstanzes vor uns, welche zum erstenmale
im Jahre 1872 von Huntington beobachtet und beschrieben worden ist, näm¬
lich das Bild der Dementia choreica progression. Dr. Troeger-Adelnau.
Zar JHJTerentialdlagnose der choreatischen Geistesstörung. Von Dr.
L8tuppel, Assistenzarzt der psychiatrischen Universitätsklinik in Gießen.
Minchener med. Wochenschrift; 1905, Nr. 10.
Bei den zahlreich mitgeteilten Fällen von Chorea will es scheinen, daß
die rein psychiatrische Seite derselben nicht in eben dem Maße gewürdigt
worden ist wie die übrigen Beziehungen. Während doch die Art der mit
Chorea einhergehenden reu psychischen Alterationen eine recht vielgestaltige
za «ein scheint, hat man bisher aphoristisch an der Zweiteilung indieSyden-
basische und Huntingtonsche Form festgehalten. Verf. kommt unter
Mitteilung von zwei einschlägigen Fällen zu der Anschauung, daß ein präjudi-
zierendee Einschachteln der Symptome choreatischer Geistesstörung in diese
oder jene der zwei verschieden benannten Formen von Chorea, wenigstens was
die Symptomatologie anlangt, auf die Dauer sich nicht durchführen lassen
wird, da die bisherigen Systematisierungsversuche mehr einer dogmatischen
als der objektiv analysierenden Methode entsprechen.
_ Dr. Waibel-Kempten.
Die Geistesstörungen der Epileptiker iu gerichtlich - medizinischer
Bedeutung. Von Dr. Helm, 8tabsarzt bei der Kaiser - Wilhelms - Akademie.
Deutsche Medizinalzeitung; 1904, Nr. 71 und 72.
Verl Jbespricht in einem sehr interessanten Aufsatze obiges Thema, hebt
bervor, daß die Zahl der Epileptiker im Deutschen Reiche 100000 beträgt,
und daß von diesen etwa nur '/• im Vollbesitze der geistigen Fähigkeiten
bleibt, während 10 °/o einer dauernden Ueberwachung bedarf. Er verbreitet
akh zunächst über das Wesen, den Verlauf und die gerichtliche Bedeutung
der epileptischen Geistesstörungen und bespricht L die vorübergehenden und
IL die dauernden Geistesstörungen.
In dem ersten Abschnitte über dievorübergehenden Geistesstörungen
behandelt er 1. das präepileptische Irresein, 2. das postepileptische Irresein,
1 die psychisch-epileptischen Aequivalente und 4. das protrahierte epileptische
oder p«stepileptische Delirium.
Bei den dauernden Geistesstörungen spricht Verf. über die epileptische
Degeneration, schildert ihre Entstehung, erwähnt die zuerst eintretende
Cbarakterveränderung, die folgende Abnahme der geistigen Kräfte, die Er-
acbwerung des Denkens und den Verlust aller moralischen, ästhetischen und
rechtlichen Anschauungen usw. Bisweilen kommt es zu einer förmlichen Ver¬
blödung.
Bei nachgewiesener Geistesstörung gelten die Zurechnungsfähigkeit und
fl*__in«_i_1« _
Weiter unterzieht Verf. seiner Besprechung die Geistesstörungen der
Epileptiker in ihren Beziehungen zum Strafrecht und betont hier 1. den Straf¬
ausschließungsgrund, 2. den Grund zur Aussetzung des Verfahrens und zur
Aissetzung der Strafvollstreckung und 8. den Grund zur unbeeidigten Ver¬
nehmung. Die Punkte 4 und 5 betreffen die epileptische Geisteskrankheit im
Liebte des § 176 Abs. 2 und des § 224.
Der letzte Abschnitt ist der Geistesstörung der Epileptiker in ihren
Beziehungen zum bürgerlichen Recht gewidmet. Hervorgehoben sei
aoeh der im „Schlüsse* ausgesprochene Satz: Die Hauptkennzeichen der
Geistesstörung der Epileptiker sind: Der Zusammenhang mit den epileptischen
Krampfanfällen, die traumhafte Beschaffenheit des Bewußtseins und die fehlende,
■■genaue oder lückenhafte Erinnerung, die Reizbarkeit der Stimmung, das
Vonriegen depressiver Vorstellungen, der Wechsel zwischen Stumpfheit und
318 Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
Erregung, das gelegentliche Aultreten schreckhafter Sinnestäuschungen und
Wahnvorstellungen und die Neigung zu Ausschweifungen aller Art
_ Dr. Hoffmann-Berlin.
Ein Fall von Simulation epileptischer Krämpfe bei einem 18Jährigen
Schulknaben. Von Dr. Aronneim-Gevelsberg L W. Münchener med
Wochenschrift; 1906, Nr. 10.
Die Simulation von Epilepsie ist besonders häufig bei Unfallverletzten,
bei Invalidenrentenbewerbern, bei Militärpflichtigen und bei Schülern.
Verl berichtet über einen Fall von Epilepsiesimulation, welcher einen
11 Jahre alten Schüler (Metzgermeisterssohn) betraf, der schon seit Wochen
an Appetitlosigkeit, Abmagerung, 8chwindelanfällen, Mattigkeit und Blässe
litt Er ist dann angeblich plötzlich hingefallen und hat allgemeine Kon¬
vulsionen mit längerer Bewußtlosigkeit bekommen. Verl gab dem Kranken
in der Annahme, daß der Anfall reflektorisch durch Bandwurm hervorgerufen
sei, Extractum Filicis 'worauf der Bandwurm (Taenia mediocanellata) prompt
abging. Nach kurzer Zeit bekam der Knabe nochmals einen epilepsieähnliehen
Anfall, erhielt dann Brompräparate und wurde, da er auch in der Schule einen
Krampfanfall bekam, längere Zeit vom Schulbesuche befreit Während eines
Aufenthaltes auf dem Lande bekam er keinen Anfall, dagegen stellten sich
diese Anfälle wiederum bei Beginn der Schulzeit ein, oft */> Stunde anhaltend,
aber keine Müdigkeit Unterlassend. Auch wurde nie unwillkürlicher Abgang
von Stuhl und Urin beobachtet; ebensowenig Bißwunden der Zunge; niemals
Spuren sonstiger Verletzung, keinerlei sensible, motorische, vasomotorische und
psychische Storungen. Erbliche Belastung lag nicht vor. auch hatte der Knabe
nie eine Kopfverletzung erlitten. Später traten die Anfälle häufiger au!, manch¬
mal 3 mal am Tage und regelmäßig früh, wenn die Geschwister geweckt
wurden. Endlich glückte es dem Verfasser, Zeuge eines „Anfalles* zu sein.
Der Kranke lag im Bett, an Kopf, Armen und Beinen mit nassen Tüchern um¬
wickelt, mit den Zähnen knirschend, mit den Füssen gegen das Bettende
tretend, mit den Händen rythmisch auf die Bettdecke schlagend, sich nach
rechts und links drehend oder sich nach vorn krümmend, die Backen auf¬
blasend, die Augenlider fest geschlossen haltend. Sein Gesicht war nicht blasser
als in gesunden Tagen, nicht zyanotisch. Sämtliche Bewegungen waren will¬
kürliche, nicht krampfhafte. Die Pupillen reagierten prompt auf LichteinfalL
der Hornhautreflex war normal. Plötzlich riß der Knabe mit lautem Schrei
die Augen auf, setzte sich aufrecht und sah höchst verwundert um sich.
Verl ersuchte den Jungen, der keine Spur von Müdigkeit und Schwindel
zeigte, sofort das Bett zu verlassen und sagte ihm, daß er jetzt niemals mehr
einen Krampfanfall bekomme und wieder die Schule regelmäßig besuchen solle,
was er sofort versprach. Mit dieser verbalen Behandlung des Verf. wurde
die manuelle des Vaters in der Form von ein paar derben Ohrfeigen verbunden,
die der Knabe im Bewußtsein seiner 8chuld ohne Klagen hinnahm. Er bekam
bis heute keinen Anfall mehr.
Der Fall beweist, wie vorsichtig man mit der Diagnose »Epilepsie* sein
muß, bevor ein Anfall ärztlich beobachtet wurde. Es ist unter keinen Um¬
ständen zulässig, die Diagnose nur auf die Versicherungen und Beschreibungen
des Kranken oder seiner Angehörigen hin zu stellen; sie muß vielmehr
in allen Fällen, in welchen typische Anfälle von dem begutachtenden Arzte
nicht beobachtet worden sind, in suspenso bleiben und eventuell die Kranken¬
hausbehandlung verlangt werden. Dr. W a i b e 1 - Kempten.
B. Sachverständigentätigkeit in Unfall- und Invaliditäts¬
sachen.
Zwei Fälle von isolierter Lähmung der Muscnli rhomboldet nach
Operationen. Von Dr. Marcus-Posen. Aerztl. Sachverständigen-Zeitung;
1906, Nr. 8.
In beiden Fällen waren Drüsen am Halse herausgeschnitten worden; es
fand sich Verschiebung des Schulterblattes im ganzen nach oben und außen,
so daß namentlich der untere Winkel von der Wirbelsäule abgerückt war
und der innere Band des Schulterblattes sich flügelförmig vom Thorax abhob.
Bei dem letzten Teil der Armerhebung von 160—180 Grad traten die Mose.
Kleiner» Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
319
Am MIm nicht in Wirksamkeit Dieses Fehlen des allerletzten Teiles der
Anaethebang ist die einzige durch die Bhomboideus - Lähmung bedingte Funk¬
tionsstörung, die ohne praktische Bedeutung ist Dr. Troeger-Adelnau.
lieber Herren* and Geisteskrankheiten nach elektrischen Unfällen.
Yen Dr. A. Eulenburg in Berlin. BerL klin. Wochenschr.; 1906, Nr. 2 u. 3.
Als elektrischer Unfall ist jede Schädigung, die durch Uebergang von
Elektrizität auf den menschlichen Körper verursacht worden ist, zu bezeichnen
(durch atmosphärische Entladungen oder durch technische Anwendungen der
Elektrizität, Starkstromanlagen usw.). Diese Unfälle können zu den gewöhn¬
lichen Formen der funktionellen Unfallneurosen, der traumatischen Hysterie,
Neurasthenie und Hypochondrie, mit oder ohne gleichzeitige lokalisierte Formen
traumatischer Nervenerkrankung Veranlassung geben. Bei den Telephonistinnen*
Unfällen handelt es sich nicht um wirkliche elektrische Unfälle — am wenig*
iten um ein Eindringenvon Starkströmen in den Körper —, vielmehr kommen sie
dadurch bei jüngeren, anämischen und nervös disponierten Beamtinnen zustande,
daß diese bei Benutzung des Kopffernhörers plötzlich intensiven Schallwir*
fangen ausgesetzt wurden, wie es in Form der durch ferne Gewitter erzeugten
ksaflartigen Erschütterungen sich ereignet. Es sind „Emotions-“ oder -Schreck-
seerosen . E. führt mehrere derartige Fälle an und beschreibt 8 Fälle, in
denen nach Uebergang von Hochspannungsstrom auf den Körper und ebenso nach
einem erlittenen Blitzschlag erst längere Zeit nach dem Unfall, nach 7—8 Mo¬
naten und nach 2—8 Jahren sich progressive Paralyse entwickelte. In anderen
fällen entwickelte sich das Bild der multiplen Sklerose, in einem Falle eine
progr essi ve Gehinrindenerkrankung, die E. als chronisch degenerative, fort¬
schreitende, kortikale Enzephalopathie bezeichnet.
Für die Würdigung der Schwere und der Gefährlichkeit elektrischer
Verletzungen handelt es sich nicht allein um die als elektromotorische Kraft
sich äußernde Spannung, die Höhe der Voltziffer; es kommen daneben eine
Bähe andere Faktor«, das Verhalten der Leitungswiderstände, die aus
8ot»nTing und Summe der Leitungswiderstände nach der Ohmschen Formel
rieh berechnende absolute Stromstärke, die aus dieser und der Querechnitts-
größe resultierende Stromdichte in den durchflossenen Körperteilen, die indi-
ridielle Empfindlichkeit und anderes in Betracht. In manchen Fällen wurden
■dt über 500 Volt hinausgehende Spannungen ohne ersichtlichen Nachteil er¬
tragen, in anderen, wo die Verhältnisse besonders ungünstig lagen, führten
senon Ströme von 100 Volt den Tod herbei. Als Führer und Wegweiser auf
dfmm schwierigen Gebiet der Elektropathologie wird das Werk von „Jelli-
seck: Die Erkrankungen durch Blitzschlag und elektrischen Starkstrom in
UWseher und forensischer Darstellung, Stuttgart 1908, Verlag von Friedr.
Eike*, empfohlen. _ Dr. Bäuber-Köslin.
Ein Fall von Schrecklähmung. Von Dr. E. v. Leyden und Nacht
trag von Privatdozent Dr. Paul Lazarus, vorgetragen in der Gesellschaf¬
ter CharitAärzte am 12. Januar und 2. Februar 1906. Berliner klin. Wochen¬
schrift; 1906, Nr. 8.
v. L. stellt ein 16 Jahre altes Dienstmädchen vor, das infolge eines
ftttzliehen intensiven Schreckens (Einbruch) 60 Stunden nach dem psychischen
uralt eine Lähmung des ganzen Körpers vom Halse abwärts mit Funktions¬
störung der Sphinkteren und vollständiger Lähmung der Extremitäten mit
Anästhesie, Analgesie selbst für starke faradische Stöme und völligem Er¬
löschen der Lageyorstellung.
Es handelte sich um eine funktionelle Erkrankung, hervorgerufen durch
rine Erschütterung der zerebralen resp. spinalen Ganglienzellen, die zu einer
Hemmung der normalen Leitungsvorgänge im sensiblen und motorischen System
ftfate. Einen ähnlichen Fall beschreibt C har cot.
v. L. erwähnt hierbei noch einige Fälle organischer Erkrankungen: Mye¬
litis, nach Schreck bei der Belagerung von Straßburg.
Dr. Bäub er-Köslin.
320
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
Ueber einen Fall Ton traumatischer Hysterie mit ungewöhnlicher
Häufung Ton Symptomen. Von Dr. G. Fla tau-Berlin. AerztL Sachverst.-
Zeitung; 1906, Nr. 7.
Bei einem jungen Mädchen, in dessen Familie nervöse Erkrankungen
nachweisbar waren, und das einmal infolge eines Nervenshocks an krampf¬
artigen Attacken und anderen Beschwerden gelitten hatte, entwickelte sich,
nachdem es etwa 1 '/* Jahre gesund und arbeitsfähig gewesen war, im Ab¬
schluß an ein Kopftrauma durch Fall eines Bügeleisens eine ziemlich schwere
Hysterie mit Ausfalls- und Reizerscheinungen. Die Ausfallserscheinungen be¬
trafen vor allem die linke Seite und bestanden in motorischer Schwäche, Anal¬
gesie, Anaesthesie, Störung des Lagegeftthls bis genau zur Mittellinie, hoch¬
gradige konzentrische Einengung des Gesichtsfeldes (röhrenförmiges Gesichts¬
feld), Herabsetzung bezw. Verlust von Geruch, Geschmack, Herabsetzung der
Hörschärfe, Parese der Augenmuskeln, linksseitiges Doppelsehen.
Dr. Troeger-Adelnau.
Ueber einen Fall traumatischer Nervenerkrankung mit Paralysis
agitans ähnlichen Symptomen. Von Dr. G. Flatau in Berlin. ArztL Sach-
versk-Ztg.; 1905, Nr. 4.
Eine Frau stürzte eine Treppe hinab und blieb bewußtlos liegen. Sie
hatte Verletzungen an der rechten Kopfseite und auf der Nase; der rechte
Arm war gebrochen, am rechten Beine waren blutunterlaufene Stellen. Es
stellte sich ein nervöses Leiden ein, dessen hauptsächlichstes Zeichen ein
Tremor der Hände war. Die Differentialdiagnose schied zunächst B Sclerosis
multiplex“ aus und ließ auch im Laufe der Beobachtung die Diagnose B Para-
lysis agitans“ fallen, um endgültig „Hystero-Neurasthenie mit dem besonders
ansgeprägtem Symptom des Zitterns“ zu lauten. Die Zeichen hierfür waren:
Schreckhaftigkeit, Aengstlichkeit, Schwindel beim Herabsteigen der Treppe,
Mattigkeit, Ermüdbarkeit neben großer Empfindlichkeit gegen Licht und
starkes Geräusch, Erhöhung der Sehnenphänomene, Herabsetzung der groben
Kräfte an der oberen und unteren rechten Extremität, Ueberempfindlichkeit
für Schmerzreize auf der rechten Körperhälfte und Herabsetzung der Tem¬
peratur. Dr. Troeger-Adelnau.
Ueber traumatische Herzklappen zerre issung. Von Eugen Fraenkel-
Hamburg-Eppendorf. Münchener med. Wochenschr.; 1905, Nr. 16.
Die Frage, ob im konkreten Falle nicht eine traumatische, sondern eine
sog. spontane Klappenruptur vorliegt, kann nur durch solche Fälle sicher be¬
antwortet werden, bei denen entzündliche Veränderungen an den gerissenen
Klappen fehlen, bei denen man es also mit einer ganz reinen^ eine sonst ge¬
sunde Klappe betreffenden Ruptur, zu tun hat. Verfasser berichtet über einen
hierher gehörenden Fall von echter traumatischer Klappenzerreissung, der sich
überdies dadurch auszeichnet, daß er die Klappen der Arteria pulmonalis be¬
trifft, für welche bisher ein einwandfreies anatomisches Material fast gar nicht
vorlag. Der Verletzte, ein 68jähriger Mann, war eine Stunde vor seiner
Aufnahme ins Krankenhaus von dem Gerüst der 5. Etage eines Neubaues auf
ein darunter befindliches Schutzdach mit der linken Seite aufgefallen und eine
halbe Stunde nach der Aufnahme gestorben. Bei der Sektion wurden Frak¬
turen an sämtlichen Rippen der linken Seite mit Zerreißung der Pleura und
konsekutivem beträchtlichem Haematothorax, multiple Einrisse an der Milz
und Leber, sowie an beiden Nieren mit reichlichem Austritt von Blut sowohl
in die freie Bauchhöhle, als in das retroperitoneale Fettgewebe festgestellt.
Die Untersuchung des Herzens ergab eine multiple, bis linsengroße, frische
subepikardiale Blutung bei völlig intaktem Myokard. Das Organ von ent¬
sprechender Größe, die venösen Ostien normal weit, ihre Klappen durchaus zart.
Auch die Semilunarklappen der Aorta waren von guter Beschaffenheit. Die Aorta
war, besonders mit Rücksicht auf das hohe Alter des Verstorbenen, auffallend
zart und elastisch. An der Pulmonalis wies deren vorderes Klap¬
pensegel einen in der Mitte zwischen freien Rand und Inser¬
tion gelegenen, queren, etwa das mittlere Drittel derKlappe
einnehmenden' leicht wellig verlaufenden Riß aul Seine Ränder
waren frisch hämorrhagisch infiltriert, besonders stark am Uebergang des
Kleinere Mittellangen and Referate ans Zeitschriften.
821
*’ rechten Bißwinkels in das angrenzende, unverletzte Klappengewebe. Samt*
r liehe Klappentaschen der Artena pulmonalis waren äußerst zarter Beschaffen¬
heit, ebenso die Wandungen der Arteria pulmonalis in Stamm und Aesten.
I Als das bei weitem interessanteste Ergebnis hat somit die Autopsie die
partielle Zerreissung einer völlig gesunden Taschenklappe
- zo tage gefördert, in einer Reinheit, daß Zweifel über die traumatische
-■ Entstehung dieser Klappenläsion nicht aufkommen können.
” Wie entstand der Riß? Zunächst dürfte durch den jähen Fall aus so
großer Höhe auf die linke Brnstseite, welcher zu einer akuten Zertrümmerung
sämtlicher Rippen der linken Seite geführt hat, eine höchst akute, mit stttr-
■- mischer Kompression der linken Lunge einhergehende Raumbeengung der ent-
- sprechenden Thoraxhälfte unter gleichzeitiger, kurzdauernder Verdrängung
des Herzens nach rechts hin stattgefnnden haben. In Zusammenhag damit
maß es zu einer beträchtlichen Steigerung des Blutdrucks im Oebiet der Ar¬
teria pulmonalis und zur Behinderung des Abflusses des Blutes aus den Lungen
(wegen der Verlagerung nach rechts) gekommen sein. Dadurch war die Ar-
teriapulmonalis während der Diastole abnorm mit Blut gefüllt; es ist dann in
dem übermäßig gedehnten Rohr, dessen Flüssigkeitssäule durch den gewaltigen
Fall in heftigster Weise erschüttert worden ist, der Riß einer Klappe herbei-
geführt worden. Diese Annahme läßt sich natürlich nicht mathematisch richtig
beweisen; unklar bleibt immer, warum in diesem Fall gerade eine Ruptur der
Folmonalklappe entstand. _ Dr. Wai bei -Kempten.
Beitrag zur Frage der Entstehung eines Aortenaneurysmas nach
VnlUL Von Kreisarzt Dr. Kr oh ne in Düsseldorf. AerztL Sachverst-Ztg.;
1906, Nr. 4.
Ohne die Bedeutung der Syphilis für die Entstehung eines Aneurysmas
zu verkennen, ist K r o h n e der Ansicht, daß auch das Trauma die ernsteste
Aufmerksamkeit als Entstehungsursache verdient. Die Art des erlittenen Un-
> falle», Größe und Umfang der einwirkenden Gewalt, der zur kritischen Zeit
. vorhandene Gesundheitszustand, und schließlich die genaue Zeitfolge der ein-
i tretenden Krankheitserscheinungen müssen in allen Fällen sicher festgestellt
und ihrer speziellen Bedeutung nach gegeneinander abgeschätzt werden.
Krohne spricht dann ferner die Ansicht aus, daß in zahleichen Fällen nicht
die meist vermutete eigentliche Verwundung der Intima — also etwa ein durch
die Verletzung entstehender kleiner Einriß derselben —, sondern allein schon
3 die besonders heftige, eine bestimmte Stelle des Gefäßes treffende Erschüt-
; terung für die Entstehung des Aneurysmas das entscheidende Moment bilden
, ( kann und wird, weil es für ein solches Gefäß, auch wenn es nur leicht ver-
. letzt ist, keine Ruhe, keine Erholung giebt, wie etwa für eine gequetschte
j Hand usw.
1 . Der Fall K r o h n e s wurde zunächst ärztlich nicht erkannt und verschie-
" \ deutlich gedeutet. Erst als Heiserkeit auftrat, wurde die Wahrscheinlichkeits-
, [ diagnose Aneurysma der Aorta gestellt, die dann durch die Sektion bestätigt
I I wurde. Der Betreffende war in sehr erregtem Zustande mit der linken Brust
in voller Wucht vor die Kante einer halbgeöffneten Türe gestoßen.
p _ Dr. Troeger-Adelnau.
»
; Ein Fall von doppelter Aortenruptur dureh C ober ans trengung. Von
i Dr. A. Br unk. KgL hygien. Institut in Posen, pathoL-anat. Abteilung. Aerztl.
■; Sachverst-Ztg; 1906, Nr. 6.
; Ein gesunder 38 jähriger, außerordentlich muskulöser Kutscher fiel seinen
i- Pferden, die aufbäumten und hochgingen, in die Zügel und versuchte mit aller
r, Kiner Kraft die Pferde herunterzureißen. Hierbei fühlte er plötzlich einen
' riechenden Schmerz in der oberen Brustgegend; zugleich stellten sich Un-
i | Wohlsein und Kopfschmerzen ein. Diese Symptome blieben in etwas geringerem
ji Grade als zuerst bis zum nächsten Tage. An diesem Tage fuhr er und saß
(■ auf dem Wagen. Die Pferde scheuten; um sie zu halten, mußte er an der
| heiae mit aller Kraft ziehen und reißen. Plötzlich stellte sich dabei von
i 1 aenem ein stechender Schmerz in der Brust ein, aber diesmal viel heftiger,
t i ab am Tage vorher. Es kam schweres Erbrechen hinzu, ihm wurde schwarz
t i vor Augen and er sank vom Wagen. In seine Wohnung gebracht, hielt das
322
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
Erbrechen noch 12 Stunden lang an. Patient konnte in den ersten Stunden
nichts sprechen und sehen. Der Arzt dachte an Deus, ohne jedoch objektive
Symptome irgend einer Erkrankung zu finden. Am nächsten Morgen war das
Befinden des Kranken etwas besser; das Erbrechen hatte aufgehört, Sehen
und Sprechen war wieder möglich. Patient klagte nun über ein ganz eigen¬
artiges Gefühl in der Brust, das ihn sehr beängstigte. Mittags verlangte er
Kaffee und trank diesen im Bett; gleich darauf trat ganz plötzlich der Tod ein.
Die Todesursache war, wie die Sektion ergab, eine Verblutung in den
Herzbeutel. Die Blutung stammte aus einem in den Herzbeutel perforierten
Aneurysma dissecans, das der Hinterwand der Aorta ascendens analog und von
der Adventitia der Aorta und dem Epikard gebildet wurde. Die Verbindung
des Aneurysmas mit dem Lumen der Aorta wurde hergestellt durch zwei Ein¬
risse in Intima und Media der Aorta, von denen der eine quergestellt, 7,6 cm
lang war und dicht über den Klappen lag, während der zweite 4 cm lange
Biß vor der Abgangsstelle der Art anonyma und der Art carotis comm.
hin lag.
Brunk nimmt die Entstehung des Bisses dicht über den Klappen bei
der ersten Anstrengung an, vielleicht in geringerer Ausdehnung, als er bei
der Sektion gefunden wurde. Die Stelle über den Klappen ist gewissermaßen
eine typische. Im Anschluß an diesen ersten Einriß mag sich nun langsam
die Aneurysmabildung an der Aorta ascend. ausgebildet haben. Bei der zweiten
Anstrengung gaben die Bißecken nach, der Biß erreichte seine ganze, riesige
Ausdehnung. Das Aneurysma, das jetzt eine sehr weite Eingangspforte hatte,
wurde rapide großer. Als Blindsack, der in der Richtung des Aortenstromes
lag, war er hohem Innendrucke ausgesetzt; durch diesen ist schließlieh
eine Perforation des Aneurysmas in die Aorta zurück veranlaßt worden, kurz
vor dem Abgänge der ersten großen Gefäße, wo ein weiteres Fortschreiten
des Aneurysmas auf größere Widerstände stieß.
Dr. Troeger-Adelnau.
Entstehung einer sackartigen Erweiterung (Aneurysma) der Ober¬
schenkelblutader durch Unfall (Ausgleiten mit einem rosse beim Um¬
kippen eines sehwerbeladenen Lowrykastens). Obergutachten, erstattet unter
dem 18. Juli 1904 von San.-Bat Prof. Dr. Thiem und Oberarzt Dr. Schmidt
in Cottbus. AmtL Nachrichten des B.-Vers.-Amts; 1905, Nr. 8.
Besonders auffällig ist eine sackartige (5 cm breit und 20 cm breit)
Erweiterung an der Hauptblutader des Beines, der Schenkelblutader (Vena
femoralis). Diese Erweiterung reicht von der Stelle, wo die Schenkelblutader
aus der Tiefe zwischen den Oberschenkelmuskeln hervortritt (also von der Ein¬
trittsstelle der Vena saphena) bis dorthin, wo sie in das kleine Becken geht.
Dieser Abschnitt bildet das Sammelrohr für alles (venöse) Blut, welches aus
dem Beine nach dem Herzen zurückfließt. Ueber diesem Teile der Schenkel¬
ader liegt eine Fortsetzung der Muskelbinde des Oberschenkels und unter
dieser lockeres Gewebe.
Bei großen Anstrengungen, z. B. beim Heben von schweren Lasten wird
durch den Druck der Bauchpresse nicht allein das ZurückstrOmen des Blutes
aus den Blutadern des Beines nach dem Herzen erschwert, sondern das Blut
aus dem kleinen Becken auch nach dem Oberschenkel zurückgepreßt. Da die
Krampfadern am Bein ohnehin schon stark gefüllt sind, vermögen sie nicht
mehr alles zurückfließende Blut aufzunehmen. Es muß sich also das aus dem
Becken zurückgepreßte Blut im oberen, locker eingebetteten Teile der Schenkel¬
blutader durch Ausbuchtung dieser Platz suchen. Hier kann ein Einriß in die
Venenwand von innen her erfolgen, an welchen sich durch weitere Ausbuch¬
tung infolge des Blutdrucks alsdann eine sackartige Erweiterung (ein soge¬
nanntes Aneurysma) anschließt. Das verhältnismäßig lockere Bindegewebe an
dieser Stelle begünstigt, wie erwähnt eine solche Ausbuchtung, welche durch
das Ausrutschen des Beines unter Umständen auch von leichten Einrissen in
die Oberschenkelbinde begleitet sein kann. Gewaltsame plötzliche Dehnungen
der Blutadern sind tatsächlich wiederholt infolge einmaliger hochgradiger Ver¬
mehrung des Blutdrucks beobachtet worden (z. B. nach Heben eines schweren
Geschützes, beim Beiten schwieriger Pferde). Sie waren von einem stechenden
Schmerze in der Tiefe der Weichteile begleitet. Man wird deshalb bei W.
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
«ne gewaltsame Entstehung einer sackartigen Erweiterung der Oberschenkel*
■der dicht unterhalb der Leistenbeuge als wahrscheinlich ansehen müssen,
vorausgesetzt, daß ein Unfall sich wirklich in der Weise zugetragen hat, wie
W. dies beschreibt 1 )
W. hat sicher schon vor dem angeblichen Unfall Krampfadern im unteren
Teile des linken Beines gehabt Es ist aber wahrscheinlich, daß durch die
Ausbuchtung der Schenkelblutader der Rückfluß des Blutes aus dem Herzen
Ina ersehwert, damit der Blutdrubk in den Krampfadern noch mehr erhöht
wurde und so die Verschlimmerung der Krampfadern schneller vor sich ging,
als dies bei der natürlichen Fortentwicklung des Leidens der Fall gewesen
wäre. Es ist sehr auffallend, daß W. seit dem Unfalltage nicht mehr gearbeitet
bst (abgesehen Ton dem dreistündigen Versuch am nächsten Tage), ohne daß
soest irgend eine plötzliche Erkrankung bei ihm eingetreten ist Er muß doch
äsen Grund gehabt haben, weshalb er plötzlich aulnörte zu arbeiten.
Am linken Oberschenkel sind die Muskeln abgemagert, sonst liegen
krankhafte Veränderungen, besonders an dem Hüftgelenk nicht vor.
W. übertreibt ohne Zweifel seinen hinkenden Gang. Aber die Möglich*
keit daß er Schmerz in der linken Leistenbeuge hat, kann doch nicht bestritten
werden, zumal der Schenkelnerv (Nervus cruralis) dicht unter der sackartigen
Erweiterung der Oberschenkelblutader liegt und durch sie gereizt werden kann.
Unseres Erachtens ist W. durch diese Veränderung an der linken
8eheakelblutader um >/■ in seiner Erwerbsfähigkeit beschränkt
Das Rekursgericht hat das vorstehende Obergutachten in Verbindung
mit den sonstigen Feststellungen zur Begründung des geltend gemachten
Unfallentschädigungsanspruchs für ausreichend erachtet und deshalb unter
Aufhebung der Vorentscheidungen die Beklagte dem Grunde nach zur Ent¬
schädigung des Klägers verurteilt_
Die Blitzgefahr für Personen. Obergutachten, erstattet unter dem
7. November von Prof. Dr. Her gesell in Straßburg. Amtl. Nachrichten des
lL-Vera-Amts; 1905, Nr. 8.
.Die Beantwortung der Frage, ob die im Freien sich enthaltenden
Personen einer größeren Blitzgefahr ausgesetzt sind, als die in geschlossenen
Bäumen, kann in ganz bestimmter positiver Weise nicht beantwortet werden.
Im allgemeinen jedoch ist unzweifelhaft zu bejahen, daß Personen, welche sich
im Freien befinden, in allen Fällen dann einer erhöhten Blitzgefahr ausgesetzt
sind,.wenn sie sich an freien exponierten Punkten befinden, da die¬
selben durch Beeinflussung bezw. Auseinanderdrängung der Flächen gleicher
Spannung Veranlassung zur Bildung der Blitzbahn geben können, als auch
durch Erzeugung des Jonenstroms die Elektrostriktion der Atmosphäre
uad damit den Blitzkanal hervorrufen. Personen, die im Innern von Gebäuden
befindlich sind, sind im allgemeinen nur durch den Blitz gefährdet, wenn sie
sieh in der Nähe der an diesen Gebäuden befindlichen metallischen Leitungen,
wie Waaser-, Gasleitungen usw. befinden, da sie leicht durch ihre Nähe und
spätere Angehörigkeit zur Blitzbahn die Selbstinduktion der Leitung vermin¬
dern können. Sie sind umsomehr gefährdet, wenn das Gebäude, in welches der
Blitzschlag erfolgt ist, sich unter ähnlichen Bedingungen befindet, wie sie
vorhin für im Freien befindliche Personen auseinandergesetzt sind, also wenn
die Gebäude exponierte Punkte der Erdoberfläche sind, welche die Potential-
flächen zusammendrängen und Spitzenentladung verursachen.
Durch die obigen Auseinandersetzungen dürfte die Frage, ob die Blitz-
dchtung vom naturwissenschaftlichen Standpunkt aus dem Zufalle folgt, oder
ob sie bestimmten Naturgesetzen unterworfen ist, in dem Sinne zu beantworten
sein, daß das letztere der Fall ist. Auch dürfte in jedem Falle anzunehmen
sem, daß „immer da, wo der Blitz einschlägt, ein den Blitz anziehender be-
*) Darnach will der Verletzte, der seit Jahren Krampfadern an beiden
Beinen hatte, beim Umkippen eines mit 80 Ctr. Steinkohlen beladenen Lowry-
kasteas mit dem linken Fuß ausgeglitten sein und sofort einen heftigen Stich
in der linken Leistenbeugung verspürt haben, der ihn zur Einstellung der
Arbeit zwang.
324
Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften.
sonderer Tatbestand Torgelegen hat, and daß demgemäß die Blitzgefahr gerade
an jener Stelle großer gewesen ist, als an anderen Orten“. Die Erkennung
der Ursachen, welche das Anftreten des Blitzes in bestimmten Fällen herben
geführt haben, dürfte vielfach jedoch, besonders nachträglich, sehr schwer sein,
da eben viele Umstände Zusammenkommen, welche die Blitzbahn beeinflussen.
Lassen sich die Ursachen für die Bichtang des Blitzes nach der getroffenen
Stelle also auch nicht mehr feststellen, so berechtigt dies doch nicht dazu,
zu bestreiten oder zu bezweifeln, daß gerade an dieser Stelle verschiedene
Umstände für das Einschlagen des Blitzes zusammengetroffen sind, daß also
die getroffene Person der Blitzgefahr in erhöhtem Maße ausgesetzt war.
Von der Hand zu weisen ist die Annahme, daß einzelne Personen kör¬
perlich für die Anziehung des Blitzes besonders — mehr als andere Personen
— veranlagt seien und lediglich deshalb ohne Rücksicht auf die begleitenden
und umgebenden Umstände und namentlich ohne Rücksicht auf den Ort ihres
Aufenthalts — eine besondere Anziehungskraft auf den Blitz ausüben konnten,
während für andere Personen unter genau denselben Verhältnissen keine oder
eine geringere Blitzgefahr vorliegen sollte.
Zum Schlüsse verschiedene Tatsachen, welche im vorliegenden Falle die
Blitzgefahr erhöht haben: Die getroffene Person bildete auf etwa 80 Meter
im Umkreise den höchsten Punkt im Gelände; sie trug eine durch Regen be¬
netzte Heugabel, die hierdurch nahezu ein ebenso guter Leiter geworden war,
wie eine mit Eisen beschlagene; durch starke Niederschläge waren der Erd¬
boden und sämtliche darauf befindlichen Gegenstände gut leitend gemacht
worden; insbesondere können ein vom Gewitterregen durchnäßter Heuwaggen
und ein Spritzenhans, die sich in einer Entfernung von etwa 30 Metern be¬
fanden, die umgebende Luft für den Durchgang der Entladung noch besonders
vorbereitet haben.
Gebärmutter-Vorfall und Unfall. Rekurs-Entscheidung des
Reichsversicherungsamts vom 22. September 1904.
Beim Ziegelkarren glitt eine Frau auf dem durch Regen aufgeweichten
Boden aus. An diesem Tage setzte sie ihre Arbeit noch fort und holte sich
erst am nächsten Tage einen Krankenschein. Augenzen gen waren nicht dabei
gewesen. Das Schiedsgericht erkannte auf direkte Unfallfolge und sprach
eine Rente von 25o/ 0 zu. Das Reichsversicherungsamt entschied entgegen¬
gesetzt. Es führte u. A. aus:
„Wie die ärztliche, vom Reichsversicherungsamt als richtig anerkannte
Erfahrung lehrt, entstehen Gebärmuttervorfälle bei Frauen, die, wie die Klä¬
gerin, mehrfach geboren haben und schwere körperliche Arbeiten verrichten
müssen, aus einer durch diese Vorgänge geschaffenen krankhaften Veranlagung
der Geschlechtsorgane in der Regel allmählich, zuweilen in jahrelanger, oft
sich kaum bemerkbar machender Entwicklung; hat diese Entwicklung einen
gewissen Grad erreicht, so kann, ähnlich wie bei einem durch krankhafte Er¬
weiterung der Bruchpforte allmählich sich ausbildenden Leistenbruche, jede
körperliche Kraftleistung, eine ganz leichte tägliche Verrichtung ebensogut,
wie eine außergewöhnliche Anstrengung, das Vorfällen der Gebärmutter vor
die äußere Scham herbeiführen. Es kommt aber auch in Betracht, daß die
Klägerin, wenn der Gebärmuttervorfall wirklich infolge eines Ausgleitens trau¬
matisch entstanden wäre, höchstwahrscheinlich so heftige Schmerzen em¬
pfunden haben würde, daß sie die Arbeit sofort hätte einstellen müssen.“
Dr. T ro e g e r*Adelnau.
Zum Begriff „Uebergangs-“ oder „Gewöhnungsrente“. Rekurs¬
entscheidung vom 21. Oktober 1904. Amtl. Nachrichten des Reichs-
versicherungsamts; 1905, Nr. 2.
Zunächst ist festzustellen, daß die durch den Bescheid vom 9. Juni
1902 zugebilligte Rente keine Gewöhnungsrente im Sinne dieses in der Recht¬
sprechung der Unfallversicherungs-Instanzen ausgebildeten Begriffs gewesen
ist. Allerdings spricht die Formel des gedachten Bescheids ausdrücklich von
der Gewährung einer „Gewöhnungsrente“; die Gründe ergeben aber ausdrück¬
lich, daß die Rente auf Grund des ärztlichen Gutachtens des Dr. H. vom
4. April 1902 zugebilligt wurde. Da nun in diesem Gutachten positive Unfall-
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
826
felgen festgestellt sind, durch welche die Erwerbsfähigkeit des Klägers um
10 •/, eingeschränkt sei, so war auf Grand dieses Gutachtens für eine Zubilli¬
gung von 10°/ o überhaupt kein Raum. Eine Gewöhnungsrente ist nur denk¬
bar, wenn beim Pehlen nachweisbarer oder meßbarer Unfallfolgen eine Rente
zngebilligt wird, weil angenommen wird, daß der Verletzte trotz anscheinend
voller Erwerbsfähigkeit noch Zeit brauche, um sich nach der Verletzung wieder
an die Arbeit zu gewöhnen, oder wenn aus demselben Grunde eine höhere als
die nach dem objektiven Befund an sich gebotene Rente gewährt wird. Ein
Micher Fall lag hier nicht vor. Das allein zulässige Verfahren wäre vielmehr
gewesen, wenn die Beklagte jene Rente vom 16. März 1902 ab bis auf weiteres
ragebilligt, und, sobald ihrer Ansicht nach die Wiederherstellung der Erwerbs-
flliigkeit des Klägers durch Beseitigung der positiven Unfallschäden oder durch
Anpassung und Gewöhnung eingetreten war, durch neuen Bescheid auf Grund
des § 88 des Gew.-Unt-Vers.-Ges. die Rente eingestellt hätte.
Gummibeine sind für Verletzte) welche auf Erwerb durch körper¬
liche Arbeit angewiesen sind) im Ulgemeinen nicht zweckdienlich und
demzufolge die Berufsgenossenschaft nieht zu ihrer Lieferung verpflichtet.
Bekursen tScheidung des Reichsvereicherungsamtes vom9. No¬
vember 1904. Kompaß; 1905, Nr. 5.
Es kann dem Schiedsgericht nicht entgegengetreten werden, wenn es
das Verlangen des Klägers, daß ihm ein Gummibein anstatt eines Stelzfußes
geliefert werde, für unberechtigt erklärt. Ob tatsächlich der Dr. 0. ihm die
behauptete Zusicherung gegeben hat, konnte dahingestellt bleiben; denn aus
dieser kann der Kläger in keinem Falle einen rechtlichen Anspruch gegen die
Beklagte herleiten, da dem Dr. 0 eine Vertretungsbefugnis für die Beklagte
aicht zusteht, seine etwaigen Erklärungen für diese also unverbindlich sind.
Es ist aber weiter eine unbesteitbare Erfahrungstatsache, daß für solche Per¬
sonen, welche, wie der Kläger, auf Erwerb durch körperliche Arbeit angewiesen
sind, Gummibeine als Ersatz für verlorene Glieder im allgemeinen nicht zweck¬
dienlich sind. Sie sind bedeutend schwerer als Stelzbeine und behindern mehr
als diese den ausgiebigen Gebrauch des Beines.
Periodische Geistesstörung in Invalldenrentensaehen. Entschei¬
dung des Reichsversicherungsamts vom 8. Oktober 1904.
Nicht darauf kommt es an, ob sich die Erwerbsfähigkeit dauernd wieder
Aber ‘/* der normalen erheben wird, sondern darauf, ob die Erwerbsfähigkeit
dauernd unter 1 /$ gesunken ist, und eventuell seit welchem Zeitpunkt letzteres
dagetreten ist. _
Ueber den wünschenswerten Inhalt der ärztlichen Gutachten und
der Muster dazu. Schreibendes Reichsversicherungsamts vom
11. Januar 1905. Amtl. Nachrichten des R.-Vers.-Amts; 1905, Nr. 8.
Was die Mitwirkung der Aerzte an geht, so wird schon von einer Aen-
derung des Musters für die ärztlichen Gutachten ein gewisser Fortschritt zu
erwarten sein; das gegenwärtige Muster ist unzulänglich. Für seine Um¬
gestaltung wird der Vorstand aus den bei anderen Versicherungsanstalten ein-
gefährten Mustern ohne Mühe wertvolle Fingerzeige gewinnen können. Vor
allem wird es darauf ankommen, den Arzt durch die vorgedruckten Fragen zu
einer sorgfältigen Scheidung zwischen subjektiven Beschwerden, objektivem
Befand und ärztlicher Beurteilung (in dieser Beziehung würde z. B. das Muster
der Landesversicherungsanstalt N. N. zu vergleichen sein), sowie zu einer ein¬
gehenden, bestimmten, anschaulichen, die Nachprüfung ermöglichenden Dar-
Sagssg des objektiven Befundes zu nötigen, insbesondere auch durch Angabe
von Zahlen und Maßen, soweit das möglich ist. ln den Akten gewisser Ver-
ocherungsanstalten kommen überhaupt kaum je ärztliche Gutachten vor, in
denen ucht die Umfangsmaße von Ober- und Unterarmen, der Beine, des
Brustkorbes bei Ein- und Ausatmung, die Zahl der Atemzüge und der Puls¬
schläge, Körpergewicht, Größe und dergleichen nachgewiesen wären.
Soweit sich die Vollständigkeit der Gutachten in diesen und ähnlichen
Beziehungen nickt durch das Muster erreichen läßt, empfiehlt sich vielleicht
für einige Zeit die Beilegung eines gedruckten Begleitschreibens, sowie eine
326
Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften.
Vereinbarung mit der Aerztekammer dahin, daß Gatachten, die gewisses
Mindestforderungen nicht genügen, kostenfrei vervollständigt werden müssen.
Im übrigen braucht kaum bemerkt su werden, daß die ärztlichen Gut¬
achten unter allen Umständen der freien richterlichen Beweiswftrdiguag
unterliegen. _
C. Bakteriologie, Infektionskrankheiten und Öffentliches
Sanitätswesen.
Beitrag sur bakteriologischen Untersuchung der Fleischkenserven.
Von Prof. Dr. E. Pfuhl, Generaloberarzt in Berlin. Zeitschr. für Hygiene
und Infektionskrankheiten; Bd. 48, H. 1.
Es werden nur diejenigen Fleischkonserven berücksichtigt, die aus
frischem oder gepökeltem Fleisch von gesunden, ausgesuchten Tieren her¬
gestellt und durch Kochen in luftdicht verschlossenen Büchsen sterilisiert sind.
Diese Konserven erfüllen nur dann ihren Zweck, wenn sie für eine Reihe von
Jahren haltbar sind und nach dem Genuß weder Infektionskrankheiten noch
Vergiftungen hervorrufen. Da es feststeht, daß in den Fällen, wo derartige
Konserven verderben oder gesundheitsschädlich wirken, darin lebende Bakterien
gefunden werden, dagegen solche Konserven, die keine lebenden Bakterien
enthalten, die genannten Mißstände nicht zeigen, so muß ganz allgemein die
Forderung aufgestellt werden, daß die Büchsenkonserven vollständig frei von
lebenden Keimen sind. Es kommt weniger darauf an, daß bei der Untersuchung
der Konserven auf Keimfreiheit die gefundenen Bakterien genau bestimmt
werden, solange man daran festhält, daß jede mit Keimen irgendwelcher Art
verunreinigte Büchse verworfen werden muß. Wichtig ist es dagegen, zu
untersuchen, ob die gefundenen Bakterien Sporen bilden oder nicht. Werden
Bakterien gefunden, ale keine Sporen bilden, so muß noch festgestellt werden,
ob die Sterilisation ungenügend gewesen ist, oder ob die Bakterien erst nach
der Sterilisation, etwa durch undicht gewordene Falznähte, eingedrungen sind,
damit danach aie entsprechenden Maßnahmen getroffen werden können. Vor
jeder bakteriologischen Prüfung hat eine Anreicherung derart stattzufinden, daß
die Konservenbüchse in dem Brutschrank bis 87° kommt und dort einige Zeit
gehalten wird. Je länger die Büchsen im Brutschrank gelassen werden können,
desto sicherer gelingt die Anreicherung; das mindeste solle eine Zeitdauer von
11 Tagen sein. Zunächst werden die Büchsen angestochen und gleich mit Pi«
petten Proben von Brühe und verflüssigter Gelatine entnommen. Hierauf
werden die Büchsen mit einer Wattekappe bedeckt und in den Brutschrank
S estellt. Eine weitere Untersuchung ist jedoch nur notwendig, wenn sich ans
en ersten Proben keine Bakterien entwickeln. Inzwischen können sich auch
die aeroben Bakterien besser entwickeln. Stets kommt es darauf an, festzu¬
stellen, ob die in der betreffenden Konservenfabrik vorhandenen Kompressier-
kessel bei der gewohnten Temperatur und Dauer des Nachkochens aucn solche
Büchsen zu sterilisieren vermögen, deren Inhalt absichtlich mit sporenhaltigeu
Erdproben verunreinigt worden ist Erweisen sich die Erdproben als sterili¬
siert, so kann angenommen werden, daß auch die übrigen Konserven derselben
Kochung steril sind. Jedenfalls ist es außerdem notwendig, daß die in¬
folge der Sterilisation undicht gewordenen Büchsen sehr sorgfältig heraus-
gesucht werden. Dr. Engels-Stralsund.
Untersuchungen Aber den Einfluss der Herstellung, Verpackung
und des Kochsalzgelialtes der Butter auf ihre Haltbarkeit mit besonderer
Berücksichtigung des Versands ln die Tropen. Von Dr. A. Kern, wissen¬
schaftlichen Hilfsarbeiter im Kaiserl. Gesundheitsamte, auf Grund von gemein¬
schaftlich mit D. Max Müller, technischen Hilfsarbeiter im Kaiserl. Gesund¬
heitsamte, ausgeführten Versuchen. Arbeiten ans dem Kaiser!. Gesundheits¬
amte (Beihefte zu den Veröffentlichungen des Kaiserl. Gesundheitsamts).
XXII. Band, 1. Heft. Berlin 1904. Verlag von Julius Springer.
Für die Haltbarkeit von Dauerbutter ist die Höhe des Kochsalzgehaltes
nicht ausschlaggebend; Butter ohne Kochsalzzusatz hält sich aber sehr schwierig.
Die haltbarste Butter wurde aus zweimal pasteurisiertem, saurem Balun unter
Anwendung von Reinkulturen und unter Zusatz von 8 °/o Kochsalz dargestellt,
wobei 2,2 */• Salz in der fertigen Butter verblieb. Unter solchen Vorsiehts-
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
327
miBregeln hergestellte Butter war auch bei einem 12°/o übersteigenden
Wassergehalt haltbar. Die geeignetsten Verpackungsgefäße sind luftdicht
rendüossene Glasbüchsen. Die Lagerung der Butter im Kühl* oder Eisranme
des Schiffes ist für ihre Konservierung von großem Wert.
Mit dem Versand von Butterschmalz in die Tropen sind nachfolgende
Erfahrungen gemacht worden:
1. Aus zweimal pasteurisiertem, saurem Rahm hergestelltes Butter»
schmalz ist in geeigneter Verpackung lange Zeit haltbar. Butterschmalz ist
für den Versand in die Tropen deswegen sehr geeignet, weil sich aus dem*
selben auf einfache Weise in kurzer Zeit Butter zurückbilden läßt.
2. Als Versandgefäße sind luftdicht verschlossene Flaschen von der
Fort der Weinflaschen aus dunkelbraunem Glas zu empfehlen.
3. Die Haltbarkeit des Butterschmalzes wird durch Lagerung im Kühl*
raune des Schiffes erhöht.
4. Aus von der Tropenreise zurttckkommenden Butterschmalzproben
vude einwandsfreie Tafelbutter hergestellt. Dr. Rost «Rudolstadt
Untersuchungen über die Haltbarkeit der Margarine mit besonderer
Btriekslehtignng des Versands ln die Tropen. Von Dr. A. Kraus, wissen*
sthiitlichen Hilfsarbeiter im Kaiserl. Gesundheitsamte. Ebenda.
Die Ergebnisse der betr. Versuche berechtigen zu der Schlußfolgerung,
hß Margarine und Margarineschmalz bei geeigneter Aufbewahrung und Ver-
Ä Monate hindurch haltbar ist. Zur Verpackung für den Versand in
_>en sind luftdicht verschlossene Glasgefäße oder auch gut verzinnte
Blechdosen geeignet Für den Versand von Schmalz empfiehlt sich die Verwen*
tag von luftdicht verschlossenen Flaschen. Die Lagerung im Kühlraum des
Schiff« ist für die Frischerhaltung der Margarine unerläßlich.
_ Dr. Rost-Rudolstadt
Ueber die Verwendung der schwefligen Säure als Konservierungs-
■tttoL Insbesondere den jetzigen Stand der Beurteilung geschwefelten
Nmbstes. Von A. Beythien. Zeitschrift für Untersuchung der Nahrungs-
md Oenußmittel; Bd. 8, H. 1, S. 86.
Beythien zieht auf Grund seiner Ausführungen folgende Schlüsse:
Di freie schweflige Säure erst in der Menge von 80 mg pro Tag giftig wirkt,
octelbe im Wein aber nur spurenweise enthalten ist, während der Hauptanteil
üb io Form aldehydschwefliger Säure vorfindet, die nur geringe schädliche
Egouchaften besitzt, so sind in Uebereinstimmang mit § 2 des Weingesetzes
geringe Mengen schwefliger Säure zuzulassen, größere dagegen nach § 12 des
AM. G. zu beurteilen. — Was die schweflige Säure im Hopfen und Bier be¬
kifft, so wird man der Zulassung des Hopfenschwefelns unter Voraussetzung
der Deklaration zustimmen können. Jedoch folgt hieraus noch kein Beweis
w die Unschädlichkeit der schwefligen Säure, was man ersehen kann aus den
rahlreichen diesbezüglichen Bestimmungen über das zum Konsnm gelangende
— Ueber die Frage, ob der Zusatz von schwefliger Säure zum Fleisch,
uibesondere zum Hackfleisch, gesundheitsschädlich sei, haben sich fast alle
nihnrngsmittelchemiker in bejahendem Sinne geäußert, da schon geringste
Morgen Präservesalz, so z. B. 0,1 °/o mit nur 0,026 °/o SO t im Laufe der Zeit
«hwere Schädigungen verschiedener Organe, besonders der Lungen und Nieren,
hervorrufeil. — Von hoher praktischer Bedeutung ist endlich die Frage, ob die
Verwendung der schwefligen Säure zur Herstellung von Obst- und Gemüse-
tomservea statthaft ist. Diese Methode ist jedenfalls neueren Datums und soll
•eben Erhaltung der Farbe eine Abtötung der Milben bezwecken. Verfasser
m m getrockneten Früchten amerikanischen und italienischen Ursprungs mit
Aunaime von Aepfeln und Pflaumen ganz enorme Mengen von schwefliger
bis zu 0,362 °/o gefunden. Da aus dem Vorhandensein u n geschwefelter
Aenfel und Pflaumen zu schließen ist, daß diese Manipulation zur Konservierung
•kht erforderlich ist, und da ferner gerade die teuersten und hellsten Sorten
410 stärksten geschwefelt befunden wurden, so scheint die Farbenverbesse-
jpg Hauptzweck des Schwefelns zu sein. Jedenfalls empfiehlt B. «unter Be-
HuBjjchtipag des stetig wachsenden Konsums und der zunehmenden Bedeutung
Dörrobstes für die Volksernährung an den Herrn Reichskanzler das Er*
328
Kleiner« Mitteilungen nnd Referate aus Zeitschriften.
suchen zu richten, bei dem Kaiserlichen Gesundheitsamt« Untersuchungen Aber
die etwaige Gesundheitsschädlichkeit des geschwefelten Dörrobstes anzuregen
und je nach dem Ausfall derselben geeignete Maßnahmen zu treffen.“
Dr. Symanski -Hagenau LE.
Ueber das Verhalten der schwefligen S&ure in Nahruga- nnd Ge-
nussmitte ln. Von W. Kerp. Zeitschrift für Untersuchung der Nahrungs¬
und Genussmittel. Bd. 8, H. 1, S. 63.
Die im Kaiserlichen Gesundheitsamt daraufhin angesteilten Untersuchungen
haben ergeben, daß die Bestimmung der schwefligen Säure am sichersten nach
dem Destillationsverfahren zu bewirken ist. Der Zusatz von schwefliger Säure,
namentlich bei Dörrobst, erfolgt, um ihm ein schöneres Aussehen zu verleihen.
Praktisch von Bedeutung ist, daß der Gehalt an schwefliger Säure beim Lagern
des Obstes an der Luft in kaum nennenswerter Weise zurückgeht, dagegen bei
der küchengemäßen Zubereitung sich verringert und zwar nach Maßgabe der
zum Wässern und Kochen benutzten Wassermengen.
Tierexperimente haben ergeben, daß die gebundenen schwefligsauren
Salze eine ihnen eigentümliche pharmakologische Wirksamkeit nicht besi t zen,
sondern daß sie diese dem abgespaltenen Natriumbisulfft verdanken.
Dr. Symanski-Hagenau LE.
Zur Kenntnis der Blei-Zinnleglemngen. Von Dr. Otto Sackur.
Hilfsarbeiter im KaiserL Gesundheitsamte. Arbeiten aus dem Kaiserlichen
Gesundheitsamts; XXII. Bd., 1. H.
II. Mitteilung: Die Konstitution der Blei-Zinnlegierungen,
Es wird an der Hand älterer Beobachtungen gezeigt, daß Blei und Zinn
keine chemische Verbindung und kein unbegrenzt isomorphes Gemisch bilden
können, dagegen war das Auftreten fester Lösungen von beschränkter gegen¬
seitiger Löslichkeit wahrscheinlich. Es ergab sich, daß Blei in Legierungen
von über 10 °/o Blei dieselbe Löslichkeit besitzt, wie als reines Metall, in
bleiftrmeren Legierungen eine kontinuierlich mit dem Gehalt abnehmende Zinn
besitzt in allen Legierungen von über 3 °/« Zinn seinen unveränderten Lösunga-
druck. Daher ist die Löslichkeit des Zinns in festem Blei kleiner, als die des
Bleis in festem Zinn. Die festen Legierungen sind wahrscheinlich als Gemenge
gesättigter und ungesättigter fester Lösungen von wechselndem Gehalt an¬
zusehen.
in. Mitteilung: Die Angreifbarkeit der Blei-Zinnlegierungen
durch verdünnte Säuren.
Beines Blei wird von verdünnten Säuren nur bei Gegenwart von Sauer¬
stoff, reines Zinn auch bei Gegenwart von Sauerstoff durch verdünnte Essig-
und Milchsäure nur spurweise angegriffen. Konzentriertere Säuren wirken auf
reines Zinn stärker lösend, jedoch weniger als auf BleL Die Angreifbarkeit
von Blei-Zinnlegierungen wächst in verdünnten Säuren stetig mit dem Gehalt
der Legierung an Blei; es wird hierbei fast nur Blei und wenig Zinn auf¬
gelöst. Von konzentierteren Säuren wird umgekehrt mehr Zinn als Blei auf¬
gelöst. In diesen Lösnngen ist die Angreifbarkeit mit Ausnahme der an Blei
sehr hochprozentigen Legierungen nahezu unabhängig von ihrer Zusammen¬
setzung. Erhöhung der Temperatur und Beimengung von 2 °/o Kupfer ruft
keine wesentliche Veränderung der Angreifbarkeit hervor.
Untersuchung der bleiglasierten irdenen Geschirre in sanitärer
Hinsicht. Mitteilung aus dem Hygienischen Institut der neurussischen Uni¬
versität zu Odessa. Von Mag. J. M. Brück mann. Zeitschrift für Unter¬
suchung der Nahrungs- und Genussmittel; Bd. 9, H. 1, S. 1.
Bußland besaß im Gegensatz zu anderen Staaten bis in die jüngste Zeit
nur eino experimentelle Arbeit auf diesem Gebiet von Prof. Chlopin. Der
Verfasser hat seine Untersuchungen an dem gewöhnlichen irdenen Geschirr
angestellt, das seiner Billigkeit wegen sich namentlich bei der russischen Land¬
bevölkerung einer großen Verbreitung erfreut. Die Bleiglasurmischungen werden
von den Töpfern in ganz willkürlichen Mengen zugesetzt. Von im ganzen 108
untcrsuchteu Geschirren gaben nur 4 beim ersten Auskochen kein Blei, alle
übrigen dagegen geringe Spuren bis zu 4055(1)mg metallisches Blei auf 1 Liter
ab. Die Durchschnittszahl der Bleiabgabe von 108 Geschirren nach */* stündigem
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
889
Kochen mit 4 prozentiger Essigsäure betrug 126 mg auf 1 Liter. Von den
sonstigen Untersuchnngsergebiussen ist als wichtig hervorzuheben, daß Ge¬
schirre, die beim ersten Auskochen kein Blei abgaben, auch beim zweiten
und dritten Auskochen keines abgaben. Das meiste Blei gaben dicke, glatte,
glänzende Glasuren ab, die beim Anfeuchten Wasser aufsaugten und dadurch
um eine Schattierung dunkler erschienen. Sehr ungünstig in dieser Hinsicht
erwiesen sich auch dicke, rauhe Glasuren, während dünne, glatte, glänzende
das wenigste Blei abgaben. Bröcklige Glasuren sind als gefährliche zu be¬
zeichnen. Gut gebrannte Geschirre gaben einen hellen, schlecht gebrannte
•inen dumpfen Ton beim Anklopfen von sich. Bote Glasuren enthielten das
wenigste Blei. Da die Bleiabgaoe nach dem Auskochen mit Essig sich meist
vermindert, so ist das Auskochen der neuen Geschirre mit Essig zu empfehlen.
Zur Aufbewahrung von sauren oder allmählich Säure entwickelnden Lebens¬
mitteln dürfen bleiglasierte Geschirre nicht benutzt werden, resp. nur dann,
wenn man sich durch eine einfache Probe davon überzeugt hat, daß das Ge¬
schirr kein oder nur wenig Blei abgibt. Man füllt hierzu das Gefäß mit
heißem farblosen Essig, läßt es eine Stunde so stehen und gießt nun die
Flüssigkeit ha ein farbloses Trinkglas. Sodann gießt man einige Tropfen einer
Sehwmelleberlösung hinzu. Leichte Trübung allein zeigt die Abwesenheit von
Blei an, während Braunfärbung bezw. braunschwarze Färbung mit Niederschlag
das Vorhandensein von wenig bezw. viel Blei andeutet. Geschirre, die letztere
Reaktion geben, dürfen nicht zu den oben genannten Zwecken benutzt werden,
da schon die tägliche Zufuhr von nur 1 mg Blei genügt, um eine Person nach
äiigen Monaten krank zu machon. Bisher besteht in Rußland noch kein Ge¬
setz für die Herstellungsweise von bleiglasierten Geschirren.
Dr. Symanski-Hagenau iE.
Ueber Verwendung von Wassergas und anderen Gasen ln Fabriken.
(Gewerbliche Kehlenoxydvergiftung.) Von Dr. Arthur Whitelegge,
Chief inspector of factories. Home Office memorandum. Public health X VII,
November 1904; S. 82.
In seiner Besprechung der Bo e sei er sehen Arbeit über Verwendung
und hygienische Bedeutung des Wassergases erinnert Geh. Med.-Bat Dr. Roth
(Vierteljahrsschr. i. ger. Med. 1901, XXI, Seite 869) daran, daß speziell in
Deutschland nur äußerst selten Fälle von akuter Kohlenoxydvergiftung durch
Wassergas beobachtet sind. Für England gibt nach Whitelegge der Jahres¬
bericht der Gewerbeinspektoren Aufschluß. In den Jahren 1899 bis 1908 ist
über 61 Fälle von CO Vergiftungen aus Fabriken berichtet; 17 davon sind
tödlich verlaufen; 43 waren auf Wassergas oder verwandte Gase (Dowson
gas, Mond gas, Power gas, Producer gas, Blast furnace gas) zurückzuführen.
Verantwortlich für diese Vergiftungen sind eine Reihe von Umständen
zu ■HU".fiwn. Es fehlen Rettungseinrichtungen. Die Arbeiter kennen das Gas
ssd seine Gefahren, die frühesten Symptome der CO-Vergiftung zu wenig.
Dem Gase fehlt jeder Geruch, obwohl nach Ministerialverfügungen jüngeren
Datums den Gewerbeinspektoren bereits zur Pflicht gemacht worden war, in
Fabriken und Werkstätten, an die Gas verteilt wird, auf die Beimengung stark
riecbender^Körper zum'Gase zu achten. Ferner kommt in Betracht, daß die
Arbeiter in so gefährlichen Räumen allein arbeiten; schließlich sind technische
Fehler anzuschuldigen.
In ähnlicher Weise wie der Ministerialerlaß vom 31. Dezember 1896
(Beilage zu dieser Zeitschrift, 1897, S. 29), faßt*nun die Darstellung White-
fegges die vorbeugenden Gesichtspunkte zusammen. Die Symptome der
CO-Vergiftung werden geschildert. Ein Zylinder mit komprimiertem Sauer¬
stoff, mit'.Gummigasrohr und Mundstück versehen, sollte dauernd in Bereitschaft
stehen. Die Arbeiter sollten frühzeitig mit;der Art, den Sauerstoff abzugeben
und künstliche Respiration auszuführen, vertraut gemacht werden. Sie sollten
besouders'davor gewarnt werden, den Patienten der Kälte auszusetzen.
Der Autor teilt den Inhalt von Plakaten mit, welche euerseits die
Powergas-Aktiengesellschaft nach Beratung mit dem ärztlichen Gewerhe-
inapektor inj ihren Betriebsräumen aufgestellt hat, und anderseits als Merk¬
blatt von den vereinigten Portland-Zementwerken entworfen worden sind.
Dr. Mayer-Simmern.
330 Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. "
Welche Anforderungen sind vom hygienischen Standpunkte aa die ^
Unterbringung der Mannschaften auf Kauffahrteischiffen su stellen! Von
Dr. Karl Pfitz. Vierteljahrsschr. f. gerichtliche Medizin und öffentL Sanität* ^
wesen; IV. Heft, 1904.
Während von fast allen seefahrenden Nationen durch Gesetze und Ver* ^ ■
Ordnungen in genügender Weise dafür gesorgt worden ist, daß die Zwischen»
deckspassagiere an Bord überseeischer Dampfer in hygienisch erträglicher
Weise untergebracht werden, sind für die Unterbringung von Mannschaften
auf Kauffahrteischiffen noch keinerlei Bestimmungen getroffen worden. Es ist ...
dies um so auffallender, als die Passagiere gewöhnlich nur 2—4 Wochen aa ’ •”
Bord sind, während der Mannschaftsraum für das Personal jahrelang, ja häufig >.
zeitlebens derjenige Ort ist, wo sich dasselbe von seinem überaus aufreibenden . /
Dienst erholen soll. Verf. stellt folgende Forderungen auf: Das Mannschafts- 7t.
logis soll von Bilge-, Lade-, Heiz-, Maschinen-, Kohlen-, Proviant- und Vorrats- ,**
räumen nach Möglichkeit isoliert und nicht unter der Wasserlinie liegen. Der
Fußboden soll mit leinölgetränktem Holze oder ähnlichem Material belegt sein. ~j
Die Wände sollen glatte Holzbekleidung mit hellem Farbenanstrich haben. ^
In den Tropen soll auch die Außenwand hell gestrichen sein. Liegen bewohnte
Räume unmittelbar unter einem obereren eisernen Deck, so ist dasselbe mH
einer 7 cm dicken Holzbebohlung zu bekleiden. Für den Kopf der Besatzung ^ ’
sind mindestens 5 cbm Rauminhalt (bei 2 m Höhe und 2 qm Bodenfläche) zu
gewähren. Zur Lüftung müssen Ventilatoren dienen, die genügend groß sind ^ ;;
und für künstliche Lufterneuerung genügende Vorrichtungen besitzen. Ge- y -
nügende Heizvorrichtung und natürliches Licht, ebenso ohne Belästigung funk- ^-
Monierende künstliche Lichtquellen sind ferner nötig. Die Kojen, im Mininm n \ r "
1,88 m lang und 0,6 m breit, sind aus mit heller Farbe gestrichenem Eisen ^ i
herzustellen; Es sollen nicht mehr als zwei Schichten übereinander vorhanden
sein, die untere mindestens 15 cm vom Fußboden, die obere mindestens 75 cn
von der Decke. Zum Kochen sowie zur Aufbewahrung feuchter Kleidung müssen ^-*-
vom Wohnraum gesonderte Gelasse sein, sowie für je 20 Mann der Besatzung
pahe beim Logis über Deck je mindestens ein Klosettsitz und ein Baderaum
mit genügender Einrichtung für kalte und warme Duschen vorhanden sem. >:
_ Dr. Israel-Fischhausen. ‘ ? sö:
Verhütung der Selbstentzündung von Benzin. Von Oberregierungsrat
Bittmann -Karlsruhe. „Concordia“, Zeitschrift der Zentralstelle für Arbeiter-
Wohlfahrtseinrichtungen. Berlin 1904; VI. Jahrg., Nr. 20.
Die von Zeit zu Zeit in der Presse gemeldeten unaufgeklärten und ver- '
hängnisvollen Benzinbrände führt man neuerdings auf Selbstentzündung des
B. durch Reibungselektrizität zurück, da solche beim Spülen von Wolle iu
Benzin beobachtet und mittels des Elektroskops sicher nachgewiesen worden
ist. Richter, Direktor einer chemischen Waschanstalt in Karlsruhe, hat nun W
in wasserfreiem Magnesiumolent, — von ihm zur Dokumentierung seiner
Priorität „Richterol“ genannt, — das tauglichste Mittel erkannt, die Leitfähig- *
keit des Benzins zu erhöhen. Wenn auch der absolute Wert einer Lösuig - ^
dieses Oels inbezug auf Leitfähigkeit gering ist, so genügt er doch, um größere
elektrostatische Ladungen schnell zur Erde abzuleiten und somit der Selbst-
entzündung vorzubeugen. B. hat einen .Benzinfeuer-Warner“ genannt«
Apparat hergestellt, der selbsttätig durch Klingelzeichen das Auftreten elek- ^
frischer Zustände in der Maschine oder Spülwanne der Benzinwäschereiea
meldet und die Bedienung der Apparate auffordert, den versäumten Zusatz
des Richterols nachzuholen. Das Instrument, das mit den bekannten elek- >
frischen Speiserufern in Kesselhäusern zu vergleichen ist, arbeitet so empfind*
lieh, daß es schon auf die Annäherung einer leise geriebenen Siegellackstange, -''. ä
selbst nach Dazwischenschieben einer Glas- oder Hartgummiplatte, in Funk¬
tion tritt _ Dr. Rost-Rudolstadt ^
Die Taubstummen im Deutsehen Reiche nach den Ergebnissen der
Tolknihluug von 1900. Medizinal - Technische Mitteilungen aus dem Kaiser!.
Gesundheitsamte (Beihefte zu den Veröffentlichungen des KaiserL Gesundheit*- ^
aints). Neunter Band, erstes Heft. Mit 8 Tafeln. Berlin 1904; Verlag voa 1,/
J. Springer.
Besprechungen.
831
In 18166 Gemeinden wurden 48760 taubstumme Personen ermittelt.
Huron lebten 81448 oder 64,6 °/ 0 ln Preußen, 6494 = 11,8 °/o in Bayern,
W6 ss 4,9 °/o in Sachsen, 2218 = 4.5 °/o in Württemberg, 2147 **» 4,4 °/o in
Bsden, 1386 = 2,7 °/o in Elsaß-Lothringen, 908 = 1,8 9 jo in Hessen; alle
Ihrigen Bundesstaaten hatten weniger als je 600. Auf je 10000 Einwohner
tamiaet sich die Ziffer der ortsanwesenden T. in Baden auf 11,6;
Württemberg 10,2; Meiningen 9,3; Preußen 9,1; Bayern 8,8; in den übrigen
Budesstaaten einschließlich der Beichslande bleibt diese Zahl unter dem Beicns-
ducbsehnitt Ton 8,6. Ordnet man die Staaten nach der Ziffer ihrer orts-
tebttrtigen T., so ergibt sich nachstehende Beihenfolge: Baden 11,6;
Meiihgeu 9,9; Württemberg 9,6; Waldeck 9,3; Buldolstadt 9,2: Preußen 9,0;
B*jtn 8,8. Auffallend niedrige Ziffern zeigen Sachsen, Anhalt, Altenburg,
OMaVorg und die Hansestädte. Her weitaus größere Teil ist mindestens
nit frühester Kindheit, sehr warschednlich aber schon von Geburt an taub¬
stem gewesen. Hie Bedeutung gewisser Krankheiten für die Entstehung
du Gebrechens im späteren (Kindes-) Alter ist geringer anzuschlagen, als bis-
ber angenommen wurde. Es liegt nahe, das häufige Vorkommen der an-
geborenen Taubstummen bezw. der fötal entstandenen Taubheit auf patho'o-
osche Belastung von seiten der Eltern zurückzuführen. Has männliche
Qtschlecht überwog bei weitem: 64,1 zu 46,9°/o; ebenso die semitische Basse
nd die «lavische Bevölkerung. Has Auftreten der T. bei mehreren Mitgliedern
eher und derselben Familie kam in Württemberg, Hessen, Schwerin, Braun-
xtaig, Beuß j. L., Lippe und den Hansestädten häufiger als in den übrigen
Budeestaaten vor; in Preußen waren die westelbischen Provinzen darin be¬
willigt. Familien mit mehr als je 4 Taubstummen fanden sich nur in
Pnsfiea (38, darunter in Berlin allein 6, in Halberstadt 8), Bayern (1),
heben (2), Lippe (1). 86,7 •/« waren ledigen Standes; unter je 100 Taub-
rtounen männlichen Geschlechts befanden sich nur 16,6, unter je 100 weib-
«hen Taubstummen nur 12,8 Verheiratete, Verwitwete oder Geschiedene. Hie
ffrterjuchung hat keinen Anhalt dafür gegeben, daß die Taubstummenhäufigkeit
tacb terrestrische Bedingungen, wie Höhenlage oder Bodenbeschaffenheit beeht-
nft wird; das wesentliche ätiologische Moment wird neben der Belastung in
ktlkhea ns günstigen materiellen Verhältnissen und gesundheitlichen 8chädfich-
Httea xu suchen sein. Beweisend hierfür ist das häufige Vorkommen im Osten
ud die geringfügige Belastung vieler wohlhabender Ackerbau- und Industrie-
betirke und namentlich der großen Städte trotz der Bichtigkeit ihrer Ein-
wwenchaft. Hr. Bost - Rudolstadt.
Besprechungen.
Br. Emil *■*—«irr, Assistent der k. k. psychiatrischen und Nervenklinik
ta Herrn Prot v. Wagner in Wien: Dl« hysterlsohm Gtointan-
Mörengen. Eine klinische Studie. Leipzig und Wien 1904. Verlag von
**•»* Deuticke. Preis: 9 Mark.
Du vorliegende Werk betrachtet die Hysterie in erster Linie als eine
jtyekoBe, richtiger gesagt, als eine Neuropsychose, der neurotische und psyche-
jjKbe Symptome in bald stärkerem, bald geringerem Maße beigemischt sind.
Gnae das Studium dieser so zahlreichen Störungen zeigt, wie eng Nervenheil-
™de ud Psychiatrie verbunden sind, und wie gerade letztere den Ausgangs-
lukt zur Kenntnis der anscheinend rein nervösen Symptome der Hysterie
■bea muß. Nach dem Verfasser entsteht die Krankheit auf dem Boden einer
Myehopathischen Konstitution unter Einwirkung accessorischer, somatischer
•j® jwychischer Schädigungen; das Auftreten hysterischer Symptome ist ab-
von äußeren Beizen und durch solche beeinflußbar. Besonders charak-
bnstmdi ist daher für die Hysterie die erhöhte Suggestibilität neben einer
renrersHit der Empfindungsqualitäten im weiteren Sinne. Hiese letztere
■Met «ich besonders ausgeprägt im Sexualleben, dem stets eine ganz besondere
mdmtung in der Behandlung und Beurteilung der Hysterie beigelegt worden
während die Willensäußerungen beeinflußt werden durch das Vorherrschen
w» eigenen Ichs und egoistischer Vorstellungen. Bei der Erörterung der e&a-
juam Krankheitsbilder geht B. von dem Bild des hysterischen Anfalles aas,
w er durch Mitteilung dreier Fälle, darunter einen bei einem 8 jährigen
332
Besprechungen.
Schalkinde, erläatert; ihm nahe verwandt ist das hysterische Delirium, dem
jedoch Symptome von Konvulsionen der charakteristischen Art abgehen, ln
diesen Delirien spielen Erinnerungen und Szenen aus früherer Zeiten, die die
Kranke aufs neue zu durchleben scheint, eine hervorragende Bolle. Die Ab¬
trennung dieser Störungen von den Dämmerzuständen begegnet erheblicheren
Schwierigkeiten, immerhin ist die Einengung und Trübung des Bewusstseins
hier das hervorstechenste Symptom.
Verfasser gedenkt in diesem Zusammenhang des forensisch wichtigen
Gans ersehen hysterischen Symptomkomplexes. Von weiteren akuten Störungen
werden die hysterische Melancholie, der Stupor, insbesondere auch die somnam¬
bulen Zustände und die Fälle von Etat second der Franzosen erörtert, in denen
die Kranken gewissermassen eine doppelte Persönlichkeit zu bilden scheinen.
Weniger Bemerkenswertes bieten die chronischen Psychosen, für die die Bei¬
mischung zahlreicher hysterischer Symptome psychischer und somatischer Natur
das Charakteristikum darstellen. Sehr lehrreich sind die Kapitel über Aetio-
logie der Hysterie, in dem Verfasser besonders der nicht seltenen hysterischen
Schulepidemien der Kinder gedenkt, und über Wesen der Krankheit. Hier
wird, unter Anlehnung an Janet, der näheren Beziehungen zwischen dem
hysterischen Geisteszustand und dem hypnotischen gedacht, die beide in der
außerordentlich erhöhten Suggestibilität ihre gemeinsame Wurzel haben. In
therapeutischer Hinsicht betont B. prinzipiell, daß jede Eheschließung Hysteri¬
scher möglichst zu verhindern sei. In einem Schlußkapitel weist Verfasser auf
die forensische Seite der Krankheit hin, besonders auch auf die großen dia¬
gnostischen Schwierigkeiten, da nicht selten hysterische Psychose und bewußte
Simulation ohne scharfe Grenze ineinander übergehen, und ferner gerade beim
Hysterischen die Neigung zur Uebertreibung, Verstellung und Lüge „quasi
die normale Beaktion“ bildet. — Das lehrreiche Buch, aus dem hier nur
weniges hervorgehoben werden konnte, kann warm empfohlen werden.
Dr. Pollitz-Münster.
Dr. C. Feistmantel : Trinkwaaser and Infektionskrankheiten. Epi¬
demiologie, UnterBuebungsmethoden, Sterilisierungsverfahren. Verlag voa
G. Thieme. Leipzig 1904.
Das kleine Werk behandelt im ersten Abschnitte einige epidemiologische
Daten und die Bedeutung der einzelnen, für eine durch Wasser erfolgte Ver¬
breitung von Infektionskrankheiten in Betracht kommenden Momente. Der
wichtigste zweite Teil behandelt den Nachweis der Infektionskeime im Wasser.
Die vielfachen, in früheren Jahren geübten Verfahren bakteriologischer Wasser¬
untersuchung sind heute mit vereinzelten Ausnahmen darauf reduziert, den
direkten Nachweis vermuteter Infektionskeime anzustreben. Auch der Un¬
geübte wird aus der Zusammenstellung der notwendigsten Behelfe und des
Untersuchungsganges für den Nachweis der wichtigsten, bei einer Wasserunter¬
suchung in Betracht kommenden Mikroben ein erfolgreiches Arbeiten aus dem
Buche erlernen können. Was der Verfasser über den Nachweis von Cholera
im Wasser sagt, steht fest. Für den Nachweis von Choleravibrionen ist du
Anreicherangsverfahren mittelst Peptonwasser längst erprobt. Für die Identi¬
fizierung der aus dem Wasser gezüchteten Choleravibrionen wurde in letzter
Zeit ihr Mangel an hämolytischen Fähigkeiten nutzbar gemacht. Eingehend
ist der Nachweis der Typhusbazillen beschrieben. Durch Nachprüfung der in
den letzten Jahren von verschiedenen Seiten empfohlenen Verfahren bevorzugt
Verfasser am meisten die Ausfällung mit dem von Schüder-Sallef emp¬
fohlenen Beagentien (Natrium hyposmfit und Bleinitrat) unter Benutzung von
Conradi-v. Drigalski Agarplatten, und die Titration des Wassers durch
ein Chamberlain-Filter. Aufnahme des Filterrückstandes mit einigen Kubik¬
zentimetern Kochsalzlösung, Zusatz von 1—2 Tropfen stark agglutinierendes
Serums und Verarbeitung des Zentrifugenrückstandes ebenfalls mit Conradi-
v. Drigalski Platten. Die dritte Abteilung enthält die chemische, physi¬
kalische und mikroskopische Untersuchung und die Lokalinspektion. Letztere
ist etwas kurz besprochen; auch dürfte es einem Ungeübten schwor fallen, mit
den knapp gehaltenen Anweisungen über die üblichen Untersuchungsmethodea
unter Angabe der notwendigen Beagentien und Geräte auszukommen. Die
Bedeutung der chemischen Befunde wird vom Verfasser mit Hecht hervor-
Tagesnachriohten.
888
«hohen, wobei gewiß für die Beurteilung de* Wassers die lokalen and geo-
ugischea Verhältnisse ihre Wichtigkeit behalten. Dr. Bn mp-Osnabrück.
T&gesnachrichten.
Am 28. and 20. April hat in Hannover die XXII. Hauptversamm-
Ing des Preuzelsehen Kedlztnalbeamtenvereins unter zahlreicher Beteiligung
»uitgefundeu. Leider war der Vorsitzende, Reg.-u. Geh. Med.-Rat Dr. Rap-
md, durch einen Tranerfall in seiner Familie zum ersten Male seit dem
Bestehen des Vereins verhindert, an der Versammlung selbst teilzunehmen;
er kannte nar der Vorstandssitzung am Tage zuvor beiwohnen, ln seiner
Vertretung leitete Reg.- u. Med.-Rat Dr. Wodtke die Verhandlungen, za
taei als Vertreter des Herrn Ministers Herr Geh. Ober-Medizinalrat Professor
Br. Schmid tmann erschienen war.
Die Tagesordnung war vom Vorstand überaus glücklich gewählt, so
foß sowohl die eingehenden, gediegenen Referate, als auch die Diskussion ein
Muerul zntage förderten, das von bleibendem Werte sein dürfte.
Der Ortsausschuß unter Vorsitz des Herrn Reg.- und Geh. Med.-Rats
Br.Quertler hatte keine Mühe gescheut, um den Vereinsmitgliedern nicht
nur Sehenswertes, sondern auch Angenehmes zu bieten. Insbesondere war auch
für die Damen vorzüglich gesorgt worden. — Die Stadt Hannover hatte der Ver¬
sammlung einen Führer gestellt und ihr in entgegenkommender Weise die
südlichen Anstalten zur Besichtigung geöffnet, die als mustergültig in ihrer
Art zu betrachtep sind. — Am 30. April besuchte eine kleinere Zahl der Fest-
teilaehmer unter der liebenswürdigen Führung des H. Reg.- u. Med. - Rats Dr.
Arbeit die altehrwürdige Stadt Hildesheim.
Der offizielle Bericht über die Versammlung wird voraussichtlich bereits
Anfang Juli erscheinen. Es wird deshalb von einem ausführlichen vorläufigen
Bericht Abstand genommen.
Aus dem prenesieoheii Abgeordnetenhaus«. Die Jnstizkommission
hat beschlossen, dem Plennm zu empfehlen, eine Petition um Erlaß eines Ge¬
setzes zum Schutz der Mineralquellen der Staatsregierung als Material zu
überweisen. — Einen gleichen Beschluß hat die Gemeindekommission in bezug
ao( eine Petition um Verbesserung der Einkommens* und Altersversorgungs-
rcrttltnisse der Hebammen gefaßt.
Das mit einem Kostenaufwand von 700000 Mark erweiterte hygienische
Institut der Universität Berlin (Hessische Straße Nr. 8—4) ist am 2. d. M. feier¬
lich eröffnet worden. Der Direktor des Instituts, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Rubner,
ff*A ia seiner Festrede einen U eberblick Uber die geschichtliche Entwickelung
des hygienischen Unterrichts in Deutschland und besprach sodann die Aufgabe,
welche die Entwickelung des modernen Gesellschaftslebens an die Hygiene stellt.
Die diesjährigen Fortbildungskurse für die preussiseben Kreisärzte
Süden in der Zeit vom 2.—19. Mai und vom 22. Mai bis 9. Juni statt.
In Frankfurt a. KL hat jetzt die Stadtverordnetenversammlung die
«ricktang einer Akademie für praktische Medizin abgelehnt und nur die
notwendige Erweiterung einzelner medizinischer Institute und Krankenanstalten
«gestimmt. _
Au Württemberg« Die Kammer der Abgeordneten bat bei der Be-
JJtug des Kultusetats der Errichtung einer ordentlichen Professor dar
“Jfflene an der Universität Tübingen xugwtimmt-
Im Orossherxogtum Hessen ist der zweiten Kammer eine Gesetzes*
tolüf« «gegangen, di« eine Begelpng dea Handels mit «Uten in der Weise
Mttrickiigt, daß zu demselben, soweit er nicht in Verbindung mit dem Apo-
"tkengewerbe betrieben wird, eine besondere Genehmigung erforderlich, und
“*** (u versagen ist, wenn ein Bedürfnis nicht nachgewiesen werden kann,
ist du ZnterlämJgkeit des .Gewerbetreibenden zu prüfen.
834
Tagesnachrichten.
Die XXX. Versammlung des Deutschen Vereins Ar öffentlich« Ge¬
sundheitspflege findet in den Tagen vom 18. bis 16. September 1905
in Mannheim statt. Anf der Tagesordnung stehen:
Mittwoch, den 18. September: X. Typhusbekämpfung. Beferenten:
Stabsarzt Dr. ▼. Drigalski (Kassel), Bog.- and Med.-Bat Dr. Springfeld
(Arnsberg). II. Die Bedeutung öffentlicher Spiel- and Sportplätze für die
Volksgesandheit. Beferenten: Sanitätsrat Dr. Schmidt (Benn), Oberbaurat
Klette (Dresden). .
Donnerstag, den 14. September: UL Müllbeseitigung und Müll-
Verwertung. Beferent: Dr. Thiesing (Berlin). IV. Schwimmbäder and
Braasebäder. Beferenten: Sanitätsrat Dr. Kabierske (Breslau), Stadtbaorat
Beigeordneter Schnitze (Bonn).
Freitag, den 15. September: V. Selbstverwaltung and Hygiene.
Beferent: Beg.- and Geh. Med.-Bat Dr. Both (Potsdam).
Samstag, den 16. September: Ein gemeinsamer Aasflag, voraas¬
sichtlich in das Neckartal oder nach Baden-Baden.
Ein internationaler medizinischer Unfallkongress wird nnter dem
Ehrenvorsitz Sr. Majestät des Königs der Belgier vom 29. Mai bis
4. Juni in Lüttich im Anschluß an die Weltausstellung abgehalten werden.
Vorträge sind bei H. Dr. Poels - Brüssel, U Bue Marie Thöröse, anzumelden,
der Teilnehmer - Beitrag beträgt 10 Franks. '
Bayerischer Medizinalbeamten-Verein (E. V.)
Landes-Versammlung zu Würzburg
am 3. Juni 1905.
in den Gesellschafisräumen der „Harmonie* (Hofstraße).
Tagesordnung:
Freitag, den 2. Juni, abends 7 Uhr: Vorstandssitzung.
abends 8 Uhr: Gesellige Vereinigung zur Begrüßung (mit Damen).
Samstag, den 3. Juni, vormittags 8'/» Uhr:
1. Eröffnung der Versammlung, Geschäfts- und Kassenbericht.
2. Die neueste Forschung über Infektionskrankheiten. Beferent: Prof.
Dr. Lehmann-Würzburg.
8. Wie haben sich die Gesetzesparagraphen des B. G. und der Zivil¬
prozeßordnungsnovelle, welche sich auf die Entmündigung beziehen,
in der gericbtsärztlichen Praxis bewährt und welche Erfahrungen
werden von seiten der ärztlichen Sachverständigen in bezug auf die
Handhabung des Gesetzes gemacht? Beferent: Landgerichtsarzt Dr.
Bur gl-Nürnberg.
4. Die quantitative Bestimmung des Luftgebaltes der Lungen. Befe¬
rent: Landgerichtsarzt Prof. Dr. Stumpf-Würzburg.
5. Geistige Minderwertigkeit im schulpflichtigen Alter. Beferent: Prot
Dr. W r eyg an dt-Würzburg.
6. Die Bcvision der Bezepttaxierung durch die Bezirksärzte. Beferent:
Bez.-Arzt Dr. Graßl-Viechtach.
Nach Schluß der Sitzung: Gemeinschaftliches Essen (mit Damen*.
Mit dem Wunsche, daß die Mitglieder sich recht zahlreich beteiligen
werden, zeichnet für die Vorstandscbaft des „Bayerischen Medizinal bebmten-
^ erc *“ 8 Dr. Anger er, Vorsitzender.
Dr. Hof mann, Kreis Vorsitzender. Dr. Hermann, Schriftführer.
Neu eingegangene Bücher. 1 )
Vierteljahr 1905.
Baumm, Dr.: „Praktische Geburtshilfe“. Einführung in. das neue preußische
Hebammenlehrbuch (1904). Kl 8’. 124 S. Berlin, Verlag von Elwin
Staude, Preis: 1 M.
*) Eine eingehendere Besprechung der die Leser der Zeitschrift interess¬
ierenden Bücher bleibt Vorbehalten.
-Neu ein gegangene Bücher.
886
Blume, Dr., Med.-Bat, Philippsbarg L/B.: „Der 8chnellverband in Beziehung
znr ersten Hilfe bei ünglttcksfällen wie auf dem Schlachtfelde.
Bornträge r, Dr., Regierungs-u. Med.-Rat: „Die nene preußische Gebühren¬
ordnung für Aerzte und Zahnärzte“. KL 8°. 82 8. Würzburg. A. Stübers
Verlag. Preis : 1,20 M.
Brauer, Prot Dr. Lud.: „Beitrag zur Klinik der Tuberkulose". Bd. III, H. 8,
(Arbeiten von Wild, Rüge, Arnsperger, Teutschl&nder) Preis'
2,50 M. Bd. ID, H. 4 (Arbeiten von Brüning, Eber, Teutschl&nder:
Ostenfeld, Neißer) Preis: 8,50 M. Würzburg). A. Stabers Verlag.
Braun, Dr. Eduard: „Reichsgesetz beetreffend Verkehr mit Wein, weinhaltigen
und weinähnlichen Getränken* KL8°. 160 S. Verlag von Karl Hage¬
mann, Berlin W. 8. Preis geb.: 2 M.
Darapsky, B.: „Enteisenung yon Grundwasser*. KL 8°. 104 S. Verlag
yon F. Leineweber; Leipzig.
Dornblüth, Dr. Otto: „Diätetisches Kochbuch*. EU 8°. 861 S. A. Stübers
Verlag, Würzburg.
Ebstein, W. und Schreiber, Dr. E.: „Jahresbericht über die Fortschritte
der inneren Medizin im In- und Auslande*. Bericht über das Jahr 1901.
I. IL und IIL Heft. Gr. 8°. 480 S. Verlag yon Ferd. Enke; Stuttgart.
Preis: 4 M. pro Heft.
Feis, Dr. Oswald: „Die Walderholungsstätten und ihre yolkshygienische Be¬
deutung". G 8°; 31 S. Verlag yon Oskar Coblentz, Berlin. Preis: 2 M.
Fromme, Landgerichtsdirektor, Magdeburg: „Die zivilrechtliche Verantwort¬
lichkeit des Arztes für sich und seine Hilfspersonen*. Berliner Klinik,
Heft 201. Berlin 1905. Fischers med. Buchhandlung. Gr. 8*,
51 Seiten. Preis: 1,20 Mk.
Haberda, Prof. Dr. A.: „üeber die Berechtigung zur Einleitung der künst¬
lichen Fehlgeburt". Gr 8 0 , 16 Seiten. Verlag yon Braunmüller-Wien.
Haase, Dr. Hago, Med.-Rat, Danzig: „Gesundheitswidrige Wohnungen und
deren Begutachtung". 11 9 ( , 102 S. Verlag yon Julius Springer-
Berlin. Preis: 1,60 Mk.
Hecker, Dr. R. und Tr um pp, Dr. I., Priyatdozenten, München: „Atlas und
Grundriß der Kinderheilkunde*. Mit 48 farbigen Tafeln und 144 schwarzen
Abbildungen. Kl. 8°, 482 S. J. F. Lehmanns Verlag, München. Preis:
geb. 16 Mk.
Hensgen, Dr. Me<L-Bat, Siegen: „Leitfaden für Desinfektoren*. Zweite ver¬
änderte Auflage. Kl 8°, 77 S. Verlag yon Richard Schoetz-Berlin.
Preis: 1,50 Mk.
Hermanides, Dr. S. R., Zeist (Holland): „Bekämpfung der ansteckenden
Geschlechtskrankheiten als Volksseuche*. Gr. 8 °, 162 S. Verlag yon Gustav
Fischer-Jena. Preis: 4 Mk.
Juristisch-p sychiatrische Grenzfragen. Zwanglose Abhandlungen.
IL Band, Heft8—5: „Fahnenflucht u. unerlaubte Entfernung.“; yon Ober¬
arzt Dr. 81 i e r. Gr. 9°, 1108. Verlag yon Mar hold-Halle Preis: 3 M.
IL Band, Heft 6: „Die Reform des Verfahrens im Strafprozeß"; von Prof.
Mittermaier in Gießen. „Die Forschungen zur Psychologie der Aus¬
sage“ ; von Prof. Dr. Sommer in Gießen. Gr. 8 *, 69 S. Preis: 1,20 Mk.
Kehr, Prof. Dr. Hans: „Die in meiner Klinik geübte Technik der Gallenstein¬
operationen mit einem Hinweis anf die Indikationen und Dauererfolge*.
Gr. 8°, 395 S. J. F. Lehmanns Verlag, München. Preis: brosch. 16 Mk.,
geb. 18 Mk.
Klinisches Jahrbuch. Vierzehnter Band. Verlag yon Gustav Fischer-
Jena. Enthaltend: „Beiträge zur Bekämpfung der Ankylostomiasis"; von
Dr. Dieminger (0,60 Mk.). „Die Verbreitung der Lepra in Deutschland
und den deutschen Schutzgebieten"; yon Prof. Dr. M. Kirchner(0.60 M.);
„üeber die Tagesbeleuchtung der Schulzimmer; von Med.-Rat Dr. M. M o r i t z
(0,60 M.). „üeber Typhusscbutzimfnngen"; yon Prof. Dr. Gaffky, Prof. Dr.
W. Kolle, Stabsarzt Dr. H etsch u. Stabsarzt Dr.Kutscher. „Die Ty¬
phusepidemie in Ems während des Sommers 1904*; von Dr. Petschull
(1,50 Mk).
Kobert, Prof Dr.: „Üeber Giftfische und Fischgifte“. Gr. 8°, 36 S. Verlag
von Ferdinand Enke in Stuttgart. Preis: 1 Mk.
Kobrak, Dr. E., Kinderarzt, Berlin: „Aerztlicher Wegweiser durch das Säug-
886 Neu eingegwgeue Büchfr.
lingsalter fflr jupge Matter.“ 154 S. Verleg ypp M. Liiienthal-
Berlin. Prpis: 8 Mk.
Bepkeu, C., Apotheker: „Pie Apothekengesetzgebung“. EL 8,*, 64 S. Selbst¬
verlag de* Deutschen Apotheker-Vereins; Berlin.
Lignitz, y., General der Infanterie: „Zar Hygiene des Krieges“. 103 S.
Verlag von E. 8. Mittler & Sohn. Preis: 1,60 Mk.
Martin, Pr. Max: „Die Anästhesie in der ärztlichen Praxis“. Gr. 8°, 35 S.
I. F. Lehiqanns Verlag, München. Preis: I Mk.
Manse, Dr. Carl, Cassel: „Handbuch der Tropenkrankhejten“. I. Band, mit
124 Abbildungen. Gr. 8°, 364 S. Verlag yon J. Ambrosius B a r t h - Leipzig.
Preis: brosch. 12 Mk., geb. 13,20 Mk.
Meyers Großes Konversationslexikon. Sechste gänzlich neubear¬
beitete und vermehrte Auflage. Verlag des Bibliographischen Instituts in
Leipzig und Wien. Band VIII und IX.
Nickel, Dr., Kreisarzt in Perleberg: „Die Gesundheitspflege auf dem Lande“.
Veröffentlichungen des Deutschen Vereins für Volkshygiene. Heft VIL
Kl. 8“, 65S. Verlag von B. Oldenburg, München u. Berlin. Preis : 40 Pt
Oehmke, Th., Keg.- und Baurat a. D.: Ueber Luft und Lüftung der Woh¬
nung und verwandte Fragen“. München u. Berlin. Verlag von B. Olden¬
burg. Gr. 8°, 35 S. Preis: 0,60 Mk.
Bumpf, Dr. E., Heilstätte Friedrichsheim: „Merkbüchlcin für den Lungen¬
kranken in der Heilstätte. Kl. 8°, 99 S. Verlag der Badischen Landcs-
zcitung in Karlsruhe i./ß. Preis: 10 Pf.
Schottelius, Prot Dr., Freibarg i./B.: „Bakterien, Infektionskrankheiten und
deren Bekämpfung“. Bibliothek der Gesundheitspflege; Bd. 2. Kl. 8®,
237 S. Verlag vonE. H. Moritz-Stuttgart. Preis: brosch. 2,50, geb. 3 M.
Schubert, Dr. Paul, Hofrat, Nürnberg; „Das Schularztwesen io Deutsch¬
land“. Hamburg und Leipzig 1905. Verlag von Leopold Voß. Kl. 8°,
163 S. Preis: 2,50 Mk.
Spude, Dr. H., Arzt in Pr. Friedland: „Die Ursache des Krebses und der
Geschwülste im allgemeinen“. Gr. 8°, 90 S. Verlag von Gose und Tetz-
1 aff-Berlin. Preis: 2 Mk.
Starck, Prof. Dr. Hugo, Heidelberg: „Die direkte Besichtigung der Speise¬
röhre. Oesophagoskopie“. Gr. 8®, 219 S. A. Stübers Verlag in Würz¬
burg. Preis: brosch. 7 Mk., geb. 8 Mk.
Stoll, Dr. Hans, Bad Nauheim: „Alkohol und Kaffee in ihrer Wirkung auf
Herzleiden und nervöse Störungen“. Kl. 8°, 29 S. Verlag des Beichsmedi-
zinalanzeigers, Leipzig. Preis: 0,50 Mk.
Sturm, Dr. A., Justizrat: „Die strafbaren Unterlassungen, insbesondere die
fahrlässigen Unterlassungen der Aerzte, Heilkünstler, gewerbsmäßigen
Gesundbeter und Kurpfuscher“. Gr. 8°, 52 8. Carl Hey manns Verlag in
Berlin. Preis: 1 Mk.
Vogl, Dr. Anton v., Generalstabsarzt z. D.: „Die wehrpflichtige Jugend
Bayerns“. Gr. 8°, 96 Seiten. J. F. Lehmanns Verlag, München. Preis
2,80 Mk.
Walther, Prof. Dr. Heinrich, Gießen: „Leitfaden zur Pflege der Wöchnerinnen
und Neugeborenen“. Zweite Aaflage. Kl. 8°, 161 8. Verlag von J. F.
Bergmann-Wiesbaden. Preis: 2,40 Mk.
Zuckerkandl, Dr. Otto, Wien: „Atlas und Grundriß der chirurgischen
Operationslehre*. Mit 46 farbigen Tafeln und 309 Abbildungen im Texte.
498 8. J. F. Lehmanns Verlag in München. Preis: geb. 12 Mk.
Notiz.
Der Herausgeber dieser Zeitschrift lat vom IL Val hfl Ende
Juni Infolge einer amtlichen Studienreise nach Dänemark und
Mohweden verreist. Postsachen werden ihm ayrw riaohgesohlokt,
die Absender müssen Jedoch entschuldigen, wenn die Antwort
auf Briefs und sonstige Anfragen unter giesen Umständen
später als sonst erfolgt. Rpd.
Verantwortl. Redakteur: flr pap mu n d, Bug.* U- Geh- ps^.-pajt in Minden L W.
J e. c. anss. HsnogL mm*. *. j. in tunkte-
18. Jihrg.
1905.
Zeitschrift
für
MEDIZINALBEAMTE.
MnlMstt IBr geiicktlide l«4izii u4 Psychiatrie,
fr inffiche Saehrentiidigentitigkeit ia Unfall- nd InvaliditatesacbeB, sowie
fr Ijm offntL Saaftitewecea, Medizin] - foetigebiiog u4 Mtepreehnig.
Herausgegeben
TOB
Dp. OTTO RAPMÜND,
mild Oth. Madldiilnt im Mindern.
Verlag von Fischer s mediz. Buchhandlg, H. Kornfeld,
HanogL Bayer- Hof- u. Erxbenogl. Kammar-Bnohhindlar.
Berlin W. 35, Lützowstr. 10.
Inamlt
<Un
VoriaphaBdluc sowie nDe Annonoen- Expeditionen des In-
mnd Anstande» entfegen.
Nr. 11.
Knekelat
1. u« 15. Jeüea Moitto.
1. Juni.
Aerztiiche Gutachten bezüglich Wiederaufhebung einer
Entmündigung.
▼on Dr. Carl Becker in München.
Das nachstehende Gutachten betrifft einen einfachen and
; Umliegenden Fall von Geistesschwäche. Es ist vielleicht nicht
nungebracht, anstatt eines besonders interessanten und schwierigen
auch einmal , ein solches za veröffentlichen, da gerade derartige
Fälle häufiger an den ärztlichen Sachverständigen herantreten
nd Ton ihm zn begntachten sind. Den eigentlichen Anlass zu
hr Veröffentlichung gab mir aber der nachstehende Bericht über
tie8itznng der Aerztekammer für Hannover im II. Jannar-Heft
fa ärztlichen Vereinsblattes:
Einem psychopathisch erblich schwer belasteten, an klassischer Paranoia
Mttden and deshalb entmündigten Manne wurde zwecks Aufhebung der Ent-
■tsdignng Ton drei Aerzten bestätigt, daß er geistig völlig normal nnd dis-
. jcöüoMfähig sei Das Regierungspräsidium in Lünebarg leitete die Gutachten
u tie Aerztekammer mit folgendem Begleitschreiben: „Es unterliegt keinem
jfoifel, daß solche ohne Kenntnis der einschlägigen Verhältnisse lediglich anf
i j*tud einer einmaligen Untersuchung and einer mehr oder weniger langen
. Dttenedung abgegebenen Bescheinigungen über die geistige Gesundheit eines
| jtaudien mindestens ungenaa, meistens anzutreffend oder falsch sein müssen,
ja Wert ärztlicher Gutachten, auch den Gerichten gegenüber, bedenklich
tabdrlcken, das Ansehen des ärztlichen Standes schädigen, die vielfach
»Brechenden Zweifel über die Rechtssicherheit bei Entmündigungen verstärken
ad den Entmündigten im Kampfe gegen das vermeintliche Unrecht zu fort*
( patzten Eingaben and Beschwerden veranlassen and überhaupt nicht zur
Am kommen lassen. Indem ich voraussetze, daß die Aerztekammer meine
Aafasug teilt, stelle ich ergebenst anheim, die Aerzte des Kammerbezirkes
5* daa Bedenkliche und Unzulässige solcher Bescheinigungen hinzuweisen.“
i üs * Aerztekammer beschloß einstimmig, an alle Aerzte der Provinz unter
338
Dr. Becker.
Bezugnahme auf den vorliegenden Fall die Mahnung zu richten, sich in ähn¬
lichen Fällen der allergrößten Vorsicht und Gründlichkeit zu befleißigen.
Diese Vorsichtsmassregel ist auch in dem von mir berichteten
Falle ansser Acht gelassen worden. Wäre dem nach einer ein¬
maligen kurzen Unterredung aasgestellten, aber gleichwohl mit
apodiktischer Sicherheit ohne jegliche Begründung abgefassten
Gutachten entsprochen und die Entmündigung wieder aufgehoben
worden, so wäre das Vermögen der betreffenden Person jetzt
sicher verschleudert und sie selbst würde über kurz oder lang 1
die Unterstützung der Armenpflege beanspruchen müssen.
Es dürfte daher angebracht erscheinen, einige Bemerkungen
über die ärztlichen Zeugnisse bei Wiederaufhebung einer
Entmündigung vorauszuschicken; das Entmündigungsverfahren
selbst soll hier unbesprochen bleiben.
Nach § 6 des Bürgerlichen Gesetzbuches kann entmündigt
werden, wer infolge von Geisteskrankheit oder von Geistesschwäche
seine Angelegenheiten nicht zu besorgen vermag. Die Entmün¬
digung ist wieder aufznheben, wenn der Grund der
Entmündigung wegfällt. Das formelle Verfahren regelt
sich nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung:
Die Wiederaufhebung der Entmündigung erfolgt auf Antrag des Ent¬
mündigten oder desjenigen gesetzlichen Vertreters des Entmündigten, welchem
die Sorge für die Person zusteht, oder des Staatsanwalts durch Beschluß des
Amtsgerichts (§ 675). Der Antrag soll die Angabe der ihn begründenden
Tatsachen und die Bezeichnung der Beweismittel enthalten (§ 647). Das Ge¬
richt kann vor der Einleitung des Verfahrens die Beibringung eines
ärztlichen Zeugnisses anordnen (§ 649). Das Gericht hat unter Be¬
nutzung der in dem Antrag angegebenen Tatsachen und Beweismittel von
Amtswegen die zur Feststellung des Geisteszustandes erforderlichen Ermit¬
telungen zu veranstalten und die erheblich erscheinenden Beweise aufzunehmen.
Zuvor ist dem Entmündigten Gelegenheit zur Bezeichnung von Beweismitteln
zu geben, desgleichen demjenigen gesetzlichen Vertreter, welchem die Sorge für
die Person zusteht, sofern er nicht die Entmündigung beantragt hat (§ 653).
Der Entmündigte ist p ers önlich unter Zuziehung eines oder
mehrerer Sachverständigen zu vernehmen; die Vernehmung darf
nur unterbleiben, wenn sie mit besonderer Schwierigkeit verbunden oder nicht
ohne Nachteil für den Gesundheitszustand des Entmündigten ausführbar ist
(§ 654). Die Wiederaufhebung der Entmündigung darf nicht
ausgesprochen werden, bevor das Gericht einen oder mehrere
Sachverständige über den Geisteszustand des Entmündigten
gehört hat (§ 655). Dagegen kann nicht, wie bei dem Entmündigungsver¬
fahren (g 656) eine Beobachtung in einer Heilanstalt angeordnet werden.
Tritt an einen Arzt das Ersuchen heran, einem Entmündigten
behufs Beantragung der Wiederaufhebung der Entmündigung ein
Zeugnis über seine geistige Gesundheit auszustellen, so muss er
sich vor allem vergegenwärtigen, dass der Entmündigungs bereits
ein abgeschlossenes, peinlich genau vorgeschriebenes Verfahren
vorausgegangen ist, in dem ein oder mehrere Sachverständige ihr
Gutachten über den Geisteszustand abgegeben haben. Schon die
Kenntnis dieser gesetzlichen Vorschriften und die Achtung vor
den früheren sachverständigen Gutachten müssten ihn zu einer
gewissen Vorsicht mahnen und ihm zu bedenken geben, dass
unter Umständen seine Aufgabe schwieriger und verwickelter sein
kann, als bei der Einleitung des Entmündigungsverfahrens. Denn
Aentliche Gutachten bezüglich Wiederaufhebung einer Entmündigung. 839
er hat nicht nur in negativem Sinne festzustellen, dass an dem
Untersachten jetzt nicht mehr eine Geisteskrankheit oder Geistes¬
schwäche nachzuweisen ist, infolge deren er seine Angelegenheiten
nicht zu besorgen vermag, sondern er hat auch in positivem Sinne
sich bestimmt dahin auszusprechen, dass der Grund der Ent¬
mündigung in Wegfall gekommen ist. Dies kann er aber nur
ton nach einer genauen Kenntnis des früheren Krankheitszustandes;
es muss daher vor allem dringend empfohlen werden,
niemals ein Zeugnis behufs Einleitung des Wieder¬
aufhebungsverfahrens auszustellen, ehe man sich
nicht durch Einsichtnahme der Akten über den frü¬
heren Erkrankungszustand eingehend informiert hat.
Die Nichtbefolgung dieser einfachen Vorsichtsmassregel führt, wie
das obige Beispiel wiederum zeigt, nicht selten dazu, dass offen¬
bar noch geisteskranken Personen Gesundheitszeugnisse aus¬
gestellt werden. Das Studium der Akten macht darüber klar,
welche Krankheitsform früher vorlag, ob es sich nur um eine
vorübergehende, heilbare Störung oder um einen schweren, nach
allgemeiner Erfahrung länger dauernden und zu Rückfällen neigen¬
den Krankheitszustand handelte; es behütet daher den Arzt davor,
die Angaben des Entmündigten über seine Genesung oder die der
Angehörigen, die oft weniger aus falschem Mitleid als, wie im
nachstehenden Falle, aus Egoismus das Verfahren betreiben, ohne
weiteres zu akzeptieren, veranlasst ihn demgemäss zu einer
schärferen Prüfung des gesamten psychischen Verhaltens und
lässt ihn Remissionen oder Dissimulationen der Krankheitserschei-
nnngen weniger leicht übersehen.
Bekanntlich kann es bei einer nur einmaligen Beobachtung
meist leichter gelingen, eine geistige Störung nachzuweisen, als
die geistige Gesundheit festzustellen. Um letztere bestimmt be¬
haupten zu können, wird niemals eine einzelne, wenn auch länger
dauernde und eingehende Beobachtung genügen, sondern es ist
eine wiederholte, zu verschiedenen Zeiten und unter verschiedenen
Umständen vorzunehmende Untersuchung und eine genaue Ver¬
folgung des gesamten psychischen Gebahrens während eines
längeren Zeitraumes geboten. Der Arzt, der den Entmündigten
nicht schon länger in Beobachtung hatte, sollte sich daher nie¬
mals durch den Antragsteller, seine Angehörigen oder
seinen Rechtsbeistand dazu drängen lassen, auf Grund
einer einmaligen oder kurzen Beobachtung das Zeug¬
nis Uber geistige Gesundheit auszustellen; er sollte
dies immer von einer länger dauernden eingehenden
Prüfung abhängig machen.
Hat sich der Arzt auf diese Weise von der Genesung des
Erkrankten, von der Wiederherstellung seiner früheren psychischen
Persönlichkeit und von dem Wegfalle der Entmündigungsgründe
überzeugt, so soll er dies nicht in einem kurzen lapidaren Satze
aussprechen, sondern er soll auch eingehend das psychische
Verhalten des Entmündigten schildern und seine
Schlussfolgerungen wissenschaftlich begründen; denn
340
Dr. Becker.
nur hierdurch erlangt sein Gutachten einen Wert und die ge-
bohrende Berücksichtigung, wenn es dem Bichter, der die Wieder-
authebung der Entmündigung zu beschlossen und die für die
Ueberzeugung leitend gewesenen Gründe in dem Urteil anzugeben
hat, einerseits eine freie Beweiswürdigung ermöglicht, anderseits
auch ihn von dem Wegfall der Entmündigungsgründe zu über¬
zeugen vermag.
Ich lasse nun nachstehend mein Gutachten im Wortlaute
folgen und möchte nur noch beifügen, dass der Antrag auf Wieder¬
aufhebung der Entmündigung von einem in psychiatrischen Fragen
nicht unbewanderten Rechtsanwälte gestellt war. Bei der späteren
Vernehmung der Entmündigten, wozu ich als Sachverständiger
zugezogen war, hatte ich noch Gelegenheit, durch weitere Fragen¬
stellung und Proben die geistige Schwäche und die leichte Be¬
stimmbarkeit der betreffenden Person dem Amtsrichter darzulegen.
Der Antrag auf Wiederaufhebung der Entmündigung wurde
daraufhin durch Gerichtsbeschluss abgelehnt.
Die Priyatiere N. N., geb. den 4. Februar 1856, welche durch Beschluß
des KgL Amtsgerichtes J. vom 27. Oktober 1893 entmündigt worden ist, hat
unterm 6. April 1901 durch Bechtsanwalt Dr. A. Antrag auf Wiederaufhebang
der Entmündigung gestellt und hat ein Zeugnis des praktischen Arztes Dr. K.
vom 28. Mai 1901 yorgelegt, wonach sie yon ihm untersucht und geistig voll¬
kommen normal befunden wurde.
Zufolge Auftrages des Kgl. Amtsgerichtes München IL habe ich heute
die N. eingehend beobachtet und erstatte hierüber nachstehendes Gutachten:
Die N. gibt auf alle Fragen prompt Antwort, spricht deutlich und laut,
zeigt immer heiteres Temperament und lacht bei jeder Gelegenheit.
Mach ihrer Stellung befragt, gibt sie an, früher in H. bedienstet ge¬
wesen zu sein. Dort habe ihr der Pfarrer von B. zugeredet, sie solle ihr Geld
der Kirche vermachen, sie sei noch jung und ledig und brauche kein Geld;
sie habe aber erklärt, Bie brauche das Geld für sich und gebe keines her.
Anch der dortige Bürgermeister habe verlangt, sie solle 200 Mark für die
Kirche hergeben, das habe sie gleichfalls verweigert; deshalb und weil sie sich
von ihrem JJienstherrn nicht fleischlich benutzen ließ, sei sie bei den Leuten
als eine schlechte Person hingestellt und geschlagen worden, so daß sie krank
war und den Dienst aufgeben mußte. Gegenwärtig stehe sie bei L. in C. in
Dienst und erhalte 8 Mark Lohn im Monat; sie könne waschen, kochen und
putzen. Daß sie entmündigt sei, wisse sie erst seit 6 Jahren. Das hätte es
nicht gebraucht, weil sie ihren Verstand habe, ihre Kleider selber kaufen und
machen lassen könne. Der damalige Amtsrichter habe sie gar nicht gefragt
und habe ihr Geld gleich mit dem ihrer Schwester zusammengetan; letztere
sei damals auch entmündigt worden und später in der Blödenanst< gestorben.
An die Aufhebung der Entmündigung habe sie bisher nicht gedacht, aber ihre
Base (Schwester der Mutter), Frau P. in G., habe ihr zugeredet, die Entmün¬
digung aufheben zu lassen, habe sie auch zum Anwalt geschickt und die
Kosten für denselben vorgeschossen. Die Base habe ihr auch erklärt, das
leide sie nicht, daß es so bleibe wie bisher; sie sei alt genug, könne ja das
Geld zählen und müsse das Geldbüchel selbst in die Hand kriegen; das wäre
ja dumm, wenn das Geld in B. bliebe, das sei überhaupt ein Dreck, daß sie
entmündigt sei. Auch lasse die Base sie nicht mehr fort, denn in B. habe
man sie aushungern wollen, blos um ihr Geld zu bekommen. Eine Vormund¬
schaft brauche sie nicht, denn sie sei schon 46 Jahr alt und wolle sich auf
dem Gericht nicht so dumm anschauen lassen.
Ihr Vermögen bestehe in 4öü0 Mark Geld, einem Kleiderkasten, Klei¬
dern und Schürzen. Wo das Geld angelegt sei, wisse sie nicht, man habe ihr
gesagt, beim Baiffeissen-Verein. Zinsen habe sie noch keine bekommen, die
kämen immer wieder dazu; die Base habe gesagt, es seien 200 Mark Zinsen,
das sei ein schönes Häuf! Geld, wenn man darüber nachdenke. Sie wolle, daß
Aerztliche Gutachten bezüglich Wiederaofhebong der Entmündigung. 841
das Geld Ton J. nach M. komme, und daß sie damit machen könne, was sie wolle;
sie müßte das Büchl selbst in die Hand bekommen, damit sie sich davon Geld
nehmen könne, wenn sie alt sei und nichts verdienen könne. Die Base habe
zu ihr gesagt, so lange sie gesund sei, dürfe sie noch arbeiten, wenn sie aber
krank sei, solle sie nnr zu ihr kommen, sie werde gepflegt, bis sie sterbe, und
bekäme auch die Leiche und den Grabstein bezahlt.
Gefragt, was sie nach Aufhebung der Entmündigung vorhabe, erklärte
sie, sofort ein Testament machen zu wollen: ihrem Bruder vermache sie
200 Mark, mehr nicht; sie sei ihm nicht böse und habe ihm von ihrem Arbeite*
Verdienste nach und nach 60 Mark geschenkt, aber wenn sie kein Testament
mache, bekäme das Geld ihr Bruder, der sei aber verheiratet und brauche es
nicht. Auch der Kirche vermache sie nichts, außer wenn es die Base meinte;
denn das würde diese beleidigen, wenn sie es ohne ihren Willen täte. Aus
ihrem Vermögen sollten außer den 200 Mark für den Bruder die Verpflegungs-
kosten, die Leiche und der Grabstein bezahlt werden, alles übrige solle die
Base bekommen; ihren Bruder gehe das nichts an. Auch wenn dieser sich
bereit erkläre, sie später zu verpflegen, traue sie ihm nicht; sie traue nur der
Base. Heiraten hätte sie schon oft können, oft auch schon reiche Männer,
weil sie zu allen Arbeiten geschickt sei; aber jetzt möge sie nicht mehr, sie
bleibe bei der Base. Wenn sie die Base nicht hätte, wüßte sie nicht, wie sie
leben solle; sie müsse zu ihrem Fortkommen jemand haben.
In gesundheitlicher Beziehung gibt sie an, sich immer wohl und arbeits¬
fähig zu fühlen. Eine schwere Arbeit könne sie nicht verrichten, sie wisse
nicht warum; sie könne nur eine leichte Stolle annehmen. Zum Himmel deu¬
tend erzählt sie lachend, wenn ein Gewitter am Himmel stehe, bekomme sie
Kopfweh und Brechreiz; der Kopf sei wie verschlagen, man glaube es gar
sieht, daß so etwas vorkomme. Bier könne sie nicht vertragen; ein Quartel
gehe noch, aber eine Halbe mache ihr den Kopf heiß und durcheinander.
Auf die Frage, was die Entmündigung bedeutet, antwortet sie, daß man
kein Geld kriege, sich immer erst eines geben lassen müsse und kein Testament
machen dürfe.
Von Zinsen weiß sie nur, daß es 3 und 4°/o gibt, mehr nicht; die Base
hätte gesagt, in M. bekäme sie 4 Prozent. Wieviel 100 Mk. Zinsen tragen,
weiß sie nicht; da stelle sie sich dumm an, das habe sie noch nicht aus¬
gerechnet. Wie viel Zinsen ihr Vermögen ergebe, wisse sie erst recht nicht;
ne habe gehört von 200 Mk., ob es wahr ist, wisse sie nicht; beim Dienen
müsse man arbeiten, da könne man nicht rechnen.
Eine Uhr habe sie einmal gehabt, die habe ihr ein Knecht gestohlen; sie
kaufe sich aber wieder eine. Auf der vorgezeigten Taschenuhr erkennt sie
den großen und kleinen Zeiger, mit dem Sekundenzeiger kennt sie sich nicht
aus. Die Uhr steht auf 10*/* Uhr; sie gibt die Zeit richtig an; nun rücke
ich vor ihren Augen die Zeiger auf 4 Uhr und frage wieder, wieviel Uhr es
jetzt ist. Da fängt sie laut an zu lachen, jetzt sei sie ganz dumm, wie gehe
denn nur diese Uhr, das laufe gerade umeinander, ach Gott, sie sei ein EseL
Sie kann die Zeit nicht ablesen; als ich ihr sage, die Zeiger ständen auf 4 Uhr,
schaut sie ganz erstaunt zum Himmel empor, ob es denn schon so spät sein könne,
sie habe versprochen, um 12 Uhr zu Hause zu sein; der Sohn der B. wolle
mittags fortgehen, nun warte er zu Hause auf sie, da müsse man gerade lachen.
Vorgelegte Geldstücke zählt sie mit Ausnahme eines Talers, den sie
wiederholt für ein Fünfmarkstück erklärt, richtig, unter lautem Lachen und
mit Befriedigung über ihre Geschicklichkeit. Die Base probiere oft das Geld¬
zählen mit ihr und da bringe sie es immer fertig.
Ich lege ihr Briefmarken vor und frage, was das sei; sie sagt, so was
habe sie schon einmal geholt; Wapperln (gemeint sind Invalidenmarken) seien
es nicht, sie stelle sich dumm an, das Wort käme ihr nicht ins Maul. Beim
nennen des Wortes „Briefmarken* ruft sie mit lauter Freude: „Ja, das ist’s
und nit in den Kopf gekommen.“ Den verschiedenen Wert der einzelnen Brief¬
marken kennt sie nicht, alle kosten nach ihr 10 Pfennig.
Ein Eisenbahnbillet erkennt sie nicht; als ich ihr sagte, was das sei,
lachte sie; manchm al sei man gar viel zu dumm, auch wenn man gleich
alles weiß.
Lesen tue sie gerne, wenn ich ihr etwas zum Lesen geben wolle, müsse
842 Dr. Angerer: Die Schularztfrage in besonderer Beziehung
sie lachen, das geniere sie nicht; ans einer Zeitnng liest sie sehr langsam, die
einzelnen Worte bnchstabierend und falsch aassprechend. Beim Bechnen sei
sie auch dabei, das mache ihr nichts, da lache sie dazu. Also 6 + 4 = ?
Antwort: „36“. 7 X 4 = ? Antwort: „76 oder 66“. 6X7 = ? „Wieder 66“.
100 — 10 ? „10“. 12 4-12 = ? „Da muß ich erst studieren, das geht nicht
so geschwind, das maß ich aasrechnen.“ Anfgefordert, das anf dem Papier
ansznrechnen, schreibt sie die Ziffern untereinander, zählt zuerst die Zehner,
dann die Einer znsammen and schreibt hin: „20“. Das Bechnen falle ihr
schwer, aber wenn sie einmal hineinkomme, gehe es schneller. Beim Anfertigen
der beiliegenden Schriftstücke äußert sie, es gehe ihr yon der Hand, besser
als sonst; sie stelle sich überhaupt nicht dumm an.
„Wie heißt der König von Bayern?“ Auf diese Frage antwortete sie,
„das wisse sie nicht, da habe sie nicht aufgepaßt, da müsse sie sich aaslachen
lassen“. Beim Nennen des Prinzregenten meint sie, von dem habe sie schon
einmal gehört, aber auch nicht aufgepaßt; vom Deutschen Kaiser wisse sie
auch nichts. Daß wir in Bayern wohnen, München die Hauptstadt ist, Bayern
einige Kreise hat, jetzt Sommer und der Monat Juni ist, weiß sie; auch das
Vaterunser and einige andere Gebete kann sie hersagen. Die Preise der Lebens¬
mittel gibt sie ungefähr richtig an. In München kenne sie sich gut ans, sie
habe allein den Weg hergefunden and gehe auch allein nach Hanse. Die
Frauentürme, deren Bild ich ihr zeige, sind ihr anbekannt.
Aas vorstehenden Beobachtungen ergibt sich mit Sicherheit,
dass die N. an einem beträchtlichen Grade von Schwachsinn leidet.
Derselbe ist nicht gerade so hochgradig, dass sie nicht die Stelle
einer bäuerlichen Dienstmagd versehen und sich in einer solchen,
keine besondere geistige Tätigkeit erfordernden Stellung gut fort¬
bringen könnte. Jedoch steht sie hinsichtlich ihrer geistigen
Fähigkeiten weit hinter den Bauerntöchtern und Dienstboten
zurück. Ihre Interessen sind nur den nächsten Bedürfnissen zu¬
gewendet und in ihrer Gehirntätigkeit werden nur die einfachsten
Begriffe verarbeitet, ihre Schulkenntnisse stehen auf niederster
Stufe. Ihre Beziehungen zur Aussenwelt haben sich bisher ein¬
fach gestaltet; grösseren Anforderungen, insbesondere auch schon
solchen, wie sie an städtische Dienstboten gestellt werden, würde
sie nicht gewachsen sein. Insbesondere erscheint sie auch nicht
befähigt, ihre pekuniären Angelegenheiten selbständig und richtig
zu führen und ihre Interessen wahrzunehmen. Dabei ist auch zu
beobachten, dass ein Nachteil nicht sowohl aus ihren selbst¬
gewollten Handlungen als aus ihrer leichten Bestimmbarkeit und
hierdurch ermöglichten Ausbeutung erwachsen kann. Demgemäss
geht das Gutachten dahin, dass die Gründe, welche die frühere
Entmündigung veranlassten, nicht in Wegfall gekommen sind, und
dass die N. infolge von Geistesschwäche ihre Angelegenheiten
nicht zu besorgen vermag.
Die Schularztfrage in besonderer Beziehung zur amtlichen
Tätigkeit der Bayer. Bezirksärzte.
Von Dr. Ernst Angerer, königl. Bezirksarzt in Weilheim i. Oberbayern.
Seit einer Reihe von Jahren macht sich in allen Kultur¬
staaten eine mächtige Bewegung zu einer ausgedehnteren Be¬
tätigung der Schulhygiene bemerkbar. Diese Bewegung hat
ihren Ursprung sicherlich nicht darin, dass die hygienischen Ver-
zur amtlichen Tätigkeit der Bayerischen Bezirksärzte.
343
hältnisse unserer Schulen sich verschlechtert haben, sondern zu¬
nächst darin, dass mit der Zunahme und Ausbildung der medi¬
zinischen Wissenschaft die Erkenntnis der Krankheitsursachen
und damit die Anforderungen an die Hygiene sich bedeutend ge¬
steigert und vermehrt haben.
Der erste internationale Kongress für Schulhygiene, der unter
ausserordentlicher Anteilnahme aller Kulturstaaten im verflossenen
Jahre in Nürnberg tagte, hat die überraschende Tatsache zur
allgemeinen Kenntnis gebracht, dass diese Bewegung in ausser-
deutschen Ländern schon viel grössere und bedeutendere Erfolge
erzielt hat; sie hat insbesondere gezeigt, dass Staaten, welche man
erst seit kurzer Zeit zu den Kulturstaaten zu zählen berechtigt
ist, in schulhygienischer Hinsicht die grössten Erfolge zu ver¬
zeichnen haben.
In Bayern ist die ärztliche Beaufsichtigung der Schule schon
seit langer Zeit behördlich angeordnet. So bestimmt bereits das
organische Edikt vom 8. September 1808, dass die Gerichtsärzte
auf die Schule eine besondere Aufmerksamkeit zu richten haben.
Diese generelle Bestimmung über ärztliche Schulaufsicht wurde im
Laufe der Zeit durch eine Reihe weiterer Verordnungen und
Ministerialentschliessungen ergänzt, welche alle teils die Hygiene
des Schulhauses, teils die Hygiene der Schüler betreffen. In der
Ministerialentschliessung vom 16. Januar 1867, „Gesundheitspflege
in den Schulen betreffend“, ist dann in einer für die damalige
Zeit geradezu überraschenden Vollständigkeit das geschaffen worden,
was man jetzt an anderen Orten als Dienstanweisung für beson¬
ders angestellte Schulärzte aufgestellt hat. Die Entschliessung
beginnt mit folgenden Worten:
„Es ist eine unleugbare Tatsache, dass der Aufenthalt in der Schule bei
dem verstärkten Umfange der Lehrgegenstände und bei dem fttr die Aneignung
derselben erforderlichen größeren Zeitaufwande nicht selten auf die körperliche
Entwicklung und Ausbildung, sowie auf die Gesundheit der Schuljugend einen
nachteiligen Einfluß ausübt. Um den bestehenden Mängeln und Gebrechen ab-
mhelfen und die wünschenswerte Verbesserung herbeizuführen, sieht sich das
unterfertigte Staatsministerium zu folgenden allgemeinen Anordnungen veranlaßt“.
Es folgen nun genaue Vorschriften über die zweckmässige
bauliche Aufführung von Schulhäusern, über Beleuchtung, Be¬
heizung und Lufterneuerung in den Schulzimmern, über die Kon¬
struktion und Stellung der Schulbänke und der sonstigen Ein¬
richtungsgegenstände, sowie über die Herstellung geeigneter Ab¬
ortanlagen.
Es wird besonders angeordnet, dass über die bis jetzt an¬
geführten Punkte die König!. Bezirksärzte die etwaigen Gebrechen
in Banitätspolizeilicher Beziehung den zuständigen Lokalbehörden
zur geeigneten Abhilfe oder, wenn diese eine solche Abhilfe zu
leisten nicht imstande sein sollten, den Königl. Kreisregierungen zur
angemessenen Verfügung zur Anzeige bringen sollen. Es wurde
weiter angeordnet, dass bei Errichtung neuer oder bei Erweiterung
nnd Reparatur bereits bestehender Schulhäuser die Bezirksärzte
den Anforderungen der Gesundheitspflege eine vorzügliche Auf¬
merksamkeit zu widmen haben und stets mit ihren Erinnerungen
844 Dr. Anger er: Die Schol&ntfr&ge in besonderer Bestehung
hiezu zu yernehmen sind. Zu diesen Untersuchungen soll auch ein
gehörig 'gebildeter Bautechniker zugezogen werden, der dem
Bezirksarzt mit seinen Kenntnissen und Erfahrungen zur Seite
zu stehen hat.
Ausser diesen bauhygienischen Vorschriften sind auch Be¬
stimmungen getroffen über Reinigung und Ueberfüllung der Schul¬
klassen, gesundheitsgemässe Bekleidung der Schiller, über
ärztliche Beurteilung zum Schulbesuche körperlich und geistig
noch nicht reifer Kinder, dann über angemessene Steigerung des
Unterrichtes, Vermeidung der Ueberanstrengung der Kinder, ge-
sundheitsgemäs8e Körperhaltung derselben, Vorschriften zur Scho¬
nung der Augen, Vorschriften über körperliche Uebungen, Turnen,
Gartenbeschäftigung, Schülerausflöge. Zusammengefasst enthält
also die Ministerialentschliessung vom 16. Januar 1867 allgemeine
Vorschriften über die Hygiene des Schulhauses, über die Hygiene
der einzelnen Schüler, über die Hygiene des Unterrichtes — genau
das Programm, wie es jetzt an anderen Orten für die Dienstleistung
neu geschaffener Schulärzte aufgestellt worden ist.
Ueber die Ausführung dieser Vorschriften enthält der Schluss¬
satz der Entschliessung noch eine besondere Bestimmung in
folgenden Worten:
„Das unterfertigte Staatsministeriom vertrant dem Pflichteifer and der
Einsicht der Schulbehörden and Lehrer, daß sie die körperliche nicht minder
wie die geistige Pflege der ihnen an vertrauten Jugend zum Gegenstände ihrer
unausgesetzten Sorgfalt machen und gewissenhaft bestrebt sein werden, den
hier im Interesse des körperlichen Wohles und der Gesundheit der Jagend
gegebenen Anordnungen in jeder Beziehung nachzukommen.“
Mit diesen Schlussworten wird auch den Lehrern und Schul¬
vorständen eine unausgesetzte hygienische Ueberwachung der
Schüler zur Pflicht gemacht.
Aus diesen Schiassworten will man 'auch heute noch von
einer gewissen Seite für den Lehrer die Pflicht ableiten, die
hygienischen Verhältnisse der Schule zu überwachen, verbindet
mit dieser Pflicht von selbst auch das Können des Lehrers und
behauptet, dass eine besondere schulärztliche Aufsicht weder
notwendig, noch geboten sei. Für die damalige Zeit war man
gewiss berechtigt, hinsichtlich wissenschaftlich hygienischer Kennt¬
nisse Lehrer und Arzt nahezu auf die gleiche Stufe zu steUen.
Heutzutage aber verlangt die Durchführung einer rationeUen
Schulhygiene umfassende Untersuchungsmethoden und gediegene
Spezialkenntnisse in der Hygiene, welche nur durch eingehendes
Studium der gesamten Medizin erworben werden können. Die
meisten hygienischen und sanitären Uebelstände können ziemlich
sicher durch eine verständige Beaufsichtigung der Schule und
der Schüler sowie durch richtige Verwendung geeigneter Vor¬
kehrungen behoben und ferngehalten werden. Die rasche und
entsprechende Wahl dieser Mittel setzt* jedoch eine richtige Er¬
kenntnis und Beurteilung der zu bekämpfenden [und abzustellenden
Gebrechen und Mängel voraus.
Nun beginnen die schädlichen Einflüsse der Schule nicht sofort,
nir amtliehen Tätigkeit der Bayerischen Bezirksinte.
846
sondern häufig erst sehr spät; Gesundheitsstörungen sind für den
Laien auch nicht immer leicht und rasch erkennbar, namentlich,
wenn sie sich langsam entwickeln und in ihren ersten Erscheinun¬
gen nur unmerklich und schleichend zu Tage treten. Es gehört
oft ein umfassendes technisches Wissen dazu, den Zusammenhang
derselben mit bestimmten äusseren Einflfissen nachzuweisen und
zu deuten. Einer Betätigung der Schulhygiene nach solchen Ge¬
sichtspunkten steht aber die grosse Mehrzahl der Lehrer kennt¬
nislos gegenüber. Dieses Wissen sowie die unerlässliche prak¬
tische Erfahrung besitzt nur der Arzt. — Es wird jedoch später
noch erörtert werden, dass der Lehrer den fflr die Schulhygiene
aulgestellten Arzt in seiner Tätigkeit unterstützen muss, dass
dieser Arzt nur unter Mithilfe des Lehrers seine schulärztliche
Tätigkeit zur vollen Wirksamkeit entfalten kann. Auch dieser Ge¬
sichtspunkt ist in der angezogenen Ministerialentschliessung zum
Ausdruck gebracht in der Weise, dass Arzt, Lehrer und Schulvor¬
stand als die berufenen Förderer und Wächter der Schulgesund¬
heitspflege gemeinsam aufgestellt wurden.
Es soll zunächst untersucht werden, inwieweit die amtlichen
Aerzte — die Bezirksärzte — im Sinne obiger Entschliessung
sich bisher an der Ausführung dieser schulhygienischen Vorschriften
beteiligt haben und mit welchem Erfolge. Weiterhin soll unter¬
sucht werden, ob die bis heute erlassenen amtlichen Bestimmungen
auch jetzt noch den Anforderungen der Schulhygiene entsprechen;
desgleichen, ob die Ausführung derselben durch die hierzu ver¬
pflichteten Bezirksärzte geschehen kann, oder ob hierzu besondere
Schulärzte erforderlich sind.
L Die bisherige Tätigkeit des Bezirksarztes in der
Schulhygiene: Neben den grundlegenden und allgemeinen
Bestimmungen des organischen Ediktes vom£8. September 1808
und der Ministerialentschliessung vom 16. Jauuar 1867, die Gesund¬
heitspflege in den Schulen betreffend, haben noch eine Reihe be¬
sonderer Verordnungen den Bezirksärzten spezielle Verpflichtungen
in der Handhabung der Gesundheitspflege in den Schulen auferlegt,
die sich nicht nur auf die allgemeine Hygiene des Schulhauses,
sondern auch auf die Hygiene des Schülers und die Hygiene des
Unterrichtes erstrecken. Die Haupttätigkeit des^ Bezirksarztes
in der Ausübung der Schulhygiene bestand jedoch bisher lediglich
in der Abgabe seines Gutachtens bei neu zu erbauenden Schul¬
häusern; er wurde hierzu amtlich aufgefordert und hatte in erster
Linie den Bauplatz, dann den Baugrund^, für das"'zu erbauende
Schulhaus zu besichtigen und weiter ein sachverständiges
Gutachten über die Baupläne sowie” späterhin] über die zweck¬
mässige Einrichtung des Schulhauses abzugeben. Nach Fertig¬
stellung des Neubaues musste er denselben nochmals besichtigen,
sich darüber äussern, ob das Haus in hygienischer Hinsicht dem
Plane entsprechend gebaut und ob es soweit ausgetrocknet sei,
dass dasselbe seiner Bestimmung^ ohne Schaden für die Gesund¬
heit nnn übergeben werden könne. Nach dieser Richtung haben
stattliche Bezirksärzte ihre Fachkenntnis zweifellos mit vielem
346 Dr. Angerer: Die 8chul&rztfrage in besonderer Beziehung
Erfolge zur Anwendung gebracht; es wird kaum ein neugebantes
Schalhaus bestehen, bei welchem nicht die Bezirksärzte den ban-
hygienischen Anforderungen mit Erfolg Rechnung getragen haben.
Eine weitere Tätigkeit bestand darin, dass die Bezirksärzte,
wenn sie gelegentlich eines anderen Dienstgeschäftes, z. B. Impfung
oder Untersuchung eines gemeingefährlichen Geisteskranken usw.
in die Gemeinde kamen, dann auch dem Schulhause einen Besuch
abstatteten und hierbei die allgemeinen sanitären Verhältnisse
desselben einer Besichtigung unterzogen. Um den Unterricht nicht
zu stören, wählte man zu solchen Besichtigungen in der Regel
eine Zeit, wo gerade kein Unterricht gegeben wurde. Man besah
sich das Lehrzimmer, dessen Reinlichkeit, kontrollierte, ob eine
VentilationsVorrichtung vorhanden und im brauchbaren Znstande
war, besah sich den Ofen und die Schulbänke, nahm das räumliche
Ausmass der Schulzimmer vor und notierte sich die Anzahl der
in diesem Schulzimmer untergebrachten Kinder. Man frag auch,
wie viele Schüler dermalen krank seien und an welchen Krank¬
heiten. Dann besichtigte man den Abort, auch den Brunnen und
schliesslich die Lehrerwohnung. Die sanitären Missstände wurden
entweder in gesondertem Berichte oder als Gegenstand des Jahres¬
berichtes dem Königl. Bezirksamte oder der Königl. Kreisregierung
mitgeteilt; doch musste man sich bei einer späteren Besichtigung
überzeugen, dass die beregten Missstände nur selten beseitigt
waren, sondern in der gleichen Weise fortbestanden. Die Nicht¬
beseitigung der Beanstandungen hat den Bezirksärzten das
Interesse an der Schulhygiene nicht erhöht, zumal wenn es sich
um Missstände handelte, die für die Gesundheit grosse Gefahren
bedeuteten, deren Beseitigung aber mit ganz geringen Geldmitteln
hätte erfolgen können. Besichtigte man einmal eine Schule während
des Unterrichtes, so war der Bezirksarzt entsetzt über die schlechte
Haltung der Kinder, welche zum Teil durch vollständig unge¬
eignete, der Körpergrösse des Kindes nicht im entferntesten an¬
gepasste Subsellien verursacht wurde; man machte dem Lehrer
Vorstellungen über die herrschende Unreinlichkeit in der Schule,
die schlechte Luft und übergrosse Wärme in den Schulzimmern.
Die Entgegnungen des Lehrers Hessen erkennen, dass auch er
mit diesen Zuständen nicht einverstanden, aber gegen dieselben
ebenso machtlos war als der Bezirksarzt.
Man bekam in allen Schulen den Eindruck, dass der Lehrer
zunächst über den als zwecklos angesehenen, nur störenden Besuch
nicht erfreut war, und dass er nur das eine Bestreben hatte, die
Kinder mit dem vorgeschriebenen Lehrplan in Einklang zu bringen.
Hin und wieder nahm ein Lehrer Gelegenheit, dem Bezirksarzt
einen Schüler zu zeigen, der dem Bestreben, ihn mit dem Lehr¬
plan in Einklang zu bringen, den grössten Widerstand entgegen¬
setzte und der dem Lehrer bei der Prüfung jedenfalls kein Lob
von der Schulbehörde eingetragen hatte. Schon die Augenfällig¬
keit körperlicher Abnormitäten überzeugte den Arzt, dass man es
hier mit einem schwach begabten, geistig minderwertigen Kinde
zu tun hatte; doch was konnte der Bezirksarzt hier ändern, solange
rar amtlichen Tätigkeit der Bayerischen Bezirksamts. 847
er nicht die Berechtigung besass, den Schulvorständen ein ausschlag¬
gebendes Urteil darüber abzugeben, wie weit dieser Schüler im
Lehrplan gebracht werden kann und darf. Mit bedauerndem
Achselzucken überliess man den Lehrer und seinen schwachsinnigen
Schüler der ferneren Zukunft.
Alle diese Schulbesichtigungen wurden wie gesagt in der
Begel nur gelegentlich anderer Dienstgeschäfte ausgeführt; sonstige
Scholen wurden nur besucht, soweit sie am Wohnsitze des Amts¬
arztes oder doch in nächster Nähe desselben sich befanden, so
dass sie ohne besonderen Zeitverlust und ohne besondere Kosten
erreicht werden konnten; denn für beides erhält der Bezirksarzt
keine Entschädigung,.wenn er zur Besichtigung nicht einen direkten
amtlichen Auftrag hat. Es gibt deshalb in jedem Bezirke Schulen,
die mangels eines durch besondere Verhältnisse veranlassten Auf¬
trages Dezennien hindurch einer amtsärztlichen Besichtigung nicht
unterzogen worden sind. Vielfach haben Bezirksärzte einmal
während ihrer Amtstätigkeit in einem Bezirke ohne speziellen
amtlichen Auftrag auf ihre eigenen Kosten, lediglich um einen
Gesamtüberblick über die Schulen ihres Bezirks zu erhalten, die
sämtlichen Schulen desselben einer genaueren amtsärztlichen Be¬
sichtigung unterstellt und diese höchst anerkennenswerten, Opfer
an Zeit und Geld erfordernden Untersuchungen mehrfach schon
veröffentlicht (Tischler, Waibel, Dreyfuss). Alle diese Unter¬
suchungen hatten das gemeinsame Ergebnis, dass die Schulen auf
dem Lande insgesamt den Anforderungen der Gesundheitspflege
nicht entsprechen; Dreyfuss-Kaiserslautern schliesst seinen
Bericht über die von ihm angestellten Schuluntersuchungen im
Bezirksamtssprengel Kaiserslautern mit folgenden Worten:
„Ans den zahlreichen Mängeln, die wir konstatierten, geht zweifellos
hervor, daß auch die ländlichen Volksschalen einer hygienischen beständigen
Aufsicht nicht weniger bedürfen als die städtischen, und daß darum von ärzt¬
licher Seite mit allem Nachdruck die Forderung erhoben werden muß nach
ländlichen Schulärzten“.
Soweit die Verhältnisse auf dem Lande.
Inwieweit sich die Bezirksärzte in den grossen Städten mit
der Hygiene der Volksschulen beschäftigen, ist mir aus eigener
Erfahrung nicht bekannt. Meine Erkundigungen hierüber haben
jedoch ergeben, dass angesichts der vielen Schulen die Tätigkeit
der Bezirksärzte dort noch eine geringere ist, als auf dem Lande.
Sie beschränkt sich ebenfalls zunächst auf die hygienische Begut¬
achtung der Pläne der Neubauten und auf die Schliessung bezw.
Wiedereröffnung der Schule bei epidemischer Ausbreitung an¬
steckender Kinderkrankheiten.
Durch die MinisterialentschlieBsnng vom 25. Juli 1898 wurde
den Amtsärzten auch zur Pflicht gemacht, die Mittelschulen
und Internate bei denselben alljährlich auf Einladung des
Anstaltsvorstandes einer gründlichen amtsärztlichen Besichtigung
zu unterziehen. In grossen Städten, wie z. B. München, mit der
grossen Anzahl von Mittelschulen und Internaten sind die Bezirks¬
ärzte mit der alljährlichen Besichtigung aller dieser Schulen und
Anstalten so sehr in Anspruch genommen, dass für eine schul-
848
Dr. Angerer: Die Schalarztfrage in besonderer Beziehung
hygienische Tätigkeit in den Volksschulen wohl nicht viel Zeit mehr
zur Verfügung steht, jedenfalls nicht mehr soviel Zeit, um bei
der noch erheblich grösseren Anzahl von Volksschulen etwas Er-
spriessliches leisten zu können. Doch auch hier kann ein besonderer
Erfolg noch nirgends diesen Besichtigungen zugeschrieben werden,
schon mit Rücksicht auf den Inhalt der Entschliessung, welche
besagt, dass der Zweck einer intensiveren, amtsärztlichen Mitwir¬
kung nicht der sein soll, offenkundige, der Unterrichtsverwaltung
längst bekannte Mängel immer wieder zu erörtern, sondern dass
nur angestrebt werden soll, mit den gegebenen Mitteln eine tun¬
lichste Besserung der sanitären Missstände herbeizuführen. Es
ist nun allgemein bekannt, dass gerade in den Mittelschulen und
den damit verbundenen Internaten die gröbsten sanitären Missstände
vielfach vorhanden sind, zu deren Beseitigung die gegebenen
Mittel niemals ausreichen können; die Pflicht des Amtsarztes kann
hier nur darin bestehen, die Missstände immer wieder und so lange
zu erörtern, bis deren Beseitigung erfolgt ist.
n. Welche Anforderungen stellt gegenwärtig die
Gesundheitspflege an die Schnle ? Mit der zunehmenden
Entwicklung der wissenschaftlichen Hygiene und ihrer praktischen
Anwendung auf alle Verhältnisse des Lebens wurde auch die
Schule in das Arbeitsprogramm der Gesundheitslehre eingefügt
und bald gelangte der jüngste Zweig dieser Wissenschaft, die
Schulhygiene, zu einer ganz besonderen Bedeutung. Mehrfach
stellten sich die Aerzte der Schulhygiene zur Verfügung, umfang¬
reiche Massenuntersuchungen von Schulkindern förderten nie ge¬
ahnte Zustände nach der Richtung zu Tage, dass ungeeignete
hygienische Verhältnisse des Schulhauses und des Schulbetriebes
tatsächlich empfindliche Störungen der Gesundheit der Schüler
veranlassen können. Schon im Jahre 1869 gab der Altmeister
Virchow in seiner Broschüre „Ueber gewisse, die Gesundheit
benachteiligende Einflüsse der Schule“ als erster den Anstoss
zu weiteren und nachprüfenden derartigen Untersuchungen.
Die im Jahre 1880 folgende Veröffentlichung des Breslauer
Ophthalmologen Cohn über seine gründlichen und umfangreichen
Augenuntersuchungen Breslauer Schulkinder interessierten auch
weitere Kreise für die Ergebnisse derartiger Untersuchungen.
Seit dieser Zeit sind eine Reihe solcher Arbeiten veröffentlicht
worden, welche unzweifelhaft bewiesen haben, dass die Schule
grosse Gefahren für die Gesundheit und die Entwicklung der
Kinder mit sich bringen kann. Mittlerweile sind aber die For¬
schungsergebnisse der Hygiene nicht mehr Alleingut der Aerzte
geblieben; die Lehrsätze der Gesundheitspflege haben sich immer
mehr mit dem täglichen Leben verknüpft und zusehends das
allgemeine Interesse erweckt; deshalb stellen jetzt nicht mehr die
Aerzte allein, sondern auch die Lehrer und Schulvorstände und
nicht zuletzt die gebildeten Eltern schulpflichtiger Kinder an die
Schule besondere hygienische Anforderungen. Ganz allgemein
erhebt sich der Ruf nach einer ausgedehnteren und regelmässigeren
sor amtlichen Tätigkeit der Bayerischen Bezirkeinste. 848
schalärztlichen Aufsicht, nach einer Mitwirkung hygienisch ge¬
bildeter Sachverständigen im Schulbetriebe. *
Fast in allen modernen Eulturstaaten besteht die gesetzliche
Pflicht für die Eltern, ihren Kindern eine entsprechende Schulbil¬
dung zu verschaffen und zwar ist unter dieser Schulbildung der¬
malen derjenige Unterricht und diejenige Erziehung zu verstehen,
▼eiche die Volksschule gibt, zu deren Besuch der Staat einen gesetz¬
lichen Zwang ansübt. Als Folge dieses Zwanges besuchen nahezu
alle Kinder diese Schule, nur ein minimaler Teil erhält den gleichen
Unterricht in Instituten oder durch privaten Unterricht. Nachdem
die Kinder durch den gesetzlichen Schulzwang zu länger dauerndem
Aufenthalte in dem Schulhause gezwungen werden, erwächst der
Schulbehörde die verantwortliche, wenn nicht geradezu gesetzliche,
so doch ethische Verpflichtung, dafür Sorge zu tragen, dass dieses
Hausmit seinen Einrichtungen keine Misstände aufweist, welche
der Gesundheit und der körperlichen Entwicklung der Kinder Schaden
zufflgen können. Die Schulbehörde hat die Pflicht, derartige
Missstände abzustellen, und die Eltern müssen eine diesbezügliche
Verpflichtung der Schulbehörde umsomehr verlangen, als ihre
Kinder, noch unmündige Personen, die in diesen Missständen
liegenden Gefahren für ihre Gesundheit nicht selbst erkennen
können, sich derselben aber, auch wenn'sie die Erkenntnis der
Gefahr für die Gesundheit besitzen würden, in Folge des Schul¬
zwanges nicht entziehen können.
Mit Rücksicht darauf muss die Gesundheitspflege an die
Schule generelle und spezielle oder individuelle Anforderungen
stellen. Die ersteren beziehen sich auf die gesundheitlichen
Interessen der Gesamtschule, d. h. deren wesentlichen Komponenten,
der Schülerschaft und der Lehrerschaft; die letzteren be¬
ziehen sich auf die Interessen des Einzelschülers und Einzel-
lehren hinsichtlich gesundheitlicher Fragen, soweit sie mit der
8chule und dem Unterricht verknüpft sind.
Eb ist allgemein bekannt, welch nachteiligen Einfluss auf die
Gesundheit das Bewohnen eines ungesunden Hauses mit sich bringt,
es muss deshalb bei Erbauung eines Schulhauses auf all
das Rücksicht genommen werden, was den Bau zu einem gesund-
heitsgemä88en gestalten wird. Es ist nicht nur der Bauplatz,
und der Baugrund nach den Regeln der Gesundheitslehre zu be¬
urteilen, auch die Bauweise, die Baumaterialien, der Bauplan
sind mit Rücksicht auf die Hygiene und mit dieser in Rück¬
sicht auf den besonderen Zweck und die zu erwartende Fre¬
quenz dieses Hauses geeignet auszuwählen und zu bestimmen
(Situation und Orientierung des Hauses). In gleicher Weise ist
die Einrichtung des Hauses, die Anlage des Abortes und die Be¬
schaffung des Trinkwassers den hygienischen Anforderungen ent¬
sprechend zu gestalten. Werden alle diese Anforderungen der
Hygiene bei dem Baue des Schulhauses berücksichtigt, so wird
dasselbe als ein gesundes Schulhaus zu bezeichnen sein und als
solches der Gesundheit der Kinder nicht schaden können voraus¬
gesetzt, dass die zur Erwärmung, Lufterneuerung, Beleuchtung
360 Dr. Angerer: Die Schalarztfrage in besonderer Beziehung
and Reinhaltung' geschaffenen Vorrichtungen der Hygiene ent*
sprechend in St£nd gehalten and die in dieser Hinsicht gegebenen
Vorschriften genau befolgt werden.
Nicht alle Schulkinder sind aber in solchen, nach den neuesten
Forschungsergebnissen der Hygiene gebauten, eingeteilten und
eingerichteten Schulhäusern untergebracht; die grosse Mehrzahl *)
von Schulkindern sitzt noch in Schulzimmern, welche diesen
Anforderungen durchaus nicht entsprechen und Missstände auf-
weisen, welche die Gesundheit der Kinder direkt zu schädigen ver¬
mögen. Auch an die schon bestehenden Schulhäuser muss die
Gesundheitspflege die gleichen Anforderungen stellen, wenn anch
hier in bezug auf die Anpassung an die Forderungen der Ge-
sundheitslehre die finanzielle Leistungsfähigkeit der Schulgemeinde
in betracht zu ziehen ist. Das Interesse der Gesundheitspflege
verlangt diesen Schulhäusern gegenüber die Fesstellung der vor¬
handenen sanitären Missstände und die, wenn auch allmähliche
Beseitigung derselben. Bis zur Besserung der dringlichsten Mängel
muss immer auf das Gesundheitsschädliche derselben hingewiesen
und insbesondere durch Aufklärung und Belehrung der massge¬
benden Personen dahin gewirkt werden, dass das Gesundheits¬
schädliche eingesehen und dann aus eigenem Antriebe beseitigt wird.
Für den einzelnen Schüler ist hinsichtlich der Schul¬
gesundheitspflege folgendes zu berücksichtigen: Zunächst muss
festgestellt werden, in welchem Zustande der körperlichen und
geistigen Entwicklung der Schüler in die Schule eintritt. Diese
Feststellung muss verlangt werden, damit für schon beim Schul¬
eintritt bestandene Gebrechen und Leiden nicht später einmal der
Schulbesuch angeschuldet und zur Verantwortung gezogen werden
kann. Die beim Eintritt in die Schule festgestellten Gebrechen
erheischen weitere Fürsorge nach 3 Richtungen: erstens müssen
sie dem Schulbetriebe angepasst werden, dann muss Sorge ge¬
tragen werden, dass sie die Mitschüler nicht gefährden und end¬
lich dürfen sie durch den Schulbesuch nicht verschlimmert, sondern
sollten gebessert werden. Hier das richtige vorzukehren, kann
nur Sache des Arztes sein.
Aber nicht nur die neu eintretenden Schulkinder sollen hin¬
sichtlich ihrer Gesundheitsverhältnisse beachtet werden, auch die
älteren Schüler verlangen nach dieser Richtung eine gewisse
Fürsorge. Zunächst wird es sich um die eigentlichen Schulkrank¬
heiten handeln, um Gebrechen und Störungen, welche im Schul¬
betriebe ihre veranlassende Ursache haben; aber auch die anderen
Krankheiten der Schüler, welche nicht direkt durch den Schul¬
besuch entstanden sind, verlangen eine gewisse sachverständige
Beachtung nicht allein im Interesse der Gesundheit des einzelnen
Schülers, sondern auch im Interesse der übrigen Schüler, ja der
Allgemeinheit.
Dass die Gesundheitspflege hinsichtlich der Reinigung und
Reinhaltung der Schulzimmer weitgehende Anforderungen
‘) Siehe Seite 847.
zur amtlichen Tätigkeit der Bayerischen Bezirksärzte. 351
stellen muss, ist selbstverständlich; denn die Reinlichkeit, die
möglichste Beseitigung des gefährlichen Schulstaubes ist von
grösster Bedeutung für die Gesundheit der Schulkinder. Die jetzt
in den Schulen bestehenden Reinigungsarten entsprechen durchaus
nicht den Anforderungen der Gesundheitslehre. Es muss tägliche
feuchte Reinigung des Fussbodens und der Einrichtungsgegen¬
stände verlangt werden, wenn man den Staub auch wirklich ent¬
fernen und nicht nur, wie dies beim Kehren der Fall ist, dislozieren
wilL Wie schon oben bemerkt, muss auch die Erwärmung des
Schulzimmers und insbesondere die Lufterneuerung den Anfor¬
derungen der Gesundheitslehre jederzeit entsprechend eingerichtet
sein und auch gehandhabt werden.
Die Gesundheitspflege hat auch bestimmte Anforderungen an
die Gesundheit des Lehrers und der Lehrerfamilie zn
stellen; es ist für die Gesundheit der Kinder selbstredend höchst
gefährlich, wenn der Lehrer selbst an einer übertragbaren Krank¬
heit leidet und mit dieser noch seinen Beruf ausübt. Die jüngst
erschienene Todesanzeige eines an Lungenschwindsucht ver¬
storbenen Volksschullehrers, der, wie es in der Anzeige hiess,
trotz seines schweren Leidens bis kurz vor seinem Tode seine
Berufspflichten erfüllte, kann als eine schwere Anklage für die
betreffenden Schulbehörden gelten. Auch dieser Fall beweist,
wie notwendig eine intensivere ärztliche Mitwirkung in der Schule
gefordert werden muss. Ebenso sind übertragbare Krankheiten
in der Lehrerfamilie zu beachten und zu fordern, dass zur Ver¬
hinderung der Uebertragung einer in der Lehrersfamilie bestehen¬
den ansteckenden Krankheit der Lehrersfamilie ein gesonderter,
getrennter Eingang zur Verfügung steht, falls die Lehrer wohnung
sich im Schulhause befindet.
Eine weitere allgemeine Forderung der Schulhygiene besteht
noch darin, dass der zur Handhabung derselben verpflichtete Arzt
jode Gelegenheit, insbesonders die Lehrerkonferenzen des Be¬
zirkes dazu benützt, durch geeignete Vorträge, durch Besprechung
praktischer Fälle die Kenntnisse des Lehrers in der Hygiene zu
erweitern und dessen Interesse für die Schulhygiene zu wecken
nnd zu erhalten.
Mag sich die ärztliche Schulaufsicht noch so ausgedehnt
gestalten, eine Reihe für die Gesundheit der Schüler höchst be¬
deutsamer -Verhältnisse kann nur der Lehrer beachten, kann nur
der Lehrer so gestalten, dass sie den Ansprüchen der Gesund¬
heitslehre entsprechen, vor allem die Lufterneuerung und die
Reinigung. Was die Reinigung betrifft, so kann diese der Lehrer,
such wenn er wollte, solange nicht den hygienischen Anforderungen
entsprechend gestalten, als er resp. seine Angehörigen und sein
Dienstpersonal hierzu verpflichtet sind. Erst wenn die Reinigung
besonderen, von der Schulgemeinde aufgestellten und von ihr be¬
zahlten Personen übertragen sein wird, wird der Lehrer auf die
notwendige Reinigung dringen und sie auch in seinem Schulzimmer
erreichen können. Was aber Heizung und Ventilation betrifft,
so überzeugt der erste Besuch in einer Schule, dass noch nicht
862 Dr. Angerer: Die Schalarztfrage in besonderer Beziehung
alle Lehrer von der Bedeutung einer gesunden Atmungsluft für
die Erhaltung der Gesundheit genügend unterrichtet sind; denn
sonst würden sie schon aus eigenstem Interesse für eine andere
Luftbeschaffenheit sorgen, als wie sie uns beim Betreten eines
Schulzimmers gewöhnlich entgegentritt.
Zum Schlüsse muss noch der Wunsch ausgesprochen werden,
dass die Ministerial-Entschliessung vom 16. Dezember 1875, welche
vorschreibt, dass zu den Sitzungen der Ortsschulkommission,
in welchen Fragen der Gesundheitspflege behandelt werden, der
Amtsarzt einzuladen sei, um mit Sitz und Stimme beizuwohnen,
auch wirklich in Vollzug gesetzt wird, was bisher noch nirgends
je der Fall gewesen ist.
Wenn wir das bisher Gesagte in Zusammenhalt setzen mit
dem, was die in Bayern erlassenen Vorschriften über die Betätigung
der Schulgesundheitspflege anordnen, so können wir sehen, dass
wir tatsächlich in Bayern seit langer Zeit schon eine den An*
forderungen der Neuzeit nahezu genügende Dienstanweisung für
schulärztliche Tätigkeit besitzen, dass aber die Ausführung
dieser Dienstanweisung durch die hierzu amtlich verpflichteten
Bezirksärzte niemals und nirgends dem Sinne der erlassenen
Vorschriften und auch nicht den Ansprüchen der modernen Schul*
hygiene entsprochen hat.
Wer soll nun die Ausführung dieser für die Schulhygiene
erlassenen Bestimmungen besorgen P Ist der durch Verordnung
hierzu verpflichtete Bezirksarzt dazu imstande, oder ist es not¬
wendig, dass hierfür besondere Aerzte, Schulärzte aufgestellt werden P
Wenn man nur die Bestimmung der Ministerial-Entschliessung
vom 16. Januar 1867 über die Gesundheitspflege in den Schulen
berücksichtigt, so ist die Ausführung der dort angeführten An¬
ordnungen auch nur dann möglich, wenn sämtliche Schulen ohne Aus¬
nahme regelmässig in gewissen Zeitabschnitten einer eingehenden
BesichtigungdurchdenBezirksarzt unterstellt werden. Wäre
jede Schule des Bezirkes beispielsweise vielleicht alle 5 Jahre
einmal zu besichtigen, so könnte der Bezirksarzt dieser Aufgabe
um so leichter nachkommen, weil er für das einzelne Jahr nur
eine mit Rücksicht auf seine sonstige Inanspruchnahme bestimmte
Anzahl von Schulen zur Besichtigung bestimmen könnte, und weil
er für diese Tätigkeit, wenn diese generell behördlich angeordnet
würde, eventuell auch seine Diäten liquidieren könnte.
In solcher Weise sind durch das Gesetz vom 16. September
1899 „Die Dienststellung des Kreisarztes betreffend“ die Amts¬
ärzte des Königreiches Preussen zur Wahrnehmung der Schul¬
hygiene verpflichtet. In der Dienstanweisung für die Königlichen
Kreisärzte ist bestimmt, dass der Kreisarzt innerhalb eines in
der Regel fünfjährigen Zeitraumes jede Schule seines Bezirkes
abwechselnd im Sommer und im Winter in bezug auf ihre Bau¬
lichkeiten und Einrichtungen, sowie in bezug auf den Gesund¬
heitszustand der Schüler unter Benutzung eines allgemein einge¬
führten Besichtigungsformulares unter Zuziehung des Schulvorstandes
und des Schularztes einer Besichtigung zu unterziehen hat.
zur Amtlichen Tätigkeit der Bayerischen Bezirksärzte.
353
Diese Bestimmung genügt zweifellos, wenn es sich bei der
Besichtigung nur um die Feststellung bauhygienischer Missstände
handeln soll; eine alle 6 Jahre vorzunehmende Besichtigung einer
Schale ist aber vollkommen unzulänglich, falls auch die Gesund-
heit8verhältni8se der Kinder einer ärztlichen Aufsicht unterstellt
▼erden sollen. Und hierin liegt der Angelpunkt der modernen
Schalhygiene. Will die Schule den modernen Anforderungen der
Schulhygiene, wie sie im Vorhergehenden erörtert worden sind,
genfigen, so ist alljährlich mindestens einmal, wenn man aber
▼irkUch etwas damit bezwecken will, alljährlich 2 mal, je im
Soouner und im Winter jede Schule amtsärztlich zu besichtigen.
Diese Forderung stellen nach den hierorts bisher von mir ge¬
machten Wahrnehmungen die Aerzte, die Lehrer, die intelligenten
Eltern der Schulkinder und Schulbehörden mit Ausnahme der
Lokal- und Distriktschulinspektoren, welche nach autoritativer
und für viele andere massgebender Anschauung eines in meinem
Bezirke amtierenden Lokalschulinspektors die ärztliche Schul¬
aufsicht als eine „unnötige Belästigung“ der Schulkinderbezeichnen.
Eine Betätigung der Schulgesundheitspflege in dieser Aus¬
dehnung, jährliche zweimalige Besichtigung aller Schulen kann
aber der Bezirksarzt ebensowenig übernehmen, als der Kreisarzt
in Preussen mit Ausnahme der wenigen vollbesoldeten Kreisärzte,
die aber dann mit anderen Dienstgeschäften schon so beschäftigt
sind, dass ihnen eine so erhebliche dienstliche Mehrbelastung
nicht übertragen werden kann. In Bayern können die Amts¬
ärzte eine solch ausgedehnte schulhygienische Tätigkeit aber
schon deshalb nicht ausüben, weil sie dadurch unmöglich mehr
die Zeit zur Besorgung ihrer ärztlichen Praxis finden würden.
Nach den dermaligen Besoldungsverhältnissen der Amtsärzte sind
diese aber auf die ärztliche Praxis angewiesen, da sie ohne die
Erträgnisse aus derselben nicht imstande wären, sich und ihre
Familie zu erhalten.
Aus der allgemeinen Forderung nach einer intensiveren Aus-
ftbung der Schulhygiene einerseits und aus der faktischen Unmög¬
lichkeit der Besorgung derselben durch die hierzu verpflich¬
teten amtlichen Aerzte anderseits, hat sich von selbst die Ein¬
richtung besonderer, auf Kosten der Schulgemeinde bestellter
Schulärzte herausgebildet, mit welchen nunmehr schon mehr
als 100 deutsche Städte mit über 600 Schulärzten bereits versehen
lind. Mit diesen Schulärzten rechnet auch schon das preussische
Kreisarztgesetz, indem, wie es in der Dienstanweisung für Kreis¬
ärzte heisst, bei der kreisärztlichen Schulbesichtigung auch der
Schularzt beizuziehen ist.
Wie sich auch die ärztliche Schulaufsicht in Zukunft ge¬
stalten mag, soviel steht fest, dass die Bezirksärzte der grossen
Städte mit Rücksicht auf die grosse Anzahl der dort vorhandenen
Schulen und Schüler die Betätigung einer Schulhygiene niemals
in erfolgreicher Weise übernehmen können; die grossen Städte
lind immer gezwungen, für ihre Schulen eigene Schulärzte auf¬
zustellen.
354 Dr. Angerer: Dia Schularztfrage in besonderer Beziehung
So schwer nun die Frage za entscheiden ist, wer als Schul*
arzt in einer grossen Stadt aufzustellen ist, ob ein oder mehrere
Aerzte, ob amtlich oder nur im Nebenamt, mit welchem Honorar
und mit welcher Tätigkeit —, so leicht und von selbst erledigt sich
diese Frage für den ländlichen Bezirk. Hier kann nur der Be¬
zirksarzt als der zuständige und berufene Schularzt in Frage
kommen, denn es ist unmöglich, dass sich kleinere Schulgemeinden
einen eigenen Schularzt bestellen; auf dem Lande kann nur ein
Schularzt in der räumlichen Ausdehnung eines Distriktsverbandes
entsprechend beschäftigt werden, höchstens, dass bei besonders
ausgedehnten Distrikten Hilfskräfte zu beantragen wären.
Eine solche ausgedehnte schulärztliche Tätigkeit kann aber,
wie schon bemerkt, der Bezirksarzt mit Rücksicht auf die Be¬
sorgung und Erhaltung seiner privatärztlichen Tätigkeit nicht
ausf&hren; eine solche schulärztliche Tätigkeit würde ihn im
Sommer und im Winter jeweils gewiss drei Monate beschäftigen,
in der Weise, dass er, soweit es die übrigen dienstlichen Ge¬
schäfte zulassen, allwöchentlich mehrere ganze oder halbe Tage
von seinem Wohnort entfernt in äusseren Gemeinden zubringen
muss. Die Rücksicht auf die sonstigen Dienstgeschäfte kann nm
so leichter genommen werden, nachdem für die Schulbesichtigungen,
welche, wenn sie ihren vollen Zweck erreichen sollen, unvorher¬
gesehen und unangemeldet zu geschehen haben, keine voraus¬
bestimmten Termine anzusetzen sind, die Abhaltung derselben
vielmehr ganz allein im Willen und Rönnen des Amtsarztes ge¬
legen ist. Für diese Tätigkeit muss aber der Amtsarzt auch
hinreichend und in einer Weise entschädigt werden, dass er dann
auf die Erträgnisse der Privatpraxis verzichten kann. Die finanzielle
Entschädigung dieser Tätigkeit ist in den ländlichen Bezirken
ebenso Sache der Schulgemeinden wie auch in den grossen Städten;
denn die Gemeinde ist zunächst interessiert; das Wohlergehen
ihrer Schulkinder ist zunächst ihre Sorge. Aus Zweckmässigkeits¬
gründen wird die Entschädigung wohl am besten durch die
Distriktsgemeinde übernommen. Wenn man erwägt, dass Distrikts¬
gemeinden für die Naturalverpflegungsstationen zur Unterstützung
armer Wanderer alljährlich Summen von 12—15000 Mark aus¬
gegeben und damit tatsächlich nicht viel anderes erreicht haben,
als das Stromertum und die Arbeitsscheue mit ihren für die All¬
gemeinheit so gefährlichen Auswüchsen zu unterstützen, so kann
man nicht annehmen, dass die Distrikte zur Einführung einer so
segensreichen Einrichtung, wie sie der Schularzt bedeutet, ledig¬
lich aus finanziellen Rücksichten ihre Mithilfe verweigern werden.
Sollten indes der Uebernabme dieser Belastung auf die
Distriktsgemeinden unüberwindliche Hindernisse im Wege stehen,
so müsste dieselbe den Gemeinden zur Pflicht gemacht werden
und zwar mit Rücksicht darauf, dass eine Ueberwachung der
hygienischen Verhältnisse der Schule und der Schüler durch den
Amts- resp. Schularzt ebenso notwendig ist, als die Ueberwachung
und Kontrolle des Unterrichts und der rein schaltechnischen Ver¬
hältnisse durch die amtlich bestellten Schulinspektoren. Die Be-
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zur amtlichen Tätigkeit der Bayerischen Bezirks&rzte.
355
Zahlung der schulärztlichen Tätigkeit sollte nach dem gleichen
Modus geschehen wie er bei der öffentlichen Impfung eingeführt
ist: Für jedes Kind und für jede Besichtigung sollte ein noch
zu bestimmender, immer nur Pfennige heissender Betrag, ent¬
weder von jeder Gemeinde für die Anzahl ihrer Kinder oder vom
Distrikte für alle Schulkinder desselben entrichtet werden. Meines
Erachtens ist dieser Vergleich mit der Impfung wohl angebracht
und berechtigt. Auch hier wird jedes Kind nicht nur zu einer
ärztlichen Untersuchung, sondern auch zur Erduldung eines ope¬
rativen Eingriffes von Staatswegen gezwungen; sogar auch jene
Kinder, deren Eltern zu den Impfgegnern gehören, müssen sich
dem gesetzlichen Impfzwange fügen. Im Interesse der Allgemein-
beit gibt es keine Ausnahme und keinen Dispens von dem gesetz¬
lich festgelegten Impfzwange und jede Gemeinde hat für jedes
geimpfte Kind den Betrag von 80 Pfennig an den Bezirksarzt zu
bezahlen. Bei der schulärztlichen Untersuchung könnte aber, wie
später gesagt werden soll, jedes Kind von derselben befreit werden,
wenn es den schriftlichen Nachweis erbringt, dass ein anderer
Arzt, der Hausarzt, dem betreffenden Kinde gegenüber die An¬
forderungen der angeordneten schulhygienischen Massnahmen zur
Ausführung bringt.
Dies dürfte meines Erachtens der einzige Weg sein, auf
welchem man die schulhygienischen Anforderungen auch bei den
Landschulen erfüllen kann, und dass die Landschulen eine ärzt¬
liche Beaufsichtigung ebenso, wenn nicht noch mehr als die Stadt¬
schulen erheischen, wird keiner weiteren Erörterung für jene be¬
dürfen, welche die Schulverhältnisse auf dem Lande kennen. Die
Einführung eines auf solche Weise geregelten, regelmässigen und
einheitlichen schulärztlichen Dienstes in den ländlichen Bezirken
des Königreiches würde die ganze Schularztfrage mit einem Schlage
ihrem Ziele nahe gebracht haben. Die Landschulen bedeuten die
überwiegend grosse Mehrzahl; während der städtische Schul¬
arzt und dessen Einführung ausser der finanziellen Seite keine
besonderen Schwierigkeiten mehr darbietet, war der typische
Schularzt für die Landgemeinden bisher noch nicht gefunden. Dass
für die Städte unter allen Umständen eigene Schulärzte angestellt
werden müssen, kann nach dem bisher Gesagten nicht wohl um¬
gangen werden. Man ist auch überall mit der Beratung dieser
Frage in den massgebenden Kreisen lebhaft beschäftigt, allein bei
dem Mangel praktischer Erfahrung ist man über die Art der Ein¬
richtung noch nicht im klaren. Soll man amtliche Schulärzte an-
rtellen oder Schulärzte im Nebenamte P Wieviele Kinder sollen
einem Schulärzte unterstellt werden, welches Honorar ist dafür
dem Schulärzte anzuweisen P
Das sind die hauptsächlichsten Fragen, die aber ihre end¬
gültige Lösung erst dann erhalten können, wenn man nach einiger
Zeit über die einzelnen Systeme praktische Erfahrungen gesammelt
haben wird. Zunächst sollten den einzelnen Schulärzten immerhin
4000—5000 Schulkinder zur schulärztlichen Aufsicht zugewiesen
werden, um bei grösserem Beobachtungsmateriale auch ein grösseres
356
Dr. Arbeit.
Interesse wachzuhalten. Sind entsprechend der vorhandenen Ge*
samtschülerzahl mehrere Schulärzte erforderlich, dann soll einem
derselben die Oberleitung übertragen werden. Was die Honorar¬
frage betrifft, so würde meines Erachtens die Summe von 3000 U.
für den Schularzt und 4000 Mark für einen leitenden Schularzt als
entsprechend anzusehen sein. Immer müsste der Schularzt mit
quasi Beamteneigenschaft angestellt werden, ein generelles Verbot
der Ausübung ärztlicher Privatpraxis sollte damit aber nicht ver¬
knüpft werden. Der Arzt muss, um sich ein richtiges ärztliches
Urteil zu bewahren, immer mit der praktischen Ausübung seines
Berufes in Fühlung bleiben,* anderseits ist nicht einzusehen,
warum der Arzt, der seine Pflichten als Schularzt nach allen
Seiten hin erfüllt, die freie Zeit, die ihm durch raschere und ge¬
schicktere Arbeitsleistung übrig bleibt, nicht zu einer anderen
Berufsarbeit sollte verwenden dürfen. Der leitende Arzt muss
beurteilen können, ob der Schularzt seine Pflicht erfüllt; ist
dies nicht der Fall, so eignet er sich nicht zum Schularzt, and
für diesen Fall muss vertragsmässig die Möglichkeit geschaffen
sein, ihm die übertragene Fanktion auch wieder entziehen za
können.
(Schloß folgt.)
Bemerkungen zur Stellung der Kreisärzte.
Von Med.-Bat Kreisarzt Dr. Arbeit - Marienborg, (Westpr.).
Die gegenwärtig in den Reg.-Bez. Oppeln und Breslau herr¬
schende Genickstarre hat in der Sitzung des Abgeordnetenhauses
vom 6. April 1905 Anlass zu einer Interpellation gegeben, in
deren Beantwortung der Herr Kultusminister wie schon bei anderen
ähnlichen Gelegenheiten mit Worten der Anerkennung der opfer¬
willigen kreisärztlichen Mitarbeit gedachte. Und wenn eine
Cholera-Invasion sich wieder ereignen sollte, so werden die Kreis¬
ärzte ihre Privatpraxis und Nebenämter im Stich lassen und sich
in den Dienst der Allgemeinheit stellen, denn das ist ihre Pflicht
Aber es kann nicht unausgesprochen bleiben, dass eine solche
Situation für die Dauer unhaltbar ist. Der Staat hat der Ge¬
samtheit wie den Kreisärzten gegenüber die Pflicht, die Kon¬
sequenzen der begonnenen Medizinal-Reform vollinhaltlich za
ziehen und nicht zu zögern, die gänzliche Loslösung seiner Be¬
amten von allem nebenamtlichen Beiwerk mit Nachdruck zu fordern
und durchzusetzen. Je weiter und langsamer dieser Vorgang sich
hinausschiebt, um so wahrscheinlicher ist es, dass von der gross¬
zügig entworfenen Dienstanweisung allmählich praktisch nicht
viel mehr übrig bleibt als die auf die sachliche Ausfüllung der
„Formulare“ gerichtete Tätigkeit.
Der diesjährige Etat hat von der im § 3 des Kreisarzt¬
gesetzes gegebenen Möglichkeit mit der Neueinstellung von 2
vollbesoldeten Kreisarztstellen (Cöln, Bielefeld) wieder den be¬
scheidensten Gebrauch gemacht. An dem diesjährigen Mehr des
Bemerkungen zur Stellung der Kreisärzte.
357
Etats der dauernden Medizinalausgaben von 102000 M. (Gesamt:
3863000 M.) sind die nicht vollbesoldeten Kreisärzte nicht be¬
teiligt; sie bilden 93 °/ 0 der Kreisärzte. Praxis und Nebenämter
als Krankenhausdirigenten, Bahn-, Gefängnis- Vertrauensärzte sind
bei nicht wenigen die schwer schätzbaren notwendigen Quellen
der materiellen Existenz. Aber im allgemeinen bleibt neben der
Bewältigung der Aufgaben der Dienstanweisung und allem Beiwerk
mit Raterteilungen, Belehrungen, Vorträgen in Lehrer-Konferenzen,
landwirtschaftlichen Vereinen, Attestschreiben, Gutachten für Un-
l&ll und Invalidität weder Zeit, noch Lust und Energie zur Aus¬
übung von Privatpraxis. Bei Durchsicht der Selbsteinschätzung
der nicht vollbesoldeten Kreisärzte, die bis 1901 noch von ihrer
Praxis lebten, würde der Herr Finanzminister finden, dass diese
Einkünfte im Laufe der wenigen Jahre seit Emanation des Kreis¬
arztgesetzes auf ein Minimum zurückgegangen sind; ihr Rückgang
beziffert sich nach 3 jährigem Durchschnitt beim Verfasser auf
90 °/o seines früheren Einkommens aus ärztlicher Tätigkeit. In
seinen staatlichen Einkünften bleibt der nicht voll besoldete
Kreisarzt neben seinem pensionsfähigen Einkommen von durch¬
schnittlich 2250 M. und pensionsfähigen Gebühren im wesentlichen
auf die Tagegelder- und Dienstreisen - Ueberschüsse angewiesen;
denn Stellenzulagen erhalten nur die Hälfte der nicht vollbesoldeten
Kreisärzte. Ob aber sein Ansehen als Staatsbeamter dadurch
gefördert wird, mag dahingestellt bleiben; in der Beurteilung des
Publikums sinkt er jedenfalls sehr leicht zum Diätenschlucker
herab. Sein Einfluss auf hygienische Entschliessungen der Be¬
völkerung muss darunter leiden. Im Abgeordnetenhause, Sitzung
vom 8. März 1905, äusserte sich der Abgeordnete Wallenborn
über die schon beim Etat des Finanzministers berührten, „ganz
unheimlich anschwellenden Ziffern der Diäten und Reisekosten
der Kreisärzte“ (Zuruf: Sehr richtig!), die von 859000 M. im
Jahre 1899 auf 848000 M. im Jahre 1903 gestiegen seien; diese
Ziffern gäben doch „zu denken“; es sei der Erwägung wert, diese
Bezüge anders zu regeln, etwa durch Pauschalvergütung. Da
hierauf keine Entgegnung folgte, erhielt das hohe Haus den
Eindruck einer rapide sich steigendem Diäten- und Reisewut der
Kreisärzte. Und wie verhält sich’s mit jener „ungeheuren“ End¬
summe? Auf die 503 Kreisärzte ergibt sich durchschnittlich ein
Betrag von 1700 M. brutto, also ebensoviel, wie der Kreisbau¬
inspektor für seine Dienstreisen bezieht; dabei muss erfahrungs-
femäss der Kreisarzt beruflich viel mehr ausserhalb sein, von
Gefährdung seines Lebens durch Epidemien ganz abgesehen.
Eine Pauschalvergütung würde sich bei der Ungleichheit der
Verhältnisse in epidemiologischer Hinsicht kaum verallgemeinern
lassen; sie wäre auch vom Standpunkte der Seuchenbekämpfung
ein gewagtes Experiment von eventuell „unheimlichen“ Folgen.
• Jene Kritik im Abgeordnetenhause beweist neben manchen
indem Vorgängen dort, dass es immer noch Aufsehen erregt,
wenn für die Volkswohlfahrt selbst bescheidene Summen in Ansatz
stehen. Wenn der Kreisarzt aber nicht ein „verknöcherter Bu-
868
Dt. Arbeit.
reaukrat“ werden nnd den Aufgaben der öffentlichen Gesundheits¬
pflege gewachsen sein soll, dann gehört er nicht an den Arbeitstisch
allein, sondern vorzugsweise nach aussen, denn hier kann er gar-
nicht genug Umschau halten.
Und ist es nicht bezeichnend, wenn in derselben Sitzung
des Abgeordnetenhauses auf die dankenswerte Anregung des
Abgeordneten Dr. Rügenberg zugestanden werden musste, dass
durch das Gesetz über die amtliche Stellung der Kreistier&rzte
vom 24. Juni 1904 die pensionierten Kreistierärzte ein doppelt
so hohes Ruhegehalt (1800 M.) beziehen, als die auf Wartegeld
gestellten ehemaligen Kreisphysiker! Mit Recht hob der für den
Medizinaletat gleichfalls stets nachdrücklich eintretende Dr.
Martens die Unbilligkeit hervor, dass die kleineren, schwer zu
besetzenden Kreisarztstellen eine pensionsfähige Stellenzulage er¬
halten und dass daher diejenigen Kreisärzte, die einen geringeren
Wirkungskreis haben, die höchsten Pensionen, die in grossen
Kreisen beschäftigten die geringsten beziehen. Er hätte hinzufügen
können, dass demzufolge die Kreisärzte, die sich ihrer Pensionierung
nahe fühlen, bemüht sein müssen, in letzter Stunde sich auf solche
Stellen versetzen zu lassen.
Auf die bevorzugte Stellung der Kreistierärzte im diesjährigen
Etat ist schon in Nr. 2 dieser Zeitschrift für 1905, Seite 96 hin¬
gewiesen. Warum, so dürfen wir fragen, werden die Kreisärzte
mit anderem Masse gemessen? Die Wehrkraft der Nation galt
ja noch immer höher als ihr Viehstand! Nicht als ob eine Be¬
vorzugung des Veterinär-Etats stattfände! Er beziffert sich
gemäss Kap. 103, Tit. 1—17® der Staats-Verwaltungsausgaben
auf 3243839 M. gegenüber 3803 792 M. für das Medizinalwesen
bei einer Gesammtausgabe des Kultusministers (Staatsverwaltung)
von 164032 655 M. An dieser Summe ist das gesamte Unterrichts¬
wesen mit etwa 151 Millionen beteiligt, auf das Medizinal wesen
entfallen nur 2,65 °/ 0 ! Dass der Herr Ressortminister für seine
Medizinalabteilung materiell so kümmerlich gestellt ist, darf zum
mindesten als rückständig bezeichnet werden, wenn man sich der
kürzlich vom Grafen Douglas programmatisierten Aufgaben des
preussischen Staates erinnert. Das „Volkswohlfahrtsamt“ wird
den Beweis erbringen, dass die ihm innewohnende weitausgreifende
Tendenz nur von ganzen Kräften geleistet werden kann; aut erit,
aut non erit. Die im Anträge der 33. Kommission des Abgeord¬
netenhauses zur Vorberatung des Antrages Douglas 1 ) an erster
Stelle genannten beiden Forderungen, die das Abgeordnetenhaus in
der Sitzung vom 6. April einstimmig angenommen hat, setzen die
Mitarbeit der staatlichen Gesundheitsbeamten voraus, wenn anders
ein lebenskräftiges, die Volksgesundheit und das Volkswohl andauerd
und nachhaltig beeinflussendes Gebilde entstehen und praktisch
weitergestaltet werden soll. Neben dem Techniker und Ver¬
waltungsbeamten wird der Mediziner in der weitaus grössten Zahl
der die Kräftigung des Volkskörpers bezweckenden Probleme das
*) Siehe Zeitschrift für Medizinalbeamte; 1906, S. 116.
Bemerkungen zur Stellung der Kreisärzte.
359
erste Wort haben. Je selbständiger und dnrchgebildeter die
Sachverständigen, nm so gewissenhafter ihr Bat, um so stärker
der Enderfolg. Kraftvolle und zutreffende Worte hat in jener
Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 6. April 1905 zum Anträge
Douglas der neue Minister des Innern, HerrDr. v. Bethmann-
Hollweg gesprochen:
„Die Förderung nationaler Volkswohlfahrt bildet den Kern jeglicher
staatlichen Tätigkeit. Die tüchtigsten Beamten sind die, welche den Schwer¬
punkt ihrer Tätigkeit in der Erfüllung sozialer Aufgaben erblicken. Viel ist
bisher in der Fürsorge für Schwache und Kranke getan, aber wir werden das
für die Gesunden Unterlassene nachholen müssen. Denn die Zukunft unseres
Vaterlandes steht und fällt mit der Frage, ob es gelingt, ein körperlich ge¬
sundes Deutschland heranzubildcn. Die Fortbildung der Volkswohlfahrtspflege
ist eine ernste Lebensaufgabe des preussischen und deutschen Volkes“.
Sollen die Forderungen der Hygiene hinübergeleitet werden
in das gesamte volkswirtschaftliche Dasein der Nation, so ist
es wesentlich Aufgabe der Kreisärzte, diese Vermittelung anzu-
bahnen, das Verständnis für diese Seite unserer modernen Kultur
in die breiten Volksschichten hineinzutragen. In diesem Sinne
war vom Herrn Medizinalmmister die Reform inauguriert, in
diesem Sinne ist die Beschleunigung ihrer Fortführung gemäss
§ 3 des Kreisarztgesetzes geboten. Sehr beachtenswert sind die
Ansführangen in der dem Etat für Eisass - Lothringen beigegebenen
„Denkschrift zur Reform des Medizinalwesens“. 1 )
„Der Kreisarzt darf nicht durch die Mühen ausgedehnter privatärztlicher
Praxis in seiner amtlichen Tätigkeit und in seinem Studium, welche die volle
Arbeitskraft eines Mannes fordern, gehemmt werden. Dazu kommt, dass er,
solange er Konkurrent in der ärztlichen Praxis ist, die notwendige Mitwirkung
der praktischen Aerzte vielfach vermissen wird und dass er bei der Ausführung
gesundheitspolizeilicher Massnahmen unabhängig von der Bevölkerung sein muß“.
Aus der beigegebenen Uebersicht der Kosten für die Med.-
Beamten erster Instanz geht hervor, dass in Hessen die im Haupt¬
amte angestellten Kreisärzte mit 5700 M. Durchschnittsgehalt mit
Wohnungsgeld, Amtsunkosten am besten gestellt sind.
Die Schwierigkeiten, mit denen die preussische Medizinal-
Verwaltung zu kämpfen hat, sind jedem älteren Kollegen bekannt;
sie sind in den Beratungen des Abgeordnetenhauses wiederholt in
drastischer Weise zum Ausdruck gekommen, wie die Angriffe
gegen die Kreisärzte, selbst gegen die Bezirksinstanz beweisen.
Man hat in Laienkreisen keine rechte Vorstellung von den Auf¬
gaben und der Tätigkeit der Kreisärzte. Die auszugsweise Wieder¬
gabe der kreisärztlichen oder der Jahresberichte der Reg.- Med.-Räte
nach Analogie der Gewerberäte durch die Presse würde manches
schiefe Urteil richtig stellen. Die jährliche Zusammenfassung des
Stoffes in der vom Herrn Minister veranlassten Ausgabe „das
Gesundheitswesen in Preussen“ findet sich in den Händen nur
Weniger, ihr Inhalt ist der grossen Masse und den unteren Ver¬
waltungsbehörden, besonders den selbstverwaltenden fast gänzlich
unbekannt, was bei der grossen Reichhaltigkeit des dargebotenen
bedauerlich erscheint. Auf keinem Gebiet ist Unwissenheit und
') Siehe Zeitschr. f. Medizinalbeamte; 1905, S. 116,117.
360
Dr. Arbeit.
Dilettantismus breiter als auf dem medizinischen — „der Geist
der Medizin ist leicht za fassen,“ — und kein Beruf ist törichten,
kritiklosen Angriffen mehr ausgesetzt als der des Mediziners, so¬
lange es überall gesundheitlich gut geht. Erst wenn die Nöte
sozialen Elends und der Seuchen über die Menschheit stürzen,
erst dann kommt das zagende Eingeständnis „Jarpos yap dcvrjp
dtvTa^io? dcXXtov“.
Die Abstandnahme von der Vollbesoldung der Kreisärzte war
seiner Zeit durch die aus Abgeordnetenkreisen vorwiegend ge-
äusserte Befürchtung bedingt, ein von der Praxis losgelöster
Gesundheitsbeamter laufe Gefahr, Bnreaukrat zu werden. Es ist
schon darauf hingewiesen, dass der Umfang der durch die Dienst¬
anweisung gestellten Aufgaben sehr praktischer Natur die Aus¬
übung ärztlicher Tätigkeit fast gänzlich verbietet. Aber bei der
Unauskömmlichkeit der amtlichen Kompetenzen ist die Mehrzahl
der Med.-Beamten unter Drangeben ihres persönlichen Einflusses
und Ansehens gezwungen „mitzunehmen, was sich darbietet.*
Darüber darf doch im Allgemeinen kein Zweifel bei uns herr¬
schen, ein vielbeanspruchter „Doktor“ kann kein gewissenhafter
Kreisarzt sein, ein beschäftigter Kreisarzt kann nicht noch neben¬
bei „kurieren“. Schon die Anforderungen, welche der § 36 der
Dienstanweisung an die Emsigkeit, den Fleiss, die Umsicht, die
Energie und Ausdauer des Kreisarztes stellt, sind von einem mit
Nebengeschäften belasteten Med.-Beamten kaum zu bewältigen.
Wieviel bleibt ferner auf dem Gebiete der Wohnungshygiene der
Mitarbeit des Gesundheitsbeamten! Auch das dem Kreisärzte
erschlossene Gebiet der Gewerbehygiene findet bisher, soweit
ersichtlich, eine dürftige Berücksichtigung seitens der Medizinal-
Beamten. Wo nimmt ein mit Privatpraxis beschäftigter Kreisarzt
die Zeit her, diesen Gebieten seine Aufmerksamkeit zuzuwenden,
die einmal gefundenen Missstände im Auge zu behalten, ihre Ab¬
stellung selbst prüfend zu kontrollieren? Bei der Reorganisation
der sozialpolitischen Gesetze im Sinne einer einheitlichen Zusammen¬
fassung, wie sie Graf v. Posadowsky kürzlich im Reichstage
besprochen, ist die „Angliederung“ des Kreisarztes in den zu
schaffenden Unterbau neben dem Gewerbebeamten gedacht, als
„wirksames örtliches Organ für die Sozialpolitik des Staates*,
also eine erweiterte, über das Schreiben von Gutachten hinaus¬
gehende Tätigkeit des Medizinalbeamten! Die von dem Herrn
Staatssekretär bei dieser Gelegenheit an der bestehenden Organisation
der sozialpolitischen Gesetze geübte Kritik könnte man wörtlich
übertragen auf die durch die Medizinal-Reform geschaffenen un¬
vollkommenen, unfertigen Verhältnisse bezüglich der Kreisärzte.
Herr v. Posadowsky äusserte ungefähr:
„Wir haben oben einen Biesenaufbau im Beichsversicherungsamt, ohne
eigentlichen Unterbau, da man die schwerwiegenden Aufgaben einfach den
bisher bestehenden Behörden aufgebürdet; diese können die Arbeitslast nicht so
bewältigen, wie erforderlich ist. Wenn wir res integra hätten, würden wir
uns heute anders organisieren. Unterdeß haben wir ans mit kleinen Mitteln
beholfen“.
Der Vergleich ist nicht schwierig: Der Riesenaufbau in der
Bemerkungen zur Stellung der Kreisärzte.
861
weitumfassenden grosszügigen Dienstanweisung, die den Kreisärzten
damit gegebene Arbeitslast, die unzureichende Stellung der den
Unterbau bildenden kreisärztlichen Organe. Und wenn trotzdem
die Kreisärzte mit Hintenansetzung ihrer Privateinkünfte wie
selbstverständlich ihre Pflicht tun, so kann es nur mangelndes
Verständnis sein, dass von „ungeheuerlichem“ Anschwellen der
Diäten und Missliebigkeit der Kreisärzte gefabelt wird. Man
fürchtet das Eindringen sozialdemokratischer Tendenzen auf das
platte Land: nun, die kreisärztlichen Bemühungen um Assanierung
der Ortschaften, um Besserung der Schulverhältnisse, der Inst-
häuser, ihre persönliche, eindringliche, von den Arbeitern, besonders
deren Frauen anerkannte Art des Verkehrs mit ihnen ist der
kräftigste Schutz gegen die sich breitmachende Unzufriedenheit
jener im Allgemeinen leicht zu befriedigenden Kreise unseres
Volkes — leicht, wenn man ihnen Verständnis entgegenbringt. —
Ein sehr aktuelles Interesse hat der Staat daran, den an¬
dauernden Nachlass der Geburtenziffer durch ein Herabdrücken
der Sterbeziffer auszugleichen. Seit 25 Jahren iBt die auf 1000
Einwohner entfallende Geburtsziffer in Preussen in sichtlichem
Böckgange 1 ); die Geburtenziffer 40 auf 1000 Einwohner kommt
nicht mehr vor. Wenn sich trotzdem in den letzten 10 Jahren
die Ueber8chÜ88e der Geburten über die Sterbefälle im Ver¬
gleiche mit den Jahrgängen von 1816 ab auf einer Höhe ge¬
halten, die immer noch einen Bevölkerungszuwachs von etwa */*
Millionen jährlich gewährleistet, so ist das lediglich dem erheb¬
lichen Sinken der Sterbeziffer zu verdanken. Dass dies aber im
wesentlichen ein Verdienst der verbesserten sanitären Verhält¬
nisse ist, sollte bekannt und anerkannt sein. Im vorigen Jahre
wurde von einem Mitglieds des Herrenhauses der Wunsch
ausgesprochen, dass mit Rücksicht auf die „grosse Säuglings¬
sterblichkeit“, der Herr Kultusminister doch mehr Bedacht auf
auf eine bessere Unterweisung der angehenden Aerzte in der
Behandlung der Säuglingskrankheiten nehmen möchte. Nun, dass
eine soziale Erscheinung nicht mit Mitteln aus der Apotheke
kuriert wird, sollte nicht mehr unbekannt sein. Welchen
Einfluss die Verbesserung der hygienischen Verhältnisse mancher
Orossstädte gerade auf die Säuglingsverhältnisse gehabt hat,
zeigt die Statistik von Berlin, Breslau, Königsberg. Neben ein-
zichtsvollen Bürgern sind es zumeist Aerzte gewesen, denen der
Hauptanteil an diesem Kulturwerke zufällt. Und auf dem platten
Lande ist der Kreisarzt der gegebene Pionier der Wohlfahrt der
Arbeiter neben dem für diese Fragen mitinteressierten Geistlichen
und Lehrer. Die Einschränkung der obligaten Gesundheits-
kommis8ionen auf die Städte müsste eine Erweiterung in dem
Sinne erfahren, dass in jedem Amtsbezirk jährlich eine Kommissions-
aitzung stattzuflnden hätte, an welcher in erster Linie die Ge¬
meindevorsteher, ausserdem die Geistlichen und Lehrer teilnehmen
könnten; denn bei den Ortsbesichtigungen mit ihrer lang aus-
*) Siehe Statist. Jahrb.; 1904, S. 11.
362
Dr. Köhler.
gedehnten Arbeit bleibt der Kreisarzt grösstenteils allein. Aber
nm autoritativ auf die Bevölkerung einznwirken, reicht die Stellung
des nicht vollbesoldeten Medizinalbeamten nur selten zu.
Gegenüber den bei der Beratung des Seuchen-Gesetzentwurfs
vom 1. Februar 1905 gefallenen Aeusserungen seitens hervor¬
ragender Abgeordneter über die Kreisärzte ist es „die höchste
Zeit“, den Kreisärzten in Preussen „eine den Ansprüchen der
öffentlichen Gesundheitspflege entsprechende Stellung einzu¬
räumen“. 1 ) Sie sind verantwortlich für lückenlose Durchführung
der Dienstanweisung; eine solche setzt aber eine Tätigkeit im
Hauptamte voraus und deshalb ist die Vollbesoldung die Kon¬
sequenz der Reform. Ihre Hinzögerung bedeutet Stagnation;
ein weiteres Abwarten ist für die Zukunft gegenüber der stets
wachsenden Bevölkerung, der steigenden industriellen Entwicklung
nicht ohne schwere Nachteile für das öffentliche gesundheitliche
Wohl denkbar!
Die Besoldung und Pensionierung der vollbesoldeten und
nichtvollbesoldeten Kreisärzte.
Eine kritische Betrachtang von Geh. Med. - Bat Dr. Köhler, Kreisarzt
in Landeshut.
Der Abschnitt VI der Dienstanweisung enhält die Be¬
stimmungen über das Diensteinkommen, die Pensionsverhältnisse,
die Versorgung der Hinterbliebenen der Kreisärzte.*) Nach dem
§ 24 der Dienstanweisung besteht das Diensteinkommen der voll-
besoldeten Kreisärzte in einem festen Gehalt, das von 8600 M.
nach Dienstaltersstufen von je drei Jahren auf 4200, 4700, 5200
steigend den Höchstbetrag von 5700 Mark erreicht. Dazu tritt
ein pensionsfähiger Wohnungsgeldzuschuss, dessen Höhe durch die
Klasseneinteilung der Orte bestimmt wird und etwa 500 Mark
beträgt.
Eine nichtpensionsfähige Amtsunkostenentschädigung von
durchschnittlich 750 Mark soll dazu dienen, den Aufwand für
Miete, Beheizung, Beleuchtung der Bureauräume, für die Bureau¬
bedürfnisse, Apparate etc. und die Ergänzung der Bibliothek ent¬
sprechend der fortschreitenden Entwickelung der ärztlichen und
hygienischen Wissenschaft zu bestreiten.
Die Pensionsverhältnisse sind geregelt nach dem Pensions¬
gesetz vom 27. März 1872 unter Berücksichtigung der Abände¬
rungen durch die Gesetze vom 31. März 1882, 30. April 1884 und
vom 20. März 1890.
Nach dem § 25 der Dienstanweisung besteht das Dienst¬
einkommen der nichtvollbesoldeten Kreisärzte in einem Ge¬
halt, welches von 1800—2700 Mark steigt. Die Steigerung im
*) Siehe Zeitschr. f. Medizinalbeamte; 1905, S. 100.
*) Siehe dazu die Erläuterungen im zweiten Bande des von dem Herrn
Heg.- and Geh. Med.-Rat Dr. Rap man d heraasgegebenen Sammelwerkes:
„Der beamtete Arzt“.
Besoldung n. Pensionierung d. vollbesoldeten u. nichtvollbeeoldeten Kreisärzte. 863
Gehalt erfolgt wohl nach Massgabe des Dienstalters, aber nicht
in Form von Alterszulagen, sondern nach Massgabe eintretender
Vakanzen in zwei weiteren Stufen auf 2250 und 2700 Mark, so
dass sich je ein Drittel sämtlicher Kreisärzte in den Sätzen von
1800, 2250 und 2700 Mark befindet, und von allen der für den
nichtvollbesoldeten Kreisarzt festgesetzte Gehaltsdurchschnittssatz
von 2700 Mark erreicht wird. Daneben sind ffir 263 Stellen je
nach der Besonderzeit der Verhältnisse persönliche pensionBfähige
Zulagen festgesetzt und zwar ffir 76 Stellen je 600 Mark, 161
Stellen je 900 Mark und 26 Stellen je 1200 Mark. Ausserdem
treten als pensionsfähig noch diejenigen amtsärztlichen Gebühren
hinzu, die von den vollbesoldeten Kreisärzten an die Staatskasse
abzuführen sind. Welche Gebühren von den vollbesoldeten an die
Staatskasse abzuffihren und bei den nichtvollbesoldeten als pen¬
sionsfähig anzusehen und von beiden Beamten in das Gebühren¬
verzeichnis aufzunehmen sind, darüber sind weder im Gesetz, noch
in der Dienstanweisung bestimmte Vorschriften gegeben. Nur in
der Denkschrift zur Ausführung des Kreisarztgesetzes heisst es:
.Als Gebühren sind anznsehen Vergütungen, welche zur ausschließlichen
and alleinigen Zuständigkeit des Kreisarztes gehören und zu deren Vornahme
er kraft seines Amtes berechtigt und verpflichtet ist.“
Dadurch ist gesorgt, dass die Bäume nicht in den Himmel
wachsen und die Gebühren bei der Pensionierung der nichtvoll¬
besoldeten Kreisärzte ffir den Staatssäckel keine gefahrdrohende
Höhe erreichen.
Die Höhe der Gebühren ist in den Kreisarztbezirken ausser¬
ordentlich verschieden, schwankt in den Sätzen von 400—2000 M.
and darüber. Daraus resultiert eine erschreckende Ungleich¬
heit des Diensteinkommens und der Pension der nichtvollbesoldeten
Kreisärzte bei gleicher Pflichterfüllung. Ein nichtvollbesoldeter
Kreisarzt, dem eine persönliche pensionsfähige Zulage — und deren
gibt es 214 — nicht zuteil geworden ist, hat sich bei seiner
Pensionierung damit zu bescheiden, dass ihr seine Besoldung,
welche höchstens 2700 Mark beträgt, unter Hinzurechnung des
Durchschnitts seiner Gebühren aus den letzten drei Jahren seiner
Amtstätigkeit zugrunde gelegt wird. Waren die Gebühren gering,
so ist seine Pension minimal. Erwägt man ferner, dass der Kreis¬
arzt in einem schon vorgerückten Lebensalter in sein Amt gelangt
and seine Dienstjahre vom Moment seiner Anstellung bezw. seiner
Vereidigung angerechnet werden, so erhellt daraus, dass er zu
einer erheblichen Anzahl von Dienstjahren überhaupt nicht ge¬
langen und demgemäss seine Pension nur eine minimale Höhe
erreichen kann. Im übrigen gelten auch für den nichtvollbesoldeten
Kreisarzt die Bestimmungen des Pensionsgesetzes vom 27. März
1872 mit seinen gesetzlichen Abänderungen.
Das Gesetz vom 12. Mai 1873 bestimmt: „Den unmittelbaren
Staatsbeamten, welche eine etatsmässige Stelle bekleiden und ihre
Besoldung aus der Staatskasse beziehen, wird ein pensionsfähiger
Wohnungsgeldzuschuss gewährt.“ Gleichwohl erhalten die
nichtvollbesoldeten Kreisärzte, für die diese Bestimmung zutreffend
364
Dt. Köhler: Die Besoldung and Pensionierung
ist, keinen Wohnungsgeldzuschuss, wohl aber durchschnittlich eine
Amtsunkostenentschädigung von 250 Mark. Angeblich ist
diese geringe Bemessung im Gegensatz zu der der voll besoldeten
Kreisärzte dadurch gerechtfertigt, dass die nichtvollbesoldeten
Kreisärzte meist schon entsprechende Einrichtungen, wie Sprech¬
zimmer etc. für die Ausübung ihrer Privatpraxis zu halten genötigt
sind. Sie habenJ jedoch die Verpflichtung, mit dieser Entschädi¬
gung dieselben J Auslagen zn decken, wie die vollbesoldeten
Kreisärzte.
Der grosse Unterschied zwischen dem Diensteinkommen der
vollbesoldeten und nichtvollbesoldeten Kreisärzte einerseits und
anderseits der nichtvollbesoldeten untereinander soll nun dadurch
ausgeglichen werden, dass dem vollbesoldeten bis auf dringende
Fälle und Konsultationen mit anderen Aersten die ärztliche
Praxis untersagt ist, während dem nichtvollbesoldeten die Er¬
laubnis zn praktizieren gegeben wird, jedoch mit der Einschränkung,
dass die ihm durch die Dienstanweisung auferlegten Pflichten da¬
durch nicht vernachlässigt werden. Ferner glanbte man, das
Diensteinkommen der vollbesoldeten Kreisärzte im Verhältnis zn
dem der nichtvollbesoldeten in der geschehenen Weise normieren
zu sollen, weil zu vermeiden sei, dass tüchtige Medizinalbeamte
sich nicht veranlasst fänden, auf vollbesoldete Stellen zu verzichten,
weil ihnen die Stelle eines nichtvollbesoldeten Kreisarztes ein
reichlicheres Mass von Einnahmen sichere. In bezng auf die
Pensionierung der nichtvollbesoldeten Kreisärzte war für die Be¬
stimmungen wiederum der Gedanke ausschlaggebend, dass ihre
Pensionsquote eine höhere sein könne, als die der vollbesoldeten;
denn es wird ausdrücklich hervorgehoben, dass die Pension eines
nichtvollbesoldeten die eines vollbesoldeten Kreisarztes von gleichem
Dienstalter nicht übersteigen dürfe! —
Ueberall macht sich also die Meinung geltend, dass infolge
der Privatpraxis und der pensionsfähigen Gebühren die Stellung
des nichtvollbesoldeten Kreisarztes eine weit bessere sein werde,
als die des vollbesoldeten.
Die Erfahrung hat nnn gelehrt, dass die An¬
schauungen, welche das System der Besoldung der
Kreisärzte und insbesondere der Pensionierung der
nicht vollbesoldeten gezeitigt haben, völlig irrig sind.
Die Praxis der nicht vollbesoldeten Kreisärzte wird durch
den Umfang ihrer Dienstpflichten lahmgelegt; denn die Amta¬
geschäfte haben selbst in kleinen Kreisen eine derartige Aus¬
dehnung gewonnen, dass sie auch hier die volle Arbeitskraft des
Beamten in Anspruch nehmen. Der Kreisarzt, der heute einen
Schwerkranken übernimmt und morgen oder übermorgen nicht in
der Lage ist, ihn zu besuchen, der oft genötigt ist, seine Sprech¬
stunden auszusetzen, sieht in kurzer Zeit seine Praxis und das
dadurch erzielte Einkommen auf ein Minimum reduziert. Hatte er
früher die Leitung eines grossen oder grösseren Krankenhauses,
so liess sich auch diese nicht mehr mit der Erfüllung seiner
Dienstpflichten vereinigen; wurde ihm ein anderer Wohnsitz an-
der vollbesoldeten and nichtvollbesoldetenjgKrelsärzte.
365
gewiesen, so ist er überhaupt nicht in der Lage und nicht im¬
stande, sich mit Ausübung der ärztlichen Praxis zu beschäftigen
oder eine solche zu erwerben. Warte- und Sprechzimmer sind
mit der Zeit Bureauräume geworden. Demzufolge ist jetzt der
nichtvollbesoldete Kreisarzt mit tausend Freuden bereit, die Stelle
eines vollbesoldeten zu übernehmen, zumal diesem ein Assistenz¬
arzt zur Seite steht, der sich mit ihm in die Amtsgeschäfte teilt.
Es ist mir ein Fall bekannt, dass ein vollbesoldeter Kreisarzt
unter diesen Umständen noch die Leitung eines grossen Kranken¬
hauses beibehalten konnte.
So sehen wir denn die Beamten ein und derselben Kategorie
von gleicher Ausbildung und mit gleichem Pflichtenkreise ver¬
schieden geschätzt und bewertet, das System der Besoldung und
Pensionierung der nichtvollbesoldeten Kreisärzte aufgebaut auf
irrigen, unhaltbaren Voraussetzungen — ein System der Willkür
und der Ungerechtigkeit, das in unserem engeren preussischen
V&terlande nicht seines gleichen findet. Im Interesse der Ge¬
rechtigkeit ist die Aufhebung dieses Systems geboten und an seine
Stelle ein anderes, dem umfangreichen, verantwortungsvollen
Pflichtenkreise entsprechendes zu setzen.
Es könnte dies dadurch geschehen, dass die niohtvollbesoldeten
Kreisarztstellen in vollbesoldete umgewandelt werden — die ein¬
fachste Lösung. Sollte es zurzeit jedoch aus finanziellen Bück-
sichten nicht angängig erscheinen, dass sämtliche nichtvollbesoldete
Kreisärzte mit gleichem Masse gemessen werden, so gewähre man
wenigstens sämtlichen, nicht nur einem Bruchteile, eine persönliche,
pensionsfähige Zulage, deren Abstufung durch die Höhe der Ge¬
bühren in den einzelnen Kreisarztbezirken bestimmt wird. Vor allem
erscheint es aber, um die Ungerechtigkeit in den Pensionsverhält¬
nissen der vollbesoldeten und nichtvollbesoldeten Kreisärzte zu
heben, geboten, die Pension des nichtvollbesoldeten der Pension
des vollbesoldeten Kreisarztes von gleichem Dienstalter gleich¬
zustellen.
Besprechungen.
Prot Dr. H. Senator, Geh. Med.-Bat und Dr. 8. Xaminer: Krank
holten und Ehe. I. F. Lehmanns Verlag. München 1904. Gr. 8°
857 8. Pr.: 18 Mk. brosch., 20 Mk. geh.
Die Herausgeber haben sich mit einer Beihe bekannter Aerzte, darunter
unsere namhaftesten Kliniker, verbunden, um in dem Werke „Krankheiten und
Ehe* eine Darstellung der Beziehungen zwischen Gesundheitsstörungen und
Ehegemeinschaft zu geben. Die Ehe verdient im Sinne der allgemeinen Ge¬
sundheitspflege und Erhaltung der Volkskraft die allergrößte Beachtung. „Sie
kann einerseits eine Quelle von Krankheiten und eine Ursache zur Ver¬
schlimmerung schon bestehender Krankheiten werden, wie anderseits Krank¬
heiten oder körperliche Mängel störend und schädlich auf die Ehe einwirken
können, und endlich kann wiederum die Ehe die Heilung oder Besserung
krankhafter Zustände herbeiführen.* In diesen Worten Senators liegt die
Bedeutung der Ehe und das Programm des vorliegenden Werkes. Der all¬
gemeine Teil enthält außer der Einleitung des ersten Herausgebers folgende
Arbeiten: 1. Hygienische Bedeutung der Ehe (Gruber-München); 2. ererbte
und angeborene Krankheiten und Krankheitsanlagen (Orth-Berlin); 3. Bluts-
366
Besprechungen.
Verwandtschaft in der Ehe and deren Folgen für die Nachkommenschaft
(Kr aas-Berlin); 4. Klima, Basse and Nationalität in ihrer Bedeatang für die
Ehe (Havelburg-Berlin); 6. sexuelle Hygiene in der Ehe (Fttrbringer-
Berlin); 6. Menstruation, Schwangerschaft; 7. Wochenbett and Laktation (Koss-
m a n n - Berlin). Der spezielle Teil behandelt 8. Konstitationskrankheiten und
Ehe (Senator - Berlin); 9. Blatkrankheiten and Ehe (B o s i n - Berlin);
10. Krankheiten des Gefäßapparates and Ehe (v. Leyden and Wolff-Berlin);
11. Krankheiten der Atmungsorgane and Ehe (Kaminer-Berlin); 12. Krank¬
heiten der Verdauungsorgane and Ehe (Ewald-Berlin); 13. Nierenkrankheiten
und Ehe (Bichter-Berlin); 14. Krankheiten der Bewegungsapparate and
Ehe (Hoffa-Berlin); 15. Beziehung der Ehe zu Augenkrankheiten mit
besonderer Backsicht auf die Vererbung (Abelsdorff-Berlin); 16. Haut¬
krankheiten und Ehe (Ledermann-Berlin); 17. Syphilis und Ehe (Leder¬
mann - Berlin); 18. Trippererkrankungen und Ehe (Neisser -Breslau); 19. Er¬
krankungen der tieferen Harnwege, physische Impotenz and Ehe (Posner-
Berlin); 20. Frauenkrankheiten, Empfängnisunfähigkeit and Ehe (Blumreich-
Berlin; 21. Nervenkrankheiten and Ehe (Eulenbarg-Berlin); 22. Geistes¬
krankheiten und Ehe (Mendel-Berlin); 23. Perverse Sexaalempfindung, psy¬
chische Impotenz and Ehe (Mo 11-Berlin); 24. Alkoholismas, Morphinismus
and Ehe (A. Leppm&nn and F. Leppmann-Berlin); 25. Gewerbliche
Schädlichkeiten und Ehe (A. Leppmann and F. Leppmann-Berlin);
26. ärztliches Berufsgeheimnis und Ehe (Placzek-Berlin); 27. die sozial¬
politische Bedeatang der sanitären Verhältnisse in der Ehe (Eberstadt - Berlin).
Aus der Mannigfaltigkeit und Verschiedenheit dieser Themata erhellt ohne
weiteres, daß die Ehegemeinschaft mit allen ihren Folgezuständen ein außer¬
ordentlich großes Feld für die Betätigung der Volkshygiene and der ärztlichen
Fttrsorge darbietet; die Namen der Autoren gewährleisten die sachgemäße
and erschöpfende Behandlung der Materie, auf die im einzelnen hier nicht
eingegangen werden kann. Wer — in amtlicher oder privater Tätigkeit —
Gelegenheit hat, den sanitären Verhältnissen der Ehegemeinschaften eine
gesteigerte Fürsorge angedeihen zu lassen, der wird im vorliegenden Werk
Anregungen and Hinweise finden, eine Unsumme von Krankeiten und Elend zu
verhüten und viele Ehen glücklicher za machen. Gerade in unserer Zeit scheint
mir das vorliegende Werk eine besondere Beachtung za verdienen. Die Ehe¬
probleme sind heute moderner denn je. In Tageszeitungen und Zeitschriften,
in der Belletristik and Bomanlitcratar and nicht zam wenigsten auf den
Brettern, die die Welt bedeuten, tritt ans eine Fülle von Gedanken und ein
Ueberflaß von Vorschlägen entgegen, die schließlich alle dahinzielen, die Ethik
der Ehe zu vertiefen. Und doch gibt es wie za allen Zeiten so auch heute
kein notwendigeres und sicheres Fundament für die Ehegemeinschaft als die
körperliche Tüchtigkeit der Eheschließenden. Leider stirbt der alte
Hausarzt, dessen Urteil für die Erteilung des Ehekonsenses von ausschlag¬
gebender Bedeutung war and sein sollte, immer mehr aus; dos gesundheitliche
Moment ist damit für die Ehe Nebensache geworden. Nicht zum wenigsten
aas diesem Grande gibt es heate so viele unglückliche, ansittliche Ehen, so
viele Eheirrungen and Ehescheidungen. Es ist darum den Verfassern zum
Verdienst anzurechnen, daß sie in der vorliegenden, hervorragend erschöpfen¬
den und übersichtlichen Form die Aufmerksamkeit auf das Grandthema Krank¬
heit und Ehe lenken. Möchte ihr Werk bei Aerzten and aach in Kreisen,
denen sozialpolitische Ideen, betr. die Fortpflanzung des Menschengeschlechtes
und Stärkung der Volkskraft naheliegen, die weiteste Verbreitung finden.
_ Dr. Boepke-Melsungen.
Lehmanns medizinische Atlanten. Bd. 10. Prof. Dr. Lehmann und
Dr. Venmann in Würzbarg: Atlas und Grandriß der Bakterio¬
logie and Lehrbuch der speziellen bakteriologischen Dia¬
gnostik. HI. Auflage. Teill: Atlas, Teil II: Text. München 1905.
Preis: 16 Mark.
Vorstehendes Werk ist nnn schon in dritter, sorgfältig durchgearbeiteter
Auflage erschienen. Der Text gliedert sich in einen allgemeinen und einen
speziellen Teil. Der allgemeine Teil befaßt sich mit den Haupteigenschaften
der Bakterien, soweit sic praktisch wichtig und vor allem, soweit sie zur
Besprechungen.
867
Diagnose verwertbar sind. Aach die Anfertigung von Nährböden, die gebräuch¬
lichsten Färbe-Vorschriften und andere Dinge der bakteriologischen Technik
werden genügend gewürdigt. Der spezielle Teil ist auf botanischer Basis auf
gebaut. Ein Vorzug dieses Teiles ist, daß derselbe eigentlich aus den eigenen
Untersuchungen und Erfahrungen der Verfasser heraus entstanden ist. Die
Verfasser haben sich angelegen sein lassen, möglichst selbst Untersuchtes und
nnd Geprüftes zu bringen und nicht nur einen gedrängten Auszug aus der
überaus reichlich schon existierenden Literatur. Dieser Umstand macht das
Werk doppelt wertvoll. Dabei ist auch die Literatur bis zum 1. August 1908
kritisch verwertet worden. Viele Kapitel sind gegen früher bedeutend um¬
gearbeitet oder ganz neu geschrieben worden. Der Atlas bringt eine Fülle
gut gelungener Abbildungen. Der Darstellung von Bakterien sind 6 neue
Tafeln gewidmet. Mit wenig Ausnahmen haben wir nur Originale im Atlas.
Das in zwei Bänden vorliegende Werk verdient die weiteste Verbreitung, da
dasselbe sowohl für den Anfänger, wie für den Vorgeschrittenen zur Einführung
bezw. zum weiteren Studium der Bakteriologie sehr geeignet ist. Vor allem
dürfte Lehmann-Neumann ein gern gesehenes Werk in den bakteriologi¬
schen Untersuchungsstellen sein, denen nicht Mittel zur Anschaffung größerer
und umfangreicher Werke auf dem besprochenen Gebiete zur Verfügung stehen.
_ Dr. E n g e 1 s - Stralsund.
Htm.Soheleax- Kassel: Geschichte der Pharmaaie. Berlin 1904.
Verlag von Julius Springer.
Mit bewundernswertem Fleiße und Geschick hat der Verfasser eine Fülle
fachgeschichtlichen Stoffes zusammengetragen und gesichtet; Bibel, Papyrus¬
rollen, Inschriften der Tempelwände, Sanskrithandschriften etc. sind ausgebeutet,
um eine möglichst eingehende Schilderung der ersten Anfänge der Heil-
nnd Arzneikunde bei den Völkern des grauen Altertums zu geben; nicht
minder sorgfältig und mit Bienenfleiß wurde aber auch aus den reichen
Schätzen in- und ausländischer Bibliotheken, aus Fachblättern und verschie¬
denartigen Zeitschriften alles auf Arzneibereitung Bezügliche gesammelt
nnd in knappster Form so übersichtlich geordnet, daß trotz der erdrückenden
Stofffülle der Leser mühelos ein klares Bild der geschichtlichen Entwickelung
der Pharmazie bis auf die neueste Zeit gewinnt. Es darf wohl mit Hecht
behauptet werden, daß das vorliegende neue Buch die vollständigste bisher
geschriebene Geschichte der Pharmazie darstellt, aus der nicht nur der strebsame
jnage Pharmazeut reiche Belehrung schöpfen kann, sondern das auch der ältere
Apotheker als wissenschaftliche Lektüre und als Nachschlagebuch lieb ge¬
winnen wird, wenn er erst gesehen hat, daß es ihn kaum jemals bei einer
Frage in Stich läßt.
Obgleich das umfangreiche Werk in erster Beihe für die Fachgenossen
des Verfassers geschrieben ist, so kann indessen auch der Arzt, der für die
Geschichte der Heilwissenschaften Interesse hat, und insbesondere der Medizinal¬
beamte vieles darin Anden, was ihm Belehrung und in der dargebotenen
klaren, bisweilen sogar humorvollen Form auch Genuß gewähren wird. Waren
ja doch ?on alters her bis ins 13. Jahrhundert hinein — bis zu der hochwichtigen
Verordnung Friedrichs II im Jahre 1224, die zuerst eine Scheidung der
Medizin von der Pharmazie, Anlage und Ueberwachung von Apotheken ver¬
fügte — beide Wissenschaften so eng miteinander verquickt, daß sich die
^schichte der Medizin dieses Zeitraumes mit der der Pharmazie nahezu deckt.
Aber auch aus der Geschichte der späteren Zeiten kann der beamtete Arzt
so manche interessante Einzelheit aus der Entwickelung des Apothekenwesens
^fahren, die nicht allgemein bekannt iBt und die er anderwärts vergeblich
suchen dürfte. Er lese nur die Abschnitte über die begreiflichen Bestrebungen
der deutschen Arzte und Apotheker, aus den Unannehmlichkeiten der Bunt-
scheckigkeit einzelstaatlicher Arzneibücher heraus zu einem einheitlichen
•Dniversalarzneibuche“ zu gelangen, und die zur Herausgabe der Pharmacopoea
germanica 1872, endlich des Arzneibuches für das Deutsche Reich 1890 führten —
über die gleichen Strömungen hinsichtlich der Arzneitaxen — die historische
Eatwickelung der Apotheken-Gesetzgebung, von der ersten preußischen Apo-
uekerordnnng vom 11. Oktober 1801 bis zur Betriebsordnung vom 18. Febrnar
1902 — endlich über die höchst interessanten Beformbewegungcn, die auf Auf-
868
Besprechungen.
hebung und Ablösung der Privilegien hinzielten, teils) Staatsapotheken, teils
PerBonalkonzession, teils Gewerbefreiheit forderten und erbitterte Kämpfe
zwischen den verschiedenen Lagern, in Presse und Parlamenten zeitigten —
und er wird befriedigt sein über die Fülle des Gebotenen. Nicht minder reich¬
haltig sind die dem Kurpfuschertum und dem Geheimmittelunwesen gewidmeten
Abschnitte.
Wer das Buch erst näher kennen gelernt hat, kann ihm nur von Herzen
eine weite Verbreitung, auch über den Apothekerstand hinaus, wünschen. Vor
allen Dingen möge der buchhändlerische Erfolg zeigen, daß der deutsche
Apothekerstand trotz des immer mehr überhandnehmenden Hastens und Jagens
nach kaufmännischem Gewinn doch noch Männer genug unter sich zählt, die
nicht nur als Kaufleute oder Gewerbetreibende, sondern ebensowohl auch als
Angehörige eines „gelehrten“ Berufes sich fühlen, die in den Mußestunden sich
gern in die Geschichte ihres altehrwürdigen Standes vertiefen, um daraus Be¬
lehrung und Anregung, aber auch Stolz und rechte Liebe zum erwählten Berufe
zu gewinnen. Dr. Gottschalk-Bathenow.
Dr. Paul Th. Mftller, Privatdozent für Hygiene an der Universität Graz:
Vorlesungen (Iber Infektion und Immunität. 1904. Verlag von
Gustav Fischer in Jena.
Das Müll ersehe Werk gehört unstreitig zu den besten Bearbeitungen
des z. Z. bekannten Gebietes der Infektions- und Immunitätslehre; es gewährt
einen umfassenden Ueberblick über den gegenwärtigen Stand der Bakterien¬
forschung, jenes Gebietes, das in neuerer Zeit so großes Interesse beansprucht
und in den Vordergrund unseres therapeuthischen Handelns gestellt wird. In
ungemein scharfsinniger Weise behandelt der Verfasser die Biologie der Mi¬
kroben und schildert, dabei immer auf den Grundsätzen EhrlichB fußend,
die mannigfachen Systeme und Hypothesen über Wirkungsweise, Stoffwechsel,
Toxinwirkungen der Bakterien; besonders eingehend entwickelt er die Lehre
von den bakteriziden und hämolytischen Wirkungen der Körpersäfte und gibt
eine außerordentlich klare Darstellung von dem Wesen und Zustandekommen
der Toxinimmunität. Aus den vielen geistreichen Versuchen und Forschungen
zahlreicher Autoren zieht der Verfasser mit logischer Schärfe seine Schlüsse
und stellt die hervorragende Wirkung einiger Immunsera auf den Tierkörper
fest, welche fast plötzlich den Kampf mit den eingedrungenen Mikroorganismen
aufnehmen und siegreich zu Ende führen.
So klar und einleuchtend dies schwierige Gebiet auch durchforscht und
behandelt ist, so aussichtsvoll die Nutzanwendung der bisher nur im Reagens¬
glase oder im Tierkörper gemachten Erfahrungen auch für den menschlichen
Körper erscheint, so wenig dürfen wir uns in Sicherheit wiegen und unsere
Hoffnung einzig auf die neuen, aus den Fortschritten der Bakteriologie resul¬
tierenden Behandlungsmethoden setzen und dabei, wie es ja leicht denkbar
ist, andere bewährte Methoden außer Acht lassen. „Alle jene Methoden des
Laboratoriums sind doch nur Behelfe, da sie künstlich die Krankheit nach-
ahmen; sie können nur das Aeußere der Dinge treffen, aber sie werden nie den
Kernpunkt der Sache, das Entstehen und Werden der Funktionsstörung, den
kunstvollen Ausgleich, wie ihn der unter besonderen Bedingungen stehende
und kämpfende menschliche Organismus bietet, vorführen; sie werden mit dem
eigentlichen Mechanismus und dem Wesen der Regulationsvorgänge, denen
wir als Symptome am Krankenbette begegnen, nie identisch sein. Das Ex¬
periment bereichert wohl die wissenschaftliche Erkenntnis, es darf aber nicht
prätendieren und die Richtschnur des praktischen Handelns am Krankenbett
sein.“ (Prof. 0. Rosenbach, Arzt c./a. Bakteriologie).
Allen denen aber, die sich mit den wichtigen und interessanten For¬
schungsergebnissen der Bakteriologie bekannt machen wollen, dürfte dies aus¬
gezeichnete Buch Müllers in erster Linie zu empfehlen sein.
Dr. Rump-Osnabrück.
Prof. Dr. Max Gräber -München: Tuberkulose und Wohnungsnot.
Verlag „Bodenreform“. Berlin NW. 23. Preis: 0,50 M.
Verfasser bewertet nach einer kurzen, aber entschiedenen Ablehnung der
v. Behring sehen Lehre über Tuberkuloseentstehung in sehr treffender, ob-
Tagesnaehriehten.
369
jektiver Weise unsere modernen Bestrebungen zur Ausrottung der Tuberkulose
als Volkskrankheit: Die Heilstättenbewegung, die Fürsorgestellen, die Grün¬
dung von Asylen für unheilbare Schwindsüchtige und deren Isolierung. Bei
aller Wichtigkeit und prinzipieller Richtigkeit dieser Maßnahmen bleibt aber
Grubers Ansicht dennoch die Wohnungsreform die unentbehrliche
Vorbedingung für den erfolgreichen Kampf gegen die Tuberkulose. Die für
den Wohnungsbau im Großen erforderlichen Geldsummen wären wohl aufzu-
bringen, wenn man den durchaus gang baren W eg der Bodenreform einschlagen
wollte. _■* r 38l-Dr. Roepke-Melsungen.
Dr. Otto w. Sohroon, Professor der pathoL Anat. in Neapel: Der neue
Mikrobe der Itungenphthlae und der Unterschied swrisohen
Tuberkulose und Sohwlndsuoht. Verlag von Carl Haushalter.
München 1904. KL 8°, 84 S. Preis: 2 Mk.
Schroen erklärt in einem vor der medizinischen Fakultät der Univer-
ntit gehaltenen und mit 21 mikro-photographischen Demonstrationen erläuterten
Vorträge Tuberkulose und Schwindsucht für zwei ätiologisch verschiedene
Krankheitsprozesse. Die Tuberkulose werde durch den „Baumgarten-
Koch sehen Bacillus“ hervorgerufen, während der Mikrobe der Schwindsucht
oder Phthise „ein verzweigter, arboreszierender, fruktifizierender Fadenpilz sei
von einer solchen Größe, daß er dem kleinen Tuberkelbazillus gegenüber wohl
mit mehr Recht ein Makrobe als ein Mikrobe bezeichnet zu werden verdient“.
TnberkelbaziUus und Mikrobe der Phthise produzieren spezifische Krystalle,
durch die der qualitative Unterschied zwischen Tuberkulose und Phthise noch
ganzbesonders bestätigt wird. Dies sind die springenden Punkte der Schroen*
sehen Darlegungen. Die Botschaft hör’ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube,
um so mehr, als Schroen am Schlüsse gesteht, daß er die heute besprochene
und in Präparaten demonstrierte Untersuchung als eine noch nicht ab¬
geschlossene, sondern noch im Werden begriffene vorgelegt habe. Also warten
wir ab! Dr. Roepke-Melsungen.
Tagesnaehriehten.
Ans dem Belohn tage. Der Reichstag hat in seiner Sitzung vom
10. Mai die in der Internationalen Sanitätskonferenz zu Paris am 3. Dezember
abgeschlossene Uebereinkunft, betr. die Bekämpfung der Pest und der Cholera,
angenommen. Der Abg. Schräder sprach die Bitte aus, daß die verbündeten
fiegierungen ihre Bemühungen darauf richten möchten, die Türkei und Bul¬
garien zum Anschluß an die Konvention, der sie bisher nicht beigetreten sind,
tu veranlassen. _
Dem Bundesrat sind die Grundsätze zugegangen, welche das Reichs¬
gesundheitsamt aufstellte, um möglichst über das ganze Reichsgebiet hin den
Staaten Anhaltspunkte für eine gute, d. h. im Sinne der Wissenschaft best-
rerstandene Wasserversorgung an die Hand zu geben.
Der preußische Kultusminister hat durch Erlasse vom 20. und 28. April
i J. eine eingehende Berichterstattung über die Genickstarre angeordnet. *)
Bausch erkrankten (starben) im Reg.-Bez. Oppeln in den letzten 9 Wochen
Tom 6.-12. März: 12ö (60), 13.—19. März: 166 (88), 20.-26. März: 147 (84),
27.März bis 2. April: 187 (99), 3.-9. April: 216 (116), 10.-16. Aprü: 182 (111),
17.-23. April: 207(112), 24.—30. April: 207 (94), 1.-7. Mai: 210 (100). Vom
1. Januar bis 30. April erkrankten (starben) im ganzen Staat 1936 (994); davon
in der Provinz Schlesien allein 1814 (932), in Ostpreußen 18 (8), Westpreußen
16(9), Brandenburg 27 (11), Pommern 6 (2), Posen 6 (3), Sachsen 7 (4), Schles-
*) Siehe Beilage Rechtsprechung u. Medizinal - Gesetzgebung zur heu¬
tigen Nummer, S. 79.
370
Tagesnachriohtea.
wig-Holstein 8 (8>, Hannover 9 (6), Westfalen 21 (10), Hessen-Nassau 4 (2),
Rheinprovinz 5 (3), Hohenzollern 1 (1).
Die vom 14.—15. Mai d. J. in Bern abgehaltene Internationale
Arbeiterschutz-Konferenz hat folgende Grondzüge eines inter¬
nationalen Uebereinkommens bezüglich des Verbots der Verwendung vea
vreissem (gelbem) Phosphor in der Zündholzindastrie angenommen: Art. 1.
Vom 1. Januar 1911 an ist die Herstellung, die Einfuhr und der Verkauf von
Zündhölzern, die weißen (gelben) Phosphor enthalten, verboten. Art. 2. Die
Urkunden über die Ratifikation sollen spätestens am 31. Dezember 1907 hinter¬
legt werden. Art. 3. Die Regierung von Japan wird eingeladen werden, bis
zum 31. Dezember 1907 ihren Beitritt zu diesem Uebereinkommen zu erklären.
Art. 4. Das Uebereinkommen tritt in Kraft, wenn die bei der Konferenz ver¬
tretenen Staaten und Japan beigetreten sind.
Die Konferenz ist auch über die Festsetzung der Grundzüge eines inter¬
nationalen Uebereinkommens betreffend das Verbot der gewerblichen Nacht¬
arbeit der Frauen zu einer Einigung gelangt.
Betreffs des Verkehrs mit Geheimmitteln bringt die amtliche Berliner
Korrespondenz (Nr. 22 vom 12. Mai d. Js.) folgende Notiz: „Die unter den
Bundesregierungen vereinbarten Vorschriften über den Verkehr mit Geheim-
mittein und ähnlichen Arzneimitteln sind seit mehr als einem Jahre in Kraft
und haben, soweit Nachrichten vorliegen, zu einer wesentlichen Einengung des
Handels mit den von den Vorschriften betroffenen Mitteln geführt. Daß es aa
Umgehungsversuchen nicht fehlen würde, war vorauszusehen; namentlich durch
Aenderung des Namens unter geringfügiger Aenderung der Zusammensetzung
hat man versucht, solche Mittel dem Wirkungsbereich der ergangenen Ver¬
ordnungen zu entziehen. Auch hat sich eine verstärkte Reklame für neue
oder in die Geheimmittellisten zunächst nicht aufgenommene Mittel bemerkbar
gemacht. Es erscheint deshalb an der Zeit, eine Revision dieser Listen vor¬
zunehmen. Das Reichsamt des Innern hat Verhandlungen hierüber mit den
Bundesregierungen eingeleitet.“ J )
Die 9. Generalversammlung des Deutschen Zentralkomitees zur Er¬
richtung von Heilstätten für Lungenkranke findet am 9. Juni d. Js. im
Plenar-Sitzungssaale des Reichstagshauses statt. Es werden Vorträge gehalten
werden vom Beigeordneten Mann köpf f-Remscheid Uber die Entwickelung
der Auskünfte- und Fürsorgestellen für Tuberkulöse in Deutschland, vom Re¬
gierungsrat Dr. Weber vom Kaiserlichen Gesundheitsamt-Berlin über die
Resultate der neuesten Tuberkulose-Forschungen, von Dr. A. Kayserling:
die Bedeutung der Volksbelehrung im Kampfe gegen die Tuberkulose. Auf
Wunsch wird den Mitgliedern zur Reise nach Berlin und zurück von der
Geschäftsstelle ein Fahrtausweis zur Erlangung der Fahrpreisermäßigung (auf
die Hälfte) übersandt.
Die erste Tagung der Deutschen Gesellschaft für gerichtliche Medizin,
welche seit der kurzen Zeit ihres Bestehens schon 223 Mitglieder zählt, wird
am 25.-28. September a. c. zu Meran zugleich mit der daselbst tagenden
77. Versammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte stattfinden.
Folgende Diskussionsgegenstände sind auf die Tagesordnung gesetzt
worden: 1. „Tod durch Elektrizität“. Referenten: Prof. I)r. Krattcr-Graz
und Dr. Je 1 lin ek- W r ien. 2. „Morphinismus in strafrechtlicher Beziehnng“.
Referenten: Dr. v. Kaan-Meran und Prof. Dr. S t r a ß m a n n - Berlin. 3. „L)er
Geisteszustand jugendlicher Krimineller“. Referenten: Prof. Dr. An ton- Graz
und Prof. Dr. P u p p e-Königsberg. Von der Aufstellung weiterer Diskussions¬
gegenstände ist Abstand genommen, damit die für die Verhandlungen der Ge¬
sellschaft zur Verfügung stehende Zeit nicht übermäßig durch die Diskussions¬
gegenstände absorbiert wird.
*) Eine Folge dieser Verhandlungen ist jedenfalls der in der heutigen
Beilage (Rechtsprechung und Med. - Gesetzgebung, S. 81) abgedruckte Erlaß
des preuß. Ministers der usw. Med.-Angelegenheiten vom 6. Mai d. J.
Tagesnaehriehten.
871
Vorträge oder Demonstrationen sind unter Mitteilung der Themas bald¬
möglichst H. Prof. Dr. Puppe-Königsberg anzumelden.
77. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte in Meran vom
24. — 30. September d. J. Der Vorstand der Abteilung fttr Hygiene,
Bakteriologie und Tropenhygiene bittet Vorträge und Demonstrationen
an den Universitätsprofessor San.-Bat Dr. Lode in Innsbruck, Bürgerstraßeßl,
sobald als möglich einzusenden, da das vorläufige Programm bereits im Juni
zur Versendung gelangen soll.
Der VH. Deutsche Samaritertag findet vom 80. Juni bis 2. Juli in
Kiel unter dem Ehrenpräsidium Sr. KönigL Hoheit des Prinzen Heinrich
Ton Preußen statt. Exz. t. Esmarch wird die Hauptsitzung eröffnen
mit einer Ansprache über die Entwickelung des Samariterwesens. Weitere
Vorträge werden halten: Exz. y. Bergmann-Berlin: Der Arzt und seine
Gehilfen; Dr. Boediger -Frankfurt a. M.: Bettungsschwimmen; Professor
Dr. George Meyer- Berlin: Die Zentralisation des Bettungswesens; San.-Bat
Dr. V o g e 1 - Eisleben: Ueber das Samariterwesen im Bergbau.
Die Jahresversammlung Bayerischer Psychiater findet am 13. und
14. Juni 1905 in München statt. Vorträge: 1. Privatdozent Dr. Alz¬
heimer-München: „Ergibt sich ein annähernd gleicher Krankheitsprozeß bei
allen Geisteskrankheiten mit anatomischem Befund? 2. Dr. Ast-München:
„Einig e Fälle von induzirtem Irresein,. 8. Dr. Busch-München: „Experi¬
mentelle Untersuchungen über die Wirkungen verlängerter Bäder. 4. San.-Bat
Dr. F a u s e r - Stuttgart: „Zur Psychologie des Symptoms der rythmischen Be¬
tonung bei Geisteskranken." 5. Privatdozent Dr. Gau pp-München: „Die
Depresaionszustände des höheren Alters." 6. Prof. Dr. Gudden-München:
,Ueber Schlaftrunkenheit." 7. Prof. Dr. Kraepelin-München: „Fragestel¬
lungen in der klinischen Psychiatrie.“ 8. Prof. Dr. Nissl-Heidelberg: „Psy¬
chiatrische Fehldiagnosen." 9. Dr. Nitzs che-München: Thema Vorbehalten.
10. Dr. Banke-München: „Ueber eine besondere Form von Entwicklungs¬
hemmung der Großhirnrinde." 11. Dr. Behm-München: „Weitere Erfahrungen
über Lumbalpunktion." 12. Dr. Beichart-Würzburg: „Ueber die Bestim¬
mung der Schädelkapazität an der Leiche." 13. Prof. Dr. Specht-Erlangen:
„Chronische Manie und Paranoia.“ 14. Dr. Strantzky-Wien: „Zur Lehre
ron der Sprachverwirrtheit.“ 16. Dr. Weiler-München: „Demonstration
eines neuen Pnpillenmeßapparates". 16. Direktor Dr. Vocke-München: „Li¬
quidationen in Strafsachen." 17. Prof. Dr. Weygandt-Würzburg: „Ueber
Mongolismus."
Spreohaa&L
Anfrage des Kreisarztes Dr. G. in St.: Ist eine Entscheidung
dahin ergangen, daß der Beamte bei Dienstreisen für die Hin-
ond die Bückreise Berechnung ein und desselben Weges be¬
anspruchen darf? Oder ist der Beamte verpflichtet, wenn er
i. B. Hin- und Bückreise mit der Bahn an einem Tage nicht
aasführen kann, die Hinreise mit der Bahn, die Bückreise auf
dem Landwege zu machen bezw. zu berechnen? Ist er also
sicht berechtigt, in solchem Falle Hin- und Bückreise nach
dem Landwege zu berechnen?
Antwort: Nach F2 der Ausftthrungsbestimmungen zu den Vorschriften
aber die Tagegelder und Beisekosten der Staatsbeamten vom 11. November 1903
(G. S. S. 243) erfolgt die Berechnung der Beisekosten ohne Bücksicht darauf,
welchen Weg der Beamte tatsächlich eingeschlagen und welches Beförderungs¬
mittel er benutzt hat, nach demjenigen Wege, welcher sich für die Staatskasse
aater Mi tber üc ksichtigung des Tagegelderbezuges als der
mindest kostspielige darstellt und nach dem Zweck der Boise und den Um¬
ständen des besonderen Falles auch von dem Beamten wirklich hat benutzt
werden können. Der Beamte ist demnach nicht berechtigt, wenn er z. B. auf
der Hinreise den billigeren Eisenbahnweg und auf der Bückreise aus besonderen
Gründen den teueren Landweg benutzt hat, auch für die Hinreise die Beise-
372 Tagesordn. der IV. Hauptversammlung des .Deutschen Mediz.-Be&mtenverems.
kosten aai dem teueren Beförderungsmittel za berechnen. Nor in dem Falle,
daß bei Benutzung des billigeren Eisenbahnweges bei dem Bäckwege sich die
Zahl der Beisetage und damit der Tagegelderbezug um mehr erhöhen würde,
als die Ersparnis an Beisekosten gegenüber der Benutzung des teueren Land¬
weges beträgt, ist die Berechnung nach diesem zulässig.
Deutscher Medizinalbeamten- Verein.
Die
Vierte Hauptversammlung
findet tun
Freitag und Sonnabend, den 8. und 9. September
in
Heidelberg 1
statt.
Vorläufige Tagesordnung:
1. Eröffnung der Versammlung.
2. Geschäfts- und Kassenbericht.
3. Gerichtsärztliche Wünsche mit Rfieksteht auf die bevorstehende Neu¬
bearbeitung der Strafprozessordnung. Beferenten: Prof. Dr. Heim¬
berger-Bonn, Gerichtsarzt Prof. Dr. Straßmann-Berlin, Prot
Dr. Aschaffenburg-Halle a. S. und Gerichtsarzt Dr. Hoffmann-
Berlin.
4. Die Beaufsichtigung der Geisteskranken ausserhalb der Anstalten.
Beferent: Privatdozent Dr. W. Weber, Oberarzt der Prov.-Heil¬
and Pflegeanstnlt Göttingen, Korreferent: Prof. Dr. P. Stolper,
Kreisarzt in Göttingen.
5. Abwässer-Reinigung. Beferenten: Prof. Dr. Thumm, ordentl. Mitglied
der Königl. Versuchsanstalt für Wasserversorgung und Abwässer-
beseitignng in Berlin (vom hygienisch-technischen Standpunkte),
Beg.- und Med.-Bat Dr. Salomon -Coblenz(vom gesundheitspoli-
zeilichen und verwaltungsrechtlichen Standpunkte).
(>. Die epidemische Genickstarre und Ihre Bekämpfong. Beferent: Med.-
Bat Dr. Platten, medizin. Hülfsarbeiter an der Königl. Begieruog
in Oppeln.
7. Vorstandswahl.
Mit Bücksicht auf den ersten Gegenstand der Tagesordnung und den
am 1. Sitzungstage der vorjährigen Versammlung gefaßten Beschluß (siehe
Seite 103 des Berichts) werden die Vereinsmitglieder ergebenst gebeten,
etwaige Wünsche und Vorschläge In bezug auf die Revision der
Strafprozessordnung dem Schriftführer des Vereins, Herrn Med.-Bat Br.
Flinzer in Plauen i. Voigtl., bla nm 15. Juni mitzuteilen. Ebendahin
sind auch sonstige Wünsche bezüglich der Generalversammlung za richten.
Minden, den 26. Mai 1905.
Der Vorstand des Deutschen Medizinalbeamten-Vereins.
Im Auftr.: Dr. Bapmund, Vorsitzender,
Bef.- q. Geh. Med.-Rat in Minden.
Berichtigung. In dem Artikel von Dr. Bauer: .Hebammentasche*
muß es Seite 712 heißen: Die Deckelstülpe hat eine Länge von 29,5 cm,
eine Breite von i7 cm und eine lichte Höhe von 9 cm; das untere Becken
mißt 29, 16 und 9,5 cm im Lichten; das Sublimatbecken 27*/«, 16*/* und ö 1 /» cm.
Verantwort! Redakteur: Dr. Rapmund, Reg.- n. Geh. Med.-Rat in Mindeni. W.
J. C. C. Bruns, HerzogL Sftcha. u. F. 8ch.-L. Hofbuchdrucksr«! ln Mindss.
18. Jahrg.
1905.
Zeitschrift
für
MEDIZINALBEAMTE.
ZeitralMatt fir gerichtliehe lelizii u4 Psyehhtrie,
fir intiicbe Saehverstiadigentitigkeit in Unfall- ui Imliditataachea, sowie
Sr Bjgieae, ofeatL Saaititewescn, ledizinal - Gesetzgebung u4 Eedtspreeknng.
Herausgegeben
TOI
Dr. OTTO RAPMÜND,
Kegiermngw- and Geh« XedUtnalrmt im Mlada.
Verlag von Fischers mediz. Buehhandlg, H. Kornfeld, .
HmogL Bayer. Hof- u. BnhenogL Kmmmr - BnohhlmUar .
Berlin W. 85, Lützowstr. 10.
InnenUo nahmen die VerUfshandlang sowie alle Annonoen - Expeditionen des ln*
and Aaslandes entgegen.
Nr. 12.
Emhelnt am 1. und IS. Jeden Monat».
15. Juni.
Ueber versuchten Kindesmord.
Von Dr. Lewinsky in Br&nnsberg, staatsärztl. approbiert.
Die unverehelichte Katharine T., 89 Jahre alt, hatte ihre
Schwangerschaft vor den Mitbewohnern des Hanses verheimlicht,
sich demzufolge auch, als bei Beginn der Gebart die Schmerzen
unerträglich worden, einen Arzt verbeten und nur nach dem
Geistlichen verlangt, da sie glaubte sterben zu müssen. Nach
ihren eigenen Angaben hat sie dann in Gegenwart des Geistlichen,
ohne das dieser etwas merkte, ein Kind geboren und gefühlt, dass
sieh dieses zwischen ihren Scheukeln bewegt hat. 3—4 Stunden
nach der Geburt des Kindes ist sie dann aus ihrem Bette abge¬
standen, hat im Flur eine Holztruhe bei Seite geschoben, mit dem
Spaten eia Loch in den Erdboden gegraben und in diesem Loche
das inzwischen verstorbene Kind, an dem sich noch Nabelschnur
und Mutterkuchen befanden, vergraben. Nach Auffinden eines
blntigen Lakens hat sich die T. zu einem Geständnis herbei¬
gelassen. Der hierauf hinzugerufene Arzt fand an dem ausge-
gr&benen Kinde eine Glückshaube, d. h. es waren die Eihäute, in
denen das Kind geboren war, über den Kopf in Form einer Haube
gestülpt. Die Sektion der Kindesleiche hatte im wesentlichen fol¬
gendes Ergebnis:
Die Oberflächen der Lungen zeigten sich glatt, die Farbe des obern
Unken Lnngenlappens war blaßrot, deutlich marmoriert, die des untern linken
Lappens gleichmäßig blaurot. Dieser Lappen fühlte sich derb an. Bei der
Torgenommenen Lnngenprobe schwamm der finke Lungenflügel auf dem Wasser,
während der rechte unterging. Ebenso sanken die meisten Stücke der rechten
Lange unter; nur einzelne hielten sich auf dem Wasser. Beim Einschneiden
374
Dr. Lewinsky.
in dieselben, stiegen aal Druck nirgends Luftbläschen empor. In gleicher
Weise verhielten sich die kleinsten Stückchen des linken Unterl&ppens. Da¬
gegen stiegen bei Druck und Einschnitten in den überlappen der linken Lunge
unter Wasser ebenfalls Luftbläschen empor. Einschnitte in das Lungengewebe
der blauroten Teile ergaben ein festes Gewebe von leberartiger Konsistenz,
nirgends knisterte dasselbe. Auch entleerte sich bei seitlichem Druck auf die
Schnittflächen nirgends Schaum oder Luftblasen, sondern nur einzelne Bluts¬
tropfen. Die Schnittfläche des linken oberen Lungcnlappens zeigte dagegen
lufthaltiges Gewebe, das bei Druck knisterte und Schaum entleerte.
In dem vorläufigen Gutachten sprachen sich die Obduzenten
dahin aus, dass das Kind gelebt habe und dass der Tod durch
Erstickung eingetreten sei. In dem hierauf gerichtsseitig ge¬
forderten motivierten Gutachten wurde um Berücksichtigung der
Frage ersucht, ob der Teil der Lunge, der nicht geatmet habe,
— etwa */< der ganzen Lunge — infolge des Abschlusses der
Luft (durch das Zudeck der Angeschuldigten) luftleer gebieben sei.
Dass das Kind mit einem Teile seiner Lungen geatmet hatte,
dafür sprach das Ergebnis der bei der Sektion ausgeführten
Lungenprobe. Die in dem oberen linken Lungenlappen befindliche
Luft konnte nur durch Atembewegungen des Kindes nach der
Geburt in die Lunge gekommen sein, da die sonst für die Schwimm¬
fähigkeit der Lungen in betracht kommenden Möglichkeiten: Bildung
von Fäulnisgasen oder zuvoriges Lufteinblasen im vorliegendem
Falle auf Grund des Sektionsbefundes und der anamnestischen
Daten auszuschliessen waren.
Es entstand somit zunächst die Frage, ob die luftleeren Teile
der Lunge vor der Geburt des Kindes sich in einem Zustande
befunden hatten, der die Einatmung von Luft nach Austritt aus
den mütterlichen Geschlechtsteilen unmöglich gemacht hatte. Diese
Frage musste verneint werden, da sich keine Krankheitsprozesse
des Lungengewebes (Pneumonia alba u. dgl.) nachweisen Hessen,
auf Grund deren die Entfaltung desselben nach der Geburt hätte
unterbleiben müssen. Aus welchem Grunde hatte sich nun das
Lungengewebe nach der Geburt des lebenden Kindes nicht mit
Luft gefüllt?
Luftleere der ganzen Lunge oder einzelner Teile des
Lungengewebes bei einem sonst lebenden Kinde kann erfahrungs-
gemäss persistieren, wenn die Atembewegnngen unmittelbar nach
Austritt aus den mütterlichen Geschlechtsteilen unterbleiben, weil
das Kind zu schwach ist, um diese Atembewegungen auszuführen;
Im vorliegenden Falle war jedoch der Kräftezustand des Kindes
hinsichtlich seiner Muskelbeschafienheit ein durchaus normaler.
Bei langsam verlaufendem Gebärakt oder wenn die Lage
des Kindes eine Unterbrechung des Zuflusses vom mütterlichen
Blute zum kindlichen Organismus erzeugt, besonders wenn die
Nabelschnur durch Teile des Kindes gedrückt wird oder wenn
eine vorzeitige Ablösung des Mutterkuchens eintritt, muss ferner
dass Kind vor oder beim Austritt aus den Geschlechtsteilen
ersticken, weil einerseits der Sauerstoff des mütterlichen Blutes
abgeschnitten ist und es anderseits noch keine atmosphärische Luft
einatmen kann. Für diese Annahme lagen aber ebenfalls keine
Ueber versuchten Kindesmord.
875
sicheren Anhaltspunkte vor, wenn sich auch schwer ermessen
lässt, wann der Beginn der Geburt angesetzt und wie lange diese
gedauert hatte. Immerhin war die T. Erstgebärende und befand
sieh in einem Alter (38 Jahr), in dem der Geburtsakt schwer
and lange Zeit zu verlaufen pflegt.
Luftleere der Lungen oder Lungenteile kann weiterhin auch,
venn Atembewegungen nach der Geburt erfolgt sind, bei solchen
Kindern beobachtet werden, die in den Eihäuten geboren werden
oder wo Teile der Eihäute die natürlichen Atmungspforten wie
Nase nnd Mund verlegen. Die Geburt in den Eihäuten selbst
ist ein ziemlich seltenes Ereignis, hingegen lehrt die Erfahrung
in der Geburtshilfe und gerichtlichen Medizin, dass die Verlegung
von Nase und Mund durch Eihautstücke öfter vorkommt.
Der nach der Geburt zu gezogene Arzt Dr. S. hat nun die
bestimmte Angabe gemacht, dass das Kind der T. mit einer Glücks-
haube geboren sei, d. h. dass die Eihäute resp. Teile derselben über
dem Gesichte gelegen haben. Er hat allerdings nicht mehr genau
gewusst, ob die Eihäute noch über den Mund reichten; es ist
jedoch mit ziemlicher Sicherheit anzunehmen, dass dies der Fall
gewesen ist. Das Kind hat 3—4 Stunden lang nach der Geburt
zwischen den Schenkeln der Mutter gelegen und ist erst dann von
dieser fortgebracht. Da die T. in Gegenwart des Geistlichen ge¬
boren hat und die Geburt geheim halten wollte, dürfte sie die
Oberschenkel kräftig und krampfhaft zusammen gehalten haben,
um so das Kind nicht entschlüpfen zu lassen; hierbei können die
Eihäute abwechselnd Mund und Nase bedeckt haben und dann
wieder verschoben worden sein, jedenfalls spricht das Fehlen des
Schreiens einerseits, auch die bei der Sektion nachgewiesene
mangelhafte Lungenatmung anderseits dafür, dass ein Hindernis für
diese bestanden hat. Es können zwar Nase und Mund des Kindes
von den Schenkeln der Mutter bedeckt gewesen sein und das
Kind kann durch hilflose Lagerung mit dem Gesicht auf eine
luftundurchlässige Unterlage erstickt sein. Gerade die mangel¬
hafte Füllung der Lungen mit Luft deutet aber auf ein anders¬
artiges Hindernis, das einen gewissen minimalen Luftzutritt zu
den Lungen gestattet, weiteren Luftzutritt aber verhindert hat.
Dazu ist die Glückshaube besonders geeignet; denn sie kann sich
ventilartig bei jeder Einatmung auf die Atemöffnung legen
und so den Luftzutritt abschliessen. Auch bei dem von Hof mann,
(Atlas der gerichtlichen Medizin, Tab. 7; München 1898, Leh¬
manns Verlag) erwähnten Falle von Geburt in der Glückshaube
sind partiell lufthaltige Lungen festgestellt.
Der Frage des Richters, ob die drei Viertel der Lungen,
die nicht geatmet haben, infolge des Abschlusses der Luft (durch
das Zudeck der Angeklagten) luftleer geblieben sind, wird zum
Teil schon aus vorstehenden Erörterungen beantwortet. Wir haben
es im vorliegendem Falle keinesfalls mit rein atelektatischen
Lungen zu tun; denn solche fötalen Lungen sind gleichmässig
blassbraun, der Wasser- und Milchchokolade ähnlich. Hier war
die Farbe des luftleeren Lungenparenchyms aber dunkelblau, was
8T6
Dr. Lewinsky.
nur daher röhren konnte, dass sich dieses in der Geburt in einem
Zustande von Erstickung befunden hatte, die durch Verdeckung
der Atemöffnung des Kindes durch Eihautstücke herbeigeführt
war. Das lässt sich auch aus dem Geburtsverlauf mit an Sicher¬
heit grenzender Wahrscheinlichkeit folgern. Derselbe war sicherlich
protrahiert und nicht ganz leicht; durch eine Unterbrechung des
Zuflusses mütterlichen Blutes zum Kinde, sei es durch Druck auf
die Nabelschnur oder durch vorzeitige Lösung des Mutterkuchens,
wird das Kind schon in der Geburt Atembewegungen gemacht
und werden sich dadurch die vorliegenden Eihäute in den mütter¬
lichen Geburts wegen eng an Mund und Nase des Kindes gelegt
haben. Grade der grosse Blutreichtum solcher fötalen Lungen
spricht mit der grössten Wahrscheinlichkeit nicht für eine Asphyxie
durch aspirierte Stoffe, sondern für eine solche durch Verlegung
der Atmungsöffnungen mit Eihautstücken. Hof mann sagt z. B.
in seinem Lehrbuch der gerichtlichen Medizin (1895, S. 788 u. 784):
„In dem Falle, in welchem die betreffenden Substanzen (Schleimmaasen)
nur in den Kehlkopf eindrangen oder noch mehr dann, wenn trotz vorzeitiger
Atembewegungen gar keine Medien aspiriert werden konnten, z. B. weil die
Respirationsöffnungen durch die Wände der Geburtswege oder durch Eihänte
verlegt oder weil die Luftröhre durch starke Streckung des Halses
(Gesichtslage) oder feste Umschließung desselben durch die Nabelschnur un¬
durchgängig war, muß natürlich die Blutüberfüllung in den Lungen den höchsten
Grad erreichen, da unter solchen Umständen den Brustraum auszufüllen, dem
Blute allein zufällt“.
Ebenso wie die Eihäute das Gesicht des Kindes während
des Geburtsaktes umhüllten, haben sie auch nach der Gebart
zwischen den Schenkeln der Mutter auf dem Gesichte des Kindes
gelegen. Indessen dürfte durch die wenn auch geringen Be¬
wegungen der Mutter nach der Geburt und durch die Bewegungen
des Kindes selbst ein Teil der Eihäute sich zeitweilig von Mund
und Nase entfernt haben; dadurch hat das Kind Atembewegungen
ausgeführt und dem Teile der Lunge (dem 4. Teile), der während
der Geburt normal geblieben war, regelrecht Luft zugefühlt.
Es ist allerdings keineswegs auszuschliessen, dass das Zu¬
decken resp. Zugedeckthalten des Kindes durch die Bettdecke
seitens der Mutter den Abschluss der Luft von den Atmungs¬
werkzeugen des Kindes verursacht hat; denn tatsächlich hat es
8—4 Stunden lang unter dem ziemlich schweren und von der
Mutter in der Absicht, die Entbindung zu verheimlichen, recht
fest gehaltenen Zudeck gelegen; es kann dieses auch gegen das
Kind gedrückt und so direkt an Nase und Mund angepresst sein,
sodass die Erstickung lediglich durch die äusserst mangelhafte
Sauerstoffzufuhr unter der Decke eingetreten ist.
Was nun die juristische Beurteilung des Falles anbetrifft,
so handelt es sich hier um die Frage, ob und inwiefern die An¬
geklagte mit Tödtungsvorsatz gehandelt hat. Hat sie das Kind
unter dem Zudeck gehalten und zwischen den Schenkeln ein-
gepresst, in der Absicht, es auf diese Weise zu ersticken, oder
hat sie den Tod des Kindes, als sie aus ihrem Bette aufstand,
nicht erkannt und es in der Absicht vergraben, es auf diese
Weise zu tödten?
Ueber versuchten Eindesmord.
877
Trifft eine dieser beiden Voraussetzungen za, so ist die Ver-
nrteilnng der Angeklagten wegen versuchten Eindesmordes nach
der ständigen Praxis des Reichsgerichts gerechtfertigt; im letzten
Falle würde es sich allerdings nur um einen sogenannten Versuch
am absolut untauglichen Objekt, dessen Beurteilung eine der heiss
umstrittensten Fragen der Jurisprudenz bildet, handeln. Nach
dem Urteil des I. Strafsenats des Reichsgerichts vom 10. Juli 1880 *)
ist jedoch auch ein solcher Versuch strafbar. Hier handelte es sich
also um die Frage: Sind die an einem neugeborenen Kinde zu
dessen Tötung von der Mutter vorgenommenen Handlungen auch als
Versuch straflos, wenn dasselbe bereits tot zur Welt gekommen
ist? Im Schwurgerichte war wegen hinreichenden Verdachts des
vollendeten Kindesmords die Frage an die Geschworenen gestellt.
Da es aber nach dem ärztlichen Gutachten zweifelhaft war, ob
das Kind nach der Geburt gelebt hatte, war von dem Staatsanwalt
eine Hilfsfrage wegen Versuchs der Tötung beantragt, deren
Stellung jedoch das Gericht aus dem Rechtsgrunde ablehnte, weil
der Versuch der Tötung einer Leiche als eines absolut untauglichen
Objektes nicht strafbar sei. Auf Revision des Staatsanwalts
fegen das freisprechende Urteil des Schwurgerichts erfolgte Auf¬
hebung des letzteren und Zurückweisung der Sache zur weitern
Verhandlung aus folgenden Gründen:
„Die Revision des Staatsanwalts war begründet, das Schwurgericht hat
die von demselben beantragte Hilfsfrage aus dem Rechtsgrunde abgelehnt,
daß ein Versuch an einem absolut untauglichen Objekt nicht begangen werden
kümte. Dieser Grund ist aber ein irriger. Im Begriffe des Versuchs ist die
gedachte Beschränkung weder ausdrücklich noch indirekt ausgesprochen. Sie
folgt aber auch ebensowenig aus innern Gründen; denn für den Versuch im
Gegensatz zur Vollendung ist nur die Vorstellung des Täters, welche die Aus¬
führung des Entschlusses veranlaßte, entscheidend und die Möglichkeit und
Unmöglichkeit der Vollendung und der objektiven Beschaffenheit des durch
das Verbrechen betroffenen Gegenstandes gleichgültig. Es gilt in dieser Frage
dasselbe, was betreffend den Versuch mit absolut untauglichen Mitteln vom
Reichsgericht in dem Urteil der vereinigten Strafsenate vom 24. Mai 1880,
abgedruckt in Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Bd. I, S. 439
ausgesprochen ist.“ (Fruchtabtreibung mit untauglichen Mitteln).
Anders würde der Fall gelegen haben, wenn die Angeklagte
T. bis zu dem Augenblicke, wo sie aufgestanden war, nichts mit
Tötangsvorsatz getan und den Tod des Kindes erkannt hatte, ehe
sie es vergrub. Alsdann konnte von keinem Kindesmorde die
Bede sein, sondern höchstens fahrlässige Tötung in Frage kommen,
da man die Angeschuldigte hätte für verpflichtet erachten müssen,
ihr Kind sofort zu besichtigen, von etwaigen Eihäuten zu befreien
und in eine rein atmosphärische Luft zu bringen.
Die T. wurde wegen versuchten Kindesmordes und Beiseite¬
schaffung eines Leichnams zu 7 Monaten Gefängnis und zu 8
Tagen Haft verurteilt.
•) Siehe Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen, Band I,
Seite 451.
878
Dr. Angerer: Die Schnlarztfrage in besonderer Beziehung
Die Schularztfrage in besonderer Beziehung zur amtlichen
Tätigkeit der Bayer. Bezirksärzte.
(Schluß.)
III. Die Tätigkeit des Schnlarztes im allgemeinen:
Angenommen, dass für die grösseren Städte eigene Schulärzte v
angestellt, für die ländlichen Bezirke aber die Bezirksärzte '
mit der Ausführung der schulhygienischen Vorschriften betraut :
werden, so wird zunächst festzuhalten sein, dass die hy- ~
gienische Begutachtung des Bauplatzes und der Baupläne jeder- “j
zeit zu den dienstlichen Obliegenheiten des k. Bezirksarztes ge- ;
hören muss. Die Tätigkeit des eigens angestellten Schularztes, : ;
sowie des Bezirksarztes als zuständigen Schularztes für seinen : :
Bezirk müsste sich nach drei Richtungen hin entwickeln, nämlich ü
1. in der schulhygienischen Tätigkeit;
2. in der schulärztlichen Ueberwachung der Schule,
3. in der Unterweisung der Lehrer, Eltern und Kinder in
der Gesundheitslehre.
Die Bchulhygienische Tätigkeit erstreckt sich auf die
Beachtung und Abstellung aller unhygienischen Verhältnisse des V.
Schulhauses und seiner Einrichtungen. Die Hygiene des Hauses, ^
des Schulzimmers, der Aborte, des Trinkwassers, der Heizung,
Beleuchtung und Ventilation des Schulzimmers, sowie die Kontrolle
über die richtige tägliche Ausführung der letzteren bilden den
Hauptteil der schulhygienischen Ueberwachung durch den Schularzt ~
Der schulärztliche Ueberwachungsdienst soll die
Tatsache eines körperlichen Gebrechens oder eines sonstigen ab-
normen körperlichen oder geistigen Zustandes eines Schülers fest- V'
stellen und diesen abnormen körperlichen oder geistigen Zustand .j'
des Schülers so dem Schulbetriebe anpassen, dass er weder die
Interessen des kranken Schülers, noch die des Lehrers und Lehr-
planes, noch die Interessen der anderen Schüler schädigt; alles, '
was darüber hinausgeht, ist nicht Sache der Schule und des Schul- 1
arztes. Wird z. B. eine Schwerhörigkeit konstatiert, so hat sich
der Schularzt zunächst nicht darum zu kümmern, in welchen
pathologischen Veränderungen des Ohres diese ihren Grund hat;
der Schularzt hat den Lehrer nur von diesem Gebrechen zu ver- ;
ständigen, damit dieser den Schüler nach der gefundenen Schwäche
berücksichtigt. Ebenso verhält es sich, wenn z. B. Kurzsichtig¬
keit zu konstatieren war. Es ist nicht Sache des Schularztes,
den Grad derselben oder eine passende Brille zu bestimmen, er
hat dem Schüler zunächst nur einen solchen Platz in der
Schule anzuweisen, auf welchem er mit Rücksicht auf seine
schwachen Augen dem Unterricht mit Erfolg beiwohnen kann.
Die Ursachen dieser Störungen festzustellen, ist Sache des Haus¬
arztes, der, wenn er es für notwendig erachtet, einen Spezialarzt
zu Rate ziehen kann. Schadhafte Zähne sind der Ernährung des
Kindes hinderlich und damit auch der körperlichen und geistigen
Entwickelung — deshalb hat auch der Schularzt auf die Be-
«nr amtlichen Tätigkeit der Bayerischen Bezirks&rxte. 879
schaffenheit der Z&hne der Kinder zn achten. Hier ist die Auf¬
gabe des Schularztes, den Kindern Ratschläge zu geben über die
Pflege und Erhaltung derselben. Ein konstatierter Unterleibs¬
bruch oder die Anlage zu einem solchen verpflichtet den Schularzt,
diesen Schüler der erforderlichen Berücksichtigung bei körper¬
lichen Uebungen zuzuführen. Ein geistig minderwertiges Kind
ist nach Feststellung seiner Geistesschwäche vor unrichtiger Be¬
urteilung zu schützen; auf Grund der ärztlichen Beurteilung kann
seine geistige Entwickelung mit der geistig normaler Kinder nicht
den gleichen Schritt halten, wodurch nicht nur die Beurteilung
der Kinder, sondern auch des Lehrers und Erziehers in die rich¬
tige Bahn geleitet wird u. s. f. Das als krank oder gebrechlich
oder abnorm erkannte Kind hat selbstredend noch das weitere
Interesse, die Krankheit oder das Gebrechen wieder los und voll¬
ständig gesund und normal zu werden. Dieses Interesse ist wohl
begründet und berechtigt, doch ist es weder Aufgabe der Schule,
noch des Schularztes hier weiter einzugreifen, als es der Schul¬
betrieb erfordert; jeder weitere Eingriff müsste der Schule und
dem Schulärzte unvermeidliche Kollisionen bereiten. Die ärztliche
Behandlung von Krankheiten und Gebrechen kann niemals Aufgabe
des Schularztes sein; der Schularzt hat jedoch die Pflicht, den
Sehüler bezw. dessen Eltern auf das Leiden, falls es nicht ohne¬
dies schon bekannt sein sollte, aufmerksam zu machen und die
Anregung event. auch die Vermittelung zu übernehmen, es einer
ärztlichen Behandlung zuzuführen. Sind die Eltern infolge Mittel¬
losigkeit hierzu nicht imstande, so ist der Schularzt befugt, die
öffentliche oder private Wohltätigkeit für den Schüler zu Hilfe zu
raten; mancher Freiplatz in einer Klinik oder Heilanstalt wird
solchen armen Geschöpfen offen stehen, und mancher wird auf
solche Weise von seinem Leiden oder Gebrechen befreit und zu
einem arbeitstüchtigen Menschen erzogen, der sonst als unfähiger
Krüppel der heimaüichen Armenpflege zur Last fallen müsste.
Aus diesen Erörterungen folgt die Notwendigkeit einer sorg¬
fältigen ärztlichen Untersuchung aller jener Kinder, welche neu
in die Schule eintreten, sowie die Aufzeichnung des Befundes in
einem Gesundheitsbogen, der den Schüler von Klasse zn Klasse
begleitet. In allen späteren Besichtigungen ist der betreffende
Schüler, bei dem ein abnormer Befund notiert worden ist, wieder
dv&ufhin zu untersuchen, während die übrigen Schüler, bei denen
ein normaler Befand bei der ersten Untersuchung konstatiert
werden konnte, auch späterhin und solange nicht eingehend unter¬
sucht werden, als nicht auf Grund der Beobachtung des Lehrers
oder nach Angabe der Eltern oder des Kindes selbst sich die
Vermutung oder die Gewissheit ergibt, dass sich seit der ersten
Untersuchung eine krankhafte Veränderung eingestellt hat; von
da ab ist auch dieses Kind der besonderen schulärztlichen Aufsicht
und Fürsorge zugewiesen.
Ein so geregelter schulärztlicher Ueberwachungsdienst muss
die von anderen geforderte spezialärztliche Ueberwachung der
Schüler als nicht notwendig und entbehrlich bezeichnen. Abge-
880
Dr. Angerer: Die Schnlarztirage in besonderer Beziehung
sehen davon, dass es schul technisch geradezu unmöglich sein wird,
in der Schule eine Reihe von Spezialftrzten mit langwierigen und
komplizierten Untersuchungen und mit einer Anzahl von Instru¬
menten und Apparaten tätig sein zu lassen, ist es für die Schule
ganz belanglos, zu wissen, welchen pathologisch-anatomischen
Veränderungen dies oder jenes Gebrechen seine Entstehung ver¬
dankt. Die Schule hat nur soweit Interesse an den Krankheiten
oder Gebrechen der Schüler, als dieselben mit der Schule und
den Anforderungen des Schulbetriebes in Verbindung stehen.
Spezialärzte für Nase, Ohren, Augen, Zähne, chirurgische und
psychiatrische Spezialisten können überhaupt als Spezialschulärzte
nur für jene grossen und Grossstädte in Betracht kommen, wo
solche überhaupt vorhanden sind, auf dem Lande ist die An¬
stellung derartiger Spezialärzte für die Schulen ohnedies unmöglich,
weil sie nicht zur Verfügung stehen. Und wenn die schulärztliche
Tätigkeit auf dem Lande ohne spezialärztliche Mithilfe anskommen
muss, so wird sie auch für die Städte entbehrt werden können,
zudem bei deren Inanspruchnahme die Schule bald mehr einem
klinischen Institute, als einer Schule gleichen würde. Für die
Schule und ihre Zwecke muss lediglich die Feststellung des ab¬
normen Zustandes und die Anpassung desselben an den Schul-
betrieb gefordert werden mit der weiteren sachverständigen, d. h.
schulärztlich bestimmten Fürsorge, das vorhandene Leiden durch
den Schulbetrieb nicht zu verschlechtern, sondern eventuell durch
Vermittelung einer ärztlichen Behandlung zu bessern oder za
heilen. Eine solche schulärztliche Tätigkeit würde, und das muss
die Hauptsache sein, den praktischen Anforderungen genügen, und
dazu muss die Schule ihre Einwilligung geben. Die genaueren
spezialärztlichen Untersuchungen und Feststellungen wären nur
notwendig für wissenschaftliche und statistische Zwecke, hierzu
kann aber die Schule zunächst nicht veranlasst werden; nicht das
darf der Zweck der schulärztlichen Aufsicht sein, Material zu
wissenschaftlicher Forschung zu sammeln, sondern lediglich prak¬
tische Gesichtspunkte müssen den schulärztlichen Dienst und seine
Ausführung bestimmen.
Die erste und eingehende schulärztliche Untersuchung aller
neu eintretenden Schüler ist der grundlegende und wichtigste Teil
der schulärztlichen Ueberwachung. Ohne die Vornahme dieser
Untersuchung wird die ganze schulärztliche Tätigkeit keinen
ganzen Erfolg erzielen; deshalb ist auf die Ausgestaltung und
Einrichtung dieser ersten Untersuchung das grösste Augenmerk
zu richten. Es muss demnach gefordert werden, dass dem Arzte,
der diese Untersuchung vorzunehmen hat, auch das notwendige
anamnestische Material über jeden einzelnen Schüler zur Ver¬
fügung steht. Um dieses zu erreichen, wurde der Vorschlag ge¬
macht, den Kindern einen Fragebogen zuzustellen, den sie be¬
antwortet bei der Anmeldung mitzubringen hätten. In diesem
Fragebogen sind eine Anzahl Fragen enthalten, welche über früher
durchgemachte Krankheiten, über bestehende Gebrechen und Ab¬
normitäten des Körpers und des Geistes Aufschluss geben, und so
nr amtlichen Tätigkeit der Bayerischen Besirks&rzte. 881
den untersuchenden Arzt unterstützen sollen in der Aufnahme des
Befundes und in der richtigen gesundheitlichen Gesamtbeurteilung
des einzelnen Kindes.
Solche Fragebogen sind für ländliche Verhältnisse nicht
branchbar, denn die grosse Mehrzahl der zur Beantwortung der
Fragen in Betracht kommenden Angehörigen des Kindes ist nicht
imstande, brauchbare Angaben zu machen. Viel wertvoller werden
sieh die Angaben des Lehrers gestalten, die er bei der Anmeldung
der Kinder von den hierbei anwesenden Angehörigen erhält, und
noch wertvoller werden die Angaben des Lehrers sein, die er auf
Grand einer mehrwöchentlichen Beobachtung des Kindes in der
Schale gemacht haben wird. Um den Lehrern einen Anhaltspunkt
za geben, die anamnestischen Verhältnisse des Kindes möglichst
vollständig zu erhalten, ist die Abfassung eines solchen Frage¬
bogens zum Gebrauche für den Lehrer sehr notwendig und
wünschenswert.
Es ergibt sich also die zweckmässige Forderung, die
schulärztliche Untersuchung der Kinder erst mehrere Wochen
nach Beginn des Schuljahres auszuführen, um die inzwischen ge¬
machten Beobachtungen und Aufzeichnungen des Lehres bei der
ärztlichen Untersuchung verwerten zu können. Ausserdem ist es
von besonderer Wichtigkeit, diese Beobachtungen und Aufzeich¬
nungen vom Lehrer machen zu lassen, da dieser hierbei von selbst
auf den Zusammenhang geistiger oder körperlicher Minderwertig¬
keit mit der geistigen Leistungs- und Bildungsfähigkeit seines
Schülers aufmerksam gemacht wird, — ein wichtiges Moment,
am den Lehrer für die ärztliche Tätigkeit in der Schule zu inter¬
essieren und zur Mitarbeit an derselben heranzubilden. Der Lehrer
war auch bisher schon verpflichtet, über besondere gesundheitliche
Verhältnisse des Schülers in dem Manuale oder Absentenbuche
geeignete Vermerke zu machen. Diese Vermerke, die aber nicht
immer und nicht regelmässig gemacht wurden, konnten indes
niemals eine absolute Bedeutung erlangen, weil sie lediglich Laien-
vennerke waren; wie ganz anders werden sich in Zukunft solche
unter sachverständiger und amtlicher Aufsicht und Ergänzung
gemachte Vermerke im späteren Leben des Schülers verwenden
lassen.
Es wurde schon oben betont, dass der Schularzt nur dann
imstande sein kann, eine erspriessliche schulärztliche und schul¬
hygienische Tätigkeit zu entfalten, wenn er vom Lehrer hierin
unterstützt wird. Der Lehrer allein ist ebensowenig imstande in
der Schulhygiene etwas zu leisten, als der Arzt allein; nur wenn
beide zusammen helfen und, sich gegenseitig unterstützend und
ergänzend, sich an der gleichen Arbeit beteiligen, kann segens¬
reich gewirkt werden. Für die erfolgreiche Mitarbeit des
Lehrers im schulärztlichen und schulhygienischen Dienste be¬
stehen ja jetzt weit günstigere Verhältnisse, als wie vor einigen
Jahren, als die schulärztliche Bewegung ihren Anfang nahm. Da¬
mals standen die Lehrer dieser Einrichtung sehr misstrauisch
gegenüber, nicht nur, dass sie diese für unnötig und undurch-
888 Dr. Angerer: Die Scholarstfrage in besonderer Bestehung
fahrbar erklärten, es wurde von seiten der Schulbehörden und der
Lehrerschaft sogar der Versuch gemacht, darzulegen, dass der
Lehrer selbst imstande sei, die hierzu erforderlichen Anordnungen
zn treffen, und dass der Arzt hierzu nicht nötig und entbehrlich
sei. Die Lehrer betrachteten anfangs diese Einrichtung als eine
neue nicht fachmännische Einmischung in die Schule und fürchteten
neue unliebsame Störungen und Beigaben zu ihrem ohnehin
schon schweren Beruf. Die Stellung der Lehrerschaft zur 8chul-
arztfrage ist aber im Laufe der Zeit eine ganz andere geworden;
die Lehrerschaft steht jetzt fast ausnahmslos der Einrichtung
einer regelmässigen und geordneten schulärztlichen Tätigkeit sehr
sympathisch gegenüber, weil bei ihr die Einsicht zur Geltung
gekommen ist, dass die Schule zur Lösung ihrer hygienischen Auf¬
gabe der geordneten und ständigen Mitwirkung des sachver¬
ständigen Arztes nicht mehr entbehren kann.
Wird die schulärztliche Tätigkeit richtig aufgefasst und mit
Takt und Verständnis ausgeübt, dann bedeutet sie sicherlich keine
Störung und keinen Eingriff in die Hechte und die Autorität des
Lehrers, was früher von diesen befürchtet wurde. Im Gegenteil
sie wird den Lehrer in der Erziehung der Jugend nur unter¬
stützen, sie wird, was besonders zu betonen ist, dem Lehrer einen
grossen Teil seiner Verantwortung abnehmen. — Viele Misserfolge
der Schule wurden bisher allein auf Rechnung des Lehrers gesetzt
und bei dessen Qualifikation schädigend notiert, während sie ihre
eigentliche Ursache in einer abnormen krankhaften Funktion der
geistigen Tätigkeit des Schülers batten, eine Folge des nicht ent¬
sprechenden Auseinanderhaltens von Nichtwollen und Nichtkönnan.
Hier wird in Zukunft die schulärztliche Tätigkeit klare
Verhältnisse schaffen können.
Durch die schulärztliche Ueberwachung wird die Mitwirkung
des Lehrers in der Schulhygiene nur angeregt und erfolgreich
erweitert. Seine berechtigten Forderungen hinsichtlich der Be¬
achtung jener hygienischen Vorschriften, für die er auch in Zu*
kunft trotz des Schularztes und neben demselben immerhin die
einzige Kontrolle ausüben kann und muss (Reinigung, Heizung,
Ventilation u. a. m.), werden im Amts* resp. Schulärzte den be¬
rufensten Vertreter und Förderer finden; was er bis jetzt aus
eigener Kraft nicht erreichen und durchsetzen konnte, wird den
vereinten Kräften um so leichter gelingen. Nur wenn Arzt und
Lehrer gemeinsam ohne Rücksicht auf die Wahrung eigener Rechte
ihr Bestreben dahin richten, die körperliche und geistige Erziehung
der Schüler möglichst gleichmässig zu vollenden, werden sie beide
den Endzweck ihres Berufes erreichen — die Gesundheit, die
Kraft und die Leistungsfähigkeit der kommenden Geschlechter
zu erhöhen.
IV. Die Ausübung des schulärztlichen Dienstes auf
dem Lande im besonderen: Nach den bisherigen Erörterungen
ergibt sich von selbst die Notwendigkeit, dass der schulärzt¬
liche Dienst in den grossen Städten ein anderer sein muss,
als der in ländlichen Schulen. Die allgemeinen bisher beeproche-
s«r amtlichen Tätigkeit der Bayerischen Besirksirste. 888
nen Grandsätze and Grundregeln gelten für beide in gleicher
Weise, die spezielle Aasftbnng nnd Anwendung derselben hat sich
jedoch den jeweils besonderen Verhältnissen geeignet anzupassen;
darum wird diesen entsprechend die Ausübung der schulärzt¬
lichen Vorschriften in den Städten eine andere sein müssen als
anf dem Lande. Zunächst muss festgestellt werden, dass die
grossen Städte hygienisch einwandfreie Volksschulhäuser haben
mit den besten Einrichtungen. Für Beaufsichtigung und Instand¬
haltung des Hauses, für Reinigung desselben, Bedienung der
Heizung und Ventilation ist ein eigens unterrichtetes und ver-
läauges Personal angestellt, es wird deshalb die schulärztliche
Tätigkeit in den Städten nach diesen Richtungen hin nicht be¬
sonders viel zu tun haben. Dagegen ist hier bei der grossen
Anzahl der Kinder und deren Verkehr mit einem grossen Be-
▼Wkerungskörper grosse Aufmerksamkeit hinsichtlich der Weiter-
Terbreitung ansteckender Krankheiten erforderlich, deshalb wird
hier nicht nur die erstmalige eingehende Untersuchung der Lern-
anfinger oder sonst neu in die Schule eintretenden Kinder, sondern
auch eine Öfter zu wiederholende Besichtigung der Schüler und
Beachtung ihres jeweiligen Gesundheitszustandes notwendig sein.
Auf dem Lande hingegen ist die Hygiene des Schalhauses
nnd seiner Einrichtungen, die Kontrolle der gesundheitsgemässen
Heizung und Ventilation mit als die Hauptaufgabe der schulärzt¬
lichen Tätigkeit zu bezeichnen, während die Verhütung der Aus¬
breitung ansteckender Krankheiten in den einzelnen im Verhältnis
zn den Städten schwachbesuchten Schulen der kleinen Dorf¬
gemeinden den Schularzt nur wenig und selten beschäftigen wird.
Böden gemeinsam ist wieder die Verbreitung der hygienischen
Grundsätze, die geeignete Belehrung der Lehrer, Kinder und An-
gehörigen derselben in der Gesundheitslehre. Und hier wird
viederum die Tätigkeit des ländlichen Schularztes eine ausge¬
dehntere nnd auch erfolgreichere sein, als die des städtischen
Schularztes. Der ländliche Schularzt steht der kleinen Anzahl
der Bewohner eines Dorfes gegenüber und ist viel leichter im-
■tande, auf diese mit hygienischem Unterrichte hinzuwirken, als
der städtische Schularzt auf die Massenbevölkerung der Grossstadt.
Nach diesen Gesichtspunkten wird sich die Tätigkeit des
Schularztes anf dem Lande und in der grossen Stadt verschieden
*a gestalten haben.
Mit den ländlichen Verhältnissen mehr vertraut will ich
versuchen, die Tätigkeit eines Schularztes auf dem Lande nach
Kinen einzelnen Anforderungen zu schildern in der Annahme, dass
auf dem Lande die regelmässige und geordnete schulärztliche Auf-
aicht zunächst eingeführt werden sollte, weil fürs erste hier das
grössere Bedürfnis besteht und weiterhin der Schularzt hier schon
amtlich bestellt ist, es also nur noch der besonderen Dienst¬
anweisung für seine Tätigkeit bedarf. Es muss hier bemerkt
werden, dass, wie aus den Mitteilungen des Bayer. Statistischen
""reaus, 1004, Heft 4, hervorgeht, von den 7448 Volksschulen
dis Königreichs nur 441 auf die Städte, dagegen 7002 auf das
884
Dr. Angerer: Die Schularatfrage in besonderer Beziehung
Land entfallen, dass die Stadtschulen von 218891, die Landschalen
dagegen von 703147 Schülern besucht waren. Weitaus die grosse
Mehrzahl der Schnlen and der Schüler trifft auf das Land,*
deshalb kann die Einrichtung einer besonderen schulärztlichen
Aufsicht nur dann einen allgemeinen Erfolg haben, wenn diese
Einrichtung zunächst und zuerst für die Landschulen eingeführt
worden ist.
Die schulärztliche Tätigkeit auf dem Lande sollte sich in
folgender Weise gestalten:
Ungefähr zwei Monate nach Beginn eines neuen Schuljahres
haben die ärztlichen Besichtigungen der einzelnen Schulbäuser
des Amtsbezirkes durch den Bezirksarzt ihren Anfang zu nehmen.
Dieser Zeitpunkt des Beginnes der regelmässigen Besichtigungen
muss deshalb so gewählt und eingehalten werden, um dem Lehrer
Zeit zu geben, seine neueingetretenen Schüler kennen zu lernen,
weil die inzwischen gemachten Beobachtungen des Lehrers über
die körperliche und geistige Beschaffenheit der Schüler für die
ärztliche Untersuchung ein wertvolles Material abgeben. Bei der
schulärztlichen Besichtigung selbst wird zunächst das Schulhaus,
dann die Lehrzimmer, die Lehrerwohnung, die Abortanlage, der
Brunnen, Qarten, Spielplatz genauestem in Augenschein ge¬
nommen und die hierbei gemachten Beobachtungen in das For¬
mular I (s. Anlage I) eingetragen. Dieser Bogen I wird für jede
Schule nur einmal angelegt und bleiben die Einträge dort solange
unverändert stehen, bis nicht eine erhebliche bauliche Verände¬
rung oder ein vollständiger Neubau eine entsprechende Aenderung
oder Neuanlage dieses Bogens notwendig machen. Nach dieser
allgemeinen Besichtigung erfolgt die ärztliche Besichtigung aller
Schüler, zunächst jener, welche neu in die Schule eingetreten sind
und welche einer eingehenden ärztlichen Untersuchung zu unter¬
stellen sind. Schon vor der ärztlichen Besichtigung hat der Lehrer
für jeden Schüler einen eigenen Gesundheitsbogen nach Formular II
(s. Anlage II) angelegt, und auf diesem nicht nur die Personalien
des Schülers, sondern auch seine eventuellen Kenntnisse und Be¬
obachtungen über Erblichkeits- oder sonstige für die Beurteilung
des Schülers verwertbare Familienverhältnisse, über körperliche
Gebrechen, bereits überstandene Krankheiten, über auffallende
Gewohnheiten oder sonstige Auffälligkeiten eingetragen, ebenso
die Grösse und das Gewicht des einzelnen Schülers. Dieser
Bogen wird ausgefüllt vor der ärztlichen Untersuchung des
Schülers dem Arzte vorgelegt. Es ist für die richtige Beurteilung
der gesundheitlichen Entwickelung des einzelnen Kindes von
grösstem Werte, Einblick zu erhalten in die häuslichen familiären
Erziehungs-, Eniährungs- und Wohnungsverhältnisse, das Milieu
kennen zu lernen, in welchem das Kind ausserhalb der Schule
lebt. Eine Nichtbeachtung dieser Verhältnisse heisst den schul¬
ärztlichen Anforderungen nur zur Hälfte genügen.
Der Arzt besichtigt nun den Schüler hinsichtlich seines all¬
gemeinen Eindruckes, Peinlichkeit des Körpers und der Kleidung
und seines allgemeinen Ernährungszustandes. Dann misst er den
rar amtlichen Tätigkeit der Bayerischen Bezirksärzte.
885
Brustumfang, untersucht Augen und Sehschärfe, Ohren und Gehör,
Mund, Nase und Sprache, besichtigt die Zähne und Rachenorgane,
untersucht Herz und Lungen und forscht nach vorhandenen kör¬
perlichen Gebrechen. Das Ergebnis dieser Untersuchung wird
in Bogen II, den eigentlichen Gesundheitsbogen, eingetragen.
Dieser Bogen hat für jedes Jahr einen eigenen Abschnitt zur
Konstatierung des Befundes bei der ärztlichen Untersuchung und
zu einem alljährlichen Vermerk des Arztes ftber den jeweiligen
> Gesundheitszustand, über Besserung oder Verschlechterung der
konstatierten Störungen; er wird am Schlüsse der Schulzeit er¬
gänzt durch Ratschläge für die Berufswahl in Berücksichtigung
der allgemeinen Entwickelung und Anlagen des Schülers. Es
muss hier bemerkt werden, dass, solange keine gesetzliche Hand¬
habe besteht, man die Kinder zu dieser schulärztlichen Unter-
rachung nicht zwingen kann; es muss deshalb jenen Eltern, welche
ihre Kinder vom Schulärzte nicht untersuchen lassen wollen, ge¬
stattet sein, die Ausfüllung dieses Gesundheitsbogens auch ihrem
Hausarzte überlassen zu dürfen. Während der Bogen I in der
amtsärztlichen Registratur verbleibt, wird der Bogen II dem
Zeasurbogen des Schülers beigelegt und von der Schule anfbewabrt.
Ich versage mir, hier näher auszuführen, welch enorme Wichtig¬
keit, ja, welch entscheidende Bedeutung für das Schicksal eines
Menschen dieser Gesundheitsbogen als amtliches Material über die
jugendlichen Gesundheitsverhältnisse desselben im Laufe der Zeit
gevinnen mag; man denke nur an die Aushebung zum Militär,
an gerichtliche Untersuchungen, spätere geistige Erkrankungen,
das Entmündigungsverfahren und dergleichen. Ich möchte aber
nicht versäumen, hier besonders hervorzuheben, wie ungemein
i ■' vorteilhaft es für alle beteiligten Faktoren sein muss, wenn der
Iehrer bei von auswärts einwandernden Schülern sich aut Grund
dieses Bogens sofort ein richtiges Urteil über die gesundheitlichen
Verhältnisse des zugegangenen Schülers zu bilden vermag. In
das Formular III werden die Gesamtergebnisse jeder Schul-
bwichtigung eingetragen, die Ergebnisse, wie sie sich aus der
jeweils bestehenden Besetzung des Schulzimmers und dem jeweils
bestehenden allgemeinen Gesundheitszustände der Kinder am Tage
der Besichtigung feststellen Hessen. Ausserdem wird hier auch
. ; bemerkt, in welchem Zustande der Reinlichkeit sich das Schul-
rimmer und die Lehrerwohnung am Tage der Besichtigung be-
5 fanden haben und welcher Art die Luftbeschaffenheit des Schul-
nmmers während des Unterrichtes war. Der letzte Punkt dieses
Bogens, „Was wird zur Aenderung vorgemerkt“, enthält die Be¬
anstandungen aller Art und bezeichnet von selbst die weitere
Tätigkeit des Schularztes.
Es hiesse nun die Tätigkeit des Schularztes vollständig falsch
«Hassen, wenn die Vermerke dieses letzten Punktes sogleich in
| der Weise zur Ausführung gebracht werden wollten, dass der
,. Schularzt sofort die Aenderung oder Abschaffung der Vorgefundenen
«wmtandungen durchsetzen wollte, wenn er sofort neue SubselHen,
wdere Aborte, grössere Fenster, grössere Schulräume, kurz gleich
'i
386 Dr. Angerer: Die Schularzt!rage im besonderer Beziehung
ein neues Schalhaus verlangen würde. Das könnte die ganze
Wohltat der schulärztlichen Besichtigung in Frage stellen; die
Rücksicht auf die finanzielle Leistungsfähigkeit der Schulgemeinde
verlangt ein allmähliches Vorgehen. Zunächst sollten nur die
fühlbarsten Mängel beseitigt werden, die noch bestehenden sani¬
tären Missstände aber müssen immer und immer wieder betont
und konstatiert werden; dieselben dürfen nicht mehr aus dem Auge
gelassen und die massgebenden Personen müssen immer wieder
auf das Gesundheitsschädliche des Missstandes aufmerksam gemacht
und darüber solange belehrt werden, bis sie sich der Abstellung
willfährig erzeigen. Vieles könnte gebessert werden unter Auf¬
wand ganz geringer Summen, wenn man sich die Aenderung auch
angelegen sein liesse und nicht alles getan zu haben glaubt,
wenn man lediglich den Missstand konstatiert hat, sich um die
Aenderung desselben aber weiter nicht mehr kümmert. Dann
wird man freilich nach Jahren immer wieder den gleichen Befand
konstatieren müssen.
Der mit solchen schulärztlichen Verpflichtungen bestellte
Bezirksarzt müsste als solcher mit Sitz und Stimme im Lehr¬
körper und als ständiges Mitglied der Schulkommission in den
Rahmen der Schulorganisation eingefügt werden; er müsste auch
2 u allen regelmässigen Lehrerkonferenzen des Bezirkes eingeladen
werden und dafür Sorge tragen, dass die Tagesordnung derselben
schulhygienische Themata zur Beratung und Diskussion enthält
Auf diese Weise wird er mit. dem Schulwesen immer mehr be¬
kannt werden und seine Forderungen immer mehr den allgemeinen
Forderungen des Unterrichtswesens anpassen können.
Diese vorgezeichnete, sicherlich sehr erspriessliche Tätigkeit
des Schularztes kann aber für die ländlichen Bezirke nur im Ver¬
ordnungswege bestimmt und eingeführt werden. — Die Einführung
einer solchen nur der Initiative der Schulgemeinde überlassen,
hiesse die Einrichtung einer schulärztlichen Tätigkeit aut ewig
verschieben. Keine Gemeinde wird sich zu einer immerhin kost¬
spieligen Einrichtung entschlossen, wenn nicht sogleich und zwar
klingender Erfolg erwartet werden kann. — Deshalb kann die
Einrichtung und Einführung eines schulärztlichen Dienstes in den
ländlichen Schulen nur auf behördliche Anordnung geschehen; die
Einführung ist gesichert, wenn die ländlichen Schulgemeinden
ebenso wie in der Stadt die Kosten dieses ärztlichen Ueber-
wachungsdienstes zu übernehmen bereit sind. Die Einführung
eines so gestalteten schulärztlichen Dienstes müsste aber noch
weitere höchst segensreiche Erfolge auch für die Allgemeinheit
erzielen. Zunächst würde durch die Ausübung einer solchen
schulärztlichen Tätigkeit der Amtsarzt in eine regelmässige und
enge Beziehung zu den Schulgemeinden und deren Bewohner
treten. Er würde die nach der Schulbesichtigung noch zu Gebote
stehende Zeit des Tages benutzen, um auch die sonstigen sani¬
tären Verhältnisse des Ortes einer Würdigung zu unterziehen; er
könnte Einfluss üben auf die Ernährung, Lebensweise und Woh¬
nungsverhältnisse der Einwohner, könnte in Vorträgen, für die
sar amtlichen Tätigkeit der Bayerischen Bezirksärzte.
887
•j gewiss, wenn die Tageszeit richtig ausgewählt wird, ein zahl-
.• t reiches nnd dankbares Auditoriam erwartet werden kann, die Ge-
sundheitaverhältnisse der Bewohner erfolgreich beeinflussen durch
: Umsetzen der wissenschaftlichen Hygiene in die Praxis. Im regen
Verkehr mit den Bewohnern seines Bezirkes würde er auf diese
■: - Weise zum hygienischen Wanderlehrer, znm sachverständigen Be-
-v rster in gesundheitlichen Dingen, znm Gesnndheitsbeamten seines
■; Bezirkes sich entwickeln. Man betrachte nur die Erfolge, welche
. die Landwirtschaft mit der seit Jahren betriebenen Belehrung nnd
, Aufklärung der Landbevölkerung durch Vorträge von Wander-
i khrern and entsprechende Flugschriften etc. erzielt hat, nnd man
j darf hoffen, dass anch die gleichen Erfolge mit der hygienischen
' Belehrung des Volkes zu erzielen sein würden.
i Znm Schlüsse soll noch erwähnt werden, dass eine solche
; Ausdehnung des amtsärztlichen Dienstes dem Bezirksarzt eine
i neue, zeitraubende nnd auch körperlich anstrengende Tätigkeit
yj mveist, die ihn so in Anspruch nehmen würde, dass er für die
i t Besorgung privatärztlicher Geschäfte nicht viel Zeit mehr übrig
f bitte. Die Erträgnisse ans der schulärztlichen Tätigkeit würden
, | ihn zwar, was das Gehalt betrifft, in die gleichen Verhältnisse
- : stellen, in welchen seine Altersgenossen in anderen Berufsarten
. 1 sah befinden, — immerhin würde das Wegfallen der Privatpraxis
i' I für manchen die Veranlassung sein, sich um eine amtsärztliche
. 1 Austeilung nicht mehr zu bewerben. Es würden fortan nur solche
. j Aerzte eine Anstellung im amtsärztlichen Dienste anstreben, welche
in sich den Beruf fühlen, sich ganz in den Dienst der öffentlichen
Gesundheitspflege zu stellen; für diese hat dann der Wegfall
| der privatärztlichen Tätigkeit die grösste Bedeutung hinsichtlich
l am unbehinderten Ausübens ihrer gesamten amtsärztlichen Ob-
[ lügenheiten.
Meine Ausführungen fasse ich in folgende Schlusssätze zu-
sammen:
1. Die schulärztliche Aufsicht liegt im Interesse der Schule,
der Schüler und der Allgemeinheit.
2 . Die in Bayern geltenden Vorschriften entsprechen im
allgemeinen den Anforderungen der Schulhygiene, sie bedürfen
i mr einer Erweiterung in bezug auf Berücksichtigung der Ge-
sandheitsverhältnisse der einzelnen Kinder.
3. Znr Beachtung der schulhygienischen Vorschriften sind
i Arzt und Lehrer verpflichtet.
4. Als Aerzte sind hier verpflichtet die Bezirksärzte.
5. Mehr als 5000 Schüler sind dem Bezirksarzte nicht zu
'“terstellen.
6 . In Schulgemeinden, in denen erheblich mehr Kinder vor-
huden sind, werden dem Bezirksarzt Hilfsärzte in Form eigener
Schulärzte beigegeben.
7. In grossen Städten muss die Aufstellung besonderer Schul¬
kate mit besonderer DiensanWeisung gefordert werden.
Dr. Angerer: Die Schularztfrage in besonderer Beziehung
Formular I.')
Ergebnisse
der amtsärztlichen Besichtigung der Schale za .
am.19
1. Wann wurde das Schalhaas erbaut
and wer ist Eigentümer?
2. Lage, Umgebung and Grüße des
Schalhauses; befinden sich in der
Nähe schädliche Aasdünstangen
oder störende, lärmende Betriebe;
ist es freistehend, oder von anderen
Gebinden eingeschlossen. Beschaf¬
fenheit des Zugangsweges zum
Scholhaose.
3. Konstruktion des Schul¬
hauses. Zustand der Mauern, des
Daches, Fenster, Türen; Feuchtig¬
keit der Mauern, Infiltration durch
Abortinhalt oder Haus- und Ablei¬
tungswässer ; Zustand der Dach¬
rinnen, Keller, Gänge, Treppen und
Treppengeländer. Allgemeine Ord¬
nung und Reinlichkeit im Hause
und in der nächsten Umgebung des¬
selben.
4. Schulzimmer.
Wieviele; Flächen- und Kubikinhalt
eines jeden, Anstrich der Decken
und Wände; Zahl und Grüße der
Glasfläche der Fenster, deren Ver¬
hältnis zur Flächengröße des Schul-
., Kgl. Bezirksarzt.
zimmere, Anlage und Situation der
Fenster, Schutz gegen direktes
Sonnenlicht; Zustand und Beschaf¬
fenheit der Oefen, Schutz gegen
strahlende Wärme; welches Heiz¬
material; Beschaffenheit der Fu߬
böden; VentUationsvorrichtungcn.
5. Beschaffenheit der Bänke.
Welches System, Stellung derselben
zum Licht und zum Katheder.
6. Kleiderablage.
7. Abort an läge. Allgemeiner Zu¬
stand der Aborte, Reinlichkeit, Ven¬
tilation, Zustand der Grube; Lage
dos Abortes; Pissoirs.
8. Trinkwasser.
9. Spielplatz und Schulgarten.
10. Schulfremde Räume. Auf¬
enthaltsraum für die auswärtigen.
Schüler während der Mittags¬
pausen.
11. Gemeindeamtliches Zimmer.
12. Lehrerwohnung. Anzahl der
Zimmer; Lage derselben zu den
Schulzimmern; Eingang zur Lehrer¬
wohnung ; Aborte, Wirtschafts¬
räume.
Formular U. *) T
Schule in. A '
Schulärztliche Aufzeichnungen über d . . Schüler.
geboren am.zu.
Eintritt in die Schule am. 1. Schulärzliche Besich¬
tigung am.
Beobachtungen des Lehrers über zu berücksichtigende Erb-
lichkeits- und Familienverhältnisse, körperliche Gebrechen, Krankheiten, auf¬
fallende Gewohnheiten, geistige Auffälligkeiten usw.
Körpergröße . . ., Körpergewicht . . . ., Brustumfang . . .
Allgemeiner Gesundheits- und Ernährungszustand.
Prüfung des Gehörs., Prüfung des Sehvermögens.
Endurteil und Bemerkungen:
.. Kgl. Bezirksarzt.
Schulärztliche Besichtigung am. jj
Körpergröße . . . ., Körpergewicht . . ., Brustumfang ...
Allgemeine Ernährungs- und Gesundheitsverhältnisse.
Endurteil und Bemerkungen:
., Kgl. Bezirksarzt.
Folgen noch 6 gleichlautende Spalten wie II für das III, IV., V., VL,
VII. Schuljahr; bei dem VII. Schuljahr wäre bei Bemerkungen noch die
Berufswahl hinzuzufügen.
*) Nur einmal für jedes Schulhaus anzulegen und giltig so lange, als
keine größeren baulichen Veränderungen vorgenommen werden.
*) Für jeden neu eintretenden Schüler anzulegen und jedos Jahr fortzu¬
führen (Beilage zum Zensurbogen; zu den Schulakten).
Di. Bichter: Die Tuberkulose in der Schule uaw.
889
Ftmalar HL 1 )
Ergebnis
der amtsärztlichen Besichtigung der Schule zu
vom.19
1 . Anzahl der Schulkinder im Schul*
zimmer:
Trifft auf den Kopf qm:
s s • » cbm:
1 Beinlichkeit des Schulzimmers und
der Schfiler; Haltung der Schüler,
besonders beim Schreiben; Luftbe-
sehaffenheit im Schulzimmer:
3. Wieviele Kinder fehlen:
Waran krank, an welchen Krank*
heiten:
Wieviele Kinder sind kurzsichtig:
„ „ „ schwerhörig:
, , , körperlich
gebrechlich:
„ „ „ schwächlich
od. kränklich:
9 . 9 geistig min-
derwertig:
4 . Zustand der Lehrerwohnung:
5. Was wurde zur Aenderung vorge¬
merkt:
., Kgl. Bezirksarzt
Die Tuberkulose in der Schule, betrachtet vom Standpunkte
des Medizinalbeamten.
Von Dr. Bichter, Reg.- und Geh. Medizinalrat in Dessau.
Wenn man die statistischen Daten mit Bezug auf das Vor*
kommen der Tuberkulose in den verschiedenen Lebensaltern be¬
trachtet, so ergibt sich die erfreuliche Tatsache, dass die schul¬
pflichtige Jugend sehr wenig von Tuberkulose heimgesucht wird.
Die schwachen und zur Tuberkulose disponierten Kinder sind bis
mm vierten resp. fünften Jahre weniger der Lungen- wie der
Hirahauttuberkulose erlegen; das zur Schule kommende Menschen-
material ist mithin schon einmal in dieser Richtung gesichtet, ehe
die ersten Schädlichkeiten der Zivilisation in Form des öffentlichen
Schulbesuchs an dasselbe herantreten. Es macht hier die Art der
Lebensführung, auch das Wohnen in der Stadt oder auf dem Lande
keinen Unterschied. Nach Leubuscher*) sind in den Meiningi-
sehen Industriedistrikten, in welchen die Tuberkulose eine grosse
Bolle als Krankheits- und Todesursache spielt, die Schulkinder
auch in den ärmsten Gegenden, denen eine reiche schulhygienische
Einrichtung nicht zu Gebote steht, nicht zahlreicher an Tuber-
knloee erkrankt, wie in anderen, in dieser Beziehung weit günstiger
gestellten Gegenden Deutschlands. Leubuscher hat bei wieder¬
holten Untersuchungen der Schuljugend in den verschiedenen Be¬
zirken des Meininger Landes unter 1200—1500 untersuchten
Bindern nur immer zwei tuberkulöse gefunden. Nach den mir
Torliegenden statistischen Zahlen von Gehrhard (Handbuch der
Kinderkrankheiten), sowie dem entsprechenden Teile des Ver-
valtungsberichtes der Stadt Nürnberg vom Jahre 1900, endlich
«och nach dem Berichte über den Tuberkulosekongress in Berlin
(1899, S. 52), welcher die entsprechenden Verhältnisse in der Schweiz
beleuchtet, stellt sich zweifellos heraus, dass in der Altersklasse
*) Alljährlich auszufüllen and zwar für jedes Scbolzimmer. (Za den
Akten des Bezirksarztes.)
*) Staatliche Schulärzte. Berlin 1902. Verlag von Reoacher &
Beichard.
390
Dr. Bichter.
von 5—15 Jahren die Sterblichkeit an Lungentuberkulose am
geringsten ist. Wenn wir nun nicht daraus ohne weiteres den
Schluss ziehen können, dass auch die Zahl der an Tuber¬
kulose kranken Kinder eine ebenso geringe ist, so können
wir doch sicherlich dem Satze Steinhards 1 ) voll beistimmen,
welcher wörtlich lautet: „Die Schulpflicht fällt gerade in die¬
jenige Altersperiode hinein, welche die geringste Krankheits- und
Sterblichkeitsziffer an Tuberkulose aufweist.“
Man könnte somit nach Vorstehendem annehmen, dass die
Bekämpfung der Tuberkulose bei den Schulkindern nicht die
Schwierigkeiten bietet, wie bei Personen in anderen Lebensver¬
hältnissen. Ganz so leicht und erfolgreich ist der Kampf jedoch
hier auch nicht; denn der kindliche Organismus bietet der Tuber¬
kuloseinfektion eine Anzahl Angriffspunkte, die nur ihm eigen¬
tümlich sind, und die bei der oft langen Zeit des Euhens der
aufgenommenen Bazillen im Körper mitunter erst nach Jahren,
lange nach Verlassen der Schule, wenn noch andere Schädlich¬
keiten auf den Körper einwirken, ihre verderbliche Wirkung
entfalten.
Abgesehen von den der Vorstufe der Tuberkulose angehörigen
skrophulösen Gelenkentzündungen, kalten Abszessen, einzelnen
Arten von Schwellungen der Schleimhäute im Nasenrachenraum
und der damit öfter im Zusammenhänge stehenden chronischen
Erkrankungen des inneren und Mittelohres, äussert sich die Tuber¬
kulose bei Schulkindern zunächst in der floriden Form, die allemal
das Wegbleiben des Patienten aus der Schule zur Folge hat, weil
der Schwächezustand desselben sehr bald ein hochgradiger wird;
dann gibt es latente Formen, ohne dass sich eine besondere Organ¬
erkrankung durch die Untersuchung feststellen lässt, wie aus den
Sektionsberichten über die an anderen Krankheiten als Tuberkulose
gestorbenen Kinder ersichtlich ist. Diese letzteren Fälle bieten,
sobald sie Bazillen im Auswurf entleeren, für die anderen Kinder
immereine gewisse Gefahr; denn nach Westenhöffer 9 ) ist bei
Schulkindern eine der häufigsten Eingangspforten zur Aufnahme
des Tuberkelbacillus die bei dem Zahnwechsel geschaffene Ver¬
letzung der Mundschleimhaut, von wo mit dem Lymphstrome der¬
selbe in die Drüsen des Halses, der Luftröhren, eventuell aueh
des Gekröses gelangt. Die Entwickelung der Tuberkulose bei den
Kindern schildert W. folgendermassen: „Bei einem Teil bleibt die
Tuberkulose auf die Halsdrüsen beschränkt, bei einem anderen
bricht eine erweichte Bronchialdrüse in einen Bronchus durch,
und es entwickelt sich Lungentuberkulose; eine fernere Zahl er¬
liegt der Miliartuberkulose, bei einem grossen Teile bleibt vor¬
läufig die Krankheit latent.“
Aufrecht 9 ) nimmt als sehr häufige Eingangspforte des
Bacillus die Mandeln an, allerdings nur hauptsächlich im frühen
l ) Steinhardt: Tuberkulose and Schale. Vortrag, gehalten in Nttrnberg
am 31. März 1903.
') Berliner klin. Wochenschrift; 1904, Nr. 7 and 8.
*) Ueber die Lungenschwindsucht. Magdeburg, 1904.
Tuberkulose ln der Schale, betrachtet rom Standpunkt des Medizinalbeamten. 891
Kindesalter, eine Anschauung, die yon der bis jetzt geltenden
wesentlich abweicht, wonach die Mandeln als eine Art Schatz¬
wehr gegen das Eindringen von Bazillen zu betrachten seien,
mdem nach geschehener Invasion sich eine Entzftndnng und Infil¬
tration derselben entwickeln solle, die den Bacillus vom weiteren
Vordringen abhalte.
Auch die Rekonvaleszenten von schweren Krankheiten, wie
Typhus, Nephritispneumonie etc., bieten der ihnen noch monatelang
anhaftenden allgemeinen Schwäche wegen der Infektion weniger
Widerstand; ganz speziell sind bei den in der Klasse vorhandenen
Hustern mit bazillenhaltigem Auswurf die Kinder nach über¬
standenen Masern, Scharlach, Diphtherie, Influenza gefährdet, weil
die bei der Abschuppung ihrer Epithelien entkleideten Schleim¬
häute der Luftwege und des Halses noch kein abgehärtetes Epi¬
theliom, eventuell noch Lücken in demselben besitzen. Auch die
Singstunden bieten des tieferen Atmens wegen Gelegenheit zur
Infektion. Man mag nnn der Anhänger der Verstaubungstheorie
von Cornet sein, oder der Flügge sehen Tröpfcheninfektion bei-
stmmen, die Möglichkeit, sich in der Schule zu infizieren, ist
sicherlich nach beiden Richtungen hin vorhanden.
Wenn der Staat durch den Schulzwang seine Bürger nötigt,
ihre Kinder den Schulen znznffthren, so erwächst ihm auch die
Pflicht, mit aller Kraft dahin zu wirken, dass vermeidbare Schäd¬
lichkeiten aus den Schulen entfernt werden. Aber der Staat allein
erhält nicht überall die Schalen; es sind die Städte grösseren und
kleineren Umfanges, die Dorfgemeinden, Vorstände von Patronats-
mtd Privatschulen ebenso verpflichtet, die Schädlichkeiten für die
Gesundheit der Schüler nach allen Kräften ausznschalten. Zur
Erreichung dieses Zieles gehören im allgemeinen die Sorge für
Beleuchtung, passende Sitze, Heizung, Reinlichkeit, Lüftung der
Sehulzimmer, die Sorge für Aufbewahrung der Oberkleider in be¬
sonderen Räumen ausserhalb der Schulzimmer, entsprechende Be¬
aufsichtigung und Schutz der Kinder vor starkem Temperatur¬
wechsel in den Unterrichtspausen, Einrichtung luftiger Spielplätze
und möglichst staubfreier Turnhallen, ausreichend lange Ferien,
m weiteren Sinne die Gelegenheit zum Besuche von Ferien*
kolonien, Waldschulen, Sonderklassen für Minderbefähigte, ent¬
sprechende Einteilung des Lehrplans etc. etc. — Die Erfahrungen
des täglichen Lebens bestätigen, dass da, wo diesen Anforderungen
nach Kräften Folge geleistet wird, die Jugend kräftig heranwächst
und die Schädlichkeiten des Schulunterrichtes so gut überwindet,
dass sie, in der Mehrzahl wenigstens, für den Kampf des Lebens
geistig und körperlich genügend kräftig die Schule verlässt.
Die Tuberkulose erfordert zu ihrer Fernhaltung aus den
Schulen aber noch mehr: das ist die Fernhaltung der Lehrer und
Schüler, resp. Lehrerinnen und Schülerinnen vom Unterricht, so¬
bald sie nachgewiesenermassen Bazillen aushusten. Auf dieser
Forderung muss von unserem Standpunkte .unnachsichtlich, ohne
in irgend einer Weise zu individualisieren, bestanden werden.
Wer Bazillen aushustet oder sonstwie anders ab-
392
Dr. Richter: Die Tuberkulose in der Schale usw.
sondert, gehört nicht in die Schule, auch nicht in eine
Schulpension oder Alumnat. Die pekuniäre Seite, die even¬
tuelle grössere Belastung des Schuletats kann und darf bei be¬
stehendem Schulzwang nicht nach der Richtung hin in Betracht
gezogen werden, diese Forderung abzulehnen.
Die Kosten werden tatsächlich nicht so gross sein, wie es
ängstlichen Gemütern scheinen möchte; denn es handelt sich doch
auch hier nur um die schleichend verlaufenden Fälle, welche dem
Lehrer und Schüler gestatten, die Schule zu besuchen. Wer von
Miliartuberkulose befallen wird, geht nicht mehr zur Schule, weder
zum Lehren, noch zum Lernen.
C. Fischer 1 ) führt in einer Abhandlung, welche die Ge¬
legenheit zur Ansteckung mit Tuberkulose in der Geschichte der
Lungenkranken behandelt, 11 Fälle von Schülern und Schülerinnen
an, die Objekt der Ansteckung seiner Ansicht nach gewesen sind.
Er führt die Ansteckung bei Mädchen auf Küssen seitens einer
kranken Nonne in einer Klosterschule zurück, bei anderen Schülern
auf das Nebeneinandersitzen mit einem kranken Kameraden, der
viel hustete und mit dem Auswurf unreinlich umging, ein anderer
teilte den Schlafsaal mit einem tuberkulösen Schulgenossen, end¬
lich war ein Lehrer als Ursache angeschuldigt, welcher, schon
lange hustend, dauernd vor dem Platze eines Kindes während der
Lehrstunden Platz zu nehmen pflegte.
Die Feststellung, ob Jemand Tuberkelbazillen absondert,
bietet keine Schwierigkeit mehr, zumal jetzt, wo durch die Mög¬
lichkeit des Anschlusses der Ortschaften eines Regierungsbezirks
oder einer Provinz an die bakteriologischen Anstalten der nächsten
Universität oder Grossstadt bei etwaigem Mangel eines sach¬
kundigen Arztes im Orte jederzeit in diesen Anstalten die Unter¬
suchung vorgenommen werden kann.
Wie gelangen wir nun dahin, das nötige Ziel, die Aus¬
schaltung von Lehrern und Schülern, sobald sie offene Tuberkulose
mit Absonderung von Tuberkelbazillen haben, zu erreichen? Zu¬
nächst würde der Staat, resp. die Körperschaft städtischer oder
ländlicher Art, der die Erhaltung der Schule obliegt, eine ge¬
naue Untersuchung der anzustellenden Lehrer und Lehrerinnen
jeder Gattung auf Tuberkulose oder Tuberkuloseverdacht vor
der Anstellung anordnen müssen; die Seminarien müssten die
jetzt schon bei Aufnahme der Schüler geübten Untersuchungs¬
methoden verschärfen, vielleicht durch Festsetzung eines be¬
stimmten Brustmasses für die verschiedenen Altersstufen, mit
strenger Ausscheidung der auch dauernd verdächtig und schwach
bleibenden Persönlichkeiten, die eventuell auch in anderer Rich¬
tung dem anstrengenden Berufe eines Lehrers nicht gewachsen
sein würden. Es ist besser, ein Aspirant oder eine Aspirantin
des Schulamtes erleiden die Enttäuschung, nicht Lehrer bezw.
Lehrerin werden zu können und sich einem anderen Berufe zu¬
wenden zu müssen, bei dessen Ausübung er bezw. sie gesund
*) Zeitschrift für Tuberkulose; 1901, H. 5, S. 410 ff.
Kleinere Hitteilnngen nnd Referate ans Zeitschriften.
398
▼erden können, statt dass sie, infolge ihrer Körperschwäche schon
Tor Eintritt in den Beruf nur mangelhaft diensttauglich, nach
kurzer Zeit wegen Tuberkulose das Amt aufgeben, oder mindestens
mehrere Jahre bis zu definitiver Heilung dasselbe meiden mfissen,
der pekuniären Seite für sich und für die Behörde dabei nicht
zuletzt zu gedenken.
Ob die Kosten für die Behörden und Gemeinden, denen die
Erhaltung der Schulen obliegt, bei Ausschaltung der tuberkulösen
Lehrkräfte beiderlei Geschlechts in der Tat erhebliche sein werden,
steht dahin. Die Zahl der Lehrer mit offener Tuberkulose ist
statistisch in dieser Beziehung meines Wissens noch nicht fest¬
gestellt. Zum Zwecke der Beurteilung der jährlichen Belastung
des Etats, die durch Ausschaltung auch jüngerer Lehrkräfte,
sobald sie an Tuberkulose leiden, eintritt, genügen auch allgemeine
statistische Feststellungen nicht, dazu bedarf es absoluter Zahlen
in bestimmten Bezirken, welche folgendes angeben müssten: „Unter
so und so viel Lehrern sind im Verlaufe von so und so viel Jahren
sechs, acht, zehn etc. krank gewesen. Infolgedessen ist von seiten
der Schulbehörde durch Kurunterstützung, wohlwollende Pensio¬
nierung, Uebernahme in ein anderes Amt etc. die bestimmte Summe
von — Mark aufgewendet worden, mithin beträgt die bisherige
Belastung der Schulfonds zum Zwecke der Ausschaltung tuber¬
kulöser Lehrkräfte die Summe von — Mark.“
Nach meinen persönlichen Erfahrungen dürfte die Summe
wohl nicht sehr erheblich sein.
Wenn man die von Leubuscher angegebene Zahl der
tuberkulösen Schulkinder, nämlich zwei auf 1200—1500 Schüler
verallgemeinern darf, so dürfte der öfters vorgeschlagene Bau und
Einrichtung besonderer Schulräume für Tuberkulöse sich erübrigen
und dafür privater Unterricht eintreten können, dessen Kosten bei
Unbemittelten den Gemeinden nach den bestehenden Gesetzen als
znr Sorge für Leben und Gesundheit der Einwohner gehörig auf¬
erlegt werden könnten.
Rekapitulation:
1. Tuberkulöse Lehrer und Schüler, welche Tuberkelbazillen
absondem, bilden eine gesundheitliche Gefahr für die in demselben
Schulzimmer weilenden Kinder.
2 . Tuberkulöse Lehrer und Schüler beiderlei Geschlechts sind,
sobald sie Tuberkelbazillen absondern, vom Besuche der Schule
auszu8chlie8sen.
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
Bakteriologie, Infektionskrankheiten and öffentliches
Sanitätswesen.
Ueber InunnnlsierongSTersnche gegen Tnberknlose. Nach einem bei
der 7. Tagung der Dentschen pathologischen Gesellschaft in Breslau gehaltenen
Vortrage. Von Prof. Dr. P. Baum garten -Tübingen. Berliner klinische
Woehenschr.; Nr. 43, 1904.
Rinder sind durch Einverleibung menschlicher Tuberkelbazillen gegen
eine spätere für Kontrollrinder tödliche Infektion mit Perlsuchtbazillen immun
zn machen; die Immunität hat 2 */» Jahre vorgehalten. Es genügt schon eine
894
Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften.
einmalige sabknt&ne Impfang mit menschlichen Tuberkelbazillen. Wenn ne
nicht gelingen sollte, ein Heilserum für Menschen gegen Tuberkulose za
finden, so bleibt immer noch die Hoffnung, dem Menschen durch ein der
Rinderimmanisierung analoges Schutzimpfangsverfahren Immunität gegen Tuber»
kulose zu verleihen. Als Vaccine würden hier umgekehrt Rinderbazillen, aicht
Menschenbazillen zu verwenden sein. Dr. Räuber* Köslin.
Veber Kaltblüte rtuberkulose. Von Dr. E. Küster, L Assistent des
hygien. Universitätsinstitutes in Freiburg L B. Münchener med. Wochensehr.;
Nr. 2, 1905.
Der Taberkelbacillus kann nicht nur im Warmblüterorganismus tuber¬
kulöse Veränderungen setzen und behält nicht nur bei Temperaturen zwischen
29° und 42° volle Wachstumsenergie nnd Virulenz, sondern er tritt auch im
Kaltblüterorganismus als pathogener Mikrobe auf und findet bei den wech¬
selnden Temperaturen, wie wir sie bei den Poikilothermen zu beobachte*
pflegen, seine Wachstumsbedingungen.
Diese Tatsache ist von großer wissenschaftlicher und praktischer Be¬
deutung, insofern uns möglicherweise durch die Kaltblütertuberkulose ein gang¬
barer Weg zur Immunisierung gegen unsere wichtigste Infektionskrankheit,
die WarmblUtertuberkulo8e, gewiesen wird. Und faktisch ist man in dem Im-
munisierungsbestreben gegen Tuberkulose durch das Stadium der Kaltblüter¬
tuberkulose, insbesondere bei den Blindschleichen, Fischen (Karpfen), Schild¬
kröten und Fröschen ein bedeutendes Stück vorwärts geschritten.
Verf. berichtet dann eingebend über einen originären Fall von Frosch¬
tuberkulose, sowie über das Resultat der mit dem Bacillus angestellten Tier¬
versuche und Experimente an Fröschen, Salamandern, Molchen, Eidechsen,
Krebsen, Schildkröten, Ringelnattern, Blindschleichen, Karpfen, Barben, außer¬
dem von Warmblütern an Meerschweinchen, Kaninchen, Ratten und weißen
Mäusen.
Als wichtiges Ergebnis der Infektionsversuche bei den verschiedenen
Tieren hebt Verf. kurz hervor, daß alle untersuchten Kaltblüter für die Er¬
krankung empfänglich sind, während Warmblüter wohl durch die Impfung zu¬
grunde gehen können, ohne dabei aber einer bazillären Infektion im eigentlichen
Sinne zu erliegen. Am empfänglichsten erweisen sich für die Infektion dis
Frösche, Eidechsen und Schildkröten. Verf. geht dann noch auf die Verän¬
derungen und Erkrankungen einzelner Organe bei verschiedenen infizierten
Tieren ein und will seine Versuche weiter fortsetzen mit besonderem Augen¬
merk darauf, ob es möglich ist, den Bacillus vollkommen an den Warmblüter-
Organismus zu adaptieren, sodaß diese Tiere durch Infektion mit wenigen
Bazillen an deren Vermehrung zugrunde gehen. Weiterhin werden sich die
Versuche darauf erstrecken, ob sich nähere Beziehungen zwischen der echten
Warmblütertuberkulose und den Kaltblütertuberkulosebazillen herausfinden
lassen, vielleicht in den Reaktionskörpern, die im Serum der geimpften Tiere
auftreten.
Verf. meint zum Schlüsse, daß wir in der Verwendung von Kaltblüter¬
tuberkelbazillen sicher einen wichtigen Schritt in der Erreichung einer aktives
Immunität gegen Warmblütertuberkulose vorwärts getan haben.
_ Dr. Waibei-Kempten.
Erfahrungen mit der Spenglerschen Formaltnmethode zur Relnvüch-
tnng von Tnberkelbaztllen ans Bakteriengemischen. Von Dr. A. Dworetz-
ky in Moskau. (A. d. ehern.-bakteriol. Inst. d. H. Dr. Ph. Blumeathal in
Moskau.) Zentralbl. f. Bakt.; I. Abt., Orig., 1904; Bd. 47, H. 4.
Dworetzky hat weder mit der Spenglerschen noch mit der von
Piatkowski angegebenen Modifikation dieser Methode der Reinzüchtnng
von Tuberkelbazillen aus Bakteriengemischen mit Hilfe von Formalin positive
Resultate gehabt; er befindet sich hierin in Uebereinstimmung mit Werner
undJacquä, welche gleichfalls nur negative Resultate erzielten. Damit
fallen auch die Vorwürfe, welche Spengler der Flüggesehen Formalin¬
desinfektion macht. Dr. L e n t z - Saarbrücken.
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
895
Weitere Beltrige nr Frage des Etnllnsses hoher Temperaturen anf
Tnh erhelbaaillen in der Milch. Von Chr. Barthel and 0. Stenström.
(MitteiL Nr. 14 a. d. milchwirtschaftlich - bakteriologischen Labor, der Aktie*
bolaget Separator za Hamra, Schweden.) ZentralbL f. Bakt.; I. Abt., Orig.
1904; Bd. 37, H. 8.
Die Verfasser haben durch zahlreiche Versuche festgestellt, daß in nicht
koagulierter Milch, wie sie in Sammelmolkereien wohl ausschließlich verarbeitet
wird, die Tuberkelbazillen durch 1 Minuten langes Erhitzen auf 80° C sicher
abgetötet werden. Sie halten daher das heute meist geübte Verfahren, die
Milch im Pasteurisierapparat während mehrerer Minuten auf 80° C zu er¬
hitzen für genügend, eine von Tuberkelbazillen freie Milch zu erhalten. (Qanz
abgesehen davon, daß das Pasteurisieren der Milch auch den Zweck verfolgt,
außer den Tuberkelbazillen auch andere etwa in ihr vorhandene pathogene
Mikroorganismen abzutöten, übersehen die Verfasser, daß wir heute noch kein
Verfahren besitzen, welches uns ermöglicht, eine sichere Kontrole darüber aus-
raüben, ob auch die ganze im Pasteurisierapparat befindliche Menge Milch über¬
haupt oder doch genügend lange die erforderliche Temperatur erreicht. Bei
den meisten heute in Betrieb befindlichen Pasteurisierapparaten ist es zum
wenigsten recht fraglich, ob sie diese Bedingung erfüllen. Anmerk, des Bef.)
_ Dr. L e n t z - Saarbrücken.
Der Tuherkelbaelllus im Blate nneh Aufnahme infektiöser Nahrung.
Von Ch. Bisanti und L. Panisset. (Laboratoire de bactfiriologie de
rEarie d’Alfort.) Comptes rendus de la soc. de biol.; 1905, LVIII, Nr. 8.
Im Gegensätze zu B. Klimenko, über dessen Arbeit S. 21 des laufen¬
den Jahrgangs berichtet ist, kommen die Autoren zu dem Ergebnisse, daß in
dm Darm eingeführte Mikroben auch die unversehrte Dannwand passieren und
in den Kreislauf eindringen können.
Als Testmikroben wählten sie den Tuberkelbacillus. Einem Hunde, der
94 Stunden Lang auf Wasserdiät gestellt worden war, reichten sie eine Suppe,
welcher sie Tuberkelbazillen in großer Quantität — eine halbe Kartoffelkultur
— beigefügt hatten. 4—5 Stunden nach der Mahlzeit wurde das Tier getötet.
Du dem Herzen entzogene Blut wurde durch Fluornatrium ungerinnbar
gesucht und zentrifugiert. Die Trennungsschicht zwischen Blutkörperchen
nnd Plasma wurde abgehoben und durch Na01 -Lösung auf das ursprüngliche
Blutvolum verdünnt. Diese Flüssigkeit diente als Impfmaterial für Meer¬
schweinchen. Die zum Versuche benutzten Hunde waren, wie die Autopsie
ergab, gesund gewesen, Eingeweideläsionen fanden sich nicht. Die mit jener
Blutflüssigkeit geimpften Meerschweinchen dagegen erkrankten an der Impf¬
stelle an langsam - heilenden Geschwüren und später in 4 von 6 Fällen an
generalisierter Tuberkulose.
Auch die Ljmphe des Ductus thoracicus von jenen Versuchshunden
machte zwei Meerschweinchen tuberkulös. Dr. Mayer-Simmern.
Ueber Splittersputa Tuberkulöser. Von Dr. Carl Spengler in
Davon. Zeitachr. t Hygiene u. Infektionskrankheiten; Bd. 49, H. 8.
Es gibt, wie Verfasser angibt, bei Lungentuberkulösen Sputa, in denen
au nur Tuberkelbazillen - Splitter und keine normalen Stäbchen nachzuweisen
zustande ist. Die Diagnose auf „Splitter“ ist nur sicher zu stellen, sobald
die Splitter in Gruppen gefunden werden. Eine Beihe instruktiver Bilder
zeigen deutlich die Entwicklungsstadien solcher Splitter, welche als Art punkt¬
förmiger, säurefester Gebilde zusammenliegen. Nach den Beobachtungen und
Erfahrungen Spenglers stellen die Splitter Involutionsformen der Tuberkel-
bazillen dar mit erheblich herabgesetzter Lebens- und Entwicklungsfähigkeit
and entsprechend geringer Virulenz. Ganz allgemein sagt Verfasser von den
8plittern, daß sie eine an der Grenze der Vitalität angelangte Wuchsform der
Tuberkelbazillen bezw. Perlsuchtbazillen darstellen. Ihre Anreicherung gelingt
nr unter äußerst günstigen Wachstumsbedingungen. Eine weitere Frage von
Bedeutung ist, „kommen Splitter vornehmlich bei Perlsucht- oder menschlichen
Tuberkelbazillen vor?“ Die Untersuchungen Spenglers sagen, daß bei
Perlsueht die Splitterbildung zur Begel gehört, wenn der Nährboden ungünstig
896
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
ist, bei menschlichen Tnberkelbazillen dagegen nicht, obgleich gerade hier die
Körnung der Stäbchen, gewissermaßen die Vorstufe der Körnerisierung, dar
Splitterbildung, ganz charakteristisch tat und bei Perlsncht nicht. Einstweilen
läßt sich nicht sicher entscheiden, ob die Splitterspata für Perlsncht* oder
menschliche Tnberknloseinfektionen sprechen. Verfasser neigt za der Ansicht,
daß Splitterbefand fttr Perlsachtinfektion beim Menschen spricht. Einstweilen
scheint Verfasser jedoch die toxische Diagnose zuverlässiger als die mikro*
skopische. Dr. Engels*Dammersbach.
Kuhpockenlymphe and Tuberkulose. Von Dr. A. Carini, Chef der
Vaccine*Abteilung d. Inst. z. Erforsch, d. Infektionskrankheiten in Bern (Dir.
Prof. Tavel). Zentralbl. f. Bakt.; I. Abt., Orig., 1904; Bd. 37, H. 2.
Auf Grund ausgedehnter Untersuchungen kommt Carini in Ueberein*
Stimmung mit älteren Autoren zu dem Schlosse, daß durch Kuhpockenlymphe,
welche von tuberkulösen Tieren gewonnen worden ist, Tuberkulose beim Impf*
akt nicht übertragen werden kann. Gleichwohl hält er es für ratsam, nur
Lymphe gesunder Tiere zu verwenden, um allen Verdächtigungen der Impf*
gegner die Spitze abbrechen zu können. Dr. Lentz-Saarbrücken.
Ueber den Einfluss der Inhalation schwefliger Säure auf die Ent*
wieklung der Lungentuberkulose. (Ein Beitrag zum Studium der Gewerbe*
krankheiten). Von Dr. Carl Kisskalt, Privatdozenten und Assistenten des
hygienischen Instituts zu Gießen. Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrank¬
heiten; Bd. 48, H. 2.
Kisskalt stellt an der Hand von Tierversuchen fest, daß die schwef¬
lige Säure einen schädlichen Einfluß auf die Lungen und tuberkulöse Prozesse
derselben ausübt. Verfasser nimmt beim Menschen eine ähnliche Beeinflussung
an; die menschliche Tuberkulose dürfte sogar gerade wegen der kom¬
plizierenden Schleimhauterkrankungen durch die Einwirkung der schwefligen
Säure in noch höherem Maße verschlimmert werden als die deB Tieres. Was
die Menge der eingeatmeten schwefligen Säure betrifft, so war sie nicht größer,
als sie in der Praxis leicht Vorkommen kann. Dr. Engels-Gummersbach.
Ueber Darmtuberkulose der Kinder lu Waldenburg (Sehl.). Von
Dr. B. Richter, Arzt in Waldenburg. BerL klin. Wochenschr.; 1904, Nr. 45.
Nach den fünfjährigen Beobachtungen des Verf. bei 1200 Familien der
dort ansässigen Steinkohlenbergarbeiter herrscht unter den dortigen Kindern
die Darm-Mesenterialdrüsentuberkulose in hohem Maße. Ein tödlicher Aas¬
gang ist selten. Die Behauptung v. Behrings, daß die in der Jagend statt-
f ehabte Infektion mit Tnberkelbazillen vor späterer Ansteckung schützt and
en Körper tuberkuloseimmun macht, scheint durch die Verhältnisse in jener
Gegend bestätigt zu werden, da unter den Bergarbeitern und ihren Familien
die Lungenschwindsucht relativ selten ist. Dr. Bä aber-Köslin.
Verbreitung und Bekftmpfang der Lungentuberkulose lu der Stadt
Posen. Von Prof. E. Wernicke, Direktor des Königl. byg. Instituts in Posen.
Festschrift für Bobert Koch.
Wernicke bespricht kurz die zur Bekämpfung der Tuberkulose seitens
der Provinzialverwaltung, sowie der Stadt Posen ins Leben gerufenen Ein¬
richtungen, sowie die dasselbe Ziel erstrebende Tätigkeit des Königl. hygieni¬
schen Instituts, mit dem in nächster Zeit ein Ambulatorium für Lungenkranke
verbunden werden soll.
Er weist sodann an der Hand einer Statistik der Todesfälle und eines
Stadtplans von Posen, in welchem die Todesfälle eingezeichnet sind, nach, daß
immer wieder in denselben Häusern der Stadt Todesfälle an Tuberkulose (bis
zu 28 in 11 Jahren in ein und demselben Hause) Vorkommen, während andere,
jenen benachbarte und im übrigen gleichartige Häuser verschont bleiben. Er
schließt daraus mit Becht, daß für die Entstehung und Verbreitung der mensch¬
lichen Tuberkulose in erster Linie der tuberkulöse Mensch verantwortlich ge¬
macht werden muß, und daß enges Zusammenwohnen in unzureichenden and
Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften.
897
hygienisch unzulänglichen Wohnungen das Entstehen der Tuberkulose be¬
günstigt. Dr. Lentz-Saarbrücken.
Ueber die Anzelgepfilcht bei Tuberkulose. Von Professor Dr. Martin
Kirchner, Geh. Obermedizinalrat. Ebenda.
Kirchner sieht in der Erwähnung der Schwindsucht im § 90 des
Preußischen Regulativs vom 8. August 1885 ein Zeichen dafür, daß der Ver¬
fasser des Regulativs von der Ansteckungsfähigkeit der Lungentuberkulose
überzeugt gewesen sein muß. Gleichwohl reichen die im Regulativ gegen die
8chwindsucht vorgesehenen Maßnahmen nicht entfernt aus, einen irgendwie
wirksamen Kampf gegen diese Krankheit aufzunehmen oder durchzuführen.
Die Sterblichkeit an Tuberkulose hielt sich bis in die Mitte der 80 er Jahre
auf annähernd der gleichen Höhe. Erst die auf die Entdeckung des Tuberkel¬
bacillus durch Robert Koch sich gründende genauere Kenntnis vom Wesen
der Krankheit und der Art ihrer Verbreitung und die hierdurch ermöglichte
Belehrung weiter Volksschichten haben es im Verein mit der Erziehung der
gesunden und kranken Bevölkerung zu hygienischem Denken und Handeln und
der Heilstättenbehandlung der Schwindsüchtigen erreicht, daß in Preußen einer
Sterblichkeit an Tuberkulose von 809,5 von 100000 Lebenden im Jahre 1876
im Jahre 1901 eine solche von nur 191,7 von 100000 gegenübersteht.
Mit gesetzlichen Maßnahmen ging man zuerst 1898 in Amerika gegen
die Tuberkulose vor, und in schneller Folge schloß sich diesem Vorgehen eine
große Reihe anderer Staaten an, so Baden, Sachsen-Altenburg, der preußische
Begierungsbezirk Wiesbaden, die Stadt Trier, das Königreich Sachsen, Nor¬
wegen, Italien, der australische Staat Queensland, Oesterreich, das Großherzog¬
tum Hessen, der schweizerische Kanton Graubünden.
Der Entwurf des neuen Preußischen Ausführungsgesetzes zum Reichs-
gesets, betr. die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten, vom 30. Juni
1900 sieht die Anzeigepflicht für Todesfälle an Lungen- und Kehlkopftuber-
knloee und für Erkrankungen in den Fällen vor, in denen ein an vorge¬
schrittener Lungen- und Kehlkopftuberkulose Erkrankter seine Wohnung
wechselt. Der § 5, Abs. 2 des betreffenden Entwurfs sieht jedoch vor, daß in
besonderen Fällen das Staatsministerium die Anzeigepflicht bei Lungen- und
Kehlkopftuberkulose vorübergehend über den im § 1 dieses Gesetzes bezeich¬
nten Umfang erweitern kann.
Als einzige Maßnahme sieht der Gesetzesentwurf die Desinfektion vor;
Isolierung oder gar zwangsweise Verbringung Tuberkulöser in ein Kranken¬
haus, die das norwegische Gesetz zuläßt, steht den Behörden nicht zu. Aber
uit der Einführung der Anzeigepflicht ist der Anfang einer zweckmäßigen Be¬
kämpfung der Tuberkulose gemacht, und wir dürfen mit Kirchner hoffen,
daß weitere öffentliche Belehrungen und weitere hygienische Erziehung der
Bevölkerung dazu beitragen werden, diesen Kampf auch zu einem erfolgreichen
a gestalten. _ Dr. Lentz-Saarbrücken.
Untersuchungen über die Möglichkeit der Uebertragung von Krank¬
heitserregern durch den gemeinsamen Abendmahlskelch nebst Bemerkungen
Iber die Wahrscheinlichkeit solcher Uebertragung und Vorschlägen zu
ihrer Vermeidung. Von Dr. 0. Roepke, Chefarzt der Eisenbahnheilstätte
Stadtwald bei Melsungen und Dr. E. Huss, Assistenzarzt daselbst. Deutsche
nediz. Wochenschr.; 1905, Nr. 8 u. 4.
Um den Bedenken, die sich schon seit langem gegen den gemeinsamen
Abendmahlskelch sowohl in hygienischer wie ästhetischer Hinsicht erhoben,
haben, eine sachliche Grundlage zu geben, haben die beiden Verfasser eine
Beihe von Versuchen angestellt. Indem sie die in der evangelischen Kirche
tbliehen Formen bei der Abendmahlsspendung wahrten, ließen sie in 4 Versuchs¬
reihen 5—7 in verschiedenen Stadien der Taberkulose sich befindende Pfleg¬
finge der Heilstätte aus dem Kelche trinken und beobachteten dabei die s. Z.
vom Reichsgesundheitsamte zur Verhütung von Infektion bei der gemeinsamen
Abendmahlsfeier empfohlenen Maßnahmen. Es wurden demzufolge die am
Kelchesrande haftenden Weinreste teils, nachdem der Gefäßrand mit einem
sterilen Tuche abgerieben war, teils vorher und die nach dem Kelchgrunde wieder
msammenfließenden Tropfen mit sterilen Gazebäuschchen abgetupft und das
398
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
gewonnene Material anf Meerschweinchen und Kaninchen übergeimpft. Von
10 Meerschweinchen wurde bei 8 nach vorgenommener Sektion teils lokale,
teils allgemeine Tuberkulose festgestellt. Auf Grund dieser Versuche stellen
Verfasser folgende Schlußsätze auf:
„1. Unsere experimentellen Versuche beweisen, daß bei Benutzung eines
gemeinsamen Abendmahlskelches durch den Trinkakt
a) die Uobertragung von Krankheitserregern auf den Abendmahlskelch
stattfindet, die durch Abwischen des Gefäßrandes mit einem reinen Tuche nicht
beseitigt wird;
b) Krankheitserreger in den Wein des Abendmahlskelches abergehen,
sodaß vor einer Uobertragung derselben auf die nächstfolgende Person auch
das Drehen des Kelches nach jedesmaliger Darreichung nicht schätzt
2. Die unter a und b gegebenen Infektionsgelegenheiten machen bei
kritischer Abwägung aller in Frage kommenden Faktoren das Vorkommen von
Krankheitsfibertragung durch den gemeinsamen Abendmahlskelch wahrscheinlich.
3. Bei der Abendmahlsfeier ist die obligatorische Austeilung des Weines
im gemeinsamen Abendmahlskelch fakultativ zu gestalten, indem die Kirche
durch Bereitstellung von Einzelkelchen in genügender Anzahl und hygienisch
einwandsfreier Beschaffenheit die Einzelkelchfeier ermöglicht und überdies den
Gebrauch eines eigenen Kelches gestattet.
4. Die Anschaffung von Einzelkelchen ist eine dringende Notwendigkeit
fttr die Kirchen in den Bade-, Kurorten und Sommerfrischen für Lungenkranke,
ferner fttr die Krankenhäuser, Lungenheilstätten, Heimstätten, Heilstätten fttr
Geschlechtskranke und dergleichen. Der eigene Abendmahlskelch, d. h. der
Einzelkelch, den sich jeder zur Abendmalsfeier mitbringt, bildet die idealste
Lösung der schwebenden Abendmahlsfrage. 1 *
Nach Ansicht der Verfasser wird die Forderung des Einzelkelches weder
die Zahl der Abendmalsgäste wegen der entstehenden Kosten einschrfinken, noch
sich auch sonst als schwer durchführbar erweisen. Mit Recht sagen sie:
„Es wird unserer Industrie nicht schwer fallen, bei allgemein hervor¬
tretendem Bedürfnis einen schlichten, würdigen Einzelkelch für billiges Geld
herzustellen. Es unterliegt auch fttr uns keinem Zweifel, daß, falls die Geist¬
lichkeit sich unserem Vorschläge zustimmend und fördernd gegenfibersteilen
würde, der Einzelkelch überraschend schnell neben dem Gesangbuche ein
ständiges Konfirmationsgeschenk an die jeweiligen Konfirmanden bilden würde.
Und wie das Gesangbuch die aus dem Elternhause nach der Konfirmation aus¬
tretenden Kinder überall hin in die Welt begleitet, so würde es dann auch
der Einzelkelch tun und, statt vom Abendmahlstisch fernzuhalten, an denselben
heranziehen 1 Man unterschätzt in manchen Kreisen vielleicht auch die Kritik
der breiten Volksschichten : In populären Schriften und Vorträgen, insbesondere
in den Heilstätten, wird bei jeder gebotenen Gelegenheit immer wieder vor
der gemeinsamen Benutzung von Trinkgefäßen in und außer dem Hause
gewarnt, in der Kirche soll das strikte Gegenteil immer weiter verlangt
werden ? Für den Arzt, der auch Seelenarzt zu sein sich bemüht, ist es längst
kein Geheimnis mehr, daß in den gebildeten und in hygienischen Dingen meist
überängstlichen Kreisen zahlreiche gut evangelische Christen dem Abendmahl
fernblciben, weil sie die nicht wegzudisputierenden Infektionsgelegenheitea
durch die gemeinsame Kelchbenutzung fürchten. Oder aber sie gehen zum
Abendmahl und drängen sich dann förmlich nach den ersten Plätzen am Abend¬
mahlstisch, um ja zuerst und nicht etwa in der Reihe nach kranken oder
körperlich ungepflegten Glaubensbrüdern aus dem gemeinsamen Kelch trinken
zu müssen. Solche Beobachtungen beweisen erst recht die allgemeine, fast
instinktive Scheu vor der gemeinsamen Kelchbenutzung und lassen erwarten,
daß die Abendmahlsfeiern nicht nur eine moralhygienische Vertiefung, sondern
auch eine zahlenmäßige Zunahme erfahren werden, wenn es jedem freisteht,
wie mit seinem eigenen Gesangbuche, so auch mit seinem eigenen Abendmahls¬
kelche zur Kirche zu pilgern. Dessenungeachtet kann in jeder Kirche auch
die Abendmahlsfeier unter Benutzung des gemeinsamen Abendmahlkelches ab¬
gehalten werden für diejenigen Gemeindemitglieder, die an der alten Sitte
festbalten wollen, gemäß dem Gebote der evangelischen Kirche: „Kein Zwang
in Glaubenssachen I“ Jedenfalls sollte jede Kirche aber auch eine größere
Anzahl von Einzelkelchen anschaffen und sie vor Beginn der Feier an bequem
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
399
zugänglicher Stelle und in hygienischer Hinsicht einwandsfrei gereinigt auf«
stellen an lassen, damit allen, welche einen Einzelkelch nicht besitzen, trotz¬
dem die Möglichkeit der Einzelkelchfeier geboten ist.“
ln der Eisenbahnheilstätte Stadtwald sind auf Empfehlung des General-
Superintendenten D. Fab er Einzelkelche ans Kaiserzinn in sehr geschmack¬
voller und schlichter Ausstattung angeschafit. Bekanntlich ist man in ähnlicher
Weise auch bereits in einzelnen größeren Städten vorgegangen. Rpd.
Tuberkulose und Irrenanstalten. (The relation of insanity to tuber-
eulosis)) Von Dr. R. H. Hutchings, Med. Superintendent, St. Lawrence
State Hospital. The medico- legal jonrnal; 1904, XXII, Nr. 2. S. 179.
In dem im Anschluß an den amerikanischen internationalen Tuberkulose-
kongreß gehaltenen Vorträge teilt Verf. einige bemerkenswerte Daten mit.
Das St. Lawrence Hospital für Geisteskranke des Staates New-York
zählt zur Zeit 1710 Patienten; hiervon weisen 77 mehr oder weniger stark
tuberkulös erkrankte Atmungsorgane auf. Unter 1370 Todesfällen, die seit
Eröffnung der Anstalt im Jahre 1890 vorgekommen waren, entfielen auf Tuber¬
kulose 145. In den ersten 5 Jahren des Bestehens der Anstalt, wo die Räume
noch nicht überfüllt waren und der Zugang ein geregelter war, entfielen auf
Tuberkulose 7,6 °/ 4 sämtlicher Todesfälle; in den letzten 5 Jahren dagegen,
während deren die Anstalt überfüllt, der Luftraum ein ungenügender war,
13,5*/*. Am stärksten ergriffen waren Kranke mit Dementia praecox, die das
Zimmer nicht verlassen konnten, am wenigsten solche Patienten, die sich in
freier Luft mit Gartenarbeit beschäftigen durften.
Geplant ist der Neubau eines Pavillons, der nur zur Aufnahme tuber¬
kulöser Kranker bestimmt ist _ Dr. Mayer-Simmern.
Zur Yerhfitung des Puerperalfiebers. Eine Studie aus der Praxis von
Br. Heinrich Dörfler in Regensburg. Münchener medizinische Wochenschrift;
1905, Nr. 9 und 10.
Verfasser verbreitet sich in längeren Ausführungen über die Frage der
Bekämpfung und Verhütung des Puerperalfiebers. Ausgehend von der An¬
schauung, daß in der Praxis die Hauptqnellc des septischen Puerperiums die
Hebammen sind, sucht er an der Hand seiner Erfahrungen Beweise hierfür zu
erbringen und andernteils moderne Vorschläge zur Sanierung dieses Miß-
standes zu machen. Da es nicht möglich ist, im Rahmen eines Referates auf
die Einzelnheiten der interessanten Arbeit einzugehen, müssen wir uns darauf
beschränken, die Schlußsätze des Verfassers mitzuteilen, welche er zur Sanierung
dm Hebammenwesens und zur Verminderung der puerperalen Erkrankungen
und ihrer Folgezustände als dringliche Forderungen aufstellt.
1. Der Genitalkanal der Kreißenden ist theoretisch zunächst als aseptisch
zu bezeichnen. Deshalb ist jede Berührung einer Kreißenden oder Frisch-
entbondenen tunlichst zu vermeiden.
2. Die erfahrungsgemäß vorhandene Selbsthilfe und Selbststeuerung der
Natur wird durch jede unnötige, nicht streng aseptische Berührung der Wöch¬
nerin gestört.
3. Die strengste Asepsis der Hände der geburtshelfenden Personen ist
deshalb Grundbedingung für die Hilfeleistung bei einer Geburt. Vor Beginn
der geburtshilflichen Tätigkeit (profuse lebensgefährliche Blutungen aus¬
genommen) sind die äußeren Genitalien nach Vorschrift zu behandeln.
4. Für die Hebammen ist die Verwendung von Gummihandschuhen ge¬
setzlich festzulegen, also obligatorisch zu machen, unter amtlicher Kontrolle
und Strafe.
5. Die strengste Aseptik und Sterilität aller mit dem Genitalkanal der
Kreißenden und frisch entbundenen Wöchnerin in Berührung kommenden
Gegenstände ist genau durchzuführen, ihre Vernachlässigung unter Strafe
zu stellen.
6. Spülungen vor und nach der Geburt sind nur auf Anordnung und
unter Kontrolle eines Arztes unter strengster Asepsis zu gestatten, im
übrigen polizeilich zu verbieten.
7. Die vaginalen Untersuchungen vom Beginne der ersten Woche ab
bis zur Beendigung der Geburt und Nachgeburtsperiode sind den Hebammen
400
Kleinere Mitteilungen nnd Referate ans Zeitschriften.
ebenfalls nnr unter Verwendung von keimfreien Gummihandschuhen au ge¬
statten und so selten wie möglich vorzunehmen. Die Hebamme darf erst
zwei Stunden post partum die Wöchnerin verlassen.
8. Die Berufsfreudigkeit der Hebamme soll durch staatliche Garantie
der Gebührenauszahlung lediglich für die Geburtsleistung selbst und durch
Gewährung von Prämien gehoben werden, sowie durch Einrichtung von Unter¬
stützungskassen für Invalidität, Krankheit und Sterbefall.
9. Alljährlich sind in jedem Bezirksamte dreitägige Repetitionskurse
durch den Bezirksarzt, einen Frauenarzt oder Geburtshelfer in der Handhabung
der Anti- und Aseptik am Kreiß- und Wochenbette abzuhalten.
10. Auch die Wochenbettpflegerinnen müssen durch einen Kursus der
Aseptik und Antiseptik approbiert sein und unter staatliche Aufsicht gestellt
werden. Dr. Waibel -Kempten.
Hebammen - Lehrbuch nebst Bemerkungen Aber den Hebammen-
unterricht. Von Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Ahlfeld. Monatsschr. f. Geburts¬
hülfe und Gynäkologie; 1905, Bd. 21, H. 1.
Das Besprechen des neuen Lehrbuchs durch Ahlfeld rechtfertigt eine
eingehendere Wiedergabe, wenn auch der Gegenstand in dieser Zeitschrift
bereits mehrfach erörtert ist.
Ahlfeld äußert zunächst folgende zwei Bedenken prinzipieller Natur
gegen das neue Lehrbuch:
1. Er ist im Laufe seiner 30jährigen Tätigkeit als Hebammenlehrer zu
der Ueberzeugung gekommen, daß bei der Ausbildung der Hebammen mit
Drill nichts zu erreichen ist. „Nur das wirkliche Verständnis und damit auch
eine größere Freiheit des Handelns gewährleistet einen Erfolg für die Zu¬
kunft.“ Diese gedeihliche Freiheit hat das neue Hebammenlehrbuch den Heb¬
ammen versagt. Der in ein starres Schema des Handelns eingezwängten Heb¬
amme sind die Hände häufig gebunden, wenn sie durch selbständiges Ein¬
greifen sich nützlich betätigen könnte. Anderseits gerät , auch der Hebammen-
lehrer und Medizinalbeamte leicht in Konflikte, wenn er Maßnahmen lehren
8oU ; die seiner inneren Ueberzeugung widersprechen. Diese Einengung der
Freiheit steht auch mit der sonst zur Hebung des Hebammenwesens geplanten,
Heranziehung gebildeter Elemente, Vertiefung des Unterrichts usw. nicht
gerade im Einklang.
2. Das neue Lehrbuch rechnet zu wenig mit den Verhältnissen auf dem
platten Lande. Weil man der Hebamme keine Freiheit des Handelns einräumt,
muß überall, oft ganz unnötiger Weise der Arzt geholt werden, z. B. im Falle
der neben dem Kopf vorliegenden Nabelschnur bei bereits abgestorbenem Kind
(§ 849).
Auf die Besprechung des Lehrbuches selbst eingehend, hebt A. zunächst
die gut gelungene Darstellungsweise des Buches hervor. Er wendet sich
gegen die Aeußerung, daß das neue Buch mehr enthalte, als in 6 Monaten be¬
wältigt werden kann. Den Marburger Schülerinnen bringt das Buch nichts
neues, denn das, was jetzt in dem erweiterten Lehrbuch festgelegt ist, war
schon lange der Gegenstand des Unterrichts in Marburg.
Von den Einzelheiten, auf die A. in der Besprechung eingeht, soll nur
einiges erwähnt werden; vieles andere ist bereits in den vorhergehenden Be¬
sprechungen erörtert worden. Daß die neue Desinfektionsordnung keine Gnade
vor A. finden würde, war zu erwarten. Auf die Gefährlichkeit der Sublimat¬
pastillen weist auch er warnend hin, „eine unverantwortliche Verantwortung“
werde den Hebammen auferlegt.
Einen Rückschritt sieht er in der Behandlung des Nabelschnurrestes.
Auch mit der Leitung der Nachgeburtsperiode, insbesondere der frühen Heraus¬
beförderung derselben, kann er sich nicht befreunden.
Für die Heranziehung des Arztes bei Kindbettfieber vermißt er die
Angabe einer Temperatur, bei deren Ueberschreiten sofort der Arzt heran¬
gezogen werden muß. — Für die Abschaffung des alten Metallkatheters liegt
nach A. keine Veranlassung vor; gegen den Jacques Patentkatheter spricht
der hohe Preis und die Gefahr der Berührung der Schleimhaut mit den Fingern.
Kleinere Mitteilungen und Referate atu Zeitschriften.
401
— „Das Schema für das offizielle Tagebuch ist so unpraktisch, wie es nur
Tom grünen Tische kommen kann.“
Auf die übrigen ziemlich zahlreichen Einwendungen will Referent nicht
eingehen. Nach Ahlfelds Ansicht würde das neue Lehrbuch einen erheb*
liehen Fortschritt darstellen, wenn es vor seiner Veröffentlichung weiteren
Fachkreisen zur Begutachtung vorgelegt worden wäre.
Dr. Dohrn-KasseL
Plazenta!öenng und Gummihandschuhe. Zugleich eine kurze Dar¬
stellung des jetzigen Standes der Lehre von der Händedeslnfektion. Von
Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Ahlfeld in Marburg.
Entgegen der Ansicht von Baisch und Wormser, daß der Gebrauch
der Gummihandschuhe die Morbiditätsstatistik nach manueller Plazentalösung
wesentlich verbessere, steht Verfasser auf Grund seiner Erfahrungen auf dem
Standpunkt, daß bei der Entstehung des Fiebers nach Plazentalösungen in
wohlgeleiteten Anstalten nicht die Beschaffenheit der Hand, sondern cüe Be-
Khaffenheit des Inhaltes des Uterovaginalschlauches den Ausschlag gibt Er
sah Fieber nach Eingehen in den Uterus während und gleich nach der Nach¬
geburtsperiode in der Regel nur dann entstehen, wenn die vorausgegangenen
Geburtsvorgänge schon an und für sich Fieber im Wochenbett veranlassen
können, besonders aber, wenn die Temperatur schon während der Geburt in
die Höhe gegangen, 88° beinahe erreicht, wohl auch überschritten hatte.
Ahlfeld widerlegt dann den weiteren von den vorgenannten Autoren
gemachten Einwnrf, daß es auch mit der von ihm empfohlenen Heißwasser-
Seifen-Alkoholdesinfektion unmöglich sei, die Hände ebenso sicher zu sterili¬
sieren wie den Gummihandschuh. Er stützt sich hierbei auf die von ihm ange-
stellten Versuche, bei denen in 40 von 75 Fällen die Desinfektion der Hand
mittels Alkohols eine so tiefgehende war, daß selbst nach einer Stunde und
darüber mittels verschiedener zur Verwendung gekommenen Methoden Keime
an der Hand nicht nachgewiesen werden konnten. Allerdings decke sich mit
der Behauptung, daß sich mittels der Heißwasser - Seifen - Alkoholmethode die
Hand bis in die Tiefe der Haut steril machen lasse, keineswegs die Garantie für
diesen Erfolg. Der Prozentsatz der erreichten absoluten Steriliesirung hänge
vielmehr von vielen Faktoren ab; die in Marburg angestellten Versuche an
den Händen der Hebammenschülerinnen lieferten jedoch den Beweis, daß nur eine
kleine Zahl dieses Ziel nicht erreicht. Aber auch wenn die Tiefenwirkung mit¬
tels der Heißwasser - Alkoholmethode im Einzelfalle keine absolute wäre, so sei
dock immerhin die Hautoberfiäche bis zu einem Grade steril, so daß ohne Gefahr
für die Kreißende eine geburtshilfliche Untersuchung und Operation stattfinden
könne. Keine andere Händedesinfektionsmethode, auch nicht die Desinfek¬
tion mittels 1 °/o<>iger wässeriger Sublimatlösung, erreiche nur annähernd ein
solches Resultat. Und wende man das Sublimat in alkoholischer Lösung an,
die Hand aber auf die Dauer nicht vertrage, dann sei es wieder der Al¬
kohol, der mittels seiner Tiefenwirkung in die Haut die günstige Wirkung
ud eine solche auch ohne Sublimat erziele. Ahlfeld hofft durch Fortsetzen
experimenteller Versuche der Heißwasser - Alkoholdesinfektion den Weg zu
tunen. In dem neuen Hebsunmenlehrbuch habe sie allerdings noch keinen Platz
gefunden; eine gewisse Anerkennung, wenigstens des Alkohols, findet Verfasser
jedoch darin, daß den Hebammen Alkoholgebrauch befohlen ist, wenn die
Hiad „trotz aller Vorsicht doch einmal mit verdächtigen Stoffen in Berührung
gekommen ist, wie z. B. übelriechendem Wochenfluß.“ Demnach bleibe also
doch als ultimum refugium der Alkohol. Rpd.
Seifenkresol 'contra Lysol. Von Geh. Me<L-Rat Prof. Dr. Ahlfeld
io Harburg. Deutsche mediz. Wochenschr.; 1904, Nr. 51.
Den Bemühungen des Verfassers war bekanntlich s. Z. die Einführung
dea weit billigeren und ebenso wirksamen Seifenkresols statt des Lysols (ge¬
lingen. Durch das neue Hebammenlehrbuch ist nun als einziges Händedesm-
ÜJMnz Sublimat eingeführt und als Ersatzmittel ausnahmsweise nur Lysol ge¬
stattet.
Heber die Gründe für diese Abänderung hat sich der Verfasser des
409
Kleinere Mitteilungen nnd Referate aus Zeitschriften.
nenen Lehrbuches, Prof. Dr. Runge, wie folgt geäußert: »Als zweites Des-
inficiens sollte das Seifenkresol gewählt werden. Allein genaue, in verschie¬
denen Instituten ausgeftthrte Untersuchungen lehrten, daß das im Handel be¬
findliche Seifenkresol kein einheitliches Präparat ist, daß seine desinfizierende
Kraft zu wünschen übrig läßt, daß es endlich im kalkhaltigen Wasser dicke
Niederschläge erzeugt. Da der Kredit der Karbolsäure heute sozusagen er¬
schöpft ist, so war man bis auf weiteres auf das Lysol angewiesen, das sich in
seiner desinfizierenden Kraft bewährt und in l°/ 0 iger Lösung zu Ausspülungen,
Waschungen etc. gewählt wurde, sowie für die Instrumente anzuwenden ist,
wenn das Kochen unmöglich ist.“ ‘) Ahlf eld ist der Ansicht, daß von diesen
drei Einwänden gegen das Kresol keiner zu Recht bestehe. Die Zusammen¬
setzung des Kresols sei durch die Pharmakopoe ganz genau vorgesch rieben,
seine Gleichartigkeit daher tatsächlich größer als die des in einer nicht unter
einer Kontrolle stehenden Fabrik hergestellten Lysols. Die beiden anderen
Vorwürfe seien aber für das Lysol genau so zutreffend, wie für das Seifen¬
kresol. Erst mit einer 2—3°/ 0 igen Lösung könne man einen desinfizierenden
Einfluß auf die Bakterien der Haut nach weisen. In kalkhaltigem Wasser lie¬
ferten beide Präparate den gleichen Niederschlag. Ahlf eld hofft deshalb,
daß die Erlaubnis des Gebrauchs des Seiienkresols für Hebammen bald wieder
erfolgen werde. Rpd.
Bakteriologische Untersuchungen zur Heisswasser-Alkoholdesinfek¬
tion» Von Prof. Dr. 0. Sarvey in Tübingen. Deutsche mediz. Wochenschr.;
1905, Nr. 1.
Sarvey hat die von Ahlf eld angestellten Versuche mit der Hei߬
wasser-Alkoholdesinfektion genau nach dessen Vorschriften vom Beginno der
Vorbereitungen an bis zu dem erfolgten Abschluß der Beobachtungszeit
in 94 Fällen nachgemacht und hat dabei als Gesamtergebnis gefunden, daß
von allen Versuchshänden nicht eine einzige durch die vorhergegangone Des¬
infektion steril geworden war, sondern im Ganzen wohl stark verminderter,
aber doch mehr oder weniger erheblicher Testierender Keimgehalt festgestellt
werden konnte. Verfasser sicht als Grund für die von ihm erhaltenen, den
Ahlfeldschen ganz entgegengesetzten Versuchsergebnissen verschiedene Ver¬
suchsfelder an, die der von Ahlf eld geübten Vcrsuchstcchnik anhaften und
trotz vorhandenen Keimgehalts der desinfizierten Hände eine Sterilität der¬
selben Vortäuschen. Im Wesentlichen seien diese Fehlerquellen teils auf die
zu kleine Anzahl von Einzelprüfungen zurückzuführen, die gleichzeitig von
derselben Versuchshand abgenommen wurden, teils auf die ausschließliche Ver¬
wendung der Bouillon als Nährboden, während Verfasser auch Agarplatten
benutzt hat, sowie endlich auf die zu geringe Intensität der Keimentnahme.
Die Ausschaltung dieser Fehlerquellen in der Versuchsanordnung habe das
Auftreten von Handkeimen im Nährboden zur unmittelbaren Folge. Rpd.
Die Desinfektlonskraft des käuflichen Liquor cresoli saponatns. Von
Dr. H. Uebelmesser, Assistenzarzt im Inf.-Reg. Nr. 125, kommandiert z.
Kgl. Württemb. Med.-Koll. in Stuttgart. (A. d. hyg. Labor, d. KgL wttrtt
Med. - Kolleg., Med.-Rat Dr. S cheurlen.) Zentralbl. f. Bakt.; I. Abt., Orig.,
1904, Bd. 37, H. 3.
Uebelmesser weist nach, daß die käuflichen Kresolseifenlösungen
nur in seltenen Fällen den an sie gestellten Ansprüchen bezüglich ihrer Des¬
infektionskraft genügen; sie ist proportional der im Präparat enthaltenen
Menge Kresol. Diese sollte deshalb stets geprüft werden, was nach der
Cleßleschen Methode (Südd. Apotheker-Ztg.; 1904, Nr. 12) mit genügender
Sicherheit gelingt. Das Deutsche Arzneibuch schreibt nur eine Prüfung des
Rohkresols und der Kaliseife vor ihrer Mischung vor. Zwar besitzen die vom
Reichsgesundheitsamt bei der Seuchenbekämpfung vorgeschriebenen ö prozentigen
Lösungen auch der gewöhnlichen käuflichen Kresolseifenlösungen recht erheb¬
liche Desinfektionskraft, aber für die Händedesinfektion sind diese Lösungen
nicht zu benutzen, da sie die Hände stark angreifen; hierfür können höchstens
2 prozentige Lösungen benutzt werden. Uebelmesser fordert zur Erzielung
‘) Deutsche mediz. Wochenschr.; 1904, Nr. 44.
Kleiner« Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
403
besserer Präparate außer der Prüfung des fertigen Präparates die Herstellung
wn Kresoisdfenlösungen aus 2 Teilen Kresol und 1 Teil Kaliseife, was tech-
usch keine Schwierigkeiten macht. Dr. Len tz-Saarbrücken.
Ceher den Deslnfektlonswert verschiedener Handelsmarken ron
Llqnor eresoli sapenatus des Deutschen Arzneibuches. Von Dr. Fehrs
m Göttingen. ZentralbL f. Bakteriologie, Parasitenk. u. Infektionskrankh.;
L Abt, Orig., Bd. 37, S. 708.
Nach Fischer und Koske, sowie Uebelmesser haben aus ver¬
schiedenen Bezugsquellen stammende Präparate des Liq. eresoli sap. sehr un¬
gleichen Desinfektionswert. Ihre Versucnsanordnung gab einen verläßlichen
Xafistab für praktische Verwendbarkeit des Mittels, dagegen keine genaue
Aufklärung über das wechselseitige Verhalten zwischen ihm und den Mikro¬
organismen. Eingehender prüfte Verfasser im hygien. Institut zu Göttingen
6 ron verschiedenen Firmen bezogene Kresolseifenpräparate durch abgestufte
Mischling mit ßouillonreinkulturen (Staphyl. pyog. aureus, Strept. pyog., Cho¬
lera vibrio, Typhusbazillen) und nachherige Aussaat in Gelatine. Die Desin¬
fektionskraft war sehr ungleich; demnach auch der Gehalt an wirksamen Be¬
standteilen. Uebersteigt die Kaliseife den vorgeschriebenen Anteil von 60 °/ 0 , so
geht aneh der Desinfektionswert herab; indessen waren, wie Versuche ergaben,
die Präparate richtig gemischt. Folglich mußte der Kresolanteil in sich un¬
gleich zusammengesetzt sein. Durch fraktionierte Destillation der Rohkresole
M sieh in der Tat zeigen, daß die kräftiger desinfizierenden Proben größere
Mengen der Para- und Metakresole enthielten, während bei den weniger wirk¬
samen Präparaten Orthokresol überwog. Auch bei unmittelbaren Abtötungs-
vtmehen von Typhusbazillen durch die höher (196—210°) und die niedriger
sfedenden KresoldestiUationsprodukte erwiesen sich die ersteren, die Para- und
Metakresole als erheblich wirksamer.
Demnach ist Liq. eres, sapon. des Arzneibuches nicht chemisch gleich¬
mäßig zusammengesetzt und nicht stets zuverläßig wirksam, und zwar infolge
der verschiedenen chemischen Zusammensetzung der Grundsubstanz. Dies gilt
vermutlich auch für andere Präparate, in denen das Kresol durch Seife u. dgl.
«(geschlossen ist. Da sich die Kresolpräparate anderseits dem höheren Or-
gtusums gegenüber keineswegs indifferent verhalten, so sind sie besonders
ftr Laienhand (Hebammen, Desinfektoren) ungeeignete Desinfektionsmittel.
Verfasser empfiehlt nach eigenen Versuchen als Ersatz die verhältnismäßig
billige Schwefelsäure, die in schwachen Lösungen wenig giftig ist und doch
«ekt kräftig desinfiziert.
Die Ergebnisse der Arbeit verdienen auch deshalb besondere Beachtung,
*dl vor kurzem Ahlfeld in einem Aufsatz: „Seifenkresol contra Lysol“ (s.
vorker S. 401) lebhaft dagegen Beschwerde erhebt, daß Seifenkresol in das
nebunmenlehrbuch nicht aufgenommen sei, und Runges Ein wand, es sei kein
®kotKches Material, als unbegründet zurückweist.
' Dr. Georg Schmidt-Berlin.
Heber berufliche Formalinonychien und -dermatlden. Von Dr. Ga-
levaky-Dresden. Münchener med. Wochenschr.; 1905, Nr. 4.
Verf. hatte innerhalb der letzten 2 Jahre 4 sichere und einen nicht ganz
tmvaadfreien Fall von Formalinonychien in Verbindung mit Formalinderma¬
ßen zu beobachten bei Patienten, welche 4 und lOprozentige Formalinlösung
gebraucht hatten (3 Aerzte, welche das Formalin zu pathologischen und histo¬
logischen Arbeiten verwendeten, 1 Institutsdiener vom patholog. Institut und
1 Apotheker). In allen Fällen begann die Erkrankung erst längere Zeit nach
Anwendung des Formalin, im allgemeinen */* res P- 3 I* Jahr nach energischem
“beiten mit Formalin. Zuerst zeigte sich eine bräunliche Verfärbung der
die ftllm&hlig erweichten und besenartig auffaserten, später immer mehr
®rö*en, spröde, rissig, zackig und verdickt wurden.
ln 2 Fällen beschränkte sich die Erkrankung auf die Nägel, in den
® «deren Fällen ging sie als Dermatitis auf die Finger über in der Form von
oder weniger starker ekzematöser Hauterkrankung. Auffallenderweise
*trien die so erkrankten Nägel weich und locker und ließen sich umbiegen,
I tihrend de beim gewöhnlichen Ekzem hart, derb und rissig sind. Die Nägel-
404
Kleinere Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften.
erkr&nkang war last in allen Fällen eine schmerzhafte and stets eine äußeret
hartnäckige, in schweren Fällen */« bis 1‘/* Jahren daaemd. Der Institats-
diener maßte sogar seinen Beraf aufgeben. Bei einem jüngeren Kollegen blieb
die rechte, wegen einer Wände mit einem Gummihandschuh geschützte Hand
frei von jeder Erkrankung, während die linke nach Gebrauch von Formalin die
typische bräunliche Verfärbung des Nagels mit Riffelung, zahlreichen kleinen
Grübchen, Einrissen der Nagelränder zeigte. Die Formaluibraunfärbung, meint
Verfasser, sei hervorgerufen durch Lufteintritt in die Nägel, vielleicht auch
durch einzelne von zerstörtem Hämoglobin herrührende Blutfarbstoffelemente.
Prophylaktisch wird sich also bei allen, die mit Formalin viel omiu-
gehen haben, das Tragen von Gummihandschuhen empfehlen.
_ Dr. Waibel-Kempten.
Tagesnachrichten.
Aus dem Preussisohnn Abgeordnetenhaus*. Der Gesetzentwurf,
betreffend die Gebühren der Medizinalbeamten, ist von der betreffenden
Kommission des Abgeordnetenhauses in zweiter Lesung durchberaten. Danach
ist § 1 in der Fassung des Regierungsentwurfs angenommen und dem § 2
folgende Fassung gegeben: „Bei andern amtlichen Verrichtungen erhalten die
Kreisärzte Gebühren, und zwar: 1. wenn es Bich um ortspolizeiliche Interesses
handelt, deren Befriedigung den Gemeinden gesetzlich obliegt, von den letz¬
teren; 2. in allen übrigen Fällen von den beteiligten Personen, in deren
Interesse die Verrichtungen erfolgen.“ Die Abstimmung über § 3 ist noch
ausgesetzt; § 4 hat nachstehenden Zusatz erhalten: „Die Gemeinden und
sonstigen Beteiligten sind befugt, mit den Kreisärzten die Gewährung von Pan-
schalcntschädigungen zu vereinbaren.“ Die übrigen Paragraphen (5—12) haben
keine Aenderung erfahren. Ob der Gesetzentwurf noch vor das Plenum des Ab¬
geordnetenhauses kommen und in dieser Session überhaupt zur Verabschiedung
gelangen wird, erscheint nach Lage der Verhältnisse allerdings zweifelhaft
Die am 30. u. 31. Mai d. J. stattgehabte Beratung des preußischen
Herrenhauses über den Gesetzentwurf, betr. die Bekämpfung übertrag¬
barer Krankheiten hat zwar zur Annahme des Gesetzes geführt, jedoch
mit einigen Abänderungen der vom Abgeordnetenhause beschlossenen Fassung,
die vom gesundheitlichen Standpunkte z. T. als Verschlechterung des
Gesetzes angesehen werden müssen. Von Seiten des Berichterstatters, Ober¬
bürgermeister Ehlers-Danzig, wurde die Annahme des Gesetzes mit den
von der Kommission vorgeschlagenen Abänderungen empfohlen; der General
v. Leszczynski bat dagegen um Ablehnung des Gesetzes, da es den Land¬
gemeinden zu große Lasten auferlege und hier auch, namentlich die gefor¬
derte Isolierung von Kranken, undurchführbar sei. Der Kultusminister
Dr. Studt betonte demgegenüber, daß das Gesetz gerade den Landge¬
meinden erhebliche Erleichterungen in finanzieller Hinsicht bringe und auch
nach vielen anderen Seiten hin einen großen Fortschritt in Vergleich zu
den bisherigen Vorschriften bedeute. Der frühere Staatsminister Dr. Frhr.
v. Lucius-Ballhausen pflichtete dieser Ansicht nicht bei, sondern erblickte
in dem Gesetze nicht nur eine wesentliche Belastung der Gemeinden, sondern
auch ein außerordentlich tiefes Eingreifen in die persönliche Freiheit des Ein¬
zelnen. Desgleichen wurde von ihm wieder auf den Uebereifer der Kreisärzte
hingewiesen und befürchtet, daß diese durch die ihnen im Gesetze eingeriumten
Kompetenzen bei ihren Vorschlägen noch mehr als bisher über die Grenzen des Un¬
annehmbaren und Zulässigen hinausgehen würden. Im Gegensatz hierzu wurde
vom Graf v. Oppersdorff die Annahme des Gesetzes in der vom Abgeord-
netenhause angenommenen Fassung warm befürwortet; die Befürchtung betreib
etwaiger Uebergriffe der Kreisärzte hielt er für unbegründet, gegen dieselben
schütze im übrigen nicht nur das Verwaltungsstreitverfahren, sondern auch
der Landtag selbst, „denn bei der kritischen Aufmerksamkeit, mit der gerade
die Herren Kreisärzte in den verschiedenen Parlamenten verfolgt würden,
könne es niemals zu großen Ausschreitungen in dieser Richtung kommen.*
Bei der Spezialdebatte entspann sich eine längere Erörterung bei $ L
Hier hatte die Kommission vorgeschlagen, die Anzeigepflicht bei Verdacht
von Rotz und Rückfallfieber zu streichen; Frhr. Dr. Lucius T.
Tagesnachrichten.
405
Ballhausen beaatragte, diese Streichung auch auf die verdächtigen Fälle
tob Kindbettf ieber and Typhus zu erstrecken, während Graf ▼. Oppe rs-
derf bat, die Anzeigepflicht auch auf die verdächtigen Fälle von epide-
■iseher Genickstar re auszudehnen. Von seiten des Regierungsvertreters,
Geh. Ob. - Med. - Rat Dr. Kirchner, wurde der Antrag des Grafen 0 p p e r s -
dort warm befürwortet und auf die Notwendigkeit der Anzeigepflicht bei
verdächtigen Erkrankungsfällen hingewiesen, falls der Kampf gegen die in
Betracht kommenden Seuchen mit Erfolg durchgeführt werden sollte. Aber
trotz dieser eingehenden Ausführungen, in denen namentlich auch darauf hin*
gewiesen wurde, daß sich mit Hülfe der bakteriologischen Untersuchungsmethoden
ia kürzester Zeit die Diagnose bei derartigen verdächtigen Krankheitsfällen fest«
stellen lasse und daß die Anzeigepflicht bei diesen Erkrankungen eine der wich¬
tigsten und wirksamsten Waffen der Medizinalverwaltung für ihre Bekämpfung
büde, wurde der Antrag des Freih. Dr. Lucius v. Ballhausen angenommen.
Damit ist also die im §1 vorgesehene Anzeigepflicht nicht nur bei
verdächtigen Erkrankungsfällen von Rotz-undRückfallfieber,
sondern auch von Typhus und Kindbettfieber gestrichen. Da¬
gegen wurde ein weiterer Antrag des Frhr. La eins v. Ballhausen, wo¬
nach auch die im § 6, Absatz 1 vorgesehene Bestimmung betreffs der amt¬
liehen Ermittelungen bei Verdacht von diesen vier Krank¬
heiten gestrichen werden sollte, vom Antragsteller selbst zurück¬
gezogen, nachdem sowohl von seiten des Herrn Kultusministers wie seines
Kommissars, des Geh. Ob.-Med.-Rats Dr. Kirchner, als von seiten des
Oberbürgermeisters Dr. Bender-Breslau und des Grafen v. Oppersdorf
darauf hingewiesen war, daß dieser Antrag keineswegs als Konsequenz des zu
§ 1 gefaßten Beschlusses anzusehen und die Beibehaltung der betreffenden
Bestimmung unbedingt notwendig sei, um ein polizeiliches Einschreiten auch
bei verdächtigen Erkrankungsfällen überhaupt zu ermöglichen. Eine von der
Kommission vorgeschlagene mehr redaktionelle Aenderung des § 6 in dem Satze,
,wenn der beamtete Arzt unter Berufung auf seine Pflicht erklärt“, die Worte
»unter Beruf ung auf seine Pflicht“ als überflüssig zu streichen, wurde angenommen.
Zu § 8 (Schutzmaßregeln) hatte Graf v. Seidlitz-Sandreczky
eilen Antrag gestellt, wonach nicht nur bei Diphtherie und Scharlach, wie im
Gesetz vorgesehen ist, sondern bei allen übrigen ansteckenden Krankheiten
eine zwangsweise Unterbringung kranker Personen in einem Krankenhause
oder in einem anderen geeigneten Unterkunftsraum gegen den Willen des
Haushaltungsvorstandes nicht erfolgen darf, wenn nach der Ansicht des be-
juateten Arztes oder des behandelnden Arztes eine ausreichende Absonderung
in der Wohnung sichergestellt ist. Der Antrag wurde jedoch nach lebhafter
Debatte, in welcher sich der Kultusminister und sein Kommissar Geh.
Oh.-Med.-Rat Dr. Kirchner, Graf v. Oppersdorf, v. Jerin-Geseß, Ober¬
bürgermeister Dr. Bend er-Breslau und der Berichterstatter Oberbürgermeister
Ehlers gegen, Freih. Dr. Lucias v. Ballhausen, Prof. Dr. Loenig und
der Antragsteller für den Antrag aussprachen, abgelehnt. Dagegen wurde ein
Aatrag des Frhr. Dr. Lucius v. Ballhausen zu Nr. 5 des § 8, (Des¬
infektion bei Tuberkalose), die von der Kommission hinzugefügten Worte
»nach Entfernung des Krankens aus der Wohnung oder bei Todesfall“ zu
streichen, angenommen; desgleichen fand die von der Kommission vorgcscblngene
Aenderung des § 8 Nr. 1 (Schutzmaßregeln bei Diphtherie) statt „Hausarzt“
»behandelnder Arzt“ zu sagen, die Zustimmung des Herrenhauses,
«ährend ein Antrag des Grafen v. Oppersdorf, bei §8, Abs. 2 Nr. 2 (Ma߬
regeln bei G enickstarre) noch die Worte „Fernhaltung von dem Schul- und
Unterrichts besuche“ hinzuzufügen, abgelehnt wurde. Dasselbe Schicksal traf
den nachstehenden Antrag des Grafen v. Haeseler zu § 9:
„Bei Syphilis, Tripper und Schanker kann eine zwangsweise
Behandlung der erkrankten weiblichen Personen allgemein angeordnet
werden, wenn dies zur wirksamen Verhütung der Ausbreitung der Krank¬
heit erforderlich erscheint,“
nachdem sich der Rcg.-Kommissar Geh. Ob.-Med.-Rat Dr. Kirchner dagegen
ausgesprochen und den Antrag als zu weitgehend, der Denunziation Tür und
Tor öffnend bezeichnet hatte.
Die §§ 10—31 wurden unverändert in der vom Abgeordnetenhause be¬
schlossenen Fassung angenommen, nur mit einer kleinen redaktionellen Aende-
406
Tagesnachrichten.
rang im § 27, Abs. 2, wo statt eines „Kommas" zwischen den Worten Ein¬
kommen- and Bealsteuer das Wort „and" eingefügt ist. Za § 30 wurde
ein Antrag des Grafen v. Oppersdorf angenommen, der mit Bücksicht darauf,
daß es in den Hohenzollernschen Landen keinen Provinzialrat gibt, bezweckt,
daß hier gegen die Entscheidung des Bezirksausschusses direkt Beschwerde
bei dem Oberyerwaltongsgericht eingelegt werden kann. Eine längere Debatte
entspann sich dagegen bei § 32 (Aufbringung der Kosten für Her¬
stellung von sanitären Einrichtungen bei dringender Gefahr),
bei dem die Kommission zwei Aendernngen vorgeschlagen hatte, einmal, daß
die Anordnung derartiger Maßnahmen „nur nach Anhörung der betr.
Kommunalbehörde erfolgen sollte" (Abs. 1), und zweitens, daß die
Kosten nur dann vom Staate getragen werden sollten, „wenn die Anord¬
nung als rechtlich unzulässig aufgehoben würde". Beide Vor¬
schläge wurden abgelehnt, obwohl sich der Finanzminister sehr energisch für
den zweiten Vorschlag ansgesprochen hatte. Damit ist bei § 32 die im Ab¬
geordnetenhause angenommene Fassung wiederhergestellt. Nachdem schließlich
noch im § 33 (Strafbestimmungen) Nr. 1 auf Antrag von Prof. Dr. Loening
und Graf v. Oppersdorf dos Wort „wissentlich“ durch „schuldhaft"
ersetzt wurde, erfolgte die Annahme des Gesetzentwurfes mit großer Mehrheit.
Mit Bücksicht auf die beschlossenen Aendernngen muß das Gesetz noch
einmal dem Abgeordnetenhause zur Beschlußfassung vorgelegt werden. Hoffent¬
lich wird hier die Anzeigepllicht bei verdächtigen Erkrankungen an
Typhus, Wochenbettfieber, Bückfallfieber und Botz wiederhergestellt; denn
dem wiederholten Beschlüsse des Abgeordnetenhauses gegenüber wird voraus¬
sichtlich auch das Herrenhaus seine Bedenken gegen diese Bestimmung fallen
lassen und das Gesetz auch mit derselben annehmen.
Aus der Verhandlung des Herrenhauses verdient übrigens noch ein von
dem Grafen v. Hutten-Czapski in der Kommission als § 8a gestellter An¬
trag hervorgehoben zu werden, namentlich mit Bücksicht auf die seitens des
Vertreters der Staatsregierang hierzu abgegebene Erklärung, auf Grund deren
der Antrag dann zurückgezogen wurde. Derselbe lautete:
„Zur Verhütung der Verbreitung der Cholera, der Buhr, des Typhus
und anderer übertragbarer Krankheiten durch zentrale Wasserversorgungs¬
anstalten wird für diese Anstalten bestimmt:
1. Wasser aus fließenden und stehenden Gewässern darf nur nach ord¬
nungsmäßiger Filtration verabreicht werden.
2. Von sämtlichen Wasserversorgungswerken sind genaue Pläne der
Wassergcwinnungs-, Förderungs- und Aufspeicherangsanlagen, des Druckrohr-
wic des Fallrohrnetzes nebst sämtlichen Schiebern und Anschlüssen zu führen.
Diese Pläne sind von den technischen Leitern als richtig zu bescheinigen und
an den durch die zuständigen Behörden bestimmten Stellen zur Einsicht für
die Polizei- und Medizinalbehörden bereit zu halten.
3. Wasser aus anderen, als den bescheinigten Anlagen darf den Ab¬
nehmern nicht zugeführt werden.
4. Das Wasser aus jedem Wasserwerk ist täglich bakteriologisch und
chemisch zu untersuchen und das Ergebnis der Untersuchung in hierzu be¬
stimmte Bücher einzutragen, die ebenfalls zur Einsicht der Polizei- und Medi-
zinalbehörden bereit zu halten sind.
5. Ergeben die Untersuchungen zu 4 an drei hintereinanderfolgenden
Tagen einen übermäßigen Keimgchalt oder sonst eine starke Verschlechterung
des Wassers, so ist entweder der betreffende Teil der Anlage bis zum Eintritt
normaler Keimzahlen oder ordnungsmäßiger Beschaffenheit des Wassers aus¬
zuschalten oder sofort öffentlich vor dem Genüsse des Wassers in ungekochtem
Zustande zu warnen.
6. Werden bei den Untersuchungen krankheitserregende, insbesondere
Cholera- oder Typhuskeime gefunden, so hat der Leiter des Werkes dies un¬
verzüglich der zuständigen Behörde anzuzeigen.
7. Die Landespolizeibehörde bestimmt die Art der notwendigen Filtration,
sowie die höchste zulässige Keimzahl and erläßt alle zur Ueberwachung der
Wasserwerke notwendigen Anordnungen.“
Hierzu gab der Begierungskommissar folgende Erklärung ab:
„Wenn der Herr Antragsteller im Hinblick auf die durch den Gelsen-
kirckcner Prozeß aufgedeckten Uebelstände auf die Notwendigkeit einer
Tagesnachrichten.
407
schärferen Beaufsichtigung der zentralen Wasserversorgungsanlagen hinge¬
wiesen hat, so habe ich zu erklären, daß auch die Königliche Staatsrejperung
eine Verschärfung der Aufsicht für notwendig erachtet und bereits in Ver¬
handlungen hierüber eingetreten ist. Die allgemeinen Vorschriften, deren
Erlaß beabsichtigt ist, werden sich neben der Beaufsichtigung auch auf
die Anlage und den Betrieb der zentralen Wasserversorgungsanlagen zu
erstrecken haben. Zur Vorbereitung der Verhandlungen hat der Herr Minister
zunächst eine Feststellung der gegenwärtigen Verhältnisse der Wasscrversor-
gnngsanlagen für notwendig erachtet und zu diesem Zwecke durch Erlaß vom
11. Februar 1905 die Regierungspräsidenten veranlaßt, eine Besichtigung der
bedeutenderen zentralen Wasserwerke ihrer Bezirke durch eine besonders für
diesen Zweck zu bildende Fachkommission, bestehend aus einem Verwaltungs¬
beamten, dem Begierungs- und Medizinalrat und dem wasscrbautechnischen
Referenten der Regierung, vornehmen zu lassen. Insbesondere ist dabei auch
festzustellen, ob und in welcher Weise eine fortlaufende bakteriologische
Prüfung der Wasserbeschaffenheit ausgeführt wird. Als Anhaltspunkte für
die Besichtigung sind den Regierungspräsidenten zugleich „Grundsätze für
Anlage und Betrieb von Grund- (Quell-) Wasserwerken“, welche von einer aus
medizinischen und bautechnischen Sachverständigen zusammengesetzten Kom¬
mission entworfen sind, übersandt worden. Diese Grundsätze sind im Ministerial-
biatte für Medizinische Angelegenheiten 1905, Seite 123 und folgende, ver¬
öffentlicht worden.
Nach Eingang der Berichte der Regierungspräsidenten wird die Ange¬
legenheit zum Gegenstände kommissarischer Beratungen unter den beteiligten
Ministerien gemacht und für den Erlaß der in Aussicht genommenen allge¬
meinen Vorschriften des näheren vorbereitet werden. Die Verhandlungen sind
hiernach im vollen Gange. Einer Verquickung dieser Materie mit dem vor¬
liegenden Seuchengesetze kann nur dringend widerraten werden; sie ist zurzeit
überhaupt noch nicht spruchreif und liegt abgesehen hiervon auch außerhalb
des Rahmens der Aufgaben, deren Regelung der vorliegende Gesetzentwurf
sich zum Ziele gesetzt hat.“
Bayerlaeher Medizinalbeamten-Verein. (Vorläufiger Be¬
richt Unter zahlreicher Beteiligung aus allen Teilen des Königreiches wurde
am 2. u. 3. Juni in Würzburg die zweite Bundesversammlung des
Bajer. Medizinalbeamtenvereins abgehalten.
In der Vorstandssitzung, zu der alle 8 Kreisvertreter erschienen waren,
gab der Vorsitzende, Bezirksamt Dr. Angerer-Weilheim, zunächst be¬
kannt, daß der Verein nunmehr 343 Mitglieder zählt, von welchen 178 Amts¬
ärzte nnd 165 für den ärztlichen Staatsdienst geprüfte Acrzte sind. Hierauf
referierte der Vorsitzende über den Verlauf und das Ergebnis der einzelnen
Kreisversammlungen und beschloß die Vorstandschaft, die Frage der Beteili¬
gung der Amtsärzte an der Kontrolle der Nahrungs- uud Genußmittel, beson¬
ders der Milch, zur nochmaligen Beratung in den nächstjährigen Kreisversamm-
langen zu bestimmen. Es soll dabei in bestimmter Form zum Ausdruck
kommen, in welcher Weise und in welchem Umfange sich auf Grund der be¬
stehenden Gesetze und Verordnungen die Bezirksärzte an der Kontrolle der
Yerkaufsmilch beteiligen können und sollen. In der nächsten Landesversamm¬
lung soll dann hierüber ein erschöpfendes Referat erstattet werden. Was die
Aufbewahrung der Impflisten, Leichcnschauscheine, Register und Hebammen¬
tabellen betrifft, wird die Vorstandschaft mit einer entsprechend motivierten
Emgabe sich an das Kgl. Staatsministerium wenden. Als Tagesordnung für
die nächsten Kreisversammlungen wurde bestimmt: 1. Verhütung der Weiter-
yerbreitung ansteckender Krankheiten mit besonderer Berücksichtigung des Des¬
infektionsverfahrens. 2. Aerztliche Ueberwachung der Schulen und der Schüler.
Nach eingehender Begründung stellt der Vorsitzende den Antrag, daß
der Verein eine allgemeine, auf das ganze Land sich erstreckende Morbiditäts-
Statistik der ansteckenden Krankheiten ins Leben rufen solle; nach längerer
Debatte wurde dem Anträge und den Vorschlägen zur Ausführung zugestimmt.
Nachdem mit einstimmigem Urteil aller Kreisvertreter die bisherige
Torstandschaft nur für eine interimistische erklärt worden war, erfolgte die
definitive Wahl der Vorstandschaft; dieselbe ergab einstimmig Bezirksarzt
Dr. An ge rer als Vorsitzenden, Landgerichtsarzt Dr. Hermann als Schrift-
408
Tagesnachrichteil.
ftthrer bezw. stellvortr. Vorsitzenden. — Die Rechnung wurde geprüft und
dem Rechnungsführer Entlastung erteilt.
Am Samstag, vorm. 8*/* Uhr, nahm die Landesversammlung
ihren Anfang; dieselbe war von 71 Teilnehmern besucht, unter ihnen die Kreis*
medizin&lräte der Reg.-Bez. Pfalz, Oberpfalz, Mittelfranken und Unterfrankeu,
sowie der I. Bürgermeister von Würzburg, Hofrat v. Michel. Der Vorsitzende
begrüßte die anwesenden Mitglieder und Gäste im Namen des Vereins, Kreis¬
medizinalrat Dr. Schmitt namens der Kgl. Regierung von Unterfranken, Hofrat
v. Michel namens der Stadt. Die nun folgenden Vorträge und die sich den¬
selben anschließenden Debatten ließen nicht nur ein hohes wissenschaftliches
Streben der Mitglieder erkennen, sondern zeigten auch den eminenten Wert
solcher Versammlungen für die weitere Ausbildung der Amtsärzte und des
amtsärztlichen Dienstes.
Nach Schluß der Verhandlungen vereinigte die Teilnehmer ein gemein-
schaftliches Essen im festlich geschmückten Ballsaale der Gesellschaft
Harmonie, das einen sehr animierten Verlauf nahm.
Alle Teilnehmer waren von dem Verlaufe der Versammlung sichtlich
hochbefriedigt, und gebührt allen, die zum Gelingen dieser Versammlung beige¬
tragen haben, besonders dem Herrn Kreisvorsitzenden für Unterfrankeu, in dessen
Händen das ganze Arrangement lag, großer Dank. Dr. Anger er.
Genickstarre in Preussen. Für die Zeit vom 1. bis 15. Mai sind
gemeldet 459 (225) Erkrankungen (Todesfälle) und zwar in der Provinz Ost¬
preußen 3 (2), WOstpreußen —, Brandenburg 8 (4), Pommern 2, Posen 2 (2),
Schlesien 411 (203), Sachsen 9 (6), Schleswig-Holstein 3 (1), Hannover 2 (1),
Westfalen 6 (2), Hessen-Nassau 2, Rheinprovinz 7 (4), Hohenzollern —.
Im Herzogtum Meiningen hat die Staatsregierung die bisher ver¬
botene Feuerbestattung für zulässig erklärt und demzufolge auch den Bau
von Krematorien gestattet. _
Die Hufelandsehe Gesellschaft hat folgende Preisaufgabe gestellt:
„Es sollen im Anschluß an die W. A. Freundschen Untersuchungen die
Ursachen der Stenose der oberen Thoraxapertur und ihre Bedeutung für die
Entwicklung der Spitzenphthise untersucht werden.“ Bearbeitungen sind in
deutscher Sprache bis zum 1. Mai 1906 an Prof. Dr. Strauß, Berlin (NW.,
Alexanderufer 1) unter Beifügung eines Mottos einzusenden. Die preisgekrönte
Arbeit wird mit 800 Mark honoriert.
Ber Internationale Tuberkulose• Kongress findet vom 2.—7. Oktober
1905 zu Paris statt. Die Eröffnungssitzung beginnt am Montag, den 2. Ok¬
tober, nachm. 3 Uhr im Grand Palais des Champs-Elysees, avenue d'Antin,
wo auch sämtliche Arbeitssitzungen stattfinden. Schlußsitzungen am 5. Ok¬
tober im großen Amphictheatcr der Sorbonne. Der Beitrag beträgt 26 Fr. für
die Mitglieder des Kongresses, 10 Fr. für Familienangehörige; er ist an den
Schatzmeister des Kongresses, M. Pierre Masson, Editeur, 220 boulevard St.
Germ&in, Paris einzusenden. Das Generalsekrctariat des Kongresses befindet
sich 21 rue de l’Kcole de Medicine, Paris.
Vom 16. bis 19. Oktober d. J. findet in Paris der zweite Inter¬
nationale Kongress für Milchwirtschaft statt. Mit Rücksicht auf die Be¬
deutung der Veranstaltung, namentlich um eine der deutschen Milchwirtschaft
entsprechende Vertretung bei diesem Kongreß herbeizuführen, richtet der
Deutsche milchwirtschaftliche Verein an alle Beteiligten die Bitte, an dem
Kongreß teilzunehmen, und ihre Anmeldungen alsbald an den Geschäftsführer
desselben, Herrn Prof. Troude, 61, Boulevard Barbös - Paris, zu richten.
Programme sind durch den Geschäftsführer des Deutschen milchwirtschaftlichea
Vereins, Oekonomierat Boysen, Hamburg 6, Kampstraße Nr. 46, zu beziehen;
auch ist dieser bereit, sonstige Auskunft zu geben oder zu vermitteln. _
Berichtigung. In Nr. 10, S. 315, Zeile 25 von oben muß es 1 : 30
statt 1 : 80 heißen, und Zeile 30 von oben statt Stockung: „Streckung“. _
Verantworte Redakteur: Dr. ßapmund, Reg.- u. Geh. Med.-Rat in Minden i. W.
J. C. C. Bruns, Herzogi. Sachs, u. F. Sch.-I.. Hofbuchdruckerei in Minden.
410
Dr. Deutsch.
Knaben J. Schwellungen der Angen und am Montag auch der Hände und Füße;
auch hatte er nur wenig Wasser lassen können. Die Mutter ging hierauf
wiederum zu dem M. und berichtete dieses. M. erwiderte ihr, „das wäre nicht
Bchlimm; sie solle nur Senncsblättcr, Süßholz und Wachholder aus der Drogerie
holen und davon einen kräftigen Tee kochen; wenn dann tüchtiges Abführen
erfolge, solle sich die Sache schon geben.“ Die Mutter tat, wie ihr geheißen
war. Als sich die Krankheit aber verschlimmerte und auch die beiden anderen
Knaben Schwellungen zeigten, wurde ich am Donnerstag gerufen. — Ich konnte
alles dieses nur schwer aus den Eltern herausholen, die offenbar große Ab¬
neigung hatten, mit dem Oerichte in Berührung zu kommen. Die Tochter
Elisabeth war nicht zu Hause; ich habe sie auch nicht zu Gesicht bekommen,
jedoch zweimal ihren Urin, den die Eltern mir brachten, untersucht.
Ich ließ die Kranken nach dem Krankenhauso zu Neuhaus bringen und
stellte dort noch Folgendes fest:
Der Urin des bewußtlosen Knaben J .hatte einen Eiweißgehalt von circa
V*°/oo; der Urin der beiden anderen Knaben zeigte nur Spuren von Albamen,
die sowohl auf die Kochprobe wie auf Essigsäure-FerrozyankaU deutlich zutage
traten, jedoch im Esbach quantitativ nicht sicher mehr zu bestimmen waren.
Dagegen zeigte der zentrifugierte Harn aller drei Knaben mikroskopisch un¬
gemein zahlreiche Zylinder, und zwar sowohl hyaline, wie granulierte und
Epithelialzylinder, ferner rote und weiße Blutkörperchen. Die letztere Art der
Zylinder fand sich hauptsächlich bei dem ältesten Knaben, dessen Urin auch
verfettete Niercncpithclien enthielt.
Der Urin des Mädchens zeigte beide Male keine Spur von Albumen
wohl aber jedesmal hyaline Zylinder in mäßiger Menge. Ich konnte das Mädchen
nicht in Behandlung bekommen, wohl weil die Eltern die Kosten scheuten;
ich mußte mich deshalb damit begnügen, den Eltern Verhaltungsmaßregeln zu
geben. Das Kind hat keine Nachteile davon gehabt, wio ich mich l j$ Jahr
später, als ich es wegen einer Diphtherie auf das Krankenhaus verlegte, über¬
zeugen konnte.
Das jüngste Kind des B., ein Mädchen, war der Kur nicht unterzogen
und zeigte demzufolge keinerlei krankhafte Veränderungen.
Bei dem ältesten schwerkranken Knaben versuchte ich durch Kochsalz¬
infusionen, Schwitzbäder usw. einzuwirken; er starb jedoch noch in derselben
Nacht ohne aus seinem urämischen Coma aufgewacht zu sein. Die beiden
anderen Knaben genasen unter geeigneter Behandlung.
Auf die von mir erstattete Anzeige hin wurde die gericht¬
liche Obduktion angeordnet, bei der ich auf richterliche Vor¬
ladung hin anwesend sein konnte. Die wesentlichen Ergebnisse
der Sektion waren nach dem mir von dem zuständigen Kreisarzt
H. Med.-Rat Dr. Benthaus in Paderborn bereitwilligst über¬
lassenen Obduktionsberichte folgende:
A. Aeußere Besichtigung.
1. Die Leiche des 150 cm großen, etwa II Jahre alten, ziemlich kräftig
gebauten Knaben zeigt mäßiges Fettpolster und mittelkräftige Muskulatur.
2. Die Hautfärbung ist im allgemeinen sehr blaß, auch zeigt sich das
Unterhautzcllgewebe sehr wässerig, so daß fortwährend eine ziemlich klare
Flüssigkeit aus den Schnittflächen hervorsickert.
7. Das Gesicht sehr blaß, etwas gedunsen; Fingereindrücke in der Nähe
der Jochbeine hinterlassen deutliche Gruben. Die Augenlider sehr blaß, wässerig
geschwollen; kleine Einschnitte in dieselben zeigen das Gewebe sehr wässerig
(lurchtränkt.
12. An der Brust zahlreiche kleine punktförmige Borken, welche sich
abheben lassen, und zeigt sich hiernach die Haut unverletzt.
17. Hodensack ziemlich lang und vergrößert. Einschnitte in die Haut
desselben zeigen das Gewebe sehr wässerig.
18. An den Extremitäten finden sich sehr zahlreich die kleinen trockenen
Borken wie an der Brust. Außerdem an den Unterarmen, ganz besonders an
don Händen zahlreiche oberflächliche Geschwüre von Linsen- bis Erbsengröße.
.Beide Handrücken ebenfalls geschwollen, von blaßglasigcm Aussehen;
Vergiftung mit Perubalsam mit tödlichem Ausgange. 411
Fingereindrücke hinterlassen starke Graben. Einschnitte zeigen das Gewebe
sehr wässerig.
Ebenso sind die unteren Extremitäten mit teils alten, teils neuen Ge¬
schwüren bedeckt; die größeren davon befinden sich hauptsächlich an den
Füßen. Die Fußrücken und die Enkel sind in derselben Weise wie die Hände
geschwollen.
B. Innere Besiehtigung.
I. Brust- und Bauchhöhle,
a) Bauchhöhle.
26. Die linke Niere 11 cm lang, 6 cm breit, 3 cm dick, schlaff, Kapsel
leicht abznziehen. Oberfläche glatt und auffallend gelblich rot. An der Ober¬
fläche sind zahlreiche, sternförmig verzweigte Venen sichtbar. Auf dem Durch¬
schnitte ist die Rindeasubstanz von auffallend gelblichem Aussehen; sie ist
rerechmälert und mißt 0,7 bis 0,8 cm. Die sind Nicrcnkegel besonders an der
Basis auffallend dunkelrot; aus den Papillen läßt sich eine weißliche Flüssigkeit
ansdrücken. Es wurde sofort je ein mikroskopisches Präparat von der Rinden-
Substanz und von der Flüssigkeit aus den Papillen gemacht. Erstercs zeigte
zahlreiche Epithelien, an welchen die Kerne nicht mehr sichtbar waren, und
welche zahlreiche Körnchen enthielten, die sich auf Essigsäurczusatz nicht
anflösteu, demnach aus Fett bestanden. Die Flüssigkeit aus den Papillen
enthielt ebenfalls derartige Epithelien, welche sich zu Haufen zusammcngcballt
und teilweise die Form von Zylindern angenommen hatten.
28. An der rechten Nicro ebenfalls das gelbliche Aussehen der Ober¬
fläche und das gelblich rote Aussehen der Rindensubstanz auf der Schnittfläche
bemerkenswert. Im übrigen wie die linke Niere.
29. Harnblase massig ausgedehnt, enthält 60 ccm eines gelblich trüben
Harnes; hiervon wird ein kleiner Teil entnommen, um eine Eiweißprüfung
Torzunehmen. Der Harn wird zunächst filtriert und darauf Essigsäure - Ferro-
zjankali hinzugesetzt; es zeigt sich eine deutlich ausgesprochene Eiweißreak¬
tion in Form einer weißlichen Trübung.
Harnblase äußerlich glasig blaß; ihre Schleimhaut von blaß rötlichem
Aussehen, ohne Verletzung.
Dass die bei den vier Kindern Vorgefundene Nierenerkrankung
eine Folge der Krätzeknr war, unterliegt wohl keinem Zweifel.
Auf die Erwägung, dass die Scabies an und für sich eine Ne¬
phritis bervorrufen könnte, brauche ich wohl nicht näher einzu-
fjehen, weil dahingehenden Behauptungen die nötigen Unterlagen
fehlen. Irgendwelche sonst vorausgegangene Krankheiten sind
von den Eltern bestimmt in Abrede gestellt; es liess sich auch
kein Anzeichen, wie Abschuppung der Haut usw., dafür auffinden.
Was non die zuerst angewandte Salbe betrifft, so gab der
Angeklagte M. an, es sei Schmierseife mit etwas Essig vermischt
gewesen. Die Eheleute B. bezeichneten sie als eine gelbe Salbe,
die beim Reiben etwas geschäumt habe. Ob die Angabe des M.
vollständig richtig ist, konnte leider nicht festgestellt werden,
denn die Frau B. hatte, nachdem die Salbe verbraucht war, den
Topf ausgewaschen; es war so nichts mehr zu finden. Auch eine
Haussuchung bei dem M. hatte keinen Erfolg. Das Schäumen,
von dem die Eltern berichten, spricht indess dafür, dass es sich
hier in der Hauptsache um Seife gehandelt hat.
Von dem weiterhin verwandten Perubalsam ist es nun ge¬
nügend bekannt, dass dieser Nierenentzündung bervorrufen kann,
nud dass besonders bei Kindern nach Krätzkuren mit Peru¬
balsam Nephritiden auftreten. Henoch 1 ) berichtet von 6 Fällen,
') Vorlesungen über Kinderkrankheiten; 10. Aufl., S. 632.
412 Dr. Deutsch: Vergiftung mit Perubals&m mit tödlichem Ausgange.
die er beobachtet hat; weitere Fälle sind von Litten 1 ) and in
neuester Zeit von Gfassmann 1 ) mitgeteilt. Letzterer beob¬
achtete eine schwere Nephritis nach Gebrauch von Perubalsam
bei einem 26 jährigen Manne. Eine tödliche Vergiftung mit Peru¬
balsam nach Einreibung ist bisher nicht mitgeteilt worden, nur
Lohaus 8 ) berichtet über eine tödliche Enteritis bei einem Säug¬
linge, dessen Mutter sich die Brust mit Perubalsam eingerieben hatte.
Sehr bemerkenswert ist in unseren Fällen die geringe Menge
Perubalsam, die verbraucht wurde. Die Leute zeigten mir ein
30 g Gläschen, welches fast gefüllt gewesen sei. Mit dieser ge¬
ringen Menge ist nun bei vier Menschen eine Nierenentzündung:
hervorgerufen. Ob hier eine Verfälschung des Perubalsam mit
ätherischen Oelen Vorgelegen hat, die Vogl 4 ) als Ursache einer
Nierenentzündung nach Perubalsam vermutet, konnte leider nicht
festgestellt werden. Die ein getretene, derartig verderbliche
Wirkung kann wohl nur durch familiäre Idiosynkrasie und durch
die Art der Anwendung erklärt werden. Die Leute waren an¬
gewiesen, den Balsam auf die Wunden, besonders auf die Kratz¬
effekte aufzutragen. Hierbei musste eine aussergewöhnlich starke
Resorption stattfinden, während der eigentliche Zweck der Kur,
die Abtötung der Krätzmilben, nicht erreicht wurde. Der Kur¬
pfuscher hatte eben die Glocken läuten gehört, wusste aber nicht,
wo sie hingen.
Dass grade das kräftigste Kind an der Krankheit zugrunde
ging, liegt vielleicht, wie auch die Eltern vermuteten, daran, dass
es als das intelligenteste die Kur am energischsten betrieb, um
von dem Ungeziefer loszukommen.
Bemerkenswert für unsere Fälle ist weiter der Unterschied
zwischen chemischem und mikroskopischem Nachweis, der geringe
Eiweissgehalt gegenüber dem massenhaften Auftreten von Zylindern.
Die Fälle, besonders bei dem Mädchen, beweisen wieder, wenn
auch nicht so instruktiv wie die von Kraus 6 ) und von Niedner*)
neuerdings mitgeteilten, die Wichtigkeit der mikroskopischen
Untersuchung des Urins.
Bei der am 8. Mai stattgefundenen Strafkammerverhandlung
musste von seiten der Sachverständigen ohne weiteres zugegeben
werden, dass in der Verwendung von Schmierseife und Perubalsam
bei einer Krätzkur keine Fahrlässigkeit zu erblicken sei, dass
diese Behandlung vielmehr allgemein geübt würde, wenn auch
nicht in der vom Angeklagten vorgeschriebenen Art. Falsch da¬
gegen sei die Behandlung der hinzugetretenen Nephritis, und es als
Fahrlässigkeit anzusehen, dass der M. sich ohne die geringste
Sachkenntnis mit derselben befasst habe. Daraufhin wurde der
Angeklagte zu 6 Wochen Gefängnis verurteilt. Bei Begründung
*) Charite-Annalen; Bd. VII, 8. 187.
2 ) Münchener med. Wochenschrift; 1904, S. 1345.
8 ) Berliner klin. Wochenschrift; 1892, S. 130.
4 ) Eulenburg Realenzyklopädie; Bd. XVIII, S. 554.
5 ) Medizinische Klinik; 1905, S. 77.
*) Medizinische Klinik; 1905, S. 251.
Dr. Wenglcr: Luftleere von Lange and Darm usw.
413
des Strafmasses hob der Vorsitzende die Gemeingefährlichkeit des
Earpfiischertums nachdrttcklichst hervor.
Für die ärztliche Praxis aber lehrt dieser Fall wie die
ähnlichen, dass der Perubalsam doch nicht das so indifferente
Heilmittel ist, wie ihn manche Autoren hinzustellen belieben.
Dieses ist um so mehr zu betonen, als neuerdings Burger 1 )
und andere den Perubalsam bei Behandlung von Wunden sehr
empfehlen. Ich kenne aus eigener Erfahrung die vorzügliche Wir¬
kung des Mittels bei Behandlung von Riss- und Quetschwunden,
sowie bei schlaffen Granulationen, und möchte ihn dabei nicht
entbehren; jedoch ist die nötige Vorsicht am Platze, besonders
bei Kindern. Bei Nephritikern betrachte ich eine ausgedehnte
Anwendung des Perubalsams direkt als einen Kunstfehler.
Luftleere von Lunge und Darm bei der Leiche
eines Neugeborenen, welches deutliche Atembewegung und
Herzaktion gezeigt hat.
Von Kreisarzt Dr. Wengler in Alsfeld.
Seit einiger Zeit mache ich Bestimmungen des spezifischen
Körpergewichtes an den Leichen Neugeborener in der Hoffnung,
Grenzwerte feststellen zu können, innerhalb deren anzunehmen
ist, dass das betreffende Kind geatmet bezw. nicht geatmet hat,
oder dass die Leiche bereits in Fäulnis übergegangen ist. Mich
leitet dabei die Erwägung, der Luftgehalt der Lunge und des
Darmes müsse ohne Erhöhung des absoluten Gewichtes das Vo¬
lumen einer Kindesleiche merklich vergrössern, ihr spezifisches
Gewicht somit vermindern.
Die Untersuchung der in Rede stehenden Kindesleiche fand
am 24. April 1905 in der Marburger geburtshilflichen Klinik statt.
Auf Grund meiner früheren Bestimmungen war ich auf die
Vermutung gekommen, dass bei einem spezifischen Gewicht einer
Rinde8leiche, welches sich der Zahl 1,05 nähert, Luftleere von
Longe und Darm zu erwarten sei.
Die in Rede stehende Kindesleiche hatte nun ein spezifisches
Gewicht von 1,058 und erreichte mit dieser Zahl den höchsten
aller bei Totgeburten von mir festgestellten Werte. Wenn also
auf Grund der spezifischen Gewichtsbestimmung in irgend einem
Fall Luftleere von Lunge und Darm zu erwarten war, so musste
es in diesem sein. — Zu meinem grössten Erstaunen und zu
meiner nicht geringen Verwunderung berichtete mir aber die Ober¬
hebamme, die ich nach dem Geburtsverlauf frug, das Kind habe
eine halbe Stunde lang geatmet.
Herr Geheimrat Prof. Dr. Ahlfeld, der vom Augenblick
des Austrittes des Kindes an bei der Geburt zugegen war und
alle Beobachtungen persönlich gemacht hatte, bestätigte die Angabe,
dass das Kind geatmet habe. Bezüglich der Zeitdauer der Atmung
▼erwies er mich auf den Geburtsbericht. Ich war ganz bestürzt;
') Münchener med. Wochenschrift; 1904, S. 2139.
414 Dr. Wcngler: Luftleere von Lunge und Darm bei der Leiche eines
denn ans dieser Tatsache ergab sich die Zwecklosigkeit meiner
Versuche inbezug auf die Bestimmung des spezifischen Körper¬
gewichtes an Kindesleichen. War die Leiche eines Kindes, welches
geatmet hatte, spezifisch schwerer als sämtliche bisher unter¬
suchten Totgeburten, dann war keine Aussicht vorhanden, aus
dem geringen spezifischen Gewicht der Leiche eines Neugeborenen
auf Luftgehalt der Lungen schliessen zu können.
Bei der grossen Wichtigkeit, welche diese Frage für mich
hatte, bat ich Herrn Geheimrat Prof. Dr. Ahlfeld, der Sektion
beiwohnen zu dürfen, welche Erlaubnis mir bereitwilligst erteilt
wurde. Die Sektion wurde am 25. April früh 9 Uhr von H. Dr.
Happ ich in Anwesenheit des H. Geheimrat Prof. Dr. Ahlfeld
und mehrerer Aerzte vorgenommen. Und was ergab sich? Die
Lunge (Schwimmprobe) und der Darm (Breslausche Probe) er¬
wiesen sich als vollständig luftleer. Nur aus dem Magen stiegen
bei vorsichtiger Eröffnung unter Wasser auf Druck einige wenige in
Schleim gehüllte Luftperlen in die Höhe.
Inbezug auf den Geburtsverlauf bemerke ich, dass die Geburt
des völlig ausgetragenen Kindes infolge engen Beckens sehr lange
dauerte, das Kind aber schliesslich am 23. April abends spontan
zur Welt kam. Die Nabelschnurpulsation im Augenblicke der
Geburt ergab 60 — 80 Herzschläge. Nach verschiedenen anderen
Massnahmen wurden auch Schultzesche Schwingungen vorge¬
nommen. Ich füge die Aufzeichnungen, welche über das kurze
Leben des Kindes gemacht wurden, in Abschrift bei. Die Beob¬
achtungen wurden unmittelbar einem der Herren Assistenten, der
die Sekundenuhr neben sich hatte, in die Feder diktiert:
„Entbindungsanstalt Marburg. 1905, Nr. 118.
Abschrift aus dem Ocburtsberieht.
W., kath., 26 J.
Geburt ain 23. April 1905, N. 6 45 , dauerte 1 Tag 20 Std. 15 Min.
Knabe, 3370 gr. schwer, 53 cm lang, zweite Schädellagc.
Mäßig verengtes Becken (Spin. 24,5; Crist. 26,4; Troch. 29,8; Conjug. ext. 19,1).
Kind asphyktisch geboren, nach 1 Minute abgcnabelt und in ein warmes Bad
gebracht, wobei die ersten oberflächlichen Atemzüge gemacht werden. Nach
8 Minuten war Gaumensegclreflex noch vorhanden. Dann wurde mit Tracheal¬
katheter etwas Schleim aus der Trachea gesogen. Schultzesche Schwin¬
gungen führten auch nicht zu einem Resultat, ebensowenig Massage des Brust¬
korbes usw. Erst als alle Versuche fehlschlugcn, wurden nach einer halben
Stunde die Wiederbelebungsversuche eingestellt zu einer Zeit, wo man nur
noch schwer eine Herzaktion nachweisen konnte.
Folgende Aufzeichnungen über Atmung und Herzaktion wurden gemacht:
Herzschläge
84 {
CO
1. Atemzug
2 - n
3. tiefer „
4. Atemzug
Reaktion des
Gaumens
ft. Atemzug
«•
7.
Reaktion auf
Reizung der
Nase
10 Sek. nach Beginn der Beobachtung (cn. 2 Min. pp.)
17
37
49
1
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Neugeborenen, welches deutliche Atembewegung u. Herzaktion gezeigt hat. 415
Herzschläge
60
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32
36
64
48
8. Atemzag
9.1 km
10 . [
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15. Atemzag
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5 60 Sek. nach Beginn der Beobachtung (ca. 2 ML pp.)
5 40
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ft
ft
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ft
ft
ft
ft
ft
Die Kraft der Herzschläge nahm sichtlich proportional der Zeit ab, wenn
ueh die Frequenz infolge verschiedener Manipulationen bisweilen wieder zu-
nhm. Die anfangs starke Reaktion im Gaumen bei Beizung der Nasenschleim*
bot nahm schnell ab.
Genaue Erhebungen ergaben, daß absolut kein Grund f&r die Annahme
tob Lues und damit einer luetischen Lungenerkrankung besteht. Die W. ist
tiemala in einer Behandlung gewesen, hat nie einen Genital- oder Hautaus-
Khlag gehabt.“
Au8 dem Fall ergibt sich in forensischer Beziehung, dass
die Leiche eines Neugeborenen, welches nach Angabe glaub¬
würdiger Personen deutliche Atembewegung und Herzaktion ge¬
zeigt hat, doch bei der Obduktion eine luftleere Lunge und einen
loftieeren Darm aufweisen kann, eine Tatsache, die fiir die Be¬
urteilung von Zeugenaussagen ungemein wichtig ist. 1 )
Anhang.
Xethode der Bestimmung des spezifischen Körpergewichtes
der Leichen Neugeborener.
Ich wiege die Leiche des Neugeborenen zunächst an der Luft und dann
»och einmal vollständig unter Wasser getaucht.
Der Gewichtsverlust, den die Leiche durch das Untertauchen erleidet,
gibt mir ihr Volumen, das Verhältnis zwischen absolutem Gewicht und Vo¬
lumen ihr spezifisches Gewicht an.
Die von mir benutzte Wage*) ist des handlichen Transports wegen zu¬
sammenlegbar, ihr Wagebalken in der Hohe verstellbar; an ihrem Fuße be-
findet sich eine Klammer, mit welcher sie leicht in jede Tischplatte fest¬
geklemmt werden kann.
Als Wasserbehälter dient mir jedes zur Verfügung stehende Gefäß
(Begeniaß, Waschkessel, Mülleimer usw.); nur muß es mindestens 70 cm hoch sein.
Der Wasserbehälter wird so an den Untersuchnngstisch gerückt, dass
der Wasserspiegel ungefähr im Niveau der Tischplatte liegt.
Vor dem Versuch wird mittelst Aräometer das spezifische Gewicht des
Wissen bestimmt.
Versuch.
Die Wage ist zunächst entfernt von dem Wasserbehälter durch die
Klammer in die Tischplatte geklemmt. Ich suche mir 2 passende breite Gummi¬
bänder ans, ähnlich denen, welche zum Zusammenschnüren von Briefschaften
dienen. Sie sollen, rings um den Kopf geschlungen, Nasen- und Mondöft'nungen
verschließen. Nachdem sie an der Wage genau abtariert sind, werden sie
dem Kopf der Leiche angelegt.
•) Herne Angaben, die Lebensäußerungen des Kindes betreffend, wurden
von Herrn Geheimrat Prof. Dr. A h 1 f e 1 d, der Augonzeuge war, in licbons-
wfiriiger Weise geprüft und ergänzt.
*) Die Wage wird hergcstellt vom Mechaniker Wilhelm Schmitt in
Gießen, Qoethestraßc.
416
Dr. Scholz.
Die Leiche wird nnn mit dem Kopf in der am freien Schenkel des
Wagebalkens befindlichen wasserundurchlässigen Schlinge so aufgehängt, wie
man gewöhnlich die erhängten Selbstmörder yorfindet.
Die erste Wägung kann jetzt beginnen. Bin ich mit ihr fertig, dann
klemme ich die Wage mit der an ihrem Faß befindlichen Klammer an der dem
Wasserbehälter entsprechenden Stelle fest, stecke den Kopf der Leiche wieder
in die Schlinge, tauche unter und wäge wieder.
Vor dieser zweiten Wägung gebrauche ich die Vorsicht, die Leiche
sorgfältig unter dem Wasser mit den Händen abzureiben, um die anhaftenden
Luftblasen zu entfernen. Sie würden, ähnlich wie ein Schwimmgttrtel wirkend,
das Gewicht der Leiche herabsetzen.
Ich bilde mir nicht ein, dass meine Methode die andern
Methoden, welche die Feststellung des Luftgehalts von Longe
und Darm zum Zweck haben, auch nur im entferntesten zu er¬
setzen vermöchte. Einen kleinen Nutzen dürfte sie jedoch in
forensischer Beziehung haben und zwar nach dreifacher Richtung:
1. Bei Verdacht auf Kindesmord wird sie unter Umständen
auch ohne Sektion einen Anhaltspunkt geben bezüglich der Frage,
ob Lunge und Darm luftleer sind oder nicht.
2. Sie wird als Kontrolle der richtigen Ausführung der
übrigen Methoden dienen können. Würde z. B. ein grosses Miss¬
verhältnis zwischen dem Ergebnis der spezifischen Gewichtsbestim¬
mung und der Schwimmprobe bestehen, dann wäre der Verdacht
gerechtfertigt, dass der Verschluss der Zu- und Abführungsgänge
der betreffenden Organe ein undichter war.
3. Sie wird bisweilen mit Sicherheit das Eintreten der
Fäulnis der Leiche feststellen, wenn nach dem Sektionsbefund
noch Zweifel über diesen Punkt obwalten.
Die künstliche Ernährung der Säuglinge nach dem neuen
Hebammen-Lehrbuche (§ 265).
Von Dr. C. Scholz in Görlitz, kreisärztlich approbiert.
Ueber die Ernährung des Säuglings mit Kuhmilch giht
§ 265 des neuen Hebammenlehrbuches genaue Vorschriften. Es
heisst hier zunächst:
„Die Kuhmilch ist ... zu stark, sie enthält viel mehr Käsestoff als die
Menschenmilch, dagegen weniger Zucker. Um daher die Kuhmilch der Menschen-
milch möglichst ähnlich zu machen, muß die Kuhmilch mit Wasser verdünnt
und ihr Zucker zugesetzt werden.“
Nun ist es aber einleuchtend, dass durch den Wasser- und
Zuckerzusatz die Kuhmilch nur an Menge des Käsestoffs und
Zuckers der Menschenmilch möglichst ähulich gemacht wird,
während die anderen Bestandteile, die durchaus nicht in einem
der Verdünuung entsprechendem Verhältnis sich befinden, unberück¬
sichtigt bleiben, so vor allem das Fett, dieser wichtige Energie-
und Kraftspender, obwohl die Kuhmilch schon an sich etwas
weniger Fett als die Menschenmilch enthält, nach Munk 3,7 °/ 0
statt 3,9 °/ 0 ; nach Heubner sogar nur durchschnittlich 3,5 # /o
gegenüber 4,07 °/ 0 Fett der Menschenmilch. Auch ein anderer
für den kindlichen Organismus sehr belaugreicher Bestandteil, der
in der Kuhmilch schon in geringerer Quantität enthalten ist, wird
Die künstliche Ernährung der Säuglinge nach dem neuen Hab&mmenlehrbuch. 417
weiter verdünnt: das Eisenoxyd. Kuhmilch enthält davon 0,004°/ 00
und Menschenmilch 0,006 °l 00 .
Es wird dann bestimmt:
„In den ersten 4 Wochen verdünnt man die Kuhmilch mit 2 Teilen
Wwser.“
Warum gerade mit 2 Teilen? Nach Munk enthält die
Kuhmilch 2,9 °/o Kasein und 0,5 °/ 0 Albumin, zusammen also 3,4 °/ 0 ,
die Frauenmilch nur 2,1 °/ 0 . Setze ich also zu 100 gr Kuhmilch
200 gr Wasser, so enthalten diese 300 gr 3,4 gr. oder 1,13 °/ 0
Eiweiss, also etwa die Hälfte des in der menschlichen Milch be¬
findlichen. — Nach Heubner ist allerdings die prozentuale Zu-
, sammensetzung eine andere: 3,5 °/ 0 Kasein in der Kuhmilch und
1,03 °/ 0 in der Frauenmilch. Bei Annahme dieses Verhältnisses
würde die angegebene Verdünnung der Kuhmilch ein Gemisch von
Wasser und Milch ergeben, welches ungefähr den gleichen Prozent¬
gehalt an Kasein wie die Menschenmilch hätte. Nun ist aber
I Heubner weit entfernt davon, etwa eine so hochgradige Ver-
. ' dfinnung der Kuhmilch zur Ernährung des Säuglings vorzuschlagen,
er sagt vielmehr in seinem auf dem VIII. Internationalen Hygiene¬
kongress in Pest gehaltenen und in der Berliner klin. Wochenschr.
Jahrgang 1894 Nr. 37, 38 veröffentlichten Vortrage S. 873 wört¬
lich folgendes:
„Ein halbes Liter Milch wird im nächsten Stalle möglichst bald nach
len Melken (womöglich nicht dnrchs Seihtuch gegangen!) in einem Litertopf
(der rorher sorgfältig gereinigt ist, geholt, zu Hause ein viertel Liter Wasser
nd 2 Eßlöffel Milchzucker sogleich zagesetzt, und dann der Litertopf gut
lagedeckt in einen größeren Topf mit Wasser gesetzt und ans Feuer gestellt
(Mch besser wird der Milchzucker schon während des Holens der Much im
Viertelliter Wasser gelöst).“
Also 2 Teile Milch und 1 Teil Wasser! — Wie kommt nun
Heubner zu diesem scheinbar überraschenden Vorschlag? Durch
Experimente und Sektionen hatte er und seine Assistenten fest-
i gestellt, „dass in den klinischen Tatsachen in keiner Beziehung
: I eine Handhabe dafür gegeben ist, dass die Schwierigkeit der
. | künstlichen Ernährung in der Mangelhaftigkeit der Verdauungs-
| kraft des Säuglingsdarms gegenüber dem Kuhkasein gelegen wäre.“
Han war ja der Meinung und ist es vielfach noch heut, dass, da
das Knhkasein bei der Gerinnung derbe Coagula bildet, während
‘ das Franenkasein feinflockig aus fällt, das Kuhkasein schwerer ver¬
daulich sei, und es besteht die Angabe: „Das Frauenkasein wird
▼om Magensaft wie von künstlicher Verdauungsflüssigkeit leicht
und fast völlig gelöst, während vom KuhkaBein ein Viertel un¬
gelöst zurückbleibt.“ Wird dies als richtig zugestanden, so folgt
aber gerade daraus, dass dem kindlichen Organismus eine pro¬
zentual grössere Menge Kuhkasein zu geführt werden muss als
Frauenkasein, damit überhaupt bei Ernährung mit Kuhmilch
ungefähr die genügende Menge resorbiert wird. — Die Schwierig¬
keit in der Ernährung der Säuglinge mit Kuhmilch liegt demnach
nicht in der Beschaffenheit der Kuhmilch an sich, sondern, wie
von Flügge, Heubner und anderen dargetan ist und ziemlich
allgemein als richtig anerkannt wird, in der schwer zu vermeiden-
418
Dr. Scholz.
den Verunreinigung der Kuhmilch vom Augenblick ihrer Gewin¬
nung bis zur Verabreichung an den Säugling. Je weniger aber
damit „gemanscht“ zu werden braucht, desto weniger wird sie
schädlich gemacht werden.
Wenn nun Heubner trotz des von ihm festgestellten viel
grösseren als früher angenommenen Unterschiedes der Frauen-
und Kuhmilch an Kaseingehalt doch nicht mehr die vorher übliche
starke Verdünnuug aufrecht hält, so ist es wahrlich nur ein
kleiner Schritt bis dazu, die Kuhmilch überhaupt unverdünnt dem
Säugling zu reichen. Und dieser Standpunkt wird sehr energisch
von einem Breslauer Kinderarzt, Dr. Emil Schlesinger, ver¬
treten in einer überzeugenden Abhandlung, veröffentlicht in der
Berliner klin. Wochenschr.; 1901, Nr. VII. Er wirft da unter
anderen die Frage auf: „Welchen Zweck soll eigentlich die Ver¬
dünnung haben? Macht das hinzugefügte Wasser etwa die Kuh¬
milch verdaulicher?“ und anwortet:
„Das glaubt ernstlich gewiß niemand. Wir wissen ja, daß das Wasser
ohne irgend welchen Einfluß für die Milch bleibt und daß dasselbe — das
hinzugefügte sowohl, wie das der Milch von vornherein angehörende — schon
im Magen und in den oberen Darmabschnitten verhältnismäßig rasch aufgesogen
wird, die im Verdaunngsorgan zurückbleibenden Nährstoffe der Milch aber der
ganz gleichen Bearbeitung bedürfen, unabhängig davon, ob der Milch vorher
viel oder wenig oder gar kein Wasser zugeschüttet worden ist.“
Er wirft ferner die Frage auf nach den Folgen der Ueber-
schwemmung des kindlichen Organismus mit Wasser: 1 )
„Ist es so ganz gleichgiltig, daß der Säugling ein verhältnismäßig sehr
beträchtliches Plus an Flüssigkeit durch den Körper zu treiben hat? Woher
nimmt er die hierfür erforderlichen Kraftmengen und auf wessen Kosten kann
er diese Kraftvergeudung bestreiten? Die Annahme liegt wohl nahe, daß
diese bedeutend erhöhte Arbeitsleistung schließlich nur auf Kosten der körper¬
lichen Entwickelung erfolgen kann. Hierin ist wohl auch der Grund für so
manche sonst unerklärliche Atrophie zu finden. . . . Die großen Wassermengen,
die den Magendarmkanal überschwemmen, dürften auch zu Erweiterungen and
Erschlaffungen des Magens führen, zu irgendwelcher Beeinflussung des Epithels,
Verdünnung und Abschwächuug der Drüsen- und Darmsekrete; auch für die
Niere dürfte diese erhöhte Arbeitsleistung nicht gleichgültig sein . . .“
Sollte es uach alledem nicht angebracht sein, eine Revision
des § 265 vorzunehmen und nur eine Verdünnung konform dem
Verfahren des H. Geh.-Rat Heubner anzuempfehlen? — Am
Schluss des Paragraphen heisst es dann:
„Manche Kinder verlangen indessen zu ihrem Gedeihen stärkere, selten
schwächere Mischungen. Auch kommt es natürlich auf die Güte der Milch
an, wie stark verdünnt werden soll. Merkt die Hebamme, daß die Ernährung
nicht gut von statten geht, so verdünne sie die Milch mit weniger Wasser.*
Abgesehen davon, dass zwischen dem letzten und dem ersten
der angeführten Sätze eine kleine Inkongruenz bestehen dürfte,
*) Diese Ueberschwemmung erfolgt deshalb, weil das Kind, um wenigstens
eine annähernd genügende Menge von Nahrungsstoffen bei viel Wasserzusatz
zu erhalten, ungeheuro Mengen von Nahrungsflüssigkeit vertilgt, die es sich,
solange es kann, durch unausgesetztes Schreien erkämpft. Nun ist aber gerade
das viele Schreien als äußerst nachteilig für die Entwicklung erkannt worden,
sodaß auf der letzten Versammlung der Naturforscher und Aerzte in Breslau
manche Kinderärzte zur Beseitigung desselben sogar dem Lutscher einige
Konzessionen machten.
Die künstliche Ernährung der Säuglinge nach dem neuen Hebammenlehrbuch. 419
- denn es könnte ja auch einer der seltenen Fälle vorliegen,
■ wo zum Gedeihen des Kindes eine Verdünnung mit mehr Wasser
- T: - gezeigt wäre —, so scheinen mir hier Anforderungen an die
Hebamme gestellt zu sein, denen sie nicht gewachsen sein dürfte.
Sin soll die Güte der Milch beurteilen können und den Fortschritt
’ : ’ v der Ernährung, um evtl, eine andere Art der Verdünnung der
Milch anzuordnen, und dies in den ersten 10 Tagen nach der
• Mündung; denn länger Betzt sie für gewöhnlich doch ihre
Besuche nicht fort! Würde aber die Heubnersche Mischung
empfohlen, so käme das Kind damit ziemlich lange aus, und das
bischen Wasser würde man wohl recht bald von selbst weglassen
-nicht zum Schaden des Kindes. Noch einen Vorteil hätte die
• ä'j. Empfehlung der Ernährung nach Heubner: Ist ein Arzt zur
Entbindung oder kurz darauf zugezogen worden und ordnet er
sb: j bei Unmöglichkeit der Ernährung durch Muttermilch die Heub-
( nersche Verdünnung an, wie es recht häufig geschehen dürfte,
‘ möchte wohl die Hebamme leicht sich versucht fühlen — denn
f'j ea wäre nur allzu menschlich —, mit ihrem Lehrbuch in der
"i Hand der Wöchnerin und deren Angehörigen schwarz auf weiss
m beweisen, wie falsche Vorschriften der Arzt gegeben habe,
wodurch das Ansehen des Arztes ungerechtfertigter Weise ge-
I schädigt werden könnte, zumal doch nur sehr wenige Aerzte das
Hebammenlehrbuch studieren und die darin gegebenen Vorschriften
! kennen, um evtl, eine vorbeugende Bemerkung zu machen.
:i Ausdrücklich möchte ich hervorheben: Das Heil liegt nicht
; in der Verdünnung der Milch, sondern in der Reinheit der Milch
®>d ihrer richtigen Behandlung. Ernährung des Säuglings mit
Vollmilch ist als rationell zu erachten. — Der dem § 265 des
Hebammenlehrbuchs entsprechende Abschnitt in der „Anweisung
zur Pflege und Ernährung der Kinder im ersten Lebensjahre“,
welche seit etwa 2 Jahren in Görlitz jeder eine Geburt an-
aeldenden Person auf dem Standesamt übergeben wird, bei dessen
• j Fuaang wir auf das vorher übliche Verfahren glaubten einige
Rücksicht nehmen zu sollen, lautet folgendermassen: „Die Kuh-
milch wird, mit Michzucker versüsst, dem Kinde anfänglich etwas
verdünnt gegeben. Bei Wohlbefinden und steter Gewichtszunahme
des Kindes gehe man alsbald zur Ernährung mit unverdünnter
Vollmilch über.“ Irgendwelche ungünstige Erfahrungen infolge
Anempfehlung dieser Ernährungsart sind nicht gemacht worden,
b» dem letzten „Bericht über die Verwaltung und den Stand der
«emeindeangelegenheiten der Stadt Görlitz“ heisst es vielmehr,
ein durchaus günstiges Ergebnis zeige die Sterblichkeit der Kinder
nb ersten Lebensjahre.
Jetzt hat der Vaterländische Frauenverein ein zu demselben
hi ^ Un< * aa * dieselbe Weise wie unsere „Anweisung“ auszu-
Wndigendes Merkblatt herausgegeben. Durch einen Erlass des
üerrn Ministers vom 10. Februar 1905 werden die Kreisärzte
Braaf hingewiesen, dass es in erster Linie ihre Aufgabe ist, den
wammen- und Wochenpflegerinnen wiederholt zur Pflicht zu
®ä*men, über die gesundheitsgemässe Pflege und Ernährung der
420
Dr. Werner.
Säuglinge, namentlich über den Wert der mütterlichen Nahrung
sich nicht nur selbst mit Hilfe des Hebammenlehrbuches und des
Merkblatts sorgfältig zu unterrichten, sondern auch auf die
Schwangeren, Wöchnerinnen, Mütter und Angehörige der Kinder
belehrend einzuwirken, und durch Verfügung des Herrn Regierungs¬
präsidenten haben die Kreisärzte sich bei den Nachprüfungen
der Hebammen über deren Kenntnisse hierüber zu unterrichten
und die erforderlichen Belehrungen zu erteilen. — Nun betonen
Merkblatt und Hebammenlehrbuch den Wert der mütterlichen
Nahrung in gleich nachdrücklicher Weise; in den Angaben über
künstliche Ernährung weichen sie aber beträchtlich voneinander
ab, obschon auch das Merkblatt die Verdünnung der Milch an¬
empfiehlt. In welche Lage kommen infolgedessen die Hebammen?
Nach § 17 ihrer Dienstanweisung haben sie bei Ausübung ihrer
Berufstätigkeit die in dem Lehrbuch enthaltenen Regeln und Vor¬
schriften . . . gewissenhaft zu befolgen, also bei künstlicher Er¬
nährung sich nach den Vorschriften des § 265 des Hebammen¬
lehrbuchs zu richten, bei ihren Prüfungen und Belehrungen seitens
der Kreisärzte scheinen aber doch wohl die Bestimmungen des
Merkblatts berücksichtigt werden zu sollen. Um aus diesem
Dilemma herauszukommen, scheint Einheitlichkeit der Bestim¬
mungen über künstliche Ernährung in Merkblatt und Hebammen¬
lehrbuch dringendes Erfordernis. Vielleicht führen etwaige dies¬
bezügliche Erwägungen zu dem Ergebnis, dass eine weniger hoch¬
gradige Verdünnung der Milch vorgeschlagen wird. Heubner
hatte die von ihm angegebene Verdünnung schon im Jahre 1894
zwei Jahre lang an mehreren hundert Kindern mit bestem Erfolge
erprobt.
Theoretisches und Praktisches zur Formaldehyddesinfektion
auf dem Lande.
Von Dr. 6. Werner, Kreisassistenzarzt in Marburg.
Bei der weiteren Entwicklung, die das Desinfektionswesen
durch die Ausbildung geschulter Desinfektoren in den letzten
Jahren auch im hiesigen Bezirke genommen hat, machte sich die
Auswahl eines für unsere ländlichen und kleinstädtischen Verhält¬
nisse geeigneten Formaldehyddesinfektionsapparat als eine besondere
wichtige und nicht ganz leicht zu lösende Frage bemerklicb.
Bedauerlicherweise kam es mehrfach vor, dass von seiten der
Stadt- nnd Kreisverwaltungen in bester Absicht Apparate an*
geschafft wurden, welche sich dann vor allem wegen des hohen
Kostenpunkts der Desinfektionen als durchaus ungeeignet erwiesen,
wodurch natürlich diese für das öffentliche Wohl so wichtige
Frage keine Förderung erfuhr. Es ist ja tatsächlich für die sach¬
verständigen Berater der Verwaltungsbehörden nicht ganz leicht,
bei dem noch mancherlei KontroTersen unterliegenden Stand der
Formaldehyddesinfektion zu einem richtigen Urteil über die sich
Theoretisches and Praktisches zur Form&ldehyddesinfektion auf dem Lande. 421
eignenden Apparate und Methoden zu kommen. Besonders sind
hierbei vielfach die Prospekte der Fabriken imstande, Verwirrung
zu stiften, indem sie zur Empfehlung ihrer Apparate aus dem
Zusammenhang genommene Zitate aus wissenschaftlichen Arbeiten
bringen, welche vielleicht längst widerlegt oder doch bestritten
sind, ihre Berechnungen und Tabellen auf nicht mehr zu Recht
bestehende Grundsätze aufbauen und z. B. gegenüber anderen Fa¬
brikaten von der eigenen Methode Vorteile an Billigkeit und Zeit-
verbrauch behaupten, ohne anzugeben, dass dieselbe sich auch mit
einer weit geringeren Desinfektionswirkung begnügt. Auch
die zur Empfehlung eines neuen Apparates üblichen und in ex¬
tenso veröffentlichten Laboratoriums - Desinfektionsversuche von
wissenschaftlicher Seite bedürfen nach dieser Richtung vielfach
einer vorsichtigen Beurteilung, da es jedem, der sich mit solchen
Versuchen beschäftigt, bekannt ist, dass deren Resultate sich
durch kleine Aenderungen in der Versuchsanordnung wesentlich
modifizieren lassen, und dass dieselben sich vielfach doch nicht
mit den praktischen Verhältnissen decken!
Ausser der genügenden Desinfektions Wirkung, welche natür¬
lich in erster Linie in Betracht kommen muss, spielen aber für
die praktische Brauchbarkeit eines Apparates noch verschiedene
andere Eigenschaften eine wichtige Rolle: Kapazität, Einfachheit
der Bedienung, Reparaturfähigkeit, Transportabilität, vor allem
aber die Kosten der Anschaffung, Instandhaltung und des Ver¬
brauchs u. a. m.
Gerade für den praktischen Medizinalbeamten, welchem wohl
vielfach die Begutachtung dieser Fragen zufällt, wird es deshalb
von Interesse sein, von einer Reihe von Untersuchungen Kennt¬
nis zu nehmen, welche die Feststellung der für unsere
ländlichen und kleinstädtischen Desinfektoren ge¬
eigneten Instruktionen und Apparate bezweckten. Die¬
selben wurden auf der hiesigen hygienischen Abteilung, mit
welcher die Desinfektorenschule für den Reg.-Bez. Cassel ver¬
banden ist, während der letzten Jahre angestellt und bezogen
sich auf die verschiedensten Punkte der Formaldehyddesinfektion,
sowohl auf die Wirksamkeit derselben im allgemeinen und die zur
genügenden Wirkung notwendigen Vorbedingungen, auf die noch
bezweifelte Einwirkung auf Tuberkelbazillen, sodann auf die ver¬
schiedenen Erzeugungsarten der Formaldehydwasserdämpfe und
die Brauchbarkeit der in Betracht kommenden Ausgangsmaterialien,
alles vom Standpunkt einer möglichst sicheren Wirkung in einer
gerade in einfachen Verhältnissen auch wegen des Kostenpunkts
praktisch durchführbarer Form. Es ist selbstverständlich,
dass dabei auch die neuesten Veröffentlichungen sowie die während
mehrerer Desinfektorenkurse gemachten Erfahrungen zu ihrer
Geltung kamen.
Es liegt nun nicht im Rahmen dieser Ausführungen, auf die
Einzelheiten mit Tabellen und dergl. näher einzogehen, sondern
es kommt mir nur auf die Mitteilung einiger allgemein wichtiger
Gesichtspunkte an, zn welchen diese Untersuchungen geführt
422
Dr. Werner.
haben, zumal dieselben in verschiedenen Punkten von verbreiteten
Anschauungen abweichen, welche auch in dieser Zeitschrift noch
kürzlich ihren Ausdruck gefunden haben.
Ueber unsere günstigen Erfahrungen gegenüber Tuberkulose*
Objekten habe ich schon im vorigen Jahrgang dieser Zeitschrift
(Nr. 13) berichten können. Auf eine kürzlich 1 ) vor demselben
Leserkreis gefallenen Bemerkung von Engels, in welcher er, ohne
neues Beweismaterial zu bringen oder die Einwände gegen sein
früheres zurückweisen zu können, die Frage von oben herab mit
der Mitteilung abtun möchte, dass er an eine solche Wirkung
auf Tuberkelbazillen nicht glaube, möchte ich aber bei der prak¬
tischen Wichtigkeit der Sache doch hinzufügen, dass auch weitere
im hiesigen Institut von Herrn Dr. Krüger angestellt« Ver¬
suche, die die Eng eis sehen an Ausdehnung wiederum übertreffen,
unsere früheren günstigen Resultate bestätigen. Da dasselbe
auch von anderer Seite (Huhs, Noetel) in unzweideutiger Weise
geschehen ist, wird man — trotz Engels Unglauben — aueb
fernerhin die Desinfektion der Phthisikerwohnungen durch Formal¬
dehyd für eine in unserer Gegend äusserst wichtige Aufgabe der
ländlichen Desinfektoren halten müssen.
Was zunächst die Erzielung einer praktisch genügenden
Desinfektios Wirkung durch Form aldehyddämpfe betrifft,
welche sich ja leider nur auf die Oberflächen erstreckt, so ist es
hierzu nötig, dass dieselben in einem geschlossenen
Raum unter Gegenwart von Wasserdampf in einer
bestimmten Konzentration eine entsprechende Zeit
lang mit den zu desinfizierenden Gegenständen in
Berührung kommen.
Methoden zur Formaldehyderzeugung ohne gleichzeitig«
Was»erverdampfung sind deshalb für sich allein desinfektorisch
unwirksam! Diese Tatsache ist praktisch von allergrösster Be¬
deutung, da man noch täglich die trockenen Pastillenapparate
(Hygiea und Aeskulap) als vermeintliche Desinfektionsapparate
in Tätigkeit sieht!
Aber auch wenn die Luft bis zur Sättigung mit Wasserdampf
gefüllt ist, bedarf es zur Erzielung der genügenden Desinfektions¬
wirkung wie bei jedem anderen Desinfektionsmittel einer gewissen
Konzentration der Formaldehyddämpfe, sowie einer
gewissen Einwirkungsdauer derselben. Diese beiden Fak¬
toren stehen in einer Wechselwirkung zu einander insofern, als
die Erzielung des gleichen Effekts bei einer Steigerung der Kon¬
zentration eine Abkürzung der Dauer ermöglicht und umgekehrt
Ausser diesen kommen aber praktisch in jedem Falle in
wechselnder Weise noch andere Faktoren für die Desin¬
fektionswirkung in Betracht, so z. B. die Temperatur des
Raumes, die Grösse und Beschaffenheit der Oberflächen, auf welche
sich erfahrungsgemäss die Formaldehydwasserdämpfe in Kürze
grösstenteils niederschlagen, der Abdichtungsgrad u. a. m. Es ist
*) 1905, Nr. 7.
Theoretisches und Praktisches zur Formaldehyddesinfektion auf dem Lande. 423
deshalb nicht leicht, für die Mengen des Desinfiziens and die
Einwirkungsdauer desselben festbestimmte Werte einznsetzen, wie
wir sie als Normen für die praktische Ausübung der
Methode und besonders für die Instruktion des niederen Heil¬
personals nötig haben. Erst die ausserordentlich grosse Zahl
von Untersuchungen aus den letzten Jahren konnte in dieser Be¬
ziehung in ihrer Gesamtheit eine gewisse Sicherheit bringen! Ha
dieselben aber, je sorgfältiger sie angestellt wurden, umsomehr
Fehlerquellen für die Formaldehyddesinfektion ausfindig machten,
in dem Grade sogar, dass einzelne Fachmänner die praktische
Brauchbarkeit der Methode nicht mehr anerkennen wollten, so
ergab sich daraus die Notwendigkeit, durch Steigerung
der Formaldehydmengen oder deren Einwirkungs¬
dauer di eh er aus gefundenen Schwächen des Verfahrens
wieder auszugleichen, zumal eine wesentliche Preisvermin-
derung der Ausgangsmaterialien dies auch praktisch möglich
machte!
Von diesem Gesichtspunkte aus haben die neueren Unter¬
suchungen, zu denen auch die unseren gehören, festgestellt, dass
zur Erzielung einer praktisch allgemein genügenden Desinfektions¬
wirkung — auf eine absolut sichere gegenüber allen Keimen müssen
wir bei der Wohnungsdesinfektion schon überhaupt verzichten —
eine wesentliche Steigerung der seither meist üblichen,
Ton Flügge vorgeschlagenen Formaldehydeinwirkung
notwendig ist. Hielt man früher eine siebenstündige Einwirkung
Y<m 2,5 gr Formaldehyd pro Kubikmeter Kaum oder als gleich¬
wertig eine 8 1 /* ständige von 5,0 Formaldehyd für genügend, so
müssen wir nach dem heutigen Stand der Untersuchungen für
durchschnittliche Verhältnisse 5,0 Formaldehyd bei 7stün-
diger Einwirkung oder eine Erhöhung bis auf das
Doppelte bei Abkürzung der Zeit oder dem Eintritt
schwieriger Verhältnisse verlangen.
Diese Forderung, welche von uns auf Grund unserer ex¬
perimentellen Untersuchungen aufgestellt wurde, ist seitdem auch
▼on anderen auf modernster Grundlage beruhenden und als mass¬
gebend anerkannten Desinfektionsanweisnngen bestätigt worden.
Die neue Berliner Wohnungsdesinfektion rechnet auf Grund der
Untersuchungen des Instituts für Infektionskrankheiten 8,0 gr
Formaldehyd bei 4 ständiger Einwirkung, was ungefähr dem obigen
entspricht. Czaplewski-Köln verlangt etwas weniger, mindestens
4,0 gr, aber auch für 7ständige Dauer. Vor allem aber, was auch
tnr die Ausbildung der staatlich zu prüfenden und
approbierenden Desinfektoren massgebend sein muss,
s'tehen die Ausführungsbestimmungen des neuen
Reichsseuchengesetzes in ihrem Passus über die Formal¬
dehyddesinfektion genau auf dem oben vertretenen Stand¬
punkte. Die in ihnen enthaltenen Vorschriften, welche auch sonst
das Wesentliche der Formaldehyddesinfektion auf das Prägnanteste
kennzeichnen, lauten wörtlich folgendermassen:
„Zum Zustandekommen der desinfizierenden Wirkung sind erforderlich:
Vorgängiger, abseitiger dichter Abschluß des zu desinfizierenden Kaums
424
Dr. Worner.
durch Verklebung, Verkittung aller Undichtigkeiten der Fenster und Tftrea,
Ventilationsöffnungen und dergleichen.
Entwicklung von Formaldehyd in einem Mengenverhältnis von wenigstens
5 gr auf 1 cbm Luftraum.
Gleichzeitige Entwicklung von Wasserdampf bis zu einer vollständigen
Sättigung der Luft des zu desinfizierenden Baums (auf 100 cbm Baum sind
3 Liter Wasser zu verdampfen).
Wenigstens 7 Stunden andauerndes, ununterbrochenes Verschlossenbleiben
des mit Formaldehyd und Wasserdampf erfüllten Baumes; diese Zeit kann bei
Entwicklung doppelt so großer Mengen von Formaldehyd auf die Hälfte ab¬
gekürzt werden.“
Es ist nicht zu verkennen, dass durch diese Steigerung der
Anforderungen gewisse praktische Schwierigkeiten entstehen, zu¬
mal die Angaben und Tabellen der meisten Apparate sich auf die
früheren, von Flügge angegebenen Grössen stützen. Auch der
Kostenpunkt wird in die Höhe gerückt, doch bei den mit flüssigem
Formalin arbeitenden Apparaten und der jetzigen Preislage des¬
selben nicht in dem Masse, dass die Brauchbarkeit der Methode
dadurch gefährdet würde. Aber in erster Linie muss doch
bei einer derartigen Massnahme die Sicherheit der
Wirkung massgebend sein!
Und wenn oftmals, auch bei den verhältnismässig günstigen
Bedingungen mancher Laboratoriumsversuche (wie auch in den in
Nr. 7 von Engels undHuhs mitgeteilten) mit geringeren Dosen
gute Erfolge erzielt werden, so ist doch in Rechnung zu ziehen,
dass der praktische Desinfektor draussen sehr oft mit weit grösseren
Schwierigkeiten für die Desinfektionswirkung zu rechnen hat, mit
niedrigen Temperaturen, mit schmutzstarrenden, schwer abzudichten¬
den Räumen, mit bedeutender Vermehrung der Oberflächen durch
reichliche Gegenstände, aufgehängte Kleider und Betten u. dergl.
Gerade in unserer Gegend kommt besonders auch der letzte Punkt
in Betracht, da der Desinfektor vielfach nicht über einen Apparat
für die Dampfdesinfektion von Kleidern, Betten u. dergl. ver¬
fügt, während eine solche z. B. bei der Berliner Wohnungsdes-
infektion trotz der erwähnten grossen Formaldehydkonzentrationen
ausdrücklich vorgesehen ist.
Für derartige Verhältnisse sind aber nach unseren heutigen
Erfahrungen die oben angegebenen Quantitäten noch keineswegs
zu hoch gegriffen; sie müssen deshalb, da sie heute prak¬
tisch anwendbar sind, einer allgemeinen Normierung zu¬
grunde gelegt werden, wie es in den oben angeführten offi¬
ziellen Vorschriften geschehen ist!
Bei der Begutachtung eines Apparates für die Wohnungs¬
desinfektion muss daher ganz unbekümmert um die An¬
gaben desFabrikanten jedesmal berechnet werden, für wie¬
viele Kubikmeter Raum derselbe je 5,0 Formaldehyd und Dampf
von ca. 30 ccm Wasser zu liefern vermag. Wo aber nicht mehrere
Apparate zur Verfügung stehen, wird man, um den gebräuchlichen
Anforderungen nachkommen und auch einmal grössere Formaldehyd-
quantitäten anwenden zu können, eine Kapazität für ca. 150 cbm
Raum von einem Apparat verlangen müssen.
Wenn man nach den obigen Auseinandersetzungen zur Er-
Theoretisches and Praktisches zur Formaldehyddesinfektion auf dem Lande. 426
reiehung einer genügenden Wirkung von allen Apparaten nnd
Methoden die Erfüllung der angeführten Grundsätze für eine
Fonaaldehyddesinfektion fordern muss, so wird man auch mit
allen, welche denselben nachkommen können und
wirklich nachkommen, den notwendigen Desinfektionseffekt
erreichen können.
In welchem Grade sich hierbei die einzelnen als besonders
geeignet und praktisch brauchbar erweisen, hängt im Wesentlichen
von ihren sonstigen Einzelheiten und Eigenschaften ab. Für die
praktische Wohnungsdesinfektion kommen aus diesem
Grande heute nur ganz wenige Methoden in Betracht:
Während früher das Formaldehydgas zur Desinfektion haupt¬
sächlich aus dem festen Paraformaldehyd in Gestalt der Schering«
sehen Pastillen nnd ähnlicher Präparate gewonnen wurde, so kann
diese Erzeugungsart heute, zumal bei der Steigerung der Formal«
debydquantitäten, keine Bolle mehr spielen, da der hohe Preis
des Ausgangsmaterials die Desinfektionen zu teuer
Sachen würde. Der hierbei gewonnene Formaldehyd stellt
sich etwa fünfmal so teuer, als der aus flüssiger Lösung, ans
Fannalin erzeugte.
Wenn nun aber doch die Benutzung des Schering sehen
»kombinierten Aeskulap" noch eine sehr verbreitete ist, so liegt
dies einerseits wohl daran, dass bei der üblichen Verwendung
geringer Formaldehydmengen sich der immerhin beträchtliche
Preisunterschied nicht in so hohem Grade bemerklich macht,
anderseits auch daran, dass vielfach die Wirksamkeit der Pastillen«
methode für wesentlich sicherer gehalten wird. Die im Handel
befindlichen wässrigen Formaldehydlösungen (Formalin ist der für
eine solche etwa 40 prozentige Lösung der Firma Schering
geschützte Namen) stehen nämlich in dem Rufe, in ihrer Zusammen¬
setzung unsichere, leicht zersetzliche und bei Aufbewahrung
minderwertig werdende Präparate zu sein. Dieser nicht unwich¬
tige Punkt wurde von uns ebenfalls einer genaueren Untersuchung
imterzogen, und ich konnte durch quantitative Bestimmungen der
verschiedensten Formaline, auch nach längerer Aufbewahrung,
teststellen, dass dies Vorurteil gegen die Handelsfor¬
maline durchaus unberechtigt ist. Jeder Desinfektor
kann heute ohne Schwierigkeiten ein für seine Zwecke
genügendes, wenn auch nicht ganz 40 prozentiges
Präparat beziehen und ohne wesentliche Einbusse
vorrätig halten! Von diesem Gesichtspunkte aus sind
die mit flüssigem Formalin arbeitenden Methoden denjenigen,
welche den festen Paraform benutzen, als völlig gleich wertig
za betrachten, wegen ihrer bedeutenden Billigkeit aber unbe¬
dingt vorzuziehen. Die für die Desinfektion von 100 cbm
Raum notwendige Formaldehydmenge kostet bei Pastillenbe-
notzung (500 Stück) 7,50 Mk, bei flüssigem Formalin (unter Be¬
nutzung der Flüggeschen Tabelle, welche einen reichlichen
Aufschlag für Verluste enthält), etwa 1,60—1,70 Mk. Unter
diesen Umständen empfiehlt es sich, die früher so beliebten
m
Dt. Werner.
Aeskulap-Apparate wegen ihrer Unrentabilit&t schleunigst auf¬
zugeben.
Auch die durch Zerstäubung von Formaldehydlösungen ar¬
beitenden Präparate (nach Cz&plewski, Praussnitz, Lingner)
müssen, so sehr sie sich auch anderwärtsbewährthaben
mögen, für unsere Zwecke ausser Betracht bleiben. Ihre Kon¬
struktion ist, wie die aller Zerstäubungsapparate, empfindlich und
ihre Bedienung erfordert, wie ein Blick in die Cölner Anweisung
zur Wohnungsdesinfektion lehrt, mehr, als was wir vielfach von
unserem Desinfektorenpersonal erwarten können.
Es ist unbestreitbar, dass für ländliche Desinfektoren, welche
ohne Beserveapparate, ohne Zentralstellen, wie sie bei den gross-
städtischen Organisationen vorhanden sind, draussen allein auf
sich angewiesen ihre Arbeit tun sollen, der einfachste, möglichst
fest gebaute Apparat, der auch einmal rauhe Behandlung
vertragen kann, der sich aber gegebenenfalls überall repa¬
rieren lässt, der beste ist!
Diesen Bedingungen genügt unter allen in Betracht kommen¬
den am besten der in solider Einfachheit nicht zu übertreffende
Breslauer Apparat mit seiner von Flügge bis in die Einzä¬
heiten sinnreich ausgearbeiteten Methode der Formaldehyd¬
gewinnung aus verdünnten Lösungen! Während bei der
Verdampfung konzentrierter Lösungen von Formaldehyd (For¬
malin) dieser durch Polymerisation zum Teil verloren geht,
so gelingt es nach den genauen Untersuchungen der Breslauer
Schule, ihn aus einer etwa 5 fachen Verdünnung durch rasche
Verdampfung ohne Polymerisation bis auf einen kleinen Best zu
gewinnen, auf welchen man bei entsprechender Berechnung der
Formalinmenge leicht verzichten kann. Dieses einfachste Mittel,
die bei der Ausbeute des Formaldehyd aus seinen Lösungen so
störende Polymerisation zu verhüten, benötigt nur einen verblüffend
einfachen, aus einem Kessel und einer Heizungseinrichtung be¬
stehenden Apparat, sodass auch nach dieser Seite hin eine Kon¬
kurrenz garnicht denkbar ist. Der Breslauer Apparat hat sich
in der Desinfektionspraxis bei ungezählten Untersuchungen während
der letzten 5 Jahre allen anderen Methoden gegenüber bezüglich
seiner Wirkung als ebenbürtig, im Gebrauch aber vielfach über¬
legen erwiesen; er besitzt eine Kapazität für reichlich
150 cbm Baum (bei 5,0 gr F. pro Kubikmeter), gestattet dabei
aber auch noch eventuell stärkere Formaldehydkonzentrationen,
lässt sich auch ausserhalb des Baums aufstellen, hat bei
starker Heizwirkung verhältnismässig geringen Spiritus¬
verbrauch. Eine besondere Feuergefährlichkeit habe ich nie¬
mals bei demselben feststellen können, obgleich ich ihn wieder¬
holt in engen Räumen und Tierställen mit Heu und Stroh benutzt
habe. Er erwies sich uns bei langjährigen Gebrauch als zuver¬
lässig, bei Beachtung der Vorschriften selten reparaturbedürftig:,
immer aber leicht reparabel und in den meisten Teilen
geradezu unverwüstlich. Seine Tabellen bedürfen
auch den neuen Forderungen gegenüber nur einer
Theoretisches and Praktisches zur Formaldehyddeainf ktion auf dem Lande. 427
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kleinen Modifikation bezüglich der Einwirkungs¬
dauer, welche bei 5,0 gr F. von 3 1 /, anf 7 Standen
verlängert werden muss.
Demgegenüber zeigen die in den letzteren Jahren bekannt
gewordenen neueren Systeme „Berolina* und „Rapid-Desin-
fektor Schneider* zur Erzielung desselben schon von dem
Breslauer Apparat in praktisch genügender Weise erreichten
Zwecks eine wesentlich kompliziertere Konstruktion,
indem sie den Formaldehyd aus seiner Lösung durch in einem
zweitem Kessel erzeugten Wasserdampf austreiben. Wenn auch
hierbei die Ausbeute etwas grösser ausfällt 1 ), so ist die Differenz
doch zu gering, um praktisch in Betracht zu kommen, was sich
ineh dadurch dokumentiert, dass die mit diesen Apparaten an*
gestellten Desinfektionsversuche keine TJeberlegenheit gegenüber
dem Breslauer feststellen konnten. Die kompliziertere Konstruk¬
tion und Bedienung ist deshalb für uns nur als Nachteil gegen¬
über dem Breslauer Apparat zu betrachten.
Schliesslich würde noch die Springfeldsche Methode
in Betracht gezogen werden müssen, bei welcher die Formaldehyd-
Kteung durch glühend gemachte Ketten zum Verdampfen gebracht
wird. Die ursprünglich viel gerühmte Einfachheit und Billigkeit
dieser immerhin den Charakter einer Improvisation behaltenden
Methode erweist sich aber bei ihrer Anwendung auf etwas grössere
Verhältnisse als durchaus nicht bemerkenswert. Dazu kommt die
schlechte Transportabilität der etwa je 5 kg wiegenden Ketten,
deren man für 100 cbm Raum (inkl. Ammoniakverdampfung) etwa
5—6 bedürfen würde, die umständliche Ingangsetzung und schliess¬
lich Feuersgefahr und Formaldehydverluste durch leicht eintre-
tende Entflammung der Dämpfe.
Unter diesen Umständen fiel begreiflicherweise
unsere Entscheidung auf den Breslauer Apparat,
welcher seitdem bei den hiesigen Desinfektorenkursen in erster
Linie einer einheitlichen Ausbildung zugrunde gelegt wird und
auch durch Verfügung des Herrn Regierungspräsidenten den Ver¬
waltungsbehörden und Medizinalbeamten zur gleichmässigen An¬
schaffung empfohlen worden ist. Derselbe erscheint auch heute
noch als der in Anschaffung, Haltung, Verbrauch von Materialien
billigste Apparat, welcher höchste Wirksamkeit mit Einfachheit
und vielseitiger Verwendbarkeit verbindet und insofern für den
ländlichen Desinfektor in hohem Grade geeignet ist.
Als bedauernswerter Mangel des Formaldehyddesin¬
fektionsverfahrens ist es nun immer empfunden worden,
dass die zu seiner Ausübung notwendigen Apparate und Utensilien
so zahlreich und voluminös sind, dass ihr weiterer Transport sich
nur mit Hülfe von kleinen Wagen, Dreirädern u. dergl, ermög¬
lichen lässt. Ob sich dies aber, solange nicht eine wesentliche
Aenderung der Methode eingetreten ist, bei einem vollstän¬
digen, für alle Eventualitäten genügenden Instru-
*) Dies ist nach neueren Untersuchungen bei gleichen Wasserd&mpf-
meagen Übrigens nicht der FalL
428
Dr. Werner.
mentariam ohne Nachteil für die Sicherheit der Desinfektion
ändern lassen wird, erscheint mir fraglich!
Immerhin ist manches hierbei verbessernngsf&hig and nach
dieser Seite hin verdient das neue vonRoepke angegebene
und in Nr. 7 dieses Jahrgangs ausführlich beschriebene trans¬
portable Instrumentarium volle Beachtung. Nachdem ich
selbst Gelegenheit hatte, dasselbe eingehend kennen zu lernen,
da es Herr Dr. Roepke der hiesigen hygienischen Abteilung zur
Demonstration bei einem Desinfektorenkursus zur Verfügung stellte,
möchte ich den Aufsätzen von Engels und Huhs im Anschluss
an meine obigen Ausführungen einiges hinzufDgen, zumal die
Frage sehr nahe liegt, ob nicht dieser Apparat, welcher ja nur
eine leicht transportable Modifikation des Breslauer
Apparats darstellt, sich ganz besonders für die Ausrüstung der
ländlichen Desinfektoren in unserem Sinne empfehlen würde.
So sehr ich die sinnreichen und recht praktischen Verän¬
derungen bezüglich der leichten Transportabilität gegenüber dem
Breslauer Appararat begrüsse, so muss doch beachtet werden,
dass dadurch die Kapazität nicht unwesentlich herab¬
gesetzt ist. Während der alte Breslauer bei einem Fassungs¬
vermögen von etwa 9 1 /» Liter 160 cbm Raum reichlich, auch,
mit gesteigerten Formaldehydquantitäten zu desinfizieren vermag,
kann der Roepkesche Kessel mit knapp 5 Liter Inhalt höchstens
110 cbm mit je 5,0 Formaldehyd versehen. Dies bedeutet einen
Unterschied, der sich beim Fehlen eines Reserveapparats recht
unangenehm fühlbar machen kann!
Als einen besonderen Vorteil des Roepkeschen
Apparats bezeichnet nun Engels wiederholt den neuen
Spiritusbrenner und preist die durch ihn bedingte äusserst
langsame Flüssigkeitsverdampfung als eine grosse Er¬
rungenschaft. Einen Beweis für diese Behauptungen bleibt er
aber schuldig. Derselbe würde ihm wohl auch schwer fallen; denn
es ist längst durch die grundlegenden Untersuchungen der Breslauer
Schule experimentell bewiesen, dass bei langsamerem Verdampfen
schon früher Polymerisation eintritt, während gerade durch
heftige Verdampfung, wie sie deshalb bei dem Breslauer
Apparat vorgesehen ist, die günstigste Ausbeute an Formal¬
dehyd gewährleistet wird. Dazu kommt noch, dass bei der von
Engels geschilderten, sich durch Stunden, ja bei ganzer Füllung
durch die ganze Desinfektionsdauer hinziehenden Verdam¬
pfung des neuen Apparats die spät entwickelten Formaldehyd¬
mengen nur ganz ungenügend kurze Zeit zur Einwirkung kommen
können. Durch Versuche mit Vorrichtungen, welche eine äusserst
rasche und intensive Verdampfung bewirken (Trillatscher
Autoklav, glühende Chamottesteine u. drgl.) ist es längst bewiesen,
dass geradedieserPunktzurErzielungdes gewünschten
Desinfektionseffekts von grösster Wichtigkeit istL
Dabei müsste aber eine restlose Verdampfung aller Flüssigkeit,
wie sie Engels bei 5 Versuchen 3mal beobachtet hat, und wie
überhaupt vorgesehen zu sein scheint, im Interesse des
Theoretisches und Praktisches zur Fonnaldehyddesintektion auf dem Lande. 429
rV-
’adk
Kessels durchaus vermieden werden. Zumal bei dem neuen
Apparat, bei dem Füsse mit Charnieren an dem Boden des Kessels
angenietet sind, werden bei häufigerem Aasglühen Defekte unaas¬
bleiblich sein, welche bei dem Breslauer dadurch vermieden sind,
dass nach seinen Berechnungen jedesmal ein genügender Flüssig¬
keitsrest Zurückbleiben muss.
Was den eleganten Spiritusgasbrenner selbst betrifft, so ist
es nieht zu bezweifeln, dass derselbe an Dauerhaftigkeit, Einfach¬
heit der Bedienung und sicherem Funktionieren — besonders nach
öfterem Gebrauch mit jedesmaligem Leerbrennen — mit dem un¬
verwüstlichen Breslauer gar keinen Vergleich aushält. Zur
Verdampfung einer gleichen Flüssigkeitsmenge bedarf er der fast
dreifachen Zeit und nach den Koepkeschen Tabellen einer
wesentlich grösseren (bei mittlerer Füllung um 60 °/ 0 ) Spi¬
ritusfüllung.
Ich glaube, es wäre für den neuen Apparat am besten, wenn
man auf diese „grossen Verbesserungen* 1 verzichtete und ihn mit
dem einfachen, billiger, schneller und vorteilhafter funktionieren¬
den, dabei altbewährten Breslauer Brenner ausrüstete, bei dem
mir, wie oben schon erwähnt, eine besondere Feuergefährlichkeit,
welche ihm von Engels nachgesagt wird, niemals bekannt
geworden istl
Die Roepkeschen Tabellen stehen bezüglich der Formal-
debydmengen auf den alten Flüggeschen Sätzen, welche mit
ea. 4,0— 4,5 gr F. pro Kubikmeter auf 5 Stunden modifiziert sind.
Nach den neueren Anforderungen bedürften dieselben
bei gleichbleibender Einwirkungsdauer einer Erhö¬
hung um etwa 60 °/ 0 . Am praktischsten wäre auch hier die
Annahme der altbewährten Flüggeschen Tabelle von 5,0 grF.
aber auf 7 Stunden!
Was zum Schlüsse das in dem Transporteimer untergebrachte
Instrumentarium betrifft, so muss anerkannt werden, dass dasselbe
in äusseret koropendiöser Form das Allernotwendigste —
aber auch nur das — für die Wohnangsdesinfektion enthält!
Für unerlässlich, zum Schutze des Desinfektors sowohl, als wegen
der Gefahr der Seuchenverschleppung, muss ich aber die
Hinzufügung eines vollständigen Anzugs mit Kopfbedeckung und
Schuhen erklären, der durch Schürze und Aermel nicht ersetzt
werden kann, ebenso einer grossen solideren Bürste zur mecha¬
nischen Desinfektion, deren Ersatz durch eine einfache Nagel¬
bürste nicht genügen dürfte!
Aber auch bei dieser äussersten Beschränkung auf
das Allernotwendigste ergab es sich, dass der Transport¬
eimer mit Inhalt nach Füllung der Flaschen ein Gewicht von
16 kg erreichte (nicht 10 kg, wie vonHuhs angegeben wird).
Dadurch aber wird ein weiterer Transport in der Hand
zur Unmöglichkeit!
Unter diesen Umständen erscheint mir das Koepke-
sche Instrumentarium als Universalausrüstung für
einen Desinfektor nicht als genügend! Est ist bei ihm
480 Dr. Werner: Theoretisches und Praktisches zur Fonnaldehyddesiniektioo.
das Möglichste an Beschränkung und Kompendiosität geleistet,
ohne eine leichte Transportabilität für weitere
Entfernungen zu erzielen, und ich glaube, dass wir bei
einer Tollständigen Desinfektionsausrüstung darauf
verzichten müssen, dieselbe durch eine Person ohne andere
Transportmittel auf weitere Entfernungen transportieren zu können.
Dagegen ist das Roepkesche Instrumentarium da, wo gleichzeitig
eine vollständigere Ausrüstung für grössere Ansprüche vorhanden
ist, ein sehr geeigneter Hülfsapparat für manche spe¬
ziellen Zwecke, z. B. wenn es sich um Desinfektionen kleinerer
Ränme handelt, welche in der Nähe liegen oder mit Hülfe von
Bahn, Post oder dgl. ohne grössere Landwege zu erreichen sind.
Nachtrag.
Während der Drucklegung dieses Aufsatzes ist eine Reihe
wichtiger Arbeiten Flügges und seiner Schule über die Praxis
der Desinfektion erschienen, 1 ) in welchen Flügge und Reichen¬
bach die auch von uns vertretenen Vorschriften des Seuchen-
gesetzes bezüglich der Menge und Einwirkungsdauer des Formal¬
dehyds als zu weitgehend bezeichnen. Im allgemeinen genüge
bei der Verwendung von 5,0 gr Formaldehyd pro Kubikmeter, was
an Stelle der schwächeren Dosis von 2,5 gr F. jetzt für alle Fälle
empfohlen wird, eine Einwirkung von 3 1 /, Stunden, und durch
Erhöhung der Formaldehydmengen sowohl, als ihrer Einwirkungs¬
dauer steigere man die praktischen Schwierigkeiten der Desinfek¬
tionen in unberechtigter Weise! Sodann fordert aber Flügge für
Desinfektionen bei Tuberkulose — wofür auch ihm die Wirksam¬
keit des Verfahrens ausser allem Zweifel steht, — schon immer die
doppelte Einwirkungsdauer (also 5,0grF.und 7 Stunden)
und für das Vorhandensein aussergewöhnlich vieler Gebrauchs¬
gegenstände, Matratzen, Kleidungsstücke u. dgl. einen ent¬
sprechenden Zuschlag von Formaldehyd bis anf die
doppelte Menge (10,0)!
Reichenbach verlangt dasselbe ferner für niedrige Tempe¬
raturen und Schwierigkeiten der Abdichtung; er schlägt vor, an¬
statt für alle Fälle weitergehende Vorschriften zu geben, mehr
zu individualisieren und je nach der vorliegenden Krankheit und
Beschaffenheit der Objekte die anznwendenden Massregeln im
einzelnen Falle zu modifizieren, wozu allerdings ein intel¬
ligentes, gut geschultes Personal und eine ständige
Ueberwachung durch besonders ansgebildete Beamte
unerlässliche Bedingung sei!
Man wird die Richtigkeit dieser Ueberlegungen durchaus
zugeben müssen, und ich habe oben schon ausgesprochen, dass
für eine grosse Zahl von Fällen eine geringere Desinfektions-
wirkung, als die geforderte, genügend sein würde. Praktisch
erscheinen mir aber die Vorschläge Reichenbachs zurzeit durch¬
aus undurchführbar, da einerseits eine Aufstellung spezieller Vor¬
schriften für die einzelnen Fälle mit der Tatsache zu rechnen
') Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten; 1905, 50. Band.
Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften. 481
hat, dass wir von mehreren häufig in Betracht kommenden Krank¬
heiten (z. B. Scharlach, Masern, Pocken) die Erreger nnd ihre
Widerstandsfähigkeit gegen Formaldehyd gamicht kennen. Ander¬
seits ist die Qualifikation des Personals, wenigstens
nach den Erfahrungen der hiesigen Desinfektoren¬
kurse, keine derartige und seine genügende Ueber-
wachung vielfach, namentlich auf dem Lande, vor¬
läufig noch zuwenig durchführbar, als dass wir dem¬
selben die Entscheidung über die in jedem Einzel¬
falle zu treffenden Massnahmen überlassen könnten.
Die Schaffung einer festen, für ziemlich alle Fälle genügenden
Norm, für deren Einhaltung die Desinfektoren ver¬
antwortlich gemacht werden können, erscheint zur Zeit
noch notwendig, und bei ihrer Festsetzung wird man zur Er¬
reichung einer sicheren Wirkung sich nicht auf Massnahmen be-
schränken können, welche nur zur Vernichtung leicht abtöt-
barer Krankheitserreger oder für im allgemeinen der Desinfek¬
tion günstige Bedingungen genügen. Gerade für die Desinfek¬
tionen in kleinen Verhältnissen glaube ich auch nicht, dass die
von Flügge mit einer Steigerung der Formaldehydmengen
oder der Einwirkungsdauer bedachten Fälle zu den Ausnahmen
gehören! Bei dem Mangel einer Dampfdesinfektion werden auf
dem Lande reichliche Bett- und Kleidungsstücke fast die Begel
bilden, auch andere Schwierigkeiten sehr häufig nicht zu vermeiden
sein. Unter diesen Gesichtspunkten erscheinen mir die in den Aus¬
fährungsbestimmungen des Seuchengesetzes gegebenen Vorschriften
den von Flügge vertretenen Anschauungen durchaus nicht so
ferne zu stehen, aber vom praktischen Standpunkt aus ent¬
schieden brauchbarer, da sie auch unter den bestehenden, oft wenig
idealen Verhältnissen die notwendige Sicherheit der Desinfek-
tionswirkung garantieren.
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
Gerichtliche Medizin und Psychiatrie.
Eine neue Methode des Blutnachweises 7 Von Dr. Pallcske in
Loitz i. P. Vierteljahrsschr. f. gerichtliche Medizin n. öffentL Sanitätswesen:
3. Folge, XXIX, H. 2.
Verfasser hat die Rieht ersehe Methode des Blntnachweises durch Wasser¬
stoffsuperoxyd einer Nachprüfung unterworfen; Richter gibt bekanntlich an,
daß Blut mit HtOi gemischt das letztere unter Bildung von Schaum und Wärme
zersetze. Die Nachprüfung ergab die Richtigkeit dieser Angaben im weitesten
Umfange für Blut jeglicher Herkunft, von Mensch nnd Tier, — aber auch nur
dies, während der Methode eine elektiye Bedeutung nicht zukommt. Die Re¬
aktion, geprüft an zunehmenden Verdünnungen von Blut mit Wasser, ergab
positiTes Resultat bis zu 1 Tropfen Blut in 1500 g Wasser, wenn die Verdün¬
nung vorsichtig mit H*0* nnterscbichtet wnrde. Auch altes, angetrocknetes
Blut reagierte positiv, wie ein Versuch mit dem trocknen Fleisch einer seit
SO Jahren konservierten Schildkröte bewies; desgleichen Proben von Blut auf
Leinwand, auch wenn dasselbe dnreh Kochen oder Fäulnis verändert war.
Mundenmnskolatur ergab undeutlich -f- Resultat. Alkalisiertes Blnt reagierte
+, augesinertes —. Speichel, Urin und Milch —, Serum -J-.
Speziell für die gerichtliche Medizin kommt es oft darauf an, Blutflecken
auf den verschiedensten Unterlagen nachzuweisen; dies gelingt in leichtester
488
Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften.
Weise durch Betupfen oder Begießen mit HiOs, indem die Entstehung von
weißen Gischtmassen die Anwesenheit von Blut erweist. Durch Anwendung
des Sprayapparates gelingt nach den Angaben des Verfassers dieser Nachweis
besonders bequem und mit größter Schonung der Blutpunkte. Erhitztes Blut
(auf Holz und Eisen) zeigt Abnahme der katalytischen Fähigkeit. Die Gültig*
keit der Methode wird etwas eingeschränkt durch die katalytische Fähigkeit
gewisser Substanzen, wie Erde, sowie gewisser Metalle und Metalloxyde in Pulver¬
form; doch ist in diesen Fällen ein auffallender Unterschied in der Energie
der Zerlegung des H»0» bemerkenswert. Blutähnliche Stoffe, wie Kochenille
und Rotwein reagierten negativ. Die Versuche wurden mit frisch bereiteter
3°/oiger Lösung von Hydrogepium peroxydatum Merck angestellt.
Das Fazit der Untersuchungen des Verfassers ist: Das Wasserstoff*
Superoxyd ist für die Untersuchung auf Blut für gerichtlich-medizinische
Zwecke der Guajakprobe gleichwertig; gleich dieser ist der negative Ausfall
der Probe für die Abwesenheit von Blut beweisend, während der positive Aus¬
fall das Vorhandensein von Blut wahrscheinlich macht, unter Berücksichtigung
der oben gemachten Einschränkungen. Die Methode ist bequemer als die mit
Gnajak; sie ermöglicht die leichte Aufspürung von vermuteten, aber schwer
oder gar nicht sichtbaren Blutspuren. Autoreferat.
Der gerichtsärztliche Nachweis des Todes durch Ertrinken. Von
Dr. Revenstorf in Hamburg. AerztL Sachverst.-Ztg.; 1906, Nr. 6.
Autor hat die Brusthöhlenflüssigkeiten von Leichen Erhängter unter¬
sucht, denen Leitungswasscr durch die Trachealkanüle eingegossen war. Die
Leichen hatten sich mit einer Ausnahme in aufrechter Stellung befunden.
Oedema aquosum in der Lunge kann durch die mit den terminalen Atemzügen
aspirierte Ertränkungsflüssigkeit erzeugt oder an der Leiche zustande gekommen
sein. Eine Trennung dieser beiden Möglichkeiten ist mit Hülfe des kryosko¬
pischen Lungenbefundes allein nicht durchzuführen.
Als wichtigsten Befund unter seinen Resultaten hebt Revenstorf
hervor, daß die Blutverdünnung kein sicheres Zeichen des Ertrinkungstodes
ist. Dieses Ergebnis steht im strikten Gegensatz zu der bisherigen Anwihm*,
daß es sich beim Uebertritt von Wasser ins Blut stets um einen vitalen Vor¬
gang handle. Die Versuche lehren ferner, daß eine Blutverdünnung, die sich
auf den Inhalt des Arteriensystems beschränkt, außer durch den Submersions-
vorgang auch an der Leiche erzeugt sein kann. Postmortal in die Luftwege
gelangte Flüssigkeit verdünnt, wenn sie überhaupt in den Gefäßinhalt eintritt,
nur das Blut des linken Herzens und der Arterien. Dieses Versuchsergebnis
beruht auf einer gesetzmäßigen Leichenerscheinung.
Für die forensische Diagnostik bemerkt Autor im einzelnen folgendes:
Der Uebertritt vom Ertränkungsmedium in das noch kreisende Blut führt zu
einer Verdünnung der gesamten Blutmasse, der Uebertritt in den Gefäßinhalt
der Lungenkapillaren nach Sistirung der Zirkulation nur zu einer Verdünnung
des Arterienblutes, d. b. des Inhaltes derjenigen Gefäßabschnitte, mit welchen
das verdünnte Blut in Diffusionsaustausch tritt. Ist außer dem Arterienblut,
wenn auch stets in geringerem Grade, das Venenblut verdünnt, so handelt es
sich um Ertränkungsflüssigkeit, die während des Submersionsvorganges, d. h.
vital in die Luftwege eindrang. Große Unterschiede in der Blutkomposition
des rechten und linken Herzens angeblich Ertrunkener, deren Venenblut nicht
verdünnt ist, sprechen für den Uebertritt der Ertränkungsflüssigkeit in das
nicht mehr fließende Blut.
Das kryoskopische Ergebnis liefert nur in wenigen Fällen einen sicheren
Hinweis auf den Vorgang des Ertrinkens, hier muß noch die Verteilung des
Planktons in der Lunge berücksichtigt werden. Das vom Ertrinkenden ein¬
geatmete Wasser verteilt sieb, dem Inspirationsstrom folgend, in der ganzes
Lunge. Das postmortal eindringende Ertränkungsmedium wird entweder an-
gesogen oder in die Luftwege gewaltsam hineingepreßt; seine Verteilung
ergibt sich nach den Gesetzen der Schwere. Die gleichmäßige Verteilung der
suspendierten Bestandteile der Erstickungsflüssigkeit über das gesamte Lungen¬
gewebe ist nach Revenstorfs Erfahrung eins dor sichersten Zeichen des
Kleinere Mitteilangen and Referate ans Zeitschriften.
483
vitalen Kindringens deeseiben, praktisch von gr&ßter Bedeutung, da die ge¬
wöhnlichen Ertr&nkangsmedien durchweg verunreinigt sind.
_ Dr. T roe ge r-Adelnaa.
Weiterer Beitrag zar gerichtsärztlichen Diagnostik des Ertrinkungs¬
todes. Von Dr. Revenstorf in Hambarg. Münchener mediz. Wochenschr.;
190b, Nr. 11/12.
Verfasser berichtet in längeren Ausführungen über die Resultate seiner
Untersuchungen über ein bisher nicht verwertetes Begleitphänomen des Er*
trinkungsvorgangea: den Farbstoff aastritt infolge Einwirkung
des Ertränk an gsmediums auf die roten Blatscheiben, and faßt die
für die geriehtaärztliche Praxis verwertbaren Ergebnisse in folgende Schloß*
sitze zusammen:
1. Hämolyse des Leichenblutes tritt in den ersten Tagen post mortem
weder auf Grand physikalischer Einflüsse (Veränderung der Zusammensetzung
des Gefäß in haltcs), noch als Folge autolytischer Prozesso auf; der Farbstoff*
ustritt wird vielmehr durch Bakterientätigkeit, <L h. durch die Fäulnis bewirkt.
Die Leichenhämolyso ist eines der frühesten, makroskopisch sichtbaren Zeichen
der eingetretenen Fäulnis.
2. Durch die Leichenfäulnis wird das Blut der Pfortader am intensivsten
hämolysiert, weniger intensiv das Blat des rechten Herzens and seiner za*
fhhrenden Gefäße, am wenigsten stark das Blut das linken Herzens and des
Arteriensystems.
8. Gelangen auf dem Wege der Luftkanäle eindringende anisotonische
Flüssigkeiten innerhalb der Kapillaren oder im Lungengowebe (Ekchymosen)
io imige Berührung mit den Blutkörpern, so werden — vorausgesetzt, daß
äse hinreichende Konzentrationsdifferenz der Suspensionsflüssigkeit von dem
Körperinhalt erzeugt wird — die betroffenen Blutkörper aufgelöst: Erträn-
kugshimolyse.
4. Die Ertränkongshämolyse des Gefäßinhaltes ist im Gegensatz zu der
gewöhnlichen Leichenhämolyse dadurch ebarakterisirt, daß das Serum des
linken Herzens einen intensiveren Hämolysierungsgrad besitzt als das Serum
Oes rechten.
5. Langengewebesaft, Pleuratranssudat und Perikardialflüssigkeit, die kein
gelöstes Hb enthalten, sind frei von Beimengungen des Ertränkungsmediums.
6. Oedema aquosum besitzt stets ein Hb-haltiges Serum. Farbloses
Serum erweist das Vorliegen echten Lungenödems.
7. Die Ertränkung8hämolyBe ist ein qualitatives Kennzeichen des Er-
triakungstodes, das die übrigen physikalischen Methoden des Nachweises von
Ertrinkungsflüssigkeit im Blute an Schärfe übertrifft.
8. Fehlender Farbstoffaustritt im Pfortaderinhalt neben vorhandener Er¬
trinkungshämolyse des Herzblutes ist 'ein sicheres Merkmal, daß die Erträn-
kngsflüssigkeit erst nach dem Aufhören der Blutbewegung in den Herzinhalt
diffundierte. _ Dr. W a i b e 1 - Kempten.
Ueber akute Phosphervergiftung vom gerlchtsärztllchen Standpunkt.
Von Dr. Klix. Friedreichs BL f. gerichtl. Medizin; 1904 a. 1906, 65. a.
66. Jahrgang.
Icterus and Erbrechen sind fast nie fehlende Anfangserscheinangen.
Für eine große Anzahl von Fällen ist eine vorübergehende Besserang während des
zweiten und dritten Tages charakteristisch. Von den gewöhnlich während des
Lebens beobachteten Krankheitserscheinungen ist die rasch zunehmende Ver¬
größerung der Leber die wichtigste. Wo bei der Obduktion eine ikterische
Fettleber im Verein mit den übrigen Organveränderungen gefunden wird, kann,
■amentlich wenn auch die Krankhoitscrscheinungen während des Lebens ent¬
sprechende waren, die Diagnose einer Phosphorvergiftung gestellt werden, selbst
wenn jede Stütze im Ergebnisse der chemischen Analyse fehlt. Es gibt aber
•ach eine akute Atrophie nach Phosphoreinwirkung, welche von der gewöhn¬
lichen akuten Leberatrophie durch kein an sich ausschlaggebendes Merkmal
zu unterscheiden ist. In den seltenen Fällen mit ganz akutem Verlauf wird
dto Diagnose bei negativem Ergebnis der chemischen Analyse and dor amt¬
lichen Erhebungen nur mit Wahrscheinlichkeit zu stellen sein. Von anderen
484
Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften.
Vergütungen bieten das der Phosphorver gif tun g ähnlichste Bild die nach den
Genosse von Schwämmchen auftretenden Intoxikationenj bei welchen indessen
die Gastroadenitis bisher vermißt wurde und die klinischen Erscheinungen
meist erhebliche Unterschiede zeigen. Dr. Hump-Osnabrück.
Ueber einen Todesfall nach Anwendung der offizinellen Borsalbe
bei einer Brandwunde. Von Dr. Dopfer in Wasseralfingen. Münchener
mediz. Wochenschr.; 1905, Nr. 16.
Ein zweijähriges Kind hatte sich durch Uebergießen mit heißer Milch
eine Brandwunde am rechten Vorderarm zugezogen, welche zuerst mit Mohnöl
und dann nach Verfassers Anordnung mit der offizinellen Borsalbe (Ung. addi
borici) in der Weise bedeckt wurde, daß man täglich einmal ein mit der
Salbe bestrichenes Leinwandstück auf die Wunde legte. 4 Tage später meldete
der Vater des Kindes dem Verfasser, daß das Kind bald, d. h. einige Stunden
nach dem Auflegen der verordneten Salbe am ganzen Körper, zuerst am Bücken
und an den Oberschenkeln eine Art „Scharlachfriesel“ bekommen habe and
zugleich an Erbrechen und Diarrhoe, Apathie und Schläfrigkeit usw. schwer
erkrankt sei. Verfasser fand bei dem Besuche des Kindes an der Beugeseite
des rechten Vorderarmes eine vom Handgelenke gegen die Ellenbeuge sich
hinziehende, 12 cm lange und 3 cm breite Brandwunde, von der sich die obere
Epidermisschicht offenbar in Blasen abgehoben hatte. Es waren an den Wund¬
rändern nur mehr einige Epidermisfctzen sichtbar, das Bete Malphighi lag als
eine dunkelrote, glatte, teils feucht glänzende, teils schon getrocknete Fläche
zutage, darauf kleine Salbenreste, kein Eiter und keine sonstige entzündliche
Beaktion. Die übrige Körperfläche war, mit Ausnahme des Gesichts und der
behaarten Kopfhaut, mit einem scharlachähnlichen Exanthem vollständig be¬
deckt, das an den Händen und Füßen bläulich-schwarze Verfärbung und
petechienartiges Aussehen zeigte. Temperatur in recto = 86,1; an Mund*
und Bachenschleimhaut nichts Krankhaftes; Herz und Lungen normal, Urin¬
untersuchung nicht möglich. Das Kind schien bei raschem Kräfteverfall und
bei ziemlich freiem Sensorium moribund und starb */* Stunde später, also am
4. Tage nach Anwendung der Borsalbe. Von der Borsalbe waren 100 g auf¬
geschrieben und ca. 80 g aufgebraucht. Die Sektion wurde mit Ausnahme
des Kopfes gestattet und ergab 24 Stunden p. m. völlig negativen Befund.
Epikritisch bemerkt Verfasser, daß die Brandwunde als solche weder
nach ihrer Ausbreitung, noch nach ihrer Intensität (Verbrennung 1.—2. Grades)
geeignet war, das Leben zu bedrohen. Septische Infektion, Erysipel und
Scharlach konnten ausgeschlossen werden, und so mußte man anf dem Wege
der Exklusion zur Annahme einer Intoxikation kommen. Obwohl die Borsäure
im allgemeinen als ungefährlich gilt, wenigstens bei äußerlichem Gebrauch,
findet man in der Literatur (so bei Lew in) doch einzelne seltene Fälle, in denen
z. B. bei Ausspülungen von Körperhöhlen mit konzentrierten Lösungen In¬
toxikationssymptome mit Erbrechen, Pnlsschwäche, ausgebreitetem Exanthem,
Singultus und letalem Ausgange beobachtet wurden. Bei anderen, tödlich
endigenden Borsäureintoxikationen, darunter ein Fall, der infolge Aufstreuens
von Borsäure auf eine Wunde letal verlief, traten gleichfalls Exantheme nnd
Petechien auf. Die Sektion ergab in zwei Fällen bei dem einen Schwellung
der Leber und Milz sowie Erosionen im Magen, bei dem anderen negativen
Befund. Ob im vorliegenden Falle individuelle Intoleranz gegen Borsänro
(Idiosynkrasie) anzunehmen sei, läßt Verfasser dahingestellt. Jedenfalls er¬
scheint dem Verfasser die Anwendung der offizinellen Borsalbe bei frischen
Brandwunden von größerer Ausdehnung, ehe sich nicht eine schützende Granu-
lationsdecke gebildet hat, nicht harmlos und wenigstens bei Kindern nicht
ungefährlich; sie kann unter Umständen tödliche Vergiftung bewirken.
Dr. W a i b e 1- Kempten.
Innere Verletzungen. Von Dr. H. Hoffmann, Königl. Gcrichtsarzt
in Berlin. Vierteljahrsschr. f. gerichtliche Medizin u. öffentl. Sanitätswesen;
3. Folge, XXIX, H. 2.
H. zählt 14 interessante Fälle auf, die, fast ohne jede äußere Ver¬
letzung, schwere, tötlich endende innere Verletzungen aufweisen.
Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften.
436
Der Zweck der Veröffentlichung ist der, darauf aufmerksam zu machen,
wie selten die hofiere Verletzung der inneren zu entsprechen braucht
Selbstverständlich sind die inneren Verletzungen nicht immer so erheb-
liehe; es kann sich aber häufiger, als wir denken, ereignen, daß der
begutachtende Arzt Schmerzen, Beschwerden des Untersuchten für simuliert
oder übertrieben hält, die doch auf kleineren, nicht nachweisbaren inneren
Verletzungen beruhen. _ Autoreferat.
Ein Beitrag mir Lehre von den feineren Gehlrnverinderungen nach
ScHdeltraumen. Von Prof. Dr. N. Din kl er, Oberarzt am Luisenhospital
in Aachen. Archiv für Psychiatrie ; 89. Bd., 2. H., 1905.
Nach einem Sturze gegen eine Mauerkante mit nachfolgender kurzer
Bewufitlo8igkeit und glatter Heilung einer unbedeutenden Wunde trat bei
einem stets gesunden Manne eine zunehmende Verblödung ein, mit Symptomen
kindisch-albernen Wesens, hochgradigem Verluste des Erinnerungsvermögens
and Unsauberkeit. Die Obduktion ergab besonders im Großhirn zahlreiche
Stecknadelknopf- bis bohnengroße Höhlen, die z. T. mit seröser Flüssigkeit
gefüllt waren, ferner einen Erweichungsherd, Erweiterung der Ventrikel. Mi¬
kroskopisch fand sich Veränderung an den Gefäßen, vielfach Untergang von
Ganglienzellen und Anhäufung roter Blutkörperchen als Ausdruck feiner Blu¬
tungen. Verf. rechnet seinen Fall in die Gruppe von Störungen, dio französische
Autoren als foyers lacunaires de d6sint6gration bezeichnen. Die Befunde sind
aa einer Reihe lehrreicher Abbildungen dargestellt. Dio interessante Beob¬
achtung sollte immer wieder aur Vorsicht in der Annahme der Simulation bei
scheinbar leichten Kopftraumen mahnen. Dr. Pollitz-Münster.
Aus der Begutachtung Marine - Angehöriger. Von Prot Dr. E. M ey e r
in Königsberg. Aus der Klinik des Geh. Med.-Rat Prot Dr. Siemerling in
Kiel Archiv für Psychiatrie; 39. Bd., 2. H.
Verfasser gibt eine sehr lehrreiche Kasuistik von 18 Begutachtungen
Ton Karinesoldaten, die in der Kieler Klinik beobachtet worden waren. Ein¬
seines sei daraus hervorgehoben: Im zweiten Falle trat bei einem bisher
braachbaren Soldaten eine zunehmende Vernachlässigung in seinem Dienste,
Unbotmäfiigkeit, allgemeine geistige Leistungsunfähigkeit mit Andeutung von
Beeinträchtigungsideen hervor, die als Symptome einer beginnenden Hebephrenie
zu deuten waren. Die Unfähigkeit solcher Kranker, sich den militärischen
Verhältnissen einzuordnen, ihr oft albernes, läppisches Wesen verführt ebenso
leicht zu Mißhandlungen und gehäuften Bestrafungen, wie anderseits zur An-
aahme der Simulation. Wesentlich einfacher lag der Fall eines Fahnenflüch¬
tigen, der bei seiner Einstellung ausgesprochene Zeichen angeborenen Schwach¬
sinns darbot. In einem andern (sechsten) Falle bestand dieser letztere im
Verein mit hochgradiger, unmotivierter Erregbarkeit; die Handlungen selbst
waren z. T. im Zustande eines pathologischen Rausches begangen worden.
Der Kranke war in direkter Linie schwer belastet und hatte früher ein erheb¬
liches Kopftrauma durchgemacht. In einem siebenten Fall bestand hochgradige
Affekterregbarkeit unter Hervortreten hysterischer Symptome. Referent hält
es für ebenso wahrscheinlich, daß es sich um einen hebephrenen Prozeß ge¬
handelt habe. Von großem Interesse ist ein eingehend mitgeteilter Fall von an¬
geborenem Schwachsinn, der sich vorzüglich in unstätcr Lebensführung, Ueber-
xhätzung der eigenen Leistungsfähigkeit und Kritiklosigkeit, Lügenhaftigkeit
uad triebartigen Handlungen bei leidlichen Schulkenntnissen äußerte. Mehrere
Beobachtungen beziehen sich auf Hysterische, die in der Marine nicht ganz
selten zu sein scheinen, während nur zwei Fälle von Epilepsie erwähnt werden.
Den epileptischen Dämmerzuständen sind manche Fälle des pathologischen
Bausches nahe verwandt. Verfasser teilt vier derartige Beobachtungen mit,
Ton denen sich zwei auf Sittlichkeitsverbrechen seitens junger Fähnriche be¬
ziehen; beide waren stark belastet. In beiden Fällen hatte sich der Rausch¬
zustand durch eine veränderte Bewußtseinslage bei äußerlich geordnetem Ver¬
halten geäußert, so daß, wie Verfasser mitteilt, den Gerichten nur schwer die
Uebeneugung von dem Krankhaften des Zustandes beizubringen war. In vier
weiteren Beobachtungen war eine ausgesprochene Geistesstörung nicht nach¬
zuweisen, drei davon boten bemerkenswerte nervöse Symptome, z. T. hyste-
486
"Kleinere Mitteilungen nnd Referate ans Zeitschriften.
rischen Charakters; nur in einem von all seinen Fällen, das erscheint der Erwäh¬
nung wert, hält der Verfasser eine Simulation für möglich, ohne sie jedoch
bestimmt anzunehmen. Dr. Pollitz-Münster.
Znr Geschichte und Kritik der sogenannten psychischen Zwangs«
anstände. Von Br. Wolfgang Warda, ding. Arzt der Heilanstalt Villa
Emilia in Blankenburg L/Th. Ebenda; 1. u. 2. H.
Warda zeigt in einer umfangreichen historischen Einleitung ein Bild
der geschichtlichen Entwicklung der Lehre von den psychischen Zwangszu¬
ständen. Die erste Schilderung des Dälire du toucher findet sich unter der
Bezeichnung Monomanie raisonnante bei Esquirol, der den Kampf des
Kranken gegen seine Vorstellungen und die Einsicht fttr deren Absurdität
richtig hervorhebt. Später gab Baillarges diesen Zuständen die Bezeichnung
Monomanie avec conscience, ein anderer Autor nennt sie Monomanie intellec-
tuelle. Als wohl charakterisiertes Krankheitsbild findet sie sich bei F a 1 r e t
und Legrand du Säule, die den Namen Maladie du doute avec le dälire
du toucher einführen; weitere Fortschritte machte die Lehre unter der Ein¬
wirkung Legrands, besonders Krafft-Ebings, der zuerst den Ausdruck
Zwangsvorstellungen brauchte, Griesingers und vorzüglich Westphals,
nachdem letzterer versucht hatte, diese Zustände als abortive Verrückt¬
heit von der eigentlichen Verrücktheit abzutrennen. Für die weitere For¬
schung genügt aber die von Westphal gegebene Definition und klinische
Abgrenzung nicht mehr. Verfasser hält die Erklärung Freuds für die glück¬
lichste, nach der die Zwangsvorstellungen Jedes Mal verwandelte, aus
der Verdrängung wiederkehrende Vorwürfe sind, die sich imm er auf eine
sexuelle, mit Lust ausgeführte Aktion der Kinderzeit beziehen“. In erster
Linie sind es also stets Selbstanklagen oder Mißtrauen in sich selbst, die stets
rudimentär in den Zwangszuständen nachweisbar sind. Verf. gibt seiner¬
seits eine weitläufige Definition, die aber nichts wesentlich Neues enthält.
Weiterhin beschäftigt er sich mit den Formen des Zwangsaffektes der Phobien
oder der Versuchungsangst, die durch zahlreiche Beobachtungen erläutert wird,
dem impulsiven Irresein, dessen nahe Verwandtschaft zu ersterer Form beson¬
ders betont wird, während das affektlose Zwangsdenken als ein Symptom der
geistigen Erschöpfung betrachtet wird. Die sexuellen Psychopathien Krafft-
Ebings scheidet der Verfasser dagegen aus dem Bilde der Zwangsneurose
ganz aus. _ Dr. Pollitz-Münster.
Die Unterschrift der Paralytiker. Von Dr. Feil eben fei d-Berlin.
Aerztl. Sachverst.-Ztg.; 1905, Nr. 6.
Für die Lebensversicherungen erlangt die Unterschrift der Paralytiker
eine besondere Bedeutung, wenn Schriftstörungen als frühzeitige Erscheinung
beobachtet werden, namentlich zu einer Zeit, da andere Symptome noch fehlen.
Auf Grund des Materials einer Lcbensversicherungsgesellschaft kommt
Feilchenfeld zu dem Resultat, daß häufig schon frühzeitig in der Schrift
Zeichen der beginnenden Paralyse zu beobachten sind. Um diese zu erkennen,
macht F. den Vorschlag, daß der Versichernde außer seinem Namen, da
letzterer meistens noch bei vorstehender Erkrankung gut geschrieben wird,
auch noch die Straße und Nummer seiner Wohnung hinzufüge.
Dr. Troeger-Neidenburg.
Beiträge nur Lehre von der Epilepsie. Von Dr. J. Finkh, I. Assi¬
stenzarzt der psychiatrischen Klinik zu Tübingen. Archiv für Psychiatrie;
39. Bd., 2. H.
Verfasser behandelt das Gebiet der Epilepsie unter Verwertung von
250 Beobachtungen der Tübinger Klinik und einer u m fassenden Literatur.
Bekannt ist die Bedeutung der erblichen Belastung für den Ausbruch der
Epilepsie; nach Verfasser ist sie in '/« der Fälle nachweisbar. Die Häufigkeit
von Aura-Zuständen beim Beginn des Anfalls wird verschieden hoch ange¬
geben, von einzelnen Autoren bis 76 0 /o, in den Fällen des Verfassers bei 87,8 °/o
von genuiner Epilepsie. Unter den epileptischen Zuständen verdienen die perio¬
dischen Anfälle von gereizter Verstimmung ohne Bewußtseinstrübung, ferner
Besprechungen.
437
der periodische Wandertrieb ein besonderes Interesse; hierher gehören auch
unmotiviert aaltretende Watanfälle, die nicht selten mit tiefem Schlaf, wie
epileptische Krampfanfälle, abschließen, and isoliertes Aaftreten von Halluzi-
nationen, besonders des Gesichtssinns. In 44°/o seiner Fälle nimmt Verfasser
eine traumatische Epilepsie an, deren Charakter meist recht schwer ist. In
einem großen Teil der Fälle stellen sich psychische Störungen und Demenz ein.
Als Spätepilepsie läßt Verfasser diejenigen Fälle gelten, in denen die epilep¬
tischen Symptome zaerst nach dem 25. Lebensjahre aaftreten; ihr Verlaaf ist
im allgemeinen milder, in einen Teil der Fälle spielt ätiologisch die Arterio¬
sklerose eine Bolle. Dr. Pollitz-Münster.
Ein Beitrag zur Paranoiafrage. Von Dr. Siefert in Halle a./8.
Ans der psychiatrischen and Nervenklinik in Halle (vorm. Prof. Dr. Hitzig).
Ebenda; H. 2.
Der sehr instruktive Fall einer langsam fortschreitenden Paranoia wird
mitgeteilt, deren erste Symptome sich als reine hypochondrische Depression
mit allmählich hinzatretenden melancholischen Elementen darstellte. Ans
diesem ersten Znstandsbilde ging unter Aaftreten von Halluzinationen und
phantastischen Wahnideen ein „sekundär - paranoischer 4 Prozeß hervor. Veii.
weist auf die Schwierigkeiten der Diagnose und besonders der anfangs anschei¬
nend günstigen Prognose hin; er knüpft an die klinische Seite seines Falles
eine Seihe interessanter Betrachtungen über die Beziehungen zwischen Paranoia
und Melancholie, die er als „total differente psychische Prozesse“ aufgefaßt
wissen wilL Damit fällt auch der von einzelnen Autoren immer wieder auf¬
gestellte Begriff der sekundären Paranoia. Dr. Pollitz-Münster.
Besprechungen.
Br. J. Bambonaek, Sanitätskonzipist bei der Landesregierung in Klagenfurt:
Luftverunreinigung und Ventilation mit besonderer Rtloksioht
auf Industrie und Gewerbe. Mit 48 Abbildungen und einer Tafel.
Verlag von A. Hartleben, Leipzig, G. 8°, 251 S.
Das vorliegende Werk erörtert einleitend die theoretischen Fragen der
Vatilation und daran anschließend die Art der Luftverunreinigung im Gewebe
«ad den Schutz gegen diese Schädlichkeit unter besonderer Berücksichtigung
der Großindustrie, speziell der Metallbearbeitung, der Phosphorindustrie, der
chemischen Großindustrie, der Textilindustrie und der Holzbearbeitung. Das
gesamte Material ist systematisch angeordnet und erleichtert die Orientierung
aber einschlägige Fragen. _ Dr. Boepke-Melsungen.
Br. Theodor Woyl- Berlin: Handbuch der Hygiene. IV. Supplement¬
band. Soziale Hygiene. Verlag von Gustav Fischer. Jena 1904.
G. 8* 1062 S.
Der vierte Supplementband des W eyIschen Handbuches behandelt die
„soziale Hygiene“, die in ihren Anfängen bis auf die Naturvölker zurückgreift
uad in unserer heutigen Zeit eine Erweiterung und inhaltliche Vertiefung an¬
genommen hat, wie sie uns durch die im vorliegenden Werk behandelten
Themen vollständig und sachlich geboten wird. Die einzelnen von bekannten
Antoren bearbeiteten Abschnitte betreffen: „Assanierung und Abwehr
gemeingefährlicher Krankheiten* (Dr. Th. Weyl); Alkoholis-
mns“ (A. Grotjahn); „Nahrungswesen“ (Dr. P. Mombert); „Armen¬
wesen* (Dr. Buchl); „Wohnungswesen“ (Dr. B. Eberstadt-Berlin);,
„Fürsorge für Säuglinge“ (Privatdozent Dr. H. Finkelstein -Berlin);
„soziale Fürsorge für Kinder im schulpflichtigen Alter“ (Dr.
Sehmid-Monnard-Halle a. S. und Prof. Dr. A. Hartmann-Berlin);.
„Fürsorge für die schulentlassene Jugend (Hans Sack, ordenü.
Lehrer in Berlin); „Arbeiterschutz“ (Prof, nnd Geh. Beg.-Bat K. Hart¬
mann-Berlin); „W ohlfahrtseinrichtungen für Arbeiter und deren
Familien (Stadtrat Fl es ch-Frankfurt a./M.); „Krieg und Frieden“
(Stabsarzt Dr. G. Schwiening in Berlin); „soziale Hygiene und Ent-
488
Besprechungen.
&rtungsprobleme(A. Grotjahn) and das Schlußkapitel »zur Geschichte
der sozialen Hygiene aus der Feder des Herausgebers". Die
Fülle des behandelten Stoffes läßt an dieser Stelle eine eingehendere Be¬
sprechung nicht zn. Es genüge deshalb der Hinweis, daß die Wey Ische so¬
ziale Hygiene einzig in ihrer Art dasteht und zu einer Zeit ganz besondere
Beachtung seitens der Aerzte, Verwaltungsbeamten, Volkswirte und aller
sozialhuman denkender Männer verdient, in der man die Errichtung eines
Volkswohlfahrtsamtes an zentralerstelle gemäß des DouglasschenAntrages
mit allgemeiner Zustimmung aufgenommen hat Bpd.
Dr. B. Wehm er, Heg.- und Geh. Med.-Bat in Berlin: Bnsyklopldinohes
Handbuch der Hygiene. Unter Mitarbeit von Prof. T. W. Büsing,
Prof. K r o 11 i c k und vieler anderer hervorragender Fachmänner. Mit 439 Ab¬
bildungen. Leipzig und Wien 1904. Verlag von A. Pichlers Witwe and
Sohn. Gr. 8°, 1056 S. Preis: geh. 25 Mk., in Leinwand gebunden 27 ML
Nunmehr liegt das ganze Werk vor, auf das bereits nach Erscheinen
der ersten Abteilung im Jahrgang 1903, Seite 774 dieser Zeitschrift ausführ¬
licher hingewiesen worden ist. Auch die vorliegende II. Abteilung rechtfertigt
nach Auswahl und Behandlung des Stoffes vollkommen unser früheres
günstiges Urteil, die vorzüglichen Abbildungen sind sogar verhältnismäßig noch
viel zahlreicher als in der I. Abteilung. Um den Lesern auch eine rasche
Orientierung über kleinere Einzelfragen zu ermöglichen, sind ein ausführliches
Sachregister von Einzelworten sowie ein nach Gruppen geordnetes Artikel¬
verzeichnis am Schlüsse des Werkes beigegeben. Möchte der Wunsch des
Herausgebers in Erfüllung gehen und „das Buch mit seinen in manchen Dingen
f anz neuen und eigenartigen Anregungen vor allem der heranwachsenden Jugend
egen bringen". _ Bpd.
Dr. Adolf IiOMor, Professor in Breslau: Stereoskopischer gerichts-
ftrmtlioher Atlas. Vierte Abteilung, Tafel 151—200. Breslau 1905.
Schlesische Verlagsanstalt von S. Schottländer. Preis: 15 Mark.
Die vierte Abteilung des vorzüglichen Atlanten umfaßt die in forensi¬
scher Hinsicht interessanten Verletzungen am Schädel infolge von Traumes
und Geburtsvorgängen (Tafel 151—156), Lungenbefunde bei Totgeborenen besw.
nach der Geburt Verstorbenen (157—159), Geburtsgeschwülste (160), ferner die
nach Aetzungcn und Vergiftungen entstehenden Veränderungen der äußeres
Haut des Mundes, der Speiseröhre, des Magens der eineinen Darmabschnitte,
der Blase und des Herzens (161—185), schließlich dio Hautverbrennungen, Ver¬
änderungen durch postmortale Hitzeeinwirkung und sonstige Leichenbefunde
(186—200). Die Bilder sind scharf charakteristisch und in hervorragendem
Maße geeignet, in gerichtsärztlich wichtigen und schwierigen Fragen aufklärend
und belehrend zu wirken. _ Bpd.
Friodrloh Deu&uer : Röntgenologisches Hilfsbach. Mit 32 Ab¬
bildungen. A. Stübers Verlag. Würzburg 1905. Gr. 8°, 185 Seiten.
Preis: brosch. 8,50 M., geb. 4,20 M.
Das vorliegende Werk enthält eine Sammlung von Abhandlungen selbst¬
ständigen Inhalts, die der Verfasser aus seiner Tätigkeit in den bekannten
Aschaffonburger Röntgcnkursen heraus geschrieben hat. Das erste Kapitel
über den gegenwärtigen Stand des Böntgenverfahrens ist geeignet, Lücken
physikalisch-technischer Natur in der Praxis des Röntgenopraphen aaszugleichen.
Auch die technischen Erörterungen und Urteile über Röntgenröhren, Blende-
verfahren, Stromquellen, Unterbrecher, Funkenlänge und dergl. mehr sind für
den Mediziner, der den Gang am Röntgenapparat nicht nur mechanisch, sondern
mit Einsicht beeinflussen will, sehr wertvolL Ein Anhang behandelt in knapper
Form das Thema „Radioaktivität und Naturanschauung." Der Text wird durch
32 Abbildungen erläutert. _ Dr. Boepke-Melsungen.
Dr. Alexander Ctarwitaoh, Privatdozent der Anatomie in Bern: Morpho¬
logie and Biologie der Zelle. Mit 23 Abbildungen im Text. Gr. 8',
437 S. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Preis: 9 Mk., geb. 10 ML
G.s Werk schildert in einer auch bei bescheidenen biologischen Kennt-
Kleinere Mitteilungen nnd Referate ans Zeitschriften.
489
nissen verständlichen Weise die Zelle als solche nnd ihr Eigenleben. Die Dar¬
stellung des Zelllebens zerfällt in die Schilderung seiner biologischen Elemente:
I. «Statik and Dynamik der Zelle"; II. „stoffliche Tätigkeit der Zelle";
IU. «Fortpflanzung der Zelle" und in die Betrachtung der „Zelle als Organta-
mns nnd Individuum“. Zahlreiche und instruktive Abbildungen erläutern den
Text, dem Literaturverzeichnis, Sach- und Autorenregister angefügt sind.
Dr. R o e p k e • Melsungen.
Tagesnachrichten.
Unter dem Vorsitz der Obermedizinalräte Prof. Dr. v. Orasshey und
Prof. Dr. v. Bollinge r hat sich jetzt auch ein bayerisches Landeskomitee
für Krebsforschung konstituiert. Als Schriftführer fungiert Dr. Kolb- München.
In der am 17. Juni d. J. im Preußischen Kultusministerium abgehaltenen
Generalversammlung des Zentralkomitees für ärztliches Fortbildungswesen
in Prenssen erklärte Ministerialdirektor Alt hoff betreffs der Akademien
für praktische Medizin, daß die Regierung kein Interesse an der Gründung
weiterer Akademien habe, bevor nicht an der Cölner und Düsseldorfer Akademie
genügende Erfahrungen gesammelt worden seien. Auch nachdem dies geschehen,
wurden weitere Akademien nur im Einverständnis mit den ärztlichen Standes-
vertretongen eingerichtet werden. Die Regierung wünsche eine ausreichende
Besoldung der Professoren und im Interesse der praktischen Aerzte die Be¬
schränkung auf die konsultative Praxis. Den Praktikanten werde freigestellt
bleiben, ihr praktisches Jahr an der Akademie oder in einem dazu ermächtigten
Krankenhause abzuleisten. Die Spezialistenfrage erheische dringend eine Lösung,
die aber nicht ohne Mitwirkung der ärztlichen Standesvertretung gesucht werde.
Die Errichtung von Po liklinik en an Akademien sei nur dann gutzuheißen, wenn
ausschließlich notorisch Arme dort Hilfe finden sollten.
Der am 23. und 24. Juni d. J. in Straßburg i. E. abgehaltene
8. Deutsche Aerztetag hat am ersten Tage nach dem von Dr. S troff er-
Leipzig erstatteten Referate über die Rechte und Pf lichten des Kass en-
arstes folgende Resolution angenommen: „Indem der 33. Deutsche Aerztetag
zu den Ausführungen seines Referenten über die Rechte und Pflichten des
Kassenarztes seine vollkommene Zustimmung erklärt, spricht er von neuem
aas, daß er nach wie vor unerschütterlich fest auf dem Boden der Beschlüsse
der letzten Aerztetage von Königsberg, Berlin, Cöln und Rostock steht. Er
hält demgemäß eine gesetzliche Regelung der Kassenarztfrage für un¬
erläßlich und unaufschiebbar und spricht seine Ueberzeugung darin aus, daß
Bit dem von Dr. Beck er-Hessen in der vorigen Session des Deutschen
Reichstages eingebrachten Anträge ein gangbarer Weg dazu gewiesen war.
In übrigen erwartet der Deutsche Aerztevereinsbund von allen seinen Mit¬
gliedern und der gesamten ärztlichen Standesvertretung, daß sie in unablässigem
weiteren Ausbau der Organisation des ärztlichen Standes die wirksamen Mittel
der Selbsthilfe zur Besserung der Lage der Kassenärzte und damit zur Hebung des
guzen ärztlichen Standes tatkräftig und unermüdlich zur Anwendung bringen."
In der zweiten Sitzung referierte Dr. Hau8mann-Dortmund über die
Akademien für praktische Medizin. Der Aerztetag nahm hierauf
folgende Anträge an:
„Der 33. Deutsche Aerztetag hält im Interesse des Aerztestandes wie
der Akademie eine Revision der Bestimmungen, Einrichtungen und Verhältnisse
der Kölner Akademie für dringend erforderlich und zwar in Verbindung mit
dem Allgemeinen ärztlichen Verein."
„Der 33. Deutsche Aerztetag sieht in der Errichtung der Akademien
keine nennenswerte Unterstützung des aus eigener Kraft der Aerzte bisher in
genügender Weise gchandhabten Fortbildungswesens der praktischen Aerzte,
keine besondere günstige Gelegenheit der Ausbildung junger Mediziner zu
praktischen Aerzten, wohl aber eine für den Zusammenhang des ganzen ärzt¬
lichen Standes und für das bestehende bewährto Universitätswesen gefährliche
Einrichtnag. Das bisher bekannt gewordene Programm der Cölner und der
440
Tagesnachrichten.
geplanten Düsseldorfer Akademie, sowie die geheimnisvollen and sich vielfach
widersprechenden sonstigen Verlautbarungen über weitere Pläne veranlassen
den Aerztetag, vor Weiterführung und Neugründung weiterer Akademien zu
warnen."
Tagesordnung der diesjährigen, am 7.-9. Juli in München stattfindendea
Generalversammlung des Deutschen Vereins für Volkshjgtene: Freitag,
den 7. Juli, vormittags 9*/» Uhr: Sitzung des Zentralausschußes; vormittags
11 Uhr: Geschäftssitzung im Saale des alten Rathauses; um 6 Uhr: Besichti¬
gung hygienischer Sehenswürdigkeiten; abends 8 Uhr: zwangloses Zusammen¬
sein aller Teilnehmer auf dem Franziskanerkeller. Sonnabond, den 8. Juli,
vormittags 9 Uhr: Oeffentlicho Versammlung im Saale des alten Rathauses.
1. Begrüßungsreden. — 2. „Mietskaserne oder Familienbaus?" von H. Ober-
Medizinalrat Prof. Dr. Gr uber-München. — 3. „Ueber Anbau und Verwertung
von Obst und Gemüse in volkshygienischer und volkswirtschaftlicher Beziehung."
Referenten: a. H. Geheimrat Prof. Dr. Rubn er-Berlin, b. H. Konsulent
lür Obst- und Gartenbau Friedrich Rebholz-München. — 4. „Erkältung und
Abhärtung durch Luit und Wasser" von H. Privatdozent Dr. Hecker-
München. — 6. „Die Bedeutung der Volkshygiene für die Volkswohlfahrt" von
H. Dr. K. Beerwald-Berlin. — 6. „Die volkshygienischen Einrichtungen ia
München" von H. D. J. Weigl-Müuchen. Nachmittags 2 Uhr: Gemeinsames
Essen im Ratskeller (separierter Raum). Das trockene Couvert zum Festessen
kostet 4 Mk. Sonntag, den 9. Juli: Gemeinsamer Ausflug ins Quellen¬
gebiet der Münchener Wasserversorgung.
Ein beklagenswertes Geschick. Der Kreis-Assistenzarzt Dr. Wagner
war vor kurzem wegen der in Schlesien epidemisch herrschenden Genickstarre
nach Reuthen geschickt worden, woselbst ihn seine Frau besuchte. Kaum dort
eingetroffen, erkrankte diese und verstarb innerhalb 24 Stunden an Genick¬
starre. Dr. Wagner selbst kehrte hierauf nach Köslin zurück; bald darauf
traten bei ihm Erscheinungen hervor, die auf Gemütskrankheit schließen liefiea;
sodaß sich seine Ueberführung nach einer Heilanstalt als notwendig erwies.
Genickstarre ln Preussen. Für die Zeit vom 15.—31. Mai sind ge¬
meldet 348 (215) Erkrankungen (Todesfälle) an epidemischer Genickstarre und
zwar in der Provinz Ostpreußen 1 (1), Westpreußen 2, Brandenburg 14 (8),
Pommern 3 (1), Posen 1, Schlesien 304(195), Sachsen 3 (1), Schleswig-Holstein
1 (1), Hannover 5 (4), Westfalen 8 (3), Hessen-Nassau —, Rheinprovinz 5 (1),
Hohenzollorn 1. Von den 348 (215) Erkrankungen (Todesfällen) entfielen also
304 (195) auf die Provinz Schlesien und nur 44 (20) auf die übrigen Teile der
Monarchie. Seit dem Beginn der Epidemie (November v. J.) kamen in
Preußen 2761 Erkrankungen und 1442 Todesfälle an epidemischer Genick¬
starre zur Anzeige, von denen 2528 (1330) auf die Provinz Schlesien, 233
(112) auf den übrigen Staat entfielen.
Todesfälle. Am 14. v. M. ist der Geh. Ober-Med.-Rat Dr. Krieger
in Straßbarg L Eis. im Alter von 70 Jahren verstorben. Er ist viele Jahre
hindurch technischer Leiter des Elsaß-Lothringischen Medizinalwesens gewesen
und hat sich als solcher nm dessen Entwicklung große Verdienste erworben,
die ihm ein bleibendes Andenken, insbesondere bei seinen Berufsgennossea,
sichern.
Am 20. v. M. ist das langjährige Mitglied des preuß. Abgeordneten¬
hauses, San.-Rat Dr. Martens in Burg (Dithmarschen) verstorben. In ihm
haben die Medizinalbeamten einen ebenso warmen wie geschickten und
energischen Vertreter ihrer Interessen im Landtage verloren; sein Andenken
wird daher von ihnen stets in hohen Ehren gehalten werden!
Verantwort!. Redakteur: Dr. Rap mund, Reg.- u. Geh. Med.-Rat in Minden i. W.
J. 0. C. Bruns. HsrsogL Siebs u. F. 8*h.-L. Hofbuch druck««! ln Minden.
18. Jahrg.
1905.
Zeitschrift
fttr
MEDIZINALBEAMTE.
Keitrilblitt für gerichtliche Medizin ud Psychiatrie,
Hr ärztliche Sachrerstandigentätigkeit in Unfall- and loraliditatssaebei, sowie
lir IjgicM, efeitL Siutitswtteo, Mediziial - Gesetzgebung ud Rechtsprechung.
Herausgegeben
toh
Dr. OTTO RAPMÜND,
Be^leraoft- and Geh. Medizinalrat in Minden«
Verlag von Fischers mediz. Buchhandlg, H. Kornfeld,
HarsogL Bayer. Hof* tl EnhexsogL Kammer-Baehatodler.
Berlin W. 35, Lützowstr. 10.
Inserate nehmen die Terlngshandlnng sowie alle Annonoen - Expeditionen dee In-
nnd Auslandes entgegen.
Nr. 14.
Eriehelnt am 1. and 15. Jeden Monat«.
15. Juli.
Tod durch Elektrizität.
Von Dr. Berg, Gerichtsarzt in Essen.
Seit der erschöpfenden Abhandlung Kratters über den Tod
durch Elektrizität 1 ) haben sich die Einzelbeobachtnngen zwar
vermehrt, aber etwas grundsätzlich neues ist nicht zutage geför¬
dert worden. Insbesondere ist die Frage, unter welchen Umständen
Ströme gleicher Spannung bei annähernd denselben Leitungs¬
widerständen das eine Mal tötlich wirken und das andere Mal
nicht, durchaus noch ungeklärt. Unter diesen Umständen ist es
nit Dank za begrüssen, dass die Deutsche Gesellschaft für gericht¬
liehe Medizin als ersten Verhandlungsgegenstand auf die Tages¬
ordnung ihrer ersten Tagung dieses Thema gesetzt hat.
Nicht bloss, nm die Kasuistik zu mehren, sondern auch nm
einige theoretische und sanitätspolizeiliche Bemerkungen daran
zu knüpfen, will ich einen recht auffälligen Todesfall infolge
elektrischer Stromberührnng, den ich kürzlich gerichtsärztlich zu
begutachten hatte, hier knrz darlegen:
Ein benachbartes Eisenwerk, das mit elektrischer Kraft betrieben wird,
erhält Drehstrom von 500 Volt Spannung von außerhalb durch eine Draht*
leitnng zugeführt. Die Drähte sind durch Isolatoren auf einen eisernen
Träger befestigt, der an der Außenwand des Fabrikgebäudes in das Mauer*
werk eingelassen ist. Dieser Träger ist infolge der Porzellan • Isolatoren für
gewöhnlich natürlich stromlos. Um aber bei Bruch eines Isolators den Ucber-
tritt des Stromes in das Mauerwerk zu hindern, ist der Träger mit einer Draht¬
leitung versehen, die an der Mauer abwärts in einen mit Wasser gefüllten
und mit einer eisernen Platte abgedeckten Erdschacht führt.
An einem regnerischen Tage, den 4. Mai d. J., machte sich der 16 jährige
*) Eine forensisch - medizinische Studie. Leipzig nnd Wien; 1896.
442
Dr. Berg.
Arbeitsbarsche H. wie schon öfters das Vergnügen, „sich za elektrisieren*.
Er sagte za einem anderen Lehrling, er solle einmal an den Draht anfassen.
Um ihm Mat za machen, berührte er selber den Erdleitangsdraht erst mit den
Fingerspitzen der rechten Hand, dann mit der ganzen rechten Hand, ließ jedoch
den Draht wieder los, ohne etwas za sagen. Darauf faßte er nochmals za,
rief sofort aa! au! and fiel mit der linken Schulter gegen die Mauer, wobei
er den Draht krampfhaft festhielt. Ein gerade vorübergehender Schlosser lief
in das Fabrikgebäude and schaltete den dem Draht benachbarten Motor aas
in der Annahme, daß dieser mit dem Draht in Verbindung stände, woraof H.
den Draht losließ und sofort zar Erde fiel. Inzwischen hinzugeeilte Minner
fanden ihn bewaßtlos, aber noch schwach atmend. Wiederbelebangsversache
hielten den Tod nicht aaf. Ein Arzt wurde nicht gerufen.
Die gerichtliche Leichenöffnung fand am 11. Mai d. J. statt. An
der Haut der noch gat erhaltenen Leiche waren nirgends Veränderungen zu
entdecken, aach an den Handflächen und Faßsohlen nicht. Das Gesicht war
blaß, das Gehirn blutarm und nicht ödematös, ebensowenig die Hirnhäute.
Im Längsblatleiter 2, in den qaeren je 3 ccm flüssiges Blat. Herz 11: 10 : 4
cm groß, schlaff. Kranzadern nur hinten prall gefüllt. Vorn auf der Mitte
der linken Kammerwand eine Gruppe mohnkorngroßer subepikardialer Petechien.
In beiden Vorkammern 5 and 2 ccm locker geronnenes Blat; beide Kammern
leer. Aas den großen Gefäßen entleerten sich noch 50 ccm flüssiges and ge¬
ronnenes Blat. Herzfleisch hellhraanrot, trübe, weich. Beide Langen mit
alten pleuritischen Verwachsungen, schwer, derb elastisch, Oberfläche dankel¬
blaurot, Schnittfläche dankelkirschrot, glatt, spiegelnd eben, mäßiges fein-
sch&umiges Oedem. Trachealschleimhant bis hinab zar Mitte mit Mageninhalt
überzogen (Wiederbelebungsversuche!). Magen prall gefüllt mit 1000 ccm
festbreiigen Inhalts. Baachorgane nicht sonderlich blatreich.
Der Befand ist recht wenig bezeichnend nnd nicht gut anders
denn als Erstickung za deuten. K r a 11 e r fährt ganz allgemein die
Todesfälle durch Stromberührung auf eine innere Erstickung infolge
primärer Lähmung des Atmungszentrums zurück und vergleicht
damit den Tod durch Morfinwirkung. Ein Vorkommen von Herz-
schok, d. h. reflektorischem primärem Herzstillstand hat er nicht
beobachtet, hält aber Tod in Schok und auch durch Hirndruck¬
steigerung infolge von Blutungen für möglich. In Kratters
Tierversuchen trat zuerst Atmungslähmung ein, während das
Herz noch fortschlug.
Briaud kommt in einer älteren Abhandlung 1 ) gleichfalls
zu der Annahme, dass der Strom durch bulbäre Asphyxie tötet
Die neueren Tierversuche sind nicht eindeutig. Cunningham
stellte fibrilläre Herzkontraktionen, aber nicht Herzlähmung fest;
er erklärt den Tod durch Anämie des Zentralnervensystems;
Prövost und Battelli durch Vaguslähmung; Conradi durch
Schädigung der Nervenzellen im Gehirn.*)
Die bisher veröffentlichten Obduktionsbefunde kommen darin
überein, dass sie wenig charakteristisch sind. Hautverbrennungen
werden meist erwähnt, fehlten in unserm Falle ganz. Ihre Aus¬
breitung ist ziemlich gleichgültig; bei leichten Verbrennungen
kann der Tod eintreten, bei schwereren keine weitere Schädigung
sich zeigen. Der Befund an den inneren Organen gestattet kaum
die Diagnose der Todesursache.
’) La mort et les accidents causes par les coarants Slectriqaes de haute
tension; Lyon 1892.
*) Siehe Litteratarangaben bei Jessen: Zar Kenntnis der St&rkstrom-
verletzangen. Münchener mediz. Wochenschrift; 1902, S. 182.
Tod durch Elektrizität.
448
Bei den mit dem Leben davongekommenen waren die Folgen
sehr verschiedenartig: Völlige Genesung nach Durchströmung von
4500 Volt erzählt d’ A r s on v a 1 l ), fortschreitende Gehirnerkrankung
naeh 500 Volt Eulenburg 9 ), Hysterie nach Berührung mit
gerissenem Strassenbahndraht Ho che 8 ); auch Augenschädigungen
sind mehrfach beschrieben.
Therapeutisch sei auch hier auf die Wichtigkeit der künst¬
lichen Atmung hingewiesen. d’Arsonval gelang es sogar, durch
diese einen von 4500 Voltstrom getroffenen, stundenlang bewusst¬
losen Menschen zu retten. Auch in dem vorliegenden Falle, davon
bin ich überzeugt, hätte ärztlich angestellte künstliche Atmung
das Leben erhalten können.
Es mögen zu diesem Fall einige epikritische Bemerkungen
angefügt werden. Wie die Leichenöffnung zweifellos ergab, war
der Gestorbene ein junger, gesunder, kräftiger Mensch. Von dem
tötenden Strom kann man sich keine auch nur annähernd sichere
Vorstellung machen. Dir Erdleitung mit dem Träger der isolierten
Drähte wurde von Sachverständigen sofort nach dem Unglücks¬
falle und auch später bei den gerichtlichen Ermittelungen mit
dem Galvanoskop geprüft und stromlos gefunden. Der über den
Vorfall vernommene Gewerbeinspektor gab sein Gutachten dahin
ab, dass es sich bei dem feuchten Wetter um einen sog. vaga-
bondierenden Strom in dem berührten Draht gehandelt haben muss.
So mystisch dem Nichtfachmann auch diese Annahme erscheinen
mag, so wird man sie in Ermangelung einer anderen Erklärung
annehmen müssen; denn nur durch solchen plötzlich auftretenden
and wieder verschwindenden Strom — die Ausschaltung des be¬
nachbarten Motors ist wohl ohne Einfluss auf das Verschwinden
des Stromes gewesen — wird die Tatsache erklärt, dass der Draht .
sonst stromlos ist, ja noch wenige Sekunden vorher ohne Schaden
von dem Verunglückten angefasst werden konnte.
Wie stark solch ein vagabondierender Strom, der sich von
einem 500 Volt-Drehstrom abzweigt, sein kann, darüber habe ich
nichts erfahren können. Sicher ist nur, dass er mehrere Minuten
den Körper des H. durchströmt hat, und dass durch das feuchte
Wetter, die durchnässte Kleidung, die nassen Nagelschuhe des auf
der eisernen Deckplatte Stehenden ein ungewöhnlich geringer
Leitangs widerstand dargeboten worden ist.
Mag auch gern zugegeben werden, dass ein solches Zu¬
sammentreffen ungünstiger Umstände sehr selten ist, so wird doch
*n erwägen sein, ob solche Erdleitungen nicht besser mit einer
isolierenden Hülle umkleidet werden. Aus dem Gutachten des
Gewerbeinspektors ersehe ich, dass eine solche Schutzvorrichtung
weder vorgeschrieben, noch üblich ist.
Dass auch Techniker selbst leicht einer unachtsamen Be¬
rührung zum Opfer fallen können, beweist eine weitere gerichtliche
') Compt. rendus; 1894, 20. Mai.
! ) Naturforscher • Versammlung. Hamburg 1901.
*) Deutsche mediz. Wochenschr.: 1899 S. 19, sowie AerztL Sachverst.-
Ztg.; 1901, 8. 18.
444 B. Grünzweig u. A. Pacbonski: Untersuchungen über die Empfindlichkeit
Obduktion, die ich am 7. Juni d. J. an der Leiche eines am
5. gestorbenen Monteurs zu verrichten hatte. Dieser war in einem
schmalen Gang mit dem rechten Vorderarm an einen Transformator
mit 5000 Volt geraten und war sofort mit einem Schmerzruf hin-
gestürzt. Seine Mitarbeiter hielten ihn sogleich für tot, der hinzn-
gerufene Arzt bestätigte das Ableben. Als bemerkenswert hebe
ich aus dem Protokoll hervor, dass am rechten Arm eine 5:2 cm
grosse braunrote, harte Hautstelle die Hautverbrennung anzeigte.
Das Gehirn mit seinen Häuten war auffällig blutarm, die Pia an
der Konvexität stark ödematös, das Herz leer und schlaff, die
Lungen schwer, luftleer, die Schnittfläche schwarzrot, geleeartig
glatt, auf Druck reichlich dunkles Blut entleerend, das Gewebe
von solcher Konsistenz, dass der Finger Löcher einstossen konnte.
Da eine derartige Splenisation am häufigsten als Folge einer Herz¬
erlahmung angetroffen wird (hypostatisches, blutiges Lungenödem),
so wird man hier eher einen Herztod als eine Erstickung im Sinne
Kratters annehmen müssen.
Beachtenswert ist auch in diesem Fall, dass der getötete
Monteur sich nicht im eigentlichen Stromkreis, sondern im Neben¬
schluss befunden hatte, und ferner, dass auch hier keine Schatz¬
vorrichtung vorhanden war. Die Technik wird m. E. nicht am*
hin können, auf solche Unglücksfälle Rücksicht zu nehmen und
für sichere Isolierung aller Teile mit hochgespannten Strömen zu
sorgen.
Untersuchungen Uber die Empfindlichkeit einiger chemischer
Kohienoxydnachweismethoden im Blute.
Aus dem gerichtlich - medizinischen Institute der k. k. Jag.-Univ.
in Krakau (Vorstand: Prof. Dr. Wachholz).
Von B. GrOnzweig und A. Pacbonski, stad. med.
Häufige Fälle von akut verlaufender Kohlenoxydvergiftong
rufen oft viel zu geringe anatomische Veränderungen hervor, als
dass man auf Grund dieser Veränderungen schon aus dem Sek¬
tionsbefund diese Vergiftung konstatieren könnte. Wie allgemein
bekannt, ist ausser der hellroten Farbe des Blutes, der Toten¬
flecke und der inneren Organe der Sektionsbefund im übrigen
negativ. Es wäre demnach verfehlt, die Diagnose auf diese Merk¬
male allein zu stützen, weil auch andere Vergiftungen sowie Kälte
dieselben Merkmale erzeugen. Man könnte also irrtümlich anf
Tod durch Erfrieren erkennen, während der betreffende Mensch
durch Vergiftung umgekommen war; namentlich im Winter ist
ein solcher Irrtum möglich, da sich hier die Fälle von Kohlenoxyd¬
vergiftung häufiger ereignen. In allen Fällen, in denen der
Sektionsbefund das oben beschriebene Bild darbietet und den
Verdacht auf CO-Vergiftung erregt, soll man deshalb zur Blnt-
untersuchung schreiten; denn diese allein kann unsere Zweifel
beseitigen und unsere Mutmassungen bestätigen.
Die allgemein gebrauchten Methoden zum Nachweis des
Kohlenoxyds im Blute beruhen auf der Spektralprobe oder anf dem
einiger chemischer Kohlenoxydnachweismethoden im Blute. 445
Farbenverhalten des Niederschlages, welchen man im Blnt durch
Zusatz von Ei weise fällenden Chemikalien erziehlt; letztere nennt
man chemische Proben. Solche Proben gibt es viele, aber nicht
alle eignen sich im gleichen Maasse zn praktischen Zwecken und
zwar aus dem Grunde, weil wir bei der Untersuchung, die
sich auf dem Vergleiche der Färbung der Niederschläge stützen
soll, gezwungen sind, ein zweites kohlenoxydfreies Blut zu be¬
nutzen, das wir vom Tiere oder von anderen Leichen er¬
langen können. Der Vergleich verschiedenartigen Blutes kann
niemals verlässlich sein, denn, da bei einem kleinen CO-Gehalt
im Blute der Unterschied in den Farben der Niederschläge schon
an und für sich gering ist, so haben wir — wenn wir zum Ver¬
gleiche fremdes Blnt benutzen, sei es das Blnt eines nach langem
Siechtum gestorbenen Menschen oder eines Tieres — schon gar
keinen Anhaltspunkt hierfür, wieviel wir von dem Unterschiede
in der Farbe der Niederschläge auf Kosten der von Natur aus
verschiedenen Farbe dieses anderweitigen Blutes setzen sollen.
Li man wollte diese Ungenauigkeit dadurch vermeiden, dass
er das zu prüfende Blut mit einem entsprechenden Volumen von
Wasser verdünnte, mit Luft es stundenlang schüttelte, um es von
Kohlenoxyd zu befreien und auf diese Weise zum Vergleiche zwei
Arten von Blut eines und desselben Menschen zu erlangen, das
eine mit, das andere ohne Kohlenoxyd. Dieses Verfahren erweist
sich aber insofern nicht vollkommen erfolgreich, als das CO mit
dem Hämoglobin in einer so innigen Verbindung steht, dass es
angeachtet einer grossen Verdünnung und eines langen Schütteins
immer noch teilweise im Blnte zurückbleibt. Erst weitere Unter¬
suchungen über das Verhalten des CO zu den Hämoglobinderi-
raten, welche ergaben, dass das CO mit dem Methämoglobin nur
in einer losen, mechanischen Verbindung steht, brachten Wach-
holz und Sieradzki auf den Gedanken, sich der Umwandlung
des Hämoglobins im zu untersuchenden Blute in Methämoglobin
behufs leichterer Befreiung einer (Vergleichs-) Blutportion vom CO
zu bedienen. Die von ihnen vorgeschlagene Methode beseitigt
die früheren Mängel auf ganz einfache Weise; denn durch Hinzu¬
tun von Ferricyankalinm verwandelt sich das CO-Hämoglobin in
Methämoglobin und CO, welches mit dem letzteren nur in einem
losen, mechanischen Zusammenhänge steht, und somit durch ein
10—15 minutenlanges Schütteln mit Luft leicht vollständig ent¬
fernt werden kann. Auf diese Weise können wir einen Teil des
Blutes vom CO-vergifteten Menschen zu Vergleichszwecken von
dem eventuell vorhandenen CO befreien. Dieses Verfahren haben
die beiden genannten Forscher mit der Methode Kunkel-Schulze
verbanden und als eine Modifikation der sog. Tanninprobe
veröffentlicht.
Die positiven Resultate, die mit dieser Methode erzielt
wurden, brachten den Gedanken auf, ob sich nicht auch bei an¬
deren CO-Nachweismethoden die Umwandlung des Hämoglobins in
Methämoglobin erzielen liesse. Auf Anregung von Prof. Wachholz
unternahmen wir entsprechende Versuche. Diese Versuche haben
446 B. Grünzweig u. A. P&chonski: Untersuchungen über die Empfindlichkeit
wir mit den Proben von Eatayama, Salkowski und Hoppe-
Seyler ausgeführt, indem wir gleichzeitig ihre Empfindlichkeit
mit der Tanninprobe verglichen. Ferner versuchten wir das
Tannin durch andere Beagentien zu ersetzen, die das Eiweiss
fällen, bis jetzt aber nicht angewendet worden sind, nämlich
durch Formaldehyd, Aceton und durch Erwärmen.
Zu unseren Untersuchungen benutzten wir CO-Blut, welches
wir auf folgende Art bereiteten: ein gewisses Volumen defibri-
nierten Blutes sättigten wir mit CO so lange, bis wir im Spek¬
troskop ganz scharf begrenzte Absorptionsstreifen des COHbs er¬
hielten, welche trotz Zusatz von Schwefelammonium im Ueber-
schuss keine Veränderung zeigten. Dieses Blut enthielt somit
kein Oxyhämoglobin, sondern nur CO-Hb. Aus diesem Blute,
welches also 100 °/ 0 CO Hb enthielt, bereiteten wir durch ent¬
sprechendes Mischen mit CO freiem Blute Blutmischungen, die
10°/ 0 , 5°/o und 1 °/ 0 CO Hb enthielten.
Die spektroskopische Untersuchung erlaubte die Anwesenheit
von CO nur in Blutmischungen von höherem CO Hb-Gehalte als
25 °/q festzustellen. Darans folgt, dass die Spektralprobe sich
nur in jenen Fällen eignet, in denen sich grössere Mengen CO
im Blute vorfinden. In den Fällen, in welchen der Sektionsbe¬
fund infolge von geringem Kohlenoxydgehalt im Blute negativ ist
und trotzdem der Verdacht auf CO-Vergiftung besteht, kann also
das Spektralverfahren nicht entscheiden, da ungeachtet der statt¬
gehabten Vergiftung durch CO, der kleine Gehalt desselben im
Blute nicht mehr erbracht werden kann.
Viel verlässlicher sind in dieser Hinsicht die chemischen
Proben. Nun kombinierten wir die älteren Methoden mit dem be¬
reits schon erwähnten Verfahren von Wachholz und Sieradzki.
Die Essig-Probe von Eatayama führten wir folgender-
massen aus:
In zwei Reagenzgläsern oder Fläschchen bereiteten wir eine Mischung
von jo 5 Tropfen 100 °/ 0 CO Hb enthaltenden Blntes, 10 ccm Wasser und
10 Tropfen einer 10°/ o igcn Ferricyankaliumlösung. Indem jetzt der Inhalt
eines der Fläschchen event. Reagenzgläser kräftig mit Lnft durch 10—16 Mi¬
nuten geschüttelt wurde, setzten wir beiden Mischungen je 2 Tropfen Schwefel*
ammonium und je 10 Tropfen Essigsäure zu. — Nach Zusatz von Essigsäure
entstanden in beiden Blutproben Niederschläge, welche einen deutlichen Farben¬
unterschied wahrnehmen ließen. Der Niederschlag des mit Luft geschüttelten
Blutes wies eine olivenbraune, des anderen eine schön ziegelrote Farbe auf.
Daraus folgt also, dass die von Wachholz-Sieradzki
zur Vertreibung des Kohlenoxyds aus dem Blute angegebene
Methode, die bis jetzt nur in der Tanninprobe Anwendung fand,
sich auch in der Probe Eatayamas und, wie wir das weiter
unten beweisen werden, auch in anderen Proben als bewährt er¬
wiesen hat.
Indem wir auf die oben angeführte Weise das Blut, welches
10°/ o , 5 °/ 0 und 1 °/ 0 CO Hb enthielt, untersuchten, konstatierten
wir, dass je ärmer das Blut an CO Hb ist, desto schwächer der
Farbenunterschied ausfällt, und desto schneller die rote Farbe
verschwindet, so zwar, dass bei 10 °/o COHb-Gehalt das geschüttelte
einiger chemischer Kohlenoxydnachweismethoden im Blnte.
447
Bint einen braunen, das nicht geschüttelte einen helleren, mit einer
deutlich roten Schattierung versehenen Niederschlag liefert; der
anfangs sehr deutliche Unterschied schwindet nach Ablanf von
einer Stunde. Bei 5°/ 0 CO Hb-Gehalt sind die Niederschlftge
Ähnlich gefärbt, wie bei 10 °/ 0 ; der Unterschied ist deutlich, ver¬
wischt sich aber schnell. Das 1 °/ 0 CO Hb haltige Blut zeigt nur
einen minimalen, jedoch immer noch bemerkbaren Unterschied.
Das geschüttelte Blut gibt nämlich einen grauen, das nngeschftttelte
einen rötlichgrauen Niederschlag.
Das Befreien des Blutes von Kohlenoxyd durch Umwandlung
des Hämoglobins in Methämoglobin erwies sich auch bei der
SehwefelwaBserstoffprobe von Salkowski erfolgreich.
Die Probe Hoppe-Seylers beruht, wie bekannt, auf der
Anwendung der Natronlauge, welche das Hämoglobin in alkalisches
Hämatin umwandelt; während unterdessen Hämoglobin dieser Um¬
wandlung gleich nach Zusatz von Na OH unterliegt, ist Kohlen-
oxydhämoglobin gegen die Einwirkung der Natronlauge viel wider¬
standsfähiger und bewahrt infolgedessen durch längere Zeit seine
hellrote Farbe. Erst wenn eine vollständige Umwandlung in al¬
kalisches Hämatin stattfindet (ungefähr nach 3 Stunden), ähnelt
die Farbe dieser Lösung jener des alkalischen Hämatins, welches
ans dem CO-freien Blute gewonnen wird. Diesen Farbenunter-
sehied kann man also nur während dieser kurzen Zeit beobachten.
Wenn wir aber bei diesem Verfahren neben Na OH auch Schwefel-
ammonium an wenden und auf diese Weise das Hämoglobin in
Himochromogen umwandeln, so bleibt der Farbenunterschied
dauernd bestehen, da das Hämochromogen mit CO eine ähnliche
Kohlenoxydhämochromogen genannte Verbindung eingeht, welcher
jedoch eine hellrote Farbe und ein eigen charakteristisches Spek-
tom zukommt. Dies erzielten wir durch folgendes Verfahren:
Je 2 ccm CO haltiges Blut wurden mit 8 ccm Wasser verdünnt und
dieser Lösung 20 Tropfen Ferricyankaliom hinzugefügt. Die Austreibung des
Kohlenoxyds aus einem der Probegläser führten wir auf die oben beschriebene
Weise aus, worauf wir beiden Lösungen je 5 Tropfen Schwefelammonium
ud je 2 ccm Natronlauge zusetzten. Der Farbenunterschied des geschüt¬
telten und ungeschüttelten Blutes, welcher sich schon vor dem Hinzutun der
Natronlauge bemerkbar machte, trat nach Zusatz derselben noch deutlicher
hervor: Das CO haltige Blut war 4 kirschrot-, das CO freie braungefärbt.
Die Tanninprobe wurde nach Wachholz-Sieradzki aus-
geführt, wobei wir die jetzt erhaltenen Resultate mit den, welche
uns die früher erwähnten Methoden lieferten, verglichen.
Unsere weiteren Experimente beruhten auf Anwendung des
Formaldehyds als fällendes Mittel. Indem das ganze bei der
Ausführung der Tanninprobe benutzte Verfahren aufrecht erhalten
blieb, gebrauchten wir an Stelle des Tannins Formalin. Anfangs
benutzten wir zu diesem Zwecke eine 40°/o Formalinlösung,
da diese aber zu stark reduzierend wirkte, kamen weiter zur
Anwendung 20 # /o, 10 °/ 0 , dann 2 °/ 0 und 1 °/ 0 Lösungen, wobei
mit den letzgenannten (2 °/ 0 und 1 °/ 0 ) die deutlichsten Farben¬
unterschiede erzielt wurden. Hier muss noch bemerkt werden,
dass das Verhalten des Blutes nach Hinzutun von Formaldehyd
448 B. Grttnzweig u. A. Pachonski: Kohlenoxydnachweismethoden im Blute.
ein verschiedenes ist, als bei Anwendung anderer zu demselben
Zwecke benutzten Reagentien. Es stellte sich nämlich heraus,
dass sowohl mit Luft geschütteltes, wie un geschütteltes Blut eine
rote, geschütteltes, also CO freies sogar eine hellere Farbe behält,
während unterdessen bei Anwendung aller anderen Reagentien die
rote Farbe und bei geringem CO-Gehalt die hellere Farbe nur
für CO-haltiges Blut charakteristisch ist. Erst nach Ablauf von
ungefähr 5 Minuten erfolgt eine Aenderung der Verfärbung; das
Blut, welches seines CO-Gehaltes beraubt wurde, erhält eine
chokoladenbraune, das CO haltige Blut eine rote Färbung.
Bei Ausführung dieser Formaldehydprobe mit 10°/o CO Hb hal¬
tigem Blute vermissten wir den roten Stich in dem entstehendem
Niederschlage; derselbe war nur in der CO haltigen Blutportion
heller braun gefärbt, als in der CO freien, und auch dieser Unter¬
schied schwand gänzlich nach Ablauf von ungefähr einer Stunde.
— Bei dem Gehalt von 1 °/ 0 CO Hb im Blute blieb eine Ein¬
wirkung des Formaldehyds ganz aus.
Da wir uns überzeugt hatten, dass schwächere Lösungen
von Formaldehyd besser als stärkere wirken, trachteten wir, die
reduzierende Kraft desselben abzuschwächen, wobei jedoch die
Fähigkeit zum Fällen von Eiweiss beibehalten werden sollte. Zu
diesem Zwecke kombinierten wir Formaldehyd mit Aceton, von
welchem wir je 5 Tropfen auf 10 ccm Formaldehydlösung be¬
nutzten. Ungeachtet dessen war das Endresultat sowohl hier, als
bei Benutzung des Acetons allein nicht befriedigend.
Tourdes und Mötzquer behaupten in ihrem Werke:
Traitö de Mödicine lögale (Paris 1896, S. 648), dass stark er¬
wärmtes, arterielles, jedoch CO-freies Blut dunkler wird, während
CO-haltiges Blut seine hellrote Farbe behält. Wir versuchten also
bei der Methode Wachholz und Sieradski das Kochen als ein
zum Fällen des Eiweisses geeignetes Verfahren anzuwenden; der
Erfolg war jedoch nicht besonders günstig. Es entstanden zwar
olivenbraune Koagulationsmassen in dem CO-freien Blute und rost¬
braune in dem CO-haltigen, aber der Unterschied zwischen ihnen
war so gering, dass man daraus gar keine Schlüsse ziehen konnte,
besonders wenn der Gehalt an CO-Hb geringer als 100 •/» war.
Wenn wir zum Schluss die Empfindlichkeit all dieser Proben
unter einander vergleichen, kommen wir zu dem Resultate, dass
zum Nachweise von CO, welches den ganzen Hämoglobingehalt
sättigt, eine jede der oben genannten Methoden sich eignet, da
sogar die weniger empfindlichen genügende Unterschiede bieten. —-
Bei dem Gehalt von 10 % CO-Hb treten auffallende Unterschiede
nur bei der Essig-, Tannin- und Formaldehydprobe hervor, während
Natronlauge, Aceton und Kochen durchweg negative Resultate
liefern. — Bei 5 % und 1 % CO-Hb erwies sich nur die Tannin-
und Esgigprobe als noch verlässlich. Wenn man also bei dem
Blute, das wenig Kohlenoxyd enthält, positive Resultate erzielen
will, muss man bei der Untersuchung die zwei letzten Methoden
mit der Modifikation von Wachholz und Sieradzki anwenden.
Dr. Ollendorff: Zur forensischen Unterscheidung von Menschen- a. Tierblat. 449
Beitrag zur Technik des Marx-Ehr nroothschen Verfahrens
zur forensischen Unterscheidung von Menschen* und
Tierblut.
ÄQ8 der Unterrichtsanstalt für Staatsarzneikunde zu Berlin
(Direktor: Prof. Dr. F. Strassmann).
Ton Dr. Kurt Ollendorff, Assistent a. d. Maison de Santä za Schöneberg-Berlin.
In Nr. 7 and 16 der Mfinchener medizinischen Wochenschrift
veröffentlichten Marx und Ehrnrooth 1904 „eine einfache Me¬
thode zur forensischen Unterscheidung von Menschen- und Säuge¬
tierblut“, welche die Verfasser als »Vor- und Hilfsprobe“ dem
biologischen Verfahren von Wassermann-Schütze und Uhlen-
huth, der Präzipitinprobe, zur Seite stellen. Das Verfahren
beruht, um es noch einmal kurz zu sagen, auf der von Landois
gemachten Entdeckung, dass das Blutserum einer Tierart imstande
ist, die roten Blutkörperchen einer anderen, nicht allzu nahe ver¬
wandten Tierart unter gleichzeitiger Auflösung zu agglutinieren,
dass homologe Sera dagegen diese Erscheinung nicht hervorrufen.
Am Schluss ihrer zweiten, oben erwähnten Mitteilung empfehlen
Marx und Ehrnrooth in einer Anmerkung eine Modifikation
der Technik für ältere und weniger konzentrierte Blutlösungen.
Während in den mitgeteilten Versuchen die Technik so ge-
handhabt wurde, dass eine möglichst konzentrierte Blutlösung auf
dem Objektträger mit einem kleinen Tropfen des eigenen Blutes
verrührt wurde, um dann mit einem Deckgläschen belegt zu
werden, ist die angegebene Modifikation folgendermassen:
Ein Tropfen der ebenfalls mit 0,6°/ o iger Kochsalzlösung hergestollten
Blutlösung wird auf den Objektträger, ein kleiner Tropfen des der eigenen
Fingerspitze entnommenen Blutes auf das Deckgläschen gebracht, dann beides
sufein&nder gedeckt. In den Bandpartien treten dann nach Angabe der Au¬
toren die Unterschiede der verschiedenen Blutarten am deutlichsten zu Tage.
Ausgehend von dieser Modifikation in der Technik des Ver¬
fahrens stellte ich Versuche an. Zu diesen benutzte ich in Sub¬
stanz getrocknetes Blut vom:
Menschen, das 1 Jahr 2 1 /, Mon. alt war Hammel, das 1 Jahr 2 Monat alt war
Affen, »1,2 „ „ „ Schweb, „ 2 „ 2 . „ „
Hund, „ 3 „ 4 1 /» „ , „ Ente, »3,4» » *
^*®d, » 2 „ 2 „ „ „
Bezüglich der Technik ist folgendes zu bemerken: Von
jeder der angegebenen Blutarten stellte ich mir mit 0,6°/ o iger
Kochsalzlösung eine Lösung her, die ich einen bis mehrere Tage
aasziehen liess, bis sie braunrote Färbung zeigte. Ich stellte
dann mit jeder der Lösungen der Reihe nach folgende Versuche an :
A. Objektträger-Deckglas-Methode.
1. Eb Tropfen der betr. Lösung kam auf den Objektträger. Ein kleiner
Tropfen des eigenen Blutes kam auf das Deckglas.
2. Ein Tropfen der betr. Lösung kam auf das Deckglas. Ein kleiner
Tropfen des eigenen Blutes kam auf den Objektträger.
B. Verrtthrmethode.
8. Eb Tropfen der betr. Lösung wurde auf dem Objektträger mit einem
kleben Tropfen des eigenen Blutes verrührt.
460 Dr. Ollendorff: Beitrag zur Technik des Marx - Ehrnroothschen Verfahren»
C. Zusatzmethode.
4. Ein Tropfen der hetr. Lösung wurde dem eigenen Blnte auf dem
Objektträger, der mit einem Deckglas belegt war, von dessen Bande ans
hinzugesetzt.
6. Einem auf dem Objektträger befindlichen und mit einem Deckglas
belegten Tropfen der betr. Lösung wurde von dessen Bande ans ein Tropfen
des eigenen Blutes hinzugesetzt.
Die Resultate, die ich mit den verschiedenen Blutlösungen
dabei erzielte, waren folgende:
I. Lösung von Mjenschenblut:
1. Versuch
A -.1
A
A -.
A -.1
A-.j
Objektträger-Deckglas-Methode.
V errührme thode.
Zusatzmethode.
Bei den Versuchen war teilweise Geldrollenlagerung, teil¬
weise polygonale Gestaltung der Erythrozyten zu beobachten.
Betrachtet man die Präparate sofort nach der Herstellung, so sieht
man — ausser bei Versuch 3 — zuerst die verschiedensten
Formen auftreten, bald löffelbiskuitartig, bald hantelförmig u. a. m.
Sobald sich jedoch der Blutstropfen mehr über die Fläche verteilt
hat, erhalten die roten Blutkörperchen ihre frühere Form wieder
und sind deutlich als nicht agglutiniert zu erkennen. Infolge der
weniger gedrängten Lage der Erythrozyten an der Peripherie
des Blutstropfens ist hier der Unterschied zwischen menschlichem
und tierischem Serum am deutlichsten zu erkennen. Man muss
also, um ein klares Bild zu gewinnen, besonders die Randpartien
und solche Stellen mustern, an denen nicht zu viele Erythrozyten
liegen, da man den Unterschied vom Tierblut, wie gesagt, bei
reicher Menge nicht gat erkennen kann und infolge des Klebe-
gehaltes des Serums hier die roten Blutkörperchen leicht mitein¬
ander verkleben können, so dass eine Verwechselung mit Agglu¬
tination nahe liegt. Das Ausbleiben der Hämolyse ist an allen
Stellen zu erkennen.
II.
Lösung v
1. Versuch
H —; A —
2. *
H —; A —
3. „
H —; A —
4. „
H —; A —
5. „
H —; A —
| Objektträger-Deckglas-Methode.
Verrührmethode.
}
Zus&tzmethode.
III. Lösung von Hundeblut.
! £ Objektträger-Deckglas-Methode.
; A —. Verrührmethode (80 Min. beobachtet),
j ^ Zusatzmethode.
Es ist zu bemerken, dass Versuch 3 — die Verrührmethode
— bis zu 30 Minuten beobachtet wurde; während die HämolyBe
aber bereits nach ungefähr 5—10 Minuten deutlich zu sehen war,
blieb die Agglutination bei dieser Verrührmethode noch nach 30 Min.
1.
2 .
3 .
4.
5.
Versuch
H
H
H
H
H
l ) Zeichenerklärung: H = Hämolyse, A = Agglutination, -|- = positiv,
— = negativ.
zur forensischen Unterscheidung von Menschen- und Tierblut. 451
tos, ▼Ährend sie sowohl bei der Objektträger-Deckglas-, als auch
bei der Zusatzmethode sogleich auftrat.
IV. Lösung von Binderblut:
1. Versuch
2 - ,
3- .
4 - ,
6. .
H
H
H
H
H
A
A
A
U:}
Objektträger-Deckglas-Methode.
Verrührmethode (30 Min. beobachtet).
Zusatzmethode.
Besonders der 5. Versuch ergab sehr deutliche Bilder.
V. Lösung von Hammelblut:
^ Objektträger-Deckglas-Methode.
A —. Verrfthrmethode (30 Min. beobachtet).
^ Zusatzmethode.
Alle diese Präparate zeigten die Agglutination in sehr aus¬
gesprochener Weise, während sie bei der Verrfthrmethode wiederum
«usblieb.
VI. Lösung von Schweineblut:
1.
2 .
3.
4.
5.
Versuch
H
H
H
H
H
1. Versuch
2 - b
3. »
4. .
ö. .
Auch bei der
H +
H --
H --
H --
H --
A
A
A —
it
methode keine Agglutination.
Objektträger-Deckglas-Methode.
, Verrührmethode (30 Min. beobachtet).
| Zusatzmethode.
Schweineblutlösung gab allein die Verrfthr-
VII. Lösung von Entenblut:
1. Versuch
2- .
3. *
4. 0
5 . -
H
H
H
H
H
Objektträger-Deckglas-Methode.
Verrührmethode (30 Min. beobachtet).
Zusatzmethode.
Dies waren die wiederholt und mit verschieden konzentrierten
Lösungen angestellten Versuche; die Erscheinung der Hämolyse
war besonders deutlich bei den Versuchen 5 zu beobachten. Bei
den Versuchen 3 — der Verrfthrmethode — war kein
einziges Mal Agglutination zu erkennen, während bei den
Versuchen 1 und 2, der Objektträger-Deckglas-Methode,
venn ich so sagen darf, sowie 4 und 5, der Zusatzmethode,
Agglutination in allen Versuchen sehr deutlich und schnell
zutage trat. Da nun aber konzentriertes Serum und auch Lösungen
davon bis zu einer gewissen Verdünnung auch bei der Verrühr-
methode deutlich die Erscheinung der Agglutination zeigen, so ist
wohl anzunehmen, dass sowohl die Objektträger-Deckglas-, als
auch die Zusatzmethode insofern mehr zu empfehlen sind, als sie
auch bei schwächeren Lösungen, bei denen die Leistungsfähigkeit
der Verrfthrmethode bereits überschritten ist, noch gestatten, eine
sichere Entscheidung zu treffen, ob Menschen- oder Tierblut
vorliegt.
Ueber die Grenzen der Leistungsfähigkeit der Verrfthrmethode
hei den verschiedenen Sera habe ich Versuche an gestellt, die ich
452 Dr. OLlendorff: Zar forensischen Unterscheidung von Menschen- u. Tierblat.
demnächst zu veröfientlichen mir noch Vorbehalte. Ich möchte
jedoch gleich hier noch eine Erfahrung mitteilen, die ich bei meinen
Versuchen inbezug auf die Konservierung der Sera gemacht
habe. Marz und Ehrnrooth sagten in ihrer zweiten von mir
anfangs erwähnten Mitteilung, dass über Chloroform aufbewahrtes
Serum bald seine Wirksamkeit verliert. Diese Erfahrung habe
ich auch gemacht; schon nach 2 Wochen waren die Sera — mit
einigen wenigen Ausnahmen — nicht mehr agglutinationsfähig.
Anders dagegen stand es mit Formalin; ich setzte dem frischen
Serum 4prozentiges oder lOprozentiges Formalm — nicht ab¬
gemessene Mengen, einige Kubikzentimeter — hinzu, es trat keine
Trübung, kein Niederschlag ein, und bisher, noch nach 8 Wochen,
erfolgt bei Behandlung mit meinem Blute Agglutination ebenso
deutlich wie bei demselben Serum, als es frisch war. Näheres
über meine diesbezüglichen Erfahrungen mitzuteilen, behalte ich
mir gleichfalls vor, ebenso über die Quantität, in der man das
Formalin hinzusetzen muss, um dem Serum seine Wirksamkeit
zu erhalten.
Um zu prüfen, ob es mir gelang, mit den beschriebenen
Methoden — der Objektträger-Deckglas- und der Zusatzmethode
— auch eine sichere Entscheidung zu fällen, ob es sich um Tier¬
oder Menschenblut handelte, stellte ich mir Lösungen der ver¬
schiedenen Blutsorten her, die ungefähr dieselbe Färbung anf-
wiesen, sodass makroskopisch an der Farbe der Lösungen Unter¬
schiede nicht zu erkennen waren. Ich untersuchte dann die Lö¬
sungen nach Behandlung mit meinem Blute mikroskopisch nach
den angegebenen Methoden, und es gelang mir — namentlich deut¬
lich beim Vergleich der verschiedenen Präparate — mit Bestimmt¬
heit die Präparate mit homologem Serum von denen mit hetero-
logem zu trennen. Durch vorher gemachte Markierungen an dem
Boden der Reagenzgläser, welche die Blutlösungen enthielten,
konnte ich meine mikroskopisch getroffenen Entscheidungen noch
kontrollieren.
Auf Grund dieser, wie bereits gesagt, zu wiederholten Malen
und mit verschieden konzentrierten Blutlösungen angestellten Ver¬
suche glaube ich, wohl sagen zu dürfen, dass sowohl die Objekt¬
träger-Deckglas-Methode als auch die Zusatzmethode bei älteren
und weniger konzentrierten Blutlösungen der Verrührmethode
überlegen und vorzuziehen sind. Zur Handhabung der Technik
ist noch folgendes hinzuzufügen: Bei den ersten derartigen Ver¬
suchen ist häufig dadurch die Entscheidung erschwert, dass man
zu grosse Tropfen des eigenen Blutes verwendet, ein Nachteil,
unter dem auch ich anfangs zu leiden hatte. In diesem Falle ist
es besser und empfehlenswert, eine Blutkörperchenaufschwemmung
des eigenen Blutes herzustellen, indem man zu seinem Blute 4 bis
5 mal so viel 0,6 prozentiger Kochsalzlösung hinzutut und diese
Aufschwemmung für die Versuche verwendet.
Dr. Richter: Künstliche Ernährung der Säuglinge.
453
Kurze Bemerkung zu dem Aufsatz von Scholz Ober die
künstliche Ernährung der Säuglinge.
Von Med.-Rat Dr. Richter in Remscheid.
Die Ausführungen von Scholz in Nr. 13 dieser Zeitschrift
sind durchaus zutreffend. Viele Aerzte — darunter auch ich —
haben seit langer Zeit in ihrer Praxis in gleichem Sinne gewirkt, ohne
dass diese Wirksamkeit zu einer Öffentlichen Erörterung gekommen
wäre. Es wird gar viel gedruckt, aber nicht immer das beste. Es
ist auch vielen Taktikern seit lange bekannt, dass die Frauenmilch
fettreicher ist, als Kuhmilch. Ich habe das vor vielen Jahren, soviel
ich mich besinne, schon in einem Aufsatze über die künstliche
Ernährung von Kindern mit Ziegenmilch in der Berliner klinischen
Wochenschrift ausgesprochen. Leider bin ich nicht mehr im Besitze
eines Separatabzuges, sodass es nicht unmittelbar von mir n&ch-
gewiesen werden kann. Der richtige Schluss, der aus der Tat¬
sache der verhältnismässigen Fettarmut der Kuhmilch für die Er¬
nährung von Säuglingen mit Kuhmilch zu ziehen wäre, dürfte
nun der sein, dass man der Kuhmilch etwas Fett, etwa in Gestalt
eines Bahmgemenges, zuzusetzen hätte. Das habe ich seit Jahren
getan und dabei namentlich rachitische Kinder sich rasch erholen
sehen. Ich werfe diese Anregung in die Debatte, da ich es für
dringend geboten halte, dass die Kinder-Ernährungsfrage einer
gründlichen Revision unterzogen wird. Was das Fett in der Ver¬
dauung leistet, ist denen bekannt, die bei Gallensteinen Fettknren
machen. Sollte es nicht möglich sein, dass es anch im Darm des
Kindes eine Rolle bei der Verdauung des Käses spielt, die noch
näher zu studieren sein möchte P Fettkäse verdauen sich bekannt¬
lich leichter als Mager-(Trocken-) Käse.
Kleinere RRftteilungen und Referate aus Zeitschriften.
A. Sachverständigentätigkeit in Unfall-und Invaliditäts¬
sachen.
Der Unterricht in der versicherungsrechtlichen Medizin. Von Prof.
Dr. Stolper, Kreisarzt in Güttingen. Aerztliche Sachverständigen-Zeitung;
1906, Nr. 7.
Die Versammlung des Vereins für Versicherungs-Wissenschaft vom
3.Oktober 1904 hat sich auf Anregung des Staatssekretärs Dr. Graf v. Posa-
dowsky mit der Frage beschäftigt, wie diese künftighin am besten gefördert
werden könne. Das Referat, betreffend Förderung der Versicherungs - Medizin,
erstattete Prof. Flor schütz-Gotha. Da dies unter fast ausschließlicher Be¬
tonung der Lebensversicherungs-Medizin geschah, so bringt Verfasser
eiae Ergänzung der Wünsche für die gesamte „versicherungsrechtliche Medizin“,
wie er dieselbe nannte. Nach seiner Auffassung hat der Staat das größte
Interesse an der Ausbildung seiner für die Durchführung der Arbeiter-Ver-
licherungsgesetze so wesentUch in Betracht kommenden Aerzte in allen Zweigen
der versicherungsrechtlichen Praxis, in erster Linie in bezug auf das Unfall-
znd Invaliden-Versicherungsgesetz. Leistet die Gesamtheit der Aerzte erst
hier Ideales, so wird sie auch den Anforderungen der privaten Unfall- und
auch der privaten Lebens-Versicherungs-Gesellschaften mehr als bisher ge¬
recht werden.
Dier Unterricht muß auf allen Universitäten, hier zweckmäßig von dem
Vertreter der gerichtlichen Medizin übernommen werden, wie Stolper dies
454
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
schon früher (Aerztl. Sachv.-Ztg. 1902) empfohlen hat. Doch auch auf Handels¬
hochschulen, technischen Hochschulen und Bergakademien wird in Zukunft eine
Vorlesung über die Praxis der Arbeiterversicherungagesetze und zwar durch
einen Mediziner eingeführt werden müssen. Eia solcher ist am ehesten in der
Lago durch Demonstration von überzeugenden Eällen den künftigen Ver-
waltungsbeamten der Berufsgenossenschaften, der Lands-Versicherungsanstalten
und Schiedsgerichte, sowie den künftigen Betriebsleitern die für die Unfall-
und Invalidenversicherungspraxis, aber auch die aus dem Krankenversicherungs¬
gesetz sich ergebenden Fragen zu vermitteln.
Also nicht blos auf Mediziner, sondern auch auf Studierende aller
Fakultäten soll sich dieser Unterricht in der versicherungsrechtlichen Medizin
erstrecken, wie ja auch die Juristen mit anerkanntem Nutzen gerichtliche
Medizin seit langer Zeit regelmäßig zu hören pflegen. Im einzelnen führt
Stolper aus, wie er sich im Rahmen der Universitäten diesen Unterricht
denkt, und gibt dem Wunsche Ausdruck, daß die Institute für gerichtliche
Medizin in Zukunft als „Institute für gerichtliche und versicherungsrechtliche
Medizin“ bezeichnet und ausgebaut werden mögen.
Die Uebertragung des Lehrauftrags für gerichtliche Medizin auf die
Kreisärzte in den kleineren Universitätsstädten (Greifswald, Marburg, Göttingen)
hält er für eine sehr glückliche Maßnahme. Für die Fortbildung in der Lebens¬
versicherungsmedizin dürften sich Kurse an den neuen Akademien für praktische
Medizin (Cöln, Düsseldorf), die Florschütz in Vorschlag bringt, sehr wohl
eignen. _ Autoreferat.
Zum Kapitel der Niohtbeeintrfichtigung der Erwerbsfähigkeit nach
dem Unfall-Versicherungsgesetz nicht unterliegenden Verletzungsfolgen.
Von Oberarzt Dr. N o n n e - Hamburg - Eppendorf. Aerztliche Sachverständigen-
Zeitung; 1905, Nr. 7.
Autor führt in Abbildungen 15 Verletzungen vor, in denen von vorn¬
herein keine „Begehrungs-Vorstellungen“ aufkommen konnten, da es sich bei
den Verletzungen entweder nicht um „Betriebsunfälle“ im Sinne des Gesetzes
oder um solche Unfälle handelte, die vor dem Inkrafttreten des Unfallver¬
sicherungsgesetzes die Personen erlitten hatten. Wenn nun Nonne auch
selbst sagt, daß die Bilder dem Arzte, der viel mit der Begutachtung der
Reste von Unfallschäden zu tun hat, nichts Neues sagen, daß sie nur die jetzt
allgemein anerkannte Tatsache bestätigen, daß das in reinster Absicht geschaffene
Uniallversicherungsgesetz zu Konsequenzen geführt hat, die die Urheber des
Gesetzes nicht ahnten und nicht ahnen konnten, so möchte Referent sie doch
jedem Kollegen auf das wärmste zum Vergleich mit Rentenbeziehern seiner
Erinnerung empfehlen. Dr. Troeger-Adelnau.
Erstickung durch Fremdkörper oder Kehlkopfverletzung 1 Betriebs¬
unfall 1 Von Dr. E. Becker, Kreisarzt in Hildesheim. Aerztl. Sachverst-
Zeitung; 1905, Nr. 10.
Ein Arbeiter fiel auf eine Schiebkarre und verletzte sich an der Nasen¬
wurzel und in der Gegend der Augenbrauen. Er arbeitete hierauf wieder kurze
Zeit, mußte dann aber wegen schlechten Befindens die Arbeit niederlegen. Anf
dem Wege zum Arzte traten Atembeschwerden auf, die sich so steigerten,
daß nach etwa 2 Stunden der Tod eintrat. — Bei der Sektion fand sich außer
allen charakteristischen Erscheinungen der Erstickung ein Stück Kautaback
von fast 4 cm Länge und 1 cm Durchmesser in der Fossa glosso - epiglottica,
wodurch der Tod ohne weiteres erklärt zu sein schien. Demgemäß lautete das
vorläufige Gutachten. Vom Rcichsversicherungsamt zu einem Obergutachten
aufgefordert, sah Becker die einschlägige Literatur durch. Hier fand er,
daß in seltenen Fällen Kehlkopfverletzungen auch entstehen können, ohne daß
die einwirkende Kraft die vordere Halsgegend direkt trifft. Beim starken
Zurückbiegen des Kopfes wird nämlich der Kehlkopf der Wirbelsäule genähert
und stark gegen sie gedrängt. Da nun normalerweise die hintere Kehlkopf¬
wand und die Grube zwischen Zunge und Kehldeckel von einem sehr eng¬
maschigen und blutreichen Netze von Blutgefäßen versorgt wird, welche in
ein außerordentlich lockeres und dehnbares Bindegewebe eingelagert sind, so
ist es bei Brüchigkeit der Blutgefäße im Greisenalter (es war ein älterer Mann
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
455
gewesen), einigermaßen verständlich, daß Qefäßverletznngen auch schon hei
weniger starker Gewalteinwirknng (hier vermutlich Fall auf den Kopf mit
stark rückwärts geneigter Halswirbelsäole, wodurch der Kehlkopf gegen letztere
gepreßt wird) zustande kommen können. Becker gab daher nachträglich die
Möglichkeit zu, daß die gefundenen Weichteilschwellungen mit hinzugetretenen
Blutergüssen bei dem Verstorbenen infolge des fraglichen Sturzes den Ver¬
schluß des Kehlkopfeinganges bewirkt haben. Dr. Troeger-Adelnau.
Ueber renalpalpatorische Albuminurie und ihre Bedeutung für die
Diagnose von Dystopien sowie von Tumoren Im Abdomen. Von Prof.
J. Schreiber in Königsberg. Zeitschrift für klin. Medizin; 1904, Bd. 65.
Die Untersuchungen Schreibers haben für die Gutachtertätigkeit ein
besonderes Interesse.
Bei manuellen Druck auf die Niere, z. B. hei Untersuchung von Nephrop¬
tosen, tritt vorübergehend Eiweisausscheidung auf (renalpalpatorische Albu¬
minurie). Es genügt schon die Kompression des Nierenpols, um diese Erschei¬
nung auszulösen. Tritt demnach bei der Palpation zweifelhafter Tumoren Al¬
buminurie auf, so ist damit ein wichtiger Anhaltspunkt für einen Zusammen¬
hang mit der Niere gewonnen. Anderseits muß man sich zur Vermeidung
falscher Diagnosen (Nephritis) das Phänomen der Eiweisausscheidung nach
Palpation der Niere stets vor Augen halten.
Die Albuminurie nach manueller Kompression der Niere ist ca. 10 Mi¬
nuten bis 2 Stunden nach Auslösung der Erscheinung zu finden. Mikroskopisch
enthält der Urin zahlreiche epitheliale Elemente, häufig rote und weiße Blut¬
körper, dagegen keine Epithel-, Blut- oder granulierte Zylinder. Hierdurch
sowie durch die Flüchtigkeit der Erscheinung unterscheidet sich die palpa-
torische Albuminurie von der wahren Albuminurie.
Die Entstehungsweise der Eiweißausscheidung ist nicht ganz klar. In
Betracht kommen: Uebergang von Serum in den Urin infolge des ausgeübten
Druckes, Expression von Lymphe, Gewebsläsionen, Blutdruckveränderungen.
Vielleicht wirken auch mehrere dieser Ursachen zusammen.
Dr. Doh rn-Cassel.
Trauma und Diabetes melitus und Glykosurie. Von Prof. Dr. K a us ch.
Aus der König!. Chirurg. Klinik in Breslau. Zeitschrift für klinische Medizin;
1904, Bd. 55.
Der Zusammenhang zwischen Trauma und Diabetes wird zwar sehr häufig
augegeben, jedoch halten sehr viele Fälle der Kritik nicht stand. Folgende
Grunde lassen sich vielfach gegen einen Zusammenhang geltend machen:
1. Der Diabetes hat bereits vor dem Unfall bestanden; 2. es bestand vor dem
Unfall ein Diabetes decipiens (Glykosurie ohne vermehrte Harnausscheidung, ohne
gesteigertes Durst- und Hungergefühl); erst nach dem Trauma stellten sich die
das BUd vervollständigenden Erscheinungen ein; 3. der Diabetes trat zwar nach
dem Trauma, aber unabhängig von diesem auf. Hierher gehören besonders die
Fälle, in denen die Erscheinungen erst jahrelang nach dem Unfall auf traten.
An der Hand einer umfassenden Zusammenstellung der in der Literatur
niedergelegten sowie der in der Breslauer chirurgischen Klinik beobachteten
Fälle kommt K. zu dem Resultat, daß der traumatische, echte Diabetes überaus
selten ist, und ein völlig einwandsfreier Fall überhaupt nicht bekannt ist.
Allerdings kann er die Möglichkeit solcher Fälle nicht ganz bestreiten; bei der
Begutachtung ist aber die größte Skepsis am Platze.
Häufig sind dagegen die Fälle traumatischer, ephemärer Glykosurie,
d. h. solcher Fälle, in denen die Glykosurie wenige Tage nach dem Unfall
indauert und dann spurlos wieder verschwindet. Dr. D oh r n - Cassel.
Ueber daz gleichzeitige Vorkommen von manifester Syphilis und
Tabes* Von Dr. C. Adrian. Zeitschrift für klin. - Medizin; 1904, Bd. 55.
Verl hat aus der Literatur 96 Fälle zusammcngestellt, bei denen zu¬
gleich mit der Tabes manifeste syphilitische Erscheinungen an der Haut oder
den inneren Organen festgestellt werden konnten. Demnach ist die Kombination
von Tabes und manifester Syphilis keineswegs so selten, wie bisher von den
Gegnern des ursächlichen Zusammenhanges beider Erkrankungen angeführt wurde,
456
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
Entsprechend der größeren Häufigkeit der Syphilis bei Männern ist auch
die Kombination von Tabes und manifester Syphilis hier häufiger. Es ließ
sich nicht feststellen, daß die vorausgegangene Syphilis bei den später an
Tabes Erkrankten einen besonders leichten Verlauf genommen hat, wie das
vielfach behauptet wird. Dagegen war cs auffällig, daß die Syphilis in den
von Tabes gefolgten Fällen, besonders bei ihrem ersten Ausbruch, ungenügend
oder überhaupt nicht behandelt wurde. Dr. Dohm-Cassel.
Heber die Bedeutung und den Wert der Arbeitsbehandlung Nerven¬
kranker. Von Dr. Geißler. Aus dem Sanatorium für Nerven- und innere
Krankheiten in Konstanz. Münchener mediz. Wochenschr.; 1905, Nr. 21.
Die Litteratur über Arbeitstherapie ist noch gering und außer
von Irrenanstalten, wo die Beschäftigung der Kranken als ein wertvolles Be¬
handlungsmittel gepflegt wird, liegen noch recht wenige praktische Erfahrungen
vor. Außer Mitteilungen von Moebius, Monnier und von Vogt hat uns
erst M. La ehr im vorigen Jahre eine Arbeit gebracht, in welcher die Er¬
fahrungen der Heilstätte Schoenow bei Berlin über die systematische
Therapie der Arbeitsbchandlung niedergelegt sind. Die Beschäftigungen, die
daselbst in erster Linie für Männer herangezogen werden, sind Gartenarbeit,
Tischlerei, Schnitzerei und Buchbinderei, in einzelnen Fällen auch Bureauarbeit.
Das Sanatorium Konstanzerhof -gewährt die Möglichkeit der Arbeitsbehandlung
mit Tischlerei- und Gärtnereiarbeiten und auch mit Schnitzerei. Verfasser
stellt dann einen Vergleich an zwischen der Klientel in seinem Sanatorium
und in dem Sanatorium Schoenow und hebt hervor, daß die Durchführung
der Arbeitsbehandlung Nervenkranker in den Sanatorien (wie z. B. in seinem
Sanatorium), deren Kranke sich aus höheren Gesellschaftskreisen rekrutieren,
im allgemeinen mit größeren Schwierigkeiten verbunden ist, wie im Hause
Schoenow mit seinen Kranken aus im allgemeinen minder bemittelten
Kranken. Diese Schwierigkeiten beruhen hauptsächlich darin, daß es nicht
immer möglich ist, die Eigenart der Arbeiten zu berücksichtigen und die
rechte bezw. einigermaßen zusagende Arbeit zu finden.
Verfasser sucht nun in eingehenden Ausführungen wissenschaftlich zn
erklären, warum die Arbeitsbehandlung für viele ein treffliches Kurmittel ist
Arbeitstherapie stellt den aktiven Vorgang psychischer Beeinflussung dar, worin
ihre immense Bedeutung, aber auch zugleich ihre schwache Seite liegt. Wie
Patienten bisweilen allen ärztlichen Bemühungen psychischer Beeinflussung
nur taube Ohren entgegenbringen, wie auch die rationellste physikalische Heil¬
methode unter den günstigsten äußeren Verhältnissen ohne Nutzen sein kann,
so wird auch die Arbeitstherapie unter Umständen versagen. Kurz, auch die
Arbeitskur ist nicht, wie manche sie hinzustellen bemüht sind, ein Universal¬
mittel, sie kann vielmehr nur auf die gleiche Stufe, wie all die übrigen Be¬
handlungsmethoden gestellt werden. Man erzielt mit ihr Erfolge und Mi߬
erfolge, wie mit all den anderen Mitteln und Methoden, weil eben der Nerven¬
kranke unberechenbar ist in seiner Beeinflußbarkeit.
Immerhin haben wir in dieser Kurmethode ohne Zweifel ein mächtiges
Behandlungsmittel, welches eine Bereicherung unseres therapeutischen Schatzes
im schweren, bisweilen aussichtslosen Kampf gegen eine Krankheit bedeutet,
welche tiefe Wanden dem Lebensmut und Lebensglück vieler Menschen schlagt,
viele Existenzen völlig untergräbt.
ln allen Kuranstalten sollte diese besondere Behandlungsform neben all
den bewährten Methoden (Wasser-, Mast-, Diät-, Elektrizität«-, Freiluftkuren
usw.) Berücksichtigung und Pflege finden. Dr. Waibel-Kempten.
Hysterische Unfallerkrankungen bei Telephonistinnen. Von Dr.
Boehmig, Nervenarzt in Dresden. Münch, med. Wochenschr.; 1905, Nr. 16.
Verfasser hat im Laufe der Jahre eine Anzahl Telephonistinnen in Be¬
handlung gehabt, die durch Blitzschlag in die Leitung oder durch einen sog.
Induktorschlag getroffen wurden. Nach Mitteilung von 9 ausführlichen Kranken¬
geschichten, auf welche, da eine genaue Darstellung der Einzelheiten in einem
Referate nicht möglich ist, im Original verwiesen werden muß, kommt Ver-
Kleinere Mitteilungen and Referate aus Zeitschriften.
457
fssser za dem Schlosse, daß in keinem der Fälle — trotz jahrelangen Bestehens
— organische Veränderungen nachweisbar waren und es sich also um unzweifel-
hafte traumatisch - hysterische, respektive neurasthenische Störungen handelte.
Nach der Ansicht des Verf. sind ferner die von ihm beobachteten Fälle, bei
denen er schon wenige Stunden nach dem (Jnfall die schweren Erscheinungen
der Neurose konstatieren konnte, ein Beweis mehr gegen die noch heute ver¬
tretene Annahme der Entstehung dieser Neurose durch „Begehrungsvorstellungen“
oder Suggestion infolge häufiger Untersuchungen. Dr. Waibel-Kempten.
Aerztllches Obergutaehten aber den Gesundheitszustand des Ar«
betten B. Von Geh. Med.-Rat Prof. Dr. E. Hitsig in Halle. Zeitschrift
für Psychiatrie; 39. Bd., 3H.
Die Ausf&hrungen Hitzigs sind für jeden, der Unfallgutachten zu
bearbeiten hat, höchst instruktiv. Der Fall selbst, an den er seine Bemerkungen
anknfipft, bietet nicht Auffälliges: Ein Arbeiter kämpft um Unfallrente nach
einem unbedeutenden Trauma, indem er mit wenig Geschick ein Bückenmarks¬
leiden, Intelligenzstörungen u. a. m. vorzutäuschen suchte. Seine subjektiven
Beschwerden und Krankheitssymptome werden auf Grund zahlreicher, sehr ein¬
gehender Untersuchungen eingeteilt 1. in solche, die vorhanden sind oder waren,
1 in offenbar simulierte, 3. in solche, bei denen es zweifelhaft blieb, ob sie
ganz oder nur teilweise simuliert waren.
H. führt aus, daß die Vorgänge, die den Unfall herbeiführten. stets nach
eidlichen Zeugenaussagen dargestellt werden, die oft auf recht schwan¬
kendem Boden stehen, den Behörden wie dem begutachtenden Arzte aber
als Unterlage dienen müssen. Der Sachverständige ist also auf seine eigene
kritische Würdigung der Krankheitserscheinungen in erster Linie angewiesen,
ln vielen Fällen, so auch im vorliegenden — ist der Kläger wirklich krank,
wenn auch nicht infolge des angeblichen Traumas; er hält sich daher in seinen
Rechtsansprüchen für benachteiligt und zum Betrage berechtigt. „Hat der
Geschädigte erst einmal angefangen zu simulieren, so ist es erfahrungsgemäß
überaus schwer, ihn zum Geständnis oder zum Aufgeben der Simulation zu
bewegen.“ Es ist also besonders Aufgabe der Vertrauens- und Kassenärzte,
manchen berechtigten Wünschen der Kranken entgegenzukommen. Schließlich
wendet sich H. gegen die von manchen Autoren immer wieder vorgeschlagenen
Mittel zur Entlarvung von Simulanten, deren Anwendung bei einem vorein¬
genommenen Begutachter leicht zu der unrichtigen Schlußfolgerung führt, daß
ialsche Angaben stets auf bewußter Täuschung beruhen müssen. „Die einzigen
und wahren Mittel zur Aufdeckung und richtigen Beurteilung der Simulation
bestehen in der kunstgemäßen und wiederholten Anwendung der üblichen
klinischen Untersuchungsmethoden auf den Einzelfall.“ In manchen Fällen
wird der Gutachter rein subjektiven Beschwerden gegenüber die Möglichkeit
einer Krankkeit zugeben müßen, ohne zu einem positiven Ergebnis zu gelangen;
in solchen Fällen wird er der Behörde nahelegen, „sich wenigstens zeitweise
zugunsten des Geschädigten auszusprechen“. Dr. Pollitz-Münster.
Grad der Erwerbsverminderung eines Kohlenhauers beim teilweisen
Verlust der Sehkraft auf einem Auge. Urteil des Beichsversiehe
rungsamts vom 4. Januar 1905.
Nach dem bedenkenfreiem Gutachten des Dr. H. besitzt das linke Auge
des Klägers normale Sehschärfe, ist frei von entzündlichen Erscheinungen und
daher als gesund zu erachten. Das verletzte rechte Auge hat das Sehvermögen
auch nicht vollständig verloren, sondern der Kläger ist imstande, mit demselben
noch Finger in einer Entfernung von einem halben bis zu einem ganzen Meter
zu zählen. Dieser Best der Sehkraft ist aber für das allgemeine Orientierungs¬
vermögen des Klägers, auch bei Ausübung seiner Tätigkeit als Kohlenhauer,
von wesentlicher Bedeutung. Daher kann der Ansicht, daß der Kläger wie
ein Einäugiger zu enschädigen sei, nicht beigetreten werden; vielmehr ist das
Rekursgericht der Ueberzeugung, daß im vorliegenden Falle die Beeinträch¬
tigung der Erwerbsfähigkeit des Klägers durch eine Teilrente von 20°/o hin¬
reichend ausgegeglichen wird. Zu einer Entscheidung über die von der Be¬
klagten angeregte allgemeine Frage war daher kein Anlaß gegeben.
_ Kompaß; 1905, Nr. 12.
458
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
Eine blosse Möglichkeit genügt nicht zum Beweise des nnkebllchen
Zusammenhangs zwischen dem Unfälle nnd dem Tode (Infolge von Bauchfell¬
tuberkulose). Urteil des Reichsvers.-Amts vom 1. Dezember 1904.
Nach dem durch die Leichenöffnung festgestellten Befunde ist der Förder¬
mann P. an einer über das ganze Bauchfell gleichmäßig verbreiteten Tuber¬
kulose gestorben, die nach sämtlichen vorliegenden, vom Schiedsgericht näher
bezeichneten ärztlichen Gutachten schon vor dem Unfall bestanden hat. Daß
sie durch den Unfall eine raschere Entwickelung genommen habe, ist nach den
ärztlichen Gutachten zwar möglich, angesichts der Geringfügigkeit der Ver¬
letzung 1 ), und des Sitzes des Krankheitsherdes aber nicht wahrscheinlich. Eine
bloße Möglichkeit genügt jedoch nicht zum Beweise des ursächlichen Zusammen¬
hangs zwischen dem Unfall und dem Tode P.s. Die Witwe kann daher aus
Anlaß des letzteren von der Beklagten keine Entschädigung erhalten.
_ Kompaß; 1905, Nr. 9.
Die Möglichkeit des orsKcblicben Zusammenhanges zwischen Unfhll
nnd Erkrankung (tuberknlöse Hfiftgelenksentzflndung) genügt allein
nicht zur Begründung eines Rentenanspruches. Urteil des Reichs-
Versicherungsamts vom 4. Januar 1905.
Der Geh. San.-Rat Prof. Dr. B. ist allerdings im Gegensatz ra den
Sachverständigen Dr. K. und Med.-Rat Dr. L. der Ansicht, daß die tuberkulöse
Hüftgelenksentzündung des Klägers in dem Unfälle vom 5. Juli 1901 ihre Ur¬
sache habe. Diese Ansicht erleidet aber durch die Tatsache eine wesentliche
Erschütterung, daß der Kläger nach der Auskunft der Gewerkschaft vom
5. Oktober 1901 bis 16. September 1902 regelmäßig gearbeitet und während
dieser Zeit für jede Schicht 4 Mark verdient hat. Dieser Lohn steht dem von
dem Kläger vor dem Unfälle verdienten durchschnittlichen Lohn von 4,09 M.
nur um ein geringes nach und läßt erkennen, daß der Kläger in der fraglichen
Zeit völlig arbeits- und erwerbsfähig gewesen sein muß und daß somit die
Verbindung zwischen dem Unfall und dem Ausbruch der Hüftgelenkentzündong
fehlt, die der Prof. B. auf Grund der eigenen Mitteilungen des Klägers an¬
nehmen zu sollen geglaubt hat.
Das R.-V.-A. hat daher Bedenken getragen, sich dem Gutachten dieses
Sachverständigen anzuschlicßen und hat deshalb noch das Obergutachten der
Bonner Universitätsklinik eingeholt. In diesem Gutachten aber wird ausgeführt,
daß der streitige ursächliche Zusammenhang zwar im Bereiche der Möglichkeit
liegt, aber nicht mit einem höheren Grad von Wahrscheinlichkeit bejaht werden
könne. Der Obergutachter betont, daß tuberkulöse Leiden sich in der Mehrzahl
ohne eine vorangegangene Verletzung entwickeln, und daß sie im Falle einer
Verletzung regelmäßig an der getroffenen Körperstelle und innerhalb eines
nach Wochen oder Monaten zu bemessenen, nicht zu langen Zeitraums in die
Erscheinung treten. Mit Recht weist der Sachverständige darauf hin, daß die
Hüftgelenksgegend selbst bei dem Unfälle nicht getroffen worden ist, daß
höchstens eine, und zwar nicht schwere Erschütterung des ganzen Körpers,
von der allerdings auch die Hüftgelenke betroffen worden sein dürften, statt¬
gefunden haben könne, und daß wesentlichere Beschwerden erst 8 bis 10 Monate
nach dem Unfall sich eingestellt hätten. Diesen überzeugenden Ausführungen
ist das R.-V.-A. gefolgt. Die Möglichkeit des ursächlichen Zusammenhanges,
die hiernach vorliegt, genügt aber allein noch nicht zur Begründung eines
Rentenanspruches. _ Kompaß; 1905, Nr. 12.
Grad der Erwerbsverminderung beim glatten Verlast des reckten
Armes lm unteren Drittel des Oberarmes. Urteil des Reichsver-
sicherungsamts vom 9. Dezember 1904.
Der Senat ist den Ausführungen der Berufsgenossenschaft beigetreten.
Gegenüber der Ansicht des Schiedsgerichts, daß nach der ständigen Recht¬
sprechung des R.-V.-A. für den Verlust des rechten Armes eine Teilrente von
75 °/o und schon für den Verlust der rechten Hand im allgemeinen eine Rente
von 66 ‘'/s bis 75 °/o gewährt werde, ist zu bemerken, daß eine bestimmte Regel
für solche Abschätzungen nicht besteht, diese vielmehr nach den besonderen
Umständen des einzelnen Falles stattfinden, und daß in Entscheidungen des
') Geringe Quetschung der linken 6. bis 8. Rippe.
Kleinere Mitteilungen und Referate an« Zeitschriften.
459
B.-V.-A. für den Verlost des rechten Armes zwar häufig eine Rente von 75 °/o,
oft aber auch eine geringere Rente festgesetzt worden ist. Im vorliegenden
Falle hat der Senat, da es sich hier am den glatten Verlost des rechten
Armes (im unteren Drittel des Oberarms) handelt, keine erschwerenden Umstände
rorliegen and der Kläger sich noch im rüstigen Alter von 41 Jahren befindet,
in Uebereinstimmong mit der Berufsgenossenschaft angenommen, daß er nor
am 66*/» °/* in seiner Erwerbsfähigkeit geschädigt ist.
_ Kompaß; 1905, Nr. 9.
B. Bakteriologie, Infektionskrankheiten and Öffentliches
Sanität s wesen.
Ueber die Verhütung und Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten.
Von Prof. Dr. Lesser. Klinisches Jahrbuch; 1904, Bd. 13, H. 8.
Die Haoptqaelle der Ansteckung mit Geschlechtskrankheiten ist die
Prostitution; hierauf müssen sich unsere Maßnahmen in erster Hinsicht richten.
Allgemein gesundheitliche Vorkehrungen (Wohnungshygiene, Alkoholbekämpfnng,
Besserang der Erwerbsverhältnisse) lassen nar allmähliche Erfolge gegen die
Verbreitung der Geschlechtskrankheiten erwarten. In Anbetracht der großen
Gefahr brauchen wir aber schnell and gründlich wirkende Maßnahmen.
Za diesen gehört zunächst die persönliche Prophylaxe. Da wir
doch nun einmal mit der Tatsache rechnen müssen, daß sich ein Teil jonger
Lette dem Umgang mit Prostituierten hingibt, and wir die Möglichkeit haben,
sie bis zu einem gewissen Grade vor Schaden zu bewahren, ist es Aufgabe des
Arztes auf diese Sicherheitsmaßregeln aufmerksam zu machen. Durch Rein*
hchkeit, Desinfektion, Gebrauch von Präservativs gelingt es, wie es sich z. B. in
der Marine gezeigt hat, häufig genug Gefährdete vor Krankheit zu bewahren.
Die Durchführung allgemein prophylaktischer Maßnahmen er¬
heischt zunächst einen tüchtig durchgebildeten Aerztestand und gut eingerichtete
Krankenhäuser für Geschlechtskranke. Wie wenig letztere Forderung bisher
erfüllt rät, rät sattsam bekannt.
Zur Durchführung der gegen die Prostitution gerichteten Maßregeln
■ofi zunächst eine sichere rechtliche Grundlage geschaffen werden. Die Regle¬
mentierung muß bestehen bleiben, bedarf aber einer gründlichen, mehr die
hygienische Seite ihrer Aufgaben hervorhebenden Reform. Für größero Städte
wire folgende Einrichtung zweckmäßig:
Die Prostituierten erhalten in einer Art Poliklinik Gelegenheit zur un¬
entgeltlichen Behandlung. Der in ihr Erkennungsbuch eingetragene Vermerk
der behandelnden Poliklinik rät ein Freibrief für die Prostituierte gegen die
Sittenpolizei. Fehlt derselbe, so wird sie der Sittenpolizei unterstellt. Will
eine inskribierte Dirne von der Sittenpolizei in die rein ärztliche Kontrolle der
Poliklinik übergehen, so wird sie erst gestrichen, wenn sie 3 Monate lang die
irztlichen Anordnungen pünktlich befolgt hat. Sie verliert ihren Freibrief,
warn sie erkrankt und den Eintritt in das Krankenhaus verweigert. Im übrigen
hat jedoch die Sittenpolizei mit der rein ärztlichen Behandlung in der Poliklinik
gar nichts zu tun. Auf diese Weise würde auch die Rückkehr in geordnete
Verhältnisse, die für die Inskribierten sehr schwierig rät, am leichtesten möglich
seht Auch eine hygienische Erziehung würde sich in einer ärztlich geleiteten
Anstalt ohne polizeilichen Charakter am besten durchführen lassen.
Von der Kasernierung der Prostitution erwartet L. erheblichen Nutzen
«egen Verminderung des entsittlichenden Einflusses und der Ausschaltung der
Verführung durch öffentliche Provokation. Dr. Dohm-Cassel.
Darf der Arzt zum ausserehe liehen Geschlechtsverkehr raten t Von
Dr. Hirsch. Zeitschrift für Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten; 1905.
Baad 3, Heft 4.
In einer Aufsehen erregenden Arbeit von Marcuse rät dem Arzt das
prinzipielle Recht zugestanden, sowohl dem männlichen, als auch dem weib¬
lichen Patienten gegenüber den außerehelichen Geschlechtsverkehr anzuraten.
Hirsch tritt dem energisch entgegen.
Marcuses auf theoretischen Erörterungen beruhendes Zugeständnis
würde in der Praxis auf das Weib angewandt völlig undurchführbar sein. Der
Weg, auf dem der Mann leicht zur Durchführung des ihm angeratenen Heil-
460
Kleinere Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften.
Verfahrens gelangen kann, ist der Frau wegen der daraus entspringenden
sozialen Schädigungen ein für alle Mal versperrt. Wie kann es der Arzt ver¬
antworten, wenn bei der Unsicherheit der antikonzeptionellen Mittel Schwanger¬
schaft eintritt? Macht doch auch die Anwendung dieser Methoden an sich oft
schwere nervöse Erscheinungen, die das Grundleiden schlimmer statt besser
machen. Den Grund der nervösen Störungen beim Weibe bildet weniger die
Nichtbefriedigung der Wollust, als vielmehr Mangel an Liebe und die Sehn¬
sucht nach Kindern. Letztere kann aber bei dem Gebrauch von Vorbeugungs¬
mitteln keine Befriedigung finden; deshalb kann der angeratene Geschlechts¬
verkehr auch nimmer therapeutisch erfolgreich sein.
Ein Heer weiterer Gegengründe läßt sich ins Feld führen. Wie kann
der Arzt sich rechtfertigen, wenn sich die Patientin, die als Weib der ge¬
schlechtlichen Infektion — anders als der Mann — schutzlos preisgegeben ist,
nach der Befolgung seines Rates mit einem Tripper oder gar Syphilis zu
ihm kommt?
Alle diese Einwände sagen klipp und klar, daß die von Marcuse ge¬
gebene Antwort weder theoretisch richtig, noch praktisch durchführbar ist.
Dr. D o h r n • CasseL
Ueber sexuelle Abstinenz. Von Dr. Loewenfeld. Zeitschrift für
Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten; 1906, Bd. 3, H. 5—6.
Die Deutsche Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten
hat sich bei der Abfassung ihres Merkblattes auf den Standpunkt gestellt, daß
Enthaltsamkeit im geschlechtlichen Verkehr in der Regel nicht gesundheits¬
schädlich ist. Diese Auffassung ist jedoch nicht unerheblichem Widerspruch
begegnet. Loewenfeld bringt zur Klärung der Streitfrage neues Material
bei, das er an Männern gebildeter Stände gesammelt hat. Er teilt die Absti¬
nenten bezüglich der Folgen ihres Verhaltens in vier Gruppen ein: 1. solche,
die keinen manifesten gesundheitlichen Nachteil erfahren, 2. solche, bei welchen
die Abstinenz mehr oder weniger erhebliche Molesten nach sich zieht, 3. solche,
die unter dem Einfluß der Abstinenz in ausgesprochene Krankheitszust&nde
verfallen, 4. solche, bei welchen die sexuelle Triebsrichtung durch die Abstinenz
beeinflußt wird.
L. gibt demnach die Möglichkeit einer Gesundheitsschädigung durch die
Abstinenz zu. Sie tritt aber nur ein, falls eine neuro-psychopathische Belastung
vorhanden ist. Bei anderen Leuten, besonders solchen, die mit einer lebhaften
Libido ausgestattet sind, kann die Abstinenz nur zu transitorischen Störungen
führen, die durch entsprechende hygienische Maßnahmen zu beseitigen sind.
Die Entstehung homosexueller Triebe durch die Abstinenz halt L. bei
normal veranlagten Individuen für ausgeschlossen. Dagegen ist die Ver¬
stärkung homosexueller Neigungen bei nicht normal Veranlagten gelegentlich
zu beobachten.
Verfasser meint, daß die sexuelle Abstinenz bis zu einem gewissen
Alter (24.—25. Lebensjahr) der Gesundheit und körperlichen Entwickelung
eher nützlich, als schädlich ist. In späteren Jahren kann sie allerdings eine
schwere Bürde werden, die auch zu vorübergehenden Störungen, aber nie zu
dauernden Gesundheitsstörungen führt. Wir sind deshalb nicht berechtigt, zur
Vermeidung dieser Störungen den außerehelichen Geschlechtsverkehr m An¬
betracht der ihn umgebenden Gefahren anzuraten.
Alle Versuche, die vita sexualis in eine den physiologischen Bedürfnisse!
entsprechende Bahn zu lenken, sind bisher an der Ungunst der sozialen Ver¬
hältnisse gescheitert. Man steht nach wie vor zwischen zwei Reihen von
Uebeln; auf der einen Seite: Masturbation, Prostitution, Geschlechtskrankheiten,
außereheliche Konzeptionen, Kindesabtreibung, außereheliche Nachkommenschaft
mit ihren peinlichen Folgen für die Beteiligten und die Verhältnisse ohne Kon¬
zeption, aber mit moralischen und materiellen Schädigungen, endlich auch
zahlreiche unüberlegte und unglückliche Heiraten, — auf der anderen Seite
die sexuelle Enthaltsamkeit mit ihrer Beeinträchtigung des Lebensgenasses
und ihren gelegentlichen gesundheitsstörenden Wirkungen. Zwischen diesen
Uebeln haben wir die Wahl; als das kleinere müssen wir als Aerzte der großen
Masse der Unverheirateten die sexuelle Enthaltsamkeit empfehlen.
Dr. Dohrn-CasseL
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
461
Ueber die nationale Bedeutung unserer Enthaltsamkeltsbewegnng.
Von Br. BOsler. Reichenberg 1905. Selbstverlag.
Aus vollem Herzen heraus und zugleich in deutlicher Erkenntnis der
großen Schwierigkeit seiner Aufgabe vertritt der Verfasser, Stadtarzt in
Beichenberg in Böhmen, die Forderung, daß jeder Einzelne in der Alkoholfrage
als Vorbild zu wirken berufen ist. «Wir sind weniger verantwortlich für
unsere eigenen Sünden, aber mehr verantwortlich für die Sünden anderer, als
unsere Juristen zu glauben scheinen.“
Die frische Schreibweise macht das Lesen zu einem Genuß.
Dr. Schenk-Berlin.
Beitrag rar Kenntnis der Polyneuritis alcoholica. Von Ahlen.
Dissertation. Kiel 1904.
Die Fälle von Alkoholneuritis haben das Gemeinsame, daß die Lähmungs¬
erscheinungen von der Peripherie nach dem Zentrum an Intensität verlieren, daß
ferner fast stets ganze Muskelgruppen erkranken, und daß schließlich die Streck¬
muskeln meist in höherem Grade befallen werden als die Beugemuskeln. Eine
gleichzeitige Unterschenkel- und Vorderarmlähmung wird als charakteristisch
rar die Alkoholneuritis angesehen. Den Lähmungserscheinungen gehen ein¬
leitende Symptome in der Gestalt von Taubheit der Finger und Zehen, Kribbeln
und Brennen, abwechselnd mit Kältegefühl und Blässe, reißenden und zie¬
henden Schmerzen (Wadenkrämpfen) vorher. Bei langer Dauer stellt sich Ab¬
magerung der betreffenden Glieder und krampfhafte Beugestellung ein. Die
elektrische Erregbarkeit der befallenen Muskeln zeigt alle möglichen Verän¬
derungen. Häufig treten im Verlaufe der Neuritis auch charakteristische
psychische Störungen alkoholischer Natur auf. Namentlich stellt sich oft die
Korsakowsche Psychose ein: Erinnerungsfälschungen in bezug auf die Zeit
und dementsprechend verworrenes Irrereden.
Dieses Krankheitsbild illustriert die Dissertation durch den Fall eines
31jährigen Gastwirtes. _ Dr. Schenk-Berlin.
Der Arzt und der Alkohol. Von Dr. Kassowitz. Wiener mediz.
Wochenschr.; 1904, Nr. 3.
Der Wiener Kinderarzt ist seit vielen Jahren Abstinent; er enthält
sieh des Alkohols gänzlich, nicht nur aus wissenschaftlichen Gründen und um
des guten Beispiels willen, sondern auch, um sich möglichst lange arbeitsfähig
und genußfähig zu erhalten. Als ein Sechziger ist Kassowitz bei seiner Al-
koholabstincnz imstande, an einem Tage 100 km per Bad oder 40 km zu Fuß
zurückzulegen. Aus der fortwährenden Steigerung der schädlichen Folgen des
Alkoholgenusses entnimmt er das Recht, von einem totalen Mißerfolg der
Xlßigkeitsbestrebungen zu sprechen. Der hohe Konsum alkoholischer Ge¬
tränke speziell bei medizinischen Kongressen und Versammlungen ist auch
ihm besonders aufgefallen (wie auch Forel und anderen abstinenten Aerzten).
Die von Kassowitz in aller Stille angestellten Recherchen ergaben das er¬
schreckende Resultat, daß der frühe Tod vieler ärztlichen Autoritäten eine
iadirekte Folge des Alkoholismus ist.
Von einer völligen Ausrottung des Alkoholismus durch die Abstinenz¬
bewegung kann auch nach Kassowitz nicht die Rede sein. Immerhin hält
er die Abstinenzbestrebungen für aussichtsvoller als die Bekämpfung des
sozialen Elendes, der Tuberkulose oder des Krebses.
Dr. Schenk-Berlin.
Trunksucht und Temperens ln den Vereinigten Staaten. Von Dr.
Laquer. Grenzfragen des Nerven- u. Seelenlebens; Wiesbaden 1905, Heft 84.
Verfasser hat aus der an der Berliner medizinischen Fakultät beste¬
henden Gräfin Louise Bose-Stiftung die Mittel erhalten, die Alkoholfrage in
der 8chweiz und in den Vereinigten Staaten zu studieren. Die Ergebnisse
seiner Schweizer Reise hat er im 2. Heft des Jahrgangs 1904 des „Alkoholismus“
niedergelegt. Die vorliegende Schrift bringt in sehr anziehender, manches
Neue bietender Form die Studien und Eindrücke der Beise nach Nordamerika.
Nach einer fesselnden Schilderung Beiner Beise gibt Laquer zunächst eine
Geschichte der Entwicklung der Temperenzbestrebungen in Amerika und eine
462
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
Uebersicht Ober den Alkohol-Unterricht in den amerikanischen Schulen. Da¬
rauf behandelt er besonders die beiden zur Unterdrückung des Alkoholismus
in Amerika getroffenen Hauptmaßregeln: das Staatsverbot (prohibition) und
die Bezirkswahl (local Option). Die radikalen Prohibitionsgesetze herrschen
zurzeit nur noch in den vier sehr dünn bevölkerten Agrarstaaten Maine, New-
Hampshire, Kansas, North-Dacota, die nur den 25. Teil der Bewohner
der Vereinigten Staaten umfassen. Auch werden die Gesetze insbesondere
in den Städten teils öffentlich, teils heimlich vielfach umgangen. In den Pro¬
hibitionsstaaten dürfen Spirituosen nur zu ärztlichen und technischen Zwecken
verkauft werden und zwar durch Vermittlung eines besonderen Staatskommissars.
Dieser Kommissar erhält für sein in ärztlichen und technischen Alkolhol-
getränken angelegtes Kapital eine Vergütung von 10°/„. Mit der Qualität des
Kommissars schwankt die Größe des 10 °/„ ab werfenden Lagers von Alcoholids
ganz außerordentlich. So betrug sie im Staate Maine 1887 : 20000 Dollars,
1898: 131000 Dollars, 1898 : 39000 Dollars. Auch bestehen in den vier Pro¬
hibitionsstaaten Winkelschenken. Die Apotheker und Drogisten verkaufen
Whisky auch für nicht ärztliche Zwecke. In den Städten Maines werden
durchschnittlich jährlich auf 1000 Einwohner 33 wegen öffentlicher Trunkenheit
verhaftet. Die Frage: Wirkt das Staatsverbot überhaupt verbietend ? muß nach
Laquer kurzerhand mit nein beantwortet werden.
Der amerikanische Verbrauch an alkoholischen Getränken ist in den
letzten beiden Jahren gestiegen, der deutsche gefallen. Immerhin stellt sich
das Verhältnis Amerika : Deutschland auch jetzt noch wie 2 : 3. Dem Ame¬
rikaner fehlt bei seiner Rastlosigkeit gänzlich der deutsche Hang zum Hocken
in der Kneipe; der Früh- oder Dämmerschoppen ist nicht einmal dem Namen
nach bekannt. Weder Kopf- noch Handarbeiter nehmen während der Arbeit
Alkohol zu sich; auch wirkt der stark verbreitete Sport und der reichliche
Obstgenuß dem Alkoholgenuß entgegen. Die Tatsache, daß die Amerikaner,
trotzdem sie dieselben Fleischmengen verzehren wie ihre englischen Vettern,
viel seltener an Gicht erkranken wie diese, erklärt Laquer ebenfalls durch
den Umstand, daß die Amerikaner ihre hohen Rationen Fleisch durch Obst¬
und Fruchtgenuß auszugleichen gewohnt sind. Der amerikanische Arbeiter
verbraucht durchschnittlich nur 2,3 °/ 0 seines Einkommens für alkoholische Ge¬
tränke. Einer der Gründe für diese Erscheinung ist auch die ausgesprochene
Gegnerschaft eines großen Teils der amerikanischen Gewerkschaften gegen
die Kneipe. Dr. Sc henk-Berlin.
Ueber den Einfluss der Alkoholica anf die sekretorische und moto¬
rische Tätigkeit dos Magens. Von Dr. Ernst Meyer. Klin. Jahrb.; Bd. 13.
Jena 1904. Verlag von G. Fischer.
Meyer berichtet zunächst ausführlich über die bisher angestellten Ver¬
suche zur Feststellung der Wirkung des Alkohols und der alkoholischen Ge¬
tränke auf den Magen. Die Endergebnisse der von ihm selbst am Menschen
angestellten Versuche sind in der Hauptsache folgende:
1. Der Alkohol übt einen gewissen vermehrenden Einfluß auf/die Säure¬
produktion im Magen.
2. Diese Säureproduktion steigert bei mäßigen Alkoholdosen nicht nen¬
nenswert den Prozentgehalt an Säure im Mageninhalt.
3. Auf die Entleerung der verschiedenen Nahrungsstoffe aus dem Magen
übt der Alkohol einen verschiedenen Einfluß.
4. Die Entleerung der Kohlehydrate aus dem Magen wird durch Alkohol
gehemmt, die der Fette dagegen beschleunigt; auf die Entleerung der Eiwei߬
stoffe ist der Alkohol ohne Einfluß.
5. Bier und Wein hemmen die Entleerung von Weißbrot aus dem Magen
stärker als Kognak in entsprechender Konzentration.
6. Die Entleerung von Fleischspeisen aus dem Magen wird durch Wei߬
oder Rotwein nicht gehemmt, durch den Weißwein eher leicht beschleunigt
Dr. Schenk-Berlin.
Ueber Alkohol als Nahrungsmittel. Von Dr. Goldard. The Lancet;
1904, 22. Oktober.
Goldard kommt auf Grund einer großen Reihe von Versuchen zudem
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
463
Schlosse, daß der Alkohol nur dann als Nahrungsmittel angesehen werden
kann, wenn er in sehr kleinen Mengen verbraucht wird. Größere Dosen würden
dagegen au mindestens 60 % wieder ausgeschieden und können deshalb nicht
ab Nahrungsmittel angesehen werden. Dr. Schenk-Berlin.
Untersuchungen „alkoholfreier Getränke“. Von Dr. R. Otto und
B. Tolmacz. Zeitschr. für Untersuchung der Nahrungs- u. Genußmittel;
Bd. 9, H. 5, S. 267.
Die Verfasser bezweckten mit ihrer Arbeit die chemische Zusammen-
setrang und sonstige Eigenschaften der alkoholfreien Getränke kennen zu
lenen, ihren Wert als Nahrungs- bezw. Genußmittel festzusetzen, sowie auch
etwaige unerlaubte Zusätze und Verfälschungen nachzuweisen. Im ganzen ge¬
langten 16 derartige Produkte zur Untersuchung. Nur 4 von diesen (Apfel-
aoste aus dem kgl. pomologischen Institut, alkoholfreier Birnenwein „Nektar“
der Kellerei Nektar in Worms a. Rh., alkoholfreier „Gravensteiner“ (naturrein)
um Flach & Co. in Geestemünde) sind als gute und einwandfreie reine Ge¬
tränke zu bezeichnen; als noch brauchbar die folgenden: „Donaths Natur-
Bont* aus Aepfeln, desgL aus Kirschen (mit 0,42 g Alkohol in 100 cc), desgL
su Heidelbeeren (mit 0,47 g Alkohol), desgl. aus Preißelbeeren (mit 0,26 g
Alkohol) und „Apfelin“. — Als minderwertig und schlecht fanden Verfasser:
Froktil“ aus Donaths alkoholfreien Naturmosten (ein künstlich aus Dörrobst
hergestelltes Produkt mit Zusatz von Zitronen- und Kohlensäure, sehr teuer!);
alkoholfreier „Traubensaft“ von H. Lampe & Co. in Worms, ein Kunstpro-
dnkt aus Dörrobst mit 0,37 g Alkohol in 100 cc; alkoholfreier „Burgunder“
m Flach & Co. in Geestemünde; „Apfelblümchen“, schmeckt nach schlech¬
tem Dörrobst; Bilz „Limetta“ von Fr. Hartmann in Lage (Lippe) und
Hildesheim, ein Kunstprodukt aus Wasser, Zucker, Säure, aromatischen Stoffen
ttnr„ das nichts mit frischem Obst zu tun hat; „Agathon“, konzentriertes
alkoholfreies Getränk von Flach & Co. in Geestemünde, noch minderwertiger
Ja du vorige; „Pomril“, ein minderwertiges Kunstprodukt aus Dörrobst. —
Ab minderwertig und schlecht ist mithin fast die Hälfte der untersuchten
Produkte zu bezeichnen, und viele der Getränke werden, so namentlich die
Bit Phantasienamen bezeichneten, wie „Fruktil“, „Pomril“, Bilz „Limetta“
ssw. nicht aus reinem frischen Obst, sondern aus Dörrobst fabriziert, und
•teilen häufig nur mit Kohlensäure imprägnierte Mischungen von Zucker, Säure
md aromatischen Stoffen usw. dar. Dr. Symanski-Hagenau.
Ueber die Beurteilung des Wassers vom bakteriologischen Stand¬
pakt. Von R. Emmerich. Ebenda; Heft 1.
Emmerich sucht in dieser Abhandlung eine neue Theorie aufzubauen,
db mit der M et schnik off sehen Phagozytentheorie eine gewisse Aehnlichkeit
besitzt. Er schreibt nämlich das Zugrundegehen pathogener Keime im Wasser,
bsbesondere Typhusbazillen, dem Vorhandensein von gewissen geißeltragenden
Flagellaten „Bodo saltans und Bodo ovatus“ zu. Auf Grund von Versuchen
nd theoretischen Erwägungen über die Tätigkeit dieser Mikroorganismen be-
fcuptet v. E. wörtlich: „Man könnte also — man höre und staune! — 1000
TypWstühle täglich in den Brunnen des hygienischen Instituts [(zu München)
der solche Flagellaten beherbergt] werfen, — die darin enthaltenen Typhus-
taQlen wären bis zum nächsten Tage daraus verschwunden.“ (Ein weiterer
Kommentar hierzu dürfte überflüssig sein. Ref.)
_Dr. Symanski-Hagenau.
Der gegenwärtige Stand der Beurteilung von Trink- und Abwasser
oeh der «komischen Analyse. Von J. König. Ebenda.
Nach König kommt der chemischen Analyse ihre volle Bedeutung zu
wwohl bei der Beurteilung von Trink- und Brauchwässern, wie auch bei Be-
"rtdhuig der Wirkung von Wasserreinigungsanlagen. Zur Erkennung nicht
offensichtlicher Verunreinigungen von Wasserversorgungsquellen hält K. die
coemUche Analyse für zuverlässiger, wie die bakteriologische, und zwar be-
w®ders in solchen Fällen, wo die Verunreinigungen ihren Ursprung in orga-
■hdien, fäulnisfähigen, aus menschlichen Wohnungen bezw. Ortschaften und
Os technischen Betrieben stammenden Stoffen haben; für einzig maßgebend
464 Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
hält Verfasser die chemische Analyse bei Verunreinigungen rein mineralischer
Art oder chemisch eigenartigen Substanzen. In der Hauptsache greift K.
wiederum den Passus in der Dienstanweisung für die preuß. Kreisärzte
yom 3. März 1901, Nr. 3 an, wonach der Schwerpunkt in der Beurteilung eines
Wassers weniger auf die chemische und bakteriologische, als auf die örtliche
Besichtigung gelegt werden solle. Die Verordnung sei aus wissenschaftlichen
wie praktischen Gründen unhaltbar und verwerflich. (EL schüttet hier wieder
das Kind mit dem Bade aus. Selbstverständlich ist diese Bestimmung für
jeden denkenden Beamten cum grano salis zu verstehen; und natürlich wird
jeder gewissenhafte Medizinalbeamte, wo auch nur im geringsten die Sachlage
es gebietet, eine chemische sowohl, wie bakteriologische Untersuchung des
Wassers vornehmen und, sobald sich hierbei Resultate ergeben, die eine ge¬
nauere Aufklärung wünschenswert machen, entweder selbst oder wenn er
hierzu nicht in der Lage ist, durch das nächste hygienische Institut eine
genaue Untersuchung vornehmen lassen. Nur dem alten früheren Usus, rich¬
tiger gesagt Abusns, wonach nach oberflächlicher oder gar keiner Lokalbe¬
sichtigung eine Flasche des zu untersuchenden Wassers irgendwohin zur
Untersuchung übersandt wurde, soll auf diesem Wege auch vorgebeugt werden.
Ref.) Wenn jetzt K. zum Schluß wiederum die vollständige Begutachtung
einer Wasserversorgungsquelle in die Hand der Chemiker und Hydrotechniker
legen will, so ist er sicher auf falschem Wege, da ein solcher nicht stets,
wie K. annimmt, die biologische Vorbildung bezw. Befähigung besitzt, die K.
ihm durchaus vindizieren möchte. Dr. Symanski-Hagenau.
Die Trinkwasserversorgung und die Entw&sserungs- und Abfuhr¬
anlagen, welche an Im Gebirge gelegenen Badeorten erforderlich sind.
Von Dr. Karl Kompe in Friedrichrode. Deutsche Medizinal-Ztg.; 1905,
Nr. IV, V, VI, VII.
Verfasser gibt uns in der sehr lesenswerten Arbeit reiches Material über
obiges Thema. Er faßt das Resultat seiner Arbeit in 14 Thesen zusammen,
von denen wir die wichtigsten hervorheben wollen, wobei wir betonen, daß
das, was der Verfasser für Kurorte verlangt, auch für andere Orte dringend
notwendig erscheint.
Bei der Frage Trinkwasserversorgung kommen Quellwasser und
Grundwasser (event. Talsperre) in Betracht. Beim Quellwasser ist darauf zu
sehen, daß dasselbe auch wirkliches, unverdächtiges Quellwasser ist. — Der
Anschluß sämtlicher Haushaltungen eines Ortes an die Wasserleitung ist
durch Ortsstatut zwangsweise zu regeln. Eine Zweiteilung der Wasserleitung
in Trink- und Gebrauchs wasser ist unbedingt zu verwerfen.
Zur Reinigung des Trinkwassers eignet sich besonders die Filtration
und die Ozonisierung.
Ist die Gemeinde steuerschwach, so empfiehlt sieh staatliche Beihülfe.
Die weiteren Thesen befassen sich mit der Beseitigung der Abgänge:
Dringend wird die Anlage einer Kanalisation empfohlen; perhorresziert
dagegen das Grubensystem. Zur Reinigung der Kanalwässer eignet
sich für kleinere Verhältnisse das biologische Verfahren, für größere die
Rieselwirtschaft.
Die Abfuhr für Müll, Haus- und Straßenkehricht muß in der Hand
der städtischen Verwaltung liegen, ein Wunsch, dem wir nur beitreten können.
Dr. Hoff mann-Berlin.
Die Girungsprobe bei 46° als Hilfsmittel bei der Trinkwasser-
untersuchung. Von Prof. Dr. C. Eijkmann. (A. d. hyg. Inst. d. Universität
Utrecht.) Zentralbl. f. Bakt.; I. Abt., Orig., 1904; Bd. 87, H. 5.
Noch immer herrschen große Meinungsverschiedenheiten darüber, ob der
Befund von Stäbchen aus der Gruppe des Bact. coli in einem Wasser dessen
Verunreinigung mit menschlichen oder tierischen Fäces beweist. Einigkeit
herrscht indes zwischen den Vertretern der beiden sich hier gegenüberstehenden
Richtungen insoweit, als fast allgemein zugegeben wird, daß mit Ausnahme
einiger weniger, sehr reiner Grund- und Quellwässer in jedem Wasser Coli-
Stäbchen sich nachweisen lassen, wenn nur genügende Mengen Wasser unter¬
sucht werden. Wäre mit diesem Nachweis ohne weiteres der Beweis erbracht,
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 466
faß das betreffende Wasser durch Fäkalien verunreinigt ist, so wäre damit
uch die Möglichkeit erwiesen, daß ein solches Wasser bei günstiger Gelegen¬
heit auch durch pathogene Keime infiziert werden kann. Jener Beweis ist
jedoch in den meisten Fällen nicht erbracht oder nicht zu erbringen, da durch-
us nicht alle zu der Gruppe des Bact. coli gehörigen Stäbchen aus mensch¬
lichen oder tierischen Fäces stammen. Eine Entscheidung, ob Bact. coli der
letzteren Arten vorlicgen, läßt sich dadurch herbeiführen, daß man die be¬
treffenden Arten bei 46° C kultiviert. Coli aus menschlichem oder tierischem
Darm sind nämlich sehr wärmebeständig, während andere Arten selten noch bei
Temperaturen über 87° gedeihen.
Um nun eine schnelle Entscheidung darüber herbeizuführen, ob ein Wasser
als verunreinigt und verdächtig anzusehen ist, empfiehlt Eijkmann, 100 bis
1000 ecm des fraglichen Wassers (bei sehr verunreinigtem Wasser genügen
sehon wenige ccm) in eine 1 prozentige Peptonlösung zu verwandeln, außer¬
dem 0,5 •/o Kochsalz und 1 °/o Traubenzucker hinzuzufügen und dies Gemisch
im Gährungskolben 1—2 X 24 Stunden bei 46° C sich selbst zu überlassen.
Tritt Gährung ein, so spricht dies mit großer Wahrscheinlichkeit für eine
Verunreinigung mit menschlichen Fäces. Dr. Lentz-Saarbrücken.
Bedeutung der Untersuchung auf anaerobe Bakterien bei der Trink-
vasaeranaljse. Von H. Vincent. (Laboratoire de bactäriologie du Val.
de-Graäce.) Comptes rendus de la soc. de biol. LV1II; 1905, Nr. 20, 9. Juni.
Der Autor hat in seinem Laboratorium die im Trinkwasser enthaltenen
uaeroben Bakterien regelmäßig untersuchen und studieren lassen. Die quan¬
titative und qualitative Bestimmung derselben gibt sehr wertvolle Winke über
die Brauchbarkeit eines Wassers. Der Sachverständige, der sich dieser Prüfung
begibt, bringt sich um ein wertvolles, diagnostisches Hülfsmittel, das der
gewöhnlichen Methode nach Koch oder Miquel, die aeroben Mikroben zu
isolieren, gleich geordnet ist.
Die Anaeroben finden sich reichlich in den Dejektionen von Menschen
ud Tieren, in allen faulenden pflanzlichen oder tierischen Massen. Als Nähr¬
boden empfiehlt sich Peptongclatine mit Zusatz von 1 °/o Traubenzucker, gefärbt
dureh indigschwefelsaures Natron. Die Gelatine wird gekocht, auf 80° gebracht,
dun mit dem zu untersuchenden Wasser versetzt. Die Mischung wird in lange
Vignalsche Röhren aufgesogen. Diese werden mit Siegellack verschlossen
aad durch kaltes Wasser abgekühlt.
Bei reinem Wasser mit 10 bis 100 Aeroben im Kubikzentimeter ist die
Zahl der Anaeroben oft weniger als die Einheit. In Schmutzwässern finden
sich bis 100—500 Kolonien im Kubikzentimeter.
Von anaeroben Arten hat Verfasser bestimmt: Bac. liquefaciens parvus
o. magnus (Liborius), Bac. pseudo-tetanicus (Vaillard und Vincent),
Bac. gpinosus (Lüderitz), Vibrio rugula, B. radiatus; Bac. anaerobius II-
Saafelme, Bac. solidus. Dr. Mayer- Simmern.
Nachweis and Bestimmung des Mangans im Trinkwasser. Von G.
Baumert u. P. Huldefließ. Zeitschr. f. Untersuchung der Nahrungs- u.
Oeuußmittel; Bd. 8, H. 8, S. 177.
Da bei Ausscheidungen von Mangan in Wässern es zu den gleichen
übles Folgen (Rohrverstopfungen) kommen kann, wie bei eisenhaltigen Wässern,
^ kt auch der Nachweis von Mangan von hohem praktischen Interesse. Die
Verfasser stellten ihre Untersuchungen bei einem Wasserwerk an, das sein
Wasser dem Untergründe von Wiesen entnahm und seinen Betrieb einstellen
noBte, weil das Rohrnetz, wie man annahm, von Eisenausscheidungen im.
L*afe einiger Monate verstopft war. Spätere Untersuchungen ergaben, daß
fcser vermeintliche Eisenschlamm in der Hauptsache aus Crenothrix Kühniana
Bsd Mangan bestand; beim Erwärmen mit Salzsäure entwickelte er lebhaft
Cblor, enthielt also reichlich byperoxyd. Mn-Verbindungen. Zum Nachweise
bedienten sich die Verfasser des umgekehrten Verfahrens, das man zum Nach-
des Sauerstoff im Wasser verwendet, wobei dasselbe mit Mn-Chlorür und
jodkaliumhaltiger Natronlauge mit Salzsäure angesäuert, und die darin gelöst
gewesene 0-äquivalente Jodmenge mit Thiosulfatlösung titriert wird. Zur
Baaibernden Bestimmung des Mangan genügt es, 10 cc des zu unter-
466
Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften.
suchenden Wassers mit einigen Tropfen einer 10°/ o igen Ammoniumpersulfat-
lösung und verdünnter Salpetersäure zu vermischen. Hierzu setzt man Silber¬
nitrat im Ueberschuß und schüttelt. Eine sofort oder nach einigen Minuten
auftretende Rotfärbung gibt einen Qehalt von ca. 0,5 mg Mn im Liter an.
Geringere Mengen bis zu 0,1 mg und darüber weist man nach, indem man
das Wasser nach Schütteln mit Kalilauge, mit Jodkali, Salzsäure und Stärke¬
lösung versetzt. Sofortige Blaufärbung deutet den Gehalt an Mn an. Die
Entfernung des Mn aus dem Wasser erfolgt wie bei der Enteisenung durch
Rieselung mit nachfolgender Filtration. Es konnte hierdurch in einem Falle
beispielsweise der ursprüngliche Gehalt des Rohwassers mit 1,166 mg auf
0,032 mg reduziert werden. _ Dr. Symanski-Hagenau.
Eine neue Methode zur Prüfung eines Trinkwassers anf Ammoniak.
(Nouveau proc6d6 de recherche de l’ammoniaque: application ponr caractäriser
la puretä des eauz.) Von A. Trillat und Turchet. Comptes rendus de
la soci6t6 de biol.; 1905, LVIII, Nr. 6.
In ein Reagensglas giebt man 20 ccm des zu untersuchenden Wassers,
8 Tropfen einer 10°/ o igen Jodkalilosung, 2 Tropfen einer konzentrierten Eau
de Javellelösung. Bei Anwesenheit von Ammoniak tritt sofort Braunfärbung
ein; selbst bei einer Verdünnung von 1 : 100000. Die braune Färbung beruht
auf Bildung von Jodstickstoff. Da Jod oder KJ mit Ammoniak direkt zu¬
sammengebracht, keinen Jodstickstoff liefern, so muß als Zwischenprodukt erst
Chlorjod erzeugt werden. Dieses aber gibt in Anwesenheit einer kleinen Menge
Alkali nach der Formel: 3 CI J + N Hi + 3NaOH = 3 NaCl + N J. -f 3 H.O
die gewünschte Reaktion. Sie übertrifft die Reaktion auf NHs mit dem
Neßlersehen Reagens an Feinheit, ist eindeutig für Ammoniak beweisend
und in HiS haltigen Wässern, wo das Neßler sehe Reagens überhaupt nicht
anwendbar ist, recht wohl zulässig.
(Falls eine Nachprüfung die Richtigkeit dieser Angaben bestätigt, so
wäre bei der Zerbrechlichkeit der mit Neßlerschem Reagens gefüllten Kap¬
seln des vorzüglichen Burrougs Wellcome & Cie.schen Wasserkastens
und bei dem Preise dieses Reagens ein Ersatz durch Jodkali und Eau de
Javelle gewiß recht wünschenswert. Ref.). Dr. Mayer-Simmern.
Milchhygienische Untersuchungen. Von Prof. Dr. Ko Ile. Klinisches
Jahrbuch; Bd. 13, H. 8. Verlag von G. Fischer in Jena.
Die unter Kolles Leitung von Kutcher, Meinicke und Friedei
angestellten Untersuchungen behandeln folgende Themata:
1. Die Widerstandsfähigkeit der Erreger der wichtigsten
Darmkrankheiten in Milch gegen Erwärmen auf verschiedenen
Temperaturen.
Resultat: Die verarbeiteten Krankheitserreger (Bact. typhi, paratyphi,
enteritidis, coli, Dysenterie-Fl einer, Shiga-, Choleravibrionen) können in
der Milch mit Sicherheit abgetötet werden, wenn letztere 10 Minuten auf 60 4 C.
erwärmt gehalten wird. Bemerkenswerte Unterschiede in der Widerstands¬
fähigkeit der untersuchten Bakterien waren nicht vorhanden. Im Großbetriebe
wird die Abtötnng der Bazillen auf diese Weise sicher erreicht werden, weil
bei der Erwärmung größerer Milchmengen eine viel längere Zeit gebraucht
wird, um die Temperatur von 60° zu erreichen. Im Haushalte kommt für
diesen Zweck nur das kurze Kochen der Milch in Frage.
2. Untersuchungen über die bakteriziden und entwicke¬
lungshemmenden Wirkungen der rohen und der auf ver¬
schiedene Temperaturen erwärmten Milch gegenüber denoben
genannten Bakterien.
Resultat: Entwicklungshemmende Eigenschaften der frischen,
rohen Milch konnten nur in geringem Grade gegenüber den Dysenterie¬
bakterien festgestellt werden; dieselben fehlten jedoch gegenüber den übrigen
untersuchten Bakterien. Die bakterizide Wirkung der rohen Milch gegen¬
über den Cholera Vibrionen wird durch Kochen zerstört, durch Erhitzen auf
60° abgeschwächt. Gegenüber den anderen angeführten Bakterien besitzt die
frische und erwärmte Milch keine keimtötende Wirkung. Die Behauptung
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
467
Behrings Aber die bakteriziden Eigenschaften der Milch konnten nicht be¬
stätigt werden.
8. Untersuchungen Aber die Wirkung des Formaldehyds
anf die Haltbarkeit der Milch, die Milchbakterien und die
pathogenen Bakterien.
Resultat: Bei Formaldehydzusatz (1 : 25000 bezw. 1 : 40000) ließen
sich sowohl in gekochter, als auch in roher Milch nach 3 tägigem Aufenthalt
bei Zimmertemperatur oder auf Eis alle untersuchten Bakterienarten nach-
weisen. Die bis dahin geringe Bakterienentwicklung nimmt bei gleichbleiben¬
dem Geschmack und Aussehen der Milch vom dritten Tage ab ein schnelleres
Tempo an. Der Formaldchydzusatz wirkt besonders hemmend auf die Milch-
saurebakterien ein. Die Formaldehydmilch wird länger an der Gerinnung ge¬
hindert, trotzdem die Bakterienentwicklung eine ungeheure sein kann. Abge¬
sehen von der durch Behring keineswegs widerlegten Giftigkeit des Formal¬
dehydzusatzes ist derselbe insofern sehr bedenklich, als er durch das Erhalten
des frischen Aussehens und Geschmacks der Milch über gefährliche Eigen¬
schaften derselben den Konsumenten hinwegtäuschen kann.
Dr. Dohrn-Ca88eL
Ueber den Nachweis ron Formol ln der Milch. Von E. Nicolas.
Comptes rendus de la soc. de bioL; 1905, LVIII, Nr. 15.
Der Autor empfiehlt folgende Methode: Man fällt das Kasein der
Milch durch 10°/ o ige Essigsäure oder Milchsäure und filtriert. Dem Filtrat
werden einige Krystalle Amidol zugesetzt. Enthält die Flüssigkeit Formol
und zwar sogar 1 : 500000 und weniger der 40°/ 0 igen Formaldehydlösung, so
tritt eine deutliche Beaktion: grüne Fluoreszenz, ein.
Die Probe weist den Zusatz von Formol auch zu anderen Nahrungs¬
mitteln nach. Sie beruht darauf,. daß die Metadiamine mit den Aldehyden
tberhaupt eine grüne Fluoreszenz liefern, so das Metaphenylendiamin, das
Kamidophenol Ce Hs (OH) (NHs) und sein salzsaures Salz.
Läßt man in einer formaldehydhaltigen Flüssigkeit eine genügende
Mage Diamidophenol sich auflösen, so färbt sich die Lösung mehr oder weniger
rasch gelb oder gelborange und wird fluoreszierend. Bei Beleuchtung im auf¬
fallenden Lichte auf dunklem Hintergründe ist die Fluoreszenz besonders
deutlich. Der Zusatz von Essigsäure und Milchsäure stört die Beaktion nicht;
die Wärme beschleunigt den Eintritt.
Die Ausfällung des Kaseins kann auch durch Zusatz von gesättigten
Na CI- oder MgSOi-Lösungen zur Milch bewerkstelligt werden. Man fügt als¬
dann Essigsäure zu, filtriert, setzt dem Filtrat das Beagens zu und erwärmt.
So tritt die Probe am raschesten ein. Dr. Mayer-Simmern.
Ueber die VerSnderungen der Zusammensetzung der Weine durch
Schönen mit Hausenblase, Gelatine, Eiwelss und Spanischer Erde. Von
Prot Dr. K. W indisch und Dr. T. Böttgen. Ebenda; S. 130.
Die Verfasser fanden, daß die chemische Zusammensetzung der Weine
durch die Schönung im allgemeinen wenig beeinflußt wird; namentlich gilt
dies yon den gebräuchlichsten Schönungsmitteln: Hausenblase und Gelatine.
Es tritt hierdurch nur eine Gerbstoffverminderung ein. Zu bemerken sei
jedoch, daß starke wiederholte Gelatineschönungen allerdings soviel Gerbstoff
entziehen können, daß dadurch die Beantwortung der Frage, ob einem Wien
Tresterwein beigemischt ist, erschwert werden kann. Beachtenswert ist, daß
gute Spanische Erde (ein Verwitterungsprodukt des Feldspathes) die Weine
fast gar nicht verändert. Nach den Untersuchungen anderer Autoren ist Tier¬
kohle ein ungeeignetes Mittel, da sie die chemische Zusammensetzung der
Weine sehr erheblich beeinflußt. Dr. Symanski- Hagenau.
Beitrag zur Untersuchung und Beurteilung kandierten Kaffees.
Von Dr. EL Orth. Zeitschr. f. Untersuchung der Nahrungs- u. Genußmittel;
Bd. 9, H. 3, S. 137.
Unter kandiertem Kaffee ist ein solcher zu verstehen, dem beim Bösten
eine gewisse Menge Zucker hinzugefügt wird, der während dieser Prozedur in
Karamel verwandelt wird. Dieses Kandieren verfolgt meistens den Zweck,
468
Tagesnachrichten.
den gerösteten Kaffee besser za konservieren (Aroma), teils aach den, am
hierdurch den verschiedenen Geschmacksrichtangcn der Konsumenten besser
za entsprechen. Bei ordnungsgemässem Verfahren soll ein derartiger Kaffee
ein schön dunkel- bis schwarzbraunes Aussehen haben und nach erfolgter Ab¬
kühlung keine klebrige Beschaffenheit aufweisen. Bei entsprechender Dekla¬
ration ist gegen einen solchen Kaffee vom hygienischen Standpunkt nichts eu-
zuwenden. Jedoch soll nach den „Vereinbarungen zur einheitlichen Unter¬
suchung und Beurteilung von Nahrangs- und Genußmitteln für das Deutsche
Reich 1899/1902" der Höchstgehalt des abwaschbaren Ueberzuges derartiger
Kaffees höchstens 4 °/ 0 betragen. Verfasser hat nun in 32 Versuchen (im Gro߬
betriebe) nachzuprüfen versucht, ob eine solche Vorschrift bei dem üblichen
Verfahren (nach Hilger) streng eingehalten werden kann, und dabei gefunden,
daß eine vom kaufmännischen Standpunkte als vollwertig zu betrachtende
Handelsware oft einen höheren Gehalt als 4°/ 0 , ja in den meisten Fällen sogar
über 5°/, aufweisen kann; daher ist die Innehaltung dieser Maximalzahl feea
der üblichen Methode nicht möglich. Dr. Sy man ski- Hagenau.
Tagesnachrichten.
Das preusnlaohe Abgeordnetenhaus hat in seiner 8itzung am
30. Juni das Seuehengesetz ohne Debatte mit den vom Herrenhaus be-
schlossenen Aenderungen (s. Nr. 12 der Zeitschrift S. 406) angenommen. Damit -
ist das wichtige Gesetz endlich verabschiedet, allerdings in einer nach mancher -
Richtung hin nicht den Anforderungen der öffentlichen Gesundheitspflege mit- -
sprechenden Fassung. Namentlich gilt dies betreffs der durch das Herrenhaus
beseitigten Anzeigepflicht bei verdächtigen Erkrankungen an Typhus und
Wochenbettfieber. Immerhin bedeutet das Gesetz einen großen Fortschritt;
seine Durchführung wird jetzt um so weniger auf Schwierigkeisen stoßen,
als der Staat bei leistungsunfähigen Gemeinden einen erheblichen Teil dm
Kosten mit zu tragen hat. __
Das Gesetz betr. die Gebühren der Medizinalbeamten ist dagegen ii ’’
derselben Sitzung nicht zur Verabschiedung gelangt, sondern nochmals voa
der Tagesordnung abgesetzt und zwar lediglich aus dem Grunde, weil sieh
namentlich die konservative Partei und ein großer Teil des Zentrums nicht
entschließen konnten, der Regierung die Machtvollkommenheit des § 7, wonach
der Tarif von dem zuständigen Minister festzusetzen ist, einzuräumen, obwohl .
man bei den Kreistierärzten bekanntlich ein derartiges Bedenken nicht gehabt
hat. Selbst ein Antrag des Abg. Graf Praschma (Zentr.), wonach der .fest¬
gesetzte Tarif sowie etwaige Aenderungen dem Landtage, wenn er versammelt
ist, sofort, andernfalls bei seinem nächsten Zusammentreten vorzulegen und
die Aenderungen außer Kraft zu setzen sind, soweit der Landtag seine Zu¬
stimmung versagt", vermochte ebensowenig die Bedenken der Konservativen * i 't
gegen § 7 zu zerstreuen, wie die sachgemäßen Ausführungen des Abg. Gamp
und des Herrn Ministers, mit denen diese den durch die Abg. Winkler (kons.) ; ■
und v. Savigny (Zentr.) vertretenen ablehnenden Standpunkt bekämpften. Hit <
Recht hob der Herr Minister Dr. Studt hervor, daß der Entwurf nach eilige;
henden Erörterungen in der Kommission einstimmig angenommen und nur in zwei
untergeordneten Punkten abgeändert sei. Die in § 7 vorgesehene Bestimmung,
daß der Tarif durch den zuständigen Minister festzusetzen sei, bedeute keine»- : u
wegs eine ganz außerordentliche gesetzgeberische Maßnahme, sondern bewege
sich durchaus in dem Rahmen der innerhalb der letzten Jahrzehnte geübten gesets- , v>1 ,
f eberischen Praxis. In verschiedenen neueren Gesetzen, in denen Gebühren für ^
taatsbeamte vorgesehen seien, sei der Gebührentarif stets von der ministerielles
Festsetzung und nicht von der Genehmigung des Landtags abhängig gemacht;
auch bei dem im Vorjahre beschlossenen Gesetz über die Dienstbezüge der
Kreistierärzte vom 24. Juni 1904 sei dies der Fall. Gerade der Umstand, d»ß
s. Z. im Gesetz von 1872 die Gebühren der beamteten Aerzte gesetzlich
festgelegt seien, habe zu sehr lästigen Uebelständen bei der praktischen An¬
wendung geführt, wie das auch ausdrücklick von der Kommission anerkannt
sei Die beiden Körperschaften des Landtags könnten eben nicht als geeignet
angesehen werden, um besondere Fragen technischer und wissenschaftlicher
Natur, die hierbei im wesentlichen in Betracht kommen, im einzelnen zu er*
Tagesnachrichten.
469
ledigen. Eine Festsetzung des Tarifs durch den Landtag sei auch nicht er¬
forderlich; denn die meisten Dienstreisen und Amtsgeschäfte würden von den
Kreisärzten im Aufträge des Landrats oder des Regierungspräsidenten ausge¬
führt und die Kosten daher auf die Staatskasse übernommen. Tatsache sei es
außerdem, daß nach den vorliegenden statistischen Notizen sich die Tage¬
gelder un d Reisekosten der Kreisärzte ganz erheblich nie¬
driger in ihrer Gesamtheit gestalten, als diejenigen der
Kreistierärzte. Ferner sei nach dem Gesetzentwürfe in gewissen Fällen
eine Pauschalierung der Gebühren der Kreisärzte möglich, die sich auch für
die Gemeinden empfehle. Die Tarifsätze seien in der Kommission eingehend
erörtert worden; die hier gemachten Bedenken hätten sich aber nur darauf
bezogen, daß die Tarifsätze in einzelnen Fällen zu niedrig, aber nicht zu hoch
bemessen waren. Die Absicht einer erheblichen Erhöhung der Tarifsätze liege
der Medizinalverwaltung völlig fern.
Abgesehen von den gerichtsärztlichen Gebühren, namentlich für Obduk¬
tionen uud für größere Gutachten bringt auch der Tarif tatsächlich keine Er¬
höhungen, sondern vielfach nicht unerhebliche Ermäßigungen, indem er .Ge¬
bührensätze vorsieht, die z. T. niedriger als die bisherigen und auch niedriger
als die der ärztlichen Gebührenordnung sind. Die Medizinalbeamten werden
deshalb, abgesehen von den Gerichtsärzten, keinen großen finanziellen Schaden
erleiden, wenn der Gesetzentwurf erst im nächsten Jahte zur Verabschiedung
gelangt Da der Gesetzentwurf nicht abgelehnt, sondern nur von der Tages¬
ordnung abgesetzt und der Landtag vertagt ist, so steht zu erwarten, daß er
gleich zu Anfang der Herbstsitzung wieder zur Beratung gelangt und nicht
bis zum Schluß aer Session zurückgestellt wird.
Erhebungen, betr. Arbeiterselinlz. Mit Rücksicht darauf, daß die
Xetallschleifer bei ihrem Gewerbe infolge Einatmung von Staub, insbe¬
sondere Metallstaub, gesundheitlich schwer geschädigt werden — es handelt
sich dabei hauptsächlich um Erkrankungen der Lungen, insbesondere Schleifer-
tsthma und Lungentuberkulose — ist vom Reichsamt des Innern der Frage
näher getreten, ob der Erlaß von Vorschriften zur Bekämpfung dieser Gesund-
hdtsgefahr für das ganze Reichsgebiet auf Grund des § 1 der Gew.-Ordn. ge¬
boten ist. Die Bundesregierungen sind deshalb um Erhebungen über die Zahl
der Trocken- und Naßschleifereien, über die Zahl der in ihnen beschäftigten
männlichen, weiblichen und jugendlichen Schleifer und auch um Angaben über
die Zahl der an Lungenleiden erkrankten Schleifer ersucht, soweit sich darüber
tos der Statistik der Krankenkassen Auskunft geben läßt. Gleichzeitig sind
ihnen die Grundzüge derartiger Vorschriften zur Begutachtung mitgeteüt.
Auch zur Bekämpfung der aus der Verwendung von Blei drohenden
Gcrandheitsgefahren hat das Reichsamt des Innern die Bundesregierungen
(nacht, durch die Gewerbeaufsichtsbeamten feststellen zu lassen, wieviel Blei-
erkrankungen der Arbeiter in Feilenhauereien infolge der Benutzung von
Unterlagen aus Blei und Bleilegierungen beim Hauen der Feilen sowie infolge
Anlassens und Härtens der letzteren in Bleibädern beobachtet worden sind.
Gleichzeitig ist eine Aeußerung darüber erbeten worden, ob die Verwendung
An Bleies und seiner Legierungen zu Unterlagen ganz oder teilweise ver¬
boten werden kann.
Tagesordnung zur 77. Versammlung Deutscher Naturforscher und
Amte in Meran vom 24. bis 80. September 1905.
A. Allgemeine Sitnungen.
Sonntag, den 24. September, vormittags 10 Uhr: Sitzung des
Vorstandes der Gesellschaft im Hotel Erzherzog Johann. — 11 */* Uhr: Sit-
nng des wissenschaftlichen Ausschusses ebenda. — Nachmittags 3 Uhr: Vor¬
stellung im Volksschauspielhause: „Andreas Hofer“. — Abends 8*/* Uhr: Be-
grftßungsabend für Damen und Herren in der Festhalle; Militärkonzert.
Montag, den 25. September, Vormittags 10 Uhr: Erste allgemeine
Versammlung in der Festhalle (Herzogs-Rudolfstraße): 1. Eröffnungsrede.
4 Begrüßungsansprachen, 8. Vortrag des Herrn Prof. Dr. W. Wien-Würz-
470
Tugesnachrichten.
bürg: „Ueber Elektronen“. 4. Vortrag des Herrn Dr. Nocht-Hamburg:
„Ueber Tropenkrankheiten“. — Nachmittags 3 Ohr: Abteilungs-Sitzungen. —
Abends 8*/* Uhr: Volksliederabend in der Festhalle; Konzert einer Musik¬
kapelle.
Dienstag, den 26. September: Vor-und Nachmittags: Abteilungs-
Sitzungen. — Abends 6 Uhr: Festmahl in der Festhalle. (Anmeldungen hierzu
bis Montag, den 25. September in der Hauptgeschäftsstelle [Kurhaus, Lesehalle]
erbeten. Preis Mk. 6 = K. 6.— ohne Wein.) — 8'/» Uhr: Konzert einer
Musikkapelle auf der Promenade vor dem Kurhause.
Mittwoch, den 27. Septembe r, vormittags 8 '/* Uhr: Erste Geschäfts¬
sitzung in der Festhalle: Wahl des Versammlungsortes und der Geschäfts¬
führer für 1906. — Neuwahlen in den Vorstand und in den wissenschaftlichen
Ausschuß. — Kassenbericht. — Vormittags 10 Uhr: Gesamtsitzung der beiden
wissenschaftlichen Hauptgruppen in der Festhalle, a) Herr Prof. Dr. A. G uta¬
rne r-Jena: Bericht über die Tätigkeit der in Breslau eingesetzten Unter¬
richtskommission der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Aerzte. b) Vor¬
träge: 1. H. Prof. Dr. Correns-Leipzig: „Ueber Vererbungsgesetze“.
2. H. Prof. Dr. Heider-lnnsbruck: „Ueber Vererbung und Chromosomen*.
8. H. Prof. Hatschek-Wien: „Neue Theorie der Vererbung“. — Nach¬
mittags: Abteilungs - Sitzungen. — Abends 8 */* Uhr: Bilder aus dem Tiroler
Leben in der Festballe. Zusammengestellt vom Volksschriftsteller Karl WoIf.
Donnerstag, den 28. September, vormittags: Abteilungs - Sit¬
zungen. — Nachmittags 3 Uhr: Gemeinschaftliche Sitzung der medizinischen
Hauptgruppe in der Festhalle: „Ueber Natur und Behandlung der Pellagra*.
Referenten: Hofrat Prof. Neuß er-Wien, Dr. med. Adriano Stur li-Wien,
Med.-Rat Prof. Dr. Tuczek-Marburg, Prof. Dr. Ludwig Merk• Innsbruck,
Statthaltereirat Dr. Ritter v. Haberler-Innsbruck. — Abends 8'/» Uhr: Fest¬
abend auf der Promenade vor dem Kurhause, gegeben von der Kurvorstehung
Meran. Festillumination und Bergbelcuchtung.
Freitag, den 29. September, vormittags 8*/* Uhr: Eventuelle
zweite Geschäfts - Sitzung in der Festhalle. — 10 Uhr: Zweite allgemeine Ver¬
sammlung in der Festhalle. Vorträge: 1. H. Prof. Dr. H. Molisch-Prag:
„Ueber Lichtentwickelung in den Pflanzen.“ 2. H. Prof. Dr. Dürck-München:
„Ueber Beri-Beri und intestinale Intoxikationskrankheiten im Malayischen Ar¬
chipel.“ 3. H. Direktor Dr. N eißer-Lublinitz: Individualität und Psychose“.
4. H. Josef Wimmer-Wien: „Mechanik der Entwickelung der tierischen
Lebewesen*. — Nachmittags: Erforderlichenfalls Abteilungs-Sitzungen. —
3 Uhr: Veranstaltungen auf dem Sportplätze Meran-Meis. Bauernrennen und
Rangeb. — Abends 8*/» Uhr: Abschiedsabend in der Festhalle. Militärkonzert.
Samstag, den 30. September: Ausflüge: Fragsburg, Lebenberg,
Schönna, St. Leonhard, Tirol. Auskünfte hierüber m der Hauptgeschäftsstelle,
Kurhaus, Lesehalle. — Abends 8'/* Uhr: Konzert in der Festhalle.
Sonntag, den 1. Oktober, nachmittags 3 Uhr: 2. Vorstellung im
Volksschauspielhause: „Andreas Hofer“.
B. Abteilungs - Sltaungen.
1. Gerichtliche Medisin. (Zugleich Tagung der „Deutschen Gesell¬
schaft für gerichtliche Medizin“.) Einführende: Dr. Neuhauser, k. k.
Bezirksarzt in Meran, Univ.-Prof. Dr. Ipsen-Innsbruck. Schriftführer: Dr.
Spöttl-Meran, Dr. Molitoris-Innsbruck. — Sitzungsraum: Speisesaal im
Hotel Stadt München, Burggrafenstraße 15. Verpflegungsstätte: ebendaselbst
Diskussionsthemata: a. „Tod durch Elextrizität“. I. Referent:
Kratter-Graz; II. Referent: Jellinek-Wien. b. „Morphinismus in straf¬
rechtlicher Beziehung“. I. Referent: v. Kaan-Meran; II. Referent: Straß-
mann-Berlin. c. „Der Geisteszustand jugendlicher Krimineller“. I. Referent:
Anton-Graz; II. Referent Puppo-Königsberg L Pr. — Angemeldete
Vorträge: 1. Dohrn und Scheele-Cassel: Beiträge zur Lehre von des
Degenerationszeichen. 2. Horoszkiewicz-Krakau: Thema Vorbehalten.
3. Ipsen-Innsbruck: a. Ueber den Nachweis von Atropb; b. ein Beitrag zur
Lehre vom Kindsmord. 4. Kratter und Pfeiffer-Graz: Kasuistisches aus
dem Institut für gerichtliche Medizin der Universität Graz. 6. L epp mann-
Tagesnachrichten.
471
Berlin: Thema Vorbehalten. 6. Molitoris-Innsbruck: a. Ueber das Ver¬
halten einzelner Alkaloide im Vogeltierkörper; b. über die Fäulnis von Lungen
Neugeborener. 7. Pfeiffer -Graz: Neue Beiträge zur Kenntnis der Präzipitin¬
reaktion (Spezifizität der Reaktion.) 8. Reut er-Wien: a. Ueber den Nach¬
weis von Kohlenoxydgas im Leichenblut; b. Demonstration postmortaler epi¬
duraler Blutextravasate von verkohlten Leichen. 9. Richter-Wien: a. Nach¬
weis von Bakterien in Blutspuren und seine forensische Bedeutung; b. Wider¬
standsfähigkeit von Leichengeweben und Leichenorganen gegenüber äußeren
Gewaltseinwirkungen. 10. Stolper-Göttingen: Zur Verhütung der Unfall¬
neurosen. 11. Stumpf-Würzburg: Weitere Mitteilungen über die quantitative
Bestimmung des Luftgehaltes der Lungen (mit Demonstrationen). 12. Wach-
holz-Krakau: Zur Kohlenoxydvergiftung.
10. Hygiene, einschllesalioh. Bakteriologie und Tropen¬
hygiene. Einführende: Univ.-Prof. Dr. Lode-Innsbruck, Statthaltereirat Dr.
T. Haberler, Landessanitätsreferent in Innsbruck, Dr. Foppa, Landes-
nnitätsinspektor. Schriftführer: Dr. A. Lustig-Meran, Dr. v. Wunsch¬
heim-Innsbruck, Dr. Reibmayr-Innsbruck. —Sitzungsraum: 5. Klasse des
k. k. Obergymnasiums, Renn weg 1. Verpflegungsstätte: Festhalle, Herzog-
BadolfBtr&ße.
1. Bail-Prag: Thema Vorbehalten. 2. Balln er-Innsbruck: Thema
Vorbehalten. 3. Bamberger-Wien: Pneumatogen, ein neues System von
Atmungsapparaten. 4. Frhr. v. Dungern-Freiburg i. Br.: Zur Frage der
Identität von Menschen- und Rindertuberkulose. 5. Grünbaum -Leeds: Einige
Beobachtungen betreffs der Opsonina. 6. Heim-Erlangen: a. Ein neues Ver¬
fahren zum schäferen Nachweis von Verunreinigungen des Fluß- und Tiink-
wassers; b. einfachstes Bakterienfilter. 7. L in dn er -Cassel -Wahlershausen:
Zwei neue Protozoen als Parasiten im Tierkörper. 8. Lode-Innsbruck: Thema
Vorbehalten. 9. R. 0. Neumann-Heidelberg: Ueber das gelbe Fieber und
(eine Bekämpfung. 10. Frhr. v. Pirquet-Wien: Ueberempflndlichkeit und
beschleunigte Reaktionsfähigkeit. 11. Raibmayr-Innsbruck: Thema Vor¬
behalten. 12. Remy-Bonn: Die Immunitätsfrage unter besonderer Berttck-
nehtignng der bei der Pflanze beobachteten Immunitätserscheinungen.
13. Trommsdorff-München: Ueber den Mäosetyphusbazillus und seine Ver¬
wandten. 14. Weyl-Charlottenburg-Berlin: Zur Geschichte der sozialen
Hygiene im Mittelalter. 15. v. Wunschheim-Innsbruck: Weitere Mittei-
hugen über die Aetiologie der Hundestaupe. — Die Abteilung ist eingeladen:
voa Abteilung 20 (Kinderheilkunde) zu: Camerer jun. - Stuttgart: Unter¬
suchungen über die Säuglingsernährung in Arbeiterkreisen. Moro-Wien:
Ueber die Bedeutung der physiologischen Darmflora. Voigt-Hamburg: Die
Verwendung der Kaninchenlymphe zur Menschenimpfung.
Die 84. Hauptversammlung des Deutschen Apotheker • Vereins findet
an 21 und 25. August 1905 in Breslau statt. Auf der Tagesordnung
stehen a. a: Zulassung von weiblichen Personal als Hülfskräfte, Dispensations-
reeht der Tierärzte, Reichs-Betriebsordnung, soziale Fürsorge der Apotheken-
bentier für das Hülfspersonal.
Genlekstarre ln Prenssen. Für die Zeit vom 31. Mai bis 15. Juni sind ge¬
neidet 848 (215) Erkrankungen (Todesfälle) an epidemischer Genickstarre und
«war in der Provinz Ostpreußen 1, Westpreußen —, Brandenburg 6 (2),
Pommern 1 (1), Posen 1, Schlesien 169 (112), Sachsen 3 (1), Schleswig-Holstein
1 Hannover 2, Westfalen 6 (2), Hessen-Nassau 3 (t), Rheinprovinz 5 (3),
HohenzoUern —. Von den 101 (123) Erkrankungen (Todesfällen) entfielen also
169 (112) auf die Provinz Schlesien und nur 32 (11) auf die übrigen Teile der
Monarchie. Seit dem Beginn der Epidemie (November v. J.) kamen in
Preußen 3000 Erkrankungen und 1584 Todesfälle an epidemischer Genick¬
starre zur Anzeige, von denen 2726 (1457) auf die Provinz Schlesien, 274
(127) auf den übrigen Staat entfielen.
472
Sprechsaal.
Bitte an die Leser der Zeitschrift. Ich beabsichtige eine möglichst
vollständige Zusammenstellung der z. Z. in Deutschland bestehenden und im
Entstehen begriffenen Säuglings-Milchküchen und Säuglingsheime
zu verfassen und über deren Einrichtung, Betrieb und Erfahrungen zu berichten.
Ich bitte deshalb alle diejenigen Kollegen, die von solchen Einrichtungen Kennt¬
nis haben, mir baldigst auf einer Postkarte die Adressen mitzuteilen, damit ich
dann dorthin einen Fragebogen senden kann, dessen Ausfüllung mir die nötigen
Grundlagen geben soll. Physikus Dr. Sieveking,
Hamburg 17, Botenbaumchaussee 211.
Spreoha&aL
Anfrage des Kreisarztes Dr. H. ln B.: Sind Privatpraxis be¬
treibende Militärärzte nur zur Anzeige dieser Absicht, oder
auch zur Vorlage ihrer ärztlichen Legitimationspapi er e(bes w
nur der Approbation allein oder auch des Doktordiploms) bei
dem zuständigen Kreisarzt verpflichtet?
Antwort: Durch Erlaß des Kriegsministeriums vom 8. Januar 1876
(Armee-Verord.-Bl. S. 11), in Erinnerung gebracht durch Erlaß vom 18. Novbr.
1882 (Arm.-V.-Bl. 8. 210) sind die Militärärzte darauf aufmerksam gemacht,
daß die Polizeiverordnungen über die Meldepflicht der Aerzte auch von den¬
jenigen Militärärzten zu beachten sind, die Zivilpraxis ausüben wollen. Die¬
selben haben sich demnach bei dem Kreisärzte zu melden und die gleichen
Papiere vorzulegen, wie die Zivilärzte. Welche Papiere vorzulegen sind, hängt
von dem Wortlaute der in dem betr. Regierungsbezirke geltenden Polizeiver-
Ordnung ab. Im Beg.-Bez. Minden wird z. B. mündlich oder schriftlich Mel¬
dung unter Vorlegung der Approbation oder einer beglaubigten Abschrift
derselben, sowie unter Angabe des Wohnortes und der persönlichen Verhält¬
nisse (Geburtsjahr, Religion, Datum und Ort der Promotion, Militärverhältnisse,
Besitz von Titeln usw.) verlangt. Es ist also nur die Vorlage der Approbation
vor geschrieben, während betreffs der übrigen persönlichen Verhältnisse ent¬
sprechende Angaben des sich meldenden Arztes genügen.
Anfrage des Kreisarztes Med.-Rat Dr. E. in 6.: Ist der Titel
„geprüfte Orthopädin“ als ein arztähnlicher Titel anzusehen?
Antwort: Nein! Der Titel ist nicht geeignet, das Publikum über
die Eigenschaft seiner Trägerin irre zu führen. Bisher ist auch von Seiten
der Gerichte in diesem Sinne entschieden.
Anfrage des Kreisassistenzarztes Dr. K. inW.: Darf in Preußen
die Remuneration der Kreisassistenzärzte zur Kommunal¬
steuer nur zur Hälfte herangezogen werden?
Antwort: Ja! Nach § 41 des preuß. Kommunalabgabengesetzes vom
14. Juli 1893 kommen für die Heranziehung der unmittelbaren und mittelbaren
Staatsbeamten usw. zu Einkommen- und Aufwandssteuern bis zum Erlaß eines
besonderen Gesetzes (das noch nicht ergangen ist) die Bestimmungen der Ver¬
ordnung, betr. die Heranziehung der Staatsdiener zu den Kommunalauflagen
in den neuerworbenen Landesteilen vom 23. September 1867 (G.-S. 8.1648)
mit der Maßgabe zur Anwendung. Nach §§ 4 und 5 dieser Bestimmungen
darf das Dienst ei nkommen nur mit der Hälfte seines Betrages der
Veranlagung zugrunde gelegt werden; außerdem dürfen an direkten Kom¬
munalauflagen aller Art äußersten Falles im Gesamtbeträge bei Besoldungen
von 760—1600 Mark nicht mehr als l 1 /* °/ 0 des gesamten Diensteinkommas
jährlich gefordert werden. Die Remuneration des Kreisassistenzarztes sowie
etwaige Gebühren für amtsärztliche Geschäfte stellen dessen Dienstein¬
kommen dar und können demgemäß nur bis zur Hälfte zur Kommunalsteuer
herangezogen werden, bezw. äußersten Falls nur bis 1’/*°/« ihres Gesamt¬
betrages, falls dieser nicht mehr als 1600 Mark beträgt.
Verantwortl. Redakteur: Dr. Rap mun d, Reg.- u. Geh. Med.-Rat in Mindeni. W.
J. 0. C. Bruns. HerzogL Sich«, u. F. fleh.-L. Hofbucbdruckerel in Minden.
18 . Jahrg.
1905.
Zeitschrift
MEDIZINALBEAMTE.
ZeitnIMatt Rr gerichtliche Iclizii u4 Psychiatrie,
Kr arztliehe Saehferstudigeatatigkeit in Unfall- nnd Inraliditatssaehen, sowie
Kr Hygiene, ifeatL Saiititswesen, ledizinal-Geeetzgebug u4 Reehtsprechug,
Herausgegeben
TOD
Dr. OTTO RAPMOND,
Regierung«- and Geh. Medisin*lr«ft In Minden«
Verlag von Fischers mediz. Buohhandlg., H. Kornfeld,
HtraogL Bayer. Hof- u. BniunogL Kammer-BnahMadler.
Berlin W. 35, Lützowstr. 10.
lammte nehmen die Verlagahendhing sowie alle Annoncen - Expeditionen de« In¬
end Auslandes entgegen.
Nr. 15.
Krschelat mm 1. nid IS« Jedem Hemmte
1. August.
Weitere Erörterungen Uber die „Meldepflicht bei Kindbett-
fieberfällen“ als Ergänzung zu Dr. Nickels Aufsatz in
Nr. 8 dieser Zeitschrift.
Von Prot Dr. Walther-Gießen, Frauenarzt und Hebanunenlehrer.
Die interessanten Mitteilungen des H. Kreisarzt Dr. Nickel
in Nr. 8 dieser Zeitschrift sowie die Besprechung auf der Haupt¬
versammlung des Preussischen Medizinalbeamtenvereins *) dürften
geeignet sein, die Diskassion über die Frage der Meldepflicht
von Kindbettfieberfällen 1 ) anzaregen and damit weiteres Material
za sammeln. Für ans Hebammenlehrer sind gerade Belehrungen
ans dem Schosse der Herren Kreisärzte ausserordentlich
wertvoll; aber auch die eigenen Erfahrnngen der geburtshilf¬
lichen Praxis lassen sich hier verwerten; sie geben mir bei
Prüfung des § 481 and 482 des neuen preussischen Heb&mmen-
lehrbnches wie des § 28 der neuen Dienstanweisung zu ähnlichen
Bedenken Anlass, wie sie in Nr. 1 dieser Zeitschrift auch H.
Kollege Mann 8 ) ausgesprochen hat. Gerade Dr. Nickels Mit-
teflungen regen mich in der Beziehung zur Mitteilung einiger
Erfahrnngen ans meiner konsultativen Praxis an, zumal sich eine
Beihe von Fällen mit denjenigen Dr. Nickels fast vollkommen
decken:
Am 27. April 1896 wurde ich von H. Kollegen Z. zu einer schwerkranken
') Siehe den der heutigen Nummer der Zeitschrift beigefügten offiziellen
Bericht über die XXII . Hauptversammlung des Preußischen Medizinalbeamten-
rereina.
*) Mann: Die Prophylaxe der puerperalen Wundinfektionskrankheiten
etc. Zeitachr. L Medixinafbeamte; 1905, Nr. 1. _
474
Dr. Walther.
Wöchnerin Frau H. nach auswärts gerufen; der Kollege hatte die Patientin
bereits seit 14 Tagen in Behandlung, hatte den Fall vorschriftsmäßig angezeigt
und die Hebamme veranlaßt, daß sie ihre Gerätschaften desinfizieren ließ und
sich weitere Instruktionen bei dem Kreisärzte holte, vor allem, daß sie nach¬
träglich noch den Fall als „Kindbettfieber“ selbst anzeigte. Ueber den Fall
selbst erfuhr ich folgendes: Frau H. war am &. April von der Hebamme vor jetzt
etwa 5 Wochen entbunden worden, spontane Geburt, nach mehreren Tagen,
angeblich vom fünften Tage ab Fieber, welches tagelang anhielt; ob es mit
einem Schüttelfrost eingesetzt hatte, konnte nicht ermittelt werden. Erst nach
8 Tagen Zuziehung des genannten Kollegen. Trotz aller Maßnahmen keine
Besserung. Bei meiner Zuziehung Ende der vierten Woche konnte ich alle
Erscheinungen der Septiko-Pyaemie klinisch wie anatomisch feststellen: hohes
Fieber (41°, Puls 140), Abdomen nicht schmerzhaft, Parametrien frei; am
Herzen keine Geräusche. Das rechteEUenbogengelenk zeigte eine deut¬
liche Schwellung und Fluktuation, das linke Kniegelenk desgleichen
geschwollen, in der Kniekehle sehr schmerzhaft; pemphigusartige Blasenbil¬
dung auf der Haut. Wiederholte Schüttelfröste. Nach dem Krankheitsverlaufe
stellte ich von vornherein die Prognose sehr ungünstig; trotz geeigneter Behand¬
lung seitens des Herrn Kollegen, wie zu erwarten, Exitus in der 6. Woche.
Der behandelnde Kollege hat nun nachgeforscht, wo eine etwaige In¬
fektionsquelle hier möglicherweise zu suchen war. Durch Zufall hörten wir,
daß die betr. Hebamme in ihrer Praxis mehrere, sicherlich zwei fieberhafte
Fälle gehabt hatte, die sie aber weiterhin nicht beachtet hatte. Sie berief sich
bezüglich des ersten Falles auf den damals behandelnden Arzt. Dieser Fall I
ist wiederum in bezug auf die Auffassung dessen, was als „Wochenbettfieber*
speziell leichtes Fieber zu gelten hat, charakteristisch:
Die betreffende Wöchnerin hatte am 4. Tuge Fieber, das Fieber soll noch
mehrere Tage bestanden haben. Der hier zugezogene Arzt hatte es als durch
.„Kotstauung entstanden* erklärt und den Fall, trotzdem die Frau mehrere
Tage fieberte, nicht angezeigt; natürlich unterließ auch die Heb¬
amme die Anzeige (NB. nach dem neuen preußischen Hebammenlehrbuch
hätte sie ja auch Becht!). Sie verfehlte dadurch gegen § 20 der hessischen
Dienstanweisung. Sie wurde zu Fall II gerufen, entband diese Frau; auch
diese fieberte mehrere Tage. Von da übernahm sie den oben beschriebenen Fall
Es erscheint mir sehr wahrscheinlich, dass hier ein kausaler
Zusammenhang zwischen den Fällen I und II und dem tödlich
verlaufenen Fall bestand und dass die Weiterttbertragung hätte
verhütet werden können, wenn der Arzt bei dem doch nicht nur
ein Tag, sondern mehrere Tage bestehenden Fieber die Hebamme
aut die etwaigen Gefahren einer Uebertragung aufmerksam gemacht
und die Hebamme dadurch vor der Uebernahme neuer Geburts¬
hilfe sich und ihre Gerätschaften vorschriftsmässig desinfiziert
hätte. Der Fall I gab noch zu weiteren Erörterungen zwischen
Arzt und Kreisgesundheitsamt Anlass, auf die ich nicht weiter
eingehen kann. Jedenfalls hätte m. E. hier der Arzt die kleine
Vorsicht beobachten können, bei dem ersten Fall, der zu den
sog. leicht fieberhaften Fällen von Wochenbettfleber (Kolpitis,
Endometritis ?) gehörten, welche oft genug nicht gehörig ge¬
würdigt werden, die Hebamme darauf aufmerksam zu machen, vor
der Uebernahme der nächsten Geburt die vorgeschriebenen Vor-
sichtsmassregeln zu beobachten.
Der Fall lehrt aber wiederum, wie Vieles nunmehr nach
dem § 481 des neuen Hebammenlehrbuchs von der Beurteilung
des Einzelfalles durch den Arzt abhängt, wenn, wie in den
Fällen des H. Kollegen Nickel, immer noch von „Influenza 8 im
Wochenbett gesprochen, oder, wofür ich unten ein Beispiel anführen
werde, gar von „Milchfieber“; auf diese Weise kann der Weiterver-
Weitere Erörterungen über die Meldepflicht bei Kindbettfieber uaw. 476
breitung von puerperaler Infektion auf andere Tür und Tor ge*
öffnet werden.
Es scheint auch mir daher, dass der § 481 des neuen Lehr-
baehes zu Missverständnissen Anlass geben kann; ich muss dabei
allerdings bemerken, dass ich den Grundsatz seither nicht nur
meinen Studierenden und den Hebammenschülerinnen gelehrt,
sondern auch selbst in der Praxis stets beobachtet habe, lieber
einen „Wochenbettdeber verdächtigen“ Fieberfall mehr anzuzeigen,
als einen zu wenig, damit nicht etwa andere Frauen durch etwaige
Uebertragung durch die Hebammen in Mitleidenschaft gezogen
▼erden. Es erniedrigt ja das Ansehen des Arztes in keiner
Weise, wenn er inbezug auf die Anzeigepflicht vorsichtig ist.
In diesem Sinne habe ich auch stets bei Konsultationen die Kol¬
legen veranlasst, den betr. Fieberfall noch nachträglich anzu¬
zeigen, da wir Aerzte doch die Verpflichtung in uns fühlen sollten,
die staatlichen Medizinalbehörden in der Ausübung ihrer Tätigkeit
za unterstützen und nicht ihnen entgegenzuarbeiten. Meiner An¬
sicht nach ist es nicht übertrieben, „jeden länger dauernden
Fieberfall im Wochenbett“ als anzeigepflichtig anzusehen; be¬
züglich der bekannten Eintagfleberfälle ist die Entscheidung er¬
heblich leichter.
In dieser Hinsicht scheint die hessische Dienstanweisung
vom Jahre 1888 § 20 den Verhältnissen in der Praxis noch am
ehesten zu entsprechen. Dort heisst es am Schlüsse:
»Von jeder schweren, überhaupt jeder fieberhaften Erkran¬
kung, welche bei einer Wöchnerin innerhalb der beiden ersten Wochen nach
der Entbindung eintritt, soll die Hebamme persönlich oder schriftlich dem
Kreisarzt Anzeige machen usw.“
Es ist nicht leicht gewesen, in dem neuen Lehrbuch diesen
Poskt, welcher bei extremer Auffassung der Anzeigepflicht zu
unangenehmen Unzuträglichkeiten führen kann, so zu formulieren,
dam er den Verhältnissen der Praxis immer entspricht. Der Ver¬
gaser des (im übrigen ausgezeichnet gearbeiteten!)
Lehrbuches, Prof. Dr. Runge, spricht dies selbst in der Be¬
sprechung des Lehrbuches 1 ) aus, indem er in betreff der Vorschriften
zor Verhütung und bei Entstehung des Kindbettfiebers sagt:
»Dieser Teil bereitete der Kommission die größte Mühe. Man mußte
die denkbar größte Sicherheit schaffen gegen die Uebertragung des Kindbett¬
fiebere, aber auch den Wortlaut mit den Vorschriften des in Aussicht stehenden
Ludscuchengesetzcs in Einklang bringen. Den Hebammen sollte wie bisher
die Anzeigepflicht beim Kindbettfieber auferlegt werden. Um dabei aber
Kollisionen mit dem Arzt etc. oder peinliche Situationen zwischen Arzt und
Kreisarzt möglichst zu vermeiden, war eine besonders geschickte Fassung des
fatr. Paragraphen zu wählen. Ob hiermit allen Anforderungen genügt ist,
sei dahingestellt; an dem ehrlichen Willen, ihnen gerecht zu werden, hat es
wahrlich nicht gefehlt.“
Dass die jetzige Fassung des § 481 des neuen Lehrbuches*)
’) Zentralbl. f. Gynäkologie; 1901, Nr. 44.
*) § 481 des neuen preuß. Lehrbuches heißt:
»Die Hebamme hat bei Fieber im Wochenbett einen Arzt zu for¬
dern, wenn die Temperatur über 38,5° beträgt, und am nächsten
Jage nicht unter 88° sinkt. Folgt auf den Ficbertag zwar ein fieber¬
freier Tag, geht aber am 8. Tag oder später die Temperatur wieder über 88°,
80 k»t sie das Gleiche zu tun.“
476
Dr. Walther.
und des § 28 der Dienstanweisung zu Gefahren in bezug anf die
Uebertragung führen kann, das hat Ahlfeld 1 ) an folgendem sehr
lehrreichen Beispiel gezeigt:
„Frau M. hat am 8. Wochenbettstage vormittags 40,0, abends 40,4.
Nach der Instruktion darf die Hebamme den nächsten Tag abwarten. Am
4. Tage Morgens 37,8; folglich braucht die Hebamme nicht zum Arzt zu
schicken. Erst nach dem Abendbesuch, wo die Messung 39,6 ergibt, ist die
Hebamme verpflichtet, einen Arzt zu rufen, der nun wahrscheinlich am 3. Tage
morgens eintrifft. Die Hebamme kann dann sehr wohl, während sie eine Kind¬
bettfieberkranke pflegte, eine, auch zwei neue Entbindungen vorgenommen
haben, ohne daß sie gegen die Instruktion verstieß. Augenscheinlich ist hier
vergessen worden, eine Fiebertemperatur anzugeben, bei der ungesäumt, ohne
den nächsten Tag abwarten zu dürfen, der Arzt gerufen werden muß.“
Ahlfeld sagt weiter:
„Bei der Ungenauigkeit über diesen Punkt im alten Lehrbuch haben
wir im Unterricht so gelehrt, daß bei Messungen der Temperatur zwischen
88,0 und 38,5 bestimmt wird, und wenn auch nur einmal sie 38,6 übersteigt,
dann ein Arzt zu Bäte gezogen werden soll.“
Bezüglich der Anzeige an den Kreisarzt, die erst von der
Aussage des behandelnden Arztes, ob tatsächlich Kindbettfieber
vorlieg'e, dieselbe abhängig zn machen, sagt Ahlfeld:
„Die Praxis wird erst entscheiden lassen, ob dies der richtige Weg ist,
um die noch ungelöste Frage zu beantworten, auf welche Weise mit einiger
Sicherheit die wirklichen Kindbettfieberfälle von den verdächtigen geschieden
werden. Bisher hat dieser Weg nicht zum Ziele geführt.“
Runge 8 ) schreibt in bezug auf diesen Punkt:
„Berechtigt ist dagegen Ahlfelds Tadel über die Vorschrift betr. die
Herbeirufung eines Arztes bei Fieber im Wochenbett (§ 481). Der Pa¬
ragraph lehrt, daß die Länge und Gründlichkeit einer Diskussion keineswegs
immer ein gutes Ergebnis hat. Denn wohl über keinen anderen Paragraphen
des ganzen Lehrbuchs ist so viel debattiert worden, wie über diesen. Es ist,
wie Ahlfeld richtig bemerkt, unterlassen, einen Temperaturgrad anzugeben,
bei welchem unter allen Umständen sofort der Arzt gerufen werden muß.“
Es dürfte danach also keinem Zweifel unterliegen, dass
wir entgegen dem Lehrbuch darin Recht tun, die Hebammen so
zu unterrichten, wie Ahlfeld es gethan hat, wie übrigens wir
bisher in gleicher Weise den Schülerinnen gesagt haben: den Arzt
zu rufen, sobald eine zweimalige Messung das Vorhandensein von
Fieber nachgewiesen hat. Das Herabgehen der Temperatur unter
38,0 beweist meiner Ansicht nach garnichts gegen Fieber; in der
Mehrzahl der Fälle deutet eine Ä erhöhte Temperatur“, z. B. 37,6
oder 37,7 morgens an, dass Yoraussichtlich abends wieder Fieber
auftreten wird. Wollte die Hebamme ihre Meldung an den Arzt
Yom zweiten Tage abhängig machen, so hiesse das, einen Fall
verschleppen; gerade bei Verschleppung von Puerperalfieber¬
fällen kommt aber erfahrungsgemäss die Therapie oft zu spät.
Hat die Hebamme den Fall dem Arzte gemeldet, so hängt
ja allerdings von der Auffassung des Arztes es ab, ob wirklich
Puerperalfieber vorliegt oder nicht, davon aber wieder, ob die
Hebamme die vorgeschriebenen Vorsichtsmassregeln befolgt oder
nicht. Wie wichtig das aber für Fälle ist, in denen, wie auf dem
*) Monatsschr. f. Geb. u. Gyn.; XXL, 1. Jan. 1905: Besprechung des
neuen Hebammenlehrbuchs. S. 129.
*) Bunge: „Das deutsche Hebammenlehrbuch“. Deutsche medizinische
Wochenschr.; 1905, Nr. 7.
Weitere Erörterungen Uber die Meldepflicht bei Kindbettfieber usw. 477
Lande, die Frauen auf nur eine einzige Hebamme angewiesen
sind, das mag der folgende Fall zeigen, den ich in der konsulta-
tiren Praxis sah. Der Fall lehrt zugleich, wohin die Auffassung
eines leichten Fieberfalles als „Milchfieber“ führen kann:
Im Orte D. erkrankt Frau B. (die Schwester eines Arztes, der mich in
letzter Linie noch konsaltierte) am 3./4. Tage des Wochenbettes an Fieber.
Die Hebamme schickt zam Arzte. Derselbe lehnt in der Nacht es ab, nach
dem weit entfernten Orte za fahren, schreibt Fiebcrpalvcr auf; am folgenden
Tage kommt er za der Wöchnerin, erklärt die Erkrankung für „Milchfieber*.
Es werden Fieberpalver weiter verordnet. Von Wochenbettfieber ist nicht die
Bede; die Hebamme geht daher rohig inzwischen za anderen Kreißenden. Eine,
roo ihr entbundene Frau, fiebert leicht, kommt aber zur Genesung. Inzwischen
wu Kollege X., der Bruder der Patientin, gerufen und stellt schweres Wochen*
bettfieber fest. Er veranlaßt am folgenden Tage meine Zuziehung. Ich konnte
mit dem Kollegen nur noch bestätigen, daß es sich um eine schwere, demnächst
mm Exitus führende Infektion handeln würde. Jegliche Therapie machtlos.
Die Wöchnerin stirbt nach zwei Tagen unter Erscheinungen der Sepsis. Wir
reranlassen, daß die Hebamme sofort diesen Fall dem Kreisarzt anzeigt
and ihre Tätigkeit so lange einstellt, bis der Kreisarzt die diesbezüglichen
Anordnungen getroffen hat. Außer der zweiten Wöchnerin hatte — es war dies
wohl ein Zufall — die Hebamme keine andere Frau inzwischen entbunden;
wären andere Fälle zur Entbindung gekommen, so hätte sie zweifellos mehrere
and durch die Virulenzsteigerung der Bakterien wohl eine der späteren schwer
infiziert, von Fall zu Fall übertragen, wenn wir nicht energisch eingeschritten
wären. Ich machte damals die Hebamme darauf aufmerksam, daß wir die
Fälle eben anzeigen, um die Frauen, welche in der nächstfolgenden Zeit ihrer
Entbindung entgegen sehen, vor Gefahren zu schützen. Sie berief sich auf
dm Arzt. Sie war im Recht.
Der Fall zeigt, wie die Beurteilung des Einzelfalles dem
Arzte eine grosse Verantwortlichkeit aalbürdet. Ich kann in
dieser Beziehung immer wieder darauf hinweisen, dass meiner
Ansicht nach auch bei den verdächtigen Fieberfällen eine
Anzeige erfolgen solle, wenigstens der Arzt die Hebamme auf die
Gefahren der Uebertragung aufmerksam machen und sie ermahnen
soll (laut § 29 der preuss. Dienstanweisung), so lange sich jeder
Tätigkeit zu enthalten, bis der Fall klargestellt ist.
Dass dieser Punkt der „Anzeigepflicht seitens des Arztes
bei Kindbettfieberfällen“ auch forensische Bedeutung gewinnen
kann, das konnte ich vor einigen Jahren in einer Gerichtsverhand¬
lung als Sachverständiger bestätigen; auf die Einzelheiten dieses
Falles kann ich an dieser Stelle jedoch nicht eingehen. Es handelte
och um einen Kollegen, welcher, abgesehen von Diphtherie- und
Seharlachfällen, auch Kindbettfieberfälle niemals angezeigt hatte.
Ich äusserte mich, vom Gerichtshof befragt, dahin, dass der Arzt
Mhr wohl verpflichtet ist, sobald er auf Grund seiner klinischen
Beobachtung den Eindruck gewonnen hat, dass es sich um Kind-
bettfieber handelt, diesen Fall dem Kreisgesundheitsamt zur An¬
zeige zu bringen; die Rücksichtnahme auf die eigene Praxis oder die
durch den Fall etwa betroffene, geschädigte Hebamme muss zurück-
atehen gegenüber der Rücksicht auf die Frauen, gegenüber der
unbedingten Pflicht, bei eingetretenem Infektionsfalle alle übrigen
Frauen, die auf die Hilfe der betr. Hebamme angewiesen sind,
zu schützen! Auch ist meiner Ansicht nach der zuständige Kreis¬
arzt hier berechtigt, bei widerstrebendem Verhalten eines solchen
Arztes energische Schritte zu tun. Der Arzt muss eben, wie
478
Dr. Walther.
auch Fritsch in der „gerichtsärztlichen Geburtshilfe* S. 181
sagt, hier »die Behörden unterstützen*.
Ich sprach bisher natürlich in der Hauptsache von Infektions¬
fällen nach rechtzeitiger Geburt Leider sind im Vergleich dazu
die fieberhaften Abortfälle, sei es putrider, sei es putrid¬
septischer Abort, sowohl im Lehrbuch als auch in der Dienstan¬
weisung nicht genügend beachtet. Ein Erlebnis aus der kon¬
sultativen Praxis dürfte die Bedeutung dieser Fälle illustrieren:
In einem Orte X erkrankten mehrere Wöchnerinnen schwer fieberhaft;
bei der einen wurde ich za Bäte gezogen, der Arzt hatte alle erdenklichen
Vorsichtsmaßregeln bei der Gebart beobachtet; er schien mir völlig schuldlos
an dem lethal verlaufenden Falle za sein. Bezüglich der Hebamme hörte ich,
daß dieselbe zwei kranke Wöchnerinnen gehabt hatte and, ehe diese beiden
Fraaen von ihr entbanden waren, eine fieberhafte Fehlgeburt geleitet
hatte. Der kausale Zusammenhang zwischen diesen Fällen schien mir gegeben,
wenn nach nicht bewiesen.
Dieser Fall hat in mir aber die Ansicht bestärkt, welche
ich schon früher ausgesprochen habe, dass es notwendig ist: dass
1. die Hebammen auch die Fälle von Fehlgeburten in ihr
Tagebuch eintragen, 2. die fieberhaften Fehlgeburten
dem Kreisarzt anzeigen, also genau so behandeln, wie
Kindbettfieberfälle. § 477 des neuen Lehrbuches klärt die
Hebamme über solche Gefahren auf. Meiner Ansicht muss aber
eine derartige Vorschrift in die Dienstanweisung aufgenommen
werden; für Hessen ist dies vorgesehen. 1 )
Ich gehe nun noch einen Schritt weiter und möchte auf
Grund von einer Erfahrung, die ich bezüglich einer Wochenpflegerin
machte, der Erwägung der Herren Kreisärzte anheimgeben, ob
es nicht angängig ist, zu verlangen, dass eine Pflegerin bei
der Pflege von Kindbettfieberfällen sich denselben
Vorschriften unterwirft, wie eine Hebamme. Ich habe
dies in dem Leitfaden für Wochenpflege’) ausgesprochen. Als
Beispiel der folgende Fall:
Die Pflegerin X. hatte eine, wie erst nachträglich festgestellt wurde,
an Erysipel erkrankte Wöchnerin gepflegt und wurde von da nach Gießen »
Frau X. zur Pflege gerufen. Sie folgte natürlich sofort dem Bufe. Die»«
zweite Wöchnerin erkrankte an schwerem Erysipel. Der Kunst der Aerxte
gelang es, die Frau zu retten.
*) Sehr lehrreich ist in dieser Beziehung ein Passus aus Fritsch:
Gerichtsärztliche Geburtshilfe. Stuttgart 1901. Verlag von Ferd. Enke. Er
sagt S. 181:
„Ich erlebte einen eigentümlichen Fall, der zur Verurteilungführte.
Sie hatte einen jauchenden Abort behandelt und ohne Desinfektion meh¬
rere Kreißende bedient. 2 starbenI 4 erkrankten schwer! (vergL meine
obigen Mitteilungen). In der Gerichtsverhandlung sagte die Hebamme: „Sie habe
ja Kindbettfieber nicht beobachtet, eine Abortierende sei keine Wöchnerin, sie
habe nicht wissen können, daß auch das Fieber einer Abortierenden
Kindbettfieber sei“. Dieser Fall ermahnt uns Hebammenlehrer so recht
deutlich, im Unterrichte darauf hinzuweisen, daß die Berührung mit jauchigen
Aborten ebenso gefährlich ist, wie diejenige mit Wochenfluß einer
Wöchnerin mit Kindbettfieber! Ich mache sowohl bei dem Lehr¬
gang für Schülerinnen als auch bei den Hebammennachkursen seit Jahren auf
diesen Punkt aufmerksam!“
*) Walther: Leitfaden zur Pflege der Wöchnerinnen und Neuge¬
borenen; S. 120. II. Auflage. Wiebaden 1905. Verlag von J. F. Bergmann.
Vergl. auch Mann: Die Pflege der Wöchnerin; S. 128. Paderborn 1904.
Weitere Erörterungen über die Meldepflicht bei Kindbettfieber usw. 479
Meiner Ansicht nach konnte das Erysipel nur durch die
Pflegerin übertragen worden sein; das Gleiche ist aber auch ein*
mal möglich bei Kindbettfieber, falls die Pflegerin mit eitrigen
oder fauligen Absonderungen in Berührung kam. — Existiert
irgendwo eine Vorschrift für Pflegerinnen? Nein! Ich glaube aber,
dass man eine solche Vorschrift, wie das in manchen Bundesstaaten *)
bereits geschehen ist, auf dem Verordnungswege erlassen kann.
Zum Schlüsse möchte ich in bezug auf die Anzeigepflicht
hervorheben, dass das Preussische Hebammenlehrbuch auf etwaige
Verordnungen seitens der Regierungspräsidenten, in Hessen sei¬
tens der Kreisämter und auch die Dienstanweisung keinen Ein¬
fluss hat; diese bleiben natürlich, wie auch Kollege Nickel
S. 243 sich ausspricht, in Kraft.
Die Anzeigepflicht halte ich persönlich demnach für not¬
wendig, nicht nur bei Kindbettfieberfällen, sondern auch bei kind-
bettfieber-verdächtigen Fällen, d. h. ('wie Kollege Nickel
sich ausdrückt) bei allen Fällen, bei denen „die Möglichkeit der
Uebertragbarkeit auf andere vorliegt“. Zu diesem Behufe ist
aber eine rechtzeitige Benachrichtigung des Arztes
durch die Hebamme unbedingt erforderlich’).
Die gleiche Vorsicht ist notwendig: 1. Seitens der Heb¬
ammen, falls sie einen fieberhaften Abort in Behandlung
haben, sei es einen putriden oder putrid septischen, weil sie ge¬
mäss § 303 des alten Lehrbuches und § 482 des neuen Lehr¬
buches mit übertragbaren Keimen in Berührung gekommen sind;
2. seitens der Wochenpflegerinnen, falls sie die Pflege
kindbettfieberkranker Frauen selbst geleitet haben.
Sollten in dieser Hinsicht die Vorsichtsmassregeln beobachtet
▼erden, so glaube auch ich, dass der Weiter Verbreitung von Kind¬
bettfiebererkrankungen auf diese Weise wirksam entgegengearbeitet
▼ird. Wenn ich auch einen etwas extremen Standpunkt bezüglich
der Anzeigepflicht vertrete, so glaube ich doch anderseits, dass er
behufe Erziehung der Hebamme zu gewissenhafter Pflichterfüllung
in pädagogischer Hinsicht nichts schadet. Bisher habe ich bei
meinen Schülerinnen nach dieser Art strenger Erziehung keinen
Schaden, sondern stets nur Vorteil gesehen!
Ich bin mir bewusst, dass ich bei manchen Kollegen viel¬
leicht auf Widerspruch stossen werde — dies regt aber gerade
in dieser praktisch wichtigen Frage die Diskussion an. Für eine
Belehrung in diesen Punkten seitens erfahrener Kreisärzte bin
ich stets dankbar!
*) In der Provinz Westfalen hat der Oberpräsident eine „Ordnung
für staatlich geprüfte Wochenpflegerinnen 11 erlassen, deren § 10 sagt: „Die
Vorschriften über dasVerhalten der Hebammen zarVerhütang
des Kindbettfiebers gelten auch für die geprüften Wochen¬
bettpflegerinnen.*
*) Vielleicht gelingt es bei der Neubearbeitung des Lehrbuches eine, in
bezug auf die Herbeirufung des Arztes präzisere Fassung dem § 481, Abs. 2,
»wie § 28, Abs. 1 der neuen Dienstanweisung zu geben, auch eine neue Tem¬
peraturgrenze anzugeben, bei der ungesäumt, ohne den folgenden Tag
abzuwarten, der Arzt zu benachrichtigen ist.
480 Dr. Roepke: Bemerkungen za dem Aufsätze dej Kreisassistenzarztes
Bemerkungen zu dem Aufsätze des Kreisassistenzarzles
Dr. Werner in Marburg: „Theoretisches und Praktisches
zur Formalindesinfektion auf dem Lande“ in Nr. 13 dieser
Zeitschrift, Seite 420 ff.
Von Dr. 0. Roepke, Chefarzt der Eisenbahn-Heilstätte Stadtwald bei Melsungen
Im vollen Einverständnis mit der von Gaffky anf der
zweiten Versammlung der Tuberkulose-Aerzte vertretenen Ansicht,
dass wir uns hüten sollen, das gebräuchliche Formalinverfahren
zu diskreditieren und dadurch beim Publikum Misstrauen gegen
unsere Massregeln überhaupt zu erzeugen, habe ich es geflissent¬
lich vermieden, die Gründe darzulegen, die mich vor etwa Jahres¬
frist bestimmten, trotz der vorhandenen Formalin-Desinfektions¬
apparate, an die Konstruktion eines neuen Instrumentariums zur
Wohnungsdesinfektion heranzugehen. Ich habe mich darauf be¬
schränkt, die fertigen Apparate dem mir durch seine streng sach¬
lichen Arbeiten auf dem Gebiete der Formalindesinfektion bekannten
Kollegen Engels und meinem Assistenten fluhs zur experimen¬
tellen Nachprüfung vorzulegen; ihre Ergebnisse sind in Heft 7
dieser Zeitschrift veröffentlicht. Wenn ich nun heute, so wenig
angenehm es ist, in eigener Sache das Wort zu nehmen, trotzdem
aus der Reserve heraustrete, so geschieht es aus verschiedenen
Gründen. Erstens sind die theoretischen Ausführungen Werners
über mein Instrumentarium in mehreren wichtigen Punkten nicht
zutreffend, zweitens bedarf die Hymne Werners auf den Bres¬
lauer Apparat wesentlicher Einschränkung, und drittens fühle ich
mich verpflichtet zu berichten, in welchem Umfange ich den von
verschiedenen Seiten, insbesondere auch von Werner erfolgten
Anregungen, mein Instrumentarium zu verbessern, entsprochen
habe. Ich will hierbei Werner nicht auf das Gebiet theoreti-
sierender Auseinandersetzungen folgen. Nur dadurch, dass ich
mich auf zahlenmässige Tatsachen und Versuchsergebnisse be¬
schränke, deren Kontrolle jedem „praktischen Medizinalbeamten*
leicht möglich ist, hoffe ich trotz der Fülle der Literatur über die
Formalindesinfektion noch Interesse bei dem Leserkreis dieser
Zeitschrift zu finden.
Werner verlangt für den ländlichen und kleinstädti¬
schen Desinfektor einen Formalinverdampfungsapparat, der
eine Kapazität für ca. 150 cbm Raum besitzt. Dem gegenüber
wird jeder Praktiker, ohne den Massstab zur Hand zu nehmen,
betonen müssen, dass es auf dem platten Lande und auch in
kleinen Städten Privatwohnungen gar nicht gibt, in denen das
zum Wohnen oder Schlafen bestimmte Zimmer auch nur einen
annähernd grossen Luftraum aufweist. Sind derartig grosse
Räume wirklich vorhanden, so pflegen sie als öffentliche Sitzungs¬
säle, Tanzsäle, Geschäfts- und Repräsentationsräume zu dienen
und kommen als solche für die „Wohnungsdesinfektion* nicht in
Frage. Wie es mit der Grösse der Wohn- und Schlafräume in
praxi bestellt ist, darüber informieren die folgenden Zahlen, die
Dr. Werner: Theoretisches and Praktisches zur Formalindesinfektion asw. 481
auf meine Veranlassung von dem zuständigen Desinfektor und
meinem Maschinenmeister in der Kreisstadt Melsungen ermittelt
worden sind. In 4 älteren Häusern betrug — nach den Vor¬
schriften des Desinfektors unter Abrundung der Längsmasse und
des Kubikinhalts nach oben berechnet:
die Grösse der Wohnzimmer: 50 cbm — 50 cbm — 70 cbm — 70 cbm
„ „ „ Schlafzimmer: 80 „ — 40 „ — 40 * — 40 „
In 4 Neubauten betrug bei gleichem Berechnungsmodus
die Grösse der Wohnzimmer: 50 cbm — 70 cbm — 60 cbm — 50cbm
„ „ „ Schlafzimmer: 60 „ — 50 „ — 50 „ — 60 „
In der nächstgrossen Stadt des Kreises Melsungen und in
zwei benachbarten Dörfern war das Ergebnis meiner Feststellungen
ein ähnliches: Meist waren die Wohnungen noch kleiner; in keinem
Falle aber gelang es meinen Beauftragten, in unserem Kreise
abgesehen von den grossen Räumen im alten Melsunger Schloss,
ein Privatwohn- oder Schlafzimmer mit einem Rauminhalt von nur
annähernd 120 cbm ausfindig zu machen, auch nicht trotz aus¬
gesetzter Belohnung für den Fall dieses Nachweises. In meiner
Arztvilla, die wegen ihrer grossen und hohen Räume allgemein
anffällt, fassen die grössten Wohn- und Schlafzimmer — nach
Desinfektorenvorschrift ausgemessen — 90, 100, 110 und 120 cbm.
Das ist Praxis, und ihr gegenüber die Forderung Werners, dass
der Formalinapparat für 150 cbm grosse Räume vorgesehen sein
muss, graue Theorie! Es übersteigt auch eine Kapazität für
120 cbm die durchschnittlichen Raumgrössen so erheblich, dass
ne selbst bei dem Vorhandensein aussergewöhnlich vieler Ge¬
brauchsgegenstände, Matratzen, Kleidungsstücke usw. einen ent¬
sprechenden Zuschlag von Formaldehyd zu verdampfen gestattet,
zumal solche Ueberfülle sich doch gewöhnlich nur in kleinen
Räumen bemerkbar machen wird.
Werner scheint auch folgenden Passus aus der dem Bres¬
lauer Apparat beigegebenen Gebrauchsanweisung ganz übersehen
zu haben: „Selbst bei Räumen zwischen 100 und 150 cbm
empfiehlt es sich gegebenenfalls zwei Apparate zu benutzen
und jeden mit der halben erforderlichen Menge Formalin, WasBer
und Spiritus zu beschicken.“ Wenn also der Breslauer Apparat
uneingeschränkt nur für 100 cbm Rauminhalt anzuwenden
ist, so erscheint es doch erst recht nicht angängig, meinen Appa¬
rat zu beanstanden, der nach den Feststellungen von Huhs selbst
in voll ausmöblierten Zimmern von 120 cbm Raum¬
inhalt die denkbar beste Desinfektionswirkung, d. h. 100% Ab¬
tötung der ausgelegten Staphylokokken- und Streptokokken-Ob¬
jekte gewährleistet!
Weiter behauptet Werner, dass die durch meinen Apparat
verdampften Formaldehydmengen „nach den neuen Anforderungen“
einer Erhöhung bedürfen. Mit den „neueren Anforderungen“ sind
die Vorschriften zur Ausführung des Reichsseuchengesetzes ge¬
meint, nach welchen bei 7 stündiger Einwirkungsdauer wenigstens
5 g Formaldehyd und 30 ccm Wasser auf 1 cbm Raum zu verdampfen
und. Diesen Vorschriften genügt aber mein Apparat
482 Dr. Roepke: Bemerkungen za dem Aafaatze des Kreisassistenzarztes
vollkommen, wenn der tatsächliche und nicht der
vom Desinfektor berechnete Rauminhalt zur Anrech¬
nung kommt. Dass letzterer erheblich grösser sein muss, als
der tatsächliche Kubikinhalt des Raumes, ist selbstverständlich,
weil der Desinfektor nach den Vorschriften das Höhen-, Breiten-
und Längsmass des Zimmers auf den nächst höheren halben
Meter und die durch Multiplikation der erhöhten Masse ge¬
fundene Kubikmeterzahl auch noch auf den nächst höheren
Zehner abzurunden hat. Beträgt z. B. die Länge des Raumes
5,8 m, die Breite 8,7 m und die Höhe 3,6 m, so ist die tatsäch¬
liche Grösse des Zimmers 77 1 /* cbm, während der Desinfektor
6X4X4 = 96 = 100 cbm ausrechnet und demgemäss auf 7 7 1 /«
cbm die für 100 cbm in der Tabelle vorgesehenen For-
malin- und Wassermengen zum Verdampfen bringt. Der
Unterschied zwischen dem tatsächlichen und dem vom Desin¬
fektor herausgerechneten Kubikraum ist ein so auffallender,
regelmässiger und beträchtlicher, dass er bei Aufstellung meiner
Tabellen von vornherein in Betracht gezogen werden konnte. Die
Grösse des Unterschiedes geht aus den folgenden Zahlen hervor,
bei denen der tatsächliche Rauminhalt von 28 verschiedenen Zim¬
mern in Melsungen, in meinem Arzthause und in der Heilstätte
Stadtwald dem Kubikinhalt gegenflbergestellt ist, der für die
Desinfektion als massgebend angenommen wird:
ft.
b.
c.
d.
n . Tatsächlicher
urt Kubikraum
Desinf.-
Kubikr.
Zu viel be¬
rechneter
Kubikr.
a.
b.
c.
d.
Melsungen
21
30
9
Melsungen
57
70
13 cbm
yi
31
40
9
Heilstätte
57
70
13 .
n
34
40
6
w
58
70
12 .
«»
36
40
4
Melsungen
60
70
10 .
ji
36
50
14
Heilstätte
64
80
16 ,
fi
39
50
11
ft
72
90
18 „
n
40
50
10
ft
72
100
28 „
yi
41
50
9
fl
73
90
17 ,
fl
41
50
9
Arzthaus
75
90
15 ,
rt
42
50
8
fl
79
100
21 „
fl
48
60
12
Heilstätte
86
110
24 ,
49
60
11
Arzthaus
88
110
22 ,
•t
50
60
10
Heilstätte
89
110
2t .
n
56
70
14
Arzthaus
95
120
25 «
Aus dieser Zusammenstellung geht hervor, dass Räume, die
nach der Berechnung des Desinfektors 60 cbm gross gelten, tat¬
sächlich nur 50 cbm und darunter messen, solche von 100 cbm
tatsächlich um 20 cbm und mehr kleiner sind usw. Danach kommen
also gemäss meiner Tabelle:
auf 50 cbm tats. Rnuminh. 750 ccm Form&lin, d. b. anf 1 cbm 6 g Formaldebyd
„ 80 „ „ „ 1200 „ „ d.h. * 1 „ 6 g
„ 95 „ „ 1400 „ n d.h. B 1 „ 5,9 g ,
feiner:
auf 50 cbm tats. Rauminh. 1500 ccm Wasser, d. b. auf 1 cbm 30 ccm Wasser
, 80 „ „ „ 2400 „ . d. b. „ 1 „ 30 „ ,
„ 95 „ „ * 2800 „ . d.h. , 1 „ 29,5 „ „
Während also das in meinem Apparat zur Verdampfung
Dr. Werner: Theoretisches and Praktisches zur Formalindosinfektion usw. 483
kommende Wasserquantum der Vorschrift des Seuchengesetzes
entspricht, überwiegt die Formaldehydmenge sogar die dort ge¬
forderte Zahl von 5 g auf 1 cbm, obwohl diese nach Flügge
»unberechtigt hoch gegriffen ist, da durch kein Experiment er¬
wiesen ist, dass die früher empfohlenen halb so grossen Mengen
zu gering seien“. 1 )
Es bleibt also nur übrig, die Einwirkungsdauer des ver¬
dampften Formalins auch bei meinem Apparat von mindestens
5 Stunden auf 7 Stunden heraufzusetzen, um selbst den
von autoritativer Seite als zu weitgehend bezeichneten Ausführungs¬
vorschriften zum Seuchengesetz genüge zu tun. Das kann natür¬
lich ohne weiteres geschehen und würde für die Wohnungs¬
desinfektionen bei Tuberkulose und bei reichlichem
Wohnungsinhalt das wünschenswerte Plus desinfektorischer
Einwirkung unter allen Umständen garantieren.
Werner hebt ferner das grössere Fassungsvermögen
des Breslauer Apparates mit 9 1 / > Liter gegenüber dem meinigen
mit ca. 5 Liter als Vorzug des ersteren hervor. M. E. kommt
es aber gar nicht darauf an, wieviel Flüssigkeit in den Formalin¬
kessel zum Verdampfen hineingefüllt werden kann, sondern einzig
und allein darauf, wieviel von dieser Flüssigkeit durch
die Spirituslampe verdampft wird. Zu meinen ver¬
gleichenden Feststellungen standen mir drei verschiedene Bres¬
lauer Apparate zur Verfügung und zwar je ein ganz neues Exem¬
plar von der Firma G. Haertel in Breslau, vom Medizinischen
Warenhause in Berlin und von der Metallwarenfabrik H. Boie in
Göttingen. Der Spiritusbrenner des ersten Apparates fasst höchstens
1400 ccm Spiritus, der des zweiten höchstens 1500 ccm, der des
dritten höchstens 1700 ccm. Mit diesen Spiritusmengen lassen
sich aber tatsächlich nur 4 bis höchstens 7 Liter Flüssig¬
keit verdampfen. Was nützt es also, dass die Breslauer
Apparate 9 1 /, Liter Flüssigkeit fassen, wenn durch die höchst zu¬
lässige Spiritusmenge diese Flüssigkeit nicht verdampft wird,
sondern zum vierten Teil, ja bis zur Hälfte und mehr im Kessel
zurückbleibt P Ueberhaupt habe ich durch Dutzende von Ver¬
suchen mit jedem der drei Apparate immer wieder eine Unregel¬
mässigkeit und Unbeständigkeit hinsichtlich des
Quantums der verdampften Flüssigkeit feststellen können,
die mich die Breslauer Apparate anders, d. h. ungünstiger zu be¬
urteilen zwingt, als es von Werner geschieht. Der eine Apparat
rerdampfte einmal die Flüssigkeit vollständig, ein andermal die
gleiche Menge unter den gleichen Bedingungen nur zum dritten
Teil, der andere Apparat wies regelmässig erhebliche Rückstände
auf, sogar bis über 50% (!) der eingefüllten Flüssigkeit, und im
dritten Apqarat blieb bei einem Versuche kein Rückstand, bei
einem anderen mit einer kleineren oder grösseren Flüssigkeits¬
menge ein solcher von 20 % des ursprünglichen Quantums zurück.
') C. Flügge: Einige Vorschläge zur Verbesserung von Desinfektions-
▼onehriften. Zeitschrift für Hygiene and Infektionskrankheiten. Fünfzigster
Baad, drittes Heft
484 Dr. Boepke: Bemerkungen zu dem Aufsatze des Kreisassistensarztes
Man kann also nach meinen Beobachtungen, die sich von jeder¬
mann leicht nachpr&fen lassen, bei Benutzung der Breslauer
Apparate und Tabellen nicht mit der Verdampfung einer jedes¬
mal bestimmten Flüssigkeitsmenge rechnen. Das hat m. E.
seinen ganz plausiblen Grund darin, dass die gleiche Tabelle
über Spiritus-und Formalin-Wasserfüllung für verschieden ge¬
formte und konstruierte Breslauer Apparate in Anwendung kommt;
und zweitens liegt in der mächtigen, offenen Flamme, mit
welcher der Spiritus im Breslauer Apparat verbrennt und einmal
hier, einmal da zwischen Kessel und Mantel hindurchschlägt, die
Unmöglichkeit begründet, den Heizeffekt mit der wünschens¬
werten Genauigkeit zu berechnen undfür alle Wieder¬
holungsfälle richtig zu dosieren.
Dazu kommt noch die zweifellose Feuergefährlich¬
keit des offenen Spiritusbrenners im Breslauer Apparat, die von
Engels 1 * 3 ), Dieudonnö*), Mayer undWolpert*) betont wird,
von Huhs und mir zusammen in einem Fall und von mir allein
in einem zweiten Fall in geradezu beängstigender Weise beob¬
achtet wurde. Beide Mal brannte der 86proz. (!) Spiritus nicht
nur an der Oberfläche mit bläulicher Flamme, sondern — wahr¬
scheinlich infolge von zu starker Ueberhitzung und Entzündung
der Spiritusdämpfe — im ganzen Brenner und an den unteren
Oeffnungen der senkrechten Hülsen des Brenners so lichterloh,
dass der ganze Formalinapparat in Flammen stand. Beide Mal
blieb nichts anderes übrig, als mit nassen Scheuertüchern am
Apparate Wache zu stehen; dieses war glücklicherweise möglich,
weil in dem einen Versuch Wasser, in dem anderen wässerige
Methylenblaulösung verdampft wurde. Dass eine Feuersgefahr
keineswegs ausgeschlossen ist, wie Werner behauptet, geht ja
auch daraus hervor, dass die Anleitung zur Aufstellung des Bres¬
lauer Apparates mit ihr rechnet: entweder ist im Umkreis von
mindestens V, m um den Apparat ein freier Baum zu lassen, oder
der Apparat ist ausserhalb des Zimmers aufzustellen, wenn wegen
Kleinheit oder Ueberfüllung des Zimmers seine völlig „ feuersichere*
Aufstellung innerhalb des Baumes nicht möglich ist. Flügge 4 )
empfiehlt neuerdings auch noch, in den Mantel unter der Spiritus¬
flamme etwas Wasser zu giessen. Nach dem, was ich zu beob¬
achten Gelegenheit hatte, wird allerdings der freie Baum im Um¬
kreise des Breslauer Apparates auf mindestens 1 m erweitert
werden müssen. Das geschieht in der Praxis wohl auch meist,
und lediglich dieser Vorsicht dürfte es zuzuschreiben sein, wenn
trotz der bisherigen vielen Desinfektionen mit dem Breslauer
l ) Engels, Zeitschrift für Medizinalbeamte; 1905, H. 7.
*) Dieudonnö: Hygienische Maßregeln bei ansteckenden Krankheiten.
Würzburger Abhandlungen; IV. Bd., 7/8. H.
3 ) Mayer und Wolpcrt: Ueber die Verfahren und Apparate zur Ent¬
wickelung von Formaldehyd für die Zwecke der Wohnungsdesinfektion. Archir
für Hygiene; 43. Bd.
4 ) Flügge: Einige Vorschläge zur Verbesserung von Desinfektions-
Vorschriften. Zeitschrift für Hygiene; 50. Bd., 3. H.
Dr. Werner: Theoretisches nnd Praktisches znr Formalindesinfektion usw. 485
Apparat Unglücksfälle nicht bekannt geworden sind. Wo also die
Räume so klein oder flberittllt sind, dass ein freier Abstand von
1 m rings nm den Breslauer Apparat nicht angängig ist, — nnd
das wird relativ häufig der Fall sein —, da muss als kleines
Uebel die Aufstellung des Breslauer Apparates ausserhalb des
Zimmers gewählt werden, ein Uebel wegen der Formalin¬
belästigung der Hausbewohner, der ungleichmässigen Verteilung
des Formaldehyds im Zimmer und der ununterbrochen notwendigen
Bewachung des Apparates durch den Desinfektor. Mein Apparat
kann dagegen dank seiner absoluten Feuersicherheit in jedem
Baum, selbst dem kleinsten oder ttberfttlltesten, aufgestellt werden.
Ich komme zu dem Einwand Werners, dass die rasche,
heftige Verdampfung des Formalins durch den offenen Brenner
im Breslauer Apparat der langsamen Verdunstung durch meinen
Spiritusbrenner vorzuziehen sei, weil durch den ersteren Modus
die „günstigste Ausbeute an Formaldehyd gewährleistet“ werde.
Reichenbach hält die raschere Formaldehydentwickelung für
besser, da „es auf diese Weise zu höheren Konzentrationen des
Formaldehyds“ kommt. Ich will mich auch hier von der Theorie
fernhalten und mit dem Hinweis auf den alten chemisch-physi¬
kalischen Erfahrungssatz beschränken, dass ein fortgesetzt frisch—
quasi in statu nascendi — einwirkendes Desinfektionsmittel in¬
tensivere bakterizide Eigenschaften zu äussern pflegt, als ein fertiges
Präparat, selbst in höheren Konzentrationen; übrigens hat ja das
Experiment über die Leistungsfähigkeit meines Apparates bereits
entschieden, und zwar nach den Ergebnissen der von Engels
und Huhs angestellten Versuchsreihen in durchaus günstigem
Sinne (vergl. Nr. 7 dieser Zeitschrift). Nur auf einen praktischen
Besichtspunkt muss ich noch näher eingehen, den Werner an¬
scheinend ganz ausser Betracht gelassen hat, dass nämlich für die
Formaldehydeinwirkung die Art der Verdampfung eine wesentlich
höhere Bedeutung hat, als die Zeit der Verdampfung. Nicht
darauf beruht die desinfektorische Wirkung, dass das Formalin¬
wasser rasch und heftig aus dem Kessel herausgetrieben wird,
sondern darauf, dass es tatsächlich verdampft wird. Und wie
steht es in dieser Hinsicht mit dem mir von Werner besonders
empfohlenen Breslauer Apparat der Firma Boie in GöttingenP
Nach wenigen Desinfektionsversuchen fand ich den Deckel dieses
Apparates in ganzer Ausdehnung mit einem schwärzlichen Pulver
bedeckt; das Pulver ist Formaldehyd, das verspritzt, polymerisiert
und durch die Hitze des Deckels gebräunt bezw. geschwärzt ist.
Darauf füllte ich denselben Apparat mit Wasser und beobachtete,
sobald das Wasser im Kessel die Siedehitze erreicht hatte, dass
die Flüssigkeit nicht nur fortgesetzt in Tropfen aus der Aus-
strtmungsdttse heraustrat und an deren Anssenseite herunterfloss,
sondern auch in kurzen Intervallen unter hörbarem Geräusch aus
der Düse herausgeschleudert wurde und auf den heissen Deckel
niederfallend verzischte. Damit war der Beweis erbracht, dass die
Flüssigkeit aus dem von Werner selbst empfohlenen Breslauer
Apparat — und zwar dank der mächtigen offenen Spiritusflamme —
486 l)r. Boepke: Bemerkungen zu dem Aufsätze des Kreisassistenzarztes
nicht ausschliesslich verdampft, sondern zom erheblichen Teil
verspritzt wird. In weiteren Versuchen sachte ich den Grad
der Vorspritzung festznstellen, indem ich den Apparat mit wässe¬
riger Methylenblaulösung füllte, den Fussboden im grossen Um¬
kreise nm den Apparat mit weissem Papier belegte und in ver¬
schiedener Höhe oberhalb und seitwärts von der Ausströmungsdüse
weisse Kleidungsstücke befestigte. Das Ergebnis war, dass ganz
unabhängig davon, ob der Kessel des Boi eschen Breslauer Appa¬
rates mit 2000 oder 5000 ccm Flüssigkeit gefüllt war,
der Fussboden in einem Umkreise von 1 m und das Kleidungs¬
stück in einem Abstande von 1,60 m oberhalb der Ans-
strömungsdüse mit dichten Spritzern bedeckt war. Letztere
zeigten selbst in dieser Höhe noch eine Grösse von über */* cm
im Durchmesser, so dass das Kleidungsstück aussah, als ob es
mit einem in Methylenblaulösung getauchten Maurerpinsel an¬
gespritzt wäre. Noch einfacher ist der Versuch, wenn man mit
einer weissen Weste angetan den Apparat selbst beobachtet, wie
ich es ahnungslos getan habe — aus der weissen Weste war eine
blaugesprenkelte geworden. Danach ist der Breslauer Apparat
der Firma Boie tatsächlich nicht als ein Formalin-Ver¬
dampfungsapparat anzusprechen! Ist aber, wie gar nicht zu
bezweifeln, das in Tropfen verspritzte Formalinwasser
für die desinfektorische Wirkung völlig unwirksam und ausserdem
für die zu desinfizierenden Gegenstände nachteilig, so dürfte das
Empfehlen und Eintreten für den Breslauer Apparat der Firma
Boie gegenüber anderen wirklichen und ausschliesslichen Formalm-
verdampfungsappar&ten zum wenigsten nicht angezeigt sein.
Der vom Medizinischen Warenhaus gelieferte Breslauer Apparat,
der in der Form des Kessels ganz dem der Firma Boie ent¬
spricht, verspritzt die Flüssigkeit annähernd in der gleichen Aus¬
breitung und Stärke, während der Breslauer Apparat der Firma
Haertel, vor den beiden anderen durch einen stärker gewölbten
Deckel ausgezeichnet, erheblich weniger spritzt. Indes sieht man
auch bei dem Haertelschen Modell die Flüssigkeit beständig
aus der Ausströmungsdüse heraussteigen und an ihrer Aussenseite
herunterlaufen; ferner findet man nach dem Versuch den Deckel
des Kessels ziemlich dicht mit grossen Spritzern und das 1 m
oberhalb der Ausströmungsdüse ausgebreitete Objekt mit kleineren
Spritzern bedeckt. Diesen Beobachtungen gegenüber lehrt die
Kontrolle meines in Betrieb gesetzten Apparates, dass, selbst wenn
der Apparat mit der höchst zulässigen Flüssigkeitsmenge be¬
schickt ist, weder ein einziger Tropfen den Apparat ver¬
lässt, noch ein einziger Spritzer die allernächste
Nähe seitlich oder oberhalb vom Apparate trifft; hier
findet tatsächlich eine ausschliessliche Verdampfung der For¬
malinflüssigkeit statt, d. h. die ausschliessliche Entwickelung von
Formaldehyddämpfen, die Entwickelung des Formaldehyds
in der Form, in der es einzig und allein eine desinfektorische
Wirkung ausüben kann. Dazu kommt, dass nach den Unter¬
suchungen von Rubner und Peerenboom die ruhige Ver-
Dr. Werner: Theoretisches und Praktisches zur Formalindesinfektion usw. 487
dnnstung eine sehr viel bessere Verteilung des G-ases
in der Zimmerluft bewirkt, als die Versprayung. Letztere
vird auch von Proskauer und Elsner 1 ) entschieden verworfen,
was daraas her ergeht, dass die genannten Antoren bei der Be*
sehreibang ihres Formalindesinfektionsapparates „Berolina“ aus¬
drücklich schildern, in welcher Weise „das Einspritzen von Flüssig¬
keitstropfen in den Dom und damit das Versprayen von Flüssigkeit
durch das Ausströmungsrohr beim Funktionieren des Apparates
verhindert wird“. Proskauerund Elsner 1 ) haben bei Versuchen
mit dem Breslauer Apparat weiter beobachtet, dass nach den Des¬
infektionen Möbel, Kleidungsstücke, Wände, Fussboden, Fenster
recht feucht, schlecht lackierte Möbel mit einem feuchten,
klebrigen Belag (Formaldehyd und durch Ammoniakdämpfe
aufgeweichte Lackschicht) bedeckt, und von 12 ausgelegten Staphy¬
lokokkenobjekten nur 6 steril waren. Beichenbach ist ge¬
neigt, die gerügten Mängel äusseren Umständen und der Versuchs¬
anordnung zur Last zu legen. Das mag für die Erklärung der
Abtötang von nur 50 Prozent der exponierten Proben angängig sein.
Doch den Grund für die starke Durchfeuchtung der
Kleidungsstücke etc. und für die Beschädigung schlecht
lackierter Möbel wird man nach meinen obigen Beobachtungen
nicht mehr in Aussenumständen, sondern in erster Linie in der
Spritzwirkung des Breslauer Apparates zu suchen haben,
die durch die kolossal heizende Flamme des offenen Breslauer
Brenners bedingt ist. Hält man nach allem daran fest, dass es
gar nicht auf die Schnelligkeit ankommen kann, mit welcher
Formalinwasser aus dem Kessel ins Zimmer gebracht wird,
sondern dass für die desinfektorische Wirkung die Dampfform
entscheidend ist, in der das Formaldehyd aus dem Kessel aus-
tritt und sich im Baume verbreitet, so wird man mit Engels in
dem Spiritusgasbrenner meines Apparates einen „grossen Vorteil“
sehen, weil durch diesen die ruhige Verdunstung des For-
malins, die ausschliessliche Entwickelung von For¬
maldehyddämpfen gewährleistet wird.
Hinsichtlich des Transporteimers und Zubehörs sind
die von Werner und von anderer Seite mir geäusserten Wünsche
berücksichtigt worden, soweit sie mir berechtigt erschienen. So
sind zu der Ausrüstung hinzugekommen eine grosse Scheuerbürste,
ein Kleisterpinsel, eine Flasche mit Liquor Cresoli saponatus für die
Fusboden- und Wäschedesinfektion — letzteres an Stelle der
Sablimatpastillen, die für den eigenen Gebrauch des Desinfektors
nach der Arbeit reserviert bleiben —, eine Mosettigtasche für
Hand- und Wischtücher und ein Schwamm -Bespirator. Dahin¬
gegen halte ich nach wie vor einen vollständigen Anzug mit Kopf¬
bedeckung und Schuhen für den Desinfektor für überflüssig. Wenn
der Desinfektor, wie jeder Mann vor Vornahme einer „schmutzigen“
Arbeit, den Bock ablegt, die Hemdärmel hochstreift, die Schutz¬
ärmel darüber zieht, eine grosse, lange, hinten schliessende Schürze
') Festschrift zum 60jährigen Geburtslage Robert Kochs.
488 Dr. Boepke: Bemerkungen za dem Aafa&tze des Kreis asaistonzarztes
umlegt und den Schwamm-Respirator vor den Mund bindet, dann
nach getaner Arbeit Hände, Arme, Kopf und Gesicht mit einer
Sublimatlösung wäscht, die Kleidung mit in Sublimat angefeuchteter
Bürste reinigt und die Stiefel, insbesondere die Sohlen auf den
feuchten Kresolseifen - Tüchern kräftig abreibt, so ist m. E. des
guten genug geschehen. Genügen diese Vorsichtsmassregeln nach
Dieudonnö 1 ) bei allen ansteckenden Krankheiten für Aerzte und
Krankenpflegepersonen, so reichen sie, bei Hinzunahme des
Schwamm-Respirators wegen der erhöhten Staubinhalationsgefahr,
auch für die Desinfektoren.
Was schliesslich das Gewicht des Transporteimers betrifft,
so wog er ohne Formalin, Ammoniak und Spiritus 10 kg, wie
Huhs s. Z. nach Wägen des Modells angegeben hat. Nach Füllung
der Flaschen und Hinzukommen der genannten Teile übersteigt
sein Gewicht auch jetzt nicht 16 kg. Ein weiteres Herabdrücken
des Gewichtes erscheint mir ausgeschlossen, es müsste dann auf
Kosten der Haltbarkeit und Dauerhaftigkeit der ein¬
zelnen Gegenstände geschehen, und das ist m. E. unter allen Um¬
ständen zu vermeiden. Aber verliert denn der Apparat durch ein
Gewicht von ca. 16 kg für den gefüllten Transporteimer und ca.
4 kg für die gefüllte Segeltuchtasche den Charakter der leichten
Transportabilität? Vergegenwärtigen wir uns doch die Weg¬
strecken, die für den Desinfektor in praxi in Frage kommen:
in kleineren Orten der Transport innerhalb derselben, in grösseren
Städten der Transport bis zur nächsten Haltestelle der Strassen-
bahn, bei Desinfektionen ausserhalb des Wohnortes der Transport
bis zum Bahnhof und von dem Bahnhof der Ankunftsstation bis
zu der zu desinfizierenden Wohnung oder der Transport bis zu
den Abgangsstellen der Personenposten. Und selbst in so ganz
verlassenen Gegenden des platten Landes, die durch keine Strassen-,
Voll- oder Sekundärbahn, keine Personenposten dem täglichen und
bequemen Verkehr erschlossen sind, selbst dort wird der Desin¬
fektor häufig Gelegenheitsfuhrwerk für die Hin- oder Rückreise
benutzen können, ganz abgesehen von den regelmässigen Fahr¬
gelegenheiten, die er an bestimmten Tagen der Woche auf jeder
Strasse antreffen wird. Man fasse den Begriff der Transportabilität
doch nicht so eng, dass nun auch der Desinfektor unter allen Um¬
ständen verpflichtet sein soll, den Apparat überall hin selbst zu
tragen. Der Transport des Breslauer Apparates nebst Zubehör
erfordert die Benutzung eines besonderen Wagens oder Karrens,
der sich, ganz abgesehen von den mindestens 125 M. betragenden
Anschaffangskosten, nur auf guten Wegen eine kurze Strecke
durch den Desinfektor fortbewegen lässt; eine Mitnahme solchen
Vehikels durch Strassenbahn, Eisenbahn, Post, Gelegenheitsfuhre
oder dergleichen ist gar nicht möglich. Demgegenüber ist doch mein
Instrumentarium so kompendiös und handlich, dass es überall
und mit allen dem öffentlichen Verkehr dienenden
•) Dieudonn6: Hygienische Maßregoln bei aasteckenden Krankheiten.
Würzburger Abhandlangen; IV. Bd., 7/8. Heft.
Dr. Werner: Theoretisches und Praktisches zur Form&lindesinfcktiou usw. 489
? Mitteln mitbefördert werden kann. Hierin beruht der
j ausserordentlich grosse Vorzug, zu dem jetzt noch der weitere
: kommt, der allen Wünschen Rechnung trägt und darin besteht,
dass der Transporteimer zum Tragen auf dem Rücken
eingerichtet ist (s. Abbildung). Die Tragevorrichtung ist in
derselben Art und Anordnung gewählt wie bei den Militärtornistern
und Rucksäcken, so dass das Aufnehmen und Ablegen des Trans--
porteimers ohne fremde Hilfe leicht mög-
■ lieh, und die Last, ohne sich zu verschie-
| ben oder irgendwo zu drücken, gleichmässig
dem Rücken anliegend und auf beiden
' Schultern verteilt ist. Es bleibt jetzt dem
' Desinfektor die Wahl überlassen, bei kur-
; zen Entfernungen oder bei Benutzung von
Strassenbahnen, Eisenbahnen, Fuhrwerken
; den Transporteimer an dem Tragegriff in
• der Hand zu transportieren, oder aber für
viele, stundenlange Wegstrecken auf den
; Rücken zu sehn Edlen. Für den letzteren
Fall wird man den Einwand einer zu
1 schweren Belastung des Desinfektors um
so weniger erheben dürfen, als das Ge¬
wicht des Transporteimers noch nicht das
des feldmarschmässig gepackten Tornisters
erreicht
Da Kupfer durch Ammoniak — nach
den chemischen Analysen allerdings nur in
einem praktisch ganz belanglosem Masse —
angegriffen wird, ist an Stelle des kupfer¬
nen Ammoniakentwicklers ein solcher aus verbleitem Eisenblech
getreten. Letzteres ist unbegrenzt haltbar und lässt ausserdem
eine Preisermässigung von 3,50 Mark pro Apparat zu. Der Preis
des Transporteimers erhöht sich durch das Hinzukommen von
Scheuerbürste, Kleisterpinsel, Flasche für Kresolseifenlösung, Mo-
settigtasche, Schwamm-Respirator und Tragevorrichtung um
4,50 M., so dass der Gesamtpreis der Ausrüstung nur um 1 M.,
von 109 auf 110 M., steigt.
Ich bin bisher nicht so anmassend gewesen, mein Instru¬
mentarium als eine „Universalausrüstung“ für den Desinfektor zu
bezeichnen. Aber anderseits glaube ich nach dem Gesagten guten
Grand zur Ablehnung des Wern er sehen Urteils zu haben, dass
es ein „Hilfsapparat, wenn auch ein sehr geeigneter, für manche
spezielle Zwecke“ sei. Vielmehr wird man bei objektiver Be¬
urteilung und Prüfung meinen Apparat zum allermindesten
als einen gleichwertigen und wegen seiner ungemein
leichteren Transportfähigkeit als einen notwendigen
Ersatz der Breslauer Apparate anerkennen müssen. Mir
erschien es, um mit Dütschke 1 ) zu reden, „als eine dankbare
*) Verhandlungen auf der Versammlung der preußischen Medizinalbenmtcn
in HnanoTer 1906.
490
Dr. de Bary.
Aufgabe, an die Konstruktion eines leicht transportablen Desin¬
fektionsapparates “ heranzugehen, weil erst mit der Lösung dieser
Frage die Wohnungsdesinfektion die hygienisch und demnächst
gesetzlich gebotene Ausdehnung gewinnen kann. Wenn ich das
Problem auch noch nicht ganz zur allgemeinen Zufriedenheit
gelöst hatte, so glaube ich ihm doch heute einen nicht unbe¬
deutenden Schritt näher gekommen zu sein. In dieser Annahme
bestärkt mich das Urteil von Romeick 1 ), eines auf dem Gebiete
der Wohnungsdesinfektion gewiss „praktischen“ Medizinalbeamten,
dem mein Apparat gerade für das Land „der brauchbarste und
empfehlenswerteste“ zu sein scheint. —
Zum Schlüsse drängt es mich, den Medizinalbeamten, ins¬
besondere Herrn Kreisassistenzarzt Dr. Werner, für das Interesse
zu danken, mit welchem sie mein Instrumentarium anfgenommen
und zu verbessern sich bemüht haben.
Ueber die Stellung der Kreisärzte in Elsass- Lothringen.
Von Med.-Bat Dr. de Bary in Thann i/E.
I.
Die Absicht, in folgenden Zeilen über die Stellung der Kreis¬
ärzte in Elsass-Lothringen zn schreiben, verdankt ihren Ursprung
im wesentlichen 3 Vorkomnissen der letzten Zeit. Das erste ist
die erfreuliche Tatsache, dass die reichsländischen Kreisärzte, am
24. Juni d. J. unter Leitung des Herrn Geheimrat Dr. Höffel zu
einer Besprechung vereinigt, sich einstimmig zum Eintritt in den
Deutschen Medizinalbeamtenverein, Zusammenschluss unter sich
und zn regelmässigen Versammlungen verbunden haben. Das
zweite Vorkommnis hängt mit dem dritten näher zusammen und ist
die Tatsache, dass in dieser Zeitschrift (Nr. 8, 4 und 11 von 1905)
die beabsichtigte Reform des Medizinalwesens in E.-L. besprochen
ist, es also füglich die Kollegen auch interessieren wird, zu erfahren,
was aus der Reform geworden. Das dritte ist die eben hieran sich
reihende Tatsache, dass die geplante Neugestaltung gänzlich miss¬
lungen ist, sodass die kreisärztliche Stellung bei uns beginnt, sehr
schwankend zn werden, „geradezu unhaltbar geworden ist“, „in
der Luft schwebt“, wie sich ein Kollege ausdrückte!
Eben diese unerwartete Wendung in der Lage, die statt
gehoffter Besserung eintrat, hat mit einem Schlage erreicht, was
der redlichen Bemühung des Einzelnen, der eifrig zur Mitglied¬
schaft für den Verein warb, nicht gelang. Es ist meiner Ansicht
nach nicht allein die missglückte Vorlage hier bei uns, sondern
noch ganz allgemeine, in die heutige Zeit passende Beobachtungen,
die sich aus unserer Geschichte ergeben und die ebenso sehr das
allgemeine Interesse erwecken werden, wie es die an und für sich
*) Die praktische Durchführung der Desinfektion auf dem platten
Lande. Vortrag auf der Versammlung der preußischen Medizinalbeamten in
Hannover 1905.
Üeber di« Stellung der Kreisärzte in Elsaß-Lothringen.
491
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ja vorzügliche, dem Gesetzentwurf für unsre Medizinalreform bei-
gefügte Denkschrift x ) bei den Lesern der Zeitschrift gewiss ge*
fanden hat. Hatten die anderen Bundesstaaten schon ihre alte
Bahnen, auf denen Modernes im Medizinalwesen nur hinzuzubanen
und einzufügen war, so hatte das Reichsland keine solche Ueberlie-
ferung; dafür aber kann man an unserer, der Geschichte der Kreis¬
ärzte in E.-L., um so bessere Studien machen über eine von Anfang
an leicht zu übersehende Organisation und ihre Entwicklung. Da
ausserdem Eisass-Lothringen in letzter Zeit ernsthaft danach
strebt, Bundesstaat im richtigen Sinne zu werden, ist dieser Teil
seiner Staatseinrichtungen gewiss für alle amtsärztlichen Kollegen
ebenso wie für Behörden im Reiche lehrreich.
Um ein brauchbares Bild zu geben, fange ich für heute
damit an, dass ich lediglich eine Darstellung dessen gebe, was
bei der „Reform“ herauskam; denn das bildet die Grundlage für
den Augenblick und soll für diese Arbeit der Ausgangspunkt
sein, an den sich dann die Entstehung der Kreisarztstellung, ihre
Geschichte und die Fortschritte ihrer Entwicklung ansclüiessen
werden.
Die erschöpfende und gewiss vorzügliche Darstellung der
vorgenannten Denkschrift zeigt, dass man in Kreisen unserer Regie¬
rung sich klar ist, dass das Medizinalwesen einer Aenderung bedarf,
bei der vor allem die Kreisärzte anders gestellt werden müssen. Ob
man sich dessen an allen Stellen bewusst geblieben ist, mOge der
Leser aus dem folgendem entnehmen. Aus dem Entwurf, der durch
die Bearbeitung in einer Kommission wesentlich umgestaltet ist, ist
mm so gut wie nichts gerade für die Kreisärzte herausgekommen.
Eine geringe Erhöhung der Reisekosten, das ist alles! Einzel¬
heiten dazu gebe ich später; man hat im übrigen einen dritten
Hedizinalreferenten bewilligt, der schon lange nötig war, dann
eine neue Stelle geschaffen, den „Landesgesundheitsinspektor“.
Dieser soll „nach Anweisung des Ministeriums — diesem ist er
unterstellt — den gesundheitspolizeilichen Dienst in den einzelnen
Kreisen überwachen“. Wie das der „Reiseonkel“, wie ein im Par¬
lament sitzender Kollege diesen neuen Beamten nannte, machen soll,
das scheint noch nicht bekannt; jedenfalls ist es ein Novnm, das viel¬
leicht recht schon ausgestaltet werden kann, etwa in der Weise,
dass es einen Posten darstellt, von dem aus der Staat soziale Medizin
in die Hand nimmt. Damit würde dann E.-L. an der Spite mar¬
schieren mit solcher Einrichtung. Freilich war sie nicht so gemeint,
nie es scheint, sondern ihre Entstehung ist fast einem Zufall zu ver¬
danken, insofern der Vater dieses Gedankens in der guten Meinung,
etwas Nützliches zu bewilligen, wohl die in Frankreich vorhandene
Stellang eines Inspectenr de l’assistance publique im Auge hatte,
dabei aber übersah, dass in das Gefüge des Medizinalwesens, wie
vir es haben und das sich eben auf den Kreisärzten aufbaut als
unterste Stufe, ein solcher Inspektor nicht hineinpasst, besonders,
wenn man den Posten als einen nicht definitiven mit einem Arzte
*) Sehe Nr. 4 dieser Zeitschrift; S. 116.
402 Dr. de Bary: Uebcr die Stellung der Kreisärzte in Elsaß •Lothringen.
besetzt, der zam ersten Mal im Staatsdienst tätig ist. Wie soll denn
da, was andere Jahre lang schon bearbeitet, überwacht werden
und warum?
Unter den Gründen, welche bei der Ablehnung der vorge¬
schlagenen Medizinalreform eine Rolle spielten, hörte man fol¬
gendes nennen:
Einmal den wohlbegreiflichen, bekannten, der überall kommt
bei einer Forderung, die Geld kostet: Man scheute die Erhöhung
der Ausgaben. Sodann will man bei uns keine neue Beamten¬
gruppe schaffen. Diese Abneigung gegen „Beamte" mag ihre
Gründe haben, hier gehören sie nicht her, das ist Sache der
Politik. Als Aerzte aber müssen wir hier, wie es scheint, unter
vielleicht begründeten Zuständen leiden, für Dinge, an denen doch
wir nicht schuld sind. Das sieht also ganz ähnlich aus wie ander¬
wärts auf sozialem Gebiete, wo heutzutage der Arzt meist schlecht
wegkommt. Es braucht kaum hervorgehoben zu werden, dass
der Schaden, der durch unzulängliche Verhältnisse der Amtsärzte
hier fürs Ganze entsteht, doch nicht nur von diesen letzteren, son¬
dern eben auch vom Ganzen gebüsst wird, genau so wie es auf
dem Gebiet der Krankenkassenverhältnisse sich zeigt. Endlich
gilt hier noch als Ablehnungsmotiv eine angeblich vorhandene
Unkenntnis der Bevölkerung über das, was der öffentliche Ge¬
sundheitsdienst will und soll, ein ungenügendes Verständnis
überhaupt für die Notwendigkeit sanitären Staatsdienstes. Dass
die Bevölkerung so wenig Verständnis hierfür habe, wird zunächst
auf Grund langjähriger Erfahrung hier bestritten, mehr als ander¬
wärts ist das nicht der Fall; die Bevölkerung ist für Belehrung
sehr empfänglich und für Hilfe dankbar, wenn man mit ihr um¬
zugehen versteht! Wenn für diese Notwendigkeit und den Nutzen
solcher Organisation irgendwo die Einsicht fehlt, so ist das sicher
nicht in der grossen Masse der Bevölkerung der Fall, das könnte
man aus Verhandlungen des Landesausschusses selbst beweisen.
Angenommen aber auch, es sei da oder dort beim Volke diese
Kenntnis sehr weit zurück, so ist es doch erst recht Aufgabe
seiner Leitung, durch Schaffung guter Organisationen für Ver¬
breitung der nötigen Wissenschaft zu sorgen. Dieser Verantwort¬
lichkeit waren sich nach den Berichten die Herren Abgeordneten
auch ausgesprochenermassen zum Teil wenigstens bewusst.
Ein weiteres Projekt, das von Deputierten, wie von der
Regierung anscheinend auf dem Boden dieser Ablehnung ent¬
worfen, ein Zusammenziehen von Kreisarzt-Stellen, Verminderung
also der Zahl mit Vergrösserung der Bezirke, führt hinüber zum
Eingehen auf unsere derzeitige Stellung überhaupt und wird des¬
halb, weil heute nur von dem Schicksal der Vorlage gesprochen
werden sollte, ein anderes Mal zur Sprache kommen müssen.
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
498
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
Bakteriologie, Infektionskrankheiten and öffentliches
Sanitätswesen.
Windpocken bei Erwachsenen. Von Sanitätsrat Dr. Malert, Kreis-
physikus in Waren. Acrztliche Rundschau; 1904, Nr. 60.
Verfasser hat drei Fälle von Varizellen bei Erwachsenen beobachtet, die
ihn veranlassten im Fragekasten des „Aerztlichen Zcntralanzeigcra“ die Acrzte
so bitten, ihm etwa beobachtete, einwandsfreie Fälle von Varizellen bei Er¬
wachsenen mitzuteilen, am auf diese Weise za prüfen, ob diese doch nicht
billiger Vorkommen, als in den Lehrbüchorn allgemein angenommen wird. Es
sind ihm darauf 10 solche Fälle mitgeteilt, die an der Hand der darüber ge¬
wachten Angaben kurz beschrieben werden. Er kommt demzufolge za dem
Schloß, daß Varizellen bei Erwachsenen zwar relativ selten, aber nicht so
•eiten Vorkommen, als bisher vielfach angenommen wird, nnd daß wahrschein¬
lich eine in größerem Maßstabe angestcllte statistische Erhebung noch einen
bedeutend größeren Prozentsatz von Windpocken bei Erwachsenen ergeben
würde. Die mitgeteilten Fälle zeigen übrigens, daß unter Umständen die
Diflerenti&ldiagnose zwischen Varizellen and echten Pocken recht schwierig
•da kann, and daß deshalb die Hilfe einer einwandsfreien bakteriologischen
Diagnose sehr wünschenswert ist._ Bpd.
Zar DifTerentinldlagnose zwischen Variola and Varizellen. (Diagnostic
experimental de la variole et de la varicelle.) Von Paal Salmon. Aas dem
Laboratorium von Prof. Metschnikoff. Comptes rendas de la soc. de biol.;
LVHL B<L, 1905, Nr. 6.
Der Antor hatte bereits 1897, nach Gaarneri, nachgewiesen, daß die
Kaninchenkornea in charakteristischer Weise aaf Variolagift reagiert, nicht
dagegen aaf Varizellen. 1 ) In der Klinik des Dr. Martin hat S. seine Versuche
wiederholt. Er empfiehlt in Epidemiezeiten, wo klinische Irrtümer zahlreich
aad, die Methode anzuwenden, am za verhindern, daß ein nicht pockenkranker
Mensch in eine Variolastation geschickt wird: Nach 24 Standen, deutlich nach
18 Stunden, treten aaf der Korneaoberfläche klare, durchscheineude Erhöhungen
ui Später bilden sich Bläschen, dann entsteht auch eine Entzündung der
Bindehaut. Die Erhöhung stellt im kleinen ein Gebilde dar, das mit Phlyktaene
bei Keratitis phlyktaenulosa verglichen werden kann. Die Untersuchung des
Auges soll mit der Lupe und bei fokaler Beleuchtung vorgenommen werden.
Die Impfung der Hornhaut wird am besten mit einer Schreibfeder oder einem.
Iapfmesser vorgenommen. Es werden auf einer oder beiden Hornhäuten drei
Strafen oder drei Stiche aasgeführt. Dieselben müssen sehr oberflächlich
• ein — nur das Epithel darf geritzt werden. Eine Verletzung der
Kornea selbst ist annötig.
Vor einer Impfang der Haat oder der Schleimhäute hat die Methode
den Vorzug einer rascheren Diagnose; die Hautpastol wird erst am dritten
Tage nach der Inokalation deutlich. Dr. Mayer-Simmern.
Eine Diphtherieepidemie ln ursächlichem Zusammenhänge mit Kuh-
poeken. An outbreak of diphtheria traceable to nlcers on cows' teats. Von
Dr. Wm. Robertson, med. off. of health, Leith. Public health; XVII. Bd.,
1905, Seite 246.
Während auf dem Kontinente die Kohpocken eine sehr seltene Er¬
krankung sind,*) kam im letzten Sommer nach Schottland eine große Zahl an
Kuhpocken erkrankter Milchkühe ans dem Norden von England. Die Milch
der kranken Kühe warde zunächst anstandslos verkauft, da die Besitzer die
Kuhpocken nicht für eine ernste Krankheit ansahen. Ihr einziger Kammer
*ar der, daß die Hände der melkenden Personen an Kahpocken erkrankten
n»4 so zur Arbeit nnt&aglich worden. Unter 64 Kühen einer bei Leith ge¬
legenen Farm, die mit ihrer Milch hauptsächlich aristokratische Familien der
') In bezog aaf Vaccineinokalation der Kaninchenkornea vergleiche das
Referat Jahrgang 1901 dieser Zeitschrift, S. 100.
*) VergL z. B. Manke; s. diese Zeitschrift, 1898, S. 773.
496
Kleinere Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften.
nnd zwar jedesmal in kleinen, zeitlich getrennten Epidemien aofgetreteaen
Röteln, geht dann auf die einzelnen Symptome, die Ansbreitangsweise and vor
allem auf ihre merkwürdigen Verschiedenheiten näher ein and ventiliert als¬
dann die Frage, ob man auf Grund der verschiedenen Krankheitsbildcr, be¬
sonders in bezug auf das Exanthem und die Höhe des Fiebers nsw. berechtigt
ist, von verschiedenen Krankheiten oder verschiedenen Arten der Röteln (mor-
billiforine, scarlatiniforme usw.) sprechen darf.
Vcrf. kommt nach eingehenden Ausführungen za dem Schlosse, dass das
Vorkommen weitgehender Variationen der Röteln, solange die Aetiologie noch
ganz unbekannt ist, nicht zar Aufstellung neuer akuter Exantheme führen
darf, es sei denn, dass das Fehlen gegenseitiger Immunität nachgewiesen wird.
_ Dr. Waibel-Kempten.
Zur Verhütung der epidemischen Cerebrosplnalmenlngltls. Von Dr.
Otto Dornblüth in Frankfurt &./M. Münch, med. Wochenschr.; 1906, Nr. 81.
Die Eigentümlichkeit, daß die gefürchtete Krankheit fast ausschließlich
vor dem 30. Lebensjahre vorkommt, teilt sic mit der gewöhnlichen Angina
tonsiliaris, die auch bei den besonders dafür Disponierten mit der physiologischen
allmählichen Rückbildung des lymphatischen Apparates der Rachengegend mit
dem 30. Jahre fast immer verschwindet.
Bei der gebotenen Bekämpfung der Cerebrospinalmeningitis, deren Er¬
reger anerkanntermaßen von der Nase und den Rachenraum her in den Sch&del-
raum cindringen, sollte daher den Rachenorganen die größte Sorgfalt gewidmet
werden, besonders wären die als Bakterienherde dienenden Rachen Vegeta¬
tionen möglichst früh operativ za entfernen. Es wäre sehr interessant, bd
den Meningitisfällen genau auf den Befund im Rachen zu achten, ganz beson¬
ders auch bei den erkrankten Erwachsenen.
Verfasser empfiehlt nach seinen Erfahrungen besonders heiße Bäder (38
bis 40° C.), in schweren Fällen mehrmals täglich, und die Lumbalpunktionen.
Dr. Waibel-Kempten.
Ueber meine bisherigen Befunde bei der Genickstarre. Dr. Wes ten-
hoeffer, Privatdozent, Stabsarzt a. D. in Berlin. Schlesische Aerzte-Korre¬
spondenz; 1905, Nr. 19.
Verfasser war bekanntlich vom Kultusminister beauftragt, bei der im
oberschlesischen Industriegebiet herrschenden Genickstarrepidemie pathologisch-
anatomische Studien zu machen. Er hat sich hierbei die Lösung folgender
Fragen zur Aufgabe gestellt: I. Feststellung der Eintrittspforte des Krankheits¬
erregers. II. Feststellung seines Weges nach der Schädclhöhle. III. Welche
praktischen, besonders therapeutischen Maßnahmen ergeben sich aua I und II?
Bei den von ihm ansgefübrten 29 Sektionen fand er in allen Fällen
eine erhebliche Schwellung und Rötnng der Rachentonsille und der hin¬
teren Pharynxwand. An dieser Schwellung waren in einigen Fällen auch
die Choanen und die hinteren Abschnitte der Muscheln beteiligt, besonders bei
Erwachsenen, während die vorderen Abschnitte der Nase mit Ausnahme eines
einzigen Falles stets frei waren. Entsprechend dieser Entzündung des obere«
Rachenraumes fand sich in über 60 °/„ der Fälle mehr oder weniger ansgeprägte
Mittelohrentzündung. In 5 Fällen wurde Empyem der Kieferhöhlen und
in 7 Fällen gleiche Affektion der Keilbeinhöhlen festgestellt, während die
Sicbbcinzcllcn nur in einem einzigen Falle entzündet gefunden wurden. Die
Gaumentonsillen waren in wechselnder Stärke beteiligt, immer aber er¬
heblich weniger als die Rachentonsille. Konstant fand sich dagegen eine
erhebliche Schwellung der Nacken- und Halslymphdrüsen, oftbisiur
Clavicula hinab, sowie eine nicht akut entzündliche Schwellung fast «Iler
Lymphdrüscn des Körpers. Im übrigen fanden sich die bei Infektionskrank¬
heiten gewöhnlich zu beobachtenden Veränderungen der sonstigen Organe, im
wesentlichen also paremchymatöse Degenerationen des Herzens, der Nieren, der
Leber und Schwellung der Milz. — Meningitis wurde in allen Stadien vom
ersten Beginn bis zur vollen Ausbildung der sogenannten „grünen Haube 1 und
als Ausgangspunkt stets die regio hinter der Sehnervenkreuzung über der Hypo-
pbosis festgestellt, daher auch Strabismus als erstes Zeichen der klinischen
Beobachtung. Ob die Krankheitserreger durch den Keilbeinkörper oder die
Kleinere Mitteilangen and Referate aas Zeitschriften.
495
Ton Wichtigkeit ist Aas diesem Grande h< Otto eine Aenderang der zur«
seit bestehenden Vorschriften für die Behandlung pestinfizierter Schiffe and
ihrer Ladung für notwendig, da sie sich nicht genügend gegen die an Bord
solcher Schiffe befindlichen Ratten richten. Vor allem kommt es auf eine sorg¬
fältige Beseitigung etwa in der Ladung vorhandener Rattenleichen an.
Dr. Lentz-Saarbrücken.
Nene epidemiologische Erfahrungen Aber die Pest in Egypten. Von
Prof. Dr. Emil Gotschlich, Sanitätsinspektor von Alexandrien. Ebenda.
Gotschlich hat in Egypten zwei epidemiologisch ganz verschiedene
Formen der Pestepidemien beobachtet, die Sommer- and die selteneren Winter¬
epidemien. Der Trp der Sommerepidemien ist die relativ gutartige ßeulenpest,
die sporadisch aoftritt and in der Regel keinen Zusammenhang der Fälle unter¬
einander erkennen läßt; der Typ der Winterepidemie ist dagegen die bösartige
nnd hochinfektiöse Lungenpest. Katarrhe der Atemwege, sowie das dichte
Zusammenleben der Menschen im Winter begünstigt die Weiterverbreitung der
Lungenpest. Eine Eigentümlichkeit der Sommerpest ist das alljährliche Wieder-
suftreten der Pest am dieselbe Jahreszeit an denselben Orten. Sehr sorgfältige
Beobachtangen haben non ergeben, daß die Kurven der Sommerepidemien
genau das Bild der Karve der Rattenvermehrang zeigt, so zwar, daß die
Atme der ersteren Karve am ca. 14 Tage bis 4 Wochen aaf die Akme der
letzteren Karve folgt. Da sich bekanntlich die Pest bei Ratten monatelang
latent halten kann, so schließt Gotschlich aas dem Uebereinstimmen der
beiden Karven folgendes: Bei einer Rattenpestepizootie sterben die meisten
Batten; nur einige resistente Individuen überleben und haben z. T. latente
Pest. Wenn non eine Vermehrung der Ratten erfolgt, die am stärksten im
Kai and Juni stattfindet, so entsteht ein neues Geschlecht, auf das non durch
jene an latenter Pest leidenden Ratten die Pest übertragen wird; die Folge
kt ein Aafflackern von Rattenpest, in deren Gefolge es za vereinzelten In¬
fektionen von Menschen kommt; hier treten zunächst nur Fälle von Beulenpest
auf, die nicht infektiös ist; kommt es aber in einem schweren Falle auch zu
Lungenpest oder Pestseptikämie, so ist die Gelegenheit zu zahlreichen In¬
fektionen gegeben, für die die besonderen Verhältnisse, die der Winter mit
lieh bringt, die Grundlage geben. Aas dieser Ueberlegung heraus empfiehlt
Gotschlich für die Bekämpfung der Pest Vernichtang der Ratten and die
itreng8te Isolierung aller Fälle von Beulenpest. Da die erstero Forderung
aber nicht leicht za erreichen ist, empfiehlt er, an Orten, an denen die Pest
immer wieder aaf tritt, die sogenannte * generalisierte Desinfektion“ ganzer Ort¬
schaften vorzunehmen Aaf diese Weise ist Gotschlich an vielen Orten
Egyptens der Pest völlig Herr geworden. Dr. Lentz-Saarbrücken.
Beobachtungen Aber eine Epidemie der tropischen Malaria in Mostar.
Tob Dr. Richard Fibisch, k. k. Oberarzt. Münchener med. Wochenschrift;
1905, Nr. 8.
Verfasser berichtet über 8 in den Monaten September and Oktober 1904
im Garnisonspitale in Mostar beobachtete Fälle von maligner Malaria and liefert
gleichzeitig ein wichtiges Argument für die „Mttckenmalariatheorie“. Bei dem
Suchen nach der Infektionsquelle fand er nämlich in der Nähe der Militär-
baracken einen etwa B Schritte langen, 1 Schritt breiten, etwa 5 cm tiefen, in
seinem letzten Drittel mit Wasserpflanzen erfüllten Tümpel, welcher voll
von Anopheleslarven war. Die Bratstätte warde sofort petrolinisiert.
Buch der Abtötung der Larven warde der Tümpel zerstört, das Wasser in
einem engen offenen Kanal weitergeleitet, wo die stete Bewegung das Auf¬
kommen der Larven unmöglich machte. Die Mücken, die sich also in der
nächsten Nähe der Malariakranken entwickelten, hatten reichlich Gelegenheit
■ich zn infizieren and die Infektion weiter za verbreiten. Nach dem Zerstören
des Tümpels kam im Spitale keine Infektion mehr vor.
Dr. Waibel-Kempten.
Beobachtungen Aber Rötelnepidemien. Von Dr. H. Bahr dt, früherem
Assistenten der Poliklinik in Marburg. Münch, med. Wochenschr.; 1905, Nr. 20.
Verl berichtet über 3 in den Jahren 1900, 1903 und 1904 in Marbarg
496
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
und zwar jedesmal in kleinen, zeitlich getrennten Epidemien aufgetreteses
Köteln, geht dann auf die einzelnen Symptome, die Ausbreitungsweise und vor
allem auf ihre merkwürdigen Verschiedenheiten näher ein und ventiliert als¬
dann die Frage, ob man auf Grund der verschiedenen Krankheitsbildcr, be¬
sonders in bezug auf das Exanthem und die Höhe des Fiebers usw. berechtigt
ist, von verschiedenen Krankheiten oder verschiedenen Arten der Röteln (mor-
biliiforino, scarlatiniforme usw.) sprechen darf.
Verf. kommt nach eingehenden Ausführungen zu dem Schlüsse, dass das
Vorkommen weitgehender Variationen der Röteln, solange die Aetiologie noch
ganz unbekannt ist, nicht zur Aufstellung neuer akuter Exantheme führen
darf, cs sei denn, dass das Fehlen gegenseitiger Immunität nachgewiesen wird.
_ Dr. Waibei-Kempten.
Zur Verhütung der epidemischen Cerebrospinalmeningitis. Von Dr.
Otto Dornblüth in Frankfurt a./M. Münch, med. Wochenschr.; 1906, Nr. 31.
Die Eigentümlichkeit, daß die gefürchtete Krankheit fast ausschließlich
vor dem 30. Lebensjahre vorkommt, teilt sie mit der gewöhnlichen Angina
tonsillaris, die auch bei den besonders dafür Disponierten mit der physiologischen
allmählichen Rückbildung des lymphatischen Apparates der Rachengegend mit
dem 30. Jahre fast immer verschwindet.
Bei der gebotenen Bekämpfung der Cerebrospinalmeningitis, deren Er¬
reger anerkanntermaßen von der Nase und den Rachenraum her in den Schädel-
raum eindringen, sollte daher den R&chenorganen die größte Sorgfalt gewidmet
werden, besonders wären die als Bakterienherde dienenden Rachen Vegeta¬
tionen möglichst früh operativ zu entfernen. Es wäre sehr interessant, bei
den Menin gitisfallen genau auf den Befund im Rachen zu achten, ganz beson¬
ders auch bei den erkrankten Erwachsenen.
Verfasser empfiehlt nach seinen Erfahrungen besonders heiße Bäder (38
bis 40° C.), in schweren Fällen mehrmals täglich, and die Lumbalpunktionen.
Dr. Waibel-Kempten.
Ueber meine bisherigen Befände bei der Genickstarre. Dr. W es ten-
hoeffer, Privatdozent, Stabsarzt a. D. in Berlin. Schlesische Aerzte - Korre¬
spondenz; 1905, Nr. 19.
Verfasser war bekanntlich vom Kultusminister beauftragt, bei der im
oberschlesischen Industriegebiet herrschenden Genickstarrepidemie pathologisch¬
anatomische Studien zu machen. Er hat sich hierbei die Lösung folgender
Fragen zur Aufgabe gestellt: I. Feststellung der Eintrittspforte des Krankheits¬
erregers. II. Feststellung seines Weges nach der Schädelhöhle. III. Welche
praktischen, besonders therapeutischen Maßnahmen ergeben sich ans I und II?
Bei den von ihm ausgeführten 29 Sektionen fand er in allen Fälle«
eine erhebliche Schwellung und Rötung der Rachentonsille und der hin¬
teren Pharynxwand. An dieser Schwellung waren in einigen Fällen auch
die Choauen und die hinteren Abschnitte der Muscheln beteiligt, besonders bei
Erwachsenen, während die vorderen Abschnitte der Nase mit Ausnahme eines
einzigen Falles stets frei waren. Entsprechend dieser Entzündung des oberen
Rachen raumes fand sich in über 60 °/ ft der Fälle mehr oder weniger ausgeprägte
Mittelohrentzündung. In 5 Fällen wurde Empyem der Kieferhöhlen und
in 7 Fällen gleiche Affektion der Keilbeinhöhlen festgestellt, während die
Sicbbcinzellen nur in einem einzigen Falle entzündet gefunden wurden. Die
Gaumentonsillen waren in wechselnder Stärke beteiligt, immer aber er¬
heblich weniger als die Rachcntonsille. Konstant fand sich dagegen eise
erhebliche Schwellung der Nacken- und Halslymphdrüscn, oft bis zur
Clavicula hinab, sowie eine nicht akut entzündliche Schwellung fast aller
Lymphdrüscn des Körpers. Im übrigen fanden sich die bei Infektionskrank¬
heiten gewöhnlich zu beobachtenden Veränderungen der sonstigen Organe, im
wesentlichen also paremchymatöse Degenerationen des Herzens, der Nieren, der
Leber und Schwellung der Milz. — Meningitis wurde in allen Stadien vom
ersten Beginn bis zur vollen Ausbildung der sogenannten „grünen Haube* und
als Ausgangspunkt stets die regio hinter der Sehnervenkreuzung über der Hypo-
phosis fest gestellt, daher auch Strabismus als erstes Zeichen der klinischen
Beobachtung. Ob die Krankheitserreger durch den Keilbeinkörper oder die
Kleinere Mitteilungen nnd Referate aus Zeitschriften.
497
Kdlbeinhöhlen hindurch oder, was auch möglich ist, von der Paukenhöhle
durch die canalicnli carotico - tympanici längs der Carotis in die Gegend der
Sella turcica und der hypophisis gelangen, ist schwer festzustellen. Daß aber
die Infektion auf dem Lymphweg und nicht auf dem Blutweg stattlinden muß,
dafür sprechen nach dem Verfasser hauptsächlich zwei Momente: erstens die
Bildung der „grünen Haube“, welche ein geronnenes eitriges Gerinnsel an der
Oberfläche darstellt, und zweitens der Umstand, daß die Tiefe der Furchen
entweder stets frei von Eiterinfiltration bleibt oder erst sekundär der Eiter
dorthin vordringfc. Insbesondere fand sich die Fossa Sylvii stets frei, während
sie bekanntlich bei Meningitis tubcrculosa den Hauptsitz der Tuberkeln bildet.
Die bakteriologische Untersuchung ergab bei drei bald nach dem Tode
sezierten Leichen zweimal den Menningococcns in der Racbentonsille, im Ohr-
eifcer und in einem bronchopneumonischcn Herd, einmal Diplococcus in der
Baehentonsille und im Ohreiter; die Befunde stimmen also bakteriologisch nicht
miteinander überein, so daß vorläufig die Frage nach dem Krankheitserreger
als noch nicht einwandsfrei gelöst betrachtet werden muß. Die aus dem Sek¬
tionsbefunde sich ergebende Folgerung, daß die epidemische Genickstarre mit
emer Entzündung der Rachentonsille bezw. der hinteren Pharynxwand beginnt
nnd daß dort der Krankheitserreger eindringt, wird auch durch die Unter¬
suchungen des Kreisassistenzarztes Dr. Wagner an lebenden Kindern, die die
ersten Krankheitszcichen darboten, bestätigt; denn in allen Fällen wurde hier
eine entzündliche Rötung und Schwellung, nicht nur des Pharynx mit massen¬
hafter Schleimsekretion, sondern oft auch eine richtige Angina festgestellt.
Daraus ergiebt sich in therapeutischer Hinsicht die Notwendigkeit einer
energischen Behandlung der Rachentonsille, am besten vielleicht mit Silbcr-
losungen, z. B. Protargol oder Argonin, eventuell ihre operative Entfernung.
Außerdem empfiehlt Verfasser die Inzision der Membrana obturatoria post.
(Ligament, atlanto-occipit.) behufs dauernder Drainage des Cavum cranii. Auf
Omni seiner Untersuchungsergebnisse ist nach Ansicht des Verfassers die
Schlußfolgerung berechtigt, daß die epidemische Genickstarre mit Vorliebe
Kinder, und unter diesen hauptsächlich diejenigen befällt, die in ihrem Lymph-
gefäßsystem geschwächt sind, eine allgemeine Lymphdrüsenschwellung be¬
sitzen, insbesondere hypertrophische Rachentonsillen haben. Da ferner die
Krankheitserreger in die hinteren Nasenabschnitte und in die Rachentonsille
licht gut anders als durch die Atmung gelangen können, so stelle die Genick¬
starre eine Inhalationskrankhcit dar. Demzufolge sei ein ganz besonderes
Augenmerk auf die Wohnungsverhältnisse zu richten, da die Wahrscheinlich¬
keit, daß mit dem in der Wohnung aufgewirbelten Staub der Krankheits¬
erreger eingeatmet werde, eine sehr große sei. Im Einklang damit stehe auch
Uß nach den bisherigen Erfahrungen die Schulen bei der Uebertragung keine.
Me spielen. _ Rpd.
Meningismus typhosus und Meningotyphus. Von Dr. S t ä u b 1 i
Archiv f. klin. Medizin; 1905, Heft 1—2.
Unter Meningismus typhosus faßt Verfasser solche im Laufe des Typhus
wftretende Reizerscheinungen zusammen, welche ohne anatomisch sichtbare
Veränderungen der Hirnsubstanz verlaufen. Sie sind durch eine von den
TyphugbaziUen ausgehende toxische Wirkung zu erklären. Verfasser führt
iwei zu dem geschilderten Bilde gehörige Fälle an, die beide schwere zerebrale
Störungen zeigten. Der eine Kranke mit schweren aphatischen Störungen kam
iur Genesung, der andere, mit der seltenen Komplikation einer eitrigen Media¬
stinitis starb. Am Zentralnervensystem waren keine Veränderungen nachweisbar.
Als Meningotyphus grenzt Verfasser diejenigen Fälle scharf ab, in denen
flwig und allein der Typhusbacillus Entzündungsprozessc des Zentralnerven¬
system verursacht. Diese Fälle sind zum Unterschied von den meist durch
jßachinfektion entstandenen „Meningitiden bei Typhus“ äußerst selten. Vcr-
«wer hatte Gelegenheit, einen solchen zu beobachten. Es gelang ihm in ein¬
wandsfreier Weise den Nachweis zu erbringen, daß in diesem Fall der Typhus-
kacillus ohne Mitwirkung anderer Bazillen eitererregend wirkte. Der Typhus-
®*cillu8 ist somit den selbstständigen Erregern eitriger Hirnhautentzündung
*uzurechnen. Dr. D o h r n - Cassel.
498
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
Beitrag rar Frage der agglutinierenden Eigenschaften des Serums
Tjphuskranker auf Paratjphua- und verwandte Bakterien. Von C&nd. med.
Grünberg und Privatdozent Dr. Rolly, Assistent der medizinischen Klinik
zu Leipzig. Münchener med. Wochenschrift; 1905, Kr. 3.
Die Verfasser hielten es bei dem schwankenden und verschiedentlich
nicht unwesentlich sich widersprechenden Angaben der Autoren in der vor-
würfigen Frage der Mühe wert, das Serum von 40 klinisch sicheren Typhus¬
kranken auf der Höhe seiner Agglutinationsfähigkeit sowohl gegenüber dem
Bact. typhi, als auch dem Bact. paratyphi A und B, dem Bact. coli, Bacterium
enteritis Gaertner, Bact. botulinis van Ermengem genauer zu prüfen. Sie
kommen an der Hand einer ausführlichen tabellarischen Aufzeichnung ihrer
Versuche zu dem Schlüsse, daß der Gruber-Widalschen Reaktion
eine streng spezifische Wirkung nicht zukommt, daß das
Blutserum Typhöser unter Umständen dem Bac. typhöses
Eberth verwandte Bazillen ebenfalls selbst in stärkerer Ver¬
dünnung noch zu agglutinicren vermag. Danach würde unter Um¬
ständen bei typhusverdächtigen Fällen die bakteriologische Untersuchung allein
imstande sein, die Diagnose zu sichern. Dr. Waibel-Kempten.
Zur Typhusdlagnose mittels des Typhusdlagnostlkuins vou Ficker.
Von Dr. Selter in Bonn (a), Dr. Flatau und Dr. Wilke in Kiel (b) und
Dr. Eichler in München (c). Münchener med. Wochenschrift; 1905, Nr. 6.
a. Dr. Selter hat eine Reihe von Blutproben Typhuskranker mittels
des Fick er sehen Diagnostikums untersucht, daneben jedesmal die Aggluti¬
nationsprobe nach Gruber-Widal in der Verdünnung von 1:50 und 1:100
gemacht und in der Hauptsache gefunden, daß die Reaktion mit dem Ficker-
schen Typhusdiagnostikum unsere diagnostischen Mittel bei Typhus um ein
wichtiges vermehrt hat, das auch dem praktischen Arzte ermöglicht, auf der
Höhe einer fieberhaften Erkrankung in zweifelhaften Fällen mit der gleichen
Sicherheit wie mit der Gruber-Widalschen Reaktion die Diagnose auf
Typhus zu stellen. Die Reaktion mit dem Fick er sehen Diagnostikern kann
aber die Gruber-Widalsche nicht ersetzen; sie tritt nicht nur später auf,
sondern verschwindet auch früher; letzteres ist aber wichtig im epidemiologi¬
schen Sinne, wenn es sich darum handelt, den Ursprung einer Typhuserkrankung
festzustellen.
b. Dr. Flatau und Dr. Arthur Wilke fassen ihre Untersuchungs¬
ergebnisse aus der medizinischen Klinik und dem hygienischen Institut zu Kiel
ebenfalls dahin zusammen, daß Fickers Typhusdiagnostikum die lebende
Typhuskultur zu ersetzen durchaus imstande sei. Es leiste aber nicht mehr
als der Original-Widal, indem auch bei ihm die Reaktion eret nach einer
Reihe von Krankheitstagen positiv werde, kann jedoch besonders für die Praxis
als wertvoll empfohlen werden.
c. Dr. Eichler-München hat die Haltbarkeit und Verwertbarkeit des
Fick er sehen Typhusdiagnostikums in tropischen Gegenden bezw. auf einer
längeren Ostasienreise im Jahre 1904 geprüft. Er hält danach seine Haltbar¬
keit und Verwendbarkeit auch in tropischen Gegenden für erwiesen,und
bezeichnet es als ein Mittel von unschätzbarem Nutzen für Schiffsärzte zur
Feststellung der Typhusdiagnose. Da die Methode zur Anstellung dieser
makroskopischen Serumreaktion sehr leicht zu erlernen und ohne weitere Hilfs¬
mittel anzustellen ist, sollte das Diagnostikumkästchen in keiner Schiffsapotheke
mehr fehlen. Verfasser hat nur den einen Wunsch, daß die Firma Merk
statt eines großen, 10 oder 20 ccm fassenden Fläschchens Diagnostikumflüssig-
keit mehrere kleinere, immer gerade nur für einen Versuch ausreichende
Fläschchen, ähnlich den Diphtherieheilserumgläsern, liefern würde mit Rücksicht
auf die nicht volle Garantie für das Stenlbleiben des Präparates bei mehr¬
maliger Benutzung ein und derselben Flasche. Dr. Waibel-Kempten.
Zur Technik der Gruber-Widalschen Reaktion. Von Dr. Schottelius,
Assistent des path.-anatom. Instituts der Universität in München. Münchener
med. Wochenschrift; 1905, Nr. 15.
Die Tatsache, daß immer wieder neuere und einfachere Methoden zur
Kleinere Mitteilungen nnd Referate ans Zeitschriften.
499
Blutentnahme empfohlen werden, läßt schließen, daß alle bisherigen
Methoden sich nicht als völlig zweckentsprechend erwiesen haben.
Anch Verfasser gibt wiederum eine nene Methode an.
Nach Anlegung eines kleinen Hantschnittchens am Ohrläppchen wird
ha hervorquellende Blut — etwa 10 bis 15 Tropfen — mit einem kleinen, dicht
gewickelten Gaze- oder Schwammtnpfer aufgesogen. Als Griff des Tupfers
dient ein Kork- oder Gummipfropfen, in dessen Unterseite die den Tupfer
tragende Glas- oder Metallnadel eingebohrt ist. Der beschickte Tupfer wird
nach der Blutentnahme mit dem Pfropfen wieder fest auf das zugehörige Glas«
röhrchen aufgesetzt, signiert und an die Untersuchungsstelle abgesandt.
Mittels einer kleinen rasch laufenden Zentrifuge gelingt es leicht, das
Plasma des aufgesogenen und im Tupfer geronnenen Blutes annähernd voll¬
ständig aus demselben herauszuzentrifugieren, wobei sich gleichzeitig die spe-
hfftch schwereren Blutkörperchen an der Spitze des Glases sammeln, von der
Semmschicht überlagert. Letztere wird sodann mittels einer lOOteiligen
Kapillarpipette abgesogen und wie gewöhnlich (oder mit Hilfe des Pfaund-
lerschen Serienmischers) weiter verarbeitet. Eventuell kann man auch — im
Laboratorium — den ganzen auszentrifugierten Inhalt des Röhrchens in eine
Kapillare saugen, diese nochmals zentrifugieren und den das Serum enthaltenden
TeU mit der Feile herausschneiden.
Verfasser gibt dann noch einige weitere Versuchsmaßregeln an die Hand
md erwähnt zum Schluß, daß die beschriebenen Tupfer mit Glasröhrchen von
der Firma Kat sch-München für 25 Pf. zu beziehen sind.
Dr. Waibel-Kempten.
Endemisches Auftreten von myeloider Leukaemie. Aus der Heidel¬
berger chirurgischen Klinik von Dr. Ludwig Arnsperger, Assistenzarzt der
K li nik . Münchener med. Wochenschrift; 1905, Nr. 1.
In den letzten 2 Jahren kamen in der chirurgischen Klinik zu Heidelberg
3 Fälle von typischer myeloider Leukämie zur Beobachtung, welche alle 3 das
■ehr oder weniger ausgeprägte Blutbild der myeloiden Leukämie mit großem
Müztumor darboten und sämtlich aus Ortschaften des unteren Enztales zwischen
Pforzheim und Mühlacker stammten.
Weitere Nachforschungen in dieser Gegend ergaben noch 2 Fälle, bei
denen durch Blutuntersuchung die myeloide Leukämie festgestellt wurde, und
Mch weitere von den Aerzten des dortigen Bezirkes mitgeteilte 6 Fälle, bei
daen infolge fehlender Blutuntersuchung die Diagnose der Leukämie nicht
ndiergestellt, aber in 2 bezw. 3 Fällen sehr wahrscheinlich war.
Diese 11 Fälle stammen aus einem relativ kleinen Bezirk. Ein der¬
artiges „endemisches“ Vorkommen der Leukämie ist bis jetzt nirgends erwähnt.
Da die Leukämie in der betreffenden Gegend zweifellos selten vorkommt, bleibt
die Tatsache der außergewöhnlichen Anhäufung bestehen, auch wenn man von
allen nicht sichergestellten Fällen absieht.
Ausschlaggebende Faktoren für die Pathogenese der Krankheit konnte
Verfasser nicht nachweisen, insbesondere nicht in bezug auf Familienbeziehungen,
Uter, Geschlecht und Beruf. In hygienischer Beziehung bestanden in den
■leisten Fällen sehr ungünstige Wohnungs- und Familienverhältnisse. Eine
direkte Infektion war in keinem Falle wahrscheinlich. Die Wasserversorgung
der betreffenden Dörfer ist schlecht. Als erwähnungswert hält Verfasser die
Tatsache, daß früher das Enztal häufig der Schauplatz schwerer Typhusepide-
aüawar. Möglicherweise prädisponieren irgendwelche toxische oder mecha-
«ische Läsionen der Milz (Fall 9) vielleicht zur Leukämie.
Die vorliegende Beobachtung einer Reihe gleichartiger Fälle in einem
agbegrenzten Landstrich und im Zeitraum weniger Jahre scheint dem Ver-
gewichtig für einen parasitären Ursprung der Leukämie zu sprechen,
*ie ihn verschiedene Autoren in der Neuzeit fordern oder annehmen.
Vielleicht läßt sich in größeren Kliniken bei Durchsicht ihres Materials
ebenfalls ein gehäuftes Vorkommen von Leukämiefällen nachweisen.
Dr. W a i b e 1 - Kempten.
500
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
Die Milzbrandsporenbildung auf Fellen and Ihre Desinfektion. Von
Prof. E. r. Es mar cli in Göttingen. Festschrift für Hob. Koch. Jena 1903.
Untersuchungen, die v. Esmarch an Fellen von milzbrandinfizierten
Meerschweinchen anstellte, lehrten ihn, daß bei der Behandlung, welche Tier¬
felle im allgemeinen erfahren, die Bedingung zur Sporenbildung bei etwa in
den Fellen vorhandenen Milzbrandbazillen meist gegeben sind. Da Milzbrand¬
sporen selbst durch den Gerbprozeß nicht abgetötet werden, so sind solcho
Felle selbstverständlich eine große Gefahr für alle, die mit ihnen zu hantieren
haben. Versuche zur Unschädlichmachung der Milzbrandsporen in solchen
Fellen ergaben, daß hierzu 1—2 tägige Behandlung mit Karbollösung 1:100,
ferner 7 stündige Einwirkung einer l°/oo igen Sublimat- (+ Kochsalz 1 °/ 0 )-Lösung
genügte. Ganz besonders gute Resultate erzielte v. Esmarch aber mit
l°/oigen Formalin-Wasserdämpfen von 70°, welche in 8 Minuten die Milz¬
brandsporen in Fellen abtöteten. Er empfiehlt eine Nachprüfung dieses Ver¬
fahrens im Großbetriebe. Dr. Lentz-Saarbrücken.
1. Ueber Milzbrandantitoxin. Von Prof. Julio Mendez in Buenos
Aires. (A. dem Inst. f. Expcrimentalhygienc in Buenos Aires).
2. Beitrag zur Serumbehandlung bei Anthrax. Von Prof. Jro
Ban di, Privatdozent d. Hyg. und Bakteriolog. an der Universität Bologna
Zentralbl. f. Bakt.; X. Abt., Orig., 1904; Bd. 37, H. 8.
Mendez berichtet über 1234 Fälle von Milzbrand beim Menschen, bei
welchen sein Milzbrandserum zur Anwendung kam. Die Mortalität betrug nur
4,19 0 o Er stellt jetzt ein Serum her, von dem 3 ccm die Heildosis von 1500
Immunitätseinheiten enthalten. Im Anschluß hieran beschreibt er seine Me¬
thode, die Wertigkeit des Milzbrandserums zu bestimmen.
Ban di hat 2 schwere, anscheinend rettungslos verlort ne Fälle von
Milzbrand mittelst intravenöser Injektion großer Mengen (30 bezw. 160 cm)
Antikarbunkclserums behandelt und bei beiden schnelle Heilung erzielt, die
bereits eine Stunde nach der ersten Injektion durch starken Schweißausbruch
eingeleitet wurde. Er schreibt wie auch Mendez die Wirkung des Serums
seinem Gehalt an Antitoxinen zu und stellt es auf eine Stufe mit dem Diph-
thcrieheilserum. Dr. L e n t z - Saarbrücken.
Erfahrungen aus der Praxis mit einer neuen Methode zum Nach¬
weise von Milzbrand und weitere Untersuchungen darüber. Von Tierarzt
Dr. Marxer. Zeitschrift für Fleisch- und Milchhygiene; 1905, H. 5.
Verfasser beschreibt eine neue Methode zur Aufbewahrung milzbrand¬
verdächtigen Materials bis zur definitiven Untersuchung. Es werden Gyps-
stäbchen, welche in einem Rcagensglas untergebracht werden können, an ge¬
feuchtet und dann mit dem verdächtigen Material in Berührung gebracht Es
entwickeln sich bei den veränderten Ernährungsverhältnissen auf dem Gypa-
stäbchen Sporen. Zur Untersuchung wird etwas von der infizierten Oberfläche
des Gypsstäbchens in ein Bouillonröhrchen abgeschabt und weiter auf das
Vorhandensein von Milzbrandbazillen bearbeitet. Die Methode gibt neben dem
Vorteil der Einfachheit die Möglichkeit, bei geeigneter Aufbewahrung des
Gypsstäbchens bei 18—22° noch nach langer Zeit lebensfähige Milzbrandbazillen
nachweisen zu können. Ueber die Sporulation der Milzbrandbazillen auf Gyps-
stäbchen sind vom Verfasser Untersuchungen angestellt worden, mit dem Er¬
gebnis, daß die Auskeimung der Sporen zwar am schnellsten bei 37° erfolgt,
daß aber eine Temperatur von 18—22° die besten Verhältnisse für eine lange
Lebensfähigkeit der Sporen — bis zu 12 Monaten — darbietet.
Dr. Stoffels -Düsseldorf.
Besprechungen.
Dr. Pfeiffer, Reg. u. Geh. Med.-Rat in Wiesbaden: Jahresbericht über
die Fortschritte und Leistungen auf dem Gebiete der Hygiene
für das Jahr 1908 . Braunschweig 1904. Verlag von Vieweg & Sohn.
Gr. 8“, 575 S.
Der vorliegende Jahresbericht bringt die Ergebnisse fleissiger, gewissen-
Besprechungen.
501
hafter und erfolgreicher Arbeit, die im Jahre 1902 auf dem Gebiete der Hygiene
geleistet ist, in der bekannten Übersichtlichen und kritischen Darstellung. Das
Kapitel Gefängnishygiene hat an Stelle des Geh. Med.-Bats Dr. Baer in Berlin
der Kreisarzt Dr. Petschull, Arzt am Zuchthause in Diez a./L. übernommen,
während für die Bearbeitung der Bauhy^iene an Stelle des ausgeschiedenen
Stadtb&urats a. D. Brix in Wiesbaden der Königl. Bauinspektor Schümann
in 'Berlin gewonnen wurde. Die Bitte des Herausgebers um reichlichere Zu¬
wendung von einschlägigen Werken und Abhandlungen sei an dieser Stelle
wiederholt. _ Epd.
Dr. Carl Kex, Prof, der Botanik in Halle a./S.: Das Mikroskop und
seine Anwendung. Berlin 1901. Verlag von Julius Springer. Gr. 8°,
392 8.
H. hat Hägers Handbuch der praktischen Mikroskopie in der vorliegen¬
den neunten Auflage nach Umfang und Inhalt amgearbeitet und erweitert.
Hierbei wurde er unterstützt durch Begierungsrat Dr. Appel (Pflanzenkrank¬
heiten), Prof. Dr. Stolper (medizinisch - histologische Materie) und Privat-
dozent Dr. Brandes (Zoologie). Das Werkchen umfaßt die beiden Abschnitte
? Mikroskop“ und „mikroskopische Objekte“. Dnrch Schilderung der letzteren,
insbesondere der praktisch wichtigen aus dem Pflanzen- und Tierreich stammen¬
den mikroskopischen Objekten füllt das „Mikroskop“ eine Lücke aus, die sich
im Laboratorium des Praktikers — zumal beim Fehlen botanischer und zoolo¬
gischer Spezialwerke — sehr bemerkbar machte. Papier, Druck und die 401
in den Text gedruckten Figuren verdienen wegen ihrer Vorzüglichkeit ganz
besondere Anerkennung. Dr. Eoepke-Melsungen.
■um: Die Pflege der Wöchnerin und des Säuglings. II. Auflage.
Paderborn 1904 (Albert Pape).
Es ist ein erfreuliches Zeichen, daß man in den letzten Jahren der Aus¬
bildung der Wochenpflegerinnen seine besondere Aufmerksamkeit zugewandt
hat Bildet doch die Wochenbetthygiene einen gewichtigen Faktor in der
Hygiene des weiblichen Geschlechtslebens! Es sind daher in den letzten
10 Jahren eine Eeihe kleiner Lehrbücher der Wochen- und Kinderpflege er¬
schienen, welche den, wohl allenthalben jetzt (in Frauenkliniken, Hebammen¬
lehranstalten, Wöchnerinnenasylen) eingerichteten vierteljährlichen Lehrkursen
zur Grundlage dienen. Unter diesen Büchern scheint mir das vorliegende
Büchlein, welches bereits in II. Auflage vorliegt, einen ganz hervorragenden
Platz einzunehmen. Ich kenne unter den jetzt vorhandenen derartigen kleinen
Lehrbüchern keines, welches in einer so klaren, präzisen und doch ausführlichen
Form die Pflege der Wöchnerin und des Kindes in den ersten Lebenswochen
Torträgt. Auch wenn der Verfasser (— das einzige, womit ich nicht mit ihm
übereinstimme —) auf die Belehrung über anatomische und physiologische Be¬
griffe, soweit sie die Wöchnerin und das Neugeborene angehen, verzichtet,
welche Belehrung, wie Löhlein in der Vorrede zu meinem Leitfaden der
Wochenpflege sagt, für den Unterricht nicht überflüssig erscheint, so halte ich
das Mann sehe Buch doch für den Unterricht für durchaus ausreichend, ja für
reichlich ausführlich. Die einzelnen Abschnitte sind klar disponiert, die Vor¬
tragsweise ist allenthalben der Auffassungsgabe der Pflegerinnen genügend
augepaßt. Nach einer kurzen Einleitung über die Aufgaben der Wochenpflegerin
werden in Abschnitt I die Verrichtungen im allgemeinen (Temperaturmessung,
Desinfektion etc.), in Abschnitt II und UI die Pflege der gesunden bezw.
kranken Wöchnerin, in IV und V die Pflege des gesunden und des kranken
Kindes vorgetragen. Einzelne Abschnitte, wie z. B. die Pflege des kranken
Kindes sind so ausführlich gehalten, daß das Buch sich nicht nur für Wochen¬
bettpflegerinnen im engeren Sinne, sondern auch für Kranken- und Kinder¬
pflegerinnen eignen dürfte. Anhangsweise bringt der Verfasser einen Abdruck
der vom Oberpräsidenten der Provinz Westfalen erlassenen Ordnung für staat¬
lich geprüfte Wochenbettpflegerinnen. Es wäre zu wünschen, daß in anderen
Provinzen, ebenso aber in anderen Bundesstaaten ähnliche staatliche Ordnungen
für Pflegerinnen erlassen würden. — 'Das Großherzogtum Baden und Hamburg
sind ja mit gleichem Beispiele vorausgegangen. Wünschenswerter erscheint es
mir aber, wenn für Pflegerinnen eine allgemeine für alle Staaten gültige ein-
602
Tagesnachrichten.
heitüche Verordnung erlassen würde, ein Grand dagegen scheint mir nicht vor-
zoliegen, besonders da die Pflegerinnen im Gegensatz zu den Hebammen Frei¬
zügigkeit in den einzelnen Bandesstaaten genießen.
Daß in der genannten Ordnung die Pflegerin nnter Aalsicht des Kreis¬
arztes gestellt wird and man verlangt, daß sie sich bei Kindbettfieberfällen
denselben Vorschriften unterwirft, welche für Hebammen gelten, kann ich nor
als einen erfreulichen Fortschritt in der Wochenbetthygiene begrüßen!
Jedenfalls wünsche ich dem Mann sehen Bache die weiteste Verbreitung,
aber nicht nur in den Kreisen der Wochenbett- and Krankenpflegerinnen,
sondern auch in Aerztekreisen and bei Studierenden, denen ein Stadium eines
solchen gemeinverständlichen Lehrbuches (ebenso wie das Stadium des Heb¬
ammenlehrbaches!), ehe sie in die Praxis gehen, meiner Ansicht nach von
großem Nutzen sein würde! Prof. H. Walther-Gießen.
Dr. Baaaun: Praktische Gebnrtshülfe. IV. Auflage. Berlin 1905. Verlag
von Elwin Stande.
Die von dem bekannten Hebammenlehrer Dr. Ban mm (Direktor der
Lehranstalt in Breslau) verfaßte praktische Gebnrtshülfe, „ein Wiederholungs¬
buch für Hebammen“ liegt nun bereits in vierter Auflage vor, dieses Mal zu¬
gleich als „Einführung in das neue preußische Hebammenlehrbuch“. Wer
Gelegenheit gehabt hat, das Büchlein nicht nur lernend, sondern auch lehrend
zu benutzen, der wird mir zugeben, daß es wohl kaum ein zweites Büchlein
geben wird, welches bei prägnanter Kürze und Klarheit in der Anordnung des
Stoffes doch so viel Belehrendes bietet. Das Büchlein soll, wie Verfasser selbst
sagt, nicht die Arbeit sparen, es regt vielmehr reichlich zum Nachdenken und
Nachlesen an; es setzt zwar ein gründliches Studium des Lehrbuches voraus,
regt dabei aber wieder zum Nachlesen an. In diesem Sinne ist es als Kom¬
pendium in erster Linie für Hebammen zu empfehlen; aber auch dem Lehrer -
bietet es bei Repetitionen einen praktischen Leitfaden und vor allem für den
Kreisarzt eine ausgezeichnete Disposition zur Abhaltung der Nachprüfungen.
Gerade die neueste Auflage möchte ich den Herren Kreisärzten für den ,
Zweck, in Kürze die Hebammen mit dem Inhalte des neuen Lehrbuchs bekannt h
zu machen, empfehlen, ohne daß damit ausgedrückt sein soll, daß es das
Studium des Lehrbuches überflüssig machen könnte. Anlehnend an das neue
Lehrbuch enthält das Büchlein einen kurzen Auszug aus demselben; neu hin¬
zugekommen ist der Abschnitt „Krankheitslehre und Krankenpflege“. — Im
Anhänge sind einige geburtshilfliche Grundregeln und die bemerkenswertesten
Punkte aus der neuen Dienstanweisung zusammengestellt. Dem Büchlein
wünsche ich, nachdem ich es im Unterrichte für Repititionen schätzen gelernt
habe, die weiteste Verbreitung in den Kreisen der Hebammen, wie auch der
Herren Kreisärzte. Dr. H. Walther-Gießen.
Tagesnachricbten.
Internationaler Tuberkulosekongress ln Paris vom 2. bis 7. Ok¬
tober 1906. Der Kongress gliedert sich in 4 Abteilungen, in welchen folgende
Referate gegeben werden: 1. Abteilung. Innere Pathologie: 1. Die
neuen Behandlungsmethoden des Lupus. Ref. Jeanselme und Chatin, *
H. Forchhammer - Kopenhagen, Prof. L e s s e r - Berlin. 2. Die Frühdiagnose
der Tuberkulose durch die neuen Verfahren. Ref. M. H. Achard-Paris,
Prof. Mariani-Genua, Dr. C. Theodor Williams-London. — 2. Abteilung.
Chirurgische Pathologie: 1. Vergleichende Studien über die ver- \
schiedenen Tuberkulosearten. Ref. Prof. Dr. A r 1 o i n g - Lyon, Prof. Dr. K o s s e 1 -
Gießen, Prof. Theobald Smith. 2. Ueozoekale Tuberkulose. Ref. Dr. De-
moulin-Paris, Prof. R o u x - Lausanne, Prof. Depage und Dr. Pinchart- 1
Brüssel. 8. Chirurgische Eingriffe bei Tuberkulose der Hirnhäute und der
Hirnmasse. Ref. Prof. Dur et-Lille, Prof. Ale ssandri-Rom. 4 . Tuberkulose
und Trauma. Ref. Dr. Villemin-Paris, Dr. Friedländer-Wien. —
3. Abteilung. Schutz und Hilfe beim Kinde. 1. Verhütungsma߬
regeln in der Familie. Ref. Dr. Marfan-Paris, Prof. Dr.Heubner-Berlia. $
2. Schutz der Schulkinder. Ref. Dr. Armaingaud-Bordeaux., Prof. d'Es- ;
S ine-Genf. 8. Seesanatorien. Ref. H. Armaingaud-Bordeaux, Professor
’Espine-Genf. 4. Die Schulversicherungen und ihre antituberkulöse Bolla
Tages-Ordn.üb. d. Hauptversammlung d. Deutschen Medizinalbeamtenvereins. 608
Bet H. Cavö et Savoire-Paris. — 4. Abteilung. Schutz und Hilfe
beim Erwachsenen. Soziale Hygiene. 1. Die ätiologischen Faktoren
der Tuberkulose; ökonomische Bedingungen in der sozialen Aetiologie der
Tuberkulose. Bef. Dr. R o m m o - Paris, Dr. Newsholme* Brighton, Professor
M. Sternberg. 2. Versicherungen und Krankenkassen im Kampfe gegen die
Tuberkulose. Referenten H. Eduard Fttster-Paris, H. Bielefeld-Berlin,
K C. H. Oarl and-London. 8. Bolle der Armenapotheken und Sanatorien
im Kampfe gegen die Tuberkulose. Bef. Dr. Courtois-Suffit und L a u b ry,
R Bang-Sikelborg, H. Böco-Brüssel. 4. Gesundheitliche Verbesserung und
Lüftung der Wohnung. Bef. H. Keith, D. Yung-London. 6. Hygiene der
Tuberlralösen in den Gemeinschaften: Ateliers, Fabriken, Bureanx, Armee und
Marine. Bet H. Kelsch-Paris, Me. Thibault-Paris. H. Boulin-Lyon.
& Desinfektion der Wohnung von Tuberkulösen (administrative Regulierung
und praktische Maßregeln). Bef. Dr. A. J. Martin, Dr. Dunbar-Hamburg,
E Abba-Turin. — Das deutsche Nationalkomitee besteht aus den Herren:
Prot v. Leyden, Geheimer Medizinalrat, Bendlerstraße 80, Berlin W., Vor¬
sitzender; Dr. Nietn er, Eichhornstraße 9, Berlin, Schriftführer; Dr. Althoff,
Ministerialdirektor; Prof. Dr. Frankel, Geheimer Medizinalrat; H. G a e b e 1,
Präsident des Reichsversicherungsamts; H. K ö h 1 e r, Präsident des Kaiserlichen
Gesundheitsamts. — Der Mitgliederbeitrag beträgt 25 Fr., für außerordentliche
Mitglieder (Familienangehörige) 10 Fr. — Die französischen Eisenbahnen ge¬
währen zum Besuch des Kongresses eine Fahrpreisermäßigung von 50 Prozent.
Das St an gen sehe Reisebureau hat sich bereit erklärt, für gute Unterkunft
in Paris Sorge zu tragen. Es ist zu diesem Zwecke wichtig, die voraussicht¬
liche Zahl der Teilnehmer zu wissen; die beabsichtigte Teilnahme ist daher
dem Deutschen Kongreß - Komitee (Berlin W. 9, Eichhornstraße 9) schon jetzt
unverbindlich mitzuteilen.
Deutscher Medizinalbeamten - Verein.
Vierte Hauptversammlung
in
Heidelberg 1 .
Tagesordnung:
Donnerstag, den 7. September:
8Uhr abends; Gesellige Vereinigung zur Begrdeeung (mit Damen)
in der Stadthalle. Ballsaal (Eingang Portal IV, Bienenstraße).
Freitag, den 8. September:
9 Uhr Tormittegs: Erete Sitzung Im Kammermuelksaal der Stadt¬
halle (Eingang Portal VI; Neckarseite).
1. Eröffnung der Versammlung.
2. Geschäfts- und Kassenbericht.
3. Geriehtsärztllche Wünsche mit Rücksicht auf die bevorstehende Neu¬
bearbeitung der Strafprozessordnung. Referenten: Prof. Dr. H e i m -
berger-Bonn, Gerichtsarzt Prof. Dr. Straßmann-Berlin und
Prof. Dr. Aschaffenburg-Cöln a./Rh.
Nach Schluß der Sitzung: Besichtigung der Milchküche der Luisen-
Heilanstalt und des Krematoriums auf dem städtischen Friedhofe.
B Uhr nachmittags: Festessen (mit Damen) im Ballsaal der Musikhalle
(Preis des trocknen Gedecks: 4 Mark).
504 Tage*-Ordn. üb. d. Hauptversammlung d. Deutschen Medizinalbeamtenvereins.
Sonnabend, den 9. September:
0 Uhr vormittags: Zweite Sitzung Im Kammermusiksaal der
Stadthalle.
1. Die Beaufsichtigung der Geisteskranken ausserhalb der Anstalten.
Referent: Privatdozent Dr. W. Weber, Oberarzt, der Pror.-Heil¬
and Pflegeanstalt Göttingen, Korreferent: Prof. Dr. P. Stolper,
Kreisarzt in Göttingen.
2. Vorstandswahl; Bericht der Kassenrevisoren.
3. Abwässer • Reinigung mit Rücksicht auf die Reinhaltung der Wasser-
lilufe. Referenten: Dr. Thumm, ordentl. Mitglied der Königlichen
Versuchsanstalt für Wasserversorgung und Abwässcrbeseitignng in
Berlin (vom hygienisch-technischen Standpunkte), Reg.- nnd
Med.-Rat Dr. Dütschke-Erfort (vom gesundheitspolizei¬
lichen und verwaltungsrcchtlichen Standpunkte).
Nach Schluß der Sitzung: Mittagessen nach freier W&hL
3 Uhr nachmittags: Besichtigung des alten Heidelberger
Schlosses und gemeinschaftlicher Ausflug in die Umgebung. 1 )
Wohnungen werden am besten direkt bestellt; jedoch ist auch H.
Gerichtsarzt a. D. Dr. Long&rd-Heidelberg erbötig, solche zu besorgen. Be¬
stellungen an ihn sind unter Angabe etwaiger Wünsche in bezug auf Lage
uud Preis der Zimmer, Zahl der Betten rechtzeitig zu richten.
Empfehlenswerte Hotels sind: Hotel „Victoria“, Zimmer von 3
bis 4 Mark an, Frühstück 1 Mark 25 Pf.; „Europäischer Hof“, Z. von
4—7 Mark, Frühstück 1 Mark 50 Pf.; Hotel „Prinz Carl“ f*, Z. von 2—6
Mark, Frühstück 1 Mark 20 Pf.; „Schloßhotel“, Z. mit Frühstück von
5 Mark an; „Grand-Hotel“ *, Z. von 3 Mark an, Früsttick 1 Mark 20 Pf.;
Hotel „Schrieder“, Z. von 2,50—5 Mark, Frühstück 1 Mark 20 Pf.; Hotel
„Metropol“ f, Z. von 3 Mark an, Frühstück 1 Mark 20 Pf.; „D&rmstftdter
Hof“, Z. von 2,50—3 M., Frühstück 1 Mark; Hotel „Lang“, Z. von 2,50 bis
4 Mark, Frühstück 1 Mark; Hotel „Harrer“ t, Z. mit Frühstück von 2,50
Mark; Hotel „Reichspost“, Z. von 2,50—4 Mark, Frühstück 1 Mark.*)
Die Mitglieder werden dringend ersucht, alsbald nach ihrer Ankunft in
Heidelberg sich im Anmeldebureau zu melden, das sich in der Stadthalle
befindet und am Donnerstag von 4 Uhr nachmittags an geöffnet ist.
Minden, den 1. August 1905.
Der Vorstand des Deutschen Medizinalbeamten-Vereins.
Im Auftr.: Dr. Rapmund, Vorsitzender,
Reg.- n. Geh. Med.-RAt ln Minden.
*) Das Nähere über die Besichtigungen und den Ausflug wird am
Sitzungstage bekannt gegeben.
*) f Hotels des Deutschen Offizier-Vereins. *) Hotels des Waarenhauses
für deutsche Beamte.
VcraiitworH. Redakteur: Dr. Rapmund, lieg.- u. Geh. Mcd.-Kat in Minden i W.
J. C. C. Iiruns. IKerzojd- Sächn. u. K. Scli.-L. llofbuchdruokerH in Minden.
18. Jahrg.
Zeitschrift
1905.
für
MEDIZINALBEAMTE.
Zentnüblatt für gerichtliche Medizin und Psychiatrie,
fir ärztliche Sachrerstandigentatigkeit in Unfall- und Invaliditätesachen, sowie
dr Hygiene, öffentL Sanitatswesen, Medizinal-Gesetzgebung und Rechtsprechung
Heraasgegeben
von
Dr. OTTO RAPMÜND,
Regierungt- und Ooh. Medlztnalrat In Minden.
Verlag von Fischers mediz. Buehhandlg, H. Kornfeld,
HetrxogL Bayer. Hof- n. ErxhenogL Kammer-Buchhftndlar.
Berlin W. 35, Lützowstr. 10.
Innerate nehmen die Yerlagsliandlung sowie alle Annoncen-Expeditionen des In-
nnd Anslandes entgegen.
Nr. 16.
Ersekelat am 1. «ad IS. Jeden Monate
15. August.
Schwere innere Verletzungen bei minimalen oder gänzlich
fehlenden Läsionen der Körperoberfläche.
Von Med.-Bat Dr. EmU Stern, Gerichtsarzt in Breslau.
Schlantm&nn 1 ) and H. Hoff mann 1 ) haben neuerdings
schwere innere Verletzungen bei nur geringen Sparen änsserer
ömlteinwirkung beschrieben. Diesen für den Gerichtsarzt inter¬
essanten und wichtigen Beobachtangen möchte ich folgende an-
raihen, welche bei forensischen Sektionen des Jahres 1904 ge¬
wonnen sind:
1. Starz aas der Höhe des ersten Stocks. Fraa F. im Dorfe B. des
Kreises B. wurde von ihrem dem Tranke ergebenen Ehemann auf den ge¬
pflasterten Hof hinabgestürzt. Tod nach 12 Standen. Aeaßerüche Ver¬
letzung: Wenig umfängliche Bißwunde über dem rechten Schalterblatt.
Bei der 8ektion wurden 2 Qaerbrüche des Brustbeins und Brach der 4. Bippe
rechts, sowie Zertrümmerung des Halsmarks festgestellt.
2. Beim Bedachen eines 5stöckigen Hauses war ein 34 Jahr alter
Klempner auf das Steinpflaster herabgestürzt. Der Tod trat sofort ein.
Kenfiere Verletzungen fehlten vollständig. Die Legalsektion
er gab: Querbrach des Brustbeins und der 8. Bippe beiderseits, Zertrümmerung
ta 4. Halswirbels, dessen Bruchstücke nach vorn verschoben waren und das
Halsmark zerquetscht hatten.
’lSchlautmann: Zwei interessante Obduktionsergebnisse. Zeitschr.
I Med.-Beamte; 1904, Nr. 3.
__ *)H.Hoffmann: Innere Verletzungen. VierteljahrBSchr. f. ger.Med.,
HL Folge, XXIX. Bd., 2. H.
606
Dr. Schlieben.
3. Auch die Sektion eines aas beträchtlicher Höhe herabgestürzten
Maurers bot kein Zeichen äußerer Verletzung, während die Sektion
Zertrümmerung des 4. Halswirbels, Dislokation der Bruchstücke und Zerquet¬
schung des Halsmarks zeigte.
4. Ein unbekannter, etwa zwischen 30 und 40 Jahre alter Mann war
zwischen den Gleisen der Eisenbahnstation 0. tot aufgefunden worden, ohne
eine Spur äußerer Verletzung zu bieten. Bei der Legalsektion fand
sich: Fraktion des Brustbeins und sämtlicher Rippen, Haemopericardium, Quer¬
riß beider Vorhöfe des Herzens an der Vorderfläche und dicht über Querfurche
Zerreißung der Aorta ascendens, der Arteria pulmonal, Ruptur des linken
Leberlappens. Mit großer Wahrscheinlichkeit mußte angenommen werden,
daß Denatus in selbstmörderischer Absicht sich dem herankommenden Zuge
entgegengestellt und durch den Anprall der Lokomotive zu Tode ge¬
kommen war.
5. Der 30 Jahr alte Herrn. J. war beim Rangieren zwischen die Puffer
zweier Eisenbahnwagen gekommen und hierauf plötzlich gestorben. Aeußere
Verletzungen fehlten vollständig. Die gerichtliche Sektion ergab:
Vollständige Abreißung des Herzens, welches frei in der linken Brusthöhle
sich vorfand. Die Rißfläche verlief ziemlich wagerecht dicht über den Vorhof-
kammermündungen. Außerdem fand sich Zerreißung dez Herzbeutels und der
Bauchschlagader und zahlreiche Leberrisse.
Es leuchtet ein, dass sehr oft die erhobenen, ganz unerheb¬
lichen oder gänzlich fehlenden Verletzungsspuren der Körperober¬
fläche über die Schwere etwa vorhandener Verletzungen der
inneren Organe keinen Schluss zulassen. Eine „gerichtliche
Leichenschau* 1 ohne folgende Sektion wird deshalb in den seltensten
Fällen hinreichen, um die Todesursache festzustellen oder die
Frage des Verschuldens einer anderen Person an dem Tode des
Verstorbenen zu entscheiden.
Ueber Formysol, ein neues Desinfiziens.
Von Kreisassistenzarzt Dr. Schlieben, Leiter der bakteriologischen Dnter-
suchungsanstalt bei der Königlichen Regierung in Schleswig.
Die Zahl der chemischen Desinfizientien, welche geeignet
sind, die Mikroorganismen abzutöten, ist zwar eine überaus grosse,
doch haben nur relativ wenige von ihnen eine praktische Be¬
deutung, namentlich diejenigen, welche in kurzer Zeit ihre Wirkung
entfalten, ohne die zu desinfizierenden Objekte zu schädigen.
Unseren meisten und bekanntesten Desinfizientien haftet aber im
allgemeinen der grosse Uebelstand an, dass sie eine stark toxische
Wirkung besitzen; ich erinnere nnr an das Sublimat, das sogar
in einer Verdünnung von 1 : 1000, in welcher es noch sporenhaltige
Mikroorganismen, z. B. die Milzbrandsporen, abtötet, für den
Menschen nicht als unschädlich zu betrachten ist. Während
ferner die Karbolsäure in stärkerer Konzentration zur Verätzung
der Haut und zu dem gefürchteten Karbolgangrän führen kann
und in sehr verdünnter Lösung überhaupt sich als unwirksam
erweist, und die Phenolsulfonsäuren der Karbolsäure, die Kresole,
das Lysol, die Seifenlösung des Phenols, das Solveol n. a. eine
mehr oder minder erhebliche Aetzwirkung auf die Gewebe ansüben,
besitzen wir dagegen in dem Formaldehyd ein Desinfiziens, das
Ceber Formysoi, ein neues Desinfiziens.
B07
trotz seiner ganz eminenten bakterientötenden Eigenschaft nur in
ganz geringem Grade giftig wirkt. In konzentrierter Form, in
der 40 °/ 0 Lösung von Formaldehyd in Wasser, Formalin oder
Formol (HCOH) genannt, wirkt das Formaldehyd zwar noch
ätzend, aber doch ist diese Aetzwirkung nur eine ganz oberfläch¬
liche, welche niemals in die Tiefe der Gewebe einzudringen
vermag. Diese geringfügigen Nachteile des Formalins können
ausserdem durch geeignete Zusätze von Glyzerin und Wasser
wieder gehoben werden, ohne jedoch die Desinfektionswirkung zu
schwächen.
Versuche mit der internen Darreichung des Formaldehyds
sind bei den verschiedensten Infektionskrankheiten vorgenommen
worden und haben, wie Bosenberg 1 ) gezeigt hat, sich gut be¬
währt gegen Angina, Scharlach, Erysipel und Pyämie, ohne irgend¬
welche Nierenreizung herbeizuführen, da der Urin stets frei von
pathologischen Bestandteilen blieb. Die äussere Anwendungsweise
des Formaldehyds ist angezeigt in der Wundbehandlung, da
Lösungen in geringer Konzentration weder toxische, noch ätzende
Wirkungen hervorgebracht haben.
Das Formysoi, ein neues, von der Firma Th. Hahn & Co.
io Schwedt a. 0. in den Handel gebrachtes Desinfiziens, in welchem
die Wirkung des Formaldehyds zur Geltung kommt, ist eine klare,
leicht gelblich gefärbte, flüssige Glyzerin-Kaliseife, welche mit
zweierlei Zusätzen, nämlich mit einem Zusatze von 10 °/ 0 Formalin
und einem solchen von 25°/ 0 hergestellt ist; das 10°/ 0 tige Formysoi
besitzt demnach 4 °/ 0 , und das 25°/ 0 tige Formysoi 10°/ 0 Formal¬
dehydgehalt. Die verschiedene Herstellung mit einem 10 °/ 0 und
25 */ 0 Formalingehalt ist deshalb gewählt worden, weil man das
Formysoi zu dem einen Zwecke mit weniger Formaldehydgehalt
und zu dem anderen Zwecke hochprozentiger verwenden wird. Da
sich das Formalin leicht verflüchtigt, so ist beim Gebrauche des
Formysols auf diesen Umstand Bücksicht zu nehmen; denn bei un¬
genügendem Verschluss der Flasche würde der Formaldehydgehalt
ganz erheblich nachlassen.
Die von mir ausgeführte bakteriologische Untersuchung des
Fonnysols erstreckte sich auf 1. Milzbrandsporen, 2. Staphylococcus
pyogenes aureus, 3. Bacterium coli, 4. Bacillus typhi und 5. Bacillus
diphtheriae; sie ergab eine starke Einwirkung auf pathogene Bak¬
terien, welche nach relativ kurzer Zeit in ihrer Entwickelung
gehemmt und vollständig abgetötet wurden. Zur Prüfung wurden
mit Milzbrandsporen imprägnierte Seidenfäden eine bestimmte Zeit
lang der Wirkung des unverdünnten Formysols ausgesetzt, dann
in sterilem Wasser abgespült und in sterile Bouillonröhrchen über¬
tragen, in den Brutschrank bei 37 0 gebracht, am folgenden Tage
besichtigt und von den Bonillonkulturen alsdann weitere Gelatine¬
stichkulturen und Gelatineplatten angelegt. Die Prüfung der
*) Bosenberg: Ueber den Wert des Formaldehyds für die interne
Therapie. Therapie der Gegenwart. Februar 1905.
508
Dr. Schlieben.
Wirkung auf die übrigen genannten Bakterien erfolgte in ähn¬
licher Weise, indem sterile Seidenfäden mit der zu prüfenden
frischen Bakterienaufschwemmung behandelt, dann in die Formysol-
lösung eine bestimmte Zeit übertragen, hierauf mit sterilem Wasser
abgespült und in sterile Bouillonröhrchen übertragen wurden,
welche bei Bruttemperatur von 37° aufbewahrt wurden. Am
nächsten Tage Besichtigung der tags zuvor hergestellten Bouillon- -
kultur, und daraus Herstellung von weiteren Gelatinestich- und
Gelatineplattenkulturen. Von der Bouillonaufschwemmung da*
Diphtherieb&zillen wurden verschiedene Strichkulturen auf schräg
erstarrtem Löfflers Blutserum angelegt und vereinzelte Glyzerin¬
agarplatten - Oberflächenstriche hergestellt. Beifolgende Tabelle
ergibt die Resultate der bakteriziden Wirkung des 10- und 25proz.
unverdünnten Formysols:
10°/ 0 Formysol.
Bakterienart.
Zeitdauer
der Ein¬
wirkung
des
Formysols
Bouillon¬
aufschwem¬
mung
Qelatine-
stricb
l
Gelatine¬
platte
a) Milzbrandsporen
10 Min.
getrübt
wächst
wächst
15 „
ff
7t
ff
20 „
ff
7t
7t
25 „
ff
7t
7t
30 „
ff
yt
ff
40 „
r»
7t
ff
60 „
leichte Trüb.
7t
ff
60 „
klar
kein Wachstum
kein Wachstum
b) Stapbylococcos
2 n
getrübt
wächst
wächst
pyog. aureus
3 w
ff
ff
ff
6 *
»
7t
ff
6 7t
klar
kein Wachstum
kein Wachstum
10 „
ff
7t
ff
15 ,
ff
7t
ff
c) Bacterium coli
5 it
trübe
wächst
wächst
8 „
ff
7t
ff
10 ff
klar
kein Wachstum
kein Wachstum
15 „
ff
»
ff
20 jf
7t
91
ff
d) Bacillus typhi
1 7t
trübe
wächst
wächst
3 „
71
ff
ff
5 ,
klar
kein Wachstum
kein Wachstum
10 „
ff
ff
ff
e) Bacillus diphthe-
3 "
trübe
' 8triohktiltar auf
CHyserinagar-Obtr-
7 . r
nae
5 „
7t
Löfflers Blutserum
trübe
wächst
fliehe Bflftrieh
trübe
wichst
8 n
7t
ff
ff
10 ff
w
ff
*
ff
15 ft
klar |
kein Wachstum
kein Wachstum
20 „
7t |
ff
ff
25 „
1
7t |
ff
ff
I
Ueber Formysol, ein neues Desinfizicns.
26 # / 0 Formysol.
609
Zeitdauer
Bazillenart.
der Ein¬
wirkung
des
Bouillon-
aufschwem-
mung
Gelatine¬
strich
Gelatine¬
platte
Formysols
a) Milzbrandsporen
10 Min.
getrübt
wächst
wächst reichlich
16 *
n
1»
II
20 ,
91
n
•
26 ,
klar
kein Wachstum
kein Wachstum
80 ,
91
*
II
40 .
n
M
91
60 ,
n
n
99
60 „
99
ff
9»
b) Staphylococcus
2 .
getrübt
wächst
wächst
pyogenes aureus
3 -
n
91
99
6 „
klar
kein Wachstum
kein Wachstum
6 „
T»
9»
9»
10 „
99
n
n
16 ji
n
*
n
c) Bacterium coli
6 „
! trübe
wächst
wächst
8 „
klar
kein Wachstum
kein Wachstum
10 ,
n
n
91
16 „
n j
9»
91
d) Bacillus typhi
20 „
1 1
n
J»
9»
1 ,
Trübung |
wächst
ger. Wachstum
3 -
klar
kein Wachstum
kein Wachstum
6 .
n
ff
91
e) Bac. diphtheriae
10 .
n
n
91
3 ,
Trübung
1
Strlchkalfor auf
Löffler« Blataernm
Qlyxtrln*gar-Ober-
fliohenstrlch
1
1
wächst
wächst
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I
k?ar
ff
kein Wachstum
'kein Wachstum
1
16 ,
n
9»
n
20 ,
n
99
26 .
1
91
99
Die bakteriologische Prüfung des Formysols ergab demnach
folgende Einwirkung auf Mikroorganismen. Es wurden abgetötet:
durch 10% Formysol:
1. Milzbrandsporen in 60 Minuten.
2. Diphtheriebazillen .16 „
3. Colibazillen .10 „
4. 8taphylokokken .6 „
5. Typhnsbazillen .6 „
durch 26% Formysol:
in 25 Minuten.
» 10 „
„ 8 .
. 6 ,
Ans vorstehenden bakteriologischen Versuchen hat sich die
8 krke desinfizierende, d. h. keimtötende Wirkung des Formysols
ergeben, so dass wir in demselben ein neues Desinfiziens haben,
welches den übrigen an Wirksamkeit in nichts nachsteht. Ausser¬
dem scheint das Formysol vor den übrigen Desinfizientien den
Vorzug zu haben, dass es die Hände und Instrumente nicht an-
peijft and keine Aetzwirkungen erkennen lässt, so dass es zur
Itemlektion der Hände und Instrumente, zur Behandlung eiternder
Wanden, zur Desodorierung jauchiger Sekrete und zur Behänd-
610
Dr. Kirstein.
lang parasitärer Hautkrankheiten, besonders des behaarten Kopfes
durchaus geeignet erscheint.
Ein Besteck für die Blutentnahme bei typhusverdächtigen
Personen.
Von Dr. Fritz Kirstein, kommissarischer Kreisarzt in Olpe L W.
Ebenso wie Herr Kreisassistenzarzt Dr. Friedel-Coblenz,
habe auch ich s. Z. als Leiter einer bakteriologischen Aussenstation
für Typhnsbekämpfung, sowie in meiner jetzigen Stellung ein
kompendiöses Besteck zur serodiagnostischen Blutentnahme bei
typhus verdächtigen Personen vermisst und ein solches auf Grund
meiner Erfahrungen zusammengestellt.
Was zunächst das Instrument angeht, mittels dessen das
Blut gewonnen werden soll, so dürfte es am zweckmässigsten
sein, eine sogenannte Blutentnahmefeder zu verwenden, wie solche
auch von den im Westen des Reiches errichteten Typhusstationen
zur Blutentnahme benutzt werden. Das Instrument besteht in
einer kachierten, verstellbaren kleinen Lanzette, die mittels Feder¬
kraft hervorgeschleudert werden kann. Um den aseptischen Grund¬
sätzen leichter gerecht zu werden, habe ich die Lanzette der Blut*
entnahmefeder des Bestecks wie bei den Lindenborn sehen Impf¬
messern aus Platin-Iridium herstellen lassen; sie ist also aus-
glühbar. Gewöhnliche Lanzetten oder Skalpelle zu verwenden,
ist bei zahlreicheren Entnahmen nicht ratsam, da beim Anblick
eines Messers sich manche Personen, insbesondere Kinder, der
Untersuchung entziehen, und da ferner mit diesen Instrumenten
manchmal unnötig grosse Schnitte gemacht werden.
Am besten wird zur Blutentnahme ein Ohrläppchen gewählt,
das vorher mit einem in Alkohol getränkten Wattebausch gründ¬
lich gereinigt wird. Eine Anzahl steriler Wattebäusche sind in
einem in einige Fächer geteilten Metallkästchen des Bestecks
untergebracht.
Der Alkohol (96 %) befindet sich in einem metallenen Be¬
hälter, der mit zwei Tuben versehen ist. Durch den einen der¬
selben ist ein Docht geführt. Eine Teilung des Alkoholbehälters
durch eine Scheidewand für die doppelte Zweckbestimmung des¬
selben halte ich weder für nötig, noch für praktisch.
Ist das Ohrläppchen mit Alkohol gereinigt, so macht man
mit der durch Ausglühen sterilisierten Blutentnahmefeder einen
oder mehrere Einstiche und fängt das austretende Blut in einem
kleinen (50: 8 mm innen) mit Gummistöpsel versehenen sterilen
Glasröhrchen und zwar bis ca. zur Hälfte desselben auf, was einer
Menge von ca. 1 ccm entspricht.
Das Besteck enthält 8 derartige Röhrchen. Die dieselben
verschliessenden Gummistöpsel werden durch Auskochen sterilisiert
Die Verwendung der vielfach benutzten Kapillaren möchte
ich nicht empfehlen, da sich diese leicht durch Blutgerinnsel ver¬
stopfen und dadurch oft viele Kapillaren nötig werden, um eine
Ein Beateck für die Blutentnahme typhusverdächtiger Personen. 611
emigermaasen genügende Blut- bezw. Serammenge zu erhalten.
] Ausserdem ist noch ein Verkleben der Enden der Kapillaren mit
t Wachs oder Siegellack erforderlich. Dies alles ist zu umständlich
' und stellt daher an die Geduld des die Blutentnahme bewirkenden
Arztes unnötige Anforderungen.
Zu der neuerdings auch von Ficker (vergl. Fickers
Typhusdiagnostikum) zur Erzielung einer grösseren Blutmenge
empfohlenen Entnahme mittels eines Schröpfkopfes geben eine
Beihe von Personen und speziell bei Kindern viele Eltern nicht
ihre Einwilligung. Die Methode ist daher, namentlich auch bei
Massenuntersuchungen, nicht gut durchführbar.
Ist die Entnahme mittels der Blutentnahmefeder beendet, so
wird die Schnittfläche mit etwas steriler Watte bedeckt und das
i sine Ende des Wattebausches in die Ohrmuschel gedrückt. Auf
diese Weise bleibt der Wattebausch, der mit etwas Blut noch
verklebt, genügend lange und fest haften.
Bei ca. 300 Blutentnahmen, die ich auf diese Weise vornahm,
habe ich niemals eine Wundinfektion sich anschliessen sehen. Die
Anspressung des Serums geht in den Böhrchen, die natürlich noch
signiert werden müssen, gut vor sich.
Die beschriebenen zur Blutentnahme erforderlichen Utensilien
sind in einem vernickelten, flachen (ca.
15 mm hohen) Metalletui mit Charnier-
deckelund Vorleger untergebracht, das
bequem in der Tasche getragen werden
kann. Die Grössenverhältnisse des Be-
. steckes sind aus der nebenstehenden
Figur ersichtlich. Das Etui enthält also,
um es nochmals zusammenzufassen, fol¬
gendes:
1 Blutentnahmefeder mit ausgltthbarer
Platin - Iridium - Lanzette,
1 Behälter mit Fächern für sterile Watte-
häosche,
1 Alkoholbehälter mit 2 Taben and 1 Docht,
8 Glasröhrchen mit Gummistöpseln. Mehr
wie 8 Böhrchen dürften nar in sel¬
tenen Fällen mitzuführen sein.
Der Preis des Besteckes, dessen
Anfertigung die Firma F. & M. Lautenschläger, Berlin N.,
übernommen hat, stellt sich auf ca. 26 Mark.
Die Stellung der Kreisärzte in Eisass-Lothringen.
Von Med.-Bat Dr. de Bary, Kreisarzt in Thann i. E.
II.
Um eine geschichtliche Darstellung der Institution der Kreis¬
tet« in Elsass-Lothringen zu geben, genügt natürlich nicht die
einfache Angabe von Zahlen. Damit wäre die Arbeit ebenso kurz
und schnell erledigt, als sie umgekehrt einen den Bahmen dessen,
512
Dr. de ßary.
was in einer Fachschrift an Banm gewährt werden kann, weit
übersteigenden Umfang annehmen müsste, falls man auch nur
einigermassen vollständig alles anfzählen wollte, was an Verord¬
nungen und Aufträgen im Laufe der Zeit für die Kreisärzte ent¬
standen ist. In dem ausgezeichneten Jahrbuch der Medizinal-
Verwaltung in Eisass - Lothringen ist dieses Studium, wenn man
alle die verschiedenen Bände durchsieht, erschöpfend nach jeder
Richtung hin zu bewirken. An dieser Stelle kommt es vor allem
darauf an, die wesentlichen Daten und Erlasse zu geben, und hieran
des weiteren sachliche Folgerungen zu reihen, die dazu dienen
sollen, den Lesern, Kollegen wie auch Behörden, das zn zeigen,
was die speziellen Verhältnisse charakterisiert. Es ist zu hoffen,
dass ein solcher Ueberblick zur Klärung der Situation hilft, die
zurzeit entschieden bis zu einem kritischen Augenblick angekommen
ist, wie wir dies bereits früher kurz hervorgehoben haben und
später noch weiter ausführen werden.
Ehe die Kreisärzte in Eisass-Lothringen geschaffen wurden,
gab es im Lande schon beamtete Aerzte, die Kantonalärzte.
Diese stammen aus französischer Zeit; sie sind Bezirksbeamte
und den Bezirkspräsidenten unterstellt. Die Kantonalärzte wurden,
nachdem sich ihre Einrichtung in einem Departement (dn Loiret)
gut bewährt hatte, im Jahre 1855 allgemein eingetührt, besonders
weil sich der damalige französische Kaiser speziell dafür inter¬
essierte, dass namentlich für den ärmeren Teil der Landbevölkerung
ein regelmässiger ärztlicher Dienst notwendig sei! Ihre wesent¬
liche Stellung ist also die von Armenärzten. Man hat ihre Zahl
während der Deutschen Regierung stellenweise vergrössert, so dass
augenblicklich in Unter-Eisass 64, in Ober-Eisass 53 und in
Lothringen 49 Kantonalärzte vorhanden sind, gegen 48, 47 und 45
im Jahre 1888. Für die Kantonalärzte gibt es eine Kantonalarzt-
Ordnung, die für Lothringen 1890, für Eisass 1891 erlassen wurde;
sie regelt ziemlich gleichlautend alles, was die Dienstfragen der
Kantonalärzte betrifft, mit Ausnahme der Gehälter, deren Höhe
und Art der Verteilung mir nicht genau bekannt ist. Die Dienst¬
obliegenheiten werden darin getrennt in: armenärztliche, impf¬
ärztliche, medizinalpolizeiliche, gerichtsärztliche (Jahrbuch der
Medizinal-Verwaltung in Elsass-Lothringen; 5. Bd.).
Nach der Annektion im Jahre 1871 erhielt Elsass-Lothringen
zunächst eine Verwaltungseinrichtung analog der einer preussi*
sehen Provinz: an der Spitze stand der Oberpräsident, an der
Spitze jedes der drei Bezirke (Unter- und Obereisass, Lothringen)
der Bezirkspräsident; die Bezirke wurden wieder in Kreise ein¬
geteilt, mit dem Kreisdirektor als obersten Beamten.
Was nun die Kreisärzte anbetrifft, so bildet die Einleitung
zu ihrer Anstellung ein Erlass des Oberpräsidenten vom März 1872,
in dem die Absicht kund gegeben wurde, im Interesse der öffent¬
lichen Gesundheitspflege jedem Kreisdirektor einen Kreisarzt als
Ratgeber für alle die betreffenden Fragen beizugeben — „wenn
dazu Mittel im Etat gewährt werden“. Als Remuneration war
eine solche von 1500 Mark im Jahre in Aussicht genommen.
Die Stellung der Kreisärzte in Elsaß •Lothringen.
518
Nach einer im Juni 1872 ergangenen Instruktion sollte dem Kreis¬
arzt folgendes obliegen:
1. Bearbeitung aller Medizinalangelegenheiten des Kreises.
2. Ständiges Mitglied (Schriftführer) im Kreisgesundheitsrat.
3. Ueberwachung der den Gewerbebetrieb der Medizinalpersonen be¬
treffenden Vorschriften.
4. Besichtigung der Öffentlichen Anstalten.
5. Erstattung periodischer Gesundheitsberichte.
6. Bearbeitung der Sterblichkeitsstatistik.
7. Abhilfe bei Epidemien.
8. Sanitätspolizei.
9. Prüfung und Begutachtung Ton Neubauten, Spitälern, Schulen, Schlacht-
iüuera, Wasserleitungen usw.
10. Beaufsichtigung der Apotheken.
11. Ueberwachung des Impfwesens.
12. Aufsicht der Hebammen.
An der Stelle, der ich dies entnehme (Archiv für öffentliche
Gesundheitspflege in Elsass-Lothringen; 2. Bd., S. 202), ist dann
noch bemerkt, dass der Kreisarzt jährlich eine Remuneration von
1200 Mark erhalte und 800 Mark für Reisen. Tatsächlich erhalten
aber jetzt die meisten Kreisärzte weniger; wie dies kommt ist mir
«bekannt. Für Reisen ausserhalb seines Kreises kann der Kreis¬
int nach den für Beamte geltenden Bestimmungen liquidieren;
derartige Reisen kommen aber sehr selten vor.
Im März 1875 wurde dann vom Reichskanzler eine Prüfung
als Vorbedingung für die Anstellung als Kreisarzt vorgeschrieben
®d die sonstigen Bedingungen hierfür bekannt gemacht. Diese
Prüfungsordnung entsprach im ganzen derjenigen fürPreussen;
ebenso wie hier zerfiel die Prüfung in eine solche in gerichtlicher
Medizin und Öffentlicher Gesundheitspflege. Der Erlass sah im
$10 noch vor, dass innerhalb der nächsten 2 Jahre nach Ermessen
des Oberpräsidenten auch Aerzte ohne Erfüllung dieser Bedingungen
«gestellt werden könnten.
Zeitlich folgte jetzt die im Juni 1879 im Gesetzblatt für
Bass-Lothringen Nr. 9 veröffentlichen Verordnung zur Aus¬
führung der Reichsjustizgesetze. Dieselbe lautet in § 17:
,Gerich tsärzte (Str.-P.-O. § 87) sind die Kreisärzte und die Kantonal¬
st*- Im Falle des Bedürfnisses können auch andere Aerzte durch den Präsi¬
dien des Oberlandesgerichts und den ersten Beamten der Staatsanwaltschaft
«i diesem Gerichte zu Gerichtsärzten für bestimmte Bezirke bestellt werden.“
Im Anschluss hieran wurde dann im Amtsblatt des Mi¬
nisteriums für Elsass-Lothringen die Bekanntmachung für
üis Verfahren der Aerzte bei gerichtlichen Leichen¬
öffnungen veröffentlicht, die im § 2 bestimmt:
«Sind zu der Leichenöffnung zwei Gerichtsärzte zugezogen, so werden
® e in dieser Anweisung dem Gcrichtsarzto zugewiesenen Obliegenheiten von
dem Kreisärzte und, wenn diese Eigenschaft keinem oder beiden Aerzten bei-
whnt, von dem den Lebensjahren nach älteren, die des zweiten Arztes von
dem Kantonalarzte bezw. jüngeren Arzte wahrgenommen.“
Von Bedeutung für die Stellung der Kreisärzte war das Jahr
1884; hier wurde nämlich im Landesausschuss, dem Parlament des
iteichslandes, von einem Abgeordneten, einem Kantonalarzte, der
Antrag gestellt, die Kreisärzte abzuschaffen, und ihren Dienst den
Kantonalärzten in der Weise zu übertragen, dass ein Kantonal-
614
Dr. de Bary.
arzt jeweils bei der Kreisdirektion als Referent mit einer jähr¬
lichen Remuneration von 500 Mark fungiere. Die Motive waren
im wesentlichen Sparsamkeit für den Landesetat, dann offenbar
Mangel an richtiger Erkenntnis der Notwendigkeit besserer sani¬
tärer Einrichtungen, schliesslich wohl anch rein politische An¬
sichten, die hier ausser Betracht gelassen werden können. In
ausgezeichneter Weise wurde von dem damaligen Unterstaats¬
sekretär der Justiz die Notwendigkeit der Kreisärzte als Gerichts-
ärzte wegen der Anforderungen der Reichsjustizgesetze verteidigt,
und ebenso glänzend vom Staatssekretär der hygienische Teil ihres
Dienstes, so dass die als überflüssig erklärte Einrichtung schliess¬
lich aufrecht erhalten wurde. Nicht unerwähnt sei hierbei, dass
der damals schon sehr tätige Verein der Aerzte des Landes, der
ärztlich-hygienische Verein, durch bewährteste Mitglieder sich für
die Beibehaltung der Kreisärzte aussprach und dass der derzeitige
höchste medizinische Fachbeamte als Kreisarzt sich bei der Ver¬
einssitzung dahin erklärte, dass ohne jede Anssicht auf gesetzliche
Fixierung der Institution er persönlich keinen Wert anf erneute
provisorische Genehmigung derselben legen könne (Archiv, 1884,
Bd. 9). Für die gerettete Institution erschien hierauf 1885 eine
Verordnung, welche die Prüfungs- und Anstellungsbedingungen
neu regelte. Sie war eingehender als die von 1875, hatte die
gleiche Anlehnung an die preussische, lässt jedoch ausser den
Prüflingen vor der Elsass-Lothringischen Kommission auch die in
anderen Bundesstaaten staatsärztlich geprüften Aerzte zu. Nach
genauer Angabe aller Bedingungen gibt sie in § 17 dem Mi¬
nisterium endlich die Befugnis, auch einheimische Aerzte ohne
diese Bedingungen auf Grund praktischer Tätigkeit für qualifiziert
als Kreisarzt zu erachten! Eine Uebergangszeit von zwei Jahren
wie bei der Verordnung von 1875 fehlt hier.
Betreffs der „Gerichtsärzte“ sei folgendes hervorge¬
hoben : Während die Reichsjustizgesetze diesen Begriff schafften und
wohl alle Bundesstaaten sich demgemäss so eingerichtet haben,
dass sie als solche lediglich Aerzte mit besonderem Nachweis der
erforderlichen Befähigung verwenden, sind in Eisass-Lothringen
die einzigen Aerzte, die in dem betreffenden Fache geprüft sind,
in der Minderzahl gegenüber solchen, die keine besondere Quali¬
fikation dafür besitzen, abgesehen vielleicht von Spezialstadien,
die sie privatim gemacht haben. Denn es gibt im ganzen nur
23 Kreisärzte neben 166 Kantonalärzten, die einfach zu Gerichts¬
ärzten ohne besondere Prüfung ernannt sind. Zum Kantonalarzt
braucht man nämlich keine weitere Eigenschaft als: Ortsansässig¬
keit, Approbation und erfolgreiche Bewerbung um eine vorhandene
oder neu zu schaffende Stelle. Ist nun — was doch wohl Niemand
bestreiten wird — die gerichtliche Medizin ein wissenschaftlich«
Spezialfach, so ist es doch berechtigt, zu fragen, warum die einen
eine Prüfung dazu ablegen müssen, die andern nicht. Jedermann
wird auch zugeben, dass praktische Erfahrung unserer Wissen¬
schaft Grundlage ist und dass es bei der Zersplitterung in der
Verteilung der Fälle, die bei jener Anordnung unvermeidlich ist,
Die Stallung der Kreisärzte in Elsaß • Lothringen.
616
nicht wohl za erwarten steht, dass dem einzelnen die erwünschte
dauernde Uebung im Fache überall erhalten bleibt. Die Erledi¬
gung der gerichtsärztlichen Geschälte muss auf diese Weise leiden
ond hinter der in anderen Staaten zurückstehen. Dazu kommt
noeh eins: Meiner Ansicht nach muss eine Tätigkeit wie die
gerichtsärztliche, insbesondere auch bei den Obduktionen, einer
gewissen wissenschaftlichen Oberbegutachtung unterstellt sein.
Die ständige Berührung mit Nichtärzten erfordert eine solche
Autorität, um nach Möglichkeit subjektive und persönliche Ansichten
über den Wert der Arbeiten und über die Beurteilung der Sache
selbst auszuschliessen. Auch muss der wirkliche Fortschritt in
Wissenschaft und Technik eine Stelle haben, die ihn leitet und
das Gute vom Ueberflüssigen trennend, ihn allgemein einführt und
fördert. Das kann aber der einzelne nicht machen; und zwar um
so weniger, je mehr das ganze Material unter viele verteilt ist.
Ich glaube deshalb auch nicht, dass bei uns allzuviele in dieser
Sichtung auf der Höhe weiter zu arbeiten in der Lage sind ausser
dem Lehrer des Faches an unserer Universität, der, zugleich als
Landgerichtsarzt fungierend, ein hervorragender Chirurg ist. Fort*
büdQngskurse würden aber bei der grossen Zahl von Gerichtsärzten
zu teuer sein. Ferner ist selbst für Aerzte, welche die staatsärztliche
Prüfling bestanden haben, ein System erschwerend, das ihnen nach
der Prüfung oft für sehr lange Zeit jede Gelegenheit znr prak¬
tischen Betätigung nimmt, weil eben nicht die staatsärztlich ge¬
prüften Aerzte zu den Verrichtungen herangezogen werden, son¬
dern neben den angestellten und geprüften Kreisärzten die vielen
ttdern nicht geprüften Kantonalärzte. Wie soll da in einem prak¬
tischen Fache ein geschulter Nachwuchs entstehen? Man muss
deshalb vollkommen dem „beamteten Arzte“ zustimmen, der in
Nr. 115 d. J. der „Strassburger Post“ sich dahin ausspricht, dass diese
jetzige Einrichtung der Gerichtsärzte geändert werden müsse.
Im Oktober 1896 erschien ein Erlass der Justizabteilung
des Ministeriums, der verfügte, „dass den Kreisärzten, die auf dem
Gebiete der gerichtlichen Medizin geprüft sind und zur Abgabe
▼on Gutachten berufen seien, Gelegenheit geboten werden solle,
«ch mit gerichtsärztlichen Fragen zu beschäftigen und besonders
such Obduktionen zu machen. Sie seien deshalb tunlichst als
zweiter Arzt (s. oben) zuzuziehen. Die Vorschrift, wonach bei
vorhandenen zwei Gerichtsärzten, wenn darunter ein Kreisarzt,
dieser an erster Stelle fungiere, finde keine Anwendung, wenn
der andere ein „besonderer“ Gerichtsarzt sei (s. oben), da wirke
der Kreisarzt als 2. Arzt mit“. Diese Verordnung erfolgte, nach¬
dem sich mehrere Kreisärzte beschwert hatten, weil sie nie zn
Sektionen gerufen wurden; die Gerichte kamen meist gleich mit
zwei Aerzten angereist. Es kann hiernach Vorkommen; dass der
in Fach geprüfte Kreisarzt als 2. Arzt neben einem nicht ge¬
prüften zu tun hat; denn es ist nirgends geschrieben, dass die
besonderen Gerichtsärzte aus den Reihen der Examinirten ge¬
nommen werden! Dass die anderwärts den Amtsärzten durch die
Art, wie sie bei Gericht zugezogen werden, erwachsenden Ge-
616
Dr. de Bary.
bfthren den hiesigen Kreisärzten fehlen, darauf will ich nicht
weiter eingehen, obwohl sie eine Besserung ihrer Einnahmen
bilden würden, ohne dem Lande Mehrkosten zu machen. Für die
Notwendigkeit einer anderweiten Regelung der gerichtsärztlichen
Tätigkeit dürfte die wissenschaftliche Seite der Sache genügen.
Um die Formen za lernen, in die medizinische Befände za bringen
sind, damit Nichtärzte sie verstehen oder andere Dienststellen
sich ein Bild der Sache machen können, ist eingehendes Stadium
der gerichtlichen Medizin and eine besondere Prüfung in dieser Hin¬
sicht nötig. Sobald man dies and überhaupt die Staatsmedizin als ein
Fach anerkennt, bei dem bestandene Prüfung zu gewissen Quali¬
fikationen führt, so ist selbst, wenn die Amtsärzte nur mit Hy¬
giene und nicht mit gerichtlichem befasst werden, nicht zu ver¬
stehen, warum die einen erst nach Spezialstudium und Prüfung,
die andern auch ohne solches diese Tätigkeit ausüben sollen.
Hinsichtlich des hygienischen Teils der Kreisarzt-
Stellung kann ich mich kurz fassen. Im „Volk“ ist diese Stellung
nicht unbeliebt; sie würde jedenfalls noch fester eingewurzelt
sein, wenn die von anderen Seiten verursachten Schwankungen
nicht vorgekommen wären und eine Organisation möglichst ziel¬
bewusst von Anfang an durchgeführt worden wäre. Aehnlich wie
es auch anderswo gewisse Kreise sind, die den Kreisarzt deshalb
nicht befestigt wünschen, weil er zum allgemeinen Wohl ihnen
den Hof säubern lassen würde, geht es auch hierzulande. Dass
nach den Vorgängen im jetzigen Zeitpunkt die bekannte Vorlage
scheiterte, ist bei der geschilderten Sachlage nicht mehr so be¬
fremdend. Wir können einstweilen hoffen, dass bei dem Aller¬
höchsten Wohlwollen, dessen sich die Eisass - Lothringer erfreuen,
die Allerhöchste Stelle sich auch hier einmal für die dem Volk
den grössten Nutzen bringende und bei ihm, wie gesagt, nicht
unbeliebte Kreisarzteinrichtung interessiert, und in ähnlicher Weise
vorgeht, wie im Jahre 1854/55 der französische Kaiser bei Schaf¬
fung det Kantonalärzte vorgegangen ist. Wir haben in Eisass-
Lothringen tatsächlich eine ganz besondere Lage. Seit 1872 ist
keine neue Instruktion für die Kreisärzte erlassen; eine „Kreis¬
arztordnung“, etwas analoges wie die Kantonalarztordnung, fehlt,
ebenso ein Medizinalkollegium. Ein solches würde nicht nur für den
gerichtsärztlichen Teil der kreisärztlichen Tätigkeit, sondern auch
für die hygienischen Aufgaben in wissenschaftlicher Hinsicht einen
gleichmässigen Gang sicherstellen und verhüten, dass jeder Kreta*
direktor eine verschiedene Handhabung auf diesem Gebiete für
gut befindet. Vergegenwärtigt man sich die Instruktion für die
Kreisärzte von 1872, so liegt ihnen in gesundheitspolizeilicher
Hinsicht so ziemlich alles ob, was nur denkbar ist. Umgekehrt
sind ihnen aber Nebeneinkünfte, die anderswo die Amtsärzte
haben, fast alle, ebenso wie auf gerichtsärztlichem Gebiete, ab¬
geschnitten. Der Kreisarzt hat also für ein nicht pensionsberech¬
tigtes Einkommen von 1800 Mark im Jahre, bei 4—^wöchent¬
licher Kündigung, den verantwortungsvollsten Dienst! Das Geld
hat doch den alten Wert nicht mehr; überall hat man Gehälter, Ge-
Die Stellung der Kreisärzte in Elsaß - Lothringen.
517
bohren usw. aufgebessert, weil es nötig und logisch war. Manche
Gebühren, deren Erhebung in Elsass-Lothringen zeitweise untersagt
war, sind jetzt allerdings in der neuen Aera wieder aufgefrischt;
ein solcher Wechsel wird aber vom Publikum nur unangehm em¬
pfanden und die Folgen davon haben die Kreisärzte zu tragen,
deren dadurch ihre amtliche Tätigkeit erschwert wird. Diese ist an
and für sich schon keine leichte, denn man darf nicht vergessen,
dass sie Aerzte und als Kreisärzte die Vertrauensärzte der Re¬
gierung sind, die die Vermittlung zwischen dieser und den prak¬
tischen Aerzten einerseits, dem Publikum anderseits besorgen sollen;
dazu gehört aber sehr viel Takt und besonders auch lokale Orts-
und Personalkenntnis. Deshalb ist auch mit Recht allenthalben
der Kreis, die kleinste Zone, als Arbeitsfeld zugrunde gelegt.
Geographische und andere Gründe mögen vielleicht in einzelnen
Fällen das Zusammenlegen mehrerer Kreise in ein Arbeitsfeld
statten, ja als geboten erscheinen lassen, ohne eine gesetzlich
filierte Institution dürfte dies jedoch recht schwierig sein.
Jedenfalls wird aber eine solche Zusammenlegung in manchem
Falle nur auf Kosten der Güte der Leistungen gehen; denn
je grösser das Feld, um so weniger Lokalkunde möglich!
Ebenso ist zu betonen, dass auch der staatsärztliche Dienst, wie
jedes andere Staatsfach, erfordert, dass ein mit seiner Praxis
einigermassen vertrauter Nachwuchs beschafft werde. Anderwärts
lind die Organisationen überall so zugeschnitten, dass auch da,
vo vollbesoldete Amtsärzte vorhanden sind, andere nach über¬
standener Prüfung nebenamtlich tätig sind, und so die einschlägigen
Verhältnisse kennen lernen. Rücken sie dann später in eine amtliche
Stellung endgültig ein, so sind sie völlig auf dem Laufenden. Bei
hm ist dies nicht so: Man macht das Examen, oft auf eine be¬
stimmte Stelle hin, und wenn der Inhaber nicht geht, so ist man
je nach dem 10—20 Jahr ohne amtsärztliche Arbeit, wird nirgends
herangezogen, es sei denn, dass man zufällig eine Kantonalarzt¬
stalle erhält. Mindestens sollten die staatsärztlich geprüften Aerzte
bei erledigten Kantonalarztstellen bevorzugt werden, so dass diese
gleichsam einen Durchzugsposten für sie bilden; eine Neuerung,
die ausserdem den Vorzug hat, dass sie nichts kostet. Auch das
Zulassen nicht reichsländischer und nicht geprüfter Aerzte zu
Kreisärzte teilen müsste formell aufgehoben werden; denn soviel
mir bekannt ist, sind einheimische Aerzte, welche die staatsärzt¬
liche Prüfung bestanden haben, genug da.
Tatsächlich werden die Kreisärzte in Elsass-Lothringen mit
ebendenselben Arbeiten beauftragt, wie anderswo die Amtsärzte,
und ebenso wie diese werden sie fort und fort mit neuen Dingen
betraut. Wenn sie nun trotz ihre unzulänglichen Stellung alles
bisher, so gut es ging, gemacht haben, so ist dies nur ein Beweis,
dass die Regierung bis jetzt immer Leute gefunden hat, die auch
mit selbstgebrachten Opfern noch ihre Pflicht tun, wie dies ja die
Aerzte auch auf dem Gebiet der modernen Krankenversicherung
vielfach tun müssen. Es hat aber alles seine Grenzen! Wenn
jetzt ein Kollege frisch als Arzt und Kreisarzt anfangen will, so
618 Dr. de Bary: Die Stellung der Kreisärzte in Elsaß-Lothringen.
bekommt er nur schwer eine Praxis; weil er fort and fort reisen
and schreiben mnss, „weil er nie da ist“, holt man ihn eben nicht,
ausserdem stellt die Konkurrenz dem Publikum Aerzte genug zur
Verfügung. Ohne ärztliche Praxis kann aber ein Kreisarzt nicht
existieren; denn von dem genannten Stelleneinkommen allein kann
Niemand leben. Bleiben die Verhältnisse unverändert, so wird man
bald einmal keinen Kreisarzt mehr finden; auch Versetzungen sind
bei den gegenwärtigen Verhältnissen fast unmöglich. Die Zu¬
stände werden also noch unzugänglicher werden, da die Mehrzahl
der Kreisärzte älter wird und nicht immer so leistungsfähig bleibt,
wie bis jetzt, wo infolge ihrer relativ jugendlich frischen Arbeits¬
kraft, alles noch seinen möglichst ungestörten Gang gegangen ist
Eine anderweitige Regelung der Stellung der Kreisärzte liegt
aber nicht nur im Interesse von Elsass-Lothringen selbst, sondern
kann auch ein Aber die reichsländischen Grenzen hinausgehendes In¬
teresse beanspruchen. Um das als Grenzland mit ganz besonders
grossen Truppenmengen belegte Reichsland aus durchsichtigen
Gründen so viel als möglich vom Typhus zu befreien, geschieht,
was nur denkbar. Zu der Typhusbekämpfung gibt das Reich
grosse Summen; hätte man sicher gestellte Kreisärzte als Lokal-
beamte gehabt oder neu geschaffen, so würde der erwünschte
Erfolg in der Typhusbekämpfung sicherer und weit schneller erzielt
worden sein. Man hat bakteriologische Anstalten und Institute
eingerichtet, Bakteriologen entsandt und auch kein Bedenken ge¬
tragen, dem Kreisärzte eine Masse von Arbeit l ) aufzuerlegen; eine
dementsprechende Entschädigung hat er aber nicht erhalten.
Er kann zwar Tagegelder berechnen, soweit „Mittel zur Ver¬
fügung sind“; für alle sonstigen Dienstleistungen, bei denen Zeit,
Praxis, Ruhe, Gesundheit, ja das Leben aufs Spiel gesetzt werden,
steht ihm jedoch, obwohl es einigermassen billig wäre, keine Ent¬
schädigung zu. Es ist vorgekommen, dass ein Kreisarzt für solche
Arbeit bei einer Epidemie, die nahezu ein Jahr dauerte, von den
„verfügbaren“ Mitteln soviel bekam, dass nach Abzug seiner
Auslagen ihm als Honorar für sich bei so und so viel Reisen in
*) Jeder Fall von Typhus, den ein Arzt behandelt, wird dem Kreisarzt
gemeldet; dann muß dieser Abschrift absenden an: die Militärbehörde, die
bakteriologische Anstalt, den Reichskommissar für Typhusbekämpfuqg, bezw.
den neuen Landesgesundheitsinspektor, dann wöchentlich an den Bezirkspri-
sidenten, demselben monatlich noch einmal, dann monatlich der Straßb. Med.-
Zeitung, wenn auch nicht obligatorisch. In jedem Fall muß der Kreisarzt hin-
reisen, um die Ursachen festzustellen; er muß die Desinfektoren überwachen
und, wenn Vertreter der Bakteriologie kommen, diesen die Qegend zeigen;
erscheinen Militärs, weil Uebungen beabsichtigt sind, so liegt ihm die gleiche
Pflicht ob; dabei muß er außerdem berichten, ob und wo man sorgenlos üben kann.
Dann soll vierteljährlich die Zahl der Typhus-Todesfälle gemeldet werden, und
neuerdings ist ein Fragebogen eingeführt, der sage und schreibe 17 Seiten in
Aktenformat hat. Wenn etwa 8 Fälle nach diesem Bogen zu bearbeiten sind,
so hat man damit allein genug pro Tag oder es leidet eben die Güte der
Leistung. Wird von irgend einer Seite, insbesondere von militärischer Seite,
eine Wasserversorgung als Ursache von Infektionen vermutet, so werden
dadurch noch weitere eingehende Arbeiten und Untersuchungen sowie Reisen
verursacht; kurz man hat die schwerste Lage, die nur möglich.
Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften.
519
etwa 7 Kilometer hin nnd 7 her eine Mark and etliche Pfennige pro
Fahrt blieben. Unter diesen Umständen ist es nicht zu verwundern,
trenn die Dienstfrendigkeit vergeht nnd wenn man unwillkürlich
an die unzulängliche Bezahlung der Krankenkassenärzte erinnert
wird. Das Reich hätte sicherlich auch Mittel für die Kreis¬
ärzte gehabt, wenn man sie für nötig zur Bekämpfung erklärt
hätte. Mit Lokalkenntnissen ausgestattet und einem Bakteriologen
zur Seite, um namentlich in zweifelhaften Fällen die wissenschaft¬
lichen Feststellungen auszuführen, würden die Kreisärzte sicherlich
jeden Typhusherd erfolgreich verdrängen; ohne Kreisärzte oder
venn diese nicht so schaffen können, wie sie wohl möchten, bringt
man nichts fertig.
Sollen wir Eireisärzte nicht nur unsere Bevölkerung, sondern
weh die Truppen mit schützen helfen, so werden wir vielleicht
auch hoffen dürfen, dass künftighin unsere Arbeit entsprechend
anerkannt wird; denn wir sind nicht wie die benachbarten
preassischen Kollegen, in deren Kreisen der Typhus in gleicher
Weise bekämpft wird, beamtenmässig gestellt und werden des¬
halb auch schwer das erreichen, was zu erlangen wäre, wenn
vir nicht auf Praxis und um derentwillen auf das Publikum er¬
heblich angewiesen wären. Und wie auf dem Gebiete der Typhus-
beklmpfung, so ist auch auf andern Gebieten der öffentlichen Ge¬
sundheitspflege unsere Stellung eine unhaltbare. Vielleicht davon
später einmal!
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
A. Gerichtliche Medizin und Psychiatrie.
Das ätherische SenfSl als Mittel rar Konservierung anatomischer
Präparate. Von L. Dor-Lyon. Aas dem L&boratoriam des Prof. Poncet.
Comptes rendas de la soc. de biol. LVIII, 1905, Nr. 11.
Im Anschluß an den Ziemkeschen Vortrag aof der Hauptversamm-
huig des Preußischen Medizinalbeamtenvereins: „Die Konservierung anato¬
mischer Präparate und ihre Bedeutung für die gerichtliche Medizin“ möge
da Beferat der Dorschen Mitteilung an dieser Stelle gestattet sein.
D. empfiehlt folgende Lösung: 01. sinapis 40 Tropfen, 1 Liter 7 °/oo Na CI-
Läswig; eine Viertelstunde bis zur Klarheit der Mischung tüchtig zu schütteln.
Die Vorteile sind: Zunächst der billige Preis; denn 10,0 01. sinapis
kosten 80 Pfg.; auf 1 g kommen 84 Tropfen. Die Lösung konserviert
aicht nur, sondern desodoriert auch in vorzüglicher Weise. In 200 g hatte
der Autor z. B. zwei Kadaver totgeborener Kaninchen gelegt; nach 2 Monaten
uh die Haut noch so frisch aus, waren die tiefergelegenen Organe noch so
gut wie in der Norm gefärbt, daß es aussah, als ob die Präparate eben frisch
i» die Lösung gegeben worden wären. Allerdings löst sich Hämoglobin in
der Flüssigkeit auf, so daß stark vaskularisierte Teile sich entfärben. Aus
dem Bot wird aber nie ein Braun oder Gelb, wie etwa bei Alkohol und bei
tünchen Formolmischungen.
Zorn Schatze der Hände bei Obduktionen, die zur heißen Jahreszeit vor-
genommen werden müssen, empfiehlt der Autor seine Senföllösung ebenfalls.
(Referent möchte daran erinnern, daß ein anderes ätherisches Oel — das
Terpentinöl — bereits lange in ähnlichem Sinne angewandt worden ist. Nach
Hnsemann empfiehlt Foulis Waschungen mit Terpentinöl vor Sektionen
ili Prophylaktikum des Leichengiftes.) Dr. Mayer- Simmern.
Heber die Quecksilber-Vergiftungen mit besonderer Berücksichtigung
der Sublimat • Vergiftungen vom gerichtsärztlichen Standpunkte. Von
520
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
Dr. W. Wolff, prakt. Arzt in Minden. Deutsche Medizinalzeitung; 1905,
Nr. 36 bis 39.
Verfasser stellt die bisher bekannten Selbstmorde durch Sublimat zu¬
sammen, woraus sich ergibt, daß diese doch nicht allzu selten sind. Er be¬
spricht sie ausführlich, erörtert weiter die Gelegenheitsursache der Vergiftungen,
auf die der Gerichtsarzt ein wachsames Auge haben muß, erläutert sodann die
Wirkung des Quecksilbers, die verschiedenen Wege, auf denen das Gift in den
Körper gelangt, und schildert hierauf recht anschaulich das Krankheitsbild wie
den Obduktionsbefund bei an Quecksilber-Vergiftung Verstorbenen, um im
letzten Abschnitt dem physikalisch-chemischen Nachweis des Quecksilbers seine
Aufmerksamkeit zu schenken. Dr. Hoffmann-Berlin.
Ein Fall von Erblindung nach Atoxylinjektionen bei Lichen ruber
planus. Von Dr. Bornemann, Sekundärarzt im städtischen Krankenhanse
(Hautstation) in Frankfurt a. M. Münchener med. Wochenschrift; 1905, Nr. 22.
Verfasser berichtet eingehend über einen Fall von einer durch Atoxyl-
vergiftung hervorgerufenen Veränderung der Sehnerven mit dem ophthal¬
moskopischen Bilde der Atrophie, welche sich bei einer an Lichen ruber planos
leidenden 58 jährigen Frau im Anschlüsse an mehrere Wochen hindurch fort¬
gesetzte Injektionen mit einer 20 proz. Atoxyllösung (Metaarsensaureanilid)
entwickelte. Eine sichere Entscheidung, welchem der beiden Komponenten des
Atoxyls, ob dem Arsen oder dem Anilid oder event. beiden zusammen die Ver¬
giftungserscheinungen zuzuschreiben sind, kann man nicht fällen. Wahrschein¬
lich handelte es sich nach des Verfassers Meinung um eine Summation der
Wirkung beider schädlichen Substanzen. Zum Schlüsse mahnt Verfasser noch
vor einer kritiklosen Anwendung des Atoxyls. Dr. Waibel- Kempten.
Zur Frage der Folgeerscheinungen, namentlich aber der Krumpf-
zustände nach Theophyllingebranch. Von Prof. Dr. Herrn. Schlesinger-
Wien. Münchener med. Wochenschrift; 1905, Nr. 23.
Verfasser verbreitet sich zuerst über die therapeutischen Wirkungen des
Theophyllins als eines vorzüglichen Diureticums und bespricht dann die toxi¬
schen Eigenschaften dieses Mittels. Magenbeschwerden und Durchfälle
sind nach Thcophyllingebrauch häufig. Von besonderer Wichtigkeit jedoch ist
die Tatsache, daß sowohl Theophyllin, als seine Verbindungen beim Mensches
bisweilen universelle Krampfzustände vom Charakter der epileptischen mit
Bewußtseinsverlust und nachfolgender Amnesie hervorrufen können. Die Neigung
zum Auftreten der Konvulsionen schwindet aber, wenn das Leben erhalten
bleibt, mehrere Tage nach dem Aussetzen des Mittels.
Schließlich empfiehlt Verfasser noch einzelne Versuchsmaßregeln, wonach
man bei Theophyllinum purum (sive Theozin) in der Regel nicht Über 0,8 g,
bei Verschreibung von Theophyllin, natrium und Theophyllin, natrio - aceticum
nicht über 0,5 g pro die hinausgehen und das Mittel nicht mehrere Tage ohne
Unterbrechung anwenden soll. Dr. Waibel-Kempten.
Arzneiexanthem nach Aspirin. Von Dr. Freund in Danzig. Münch,
mediz. Wochenschr.; 1905, Nr. 15.
Verfasser berichtet über 8 Fälle seiner Praxis, bei denen nach Aspirin¬
gebrauch ein stark juckendes und stechendes Bläschenexanthem mit Bötung
der Haut auftrat. In allen Fällen heilten die Bläschen in 8—14 Tagen unter
Puder ab. _ Dr. Waibei-Kempten.
Obduktionsbefunde bei Erhängten. Von Dr. Lochte. Vierteljahre¬
schrift für gerichtliche Medizin; Bd. XXIX, 2. H.
Verfasser hat 80 Fälle von Erhängten, welche im Hamburger Hafen-
k rankenhaus zur Obduktion kamen, in bezug auf den anatomischen Befand
näher untersucht. Er fand, daß die Einteilung der Strangfnrchen in typische
und atypische für die Erklärung des Obduktionsbefundes ohne Bedeutung ist,
daß der Grad der Kompression des Halses aber wesentlich ist. Von ihm ist
die Stärke der Lungenhyperämie abhängig. Zyanose und mehr oder minder
ausgesprochenes Lungenödem sind nur bei unvollständiger Kompression des
Kleinere Mitteilangen und Referate aas Zeitschriften.
521
Halses za erwarten, bei vollständiger Kompression findet man zarückgesnukene
Langen und wahrscheinlich eher blutarme als blutreiche Langen. Ein unvoll¬
ständiger Abschluß der Luftwege gehört nicht zu den Seltenheiten, er ist mit
Wahrscheinlichkeit in allen Fällen von Lungenödem and sicher in den Fällen
anzanehmen, in denen Mageninhalt aspiriert wurde. Im Qehirn, in den Langen
and auf der Schleimhaut des Magendarmkanals kann es zu größeren Blutungen
kommen, welche ihren Grund in Blutstauung und Erkrankung der Gefä߬
wände haben. • Prof. Dr. Ziemke-Halle.
Mord oder Selbstmord! Von Prof. S. Ottolenghi und Dr. R. Ser-
ratrice. Vierteljahrsschrift für gerichtliche Medizin; XXX. Bd., 1. H.
Eines Morgens fand man einen Mann, nachdem er kurz vorher
ein Mädchen, das seine Liebe verschmähte, zu überfallen versucht hatte, im
Badezimmer der Herrschaft mit zwei Schußwunden, darunter einer sehr schweren,
u der Tür erhängt. Blutspuren an der Badewanne und ihren Hähnen legten
den Qedanken nahe, daß sich ein Verletzter in dem Raum bewegt und das
Blot abgewaschen habe; sie erregten deshalb ebenso wie die weit entfernt vom
Getöteten an die Wand gelehnte Schußwaffe den Verdacht, daß eine fremde Person
u der Tat beteiligt war. Alle anderen Befunde, sowie die äußeren Umstände
ließen sich aber mit der Annahme, daß ein kombinierter Selbstmord vorliege,
h Einklang bringen. Einen solchen nahmen die Verfasser auch als wahr-
icheinlieh an. Prof. Dr. Ziemke-Halle.
Angeborene Hyperplasie der einen Longe bei gleichzeitiger Bildung
der anderen. Von Dr. Erwin v. Gr aff, früheren Assistenten des pathoL-
tutom. Institutes zu Prag. Münch, mediz. Wochenschr.; 1905, Nr. 13.
Verfasser berichtet über einen Fall von Hyperplasie der linken Lunge
W gleichzeitiger rudimentärer Bildung der rechten Lunge, beschreibt dann
eingehend die anatomischen und topographischen Verhältnisse der betr. Brust¬
wageweide und faßt dann seinen Befand in folgende Sätze zusammen:
1. Abnorm große linke Lunge mit Verlagerung ihrer beiden Lappen, die
da vorderer und hinterer unterschieden werden müssen und nicht nur den
haken Thoraxraum vollständig ausfüllen, sondern auch noch über die Mittel-
hsie nach rechts reichen.
2. Verlagerung des Herzbeutels mit dem Herzen und der Thymus in
fr rechte Thoraxhöhle.
4. Symmetrisch gebildeter Thorax mit Verkleinerung seiner Höhle in
Kikrechter Richtung durch beiderseitigen Zwerchfellhochstand.
4. Rudimentäre Größenausbildung der rechten Lunge, die von einer sehr
kleinen Arterie versorgt wird, einen engen Bronchus besitzt und am Orte ihrer
äal&ge verblieben ist, ohne mit der Pleura in Beziehung zu treten, d. h. zur
Büdnng eines Pleuraüberzuges resp. Pleurasackes zu führen.
5. Rudimentärer rechter Pleuraraum, der leer ist.
ln ätiologischer Beziehung handelt es ich darum, ob das Mißverhältnis
der beiden Lungen durch Entwicklungsstörungen bedingt ist, die außerhalb
der Langen in der Anordnung des Herzens und der großen Gefäße gelegen
frd, von der ja die ganze Entwicklung des Perikards und der Pleurasäcke
abbängt, oder ob die Ursache in den Langen selbst zu suchen ist. In diesem
Falle wäre dann zu untersuchen, ob die Größenunterschiede unabhängig von
fraader sind oder ob eine Wechselbeziehung zwischen beiden Lungen besteht, in
welchem Fall dann die Frage zu beantworten wäre: Ist das Zurückbleiben
der rechten Lunge oder die abnorme Größe der linken Lunge das Primäre ?
Es steht außer allem Zweifel, daß die abnorme Größe der linken Lunge
der Grand für die Verlagerung des Herzens und der Thymus in die rechte
Thoraxhöhle ist. Und wenn dem so ist, dann ist die abnorme Größe der linken
uinge indirekt auch der Grund für die Behinderung des Heraustretens der
roehten Lange aas ihrer frühfötalen Lage und das dadurch veranlaßte rudi-
awntäre Wachstum derselben.
Verfasser untersucht dann noch weiter, ob die abnorme Größe der linken
Longe nicht als vikarierende Hypertrophie aufzufassen ist, und kommt zu dem
Schüsse, daß dies nicht der Fall und somit nur die eine Möglichkeit anzu-
522
Kleinere Mitteilangen nnd Referate ans Zeitschriften.
nehmen ist, daß die Hyperplasie der einen Lange ange¬
boren ist. _ Dr. Waibel-Kempten.
Die prophylaktische Anwendung ron Sekalepräparaten während der
Gebart. Von Dr. Pr asm an n, Assistenzarzt der Universität«- Frauenklinik
in Berlin. Ans der Königlichen Frauenklinik in Berlin. Münchener medizin.
Wochenschrift; 1905, 2.
Der Verfasser plaidiert für die, auch von anderer Seite neuerdings
empfohlene prophylaktische Anwendung der Sekalepräparate, am besten in
Form der perkatanen Anwendung (in der Gegend der Glutaei) einer 15proz.
Ergotinlösung kurz vor Aastritt des Kindes and zwar 1. bei allen ope¬
rativen Geburten, 2. bei Mehrlingsgebarten (Zwillinge, Drillinge) and über¬
mäßige Ausdehnung des Uterns (Hydramnion), 3. bei Uterus myomatosus, 4. bei
Uterus arcuatns, 5. schon bestandener Wehenschwäche der ersten und zweiten
Geburtszeit, 6. da, wo bei früheren Geburten schon atonische Nachblutung be¬
stand, 7. bei Kaiserschnitten. Die von manchen gefürchtete spastische Kontraktion
des Kontraktionsringes hat Verfasser nie gesehen. Die Resultate sprechen ent¬
schieden dafür, einen Versuch in dieser Richtung zu machen. (Referent hat schon
seit Jahren diese, auch von seinem Lehrer Löhlein gegebene Anwendung des
Ergotin mit gleichem Erfolg in vielen Fällen durchgeführt 1) Bei 3295 poli¬
klinischen Geburten wurden nur 59 mal atonische Nachblutungen beobachtet,
eine erstaunlich geringe Zahl; dabei während dieses Jahres (1. Okt. 1903 bis
1. Okt. 1904) 293 Zangenoperationen mit nur einem Fall atonischer Nachblutung!
102 mal Zwillinge mit einem Fall von Blutung. Die Resultate sind außer¬
ordentlich günstig. Prof. Dr. Walther-Gießen.
Drei ln einem kurzen Zeitraum hintereinander in foro verhandelt«
Fälle von Puerperalfieber. Von Dr. Kob. Vierteljahrsschrift für gerichtliche
Medizin; Bd. XXX, 1. H.
Es ist eine alte Erfahrung, daß der exakte Nachweis eines Puerperal¬
fiebers als Folge einer Fahrlässigkeit des Pflegepersonals nur höchst selten zu
führen ist. Die vom Verfasser mitgeteilten Fälle liefern hierfür neue kasuisti¬
sche Belege. An geklagt waren in allen drei Fällen Hebammen, welche, teil¬
weise in Verbindung mit Aerzten, die Geburt geleitet hatten. Nachgewieses
wurden bei der Obduktion die anatomischen Veränderungen der puerperalen
Sepsis, ohne daß irgend welche spezifischen Befunde, z. B. Verletzungen, auf
die Qnelle der Infektion hinwiesen. In dem einen Fall wurde der Vorwurf
der Fahrlässigkeit damit begründet, daß die Hebamme die Nachgeburt an der
Nabelschnur herausgezogen habe. Mit Recht wurde diese Manipulation als
unwesentlich für das Zustandekommen der Infektion bezeichnet, zumal dieses
Ziehen erst erfolgt war, als die Nachgeburt schon völlig gelöst in der
Scheide lag.
Mit Bestimmtheit wird ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einer
Handlung oder Unterlassung und der eingetretenen Infektion nur dann be¬
wiesen werden können, wenn die Quelle der Infektion klargestellt ist, und eine
Fahrlässigkeit tatsächlich festgestellt wird. Prot Dr. Ziemke-Halle.
Ueber kriminellen Abort. Von Prof. Dr. Puppe- Königsberg. Monats¬
schrift für Geburtshilfe und Gynäkologie; Bd. XVI, M&rz 1905, H. 3.
In der Sitzung vom 23. Januar 1905 der Ost- und Westpreußischen Oe*
Seilschaft für Gynäkologie zu Königsberg berichtete Prof. Puppe über seine
Erfahrungen bei kriminellem Abort. P. teilt die Abtreiber in professionelle und
gelegentliche ein und bespricht des weiteren die Mittel, die zur Abtreibung
benutzt werden. Sehr verdächtig sind schon die bekannten Inserate in den
Zeitungen der Großstädte („Rat und Hilfe bei Frauenleiden“). Bei 16 Fällen
wurden äußere, bei 7 innere Abtreibungsmittel angewandt. Unter den 16 Fällen
wurde 2 mal durch Eihautstich, 14 mal durch Injektion von Flüssigkeit in die
Geschlechtsteile die Abtreibung bewerkstelligt. Zum Eihautstich wurden die
verschiedenartigsten Instrumente benutzt, z. B. gespitzte Holzstücke, Harn*
röhrenbougies (Referent kennt einen forensischen Fall, in welchem die gericht¬
lich schwer bestrafte Hebamme einen neusilberuen Katheter benutzte). Die Ein¬
spritzungen werden häufig als heiße Einspritzungen im Bade gemacht, z. B. in
{Heinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
523
einem Falle durch eine Masseuse, angeblich wegen „Stuhlverstopfung“, und
bewirken mit „Dickdarmmassage“ den Abort Vielfach im Gebrauch sind;
Bähungen der Geschlechtsteile, beiße Dämpfe, Kamillendämpfe, heiße Fußbäder,
also thermische Reize, kombiniert mit heißen Teeaufgüssen innerlich. Andere
benutzten scharfe Seifenlösungen (grüne Seife oder Waschseife) zu Einspritzungen.
Von Instrumenten sind die zinnernen Spritzen, ähnlich den früheren Klystier¬
spritzen der Hebammen, noch vielfach angewandt; sie werden meist in sitzender
Stellung der betreffenden Person in die Scheide oder den Uterus eingeführt.
Oft kommen dabei Verletzungen, wie auch Infektionen vor. — Der ursächliche
Zusammenhang zwischen der angewandten Manipulation und der Fehlgeburt
ist oft schwierig mit Sicherheit zu erbringen. P. sah in 2 Fällen tötlichen
insgang (in einem Fall Luftembolie bei der Einspritzung, im anderen Infektion).
Von internen Mitteln zählt P. eine ganze Reihe auf, u. a. Aloe, Bleiessig
(innerlich als Bleiwasser), Zimtropfen, Kamillentee, Saffranpulver, Lebensbaum¬
tee, Pennyroyalpillen (in Amerika im Gebrauch), meist verbunden mit Bähungen,
heißen Senf-Fußbädern.
In der an den äußerst interessanten Vortrag sich anschließenden Dis-
kushra wurde die Frage der Abtreibung in diagnostischer, dann auch in kasuisti¬
scher Hinsicht noch wesentlich ergänzt. Prof. Winter wies auf die Schwierig¬
keit hin, eine objektive sichere Diagnose des kriminellen Aborts zu stellen.
Bezüglich der Infektion ist diejenige des Ei-Innern und solche im Uterus zu
unterscheiden; die erstere, meist als Intoxikation ist weniger gefährlich, als
die Infektion des mütterlichen Gewebes, z. B. bei gleichzeitiger Verletzung,
die meist zur Sepsis führt. Am wichtigsten für die Diagnose ist die Verletzung;
meist sitzen solche an der hinteren Wandung oder im Scheidengewölbe. (Re¬
ferent sah eine solche im hinteren Scheidengewölbe mit Verletzung des Darmes
durch einen spitzen Haken.) In manchen Fällen ist der Uterus auffallend
tolerant gegen Abtreibungsversuche wie auch gegen (fälschlich ausgeführte)
Operationen, z. B. Ausschabung bei bestehender Schwangerschaft, eine Beob¬
achtung, die z. B. von Rosinski, Schroeder, Köstlin u.a.bestätigt wurde.
Hammerschlag erwähnt, daß eine Hebamme, die als Abtreiberin be¬
ttraft wurde, in der Regel bis zum vierten Schwangerschaftsmonat wartete und
dann erheblich sichere den Eihautstich auszuführen im Stande war. Be necke
via darauf hin, daß selbst auf den Sektionstisch der absolut sichere kausale
Zusammenhang zwischen Manipulation und Abort schwer zu beweisen ist. Er
erwähnte einen Fall, in dem durch ein eisernes Instrument der Fundus von einer
Ahtreiberin perforiert wurde, und die Sterbende noch gestanden hatte, daß sie
bei einer Abtreiberin gewesen sei (man vergl. dazu die instruktiven Tafeln in
Hoffmanns Atlas der gerichtl. Medizin, Lehmanns Atlanten, Bd. XVÜ>.
Auch Köstlin-Danzig kennt Hebammen, welche zum Zwecke der Abtreibung
Milchglasspecula und Sonden benutzt haben. Bezüglich der Anzeige seitens des
zagerufenen Arztes wurde von Puppe wie von Winter zugegeben, daß, falls
km tötlicher Ausgang erfolgt, der Betreffenden der Schutz des § 300 zu Hilfe
steht, daß aber, falls tötlicher Ausgang z. B, durch septische Peritonitis erfolgt,
eiae Anzeige sehr wohl berechtigt ist. Prof. H. Walther-Gießen.
Zur Kasuistik der Verletzungen der weiblichen äusseren Genitalien
iireh Sturz oder Stoss. Von Dr. Leers. Vierteljahrsschrift für gerichtliche
Medizin; XXX. Bd., 1. Heft.
Verletzungen an den weiblichen äußeren Geschlechtsteilen legen die
Vermutung eines gewaltsamen Eingriffes von fremder Seite nahe. Es ist daher
gerichtsärztlich zu wissen wichtig, daß solche Verletzungen, wenn auch selten,
auch Zufälligkeiten entstehen können. Der mitgeteilte Fall betrifft ein
16jähriges Mädchen, welches auf die Kante eines Holzschemels fiel. Die Folge
varen gänseeigroße Hämatome der großen und kleinen Schamlippen, kleine
zahlreiche unregelmäßige oberflächliche Epitheldefekte und tiefergehende Risse.
Der sichelförmige Hymen war unverletzt. Schon nach fünf Tagen waren die
Beschwerden beim Heben so gering, daß die Arbeit wieder aufgenommen wurde.
Der Heilverlauf ging ohne Störung vonstatten.
Prof. Dr. Ziemke-HaUe.
524
Kleinere Mitteilungen nnd Referate aus Zeitschriften.
Zorn § 176 des Straf-Gesetzbuchs. Von Geh. Med.-Rat Dr. Hermann
Kornfeld, Gerichtsarzt in Gleiwitz. Archiv für PBych.; 39. Bd., 3. H.
Verfasser teilt ein Gntachten mit, in dem die Frage znr Erörterung
stand, ob ein Barsche bei einer von ihm gemißbrauchten Frauensperson die Geistes¬
krankheit erkennen konnte. Er weist darauf hin, daß in dem genannten Para¬
graphen neben der Geisteskrankheit ein Zustand der Willenlosigkeit und der
Bewußtlosigkeit als gleichwertig angenommen werden und daß demnach die
Geisteskrankheit eine derartige sein muß, daß sie auch dem wenig erfahrenen
Laien ersichtlich wird. Im vorliegenden Falle war die Frauensperson zweifellos
schwachsinnig; ihr Defekt äußerte sich in unselbständiger Lebensführung,
starker Einengung ihrer Interessen und ihres Verständnisses für die gewöhn¬
lichen Lebensverhältnisse; sie fiel wohl als sehr dumm und beschränkt, nicht aber
als geisteskrank im Sinne der Laien auf. K. kommt daher zu dem zutreffenden
Schlüsse, daß der Angeschuldigte ihren Zustand nicht erkennen konnte.
Dr. Pollitz-Münster.
Die Sittllchkeltsverbrecher. Von F. Leppmann. Vierteljahrsschrift
für gerichtliche Medizin; XXX. Bd., 1. H., und Bd. XXIX, 2. H.
An der Hand von 90 Fällen, welche in der Strafanstalt Moabit interniert
waren, behandelt Verfasser in einer hoch interessanten Studie die Sittlichkeits¬
verbrecher vom kryminalpsychologischen Standpunkt aus. Die seelische Artung,
die vielfach dauernd krankhafte Züge aufweist, spielt eine ganz besonders
wichtige Rolle bei den Sittlichkeitsverbrechen. Geistesschwäche, wenn auch
in der Minderzahl der Fälle so erheblich, daß der Schutz des § öl zugebilligt
werden kann, als Zwischenglied Onanie oder Trunksucht, ferner geistige Minder¬
wertigkeit, Epilepsie, Hysterie, Neurasthenie und Trauma waren häufig nach¬
zuweisen. Anderseits ergaben sich keine Anhaltspunkte für die Annahme, daß
es einen angeborenen besonderen Drang zum Sittlichkeitsverbrechen gibt, ln
der Regel sind Zufälligkeiten und soziale Verhältnisse, wie Arbeitslosigkeit,
Mangel an Aufsicht der Kinder, Schlaf burschen wesen, Wohnungselend, mit-
bestimmend, oft ausschlaggebend für die Entstehung. Unsere gegenwärtige
Strafrechtspflege nimmt nicht genug Rücksicht auf die seelische Eigenart der
Sittlichkeitsverbrecher. Bei ihrer eminenten Gemeingefährlichkeit ist ein ab¬
soluter Schutz der Gesellschaft gegen die Unverbesserlichen erforderlich, der
auch durch noch so lange, aber reichlich begrenzte Strafen nicht erreicht
werden kann. _ Prof. Dr. Ziemke-Halle.
Ueber die zur strafrechtlichen Behandlung zurechnungsfähiger
Minderwertiger gemachten Vorschläge. 10. Landesversammlung der internst-
kriminalist. Vereinigung, 27. Deutscher Juristentag. Von Geh. Med.-Rat Prot
Dr. M o e 1 i - Berlin. Archiv für Psych., 39. Bd., 3. H.
Nachdem sich in letzter Zeit die juristischen Kreise in erfreulicher Weise
mit dem Problem der Unterbringung geistig minderwertiger Verbrecher be¬
schäftigt und die Notwendigkeit seiner Lösung, entsprechend einer alten Forderung
der Aerzte, anerkannt haben, muß auch die Frage der praktischen Durchführung
weiter geklärt werden. Der Jurist Kahl will die strafsvollzugsfähigen Minder¬
wertigen im Strafvollzüge belassen, dann weiter beaufsichtigen, die Strafvollzugs¬
unfähigen in Sicherungsanstalten auch über den Strafvollzug hinaus internieren.
Er wünscht „eine organische Verbindung zwischen Strafvollzug und sichernder
Verwaltungstätigkeit“. Kr ohne und Finkelnburg glauben auch ohne be¬
sondere Vorkehrungen eine entsprechende individualisierende Behandlung im
Strafvollzüge leisten zu können, während Leppmann besondere Annexe an die
Strafanstalten mit selbständiger ärztlicher Leitung vorschlägt. Letzteres hält auch
Moeli für am geeignetsten. Er zeigt an einer Reihe Beispiele, wie schwierig
gerade in diesen Fällen eine richtige Beurteilung und Begutachtung werden
kann. Die Unterbringung solcher als zurechnungsfähig erkannter Minder¬
wertiger in Irrenanstalten nach dem Strafvollzüge hält er für unzweckmäßig
und lehnt die dahin zielenden Vorschläge von Seufert und der krim. Ver¬
einigung entschieden ab, da sie der Aufgabe und der ganzen Organisation dieser
Anstalten entgegenstehen. Dr. Pollitz-Münster.
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
526
Die verminderte Zurechnungsfähigkeit. Von Prot F. 8traßmannn.
Vierteljahrsschrift für gerichtliche Medizin; XXX. Bd., 1. H.
Verfasser will nicht eine erschöpfende Behandlung des vielumstrittenen
Kapitels von der verminderten Zurechnungsfähigkeit geben, sondern nur einige
ganz persönliche Qedanken über diese Frage äußern, welche auf dem Boden
seiner umfangreichen gerichtsärztlichen Tätigkeit erwachsen sind. Er ist kein
Anhänger des Begriffs der verminderten Zurechnungsfähigkeit und hält ihn
für entbehrlich, ln bezug auf die strafrechtliche Behandlung dieser geistigen
Zwischenstufen bekennt er sich zur Alternative: entweder Strafe oder Ver¬
wahrung, verwirft dagegen die von Liszt u. a. vorgeschlagene Kombination
beider Behandlungsarten, ln logischer Konsequenz unterscheidet er dann auch
rar zwischen Zurechnungsfähigen und Unzurechnungsfähigen. Zu jenen rechnet
er die leichteren Fälle psychischer Abweichung und will ihrer Eigenart durch
Reformen im Strafvollzug (individualisierende Behandlung etc.) und durch all¬
gemeine Aenderungen im Strafgesetzbuch (grundsätzliche Einführung mildernder
Umstände, Herabsetzung der Strafminima, bedingte Beurteilung) gerecht werden.
Die schwereren Fälle der verminderten Zurechnungsfähigen will er als voll
iminrechnungsfähig behandelt wissen, ln bezug auf ihre Behandlung schließt
er sich den Vorschlägen der internationalen kr iminalis tischen Vereinigung an.
Er hält also dafür, daß ihre vorläufige Unterbringung erforderlichenfalls vom
Strafrichter angeordnet, die endgültige Verfügung über ihr Schicksal aber vom
Entmflndigungarichter getroffen werden soll. Prot Dr. Ziemke- Halle.
Chronische Paranoiker in Verwaltung«-, straf« und zivilrechtlicher
Beziehung. Nach einem Vortrag in der psychologisch-forensischen Vereinigung.
Tos Dr. L. W. Weber, Oberarzt und Privatdozent in Göttingen. Allgemeine
Zeitschrift für Psych.; 62 Bd., 1 u. 2. H.
Beide Fälle bieten ein besonderes Interesse; der eine Patient ist trotz
vielleicht auch infolge einer wohlcharakterisierten Paranoia als vielgesuchter
Kurpfuscher tätig, der andere, infolge seiner religiösen Paranoia, eine Art
kirchlicher Reformator geworden, der sich eine kleine Gemeinde Gläubiger ge¬
schaffen hat, zu der auch Leute besserer Lebensstellung gehören. Bei beiden
bestand die Krankheit seit über 20 Jahren, ohne daß ein Defekt der Intelligenz
sieh eingestellt hätte; ihre frühere Entmündigung wurde daher schließlich
wieder aufgehoben und ihre Geschäfsfähigkeit anerkannt. Verfasser erörtert
des weiteren die Frage der Gemeingefährlichkeit dieser Patienten unter Hin¬
weis auf die Dehnbarkeit des oft wiederkehrenden Anstaltsbegriffs und die
tag damit zusammenhängende Frage der Anstaltspflegebedürftigkeit, die er
Ihr seine Kranken nicht anerkennt. Dr. Pollitz-Münster.
Die Geistesstörungen Infolge von Kopftrauma in gerichtlich-medizi-
Mseher Beziehung. Von Dr. Martineck, Oberarzt. Deutsche Medizinal-
Zeitung; Nr. 28, 29, 80, 31 und 32.
Drei Punkte sind nach Ansicht des Verfassers vor allen Dingen bei
Besprechung dieses Themas zu erörtern nötig, nämlich:
1. Welcher Art sind die infolge von Kopftrauma auftretenden Geistes¬
störungen ?
2. Haben diese Geistesstörungen in ihrer Entwickelung oder in ihrem
Verlauf besondere charakteristische Eigentümlichkeiten gegenüber Geistes¬
störungen anderer Aetiologie, Eigentümlichkeiten, durch welche ihre Beziehungen
su einem Kopftrauma für den Gutachter ersichtlich werden ?
3. Welche allgemeinen Gesichtspunkte sind für die Konstruierung des
Kausalnexus zwischen Geistesstörung und Kopftrauma nach dem heutigen
8taade der Wissenschaft maßgebend?
Martineck unterscheidet hierbei das primär-traumatische Irresein von
den sekundär-traumatischen Erscheinungen. Er betont mit Recht die Frage
welche Gesichtspunkte maßgebend sind für die Aufstellung des Zusammenhanges
zwischen Kopfverletzung und Geisteskrankheit. Einen sicheren ursächlichen
Zusammenhang kann man doch nur dann annehmen, wenn die Kopfverletzung
ganz allem entweder unmittelbar oder nach einer ununterbrochenen Kette von
mehr oder weniger deutlich ausgeprägten Prodromal-Symptomen die Ent-
526
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
stehong einer Geistesstörung bewirkt. Sonst kann das Traoma nur als Gelegen*
heitsnrsache oder als prädisponierende Ursache wirken.
Verfasser bespricht non die gerichtlich - medizinischen Fragen, die sich
ergeben in solchen Fällen, in denen ein Mensch durch die Sebald eines anderen
infolge eines Kopftraomas eine Geistesstörung erleidet, and zwar in bezng auf
die strafrechtliche, als auch in bezng auf die zivilrechtliche Beurteilung. Zu
berücksichtigen sind auch die mit der fortschreitenden Charakterdegeneration
einhergehende abnorme Reizbarkeit und Intoleranz gegen Alkohol. Schwierig
ist es oft, Folgezustände von Traumen als krankhafte za erkennen and sie in
bezog auf die Zurechnungsfähigkeit richtig za beurteilen.
Krafft-Ebing fordert, daß jeder Angeklagte, der eine Kopfverletzung
überstanden habe, gerichtsärztlich untersucht werden müsse. Natürlich wird
die Tatsache allein, daß ein Kopftrauma irgend einmal stattgefunden hat, niemals
ausreichen zur Anwendung des § 51 des 8t.-G.-B. Auch Selbstmord nach einer
Kopfverletzung wird der gerichtsärztlichen Beurteilung nicht selten unterliegen.
Dieselbe Bedeutung, welche die Zurechnungsfähigkeit im Strafrecht hat,
hat die Geschäftsfähigkeit im Bürgerlichen Gesetzbuche. Verfasser behandelt
die einzelnen Fragen, die in zivilrechtlichem Sinne hier gestellt werden, und
bei denen die Kopfverletzungen eine Rolle spielen können.
Dr. Hoffmann -Berlin.
R. Sachverständigentätigkeit in Unfall- und Invaliditäts¬
sachen.
Traumatische Geistesstörung. Idiop. öligem. Paralyse! Alkoholische
Pseudoparalyse! VonDr.H. Korn fei d-Gleiwitz. Aerztliche Sachverständigei-
Zeitung; 1905, Nr. 13.
Ein 42jähriger Arbeiter stürzte mit einem Korbe voll Bierflaschen von
der obersten Stufe der Kellertreppe in den Keller hinab. Festgestellt wurde:
daß X. seit dem Sturze von der Treppe bis zum Tode (etwa 1 Jahr später)
arbeitsunfähig war, daß er seitdem progressiv, mit geringen Nachlässen, dement
wurde, daß ferner die Sektion Veränderungen der weichen Hirnhaut und im
Gehirn ergeben hatte (Trübung und wässerige Durchtränkung der weichen
Hirnhaut und Hirnhöhlenwassersucht), weiterhin, daß X früher starker Trinker
war und seit vielen Jahren schon den Eindruck eines geistig minderwertigen
Menschen gemacht hatte.
Kornfeld kommt zu dem Urteil, daß nach dem Sturze eine chronische
Affektion der weichen Hirnhaut und Ausscheidung in die Hirnhöhlen begann,
welche progressiv unter dem Bilde der Paralyse bis zum Tode verlief.
Dr. Tr oeger-Adelnau.
Ueber die versicherungsärztliche Untersuchung des Herzens. Ton
Dr. L. F e i 1 c h e n f e 1 d. Aerztliche Sachverständigen - Zeitung; 1905, Nr. 13.
Der Autor schlägt folgenden Fragebogen vor:
a) Ergibt die Palpation eine Erschütterung der ganzen Herzgegend?
b) Wo ist der Spitzenstoß in aufrechter, etwas nach vorn geneigter Haltung
zu fühlen?
c) Ist der Spitzenstoß a) nur durch Auskultation wahrnehmbar ? ß) deutlich
fühlbar? y) verbreitert? 8) stark hebend?
d) Welche Herzgrenzen ergibt die leise Perkussion (beim Stehen oder Sitzen)?
a) nach oben? ß) nach rechts? y) nach links (Entfernung in Zentimetern
von der Mittellinie des Sternum)?
e) Ist der Perkussionsschall des Herzens leicht oder intensiv gedämpft?
f) Sind die Herztöne rein, rhythmisch, gut akzentuiert?
g) Sind die Herztöne stark klopfend oder gespalten?
h) Bestehen Geräusche am Herzen oder an den großen Gefäßen?
i) Wie ist die Beschaffenheit des Pulses? Wieviel Schläge in der Minute
(beim Sitzen)? Sind sie isochron mit dem Herzschlage? Und an beiden
Radialarterien gleich?
k) Wie ist der Zustand der Blutgefäße?
l) Sind Zeichen einer Insuffizienz des Herzmuskels vorhanden?
m) Halten Sie das Herz für gesund?
n) Oder welcher pathologische Zustand besteht etc.
■- Dr. Tr oeger-Adelnau.
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
627
Tod durch Lungenhermchlag infolge übermässiger Hitze und Ein¬
atmen giftiger Gase; ursächlicher Zusammenhang mit einem Unfall an¬
erkannt. Rekurs-Entscheidung des Reichs versicherungsamts
Tom 22. Dezember 1904.
Nach der Ueberzeugung aller Augenzeugen, mit Ausnahme des uneidlicq
rernommenen Hüttenyogtes N., ist Sch. infolge Einatmens der Dämpfe zu¬
sammengebrochen und verstorben. Zar gleichen Ansicht mußte auch das
IL-V.-A. gelangen. Sch. war bereits seit Jahren vor dem Unfälle ein herz¬
leidender Mann. An dem Unglückstage herrschte an der Arbeitsstelle des Sch.
eine übermäßige Hitze. Dieser und der direkten Einwirkung schädlicher Glase,
welche die Atmung im höchsten Grade erschwerten, wenn nicht unmöglich
machten, war er besonders ausgesetzt, als plötzlich infolge Durchstoßens der
Trichterverstopfung, die vermutlich darunter inzwischen stark angesammelten
Oase, Dämpfe und heiße Luft unmittelbar zu ihm aufstiegen. Es unterliegt
nach ärztlicher Erfahrung keinem Zweifel, daß schon die dadurch verursachte
Unmöglichkeit der Einatmung von Luft verbunden mit dem Eindringen der
schädlichen Stoffe in die Atmungsorgane bei einem herzkranken Manne, wie es
Sch. war, zumal nach vorangegangener stärkster Anspannung der Herztätigkeit
infolge der Arbeit in der Hitze, einen das Leben gefährdenden Chok des HerzenB
herbeiführen konnte und hier augenscheinlich herbeigeführt hat, ohne daß es
der genaueren Untersuchung bedarf, aus welchen chemischen Stoffen die Gase
md Dämpfe zusammengesetzt waren, die dem Trichter entströmten. Wenn
sofort nach der Einwirkung dieser Schädlichkeit der Zusammenbruch und un¬
mittelbar danach der Tod infolge von Herz- und Lungenschlag — wie durch
die ärztliche Feststellung bei der Leichenöffnung erwiesen — eingetreten ist,
so muß mit einer an Gewißheit grenzenden Wahrscheinlichkeit angenommen
werden, daß der Tod durch jenen Vorgang, also einen Betriebsunfall herbei-
geführt worden ist. Die entgegengesetzte Annahme, daß der Herz- und
Langenschlag auch ohne wesentliche Mitwirkung jenes Ereignisses, lediglich
im Verlauf der Herzklappenfehlers eingetreten sein würde, hat bei der ganzen,
durch die eidlichen und glaubhaften Angaben vieler Zeugen klargestellten
Sachlage nicht die Wahrscheinlichkeit für sich. Kompaß; 1905, Nr. 10.
Grad der Erwerbsverminderung bei Verlust des linken Armes ober¬
halb des Ellenbogengelenks. Rekursentscheidung des Reichsver-
sicherungsamts vom 21. Februar 1905.
Der Kläger hat sich seit der früheren Festsetzung der Renten 66*/* \
zweifellos bereits in gewissem Grade an den veränderten Zustand, insbesondere
lach an den Gebrauch des ihm von der Beklagten gewährten künstlichen
Arms, der nicht allein einen besseren Anblick gewährt, sondern auch zu mancherlei
Hilfeleistungen, zum Beispiel beim Schreiben dienlich ist, gewöhnt, so daß eine
Herabsetzung der dem Kläger erstmalig gewährten Rente auf 60 J / n gerecht¬
fertigt ist. Aber eine volle Gewöhnung an die veränderten Verhältnisse ist
ooch nicht eingetreten; namentlich ist die seit der früheren Rentenfestsetzung
verflossene Zeit noch nicht genügend gewesen, um den Kläger den Uebergang
zu einem anderen Beruf, zum Beispiel zu dem nach seinen persönlichen Ver¬
hältnissen anscheinend für ihn in Betracht kommenden Beruf eines Schreibers zu
ermöglichen. Dazu ist natürlich für einen Schmied von Beruf eine längere Aus¬
bildung erforderlich, zu der sich freilich für den Kläger zweifellos hinreichende
Gelegenheit auch ohne Aufwendung besonderer Kosten bieten wird. Es wird
Sache des Klägers sein, sich nunmehr der Ausbildung als Schreiber oder zu
einem sonstigen passenden Berufe mit Eifer zu unterziehen, da für die Beklagte,
wenn der Kläger in angemessener Zeit infolge fehlerhaften Verhaltens seiner¬
seits, die zur Ausübung des Schreiber- oder sonstigen für ihn in Betracht kommen¬
den Berufs erforderlichen Fähigkeiten nicht erlangt haben sollte, unter Um¬
ständen die Voraussetzungen einer weiteren Rentenherabsetzung gegeben sein
würden. Kompaß; 1905, Nr. 14.
Erwerbsverminderung liegt bei glattem Verlust des linken Mittel-
flogen nicht mehr vor. Rekurs-Entscheidung des Reichsver¬
sicherungsamts vom 15. Dezember 1904.
Das R.-V.-A. hat keinen Anlaß gefunden, die schiedsgerichtliche Ent-
628
Kleinere Mitteilungen nnd Referate ans Zeitschriften.
scheidnng abzuändern. Nach dem Gutachten des praktischen Arstes Dr. Sch*
in Saarbrücken yom 29. Joli 1904 ist anzunebmen, daß jetzt völlige Angewöhnung
des Klägers an den durch den Unfall vom 18. Dezember 1902 herbeigeführtea
veränderten Zustand erfolgt ist und die Folgen des Unfalls soweit beseitigt
sind, daß es sich nur noch um den glatten Verlust des linken
Mittelfingers handelt. Hierdurch wird der Kläger nicht in wirtschaftlich
abmeßbarem Grade in seiner Erwerbsfähigkeit beeinträchtigt. Die Einstellung
der Rente ist daher zu Recht erfolgt (§ 88 des Gewerbe-Unf.-Vers.-Ges.).
_ Kompaß 1906, Nr. 10.
Erwerbsbeschränkung liegt bei glattem Verlust von 1 */* Glied des
rechten Mittelfingers nicht mehr vor. Rekurs-Entscheidung des
Reichsversicherungsamts vom 21. Dezember 1904. Ebenda.
C. Bakteriologie, Infektionskrankheiten und öffentliches
Sanitätswesen.
Die Widerstandsfähigkeit verschiedener Bakterlenarten gegen Trock¬
nung und die Aufbewahrung bakterienhaltigen Materials, insbesondere
beim Seuchendienst und filr gerichtlich • medizinische Zwecke. Von
Prof. L. He im-Erlangen. Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten;
1906, Bd. 60.
Die vorstehenden Untersuchungen Heims verdienen ein ganz hervor¬
ragendes Interesse nicht nur hinsichtlich der Erweiterung unserer Kenntnisse
von der Biologie der Mikroorganismen, sondern auch in gerichtlich-medizinischer
Beziehung.
H. hatte nämlich bei Untersuchungen mit Pneumoniekokken die Beob¬
achtung gemacht, daß die mit dem Blut infizierter Versuchstiere getränkten
Seidenfäden im Exsikkator (über Chlorcalcium und unter Luftabschluß) auf¬
bewahrt, meist längere Zeit entwickelungsfähig blieben, ja, daß sich mitunter
ihre Virulenz über 1 Jahr lang erhalten ließ. Daraufhin systematisch an-
gestellte Versuche ergaben, daß wohl vereinzelte Bakterienarten (z. B. Cholera,
Geflügelpest, Schweineseuche, Prodigiosus) im Exsikkator zugrunde gingen,
während weitaus die Mehrzahl der untersuchten Mikroorganismen wie Tetanus,
Tetragenus, Milzbrand 2 Jahre und darüber, andere, wie Mäusetyphus, Diph¬
theriebazillen, Xerosebazillen, Staphylo- und Streptokokken und Schweinerotlauf
1 Jahr und darüber, an Seidenfäden angetrocknet und im Exsikkator aufbewahrt,
ihre Virulenz völlig behalten hatten. Dabei hat es sich herausgestellt, daß
es am besten ist, wenn die betreffenden Mikroorganismen in einem eiweißhaltiges
Substrat an Seidenfäden angetrocknet aufbewahrt werden, da dasselbe offenbar
bei der Trocknung die geeignete Schutzhülle um die Keime bildet.
Dio praktische Bedeutung der Heim sehen Beobachtungen ist eine
außerordentlich große nicht nur für bakteriologische Institute, die ihre sämt¬
lichen Kulturen bisher stets mit großem Aufwand von Zeit und Geld häufig
umstechen mußten, um stets virulentes Material zur Hand zu haben, sondern
auch in gerichtlich-medizinischer Beziehung, da diese Methode die besten
Dienste bietet zur Aufbewahrung von baktcrienhaltigen Körperflüssigkeitea
(Blut, Magen- und Darminhalt, Eiter) und Organsäften (z. B. Milzsaft), die
weiter bakteriologisch untersucht werden müssen.
Für gerichtliche Sektionen hat H. ein kleines (bei F. & M. Lauten¬
schläger in Berlin erhältliches) Instrumentarium zusammen gestellt; dasselbe
ermöglicht bei der Sektion z. B. (in Fällen von Wund Vergiftung oder Typhus)
Darminhalt oder (bei der traumatischen uud puerpalen Sepsis oder Pyaemie) Blut
aus verschiedenen Organen oder Eiter etc., an sterile Seidenfäden anzutrocknen,
die in einem nach Chlorkalium beschickten und mit Gummiklappe luftdicht
verschlossenen festen Reagenzglas alsdann an das zuständige bakteriologische
Institut eingesandt werden, wo noch nach Tagen und Wochen die betr. Mikro¬
organismen herausgezüchtet werden können. Dr. Merkel-Erlangen.
Ueber die Bakteriämie nnd die Bedeutung der bakteriologischea
Blutuntersuchung filr die Klinik. Von Privatdoznnt Dr. Georg Joch mans-
Breslau. Zeitschrift für klinische Medizin; 1904, Bd. 64, H. 6—6.
Kleinere Mitteilangen nnd Referate ans Zeitschriften.
629
Am häufigsten treten in das Blnt über die Streptokokken, Staphylo¬
kokken, Pneumokokken, Gonokokken, Typhös- and Kolibazillen. Für die Dia¬
gnose, Prognose and Symptomatologie mancher Erkrankungen hat der Nachweis
der Bakteriämie große Bedeutung.
Die Streptokokken gelangen entweder primär oder erst sekundär
ins Blut. Zu den Primärinfektionen gehört in erster Hinsicht die Puerperal-
sepsis; gleichwohl gelang es dem Verfasser in mehreren sichergestellten Fällen
nicht, den Nachweis von Bakterien im Blut zu erbringen. Die Sekundär-
iafektionen (bei Scharlach, Diptherie, Typhus, Tuberkulose) sind prognostisch
insofern sehr viel ungünstiger, als hier der bereits durch das Grundleiden ge¬
schwächte Organismus sehr viel weniger imstande ist, der Infektion Widerstand
zu leisten.
Die Untersuchungen des Blutes auf Streptokokken bei schwerem Gelenk¬
rheumatismus (18 Fälle) brachten stets ein negatives Ergebnis. Verfasser
bestreitet daher die ätiologische Bedeutung der Streptokokken für den Gelenk¬
rheumatismus.
Ebenso lehrten ihn bei ausgedehnten Blutuntersuchungen von Scharlach-
filkn (161 Lebende und 70 Leichen), daß die Streptokokkenätiologie des Schar¬
lachs nicht haltbar ist.
Staphylokokken wurden in 7 Fällen als Erreger septischer Er¬
krankungen nachgewiesen. Alle sieben starben. Die Staphylokokken zeigen,
ia Gegensatz zu den Streptokokken, eine grosse Neigung zu eitriger Me¬
tastasenbildung.
Pneumokokken wurden in 6 von 18 untersuchten Pneumonien nach¬
gewiesen. Der Uebertritt von Pneumokokken ins Blut ist demnach keineswegs
so konstant, wie es vielfach dargestellt wird.
Der Uebertritt von Gonokokken ins Blut ist prognostisch sehr un¬
günstig zu beurteilen. Von den beobachteten drei Fällen gingen zwei zugrunde.
Typhusbazillen wurden von dem Verfasser, dank Anwendung einer
zweckmäßigen Methodik, in 83,3 °/ 0 der Fälle im Blute nachgewiesen. Sie
fehlten stets in den fieberfreien Perioden. Es scheint demnach ein inniger
Zusammenhang zwischen Bakteriengehalt des Blutes und Fieber zu bestehen.
Dagegen besteht kein Zusammenhang zwischen Bakteriengehalt des Blutes
ud der Schwere der Darmveränderungen. In 2 Fällen mit auffallend großem
Gehalt des Blutes an Typhusbazillen waren nämlich die Darmveränderungen
au ganz minimal (in einem Fall nur zwei Geschwüre).
In 6 Fällen waren die Bazillen im Blute schon zu einer Zeit nach¬
weisbar, zu der die Widalsche Reaktion negativ ausfiel.
Dr. Dohm-Cassel.
Zur Frage der Bakterlzldie durch Alkohol. Von Dr. Victor Ruß,
I nnd K. Oberarzt (A. d. bakt. Labor, d. K. und K. Militärsanitätskomitecs
in Wien. [Vorstand: Oberstabsarzt Dr. L. Kamen.]). Zentralbl. f. Bakt.;
L Abt, Orig., 1904; Bd. 37, H. 1 und 2.
Ruß kommt auf Grund seiner Untersuchungen an Bact. coli, Staphylo-
coccos pyog. aur., Bact. diphtheriae und Milzbrandsporen zu dem Schlüsse, daß
absoluter Alkohol ohne Wirkung auf Bakterien ist, yerdünnter Alkohol da¬
gegen sporenfreie Bakterien abtötet, und zwar feuchte Bakterien schneller als
getrocknete; Sporen werden durch Alkohol überhaupt nicht geschädigt. Auf
die Bakterien wirkt der Alkohol nicht sowohl durch Wasserentziehung, als
vielmehr durch seine Eigenschaft als Protoplasmagift schädigend.
Für die Desinfektion der Haut mittelst absoluten Alkohols ist es not¬
wendig, die Haut zunächst anzufeuchten bezw. mit Wasser und Seife gründlich
n waschen. Dr. Lentz-Saarbrücken.
Krebs und Sarkom am gleichen Menschen. Von Dr. H. Landau-
Berlin. Münchener med. Wochenschrift; 1905, Nr. 14.
Verfasser berichtet über einen 38jährigen, kräftigen brünetten Mann,
welcher fast gleichzeitig an einem Adenokarzinom des Mastdarmes mit teils
gallerttigem, teils fibrös-derbem Stroma, sowie an einem Fibrosarkom der rechten
Mamma litt.
Eine Erklärung für das gleichzeitige Auftreten mehrfacher verschiedener
530
Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften.
Tumoren wird nur dann zu geben möglich sein, wenn man einmal weiß, warum
and wie der einzelne Krebs, das einzelne Sarkom entsteht. Von den 20
bekannt gewordenen derartigen Fällen hat fast jeder Autor sich Mühe
gegeben, seinen Fall unter den Gesichtswinkel der verschiedenen Krebstheorien
za bringen; herausgekommen ist dabei nicht mehr, als daß sie alle keinen
Aufschluß geben, am wenigsten freilich die Parasitentheorie.
Dr. Waibei-Kempten.
Die Heilung des Trachoms durch Radium. Vorläufige Notiz von Ob.-
Med.-Rat Prof. Dr. Hermann Cohn in Breslau. Berliner Hin, Wochenschrift;
1905, Nr. 1.
ln einem Glasröhrchen von 3 cm Länge und 2 mm Durchmesser wurde
ein Radiumkrystall von 1 mgr. Schwere eingeschmolzen, ln drei Fällen von
Trachom wurde jeder Korn im uuteren und oberen Augenlide mit diesem Glas¬
röhrchen berührt. Die Körner wurden jeden Tag 10—15 Minuten belichtet
und verschwanden in überraschend kurzer Zeit, während sie vorher vom Verf.
und anderen Kollegen mit schmerzhaften Mitteln monatelang vergeblich be¬
handelt worden waren. Diese 3 Fälle sind sicher, schnell and schmerzlos
geheilt worden, von schädlichen Folgen war nichts zu bemerken.
Dr. Räuber-Köslin.
Der SSugllngs-Skorbut ln Berlin. Von H. Neumann. Berliner
klin. Wochenschrift; 1905, Nr. 1.
Darch die längere Einwirkung eines etwaigen Hitzegrades oder die
kürzere einer starken Erhitzang oder darch die aufeinander folgende, wenn
auch weniger intensive Einwirkung beider wird die Milch in einer solchen
Weise verändert, daß ihre ausschließliche Darreichung während mindestens
5 Monaten zum Säuglings - Skorbut führt. Da die Molkereien aus milchtech¬
nischen Gründen immer mehr zur Pasteurisation übergehen, und ein nochmaliges
Aufkochen die Milch zu sehr denaturiert, so verlangt Verf. die Ausübung eines
gesetzlichen Zwanges, daß die pasteurisierte Milch als solche beim Verkanf
gekennzeichnet wird. Dr. Räuber-Köslin.
Bemerkungen zur Ziehkinderfürsorge. Von Dr. Effler-Danzig.
Jahrbuch für Kinderheilkunde; 1904, Bd. 10, H. 3.
In Danzig, wo Verfasser die Funktionen eines städtischen Ziehkinder¬
arztes versieht, hat man ebenso wie in Leipzig, Halle, Dresden, Straßbarg und
Berlin besondere Maßnahmen zur Bekämpfung der hohen Säuglingssterblichkeit
getroffen. Die Organisation der Ziehkinderfürsorge ist folgende:
Bis zum sechsten Lebensjahr werden alle Kommunalpflegekinder, unehe¬
lichen Kinder und diejenigen ehelichen Kinder, die in Haltepflege gegeben
sind, beaufsichtigt. An der Spitze des Unternehmens steht ein Arzt, dem je
sechs Helferinnen mit je einem Bezirk zur Seite stehen. Alle unehelichen Ge¬
burten werden dem Armenamte gemeldet. Dieses entsendet eine der besonders
vorgebildeten Helferinnen in die Pflegestelle. Ueber jedes Kind wird ein Personal¬
bogen angelegt; ebenso wird auch über die Ziehmütter ein besonderes Buch ge¬
führt. — Der Arzt hat die Oberaufsicht und Revisionen sowie Besichtigungen der
Kinder wahrzunehmen. Bei den Besichtigungen, die in den verschiedenen Schal¬
räumen der Stadt vorgenommen werden, werden die Kinder untersucht gewogen
und die Ziehmütter mit Ratschlägen bezüglich der Ernährung versehen. Kranke
Kinder werden unter Umgehung des oft unbeliebten Weges durch die Armen-
verwaltnng poliklinischer Behandlung zugeführt. Auch die Ammenvermittelong
geht zugleich mit diesen Maßnahmen einer besseren Regelung entgegen. Die
unehelichen Mütter dürfen erst dann als Ammen gehen, wenn sie mindestens
6 Wochen ihr eigenes Kind genährt haben. Dr. Dohrn-CasseL
Still vermögen. Von Dr. G. Martin, Assistenzarzt der Königlichen
Landes - Hebammenschule in Stuttgart. Archiv für Gynäkologie; 1905, Bd. 74,
Heft 3.
Die Klagen über den Rückgang des Stillvermögens unserer Frauen er¬
tönen heutzutage lauter denn je. M. zeigt an dem Material der Stuttgarter
Hebammenschule, daß die Klagen keineswegs berechtigt sind, soweit dabei die
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
681
physische Leistungsfähigkeit der Frauen in Betracht kommt. Bei immer
strengerer Einschränkung aller Kontraindikationen gelang es dort in den letzten
Jahren, 100% aller Mütter zum Selbststillen zu bringen 1 Diese Tatsache
spricht sehr gegen die angeblicho Degeneration der weiblichen Brustdrüse.
Theoretisch führt M. als Gegenbeweis an, daß der Wurmfortsatz trotz jahr-
tansend lang erloschener Funktion zum Leidwesen der Menschheit bisher nicht
Terschwunden ist. Um so weniger ist an ein Schwinden der Brustdrüse bei
weit kürzerem und nur hie und da zu verzeichnendem Nichtgebrauch zu denken.
Selbst die unscheinbarsten Brustdrüsen ließen sich bei Anwendung ge¬
nügender Reize zu ausgiebigster Produktion bringen. In einem Falle gelang
es nach fast l'/imonatigem Aussetzen durch permanentes Ansaugen des Kindes
die Tätigkeit der Brust wieder zu genügender Leistung zu bringen.
Von den angeblichen Nachteilen des Selbststillens konnte nie etwas be¬
merkt werden. Dagegen traten die Vorteile nicht nur an den Kindern, sondern
auch an den Müttern sehr deutlich hervor. Die Involution der Geschlechts¬
organe wurde wesentlich beschleunigt. Die Kompensationsstörungen bei Herz¬
fehlern glichen sich schneller aus; bei Nierenkranken verschwand das Eiweiß
schneller. Selbst Syphilis bildete keine Gegenindikation mit Rücksicht auf die
immunisierenden Eigenschaften der Milch; die Frauen nährten in solchen
Fällen mit dem Warzenhütchen. Die Gefahr der Tuberkuloseübertragang
durch die Milch hält M. im Vergleich zu den übrigen zahlreichen Ueber-
tragungsmöglichkeiten mil Recht für sehr gering. Nur bei vorgeschrittener
Tukerkulose wurde nicht gestillt. Dr. Dohrn-Cassel.
Ueber Luftverunreinigung, Wfirmestauung und Lüftung in ge¬
schlossenen Räumen. Von Geh. Med.-Rat Prof. Dr. C. Flügge-Breslau.
Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten; Bd. 49, H. 8.
Zahlreiche, mit feineren Prüfungsmethoden und unter genauer Berück¬
sichtigung der thermischen Verhältnisse an gesunden und kranken Menschen
angestellte Versuche haben ergeben, daß die chemischen Aenderungen der
Luftbeschaffenheit, welche in bewohnten Räumen durch die gasförmigen Ex-
krete der Menschen hervorgerufen werden, eine nachteilige Wirkung auf die
Gesundheit der Bewohner nicht ausüben. Wenn in geschlossenen, mit Menschen
e ten Räumen gewisse Gesundheitsstörungen, wie Eingenommenheit des
. s, Ermüdung, Schwindel, Uebelkeit usw. sich bemerkbar machen, so sind
diese Symptome lediglich auf Wärmestauung zurückzuführen. Die thermi¬
schen Verhältnisse der uns umgebenden Luft — Wärme, Feuchtigkeit, Be¬
wegung — sind für unser Wohlbefinden von erheblich größerer Bedeutung als
die chemische Luftbeschaffenheit. Auch das erfrischende Gefühl, welches bei
ausgiebiger Lüftung geschlossener Räume oder im Freien empfunden wird,
resultiert nicht sowohl aus der größeren chemischen Reinheit der Luft, sondern
aus der besseren Entwärmung des Körpers. Eine Ueberwärmung unserer Wohn-
räume muß daher tunlichst vermieden werden. Während dies im Hochsommer
oft schwer durchzuführen ist, gelingt es in den übrigen Jahreszeiten relativ
leicht. In erster Linie müsssen die Heizeinrichtungen stets so betrieben werden,
daß die Temperatur die oberste Grenze von 21° C. niemals überschreitet;
namentlich ist dies in öffentlichen Räumen, wie Schulen, scharf zu kontrollieren,
ln der Regel soll die Temperatur der beheizten Räume zwischen 17 und 19° C.
liegen, ln überwarmen Räumen kann oft schon durch künstliche Zirkulation
der Luft ohne Zufuhr von Außenluft eine gewisse Abhilfe geleistet werden.
Durch Lüftung in überwarmen Räumen Abhilfe zu schaffen, ist im Winter
während der Benutzung des Zimmers durch Menschen gefährlich und zu ver¬
meiden, weil durch die Einwirkung kalter Luftströme auf die vorher über¬
wärmte Haut leicht Erkältungskrankheiten entstehen. Dagegen kann durch
periodische Lüftung der Räume zu unbewohnter Zeit der Ueberwärmung wirk¬
sam begegnet werden. Für die in Wohnräumen vorkommenden Ge¬
rüche, welche vorzugsweise den Zersetzungen auf Haut und
Schleimhäuten, sowie denKleidern derBewohner entstammen,
ist eine gesundheitsschädliche Wirkung nicht nachgewiesen.
Dagegen erzeugen diese Gerüche beim Betreten der Räume Ekelempfindung
und sind deshalb tunlichst zu beseitigen. Dies kann teils geschehen durch
Vorbeugung und Desodorisierung, teils durch kontinuierliche Aspirationslüftung
532
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
oder durch periodische Zulüftung des unbewohnten Zimmers. Die Lüftung
hat nicht die Aufgabe und Ist nicht imstande, bewohnte Räume von Staub und
Kontagion zu befreien. _ Dr. Eng eis'Gummersbach.
Das Verhalten Kranker gegenüber verunreinigter Wohnungsluft.
Von Privatdozent Dr. W. Ercklentz in Breslau. Aus dem hygienischen In¬
stitut der Universität Breslau. Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrank¬
heiten ; Bd. 49, H. 3.
Die eingehend beschriebenen Versuche, welche auf Veranlassung Flügges
angestellt wurden, lassen unzweideutig erkennen, daß nur die thermi¬
schen Verhältnisse der Umgebung kranke und hervorragend empfindliche
Menschen zu beeinflussen imstande sind, während ein Einfluß der chemischen
Verunreinigung der Luft durch persönliche Exkrete des Menschen sich nicht
geltend macht. Des näheren wird dann noch beschrieben die Einflüsse ver¬
unreinigter Luft auf die verschiedenartigen Kranken.
_ Dr. Eng eis-Gummersbach
Ueber den Einfluss wieder eingeatmeter Exsplratlonslnft auf die
Kohlensänre-Abgabe. Von Privatdozent Dr. Bruno Hey mann, Assistent am
hygienischen Institut in Breslau. Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrank¬
heiten ; Bd. 49, H. 3.
Auf Grund eingehender Versuche kann es nach Verfasser keinem Zweifel
unterliegen, daß wir, auch in reinster Zimmerluft, unter den Bedingungen des
alltäglichen Lebens sehr häufig mit eigenen Exspirationsprodukten derartig
verunreinigte Luft atmen, daß ihr Kohlensäuregehalt die für Wohnräume als
zulässig geltende Grenze von 1 pro mille wesentlich überschreitet. Eine Be¬
einträchtigung des Körpers durch eine so allgemein verbreitete, geradezu un¬
vermeidliche Häufung von Exspirationsprodukten können wir unmöglich an-
nehmen. Das Gleiche lehren Untersuchungen, welche Paul und Ercklentz
über die Wirkung eines sehr stark gesteigerten Gehalts der Luft an Exspi¬
rationsprodukten angestellt haben, und welche bei gesunden und kranken
Menschen zu völlig negativen Resultaten geführt haben. Insbesondere bekämpft
Verfasser die entgegengesetzt lautenden Ergebnisse Wolperts.
Dr. E n g e 1 s - Gummersbach.
Die Wirkungen der Luft bewohnter Räume. Von Dr. med. L. Paul,
früheren Assistenten am hygienischen Institut der Universität Breslau. Zeit¬
schrift für Hygiene und Infektionskrankheiten; Bd. 49, H. 3.
Das Ergebnis der zahlreichen Versuche Pauls ist, daß wohl nicht mehr
daran gezweifelt werden kann, daß die unangenehmen Symptome, wie sie sich
in Versammlnngsräumlichkeiten, Kirchen, Schulen usw. gelegentlich einstellen,
unabhängig von der Einatmung der betreffenden Luft zustande kommen, und
daß demgemäß die chemischen Verunreinigungen der Luft nur
eine ganz untergeordnete Rolle spielen können. Dagegen haben
die Versuche gelehrt, daß eine um so größere Bedeutung dem phy¬
sikalischen Verhalten der Luft in den genannten Oertlichkeiten bei¬
gemessen werden muß. Zweifellos sind es vorzugsweise die in den
genannten Räumen herrschenden Temperatur-, Feuchtigkeits-und Luftbewegungs¬
verhältnisse, welche eine ausreichende Wärmeabfuhr von seiten des menschlichen
Körpers verhindern, und so zu den bekannten, am besten nach Verfasser mit
dem Sammelnamen „Wärmestauungssymptome“, zu bezeichnenden un¬
angenehmen Erscheinungen führen. Die Prophylaxe hat deshalb besonders
das Augenmerk auf die richtigen Temperatur- und Feuchtigkeitsverhältnisse
zu richten, desgleichen auf die Ventilation; dabei spielt die chemische Be¬
schaffenheit der frischen Luft eine wenig große Rolle, mehr ihr Einfluß auf
Temperatur und Feuchtigkeit. Dr. Engels-Gümmersbach.
Ueber die Schntzmassregoln zur Verhiltnug von Berufskrankheiten
der Arbeiter bei Fabrikationen mit Staubentwickelung. Von Dr. K. Zibell,
praktischer Arzt, staatlich geprüft. Vierteljahrsschrift für gerichtliche Medizin
und öffentliches Sanitätswesen; Jahrg. 1905, L Heft.
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
533
Das Ergebnis seiner Arbeit faßt Verfasser in folgenden Sätzen zusammen:
Die verschiedenen Staubarten sind für die ihnen ausgesetzten Arbeiter um so
gefährlicher, je spitzer und scharfkantiger die einzelnen Bestandteile sind.
Die Staubentwickelung wird am besten verhindert durch Einführung nasser
Arbeitsprozesse. Während der Arbeit entstandener Staub wird am zweck¬
mäßigsten durch Exhaustoren unschädlich gemacht. Ventilation der Arbeits¬
räume und Ausrüstung der Arbeiter mit Respiratoren können nur als Notbehelf
1 betrachtet werden. Für jeden Arbeiter sind mindestens 10—15 cbm Luftraum
erforderlich. Die Fußböden der Arbeitsräume müssen zwecks leichter Reinigung
dicht und fest sein. Die Arbeiter in Betrieben mit Staubentwickelung sind
mit Arbeitsanzügen auszurüsten; diese müssen möglichst faltenlos sein undaus
dichtem glatten Stoff bestehen. Die Benutzung der Waschgelegenheiten ist
den Arbeitern durch die Arbeitsordnung zur Pflicht zu machen. In jedem Be¬
trieb mit Staubentwickelung sollten Brausebäder vorhanden sein. Das Ein¬
nehmen der Mahlzeiten in den Arbeitsräumen ist zu verbieten; es müssen zu
diesem Zweck besondere Speiseräume eingerichtet sein. Von den Arbeitgebern
ist für Beschaffung guten Trinkwassers zu sorgen. Das Ausspeien auf den
Boden ist streng zu verbieten. Zur Durchführung der Schutzmaßregeln ist
eine gründliche Belehrung der Arbeiter erforderlich. In Fabriken mit Staub¬
tet Wickelung sollten Arbeiter unter 16 Jahren und Arbeiterinnen unter 18 Jahren
nicht eingestellt werden. Alle Arbeiter sind vor der Einstellung einer ärzt¬
lichen Untersuchung zu unterwerfen; Lungenkranke und Brustschwache sind
auszuscheiden. Für alle Betriebe mit Staubentwickelung muß eine periodische
ärztliche Untersuchung gefordert werden. Die Arbeitszeit darf ein Maximu m
Ton 10—11 Stunden nicht überschreiten. Ueberstunden sind möglichst einzu¬
schränken. Ein öfterer Wechsel zwischen staubiger und nicht staubiger Arbeit
ist sehr zu wünschen. Die Anwendung der Bleichromate zum Färben sollte
gesetzlich verboten werden. Durch Ziegenhaare kann Milzbrand übertragen
werden; deshalb ist auch die Forderung einer Desinfektiono derselben in die
Bestimmungen des Bundesrats aufzunehmen. Die Lumpen sollen vor dem
Zerreißen desinfiziert werden; Lumpen aus notorischen Seuchengegenden dürfen
sieht eingeführt werden. In der Lumpenindustrie sollten nur geimpfte und
j wiedergeimpfte Arbeiter eingestellt werden. Bei der Beaufsichtigung der Fa-
1 bnken sind die Medizinalbeamten mehr heranzuziehen, als dies bisher geschieht,
i Die Gewerbegesetzgebung ist einheitlicher zu gestalten.
Dr. Israel-Fischhausen.
1 Die chronische Vergiftung des Anges mit Blei. Von L. Lewin
' Berliner klin. Wochenschrift; 1904, Nr. 60.
Leider nnr selten berücksichtigte Sehstörungen, die als Folge chronischer
(Mitwirkung auftreten, entstehen u. a. beim Arbeiten mit Schwefelkohlenstoff
(Vulkanisieren von Kautschuk, Darstellung von Kondoms), Brommethyl, Queck-
( Silber, Holzgeist, Arsenik oder Arsenverbindungen, Dinitrobenzol, Kohlenoxyd,
j Schwefelwasserstoff, Anilinfarbstoffen. Eine oft verhängnisvolle Rolle spielen
| Bleiverbindungen. Die hierdurch entstandenen Sehstörungen sind den Aerzten
| nicht allgemein bekannt; methodische Untersuchungen von Bleiarbeitern mit
| dem Augenspiegel werden nicht vorgenommen, oft scheitert solche Absicht an
dem unüberwindlichen, der Engherzigkeit entstammenden Widerstande der
! Ftbrikherren. Keiner der verschiedenen Blei - Berufszweige bleibt frei; in jeder
t Form kann das Blei die Augen schädigen (vergl. Lewin und Guöllery,
Die Wirkungen von Arzneimitteln und Giften auf das Auge, Hirschwald 1905).
! Besonders leiden diejenigen Arbeiter, die von Jugend auf lange Schichten vor
dem Ofen gemacht haben, wie Schmelzer, Silberarbeiter und dergl. Die Ver¬
hältnisse werden immer trauriger, weil das Blei immer weiter in der Technik
■ und Industrie vordringt, und viel mehr Arbeiter und Arbeiterinnen als früher
in die Fabriken und Werkstuben gedrängt werden. Die Erkrankungen des
i Anges können sehr verschieden sein, von der vorübergehenden Blindheit an bis
. xu der Entzündung des Sehnerv, der Netzhaut, mit gleichzeitiger Aus¬
scheidung von Eiweiß durch den Harn, bis zu der Halbsichtigkeit, zu den
Augenmuskellähmungen und Augenmuskelkrämpfen, bis zu den Veränderungen
der äußeren Augenteile, die in Gestalt von Hornhauttrübungen bei Arbeitern
584 Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
in Bleisalzfabriken beobachtet wurden. Ein Bleisanm braucht dabei nicht
vorhanden zu sein.
Das Elend derjenigen, die ihres Augenlichtes durch Blei ganz beraubt
werden, ist erschütternd. Dr. Raub er-Köslin.
Beitrag zur Vereinfachung der Helllgkeitsprflfung ln geschlossenen
Räumen. Von Dr. Walter Albrand, Assistenzarzt der Irrenanstalt Sachsen¬
berg in Mecklenburg-Schwerin. Berliner klin. Wochenschrift; 1904, Nr. 52.
Der kleine Apparat, dessen Tubus 60 cm lang, 5 cm breit und 6 cm
hoch ist, ist leicht in einer Hand in beliebiger Höhe zu halten, während die
andere Hund den die Paraffinkerze tragenden Schieber trägt. Die Beleuch¬
tungswerte des auf der äußeren Seite eines rechtwinkligen Prismas befindlichen
und in der Helligkeit zu messenden Kartons sind außen auf einer mit einer
Schiene verschieblichen Skala an einer Marke abzulesen, nachdem ein auf der
inneren am Tubus zugekehrten Prismafläche sich befindender Vergleichskarton
durch Annäherung bczw. Entfernung der Normalkerze mittelst der Schieber
auf gleiche Helligkeit mit dem äußeren Karton eingestellt ist. Das dem
Wingen sehen Apparat ähnelnde Instrument gestattet höhere Beleuchtungs¬
grade zu messen. Man kann mit ihm noch Helligkeiten von 2500 M. K. be¬
stimmen, doch sind die Messungen nur genau bis zu einer Helligkeit von 400
M. K. Der einfache, billige und leicht zu beschaffende Apparat gestattet,
eine schnelle Orientierung über die Beleuchtungsverhältnisse an Arbeitsplätzen,
ähnlich wie der Win gen sehe, aber in größerem Spielraum der Beobachtung.
Dr. Räuber-Köslin.
Schulärztliche Tätigkeit und Augenuntersuchungen. Von Dr. Rad-
ziejewski. Zeitschrift für ärztliche Fortbildung; 1905, Nr. 6.
Da von den allgemein praktizierenden Aerzten eine völlige Beherrschung
der Augenheilkunde, insbesondere der schwierigeren Untersuchungsmethoden,
nicht zu verlangen ist, ist die Anstellung von Schul a u g e n ärzten unbedingt
erforderlich. Die Feststellung von Sehstörungen bei Schulkindern bedeutet an
sich kaum einen Fortschritt; erst durch die eingehende Ergründung der Ur¬
sache der Störung lassen sich zweckmäßige prophylaktische und therapeutische
Maßnahmen ermöglichen. Aus R.s Programm über die Regelung der Tätig¬
keit der Schulaugenärzte sind die drei wesentlichsten Punkte folgende:
1. Jedes Kind muß zugleich mit dem Impfschein sofort beim Eintritt
in die Schule ein Gesundheitsattest mitbringen, besonders hinsichtlich der Sch¬
und Hörleistungen, sowie der geistigen Kapazität resp. etwaiger weiterer
Organerkrankungen.
2. Sobald — während der Schulperiode — Angehörige oder Lehrer be¬
obachten, daß die erforderliche Körperhaltung, Aufmerksamkeit etc. nachlassen,
müssen Augen, Ohren, Nervensystem vom Schul- (Augen- usw.) Arzt untersucht
werden. In ärztlich zu bestimmenden Intervallen finden Wiederholungen der
Untersuchungen statt.
3. Bei Entlassung aus der Schule: Ausstellung eines Attestes über körper¬
liche und geistige Beschgffenheit, u. a. auch durch den Schul- (Augen-) Arzt,
für die Angehörigen zum Zweck der Unterstützung durch ärztlichen Rat hin¬
sichtlich der Auswahl eines Berufes. Dr. Dohrn-Cassel.
Die Aufgaben des Schularztes ln augenhygienischer Hinsicht. Von
Dr. Hübner. Reichs-Medizinal-Anzeiger; 1906, Nr. 6.
Die Zahl der nicht völlig Behtüchtigen Kinder nimmt von den unteren
Klassen nach den oberen stetig steigend zu. So z. B. betrug auf dem Real¬
gymnasium zu Meiningen die Zahl der Sehstörungen auf der Sexta 24 # /„; in
der Prima stieg sie bis auf 83 °/o. — Die exquisite Schulkrankheit ist die
Kurzsichtigkeit. Ihre Ursache ist meist die andauernde Naharbeit besonders
bei schlechter Körperhaltung. Die Folge der Naharbeit ist angestrengte Kon¬
vergenz, Erhöhung des Augeninnendrucks, Ausbuchtung des hinteren Skleral-
pols, Verlängerung der Augenachse — Myopie.
Was ist gegen die Zunahme der Augenleiden, welche den nationalen
Wohlstand und die Wehrkraft des Volkes ernstlich bedrohen, zu tun? Neben
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
535
den Schulärzten sind Schulaugenärzte anzustellen. Diese haben besonders
folgende Aufgaben zu erfüllen: 1. Voruntersuchung sämtlicher neueintretender
Schulrekruten auf Sehleistung, Farbensinn, einschließlich äußere Untersuchung
der Augen. 2. Genaue augenärztliche Untersuchung und Ueberwachung aller
Kinder, bei denen diese Voruntersuchung keine normale Sehleistung oder
sonstige Abweichungen yon der Norm ergeben hat, einschließlich Verordnung
der betreffenden Brillen. 3. Prüfung der Helligkeit. 4. Ueberwachung des
Schulgestühls unter Berücksichtigung des Einflusses der Steilschrift. 5. Ueber¬
wachung der typographischen Ausstattung der Schulbücher, einschließlich der
Schiefertafelfrage. 6. Abhaltung von Elternabenden und Erteilung etwaiger
Ratschläge bei der Berufswahl. _ Dr. D o h r n - Cassel.
Epileptische Schulkinder. Von Dr. W. Weygandt. Nach einem
auf dem L internationalen Kongreß für Schulhygiene zu Nürnberg am 5. April
1904 gehaltenen Vortrage. Psychiatrisch-neurologische Wochenschrift 1904;
Nr. 27, 28 u. 29.
Verfasser gibt eine kurze geschichtliche Uebersicht über die Kenntnis
epileptischer Krankheitszustände. Die Anfänge des Leidens treten nach Lütt
in 35 °/o, nach Lange in 53,4 °/ 0 der Fälle vor dem 10. Lebensjahre in Er¬
scheinung. In einer Statistik yon 70 eigenen Fällen des Verfassers fiel der
Krankheitsanfang 35 mal ins erste, 24 mal ins zweite Lebensjahrzent. Die
Zusammenstellung berücksichtigt Heridität und andere angebliche und wahr¬
scheinliche Ursachen, den Typus der epileptischen Krankhejtserscheinungen,
die begleitenden körperlichen und geistigen Störungen und ihre Bedeutung für
das praktische Leben der Betroffenen. Da ca. 2 °/oo aller Menschen an Epilepsie
leidet, deren Beginn in den meisten Fällen in das schulpflichtige Alter
fällt, gewinnt diese Erkrankung eine hohe Bedeutung für die Schule.
Verfasser berichtet eingehend über die Erfahrungen, die er in seinen
Fällen über Störungen im Schulbetriebe gemacht hat, und macht prak¬
tische Vorschläge, wie epileptische Kinder yon den Lehrern zu behandeln
seien. Seine Stellungnahme zu den neueren Bestrebungen, die epilepsiekranken
Kinder aus den Normalschulen auszusondern, dokumentiert er in den Schlu߬
sätzen des Vortrages: „Angesichts der mannigfaltrigen Erscheinungsweise
der Epilepsie im kindlichen Alter ist eine Absonderung des Unterrichts für
alle epileptischen Schulkinder nicht am Platze, sondern es empfiehlt sich eine
Individualisierung, indem geistig Defekte in Idiotenanstalten oder Hilfs¬
schulen, sozial Bedenkliche in die Fürsorgeerziehung gehören, Kinder mit ge¬
häuften Anfällen in rein ärztliche Behandlung, während Kinder mit ver¬
einzelten Symptomen in der Normalschule unter Ueberwachung eines ent¬
sprechend informierten Lehrers verbleiben können.“ Auf die in der Debatte
zu diesem Vortrage von Ber gh an-Braunschweig vertretene gegenteilige An¬
sicht, insbesondere auf dessen Forderung nach Sonderschulen für Epileptische
«widert Verfasser, daß weder die Notwendigkeit, noch die Durchführbarkeit
dieser Sonderschulen bewiesen sei. Denn einerseits lehre die Statistik, daß die
ftberaus große Mehrzahl epileptischer Schulkinder tatsächlich gar keine Störungen
im Schulbetriebe hervorruft, anderseits könne man die Unwahrscheinlichkeit
der Durchführung jener Forderung daran ermessen, daß bisher nur in den
wenigsten Städten Sonderschulen für Schwachsinnige errichtet seien, deren
Zweckmäßigkeit doch unbestritten sei, und die ein viel dringenderes Bedürfnis
dantellen. _ Dr. Fritz Hoppe-Allenberg.
Die Schwerhörigkeit in der Schule. Referat und Korreferat von
Qeh.San.-Rat Dr. Arthur Hartmann-Berlin und Geh. Med.-Rat Professor
Dr. Passow-Berlin auf der am 9. und 10. Juni <L J. abgehaltenen 14. Ver-
lammlung der Deutschen otologischen Gesellschaft.
Prof. Dr. A. Hartmann führt aus, daß, je mehr das Sprachverständnis
gemindert sei, um so mehr werde die geistige Entwickelung beeinträchtigt.
Die hochgradig schwerhörigen Schulkinder blieben meist viele Jahre lang in
den untersten Klassen sitzen oder sie würden in den Hilfs- oder Nebenklassen
mit den Schwachsinnigen zusammen unterrichtet und in diesen auch als schwach-
rinnig betrachtet. In Berlin seien einer Klasse für Schwerhörige von 12 schwer¬
hörigen Kindern 4 als schwach befähigt übergeben worden; nachdem diese aber
536
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
als Schwerhörige unterrichtet seien, hätten sie sich als geistig ganz normal
erwiesen. Nach zahlreichen statistischen Erhebungen sei etwa der vierte Teil
der Schulkinder in schwächerem oder stärkerem Grade schwerhörig und bei
4—5 Prozent der Kinder das Hörvermögen so geschwächt (Hörweite für
Flüstersprache 2 m und weniger), daß ihr Fortkommen in der Schule erschwert
sei, so daß sie besondere Berücksichtigung erfordern. Die Krankheitsprozesse,
welche der Schwerhörigkeit zugrunde liegen, seien hauptsächlich (etwa 50Proz.)
die auf Nasen- und Rachenkrankheiten beruhenden Affektionen der Eustachisches
Röhre, sodann die Eiterungsprozesse und ihre Ueberbleibsel. Etwa 1 Prozent
der Kinder habe eiternde Ohren und ebensoviele Durchlöcherung des Trommel¬
felles nach abgelaufener Eiterung. — Bei der Aushebung zum Militärdieast
habe in Preußen die Zahl der wegen Ohrenleiden nur zum Landsturm Taug¬
lichen oder dauernd zum Militärdienst Untauglichen im Jahre 1903 40ö7
= 1,07 Proz. der Militärpflichtigen betragen.
Als Maßregeln, die bezüglich der Schwerhörigen in der Schule zu treffen
seien, empfiehlt Hartmann:
1. Die mit Schwerhörigkeit behafteten Kinder sind durch die Hörprüfung •
sämtlicher Kinder festzustellen.
2. Es ist darauf hinzuwirken, daß die Schwerhörigen von einem sach¬
verständigen Arzte untersucht werden und daß, wenn dies erforderlich, eise
Behandlung des der Schwerhörigkeit zugrundeliegenden Ohrenleidens stattfindet
3. Anweisung des Sitzplatzes in der Nähe der Stelle, von der ans der
Lehrer zu unterrichten pflegt.
4. Das besser hörende Ohr soll dem Lehrer zugewendet sein.
5. Das schwerhörige Kind muß in verstärktem Maße kontrolliert werden,
ob es das Yorgetragene verstanden hat.
6. Fehler, welche auf das Nichthören zurückzuführen sind, heim Diktat ...
oder heim mündlichen Rechnen dürfen dem Schwerhörigen nicht angerechnet
werden.
7. Es soll dem Schwerhörigen ein geweckter, intelligenter Mitschüler
beigegeben werden, der ihm Nichtverstandenes erklärt.
8. Die Mitschüler und die Eltern müssen darauf hingewiesen werden,
mit dem Schwerhörigen möglichst viel sprachlich zu verkehren, und denselben
veranlassen, sich möglichst viel an der Unterhaltung zu beteiligen.
9. Ist das Mitkommen in der Schule erschwert, so müssen Nachhilie-
stunden gegeben werden.
10. Bei höheren Graden von Schwerhörigkeit, wenn Flüstersprache nu ••
auf eine Entfernung von */* m und weniger vernommen wird, muss Einzelnster- -
rieht gegeben werden, oder es müssen besondere Klassen für Schwerhörige gt- -
bildet werden, in welchen 10 bis höchstens 15 Kinder zusammen unterrichtet
werden. (In Berlin bestehen gegenwärtig 6 Klassen für Schwerhörige. In
einem Schulkreise mit 23000 Kindern wurden 3 Klassen mit 30 Kindern ge- -
bildet; jede Klasse ist in zwei Abteilungen geteilt.)
11. Kann den hochgradig schwerhörigen Kindern kein Einzelunterricht :
oder kein Unterricht in Klassen für Schwerhörige erteilt werden, so müssen sie
in die Taubstummenschule gebracht werden. Am besten eignen sich hier» v-
solche Anstalten, an welchen nach dem Vorgänge von München den Höf-
Testen beim Unterricht besondere Beachtung geschenkt wird.
Der Korreferent, Prof. Dr. Passow, äußerte sich dahin, daß der Hör*
untericht sich infolge der günstigen Erfolge immer mehr
Anhänger erwerbe. Die bisherigen Erfahrungen hätten jedoch ergeben,
daß der Taubstummenunterricht überhaupt einer gründlichen Revision bedürft.
Die Totaltauben müßten unbedingt von denen getrennt werden, die noch Höf*
reste besitzen, und letztere in getrennten Anstalten unterrichtet werden. Dj*
Einrichtung solcher Anstalten lasse sich leicht dadurch ermöglichen, dsfi*«
statt neuer Taubstummenanstalten, die sowieso nötig seien, hergestellt würde».
Die Hauptschwierigkeit bilde die Auswahl der geeigneten Schüler; um darüber
bestimmte Vorschläge zu machen, müßten erst Erfahrungen gesammelt w erden
Durch die Abtrennung der Totaltauben werde sich auch die Gebärdensprache
der Taubstummen kontrollieren lassen, und eventuell eine Einheitsgebira**-
spräche geschaffen werden können; denn die Taubstummen greifen zu gern flü <t
Gebärdensprache zurück, und für viele Totaltaube erscheine sie vielleicht noch
Besprechungen.
587
fas emsig Richtige. Er wolle diese jedoch keineswegs an Stelle des Lautier-
nnterriehts setzen, sondern sie nnr, da sie sich mit Rücksicht auf die Total*
tauben nicht unterdrücken lasse, gewissermaßen offiziell anerkannt sehen.
Rpd.
Versuch des Entwurfes eines Planes zur Entwieklnng der Medizinal«
reforn» ln Prenssen. Von Med.-Rat Dr. Richter in Remscheid. Aerztl.
Sachverst.-Zeitung; 1905, Nr. 10.
Die öffentliche Gesundheitspflege und gerichtliche Medizin sind zu trennen.
Der Kreisarzt soll die erforderlichen Kenntnisse nachweisen in der öffentlichen
Gesundheitspflege, der Staatsarzneikunde, der Irrenheilkunde, der Unfall- und
Verw<nngäknnde; der Gerichtsarzt (am Sitz des Landgerichts) in der gericht¬
lichen Medizin, der Irrenheilkunde, der Unfallkunde.
Kreisarzt und Gerichtsarzt sollen ein Gehalt, von 3 zu 8 Jahren um je
500 Mk. steigend, von 3000—5000 Mk. beziehen; Mietsentschädigung ist zu
gewähren. Die Dienstaufwandentschädigung für Kreisärzte begreift in sich die
Besichtigung von Drogenhandlungen, Schulen, Ortschaften usw.; die Reise¬
kosten für ansteckende Krankheiten werden besonders liquidiert, da eine Ab¬
lösung nicht durchführbar sein wird; die Gebühren verbleiben den Kreisärzten.
Die Ausübung der Praxis ist verboten; die Pension wird nach den sonst für
Staatsbeamte gültigen Grundsätzen geregelt und zwar aus dem Gehalt und der
in Augenblick der Versetzung in den Ruhestand gezahlten Mietsentschädigung.
Referent ist auch der Ansicht, daß die Kreisärzte in absehbarer Zeit Voll«
Beamte werden müssen. Man scheint dies mit Hilfe der sozialen Gesetze durch¬
führen zu wollen; denn als diese vor einigen Monaten im Landtage zur Beratung
Müden, äußerte der Herr Minister Graf v. Posadowski-Webner, er habe
den Gedanken, ob es nicht rationell sei, in jedem Kreise eine neue Behörde zu
errichten, die sich aus dem Kreisärzte, dem Gewerbebeamten und einem Ver¬
waltungsbeamten zusammensetze. Ihnen gemeinsam sei die Handhabung der
sozialen Gesetze zu übertragen. Dr. Troegcr -Adelnau.
Besprechungen.
Profi Dr. C. Hauwerek: Sektionsteohnik für Studierende und
Aerste. Vierte vermehrte Auflage. Mit 69 teilweise seitigen Abbildungen.
Gr. 8°, 264 8. Verlag von Gustav Fische r in Jena. Preis: brosch. 5 Mk.,
geh. 6 Mk.
N. hält entgegen den zutage tretenden Bestrebungen der deutschen pa¬
thologischen Gesellschaft an der Sektionstechnik V i r c h o w s fest, da es seiner
Ansicht nach für die gründliche pathologisch - anatomische Ausbildung der Stu¬
dierenden zunächst weit förderlicher ist, „die Organe einzeln in die Hand zu
nehmen und nach Herzenslust untersqphen zu können, als der nnhandlichcn
Masse zusammenhängender Organe gegenüberzustehen“. Letzteres resultiert
ans der Zenker sehen Technik, die auf die Erhaltung des organischen Zu¬
sammenhanges das Schwergewicht legt. N. behandelt im ersten Abschnitt die
,Sektionstechnik“, im zweiten „die Angabe des Sektionsbefundes“; hier wie
dort wird der Klarlegung der Verhältnisse an Ort nnd Stello sowie der An¬
passung der Technik an die Sonderbedürfnisse des Einzclfallcs vollauf Rechnung
«tragen. Die vorliegende vierte Auflage ist noch durch eine kurze Darstellung
der Befunde bei Vergiftungen und durch eine Anzahl neuer Abbildungen, die
durchweg sehr instruktiv sind, vervollständigt. Im Anhang sind die staatlichen
Vorschriften für Gerichtsärzte wiedergegeben in ihrer Buntschcckigkeit der
für Preußen, Sachsen, Württemberg, Baden und Sachsen-Weimar-Eisenach
verschieden lautenden Obduktionsregulative. Das neue preußische Regulativ
vom 4. Januar konnte dabei leider nicht mehr berücksichtigt werden; gleich¬
wohl wird auch die neue Auflage den preußischen Gerichsärzten und
Medizinalbeamten ein sehr brauchbarer Führer bei den Sektionen sein können.
Dr. Roepke-Meisungen.
Br. sei W. Mettmann, Arzt in Neaenbarg: Ueber den sogenannten
Weiohselsopf. Leipzig 1904. Verlag von Benno K o n e g e n. Kl. 8 °, 69 S.
Nachdem der Autor, die in der Literatur niedergelegtcn Theorien über
538
Besprechungen.
den Ursprung der Plic&kr&nkheit, einer kritischen Besprechung unterzogen
hat, werden die Anschauungen der Plikaschriftsteller über das Wesen der
Wichtelkrankheit und im Anschluß hieran die ärztichen Ansichten mitgeteilt,
und zwar zuerst die der Anhänger der Plicalehre, sodann die derjenigen Aerzte,
welche die Eigenschaft als selbständige Krankheit in Abrede stellen. Verfasser
geht dann auf das Symptomenbild des Wichtelzopfes über und schließt mit
therapeutischen Bemerkungen, die dieselben sein müssen wie bei anderen Neu¬
rosen. _ Dr. Boepke-Melsungen.
Dr. Alexander Gorwltsoh, Privatdozent der Anatomie in Bern: Mor¬
phologie und Biologie der Zelle. Mit 23 Abbildungen im Text.
Gr. 8°, 487 S. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Preis: 9 M., geh. 10 M.
G.s Werk schildert in einer auch bei bescheidenen biologischen Kennt¬
nissen verständlichen Weise die Zelle als solche und ihr Eigenleben. Die
Darstellung des Zelllebens zerfällt in die' Schilderung seiner biologischen
Elemente — I. „Statik und Dynamik der Zelle“; II. „Stoffliche Tätigkeit der
Zelle“; III. „Fortpflanzung der Zelle“ — und in die Betrachtung der „Zelle
als Organismus und Individuum“. Zahlreiche und instruktive Abbildungen
erläutern den Text, dem Literaturenverzeichnis, Sach- und Autorenregister
angefügt sind. _ Dr. B o e p k e - Melsungen.
Prof. Dr. Sommer- Gießen: Kriminalpsychologie und strafrechtliche
Psychopathologie auf naturwissenschaftlicher Grundlage. Leip¬
zig 1904. Verlag von Johann Ambrosius Barth.
Die Bichtung des vorliegenden Buches ist in erster Linie eine diagno¬
stische. Es stellt einen Versuch dar, auf Grundlage der einfachen Erfahrung««
an psychiatrischen Fällen die in den angeführten Gutachten enthaltenen straf¬
rechtlichen Analysen aufzubauen und so gewissermaßen eine kriminalpsycho¬
logische Klinik zu schaffen. Aus dem psychiatrischen Gebiet sind nur diejenigen
Punkte genauer behandelt, die für die Kriminalpsychologie grundlegende Be¬
deutung haben, speziell die Anfälle von Geistesstörung, der angeborene Schwach¬
sinn und diejenigen erworbenen Schwächezustände, die deutlich ihren endogenen
Charakter erkennen lassen.
Besonderer Wert ist auf die sehr ausführlich gehaltenen Gutachten
gelegt, die ausnahmlos von juristischer Seite anerkannt sind. Anstatt der sonst
gebräuchlichen scharfen Einteilung in Befund und daran geknüpftes Urteil hat
Verf. bei den einzelnen Beobachtungen und Untersuchungen gleich ihre Be¬
deutung und Wichtigkeita useinandergesetzt; Beobachtungsmatcrial und Schloß
sind dagegen stets getrennt. Das Verständnis wird durch diese Methode
besonders für den Laien wesentlich erhöht. In den Gutachten über Schwach¬
sinnige ist über die gestellte strafrechtliche Frage hinaus die praktische Auf¬
gabe der Fürsorge erörtert. Ferner sind den Gutachten die erreichbaren Fest¬
stellungen über das spätere Leben der*Untersuchten und die sich daraus er¬
gebende Kritik beigefügt. Als Beispiele sind stets solche Fälle gewählt,
welche der Diagnose größere Schwierigkeiten entgegenstellten, so daß sich Ge¬
legenheit zur eingehenden Besprechung aller einschlägigen Fragen ergibt.
Abgesehen von einer eingehenden Besprechung der bestehenden gesetz¬
lichen Vorschriften macht Verfasser noch eine Beihe von Vorschlägen, die
nach jeder Bichtung hin größte Beachtung verdienen. So befürwortet er eine
gerichtliche Einweisung der Alkoholisten und Morphinisten in staatliche An¬
stalten. Ferner betont er zu der Frage der Unterbringung krimineller Geistes¬
kranker, daß den Personen, die während des Strafvollzuges geistig erkranken,
die Zeit der psychiatrischen Behandlung, auch wenn sie außerhalb der Straf¬
anstalt geschieht, angerechnet werden sollte.
In dem Abschnitte Uber sexuelle Perversitäten spricht Verf. sich dahin
aus, daß das Leiden der Homosexuellen lediglich durch eine Gesetzgebung
entsteht, welche die Aenßerungen des angeborenen Triebes verbietet und diese
Abart des Menschengeschlechtes ächtet. Nur durch Aufhebung der Straf¬
bestimmung mit Einschränkung nach Analogie der Gesetzgebung über allo¬
sexuelle Handlungen kann man den anthropologischen Tatsachen gerecht werden.
Weiterschlägt er vor, den Begriff der geistigen Schwäche, nicht die ver¬
minderte Zurechnungsfähigkeit in das Strafgesetzbuch emzuführen. Außerdem
| Tagesnachrichten. 539
l
müßte das Gericht veranlaßt werden, im einzelnen Falle in dem Urteil aus-
zusprechen, was zur Vermeidung gemeinschädlicher Handlangen hei den einzelnen
Personen mit geminderter Zurechnungsfähigkeit geschehen soll.
Für die Erziehungs- oder Besserungsanstalten wünscht Verf. eine mehr
psychiatrische Leitung, da viele Kinder in das Mittelgebiet der psychopathischen
Minderwertigkeit gehören.
Bezüglich der angeborenen Verbrecher wird die Ansicht vertreten, daß
I es eine relativ kleine Gruppe von Menschen gibt, bei denen sich Krankheits-
! prozesse oder pathologische Zustände bekannter Art nicht nachweisen lassen,
während sie einen Hang zu verbrecherischen Handlungen besitzen. Diese endo¬
genen Verbrechernaturen dürfen nicht als Geisteskranke bezeichnet werden, sie
gehören in Detentionsanstalten.
» Nach Besprechung der Psychologie des Strafvollzuges sowie der Arten
i and Typen der Verbrecher, wendet sich Verfasser zu der weiteren Entwicklung
der Kriminalpsychologie. Er wünscht eine Durchdringung des ganzen Straf¬
prozesses mit psychologischer Methode, bespricht die Formen falscher An¬
schuldigung, Selbstanzeigen, polizeiliche Mißgriffe, Zeugenaussagen und die
Tätigkeit des Untersuchungsrichters. Um Fehlurteile zu vermeiden, hält er
eine gesetztlich vorgeschriebene Nachprüfung aller Urteile, welche längere
| Freiheitsstrafen erkennen, durch die Jastizaufsichtsbehörde mit genauer Unter-
i suchung der gesamten geistigen Beschaffenheit des Täters unter Berücksichti¬
ge seines Vorlebens für das beste Mittel.
Zum Schluß wird ein Schema zur Untersuchung rechtbrechender Per-
] sonen entworfen.
Der Verf. hat sich mit diesem Werke, dem dio weiteste Verbreitung zu
wünschen ist, ein großes Verdienst erworben. Es ist ungemein klar und in¬
teressant geschrieben, enthält eine Menge wichtiger Einzelheiten und beachtens¬
werter Vorschläge, die auf reicher Erfahrung und genauer Beobachtung ba¬
sieren. Diese Eigenschaften werden es sowohl für den Arzt, als für den Juristen
bald zu einem unentbehrlichem Hülfsmittel auf diesem schwierigen Gebiete
machen. _ Dr. Schütte -Osnabrück.
Tagesnachrichten.
An der Universität Breslau ist jetzt der Bau eines gerichtsärztlichen
lastituts ernstlich ins Atige gefaßt; dio dazu erforderlichen Verhandlungen
sind bereits eingeleitet. Das bei der Universität Königsberg i. Pr. neu
eingerichtete gerichtsärztliche Institut ist jetzt fertig gestellt und eröffnet.
Laut Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums
des Innern vom 31. Juli 1905 sind Gesuche um Zulassung zu der im
Jahre 1905/06 stattfindenden Prüfung für den ärztlichen Staatsdienst nnter
Vorlage der Originale des Approbationszeugnisses und des Doktordiploms der
medizinischen Fakultät einer Universität des Deutschen Beichcs bei Vermeidung
des Ausschlusses von der Prüfung spätestens bis zum 30. September d. J.
bei der für den Gesuchsteller zuständigen Königlichen Kreisregierung, K. d. L,
einzareichen. _
Im Großherzogtam Hessen ist unter dem 19. Juni d. J. eine neue
Dienstanweisung für Hebammen erlassen.
TodesfaU. Bei dem am 7. d. M. erfolgten schweren Eisenbahn*
Unglück in der Nähe von Spremberg ist auch ein langjähriges Mitglied des
Preußischen und Deutschen Medizinalbeamtenvereins, der praktische Arzt
Br. Neetzke-Landshnt mit seiner Frau und einem 6jährigen Knaben ums
Leben gekommen. _
Ueber den in dieser Zeitschrift s. Z. angekündigten psychiatrischen
Portbildnngskursus in Uchtspringe wird uns von einem Teilnehmer, San.-
Äat Dr. Hülsmann in Tangerhütte folgendes berichtet: An dem Kursus
haben 25 Aerzte in den verschiedensten Altersstnfen und Lebensstellungen
teilgenommen; etwa die Hälfte davon hatte in dem Anstaltshotel Wohnung
genommen. Letzteren war Gelegenheit geboten, morgens an den Visiten
540
Tagesnachrichtea
sich za beteiligen, sowie die eingehendere Beobachtang and Begutachtung ein¬
zelner Fälle za übernehmen. Aach war für sie ein theoretisch - praktischer
Kars über Stoffwechsel -Untersuchungen bei Geisteskranken and Epileptikern
vom Oberarzt Dr. Hoppe im reich ausgestatteten Anstalts - Laboratorium ver¬
anstaltet. Jeden Abend von 6—8 Uhr hielt Herr Direktor Alt Vorträge, in
denen er das Gesamtgebiet der Psychiatrie vorzugsweise nach der praktischen
und forensischen Seite behandelte, reich illusteiert aus dem großen Anstalts¬
material. Seine lichtvolle und geistsprühende Darstellungsweise, die Auswahl
und die Art der Demonstration der Krankheitsfälle aller Kategorien gewährte
den Besuchern nicht nur einen wissenschaftlichen, sondern zugleich auch künst¬
lerischen Genuß. Sämtliche Teilnehmer waren von der ihnen so zuteil gewordenen
Förderung, von dem angenehmen kollegialen Verkehr untereinander und mit
den Anstaltsärzten, sowie auch von der vorzüglichen Verpflegung sehr be¬
friedigt, wie dies bei dem Abschiedsessen allseitig zum Ausdruck kam.
Der 7. Kongress des Deutschen Vereins für Volks- und Jagendspiele
findet vom 15. bis 18. September in Frankfurt a. M. statt. Anf der Tages¬
ordnung stehen folgende Vorträge: 1. „Ueber die Beziehungen zwischen Schale
and Heer“: Generalarzt a. D. Dr. Meis ne r-Berlin; 2. „Ueber die Erziehung
zar Selbständigkeit“: Prof. Dr. Koch- Braunschweig und Studiendirektor Prof.
Ray dt-Leipzig; 8. „ Ueber die frühere und die jetzige Schwimmmethode in
Frankfurt a.M.“ : Turninspektor W. Weidenbusch-Frankfurt a. M.; 4. .Ueber
die körperlichen Anlagen, ihre Entwickelung und Ausbildung“: Prof. Dr.
Finkler-Bonn, Direktor des hygienischen Instituts der Universität; ö.
„Ueber den Plan eines allgemeinen obligatorischen Spielnachmittags“: Abg.
von Schenckendorff-Görlitz. Für die Nachmittage beider Vortragstage
sind verschiedene Spielvorführungen, mit Rudern, Schwimmen usw. vorgesehen.
Vom 16. bis 1 9. Oktober d. J. findet in Paris der II. internationale
Milchkongress des „Milchwirtschaftlichen Weltbundes“ statt. Der erste
wurde vor 2 Jahren in Brüssel abgehalten; seine Verhandlungen wäre»
wichtig und bedeutungsvoll. Man hofft, für die dritte Tagung im Jahre 1907
Berlin vorschlagen zu können, doch wird statutengemäß nur dasjenige Land,
welches jetzt die meisten Interessen dokumentiert, gewählt werden dürfen.
Die Herren Kollegen werden auf diese wichtige Versammlung auch deshalb
aufmerksam gemacht, um auf dem Kongreß etwaige Referate zu erstatten.
Diese werden möglichst bald schriftlich vom Sekretär des Kongresses, Herrn
Prof. M. J. Troude, Paris 18, Boulevard Barbes 61, erbeten, welcher auck
Anmeldungen entgegennimmt. Der Beitrag kostet 10 Francs, wofür innerhalb
Frankreichs Reiseermäßignngcn u. a. Erleichterungen gewährt werden. Die
6 Abteilungen des Kongresses befassen sich mit der gesamten Milchhygiene
(Milcherzeugung, Behandlung und Verarbeitung der Milch, Milchwirtscbaftliche
Gesundheitspflege, Milchwissenschaft, Gesetzgebung, Milchhandel). Nähere Am-
kunft, Drucksachen usw. sind bei Herrn Oekonomierat C. Boysen, Hamburg 6,
Kampstraße 46, erhältlich.
Der von dem ungarischen Minister des Innern ausgesetzte Gesamt-
Preis von 2000 Kronen für das beste Werk oder die beste Abhandlung über
die Pathologie und Therapie der Körnerkrankheit wird nach den Vorschlägen
der aus den Prof. DrDr. Schmidt-Rimpler (Halle a. d. S.), Heß (Würt-
burg), Emil v. Groß (Budapest) bestehenden Kommission nicht zur Verteilung
gelangen. Betreffs der Thcrapieder Körnerkrankheit haben sich die Preisrichter
jedoch einstimmig dahin ausgesprochen, daß die Arbeiten von Herrn Geheimen
Med.-Rat Prof. Dr. K u h n t in Königsberg in Preußen die besten sind und es
gerechtfertigt ist, diesem den Preis von 1000 Kronen zuzuerkennen. Die zweite
Hiilfte des Preises (für pathologische Krankheit) konnte dagegen keiner Arbeit
zuerkannt werden.
Ikruckfehlerberichtigung. Auf S. 108 des offiziellen Berichts
über die XXII. Hauptversammlung des Preußischen Medizinal beamten-
Vereins muß cs auf Zeile 10 und 19 von oben statt Cleve, „Clerc “ heißen.
Verantwort!. Redakteur: Dr. Rapmund, Reg.- u. Geh. Med.-Rat in Minden i W.
J. C. C. Bruns, Herzog!. Säcbs. o. F. Scb.-L. Uofbucbdrnckerel in Minden.
18. Jahrg.
Zeitschrift
1905.
für
MEDIZINALBEAMTE.
Zentralblatt für gerichtliche Medizin und Psychiatrie,
fir intliche SachTerstandigentatigkeit in Unfall- nnd Inraliditatssaehen, sowie
: fir lygiene, offentL Sanitatswesen, Medizinal-Gesetzgebung nnd Rechtsprechung
I Herausgegeben
TOB
Dp. OTTO RAPMÜND,
Begtaronfi- and Gab. Medizinalrat ln Minden.
i
• i
Verlag von Fischers mediz. Buchhandlg, H. Kornfeld,
HersogL Bayer. Hof- u. EnherxogL Kammer-Bnchlitodler.
Berlin W. 35, Lützowstr. 10.
Inserat« nehmen die Verlagshandlung sowie alle Annoncen-Expeditionen des In-
nnd Auslandes entgegen.
Nr. 17.
Rreeheint am 1. and 15. Jedem Biomate
1. Septbr.
Oer Unterleibstyphus in Detmold im Sommerund Herbst 1904.
Nach dem vorhandenen amtlichen Material dargestellt
v«n Med.-Bat Dr. Yolkhausen, Kreisphysikus in Detmold
I. Oertliche Verhältnisse.
Detmold, die Residenz des Fürstentums Lippe, hat nach der
letzten Volkszählung vom Dezember 1900 eine Einwohnerzahl
Ton 11898 Seelen, und zwar 5831 männliche und 6137 weibliche
Personen, die sich auf 1271 Häuser und 2620 Haushaltungen ver¬
teilen. Es kommen also im Durchschnitt auf ein Haus 9,4, auf
jede Haushaltung reichlich 4 Personen und auf jedes Haus etwa
2 Haushaltungen. Ende 1904 wird es reichlich 13000 Einwohner
nnd eine Häuserzahl von 1300 gehabt haben, so dass auf jedes
Hans 10 Einwohner entfallen.
Die Stadt liegt zwischen den Ausläufern des Teutoburger
Waldes in dem nach Nord-West offenen Werretale in sehr ge¬
schützter Lage. 1 ) Sie ist Residenz des Grafregenten, Sitz der
obersten Verwaltungsbehörden (eines Landgerichts, zweier Amts¬
gerichte, des Oberverwaltungsgerichts, des Kreisverwaltungs¬
gerichts), Garnison des Stahes und des 3. Bataillons des 55. Regi¬
ments, für das eine neue grosse Kaserne nebst Zubehör am Nord-
vest&usgange der Stadt gebaut ist. Sie besitzt ferner ein mit
Realgymnasium verbundenes Gymnasium, Landesseminar, Landes¬
bankenhaus, Landesstrafanstalt, ist wenig Fabrikstadt — es sind
nur drei oder vier Fabriken, mehrere Sägewerke und zwei Bier-
') Siehe Harte A auf Seite 548.
542
Dr. Volkhausen.
brauereien da —, wird hauptsächlich von Beamten, Rentnern und
pensionierten Beamten nnd Offizieren bewohnt. Als Ausgangs¬
punkt für Touren in den Teutoburger Wald wird Detmold stark
von Reisenden besucht, da es sowohl von Altenbeken und Hameln,
als auch von Herford und Bielefeld leicht mit der Eisenbahn er¬
reicht werden kann.
Detmold hat, selbst in der Altstadt, breite, mit Kopfpflaster
und beiderseitigen Gehbahnen versehene Strassen — einige aller¬
dings noch mit Beschotterung —, während die verschiedenen neuen
Stadtteile sämtlich villenartig angelegt sind. Durchzogen wird die
Altstadt von den alten Feuerkanälen unter den Gehbahnen, die
bei der Neustadt von dem sogenannten Kanal gespeist werden
und in die Werre münden. In diese Kanäle, die grösstenteils
verstopft sind, fliessen Regenwasser, Spülwasser, oft auch wohl
Fäkalien hinein, teilweise fliessen diese auch direkt in die gleich zu
beschreibenden Flussläufe. Solange die jetzt im Bau begriffene
Kanalisation mit Zwangsanschluss nicht fertig ist, werden die
Fäkalien meistens in zementierten Gruben gesammelt und in städti¬
schen Wagen abgefahren, oder aber mit dem Viehdünger gemein¬
sam verwahrt und verwandt. Die Stadt besitzt ferner eine Gas¬
anstalt und einen Schlachthof, dessen geklärte Abwässer unterhalb
Detmolds in die Werre münden. Für Reinlichkeit auf den Strassen
sorgen zwei Sprengwagen und eine Reinigungsmaschine.
Die Stadt wird von der Werre und einem linksseitigen Neben¬
flüsse derselben, der Berlebecke, berührt bezw. durchflossen. Die
Werre, ein linksseitiger Nebenfluss der Weser, entspringt ungefähr
12 km oberhalb Detmold bei dem Dorfe Wehren, fliesst dann durch
die Dörfer Meinberg (Fürstliches Bad), Wilberg, — wo sie die teil¬
weise durchgeführte Kanalisation von Meinberg aufhimmt — Schme¬
dissen, Schönemark, Kemminghausen, Spork nach Detmold, dessen
östlichen Teil sie durchfliesst, wobei sie allerhand Abwässer der
Stadt aufnimmt. Vor ihrem Einflüsse in Detmold ist sie zu Bade¬
zwecken teichartig angestaut. In Detmold nimmt sie den Abfluss
des Burggrabens und unterhalb der Stadt den sogenannten
Knochenbach, den alten Lauf der Berlebecke auf. Die Werre hat
wenig Wasser; Fabriken sind in ihrem Tale bis Detmold nicht.
Die oberhalb Detmolds auf dem rechten Werreufer liegende Bier¬
brauerei Falkenkrug hat seit einigen Jahren für ihre Abwässer
hinreichend Rieselfelder zur Verfügung. Die Berlebecke, ein
linker Nebenfluss der Werre, entspringt im Teutoburger Walde
in der allen Touristen wohlbekannten Berlebecker Quelle, fliesst
durch das Dorf Berlebecke, wo sie zum Mühlenbetriebe nutzbar
gemacht wird und die Abwässer einer Papiermühle aufnimmt,
über Heiligenkirchen, wo sich ihr rechts die von Horn kommende
Wienbecke zugesellt, nach Detmold. Kurz oberhalb Detmolds ist
sie bei der sogenannten Obernmühle hoch gestaut. Der grösste
Teil des Wassers fliesst von hier als Kanal durch die Allee an
der Neustadt vorbei, wobei der Inhalt mancher Rohre und Kanäle
aufgenommen wird, sodann um den westlichen Teil der Detmolder
544
Dr. Volkhausen.
Altstalt zum Burggraben, der das Fürstliche Schloss von drei Seiten
umgibt, und von dort zur Werre. Das rechte Bett der Berlebecke
heisst von der Obernmühle ab Enochenbach. Dieser enthält zur
Sommerzeit stellenweise mitunter kein Wasser, wenn nicht vom
Stau nachgespült wird, fliesst durch die Gärten der nordwestlichen
Villenstadt und mündet unterhalb Detmolds in die Werre. So weit
dieser Bach in der Stadt fliesst, ist er grösstenteils auf beiden
Seiten gemauert. Aus diesen Mauern lugen allerlei heimliche und
unheimliche Rohre hervor, die ihren Inhalt in sein Bett entleeren,
so dass es stellenweise sehr verschmutzt ist. Auch zwei Bier¬
brauereien, Neuer Krug und Aktienbierbrauerei, entleeren ihren
Inhalt in diesen Wasserlauf.
Die Wasserversorgung der Stadt geschieht durch eine
Hochquellenleitung vom Teutoburger Walde, ein hochherziges Ge¬
schenk des verstorbenen Grafregenten Emst zur Lippe-Biesterfeld.
Da diese Wasserleitung in unserer Epidemie eine grosse Rolle zu
spielen berufen ist, so dürfte es angezeigt sein, sie etwas genauer
zu schildern:
In geologischer Hinsicht setzt sich der Tentohnrger Wald im wesent¬
lichen ans drei, in der Eichtang SO. nach NW. streichenden Höhenzügen zu¬
sammen, die durch Längstäler voneinander getrennt und durch ihren verschieden¬
artigen geologischen Aufbau charakterisiert sind. Der nördlichste dieser
Höhenzüge besteht aus Schichten der Muschelkalkformation — Hiddesser Berg,
Königsberg —, der mittlere baut sich aus den Sandsteinen der unteren Kreide¬
formation (Neokom) und Flammmergel (Gault) an — Grotenburg, Stemberg —,
der südlichste und ausgedehnteste gehört der oberen Kreide, dem Pläner an
(Winfeld, Gauseköte). — Die Berlebecker Quellen liegen im Gebiete des Pläners
und entspringen in einem Quertale, das Muschelkalk und Neokomsandstein im
Dorfe Berlebeck durchbricht und in der Bichtang Wiggengründe—Gauseköte in
das Plänergebiet eindringt. Als das Entwässerungsgebiet, dem die Quellen ihre
Entstehung vordanken 1 ), kommt in erster Linie der amphithcatralische Talkessel
in Betracht, der sich vom Winfeldo nach den Quellen hinabzieht, wahrschein¬
lich aber auch noch ein Teil des Winfeldes und seiner Umgebung. Die sämt¬
lichen Gcbirgsschichten, diehier zutage treten, gehören der unteren und mitt¬
leren Abteilung der oberen Kreide (Cenoman und Turon) an und bestehen aus
einem brüchigen, vielfach zerklüfteten und wegen seiner großen Durch¬
lässigkeit für Wasser seit lange bekannten Kalksteine. In diesen Plänerkalken
sickern die atmosphärischen Niederschläge, ohne sich an bestimmte Schichten
zu binden, bis zu großer Tiefe ein; erst wenn sie auf eine undurchlässige
Schicht stoßen, werden sie auf dieser zutage geführt. So erklärt es sich, daß
Quellen am ganzen Südabhange des Teutoburger Waldes so gut wie ganz
fehlen und erst in einiger Entfernung vom Fuße des Waldes in einer durch¬
schnittlichen Meereshöhe von ca. 160 m zahlreich und in großer Ergiebigkeit
auftreten (Emsquellen). Bäche, die in das Gebiet des Pläners eintreten, ver¬
lieren ihr Wasser mehr und mehr und versiegen unter Umständen gänzlich,
z. B. die Strote bei Kohlstädt (am Südwestabhange des Teutoburger Waldes)
und der Schnakenbach, der am Tönsberg bei Oerlinghausen (am Nordostab-
hange des Teutoburger Waldes, etwa in der Mitte zwischen der Grotenburg
und Bielefeld) entspringt und verschwindet, sobald er den Pläner erreicht.
Mit dieser Durchlässigkeit des Gesteins muß auch bei den Berlebecker QueUen,
die ihre Wasserzufuhr allein dem Pläner verdanken, gerechnet werden. Die
Quellmündung steht im Cenomanpläner — das charakteristische Leitfossil,
Ammonit es varians, kam in Menge zutage, als s. Z. der Stollen vorgetrieben
wurde, in dem die städtische Wasserleitung ihren Ursprung nimmt. Unter
dem Cenomanpläner aber liegen die Cenomanmergel, die in der Nähe etwas
weiter talabwärts beim Bau der elektrischen Bahn aufgeschlossen sind. Diese
*) Siehe die Karte A auf Seite 543.
Der Unterleibstyphus in Detmold im Sommer und Herbst 1904. 646
Mergel sind viel weniger durchlässig, als die zerklüfteten Kalke; sie bilden
die Grundlage, auf der an zahlreichen Stellen auf der Nordseite des Teuto¬
burger Waldes — so auch bei Berlebeck — Quellen auftreten.
Ueber die Plänerschichten legt sich am Nordfuße des Teutoburger Waldes
eine Plugsandschicht von verschiedener Mächtigkeit, die sich bis in die un¬
mittelbare Umgebung der Berlcbecker Quellen verfolgen läßt. Dieser Flugsand
ist nach Abschluß der Diluvialzeit durch die herrschenden Südwestwinde in
den Tälern, die sich von der Senne zum Kamme des Gebirges hinaufziehen,
aufwärtsgetrieben und diesseits des Kammes im Druckschatten des Windes
niedergefallen. Wo dieser Sand die Plänerkalke in genügend dichter Schicht
bedeckt, bildet er eine natürliche Filtervorrichtung, wo er aber fehlt, da dringt
das Wasser unfiltriert in den Plänerkalk ein. Nun ist nicht zu bezweifeln
und in zahlreichen Fällen experimentell festgestellt, daß sich unter der fort¬
dauernden Einwirkung des Wassers im Plänerkalke zahlreiche, weit verzweigte
und untereinander kommunizierende Spaltensysteme gebildet haben, so daß die
unterirdischen Wasserläufe, auch wenn sie getrennt zutage treten, doch in
mannigfacher Verbindung unter einander stehen. — Der Untergrund von Det¬
mold selbst ist lehmhaltiger Kies und Schottere; über dem Schotter liegt
eine etwa */* m dicke Sandschicht
Wie schon erwähnt, erhält die Stadt Detmold den Bedarf an Trink- und
Gebrauchswasser aus dem Berlebecker Quellgebiet 1 )* Von den drei
vorhandenen Quellen wurde die am tiefsten gelegene gewählt. Als Wasserfassung
wurde ein Stollen in den Kalkstein getrieben, dessen Sohle etwa 2 m tiefer
liegt, als der frühere Austritt der Quelle, so daß diese versiegte, als die wasser¬
führenden Spalten angeschlagen wurden. Der Stollen ist ca. 60 m lang,
seine hintere Hälfte liefert kein Wasser. Der Querschnitt ist in nebenstehender
Skizze angegeben. Das Wasser sammelt sich in dem mit Sandsteinplatten ab¬
gedeckten unteren Teil des Stollens, von wo es in dem 250 mm weiten Schlitz¬
rohr zur Quellkammer gelangt. Der Stollen ist aus Ziegelsteinen mit Zement¬
mörtel hergestellt und innen mit Zement verputzt. An seinem hinteren
Ende befindet sich ein besteigbarer Luftschacht, der ca. 3 m über Terrain
geführt und gegen Unfug durch eine geeignete Abdeckung vollkommen ge¬
schützt ist.
Die Quellkammer ist schematisch in nachfolgender Skizze C.*) ange¬
geben: Das Wasser gelangt zunächst in die Vorkammer A und läuft von da
über die Mauer B in die Hauptkammer; durch die mit einem Siebkopf und Schieber
versehene Rohrmündung D gelangt das Wasser dann durch eine 250 mm starke
und ca. 6,6 km lange eiserne Gußrohrleitung zum Hochbehälter. Das von der
Stadt nicht gebrauchte Wasser läuft durch den Ueberlauf E in die Berlebecke.
Der Auslauf befindet sich in der Nähe der Endstation der elektrischen Straßen-
b ahn ; er ist durch ein Sieb geschützt. Durch dieselbe Leitung können die Quell-
kammern mittelst des Schiebers F entleert werden. Im vorigen Sommer wurde
etwa ein Drittel der Wasserlieferung in Detmold gebraucht, während etwa
zwei Drittel durch den Ueberlauf in die Berlebecke gelangten. Es braucht
daher eine andere Quelle (die sogenannte Hirschsprungquelle) '), die sich oberhalb
hart an dem Wege Berlebeck — Kreuzkrug — Lippspringe befindet und eben¬
falls im Besitze der Stadt ist, auf absehbare Zeit noch nicht in Betrieb ge¬
nommen zu werden. Der Hochbehälter befindet sich westlich der Stadt
auf dem Hiddesser Berge 8 ). Er besteht aus zwei in Beton hergestellten und
immer wasserdicht geputzten Kammern von je 500 cbm Inhalt. Jede Kammer
hat einen Zulauf aus der 250 mm Leitung von Berlebeck. Sind beide Kammern
voll, so schließen zwei selbsttätige Schwimmventile die Zubringerleitung, das
Wasser staut sich in der Leitung und die Quellen laufen in Berlebeck über.
Jede Kammer kann für sich behufs Reinigung ausgeschaltet und entleert werden.
Vom Hochbehälter gelangt das Wasser in einem 250 mm weiten eisernen Gußrohr
zur Stadt. Der Druck in der Stadt schwankt nach der Höhenlage zwischen 6,6
und 2 Atmosphären. Auf der Strecke von Berlebeck bis zum Hochbehälter
wird kein Wasser abgegeben.
i) Siehe Karte B auf Seite 646.
*) Siehe Skizze C auf S. 547.
•) Siehe Karte A auf Seite 643.
Berlebecher (hielten nebst Umgebung.
Dr. Volkbausen.
Der Unterleibstyphus in Detmold im Sommer and Herbst 1904. 647
vce/CZ (rrundrys
I Stofon I!
ScJliitxrohr
l Em g an g
rBertebeckes.
Entleerung
'Üeberlauf
xunv Hochbehälter
Vf
0,3£f
Längsschnitt der üuettkamma
Stollens
vBdag
Sieb.
\Ej$bettg u*£ .
'/SchlUerohr.
Wübadte.
H. TBrlcammer. D. Rohrleitung xarrvEochbehcdter.
JO- ITbeHaafhiauer E. l/berlcutf
C. Hcuifutkammer. JEEntteerungsrohr. G..Einlauf>des Schütz rohres
aus dem' Stollen* in die.'
Gu e tU cajmrtec.
r
bs-,_
. 3*1
\<N^
d,SO?tü.
548
Dr. Volkhausen.
Die vor Anlage der Leitung von Korpsapotheker Herrn Pohl in Mfinster
L W. vorgenommene Untersuchung des Wassers hatte folgendes Er¬
gebnis. Physikalischer Befand:
Farbe: klar. Geschmack: fehlt.
Geruch: fehlt. Beaktion: neutral.
Chemischer Befund (im Liter):
Chlor: 10,65 mg. Ammoniak: fehlt.
Schwefelsäure: äußerst geringe Spuren. Eisen: fehlt.
Salpetersäure: fehlt, Phosphorsäure: fehlt.
Salpetrige Säure: fehlt. Schwefelwasserstoff: fehlt.
Organische Substanz: Verbrauch an Kali permang.: 3,38 mg.
Gesamthärte: 9°, bleibende Härte: 1,5°.
Die am Platze angelegten Plattenkulturen ergaben: Platte I: keine
Kolonien im Kubikzentimeter, Platte II: 1 Kolonie, Platte III: 3 Kolonien,
Platte IV: keine Kolonien.
Das Wasser enthielt 0,01025 °/ 0 Kalk (auf Calciumoxyd berechnet) und
Magnesium in kaum nachweisbaren Spuren.
Das Wasser ist also an sich als ein nach jeder
Hinsicht hin vorzügliches za betrachten.
Die Sterbeziffer Detmolds berechnet sich einschliesslich
der Totgeborenen für das Jahr 1901 auf 11,1 # / 00 , 1902 auf 11,5 °/ 00 ,
1903 auf 14,1 °/ 00 der Bevölkerung, bleibt also weit unter den
Durchschnitt (1903: 19,9 °/ 00 in Preussen).
Was die Infektionskrankheiten betrifft, die in den
letzten Jahren in Detmold geherrscht haben, so verteilen sich
diese auf die einzelnen Jahre folgendermassen:
1880
Typhus
35
Diphtherie Scharlach
1892
Typhus Diphtherie Scharlach
3 3 2
1881
31
—
—
1893
2
39
—
1882
10
—
—
1894
8
58
—
1883
7
—
—
1895
4
52
8
1884
31
—
3
1896
1
75
20
1885
15
—
—
1897
13
23
1
1886
8
12
31
1898
20
27
13
1887
4
9
35
1899
2
20
22
1888
2
43
2
1900
—
17
7
1889
6
26
7
1901
12
1
11
1890
11
26
20
1902
—
14
29
1891
—
16
14
1903
—
23
97
Das Jahr 1904 hat 16 Scharlach- und 12 Diphtheriefälle
und, abgesehen von der grossen Typhusepidemie im Herbst, einige
vereinzelte Typhusfälle im Frühjahr gebracht.
Die Infektionskrankheiten der ebenfalls zu meinem Physikats-
bezirke gehörenden benachbarten Stadt Horn (Einwohnerzahl 2063)
stellten sich für den Zeitraum von 1895—1904 folgendermassen:
Typhus Diphtherie Scharlach
1895 1 8 1
1896 18 —
1897 2 5-
1898 1 13 3
1399 1 6 4
Typhus Diphtherie Scharlach
1900 3 2 4
1901 8 2 —
1902 4 4 45
1903 3 4 4
1904 7 6 —
Im ländlichen Physikatsbezirke kamen an Infektionskrank¬
heiten von 1900 an vor:
Typhus Diphtherie Scharlach Typhus Diphtherie Scharlach
1900 1 — — 1903 7 50 82
1901 21 41 6 1904 64 18 8
1902 1 25 33
Der Unterleibstyphus in Detmold im Sommer and Herbst 1904. 649
Die 64 Typhusfälle im Jahre 1904 kommen grösstenteils auf
Rechnung der Detmolder Epidemie.
IL Entstehungsursache der Epidemie.
Wie wir sehen, liess sich das Jahr 1904 für Detmold, was
ansteckende Krankheiten betrifft, recht gut an. Da brach Ende
August das Unglück mit elementarer Gewalt über die Stadt herein:
Am 23. August war als Vorläuferin eine 15jährige Tochter
als typhuskrank angemeldet. Ueber diesen Fall schrieb ich s. Z.:
„Die Entstehungsursache des Typhus kann zurzeit nicht ermittelt werden.
Es ist im Hause Wasserleitung, die Milch wird aus Hornoldendorf in ge¬
schlossenen Gefäßen bezogen und vor dem Genuß */« Stunde gekocht. Die
Kranke selbst hat wenig mit anderen Kindern verkehrt (zurzeit besteht kein
Typhus bei den Schülerinnen), hat keinen Besuch gehabt und ist selbst nicht
verreist gewesen. Von seiten der Eltern und des behandelnden Arztes wird
die Badeanstalt ins Auge gefaßt, da die Kranke viel gebadet hat. Doch liegt
nach meiner Meinung hierzu keine Veranlassung vor, wenn sich der Typhus
unter den Badenden nicht noch ausbreiten sollte."
Es sollte aber ganz anders kommen. Die Aerzte waren schon
vor dem 29. August einige Tage in Unruhe gewesen über eine
verdächtige Erkrankung, die sich zahlreich in der Stadt zeigte,
und der man nach ein paar Tagen Beobachtung den Charakter
als Typhus nicht absprechen konnte. Vom 29. August an folgten
nun die Meldungen Schlag auf Schlag. Die Krankheit zeigte sich
in allen Teilen der Stadt, überfiel alle Berufsklassen, jedes Ge*
schlecht und jedes Alter — wenn auch selbstredend mit Unter¬
schied. Ihre Gesamtzahl betrug unter der Zivilbevölkerung 740,
davon entfielen nicht weniger als 563 (177, 148, 141 und 94) =
76 %, also über s / 4 der Gesamtzahl auf die ersten 4 Wochen; ein
derartig massenhaftes und explosionsartiges Auftreten, wie man es
erfahrungsgemäss vorzugsweise bei durch Infektion von Wasser¬
leitungen verursachten Typhusepidemien findet.
Das explosionsartige Entstehen der Seuche an verschiedenen
Enden und Teilen der Stadt, und das rasche Anschwellen der Er¬
krankungsziffer Hessen von vornherein die Annahme mehrerer Herde,
von denen sich manchmal die Weiterentwickelung einer Seuche all-
mähUch verfolgen lässt, nicht zu. Man konnte nur an ein Agens
denken, das sämtlichen Bewohnern Detmolds zugleich mehr oder
weniger zugänglich war, also an Milch, Butter, Gemüse, Fleisch,
Badeanstalt und Wasserleitung. Die Stadt bezieht aus der ganzen
Umgegend ihre Milch und Butter. Es verkehren in ihr tägUch
ca. 15—20 Milchführwerke. Nun war freiUch ein paar Kilometer
oberhalb Detmolds ein Knabe zu der fraglichen Zeit an einer ver¬
dächtigen Krankheit — mehrtägiges Fieber, Kopfweh und Ver¬
stopfung — erkrankt gewesen, dessen Mutter den Falkenkrüger
Milchwagen fuhr, desgleichen war die Frau des Fahrers der Det¬
molder Molkerei sicher an Typhus zu der in Frage kommenden
Zeit erkrankt, — von einem auswärtigen Biochemiker behandelt
und nicht angemeldet — so dass man hätte hier die Quelle wohl
suchen können, wenn dies die einzigen MilchHeferanten gewesen
wären. Da aber die Erkrankten sich ziemUch gleichmässig auf
550
Dr. Volkhausen.
alle Milchproduzenten verteilten, so schieden Milch nnd Bntter ans
dem Verdachte ans. Viele Erkrankte brauchten anch eigene
Ziegenmilch.
Gemüse wird nur zum kleinen Teil von den Einwohnern
selbst gezogen. Das meiste wird anf dem dreimal wöchentlich
stattfindenden Wochenmarkte gekauft und stammt aus näherer und
weiterer Umgebung Detmolds (bis 20 km). Auf diesem Wochen¬
markte wird auch etwas Fleisch von auswärts verkauft, das übrige
— der weitaus grösste Teil — muss das städtische Schlachthaus
passieren. Gesetzt den Fall, hier wäre die Quelle der Ansteckung
gewesen, so hätte doch nur das beim Abspiilen des Fleisches und
Reinigen des Gemüses gebrauchte Wasser in Frage kommen können;
Gemüse und Fleisch scheiden daher ebenfalls aus.
Von seiten des Garnisonlazaretts wurde die hinter dem Exer¬
zierhause gelegene Badeanstalt beschuldigt, weil die Erkrankung
zuerst beim Militär konstatiert war, die Soldaten sämtlich gebadet
hatten und im Werretale oberhalb Detmolds, allerdings 5 km ent¬
fernt, zu der fraglichen Zeit bei einer Frau eine allerdings ärztlich
nicht beobachtete verdächtige Erkrankung vorgekommen war, der
man die Infektion wohl hätte zur Last legen können. Aber bei der
Tatsache, dass der weitaus grösste Teil der Erkrankten — Kinder
und Dienstmädchen — nicht gebadet hatte und dass die Wasser¬
untersuchung in Göttingen negativ ausgefallen war, konnte man
an diesem Verdachte nicht mehr festhalten, wenn der letztere Um¬
stand auch nur wenig beweisend war. Dazu kam dann noch die
Erwägung, dass Typhusbazillen auf dem 5 km langen Wege im
Werrewasser unter der Einwirkung des Sonnenlichtes sicherlich
nicht mehr lebens- und ansteckungsfähig bis zur Badeanstalt ge¬
langt wären, zumal das Gefälle sehr gering ist.
Es blieb also nur der Stolz der Stadt, die schöne Quell¬
wasserleitung übrig. Schon am 29. August schrieb der Ver¬
fasser an die Fürstliche Regierung:
„Dem Gesetze gemäß teile ich hierdurch mit, daß hier in Detmold der
Typhus in erschreckender Weise haust, und zwar tritt derselbe nicht etwa in
einem Bezirke, sondern in der ganzen Stadt zerstreut auf. . . . Ich habe sofort
beim Magistrat beantragt, 5—6 Proben aus der Wasserleitung und aus der
Badeanstalt zu entnehmen und an das hygienische Institut in Göttingen zwecks
Feststellung des Keimgehaltes und event. Typhusbazillen zu schicken.“
Es wurden nun Proben aus der Badeanstalt, aus verschiedenen
Zapfhähnen der Stadt, aus Brunnen, aus dem Hochbehälter und aus
dem Quellenstollen entnommen. Die Untersuchung ergab ein sehr
günstiges Resultat, indem weder Typhusbakterien, noch andere
Eirankheitskeime, noch gewöhnliche Darmbakterien gefunden wurden.
Die Keimzahl im Leitungswasser war sehr gering: 22—88 p. ccm,
selbst im Wasser der Badeanstalt blieb dieselbe unter 900. Die
zwei Tage später aus dem Hochbehälter und dem Quellenstollen
entnommenen Proben enthielten eine grössere Ziffer — bis 800.
Doch wurde von Göttingen darauf hingewiesen, dass diese erhöhte
Zahl vielleicht ihre Ursache in der ungenügenden Eisverpackung
der Wasserproben ihren Grund hätte. Selbstredend beruhigte uns
diese Auskunft nicht, wenn auch Herr Prof. Emme rieh-München,
Der Unterleibstyphus in Detmold im Sommer und Herbst 1904. 661
der sofort von Gelsenkirchen nach hier geeilt war (8. Sept.), das
Wasser ansschliessen zu können glaubte. Derselbe schob die
Schuld auf die kolossale Dörre, das Sinken des Grundwassers,
den stark durchseuchten Untergrund Detmolds und auf die Erd¬
arbeiten, die zu der Zeit vielfach bei der Kanalisation in Angriff
genommen waren. Sodann wies er auf die Uebertragung durch
Insekten hin. Und es sprach auch manches für diese Ansicht:
Es war seit Monaten sozusagen kein Tropfen Regen gefallen, das
Grundwasser stark gesunken; ausserdem wurde an vielen Stellen
der Stadt gebuddelt; infolge hiervon und infolge der Dürre lag
viel Staub in den Strassen. Die Dienstmädchen mussten
täglich fegen, Kinder spielten viel im Staube, Soldaten machten
Marschübungen; dazu kam noch, dass am 18. August ein unheim¬
licher Sturm getobt und den Staub bis in das Innerste der Häuser
geweht hatte. Auch ist der Staub als Träger und Verbreiter der
Bazillen wohl nicht ganz von der Hand zu weisen. Die Tatsache der
zahlreichen Erkrankungen von Dienstmädchen, Köchinnen, Kindern
liess sich aber besser durch das Wasser erklären — erstere
hantieren viel mit Wasser, letztere gemessen erfahrungsgemäss
viel Wasser —. Weiterhin deutete das Verschontbleiben der
Fürstlichen Häuser, die eine eigene Wasserleitung haben, und das
geringe Befallen des Stadtteils Rödlinghausen, der nicht an die
städtische Leitung angeschlossen ist, doch immer wieder mit
zwingender Notwendigkeit auf die Wasserleitung hin. Es wurde
daher bereitwillig auf jeden geäusserten Verdacht eingegangen,
auch schon der Beruhigung der Einwohner wegen. Es war geradezu
unglaublich, von wieviel unberufenen und berufenen Seiten Mittel
und Wege entdeckt wurden, von denen eine Durchseuchung der
Wasserleitung zustande gekommen sei. In erster Linie wurden
die Rohrbrüche ins Auge gefasst. Dass nur ein Bruch im Haupt¬
rohr bezichtigt werden konnte, lag auf der Hand, und zwar so
nahe wie möglich nach dem Hochbehälter hin. Am 16. August
war in der Hornschen Strasse ein solcher gewesen; die ersten
Fälle hätten jedoch dann in dieser Strasse sein müssen. Dazu kam
noch, dass oberhalb in der Allee Fälle aufgetreten waren; also
konnte das Einlegen eines Rohres in der Hornschen Strasse nicht
schuld sein. Anbohrungen der Rohrleitung können überhaupt nicht
in Betracht kommen, da solche stets unter Druck vorgenommen
werden. Vielfach wurde ferner auf die Hydranten hingewiesen, aus
denen beim Oeflnen schmutziges, bezw. rötliches Wasser flösse. Dass
sich im Strassenpflaster oberhalb der Hydranten Schmutz sammelt
und sich in den toten Enden Eisenoxyd ansetzt, kümmerte nie¬
manden; erst eine amtliche Bekanntmachung, welche die Ansicht
des Herrn Geh. Rat Koch wiedergab, brachte diese Anklage zum
Verstummen. Von anderen wurde wiederum behauptet, dass Mitte
August das Wasser einen Tag schlecht geschmeckt habe, und dass
von diesem Tag die Infektion herrühre. Der schlechte Geschmack
war Tatsache; er rührte aber von einem Teeranstriche im Hochbe¬
hälter her. Selbst wenn man zugeben konnte, dass der Handwerker
Ansteckungsstoff in den Hochbehälter getragen hatte, so war dies
552
Dr. Volkhausen.
doch ganz irrelevant, da der Anstrich schon im Jnli gemacht
worden war.
Sodann wurde darüber geklagt, dass der Hochbehälter nicht
genügend verwahrt, sondern einer direkten Verschmntznng von
aussen zagängig sei. Die an der Südseite des Hochbehälters be¬
findliche eiserne Doppeltür hat allerdings anf beiden Seiten in
ihrem oberen Teile ein engmaschiges Drahtgitter, durch das
Kinder ganz kleine Sternchen und dergl. vielleicht einmal werfen
können, aber diese in das Wasser zu werfen, ist unmöglich, da
sich zwischen Tür und Wasser noch ein breiter Vorraum befindet.
Ebenso ist es unmöglich, dass durch die mit Kappe und Gitter
versehenen Dunstrohre etwas hineingeworfen werden kann, zumal
diese Bohre ebenfalls in den erwähnten Vorraum münden. Von
mir selbst wurde auf die Tatsache hingewiesen, dass die Arbeiter
den Hochbehälter zwecks Reinigens mit ihren schmutzigen Stiefeln
und Geräten beträten, und dass doch trotz stundenlangem Nach-
spülens vielleicht etwas haften bleiben könne. Die Reinigung,
bei der etwa */, cbm reiner Sand entfernt wird, findet aber nur
zweimal im Jahre, im April und Oktober, statt; sie konnte also
für die Epidemie auch nicht in Betracht kommen.
Da nun zwischen Hochbehälter und Stollen im Gebirge kein
Rohrbruch oder Anbohrung vorgekommen war, so konnte man nur
an Verunreinigung des Stollens selbst denken. Mehrfach wurde des¬
halb dieser, sowie die Gegend um denselben von ärztlichen und
technischen Sachverständigen untersucht, besonders vom Herrn
Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Koch und Herrn Reg.-Rat Prof. Dr. Beck,
die, vom Reichsgesundheitsamte auf Bitten der Fürstl. Regierung
geschickt, am 25. September hier ankamen. Vom Generalkommando
Münster war schon vorher Herr Oberarzt Dr. Nötel als Bakterio¬
loge nach Detmold geschickt. Oberhalb des Stollens liegen weder
Häuser, noch Aecker, von denen ausgehend eine Infektion hätte
stattfinden können. Es lenkte sich daher in erster Linie, oder
eigentlich überhaupt nur der Verdacht auf die Sommerfrische
Johannaberg, die aus einem im Schweizerstyl erbauten Haupt¬
gebäude und zwei Nebengebäuden, eines oberhalb und eines unter¬
halb des Hauptgebäudes, besteht. Der ganze Gebäudekomplex
liegt talabwärts und links seitlich der Quellen, aber hoch über
ihnen und in einer Entfernung von einigen hundert Metern.
Zwischen dem Johannaberger Hügel und dem Stollen liegt eine
Sandgrube, die eine Sandschicht bis zu 10 m Höhe zeigt. 1 )
Der Sand wird vielfach zu Bauzwecken abgefahren. Aus dem
oberen Nebengebäude gelangen die Fäkalien mit starkem Gefälle
in Zementrohren hinter das Hauptgebäude, vereinigen sich
hier mit den Fäkalien und Spülwässern des letzteren, um dann
mit recht starkem Gefälle in eine grosse, zementierte, mit eisernem
Deckel versehene Grube zu münden, welche unten hart neben der
Strasse Berlebeck — Schlangen am Endpunkte der elektrischen
Bahn liegt. Diese Grube, die etwa 300 Schritt unterhalb der
*) Siehe Karte B aal Seite 546.
Der Unterleibstyphus in Detmold im Sommer and Herbst 1904. 553
Quellenfassung sieb befindet, liegt etwas höher, als letztere. Von
Mer ans wird die Masse unter Chaussee und Berlebecke hindurch
in eine Grube hoch auf einer Anhöhe am’ rechten Ufer gepumpt,
um zu Berieselungen verwandt zu werden. Da diese Grube an der
Strasse aber nach drei Seiten frei lag und unmöglich einen Druck
bis Mnauf zum Stollen ausüben konnte, so kam sie weniger in Frage,
als eine zweite, Mnter dem Hauptgebäude befindliche zementierte,
angeblich nur zur Aufnahme von Regenwasser dienende und mit
einem Ueberlauf nach dem Fäkalienkanal versehene Grube, weil
erfahrungsgemäss Zementgruben im Laufe der Zeit sämtlich un¬
dicht werden. Bemerkt sei noch, dass die Wasserversorgung von
Johannaberg aus dem Ueberlauf des Quellenstollens kurz oberhalb
der Stelle gescMeht, wo sich das Wasser wieder in die Berlebecke
ergiesst. Es wird von Mer in einen hoch oben gelegenen Wasser¬
turm gepumpt.
Ausser Quelle, Stollen, Johannaberg, Rieselfeld besahen sich
die vorgenannten Hygieniker auch die Erdfälle und die obere
Wildsuhle. Die Erdfälle befinden sich in der SandscMcht, die das
Tal ausfüllt, aus dem die Quellen zu kommen scheinen (s. Karte B).
Die grössten haben ungefähr 2 m Durchmesser und 1 m Tiefe;
sie liegen sämtlich in gleicher Richtung auf die Quellenfassung
zu. Solche Senkungen sind oft die einzigen Zeichen für den Ver¬
lauf einer Quelle (s. Stille: Die Paderquellen zu Paderborn).
Die obere Wildsuhle liegt hoch oben im selben Tale unterhalb
des Winfeldes; sie stellt einen breiten Tümpel dar, der ständig
Wasser Air das Wild enthält.
Herr Geh. Rat Koch ordnete Wasserentnahme von ver¬
schiedenen Stellen an, wünschte Einwurf von mehreren Zentnern
Salz sowoM in die Regengrube hinter dem Hauptgebäude von
Johannaberg, als auch in die Sammelgrube neben der Chaussee. Er
entnahm aus dem Hochbehälter auch Sand und etwas gefundenen
Schlamm. Nach Lage der Sache und Prüfung aller in Betracht kom¬
menden Verhältnisse erklärte er die Epidemie für eine typische
Wasserepidemie, wenn er auch zurzeit den Ort der Infektion nicht an¬
geben könne. Seinem Wunsche gemäss wurde sofort nach seiner
Abreise Kochsalz zentnerweise in die beiden Gruben geschüttet
und das Wasser des Stollens untersucht. Es wurde aber nicht
die geringste Schwankung, bezw. Zunahme des Chlorgehalts be¬
obachtet. — Ich will hier gleich erwähnen, dass später noch drei
verdeckte und versteckte Fäkaliengruben auf Johannaberg ge¬
funden wurden, die aber ebenfalls nicht zum Stollen ableiteten.
Die nördliche Grube leitete nach einer talabwärts gelegenen kleinen
Qaelle ab, was durch Kochsalzversuche festgestellt wurde. — Die
Untersuchung des mitgenommenen Sandes und ScMammes war gleich¬
falls negativ. Auch eine erneute, ebenfalls in Berlin vorgenommene
Untersuchung von Sand und Schlamm aus der Quellstube, bezw.
aus dem linken Hochbehälter hatte kein anderes Ergebnis. Es
fanden sich weder Typhusbazillen, noch Bakterien, die auf eine
Verunreinigung des Wassers durch Fäkalien hindeuten konnten.
Bald nach der Abreise der beiden Berliner Sachverständigen
564
Dr. Volkhausen.
wurde angezeigt, dass sich gerade neben dem Johannaberger
Sammelbassin unten neben der Chaussee im Wasserrohre eine
Krümmung befinde, dass also hier der Druck nicht mehr stark
sei, und daher vielleicht bei etwaigem Defekte eine saugende
Wirkung zustande kommen könnte. Die fragliche Stelle wurde
freigelegt und das Bohr, trotzdem keine Krümmung bestand, an¬
gebohrt. Es zeigte sich, dass im Bohr noch ein starker Druck
herrschte, und dass das Bohr absolut dicht war.
So waren also bis zu dieser Zeit alle Ermittelungen nach
der Ursache der Epidemien vergebens gewesen.
Am 19. Oktober erschien wiederum eine Kommission vom
Kaiserlichen Beichsgesundheitsamte, bestehend aus den Herren
Geh. Bat Dr. Ohlmü 11er, Prof. Dr. Beck und dem Chemiker
Dr. Heise, um bakteriologische und chemische Studien zu machen,
zu welchem Zwecke ihnen ein Saal in der zum Lazarett ein¬
gerichteten Gewerbeschule zur Verfügung gestellt wurde. Die
Herren besichtigten zunächst ebenfalls die schon geschilderten
Lokalitäten etc. Vor allen Dingen wurde das Hauptaugenmerk auf
die noch offene, nicht abgefangene sogenannte Berlebecker Quelle
— untere Wildsuhle — gerichtet, welche sich in geringer Entfernung
von der Qnellenstube befindet. Die Quelle war in ihrem oberen Teile
trocken — was sehr selten vorkommt — nur in ihrem mittleren
Teile sprudelte noch etwas Wasser — mit spärlichen Bläschen ver¬
mischt — hervor. Das Wasser ist hart an der Chaussee gestaut,
flieset durch einen sogenannten Mönch unter der Chaussee durch
und bildet mit dem Wasser der Hirschsprungquelle die Berlebecke.
Man kann ruhig sagen, dass der Wald vor lauter Bäumen
nicht gesehen worden war. Der Gedanke an einer Verbindung
beider Quellen war wohl verschiedentlich aufgetaucht, aber nie
genügend festgehalten. Dorch ein Planktonnetz wurde sowohl im
Hochbehälter, als auch in der Quellstube die Anwesenheit von
Gammarus aquatilis, eines kleinen Wasserkrebschens, festgestellt,
der auch in dem gestauten Wasser gefunden wurde. Am 24. Ok¬
tober wurden 50 kg Kochsalz mit dem nötigen Wasser in den
weiten, trockenen Quellmund der unteren Wildsuhle (Berlebecker
Quelle) geschüttet, und das Wasser des Stollens dann auf seinen
Chlorgehalt untersucht. Derselbe stellte sich wie folgt:
Uhr
9
9,15
9,30
9,45
10
10.15
10.30
10,46
11
11.15
11.30
11,45
12
Quelle I
Quelle II
Quelle III
Untere
Wildauhle
mg mg mg
mg
9,5
9,0
8,5
9,5
9,0
8,5
10,0
9,0
8,5
83,0
58,5
9,0
172,0
117,5
18,0
127,0
85,0
26,0
64,0
53,0
21,0
50,5
38,0
18,0
35,0
32,0
16,0
28,5
28,0
12,5
25,0
25,0
12,5
19,5
23,0
9,0
18,0
19,5
9,0
9,0
9,0
9,0
82.5
353,0
319,0
179,0
99,0
61,0
42.5
32,0
30,0
25,0
Der Unterleibstyphus in Detmold im Sommer and Herbst 1904. 566
Also nach ®/ 4 Standen erschien das Chlor im Stollen, und
zwar stärker in Qaelle I und II als in III. Dagegen konnte von
dem in der unteren Suhle aufgestautem Wasser keine Verbindung
mit dem Stollen festgestellt werden. Hiermit war also un¬
widerleglich eine Verbindung der Aussenwelt, wenn
man so sagen darf, mit der Quellstube erwiesen, wenn
es auch fraglich blieb, ob der Ansteckungsstoff auf diese Weise
in die Leitung gekommen war.
Man fing auch an, den Pläner mehr zu studieren. Haupt¬
sächlich gab hierzu die Veranlassung das schöne Gärtner sehe
Buch: „Die Quellen in Beziehung zum Grundwasser und zum
Typhus“, zumal in diesem Buche mehrere Typhusepidemien, die
sich jenseits des Teutoburger Waldes ebenfalls im Pläner abspielten,
geschildert werden.
Es wurde am 3. November ferner noch von Herrn Dr.
Auerbach und Apotheker Priester ein Versuch mit Bierhefe
gemacht, der ebenfalls vom trockenen Quellenmund aus ein positives
Resultat hatte.
Der November brachte starken Regen, besonders am 9. und 10.
An diesen letzteren Tagen fing die Quelle im oberen Teile der
unteren Wildsuhle wieder zu laufen an, zugleich trübte sich das
Wasser im Stollen — ein Ereignis, welches bis jetzt auch nach
dem stärksten Regen noch nie eingetreten war —; die Zahl der
Keime stieg auf ca. 800 gegen 8—10. Beide Erscheinungen
hielten aber nur zwei Tage an. Am 19. und 20. November wurden
aus der Quelle II des Stollens verdächtige Kulturen ge¬
züchtet, die nach allen ihren Erscheinungen von H.
Dr. Noetel für Typhusbazilllen angesprochen werden
mussten. Das Reichsgesundheitsamt bestätigte diesen Befund
mit dem Zusatze, dass dieselben stark virulent seien. Damit
war das letzte Glied in die Kette der Beweisführung
eingefügt.
Am 20. Dezember kam H. Reg.-Rat Prof. Dr. Beck noch
einmal wieder. Es wurde dann noch in nächster Nähe des Stollens
Salzlösung auf die entblösste Erde geschüttet. Auch hier konnte
sofort eine Verbindung mit dem Stollen nachgewiesen werden.
Salz in die Erdfälle gestreut gab — von den oberen Erd¬
fällen aus — ebenfalls ein positives Resultat in Quelle III des
Stollens.
Es hiesse doch nun wirklich den Tatsachen Ge¬
walt antun, oder mit sehenden Augen nicht sehen
wollen, wenn man an einer Infektion der Wasser¬
leitung zweifeln und leugnen wollte, dass das Leid
durch diese über unsere Stadt gebracht sei. Dafür
sprach auch das Auftreten der Seuche, das nicht allmählich ge¬
schah, sondern plötzlich mit 177 Erkrankungen in einer
Woche einsetzte, und zwar zugleich in den verschiedensten Teilen
der Stadt. Alle anderen Ursachen, die ausser dem Leituugswasser
dies hätten bewirken können, waren mit Sicherheit auszuschliessen.
Auch die Untersuchung der von H. Prof. Dr. Emmerich mit-
656
Dr. Volkhaosen.
genommenen Proben von Erde, Staub usw. ans verschiedenen
Teilen der Stadt ist sicher negativ ausgefallen; denn sonst h&tten
wir gewiss etwas davon gehört. Ebenso stellt sich das Ver¬
schontbleiben der Kanalarbeiter, das immer als Gegenbeweis
angeführt wurde, in Wirklichkeit etwas anders. Tatsache ist,
dass diese Lente Leitungswasser aus Hydranten und An¬
bohrungen eimerweise getrunken haben; als Tatsache darf man
aber auch wohl annehmen, dass viele dieser Berufsarbeiter
den Typhus schon überstanden haben. Trotzdem sind von den
ca. 130—140 Kanalarbeitern am 29. August einer, am 31. August
der zweite, am 1. Sept. der dritte, am 2. Sept. der vierte, am
12. Sept. der fünfte, und zwar in Neuwied, wohin er inzwischen
verzogen war. Ein sechster Kranker ist endlich in Neuwied noch
nachträglich (22. Sept.) als typhuskrank gemeldet; er hatte
ebenfalls in Detmold am Kanal gearbeitet und sich hier infiziert.
Von einem Verschontbleiben der Kanalarbeiter kann
also nicht die Rede sein. Dagegen wies die auffallende
Beteiligung der Kinder, Dienstmädchen, Köchinnen
usw.: alles Personen, welche viel mit Wasser hantieren, bezw.
Wasser trinken, auf das Wasser als Infektionsträger hin.
Nicht minder spricht für eine Entstehung der Epidemie durch
die Wasserleitung, dass alle diejenigen Häuser, die eine
eigene Leitung hatten, verschont geblieben sind: die herr¬
schaftlichen Häuser (Palais, Schloss, Marstall, Wohnung der
Fürstlichen Beamten, die Ministerwohnung und ein Privathaus in
der Neustadt). Das Palais und Schloss sind zwar auch an die
städtische Leitung angeschlossen, gebrauchen aber so gut wie
gar kein städtisches Wasser. In den herrschaftlichen Häusern,
einschliesslich Ministerwohnung, wohnten z. Z. 189 Personen; es
hätten davon also im Vergleich zu der Erkrankungsziffer der
übrigen Bevölkerung über 10 Personen erkranken müssen, während
tatsächlich, wie schon erwähnt, niemand erkrankt ist. Ausser den
herrschaftlichen Häusern sind auch die sonstigen nicht ange-
schlossenen Häuser auffällig von der Seuche verschont geblieben.
Diese Häuser liegen teils am Rohrnetz, teils bilden sie den
Stadtteil Rödlinghausen und Feldmark I. 1 ) Von gegnerischer
Seite wird allerdings die Ansicht vertreten, dass dieser Stadt¬
teil von der Berechnung ganz ausgeschlossen werden muss,
weil er von der übrigen Stadt durch einen ca. 600 m breiten
Eichenwald getrennt ist; m. E. müssen wir aber die Gemeinde
Detmold nehmen, wie sie ist, und lediglich fragen: „Hat das
Haus städtisches Wasser oder nicht P“ Zu der fraglichen Zeit
waren nun in Detmold 1375 Häuser, darunter 75 unbewohnte, also
rund 1300 bewohnte Häuser vorhanden. Nicht an die liegende
Leitung angeschlossen waren 180, darunter 79 die ausserhalb des
Leitungsrohres liegen; 1120 Häuser haben also Leitungswasser
(die Fürstlichen Häuser sind in diese Rechnung mit einbegriffen).
In wieviel Fällen hat nun in den nicht angeschlossenen
Häusern der Typhus geherrscht und zu welcher Zeit? Beweis-
‘) Siehe den Stadtplan am Schloß des Artikels.
Der Unterleibstyphus in Detmold im Sommer und Herbst 1904. 557
kräftig kann nur die erste Zeit sein; denn nachher gibt es der
Mittel nnd Wege viele, die Seuche durch Kontaktinfektionen usw.
zn verschleppen. Danach sind in der ersten Woche — wenn ich
unter Ausserachtlassung des einen Falles vom 23. August den
Beginn auf den 29. August lege — von 177 Personen 4 in Häusern
ohne Leitung erkrankt, in der zweiten Woche von 148: 3, in der
dritten von 141: 2 und in der vierten von 97: 7 *). Da unter diesen
jedenfalls schon auf anderem Wege infizierte Kranke sind, so können
nur die ersten drei Wochen in Betracht kommen, in denen von
466 Kranken nur 9 in nicht angeschlossenen Häusern wohnten,
während es nach dem sonstigen Verhältnis 74 sein müssten.
Scheidet man sogar die 79 Häuser aus, die nicht am Rohrnetz
liegen, so fallen in den ersten drei Wochen auf die übrigen 101
Häuser nur 5 Fälle, d. h. ein Fall auf das 20. Haus; dagegen
kommt bei den Leitungshäusern schon auf 2,4 Häuser ein Fall.
Ausserdem befinden sich unter den eben erwähnten 9 Fällen noch
verschiedene Schulkinder, die sicherlich bei den heissen Tagen
Leitungswasser getrunken haben, sowie Arbeiter, die in Detmold
gearbeitet hatten. Auch die Neustadt (9 Häuser) ist nicht ver¬
schont geblieben. Gleich zu Anfang der Epidemie ist aus Nr. 2
ein nach Hause geschicktes Dienstmädchen stark an Typhus er¬
krankt, ebenso ist aus Haus Nr. 9, das erst am 11. August an
die Leitung angeschlossen war, am 28. September ein Fall ge¬
meldet. In demselben Hause sind mit grösster Wahrscheinlichkeit
noch zwei leichte, latente Fälle, die jedoch als Kontaktfälle anzu¬
sehen sind, vorgekommen.
Sehr beweiskräftig ist ferner der Ausbruch der Krankheit im
hiesigen Gefangenhause (Zahl der Inhaftierten 76). Von sämt¬
lich befallenen sind zwei Drittel zu gleicher Zeit — 7 an einem
Tage — erkrankt — die anderen 3 am 6., 7. und 14. September.
Wie sollen sich diese den Typhus erworben haben, wenn nicht
durchs Wasser P Es werden freilich die Gefangenen oft ausserhalb
des Hauses mit Dreschen, Holzfahren usw. in Detmold beschäftigt;
von den Erkrankten ist aber laut Nachweis der Direktion kein
einziger in der Stadt gewesen. Sieben von den zehn haben ferner
noeh in Einzelhaft geschlafen. Späterhin ist noch ein Aufseher
erkrankt; derselbe hatte jedoch mehrfach m Typhusfamilien
verkehrt.
Aehnlich liegt die Sache beim Seminar, dessen Zöglinge
selbstredend ausgehen dürfen. Es erkrankten laut Mitteilung der
Direktion vom 28. Aug. bis 8. Sept. 10 Seminaristen: 1 am 28. Aug.,
6 am 1. Sept. und je 1 am 4., 7. und 8. Sept.; jedoch wird seitens
der Direktion noch bemerkt, dass diese drei letzten sich schon
mehrere Tage vorher unwohl gefühlt und sich nur so lange hin¬
geschleppt hätten, um die Prüfung mitmachen zu können. Also
erkrankten 10 Zöglinge innerhalb 8 Tagen und 6 davon an einem
Tage; 4 Erkrankte gehörten der ersten und 6 der zweiten Klasse
an und schliefen dementsprechend auf zwei verschiedenen Sälen.
Auch die bei den Mannschaften dcB zum Teil hier garni-
*) Siehe Abschnitt Statistisches S. 567.
568
Dr. Volkhausen.
sonierten 55. Infanterie-Regiments aafgetretenen ersten Er¬
krankungen sind sehr rasch hintereinander erfolgt: in 13 Tag»
36 Fälle.
Wenn jemand gegenüber diesen Beweismitteln noch zweifeln
wollte, so wird doch durch den Befand bei den Quellen jede Ein¬
rede hinfällig; von verschiedenen Stellen aus ist hier ein Zugang -
von aussen zu dem Stollen festgestellt. Ausser diesen Stellen würden
sich mit Leichtigkeit noch mehrere feststellen lassen; denn im .
Pläner sind die Spalten, die sich, nota bene, stets noch vermehren
können, unberechenbar. Auf der anderen Seite des Gebirges (in '
der Umgegend von Paderborn) sind solche Verbindungen bis auf ~
eine Entfernung von 12—15 km mittelst Fluoreszin festgestellt. 7
Wenn auch solche Entfernungen hier wohl auszuschliessen sind,
so kann doch von jeder Stelle des Tributärgebietes aus, besonders
wo der Sand fehlt, oder sehr dünn ist, eine Verbindung mit
dem Stollen vorhanden sein, gleichgültig, ob es die G&useköte, '
Wiggengrttnde, Winfeld usw. sind.
Es ist ferner nicht nur die Möglichkeit des Hineinlangei» -■
von Bazillen erwiesen, sondern die Bazillen selbst, und zwar tos ■
der giftigsten Sorte, sind einwandfrei von H. Dr. Noetel im
Quellwasser festgestellt. ::
Dazu kommt noch ein weiterer Umstand. Es war immer
als Gegenbeweis auf Johannaberg hingewiesen, indem man mit ;
vollem Bechte sagte: „Wenn der Typhus aus dem Leitungswasser
kommt, so hätten die Johannaberger Sommerfrischler, die doch
das Wasser aus erster Hand beziehen, zuerst krank werden müssen;
die drei Fälle, die im September in Hamburg bezw. Bremen nach
einem längeren vorhergegangenen Aufenthalt in Johannaberg be- .
obachtet sind, haben keine volle Beweiskraft, da die Befallenes
vielfach in Detmold verkehrt haben. Es ist nun nachträglich an
sämtliche August-Kurgäste von Johannaberg ein Fragebogen ge* 7
schickt, der zu folgendem Ergebnis geführt hat:
Ein Herr aas Bremen ist am 6. September abgereist and am 10. September
an Typhus erkrankt. — Zwei Hamburger Kinder sind am 14. Aagast abgereist
and am 23. bezw. 28. Aagast an Typhas erkrankt. — Ein Herr aas Rotterdam
ist am 18. Aagast abgereist, kurz nachher anwohl geworden and am 1. Sep¬
tember an Typhas erkrankt. — Aach ein Brader der beiden Hambarger Kinder
ist in Johannaberg 6 Tage an Fieber and Darchi&ll erkrankt gewesen, so daß
ein dort zafäilig anwesender Arzt schon yon „typhös“ gesprochen hat.
Selbst wenn man von dem zuletzt genannten Falle, sowie
von mehreren sonstigen aus Johannaberg gemeldeten Magen- und 4
Darmerkrankungen absieht, so steht doch das Auftreten von
4 Typhusfällen in Johannaberg fest; dass einer oder der andere *
von diesen Erkrankten einmal in Detmold gewesen ist, — einer
hat dort Privatstunde gehabt — tut m. E. nichts zur Sache, anders «
wäre es, wenn sie sich dort den ganzen Tag oder wenigstens 5
längere Zeit aufgehalten hätten, was aber nicht der Fall gewesen *
ist. Johannaberg ist also insofern glänzend gerechtfertigt, als es )
nicht der infizierende, sondern der mitinfizierte Teil gewesen ist
Sind wir Aerzte glücklicher Weise auch weit entfernt von '
dem „Jurare in verba magistri“, so müsste man sich in H
Der Unterleibstyphus in Detmold im Sommer and Herbst 1904. 559
diesem Falle doch allen Tatsachen verschliessen,
wenn man an einer Wasserepidemie nnd Infektion des
Leitungswassers zweifeln wollte.
Schwer oder gar nicht zn erklären ist nach meiner Meinung
dreierlei:
1 . Wo nnd wie sind das erste Mal die Bazillen in die Leitung
hineingekommen ?
2 . Wie geht es zn, dass die Einwohner von Berlebeck so
auffallend freigeblieben nnd dass
8 . im Dezember keine ernente Epidemie in Detmold uns-
gebrochen ist, obwohl hier virulente Typhnsbazillen im Stollen¬
wasser gefunden sind?
Als durch Hineingiessen des Salzes eine Verbindung des
offenen Quellmundes der unteren Wildsuhle mit dem Stollen fest¬
gestellt wurde, schien die Sache sehr einfach: dass nämlich von
hier aus eine Invasion des Stollens stattgefunden hat, zumal wenn
man bedenkt, dass diese Quelle im Sommer von Tausenden von
Touristen (Erwachsenen wie Schülern) besucht wird, dass man
vielfach leere Flaschen, Papier mit Nahrungsresten nnd dergl. in
derselben findet, und dass sich täglich in und an der Quelle
Dutzende von Dorfkindern umhertreiben, die sich durch Aus¬
schenken von Wasser einen kleinen Nebenverdienst verschaffen.
Der Versuch hat nur einen grossen Haken. Der Vorgang,
den er nachahmt, hat zur fraglichen Zeit nicht stattfinden können,
da es an Wasser fehlte. Der Quellmund war zur Zeit des Ver¬
suchs trocken, und zwar schon seit dem ganzen Augnst, während
welches eine Infektion stattfinden musste, wenn wir eine solche
mit der Epidemie überhaupt in kausalen Zusammenhang bringen
wollen.
Es war an Regen gefallen auf den Beobachtungsstationen
im Augnst:
in Hartröhren in Oesterholz am Donoper Teich
7. Aug.:
8,3 mm
6. Aug.:
3,8 mm
6. Aug.:
0,2 mm
12. „
3,0 „
7- „
8,3 ,
7.
n
6,5 „
16. „
4,5 „
12. *
1,5 „
8.
n
0,9 „
19. „
2,1 *
15. „
2,0 „
12.
i»
2,7 *
16. „
4,1 7!
13.
V
2,3 „
19. B
1,5 „
16.
n
4,1 „
19.
n
2,2 ff
Die gesamte Regenmenge betrug:
in Hartröhren in Oesterholz am Donoper Teich
im August: 1903 1904 1903 1904 1903 1904
118 mm 38,2 mm 121,3 mm 29,2 mm 117,6 mm 26,6 mm.
Also 1904 durchnittlich nur ungefähr den vierten Teil vom
vorigen Jahre. Die beiden nächsten Stationen Hartröhren und
Oesterholz sind 6 Ion von Berlebeck entfernt. Die in den frag¬
lichen Tagen niedergegangenen Regenmengen — am 7. August hat
es in Berlebeck geregnet — mögen wohl in wasserreichen Zeiten
zur Fortschleppung von Infektionskeimen genügen, bei der un¬
endlichen Dürre konnten sie aber unmöglich zum Quellmunde
flie8sen nnd von dort irgend etwas zum Stollen schwemmen, da
660
Br. Volkh&usen.
sie entweder verdunsteten oder von der trockenen Erde begierig
anfgesogen wurden, wie Sachverständige es mir versichert haben.
Wieviel Wasser dazu gehört, um einen Zufluss zur Quelle her-
zustellen, sieht man ja auch an dem Versuche selbst; denn es
bedurfte einer grossen Menge Eimer Wassers, um innerhalb drei¬
viertel Stunde den Chlorgehalt der Stollenquelle zu erhöhen. Dazu
kommt noch als erschwerend der Umstand, dass die zwei grösseren
aus der Umgebung zur Quelle führenden Rinnsale erst unterhalb
der fragliche Stelle münden. Auch von dem im unteren Teile der
Wildsuhle gestauten Wasser aus konnte eine Infektion nicht er¬
folgen, da von dort keine Verbindung mit der immer noch 2 l / # m
tiefer liegenden Stollenquelle bestand. Und je weiter von der
Wildsuhle ab, desto unmöglicher wird die Sache bei der unend¬
lichen Dürre. Am ehesten könnte man noch an eine Infektion in
nächster Nähe der Quelle denken. Doch lag hier überall eine
30—40 cm hohe Sandschicht.
Am plausibelsten ist noch die Annahme, dass die Infektions¬
keime direkt in den Stollen getragen worden sind. Eine am
16. August unten in Berlebeck vorgenommene Auswechselung eines
Schiebers, wobei Schmutz in die Leitung kommen konnte, kann
ebenfalls nicht in Betracht kommen, da Johannaberg mit seinen
4 oder 5 Typhusfällen oberhalb dieser Stelle liegt.
Wo und wie sind nun beim zweiten Male die Ba¬
zillen hineingelangtP Die trockene Quelle floss wieder und
konnte daher wohl etwas hinausschwimmen, aber nicht hinein.
Die Bazillen sind aber in Quelle II des Stollens, welche die zweit¬
meiste Verbindung mit der alten Quelle — unterer Wildsuhle —
hat, gefunden. Diese Tatsache lässt auch den Verdacht nicht
aufkommen, dass sie vielleicht direkt in den Stollen hineingelangt
seien. Am wahrscheinlichsten ist deshalb die Annahme, dass die
Bazillen bei den Arbeiten an der Wildsuhle durch eine zufällig
geöffnete Spalte die Quelle II erreicht haben. Dafür spricht auch
die zwei Tage lang anhaltende Trübung des Wassers. Wäre diese
allein auf Konto des Regens zu setzen, so wäre sie sicher schon
einmal vorher beobachtet. Dies ist aber niemals der Fall ge¬
wesen; sie ist auch nachher nicht wieder beobachtet, wie sich aus
den Beobachtungen des scharf kontrollierenden Rohrmeisters ergibt.
Dazu kommt noch, dass mehrere Arbeiter an der Quelle Rekon¬
valeszenten vom Typhus waren, und dass im Urin des einen, sowie
im Boden bei der Quelle Bazillen gefunden worden sind, und mehr¬
fach dort Fäces umherlagen.
Das zweite auffallende ist das Verschontbleiben der fast
1200 Einwohner zählenden Berlebecker Bevölkerung vom Typhus.
Es sind nämlich hier viele Einwohner auf das Flusswasser an¬
gewiesen, da wegen der geologischen Verhältnisse nicht überall
Brunnen angelegt werden können, bezw. bei anhaltender Dürre
austrocknen, wie im fraglichen Sommer. Ungefähr 15 Häuser
benutzen Flusswasser, wenn auch verschiedene Einwohner stolz
behaupten, sie hätten ihre eigene Quelle; diese besteht dann aus
einem Tümpel direkt neben dem Flusse. Ein anderer wieder be-
Der Unterleibstyphus in Detmold im Sommer und Herbst 1904. 561
zieht sein Wasser durch eine kleine Leitung von einem Mühlen-
graben, der ebenfalls von der Berlebecke gespeist wird. Vielfach
gemessen anch die Schulkinder das Wasser der Berlebecke, da
diese, nur durch den Weg getrennt, an der Schule vorbeifliesst,
and der Lehrer die Kinder nicht zu der in der Kftche befindlichen
Pampe lässt. Offiziell sollen die Schulkinder aus einem der Schule
gegenüber links in die Berlebecke mündenden Bache trinken; zu
diesem Zwecke müssen sie aber die erstere auf Steinen über¬
schreiten, deshalb trinken sie vielfach das Wasser der Berlebecke,
weil es einfacher und bequemer ist. Als ich das letzte Mal revi¬
dierte, war dieser kleine Bach, der vor seiner Einmündung ge¬
staut ist, trübe, da Zeug und Wäsche darin gespült war. Das
heisst doch den Teufel durch Beelzebub austreiben. Und trotz
alledem ist Berlebeck sozusagen typhusfrei geblieben! In Betracht
kommt nur ein Fall; denn ein Maurer, welcher am 29. August den
Typhus bekam, scheidet als beweisend aus, da er von morgens
früh bis abends in Detmold gearbeitet hatte. Dieser eine Typhus¬
fall betrifft ein kleines 7 jähriges Mädchen oben vom Hahnberge
in Berlebeck, das am 12. September als typhuskrank gemeldet
wurde. Es gab an, aus der Berlebecke getrunken zu haben; die
Angabe des Kindes bedeutet jedoch gar nichts, denn in ein solches
lässt sich jede Antwort hineinexaminieren. Sonst war trotz eifrigen
Forschens in den Schullisten — es war freilich vom 3.—24. Aug.
Schulurlaub —, beim Vorsteher und Führer der Amtskrankenkasse,
bei den in Berlebeck verkehrenden Aerzten vom Typhus, oder
einer diesem ähnlichen oder auch nur im entferntesten auf ihn
hindeutenden Krankheit nichts zu entdecken.
In dem l 1 /,—2 km unterhalb Berlebeck gelegenen, ebenfalls
von der Berlebecke durchflossenen Dorfe Heiligenkirchen ist am
7. September ein 12 jähriger Knabe an Typhus erkrankt. Dieser
besuchte aber das Gymnasium zu Detmold. An ein Zugrunde¬
gehen der Bazillen im Wasser ist auch nicht zu denken. Die in
Berlebeck in Frage kommende Strecke ist höchstens 1 km lang,
and ist das Gefälle des Flüsschens ein recht lebhaftes.
Wir stehen hier ebenso vor einem Rätsel, wie vor der Tatsache,
dass trotz des Befundes der virulenten Bazillen am 19. und 20. No¬
vember Detmold vollständig freigeblieben ist. Eine befriedigende
Erklärung hierfür hat mir bis jetzt noch keiner gegeben. Von einer
Immunität der Bevölkerung kann doch keine Rede sein, und dass
diese infolge des Verbots nur ungekochtes Wasser getrunken haben
soll, ist auch nicht anzunehmen, da sicherlich eine grosse Zahl
der Einwohner jenes Verbot nicht beachtet haben. So viel steht
jedoch fest, dass mit dem Nachweise der Bazillen und der
durch sie gesetzten Infektion noch lange nicht völlige Klarheit
geschaffen ist, sondern dass noch viele Fragen der Entscheidung
harren. Die biologischen Vorgänge in der Natur sind doch vielfach
anders, als im Brutschrank; es sprechen dabei noch Bedingungen
mit, die wir bisher nicht kennen. Wir wollen daher bescheiden
sagen: „Adhuc ignoramus.“ „Wir wissen es bis jetzt noch nicht.“
Was wir aber sicher wissen ist, dass Detmold durch seine Wasser-
562
Dr. Volkhausen.
leitung im Plaänerkalk stets in Gefahr schwebt, und dass ich recht
hatte, als ich am 11. Dezember v. J. an den hiesigen Magistrat
schrieb:
„Ich halte es für meine Pflicht, nach Rücksprache mit mehreren Kollegen
folgendes Torzutragen: Der Unterleibstyphus ist, nachdem er ca. drei Monate
hier gehaust, verschwunden. Der Verdacht, Träger des Giftes gewesen zu
sein, bleibt nach Ausschließung aller anderen Ursachen auf unserer Wasserleitung
haften, ein Verdacht, welcher durch eine entdeckte Verbindung der unteren
Wildsuhle mit der Quellcnstube noch bedeutend verstärkt worden ist. Zur Gewi߬
heit ist er aber geworden, seit es dem Herrn Dr. Noetel gelungen ist, nach
seiner Ansicht untrügliche Typhusbazillen nachzuweisen. Bei der bakteriologi¬
schen Vorbildung des genannten Herrn ist nach meiner Ansicht ein Irrtum
seinerseits ausgeschlossen. Und selbst wenn es ein Irrtum wäre, so bleibt
die große Möglichkeit der Infektion unserer Quelle bestehen. Daran ändert
auch die auf Anraten der hier erschienenen Reichsgesundheitskommission vor¬
genommene Abfassung der noch bestehenden alten Berlebecker Quelle gar
nichts. Was ist damit erreicht? Einer der schönsten Punkte unseres Waldes
ist vernichtet, und dadurch eine einzige Eingangspforte zur Wasserleitung ver¬
schlossen. Weiter aber auch gar nichts, denn es gibt deren mit großer Wahr¬
scheinlichkeit eine ganze Masse. Und diese sind wahrscheinlich nicht nur in
nächster Nähe der Quelle zu suchen . . . ., sondern in weiterer und weitester
Entfernung. Die Spalten im hiesigen Kalke, auf welche bei Anlage der Leitung
nicht genügend Rücksicht genommen zu sein scheint, sind ganz unberechenbar.
.Herr Prof. Werth, dessen geologischer Autorität wir alle uns gern
beugen können, erklärt: „In den Wiggengründen verschwände das Wasser.“
Weshalb soll denn von dort nicht ebenfalls ein Zufluß zur Quellenstube vor¬
handen sein? Weshalb nicht ferner von der Gauseköte, Poststraße, Winfeld,
Palkenburg, Hangstein usw. ? überhaupt nicht, so weit das Niederschlagsgebiet
der Quelle reicht, welches wir aber gar nicht einmal kennen und auch nie
kennen lernen werden. Wir können doch unmöglich den ganzen Wald ab¬
fassen, oder hermetisch dem Betreten seitens der Menschen verschließen? Es
soll mir ferner keiner mit dem Einwande kommen, eine Infektion von so ent¬
legenen Orten sei doch eigentlich undenkbar. Im Gegenteil, erst recht denkbar,
überall da, wo der Sand fehlt. Nach den neuesten Untersuchungen, besonders
des Herrn Prof. Beck tragen Typhusrekonvaleszenten viele Monate, selbst bis
zu einem Jahre im Kot und Urin noch lebens- und ansteckungsfähige Bazillen.
Es braucht also nur ein Tourist, der vor einem halben Jahre den Typhus ge¬
habt, seine Notdurft irgendwo im Walde verrichten, so kann jeder Platzregen,
an dem es bei uns ja nicht fehlt, die Bazillen in irgend einer Kalkspalte bis
zur Quellenstube hinabschwemmen, und wir haben die Bescherung wieder.
Mein Vorschlag geht dahin:
1. Die Quellen endlich in Ruhe zu lassen. Wir wissen ja, daß Ver¬
bindungen mit der Außenwelt da sind, und daß Bazillen nicht nur hinein¬
gelangen können, sondern auch wirklich hineingelangt sind.
2. Vorkehrungen zu treffen, um das Hineingelangen entweder zur Un¬
möglichkeit zu machen, oder hineingelangte event. sofort zu töten. Abfassen
der Wildsuhle, Abschließen vielleicht eines kleinen Waldteiles und fortgesetzte
bakteriologische Untersuchungen genügen nach meiner Meinung nicht; letztere
würden auch in den meisten Fällen post festum kommen. Das Hineingelangen
verhütet am besten ein Filter, das Abtöten der Bazillen geschieht am sichersten
durch Ozonisieren des Wassers, wie es in Wiesbaden und — wenn ich nicht
irre — auch in Paderborn gehandhabt wird .... Wenn eins dieser Mittel in
Anwendung kommt, sind wir dauernd das Damoklesschwert los und können
Detmold wiederum überall hin als gesund empfehlen; es wird dann auch seine
alte Anziehungskraft wieder ausüben.“
in. Massregeln zur Bekämpfung der Seuche.
Jeder der beiden bedeutenden Sachverständigen — Professor
Dr. Emmerich und Geheimrat Prof. Dr. Koch — stand auf einem
diametral entgegengesetzten Standpunkt. Während der erstere
nur die Boden- bezw. Grundwassertheorie gelten liess, bezichtigte
Der Unterleibstyphus in Detmold im Sommer and Herbst 1904. 568
der andere nur das Trinkwasser. Prof. Dr. Emmerich erklärte
Abkochen des Wassers, Warnung vor Genuas ungekochten Wassers
fflr vollständig unnötig, aber fleiasiges Sprengen der Strassen,
Nässen und Fegen der Gehbahnen, Ueberschütten der ausgehobenen
Erdmassen mit Kalkmilch für erstes Erfordernis zur Bekämpfung
der Seuche, während Geheimrat Koch dies nicht für nötig hielt,
sondern das Hauptgewicht auf Desinfektion der Abgänge, der
Betten und Bäume sowie auf Evakuierung legte. Beide Herren
reisten bald nach ihrem Erscheinen wieder ab und liessen uns
hier zwischen Solidar- und Humoraltheorie — wenn ich so sagen
darf — zurück, während der Typhus sich ruhig weiter entwickelte,
ohne sich um die Meinung der Gelehrten zu kümmern. Wir ver¬
fuhren hier so, wie wohl jeder einsichtsvolle Mensch verfahren
haben würde: Wir taten das eine und liessen das andere nicht.
Es wurde daher ruhig weiter gesprengt und nass gefegt. Zur Be¬
ruhigung wurde sofort die Badeanstalt gesperrt. Vor allen Dingen
wurden die Kranken isoliert und, wenn es eben ging, dem
Landeskrankenhause überwiesen, um Kontaktfälle so viel
wie möglich zu vermeiden. Da viele Unverheiratete — Dienst¬
mädchen, Gesellen usw. — erkrankten, so füllte sich das Kranken¬
haus bald derart, dass es keine Erkrankte mehr aufnehmen konnte,
trotzdem dort das anscheinend Unmögliche möglich gemacht wurde
durch Belegung der Hauskirche, geschickte Ausnutzung der anderen
Bäume, Offenhalten der Korridortüren usw.; durch letzteres wurde
der grosse breite Korridor quasi mit zur Vergrösserung des Kubik-
raumes der Krankenzimmer herangezogen. Die höchste Beleg¬
ziffer des auf ca. 185—190 Kranke eingerichteten Krankenhauses
stieg dadurch bis auf 305 während der Seuche (einschl. der sonstigen
Kranken). Es musste daher zum Bau einer Notbaracke dem Kranken¬
hause gegenüber geschritten werden mit Gas- und Wasserleitung,
zweiteilig für Männer und Frauen. Hierbei zeigten sich jedoch so
viele Unzulässigkeiten, dass die neuestädtische Gewerbeschule — ein
wie zum Krankenhause geschaffener Bau mit grossen Sälen, breiten
Gängen, guten Unterkellerungen — zum Krankenhause eingerichtet
wurde, selbstredend unter heftigem Widerspruche eines Teiles der
Bürgerschaft. Die ärztliche Leitung übernahm Herr Dr. Levy
von der Königl. Charitö in Berlin, die Pflege wurde vom Bodel-
schwing sehen Mutterhause besorgt. Auf diese Weise konnte
man von der Notbaracke bald wieder absehen und doch einem
recht grossen Teil der Befallenen eine regelrechte Krankenhaus¬
behandlung zuteil werden lassen. Im Krankenhause waren 3 Aerzte,
29 Schwestern und 5 Pfleger, in der Gewerbeschule 1 Arzt,
3 Schwestern und 3 Pfleger, in der Privatpraxis mehr oder minder
sämtliche Aerzte — auch die Spezialisten und Militärärzte —,
in Summa 12 und ca. 15—20 Schwestern tätig. Die Zahl der
sonstigen Pflegerinnen anzugeben, ist unmöglich. Es hiesse nun
wirklich den Dank abschwächen, den wir diesem gesamten Heil¬
personal schulden, wenn ich noch ein Wort der Dankbarkeit und
Anerkennung äussern wollte. Nur sei es mir vergönnt, den beiden
im besten Mannesalter der Seuche zum Opfer gefallenen Kollegen
564
Dr. Volkhausen.
hiermit einen Kranz der Erinnerung auf ihr frühes Grab zu
legen.
Mit einem Hauderer war ein Abkommen getroffen worden,
um den Transport der Erkrankten nach dem Krankenhanse
zu regeln. Jedem anderen Hauderer wurde das Fahren von Kranken
verboten.
Ferner wurde einer Dame ein kleines Bekonvaleszentenheim
für 8 Kranke konzessioniert, in welchem sich rekonvaleszente
Damen besserer Stände erholen konnten. Es waren in demselben
2 Schwestern vom Hamburger Boten Kreuz tätig.
An Bekantmachungen wurden dann successive folgende
erlassen:
.Die Düngergruben und Aborte in sämtlichen Häusern sind täglich mH
einem Eimer Kalkmilch oder Lysollösung zu desinfizieren.
Die Exkremente Erkrankter sind sofort mit Kalkmilch oder Lysollösung
zu gleichen Teilen zu desinfizieren und dürfen erst darnach in den Abort
gelangen.
Die sämtlichen Brunnen sind außer Betrieb zu setzen; es darf kein
Wasser mehr daraus entnommen werden. (Später bei Nachweis der Unschäd¬
lichkeit des Wasser wieder erlaubt).
Binnsteine und Kanäle sind täglich zu reinigen.
Höfe, Gehbahnen und Straßen sind täglich zu reinigen, vorher jedoch
ordentlich mit Wasser zu besprengen. Die Seien auf den Straßen sind eben¬
falls täglich beim Straßenreinigen zu desinfizieren.
Das Einleiten von Fäkalien und anderer unreiner Abfallwässer in die
Flußläufe ist verboten. Das Mauerwerk in der Nähe der Ausflüsse von Kanälen
in den Flußläufen ist täglich gründlich zu desinfizieren.
In jedem Haushalte ist ein Eimer voll Kalkmilch ständig bereit zu halten.
Alle Entleerungen sind in den Aborten jedesmal mit mindestens einem Tassen¬
kopfe dieser Flüssigkeit zu versetzen.
In jedem Zimmer, in dem sich ein Typhus- oder typhusverdächtiger
Kranker befindet, muß außerdem ein Eimer voll Lysollösung vorrätig gehalten
werden, worin die benutzten Wäschestücke 12 Stunden lang auf bewahrt werden
müssen, darnach sind sie wie gewöhnlich zu waschen. — Zur Bereitung der
Lysollösung schütte man 800 g Lysol in einen Eimer Wasser.
Die Fleischer haben ihre zum Verkauf gehaltene Wurst- und Fleisch¬
waren unter einem engen Gazebezug oder Gestell zu halten.
Das Betasten der Backwaren ist verboten.
Jegliche Abfuhr von Dünger und Fäkalien in die Gärten und auf die
Felder ist nur nach eingeholter polizeilicher Erlaubnis gestattet. Das Spülen
und Waschen von Wäsche usw. auf den Waschstegen und in den öffentlichen
Flußläufen und Gewässern wird verboten.“
Ferner wurden nachstehende Verhaltungs - and Vor-
sichtsmassregeln veröffentlicht:
a. „Man beachte peinlichste Sauberkeit in der Behausung und am eigenen
Körper. Hände waschen vor der Nahrungsaufnahme.
Man vermeide besonders den Genuß von rohem Obst, Salat, ungekochter
und saurer Milch.
Der Genuß von Brunnen- und Flußwasser ist unter allen Umständen zu
vermeiden, sowohl zum Trinken, wie zu Beinigungszwecken. Leitangswasser
genieße man zur Vorsicht nur gekocht, bis die eingeleiteten Untersuchungen
abgeschlossen sind.
Man vermeide soviel wie möglich Berührung mit Tieren, besonders
Hunden, und versäume nie Beinigung der Hände, falls man mit solchen in Be¬
rührung gekommen ist.
Speisen und Getränke sind vor Fliegen und anderen Insekten Boviel wie
möglich zu schützen.
Besuche bei Kranken, besonders Typhuskranken, sind möglichst zu
vermeiden.
Der Unterleibstyphus in Detmold im Sommer and Herbst 1904. 666
Es ist dringend za raten, in jedem zweifelhaften Erkrankongsfalle alle
Entleerungen durch Zusatz yon gleichen Teilen Kalkmilch zu desinfizieren.“
b. „Die Reinigung der Abortgraben darf vorläufig nur durch den städti¬
schen Abfahrapparat erfolgen. Nach erfolgter Reinigiwg sind die Gruben
innen mit Kalkmilch an allen Seiten gründlich zu desinfizieren. Der Raum
um die Grube, der Hofraum und überall wo der Schlauch gelegen, ist zu des¬
infizieren mit einer LysollOsung nach vorhergehender Reinigung mit Wasser
und Besen. Diese Reinigung ist seitens der Hausbesitzer oder deren Stell¬
vertreter unter Aufsicht eines Schutzmannes vorzunehmen; es sind aber auch
die bei dem Abfuhrapparat beschäftigten Arbeiter beauftragt, diese Reinigung
auf Wunsch gleich nach der Grubenentleerung vorzunehmen.“
c. „Wenn es auch bekannt ist, daß die Verbreitung ansteckender Krank¬
heiten sehr häufig durch Tiere, insbesondere Insekten erfolgt, so wird dieser
Gefahr doch nicht genügend Beobachtung geschenkt, und ist es nicht aus¬
geschlossen, daß die jetzige an Insekten reiche Zeit auch zur Verbreitung der
typhusartigen Erkrankungen in unserer Stadt mit beigetragen hat Wir machen
daher unsere Mitbürger und ganz besonders die Hausfrauen darauf aufmerksam,
daß möglichst wenig Speisereste aufbewahrt und diese bei der Aufbewahrung
stets unter insektensicherem Verschluß gehalten werden sollen. Vor Benutzung
dieser Speisereste sollen diese stets noch einmal bis zum Kochen erhitzt werden,
um jede Bakterienentwickelung darin vor dem Genuß zu zerstören.
Die Uebertragung von Person zu Person erfolgt vorwiegend durch die
Exkremente und den Harn der erkrankten Personen. Es ist daher nicht nur
die grüßte Reinlichkeitund gründliche Desinfektion der Aborte und Pissoirs,
sondern vor allen Dingen auch der in den Schlafzimmern befindlichen Nacht¬
geschirre und aller damit in Berührung kommenden Gegenstände geboten.
Die Ueberführung typhuskranker oder typhusverdächtiger Personen
außerhalb der Stadt wird auf das strengste untersagt.“
Ferner wurde eine besondere Vorschrift für Desinfek¬
tion der Krankenzimmer usw. erlassen, die sich ziemlich genau
mit den Anweisungen des hier geltenden Gesetzes von 1888 (Ver¬
fahren bei ansteckenden Krankheiten) deckt.
Zur Kontrolle der Erlasse wurden Gesundheits-Kom¬
missionen gebildet und zwar 4 für Stadtquartier A, 5 für Quar-
ier B, 7 für C und 12 für Quartier D. Diese gingen mehrfach
umher, um sich von der Befolgung der polizeilichen Vorschriften
zu überzeugen.
Die Desinfektion der Betten, Kleider usw. wurde teils
im Landeskrankenhause, teils im Desinfektionsapparate auf dem
städtischen Bauhofe ausgeführt, auf letzterem durch einen, von
Hamburg engagierten, offiziellen Desinfektor, nachdem der Apparat
gründlich repariert war. Anfuhr, Abfuhr, Aufbewahrung der
Sachen, Desinfektion der betreffenden Arbeiter wurden gründlich
geregelt, um eine neue Infektion der Sachen zu verhüten. Dieser
Desinfektor, der sich hier bei uns übrigens tadellos bewährt hat,
leitete auch die Desinfektion der Krankenzimmer in den Privat¬
häusern mittelst Formalin.
Auch die Fäkalienabfuhr wurde geregelt, insbesondere
ein blechausgeschlagener Wagen angeschafft, auf welchem der
Schlauch beim Transport zu liegen kam, um Bespritzungen der
Strassen zu verhüten.
Die Flussläufe wurden einer mehrfachen Revision unter¬
zogen, ebenso die Bäckereien und Metzgereien, wodurch
einige bedenkliche Uebelstände abgestellt werden konnten.
Sämtliche Schulen wurden geschlossen; das Abhalten von
566
Dr. Volkhausen.
Märkten wurde verboten, und Leuten, in deren Häusern Typhus
war, das Hausieren untersagt.
Sodann wurden regelmässige Bekanntmachungen über
den Stand der Seuche — Neuerkrankungen, Genesungen, Todes¬
fälle — erlassen, um beruhigend auf die Bevölkerung einzuwirken,
die durch törichte Sprechsaalartikel der hiesigen Zeitungen unnötig
erregt war.
Zu gleichem Beruhigungszwecke wurde auch ein Typhus-
merkblatt unentgeltlich verteilt.
Des weiteren darf ich noch erwähnen, dass Berichtigungen
an viele der angeseheoftten Zeitungen geschickt wurden, in denen
Aber Gebühr aufgebauschte Artikel der betreffenden Blätter über
den Detmolder Typhus richtig gestellt wurden.
Zur Pflege armer Rekonvaleszenten wurde im Keller des
Seminars eine Küche eingerichtet — vulgo Typhusküche ge¬
nannt, welche auf Bescheinigung der Aerzte hin an Bedürftige
gutes Essen in dreierlei Form unentgeltlich verabfolgte. Diese
ganz auf milden Stiftungen beruhende Einrichtung hat unendliches
Segen gestiftet und wurde so reichlich bedacht, dass nach ihrer
Auflösung noch eine grosse Summe übrig blieb.
Das Wasser der Wasserleitung wurde selbstverständlich
fortlaufend untersucht.
Zur Verhütung der Wiederkehr eines solchen Unglücks wurde
nach dem Vorschläge des Reichs-Gesundheitsamtes die alte Quelle
der sogenannten unteren Wildsuhle (Berlebecker Quelle) abgefasst
und durch einen Kanal mehr nach unten geleitet, und zugleich
der Boden, dort wo das Wasser an der Chaussee gestaut war,
30 cm hoch mit Ton ausgestampft. Der ganze Teil des nui
trockenen Talkessels wurde meterhoch mit Sand angeschüttet, um
einen natürlichen Filter zu haben, sowie Stollen und nächste Um¬
gebung stark mit Stacheldraht eingefriedigt. Die oben erwähntes
Erdfälle wurden ebenfalls mit Sand zugeschüttet.
Für die jährlich zweimal stattfindende Reinigung des Quellen¬
stollens und des Hochbehälters wurde eine genaue Vorschrift über
Desinfektion der Geräte, der Arbeiter usw. ausgearbeitet, und die
Aufsicht bei der Reinigung dem Physikus übertragen.
Diese Massregeln konnten aber allein noch nicht genügen.
Es wurde daher in einer Stadtverordneten-Versammlung im Prinzip
beschlossen, noch obendrein ein Wasser-Reinigungsverfahren an¬
zuwenden. Zu diesem Zwecke begab sich am 11. Febr. eine Deputa¬
tion, der auch der Physikus angehörte, nach Paderborn, um das dor¬
tige Ozonwerk in Augenschein zu nehmen. Doch ist zurzeit, wo ich
dies schreibe, die Sache noch nicht bis zur Entscheidung gediehen.
Die Gruben in Johannaberg sind ausser Dienst gesetzt und
zugeworfen, so dass auch von dort her den Quellen keine Gefahr
drohen kann.
IV. Statistisches.
Ich will hier vorweg bemerken, dass sich meine Ausführungen
nur auf die Zivil-Bevölkerung Detmolds beziehen, da ich
über die Militärepidemie, die sich auch grösstenteils ausserhalb
Der Unterleibstyphus in Detmold im Sommer nnd Herbst 1904. 667
Detmolds abspielte, nicht genügend unterrichtet bin. Nor bei dem
Verhältnis der Erkrankten zur Einwohnerzahl habe ich die im
hiesigen Garnisonlazarett behandelten Soldaten mitgezählt, da die
Garnison ebenfalls in die 13000 Seelen mit einbegriffen ist.
Sodann war es trotz nochmals angestellten amtlichen Nach¬
forschungen, persönlichen Nachfragen bei Aerzten und Genesenen,
trotz Zuhilfenahme des Adressbuches nicht möglich, die Melde¬
listen ganz fehler-frei zu bekommen. Die Uebersicht bietet daher,
wenn auch nur geringe Lücken. Die Zahl der in Detmold Er¬
krankten ist jedenfalls in Wirklichkeit erheblich grösser, als die
angemeldeten Fälle gewesen; eine Anzahl leichter Fälle —
Typhus ambulatorius — ist überhaupt nicht zur Anzeige ge¬
langt ; ferner sind viele Personen erst nach ihrer Abreise
von Detmold erkrankt — z. B. in Karlsbald, Bochum, Schötmar,
Lemgo, Horn, Hannover, Heidelberg usw. — Trotz polizeilichem
Verbote sind auch von hier Erkrankte nach auswärts ge¬
schafft. Die Dienstherrschaft, Prinzipale, Meister usw. liessen
ihre Untergebenen gern nach Hause reisen, wenn sie über
Kopfweh, oder Schwindel klagten, und schickten sie nicht erst
zum Arzte. Sie hatten dann hinterher immer die Entschuldigung,
die Krankheit nicht für Typhus gehalten zu haben, wenn sie poli¬
zeilich belangt werden sollten. Die Berichte der Seminar- und
Gefangenhausdirektion, sowie diejenigen der Schüler stimmen
ebenfalls nicht genau mit den amtlichen Meldelisten überein.
Massgebend für die Statistik sind selbstredend nur die letzteren.
Die Gesamtzahl der an Typhus erkrankten Personen
beträgt im ganzen 780 (einschliesslich 40 Soldaten), also bei
13000 Einwohner (diese Zahl wird Detmold Ende 1904 reichlich
erreicht haben) 6 % der Bevölkerung. Unter der Zivilbevölkerung
sind 740 Typhuserkrankungen vorgekommen, die sich der Zeit
nach wie folgt verteilen:
Am 28. August. 1 Fall
1. Woche vom 29. August bis 4. September cinschließl. 177 Fälle.
2 .
3.
4.
5.
6 .
7.
8 .
fl
n
rt
rt
n
rt
v
10 . „
Im Laufe des
ft
6.
»
ft
11.
n
ft
148
n
ft
12.
V
7t
18.
ft
ft
141
ft
ft
19.
fl
71
25.
ft
rt
97
rt
ft
26.
n
ft
2.
Oktober
n
88
VJ
ft
3.
Oktober
fl
9.
ft
ft
37
rt
7t
10.
7)
ft
16.
71
n
22
ft
1)
17.
7t
7t
23.
n
ft
10
ft
ft
24.
7t
7t
30.
7»
ft
7
V
ft
31.
7t
ft
6. November
rt
4
ft
yy UA, yy yy \J • IWILUiUtl yy TT
November und Dezember außerdem 8
Zusammen 740 Fälle.
Das explosionsartige Auftreten der Zahl der Erkrankungen
an den einzelnen Tagen sowie der ganze Verlauf der Epidemie
tritt am besten in den umstehenden graphischen Darstellungen
hervor. Auffallend ist die übergrosse Schwankung an den einzelnen
Tagen; die betreffende Tabelle sieht aus wie eine Fiebertabelle
bei Typhus im Stadium der starken Kurven. Ueber */ 6 der Fälle
fällt auf die ersten drei Wochen; dann (am 18. September) fällt
568
>
11 »
V.
Der Unterleibstyphus in Detmold im Sommer und Herbst 1904.
"Zahl der Erkrankungen nachWochen.
569
4*0
Jrc-
mm
die Kurve lytisch ab mit
noch drei Steigerungen am
20., 28. und 30. September.
Dem Geschlechte nach
waren von den Erkrankten
321 = 43,3 °/ 0 männlich und
419 = 56,7 °/ 0 weiblich; wir
sehen also, dass das weib¬
liche Geschlecht das männ¬
liche bedeutend überwiegt.
Ich will jedoch dazu be¬
merken, dass in Detmold
das weibliche Geschlecht
das männliche um circa 300
übertrifft. Berg gibt in
seiner bekannten Statistik
das Verhältnis zwischen
Männer und Frauen auf 62,2
zu 37,8 °/o an. Auch bei
Liebermeister, Fiedler,
Schultz üb er wiegen die
Männer. Schon bei den er¬
krankten Kindern macht
sich hier der Geschlechts¬
unterschied geltend. Von
den 740 Erkrankten waren
unter 15 Jahre alt: 250 =
33,8 °/o, über 15 Jahre: 490
= 66,2 °/ 0 ; von den elfte¬
ren waren 112 = 44,8 °/ 0 Knaben und 138 = 55,2 °/ 0 Mädchen.
Die 419 Erkrankungen des weiblichen Geschlechts
verteilen sich auf folgende Berufe:
1. Nicht schulbesuchende
Kinder bis 6 J. einschl. 32 = 7,64°/°
2. Schülerinnen . . . 100 = 23,87 n
Wbch^(
3. 14—löjähr. die Schule
unter
davon im Alter von
20 bis 30 bis über unbe-
ment menr oesucnenue
Mädchen .
6= 1,43
n
20 J.
30 J.
50 J.
50 J.
kannt
4. Ehefrauen ....
91 = 21,71
n
—
19
52
18
2
5. Dienstmädchen. . .
85 = 20,29
n
41
43
—
—
1
6. Haustöchter u. ältere
unverheiratete Damen
54 = 12,89
n
29
11
7
4
3
7. Haushälterinnen, Kö¬
chinnen .
12= 2,86
rr
1
10
—
1
—
8. Schneiderinnen . . .
12= 2,86
n
11
—
1
—
9. Verkäuferinnen, Laden¬
damen .
7= 1,67
Ti
4
2
1
—
10. Witwen .
5= 1,2
V
—
1
1
3
11. Arbeiterinnen . . .
5= 1,2
Ti
1
4
—
—
12. Krankenschwestern .
4= 0,95
n
1
2
1
—
13. Wäscherinnen, Plätte-
rinnen .
4= 0,95
n
1
3
—
—
14. Lehrerinnen ....
2 = 0,48
Ti
1
—
1
570
Dr. Volkhausen.
Leider ist nur bei den wenigsten Ehefrauen der Stand der
Männer angegeben, so dass ich von einer Mitteilung darüber Ab¬
stand nehmen muss.
Das jüngste weibliche Wesen, das vom Typhus befallen, war
1 Jahr, das älteste 60 Jahre alt. Auch in bezug auf das Alter
der Kranken zeigt die hiesige Epidemie eine Abweichung von
ihrem gewöhnlichen Verhalten, indem das Alter von 6—15 J.
das am meisten leidtragende war:
1—6 Jahren. . . 32 = 7,6 80—50 Jahren . . 65 = 15,5
6—15 „ . . . 106 = 25,3 über 50 „ . . 25= 6,0
15—20 „ ... 90 = 21,5 unbekannt .... 6 = 1,43
20-30 «... 95 = 22,67
Personen männlichen Geschlechts erkrankten, wie
schon erwähnt: 821 = 43,3°/ 0 . Davon waren bis 15 Jahre alt:
113 = 35%, über 15 Jahre alt: 208 = 65°/o.
Von den Knaben bis 15 Jahren waren:
nicht schulpflichtig 30 = 26,55 °/ 0 Lehrlinge .... 6 = 6,31 °/ 0
Schüler .... 77 = 68,14 „
Von den 208 männlichen Personen über 15 Jahre waren:
davon im Alter
von
unter
20 bis
30 bis über
unbe-
20 J.
30 J.
50 J. 50 J.
kannt
Handwerker und Gewerbe-
20
30
24
7
2
treibende.
83 = 39,90 °/ 0
Arbeiter.
25 = 12,12 „
4
9
11
1
Lehrlinge (ohne Hand-
lungslehrlinge) . . .
20 = 9,62 „
20
—
—
—
—
Kaufleute, Kontorpersonal
16= 7,69 „
4
7
5
—
—
Schüler .
9= 4,33 „
8
1
—
—
—
Seminaristen.
9 = 4,33 „
8
1
—
—
—
Gefangene.
9 = 4,33 „
1
5
2
1
—
Wirte, Kellner ....
5= 2,40 „
1
2
2
—
—
Studenten .
4= 1,92 „
1
3
—
—
—
Fabrikanten.
3= 1,44 „
—
—
3
—
—
Lehrer .......
3= 1,44 „
•-
—
2
1
—
Schreiber.
2= 0,97 „
2
—
—
—
—
Aerzte.
2= 0,97 „
—
—
2
—
—
Sekretäre .
2= 0,97 „
—
—
2
—
—
Zeitungsleiter ....
1= 0,48 „
—
—
1
—
—
Rentner .
1= 0,48 „
—
—
—
1
—
Polizeidiener.
1= 0,48 „
•-
—
—
1
—
Gartendirektor ....
1= 0,48 „
—
—
—
1
—
Bankdirektor.
1= 0,48 „
—
—
1
—
—
Apotheker.
1= 0,48 „
—
1
—
—
—
Baumeister.
1= 0,48 „
—
—
1
—
—
Aufseher.
1= 0,48 *
—
1
—
—
—
Techniker.
1= 0,48 „
—
—
1
—
—
Schriftsteller.
1= 0,48 „
—
—
1
—
—
Werkmeister.
1= 0,48 „
—
—
1
—
—
Katastergehilfe ....
1 = 0,48 „
1
—
—
—
—
Monteur.
1= 0,48 „
—
1
—
—
—
Kammerherr.
1= 0,48 „
—
—
—
1
—
Zeichner.
1= 0,48 „
1
—
—
—
-.
Rendant .
1= 0,48 „
—
—
—
1
—
Handwerker
und Gewerbetreibende sind
also am
stärksten beteiligt; von denselben
waren
•
•
Tischler.
... 18
Maurer
• •
i • • •
. •
8
Bäcker.8 Schneider . ,.8
Der Unterleibstyphus in Detmold im Sommer und Herbst 1904. 571
Tapezierer.7
Hauderer.7
Gärtner.6
Steindrucker, Schriftsetzer,
Lithographen.5
Schmiede, Schlosser ... 4
Hetzger.3
Schuster.2
Zimmerer.2
Dachdecker.2
Barbiere.2
Seiler.1
Drechsler.1
Seifensieder.1
Buchbinder.1
Gießer.1
Brauer . 1
Von den 321 männlichen Erkrankten waren im Alter von
1-6 Jahren . . 30 = 9,35 °/ 0 30-50 Jahren . . 59= 18,38°/,
6-15 » . . 83 = 25,86 „ üb. 60 Jahre . . 16 = 4,67 „
15—20 „ . . 71 = 22,12 „ unbekannt ... 2 = 0,62 „
20-30 „ . . 61 = 19,0 „
Also auch hier ist das Alter von 6—15 Jahren am meisten
beteiligt. Der jüngste männliche Kranke war l 1 /*, der älteste
72 Jahre alt.
Wenn wir die beiden Geschlechter zusammen betrachten, so
ergibt sich betreffs des Alters der Erkrankten folgendes:
Es erkrankten im Alter von
1-6 Jahren. . 62 = 8,38»/„ 30 -50 Jahren. . 124 = 16,76°/,
6-15 „ . . 189 = 25,54 , üb. 50 Jahre . . 40 = 5,40 „
15—20 „ . . 161 = 21,76 „ unbekannt ... 8 = 1,08 „
30-30 „ . . 156 = 21,08 „
Weit über die Hälfte aller Fälle kommt demnach auf das
Alter bis zum 20. Jahre; Verhältnis 55,7 : 44,3°/ 0 .
Gestorben sind von den 740 Fällen 54 = 7,29°/ 0 , und zwar
30 weibliche = 7,16°/ 0 und 24 männliche = 7,48 °/ 0 .
Es starben
«Wechte:
von den Erkrankten des weiblichen Ge-
von
91 Ehefrauen ....
65 Dienstmädchen . .
54 Töchtern u. älteren
ODTerheirateten Damen
ICO Schülerinnen . . .
32 Kindern unter 6 J. .
7 Verkäuferinnen . .
5 Arbeiterinnen . .
10 = 10,9 <
10 = 11,7
3 = 5,55
3= 3,0
2= 6,25
1 = 14,3
1 = 20,0
davon im Alter von
unt. 20 J. 20—30 J. 30—50J. üb.50J.
2
6
3 (9,12,14 J.)-
1 (5 J.) -
— 1
1 (15)
8
Von den 30 verstorbenen weiblichen Personen starben also
iw Alter von
1-6 Jahren . . 2= 6,7 °/ 0 20-30 Jahren . . 10 = 33,3 °/ 0
6—16 . . 4 = 13,3 „ 30-50 „ . . 4 = 13,4 „
15-20 „ . . 4 = 13,3 , über 50 „ . . 6 = 20,0 „
Die grösste Sterblichkeit zeigt sich danach im Alter von
20 bis 80 Jahren.
Die 24 verstorbenen männlichen Personen = 7,48°/» ver¬
teilen sich auf die einzelnen Berufe und Altersklassen wie folgt:
Es starben von
Handwerkern . . 8 = 9,6 ,
“ Schülern (einschl.
«her 15 J.) ... 4= 4,65 ,
»Arbeitern. . . . 2 = 8,0 °/
20 Lehrlingen . . . 2 = 10,0
2 Aerzten .... 2 = 100
davon im Alter
unter
20 bis
30 bis
über
un¬
20 J.
30 J.
50 J.
50 J.
bekannt
—
2
2
2
2
4
_
_
—
—
2
572
Dr. Volkhausen.
Davon im Alter
unter
20 J.
20 bis
80 J.
80 bis
50 J.
über
50 J.
na-
bekannt
9 Seminaristen
. 1 = 11,1 „
—
1
—
—
—
9 Gefangenen . .
. 1 = 11,1 „
—
—
—
1
—
1 Schriftsteller .
. 1 = 100,0 „
—
—
1
—
—
3 Lehrern . . .
. 1 = 33,3 „
—
—
1
—
—
4 Studenten . .
. 1 = 25,0 „
—
1
—
—
—
1 Polizist . . .
. 1 = 100,0 „
—
—
1
—
—
Es standen
also von den
24 Verstorbenen männlichen Ge-
schlechts im Alter von
6-15 Jahren. . 4 = 16,67 «/o 30-50 Jahren . . 8 = 33,33°/,
16-20 „ . . 2 = 8,33 w über 50 , . . 3 = 12,50 ,
20—30 „ . . 5 = 20,83 „ unbekannt ... 2= 8,34 ,
Die Gesamtzahl der Verstorbenen verteilt sich auf
die einzelnen Altersklassen wie folgt:
1—6 Jahren. . 2= 3,70°/ 0 30-50 Jahren . . 12 = 22,22 ,
6—15 „ . . 8 = 14,82 „ über 60 Jahre . . 9 = 16,67 ,
15—20 „ . . 6 = 11,11 „ unbekannt .... 2 = 3,70 ,
20-30 „ . . 15 = 27,78 „
Nachstehend die Uebersichten von den verschiedenen Schalen
mit dem Bemerken, dass diese mit den amtlichen Meldungen absollt
nicht in Einklang zn bringen sind. Es bleibt nur die Annahne
übrig, dass viele leichte Fälle weder ärztlich behandelt noch ge¬
meldet sind, und dass bei der späteren Bandfrage Kinder sich ab
typhuskrank gemeldet haben, die es nicht gewesen sind:
Zahl der Schülerinnen
bezw.
Schüler
davon erkrankt
gestorben
Höhere städt. Mädchenschule . . .
260
27
—
Evangelische Mädchenschule . . .
455
65
3
Jüdische Schule (Mädchen). . . .
6
8
—
Katholische Schale (Mädchen) . .
78
5
1
Summa der Mädchen
794
100
4
Gymnasium.
606
59
3
Evangelische Knabenschule . . .
478
46
1
Katholische Schule (Knaben) . . .
71
1
—
Jüdische Schale (Knaben) ....
2
—
—
Summa der Knaben
1057
106
4
Gesamtzahl
1851
206
8
Im Gymnasium entfielen auf die einzelnen Klassen:
Klasse
Schülerzahl
JLrKranKt
in Detmold
Ab7eSe r Zu8anmea
tot
01
11
1
—
1
—
UI
20
1
—
1
—
0II g
10
1
1
2
—
Ullg
21
1
—
1
—
UII r
23
1
1
2
—
0111g
26
2
—
2
—
0III r
25
4
—
4
—
ÜHIg
27
4
—
4
—
U III r
38
3
1
4
1
IV g
31
7
—
7
1
IV r
25
3
1
4
—
Vg
21
4
—
4
—
Vr
34
3
1
4
—
VI g
31
3
—
3
—
Vir
37
4
—
4
—
Vorschule 1
50
9
1
10
1
„ 2
45
6
1
7
—
„ 3
31
2
—
2
—
Summa: 506
59
7
66
3
Der Unterleibstyphus in Detmold im Sommer and Herbst 1904. 578
Von den 7 auswärts Erkrankten waren
Abgereist Erkrankt Abgereist Erkrankt
1) 2. September
3.
September
5)
7. September
11. September
2) 3.
17.
w
6)
7.
25.
9
3) 6.
23.
w
7)
7.
12.
ff
4) 7.
15.
*
Bürgerschule.
Zahl
Erkrankt
Im Alter Gestorben
Im Alter
Knaben - Klasssc
I
43
6
12—14
1
14
jf
II
58
6
12—14
—
—
9
III
69
6
11—13
—
—
n
IV
59
6
10—12
—
—
yt
V
78
5
9—11
—
—
ft
VI
79
8
8- 9
—
—
9
VH
92
9
7— 8
—
—
Summa
478
46
1
Mädchen -Klasse
I
75
18
13-14
1
14
j!
n
75
17
11—14
1
12
9
m
80
8
10—12
—
—
9
IV
74
3
9—10
—
—
ff
V
71
14
8— 9
—
—
9
VI
80
10
7- 8
1
7'/*
Summa
455
65
3
Gesamtzahl
933
in
4
V. Mitteilungen über den Erankheitsverlauf.
Die nachfolgenden Mitteilangen über Krankheitsverlauf
uv. beziehen sich nicht allein auf die im Krankenhause be¬
reiten Fälle, sondern auch auf die Privatkranken der Stadt,
hfan mir die hiesigen Kollegen die für jeden einzelnen ihrer
Kranken von mir ausgeschriebenen ausführlichen Fragebogen mit
grosser Liebenswürdigkeit ausgefüllt haben.
Es ist ohne weiteres klar, dass bei einer solchen grossen
( Anzahl von Fällen Typhenaller Art beobachtet wurden, von den
leichtesten bis zu den schwersten, die eine Geduldsprobe für
Kranke, Angehörige und Aerzte bildeten. Viele Fälle waren so
' leicht, dass man sie bei sporadischem Vorkommen sicherlich nicht
". ft* Typhus gehalten hätte, die aber unter diesen obwaltenden
2 ; Umständen mit Hecht als Typhus angesprochen wurden, zumal
i Influenza z. Z. völlig fehlte. Die Zahl der leichten Fälle ist bei
- Kätnern viel grösser, als bei Frauen; es ist vielleicht ein Ver-
: hältuis von 2 : 1.
r Was die Anfangserscheinungen betrifft, so spielt hier—
t *ie ja bei jedem Typhus — das Kopfweh eine grosse Rolle. Sehr
| bäuflg wird auch Nasenbluten erwähnt, z. B. auf einem Fragebogen
? unter 11 Fällen siebenmal; während der Dauer der Krankheit
! vw es dagegen selten. Nur in einzelnen Fällen hielt das Nasen-
'< bluten durch, dann aber die Nacht oft mehrere Male.
Das fernere Hauptsymptom war ein Schmerz, der sich in
f Kreuz-, Nieren- und Nackengegend, besonders aber im
| Sichen lokalisierte, an letzterer Stelle oft so schlimm, dass Eltern
j den Arzt einer vermeintlichen Diphtherie wegen holen liessen. Zu
whcn war gewöhnlich nichts, höchstens eine leichte Rötung.
674
Dr. Volkhaosen.
Eine feraere Eigentümlichkeit unserer Epidemie war die
Verstopfung. Ich möchte wohl sagen, dass zwei Drittel aller
Fälle mit Verstopfung bezw. nicht mit Durchfall einherging, und
wohl noch nie haben die Einläufe bei einer Typhusepidemie eine
solche Bolle gespielt, wie hier.
Auffallend gross war auch die Zahl der Schwerhörigkeit
im Anfänge, oft das einzige Symptom, weswegen die Kranken
den Arzt aufsuchten, der dann zu ihrer Verwunderung einen
Typhus feststellte; objektiv war im Ohr nichts nachzuweisen.
Ein seltener Gast war dagegen Bronchitis, während sie
sonst beim Typhus Hausfreund zu sein pflegt. Ein Kollege er¬
wähnt sie z. B. unter 25 Fällen nur einmal.
In einer grossen Anzahl von Fällen fehlte ausser Fieber
jegliches Symptom, dass die Kranken glaubten, gar nicht krank
zu sein. Ich habe hier nicht allein die leichten Fälle im Auge.
Viele Kinder pfiffen, sangen und waren trotz hohem Fieber
guter Dinge.
Milzschwellung war im allgemeinen vorhanden; bei leich¬
teren Fällen kein Exanthem, wohl aber in schwereren.
Die höchste beobachtete Temperatur war 42°, die zweit¬
höchste 41,2. Sie hielt sich in diesem Falle noch 10 Tage
auf 40°, dann trat der Tod auf der Höhe der Krankheit ein.
Temperaturen von 40,8° sind auch in ein paar anderen Fällen,
aber nur vorübergehend, beobachtet Selbstredend beziehen sich
diese Angaben nur auf unkomplizierte Fälle. — Längere Zeit auf
40 0 hielt sich die Temperatur auch nur in ein paar Fällen; einmal
16, in einem anderen Falle 21 und in einem dritten Falle sogar
27 Tage.
Zahlreich sind sogenannte steile Kurven beobachtet; 8 tägige
Differenzen von 36,2—38,8 und 39,2 waren z. B. keine Seltenheiten.
Die niedrigste Temperatur war 35 0 in einem sogenannten Pseudo¬
kollaps. Häufig waren ferner Schüttelfröste, teils mit, teils ohne
Temperaturerhöhung, ohne nachweisbare Ursachen und ohne nach¬
weisbare Folgen und ohne dass sie die Rekonvaleszenz einleiteten.
In einem Falle sieben Schüttelfröste in 9 Tagen. Desgleichen
liess sich jede Art von Anstieg und Abfall beobachten: rascher
Anstieg, langsamer Abstieg und umgekehrt, rascher Anstieg,
rascher Abfall usw. Mehrfach hat sich auch ein auffallendes Miss¬
verhältnis zwischen Puls und Temperatur gezeigt.
An Rezidiven sind unter den 740 Fällen 91 = 12,8°/ 0 beob¬
achtet, Männer und Frauen waren fast zu gleichen Teilen daran
beteiligt, 43 Männer und 48 Frauen, also von 821 erkrankten
Männern 13,4 und von 419 erkrankten Frauen 11,4 °/o.
Die von Rezidiv ergriffenen Personen standen im Alter
bis 15 Jahren . . 25 = 27,5°/ 0 30-50 Jahren . . 11 = 12,1°/*
16—30 „ . . 46 = 50,5 „ über 60 „ . . 9 = 9,9 ,
Es erkrankten von 490 Erwachsenen 66 = 13,5 °/ 0 , von
250 Kindern 25 = 10 °/ 0 an Rezidiven. Nach Geschlecht und
Beruf verteilen sich diese Rezidiven wie folgt:
Der Unterleibstyphus in Detmold im Sommer und Herbst 1904. 67fi
&. Weibliche Personen.
Nicht schulpflichtige . 5 = 10,42 °/ (
Schulpflichtige . . . 8 = 16,67 ,
Mägde, Köchinnen etc. 17 = 35,42 ,
b. Männliche Personen.
Nicht schulpflichtige . 1 = 2,3 °/ (
Schulpflichtige . . . 11 = 25,8 ,
Handwerker .... 8 = 18,6 ,
Lehrlinge m. KauflehrL 3= 7,0 ,
Ksufleute.3 = 7,0 ,
Barbiere.2= 4,7 ,
Sträflinge.2 = 4,7 ,
; Metager.2 = 4,7 ,
Kätscher, Hauderer . 1 = 2,3 ,
Lehrer.1 = 2,3 ,
Töchter, unv. Damen 10 = 20,88 %
Frauen und Witwen . 7 — 14,58 ,
Verkäuferinnen . . 1 = 2,08 ,
8ekretär.1 = 2,3 °/ (
Privatier.1 = 2,3 ,
Student . 1 = 2,3 ,
Direktor.1 = 2,3 „
Zeitungsleiter . . . . 1 = 2,3 ,
Kellner.1 = 2,3 ,
Apotheker.1 = 2,3 ,
Arbeiter.1 = 2,3 ,
Bäcker.1 = 2,3 „
Der Beginn des Rückfalls schwankt zwischen zwei Tagen
md drei bis vier Wochen. Die Dauer war 5—14 Tage; nur in
: t 10 Fällen war sie länger, und zwar sechsmal 3—4 Wochen.
Was nun die Frage betrifft: sind die Rezidive spontan oder
doreh Diätfehler veranlasst, so kommen Diätfehler so gut wie gar
nicht in Betracht. Nur fünfmal wird Diätfehler und einmal zu
frühes Aufstehen beschuldigt. Die übrigen Rezidive sind sämtlich
; ipratan erfolgt bei Hafersuppe, Milchdiät und ruhiger Bettlage,
- oder bei vorgeschriebener, erlaubter Kost. So hat z. B. das
Krankenhaus eine ganze Menge Rezidive aufzuweisen, obwohl
Dittfehler doch hier mit Sicherheit auszuschliessen sind.
Von Komplikationen sind Darmblutungen 50mal
©getreten (d. h. bei 50 verschiedenen Kranken) = 6,7 °/ 0 . Diese
M deckt sich genau mit der Berg sehen. Berg gibt zwar
Seite 18 5,5 °/o an, doch liegt hier ein Druckfehler vor, es muss
0)3 heissen.
Die früheste Blutung trat am 7. Tage ein, später zu jeder
Zeit, in der 2. Woche am meisten; in protrahierten Fällen
wurden Blutungen in der 6., 7. und 8. Woche beobachtet. Sie
fanden sich sowohl während der eigentlichen Krankheit, wie bei
Rückfällen ein. Wiederholte Blutungen wurden bei Frauen 14 mal
und bei Männern 8 mal beobachtet. Das längste Intervall war bei
enteren 14 und bei letzteren 11 Tage. Einmal wurden bei einem
Henne drei starke Blutungen an einem Tage, und einmal vier
Tage hintereinander beobachtet. Die Blutungen werden bei Frauen
einm&l als stark mit nachfolgender Anaemie, bei Männern sechsmal
' *ls schwer bezeichnet. Die Behauptung, dass Blutung mit nach¬
folgendem starken Temperaturabfall stets ein böses Omen sei,
wid. durch unsere Epidemie nicht bestätigt. Es ist Temperatur¬
sinken ohne bösen Ausgang, sowie Gleichbleiben der Temperatur
mit einem solchen zur Beobachtung gelangt. Subnormale Tempe¬
ratur mit gutem Ausgange ist einmal bei einer 12jähr. Schülerin
' beobachtet.
Die 50 mit Blutungen verlaufenden Erkrankungen verteilen
sich nach Alter, Geschlecht und Beruf folgendermassen:
576
Dr. Volkhausen.
Nicht schalpflichtige . 1= 2°/ 0 80—60 Jahren . . . 19 = 38 %
Schalpflichtige . . . . 3 = 6 „ über 50 „ ... 7 = 14 ,
15—30 Jahren . . . . 20 = 40 ,
Die älteste Fraa war 63 and der älteste Mann 64 Jahre alt.
In bezog auf das Vorkommen von Blutnngen bei weiblichen
nnd männlichen Personen kann man sagen, dass sich beide Ge¬
schlechter ehrlich in diese geteilt haben; denn es sind 26 Frauen
= 52 °/ 0 nnd 24 Männer = 48 °/ 0 davon befallen. Hinsichtlich
des Berufes der davon ergriffenen Personen ergibt sich folgendes:
Von den 26 weiblichen Personen waren
nicht schulpflichtig . l = 3,85°/o unverheiratet (15—30 J.) 12 = 46,15«,'«
schulpflichtig ... 2 = 7,7 „ Frauen (Witwen). . . 11 = 42,30 t
Unter den 12 unverheirateten waren 5 Tochter, 4 Mägde, 2 Schneide¬
rinnen und 1 Buffetdame.
Von den 24 männlichen Personen waren
schulpflichtig . . . 1 = 4,17 °/ 0 Polizist.1 = 4,17 °/o
höhere Schüler . . 2 = 8,33 * Bäcker.1 = 4,17 m
Kaufleute .... 4 = 16,66 „ Barbier.1 = 4,17 „
Handwerker . . . 4 = 16,66 „ Hauderer.1 = 4,17 „
Aerzte.2 = 8,33 „ Fabrikant.1 = 4,17 .
Arbeiter.2 = 8,33 „ Zeitungsleitcr . . . 1 = 4,17 ,
Lehrer.2 = 8,33 „ Rentner.1 = 4,17 „
Pneumonie kam 33mal zur Beobachtung, also in 4,5%
der Fälle (von doppelter abgesehen), und zwar bei
nicht schulpfl. Kindern 5 = 15,15°/ 0 30—50 Jahren. . . 3= 9,09°/»
schulpflichtigen Kindern 4 = 12,12 „ über 50 „ ... 1 = 3,03 ,
15-30 Jahren . . . 20 = 60,61 „
Der Sitz der Pneumonie ist nicht jedesmal genau angegeben
und deshalb von einer Zusammenstellung hier Abstand genommen.
5 mal war die Lungenentzündung doppelt, 4 mal bei Frauen und
1 mal bei Männern. Ihr Eintritt ist ganz verschieden; er erfolgte
sowohl im Beginn des Typhus, als auch zu jeder anderen Zeit
Von den 83 Fällen kommen 21 = 63,6% auf das weibliche
und 12 = 36,4 % auf das männliche Geschlecht. Es überwiegt
also das weibliche Geschlecht bedeutend. Dem Alter nach waren
von den weibl. Personen von den m&nnL Persone«
nicht schulpflichtige . . 3 = 14,28 °/o 2 = 16,7 °/ 0
schulpflichtige .... 3 = 14,28 „ 1 = 8,3 „
15-30 Jahre.12 = 57,16 „ 8 = 66,7 „
30—50 .. 2= 9,52 „ 1= 8,8 „
über 50 „.1 = 4,77 „
Unter den 8 männlichen Personen im Alter von 15—30 Jahren
waren 2 höhere Schüler, 4 Handwerker und 2 Lehrlinge.
Pleuritis kam 6mal zur Beobachtung = 0,8%, 5mal bei
Frauen, lmal bei Männern, 83,3 : 16,7%, und zwar stets nur im
späteren Krankheitsstadium; 4mal ist sie als linksseitige be¬
zeichnet, 2mal fehlen die Angaben; 5mal war sie eine trockene,
1 mal wurden 1200 ccm seröser Flüssigkeit bei einer Frau entleert.
Von den Frauen standen 3 im Alter von 20—30 Jahren, eine
war 50jährig, die andere 5Sjährig. Das männliche Individuum
war 19 Jahre.
Bronchitis war, wie schon erwähnt, lange nicht so häufig
wie sonst beim Typhus. Im ganzen sind 76 Fälle notiert, also
etwas über 10%. Sie verlief mit wenigen Ausnahmen leicht
Der Unterleibstyphus in Detmold im Sommer und Herbst 1904. 677
Endocarditis and andere Herzerkrankungen sind
nur beim weiblichen Geschlecht« beobachtet und zwar 4 mal
= 0,54%. Eine genaue Bezeichnung der Erkrankungen fehlt,
nur einmal wird die Aorta erwähnt. Die Fälle betreffen 2 Ehe¬
frauen von 31 und 26 Jahren und 2 ledige Mädchen von 21 Jahren.
Alle 4 Affektionen traten im späteren Stadium auf: Ende der
4., Mitte der 5., in der 7. und Ende der 8. Woche, und zwar Smal
in der Rekonvaleszenz. Das Fieber stieg in diesen 3 Fällen
regelmässig um drei Grad und darüber, um 6, 11 und 13 Tage
anzuhalten. Im letzteren Falle sank es allmählich nach einer
Blutung. In dem 4. Falle — protrahiert sowie mit Blutung und
Otitis vergesellschaftet — stieg das Fieber nicht. Sämtliche
Fälle verliefen günstig. Ein Fall mit altem Herzfehler bei einer
81 jährigen Frau wurde vom Typhus absolut nicht alteriert. Eine
66 jährige Frau mit Aderverkalkuug genas, ein 66 jähriger Mann
mit dieser Erkrankung starb (mit Blutung). Ein Fräulein von
58 Jahren und zwei rüstige Männer von 48 und 41 Jahren —
alle drei mit Fettherz — fielen der Seuche zum Opfer. Der letzte
Fall war noch durch Blutung im Rückfalle kompliziert.
Thrombose ist 11 mal beobachtet, ca. 1,5%, und zwar
8mal bei Frauen und 3mal bei Männern: 72,7 : 27,3; 5mal ist
die linke grosse Saphenalvene, lmal die rechte erwähnt, 4 mal
fehlt die Angabe. Interessant ist ein Fall bei einem 16jährigen
Lehrling, der an einer Thrombose im Pfortadersystem litt mit
nachfolgendem Ascites; der Ausgang war Heilung. Der früheste
Eintritt der Thrombose war Ende der 2. Woche, der zweitnächste
erfolgte in der 3. Woche, die übrigen Fälle traten in der 4. Woche
und später ein. Nur in einem Falle Btieg die Temperatur um ca.
8° und hielt sich 17 Tage auf der Höhe. Die Th. war stellen¬
weise sehr schmerzhaft und verzögerte die Genesung in jedem
Falle bedeutend. Die früheste Jugend blieb von dieser Komplikation
ganz verschont. Es standen im
davon weibl. Personen männl. Personen
schalpflichtigen Alter . 2 = 18,18 % 1 = 12,5 °/ 0 1 = 33,4 °/ 0
15—30 Jahren .... 4 = 36,36 „ 3 = 37,5 „ 1 = 33,3 „
30—50 „ .... 5 = 45,46 „ 4 = 50,0 „ 1 = 33,3 „
Abszesse und Furunkulose sind in 22 Fällen beobachtet
= 2,9%, und zwar 3 Fälle von starker Furunkulose, 1 Karbunkel
tmd 18 Abszedierungen. Bis auf 2 stellten sich sämtliche Fälle
in der Rekonvaleszenz, bezw. im Rückfälle ein. Ihr Sitz war
überall: Haut, Unterhautzellgewebe, am Halse, Fussrücken, Ell¬
bogen, Kopf, Becken, Steiss, Achseldrüsen und Leistendrüsen,
Kiefer.
Karbunkel, und zwar am Halse, ist bei einem 63jährigen
Herrn beobachtet. Nach Alter und Geschlecht verteilen sich diese
Erkrankungen wie folgt:
zusammen weibl. Personen männl. Personen
nicht schulpfl. Kinder . 2= 9,09 °/o — °/ 0 2 = 18,18 °/ 0
schalpflichtige „ . 3 = 13,64 „ 3 = 27,27 „ — „
15—HO Jahren . . . 10 = 45,45 „ 6 = 54,55 „ 4 = 36,37 „
30-50 „ ... 3 = 13,64 „ 1= 9,09 „ 2 = 18,18 „
Uber 50 „ . . . 4 = 18,18 „ 1 = 9,09 „ 3 = 27,67
V
678
Dr. Volkhaosen.
Ein 63jähriger Herr litt in der Rekonvaleszenz an Peri¬
ostitis, bezw. Osteomyelitis tibiae, die eine Nekrotomie nötig
machte.
Erysipelas ist einmal bei einer 19jährigen Schneiderin
erwähnt.
Parotitis ist dreimal beobachtet nnd zwar nur beim weib¬
lichen Geschlechte. Die ersten beiden Fälle betreffen zwei 12
jährige Schülerinnen, welche zwischen 1. and 2. Woche bezw. in
der 4. Woche in der Rekonvaleszenz erkrankten; im letzteren
Falle stieg die Temperatur von 36 auf 40° nnd hielt sich zwei
Tage aaf der Höhe. Die dritte Kranke war eine 20jährigen Magd,
welche gleich zu Anfang an einer leichten rechtsseitigen Paro¬
titis erkrankte. Der Ausgang war in allen Fällen gut.
Epididymitis ist einmal bei einem 10jährigen Schüler
beobachtet.
Ueber febrile Albuminurie und Nephritis finde ich
wenig bemerkt. Ich glaube nicht, dass die Kollegen bei ihrer
unendlichen Arbeit Zeit hatten, den Urin regelmässig zu unter¬
suchen, was geschehen müsste, wenn man genau über diese Dinge
unterrichtet sein will.
Blasenerkrankungen und dergl. zeigten sich teils als
Blasenbeschwerden, teils als Anurie im Anfänge, die mehrfach
die wiederholte Anwendung des Katheters nötig machte. Cystitis
ist im ganzen 6 mal gemeldet = 0,8 °/ 0 . Sämtliche Fälle hatten
einen guten Ausgang; 4mal bei Männern und 2mal bei Frauen.
Partus und Abort. Soweit bekannt, waren von den erkran-
ten Frauen 5 schwanger; das wären — wenn man von den 91
Frauen diejenigen über 50 Jahre nnd 2 unbekannte abzieht — 7,0 °/ 0 .
Von diesen hat eine 25 jährige nach 3 Wochen abortiert (Tod durch
Embolie). Die zweite 24 jährige hat nach 10 tägigem leichten
Fieber eine normale Geburt gehabt, die dritte, 28 Jahre alt, war
im 4. Monat schwanger und hat nach der Genesung im 6. Monat
abortiert. Bei den zwei letzten, welche im 6. bezw. im 1. Monat
schwanger waren, sind keinerlei üble Folgen eingetreten.
Endometritis ist einmal bei einer 52jährigen Witwe in
der Rekonvaleszenz beobachtet. Bei einem 53 jährigen Fräulein
vergrösserte sich und vereiterte im Typhus schnell eine Ovarial-
zyste, deren Entfernung notwendig wurde. Tod durch Herzlähmung,
drei Wochen nach gelungener Operation.
Peritonitis und Perforationen. Peritonitische Reiz¬
erscheinungen sind mehrfach beobachtet; Peritonitis mit gutem
Ausgange einmal bei einem 20jährigen Buchbinder; Perforations¬
peritonitis dagegen 7 mal = 0,9 °/ 0 und zwar 3 mal bei Frauen und
4 mal bei Männern, die sämtlich im Alter von 20—41 Jahren standen.
Der frühste Fall trat zwischen 2.—3. Woche, der späteste in der
5. Woche ein. Bei einem Kranken wird ein Diätfehler beschuldigt, bei
einem anderen gingen Blutungen vorher, bei einem dritten wurde
starke Bronchitis, beobachtet (Perforation wahrscheinlich durch
das starke Husten bedingt). Ein Fall wurde durch einen starken
Schüttelfrost eingeleitet. Der Ausgang war immer der Tod. Eine
Der Unterleibstyphus in Detmold im Sommer and Herbst 1904. 679
Frau ist noch nachträglich — 2 Monate nach ihrer Entlassung
ans dem Krankenhanse — an Perforationsperitonitis gestorben.
Die Sektion ergab einen Durchbruch eines geheilten Typhusge¬
schwürs, dessen Grund nur von der Serosa gebildet war (dieser
Fall ist in die 7 Fälle nicht mit hineingerechnet). —
An Perityphlitis erkrankte eine 21jährige Magd gleich
zu Anfang und zwar an Perityph. exsudativa mit Ausgang in
Genesung.
Lebererkrankungen sind 4mal notiert, sämtlich bei Er¬
wachsenen = 0,5 °/ 0 , dreimal bei Frauen, einmal bei einem Manne;
alle diese Kranken waren über das 30. Jahr hinaus. Bei einer
46 jährigen Frau bestand Icterus während des Fiebers, bei den
beiden anderen — 33 jährigen und 51 jährigen — bestanden Kolik¬
anfälle, bei der 51jährigen auch mehreremale leichter Icterus
mit palpabler und schmerzhafter Gallenblase. Der an Kolik mit
einem Tumor in der Lebergegend erkrankte männliche Typhus¬
kranke war ein 35 jähriger Arbeiter.
Schwerhörigkeit war — wie schon erwähnt — oft vor¬
handen. Otitis media ist fünfmal notiert 0,6—0,7 °/ 0 , Smalbei
Frauen, 2 mal bei Männern. Eine 8 jährige Schülerin hatte doppelte
Otitis. Der zweite Fall — Otitis sinistra — betraf ein 21 jähriges
Fräulein, und stellte sich in der 5. Woche ein, (kompliziert mit
Endocarditis und Blutung); der dritte betraf eine 36jährige Frau,
bei der sich in der 4. Woche Otitis mit Durchbruch des Trommel¬
fells einstellte, der vierte einen 2 jährigen Sohn mit Otitis duplex,
und der letzte einen Arbeiter, der in der Genesung mit Fieber¬
steigerung (40° 2 Tage lang) daran erkrankte. Der Ausgang
war bei allen ein guter.
Keratitis phyctaenulosa gelangte einmal bei einem Arbeiter
im Anfangsstadium des Typhus zur Beobachtung.
Meningitische Erscheinungen und Psychosen. Stärkere
Beizungen und Psychosen sind 31 mal zur Beobachtung gelangt
= 4,2% und zwar
Fr&aen Männer Zusammen
Starkes Verwirrtsein . . 1 1 2
Delirien. 6 6 11
Erregtsein. 2 1 3
Manie. 2 1 3
Sopor. 2 2 4
Melancholie.— 3 3
Aphasie.— 2 2
Katalepsie.— 1 1
Schwand des Gehörs, Ver-
gerang der Nahrang .1 — 1
Fixe Ideen. 1 — 1
Nach dem Alter verteilen sich diese Kranken wie folgt:
nichtschalpflichtig 2 = 6,6 °/ 0 30—60 Jahr 8 = 25,8 °/ 0
schulpflichtig 8 = 26,8 „ über 60 Jahr 4 = 12,9 „
16—30 Jahr 9 = 29,0 „
Sehr stark an Manie erkrankte ein 4jähr. Knabe; er biss,
kratzte, zerriss seine Bettdecke und schluckte Stückchen davon
hinunter.
580
Besprechungen.
Soporöse Zustände stellten sich nur bei Kindern ein und
zwar bei zwei schulpflichtigen Knaben und zwei schulpflichtigen
Mädchen; sie währten bei einigen wochenlang, unterbrochen durch
Schreien. — Melancholie betrat 3 männliche Individuen im Alter
von 16, 18 und 58 Jahren; einmal trat sie zu Anfang auf, ein
anderes Mal im Rückfalle und bei dem dritten Fall in der Rekon¬
valeszenz. — Aphasie wurde beobachtet bei einem 6jähr. Schüer
in der Rekonvaleszenz mit Nahrungsverweigerung (8 tägiges Er¬
nähren durch Klystiere) und einem 16jähr. Lehrling, der nur
einige Tage die Sprache verlor. — Kataleptischer Zustand trat
bei einem 35jähr. Manne auf, der 5 Tage steif lag und auf nichts
reagierte. — Alle diese Fälle sind genesen.
In der Rekonvaleszenz wurde mehrfach Schmerzen in den
Füssen mit Hinken beobachtet. Ich erkläre dies durch infolge
des Fettschwundes entstandene Lockerung der Bänder.
Das ist dasjenige, was ich aus dem Material heraus¬
gelesen habe.
Besprechungen.
Dr. Heuberger -Nürnberg: Die Verhütung der Geechleohtnlcraiik-
holten. (Heft VI der Veröffentlichung des Deutschen Verbands für Volks¬
hygiene). Im Aufträge des Vereins für öffentliche Gesundheitspflege zuNürnberg.
bearbeitet. München 1905. Verlag von B. Oldenburg. Kl. 8°, 45 8.
Preis: 0,30 M.
Verfasser gibt seine langjährigen Erfahrungen als Spezialist in klarer,
gemeinverständlicher und trotzdem wissenschaftlicher Form, um die weitesten
Kreise aufzuklären. Zu diesem Zweck ist der Preis der Broschüre niedrigst
gehalten; bei 46 Seiten 30 Pf. pro Exemplar und allmälig auf 15 Pf. bei 1000
herabsteigend. Des humanitären Zweckes wegen dürfte gerade diese Broschüre
zu empfehlen sein, zumal sie wirklich alles Wissenswerte enthält.
Dr. Blokusewski-Niederbreisig a. Bh.
Dr. Hudolf Abel, Beg.- u. Med.-Bat in Oppeln: Taschenbuch für den
bakteriologischen Praktikanten. Würzburg. Verlag von A. Stüber.
Kl. 8°, 114 S.
Die achte Auflage des vorzüglichen Abel sehen Taschenbuches enthält die
wichtigsten technischen Detailvorschriften zur bakteriologischen Laboratoriums¬
arbeit in der durch die Fortschritte der Bakterienkunde notwendig gewordenen
Umarbeitung bezw. Ergänzung. Abels Buch ist so bekannt, daß ein genaueres
Eingehen auf seinen Inhalt hier überflüssig ist, und zu allgemein geschätzt,
als daß eine besondere Empfehlung an dieser Stelle nötig wäre.
Dr. Boepke-Melsungen.
Gesnndheltabüohleln. Gemeinfaßliche Anleitung zur Gesundheitspflege.
Bearbeitet im Kaiserlichen Gesundheitsamte. Berlin. Verlag von Julius
Springer. Kl. 8°, 266 S.; Preis: 1 M., geb. 1,25 M.
Das Vorliegen der zehnten Ausgabe des „Gesundheitsbüchleins“ 1 ) be¬
weist am besten, daß das aus dem gesamten Bereiche der Gesundheitswissen¬
schaft Ausgewählte und gemeinfaßlich Wiedergegebene in der gebotenen Form
bei den weitesten Kreisen unseres Volkes Aufnahme gefunden hat. Möge das
vorliegende, durch zahlreiche und gute Abbildungen erläuterte Büchlein weiter
zur Förderung der Volkswohlfahrt beitragen 1 Dr. Boepke-Melsungen.
*) Soeben ist bereits die elfte durchgesehene Auflage erschienen.
B. Verlängerung des S
Besprechungen.
681
Dr. inr. Hngo Naumann: Die Öffentliche rechtliche Stellung der
Aerzte. Berlin. Verlag von Struppe u. Winkler. G. 8°, 138 S.;
Preis: 8 M.
Im Anschluß an „die Geschichte des ärztlichen Standes" bespricht Ver¬
fasser die für die Privatärzte jetzt geltenden öffentlich rechtlichen Be¬
stimmungen gemäß der Gewerbeordnung, gemäß der besonderen Bestimmungen,
die auf Grund der betr. Paragraphen der Gewerbeordnung erlassen wurden,
und gemäß dem besonderen Standesrecht. Die rechtliche Steilung der Medizinal¬
beamten ist nicht behandelt, da diese in ihrer Eigenschaft als Staatsbeamte
dem besonderen Beamtenrecht unterstehen. Dr. B o e p k e - Melsungen.
Henry Graaok: Sammlung von deutschen und ausl än disc h en Ge-
setsen und Verordnungen, die Bekämpfung der Kurpfuscherei
und die Ausübung der Heilkunde betreffend. Jena 1905. Verlag
von Gustav Fischer. G. 8°, 152 S.; Preis: 3 M.
Das von der deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung des Kurpfuscher¬
tums und von dem Geschäftsausschusse des deutschen Acrzte-Vereinsbundes
empfohlene Werk bringt im I. Teil eine systematische Uebersicht, im II. Teil
den Wortlaut der betr. deutschen und ausländischen Gesetze ohne begleitenden
Text. Die Sammlung ist in ihrer Form die einzige und erste und wird den¬
jenigen Aerzten und Verwaltungsbeamten ein willkommenes Nachschlagewerk
sein, die die Kurpfuscherei im Interesse der Volksgesundheit bekämpfen und
die Aufhebung der Kurierfreiheit, die Wiedereinführung des Kurpfuscherei¬
verbotes in zielbewußter solidarischer Einzel- und Vereinstätigkeit anstreben.
Dr. Boepke-Melsungen.
Dr. Oh. Besing, Arzt in Mörnsheim: Die 8ohalbankfrage. Verlag von
F. Leineweber. KL 8°, 60 S.; Preis: geh. 1,20 M., geb. 1,80 M.
Die kritischen Erörterungen und Vorschläge des Verfassers in der Schul¬
bankfrage, die auch in dem laufenden Jahrgang der „Zeitschrift für Medizinal¬
beamte“ wiederholt und von verschiedenen Seiten aufgerollt worden ist, er¬
scheinen für Pädagogen und Schulärzte und Baubehörden lesenswert, sofern
sie sich über die Neubeschaffung von Schulbänken schlüssig zu machen haben.
Dr. B o e p k e • Melsungen.
Dr. W. Pranznltz, Professor der Hygiene in Graz: Grundzüge der
Hygiene unter Berücksichtigung der Gesetzgebung des Deut¬
schen Reichs und Oesterreichs. Gr. 8°, 565 Seiten. Verlag von
J. F. Lehmann-München. Preis: brosch. 8 Mark.
Das bekannte Prausnitzsche Werk liegt in der siebenten Auflage
vor dank seines Vorzuges, daß es das ganze Gebiet der wissenschaftlichen und
praktischen Hygiene unter gleichmäßiger Berücksichtigung der einzelnen Teile
desselben in möglichster Kürze darstellt. Das Eingehen auf Einzelheiten er¬
übrigt sich an dieser Stelle um so mehr, als bereits die früheren Auflagen in
Fachkreisen eine freundliche Aufnahme gefunden haben. Besonders erwähnens¬
wert scheint der schöne, große Druck des Buches.
_ Dr. Boepke- Melsungen.
Dr. med. Robert Ostertag, Professor an der tierärztlichen Hochschule in
Berlin: Handbuch der Fleischbeschau für Tierärzte, Aerzte und
Richter. Gr. 8°, 781 Seiten. Verlag von Ferdinand Enke in Stuttgart.
Preis: 18,40 Mark.
Die vorliegende fünfte Auflage des O.’schen Handbuches berücksichtigt
die Ausführungsbestimmungen, die der Bandesrat nach Maßgabe des Beichs-
gesetzes, betr. die Schlachtvieh- und Fleischbeschau vom 8. Juni 1900 zu er¬
lassen hatte. Auch einzelne Kapitel, z. B. über postmortale Veränderungen,
Fleischvergiftungen und Methoden der Tauglichmachung des bedingt tauglichen
Fleisches durch Kochen und Dämpfen sind neueren Forschungsergebnissen
gemäß umgearbeitet. Im übrigen bleibt das umfangreiche, erschöpfende Werk
Ostertags seiner ursprünglichen Bestimmung getreu, die Tierärzte hinsicht¬
lich der Ueberwachung des Fleischverkehrs nach allen Richtungen hin zu in¬
formieren, die Aerzte mit den Grundzügen der wissenschaftlichen Fleischbeschau
582
Tagesnachriohten.
vertraut am machen nmd dem Siebter ala Machschl agohnoh bei der mul die
Fleischbeschau bezüglichen Beehtspreahuag und strafrechtlichen BeorteBrnng
einschlägiger Fragen zu dienen. Möge das Werk in den genannten Kreisen
die ungeteilte freudige Aufnahme finden, die es wegen der in ihm deponierten,
qualitativ und quantitativ hervorragenden Arbeit verdient.
Dr. B o e p k e - Melsungen.
Tagesnachrichten.
Die Cholera in Westpreussen. Der „Staatsanzeiger“ veröffentlicht
folgende Bekanntmachung des Staatsministeriums: „Angesichts der in den
letzten Tagen auf der Weichsel beobachteten Erkrankungen an Cholera,
welche augenscheinlich durch den FlOßereiverkehr aus Bußland ein-
gesohleppt worden sind, ist zur einheitlichen Leitung der Maßregeln zur Ver¬
hütung der Weiterverbreitung der Cholera durch den Flußverkehr der KOnigL
Oberpräsident der Provinz Westpreußen als Staatskommissar rar
die Cholerabekämpfung in dem Stromgebiet der Weichsel und der KgL
Begierungspräsident in Bromberg als Staatskommissar für die
Cholerabekämpfung in dem Wasserlauf der Brahe, des Bromberger
Kanals und der Netze bis zur Einmündung in die Warthe eingesetzt worden.
Dieselben werden alle Maßnahmen ergreifen, welche geeignet sind, die in den
genannten Stromgebieten etwa vorkommenden Fälle von Cholera festzustellen,
jede Verschleppung der Krankheit durch Menschen oder Flußfahrzeuge zu
verhindern, sowie die Krankheitskeime und die Gelegenheit zu deren weiterer
Entwickelung soweit als möglich zu tilgen.“
Im nichtamtlichen Teile schreibt hierzu der „Staatsauzeiger“: „Am
28. August hat im Kultusministerium eine Beratung über die Bekämpfung
der Ch o 1 er a stattgefunden, an welcher Vertreter der Beichsbehörden und der
zuständigen preußischen Ministerien teilgenommen haben. Es wurde die Ein¬
führung einer allgemeinen gesundheitlichen Ueberwachung des Schiffs- und Floßver-
kehrs auf der Weichsel, Brahe, dem Bromberger Kanal und der Netze bis zur Ein¬
mündung in die Warthe befürwortet. Die Ueberwachung ist auch sofort seitens der
zuständigen Minister angeordnet, und der Oberpräsident der Provinz Westpreußen
zum Staatskommissar für das Stromgebiet der Weichsel, und der Begierungs¬
präsident in Bromberg zum Kommissar für das Gebiet der Brahe, der Netze
und des Bromberger Kanals ernannt worden. Zugleich sind in den beteiligten
Begierungsbezirken die umfassendsten Bekämpfungsmaßregeln angeordnet. Die
Anzeigepflicht für Cholera- und choleraverdächtige Erkrankungen und Todes¬
fälle ist in Erinnerung gebracht, die obligatorische Leichenschau durch Aerzte in
den Stromgebieten der Weichsel, Brahe und Netze eingeführt, vor dem Genuß
des Wassers der Ströme und vor dem Baden in ihnen gewarnt, auch sind die vom
Bundesrat aufgestellten Batschläge an praktische Aerzte und die gemeinver¬
ständlichen Belehrungen für die Bevölkerung und für Schiffer erteilt und
Stromüberwachungsstellen unter Leitung von Aerzten an 12 Stellen des
Weichsel Stromes (Schilno, Schulitz, Kulm, Graudenz, Kurzebrack, Piecken,
Dirschau, Einlage, Plehnendorf, Danzig, Marienburg, Platenhof) und an 4
Stellen der Netze (Nakel, Weißenhöhe, Usch und Czernikau) mit Unterkunfts¬
räumen für Kranke und Verdächtige eingerichtet worden. Bis zum 30. August
sind insgesamt 20 choleraverdächtige Erkranloungen gemeldet, von
denen 12 als Cholera bakteriologisch festgestellt worden sind; 6 davon
haben tödlich geendigt. Je eine dieser Erkrankungen gehört dran Gebiete
der Warthe und Netze, die übrigen 18 gehören dem Wcichselgebict an. Die
bisher festgestellten Fälle betreffen Flößer, die in jüngster Zeit aus Bußland
gekommen sind, sowie Personen, welche mit solchen Flößern in unmittelbarer
Berührung gestanden haben.
Vom 8.—8. September d. J. wird in Amsterdam der erste Inter¬
nationale Kongress für Psychiatrie und Nenrologie stattfinden unter dem
Präsidium von Prof. Jelgersma in Leyden.
Die Augustnummer des Public Health (VoL XVII, Nr. 11, S. XIII) ent¬
hält die Mitteilung, daß — wohl im Ans chluß an den vom 16.—19. Oktober
Tagesnaehrfchten.
688
tagenden internationalen Milchkongreß — in Paris am 20. und 21. Ok¬
tober d. J. ein internationaler Kongress Aber die Frage der Sftngllngs-
milchktteken tagen wird. Im vorbereitenden Komitee sind außer den leitenden
englischen und französischen Aerzten solche aus Madrid, Brüssel, Buenos-Air es,
St. Petersburg und Genf genannt. Es wäre zu wünschen, daß auch Deutsch¬
land Vertreter dazu stellte, um seine Erfahrungen mit den fremdländischen
auszutauschen. Meldungen sind zu richten an Dr. P. Bog er, 69. Eue
de Berry, Paris. _
Der X. internationale Kongress gegen den Alkobollsmas findet vom
11. —16. September d. J. in Budapest statt.
Anmeldungen zur Teilnahme sind an die Adresse des Generalsekretärs
Dr. Philipp Stein, Budapest, VII. Mucsarnok, Varosliget zu richten. Die
Kongreßgebühr beträgt 6 Kronen.
Auf den in Breslau am 24. und 26. August d. J. abgehaltenen
84. Apothekertag sind u. a. folgende, auch die Medizinalbeamten interessierende
Beschlüsse und Anträge angenommen:
Inbezug auf die soziale Fürsorge für das pharmazeutische
Hilfspersonal wurde der Antrag des Vorstandes, durch den dieser beauf¬
tragt wird, „die Vorarbeiten für die Gründung einer freien Hilfskasse oder den
Anschluß an eine andere Kasse in die Wege zu leiten und der nächsten Haupt¬
versammlung zur endgültigen Beschlußfassung eine Vorlage zu machen“, ange¬
nommen mit folgender Besolution: „Der Vorstand wird beauftragt, dahin zu
wirken, daß eine Ergänzung des Handelsgesetzbuches in der Weise erfolgt, daß
in Krankheitsfällen den in den Apotheken beschäftigten Assistenten und Eleven
die den Handlungsgehilfen und -Lehrlingen gewährten Bechte zustehen sollen.*
Bei der Verhandlung über die Personalfrage wurde fast überein¬
stimmend betont, daß man den Frauen den Eintritt in den pharmazeutischen
Beruf nicht verweigern könne. Es müsse von ihnen aber dieselbe Vorbildung
verlangt werden, wie vom Manne. Ferner wurde ohne Widerspruch ausge-
ftthrt, daß das Maturum als Vorbedingung für den Apotheker¬
beruf verlangt werden müßte. Auch hier gelangte der Antrag des Vorstandes
zur Annahme: „Im Hinblick auf die Schwierigkeit, die zurzeit junge Mädchen
dadurch von der Wahl des Apothekerberufs zurückhält, daß Mädchengymnasien
in Deutschland nur in verschwindender Anzahl vorhanden sind, wird der Vorstand
beauftragt, festzustellen, ob die Absolvierung der höheren Töcnterschule, ergänzt
durch eine Sonderprüfung mindestens in Latein, den derzeitigen gesetzlichen
Ansprüchen an die Vorbildung genügt. Sollte dies der Fall sein, so will der
Vorstand bei der zuständigen Behörde dahin vorstellig werden, daß bis zur
Einführung der Maturität als Vorbedingung für den Eintritt in den pharma¬
zeutischen Beruf die Absolvierung einer solchen Schule unter obiger Bedingung
genügen soll.“
Hinsichtlich der Neuregelung des Apothekenwesens fand nach
langer Debatte der nachstehende Antrag des Vorstandes Annahme: „Da die im
Laue des letzten Jahres im preußischen Landtage sowohl, wie im Beichstage auf
dahinzielende Fragen erteilten Antworten erkennen lassen, daß die deutschen
Bundesregierungen einer gesetzlichen Regelung des Apothekergewerbewesens
noch ebenso unentschieden gegenüberstehen wie vor fünf Jahren, so beauftragt
die Hauptversammlung den Vorstand erneut, bei dem Reichskanzler und dem
Beichstage vorstellig zu werden, daß baldigst eine Reform in Angriff ge¬
nommen werde, denn es wird zweifellos der Kredit des Apothekerstandes und
auch seine gesamte Fortentwickelung durch die nun schon seit vielen Jahren
andauernde Ungewißheit hinsichtlich der Frage, in welcher Weise und wann
eine anderweitige gesetzliche Regelung der Besitzverhältnisse des Apotheker-
Standes erfolgen wird, ungünstig beeinflußt.“
Ebenso wurde der Antrag des Vorstandes den Erlaß einer in allen
Staaten des Reiches gleichmäßigen Apotheken-Betriebsordnung anzu¬
streben, bei deren Vorbereitung Vertreter der praktischen Pharmazie aus allen
Bundesstaaten mit eigener Betriebsordnung mitwirken sollen, angenommen.
Einstimmig wurde endlich auf Antrag des Apothekers Lücker-Berga be¬
schlossen, bei den maßgebenden Stellen dahin vorstellig zu werden, daß das
Lysol dem freien Verkehr entzogen werden möge.
684 Tagesordii. zur Hauptversammlung des Deutschen Medizinalbeamtenverd«. ;
Deutscher Medizinalbeamten - Verein.
Vierte Hauptversammlung
in
Heidelberg.
Donnerstag, den 7. September:
8 Uhr abends; Gesellig« Vereinigung zur BegrQssung (mit Dami
in der Stadthalle. Ballsaal (Eingnag Portal IV, Bienenstraße).
Freitag, den 8. September:
0 Uhr vormittags: Erste Sitzung Im Kammermusiksaal der Stadt- j
halle (Eingang Portal VI; Neckarseite). 1
1. Eröffnung der Versammlung. T.
2. Geschäfts- und Kassenbericht. .
3. Gerichtsärztliche Wünsche mit Rücksicht auf die berorsteliende Sei-1
bearbeitung der Strafprozessordnung. Beferenten: Prof. Dr. H e i e • I
berger-Bonn, Gerichtsarzt Prof. Dr. Straß mann-Berlin und J
Prof. Dr. Aschaffenburg-Cöln a./Bh. 1
Nlch Schloß der Sitzung: Besichtigungen. [
5 Uhr nachmittags: Festessen (mit Damen) in der Stadthalle. j
Sonnabend, den 9. September: (
0 Uhr Tormittags: Zweite Sitzung.
1. Die Beaufsichtigung der Geisteskranken ausserhalb der Anstalten.
Beferent: Privatdozent Dr. Weber in Göttingen. Korreferent: Put
Dr. Stolper, Kreisarzt in Göttingen. . '
2. Torstandswahl; Bericht der Kassenrevisoren. |
3. Abwässer • Reinigung mit Rücksicht auf die Reinhaltung der Wasser- 1
läufe. Referenten: Reg.- und Med.-Rat Dr. Dütschke-Erfurt und '
Dr. T hu mm- Berlin j
Nach Schluß der Sitzung: Mittagessen nach freier Wahl. I
8 Uhr nachmittags: Besichtigung des alten Heidelberger >
Schlosses und gemeinschaftlicher Ausflug in die Umgebung-
Die Mitglieder werden um recht zahlreiche Teilnahme gebrtn ;■
und dringend ersneht, alsbald nach ihrer Ankunft in Heidelberg sich im An¬
meldebureau zu melden, das sich in der Stadthallo befindet und am Don-
nerstag von 4 Uhr nachmittags an geöffnet ist.
Wohnungen werden am besten direkt bestellt; jedoch ist auch H.
Gerichtsarzt a. D. Dr. Longard-Heidelberg erbötig, solche zu besorgen 1 ).
Bestellungen sind unter Angabe etwaiger Wünsche in bezug auf die Lage und
Preis der Zimmer, Zahl der Betten rechtzeitig an ihn zu richten. ;■
Der Vorstand des Deutschen Medizinalbeamten-Vereins.
Im Auftr.: Dr. R a p m u n d, Vorsitzender,
Reg.* u. Geh. Med.-Rat ln Minden.
*) Empfehlenswerte Hotels: Darmstädter Hof: Zimmer von
2,50—3 M., Frühstück 1 M.; Europäischer Hof: Z. von 4—7 M., Frühst.
1 M. 60 Pf.; Grand-Hotel*: Z. von 3 M. an, Frühst. 1 M. 20 Pf.; Hotel
Harrerf: Z. mit Frühst, von 2,50 M. an; Hotel Lang: Z. von 2,50—4 1L,
Frühst. 1 M.; Hotel Metropolf: Z. von 3 M. an, Frühst. 1 M. 20 Pt;
Hotel Prinz Carlf*: Z. von 2—5 M., Frühst. 1 M. 20 Pf.; Hotel Reichs¬
post: Z. von 2,50—4 M., Frühst. 1 M.; Hotel Ritter: Z. von 2,50 M, Frühst.
1 M.; Hotel Schrieder: Z. von 2,50—5 M, Frühst. 1 M. 20 Pf.; Schloss-
hotel: Z. mit Frühst, von 5 M. an; Hotel Victoria: Z. von 3—4 M.
Frühst. 1 M. 25 Pf.
_ f Hotels de» Deutschen Offizier-Vereine. * Hotel« des Warenhauses für deute ehe Beamte.
Verantwort! Redakteur: Dr. Rap mund, Reg.-u. Geh. Med.-Rat in Minden i. ^
J. G. C. Bruns, HerzogL Öächs. u. F. Scb.-L. Hofbuchdruckerei in Minden.
za den Vorträgen
der
Vierten Hauptversammlung
des
Deutschen Medizinatbeamteofereins.
Erster Sitzungstag.
Zu B der Tagesordnung:
Gerichtsärztliohe Wünsche in bezug auf die bevorstehende
Reform der Strafprozessordnung.
Referenten: Prof. Dr. Strassmann - Berlin, Prof. Dr. Aschaffenburg-
Cöln a. Rh. and Prot Dr. Heimberger - Bonn.
l.
Za § 52 (Zeugnisverweigerungsrecht):
Von der Kommission für die Reform des Strafprozesses (Pro¬
tokolle, II. Bd., S. 413, Nr. 53) 'wurde hinsichtlich des Zeugnis-
verweigerungsrechtes der Geistlichen beschlossen:
„Dass die Geistlichen vor ihrer Vernehmung über diese Be¬
schränkung des Gegenstandes der Vernehmung belehrt werden
sollen.“
Entgegen dem Beschlüsse der Kommission (ebenda Nr. 54)
wird es für wünschenswert erachtet, dass diese Bestimmung auch
auf die Aerzte ausgedehnt wird.
n.
Zu § 56 (Unbeeidigte Vernehmung von Zeugen) ist
die Anfügung folgender Bestimmung erwünscht:
„Unbeeidigt sind zu vernehmen Personen, deren Anssagen
oder Wahrnehmungen durch Geisteskrankheit oder Geistesschwäche
beeinflusst sind.“
m.
Zum Abschnitt über die „Zeugen“ soll ausserdem fol¬
gende Bestimmung angefügt werden:
„Gibt der Geisteszustand eines Zeugen zu Bedenken Anlass,
so ist ein Sachverständiger zur Beachtung und Begutachtung zu
bestellen. Hat der Zeuge selbst das Verbrechen angezeigt oder
den Antrag auf Strafverfolgung gestellt, so kann das Gericht zur
Vorbereitung eines Gutachtens auf Antrag eines Sachverständigen
und nach Anhörung eines dem Zeugen zur Wahrung seiner Inter¬
essen zu bestellenden oder von ihm gewählten Rechtsanwalts an¬
ordnen, dass der Zeuge in eine Irrenanstalt gebracht und dort
beobachtet werde. — Gegen den Beschluss findet sofortige Be¬
schwerde statt; diese hat aufschiebende Wirkung. — Die Ver¬
wahrung in der Anstalt darf die Dauer von sechs Wochen nicht
überschreiten.“
IV.
Zu § 80 (Vorbereitung des Gutachtens von Sach¬
verständigen) wird beantragt, den Absatz 2 zu fassen:
»Zu diesem Zwecke ist ihm zu gestatten, falls nicht be¬
sondere Hinderungsgründe vorliegen, die Akten einzusehen, der
Vernehmung von Zeugen oder des Beschuldigten beizuwohnen und
an diesen Fragen zu stellen.“
V.
§ 81 (Einweisung eines Angeschuldigten in eine
öffentliche Irrenanstalt behufs ärztlicher Beobach¬
tung und Erstattung eines Gutachtens über seinen
Zustand) möge folgenden Zusatz erhalten:
»Falls vom Gericht oder von dem Angeschuldigten ein Ober¬
gutachten verlangt wird, kann von neuem die Einweisung in eine
der obergutachtenden Behörde oder dem als Obergutachter bestellten
Sachverständigen zugängliche Irrenanstalt auf die Dauer von
höchstens sechs Wochen beschlossen werden. — Der Beschluss ist
mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar; diese hat aufschie¬
bende Wirkung.
VI.
Zu § 82 (Erstattung von Gutachten im Vorver¬
fahren) ist dem Absatz 2 hinzuzusetzen:
„Bei mündlicher Erstattung eines Gutachtens sowie bei
Augenscheins-Einnahmen, gerichtlicher Leichenschau und Leichen¬
öffnung (§§ 86 und 87) ist der Sachverständige berechtigt, sein
Gutachten oder den von ihm festgestellten Sachbefund selbst zu
Protokoll zu diktieren.“
VII.
§ 85 (betreffend sachverständige
fallen.
VIII.
Zeugen) soll fort-
§ 87 (Richterliche Leichenschau) soll lauten:
„Die richterliche Leichenschau wird unter Zuziehung eines
Arztes, der in der Regel ein Gerichtsarzt sein soll, die Leichen¬
öffnung im Beisein des Richters von 2 Aerzten, unter denen sich
ein Gerichtsarzt befinden muss, vorgenommen. Demjenigen Arzte,
welcher den Verstorbenen in der dem Tode unmittelbar voran¬
gegangenen Krankheit behandelt hat, ist die Leichenöffnung nicht
zu übertragen. Derselbe kann jedoch aufgefordert werden, der
Leichenöffnung anzuwohnen, um aus der Krankheitsgeschichte
Aufschlüsse zu geben.
Behufs der Besichtigung oder Oeffnung einer schon beerdigten
Leiche, ist ihre Ausgrabung statthaft. Ebenso ist die Entnahme
von Leichenteilen statthaft, soweit sie zur weiteren Untersuchung
und Beweisaufnahme erforderlich ist.“
IX.
In § 91 (Untersuchungen bei Verdacht einer Ver¬
giftung) soll an Stelle des Wortes „Chemiker“ gesetzt werden
„geeigneten Sachverständigen“.
X.
Zu § 97 (Nicht zulässige Beschlagnahme von
schriftlichen Mitteilungen usw. der zur Verweigerung
des Zeugnisses berechtigten Personen).
Es ist dem Beschlüsse der Kommission für die Reform der
Strafprozessordnung zu § 97 (Protokolle, II. Bd., S. 431, Nr. 75)
zuzustimmen, welcher lautet:
„Unter den im § 97 bezeichneten Voraussetzungen sollen
nicht nur, wie schon bisher, schriftliche Mitteilungen zwischen
dem Beschuldigten und den nach § 52 zur Verweigerung des
Zeugnisses berechtigten Personen, sondern auch Aufzeichnungen
der nach § 52 Verweigerungsberechtigten über Mitteilungen des
Beschuldigten der Beschlagnahme nicht unterliegen.“
XI.
Die Kommission für die Reform der Strafprozessordnung
hat zum Abschnitt 8 hinter § 111 folgende neue Vorschriften über
die körperliche Untersuchung vorgeschlagen (s. Protokolle,
II. Bd., S. 439, Nr. 79—82):
„Die körperliche Untersuchung soll verdächtigen und unverdächtigen
Personen gegenüber zulässig sein, wenn sie für das anhängige Strafverfahren zum
Zwecke der Feststellung des Vorhandenseins oder Nichtvorhandenseins von
Spuren oder Folgen einer strafbaren Handlung notwendig ist.
Im Falle der Weigerung soll es zulässig sein, die Untersuchung zu er¬
zwingen.
Die Anordnung der körperlichen Untersuchung soll dem Richter, hei
Gefahr im Verzüge auch der Staatsanwaltschaft zustehen. Die Androhung
und die Anordnung des Zwanges soll nur dem Richter zustehen.
Für die körperliche Untersuchung einer weiblichen Person soll weiter
bestimmt werden, daß sie nur von einem oder mehreren Aerzten (Aerztinnen)
vorgenommen werden darf und daß auf Verlangen der zu Untersuchenden oder
ihres gesetzlichen Vertreters ein Angehöriger oder eine geeignete weibliche
Person als Beistand anzuziehen ist, wenn dies ohne Gefährdung des Unter-
uchungszweckes geschehen kann.“
Za Absatz 3 dieses neuen Paragraphen wird folgender
Zusatz vorgeschlagen:
„Gegen den richterlichen Beschluss, der den Zwang anordnet,
ist sofortige Beschwerde zulässig; dieselbe hat aufschiebende
Wirkung.“
XII.
Zu § 116 (Untersuchungshaft).
Nach den Gefängnis- und Zuchthausordnungen pflegt die
Fesselung eines Strafgefangenen nur nach Anhörung des
Arztes angeordnet zu werden. Bei Fesselung eines Untersnchungs-
gefangenen ist die Anhörung des Arztes nicht vorgeschrieben. Es
erscheint die Aufnahme einer entsprechenden Bestimmung im
§116 Str.-P.-O. empfehlenswert.
xin.
Zu § 128 (Festnahme und Vorführung eines Ange-
schuldigten behufs Vernehmung).
Die Kommission für die Beform der Strafprozessordnung
(Protokoll, II. Bd., S. 419, Nr. 102) schlägt vor, „dass an die
Stelle der im § 118 vorgesehenen Vorführung die Einsendung der
über die Festnahme aufgenommenen Verhandlungen tritt, wenn
sich der Festgenommene in einem körperlichen Zustande befindet,
welcher die Vorführung mit Rücksicht auf seinen Gesundheits¬
zustand nicht zulässt. In diesem Falle darf die Vernehmung so
lange ausgesetzt bleiben, als von ihr Gefahr für Leben und Ge*
sundheit des Festgenommenen zu befürchten ist.“
Es wird hierzu folgender Zusatz vorgeschlagen: „deren
Vorliegen durch gerichtsärztlicheUntersuchungfest¬
zustellen ist.“
XIV.
Dem § 188 (Beweisaufnahme in der Vorunter¬
suchung) soll als Absatz 3 zugesetzt werden:
„Insbesondere ist in Sachen, zu deren Aufklärung ein sach¬
verständiges Gutachten gehört, dieses schon in der Vor¬
untersuchung einzuholen; auch ist dem etwaigen Antrag des An¬
geschuldigten, der durch ein solches Gutachten belastet wird, auf
Einholung eines zweiten Gutachtens zu entsprechen, falls dieser
Antrag nicht ganz unbegründet erscheint.“
XV.
Zu § 203 (Vorläufige Einstellung des Strafver¬
fahrens bei geisteskranken oder geistesschwachen
Angeschuldigten) soll folgende Fassung vorgeschlagen werden:
„Vorläufige Einstellung des Verfahrens kann beschlossen
werden, wenn dem weiteren Verfahren.der Umstand
entgegenstellt, dass der Angeschuldigte nach der Tat in Geistes¬
krankheit verfallen ist, die eine Verhandlung als unaus¬
führbar erscheinen lässt. In jedem Falle ist ihm von Amts¬
wegen ein ärztlicher Sachverständiger beizuordnen, sofern er sich
nicht selbst einen solchen gewählt oder ihn von seinen Angehörigen
bestellt erhalten hat.“
XVI.
Zu § 222 (Behindertes Erscheinen eines Zeugen
als Sachverständigen in der Hauptverhandlung) wird
vorgeschlagen,
dass nach den Worten „so kann das Gericht die Vernehmung
desselben (Zeugen oder Sachverständigen) durch einen beauftragten
oder ersuchten Richter anordnen“ die Worte eingeschoben werden:
„falls nicht die Vernehmung mit Gefahr für den Kranken ver¬
bunden ist“.
XVII.
§ 250, Abs. 1 (Verlesung des Protokolls über die
frühere Vernehmung eines Zeugen oder Sachver¬
ständigen) soll den Zusatz erhalten:
„Zur Verlesung des Protokolls über die Vernehmung eines
in Geisteskrankheit Verfallenen ist ein ärztlicher Sachverständiger
zuzuziehen.“
XVIII.
Zu § 255 Absatz 1 (Verlesung von Gutachten in der
Hauptverhandlung) soll hinzugesetzt werden:
„In den vor den kleinen Schöffengerichten und den vor dem
Amtsrichter verhandelten Strafsachen können auch anderweitige
ärztliche Gutachten verlesen werden.“
XIX.
Zu § 274 (Aufnahme von Aussagen der Zeugen in
das Protokoll der Hauptverhandlung).
Hier wird zu den von der Kommissionfür die Strafprozess¬
ordnung (Protokolle, II. Bd., S. 513, 515, Nr. 199—205) ge¬
machten Vorschlägen der Zusatz gewünscht:
„In das Protokoll dürfen als Aussagen in direkter Bede
nur solche aufgenommen werden, die tatsächlich wörtlich nieder¬
geschrieben sind; dieselben sind durch Ausführungszeichen als
wörtlich aufgenommene Aussagen zu kennzeichnen. Handelt es
sich hierbei um Antworten auf Fragen, so ist auch der Wortlaut
der Frage wörtlich aufzunehmen und dies ebenfalls durch Aus¬
führungszeichen kenntlich zu machen“.
XX.
Zu § 411 (Wiederaufnahme eines durch rechts¬
kräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens bei in¬
zwischen verstorbenen oder in Geisteskrankheit ver¬
fallenen Verurteilten) wird folgende Fassung vorgeschlagen:
„Ist der Verurteilte bereits verstorben oder in Geistes¬
krankheit verfallen und seine Widerherstellung in
absehbarer Zeit nicht zu erwarten, so hat ohne Erneue¬
rung der Hanptverhandlnng das Gericht.entweder
die Freisprechung zu erkennen oder den Antrag auf Wieder¬
aufnahme abzulehnen.
Das Urteil soll ohne Erneuerung der Hauptverhandlung
gegen den Willen des Verurteilten (entsprechend dem Beschlüsse
der Kommission für die Beform der Strafprozessordnung, Proto¬
kolle, II. Bd., S. 549, Nr. 240) sowie gegen den Willen des
Vormundes oder Pflegers eines verurteilten Geistes¬
kranken nicht mehr zulässig sein.“
XXI.
Zu §§ 485 und 487 (Vollstreckung des Todesurteils
und Aufschiebung einer Freiheitsstrafe bei geistes¬
kranken Personen).
Nach § 485, Abs. 2 darf an geisteskranken Personen ein
Todesurteil nicht vollstreckt werden, und nach § 487, Abs. 1 ist
die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe aufzuschieben, wenn der
Verurteilte in Geisteskrankheit verfällt, ferner bei anderen Krank¬
heiten, wenn von der Vollstrecknng eine nahe Lebensgefahr für
den Verurteilten zu besorgen steht. Beide Paragraphen sollen
etwa in folgender Weise ergänzt werden:
„Steht die Auffassung der Strafvollzugsbehörde über das
Vorliegen einer Geisteskrankheit oder das Vorhandensein einer
nahen Lebensgefahr mit der Auffassung der Sachverständigen in
Widerspruch, so ist ein Obergutachten einer kollegialen Fach¬
behörde einzuholen.“
XXII.
Fttr § 493, Abs. 1 (Anrechnung der Dauer des Auf¬
enthalts eines Strafgefangenen in einer Kranken¬
anstalt auf die Strafzeit) soll folgende Fassung vor-
geschlagen werden:
„Ist der Verurteilte nach Beginn der Strafvollstreckung wegen
Krankheit in eine von der Strafanstalt getrennten Krankenanstalt
gebracht worden, so ist die Dauer des Aufenthalts in der Kranken¬
anstalt in die Strafzeit einzurechnen, wenn nicht der Verurteilte
mit der Absicht, die Strafvollstreckung zu unterbrechen, die
Krankheit oder seine Verbringung in die Krankenanstalt
herbeiftthrt. Dies gilt auch fttr solche Verurteilte, welche
wegen Geisteskrankheit in eine Irrenanstalt gebracht
werden.*
XXIII.
§ 608 (Erstattung der Auslagen seitens des Ver¬
urteilten bei Privatklagen) soll folgende Ergänzung in
Abs. 2 finden:
„Wird der Beschuldigte auf Grund des § 51 St.-G.-B. ausser
Verfolgung gesetzt oder freigesprochen, so kann das Gericht den
Privatkläger nach Befinden der Umstände von der Tragung der
Kosten ganz oder teilweise entbinden.“
Zweiter Sitzungstag.
Zu 1 der Tagesordnung:
Die Beaufsichtigung der Geisteskranken ausserhalb der
Anstalten.
Beferent: Privatdozent Dr. W. Weber, Oberarzt der Prov.-Heil-
und Pflege-Anstalt Göttingen; Korreferent: Prof. Dr. P. Steiper, Kreislest
in Göttingen.
A. Leitsätze des Referenten.
(Nicht zur Abstimmung bestimmt.)
1. Die Anstaltspflegebedttrftigkeit eines Geisteskranken wird
nicht ausschliesslich durch den Krankheitszustand, sondern durch
äussere Umstände, die auf den Kranken einwirken, bedingt.
2. Die Behandlung oder Pflege von Epileptikern, Idioten
und Imbezillen ausserhalb der öffentlichen Anstalten in privater
oder Familienpflege irgendwelcher Art muss derselben ärztlichen
Beaufsichtigung unterstehen, wie die der anderen Geisteskranken.
II
3. Die öffentlichen Irrenanstalten sind in erster Linie znr
Heilung und Pflege, nicht znr Unschädlichmachnng Geisteskranker
bestimmt. Dieser Gesichtspunkt muss auch bei der Aufnahme¬
begutachtung besonders betont werden.
4. Die allgemeinen Krankenhäuser eignen sich auch zur vor¬
läufigen Unterbringung, Behandlung und Pflege frischer Psychosen
nur, wenn ihnen die Einrichtungen und das geschulte Pflege¬
personal der modernen Irrenanstalt zur Verfügung steht und ihr
Leiter psychiatrisch ausgebildet ist.
5. Eine Information der praktischen Aerzte Aber das
für ihren Bezirk zuständige Aufnahmeverfahren ist dringend
wünschenswert.
6. Die Familienpflege im irrenärztlichen Sprachgebrauch ist
nur eine freiere Form der Anstaltspflege. Die in dieser Familien¬
pflege untergebrachten Kranken sind Anstaltsangehörige; ihre
Beaufsichtigung und Behandlung wird zweckmässig von der An¬
stalt ausgeübt.
7. Wenn unabhängig von einer öffentlichen Zentralanstalt
mehr als drei Geisteskranke in einer fremden Familie unter¬
gebracht sind, so ist dies als eine Privatanstalt zu betrachten,
die den entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen zu unter¬
liegen hat.
8. Irrenhilfsvereine müssen, wenn sie ihren Zweck erfüllen
Bollen, in ihrer Verwaltung und Organisation völlig von den re¬
gionären Irrenanstalten losgelöst sein und am besten unter Leitung
der Medizinalbeamten stehen.
9. Eine stetige enge Fühlung zwischen den Medizinalbeamten
und den Leitern der öffentlichen Irrenanstalten ist wünschenswert.
10. Ueber die aus den Anstalten entlassenen Geisteskranken,
ebenso über die im Zivil- oder Strafverfahren als geistig gestört
in irgendwelcher Form Erklärten sollen die Medizinalbeamten
durch Vermittelung der zuständigen Behörden oder Gerichte in¬
formiert werden.
11. Bei der Beaufsichtigung entlassener Kranker ist das
Eingreifen subalterner, uniformierter Beamter tunlichst zu ver¬
meiden ; auch bei der Begleitung von Kranken in die Anstalt
sollten nicht uniformierte Beamte verwendet werden.
12. Zur Prophylaxe geistiger Störungen ist die Elinrichtung
von Nervenpolikliniken und Volksnervenheilstätten dringend zu
empfehlen.
13. Es ist wünschenswert, dass auch der Staatsanwalt ein
Antragsrecht bei der Entmündigung wegen Trunksucht erhält.
B. Leitsätze des Korreferenten.
(Nicht znr Abstimmung bestimmt.)
14. Die Beaufsichtigung der Geisteskranken ausserhalb der
Anstalten, eine noch nicht hinreichend geordnete Aufgabe der
Gesundheitspolizei, kann erschöpfend nur sein, wenn eine gut
geregelte Meldepflicht an eine Zentralmeldestelle für ein um¬
grenztes, übersehbares Gebiet gesetzlich eingeführt wird.
15. Als solches kommt der Wirkungslos je eines Staats-
medizinalbeamten (Kreisarzt, Bezirksarzt) in Frage.
16. Dem Medizinalbeamten müssen auf dem Wege über die
Kreispolizeibehörde gemeldet werden:
a. seitens der Anstalten alle für seinen Bezirk irgendwie
in Betracht kommenden Entlassungen von nngeheilten bezw.
nnr gebesserten Geisteskranken und zwar unter Mitteilung
von Art und Voraussage der Erkrankung des Entlassenen,
sowie von Wünschen, betreffend seine Unterbringung; anch
die in Familienpflege Entlassenen sind zu melden.
b. seitens der Behörden alle Feststellungen von Geistes¬
krankheit, sei es im Zivil-, sei es im Strafprozess.
r $17. Der Medizinalbeamte ist mit Ermittelungs-, Aufsichts¬
und beschränktem Anordnungsrecht inbezug auf Geisteskranke
ausserhalb der Anstalten auszustatten.
18. Diese Bestimmungen haben zur Voraussetzung ent¬
sprechende Ergänzungen der Zivil- und Strafprozessordnung und
einen Bundesratsbeschluss, der die Einheitlichkeit der landesrecht¬
lichen Anordnungen gewährleistet; dagegen bedarf es dazu keiner
weitgehenden generellen reichsgesetzlichen Regelung im Sinne
einer Beichsirrengesetzgebnng.
Zu 3 der Tagesordnung:
Abwässer-Reinigung mit Rücksicht auf die Reinhaltung
der Wasserläufe.
A. Reg.- u. Med.-Rat Dr. DUtschke - Erfurt: Reinhaltung der
Wasserlanfe vom gesundheitspolizeilichen und yer-
waltungsrechtlichen Standpunkte.
(Rieht zur Abstimmung bestimmt.)
1. Die in Deutschland bestehenden hochgradigen Verun¬
reinigungen zahlreicher Wasserläufe bedeuten eine grosse gesund¬
heitliche und wirtschaftliche Gefahr; sie bedürfen daher dringend
der Beseitigung bezw. der Einschränkung.
2. Am sichersten würde die Beinhaltung der Wasserläufe
durch eine einheitliche gesetzliche Begelung für das ganze Reich
erreicht werden; einer solchen stellen sich jedoch zur Zeit noch
grosse Schwierigkeiten entgegen.
3. Im allgemeinen bieten aber schon jetzt die gesetzlichen
Bestimmungen und Verwaltungsmassregeln der einzelnen Bundes¬
staaten eine wirksame Handhabe, die Verunreinigungen der
Wasserläufe in Deutschland zu verhüten oder erheblich einzu¬
schränken, wenn diese Massregeln nur konsequent von den ein¬
zelnen Bundesstaaten gehandhabt werden.
4. Als die zur Zeit aussichtsvollste Verwaltungsmassnahme
zur Verhütung und Beseitigung der Verunreinigung der Wasser¬
läufe müssen die regelmässigen Besichtigungen sämtlicher Wasser¬
läufe in den einzelnen Bezirken durch eine zu berufende Ueber-
wachungskommission angesehen werden, bei denen die Teilnahme
des Medizinalbeamten neben der des Wasserbau- und Gewerbe¬
aufsichtsbeamten obligatorisch zu machen ist.
4. Bei einer zukünftigen gesetzlichen Neuregelung der Be¬
stimmungen übr die Benutzung der Wasserläufe ist den hygie-
nischen Forderungen) die auf ein besseres Unschädlichkeitmaclien
der den Wasserläufen zuzuführenden Abwässer, und somit anf eine
wirksame Reinhaltung derselben hinzustreben haben,in erhöhterem
Masse Rechnung zu tragen, als dies bislang der Fall war, wo die
hydrotechnischen Gesichtspunkte vorzugsweise berücksichtigt sind.
5. Bei dem Bestreben, die Verunreinigung der Flussl&ufe
einzuschränken, hat sich bis jetzt das Ausstehen eines allgemeinen
deutschen Wasserrechts weniger fühlbar gemacht, als das Fehlen
bestimmt anerkannter technisch-hygienischer Grundsätze für die
Reinigung der Abwässer.
Wenn es daher der Technik gelingt, solche Methoden der
Abwässerreinigung zu schaffen, durch welche nicht nur die For¬
derungen der Gesundheitspflege und zwar in erster Linie erfüllt,
sondern auch die Interessen der Industrie, der Fischzucht und
Landwirtschaft gewahrt werden und gleichzeitig eine übermässige
finanzielle Belastung der einzelnen Gemeinden nicht zu befürchten
steht, dann werden auch die sanitätspolizeilichen und verwaltungs¬
rechtlichen Massnahmen eine weit bedeutendere Wirkung ent¬
falten können.
6. Aufgabe des deutschen Medizinalbeamten muss es bilden,
sich über die Fortschritte der Technik der Abwässerreinigungs¬
methoden fortlaufend zu unterrichten und die Wirkungen der in
seinem Bezirke bereits im Betriebe befindlichen Anlagen ständig
aufmerksam zu überwachen, um so auch seinerseits mit zu einer
Verhütung der Verunreinigung der Flussläufe beizutragen.
Um ihn hierzu mit Rücksicht auf die ständigen Fortschritte
der Technik zu befähigen, ist die Einführung von Fortbildungs¬
kursen für Medizinalbeamte zu empfehlen, wie solche an der für
Preussen errichteten Versuchs- und Prüfungsanstalt für zentrale
Wasserversorgung und Abwässerbeseitigung bereits eingeführt
sind. — Auch würde die Errichtung weiterer ähnlicher Versuchs¬
und Prüfungsanstalten, wenigstens in den grösseren Bundesstaaten,
wie solche für Preussen und Hamburg bereits bestehen, nur freudig
zu begrüssen sein.
6. Dr. Thomm, ordentl. Mitglied der Königl. Versuchsanstalt für Wasser¬
versorgung und Abwässerbeseitigung in Berlin: Abwasser-Reini¬
gung vom hygienisch-technischen Standpunkte.
(Nicht zur Abstimmung bestimmt.)
1. Bei der Errichtung von Abwässer-Reinigungsanlagen ist
der Schlammbeseitigung und der Möglichkeit einer Des¬
infektion der Gesamtabwässer die gleiche Beachtung zu schenken
wie der Abwasserreinigung selbst.
2. Die zur Reinigung häuslicher und städtischer Ab¬
wässer benutzten Reinigungsverfahren sind in ihrer Leistungs¬
fähigkeit und der Art ihrer praktischen Anwendung im allgemeinen
bekannt. Ueber die Reinigung industrieller Abwässer weiss
man viel weniger; hier bleibt sowohl im allgemeinen, als im ein¬
zelnen noch viel zu tun übrig.
8. Vor Errichtung der definitiven Reinigungsanlage empfiehlt
sich, besonders bei grösseren Einrichtungen, die Anstellung von
Vorversuchen.
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des unteren
jhaarter rechtsseitiger Schamberg.
Narbe, zurückgeblieben nach Entfernung des
überzähligen dritten Beines,
von f. warzenartige Erhöhung; Umgebung
behaart.
4. Die intermittierende Bodenfiltration bietet in
bezog anf die Beseitigung der fäulnisfähigen Stoffe, sowie etwaiger,
in einem Abwasser enthaltener Krankheitskeime die gleiche Sicher¬
heit wie die Landberieselung. Die Abflüsse enthalten aber
nicht unerheblich grössere Mengen an Nährsalzen als typische
Rieselfeldabflüsse.
5. Die zahlreichen künstlichen biologischen Reini¬
gungsverfahren beruhen auf den beiden Grundtypen, Füll-
und Tropfverfahren. Beide sind im Prinzip gleich¬
wertige Methoden. Bei geringem Gefälle kommt an erster
Stelle das Füll verfahren, bei reichlichem Gefälle das Tropf¬
verfahren als Reinigungsmethode in Frage.
Alle biologischen Körper sind baulich derartig zu gestalten,
dass Luft entweder dauernd (beim Tropfverfahren) oder nur
zu gewissen Zeiten (in der Lüftungsperiode beim Füll ver¬
fahren) in alle Zwischenräume des Materials eindringen kann.
Ihr Betrieb ist derartig zu handhaben, dass Absorption und Re¬
generierung der Körper miteinander Schritt halten. Die Abwässer
sind endlich so vorzubehandeln, dass die das Leben in den bio¬
logischen Körpern beeinträchtigenden Stoffe von diesen
so weit als möglich ferngehalten werden.
6. Becken, Brunnen und Türme haben eine doppelte
Funktion zu erfüllen; sie sollen einmal die ungelösten Stoffe
mehr oder weniger weitgehend aus einem Abwasser entfernen,
und zweitens eine Vermischung der einzelnen Abwasserarten,
falls erforderlich, herbeiführen.
7. Rechenanlagen bewirken nur eine teilweise Ent¬
fernung der gröberen ungelösten Stoffe; am meisten
leisten noch die Systeme, bei denen die abgefangenen Stoffe
ausserhalb des Wassers von den Rechen abgenommen werden.
8. Für die erfolgreiche Wirkung grösserer Reinigungs¬
anlagen ist es unerlässlich, dass diese wissenschaftlich
geschulten, im Dienste der betreffenden Städte und Fabriken
stehenden Betriebsleitern dauernd unterstellt werden; für
kleinere Anlagen magein gut angelernter, aber dauernd kon¬
trollierter Klärwärter ausreichend sein.
Za dem Artikel: „Unvollständige Doppelbildung des unteren
Körperendes usw.“
I.
a. Nabelbrach.
b. Penis.
c. Scrotum.
d. Spalte.
e. Wulste.
f. Behaarter rechtsseitiger Schamberg.
g. Narbe, zurückgeblieben nach Entfernung des
überzähligen dritten Beines.
Links von f. warzenartige Erhöhung; Umgebung
behaart.
18. Jahrg.
1905.
Zeitschrift
für
MEDIZINALBEAMTE.
Zentralblatt für gerichtliche Medizin und Psychiatrie,
für ärztliche Saehrerständigentätigkeit in Unfall- and Invaliditätssachen, sowie
für Hygiene, offentl. Sanitätswesen, Medizinal-Gesetzgebung nnd Rechtsprechung
Heraasgegeben
von
Dp. OTTO RAPMUND,
Regtarungfl- and Geh. Medizin*lret ln Minden«
Verlag von Fischers mediz. Buehhandlg., H. Kornfeld,
Herzog! Bayer. Hof- u. Erzherzog! Kammer-Buchhändler.
Berlin W. 35, Lützowstr. 10.
Inserate nehmen die Ycrla^sh&ndlung sowie alle Annoncen-Expeditionen des In-
und Auslandes entgegen.
Nr. 18.
Erscheint am 1. und IS. Jeden Monats
15. Septbr.
Unvollständige Doppelbildung des unteren Körperendes,
Sinus urogenitalis und Nabelbruch bei einem 16 jährigen
Knaben.
Von Kreiswundarzt z. D. Dr. M. Mayer - Simmern.
In seiner Arbeit: „Ueber zwitterhafte Menschen“ (Aerztl.
Sachverständigen - Zeitung 1905, S. 7), fordert P. Stolper za
Mitteilungen einschlägiger Beobachtungen anf. Die nachfolgende
Mitteilung betrifft einen mir seit einigen Jahren bereits bekannten,
am 25. Februar d. Js. an einem Herzleiden verstorbenen 16 jährigen
Knaben. Er ist das dritte Kind einer kinderreichen, bäuerlichen
Familie. Von anderweitig in derselben vorgekommenen Miss-
bildungen oder von Geisteskrankheiten ist mir nichts bekannt.
Die Eltern und 8 Geschwister sind gesund; ein Bruder ist 1901
an Herzfehler nach Gelenkrheumatismus gestorben. Betreffs der
Anamnese konnte folgendes festgestellt werden:
Der in seiner oberen Körperhälfte wohlentwickelte Knabe wurde im
Jahre 1889 mit einer linksseitigen Luxatio femoris, einem Nabclbruch, einer
auffälligen Spalte in der Schamgegend und einem überzähligen Beine geboren.
Obwohl die Harnröhrenöffnung des Penis verklebt war, soll er nach Angabe der
Angehörigen doch Harn gelassen haben. Die Großmutter habe 3 Tage and
3 Mächte gewacht, um zu beobachten, auf welchem Wege der Urin aus dem
Körper geflossen sei; „noch heute aber wisse man nicht, woher der Harn ge*
kommen sei“. Einige Tage nach der Geburt wurde von dem behandelnden
Arzte mit einer Sonde die häutige Verklebnng der Harnröhre gelöst; Beit jener
Zeit habe der Knabe, „wie andere Jungen“, Wasser gelassen. Am zweiten Tage
nach der Geburt sei die obere zarte Decke des Nabelbraches geplatzt.
Die Därme hätten, nur mit einer feinen Hülle bedeckt, bis zum 10.—14. Tag
frei dagelegen. Allmählich habe sich wieder eine neue Haut gebildet. Nach
586 Dr. Mayer: Unvollständige Doppelbildung des unteren Kürperendes,
Ablauf von 3 Monaten sei der Knabe in die chirurgische Universitäts-Klinik
nach Bonn gebracht worden. Hier sei ihm die überzählige rechtsseitige Glied¬
maße amputiert worden. Diese soll aus Unterschenkel, Fuß und 4 Zehen be¬
standen haben und nach einwärts gedreht gewesen sein.
Der Knabe hat früh laufen gelernt und Neigung zum Herumtummeln,
zum Spielen gehabt, wie andere Knaben auch. Iu der Schule hat er mit seinen
Altersgenossen gleichen Schritt gehalten. Spöttereien über seine Mißbildungen,
denen der Knabe etwa ausgesetzt gewesen wäre, sind nicht vorgekommen.
Auch Streitfragen über sein Geschlecht sind nicht' entstanden. Seine Stimme
war eine knabenhafte, seine Gesichtsbildung, ebenso wie der Blick seiner
Augen, wohl etwas zarter wie bei anderen Bauernknaben. Später hat er am
Konfirmationsunterrichte tcilgenommen. Obwohl schon damals Beschwerden
seitens des Herzens auftraten, die einen regelmäßigen Gebrauch von Digi¬
talispräparaten erforderten — ich bin seit Jahren Arzt des Knaben gewesen,
— und obwohl die linksseitige Luxatio femoris congenita ihn beim Mar¬
schieren hinderte, legte der stets blasse Junge den 4 km weiten Weg von
seinem Wohnorte nach Simmern 1—2 mal wöchentlich zurück. Sein Gang
war auffällig; der große Abstand zwischen den Innenflächen beider Ober¬
schenkel wurde auch durch die Kleidung nicht verhüllt. Auch beim Sitzen
fiel diese Entfernung auf. In den nächsten Jahren hatte er sich erholt und
ärztliche Behandlung nicht nötig gehabt. Im Jahre 1904 begann er zu
kränkeln. Auf nichtärztlichen Bat hatte er gegen seine Atembeschwerden
mehrere Fläschchen 01. Eucalypti benutzt, die angeblich seine Leiden linderten.
Er wurde im Spätherbst dauernd bettlägerig. Ich wurde wieder als Arzt zu¬
gezogen. Unter Atemnot, Husten, Oedem, Ascites, zunehmender Herzschwäche
verschlimmerte sich sein Befinden, bis der Tod cintrat.
Während des Lebens hatte ich von einer genauen Unter¬
suchung der Genitalorgane, deren Abweichungen von der Norm
mir bekannt waren, Abstand genommen; ihre Aufnahme hat erst
nach dem Tode stattgefunden. Die Eltern, die an dem Knaben
mit grosser Liebe hingen, gestatteten jedoch leider keine Sektion,
sondern nur eine Besichtigung und photographische
Aufnahme der Leiche 1 ).
Die Leichenbesichtigung ergab folgenden äusseren Befund:
Männliche Leiche von gut entwickeltem Körperbau, kräftiger Muskulatur,
blasser Hautfarbe, mit Oedemen der Unterschenkel. Das Gesicht und der
Brustkorb sind von jugendlich-männlichem Typus. Mammae fehlen voll¬
ständig.
Am rechten Oberschenkel, 14 cm von der oberen, inneren Begrenzungs¬
linie entfernt, findet sich eine & cm breite, etwa */» cm hohe Narbe. An dieser
Stelle war dem Knaben das überzählige dritte Bein im Alter von 3 Monaten
entfernt worden.
Der rechte Oberschenkel steht in Innenrotationsstellung, infolge ange¬
borener Hüftgelenksluxation. Der linke innere Knöchel steht daher etwa 8 cm
höher, als der rechte. Der M. Sartorius springt in starker Spannung vor.
In der Verlängerung der Medianlinie des Brustkorbs fehlt ein Nabel.
Dagegen stellt diese Linie den größten Durchmesser eines nahezu kindskopf¬
großen Nabelbruches vor, der von oben nach unten 10 cm, von rechts nach
links 9 1 /* cm mißt, dessen Inhalt sich halbkugclförmig etwa 4—5 cm weit nach
vorn vorwölbt und dessen Decke aus dünner Haut besteht. Ein Teil der Haut
ist dunkler gefärbt und narbig verändert, — ein Besiduum des oben erwähnten,
in den ersten Tagen nach der Geburt cingetretcnen Verlustes des deckenden
Häutchens. Der Bruch enthält Därme. Es besteht eine bedeutende Diastase
der Musculi recti.
Verlängert man die Medianlinie des oberen Bumpfendes über den Bruch
hinaus nach abwärts, so gelangt man etwa 6 cm tiefer auf eine 9 1 /« cm
lange, schräg von oben und außen, nach unten und innen ver-
*) Die photographische Aufnahme ist von dem Photographen Adams-
Simmern in meiner Anwesenheit vorgenommen.
Siiras urogenitalis und Nabelschnurbruch bei einem 16 jährigen Knabcu. 587
laufende Spalte. Diese ist von beiden Seiten von fetthaltigen Haut-
wülsten umgeben, die vollständig den Eindruck großer Schamlippen machen,
allerdings solche erwachsener Frauen an Breite, Länge und Höhe übertreffen.
Nach oben und außen von der Spalte konvergieren zwei je an der Peripherie
eines solchen Wulstes verlaufende Linien, die blondes, lockiges Haar tragen.
Tastet man die H ö;h 1 e, zu der jene Spalte führt, ab, so gelangt man überall
auf glatte, feuchte, glänzende Schleimhaut, die blaurot gefärbt ist; die Farbe
ist als postmortale Erscheinung anzusprechen. Die Tiefe der Höhle ist an
einer Stelle unterbrochen. Der Finger gelangt nämlich in den hinteren Partien
auf einen Hohlgang, dessen Wände ebenfalls glatt sind, dessen Lichtung sich
2 cm nach oben mit dem Finger verfolgen läßt. Der untersuchende Finger ist
weder mit Kot, noch mit urinös riechender Flüssigkeit benetzt. In der Decke
der Höhle, aber ebenfalls von Schleimhaut überzogen, findet sich eine etwa 3 cm
lange, nahezu horizontal verlaufende, aber schräg von hinten und links nach
vorne und rechts gerichtete, knöcherne Spange. Dieselbe erschien dem
Gefühl nach am lateralen Ende fest, am medialen frei zu sein. Aus der Höhle
soll während des Lebens — abgesehen von den ersten Lebenstagen — nie Stuhl
oder Urin gekommen sein; da aber immer etwas wässerige Flüssigkeit abge¬
sondert wurde, war bei der Besichtigung die Umgebung etwas exkoriiert.
In der linken Körperhälfte liegt ein 4 cm langer Penis mit Glans
und Urethralöffnung, sowie mit Scrotum. Während der Penis der Norm ent¬
spricht, ist der Hodensack ohne Raphe, zeigt feine Qucrrunzeln und ent¬
hält nur einen Hoden.
Hinter dem Hodensack nur durch etwa 1 cm breites Mittelfleisch getrennt
liegt die After Öffnung.
Der dem Penis entsprechende Schamberg ist wenig fetthaltig und
nicht behaart.
Nimmt man auch jetzt wieder die Mittellinie des Thorax in ihrer Ver¬
längerung als sagittale Achse, so weicht die Wurzel des Penis von der Sagit-
talebene weit nach links ab. Die Entfernung von der linken Spina beträgt
6 cm, von der rechten dagegen 13*/» cm.
Nach dem Gesagten bestehen also zwei Symphysen. Die
eine, rechts gelegen, in der Verlängerung der Medianlinie des
Thorax, etwa 6 cm unter dem unteren Begrenzungsrande des
Nabelbruches. Hier findet sich ein Schamberg, der reichlichen
Haarwuchs trägt, dessen Kuppe aber von der Medianlinie ab¬
weicht und nach rechts und oben sieht. Die zweite Symphyse
liegt links von jener Medianlinie an der Wurzel des Penis; hier
fehlt ein Schamberg, auch ist kein Haarwuchs vorhanden.
Die in der rechten Seite befindliche Höhle muss als Sinus
urogenitalis angesprochen werden. Dafür spricht die allseitige
Auskleidung durch glatte, feuchtglänzende Schleimhaut, die Be¬
grenzung des Eingangs durch zwei Wülste, die die Form und das
Aussehen grosser Schamlippen haben. Die in der Decke der Höhle
fühlbare, grade wie eine falsche Rippe nur auf einer Seite mit
dem Knochengerüst fest verbundene Knochenspange dürfte wohl
als zweiter, rechter horizontaler Schambeinast anzusehen sein.
Der typische horizontale Schambeinast war an normaler Stelle.
Von Clitoris, kleinen Labien, Hymen fehlte jede Spur; der in der
Höhle mündende, den Finger aufnehmende Hohlgang dürfte eine
Kloake darstellen, obwohl intra vitam Kot nie, Harn anscheinend
nur in den ersten Lebenstagen durch den Gang entleert ist.
Nimmt man an, dass die untere Körperhälfte aus einer
Doppelbildung hervorgegangen ist, so würde dem rechsseitigen
Individuum entsprechen: Die rechte untere Extremität, deren
obere Partie zugleich mit der amputierten Extremität die linken
588
Dr. Vollmer.
Gliedmassen des rechtsseitigen Individuums repräsentieren dürften,
der weibliche Schamberg, die Schamlippen und die Höhle. Dem
linksseitigen Individuum würden dagegen zuzuteilen sein: Die
männlichen Geschlechtsorgane, also der eine Hoden, der Hoden¬
sack, der Penis und die Harnröhre, der After und die linke Ex¬
tremität.
Die Seltenheit des geschilderten Falles geht am besten aus
einem Referate Prof. Dr. Strassmanns über einen von Neu-
gebauer beobachteten Fall hervor 1 ), der manche Berührungs¬
punkte mit dem in Rede stehenden bietet. Es heisst hier:
„Von höchstem Interesse ist nun die erwähnte einzelstehende Beob¬
achtung, die nicht nur unter den Fällen Neugebauers, sondern in der Ka¬
suistik des Hermaphroditismus überhaupt ein Unikum darstcllt. Bei einem
2'/£jährigen Kinde mit weiblichem Habitus fand sich eine Diastase der Scham¬
beine; die vorhandenen weiblichen Geschlechtsteile lagen exzentrisch rechter-
scits zwischen zwei großen Schamlippen, von denen die linke viel größer war.
Es ließen sich hier Ciitoris, Urethralöfinung, kleine Schamlippen, Hymen mit
drei Oeffnungen und Scheide nachweiscn; hinter der Scheide mündete der After
in den Vorhof; ging man in ihn ein, so ließ sich der Uterus mit Adnexen
durchtasten. Durch die Harnröhre gelangte der Katheter in die stark erwei¬
terte Harnblase. Linkerseits fand sich ein wohl gebildetes Skrotum, dessen
rechte Hälfte von der linken großen Schnmlippo nicht zu trennen war; hier
lag ein 5 Pfennigstück großes härteres Gebilde; die linke Hälfte des Skrotums
war leer. Es fand sich ferner ein Penis mit den dazu gehörigen Gebilden und
einer Harnröhrenöffnung’, die aber anscheinend blind endete. Es ist dies die
erste authentische Beobachtung dafür, daß äußere männliche und weibliche
Geschlechtsteile nebeneinander Vorkommen können; von Doppelbildungen der
gleichen Geschlechtsteile sind bereits einige Fälle bekannt.“
Eine Paratyphusepidemie im Kreise Simmern.
Von Kreisarzt Dr. E. Vollmer- Simmern.
Es scheint der dürre Sommer 1904 zur Entwickelung der
Typhusepidemien günstig gewesen zu sein, vor allem in ländlichen
Bezirken, wo mit der Trockenheit die Menge und die Beschaffen¬
heit des noch meist in Kesselbrunnen stehenden Wassers eine
Verminderung erfährt. Diesem Umstande und der fast ausschliess¬
lichen Benutzung eines Schöpfbrunnens von seiten des ganzen
Dorfes zur Versorgung mit Trinkwasser verdankt eine Paratyphus¬
epidemie in Michelbach ihre weitere Verbreitung, die im Ver¬
gleich zu den anderen Typhusfällen des Kreises aus mehr als
einem .Grunde eine eingehendere Besprechung verdient.
Der Anfang der Epidemie bezw. die ersten amtlich bekannt
gewordenen Fälle bildeten die in der Familie des Wirtes A. S.
zu Michelbach am 17. Juli 1904 aufgetretenen Erkrankungen.
Dieser 43 Jahre alte Wirt lag mit seiner ganzen Familie an
„Influenza“ krank, als ein Gendarm zufällig in das etwas
isoliert auf der Höhe zwischen Neuerkirch und Wüschheim liegende
Dorf kam und von dieser „Influenza“ im heissen Hochsommer
hörte. Er meldete die Gruppenerkrankung pflichtgemäss an das
Landratsamt, von dem ich sie erfuhr; durch Uebersendung der
*) Vierteljahraachr. für gerichtL Medizin; 1896, XII, 8. F., S. 176, Sappl.
Eine Paratyphusepidemie im Kreise Simmern.
589
Blutproben nach Idar an die bakteriologische Untersnchnngsstelle
konnte ich dann die Erkrankungen als Paratyphus feststellen
lassen. Weitere Nachforschungen ergaben, dass schon vorher
influenzaartige Erkrankungen bei dem Ackerer Sch. und dessen
Knecht Schn, aufgetreten, aber ihres leichten Charakters wegen
nicht zur Anzeige gekommen waren. Der in das Dorf häufiger
kommende Arzt aus Kastellaun, Dr. D., erklärte nun, dass in der
letzten Zeit ähnliche Fälle in grösserer Zahl in Alterkülz und
Michelbach aufgetreten seien. Bei allen z. Z. noch als krank zu
ermittelnden Personen wurden jetzt Blutproben entnommen; es
ergab sich allerdings, dass bei einer grossen Anzahl von Ein¬
wohnern von Alterkülz positiver Widal vorhanden war, ohne dass
viele von diesen gezwungen gewesen wären, im Bette zu bleiben
oder auch ihre Arbeit erheblich einzuschränken. Die Personen,
die also in dieser Weise in der leichtesten Form, nur durch Un¬
behagen und leichte Durchfalle gestört, erkrankten, von denen
aber der positive Widal festgestellt wurde, sind in beifolgender
Liste aufgeführt.
I.
Erkrankungsanzeige von typhusverdächtigen Fällen.
(Dr. D.)
27. Juli 1904.
I. Michelbach.
1—1. Wirt A. S. (43 Jahre) mit Frau
und Kindern (+);
5 -7. Ackerer Ph. Aß. und zwei Töch¬
ter (+)>
8—10. Ackerer Sch., dessen Knecht
Schn, und Magd L. (-}-);
11. Ackerer P. L.;
'2—14. Manrer B., zwei Söhne von
von 6—7 Jahren;
13. Ehefrau P. Pe. (-{-).
(-{-) bedeutet positiver Widal.
von Dr. Lentz-Idar.
II. Alterkülz.
1--3. Schuhmacher P. mit Frau und
Sohn (+?);
4. Frau Sch. (im Hause W. St.);
5. Ackerer Schl. (—j- ?);
6. Witwe P. (-f);
7—8. Ehefrau L. und Tochter;
9. Schreiner R.
(+?) zweifelhaft nach Untersuchung
Diese Erkrankungen bildeten gewissermassen die Vorläufer
der Epidemie von Michelbach, die einen schweren Charakter an¬
nahm. Am 27. Juli erfolgte die amtliche Typhusfeststellung bei S.
Am selben Tage diejenige in der Familie A., wo zwei Mädchen
im Alter von 9 und 16 Jahren erkrankten. Am 28. Juli erkrankte
bezw. wurde als krank ermittelt die 17 jährige A. L., die Magd
bei dem selber krank gewesenen Sch.; an demselben Tage die
K., 23 Jahre alt, Schwägerin des Sch; am 31. Juli der L. in
Neuerkirch (16 Jahre alt), ein Vetter der A. L.; am 3. Aug.
die 36 jährige Ehefrau A. Pe. aus Michelbach. Ueber die weitere
Paratyphusfälle vergl. die zweite Liste.
II.
Amtliche V c r g 1 c i c h s 1 i s t o der Typhus- und P a r a t y p h u s f ii 1 1 e:
Nr. der Typhus-
mcldungen.
Alter.
Typhus. Paratyph
2.
E. W. Schwarzerden
12
+ -
3. 4. I
3. u. W. D.
12, 15
+
5.
J. H.
20
+
590
Dr. Vollmer.
’. der Typhos-
meldungen.
Vor- und
Zuname.
Wohnort.
Alter.
Typhus.
Paratyphus.
6.
P. G.
Schwarzerden
13
_
-
—
—
7. 8.
M. u. K. Alb.
fl
10, 11
-
-
—
_
10.
S. Gö.
Mengerschied
20
-
-
-
-
11.
K. Oe.
Horn
14
-
—
4-
12.
K. Kö.
Simmern
11
-b (?)
-
-
14. 15.
16. 17.
A. S. (Wirt)
Michelbach
43
-
-
+
18. 19.
A. u. G. Aß.
fl
16, 9
-
_
_
_
20.
A. L.
fl
17
-
-
-
21.
K. H.
fl
23
-
—
_
-
22.
P. L.
Neuerkirch
16
_
_
_
23.
A. Pe.
Michelbach
36
-
—
_
-
24.
J. V.
Laufersweiler
50
+
-
-
25.
C. M.
»
18
+
-
-
26.
W. W.
Keidelheim
23
-
—
-
_
27.
J. Scb.
Beckershausen
19
-
—
-
-
29.
M. L.
n
37
-
—
-
-
30.
K. Lö.
Michelbach
21
-
—
-
_
31.
Ka. D.
fl
40
-
—
-
-
32.
W. St.
Rheinböllen
"4” (?)
-
-
33.
Ad. L.
Alterkülz
18
-
—
-b
34.
C. Ba.
Laufersweiler
14
-
i-
-
—
36.
Ja. Kl.
n
46
-
-
—
37.
H. St.
Gemünden
16
-
-|-
38.
M. Sch.
fl
16
-
—
-L
41.
J. St.
Laufersweiler
48
+
-
-
In Michelbach sind die ersten Paratyphusfälle in dem
Hanse Sch. gewesen — dieses Haus hat an erkrankten Familien¬
mitgliedern den Hausherrn und seine Schwägerin; an erkranktem
Dienstpersonal den Knecht Schn, und die Dienstmagd L. Von
dieser Haushaltung aus ist der unterhalb derselben gelegene Ge¬
meindeschöpfbrunnen infiziert, aus dem mit Kücheneimern das
Trinkwasser von allen nahe gelegenen Haushaltungen geholt wird;
daraus ergibt sich eine Gruppenerkrankung innerhalb der Familien
Pe., Ass., S., L., von der einige Fälle leicht verliefen, die Kinder Ass.
und S.; einige Fälle aber, und zwar die A. und K. L., Mädchen
von 17 und 21 Jahren, schwer erkrankten und zwar so, dass ihre
Erkrankung, wie auch die der Ehefrau A. Pe., 86 Jahre alt, in
keiner Weise von echtem Typhus zu unterscheiden war.
Ich will mich hier nicht auf die Fragen nach dem Unter¬
schiede zwischen Typhus und Paratyphus in klinischer und bak¬
teriologischer Hinsicht einlassen; dies ist Sache der Spezialisten
für innere Medizin und für Bakteriologie; ich möchte nur hervor¬
heben, dass für den praktischen Arzt und Kreisarzt der Unter¬
schied in Wegfall kommt, und Typhus wie Paratyphus als gleich
gefährliche Seuchen, die den gleichen Weg der Verbreitung durch
Nahrungsmittel und Trinkwasser und Kontakt nehmen können, zu
bekämpfen sind. Nur in einem Punkte ist auch für den Kreisarzt
die Unterscheidung zwischen Typhus und Paratyphus von be¬
sonderem Interesse. Das ergibt sich auf Tafel II. Es folgten
auf die lange Keihe von Paratyphusfällen in Michelbach und Um¬
gebung plötzlich zwei Typhusfälle in Laufersweiler, — diese
stehen ganz ausser Zusammenhang mit den Fällen in Michelbach;
Eine Paratyphusepidemie im Kreise Simmern.
691
; um traten wieder Paratyphusfälle auf, deren Zusammenhang mit
fichelbach sich erweisen liess — man spart also dem Kreisärzte
jopfzerbrechen bei der Suche nach Zwischengliedern in der Kette
einer Typhusfälle, wenn ein anderer Ursprung sich schon durch
ie telephonische Diagnose von dem bakteriologischen Institute
ier ergibt.
In dem einen Punkte erscheint der Paratyphus für die Weiter-
rerbreitong gefährlicher zu sein, als leichte Fälle häufiger vor-
tommen, als bei dem echten Typhus. Mit dem leichten Verlauf
rächst aber die Gefahr; denn einmal entgehen diese Fälle dem
äuge der Aerzte und kommen vielfach gar nicht zur Behandlung;
anderseits ist es, besonders der ländlichen Bevölkerung gegenüber,
schwer, diese von der Notwendigkeit eingreifender Desinfektions-
m&ssregeln zu überzeugen, wenn auch der Paratyphus festgestellt
ist. Weiss das Dorf, in den und den Häusern liegen schwere
Typhuskranke — die, wenn die Krankheit nicht tödlich verläuft,
erst nach wochenlangem Krankenlager genesen — dann will jeder
vor einer derartigen Krankheit geschützt sein; er fügt sich des¬
halb gern in alle Vorbeugungsmassnabmen und trägt auch die
entstehenden Unkosten. Wenn aber nach 8tägigem Unwohlsein
die Typhuspatienten wieder Bpazieren gehen, frisch und munter
scheinen, dann kann sich der sparsame Bauer nicht vor-
stelleD, dass auch diese Leute als Typhusträger eine Gefahr für
die Allgemeinheit darstellen. Je leichter der Typhus, je schwerer
der Kampf gegen seine Verbreitung, um so lästiger werden alle
Massnahmen empfunden! Dies geschieht nicht nur von den Laien,
; sondern auch von dem Pflegepersonal. Die Krankenschwestern,
die glaubten, sie sollten schwere Nachtwachen haben, erstaunten,
als sie die verhältnismässig leicht erkrankten Patienten zu sehen
bekamen und waren selber nicht mehr so ängstlich und strenge
in ihrer Aufsicht. Eine Schwester reiste, ohne sich abzumelden,
eines Tags zur Beerdigung einer Schwester in die Nachbarstadt,
wo das Mutterhaus ist, und war erstaunt, als ihr dies verübelt
wurde. Es bedarf die Schwesternschaft einer gründlichen Unter¬
weisung in der Typhuspflege. Man merkt, dass wohl Kranken¬
pflege im Krankenhause gelernt ist, aber die Fähigkeit fehlt viel¬
fach, das Gelernte in die Praxis, in die Typhuspflege in der Familie
za übertragen. Darauf müsste mehr in den Kursen, die die
Schwestern doch durchmachen sollten, hingewiesen werden. —
Wenn man die Liste I und II vergleicht, dann fällt weiter
auf, dass z. B. die Witwe P. (Alterkülz) nicht in die amtliche
Liste gekommen ist. Bei ihr wurde positiver Widal bei subjek¬
tivem Wohlbefinden festgestellt, — sie wurde veranlasst, ihren
Urin and Kot za desinfizieren, liess sich aber nicht isolieren, weil
sie nicht im Bette zu halten war. Ebenso war es mit den Kindern
des Maorers Br., wo allerdings der Verdacht nicht bestätigt wurde.
Dass die Epidemie von Schwarzerden und die von Michel¬
bach verschiedenen Ursprung haben mussten, geht aus der Tabelle II
hervor. Der Paratyphus fängt an mit dem Fall in Horn Ge. — der
Fall K. war zweifelhaft; Dr. M. in Simmern hatte ihn als Typhus
592
W. Rettig.
gemeldet. — Die Blutproben blieben stets negativ und Dr. Lentz-
Idar schrieb dazu: da klinisch deutlich schwerer Typhus (trotz
Krankenhausbehandlung Rezidiv!) spricht der anfänglich negative
Ausfall der bakteriologischen Untersuchung mehr für Typhus, als
für Paratyphus. — Es folgten nun die Reihe Michelbacher Para¬
typhusfälle; unterbrochen nur durch die Typhusfälle zu Laufers¬
weiler, die zu der Epidemie im Bernkasteler Kreise zu rechnen
sind. Der Fall St.-Rheinböllen betraf einen Schiffer und blieb
(Krankenhausbehandlung, sofortige Kreisdesinfektor-Desinfektion
des Elternhauses, wo er eine Nacht lag) isoliert. Die Gemün-
dener Fälle müssen zu der Michelbacher Paratyphusepidemie ge¬
zählt werden, wenn ein genauerer Zusammenhang auch nicht auf¬
zufinden war.
Von den 43 amtlich bekannt gewordenen Typhusfällen waren
19 sichere Paratyphusfälle. Es wird also namentlich in ländlichen
Kreisen, wo mit lange aufbewahrtem, oft verschimmeltem Rauch¬
fleisch, mit alten Würsten gerechnet werden muss, wo man in
den kleinen Drogenhandlungen und in den wenigen Privatschläch¬
tereien noch keine Ahnung von Sauberkeit und von der hygieni¬
schen Gefahr der Zersetzung organischer Substanzen hat, mehr
als bisher auf das Nebeneinander von Typhus und Paratyphus zu
achten sein.
Noch einmal die Schulbankfrage.
Von Oberbaurat a. D. W. Rettig in Berlin.
Herr Schneider stellt in seiner prompt erschienenen Ent¬
gegnung vom 15. April d. Js. mehrere Behauptungen auf, welche
erneuter Berichtigung bedürfen:
1. „So bleibt die Stelle, wo die Eisenschiene fest in den Boden gelassen
ist, der gründlichen Reinigung für gewöhnlich unzugänglich und dient gerade
zur Aufspeicherung von Schmutz, der . . .
2. Ferner erfordert das Umlegen und Wiederzurücklegen der Bänke
eine gewisse Zeit . . .
Anderseits kann man auch durch die anderen von mir erwähnten Hifs-
mittel, wie Fehlen der Bankstollcn, Aufklappbarkeit der Tische usw. eine gute
und gründliche Zimmerreinigung ermöglichen. —
3. . . . weil es z. B. für ärmere Gemeinden darauf ankommt, daß sie
nicht ohne zwingenden Grund genötigt werden, ihr Geld für ein Patent aus¬
zugeben.
4 . . . . Daß zwei oder drei hintereinander befindliche, zu einem Ganzen
vereinigte Sitze mehr Platz für die Reinigung beim Umlegen nach vorn oder
hinten, als dem nach der Seite freilassen, kann wohl nicht ernstlich in Abrede
gestellt werden.
5. . . . mit einer wichtigen gesundheitlichen Forderung, die erst in
neuester Zeit mehr in den Vordergrund getreten ist, nämlich mit der des ver¬
änderlichen Lehnenabstandes.
6. Die Rettigbank Modell 1903 . . . hat diesen veränderlichen Lehnen¬
abstand nicht.“
Hierauf gestatte ich mir zu erwidern:
Zu 1: Die Eisenschiene, auf welche die Umlegung der Rettig¬
bank sich vollzieht, hat keine „Stelle, wo sie fest in den Boden
gelassen ist“. Diese „Stelle“ kann daher weder der gründlichen
Reinigung für gewöhnlich unzugänglich sein, noch zur Auf-
Noch einmal die Scholbankfr&go.
693
speicherang von Schmatz dienen. Die Schiene liegt vielmehr ihrer
ganzen Länge nach flach anf dem Fassboden auf and ist beider¬
seits dem Besen bezw. Handfeger so bequem zugänglich, dass
auch nicht das kleinste Stäubchen Übrig zu bleiben braucht, wenn
das Reinigungspersonal zuverlässig arbeitet.
Zu 2: Dass das Umlegen und wieder Zurücklegen der
Rettigbänke eine „gewisse Zeit“ erfordert, soll nicht bestritten
werden. Dass aber die Handhabung der anderen von H. Schneider
erwähnten Hilfsmittel, wie Aufklappbarkeit der Tische „usw.“
keine oder weniger Zeit erfordern, hat H. Schneider nicht
näher erläutert. Unter dem „usw.“ verstehe ich die Aufklappung
auch des Sitzes und des Fussrostes jeder Bank usw. Es müssen
daher, um den Boden für den Besen zugänglich zu machen, drei
Umlegungen und drei Wiederzurücklegungen zur Ausführung
gebracht werden, also sechs statt zweier bei der Rettigbank.
Der Schluss daraus ergibt sich von selbst.
Zu 8: Aermere Gemeinden werden — bisher wenigstens ist
mir kein Beispiel bekannt geworden — von niemandem „genötigt,
ohne zwingenden Grund ihr Geld für ein Patent auszugeben.“
Das Geld für das Patent zahlt ausschliesslich der Erfinder, und
zwar, was H. Schneider wohl nicht weiss, im Betrage von
5000 Mark allein dem Kaiserlichen Patentamt. Es dürfte doch
wohl für erlaubt gelten, dass der Erfinder, dessen Erfindung die
Leute zu benutzen gedenken, diese der Staatskasse bezahlten
Kosten und die ihm durch jahrelange Versuche und selbstverständ¬
lich massenhafte Fehlversuche erwachsenen Ausgaben — im
Falle der Rettigbank mindestens 30000 Mark, bevor nur ein
einziger Schulsaal bestellt wurde — auch wieder einzubringen
versucht, ganz abgesehen davon, dass er auch doch noch wie
andere Leute etwas davon für seine alten Tage übrig behalten
möchte.
Zu 4: Wenn Bänke umgelegt werden, so wird der Platz,
auf welchem sie vorher gestanden haben, frei. Und zwar genau
der Platz, welchen die Bänke vor der Umlegung eingenommen
haben. Wie dadurch, dass ich nach hinten oder vorn statt nach
der Seite umlege, noch „mehr Platz“ frei werden soll, ist unver¬
ständlich; mehr Platz, als vorher bedeckt war, kann doch nicht
frei werden.
Zu 5: Dass der veränderliche Lehnenabstand eine Forderung
der neuesten Zeit sei, ist unzutreffend; es ist vielmehr gerade
eine solche ältester Zeit, während in neuerer und neuester Zeit
der unveränderliche Lehnenabstand an Anhängern gewinnt (vgl.
Kongress Verhandlungen Nürnberg, Bern). Bei mehrsitzigen Bänken
ist die Forderung ja allerdings berechtigt, weil der Schüler, welcher
von beiden Seiten durch einen Nachbar eingeengt ist, sich in der
Ruhelage doch einigermassen muss rühren können; wer aber nur
irgend kann, macht doch heutzutage keine mehrsitzigen Bänke mehr.
Hier handelt es sich aber doch ausschliesslich um zweisitzige
Bänke, und nicht um mehrsitzige. Das ist ja gerade der unschätz¬
bare Vorteil der zweisitzigen Bank — ganz abgesehen von allem
594
Kleinere Mitteilungen nnd Referate ans Zeitschriften.
übrigen — dass der Schüler auf seinem Eckplatz — man denke
nur an die Beliebtheit der Eckplätze im Theater — sich viel
freier rühren kann, so dass ihm ein etwas geringerer Lehnenabstand,
ein solcher, welcher für die Schreibhaltung recht ist, auch in der
Ruhehaltung nicht lästig wird.
Alle diese Betrachtungen sind längst abgeschlossen und
kommen bereits vor bald zwanzig Jahren in dem von mir er¬
wähnten Erlass des Preuss. Min. vom Jahre 1888 u. a. zum Aus¬
druck dadurch, dass für zweisitzige Bänke fester Lehnen¬
abstand vorgeschrieben wird.
Wenn H. Schneider anderer Meinung ist, so muss er das
angesichts dieser wichtigen Tatsachen denn doch eingehender be¬
gründen, als er es getan hat, falls er nicht den Vorwurf hören
will, dass seine Ausführungen die in vielen Punkten vollkommen
geklärte Schulbankfrage immer wieder in Verwirrung zu bringen
geeignet sind.
Zu 6: Auf Seite 5, Punkt 5, Satz 8 des Eataloges der
Firma Joh. Müller & Co. vom Jahre 1903 steht wörtlich:
„Die Rettigbank braucht deshalb auch keine beweglichen Teile.
Sofern . . ., empfiehlt sich die Verwendung von Rettigbänken mit veränder¬
licher Distanz . . .“
Wohlverstanden also: Die Rettigbank braucht keine be¬
weglichen Teile. Sie kann aber mit veränderlicher Distanz,
mit beweglicher Platte, Klappsitz u. dgl. ausgeführt und bestellt
werden. Das steht ganz deutlich im Katalog. Wenn nun H.
Schneider angesichts dessen und ohne jeden weiteren Zusatz
sagt: „Die Rettigbank hat einen veränderlichen Lehnenabstand
nicht“, so wird er mir schon gestatten müssen, dass ich ihn bitte,
den genannten Katalog noch einmal in die Hand zu nehmen.
Schlussbemerkung: Herr Schneider beklagt sich da¬
rüber, dass ich seine Ausführungen als die Schulbankfrage von
neuem verwirrende bezeichnet habe. Nun frageich aber: Wenn
H. Schneider die Gemeinden warnt, die zweisitzige Rettig¬
bank anzuschaffen, weil sie nicht nötig hätten, ihr Geld für ein
Patent auszugeben, — und in einem Atem ihnen empfiehlt, statt
deren einsitzige umlegbare Bänke zu nehmen, welche nicht
nur per Sitz mindestens 8 Mark mehr kosten, sondern auch die
Baukosten des Schulsaals um mindestens 10 Mark per Sitz er¬
höhen, was Herrn Dr. Schneider jeder Sachverständige bestä¬
tigen wird, — ich frage, trägt eine derartige Behandlung der
ernsten Schulbankfrage zu ihrer Klärung bei? Ich glaube, nein!
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
A. Gerichtliche Medizin nnd Psychiatrie.
Identifizierung der Leiche des amerikanischen Admirals Paul J ones,
113 Jahre nach seinem Tode. Von Capitan and Papillaalt. Comptes
rendus de la soc. de biol.; LIV., 1905, Nr. 26.
Der Aufsatz bringt einen wesentlichen Beitrag zur Frage der Re-
kognitionsiuerkmalc.
Einer der gefeiersten Helden der amerikanischen Marine, Paul Jones
Kleinere Hitteilnngen nnd Referate aus Zeitschriften.
595
starb 1792 in Paris and wurde hier aaf dem Kirchhofe für fremde Protestanten
beigesetzt. Der Kirchhof warde später nicht mehr benutzt und mit Bauten
bedeckt. Der amerikanische Gesandte bemühte sich, mit den zuständigen
französischen Behörden, durch Anlegung unterirdischer, in der Tiefe des alten
Kirchhofs gelegener Gänge, den Sarg mit der Leiche des Admirals wieder auf¬
zufinden. Man entdeckte 5 Blcisärge, von denen einer eine vollständige er¬
haltene Leiche enthielt, die man für die von Paul Jones ansprach.
In der Sitzung der biologischen Gesellschaft vom 22. Juli 1905 konnten
die Autoren Photographien und histologische Schnitte der Leichenorgane
vorlegen.
In den Schädel war alkotalische Flüssigkeit vor der
Bestattung eingegossen worden. Da nun die Hautoberfläche be¬
sonders der unteren Gliedmaßen und die Oberfläche der Lungen mit kleinen
weißen Massen von Hirschkorngröße und darüber bedeckt war, die sich als
tyrosinhaltig erwiesen, so nehmen die Autoren an, daß sich vom Momente der
Alkoholeinwirkung auf den Körper bis zu dem Augenblicke der Imbibition der
Eingeweide mit Alkohol eine Art autolytischen Prozesses abgespielt hat, der
aus Eiweißstoft’en Tyrosin erzeugte.
Die Leiche hatte das Aussehen einer Mumie. Der Verstorbene hatte
ein Alter von 45 Jahren erreicht und eine Größe von 1 m 70; seine
Haare waren braun gewesen. Die braunen Haare der Leiche waren leicht
ergrauend, die Leiche maß 1,71 m.
Der Vergleich mit der Nachbildung einer Büste des Admirals zeigte
vollständige Identität zwischen Büste und Leiche. Die Art der Einflanzung
der Haare, die Form der Stirn, der Bau der Augcnbrauenbogen, der Kiefer¬
knochen, der Nasenwurzel, der allgemeine Prognathisrnus des Gesichtes, besonders
des Kiefers, die Form des Kinns, die besondere Anordnung der Ohrknorpel, die
Maße der Leiche und der Büste — alles stimmte vollständig überein.
Schließlich kamen noch interessante anatomische Merkmale hinzu. Jones
hatte wiederholcntlich an Lungenaffektionen, besonders linkerseits gelitten und
hatte vor dem Tode Oedeme der unteren Gliedmaßen und des Leibes dar¬
geboten, die auf eine Nierenaffektion hinwiesen.
Die Organe der Leiche erwiesen sich nun durch die Imprägnation des
Körpers mit Alkohol so gut erhalten, daß Prof. C o r n i 1 histologische Schnitte
anlegen konnte, die mit jenen bei frischen Autopsien gewonnenen Präparaten
nahezu identisch waren. Die mikroskopische Prüfung ergab: normale Leber,
bronchopneumonische Herde besonders links, vielfache Affektionen der Nieren¬
knäuel, die auf eine interstitielle Nephritis schließen ließen.
Die Autoren halten ihren Fall für den ersten der Identifizierung einer
Leiche vermittelst verschiedener Methoden 113 Jahre nach dem Tode.
Dr. Mayer-Simmern.
Definitive Wiederbelebung durch subdiaphragmatische Herzmassage
ln einem Falle von anscheinendem Chloroformtod. Von L. Sencert. Aus
der Klinik des Prof. Groß. R6union biologique de Nancy. Comptcs rendus
de la soc. de biol.; LVIII, 1905, Nr. 23.
Am 17. April 1905 machte Sencert bei einem 51jährigen, iktcrischon,
kachektischen Manne mit Choledochusgeschwnlst die Laporatomie. Das Ex¬
zitationsstadium der Chloroformnarkose war wenig ausgeprägt; die Atmung
war ergiebig, regelmäßig. Der Bauchschnitt wurde in der Mittellinie aus¬
geführt. Es traten krampfhafte Bewegungen, Kontraktur der Becti ein. Dann
hörte die Respiration plötzlich auf. Der Operierte bot die Zeichen des Todes:
die Wangen waren blaß, die Papillen erweitert, der Puls der Radialarterien
war nicht zu fühlen. Künstliche Atmung, rhythmische Zungentraktionen, Haut¬
reize, Aetherinjektionen — alles war ohne Erfolg. 7—8 Minuten hindurch
wurden diese Maßnahmen mit größter Ausdauer durchgeführt; die Hand des
Operateurs blieb in der Bauchwunde. Sie konnte die Pulsationen der Aorta
nicht mehr fühlen.
Sencert führte nun seine rechte Hand tief gegen die Wölbung des
Diaphragmas. Der linke Leberlappen wurde abgehoben. Er konnte mit seinen
Fingern durch das Zwerchfell hindurch die Herzspitze und einen Teil der
596
Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften*
Kammern ergreifen and begann, den Daamen nach vorn, die anderen Finger
hinten, die Ausführung rhythmischer Herzmassage.
Das Herz, das sich zuerst schlaff und leer anfühlte, wurde
nach 5 Minuten langer Massage voluminös und hart. Noch einige Sekunden
fühlte die Hand eine spontane Zusammenziehung der Kammermuskulatur; nach
kurzer Pause traten wieder in rhythmischer Folge Herzschläge ein, — anfangs
sehr schwach, dann immer stärker. Der Pals an der Radialis wurde fühlbar,
nach zwei Minuten hörte und sah man die erste spontane Inspiration. Das
Gesicht begann sich zu färben, die Pupillen wurden enger, der Pols wurde
regelmäßig.
Ohne weitere Maßnahmen vorzunehmen, schloß der Autor die Bauch-
wunde. Der Mann erwachte nach einigen Sekunden. Die Wiederbelebung war
eine vollständige.
Verfasser gibt an, die Literatur enthalte 16 Fälle von Herzmassage bei
„anscheinendem“ Chloroformtode; nur ein Fall, jener von Starling sei von
Erfolg gewesen. Dr. Mayer-Simmern.
Ist die Tragfähigkeit schwimmender Körper ein sicherer qualitativer
oder quantitativer Nachweis und Beweis für ihren Luftgehalt. Von
Dr. Fr. Schroen, pro pbysicatu approb., (Jettingen. Münchener medizinische
Wochenschrift; 1905, Nr. SO.
Verfasser glaubt auf Grund der eingehend dargelegtcn experimentellen
und theoretischen Ergebnisse seiner Versuche die von Prof. Dr. Stumpf-
Würzburg empfohlene neue Methode zur quantitativen Bestimmung des Luft-
gcbaltes der Lungen') bei ihrer großen forensen Bedeutung weiterer, genauester
Nachprüfung anempfehlen zu müssen. Vorläufig möchte Verfasser sein Urteil
in der Richtung aussprechen, daß er einen sekundären Wert der Probe bei
gewaltsamen Todesarten Erwachsener nicht bestreiten will, daß er sie aber bei
Neugeborenen zur Entscheidung der Frage, ob sie gelebt haben oder nicht,
alloin nicht empfehlen kann, da sie nur in einem speziellen Falle quanti¬
tativ den Luftgehalt schätzen läßt, in anderen — und das sind die wich¬
tigsten forensen Fälle wohl — selbst qualitativ im Stiche lassen kann
und deshalb die übliche und vorgeschriebenc Lungenprobe der Sektionsinstruktion
nicht zu ersetzen vermag. Dr. Waibei-Kempten.
Ein gerichtlich-medizinischer Fall von Sturzgeburt. Von Bezirksarzt
Dr. Federschmidt in Dinkesbühl. München med. Wochenschrift Nr. 25/1905.
Auf Grund der Anzeige des Leichenschauers wurde gegen eine 29 jährige
Viertgebärende, deren Kind tot aus der Abortgrube gezogen wurde, Anklage
wegen fahrlässiger Tötung erhoben und gerichtliche Sektion angeordnet, welche
ergab, daß das völlig reife, ausgetragene und lebensfähige Kind bei seiner
Geburt gelebt und den Tod durch Ersticken, d. h. dadurch, daß es unmittelbar
nach der Geburt in die Abortgrabe geriet, wo cs beim Atmen flüssigen Kot
in die Luftröhre und in die Lungen aspicrierte, gefunden hatte.
Die Frau wurde in der kritischen Nacht von heftigen Leibschmerzen
und Durchfällen befallen, deretwegen sie öfters das Bett verlassen und ihre
Notdurft verrichten mußte.
Von einer falschen Schwangerschaftsbcrechnung ausgehend, glaubte sie
zunächst nicht an ihre Entbindung und äußerte erst später, da die Schmerzen
immer heftiger wurden, ihrem Manne gegenüber, daß es sich möglicherweise
doch nicht blos um gewöhnliche Leibschmerzen, sondern auch um Wehen handeln
könnte. Als sie ihren Mann später bat, den Topf auszulecren, forderte sie dieser
unwillig über dieses Geschäft auf, den Abort aufzusuchen. Als sie zu
diesem Zwecke das Bett verließ, „tat es vor ihr einen großen Platscher“, so daß
die Stube naß wurde. Auf dem Aborte verrichtete sie ihre Notduft, zugleich
ging aber auch die Geburt von statten, wobei das geborene Kind in die Abort¬
grube fiel. Die Frau wollte nun sofort ihren Mann veranlassen, das Kind ans
dem Aborte herauszuholen, derselbe lief jedoch in der Bestürzung zur Hebamme.
Nun rief die Gebärende eine parterre wohnende Frau zu Hilfe und bat sie mit
einer Gabel die Abortgrube aufzumachen, sie selbst eilte in ihre im Obergeschoß
') Siehe Referat in dieser Zeitschrift; 1905, Nr. 9, S. 257.
Kleinere Mitteilungen nnd Referate aus Zeitschriften.
597
gelegene Wohnung und holte ein Beil, um damit beim Oeffnen der Abortgrube
behilflich zu sein. Alsbald erschien die Schwiegermutter, welche das Kind aus
dem Abort zog und die Gebärende ins Bett brachte, wo alsbald die Nachgeburt
abging.
Diese Darstellung über den Geburtsvorgang erschien ganz glaubwürdig
und wurde auch von den Zeugen nicht widersprochen.
Zweifellos trieb, als sich die Frau auf dem Aborte befand und von Kolik¬
schmerzen und Wehen gepeinigt, die sio in ihrer Qual nicht unterscheiden
konnte, eine stürmische Wehe, das jedenfalls schon im Beckenausgang be¬
findliche Kind völlig aus den Geburtswegen, so daß es in den Abort fallen
mußte.
Auch der Sektionsbefund widersprach in keiner Weise dieser Darstellung.
Die äußere und innere Besichtigung der Leiche gab keinerlei Verletzung.
Daß es sich um eine sehr rasch verlaufene sogenannte Sturzgeburt
handelte, geht auch daraus hervor, daß an der Leiche keine Kopfgeschwulst
vorhanden war.
Die Lungenprobe ergab, daß das Kind nach der Gebart gelebt und ge¬
atmet hatte. Im Kehlkopf und unterhalb der Stimmbänder fanden sich
Sägemehlpartikelchen, in der Luftröhre und in deren Verzweigungen flüssiger
Kot. Das Kind fiel zunächst auf den Grund des Abortschachtes, einen in der
Abortgrabe vorspringenden Stein, der wie man sich überzeugen konnte, mit
dünnen Kot beschmiert und mit Sägemehl bestreut war. Bei Atembewegungen
des Kindes gelangten dann, vorausgesetzt, daß das Kind mit dem Munde auf
den Grund des Abortschachtes zu liegen kam, Sägcspähno in den Mund, die
dann, als das Kind infolge von Bewegungen der Gliedmaßen in die mit Jauche
f efülltc Abortgrube fiel und weitere forzierte Atembewegungen machte, in den
Kehlkopf gerieten, während die mit Kot vermischte Jauche in die tieferen Luft¬
wege gelangte, wodurch das Kind ersticken mußte.
Schlußgutachten: Es handelt sich hier um eine sogenannte Sturzgeburt.
Die Wehentätigkeit brach über die Frau in überstürzender Weise herein. Die
Frau, die zugleich an heftigen Kolikschmerzen litt, wurde sich des Geburts¬
vorganges offenbar erst bewußt, als das Kind geboren und in die Abortgrube
gefallen war. Von einer Fahrlässigkeit kann nach alledem keine Rede sein.
Bemerkenswert ist noch die Tatsache, daß 2 vorausgegangene Gcburtcu
der betr. Frau sehr schwere waren, die nur künstlich zu Ende geführt werden
konnten. Dr. Waibei-Kempten.
Ueber Schädelbrüche in gerichtsärztlicher Beziehung. Von Dr. Fritz
Hoppe. Fricdr.-Bl. für gerichtl. Medizin 1904, 1905.
Der Gerichtsarzt hat aus Befanden von Schädelbrüchen und ihren Be¬
gleiterscheinungen an der Leiche je nach der Lage der speziellen Umstände
ein Urteil abzugeben über die Todesart und ihre Veranlassung, die Art der
gebrauchten Waffe und ihre Führung durch den Täter, über die näheren Be¬
gleitumstände und die Zahl der Täter. Er muß unterscheiden, ob ein Ver¬
brechen, ein Unfall oder eine natürliche Todesart vorlicgt. Der Sektionsbefund
erlaubt ihm Schlüsse, ob eine körperliche oder geistige Erkrankung, die vor dem
Tode bestand, mit einem Schädelbruche zusammenhing. Seine sachverständige
Aeusserung hat dem Richter die Feststellung der Ansprüche der Hinterbliebenen
zu erleichtern. Die gerichtsärztlichen Erhebungen über Schädelbrüche und
ihre Folgen am lebenden Menschen haben große Wichtigkeit bei der Fest¬
stellung des Beschränkungsgrades der Erwerbskfähigkcit und der dauernden
oder vorübergehenden Nachteile für den Verletzten in zivilrechtlicher wie
strafrechtlicher Beziehung. In allen forensischen Fällen, in denen der Gerichts¬
arzt zur Hilfe des Richters herbeigerufen wird, ist cs dessen Hauptaufgabe,
den ursächlichen, mittelbaren oder unmittelbaren Zusammenhang zwischen der
fraglichen gerichtlichen Angelegenheit mit dem Schädelbrüche, dessen Begleit¬
erscheinungen und Folgen klarzustellen. Dr. Rump-Osnabrück
Zur Kenntnis des Quinquaudsclien Zeichens. Von Dr. Hoffmaun,
Gerichtsarzt in Berlin und Dr. Marx, Assistent der Unterrichtsanstalt für
Staatsarzneikunde in Berlin. Berliner klin. Wochenschrift; 1905, Nr. 19.
„Wenn man die gespreizten Finger des zu Untersuchenden auf den
698
Kleinere Mitteilungen nnd Referate ans Zeitschriften.
eigenen Handteller setzen läßt, merkt man während der ersten zwei oder drei
•Sekunden nichts Außergewöhnliches, dann aber leichte Erschütterungen, als ob
die Fingerknochen links gegeneinander and gegen die Flacbhand des Unter¬
suchers stießen. Je nach der Intensität and der Dichte and Kontinaität der
Stöße hat man die Empfindung, die vom leichten Reiben bis zom richtigen
Knarren und Krachen schwankt.“
Die an 1018 Insassen des Untersuchungsgefängnisses Moabit vor¬
genommenen Prüfungen führten za dem Ergebnis:
1. Das Fehlen des Q. sehen Zeichens oder ein mäßiger Grad desselben
lassen sichere Schlüsse auf Abstinenz oder Alkoholmißbraach nicht za. Das
Fehlen erlaubt höchstens mit einer Wahrscheinlichkeit von 8 :2 Abstinenz
anzunehmen.
2. Ein intensiver Grad des Phänomens zeigt mit einer Wahrscheinlich¬
keit von nahezu 3 :1 den Potatortremens, mit einer Wahrscheinlichkeit von
2 : 1 den Trinker an.
Das Zeichen kann immer nnr im Verein mit den anderen Zeichen des
chronischen Alkoholismus verwandt werden. Dr. Raa her-Köslin.
Zar Bewertung des Tremors als Zeichen des Alkoholismus. Von
Prof. Dr. Fürbrin ger-Berlin. Berliner klin. Wochenschrift; 1905, Nr. 21.
Verfasser kommt za den nachstehenden Folgerangen: 1. Aach richtige
Potatoren können den Tremor vermissen lassen, doch dürfte mit diesem Ausfall
in kaum dem zehnten Teil zu rechnen sein. 2. In mäßiger Aasprägung be¬
rechtigt das Händezittern an sich za keinerlei Schlüssen auf Alkoholmißbraach.
Hier boten sogar nahezu dreimal mehr Nichttrinker das Zeichen. 8. Aach der
starke und stärkste Tremor ist an sich nicht mit hoher, wohl aber mit einer
an das doppelte grenzenden Wahrscheinlichkeit für die Diagnose des Pota-
toriums zu verwenden. Der Tremor bleibt eines der charakteristischen Symp¬
tome des Alkoholismus und maß höher bewertet werden als das Qainquaad-
schc Zeichen, der Zangentremor and Kneifempfindlichkeit der Waden.
Dr. Räuber-Köslin.
Das Blerdellrlnm. Mitteilung zweier ausschließlich durch Biermißbraach
verursachter Fälle von halluzinatorischem Wahnsinn. Von Prof. Dr. Hans
Gudden (Klinik von Prof. Krapelin). Archiv für Psych.; 40. Bd., 1. H.
Beide Fälle imponieren anfänglich als reine Alkoholdelirien, gelangen
jedoch nicht zur Heilung, sondern gehen in eine chronische Hallazinose über,
in der Halluzinationen ängstlichen nnd bedrohlichen Inhaltes das beherrschende
Symptom bilden. Systematisierte Wahnipeen and Desorientierung sind in diesem
Stadium nicht vorhanden, während in den massenhaften Halluzinationen der
stets gereizten und erregten Kranken phantastische Verfolgungen, Ueber-
schätzungen, religiöse Vorstellungen eine große Rolle spielen. Bemerkenswert
st die Heilung in einem Falle nach 2 jährigem Bestehen der Krankheit. Diesen
angsameren Verlauf hält Verfasser für charakteristisch für das Bierdeliriam,
dagegen dürfte in dem ängstlichen Inhalt der Sinnestäuschungen kanm ein
unterscheidendes Merkmal gegen das Schnapsdelirium za finden sein, wie G.
resümierend betont. Dr. Pollitz-Münster.
Ueber hysterische Selbstverletznng. Von Dr. Christoph Müller in
Immenstadt. Münchener med. Wochenschrift; 1905, Nr. 24.
Im Herbst 1903 kam eine 35 jährige hochgradig hysterische Frau in die
Sprechstunde des Verfassers mit der Angabe, sie habe eben in einem Bissen
Brot drei Nähnadeln geschluckt. Verfasser hielt dies aus guten Gründen
nicht für wahr und suchte ihr beizabringen, daß die Nadeln, ohne za schaden,
nach einiger Zeit abgehen würden. 8 Tage später wurde Verfasser in die
Wohnung der Patientin gerufen, wobei ihm dio Frau eine neue glänzende, ge¬
wöhnliche Nähnadel zeigte, die sie soeben erbrochen habe; die beiden anderen
Nadeln spüre sie noch deutlich im Magen. Verfasser schenkte dieser Angabe
sowenig Glauben, wie der ersten und machte antcr anderem darauf aufmerksam,
daß die betr. Nadel nach so langem Aaf enthalte im Körper doch zweifellos
dankel oxydiert sein müßte etc. Abermals 8 Tage später wurde einem anderen
gerufenen Kollegen ein Geschirr mit Fäzes präsentiert, in denen zwei tadellos
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
599
oxydierte, große Nähnadeln steckten, die eben mit abgegangen seien. Der
über den Fall vom Verfasser auf dom laufenden erhaltene Kollege glaubte
ebensowenig auch an dieses Präparat, und man tröstete die Frtfu, daß nun
alles glücklich vorüber sei etc.
Im Herbste 1904 mußte wegen unstillbaren Gebärmutterblutungen die
Totalexstirpation dor Gebärmutter vorgenommen werden. Beim Durchschneiden
des rechten Ligamentum latum stieß die Schere auf einen festen Gegenstand,
welcher sich nach näherer Orientierung aus zwei Nähnadeln bestehend erwies,
die vollständig eingebettet waren in das verdickte Band. Die Nadeln waren
von der gleichen Große und von gleichem Aussehen wie die seinerzeit in dem
Fäzes vorgezcigten. Nach dem Befunde bei der Operation konnten die Nadeln
nur von der Scheidenwandung aus ins Ligamentum latum gekommen sein, wohin
sie entweder um Blutung hervorzurufen oder um sie gar von hier aus direkt
in den Darm einznstechen, gebracht wurden, ein Vorgehen, das möglicherweise
durch die bei Hysterischen häufig vorhandene Analgesie erleichtert wurde.
Von der Scheidenwandung aus sind die Nadeln dann durch Kontraktionen der
Scheidenmuskulatur gedrängt, nach oben gewandert und da ihnen der Weg
durch die derbe Portio zu schwierig war, nach der Seite ins breite Mutterband
ausgewichen. Dr. W a i b e 1 - Kempten.
Zar Lehre vom hysterischen Irrsein. Nach einem Vortrag auf der
Jahresversammlung des Deutschen Vereins für Psychiatrie am 24. April 1904.
Von Dr. Raecke, Oberarzt und Privatdozent an der psychiatrischen Klinik
Kiel. Archiv für Psych.; 40 Bd., 1 H.
Daß die Hysterie ein psychisches Leiden ist, darüber scheint unter den
neueren Bearbeitern Einigkeit zu herrschen, während in der Abgrenzung der
verschiedenen Formen des hysterischen Irreseins die größten Gegensätze bestehen.
R. unterscheidet, indem er die Gruppierung Baimanns verwirft, einfache
und zusammengesetzte Geistesstörungen der Hysterischen, die beide jedoch
direkt Ausfluß des zugrunde liegenden Krankheitsprozesses sind. Die Gruppe
der einfachen Störungen umfaßt die zahlreichen, paroxysmenartig auftretenden
Störungen: den Raptus hystericus mit seinem pathetischen, theatralischen, meist
oberflächlichen Affekt, den Furor hystericus meist im Zusammenhang mit
Krampfanfällen, nicht selten durch Alkohol ausgclöst und das forensisch so
wichtige Bild der hysterischen Moria, von den Franzosen (S o u 1 a r d) als Pueri-
lisme sehr treffend gekennzeichnet, eine Krankheitsform, die bald an das eigen¬
artig alberne Wesen der Katatoniker, bald an die Gans ersehen Dämmer¬
zustände anklingt. Hier sind die mitgeteilten, nicht kriminellen Beobachtungen
aus des Verfassers reicher Erfahrung von größtem Interesse. Sehr häufig sind
ferner vereinzelte Halluzinationen und nächtliche schreckhafte Visionen, sonnam-
bule Zustände und kurze paranoide Anfälle, die B o n h o e f f e r als pathologische
Einfälle bezeichnet hat. Wichtig sind die hysterischen Stuporzustände, denen
Anfälle von Schlafsucht, Narkolepsie, nahe verwandt erscheinen. Die hysterischen
Delirien zeigen ebenfalls sehr verschiedenartig abzugrenzende Symptomkomplexe,
bald ist ihr Inhalt depressiver, bald ekstatischer Natur, oft erstreckt er sich
auf affektbetonte Erinnerungen (Reminiszenzdelir). Die zweite Gruppe hy¬
sterischer Störungen setzt sich aus einzelnen Anfällen von Depression, von
Erregung, Delirien usw. zusammen. Man kann eine depressive Form unter¬
scheiden, die nicht selten bei Untersuchungsgefangenen beobachtet wird, meist
akut mit Angst, Halluzinationen, Tobsucht, Stupor, Vorbeireden, Noktam¬
bulismus, dazwischen auftretenden Moria-Anfällen verläuft. Die Störung kann
monatelang dauern. Als weitere Formen unterscheidet R. sodann eine Paranoia,
die der Pseudologia phantastica nahe steht, und eine maniakalisch-stuporöse.
Für die Diagnose aller hysterischen Psychosen ist der Nachweis körperlicher
Störungen, der Krämpfe, Sensibilitätsstörungen, Ohnmächten, Schwindel, Kopf¬
schmerz, besonders auch entsprechender Momente aus der Anamnese, sowie die
Entstehungsursache von größter Wichtigkeit. Dr. Pollitz-Münster.
Simulation von Sohmerzanfüllen bei einem Morphinisten. Ein Gutachten
von Oberarzt Dr. Nerlich-Waldheim. Allgem. Zeitschr. f. Psych.; 62 Bd., 1 u. 2. H.
In dem lehreicben Gutachten wird die Geschichte eines akademisch ge¬
bildeten Schwindlers mitgeteilt, der — von zahlreichen Gutachtern beobachtet
600
Kleinere Mitteilungen and Referate aus Zeitschriften.
— früher morphinistisch war und sich im Strafvollzüge durch Vortäuschen
schwerer Schmerzattaquen Erleichterungen und Vorteile zu erlangen suchte;
Symptome geistiger Störung hat er nicht simuliert. Hysterie lag nicht vor.
Er hatte früher an eingeklemmtem Nabelbruch gelitten und suchte die ihm
geläufigen Symptome später darzustellen; die Kenntnis zahlreicher ärztlicher Gut¬
achten über sein Leiden, die ihm zugängig gemacht worden waren, kam ihm
dabei zu statten. Immerhin dürfte der Mann seiner ganzen Lebensführung
nach in die Kategorie der pathologischen Schwindler zu nehmen sein.
Dr. Pollitz-Münster.
Simulation von Geistesstörungen. Von Dozent Dr. Ernst Bischoff-
Klosternouburg. Allgemeine Zeitschr. f. Psych.; 62 Bd., 1 u. 2. H.
Verfasser scheint die Simulation geistiger Störung für relativ häufig zu
halten. Er unterscheidet zwei Gruppen: 1) die Vortäuschung bestehender Geistes¬
krankheit, 2) die Vortäuschung von Sinnesverwirrung, z.Z. des Deliktes. Geistig
Abnorme neigen mehr zur Simulation als Intakte, besonders Hysterische, Neu¬
rastheniker und Schwachsinnige, namentlich wenn ethische Defekte vor¬
herrschen, die den Trieb zur Lügenhaftigkeit und Verstellung an sich fördern.
Nach Verfassers Auffassung, die Referent in keiner Weise teilt, soll dagegen die
Verstandesschwäche die Neigung zur Simulation vermindern, aber er betont
gleichzeitig, daO der Begutachter bei dem Nachweis etwaiger Simulation die
zugrunde liegende Geistesschwäche nicht übersehen soll. Simuliert werden
Bilder der Verblödung, der Verwirrtheit, auch epileptische Anfälle, Apathie,
nicht dagegen chronische Verrücktheit, die fachmännische Kenntnisse erfordert.
Der Nachweis der Simulation — oft recht schwierig — basiert auf dem Nach¬
weis, daß die dargestcllten Symptome „mit den Ausdrucksformen bekannter
Geistcstörungen nicht übereinstimmend, eine Beweisführung, die allerdings nur
den befriedigen wird, der die Lehre von den Geistesstörungen mit einer Anzahl
lchrbuchmäßiger Krankbcitstypcn für abgeschlossen hält. Die vier Fälle von
simulierter Geistesstörung, die B. mitteilt, sind recht interessant. Im ersten
Falle handelt es sich um einen raffinierten Dieb und Schwindler, der früher
epileptische Anfälle gehabt haben soll (I), durch phantastische Erzählungen über
sein Vorleben Aufsehen erregte und stets in der Untersuchungshaft in Stupor
und Verwirrtheit verfiel, die durchaus als vorgetäuscht zu bezeichnen waren.
In der Strafanstalt bot er keine Symptome geistiger Störung mehr. In einem
zweiten Fall wurde das Bild einer vollkommenen Apathie einige Zeit von einem
an sich beschränkten Menschen vorgetäuscht. Der dritte Fall betrifft einen
Lehrer, der unzüchtige Handlungen mit Schulknaben vorgenommen hatte. Er
behauptete, homosexuell zu sein und durch den Anblick von Knaben in einen
Zustaud von Verwirrtheit zu geraten. Daß letzteres falsch war, gelang Ver¬
fasser unschwer nachzuweisen. Die letzte Beobachtung bezieht sich auf einen
zu Uebertreibung geneigten Unfallneurastheniker, der in einer kriminellen Unter¬
suchung Intelligenz- und Gedächtnisdefekte zu seinen nervösen Symptomen hinzu
zu simulieren suchte. — Abgesehen von dem noch nicht ganz aufgeklärten ersten
Falle scheinen mir die übrigen Beobachtungen doch nur die Neigung mehr
oder weniger krankhaft veranlagter Menschen zu Uebertreibung und unwahren
Angaben über ihren Gemütszustand zu beweisen, nicht aber zu systematischem
Vortäuschen und Darstcllen von Geistesstörungen. Nur solches sollte aber als
Simulation bezeichnet werden. Dr. Pollitz-Münster.
Ueber psychische Infektion (induziertes Irresein). Von Professor
Dr. Meyer-Königsberg i. Pr. Berliner klin. Wochenschrift; 1905, Nr. 22.
M. führt die Erkrankung einer 46jährigen im Anschluß an eine solche
ihrer jüngeren Schwester und einer Ehefrau im Anschluß an die ihres Mannes
an und kommt zu dem Schluß, daß cs die Paranoia und die paranoiden Psy¬
chosen sind, die zur psychischen Infektion (induziertes Irresein) führen, und
daß man, auch wo keine Disposition (durch Heredität usw.) nachweisbar ist,
zur Erklärung der Uebertragung geistiger Störung eine solche heranziehen
muß, da eine psychische Ansteckung einzelner, völlig gesunder Personen zum
mindesten schwer annehmbar erscheint.
Bei den psychischen Epidemien dagegen geben Zeitströmung und
-Stimmung, Wunderglaube usw. die Grundlage zu psychopathischen Er-
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften. $01
scheinnngen bei einer großen Zahl von Menschen ab, von denen man unmöglich
jeden einzelnen als disponiert bezeichnen kann. Es handelt sich hier um ln«
fektion Gesunder; jes kommt aber bei der Mehrzahl von ihnen nicht zu einer
ausgesprochenen fortdauernden Geistesstörung, nur bei einzelnen von ihnen
mit besonderer Empfänglichkeit nnd Anlage tritt eine solche mehr hervor.
Dr. Räuber-Köslin.
Simulation von Geistesstörungen. Gutachten von Dozent Dr. Ernst
Ei sch off-Klosterneuburg. Allgemeine Zeitschrift für Psychiatrie; 62. Band,
UI. Heft.
Nach B.’s Erfahrungen, die schwerlich viel Bestätigung finden dürften,
häufen sich die Fälle von Simulation der progressiven Paralyse. Die Symp¬
tome — psychische wie die der „ ataktischen Motilitätsstörungen“ seien leicht
nachzuahmen. (?) Der mitgeteilte Fall, in dem bereits von einem sehr erfahrenen,
früheren Begutachter Paralyse angenommen worden war, beweist m. E. nicht,
daß Inkulpat gerade Paralyse simulieren wollte. Eine Reihe körperlicher
Symptome der letztgenannten Krankheit sind übrigens vorhanden; so ist es
möglich, daß — wie in manchen Fällen — ein geisteskranker Gewohnheits¬
verbrecher simuliert und übertreibt, eine Beobachtung, die nach Ansicht des
Referenten jedenfalls häufiger ist, als eigentliche Simulation oder gar syste¬
matische Darstellung eines bestimmten Krankheitsbildes.
Dr. Pollitz-Münster.
Zur klinischen Bewertung pathologischer Wanderzustände. Ans der
psychiatrischen Klinik zu Giessen. Von Dr. C. v. Leupoldt, KönigL Oberarzt,
kommandiert zur Klinik. Allgemeine Zeitschrift für Psychiatrie; 62. Bd., III. H.
Der eigenartige Symptomkomplex, den die Fälle von triebartigem
Wandern und Entweichen darbieten, ist in letzter Zeit von E. Schulze, be¬
sonders aber von Heilbronner eingehend studiert worden. Letzterer Autor
rechnet die Fälle von „Poriomanie“ nicht ausschließlich zur Epilepsie, hält sie
eher für ein hysterisches Symptom, ohne daß man Fälle hysterischer und epi¬
leptischer Provenienz durch den Verlauf — speziell durch den Grad des Er¬
innerungsvermögens — zu unterscheiden im stände wäre. Die drei Beob¬
achtungen, die Verfasser in ausgezeichneter Weise analysiert, bieten^ bei
verschiedenen Krankheitsformen das stets gleiche Symptom des impulsiven,
pathologisch motivierten Wanderzustandes. Bei dem ersten Kranken handelt
es sich um einen psychogen bedingten Anfall, der sich mehrfach wiederholt;
die Basis bildet ein von Jugend auf bestehende degenerative Veranlagung
Der zweite Kranke wanderte unter dem Einfluß von Halluzinationen; er litt an
primärer Demenz. Im dritten Falle ist eine starke Depression — ein dys-
phorischer Gemütszustand — bei vorhandener Degeneration, der den Wander¬
akt auslöst. Bei allen Kranken ist die Erinnerung an die Einzelheiten, auch
an die Motive ihres Wanderns gut erhalten. Die eigenartige Bewußtseins¬
störung oder Bewußtseinsveränderung, aus der der Impuls zu Wandern resultiert,
läßt sich, wie Verfasser nachzuweisen sucht, stets in die Elemente der Grund¬
krankheit auflösen. Dr. Po 11 i t z -Münster.
Beitrag zur Frage der Spätgenesung von Psychosen. Aus der Aerztl.
Heilanstalt Winnental. Von Dr. Julius Sigel-Stuttgart. Allgem. Zeitschrift
für Psych.; 62 Bd., 3. H.
Die Prognose geistiger Störungen ist mit Rücksicht auf die Bestimmungen
des B. G. B. von großer Wichtigkeit. Entgegen der klinischen Erfahrung finden
sich gelegentlich Fälle, in denen Heilung noch nach 13jährigem Bestehen der
Krankheit eingetreten ist. Unter diesen Spätheilungen finden sich Störungen
der verschiedensten Art. Nach Kräpelins Ansicht gehört ein Teil dieser
Fälle in das Gebiet des manisch-depressiven Irreseins, ein anderer in das der
Katatonie. Verfasser teilt drei entsprechende Beobachtungen mit, in denen
nach 4—9 Jahren Heilung eintrat. Referent hält die beiden ersten Fälle —
Verfasser hat keine bestimmten Diagnosen mitgeteilt — für periodische Störungen,
bei denen erst eine noch längere Beobachtung ein definitives Urteil über die
definitive Heilung erlauben dürfte. Dr. Pollitz-Münster.
602
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
Untersuchungen Aber juvenile Demenz mit einem Heilerfolg. Von
Dr. Georg Lomer, L Assistenzarzt der Irrenanstalt Neustadt-Holstein. Allg.
Zeitschrift für Psych.; 62 Bd., 2. H.
L. will den unglücklichen Hebephrenen Heilung bringen, indem er sie
der Geschlechtsorgane beraubt, aus denen ihnen ein hypothetisches Autotoxin
ins Gehirn gelangte. Der Vorschlag ist nicht neu, ähnliches schlug Räcke
vor, um die Verbrecher an der Fortpflanzung zu hindern. Hoffentlich entdeckt
die eifrig forschende Psychiatrie etwas weniger drastische Mittel, als das von
Lomer vorgeschlagene. Dr. Pollitz-Münster.
Veber Gemeingefährlichkeit vom ärztlichen Standpunkte ans. Vor¬
trag von Prof. Dr. Cramer-Göttingen. Juristisch-psychiatrische Grenzfragen.
Halle a./S. 1905. Preis 0,5 M.
Es ist ein ernstliches Verdienst des Verfassers, daß er sich gegen
den biegsamen Begriff der Gemein gef ährlichkeit Geisteskranker wendet, der
nicht auf dem Boden ärztlicher Ueberlegung, sondern verwaltungsrechtlicher
Praxis erwachsen ist. Daß ein großer Teil Geisteskranker kriminell und damit
gemeingefährlich wird, weil er erst dann in die Irrenanstalt kommt, wenn er
irgend eine krankhaft bedingte Straftat begangen hat, wird ausdrücklich hervor¬
gehoben. Cramer empfiehlt die möglichst schnelle und leichte Aufnahme
heilbarer Kranker in die Irrenanstalten, deren Krankenhauscharakter gegen¬
über dem zunehmenden Vorurteil des Publikums besonders zu betonen ist. Die
Erfahrung lehrt im übrigen, daß von Geisteskranken ein sehr kleiner Prozent¬
satz strafbarer Handlungen begangen wird; das Publikum vor solchen zu
schützen, ist ohne Zweifel eine berechtigte Forderung der staatlichen Aufsicht.
Auf der anderen Seite muß die Entlassung eines Geisteskranken einzig von
seinem Zustand, nicht von einer früheren Straftat abhängig gemacht werden.
Dzs Urteil darüber soll nach Cramers Auffassung nur dem Arzte zustehen.
Dr. Pollitz-Münster.
R. Sachverständigentätigkeit in Unfall-und Invaliditäts¬
sache n.
Ueber die Ausbildung der Aerzte im Begutachtungswesen. Von Dr.
E. Körting, Generalarzt a. D. Aerztl. Sachv.-Zeitung; 1905, Nr. 12.
Es wird die Forderung nach einer gedruckten Anleitung für die Unfall-
und Invaliditätsbegutachtungen anfgestellt. Die gesetzlichen Bestimmungen,
die Einteilung des Stoffes beim Attest, der komplizierte Gang bei Begründung
und Fassung des Schlußurteils, die Prozentbewertung bei den weniger land¬
läufigen Unfallsachen etc. sind Punkte, die man vor jeder einschlägigen Arbeit
gern wieder im Gedächtnis auffrischt. Die Hauptsache ist jedoch, daß weiten
Kreisen der Aerzte Entscheidungen nebst Begründung in großer Zahl regel¬
mäßig zugängig gemacht werden. Nach Anschauung der Referenten ist mindestens
gleich wichtig, daß den Aerzten, die zu Unfall- und Invaliditätsbegutachtungen
herangezogen werden, ein recht großes Material überwiesen wird; denn die
S ersönliche größere Erfahrung, welche der Gutachter sammelt, gibt die beste
fewähr für eine richtige Beurteilung. Dr. Troeger-Adelnau.
Tuberkulindiagnose ln der Unfallbegutachtung. Von Dr. F. K ö h 1 e r,
Chefarzt der Heilstätte Holsterhausen. Aerztl. Sachv.-Zeitung; 1905, Nr. 15.
Aus der Tuberkulinliteratur geht mit Sicherheit hervor, daß die Zu¬
verlässigkeit des Tuberkulins in diagnostischer Beziehung anfechtbar ist und
daß bei fehlender klinischer Diagnose, aber Tuberkulin-positivem Resultate,
nicht ohne weiteres eine Lungentuberkulose angenommen werden darf.
Für die Unfallbegutachtung ist festzuhalten, daß nach dem Ausfall der
Tuberkulinreaktion allein sich unser Urteil über den Charakter der traumatischen
Erkrankung nicht richten darf, vielmehr sollte in erster Linie eine gründliche
Untersuchung und die genaue Prüfung anamnestischer und ätiologischer Mo¬
mente uns in der Auffassung des einzelnen Falles leiten.
Veranlassung zu vorstehendem Aufsatz gab dem Autor ein Fall von
traumatischer Hysterie, nach Verbrennung, mit Lokalisation der Beschwerden
in der Brust Auf Grund seiner.Feststellungen scheint dem Autor für die
Kleinere Mitteilangen and Referate aas Zeitschriften.
603
Unfallbegutachtung ein Grundsatz dahin formoliert werden zu können: Die
Tuberkulinuntersuchung kann in Fallen von traumatischerHysterie positiv aus*
fallen, ohne daß tuberkulöse Prozesse sich im Organismus finden, und kann
daher, wenn die klinische Diagnose nicht auf Tuberkulose lautet, fttr die Begut¬
achtung solcher Fälle nicht ausschlaggebend sein. Dr. Troeger - Adelnau.
Trauma und chirurgische Tuberkulose. Von Prof. Dr. L e d d e r h o s e.
Aerztl. Sachv.-Zeitung; 1905, Nr. 11.
Die Unfallgesetzgebuug bestimmt bekanntlich, daß der Versicherte auch
Anspruch auf Rentenentschädigung hat, wenn bei der Entstehung eines Krank¬
heitszustandes ein Unfall nur eins von mehreren ursächlichen Momenten war.
Dadurch ist es gekommen, daß unter der großen Zahl von Personen, welche
wegen chirurgischer Tuberkulose Rente beziehen, sich viele befinden, bei denen
vom wissenschaftlichen Standpunkte die traumatische Entstehung der Er¬
krankung sehr fraglich und selbst mehr als fraglich erscheinen muß. Als
weitere Folge ergibt sich, daß zahlreiche Laien, aber auch manche Aerzte
mehr und mehr zu der Auffassung hinneigen, es kämen bei der Entstehung
der Knochen- und Gelenktuberkulose nicht nur häufig, sondern regelmäßig
Unfälle, also traumatische Ursachen, in Betracht.
Die Statistik und anderweitige klinische und pathologisch - anatomische
Erfahrungen dürften zu der Annahme berechtigen, daß die Mehrzahl der
Skelettuberkulose metastatischen Ursprungs (durch innere Herde) ist. Das
Gesamtergebnis der experimentellen Untersuchungen läßt sich dahin zusammen
fassen, daß es bis jetzt nicht gelungen ist, im Experiment diejenigen Bedin¬
gungen nachznahmen, welche beim Menschen ursächliche Beziehungen zwischen
Trauma und Gelenktuberkulose begründen können.
Aus dem vorhandenen statistischen Material darf man im ganzen wohl
annehmen, daß nur V»—*/* der Fälle von tuberkulöser Erkrankung der Knochen
und Gelenke Trauma als Gelegenheitsursachen beschuldigt werden können.
Zum Schluß richtet Ledderhose an die Aerzte die Mahnung, niemals
mehr als die Wahrscheinlichkeit eines solchen Zusammenhangs und auch nur
dann ein bejahendes Urteil auszusprechen, wenn diese Wahrscheinlichkeit durch
glaubwürdige Angabenj und einwandsfreie Tatsachen und Gründe gestützt
werden kann. _ Dr. Troeger-Adelnau.
Ein Fall von spontaner Subluxation der Hand nach unten. (Da-
puy tren-Madelungschen Subluxation). Von Dr. H. Schulze, Assistenz¬
arzt der Privatklinik des Prof. Dr. Koelliker in Leipzig. Münchener med.
Wochenschrift; 1905, Nr. 30.
Verfasser berichtet über einen Fall dieser seltenen, nur in der Zeit der
Wachstumsperiode auftretenden Erkrankung, weichein Wachstumsstörungen
imHandgelenke besteht, die ihrerseits wieder durch mechanische Eingriffe
hervorgerufen werden. Oft ist ein Trauma für die Entstehung der Mißbildung
verantwortlich gemacht worden, und ist diese Annahme manchmal nicht von der
Hand zu weisen. So fand Abadie unter 38 Fällen 7mal, Barthös unter
7 Fällen 4 mal ein Trauma der Entstehung des Leidens vorangehen. Auch in
dem vom Verfasser mitgeteilten Falle ist die Mitwirkung eines leichten Traumas
(Handverdrehung) an der Ausbildung der Deformität möglich; auslösend war
aber das Trauma nicht, da ja schon vorher das auffallende Hervortreten des
„Knöchels“ der rechten Hand bemerkt worden war. Das dem Texte beigefügte
Photogramm bezw. Roentgenogramm gibt ein klares objektives Bild der ab¬
normen, bajonettartigen Stellung der Hand zum Unterarm, des starken Hervor-
tretens des Ulnaköpfchens und des unteren Radiusendes, sowie der Verlängerung
der Ulna, der vollständigen Luxation derselben nach der dorsalen Seite hin,
sowie der Krümmung der unteren Radiushälfte und des starken Hervortretens
der dorsalen Hälfte der unteren Radiusepiphyse. Die Volarflexion geht er¬
heblich über die physiologische Grenze hinaus, während die Dorsalilexion
höchstens bis zu einem Drittel der Norm ausführbar ist. Die ulnare Abduktion
ist leicht, die radiale Abduktion ziemlich stark beeinträchtigt. Bei Bewegungen
zurzeit keine Schmerzen. Dr. W a i b e 1 - Kempten.
604
Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften*
Ueber entzündliche Fettgeschwülste an Knie- und Fussgelenken.
Von Dr. Karl Gängele, Oberarzt der Chirurg, orthopädischen Privatklinii
von S. R. Dr. Koehlerin Zwickau L S. Münch, med. Wochenschr.; 1905, Nr. 3*1'.
Das von Hoffa zum ersten Male berichtete Krankheitsbild, dessen i
anatomische Grundlage in einer fibrösen hyperplastischen Entzündung des
unter dem Ligamentum patillae gelegenen Fettgewebes besteht, gewinnt durch
seine Aetiologie für die Unfallslehre eine.besondere Bedeutung, insofern meist
früher vorausgegangene Traumen zu beschuldigen sind, die häufig sehr gering¬
fügiger Natur zu sein brauchen, wie z. B. eine plötzliche oder heftige Rotation
im Kniegelenk. Die Beschwerden sind typische Einklemmungserscheinongen,
wie sie ganz ähnlich durch Gelenkfremdkörper und Meniskusverletzungen
hervorgebracht werden.
Bei der Untersuchung fällt zunächst das Verstrichensein der beiden
Furchen zu Seiten der Kniescheibe auf. Dabei besteht keine diffuse Kapsel¬
schwellung, sondern an Stelle der Kniefurchen finden sich etwas derb sich i
anfühlende, nicht scharf umschriebene Vorwölbungen, medial meist größer als t
lateral. Das Röntgenbild eines Knies mit endzündlicher Fettgewebsbildung,
in seitlicher Aufnahme mit weicher Röhre aufgenommen, zeigt einen leichten |
Schatten zwischen der Rückseite der Kniescheibe und den Gelenkknocbeo
(rautenförmiger Fleck von Ludloff). <
Histologisch handelt es sich hier durchaus nicht um einfache Lipom¬
bildung, sondern um einen rein entzündlichen Prozeß im Fettgewebe der
Synovialis.
In weniger ausgesprochenen Fällen, besonders dann, wenn die entzünd¬
liche Wucherung keine größere Ausdehnung genommen hat, wird man vielleicht j
die vom Patienten angegebene Beschwerde simuliert oder wenigstens über- [
trieben zu halten geneigt sein, zumal da das Röntgenbild eine Knochen- t
Veränderung nicht erkennen läßt.
Verfasser berichtet nun über einen derartigen Fall, in welchem die Vor¬
wölbung der Kniefurchen in beiden Knien als Kapselverdickung mit Fett¬
geschwulstbildung angesprochen, derselben aber eine wesentliche Bedeutung
nicht zugesprochen wurde. Die vorgebrachten Beschwerden wurden vielmehr
als der Ausflnß einer Gelenksneurosc (Hysterie) auf Grund einer Rentenspekulation
betrachtet. Nach mehrwöchentlicher Behandlung mittels Massage, Elektrizität
und medikomechanischen Uebungen wurde Patientin ohne wesentliche Besserung
und ohne Rentenzubilligung entlassen. Nachdem die Patientin später Einspruch
erhoben und bemerkt hatte, es läge ihr nicht daran eine Rente zu bekommen,
sondern sie wünsche nur von ihrem Leiden befreit zu sein, wurde sie neuer¬
dings in der Klinik aufgenommen und operiert, wobei sich derbe, umschriebene
Fettgeschwülste von Kleinapfelgröße vorfanden. Der Verlauf war rechts glatt,
links bildete sich nach dem ersten Aufstehen ein leichter Erguß im Gelenke,
welcher nach mehrwöchentlicher Behandlung vollkommen verschwand. Die
Patientin wurde vollkommen erwerbsfähig und beschwerdefrei.
Verfasser berichtet dann noch eingehend über zwei operierte Fälle von
entzündlicher Wucherung des Fettgewebes am Fußgelenk. Auch hier geht
der entzündlichen Fettgewebswucherung meist ein, wenn auch geringfügiges,
nicht immer akutes Trauma voraus und kann z. B. durch öfters sich wieder¬
holendes Umknicken des Fußes, welches durch Plattfußbildung bedingt ist,
entstehen. Man wird deshalb bei Plattfaßbeschwerden nach derlei Fettgewebs¬
wucherungen am Fußgelenk fahnden und eventuell geeignete Behandlung ein-
treten lassen. Dr. Waibei-Kempten.
Ueber eine seltener vorkommende Kalkaneusfraktur. Von Dr.
Marcus in Posen. Aerztl. Sachverst-Ztg.; 1905, Nr. 12.
Autor schildert eingehend den Befund bei einer durch direkte Gewalt¬
einwirkung — Aufschlagen von Brettern — hervorgerufenen Querfraktur des
hinteren Fortsatzes des Kalkaneus. Die Achillessehne ist vollständig erhalten
und funktionsfähig. Das abgebrochene Knochenstück ist sehr weit nach oben
disloziert, aber mit dem Fersenbein doch fest verwachsen.
_ Dr. Troeger-Adelnau.
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
605
Tod einer Wöchnerin am Tage nach der Entbindung infolge von
Wrnembolie. Ursächlicher Zusammenhang mit einem etwa ein Jahr rorher
1 nfolge eines Betriebsanfalls anfgetretenen Herzleiden« Obergatachten
des Geh. Med.-Rat Prof. Dr.Bamm in Berlin vom 9. Januar 1905.
1. Es kommen im Wochenbett — auch bei fieberlosem und anscheinend
ganz normalem Verlaufe — Gerinnungen des Blutes in den Adern und infolge
der Fortschwemmung solcher Gerinnsel zum Herzen Verstopfungen in Blutgefäßen
(Embolien) vor. Da sich die Blutgerinnungen bei Wöchnerinnen ausnahmslos
zuerst in den Blutadern der Gebärmutter oder der Beine bilden, können die fort¬
geschwemmten Gerinnsel nur in das rechte Herz und von da in die Lunge ge¬
langen. Die Gefäßverstopfungen bei Wöchnerinnen betreffen deshalb, wenn keine
weiteren Komplikationen bestehen, ausnahmslos die Lungenschlagadern.
2. Im vorliegenden Falle handelte es sich aber nicht um die Verstopfung
einer Lungenschlagader, sondern um die Embolie einer Gehirn arterie, welche
nur durch die Fortschleuderung eines Gerinnsels aus der linken Herzhälfte
entstanden sein kann. Ein derartiges Ereignis setzt entweder eine schwere
Wochenbetterkrankung, welche jedoch nachweislich nicht bestand, oder einen
Herzklappenfehler voraus.
3. Da ein Herzklappenfehler seit dem 20. August 1901 zweifellos fest¬
gestellt ist, so stehe ich nicht an, in Uebereinstimmung mit den voraus-
gegangenen Gutachten zu bekunden,
„daß der Herzfehler die Ursache der Embolie gewesen ist,
und eine Hirnembolie trotz des Wochenbetts nie eingetreten wäre, wenn
kein Herzklappenfehler bestanden hätte.“
Das Reichs-Versicherungsamt hat, nachdem es zunächst durch Befragen
des behandelnden Arztes festgestellt hatte, daß eine schwere Wochenbett¬
erkrankung bei der Klägerin nicht eingetreten war, auf Grund des vorstehenden
Obergutachtens den ursächlichen Zusammenhang zwischen der Hirnembolie und
dem Herzfehler bejaht. Die Entstehung des Herzleidens ist als ein Betriebs¬
unfall angesehen worden in der Annahme, daß bei der dazu bereits veranlagten
Klägerin eine außergewöhnlich anstrengende Arbeit (wegen drohenden Un¬
wetters überhastetes Einbringen und Aufstapeln von Heu bei übermäßiger Hitze)
in verhältnismäßig kurzer Zeit den Herzfehler hervorgebracht hat. Demgemäß
ist der Rekurs der Berufsgenossenschaft gegen das sie zur Gewährung der
Vollrente an die Klägerin verpflichtende Urteil des Schiedsgerichts zurück¬
gewiesen worden. Amtl. Nachrichten des Reichsvers.-Amts; 1905, Nr. 7.
Lungenblutung infolge schweren Hebens als Betriebsanfall. Rekurs-
Entscheidung des Reichs-Versicherungsamts vom 2. März 1905.
Das Rekursgericht hat sich den Gründen des Schiedsgerichts ange¬
schlossen. Es hat, wie dieses, in dem Heben der etwa zwei Zentner schweren
Eisenschiene auf die Schulter und den Kopf eine Tätigkeit erblickt, welche
wohl geeignet ist, in einer Lunge, welche von einem tuberkulösen Leiden an¬
gegriffen ist, plötzlich eine Blutung herbeizuführen. Es hat auch angenommen,
daß eine solche plötzliche Verursachung hier vorliegt, und daß ohne einen
Vorgang wie die bozeichnete schwere Betriebstätigkeit eine Blutung in der
natürlichen Fortentwickelung des Lungenleidens erst wesentlich später ein¬
getreten wäre. Denn der Ehemann der Klägerin war zu der Zeit, als der
Blutsturz eintrat, offenbar noch nicht so schwer lungenleidend, daß der Eintritt
einer spontanen Blutung schon zu erwarten gewesen wäre. Dies geht aus dem
Gutachten des behandelnden Arztes Dr. Qu. vom 29. Juli 1903 und aus der
Tatsache hervor, daß der Ehemann der Klägerin bis zum Eintritte der Blutung
sich im vollen Besitze seiner Körperkräfte befand.
Hat hiernach eine einzelne Betriebstätigkeit den Blutsturz verursacht,
so liegt ein Betriebsunfall vor und ist die Beklagte für dessen Folgen, zu
welchen unstreitig die Verschlimmerung des Lungenleidens und der schnellere
Eintritt des Todes gehören, entschädigungspflichtig. Kompaß; 1905, Nr. 16.
' Die Bedeutung ärztlicher Gutachten in Iuvalldenversicbernngssacheo.
Revisions-Entscheidung des Reichs-Versicherungsamts vom
8. April 1906.
Wenn die beklagte Versicherungsanstalt zur Begründung der von ihr
606
Kleinere Mitteilangen and Referate aas Zeitschriften.
eingelegten Revision rügt, das Schiedsgericht habe gegen den Akteninhalt ver¬
stoßen and das Recht der freien Beweiswürdignng überschritten, indem es im
Widerspräche mit den ärztlichen Gatachten des Bezirksarztes Dr. B. festgestellt
habe, daß die Klägerin erst seit dem 1. Dezember 1903 dauernd erwerbsunfähig
sei, so verkennt sie die Bedeutung, die den ärztlichen Gutachten auf dem
Gebiete der Invalidenversicherung zukommt. Die Gutachten haben den Zweck,
daß mit Hilfe der ärztlichen Wissenschaft festgestellt wird, woran der Renten¬
bewerber leidet, and inwiefern er darch die Leiden an dem freien Gebrauche
seiner körperlichen and geistigen Kräfte gehindert wird. Schon in diesen Be¬
ziehungen bilden die Gutachten für die rechtsprechenden Stellen keine unter
allen Umständen bindende Richtschnur, sondern sie sind der freien Beweis-
Würdigung zugänglich. Was den sogenannten objektiven Befund betrifft, so
unterliegt es keinem Bedenken, daß die rechtsprechenden Stellen befugt sind,
dem einen ärztlichen Gutachten den Vorzug vor dem anderen zu geben der¬
gestalt, daß auf Grund des einen ein Leiden als vorhanden angenommen wird,
für das das andere keine Grundlage bietet, und umgekehrt. Inwiefern in dieser
Beziehung andere Beweismittel, z. B. die Aussagen von Zeugen, za Fest¬
stellungen geeignet sind, denen die ärztlichen Feststellungen nicht zur Seite
stehen, läßt sich im allgemeinen nicht sagen. Regelmäßig werden dabei aller¬
dings andere Beweismittel nicht die wissenschaftliche Kraft des ärztlichen
Gutachtens aufwiegen können, denkbar sind aber auch solche Fälle. Was die
Begutachtung der Kräftebeschränkung anlangt, so begibt sich damit der ärzt¬
liche Sachverständige auf ein Gebiet, das dem nicht ärztlich gebildeten Beob¬
achter schon zugänglicher ist. Hier werden sonstige Beweismittel, besonders
Zeugenaussagen über die tatsächliche Leistungsfähigkeit des Rentenbewerbers,
den ärztlichen Gutachten nicht selten in dem Grade gegenübertreten können,
daß sie bei freier Beweiswürdigung den Ausschlag geben. Mit den Aeuße-
rungen über die angegebenen beiden Punkte ist aber die wissenschaftliche Auf¬
gabe der ärztlichen Sachverständigen erschöpft. Denn die alsdann noch offene
Frage, ob die festgestellten Leiden und deren Wirkungen auf den Kräfte¬
gebrauch die Fähigkeit zu einem hinreichenden Arbeitsverdienste zulassen,
liegt nicht auf ärztlichem Gebiete. Hierüber haben vielmehr die recht¬
sprechenden Stellen nach ihrer freien richterlichen Ueberzeugung zu ent¬
scheiden. Zu schöpfen haben sie die Ueberzeugung aus den gesamten Um¬
ständen des Falles, wenn nötig, nach besonderen Ermittelungen, und nicht zum
mindesten aus ihrer eigenen auf der Kenntnis des Arbeitslebens beruhenden
Erfahrung. Gerade diese Erfahrung spielt hierbei eine wichtige Rolle, aner¬
kannt vom Gesetze dadurch, daß es zur Rechtsprechung in weitem Maße das
Laienelement herangezogen hat. Wenn gleichwohl die ärztlichen Sachverstän¬
digen, wie es vielfach Brauch ist, auch über die Fähigkeit des Rentenbewerbers,
den Mindestlohn zu verdienen, gehört werden, so sind die rechtsprechenden
Stellen an derartige Schätzungen keineswegs gebunden. Der Brauch ist ander¬
seits aber auch nicht zu mißbilligen; denn solche Aenßerungen können für die
Urteilsfindung wertvolle Grundlagen abgeben, wenn sie von Aerzten ausgehen,
denen Lebenserfahrung und sozialpolitische Schalung eigen ist. Deshalb wird
es sogar erwünscht sein, daß sich die ärztlichen Sachverständigen auch nach
dieser Richtung aussprechen. Immer aber bleiben es Meinungsäußerungen,
die ein unter allen Umständen entscheidendes Gewicht nicht beanspruchen
können.
C. Bakteriologie, Infektionskrankheiten und öffentliches
Sanitätswesen.
Die Resultate der prophylaktischen Impfung mit Diphtherieheilserum
im städtischen Marlahllf-Krankenhause zn Aachen. Von Prof. Dr. F. We-
sener, Oberarzt. Münchener med. Wochenschrift; 1905, Nr. 12.
Bei Einführung des Diphtherieheilserums waren diesem Mittel von seinem
Erfinder bekanntlich zwei Eigenschaften zugeschrieben, eine heilende und eine
vorbeugende. Während die erstere sich so ziemlich allgemein Anerkennung
erworben hat, dissentieren über die letztere die Meinungen noch bedeutend.
Verfasser berichtet nun über die Resultate der Präventivimpfung im
städtischen Mariahilf- Krankenhause zu Aachen und faßt dieselben in folgenden
Sätzen zusammen:
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften. 607
1. Die prophylaktische Impfung mit Diphtherieheilsernm ist ein Mittel,
am der Weiterverbreitang der Diphtherie aal die Familienmitglieder, eventuell
auch auf die Haosmitglieder vorzubeagen.
3. Der Schatz, den sie verleiht, ist kein absoluter, aber doch ein recht
sicherer; er macht eine Isolierung der Erkrankten nicht überflüssig, gestattet
aber doch, sie weniger streng dnrchzaführen.
8. Die Dauer des Schutzes ist eine beschränkte, im Mittel etwa 3 bis
4 Wochen. Aber diese Schutzfrist genügt in vielen Fällen vollständig, wenn
dafür gesorgt wird, daß die häusliche Schlußdesinfektion eine durchgreifende ist.
4. Wenn schutzgeimpfte Personen erkranken, sei es, daß die Infektion
trotz der Schutzimpfung erfolgt ist, sei es, daß zur Zeit der Schutzimpfung
schon eine Infektion vorlag, so ist der Verlauf meistens ein sehr leichter.
&. Zur Schutzimpfung genügten bei kleinen Kindern meistens und bei
größeren oft 200 I. E. Immerhin gewährt eine größere Menge wahrscheinlich
auch einen größeren Schutz, und würde es sich empfehlen, speziell wo jetzt
das Heilserum billiger ist, etwas höher zu gehen und vielleicht 300—400 I. E.
zur prophylaktischen Impfung zu verwenden, zumal ein Schaden nach den jetzt
erforderlichen geringen Serummengen ausgeschlossen ist.
6. Für städtische Behörden ist es sowohl vom hygienischen, wie pe¬
kuniären Standpunkte aus vorteilhaft, eine ausgedehnte Schutzimpfung einzu¬
führen und konsequent durchzuführen. Zur Durchführung derselben haben die
Krankenhäuser und die Armenärzte, aber auch die praktischen Aerzte erfolg¬
reich mitzuwirken. Dr. Waibel-Kempten.
Ueber einige Beobachtungen während der diesjährigen Cholera¬
epidemie ln Südrussland und rassisch Mittel-Asien. Von Prof. M. Hahn,
München. Vortrag, gehalten in der Berliner medizin. Gesellschaft am 21. De¬
zember 1904. Berliner klin. Wochenschrift; 1905, Nr. 2.
Einer schnellen und durchgreifenden Assanation Rußlands stehen, ab¬
gesehen von dem tiefen Stand der Volksbildung und allerlei religiösen Vor¬
urteilen, die geringe Bevölkerungsdichtigkeit des flachen Landes, die großen
Entfernungen und der große Süßwassermangel entgegen. Häufig sind Ent¬
fernungen von 50—100 km bis zur nächsten menschlichen Ansiedelung zu
durchmessen. Wenn einmal Typhus, Pocken usw. die Ausbreitung gefunden
haben, da machen ein paar Cholerafälle weder auf die Bevölkerung, noch auf
so manche Aerzte genug Eindruck, um sie zur energischen prophylaktischen
Maßnahme anzuregen.
Im Februar und März 1903 ergriff die Cholera, wahrscheinlich aus Syrien
eingeschleppt, Bagdad und Basra, ging im April auf persisches Gebiet über und
verbreitete sich in Kaschan, Teheran, Astrabad, Meschhed, folgte also ziem¬
lich genau den Karavanenstraßen, die nach den Hauptorten Persiens ziehen.
Für das rassische Gebiet und damit für Europa entscheidend war das Auf¬
treten der Cholera in Meschhed, das als Wallfahrtsort eine Art Messe für
die Persier darstellt. Von Meschhed gehen zwei Haupt-Karavanenwcge nach
Transkaspien, der größere fahrbare nach Aschabad, der kleinere mündet bei
Duschak bezw. Kaachga an der transkaspischen Bahn. Trotz des vortrefflich
organisierten und durchgeführten Ueberwachungsdienstes der russischen Re¬
gierung längs der ganzen Grenze, ist doch die Cholera wahrscheinlich auf der
kleinen, sehr frequentierten Karavanenstraße nach Transkaspien eingedrungen.
Auch 1892 trat sie zuerst in Kaachga auf. Die Ueberwachung dieser beiden
Karavanenstraßen in Persien erscheint mit Rücksicht auf die Choleragefahr in
Europa ebenso wünschenswert, wie die Ueberwachung des Schiffsverkehrs im
Suezkanal oder der Mekkapilger.
Kosaken, die in Aschabad bezw. Kaachga in Quartier gelegen hatten,
brachten die Cholera nach Merw, wo bis zum 13. September im Heer 89 Er¬
krankungen mit 24 Todesfällen und in der Zivilbevölkerung 160 Erkrankungen
mit 126 Todesfällen gemeldet wurden. Die anscheinend größere Mortalität
unter der Zivilbevölkerung rührt daher, daß in dieser leichtere Fälle nicht zur
Kenntnis der Behörden gelangten im Gegensatz zum Militär. Von Anfang
September an hat sich die Cholera in Baku und an der Wolga mehr und mehr
ausgebreitet. Vorwiegend ergriffen wurde die muhemedanische Bevölkerung;
zur Verbreitung der Cholera ha Baku sollen angeblich die Badstuben bei-
608
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
getragen haben. Die Öffentlichen sanitären Maßnahmen bewegten sich in dem
üblichen Rahmen, doch fehlte es an leicht desinfizierbaren Krankentransport*
mittein; das Händewaschen nach der Defäkation wird von den Muhemedanera
nur in unvollkommener Weise geübt, eine Maßregel, die auch in Deutschland
noch viel zu wünschen übrig läßt. Die Schutzimpfung wurde in Betracht
gezogen, aber mit Rücksicht auf die besonderen Verhältnisse nicht aus-
gefülirt. Dagegen hatte .Verfasser günstige Erfolge mit akuter Alkohol«
intoxikation (200 ccm absoL Alkohol und 800 ccm physioL Kochsalzlösung,
hiervon dem Patienten 6—2000 ccm in Mengen ä 500 subkutan injiziert, so
daß im ganzen 1—400 ccm Alkohol eingeführt wurden). Die drei im Stadium
asphycticum befindlichen so behandelten Fälle genasen.
Für die bakteriologische Diagnose bewährten sich die deutschen, durch
Beschlüsse des Bundesrats festgestellten Vorschriften außerordentlich, ins¬
besondere die Agglutinationsmethode mit im Vakuum eingetrocknetem Serum
(Kolle).
Während der eigentlichen Epidemie mnß die Bekämpfung der Kontakt¬
infektionen durch Isolierung und Evakuation im Vordergrund stehen.
Dr. Räuber-Köslin.
Veber die agglutinierende Wirkung des Serums von Typhuskranken
auf Paratyphusbazillen nebst Bemerkungen Aber makroskopische und
mikroskopische Serodiagnostik. Von Dr. Körte und Dr. Steinberg,
Assistenten der Poliklinik in Breslau. Münchener medizinische Wochenschrift;
1905, Nr. 21.
Die Verfasser haben wiederholt gefunden, daß das Serum mancher
Typhuskranken bei makroskopischer Betrachtung in stärkerer Verdünnung auf
Paratyphusbazillen als auf Typhusbazillen zu wirken scheint, daß aber die
makroskopisch ermittelte Grenze der Agglutinationswirkung für Typhus höher
liegt, als für Paratyphus. Schon dieser Umstand zeigt, daß für die Differential¬
diagnose zwischen Typhus und Paratyphus die mikroskopische Beobachtung
der Agglutination erforderlich und der makroskopischen überlegen ist. Hätten
sich die Verfasser begnügt, nur makroskopisch und z. B. nur in der Ver¬
dünnung 1 : 80 zu untersuchen, so hätte es den Anschein gehabt, als ob das
Serum eines Typhuskranken Paratyphus höher agglutinierte als Typhus. Durch
die mikroskopische Grenzbestimmung der Serumwirkung ergab sich aber, daß
die Typhusbazillen in beträchtlich höherer Verdünnung agglutiniert wurden,
als die Paratyphusbazillen. Für die Beeinflussung der Typhusbazillen bestand
also eine „Hemmungszone“, die sich für Paratyphusbazillen nicht nach-
weisen ließ.
Aus den Untersuchungen der Verfasser ergibt sich demnach, daß sich
nach wie vor die Differentialdiagnose zwischen Typhus und
Paratyphus meist auf serodiagnostischem Wege stellen läßt,
wenn man eine genaue mikroskopische Grenzbestimmung der
agglutinierenden Serumwirkung vornimmt.
_ Dr. Waibel-Kempten.
Typhusbazillen und hypertrophische Leberclrrhose. (Cirrhoses biliaires
d’origine äberthienne). Von A. Gilbert und P. Lereboullet. Comptes
rendus de la soc. de biol.; LVHI., 1905, Nr. 15.
Der Typhusbacillus kann Monate und Jahre im Organismus verweilen,
ohne deutliche Störungen zu bedingen, aber auch ohne seine Lebensfähigkeit
einzubüßen. Der Beweis wird durch manche Fälle posttyphöser Osteomyelitis,
auch durch Gallensteinleiden geliefert, die mit Typhus ursächlich in Zusammen¬
hang stehen. Der Typhusbacillus kann katarrhalische, eitrige und zur Stein¬
bildung führende Krankheiten der Gallenwege verursachen.
Die hypertrophische Lebercirrhose hat bisher weniger die Aufmerksam¬
keit auf sich gelenkt. Die Autoren teilen nun 5 Fälle dieser mit Gelbsucht
einhergehenden Erkrankung mit, in deren Anamnese Typhus eine wesentliche
Rolle spielte. Einer derselben betrifft ein 16jähriges Mädchen, das im Alter
von 6‘/i Jahren einen schweren Typhus durchgemacht hatte und 1902 an
Icterus, dann an Nasenbluten, Lebervergrößerung, Milzvergrößerung erkrankte.
Das cholämische Serum enthielt Bilirubin im Verhältnis etwa von 1: 6000. Die
Wi da Ische Reaktion war deutlich positiv (1:100).
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
609
Die Autoren halten das freie Intervall zwischen Typhus und Auftreten
der Lebercirrhose nicht für so wesentlich, um an der ätiologischen Rolle des
Typhus Zweifel zu hegen. Dr. Mayer >810006».
Abdominaltyphus nach Austerngenuss. Haftpflicht einer Stadt¬
gemeinde wegen fehlerhafter Kanallsationsanlage. Aus den Verhandlungen
des High Court of Justice. Kings Bench Division. Public healtb, XVII,
1906, März.
Im November 1902 fand in Winchester ein Festessen statt. Von den
Teilnehmern erkrankten mehrere an Typhus, einige starben. Nach den Unter¬
suchungen des Lokal Government Board war der Tod auf den Genuß von
Austern zurückzuführen, die an der Meeresküste bei Emsworth gewonnen
waren. Die Austern waren von einem Großunternehmer geliefert, dessen
Schiffe einen Wert von 17000—18000 £ repräsentierten, der im Jahre 2—3
Millionen Austern von Cornvall, Frankreich, Holland, Amerika ins Binnenland
einführte. Durch das Ergebnis der Untersuchungen der medizinischen Zentral¬
behörde hatte der Lieferant einen bedeutenden Schaden; da die Abwässer
von Emsworth direkt in seine Austernbänke Jahre hindurch geleitet worden
waren, auf diese Abwässer aber die Infektion der Austern zurückgeführt wurde,
so strengte er gegen die Stadtbehörde die Klage um Entschädigung an.
Uns interessieren besonders die Sachverständigengutachten. Dr. Bulst-
rode, Inspektor des Medical-Department des Lokal-Government board, gab an,
daß ein hoher Grad von Wahrscheinlichkeit für die Annahme spreche, daß die
Austern jene Epidemie verursacht hätten. Er glaube nicht, daß die Bänke
absichtlich nahe an die Mündung der städtischen Kanäle gelegt worden seien —
etwa um die Austern fett zu machen; indessen habe der Besitzer die Gefahr
nicht genug geschätzt, obwohl er wiederholt darauf aufmerksam gemacht worden
sei. Nach der Epidemie weiter Austern von jenen Beeten zu verkaufen, sei
ein Verbrechen gewesen.
Dr. Klein, der bekannte Bakteriologe, gab an, die Auster trinke das
Wasser ihrer Umgebung und halte in ihrem Körper feste Bestandteile zurück,
die darin enthalten seien. Die flüssigen Abwässer seien noch schädlicher, als
die festen. Von den 18 damals analysierten Schaltieren habe jedes Organismen
enthalten, wie sie in den Abwässern gewöhnlich Vorkommen; drei hätten
Organismen enthalten, wie sie bei der akuten Gastroenteritis gefunden wurden.
Bei der gerichtlichen Untersuchung der Frage ergab sich, daß der Haupt¬
kanal früher an seiner Mündung einen Verschluß besessen hatte, der ein Aus¬
fließen bei niederem Wasserstande mit Erfolg verhinderte, daß dieser Ver¬
schluß 1895 aber entfernt worden war. Nach dem Sea fisheries act 1868 ist
es verboten, Kanalinhalt derart zu entleeren, daß private Auster - Beete infiziert
werden können. Der Gerichtshof erkannte daher die Haftpflicht der beklagten
Stadtbehörde an. Dr. Mayern-Simmern.
Ueber Ausbreitungswege des Unterleibstyphus ln l&ndllchen und
gross»tädtlsehen Verhältnissen. Von Dr. Franz Nesemann, Reg.- und
Medizinalrat in Berlin. Vierteljahrsschrift für gerichtliche Medizin und öffent¬
liches Sanitätswesen; III. Folge, XXIX. Bd., 1. H.
Auf Grund eigener Beobachtung in amtlicher Tätigkeit und unter Be¬
rücksichtigung der zahlreichen Literatur schildert Verfasser die Aetiologie des
Typhus und seine Verbreitungsweise. Er hebt hervor, daß man, um die Aus¬
breitung des Typhus kennen zu lernen, seine Studien in ländlichen Bezirken
mit einer sesshaften, rein landwirtschaftlichen Bevölkerung beginnen muß.
Dort liegen die Verhältnisse viel einfacher und übersichtlicher als z. B. in
Industriegegenden oder gar in Großstädten. Für die Ausbreitung des Unter¬
leibstyphus kommt in ländlichen Bezirken in erster Reihe das Wasser in Be¬
tracht, und zwar nicht nur der Genuß des Wassers aus Brunnen, welche einer
Infektion von außen ausgesetzt waren, sondern auch der Genuß und wirtschaft¬
liche Gebrauch des Wassers aus Flüssen, Gräben und sonstigen Wasserläufen.
Besonders gefährlich erwiesen sich ruhende Gewässer, Gräben, Seen, Häfen.
Als Infektionsträger war ferner verseuchte Milch anzusehen, auf Sammelmolke¬
reien und die durch diese entstehenden Epidemien ist besonders Acht zu geben.
Die Hauptverbreitung findet aber der Typhus durch Kontakt, durch Verbreitung
610
Kleinere Mitteilnngen und Referate aus Zeitschriften.
von Mensch za Mensch. — Für die großen Städte kommen im großen ganzen
dieselben ätiologischen Faktoren in Betracht. Ruhendes Wasser, namentlich der
Häfen, hat sich immer besonders gefährlich erwiesen. Dagegen hat die Ans*
breitung der Krankheit durch Kontakt in den Großstädten bei weitem nicht
die Bedeutung wie auf dem Lande. Es bleibt die Annahme gerechtfertigt,
daß der Typhus yon auswärts in die Großstädte eingeschleppt wird und daß
moderne Großstädte, wie Hamburg, Berlin und Breslau, überhaupt keinen ein*
heimischen Unterleibstyphus mehr haben. Es liegt daher der Kampf gegen
den Typhus auf dem Lande nicht nur im Interesse der ländlichen Bevölkerung,
sondern auch die Großstädte haben mittelbaren Nutzen davon.
Dr. Isracl-Fischhausen.
Vorläufiger Bericht Uber das Vorkommen von Spirochaeten in syphi¬
litischen Krankheitsprodukten and bei Papillomen. Von Reg.*Rat Dr. Fritz
Schaudinn und Privatdozent Dr. Erich Hoffmann. Arbeiten aus dem
Kaiserl. Gesundheitsamte (Beihefte zu den Veröffentlichungen des Kaiserlichen
Gesundheitsamtes). Berlin 1905. Verlag von Julius Springer.
Die Verfasser stellen die Tatsache fest, daß nicht nur von der Ober¬
fläche syphilitischer Papeln und Primäraffekte, sondern auch in der Tiefe des
Gewebes und in indolenten geschwollenen Leistendrüsen bei klinisch unver¬
kennbarer Syphilis echto, außerordentlich zarte, schwach lichtbrechende, sehr
lebhaft bewegliche Spirochaeten in frischen und gefärbten Präparaten nach*
weisbar gewesen sind. Gefärbt wurde auf folgende Weise: Die gut fixierten
Deckgläser kamen für 16—24 Standen in eine stets frisch hergestellte Mischung
von l2 t Th. Giernsas Eosiniösung (2,5 ccm l°/ 0 ige Eosinlösung anf 500 ccm
Wasser), 3 Th. Azur I (1 : 1000 Wasser), 3 Th. Azur II (0,8 : 1000). Nach
kurzem Abspülen werden die Deckgläser getrocknet.
Dr. Rost- Rudolstadt.
Deber Spirocbaete pallida bei Syphilis and die Unterschiede dieser
Form gegenüber anderen Arten dieser Gattung. Aus dem Protozoen-La¬
boratorium des Kaiserl. Gesundheitsamtes und aus der KönigL Universitäts¬
klinik für Haut- u. Geschlechtskrankheiten zu Berlin. Von Reg.-Rat Dr. Fritz
Schaudinn und Privatdozent Stabsarzt a. D. Dr. Hoffmann. Sitzung der
Berliner mediz. Gesellschaft vom 17. und 24. Mai 1905. Berliner klinische
Wochenschr.; 1905, Nr. 22.
Die Gestalt der Spirochaete pallida ist die eines dünnen spiralig ge¬
drehten Fadens. Sie schraubt sich unter Rotation um ihre Längsachse bald
nach der einen Richtung, um nach ruckweisem Stillstand in die entgegen¬
gesetzte sich zu bewegen. Hierzu gesellen sich biegende, schlängelnde und
peitschende Bewegungen des ganzen Körpers, der nicht wie bei den Spirillen
eine starre Längsachse besitzt. Die Unterscheidungsmerkmale von anderen
Formen bestehen in der Kleinheit, Zartheit und der korkzieherartigen Auf¬
windung. Die Färbbarkeit ist eine geringe (Giemsasche Mischung eine
Stunde lang). Diese Spirochaete bildete einen regelmäßigen Befund in 7 Primär¬
effekten, 9 Sekundärpapeln, 12 typisch erkrankten Leistendrüsen, sie fand sich
ferner im MUzblut, in der Leber und Milz eines an kongenitaler Lues ver¬
storbenen Kindes; außerdem ist es Metschnikoff gelangen, in den bei Affen
experimentell erzeugten syphilitischen Krankheitsprodukten die nämliche
Spirochaete nachzuweisen. In einem Nachtrage von Hoffmann (Berliner
klin. Wochenschr.; 1805, Nr. 23) wird mitgeteilt, daß Levaditi in der Blasen-
flttssigkeit eines an Pemphigus syphiliticus leidenden Kindes Spirochaete pallida
in großer Anzahl gefunden hat, ebenso Salmon. Ferner fanden Andere die
Spirochaete in Milz, Lunge, Leber, Inguinaldrüsen und in sekundären Haut
papeln Syphilitischer. Dr. Räuber-Köslin.
Ueber das Vorkommen der Spirochaete pallida bei Syphilis. Von
C. Fränkel. Münchener med. Wochenschrift; 1905, Nr. 24.
Verfasser kommt auf Grund seiner Untersuchungen zu dem Schlüsse,
daß die von Schandinn und Hoffmann zuerst beschriebenen und ent¬
deckten Spirochäten in der Tat als die Ursache des Syphilis anzusehen sind.
_ Dr. Waibel-Kempten.
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
611
Untersuchungen Aber Schweineseuche mit besonderer Berücksichti¬
gung der Immunltätsfrage. Von Prof. Dr. Beck, Reg.-Rat, and F. Koske,
technischer Hilfsarbeiter im Kaiserlichen Gesundheitsamt. Hierzu Tafel VIII.
Arbeiten aus dem Kaiserlichen Gesundheitsamte (Beihefte zu den Veröffent¬
lichungen des Kaiserlichen Gesundheitsamtes.) 22. Bd., H. Heft. Berlin 1905.
Verlag von Julius Springer.
Die Untersuchungen beziehen sich ausschließlich auf jene Form der
Schweineseuche, als deren Erreger der betr. Löfflersche Bacillus gilt. Es
sind dies kleine, eiförmige Stäbchen, ohne Dauerform, die bei + 60° in 20
Minuten sicher absterben. Sic wachsen fakultativ anaerob und bilden auf Agar
einen zarten, durchsichtigen Rasen von perlmutterartigem Aussehen. Ihr Gift
haftet fest an den Bazillenleibern. Als Infektionsmittel gelten Wasser, Stroh,
Dünger, Futter, namentlich Milch. Die Ansteckung erfolgt schon durch Auf¬
nahme der Bazillen von dem oberen Teile der Verdauungswege her. Die
Immunisierung mit Serum verspricht wenig Erfolg, es ist der aktiven der Vorzug
zu geben. Dr. Rost- Rudolstadt.
Zur Frage der Uebertragbarkeit der Schweineseuche auf Geflügel
und der Geflügelcholera auf Schweine durch Verfütterung. Von F. K o s k e ,
technischer Hilfsarbeiter im Kaiserlichen Gesundheitsamt. Ebenda.
Durch Verfütterung der Schweineseuchenbakterien in Reinkultur oder
der von kranken Tieren stammenden Organteile konnte bei verschiedenen Vogel¬
arten eine tödliche Allgemeininfektion hervorgerufen werden. In dem Kot der
Fütterungstiere wurden in den meisten Fällen virulente Schweineseuchenbakterien
gefunden. Dagegen konnte durch Verfütterung von Geflügelcholerabazillen
oder von an Geflügelcholera verendetem Geflügel bei Schweinen eine der
Schweineseuche ähnliche Erkrankung nicht erzeugt werden. Sichere Unter,
schiede zwischen bellen Bakterienarten ließen sich bis jetzt nicht feststellen'
K. empfiehlt, bei gleichzeitiger Haltung von Schweinen und Geflügel auf ge
sonderte Fütterung, Stallung, Weideplätze zu achten.
Dr. R o 81 - Rudolstadt.
Welche VerSnderungen entstehen nach Einspritzung von Bakterien,
Hefen, Schimmelpilzen und Bakteriengiften ln die vordere Augenkammer?
Von F. Koske, technischer Hilfsarbeiter im Kaiserlichen Gesundheitsamte.
Ebenda.
Die Ergebnisse der Versuche lassen sich in vier Sätzen kurz zusammen¬
fassen :
1. Lebensfähige Bakterien, in die vordere Augenkammer eingespritzt,
erzeugten, selbst in sehr geringen Mengen, eine zur Zerstörung des Auges
führende, meist eitrige Entzündung.
2. Diese Wirkung ist auf eine Vermehrung der Bakterien und die Reiz¬
wirkung der Bakterienzellen und ihrer Stoffwechselprodukte zurückzuführen.
3. Abgetötete and mit Alkohol und Aether ausgezogene Bakterien riefen
nur vorübergehende leichte Reizerscheinungen hervor.
4. Auch die von den Bakterien in flüssigen Nährböden gebildeten Stoffe
riefen Entzündungserscheinungen hervor, welche aber in einiger Zeit ohne Zu¬
rücklassung von Veränderungen abheilten. Dr. Rost-Rudolstadt.
Studien über Sängetiertrypanosomen. Von S. P r o w a z e k (Rowigno).
Hierzu Tafel I—VI und 4 Textfiguren. Ebenda.
P. hat das Rattentrypanosomen und den Erreger der Nagana- oder
Tsetsekrankheit untersucht. Ersteres ist 7—30 p lang und von schmaler,
lanzettlicher Gestalt, welche nach der Seite, wo die undulierende Membran
sitzt, eine Ausbiegung zeigt. Der Zellkörper ist von einem pellikularartigen
Periplast umgeben und führt ein Protoplasma von sehr mannigfaltigem Aus¬
sehen. Der Kern liegt zwischen dem ersten und zweiten Drittel des Körpers.
Die künstlich infizierten Ratten verlieren die Freßlust, werden matt, erholen
sich aber nach höchstens einer Woche wieder. Als Zwischenwirt gilt die
Rattenlaus. Diese nimmt beim Saugen Flagellaten auf, welche man zuerst im
Magendarm antrifft, wo sie irei im Blute herumschwimmen. Hier findet die
eigentliche Reifung, Befruchtung und Pathenogenese statt. Die Parasiten
612
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
kommen alsdann im Enddarm zur Ruhe, durch dessen Epithel sie in die Leibes¬
höhle und so in den Blutstrom gelangen. Von hier werden sie nach rorn, in
den Larynx geführt, um beim nächsten Saugakt in das Blut des Wirtstieres
hineingepreßt zu werden.
Der Naganaparasit unterscheidet sich von R. zunächst durch die Körper¬
haltung, welche gedrungener, „gewunden“ sein soll. Das geißelfreie Ende
ferner ist stumpf, der Kern liegt fast in der Mitte usw. Die infizierten Tiere,
Meerschweinchen und Ratten, gingen meist nach 30 Tagen unter Konvulsionen
zugrunde. Die Entwickelungsstadien konnten nicht untersucht werden, da der
Zwischenwirt, die Tsetsefliege, nicht zu beschaffen war.
Dr. R o s t - Rudolstadt.
Studien Aber Strongyloides stereoralis (Bavay) (Angnlllula intesti¬
nalis und stereoralis) nebst Bemerkungen über Ancylostomum duodenale.
Von Otto Leichtenstern. (Nach dem Tode des Verfassers im Aufträge
der Wittwe herausgegeben von Otto Schaudinn). Hierzu 4 Textfiguren.
Ebenda.
Die Arbeit ist ein Fragment und stellt eine Monographie der Anguillula
dar, jenes Parasiten, welcher neuerdings öfters gemeinsam mit Ancylostomum
bei demselben Wirt vorgefunden worden ist und zu Verwechselungen Anlaß
gegeben hat. Dieses häufige Zusammenvorkommen von Ancylostomum und
Anguillula hat seinen Qrund darin, daß beide Parasiten die gleiche Heimat,
die gleichen Lebensbedingungen und die gleichen Uebertragungsgelegenheiten
haben. Von der gemeinsamen Heimat, den Tropen, sind beide Parasiten zuerst
nach Italien verschleppt worden und von hier aus durch die als Erd-, Tunnel-,
Ziegeleiarbeiter überall anzutreffenden Italiener über die ganze Welt verstreut
worden. Bei deutschen Arbeitern ist der Parasit zuerst von Leichtenstern
1885 auf den Kölner Ziegclfeldern angetroffen worden. Die Embryonen beider
Parasiten werden leicht miteinander verwechselt; sie können aber voneinander
durch die Bildung des Mundrohres und der Geschlechtsorgane-Anlagen unter¬
schieden werden. Der Anguillula-Embryo bildet den Ausgangspunkt zur
Filariaform. Dr. Rost-Rudolstadt.
Cachexia and Tetania thyreopriva. Von Prof. Dr. Lan z- Amsterdam.
Zentralblatt für Chirurgie; Nr. 13.
Von 30 durch Lanz in Bern thyreoidektonierten Ziegen ist nur ein
einziges Tier eingegangen. Alle anderen haben teils leichtere Formen von
Kachexie, teils beinahe keine Ausfallserscheinungen gezeigt. Von 20 in Amsterdam
thyreoidektonierten Ziegen sind im ganzen 9, also beinahe die Hälfte, an akuter
oder subakutcr Tetanie eingegangen. Die einzige Erklärungsmöglichkeit dieses
Unterschiedes findet Lanz in der Annahme des verschiedenen funktionellen
Wertes der Schilddrüse in verschiedenen Ländern. Er erinnert daran, daß
Kocher und Reverdin in Bern und Genf infolge der Totalexstirpation der
strumösen Schilddrüse Cachexia thyreopriva resp. operatives Myxoedem beobach¬
teten, während Billroth in Wien als Folgeerscheinung der totalen Thyreoi-
dektonie Tetanie auftreten sah. Schließlich weist Lanz auf Grund seiner
Versuche die Annahme von Pineies zurück, daß die Kachexie zwar die
Folge der Wegnahme der Schilddrüse sei, die Tetanie aber durch den Ausfall
der Nebenschilddrüsen hervorgerufen werde. Dr. Fielitz jun.-Halle a./S.
Die behördliche Kontrolle der ansteckenden Krankheiten. Von
Dr. Howard Wilkinson, medical officer of health for the county borough of
Dudley. Public health; XVII, 1905, Nr. 6, März.
Anzeigepflichtig sind in England: Pocken, Cholera, Diphtherie, Croup,
Erysipel, Scharlach, Flecktyphus, Abdominaltyphus, Febris recurrens, Wochen¬
bettfieber. — Bei Diphtherie ist ein großer Prozentsatz der gemeldeten
Fälle keine echte Diphtherie, sondern einfache, septische oder lakunäre Angina.
Als Erysipel gemeldete Fälle sind häufig ebenfalls als Fehldiagnose
anzusehen; Wundentzündungen, Osteomyelitiden, Fälle von Lymphangitis und
Phlebitis werden als Rose gemeldet.
Bei Scharlach empfiehlt der Autor die Isolierung in einem Kranken¬
hause nur wenn es Bich um Kinder in einer Wohnung handelt, in der sich
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
613
auch schwangere, der Entbindung nahestehende Frauen aufhalten müssen. Die
Kosten für die Isolierhospitäler bei Scharlach werden nach seiner Ansicht
zweckmäßiger für Kranke mit vorgeschrittener Tuberkulose ausgegeben. Jeder
Scharlachfall wird in Dudley vom Sanitätsinspektor besucht;
sorgfältige Notizen werden aufgenommen. Die Schlußdesinfektion wird in
jedem Falle durch beamtete Desinfektoren ausgeführt, wenn der behandelnde
Arzt die Notwendigkeit derselben bescheinigt. Unter 1097 von
1900—1904 gemeldeten Fällen starben nur 27 (2,4 °/ 0 ).
Bei Typhus wird sofort nach der Anzeige der Abort geleert. Der
Patient kommt ins Krankenhaus, das Haus wird desinfiziert. Muß der Kranke
aus irgend einem Grunde zu Hause bleiben, so empfiehlt der Autor, daß von
der Behörde ein tragbarer, zu desinfizierender Behälter für Stuhl und Urin
geliefert wird, der täglich von eigens angestellten Personen abzuholen ist. 1 )
Der Autor hebt auch die Schattenseiten der jetzigen Art der Anwendung
der Gesundheitsgesetze in England hervor. Er betont, daß selbst der eifrigste
und tüchtigste Medical officer of health oft Schiffbrach leiden muß, da dio
Gesetze zu viele Maschen enthalten, durch die böswillige Zuwiderhandelnde
durchschlüpfen können. Die Gewissensklausel des Impfgesetzes sei ein drasti¬
sches Beispiel. Die Gesundheitsgesetze seien nicht eindeutig genug abgefaßt;
sie hätten zu viele Klauseln und Ausnahmen, seien nicht einheitlich kodifiziert.
Dazu komme die Konnivenz der Ortsbehörden gegen Minoritäten. Wende sich
aber der Medizinalbeamte in seiner Verlegenheit an die Vorgesetzte Zentral¬
behörde, die ihn doch beraten und leiten sollte, so erhalte er den prompten
Bescheid, daß sie ablehnen müsse, eine Meinung zu äußern. Die bei der Be¬
kämpfung der ansteckenden Krankheiten von den Ortsbehörden getroffenen
Maßregeln verbürgen daher in mancher Hinsicht nicht die Sicherheit des Ge¬
meinwesens und schießen in anderer Beziehung wieder über das Ziel hinaus.
Die von Bapmund (Das öffentliche Gesundheitswesen, S. 45) ge¬
schilderten Gefahren der Selbstverwaltung auf gesundheitlichem Gebiete werden
demnach auch vom Autor betont. Dr. Mayer-Simmern.
Einige praktische Winke in bezug auf die Verwaltung von Isolier¬
hospitälern. Von A. Knyvett-Gordon, med. Superintendent of Monsall
Hospital. Public health; XVII, März 1905, S. 384.
Der Autor, der außer seiner Tätigkeit als Chefarzt des Monsall-Hospitals
noch ein Lehramt an der Universität Manchester versieht, gibt eine hübsche
Darstellung der Aufgaben, die dem leitenden Arzte und seinem Stabe an
Aerzten und Wärtern in einem Isolierhospitale erwachsen. Er erinnert daran,
daß ein solches Krankenhaus seinen Zweck noch nicht erfüllt hat, wenn es dem
Gemeinwesen seine Infektionskranken abgenommen hat. Die Verhütung der
Hausinfektionen ist außerordentlich schwer. Aufgenommen werden Kranke mit
Scharlach, Typhus, Diphtherie, Wochenbettfieber, Erysipel, Tuberkulose.
Während die Behörden für den Bau des Isolierhospitales große Summen aus¬
geben und dem Architekten das entscheidende Wort gönnen, dessen Alpha und
Omega aseptische Wände und aseptische Möbel sind — wird für das Warte¬
personal viel zu wenig gesorgt. Wichtiger als alle Glastische und als glasierte
Ziegel ist ein gutgeschultes Wartepersonal, und daran fehlt es meistens.
Die Leute werden gewöhnlich zu schlecht bezahlt und zu rasch entlassen. In
Monsall scheint ein guter Unterricht in Anatomie und Psychiatrie, in Hand¬
reichungen bei Operationen und Verbandtechnik erteilt zu werden.
Bemerkenswert ist, daß die Reinigung der Hände der Schwestern durch
Wasser und Seife, dann durch Terpentin und Holzgeist erfolgt und daß
die Pflegerinnen insbesondere bei Berührung von Typhuskranken Gummi¬
handschuhe tragen müssen — ein Umstand, der mit Rücksicht auf den
Aufsatz von Georgii (M. med. W., 1904, S. 712) erwähnt werden mag. Durch
die Erziehung zur Reinlichkeit werden die Fälle von Hausinfektionen selten.
Die Pfleger lernen, nicht mehr die Luftinfektion als „angenehmen Zufluchts¬
hafen anzusehen, in dem sich schmutzige Hände vor dem Sturm einer amtlichen
Untersuchung bergen können.“
*) VergL Zeitschrift für Medizinalbeamte; 1903, S. 499.
614
Kleinere Mitteilangen and Referate aas Zeitschriften.
Die Art der bakteriologischen Untersnchang bei der Aufnahme and bei
der Entlassung wird geschildert
Der Aufsatz ist auch für unsere Verhältnisse in hohem Grade lehrreich.
Dr. M a y e r - Simmern.
Neuregelung der Anstellung und amtliche Stellung der Gesundheit«-
beamten und Sanitätsinspektoren ln England. Public health bilL Public
healt; XVII, 1905, Nr. 5, S. 321.
Nachdem die Jahresversammlung des British medical association in Ox¬
ford den Beschluß gefaßt hatte, sich wegen Regelung der Dienststellung der
Gesundheitsbeamten und Sanitätsinspektoren an die gesetzgebenden Körper¬
schaften zu wenden, hat die Kommission für Hygiene und Staatsarzneikundo
ein Gesetzentwurf aasgearbeitet. Nach diesem soll ein Gesundheitsbeamter,
wenn er schon 3 Jahre vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes in einem Gebiete
mit einer Einwohnerzahl von nicht weniger als 50000 angestellt war und als
solcher sein Amt versehen hat, weiterhin in seinem Amte bleiben. Ein neu
angestellter medical officer of healt muß dagegen im Besitze eines Diploms 1 )
für öffentliche Gesundheitspflege oder Staatsarzneikunde sein. Voraussetzung
der Anstellung ist das Einverständnis der Zentralbehörde. — Sanitätsinspektor
kann nur sein, wer in einem Bezirke mit mindestens 20000 Einwohnern drei
aufeinander folgende Jahre vor dem Inkrafttreten des Gesetzes als solcher
gewirkt hat oder wer im Besitze eines Diploms einer Behörde ist, die vom
Local Government Board zur Ausstellung solcher Diplome ermächtigt wurde.
Notwendig ist in beiden Fällen das Einverständnis der Zentralbehörde. — Die
Beamten beider Kategorien sollen nicht mehr auf beschränkte Zeitdauer an¬
gestellt werden und, selbst wenn die jetzt geltenden Verträge auch das Gegen¬
teil besagen, nur mit Einwilligung des Local Government Board von ihrer
Stelle entfernt werden dürfen. Die nach dem Loc. Gov. Act 1 ) von 1838 an-
gestellten Beamten sollen von diesem Gesetz nicht betroffen werden. Während
bisher die städtischen Gesundheitsbehörden mit Ausnahme jener von London
nicht das Recht haben, mehr als einen Sanitätsinspektor anzustellen, soll dieses
Recht allen Stadtbehörden von nun an zukommen. — Der Titel „Uebelstands-
inspektor“ soll wegfallen; der Titel „Sanitätsinspektor“, der bisher nur für
London gilt, soll überall eingeführt werden. — Der Zentralbehörde sollen die
ihr nach den Public health acts oder dem Public health (London) act 1891
zustehenden Rechte unverkürzt verbleiben. Dr. May er-Simmern.
Nicht offizielle Leistungen auf dem Gebiete der öffentlichen Gesund¬
heitspflege. Unofficial sanitary work. Von A. S. N o r m a n, medical officer
of health. Public health; XVII, Februar 1905.
Der Vortrag verfolgt in mancher Hinsicht einen ähnlichen Gedanken¬
gang, wie der von Med.-Rat Dr. Hensgen-Siegen: „Wie kann der staatliche
Gesundheitsbeamte seine Stellung zur Förderung der mo lernen Wohltätigkeits¬
bestrebungen verwerten ?“ (Offizieller Bericht über die XVI. Hauptversammlung
des Preuß. Medizinalbeamten-Vereins 1899). Hier sei nur die Schilderung mit¬
geteilt, die der Autor von den beiden Arten der englischen Gesundheitsbeamten
entwirft. Er gibt an, daß er viele Jahre hindurch für den Gedanken gekämpft
habe, daß alle Gesundheitsbeamten vollbeschäftigt sein sollten, daß aber dem
Kampfe der Erfolg bisher gefehlt habe. Einen Vorteil dagegen genieße auch
der „Half-timer“, der nur einen Teil seiner Arbeitskraft dem Staate zur Ver¬
fügung stellte. Mit allen Bevölkerungsklassen komme er als Arzt in enge
Berührung; bei der Geburt der Kinder sei er zugegen, könne ihre Entwicke¬
lung verfolgen, behandele sie in ihrer Krankheit, kenne das Milieu in dem sie
aufwachsen und habe in bezug auf die Wahl ihres Lebensberufes ein ent¬
scheidendes Wort. Der „Half-timer“ habe allerdings nicht die Zeit, viel zu
lesen; statistische Arbeit sei ihm wahrscheinlich eine Last. Da er viel umher¬
fahre und viel des Nachts wachen müsse, habe er dagegen zum Nachdenken
und zur Beobachtung freie Zeit genug. Besonders auf dem flachen Lande habe
er Gelegenheit, treffende Beobachtungen zu machen, er wisse am besten, welche
*) Vergl. auch Zeitschrift für Medizinalbeamte; 1903, 8. 45.
*) Rapmund: Das öffentliche Gesundheitswesen; S. 270.
Kleinere Mitteilnngen and Referate ans Zeitschriften.
615
Krankheiten an bestimmten Oertlichkeiten, in bestimmten Häusern, in bestimmten
Familien heimisch sind. Vieles hiervon ist dem vollbeschäftigten Gesundheits¬
beamten versagt. Allerdings habe er ärztliche Ausbildung genossen — höre
aber in einem Alter, in dem er noch nicht Gelegenheit gehabt habe, Er¬
fahrungen auf dem Gebiete der praktischen Heilkunde zu sammeln auf, Krank¬
heiten zu behandeln. Jeder medical officer of health sollte daher eine Zeitlang
als Arzt tätig gewesen sein, ehe er die ßeamtenlaufbahn betritt.
_ Dr. Mayer-Simmern.
Die hygienische Mitwirkung der Aerzte bei der Ausführung der
deutschen sozialpolitischen Gesetzgebung. Von Dr. 0. Schwartz, Geh.
Medizinalrat in Köln. Aerztliche Sachverständigen-Zeitung; 1905, Nr. 3.
Autor tritt warm der Forderung E. Roths bei, welche dahin geht, daß
die vorgeschriebene Revision der gewerblichen Anlagen durch die staatlichen
Gewerbeinspektoren und Kreisärzte nicht nur unter Zuziehung von der Fabrik¬
leitung abhängiger sog. Fabrikärzte, sondern auch von den für die allgemeine
Behandlung der erkrankten Arbeiter von den Kassenvorständen angestellten
Aerzten ausgeführt werden möge. Er schließt den kurzen Artikel mit der
Hoffnung, daß auf Grund der vorliegenden Erfahrungen möglichst bald eine
gründliche Revision der deutschen sozialpolitischen Gesetzgebung stattfinden
möge, sowohl im Interesse des Gesundheitswohls von nahezu 10 Millionen
Arbeitern mit ihren Familien, als im Interesse der deutschen Aerzte, die in
langjähriger Unterrichts- und Prüfungszeit ihr Vermögen aufgeopfert haben
und vorzugsweise auf eine standesgemäße entsprechend lohnende Tätigkeit in
der Arbeiterbevölkerung angewiesen sind. Dr. Troeger-Adelnau.
Ueber die Notwendigkeit der Errichtung eines Volkswohlfahrtsamtes.
Von Geh. Med.-Rat Dr. Rob. B e h 1 a - Potsdam. Deutsche Med.-Ztg.; 1905, Nr. 24.
Verfasser spricht sich über den Begriff „sozial“ aus, über diese moderne
Erscheinung unseres Staatswesens. Er weist auf die noch immer bestehende
Notlage in den Großstädten hin und wünscht die Einrichtung eines Volkswohl¬
fahrtsamtes, dessen Aufgabe er in folgenden verschiedenen Gruppen zu¬
sammenstellt:
I. Säuglingsfürsorge. II. Kleinkinderfürsorge, a) Für
Gesunde, b) Für Kranke. III. Sckulkinderfürsorge. a) Für Gesunde,
b) Für Kranke, Schwächliche ünd Gebrechliche, c) Für Waisen. IV. Jugend¬
fürsorge. a) Für Burschen, b) Für Jungfrauen. V. Männer- und
Frauenfürsorge. 1. Wohnung und Unterkunft. 2. Ernährung. 3. Arbeits¬
verhältnisse, Fabrik- und Landarbeiter. 4. Wirtschaftsverhäitnisse. 5. Armen¬
wesen. 6. Krankenpflege, a) Stadt, b) Land. 7. Invaliden. 8. Sieche. 9. Ge¬
nesene. 10. Fürsorge für mit körperlichen, geistigen oder sittlichen Defekten
Behaftete. 11. Unfall und erste Hilfe bei Unglücksfällen. 12. Besondere
außerordentliche Notstände. 13. Gesundheitspflege, a) Oeffentliche Gesund¬
heitspflege. b) Private Gesundheitspflege. 14. Höhere Bildung. Ethische
Kultur. Allgemeine Volkswohlfahrt. 15. Fürsorge für Frauen, Witwen und
unverheiratete Erwachsene. VI. Altersfürsorge.
Er redet der Privattätigkeit sehr das Wort, betont aber, daß eine staat¬
liche Aufsicht vorhanden sein müsse, weil alles Schrankenlose und Regellose
einer ordnenden Zentralinstanz bedürfe. Auf der anderen Seite warnt er auch
vor einem allzu starren Bureaukratismus: Jede allzu strenge Zwangsroute
würde nur einen Mißgriff darstellen. Das Volkswohlfahrtsamt müßte den
Stempel der Popularität an der Stirn tragen.
Selbstverständlich wird mit der Einrichtung eines derartigen Amtes nicht
alles Elend beseitigt, niemals wird man alle Krankheiten heilen können, niemals
wird es eine Menschheit geben ohne körperliches Gebrechen. Ein goldenes
Zeitalter hat es nicht gegeben und wird es nicht geben, wohl aber erhoffen
wir ein soziales Zeitalter. Dr. Hoffmann-Berlin.
Farbentüchtigkeit im Eisenbahndienst. Von San.-R. Dr. E. Schwech-
t e n - Berlin. Aerztliche Sachverständigen - Zeitung; 1904, Nr. 24.
Nagel erörterte 1904, daß nicht nur, wie bisher allgemein anerkannt,
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Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
die Farbenblinden, insbesondere der Rotblinde, sowie der Grünblinde untüchtig
zum Eisenbahndienst sind, sondern auch die sogenannten anomalen Trichromaten,
bei welchen eine von der Norm abweichende Beschaffenheit der Sehsubstanzen
vorhanden ist, ohne daß dabei eine herabgesetzte Unterschiedsempfindlichkeit
vorzuliegen braucht. Während der Rot- und Grünblinde nur zwei Grundfarben
besitzt und eben die dritte, in der er blind ist, nicht, verfügt der anomale
Trichromat über die drei Grundfarben jedes normal Farbentüchtigen, aber
trotzdem ist sein Farbenunterscheidungsvermögen mangelhaft.
Fünf Gründe für die Gleichstellung der anomalen Trichromaten mit den
wirklich Rot- und Grünblinden in der Untauglichkeit zum Eisenbahndienst führt
Nagel an, die sich dem Rahmen eines Referats entziehen.
Um die Farbenuntüchtigen zu erkennen, hat in Berlin eine ganze Reihe
von praktischen Untersuchungen stattgefunden; jeder Farbenuntüchtige wurde
am Helm holz sehen Spektralapparat kontrolliert, der bekanntlich durchaus
sichere Resultate gibt. Es hat sich dabei gezeigt, daß weder die Görtzsche
Farbstichprobe, noch die Stillingschen Tafeln, noch die Holmgrensche
Wollprobe allenthalben der Probe am Spektralapparat in bezug auf die Sicher¬
heit des Farbenerkennens gleichkam. Dagegen hat die von Nagel erfundene
Methode mit verschiedenfarbig gedruckten Ringen kein Fehlresultat ergeben.
Sie ist außerdem billig und kann auf schriftliche Anweisung vom Arzte sicher
erlernt werden. Dr. Troeger-Adelnau.
Ueber den Einfluss der Ohrerkrankungen auf die Berufstätigkeit der
Hebammen. Von Prof. Dr. Hang-München. Aerztliche Sachverständigen-
Zsitung; 1904, Nr. 24.
Es kommen zwei Gruppen von Ohrerkrankungen in Betracht, die sich
dadurch unterscheiden, daß die eine eine akute Infektionsgefahr in sich schließt,
während bei der anderen vermöge der Hörverminderung sich mehr die Gefahr
auf Verzug und eine daraus resultierende Gefährdung ausspricht. Ein Zu¬
sammenfließen beider Gruppen kommt oft vor.
Die erste Gruppe umfaßt alle Eiterungen des Ohres, die zirkumscripte
Gehörgangsentzündung (Furunkulose), die akute perforativeitrige Mittelohr¬
entzündung und die wichtigste, die chronische Mittelohreiterung.
Die Eitererreger kann nun die Hebamme, sei es mit ihren nicht genügend
gereinigten Fingern, z. B. wenn sie wegen Juckens in das Ohr gefaßt hat, sei
es direkt durch die Auskultation der Herztöne auf die Gravide übertragen,
und manche puerperale Sepsis, deren Ursprung dem Arzte völlig unverständlich
war, findet so ihre Erklärung. Hieraus geht hervor, daß durch die Ohreite¬
rungen die Fähigkeit zur Ausübung des Hebammenberufs in Frage gestellt
werden kann, daß sie eine Berufsunfähigkeit in sich schließen können, die
allerdings für gewöhnlich nur eine temporäre sein wird. Fälle, bei denen die
Eiterung aus irgendwelchen Gründen nicht zum Stillstand gebracht werden
kann und die noch dazu mit sehr hochgradiger Harthörigkeit verknüpft sind,
dürften als dauernde Berufsunfähigkeit zu erachten sein.
Die Kranken der zweiten Gruppe leiden entweder an den verschiedenen
Formen der einfach katarrhalischen Mittelohrprozesse, oder der Sklerose des
Mittelohrs, oder der nervösen Schwerhörigkeit, lauter Affektionen, die nur zu
gerne beide Ohren sukzessive ergreifen und langsam, aber fast sicher, bis zur
Taubheit zugrunde richten können, speziell bei Sklerose. Eine Reihe von hoch¬
gradig Schwerhörigen vermag nur durch Knochenleitung, die sogar verstärkt
sein kann, die Herztöne des Kindes noch wahrzunehmen, so z. B. bei den
chronisch katarrhalischen Mittelohrprozessen mit Adhäsionsbildung und Fixation
resp. Schwerbeweglichkeit der Gehörknöchelchen - Kette. Für die Berufsfähig¬
keit ist der Schluß zu ziehen, daß Hebammen, die im höheren Grade schwer¬
hörig sind, von dem Zeitpunkte ab, wo sie die Herztöne nicht mehr sicher
erkennen können, als berufsunfähig zu erachten sind.
Zum Schlüsse empfiehlt H a u g, schon bei der Zulassung zum Hebammen¬
berufe auf vorstehende Krankheiten zu achten, und Frauen, die der Gruppe I
oder II als berufsunfähig auf die Dauer anheimfallen müssen, von vornherein
abzuweisen. Dr. Tr o eger-Adelnau.
Besprechungen.
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Ueber die antiseptischen Eigenschaften des Banches zuckerhaltiger
Pflansenstoffe und ihre Ausnutzung. Von A. Trillat. Comptes rendos de
la boc. de biol.; LVIII, 1905, Nr. 11.
Die Sitte, zu Epidemiezeiten saccharoseh<ige Wurzeln, Wachholder¬
beeren, Harze zu verbrennen, geht bis auf Hippokrates zurück.
Der Begriff der Desinfektion war für frühere Geschlechter mit dem der
Desodoration eng verknüpft. Dem Autor gelang es nun nachzuweisen, daß sich
Formaldehyd bildet bei Verbrennung von raffiniertem Zucker, Runkelrübe,
Pastinak, Wachholderbeeren, Benzoeharz, Engelwurz.
Formaldehyd hat aber die Eigenschaft, mit Schwefelwasserstoff, den
Merkaptanen, den Aminen der fetten Reihe und dem Skatol geruchlose
Komponenten zu liefern. Die einfache, praktische Beobachtung hat daher bis
ins vorige Jahrhundert hinein in richtiger Weise dahin geführt, bei Epidemien
solche Substanzen anzuwenden, unter deren Einflnß der schlechte Geruch der
benutzten Räume am ehesten schwindet; das sind eben solche Stoffe, die ver¬
hältnismäßig viel Formaldehyd bei der Räucherung liefern.
Genauere Bestimmungen ergaben, daß der Rauch von Zucker enthält:
Formaldehyd, Azeton, Methyl- und Aethylalkohol, Essigsäure, Bittermandelöl
und verschiedene Phenolpräparate.
Unter einer 12 Liter fassenden Glocke wurden 2 g Zucker verbrannt;
dem Rauche wurden ausgesetzt Objekte, die beschickt waren mit Coli-, Typhus-,
Milzbrand-, Tuberkel-, Cholerabazillen. Sterilisation war nach */* Stunde ein-
f etreten; beim Staph. aureus nach 1 Stunde, bei Bacillus subtilis und einer
'emperatur von 40° nach 4 Stunden.
Der Autor setzt im Institut Pasteur-Paris seine Desinfektionsversuche
größerer Räumlichkeiten fort.
Schon jetzt aber hält er es für erwiesen, daß die antiseptischen Eigen¬
schaften des Formaldehyds bereits zu einer Zeit ausgenutzt worden sind, in
welcher eine Isolierung und ein Studium des Formaldehyds noch nicht mög¬
lich war. _ Dr. Mayer-Simmern.
Ergebnisse der Prüfung der Sichlerschen „Slnacld • Butyrometrie“.
Von Dr. M. Klassert. Zeitschr. f. Untersuchung der Nahrungs- u. Genu߬
mittel; Bd. 9, H. 1, S. 12.
K. hat die Sichlersehe Methode, die mit dem Vorzüge der absoluten Ge¬
nauigkeit auch den der leichten und sicheren Ausführung durch Laienhand in sich
vereinen sollte, und wonach jedermann genau den Fettgehalt der Milch zu
bestimmen in der Lage wäre, nachgeprüft. Das Prinzip des Verfahrens ist
kurz folgendes: ln das betr. Butyrometer füllt man nacheinander hinein: 1. die
Sichlersche Salzlösung (zur Lösung des Milcheiweißes), 2. die Milch, 3. das
Sichler sehe Alkoholgemisch. Nach Schütteln und Erhitzen im Wasserbade
soll man dann den Fettgehalt in Prozenten ablesen können. Als Vorzüge
führt der Erfinder die Einfachheit und Handlichkeit seines Apparates und die
Vermeidung gefährlicher Reagentien an. Vergleichende Untersuchungen des
Verfassers mit diesem und dem Ger berschen Apparat haben ergeben, daß
die Methode, wie sie zurzeit vorliegt, zwar unbrauchbar, jedoch durchaus ver¬
besserungsfähig ist und sich zu einer einwandsfreien Schnellmethode ausarbeiten
ließe, die dann sehr wohl mit der Ger berschen konkurrieren kann.
Dr. Symanshi-Hagenau.
Besprechungen.
Dr. Gustav Pahl: Der österreichische Qerichtsarat. Yademecum
für die forensische Praxis für Aerate und Juristen. Mit 18 in
den Text gedrukten Abbildungen und eine Tafel. Wien und Leipzig 1904.
Verlag von Franz Dentike. 360 S.; Preis 7 Mark.
Verfasser hat das Buch, ein Leitfaden für Aerzte und Juristen, an der
Hand der Aufzeichnungen aus seiner Assistentenzeit und seiner 6 jährigen
gerichtsärztlichen Landpraxis, getreu nach den Direktiven seines Lehrers
Maschka geschrieben. Es soll den Bedürfnissen des praktischen Arztes ent-
618
Tagesnachriehten.
sprechen, ihm für den jeweilig vorliegenden Fall die vom Gesetze geforderter
Fragepunkte beständig and systematisch geordnet in Erinnerung bringen nnd
zugleich ein Repititorium der Materien selbst darstellen. Dadurch, daß den
schwierige Stoff in einer anch dem gelehrten Laien möglichst einfachen und
verständlichen Form behandelt ist, hat das Buch für den Gerichtarzt an Wert
nicht verloren. Es behandelt in einanderfolgenden Kapiteln die Pflichten und
Funktionen des Gerichtsarztes, die Verletzungen, die Todesarten, Kindesmord,
die gesetzwidrige Befriedigung des Geschlechtstriebes, die fragliche Zeugungs¬
fähigkeit, fragSche Schwangerschaft und Geburt, Fruchtabtreibung, Leichen¬
erscheinungen, die Sicherstellung der Identität (Anthromopetrie und Daktylo¬
skopie), die Untersuchung von Blutspuren. Den Schluß machen praktische
Winke bei der Aufnahme des Lokalaugenscheins, bei der Hauptverhandlung,
bei der Sektion, Formulare für Sektionsprotokolle, gesetzliche Bestimmungen;
ein Kapitel medizinische Terminologie. Dr. Bump-Osnabrück.
Stabsarzt Profi Dr. A. Dieudonnö: Hygienische Mauregeln bei
ansteckenden Krankheiten. Würzburger Abhandlungen aus dem Ge¬
samtgebiet der praktischen Medizin. Würzburg 1904. Verlag von A. S t u b e r.
Gr. 8°, 66 8.; IV. Band, 7. u. 8. H. Preis: 1,50 M.
An die Besprechung der chemischen, physikalischen und mechanischen
Desinfektionsmittel schließt D. das Hauptkapitel über die Ausführung der Des¬
infektion im allgemeinen und bei den verschiedenen Infektionskrankheiten.
3 Anlagen betreffend Dienstanweisung für Desinfektoren und Batschläge der
Ansteckungsgefahr bei Typhus und Tuberkulose beschließen die knappen, klaren
Ausführungen des Autors. Dr. Roepke-Melsungen.
E. Urban, Redakteur an der Pharmazeutischen Zeitung: Die genetallchen
Bestimmungen über die Ankündigung von Gehetmmltteln, Arznei¬
mitteln und Heilmethoden im Deutschen Reiche einschlie88lioh
der Vorschriften über den Verkehr mit Gehelmmitteln. Berlin 1904.
Verlag von Julius Springer. Kl. 8°, 172 S. Preis: 2,60 Mark.
Die einschlägigen Gesetze und Vorschriften sind zum Gebrauche für Be¬
hörden, Apotheker, Fabrikanten und die Presse nach den geltenden Recht zu¬
sammengestellt und hinsichtlich der Rechtslage erläutert. Rpd.
Tagesnachrichten.
Die am 8. und 9. September d. J. in Heidelberg abgehaltene IV. Haupt¬
versammlung des Deutschen Medizinalbeamten - Vereins hat einen in jeder
Weise befriedigenden Verlauf genommen, wenn auch ihr Besuch namentlich
aus dem Osten, wahrscheinlich infolge der dort ausgebrochenen Cholera, ein
nicht so starker war, als im Vorjahre (es waren über HX) Teilnehmer erschienen).
Der badische Landesausschnß hatte sich mit bestem Erfolg bemüht, den Vereins-
mitgliedcrn mit ihren Damen den Aufenthalt in Heidelberg so angenehm als
möglich zu machen; ebenso hatten die städtischen Behörden in bezug auf die
Besichtigungen usw. das größte Entgegenkommen gezeigt. Vor allem haben
es aber an beiden Sitzungstagen die Herren Referenten verstanden, die Teil¬
nehmer durch ihre höchstinteressanten und sachgemäßen Ausführungen zu
fesseln und bis zum Schluß der Versammlung festzuhalten.
Von einem vorläufigen Bericht darüber wird ebenso wie im Vorjahre
Abstand genommen, da der offizielle Bericht voraussichtlich schon der am
15. November d. J. erscheinenden Nummer der Zeitschrift beigegeben werden
wird; es sei daher nur kurz erwähnt, daß die in der besonderen Beilage zu
Nr. 17 der Zeitschrift mitgeteilten Vorschläge der drei Herren Referenten des
ersten Tages zu „Gerichtsärtzliche Wünsche zur bevorstehenden Neubearbeitung
der Strafprozeßordnung“ mit geringen Aenderungen angenommen wurden und
auch die nicht zur Abstimmung bestimmten Leitsätze der Referenten am zweiten
Tage den vollen Beifall der Versammlung fanden.
Tagesnachrichten.
619
Cholera« Nachdem bereits am 7. d. 11. im preußischen Kultusministerium
unter dem Vorsitz des dieserhalb vom Urlaub zurückgekehrten Herrn Kultus¬
ministers Dr. Studt eine Sitzung stattgefunden hatte, in der die zur Be¬
kämpfung der Cholera erforderlichen Maßnahmen eingehend erörtert waren,
ist zwei Tage später, am Sonnabend, den 9. d. Mts., der Ausschuß des
Reichs-Gesundheitsrats für Seuchenbekämpfung im Kaiser¬
lichen Qesundheitsamte zu einer Beratung über den Stand und die Be*
kämpfung der Cholera im Deutschen Reiche zusammen getreten. Der Ver¬
handlung, die von dem Präsidenten des Gesundheitsamts, Dr. Köhler ge¬
leitet wurde, wohnten Kommissare der nächstbeteiligten Reichs- und preußischen
Zentralbehörden bei. Das Referat erstattete Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Gaffky,
Direktor des Instituts für Infektionskrankheiten in Berlin, der gemeinschaft¬
lich mit dem Geh. Ober - Med. - Rat Prof. Dr. Kirchner im Aufträge der
preußischen MedizinalTerwaltung alsbald nach dem Bekanntwerden des ersten
Cholerafalls das zunächst bedrohte Gebiet bereist hatte. Nach seinen Dar¬
legungen kann es als zweifellos gelten, daß die Seuche Mitte des vorigen Monats
durch russische Flößer in das preußische Wei chselgebiet eingeschleppt
worden ist, wenn es auch bei dem Mangel weiterer Nachrichten dahingestellt
bleiben muß, wo der eigentliche Herd der Seuche zu suchen ist. In Deutsch¬
land ist die Krankheit seitdem längs der Weichsel und der von ihr nach
Westen abzweigenden, aus Brahe, Bromberger Kanal, Netze und Warthe ge¬
bildeten Wasserstraße aufgetreten. Einschließlich der auf Infektion in diesen
Stromgebieten zurückzuführenden Erkrankungen in Posen, Gnesen und zwei
weiteren Fällen im ostpreußischen Kreise Rastenburg sind bis zum Tage der
Verhandlung in Preußen 146 Krankheitsfälle bekannt geworden, von denen 39
tödlich verlaufen sind. 1 )
Alle diese Fälle, die sich auf mehr als 50 Orte verteilen, lassen sich
auf den Stromverkehr zurückführen; sie sind als vereinzelte Infektionen zu be¬
trachten, die Dank dem raschen tatkräftigen Vorgehen der Behörden überall
sofort isoliert wurden und bisher nirgends zur Bildung eines örtlichen Seuchen¬
herdes geführt haben. In gleicher Weise sind die im Verlaufe der letzten
zwei Wochen vorgekommenen drei Cholerafälle in Hamburg aufzufassen,
wohin die Seuche durch einen aus dem Gouvernement Lomsha zugereisten
Auswanderer gebracht worden ist.
Die zur Absonderung und Pflege der Erkrankten sowie die sonst ge¬
troffenen hygienischen Maßregeln, besonders die sorgfältig durchgeführte Ueber-
wachung der ebengenannten Wasserstraßen, bei welches jedes Fahrzeug
mindestens einmal täglich ärztlich kontrolliert wird, lassen annehmen, daß es
gelungen ist, die Seuche im Entstehen vollständig zu umfassen. Man darf
daher zuversichtlich hoffen, daß es zu einer Epidemie nicht kommen wird.
Nachdem der Geh. Ober-Med.-Rat und Vortragende Rat im Kultusmini¬
sterium, Prof. Dr. Kirchner, als Korreferent noch des näheren die seuchen-
polizeilicueu Maßregeln der preußischen Regierung und Hafenarzt Physikus
Dr. Nocht aus Hamburg in ähnlicher Weise das Vorgehen der Behörden in
Hamburg dargelegt hatten, schloß sich die Versammlung der oben wieder¬
gegebenen Auffassung des Referenden in allen Punkten an.
Hierauf wurden noch einige besonders wichtige Fragen, wie die Behandlung
der aus dem östlichen Europa kommenden Auswanderer, besprochen. Auch
hier wurden die von der preußischen Regierung und den hanseatischen Behörden
eingeführten Kontrollmaßregeln als wirksam und ausreichend anerkannt.
Hoffentlich giebt der Ausbruch der Cholera auch Anlaß, die Inkraft-
tretung des von dem Landtage angenommenen preußischen Ausfüh¬
rungsgesetzes zum Reichsseuchengesetz, das bisher noch nicht ein¬
mal in der Gesetzsammlung veröffentlicht ist, zu beschleunigen. Zur Be-
’) Inzwischen ist bis zum 13. d. M. die Zahl der Erkrankten auf 179,
die der Todesfälle auf 65 gestiegen; ohne daß die Seuche jedoch in irgend
einem Orte eine epidemische Ausbreitung genommen hat. Zur Verhütung
von Choleraeinschleppung in Schlesien sind jetzt auch an der Oder 8 Strom-
Überwachungsstellen unterhalb Breslau, Glogau und Krossen sowie eine Neben¬
überwachungsstelle in Brieskow, unterhalb Fürstenberg, neu eingerichtet. Bei
diesen Ueberwachungsstellen sind 3 Kreisärzte, 1 Kreisassistenzarzt und 3 prak¬
tische Aerzte angestellt worden.
620
Tagesnachrichten.
kämpfung der Cholera gewährt allerdings das Reichsseuchengesetz die Grand¬
lagen für die erforderlichen Maßregeln; dies läßt aber gleichwohl noch erheb¬
liche Lücken, namentlich in bezng auf die Kostenfrage, offen, die darch das
obengenannte Gesetz aasgefüllt werden.
Genickstarre tu Prenssen. Für die Zeit vom 1. Jali bis 15. sind ge¬
meldet 74 (70) Erkrankungen (Todesfälle) an epidemischer Genickstarre and
zwar in der Provinz Brandenburg 9 (5), Posen 1, Schlesien 51 (59), Sachsen 4 (1),
Schleswig - Holstein 8 (1), Hessen-Nassau 1, Rhein provinz 3 (3); für die Zeit
vom 16.—31. Juli: 59 (49), davon in Brandenburg 1 (1), Posen 1, Schlesien 53 (45),
Hannover 3 (1), Westfalen 1 (2), Rheinprovinz 1. Seit dem Beginn der Epidemie
bis zum 31. Juli kamen in Preußen 3274 Erkrankungen und 1808 = 55,2 °/ 0
Todesfälle an epidemischer Genickstarre zur Anzeige, von denen 2949 (1652
= 56,0 °/ 0 ) auf die Provinz Schlesien, 324 (156 = 44,1 °/ 0 ) auf den übrigen
Staat entfielen.
Der Deutsche Verein für Armenpflege and Wohltätigkeit findet vom
20. bis 23. September d. J.inMannheim statt. Anf der Tagesordnung
stehen u. a. folgende Gegenstände: Generalbericht über die 25jährige Tätigkeit,
erstattet vom Stadtrat Dr. Münsterberg-Berlin. — Die Bekämpfung der
Säuglingssterblichkeit, Berichterstatter: Beigeordneter Brugger-Köln. Mit¬
berichterstatter : Dr. Finkeistein - Berlin, Dr. Maria Baum, Fabrikinspektorin-
Karlsruhe. — Die heutigen Anforderungen an die öffentliche Armenpflege im
Verhältnisse zu der bestehenden Armengesetzgebung: Senatssekretär Dr. B u ehl-
Hamburg, Beigeordneter Dr. S ch wand er- Straßburg L Eis.
Auf der in Hannover am 10. u. 11. September d. M. abgehaltenen Jahres¬
versammlung des Verbandes konditionierender Apotheker stand ebenso
wie auf dem diesjährigen Apothekertage die Regelung des Apotheker¬
wesens auf der Tagesordnung. Die Notwendigkeit einer solchen wurde
vollständig anerkannt und der folgende Antrag des Vorstandes angenommen:
„In der Erwartung, daß es, solange nicht die Frage der Ablösung der be¬
stehenden Apothekenwerte entschieden ist, nicht angängig ist, daß der Verband
mit einem bestimmten Reformplan an die maßgebenden Behörden herantritt,
beantragt die Hauptversammlung: „Der Verband möge an die maßgebenden
Behörden im Reich und in den einzelnen Bundesstaaten die Bitte richten: 1.
Es möge die seit Jahrzehnten ersehnte Apothekenreform nunmehr durchgeführt
und zwecks Austeilung eines Reformplanes die Bildung einer Kommission, be¬
stehend aus Vetretern der Regierungen, Juristen, Nationalökonomen, ferner
aus besitzenden und nicht besitzenden Apothekern (diese je in gleicher Zahl)
vorgenommen werden, 2. bis zur endgültigen Regelung der Reformfrage mögen
aber die Regierungen unter tunlichster Vermehrung der Apotheken bei Ein¬
führung des Vorrtickungssysteins und Zubilligung einer angemessenen Entschä¬
digung des Geschäftswerts für den ausscheidenden Erstkonzossionar bezw. dessen
gesetzliche Erben die Personalkonzession zur Anwendung bringen.“
Betreff der Zulassung der Frauen zum Apothekerberuf wurde be¬
schlossen: „Die Zulassung von Frauen mit geringerer Vorbildung, sowie die
Schaffung eines Personals zweiter Klasse ist zurzeit nicht nur für verfehlt, sondern
geradezu als eine schwere Gefahr für den Stand zu erachten. Erforderlichenfalls
wird der Vorstand ermächtigt, hiergegen bei den maßgebenden Behörden mit
aller Entschiedenheit vorstellig zn werden.“ — Bezüglich der Vor- und Aus¬
bildungsfrage steht „der Verband auf dem Standpunkte, daß das Maturum
sowie ein verlängertes Universitätssudium zur Voraussetzung für den Apotheker¬
beruf zu machen und die (sog.) Konditionszeit in die Zeit nach dem Studium
zu verlegen ist. Bis dahin sind sämtliche approbierte Apotheker zur Doktor¬
promotion und zu dem für Nahrungsmittel-Chemiker vorgeschriebenen Examen
zuznlassen, wobei die pharmazeutische Staatsprüfung als Vorexamen für Nahrangs-
und Genußmittel-Chemiker anzuerkennen ist.“
Verantwortl. Redakteur: Dr. Rapmund, Reg.- n. Geh. Med.-Rat in Minden i. W.
J. C. C. Bruns, Herzogi. S&cba. n. F. Sch.-L. Hofbucb dr ackere 1 ln Minden.
18. Jahrg.
1905.
Zeitschrift
MEDIZINALBEAMTE.
Zentralblatt für gerichtliche Medizin und Psychiatrie,
für ärztliche Saehverständigentatigkeit in Unfall- und Invaliditätmehen, sowie
für Hygiene, olentL Saaitatswesen, Medizinal - Gesetzgebung nnd Rechtsprechung
Heraasgegeben
von
Dr. OTTO RAPMÜND,
Regtarange- and Geh. Modixlnalrat In Minden.
Verlag von Fischers mediz. Buchhandlg, H. Kornfeld,
HeraogL Bayer. Hof- u. ErxbenogL Kammer-BpchMmüer.
Berlin W. 35, Lützowstr. 10.
Inserate nehmen die Verlagshandlung sowie alle Annoncen-Expeditionen des In¬
end Auslandes entgegen.
Nr. 19.
Rrgeheint mm 1« und 15«
Jeden Monnts
1. Oktbr.
Wochenkarten Uber ansteckende Krankheiten an die
praktischen Aerzte.
Karze Mitteilang von Dr. Kircbgässer, Kreisarzt in Coblenz.
Eine Neueinrichtung im Meldewesen der ansteckenden Krank¬
heiten, die nunmehr seit ®/ 4 Jahren im Stadtkreis Coblenz nnd
dessen nächster Umgebung ohne Schwierigkeiten dnrchgeführt wird,
möchte ich vor allem den Herren Kollegen in grösseren Städten
zur Nachprüfung empfehlen.
Vorausschicken will ich, was vielleicht bekannt ist, dass im
Reg.-Bez. Coblenz bereits seit etwa 7 Jahren die praktischen
Aerzte die Anzeigen ansteckender Krankheiten durch die Hand
des Kreisarztes an die Bürgermeisterämter schicken. Zn diesem
Zwecke erhalten sie mit dem Stempel und Aversionierungsvermerk
der Regierung nnd der vorgedruckten Adresse: „An den Herrn
Kreisarzt in.* versehene Briefumschläge nnd
Anzeigeformulare unentgeltlich.
Schon bei einer früheren Typhusepidemie war auf Wunsch
des Coblenzer Aerztevereins eine Liste der mit Typhus verseuchten
Häuser jedem Arzt zugestellt worden. Dies gab die Veranlassung,
dass wiederholt Anträge gestellt wnrden, sämtlichen Aerzten
regelmässig Meldungen über die in der Stadt herrschenden an¬
steckenden Krankheiten zugehen zu lassen. Mit Recht wurde
darauf hingewiesen, dass bei unklarer Diagnose oder bei leichteren
Fällen der Verdacht einer ansteckenden Erkrankung häufig erst
entstehe, wenn man wisse, dass ansteckende Erkrankungen bei
Hausgenossen, Nachbarn pp. vorgekommen sind.
622 Dr. Kirchgässer: Wochenkarten ttber ansteckende Krankheiten.
Nachdem der Herr Regierungspräsident Bich damit einver¬
standen erklärt hatte, dass die baren Auslagen aus der Polizei¬
kasse bestritten werden, habe ich mich im Interesse der Sache
bereit erklärt, die Ausfüllung und Absendung der Meldebriefe
jeden Samstag Abend zu übernehmen.
Die Polizei stellte mir einen Vervielfältigungsapparat „Tipp,
Topp“, — Meldeformulare nach beifolgendem Vordruck, —
sowie mit den Adressen der einzelnen Aerzte, Stempel und Aversio-
nierungsvermerk bedruckte Briefumschläge zur Verfügung. Da¬
durch wird die ganze Arbeit (64 Anzeigen) von meinem Sekretär
an jedem Samstag in etwa 2 1 /, Stunden erledigt.
Die Einrichtung bedeutet eine wesentliche Verbesserung des
Meldewesens. Die praktischen Aerzte gewinnen mehr Fühlung
wie bisher mit dem Kreisarzt. Aus Dankbarkeit wird mir jetzt
manches Wissenswerte gemeldet, was nach den Bestimmungen
nicht anzeigepflichtig ist. Es bedarf nur eines kurzen Zusatzes
auf der Wochenkarte, um irgendwelche Wünsche, z. B. bezüg¬
lich Krankheitsauzeigen bei etwaigen Epidemien nicht anzeige¬
pflichtiger Erkrankungen usw. allen Aerzten mitzuteilen. Ebenso
habe ich wiederholt andere Mitteilungen, z. B. betreffend Lungen¬
heilstätten, Erholungsheime, Bekämpfung der Säuglingssterblich¬
keit, Ausstellung der Totenscheine usw. hinzugefügt.
Kurz gesagt, der Verkehr zwischen den praktischen Aerzten
und den Kreisarzt wird durch die Wochenkarten nach jeder
Richtung hin ohne Mühe und Zeitverlust gefördert. Schon jetzt
nach so kurzer Zeit kann ich ehrlich sagen: Ganz abgesehen von
dem grossen Wert der Wochenkarten bezüglich der Bekämpfung
der ansteckenden Krankheiten, insbesondere des Typhus, möchte
ich die Neueinrichtung wegen ihrer sonstigen Vorzüge für die
Zukunft nicht mehr entbehren.
Kreis Koblenz.
Wochenkarte über ansteckende Erkrankungen.
Jahr: 190 . Verdachtsfälle sind mit ? bezeichnet.
Woche: . . .te vom . . ten.bis . . ten.
Ortschaft.
Straße.
Nr.
Typhus.
Diph¬
therie u.
Croup.
|ä
OG
Masern.
_
Kindbett-
lieber.
Coblenz Stadt
!
!
Einige Bemerkungen zur Bekämpfung des Kindbettfiebers.
Von Kreisarzt Dr. Helwes in Diepholz.
Nach der nicht genug zu bedauernden Ausmerzung der Anzeige¬
pflicht für Wochenbettfieberverdacht aus dem neuen Preussischen
Dr. Helwes: Einige Bemerkungen zur Bekämpfung des Kindbettfiebers. 623
Seuchengesetze dürfte man vielleicht allgemeiner verlangen, nnn
wenigstens in einer neuen Auflage des Hebammenlehrbuchs den
Begriff „Wochenbettfieber“ genauer definiert und möglichst weit
ausgedehnt zu sehen, soweit z. B. wie er auf der letzten Haupt¬
versammlung des Medizinalbeamten-Vereins in Hannover festgelegt
ist. Die dort gutgeheissene Bestimmung 1 ) ist insofern glücklich
gewählt, als sie entschieden alles umfasst, was von Wochenbetts¬
erkrankungen infektiös ist. Sie geht auch noch weiter; denn es würde
z. B. Parametritis, Pflegmasia alba dolens, ja sogar Mastitis da¬
nach unter die anzeigepflichtigen Kindbettfieber fallen, Erkrankungen,
von denen die beiden letztgenannten nicht infektiös sind. So dankens¬
wert und hochwichtig es nun auch erscheinen mag, Klarheit über
die Ausdehnung des Begriffs „Kindbettfieber“ für die Praxis zu
schaffen, so gibt es doch einige Bedenken, welche gegen die Auf¬
nahme einer derartigen Definition in das neue Hebammenlehrbuch
sprechen. Es sei mir gestattet, hier kurz auf dieselben hinzuweisen.
Derjenige, dem die Bestimmung obliegt, ob es sich in einem
Falle um Kindbettfieber handelt, ist und bleibt der behandelnde
Arzt, der auch nach den Bestimmungen des neuen Seuchen¬
gesetzes in erster Linie zur Anzeige verpflichtet ist. Der Arzt
aber wird die Diagnose „Kindbettfieber“ nach den Lehren stellen,
die ihm auf der Universität darüber gegeben sind; er wird sich
nicht um die Bestimmungen des Hebammenlehrbuchs, das für ihn
nicht massgebend ist, und das er meist nur dem Namen nach kennt,
kümmern.
Die Hebamme auf der anderen Seite wird nur schwer im¬
stande sein, vorausgesetzt, dass sie die ganze negative Ausdrucks¬
weise überhaupt versteht, einer Bestimmung nachzukommen, nach
welcher sie jeden Fall von Fieber im Wochenbett, bei dem ein
Zusammenhang zwischen Fieber und vorangegangener Entbindung
nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann, zu melden hat.
Sie selbst kann und darf nicht feststellen, welche Krankheit vor¬
liegt, ein Befragen des behandelnden Arztes aber im Sinne der
obigen Bestimmung ist aus verschiedenen Gründen mit Schwierig¬
keiten verbunden. Der Arzt wird nämlich oft nach der ersten
Untersuchung die Diagnose nicht mit Sicherheit stellen können;
er wird demnach auch kein Urteil darüber haben, ob ein Zu¬
sammenhang zwischen der voraufgegangenen Entbindung und der
Erkrankung besteht oder nicht. Wollte nun eine gewissenhafte
Hebamme noch in den nächsten Tagen mit weiteren Fragen an
den Arzt herantreten — was schon allein der Entfernungen wegen
Schwierigkeiten hat — und ihn dann gemäss der erwähnten Be¬
stimmungen fragen: „Herr Doktor, können Sie einen Zusammen¬
hang dieser Erkrankung mit der vorangegangenen Entbindung
mit Sicherheit ausschliessenP“, so würde der Arzt die Hebamme
in vielen Fällen als unbequeme Fragerin betrachten und dem¬
gemäss behandeln. Kann man doch, genau genommen, einen Zu-
*) Offizieller Bericht über die XXII. Hauptversammlung des Preußischen
Medizinalbeamten-Vereins zu Hannover, S. 19.
624 Dr. Helwes: Einige Bemerkungen zur Bekämpfung des Kindbettfiebers.
sammenhang zwischen Lungenentzündung und vorangegangener
Entbindung kaum mit Sicherheit ausschliessen.
Anders gestaltet sich die Sachlage, wenn die Hebamme, wie
dies nach Walther 1 ) in Hessen der Fall ist, jede fieberhafte
Erkrankung, welche bei einer Wöchnerin innerhalb der beiden
ersten Wochen nach der Entbindung eintritt, anzeigen muss; dann
wird sich wahrscheinlich der beamtete Arzt mit dem behandelnden
Arzt in Verbindung setzen und von diesem in den meisten Fällen
etwas Näheres erfahren. Es wäre interessant, von den hessischen
Kollegen zu hören, welche Erfahrungen dort beziehentlich dieses
Punktes gemacht sind. Der behandelnde Art kann indes nirgends
ausgeschaltet werden, auf ihn und nicht auf die Hebamme kommt es
bezüglich der Erkennung der infektiösen Wochenbettserkrankungen
am meisten an, wie das auch durch das neue Hebammenlehrbuch
anerkannt ist.
Allen diesen Bedenken gegenüber könnte man nun sagen,
dass dieselben sich schon umgehen lassen würden, da man nie
genau Vorhersagen könne, wie sich solche Bestimmungen in der
Praxis gestalten; man würde durch solche Definition den Heb¬
ammen und vielleicht auch den Aerzten das Gewissen schärfen
usw. Die Bedenken sind jedoch ebensowenig ganz zu übersehen,
wie der Satz, dass man sich hüten soll, Verordnungen zu treffen,
auf deren volle Durchführung man nicht mit Sicherheit rechnen
kann. Dass das aber bei der eben erwähnten, auf der dies¬
jährigen Hauptversammlung in Hannover vorgeschlagenen Defi¬
nition des Kindbettflebers nicht immer möglich ist, dass man von
den Hebammen nicht verlangen kann, jeden Fall von Wochenbett¬
fieber im Sinne der obigen Bestimmung zu melden, das dürfte aus
dem Gesagten hervorgehen.
Eine Herabsetzung der Sterblichkeit an Kindbettfieber wird
gewiss auch ohne genaue Definition des Wortes gelingen und zwar
durch Durchführung der auf der Medizinalbeamten-Versammlung
geforderten Verbesserung in bezug auf Ausbildung, Ueberwachung
und Besoldungsverhältnisse der Hebammen, wodurch diese in
den Stand gesetzt werden, das Wesen der Desinfektion gründ¬
lich zu erfassen und auch nicht jede kleinste Ausgabe, z. B. für
Neubeschaffung und Waschen von Waschkleidern und Schürzen,
fürchten zu müssen. Vor allem scheint es mir aber auch geboten,
eben weil die Bestimmung darüber, ob Wochenbettfieber anzu¬
nehmen ist oder nicht, stets bei den Aerzten liegen wird, dass
die Aerzte und Kandidaten der Medizin auf die Bestimmungen
über die Meldung ansteckender Krankheiten und ihre grosse Ver¬
antwortung dabei, speziell auch bei der Meldung des Kindbett¬
fiebers in den Fortbildungskursen und auf der Universität durch
besondere Vorlesungen hingewiesen werden.
') Zeitschrift f. Medizinalbeamte; 1905, Nr. 15, S. 475.
Kleinere Mitteilungen und Referate an« Zeitschriften. 625
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
A. Gerichtliche Medizin and Psychiatrie.
Pulsierende Varizen an der Stirn bei abnormem Hirnsinns. Von
Dr. F. Reiche, Oberarzt in Hambarg - Eppendorf. Münchener med. Wochen¬
schrift; 1905, Nr. 32.
Bei einem an vorgeschrittener Lungentuberkulose leidenden 26jährigen
Handlungsgehilfen fand man in aufrechter Körperhaltung und im Liegen an
der Stirn ungefähr 8 '/* cm nach rechts von der Mittellinie und 2 Finger breit
oberhalb der Augenbraue eine aufrecht ovale, 1*/« : 1 cm große, etwas bläulich
verfärbte und wenig erhabene Partie, an der bei seitlicher Betrachtung eine
leicht undalierende Bewegung wahrzanehmen war. Wurde der Kopf nach vorn
übergebeugt, trat diese Stelle bis zur Wallnaßgröße hervor und bot nun eine
deutliche, dem Herzschlage synchrone Pulsation. Auch längeres und starkes
Hasten machte Anschwellung und Pulsation deutlich. Letztere ging in der
Ruhe und bei gestrecktem Kopfe alsbald wieder zurück. Die Schwellung bildete
sich nicht aus bezw. ließ sich mühelos zurückdrängen, wenn ein leichter Druck
der Fingerspitze gegen die Mitte der verfärbten Stelle aqsgoübt wurde. Die
beim Bücken auftretende umschriebene Verdickung bestand schon seit vielen
Jahren, wurde aber in den letzten 3—4 Jahren beträchtlicher. Ein Trauma
hatte Patient seines Erinnerns nicht erlitten.
Die Sektion stellte fest, daß ein dicker Knäuel dilatierter VeneH in der
Galea aponeuretica und dem Muse, frontalis der rechten Stirnseite durch ein
breites Emissarium direkt mit einem venösen Hirnsinus in Verbindung stand
daß es sich aber um einen abnormen, einen überzähligen Blutleiter in diesem
Falle handelte.
Der Sinus sagittalis superior bot normale Lage und Ausbildung. Auf
der Höhe des Scheitels, ein wenig weiter nach vorn, als der Mitte zwischen
dem Augulus frontalis und occipitalis des Scheitelbeins entspricht, verband
sich rechterseits mit ihm unter rechtem Winkel ein in die fibröse Substanz der
Dura mater eingeschlossener, starrwandiger, im Durchmesser ihm gleichstehender,
an der Eintrittsstelle leicht verengter venöser Blutleiter, welcher nach einer
Strecke von 4 cm sich T-förmig gabelte. Der nach hintenzu ziehende Ast ver¬
jüngte sich in einer Weglänge von 7 cm zur Größe einer Hirnhautvene, die
sich weiterhin verzweigte und verlor; der in mäßigem Bogen nach vom sich
wendende nahm nur allmählich an Lumenweite ab und führte bis zu dem oben
erwähnten Emissarium am Stirnbein. In den Sinus mündete im ganzen Verlauf
zahlreiche Venen ein. Das knöcherne Schädeldach zeigte im Verlauf des über¬
zähligen Blutleiters, zumal des horizontalen Anfangsteils, einen tiefen Sulcus
mit starker Verdünnung der Knochensubstanz.
Im übrigen waren alle venösen Blutleiter normal angelegt. Die weiche
Hirnhaut hatte diffuse leptomeningitische Trübungen; das Gehirn war ohne
pathologischen Befand. In Lungen und Darm ausgedehnte tuberkulöse Alte¬
rationen.
Nach Heule und Merkel trifft man gelegentlich, soweit der Sinus
longitudinalis superior in Betracht kommt, eine in großer Enge sich äußernde
rudimentäre Beschaffenheit und selbst völligen Mangel dieses venösen Kanals,
zuweilen auch ein Auseinanderweichen in zwei Arme, die sich unter Bildung
einer Insel wieder vereinigen, oder eine Zweiteilung durch eine vertikale Scheide¬
wand. Dazu kommen Unregelmäßigkeiten in der Zusammenmündung mit dem
Sinus transversus. Von überzähligen Verbindungen des oberen Längsblutleiters
wurde ein Sinus squamo-petrosus beobachtet, der in den Sinus transversus
mündete, und ferner ein Sinus petrosus medius, der eine Komunikation zwischen
dem oberen Sichelblutleiter und dem Sinus petrosus superior darstellte. Die
bisher noch nicht beschriebene Anomalie gewinnt dadurch an Bedeutung, daß
sie durch eine ebenfalls regelwidrige Verbindung nach außen zu sehr deutlichen
Symptomen intra vitam führte. Dr. Waibei-Kempten.
Die Erkennung der Blutverdfinnnng Ertrunkener mittels Prüfung
der elektrischen Leitfähigkeit des Serums. Von Dr. Revenstorf. Aerztl.
Sachverst.-Ztg.; 1905, Nr. 14.
Autor faßt seine Untersuchungsergebnisse in folgende Sätzen zusammen:
1. Die Prüfung der elektrischen Leitfähigkeit des zentrifugierten Blut-
626
Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften.
semms der Transsudate and der Gewebssäfte ist ein Mittel, das in Verbindung
mit der Gefrierpunktsbestimmung eine zahlenmässige Feststellung des Fäulnis¬
grades der Leiche gestattet.
2. Zur Erkennung der Verdünnung des Blutes, der Transsudate (Pleura¬
flüssigkeit) und des Lungensaftes Ertrunkener eignet sich die Methode nur,
wenn frische Fälle zu untersuchen sind.
3. Blutserum oder Gewebsflüssigkeit, die besser leitend ist, als das
Serum eines gesunden Menschen, oder deren Leitfähigkeits-Wert innerhalb der
physiologischen Grenze liegt, enthält entweder keine oder eine so geringe
Menge beigemischter Ertränkungsflüssigkeit, daß die Verdünnung auch durch
die Gefrierpunktsbestimmung nicht nachweisbar ist.
4. Serum oder Gewebsflüssigkeit, die schlechter leitend ist, als das
Blutserum des lebenden Menschen, hat eine Verdünnung durch beigemischte
Ertränkungsflüssigkeit erfahren. Um Irrtümer unter allen Umständen auszu¬
schalten, empfiehlt es sich, das Resultat durch die Gefrierpunktsbestimmung
zu kontrollieren.
6. Der Vorzug der Methode liegt in der Schnelligkeit, mit welcher die
Fälle ohne Verdünnung des Blutes und des Lungensaftes ausgeschieden und
die Fälle mit positivem Ertrinkungsbefand aufgefunden werden können.
Dr. Troeger-Adelnau.
Zur Diagnose des Erstickungstodes. Von Dr. Hugo Marx. Assistenten
an der Unterrichtsanstalt für Staatsarzneikunde der Universität Berlin. Berliner
klini sche Wochenschrift; 1905, Nr. 23.
Der Nachweis der aspirierten Ertrinkungsflüssigkeit besitzt eine ähnliche
Bedeutung für die Diagnose des Ertrinkungstodes wie der Nachweis des Giftes
bei Vergifteten. Aus den Lungenalveolen dringt die Flüssigkeit in das Blut
des kleinen Kreislaufes und von da in das gesamte Körperblut. Die Ver¬
dünnung des Blutes des linken Herzens gegenüber dem des rechten Herzens
wurde nach gewiesen. Carara bestimmte die verschiedene Konzentration des
Blutes beider Herzhälften mittelst Kryoskopie. Die Gefrierpunktserniedrigung
für das linke Herzblut war stets geringer bei den Versuchen als für das rechte.
Häufig fehlt aber dieses Kennzeichen in der Praxis, da mitunter das Absorptions¬
vermögen des Lungengewebes bereits vor dem Stillstände des Herzens erschöpft
sein kann. Die Resultate der Kryoskopie macht ferner die Fäulnis illusorisch.
Bessere Resultate ergab die Kryoskopie bei Untersuchung des Lungensaftes
aus den beim Ertrinkungstod geblähten Lungen zur Unterscheidung von Lungen¬
ödem. Weitere diagnostische Hilfsmittel sind zu suchen.
Auch die hämolytischen Erscheinungen an Leichen Ertrunkener sind nicht
sicher genug. Der Nachweis fester Substanzen und zwar in gleichmäßiger
Verteilung (Algen und Diatomeen) in den Lungen Ertrunkener ist beweisender.
Diese Planktonmethode Revenstorfs ist vor allem für ältere und faule
Wasserleichen besonders zu empfehlen. Wichtig sind auch die anatomischen
Befunde, vor allem dio Lungenblähungen, Caspers Hyperaerie, deren Entste¬
hungsmodus neuerdings auch von Margulies eingehende Bearbeitung gefunden
hat. Sind wir berechtigt aus einem hohen Luftgehalt, einer deutlichen Hype¬
raerie auf eine wirkliche (vitale) Ertrinkung zu schließen, so dürfen wir nicht
vergessen, nach der Ertrinkungsflüssigkeit in den Lungen zu suchen, deren
gleichmäßige Verteilung über das gesamte Langengewebe uns gestatten wird,
die Kette des Beweises für einen Tod durch Ertrinken zu schließen.
Dr. Raub er-Köslin.
Ertrinkungsgefahr und Rettungswesen an der See. Vortrag, gehalten
am 13. März 1905 in der Balneologischen Gesellschaft in Berlin. Von Dr.
E. Margulies-Kolberg. Berliner klinische Wochenschrift; 1905, Nr. 25.
Beim Ertrinkungstod unterscheiden die meisten Autoren 3 Stadien, andere
5 Phasen, nämlich 1. Stadium des Atemstillstandes, 1 Min. (1. Phase der Ueber-
raschung 4—16 Sek., 2. Phase des Atemstillstandes 1 Min.), 2. Stadium der
Dyspnoe 1 Min. (3. Phase der tiefen Atmung 60—150 Sek.), 8. Stadium der
Aphyxie (4. Phase der aufgehobenen Atmung, Schwund der Sensibilität, die
Pupillen erweitern sich 60—96 Sek., 5. Phase der terminalen Atembewegungen
29—50 Sek.). Die Fälle von plötzlichem Tod infolge von Nervenshok oder
Kleinere Mitteilungen nnd Referate ans Zeitschriften.
627
Herzlähmung scheiden ans. Der Ertrinkende erholt sich bald, wenn er im
Stadium des Atemstillstandes ans dem Wasser geholt wird. Dieser ist weniger
lang, wenn der Ertrinkende nach tiefer Exspiration, länger, wenn er wie ge¬
wöhnlich nach tiefer Inspiration nntergegangen ist. Man kann anf dieses
Stadium mindestens 1 Minute rechnen. Im weiteren Verlauf des Ertrinkens
dringt Flüssigkeit in die Luftwege ein, die die Aussicht auf Wiederbelebung
wesentlich beeinträchtigt. Mach v. Hofmann erfolgt das Eindringen von
Flüssigkeit aber in der Regel in der Phase der terminalen Atembewegungen,
während in der 3. Phase, auf die man während 1 Minute rechnen kann, haupt¬
sächlich Wasser geschluckt wird. Die Aussichten auf Wiederbelebung sind
daher sehr günstig in der ersten Minute, in der zweiten nicht ganz ungünstig,
vom Beginn der dritten Minute ab müssen sie als immer zweifelhafter be¬
zeichnet werden.
Soll der Rettungsmechanismns am Seebade funktionieren, so ist schnelles
Handeln erforderlich. Einen Dicht unwesentlichen Einfluß auf die Dauer des
Ertrinkungstodes üben aber noch zwei Faktoren aus. Durch das nicht selten
bei Ertrinkenden vorkommende Auftauchen, wobei wahrscheinlich Luft ein¬
geatmet wird, wird die Dauer des Ertrinkungsvorganges sogar um das Doppelte
verlängert (nach Verweilen von Versuchstieren bis zu 8 Min. unter Wasser,
waren Wiederbelebungsversuche bisweilen noch erfolgreich). Entgegengesetzt
wirkt der andere Faktor. Nach vorausgegangener Muskelarbeit mit Ermüdnng
(dauerndes Schwimmen) stellt sich beim Ertrinken infolge mangelnder Sauer¬
stoffzufuhr ein erheblich gesteigerter Stoffverbrauch ein, der eine Verkürzung
des Ertrinkungstodes zur Folge haben muß. Vor dem sportmäßigen Betriebe
des Schwimmens bei Kaltseebädern kann daher nicht genug gewarnt werden.
Wenn der Badende nicht zu fern vom Strande in Ertrinkungsgefahr
gerät (Vertiefung im Boden, plötzliches Unwohlsein), so gelingt es leicht, ihm
innerhalb einer Minute Hilfe zu bringen, wenn das Wartepersonal gut geschult
und zweckmäßig verteilt ist. Wenn ein Badender bei ziehendem Seegange ab¬
getrieben wird, so kann nur schwimmkundiges Wartepersonal Rettung bringen,
das seinerseits wiederum durch ein Boot eingeholt werden muß. Wenn ein
Schwimmender nach längerem Schwimmen etwas fern vom Strande in Er¬
trinkungsgefahr gerät, dann wird auch die schnellste Hilfeleistung meist zu
spät kommen. Daher sollte das Schwimmen beim Kaltseebaden — wenigstens
über ein eng begrenztes Gebiet hinaus — von der Badeverwaltung unter Ab¬
lehnung der Verantwortung streng untersagt werden.
In der Diskussion (Nr. 17 der Wochenschrift) empfiehlt Brat-Berlin
einen von ihm angegebenen Stauerstoff - Inhalationsapparat zur künstlichen
Atmung. Dr. R ä u b e r - Köslin.
Die psychiatrischen und neurologischen Indikationen zur vorzeitigen
Unterbrechung der Schwangerschaft. Von Dr. Otfried 0. Fellner, Frauen¬
arzt in Wien. Deutsche Medizinalzeitung; 1905, Nr. 67.
Den anerkannten Sätzen, daß die Unterbrechung einer Schwangerschaft
nur dann berechtigt sei, wenn sie für die Mutter bei Fortdauer der Schwanger¬
schaft eine hohe Gefahr bedeute, die durch die Unterbrechung der Schwanger¬
schaft beseitigt werden könne, stimmt Verfasser ohne weiteres bei, fügt aber
hinzu, daß die Unterbrechung nur dann durchgeführt werden dürfe, wenn bis
zur Lebensfähigkeit der Frucht ein so grosser Zeitraum reiche, daß durch den
Aufschub das Leben der Mutter aufs Spiel gesetzt werde.
Sodann schildert der Verfasser einzelne Krankheiten und ihr Verhältnis
zur Schwangerschaft, bezw. die wechselseitige Wirkung von Schwangerschaft
und Krankheit. Er bespricht I. Polyneuritis gravidarum, II. Chorea, III. Tetanie,
IV. Geisteskrankheiten, V. Erkrankungen des Gehirns und des Rückenmarks,
VI. Epilepsie und Hysterie. Was die Geisteskrankheiten angeht, so hebt Ver¬
fasser hervor, daß die Indolenz der Verwandten der Kranken niemals den Arzt
zur Tötung des kindlichen Lebens berechtigten könne, und bei der Epilepsie
wende die Einleitung des Abortes die Gefahr nicht ab, sondern befördere sogar
den Ausbruch der Geisteskrankheit. Der gleiche Fall liege vor bei der Hysterie.
Dr. Hoffmann-Berlin.
628
Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften.
Die forensisch-psychiatrische Bedentnng des Menstraationsrorganges.
Von Prot Dr. Wollenberg. Monatsschritt für Kriminalpsychologie and
Strafrechtsreform; £L, H. 1.
Beim Weibe veranlaßt die Geschlechtsreifang wie die Rückbildung der
Zeugungsorgane zwei Lebensphasen, die besonders za psychisch-nervöser Er¬
krankung disponiert sind. Dazu besteht ein periodischer Wechsel der psychi¬
schen Leistungsfähigkeit und Erregbarkeit zusammenhängend mit der Ovulation,
die äußerlich durch die sich daran anschließenden Menstrualblutungen erkennbar
ist; in den Tagen kurz vor und nach Beginn der Menstruation ist das psychi¬
sche Gleichgewicht labiler wie sonst, was auch bei gesunden Frauen eine ge¬
wisse reizbare Schwäche, Launenhaftigkeit und dcrgl. bekundet. Bisweilen
steigern sich diese leichten Störungen zu ausgesprochenen psychotischen Er¬
scheinungen. Man unterscheidet menstruelle Entwickelungspsychosen, die mit
dem Beginne der ersten Blutung auftreten und nach Beendigung der Reifang
aufhören. Die Ovulationspsychosen dagegen sind periodische Krankheiten, deren
kurze Phasen um die Menstruation sich bemerkbar machen. Auch zirkuläre
Formen, die sich aus regelmäßig wechselnden, manischen und depressiven Zu¬
standsbildern zusammensetzen, sind beobachtet. Forensisch wertvoll ist es za
wissen, inwiefern die Menstruation einerseits die Zurechnungsfähigkeit und
anderseits die Zeugnisfähigkeit beeinträchtigt. Die ausgesprochenen Psychosen
machen viel weniger Schwierigkeiten als ihr Grenzgebiet zur physiologischen,
psychischen Labilität. Auf Grund von psychologischen Versuchen an dem
Personal der Tübinger Klinik über Auffassungsvermögen und Reproduktions¬
treue konnte Verfasser einen erheblichen Einfluß der Menstruation auf die
Zeugnisfähigkeit von Gesunden nicht nachweisen. Bei geistig Minderwertigen,
bei leicht Hysterischen, bei Degenerierten aber glaubt Verfasser kann der
Menstruationsvorgang sehr oft das psychische Gleichgewicht nach der Seite
der Krankheit hin verschieben. Deshalb ist es Aufgabe des Richters, diesem
Umstände bei der Beurteilung wichtiger Aussagen solcher geistig unsicheren
Personen genaueste Beachtung zu schenken; in manchen Fällen muß der
psychiatrische Sachverständige zugezogen werden. Zum Schlüsse verwahrt sich
Verfasser gegen die Auffassung, daß der physiologische Menstruationsvorgang
an sich schon als ein Umstand gelten soll, der die strafrechtliche Verantwort¬
lichkeit oder die Glaubwürdigkeit Menstruierter verringert.
Dr. Fritz Hoppe-Allenberg.
Die posthypnotischen Aufträge in ihrer phychiatrlschen and juristi¬
schen Bedeutung. Von Dr. med. Oberndorfer und Dr. jur. Steinharter.
Fr. Bl. f. gerichtl. Medizin, 1904, 1905.
Posthypnotische Aufträge existieren und können realisiert werden; ein
Zwang für die Realisierung, eine Sicherheit der Ausführung des Auftrages ist
jedoch nicht zu erzielen. Die posthypnotischen Aufträge werden um so eher
ausgeführt, je gleichgültiger für das auszuführende Individuum der Auftrag
ist, je weniger er seinem Charakter, seiner moralischen Grundanschauung ent¬
gegensteht. Widerspricht er seinen sonstigen Lebensgewohnheiten, so wird der
Widerstand gegen die Suggestion gereizt und letztere wird nicht realisiert. Es
ist daher unwahrscheinlich, daß posthypnotische Aufträge jemals eine wichtige
Rolle in juristischer Beziehung spielen werden; die bisher beobachteten Fälle
bieten keinen Gegenbeweis. Der Versuch, ein Verbrechen in Posthypnose aus¬
führen zu lassen, würde sehr irrationell sein, da er den geistigen Urheber des
Verbrechens in die größte Gefahr der Entdeckung bringen würde. Der Post¬
hypnotische, laut Auftrag Handelnde ist unbedingt als beeinträchtigt in seiner
Willensfreiheit anzusehen. Er stellt hingegen kein absolut willenloses Instrument
dar, so daß nach dem jetzigen Stand der deutschen Gesetzgebung neben dem
geistigen Urheber, der als Anstifter zu betrachten ist, auch der infolge post-
hypnostischen Auftrages Handelnde bestraft werden muß. In dieser Hinsicht
erscheint eine Aenderung der deutschen Gesetzgebung dahin angezeigt, daß die
geminderte Zurechnungsfähigkeit als strafmildernd und in besonders schweren
Fällen als strafaussehließend anerkannt wird. Alle diese Schwierigkeiten lassen
erkennen, daß posthypnotische Aufträge in keiner Weise eine unberechenbare
Gefahr für die Gesellschaft darstellen. Der beste Boden, auf dem der Hypnotismus
gedeiht, ist die Hysterie, doch nicht der einzige. Die Hypnose ist kein einer
Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften.
688
Geisteskrankheit identischer Zostand, sondern mehr dem Schlafe mit seinen
Träumen an die Seite za stellen, ln zivilrechtlicher Beziehang ist die Hypnose
and noch mehr die Posthypnose von verschwindend geringer Bedeutung; übrigens
rnt bei vorkommenden Fällen nach den geltenden gesetzlichen Bestimmungen
genügend Schutz vorhanden. Eine Aenderung der Gesetzgebung in dieser Hin¬
sicht erscheint daher nicht erforderlich. Dr. Rump-Osnabrück.
Die myasthenische Paralyse vom Standpunkt des ärztlichen Sach¬
verständigen ans. Von Prof. Dr. L. Br uns-Hannover. Aerztl. Sachver¬
ständigen-Zeitung; 1906, Nr. 14 und 16.
Bei der myasthenischen Paralyse handelt es sich um ein auf reine mo¬
torische Läbmungszustände sich beschränkendes Krankheitsbild, um eine Lähmung
oder noch häufiger Schwäche in einem großen Teile der vom Gehirn und vom
Rückenmarke versorgten Muskeln, speziell der Augen-, Gesichts-, Kau-, Gaumen-,
Rachenmuskulatur usw. Die Muskellähmung ist jedoch keine atrophische, cs
fehlt daher der Muskelschwund; meist fehlen auch fibrilläre Zuckungen und
elektrische Störungen im Sinne der Entartungsreaktion. Ein klinisch noch sehr
wichtiges Symptom sind die Störungen der Respiration in Form asphyktischer
Anfälle, bedingt durch ein Versagen der Respirationsmuskulatur. Ausführlich
wurde das Krankheitsbild zuerst im Jahre 1901 von Oppenheim be¬
schrieben: Die myasthenische Paralyse (Bulbärparalyse ohne anatomischen
Befand; Berlin, S. Karger).
Die Krankheit befällt im wesentlichen jugendliche Personen, am häufig¬
sten zwischen dem 20. und 40. Lebensjahre und zwar meistens Frauen. Der
Verlauf ist trotz eintretender Remissionen progressiv; das Leiden ergreift all-
mählig immer mehr Muskelgcbiete und wird in den ergriffenen immer intensiver.
Die Diagnose der myasth. Paralyse ist, wenn mau die Symptomatologie des
Leidens kennt, nicht schwer. Verwechselungen mit chronischer oder subakuter
Myelitis bulbi sind möglich, auch mit Hysterie ist das Krankheitsbild öfters
verwechselt worden.
Die Prognose ist eine sehr ernste; die Therapie besteht in größt¬
möglichster körperlicher Ruhe. Obwohl es sich um ein organisches Leiden
und keine Neurose handelt, wird ein pathol. anat. Befand nicht erhoben.
Von forensischem Interesse ist, daß plötzliche Todesfälle an Asphyxie
(akutes Lungenödem) Vorkommen. So hat Oppenheim im Anschluß an eine
elektrische Reizung der Atemmuskulatur eine schwere Asphyxie und Bruns
ein tödliches Lungenödem sich an eine Sondcnfütterung anschließen sehen.
Diese Manipulationen, sowie eine allgemeine Narkose werden daher bei der
Myasthenie am besten ganz unterlassen. Eine falsche Diagnose, z. B. Hysterie,
kann zu falscher Therapie, z. B. Anordnung körperlicher Bewegung führen.
Dr. Tröger-Adclnau.
Beitrag zur Lehre von der katatonischen Verrücktheit. Von Oberarzt
Dr. A. Schott-Weinsberg. Allgemeine Zeitschrift für Psychiatrie; 62. Band,
HL Heft.
Die beiden Beobachtungen des Verfassers erläutern aufs neue, wie
schwierig bei manchen Psychosen im Beginn die Diagnose werden kann. Grade
die in den letzten Jahren von den Autoren so viel behandelte Dementia präcox
zeigt so zahlreiche Verlaufsvarianten, daß es auch einer klinischen Beobachtung
nicht immer zu gelingen scheint, sie richtig zu erkennen. Beide Kranke des
Verfassers sind längere Zeit von recht sachverständiger Seite für Neurastheniker
f ehalten worden, bis der weitere Verlauf den deutlichen Uebergang in geistige
chwäche zeigte. Bei beiden Prozessen finden sich sehr ausgesprochene hypo¬
chondrische Symptome, die jedoch beim Neurasthenischen wohl zu launisch¬
reizbarem Wesen, aber nicht zum Verlust geistiger Leistungsfähigkeit führen,
beim Dementen aber durch Bizarrerie und Ungeheuerlichkeit, sinnlose Er¬
klärungsversuche („es wird Dampf in seine Geschlechtsteile getrieben“) auf¬
fallen, zu denen schließlich verschwommene Verfolgungs- und Größenideen
sich gesellen. Dr. Pollitz-Münster.
630
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
Zur Prophylaxe der Roheitsdelikte. Von Medizinalrat Dr. Kürz-
Heidelberg. Monatsschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform;
Band II., Heft 1.
Auf Grund einer Statistik über Körperverletzungen aus dem eigenen
Bezirke des Verfassers wird die auffallende Wechselbeziehung zwischen Roheits¬
vergehen und Alkoholmißbrauch erläutert. Die nähere Betrachtung ergibt
aber, daß der Rausch meist nur das auslösende Moment ist; die Hauptursache
für beide Uebclstände — Alkoholisraus und Roheitsdelikte — bilden die un¬
günstigen sozialen Lebensbedingungen der unteren Klassen und die damit zu¬
sammenhängende Vernachlässigung der Jugenderziehung. Hier können nur
weitgehende Reformen prophylaktisch helfen: Verbesserung der sozialen Lage
des Arbeiterstandes, staatliche Ueberwachung der Kindererziehung und event.
frühzeitiges Eingreifen der Fürsorgeerziehung, wobei besondere Erziehungs¬
ausschüsse und Berufsvormünder mitzuwirken haben, Vertiefung der Bildung
durch Schule und Fortbildungsunterricht. Schließlich schlägt Verfasser als ein
Volkserziehungsmittel die Einstellung fast aller Jünglinge in das Heer vor.
Diejenigen, welche sich nicht zum Waffendienste eigneten, sollten dann als
Schreiber, Krankenpfleger usw. Verwendung finden. Die pathologischen Trinker
und Raufbolde aber, denen mit derartigen Erziehungsmitteln nicht beizukommen
ist, sind in besonderen Internaten unter Aufsicht von medizinisch und pädago¬
gisch geschulten Beamten unbegrenzt solange festzuhalten, als ihre durch den
krankhaften Geisteszustand bedingte Gefährlichkeit fortbesteht.
Dr. Fritz H o p p e - Allenberg.
Ueber Familienmord. Von Dr. von Muralt. Monatsschrift für Kri¬
minalpsychologie und Strafrechtsreform; Bd. II, H. 2.
Verfasser teilt 4 besonders charakteristische Fälle von Familienmord
kombiniert mit mißlungenem Selbstmord mit, die zur gerichtlich-psychiatrischen
Beobachtung der Täter Veranlassung gaben. Die Beobachtungsresultate, die
vorhandenen Literaturangaben, sowie die Selbstmordstatistiken führen zu folgen¬
den Schlüssen, die am Ende der Betrachtung zusammengefaßt werden:
„Die in neuerer Zeit so oft vorkommenden Bluttaten, bei denen ein
Familienhaupt seine Angehörigen tötet und an sich selbst Hand anlegt, sind
psychologisch nicht als Mord kombiniert mit Selbstmord aufzufassen, sie haben
vielmehr die Bedeutung eines komplizierten Selbstmordes.
Der Täter bringt seine Familie aus altruistischen Motiven um, er will
sie, gerade wie sich selbst, durch den Tod vor weiterem Elend schützen. Für
den verheirateten Selbstmörder erscheint der Entschluß, mit den Seinigen zu
sterben, nicht wesentlich stärkerer Motive zu bedürfen, als der Entschluß, sich
allein umzubringen und die anderen im Unglück zurückzulassen.
Die Psychologie dieser Tat ist daher die gleiche, wie diejenige des
Selbstmordes überhaupt, und die Tat findet auch in ihrem Auftreten weit¬
gehende Analogien beim einfachen Selbstmord. Sie kommt sowohl bei Geistes¬
kranken, wie bei geistig Gesunden, wahrscheinlich aber besonders häufig bei
psychopathisch Minderwertigen vor; ihr Hauptmotiv bei Nichtgeisteskranken
sind Kummer und Sorgen.
Bleibt der Täter am Leben, so sollte er, insofern er nicht unzurechnungs¬
fähig ist, strafrechtlich anders qualifiziert werden, als der gemeine Mörder.“
Dr. Fritz H o p p e - Allenberg.
Die Depressionszustfinde des höheren Alters. Von Privatdozent Dr.
Robert Gau pp in München. Münchner med. Wochenschrift; 1905, Nr. 32.
Bekanntlich nehmen namentlich depressive Psychosen in der zweiten
Lebenshälfte an Häufigkeit und Schwere zu. Einzelne Formen, wie z. B. die
Kracpelin’sche Melancholie, manche einfachen und periodischen Depressionen
gelten hier als spezifisch präsenile und senile Erkrankungsformen.
Die Untersuchungen des Verf. stützen sich auf 300 Depressionszustände
bei Kranken, die bei ihrer ersten Aufnahme in die Heidelberger psychiatrische
Klinick das 45. Jahr zurückgelegt hatten, wozu noch 51 rein oder vorwiegend
manische Bilder kommen. Die Gruppierung der Erkrankungen erfolgte nach
folgender Tabelle:
1. Nur manische Erkrankungen,
Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften.
631
2. Manisch-depressiv auf erheblichem Ueberwiegen der manischen Phasen
nach Häufigkeit, auer Dund Stärke,
3. Manisch-depressiv mit annähernd gleicher Entwikelung beider Phasen,
4. Manisch-depressiv mit Ueberwiegen der Depressionen,
5. Einmalige Depression von Charakter der zirkulären,
6. Periodische Depressionen,
7. Melancholie,
8. Senile Depressionen verschiedener Form,
9. Arteriosklerotische depressive Erkrankungen,
10. Akute Angstpsychose,
11. Depressionsznstände bei Lues cerebri,
12. Depressive Form der Paralyse,
13. Traumatische Neuropsychose depressiver Färbung,
14. Epileptische Depressionen (Angstpsychose, Verstimmungen),
16. Zwangsvorstellungen mit periodischen Steigerungen,
16. Andere Formen depressiver Erkrankungen.
Verfasser bespricht nun in breiten Ausführungen die wesentlichen Ver¬
schiedenheiten der Formen und Verlaufsarten der einzelnen Gruppen. Da es
jedoch unmöglich erscheint, den überaus reichen Inhalt der höchst interessanten
Ausführungen des Verfassers im Rahmen eines Referates auch nur in den all¬
gemeinsten Umrissen zu skizizeren, möge hiermit auf die Orginalarbeit hin¬
gewiesen sein. _ Dr. Waibel-Kempten.
Die akuten Gefängnispsychosen und ihre praktische Bedeutung. Von
Dr. Mönkemöller. Monatsschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechts¬
reform; I, Seite 681.
Verfasser gibt eine Zusammenstellung der nach der Osnabrücker Irren¬
anstalt überführten, akuten Gefängnispsychosen während der ersten 35 Jahre
des Bestehens dieser Anstalt, die 115 Fälle umfaßt. Im Anschlüsse daran
schildert er den gewöhnlichen Verlauf dieser Krankheiten, die Umstände, die
ihnen ihr eigentümliches Gepräge aufdrücken, und insbesondere die Schwierig¬
keiten, die einer rationellen Weiterbehandlung nach Abklingen bezw. Heilung
der akuten Störungen entgegenstehen und durch den Mangel an geeigneten
Anstalten wie an gesetzlicken Handhaben begründet sind. Bevor die psychia¬
trischen Zukunftsträume bezüglich der kriminellen Kranken erfüllt werden
können, kommt gegenwärtig in praxi die Prophylaxe hauptsächlich in Frage,
um die bestehenden Uebelstände zu mildern. Deshalb fordert Verfasser ähn¬
lich wie Heilbronner: 1. bessere psychiatrische Ausbildung der Gefängnis¬
ärzte, die nicht im Nebenamte, sondern vollbcsoldet angestellt werden müßten,
2. psychiatrische Unterweisung der Gefängnisaufseher, die sich künftighin mög¬
lichst zahlreich aus Irrcnanstaltswärtern zu rekrutieren hätten, 3. Vorbildung
sämtlicher, auch der oberen (Staatsanwalt, Direktor) Gefängnisbeamten in ent¬
sprechenden Kursen, 4. ausgiebige, psychiatrische Untersuchung der Gefangenen
bei ihrer Einlieferung mit Erhebung einer genauen Vorgeschichte, 5. Errichtung
von möglichst vielen Strafanstaltsadnexen, die Verfasser für am geeignetsten
zur Behandlung der akuten Haftpsychosen hält. Zum Schlüsse empfiehlt er,
bei solchen bereits geheilten Gefangenen, die ihre Strafe noch nicht völlig ab¬
gemacht hätten und bei denen die Rückführung in den Strafvollzug einen
erneuten Ausbruch der Psychose befürchten ließe, recht häufig das Verfahren
wieder aufzunehmen; denn öfters könne man dann die Anfänge der Geistes¬
krankheit bis zur Straftat zurückverfolgen, so daß der § 51 R. St. G. B. in
Wirkung träte, während z. Z. der Verurteilung vielleicht gar keine Zweifel an
der Unzurechnungsfähigkeit aufgetaucht wären. Jenen Geheilten aber, bei
denen dieses Mittel unmöglich sei und deren gesundheitliches Interesse trotz¬
dem eine Aufhebung der noch zu verbüßenden Strafzeit erforderlich mache,
müßten durch Herbeiführung eines Gnadenerlasses die Fährlichkeiten aus dem
Wege geräumt werden. Die Handhabung der vorläufigen Entlassung nach
§ 23 R. Str. G. B. kommt deshalb gewöhnlich nicht in Frage, weil die Haft¬
psychosen oft bereits am Anfänge der Strafzeit cinsetzcn und nicht erst nach
Verlauf von */♦ derselben. Dr. Fritz Hoppe-Allenberg.
682
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
Fürsorge für die Geisteskranke in England und Schottland. Von
Prof. Dr. E. Meyer*Königsberg. Archiv für Psychiatrie; 39. Bd., 8. H.
Die englische Irrengesetzgebung gibt mancherlei wertvolle Gesichtspunkte
für eine spätere gesetzliche Regelung des Irrenanstaltswesens in Deutschland.
An der Spitze der Organisation steht eine Aufsichtsbehörde, die mit weitgehender
Vollmacht und Rechten ausgerüstet alle Anstalten für Geisteskranke, Schwach¬
sinnige, Familienpfleglinge zu überwachen und zu konzessionieren hat. Sie
besteht aus zwei besoldeten ärztlichen und drei unbesoldeten Laien-Mitgliedern;
keiner dieser darf aber anderweitig im Irrenwesen beschäftigt sein. Die Macht¬
befugnis der Kommission erstreckt sich in erster Linie auf alle privaten Ein¬
richtungen für Geisteskranke und wird unterstützt durch enge Beziehungen
zu den höchsten Gerichten und durch das Recht, in gewissen Fällen selbständig
Geldstrafen bis 2000 Mark zu verhängen. Als eine wenig lobenswerte Ein¬
richtung schildert Verfasser die umständlichen und peinlichen Vorschriften über
die Aufnahme Geisteskranker in private Irrenanstalten, die die Familien viel¬
fach abhalten, notorisch Kranke den Anstalten zuzuführen, um das unangenehme
ööentliche Verfahren zu vermeiden. Es besteht daher auch in irrenärztlichen
englischen Kreisen der dringende Wunsch, an den größeren Krankenanstalten
Irrenstationen anzugliedern, um eine vereinfachte Aufnahme zu ermöglichen.
8ie sollen gleichzeitig als Kliniken der Forschung dienstbar gemacht werden.
Einen sehr günstigen Eindruck gewann der Verfasser von der Einrichtung der
öffentlichen Irrenanstalten, deren oft luxuriöse Ausstattung er besonders her¬
vorhebt. Auch die in Schottland studierte Familienpflege machte einen sehr
günstigen Eindruck; fast der sechste Teil der Geisteskranken war in dieser
Weise untergebracht. _ Dr. Pollitz-Münster.
Praktische Erfahrungen bet Entmiindignng Trunksüchtiger. Von
Reg.- und Geh. Med.-Rat Dr. Wehmer-Berlin. Aerztl. Sachverständigen-
Zeitung; 1905, Nr. 15.
Dem Artikel liegen 32 Entmündigungsfälle wegen Trunksucht im Landes¬
polizeibezirk Berlin zugrunde in den Jahren 1901-04. Es wird zunächst der
dringende Wunsch ausgesprochen, daß auch den Staatsanwaltschaften (neben
den Angehörigen und Gemeinden), gleichwie bei Geistesstörungen, so auch bei
Trunksucht das gesetzliche Recht verliehen würde, die Entmündigung von
Amtswegen zu beantragen.
Aus den Lebensläufen ging hervor, daß den wegen Trunksucht Ent¬
mündigten das gewerbliche Fortkommen ungemein erschwert ist aus Vor¬
urteilen gegen sie. Aerztlich ist daher die Forderung richtig, daß auch ohne
Entmündigung Trunksüchtige zur Heilung zwangsweise auf die erforderliche
Zeit in Anstalten gegen ihren Willen zurückgehalten werden können und daß
die Entmündigung erst dann eintritt, wenn alle Heilversuche vergeblich sind.
Dauerheilung ist nur bei jugendlichen Personen zu erwarten. Mit Rück¬
sicht auf die wiederzuerlangende Erwerbsfähigkeit durch die Behandlung in
einer Trinkerheilanstalt kann man annehmen, daß dies um so weniger zu er¬
warten ist, je älter der Trinker ist.
Die Trunksuchtsentmündigung ist, wenn ihr auch Mängel anhaften, als
ein Fortschritt mit Dank zu begrüßen; zu wünschen wäre, daß Bestimmungen
getroffen würden, welche die zwangsweise Zurückhaltung Trunksüchtiger in
den Heilanstalten, denen sie überwiesen wurden, einführten. Auch die Zeit,
nach welcher die Entmündigung wieder aufgehoben wird, ist nach ärztlicher
Anschauung in der Regel zu kurz bemessen. Dr. Troeger-Adelnau.
B. Sahverständigentätigkeit in Unfall- und Invalidität-s
8 a c h e n.
Geschwulst im Kleinhirne; ob dnreh Einwirkungen von zweimaligem,
sehr starkem Kurzsclilnss, insbesondere dnreh die dabei eingetretene
Schreckwirkung entstanden oder wesentlich verschlimmert? Aerztliches
Obergutachten von Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Flechsig in Leipzig; unter
dem 6. September 1904 auf Veranlassung des Reichs-Versicherungsamts
erstattet. Amtliche Nachrichten des Reichs-Versicherungsamts; 1905, Nr. 9.
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
688
Der Gutachter gibt zunächst an der Hand der Akten ein Bild von dem
Krankheitsverlauf und faßt dies schließlich wio folgt kurz zusammen:
„Der 25 jährige Mann leidet schon längere Zeit an Kopfschmerzen und
Anämie, März 1901 erschrickt er über eine Flammenerscheinung infolge Kurz¬
schlusses, am Abend bestehen nach Angaben eines Zeugen Erbrechen und
Kopfschmerz; von diesem Zeitpunkt an geht angeblich das Sehvermögen des
rechten Auges zurück; am ö. April 1901 erfolgt wieder starker Schreck über
Kurzschluß. Kopfschmerzen und Erbrechen steilen sich von neuem ein, außer¬
dem starkes Schwindclgefühl. Der Kranke muß bald die Arbeit völlig ein¬
stellen, und es entwickelt sich fortschreitend ein schweres Leiden, dessen
Hauptsymptome schließlich folgende sind: Erbrechen, Hinterkopfschmerz, Un¬
vermögen, sich auf den Beinen zu halten (Ataxie), ohne daß wirkliche Lähmung
besteht, Abnahme der Sehschärfe, zunächst auf ein Auge beschränkt, Puls¬
verlangsamung, allgemeine Störung der Körperernährung. Dieser Symptomen-
komplex entwickelt sich bis zu seiner Vollständigkeit während einer l 8 /* jährigen
Beobachtung.“ Er fährt dann fort: „Hält man diesen klinischen Befund zu¬
sammen mit dem, wie er bei der Autopsie') sich ergeben hat, so kann es
keinem Zweifel unterliegen, daß wir ein vollkommen einheitliches Krankheits¬
bild vor uns haben. Die Diagnose „traumatische Neurose“ war eine irrige.
Ich erkenne auch die Gehirngeschwulst als Todesursache an; Lungenentzündung
der Art, wie sie bei V. bei der Sektion gefunden wurde, ist bei derartigen
Leiden, die mit Schädigung des Atem- und Schlingzcntrums im verlängerten
Marke einhergehen, eine häufige Folge des Hirnleidens (Schluckpneumonie).
Ueber die Aetiologie, über den Beginn des Leidens und über die Bedeutung
der Erscheinungen direkt nach dem Kurzschlüsse bin ich dagegen ganz anderer
Ansicht als Dr. T.
Dr. T. nennt den gefundenen festen Tamor ein Gliom oder Gliosarkom,
die Zyste betrachtet er als apoplektische Zyste. Eine mikroskopische Prüfung
dieser Diagnose ist zurzeit nicht mehr möglich, da Tumor und Zyste nicht
aufbewahrt worden sind. Die Konstruktion des Zusammenhanges zwischen
Unfällen und Entwickelung der Geschwulst ist jedenfalls außerordentlich
gesucht. Dr. T. muß dazu das Auftreten von drei sehr seltenen Prozessen
bei demselben Individuum annehmen.
1. Das Auftreten von Hirnblutungen nach Schreck ist wohl möglich,
aber nur denkbar bei vorhergehender Schädigung des Gefäßapparats; hier
handelt es sich um einen jungen Mann, bei dem von syphilitischer Erkrankung,
die am häufigsten noch bei jugendlichen Personen die Wand der Blutgefäße
schädigen kann, nichts bekannt ist.
2. Blutungen in das Kleinhirn sind erfahrungsgemäß sehr selten; daß
solche speziell nach Schreck auf treten, ist empirisch nicht erwiesen.
8. Daß Hirnblutungen, beziehungsweise die Reste einer solchen, den
Anstoß zu Wucherung von Gewebsteilen, also zu Geschwulstbildung geben
können, ist wohl behauptet worden, Angaben eines derartigen Zusammenhanges
sind aber mit Vorsicht zu beurteilen. Ob nicht der Tumor vorher schon vor¬
handen war und erst die Blutung durch Schädigung des umgebenden Gewebes
veranlaßt hat, wird sich stets schwer entscheiden lassen. Das geben jedoch
auch die Anhänger dieser Theorie zu, daß ein ursächlicher Zusammenhang
zwischen Blutung und Geschwulstbildung ein ganz seltenes Ereignis bilden dürfte.
Es fragt sich, ob man das Wesen des Tumors nicht anders auffassen
‘) Nach dem Sektionsprotokolle: „Hydrocephalus aller Gehirnkammern.
In der rechten Kleinhirnhalbkugel befindet sich eine etwas über taubeneigroße
Zyste mit gelblich klarem Inhalt und glatter Auskleidung, sich in den 4. Ven¬
trikel vorbuchtend und denselben vollständig abschließend. Daneben an der
Unterwand des Kleinhirns sieht man einen kirschengroßen runden Knoten,
mäßig fest und oberflächlich hellgelb-bräunlich-rötlich-fleckig und mit starker
Gefäßinjektion. Der Durchschnitt des Tumors ist lappig geformt, quillt etwas
vor, ebenfalls gelblich-bräunlich, leicht gekörnt. Der Tumor läßt sich ziemlich
leicht ausschälen. Der rechte Opticu3 (Sehnerv) ist grau degeneriert, der
linke flachgedrückt. Das verlängerte Mark ist ganz flachgedrückt. Ueber
dem rechten Unterlappen der Lunge verbreitete Bronchopneumonie (Lungen¬
entzündung.)“
634
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
kann» Meiner Ansicht nach kann man bei der Beschreibung des pathologischen
Befundes an zweierlei denken: einmal kann es sich am Zystizerken handeln
(Blasenwnrmfinne einer gewissen Bandwurmart [Taenia solium]). Diese Finnen
finden sich nicht selten in der vierten Hirnkammer und ihrer Umgebung. Die
Zyste mit klarem Inhalte wäre dann als noch wenig veränderte (resp. lebende)
Finne aufzufassen, während der feste Tumor als abgestorbene Finne mit ein¬
gedicktem, beziehungsweise verkalktem Inhalt (absoleter Cysticercus) anzusehen
wäre. Daß eine derartige Erkrankung nie durch Schreck, sondern nur durch
Infektion mit Bandwurmeiern entstehen kann, soll gleich hier bemerkt werden.
Die zweite Erklärung des pathologischen Befundes, die eine gewisse
Wahrscheinlichkeit für sich hat, ist die, daß man die Zyste als erweichten Teil
eines Tumors ansieht, eine bei Hirntumoren nicht seltene Erscheinung. In
diesem Falle hätte es sich meiner Meinung nach nicht um Gliom, sondern um
Sarkom gehandelt, da Gliome im allgemeinen sich nicht so leicht aus der um¬
gebenden Hiramasse herausschälen lassen, wie von dem vorliegenden Tumor
berichtet wird.
Daß Schreck Ursache zur Entwicklung einer solchen Hirngeschwulst sein
kann, widerspricht im allgemeinen den Anschauungen, die wir über die Pa¬
thogenese der Geschwülste innerhalb der letzten Jahrzehnte gewonnen haben.
Ein genaues Aktenstudium zeigt aber auch, daß die Entwicklung des
Tumors, sei er nun parasitär oder eine wirkliche Neubildung gewesen, schon
vor den Unfällen begonnen hat. V. ist schon vor den Unfällen wegen Kopf¬
schmerzen, Augenflimmern und hochgradiger Blutarmut in Behandlung gewesen.
Kopfschmerzen sind nicht selten ein Frühsymptom der in Entwicklung begriffenen
Geschwulst; die Blutarmut kann verschieden erklärt werden. Einmal findet
man als Begleiterscheinung bei bösartigen Geschwülsten oft hochgradige
Störung des Allgemeinernäherungszustandes (Geschwulstcachexie), zweitens ist
es im vorliegenden Falle nicht unwahrscheinlich, daß schon früher die Ernährung
durch häufiges Erbrechen gelitten hat, was V. später vielleicht aus begreif¬
lichen Gründen verschwiegen hat. V. hat sich zurzeit der in Frage kommen¬
den Unfälle sicher schon krank fühlt, sonst hätte er mit großer Wahrschein¬
lichkeit gleich damals die stürmischen Erscheinungen auf die Unfälle bezogen.
Ferner ist es wichtig, daß sich angeblich gleich nach dem ersten Unfälle
das Sehvermögen des rechten Auges verschlechtert hat. Es hat sich damals
wohl schon um Stauungspapille gehandelt, auf die höchstwahrscheinlich auch
das oben erwähnte Augenliimmern schon zu beziehen war. Daß im Kranken¬
haus in.eine dementsprechende Untersuchung wahrscheinlich
garnicht stattgefunden hat, habe ich schon erwähnt. Wenn das Gesichtsfeld
in dem eben erwähnten Krankenhause „nicht eingeschränkt“ gefunden wurde,
so beweist das nichts gegen meine Annahme, da bei Stauungspapille das Ge¬
sichtsfeld noch lange annähernd normal bleiben kann. Erfahrungsgemäß aber ist
Stauungspapille recht häufig ein Frühsymptom gerade bei Kleinhirngeschwtilsten.
Diese Stauungspapille würde aber nicht zu erklären sein, wenn man sich der
Ansicht des Dr. T. anschließen wollte; denn Stauungspapille direkt im An¬
schluß an Hirnblutung ist bisher noch nicht beobachtet worden. Bis zu der
Entwicklung einer apoplektischen Zyste, die in seltenen Fällen wohl Druck¬
erscheinungen hervorrufen kann, vergeht aber mindestens ein Zeitraum von etwa
einem Monat.
Wenn V. wirklich erst direkt nach dem Unfälle die Verschlechterung
seines rechten Auges bemerkt hat, so liegt dies wohl daran, daß er gelegentlich
der Blendung zufällig jedes Auge einzeln geprüft hat und dadurch auf die
Verschlechterung des rechten Auges aufmerksam geworden ist.
Nach alledem komme ich zu dem Schlüsse, daß die durch die Sektion
festgestellte Hirngeschwulst nicht durch die Unfälle vom März beziehungs¬
weise 5. April 1901 verursacht worden ist.
Hinsichtlich der Frage, ob die Unfälle bei V. eine Verschlimmerung des
Leidens hervorgerufen haben, bemerke ich folgendes:
Ich will die Möglichkeit, daß durch Schreck eine Blutung in einen Teil
des Tumors und dann sekundär Umwandlung dieses Teiles in eine Zyste er¬
folgen konnte, nicht ganz von der Hand weisen, muß jedoch betonen, daß eine
derartige Umwandlung auch ohne irgend welchen äußeren Einfluß vonstatten
gehen kann. Eine wesentliche Verschlimmerung durch die Unfälle würde ich
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
635
aber auch bei einer derartigen Annahme im vorliegenden Falle nicht anerkennen
können. Zur Zeit der Unfälle bestand höchstwahrscheinlich schon Stauungs¬
papille, woraus hervorgeht, daß das vorhandene Leiden damals schon fort¬
schreitend war. Bis zum Eintritt des Todes sind dann noch l*/4 Jahr ver¬
flossen, eine für den Verlauf einer derartigen Erkrankung nicht ungewöhnliche
Dauer. Auch wenn ich die Zeugenaussagen, nach denen V. gerade an diesen
Tagen über heftige Kopfschmerzen und Erbrechen geklagt hat, berücksichtige,
kann ich zu keinem anderen Ergebnisse gelangen. Die heftige Schreckwirkung
war wohl erst eine Folge des Hirnleidens, indem das kranke Gehirn viel hef¬
tiger auf den Schreck reagierte, als ein gesundes es getan haben würde.
Meiner Meinung nach ist das Leiden V.s durch die beschuldigten Un¬
fälle auch nicht „wesentlich“ verschlimmert worden, denn selbst wenn man
auch die heftige Schreckwirkung als momentane Verschlimmerung betrachten
will, so kann man doch behaupten, daß der Gesamtverlauf dadurch nicht
wesentlich beeinflußt worden ist.
Das Reichs-Versicherungsamt hat auf Grund des vorstehenden Ober¬
gutachtens angenommen, daß V. bereits vor den als „Unfällen“ bezeichneten
Betriebsvorgängen vom März und 5. April 1901 an einer Gehirngeschwulst
gelitten hat, und daß dieses Leiden, das zu seinem Tode geführt hat, durch
jene Vorgänge nicht wesentlich verschlimmert worden ist. Demgemäß ist der
von V. geltend gemachte und von seinen Erben weiter verfolgte Entschädigungs¬
anspruch für unbegründet erachtet.
Ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Schlaganfall und der
Betriebstätigkeit (Emporwinden eines mit Kohlen beladenen Wagens
mittels einer Kabelwinde). Betriebsunfall liegt vor. Rekurs-Ent¬
scheidung des Reichs-Versicherungsamts vom 12. April 1905.
Das Rekursgericht ist zunächst davon ausgegangen, daß der Kläger
zweifellos an einer Verkalkung der Gehirngefäße gelitten hat, die indes noch
nicht erheblich vorgeschritten sein konnte; da er bis zu dem Unfall vollkommen
gesund war, und da störende Erscheinungen, wie sie bei schwereren Gefä߬
erkrankungen aufzutreten pflegen, bis dahin nicht aufgetreten waren. Ins¬
besondere ist der Kläger, wie der Zeuge W. in glaubhafter Weise bekundet
hat, am Morgen kurz vor dem Unfall frisch und munter gewesen und hat
weder im Aussehen noch in seinem Verhalten einen krankhaften Eindruck ge¬
macht. Er hat sich also offenbar bis zum Unfälle in einem Gesundheitszustände
befunden, der ihm die Ausführung gewöhnlicher körperlicher Anstrengungen
gestattete. Weiterhin ist durch die Aussage des Zeugen W. festgestellt, daß
die Kabelwinde, an der dieser und der Kläger zu arbeiten pflegten, zur Er¬
reichung flotter Förderung von drei Männern bedient wird, daß aber, wenn ein
Mann krank wird, zwei Mann die Arbeit verrichten. Das Rekursgericht konnte
der Ansicht der Beklagten, daß die von dem Zeugen und dem Kläger aus¬
geführte Arbeit für keinen von ihnen besonders große, körperliche Anstrengungen
erfordert hätte, nicht beitreten. Schon der Umstand, daß die Winde unter
Umständen von drei Personen bedient wird, spricht mit Sicherheit dafür, daß
diese Arbeit, wenn sie von zwei Männern vorgenommen wird, für diese mit
sehr schweren körperlichen Anstrengungen verbunden ist. Hierzu tritt aber
noch als die Arbeit erheblich erschwerend, daß die Bauart der Kabelwinde die
Arbeiter zwingt, bei dem jedesmaligen Niederdrücken der Kurbel in regel¬
mäßiger taktmäßiger Wiederholung eine gebückte Haltung anzunehmen. Hier¬
durch werden naturgemäß stärkere Blutansammlungen nach dem Gehirn und
damit ein erhöhter Druck auf die Blutgefäße hervorgerufen, denen nur voll¬
kommen gesunde Gefäßwandungen auf die Dauer stand zu halten vermögen.
Der von der Beklagten geltend gemachte Umstand, daß die Arbeit auch von
einem Arbeiter allein verrichtet werden könne und tatsächlich vom Zeugen W.
ausgeführt worden sei, läßt sich nicht zu ungunsten des Klägers verwerten;
denn der Zeuge hat ausdrücklich hervorgehoben, daß, wenn die Arbeit von
einem Mann geleistet würde, ein kleineres Rad eingelegt würde, daß sie aber
auch dann noch eine sehr schwere sei und den Arbeiter zum häufigen Ausruhen
zwinge. Der Zeuge hat auch, als der Kläger plötzlich zusammcnbrach, ledig¬
lich den bereits in halber Höhe befindlichen Wagen ohne Unterstützung vollends
empor gewunden, eine Tätigkeit, die zweifellos eine ganz außergewöhnlich an-
636
Kleinere Mitteilungen nnd Referate ans Zeitschriften.
strengende nnd nur durch die besonderen Umstände, unter denen sie erfolgte,
bedingt war. Bei dieser Sachlage hat es das Bekursgericht zum mindesten
als überwiegend wahrscheinlich angenommen, daß der Schlaganfall durch die
Betriebstätigkeit hervorgemfen worden ist. Jedenfalls aber hat die Betriebs¬
arbeit zur Entstehung des Anfalles als eine von mehreren Ursachen ent¬
scheidend mitgewirkt. In dieser Annahme ist es noch durch das einen ähnlich
liegenden Fall behandelnde, in den Amtlichen Nachrichten des R.-V.-A. ab¬
gedruckte Obergutachten des Professors Dr. Fürbringer in Berlin vom
26. Oktober 1897') bestärkt worden, wonach die Tatsache, daß der Verletzte
bereits seit längerer Zeit die gleichen anstrengenden Arbeiten ohne schädigende
Folgen ausgeführt habe, nicht gegen einen ursächlichen Zusammenhang ver¬
wertet werden dürfe. Kompaß; 1905, Nr. 18.
Grad der Erwerbsverminderung bei Verlust des rechten Mittel«
Angers, fehlerhafter Haltung und Schwäche des Zeigefingers. Revisions-
EntscheidungdesReichsversicherungsamtsvom 25. April 1905.
Nach dem eingeholten Gutachten kann es als tatsächlich festgestellt
erachtet werden, daß der Kläger infolge des Unfalls in dem Gebrauche seiner
rechten Hand insofern beschränkt ist, als der Mittelfinger vollkommen fehlt
und der Zeigefinger bei gestreckter Haltung der Hand eine von der Norm
erheblich abweichende Stellung kleinfingerwärts angenommen hat. Die früher
vorhandene Muskelabinagerung des rechten Armes ist geschwunden und der
Faustschluß besser geworden, weil der Zeigefinger ziemlich fest in die Hand¬
fläche hinein gedrückt werden kann. . . . Die dadurch bedingte Einbuße an
Erwerbsfähigkeit wäre getrennt auf etwa 15 und 10 °/ 0 zu veranschlagen. Nach
den ärztlichen Feststellungen ist jedoch ohne weiteres zuzugeben, daß die
Verhältnisse an der verletzten Hand zur Zeit des Eintritts der Entschädigungs¬
pflicht der Beklagten schlechter gelegen haben. Immerhin kann im Durch¬
schnitt die gewährte Teilrente von insgesamt 30 °/ 0 als ausreichend angesehen
werden. Was also die Höhe des Entschädigungssatzes anlangt, so war der
Rekurs als unbegründet zu erachten. Kompaß; 1905, Nr. 18.
C. Bakteriologie, Infektionskrankheiten und öffentliches
Sanitäts wesen.
Die Durchgängigkeit des Magendarmkanals neugeborener Tiere für
Bakterien und genuine Eiweissstoffe. Von Dr. Albert Uffenheimer aus
dem hygienischen Universitäts- Institut. München 1905. Münchener med.
Wochenschrift; Nr. 32.
Verfasser gibt in vorläufiger Mitteilung die Hauptergebnisse seiner
Studien und Untersuchungen bekannt. Aus zahlreichen Fütterungsversuchen
mit dem Micrococcus tetragenus, dem Milzbrandbacillus, dem Tuberkelbacillus,
sowie dem Bacillus prodigiosus bei Meerschweinchen ging hervor, daß der
Magendarmkanal dieses Tieres, auch in der Zeit direkt nach der Geburt, für
Mikroben nicht durchgängig ist, mit alleiniger Ausnahme des Tuberkelbacillus.
Bei diesem folgte regelmäßig der einmaligen Verfütterung, auch von recht ge¬
ringen Kulturmengen, eine Erkrankung der Tiere an Tuberkulose. Ein solue
trat aber ebenso bei alten Meerschweinchen ein; es kommen lediglich, dem ver¬
schiedenen Alter und der verschiedenen Größe der Tiere entsprechend, Unter¬
schiede in der zur Infektion erforderlichen Kulturmenge in Betracht.
Die Fütterungsversuche mit genuinen Eiweißen ergaben, daß von einem
spezifisch hämolytischen 8erum und von Kuhmilchkasein bei den neugeborenen
Meerschweinchen nicht resorbiert wurde. Von Hühnereiweiß wurde nur aus¬
nahmsweise eine geringe Quantität ins Blut aufgenommen. Antikörper wurden
nach der Verabreichung der 3 beschriebenen Eiweißstoffe nie gebildet.
Bei Verfütterung von Diphtherie- und Tetanusantitoxin trat aber (bis
auf einen einzigen Fall) bei den neugeborenen, jedoch nicht bei einem alten,
Meerschweinchen ein Uebergang kleiner Mengen ins Blut auf.
Aus diesen Untersuchungen ergab sich die Regel, daß beim neugeborenen
Meerschweinchen im allgemeinen weder Bakterien noch genuine Eiweißstoffe
■) Siehe Nr. 8 dieser Zeitschrift für 1898, S. 89.
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
637
von der M&gendarmschleimliaut aufgenommen werden mit Ausnahme der Tu-
berkelbazillen und der Antitoxine.
Bei Kontrollversuchen an neugeborenen Kaninchen wurde der Uebergang
von Bacillus prodigiosus und von Hühnereiweiß geprüft, wobei sich regelmäßig
die Resorption ziemlich ansehnlicher Mengen sowohl des Bacillus, als des
Eiweißstoffes ergab. Hierdurch ist der exakte Beweis geliefert, daß der ln*
testinaltraktus des neugeborenen Meerschweinchens den genuinen Eiweißkör-
5 ern und den Bakterien gegenüber ein anderes Verhalten zeigt, wie der des
Kaninchens und anderer entfernter stehender Tierarten.
_ Dr. Waibei-Kempten.
Veber die Keimdichte der normalen Schleimhaut des Intestinal*
traktus. Von Prof. M. Ficker. Aus dem hygienischen Institut der Universität
Berlin, Direktor: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. R u b n e r. Arch. f. Hyg.; Bd. 52, H. 2.
Ficker weist in sehr peinlich angelegten Versuchen nach, daß die
normale Darmschleimhaut erwachsener Tiere sich bezüglich der Resorption von
Bakterien verschieden verhält. Während bei erwachsenen Hunden und Katzen
der Nachweis mit der Nahrung eingefuhrter Bakterien in den inneren Organen
nie gelang, war dies bei erwachsenen Kaninchen in 3 unter 8 Fällen wenige
Stunden nach der Fütterung der FalL Bei jungen säugenden Tieren, glcich-
giltig welcher Gattung, konnten verfütterte Bakterien stets 1—2 Stunden nach
der Fütterung in Blut, Leber, Milz, Mesenterialdrüsen nachgewiesen werden.
Weitere Versuche zeigten, daß die Resorption nicht schon im Magen,
sondern nur im Darm vor sich geht. Dr. Lentz-Saarbrücken.
Der Einfluss hoher Temperaturen auf den Schmelzpunkt der Nähr¬
gelatine. Von Dr. Walter Gaehtgens. Aus dem hygienisch-bakteriolog.
Institnt zu Strasburg i. Eis. Archiv für Hyginee; 52. Bd., H. 3/4.
Nach den Untersuchungen des Verfassers sinkt der Schmelzpunkt steri¬
lisierter Nährgelatine mit zunehmender Höhe, der zur Sterilisation verwandten
Temperatur, wie auch mit steigendem Alkaleszenzgrade der Gelatine; er steigt
mit der Dauer, der zwischen Sterilisation bezw. Erstarren und der Wieder¬
verflüssigung verstrichenen Zeit. Die stärkste Herabsetzung erfährt der
Schmelzpunkt in der ersten Viertelstunde der Sterilisation der Gelatine, wäh¬
rend bei länger dauernder Sterilisation die weitere Herabsetzung des Schmelz¬
punktes relativ viel geringer ist. Mit höherem Gclatinegehalt steigt die Kon¬
sistenz der Nährgelatine bedeutend, ihr Schmelzpunkt dagegen relativ nur wenig.
Da in 20 u /oiger Nährgelatine verschiedene Bakterien schlecht gedeihen,
empfiehlt sich die Verwendung 10°/oiger Nährgelatine, die man zweckmäßig
mittelst steriler Nährbouillon in vorher sterilisierten Gefäßen bereitet und
sodann einmal 35—40 Minuten lang auf 100° erhitzt.
Dr. Lentz-Saarbrücken.
Experimentelle Beiträge zur Theorie und Praxis der Gruber-Widal-
schen Agglutinationsprobe. Von Dr. Robert Scheller, Assistenten am
Königlichen hygienischen Institut zu Königsberg i. Pr. Dir.: Prof. Dr. R.
Pfeiffer. Zentralblatt für Bakteriologie; 1. Abt., Orig. Bd. 38, H. 1.
Scheller macht auf die Schwierigkeiten aufmerksam, welche häufig
sich der Beurteilung der Widalschen Reaktion entgegenstellen, und führt als
Beleg Untersuchungs-Resultate an, welche im hygienischen Institut in Königs¬
berg i. Pr. an Seris von Typhuskranken gewonnen wurden. Es fanden sich
da Sera, welche bei Anstellung der Agglutinationsprobe in schwachen Ver¬
dünnungen so energisch Typhusbazillen agglutinierten, daß es den Anschein
hatte, als ob der Titer der Sera sehr hoch liegen müsse, während das betreffende
Serum in stärkeren Verdünnungen nur noch sehr schwach oder überhaupt keine
Reaktion mehr gab. Bei anderen Seris wieder trat die Reaktion so langsam
in die Erscheinung, daß man geneigt sein konnte, die Diagnose eines neagtiven
Widal zu stellen, während das Serum tatsächlich bei genügend langer Beobach¬
tung der angesetzten Proben (bis zu 20 Stunden) sich als stark positiv erwies.
Während andere Sera in allen angesetzten Verdünnungen trotz hohen Titers
nur unvollkommene Agglutination ergaben, reagierten wieder andere Sera, in
den Verdünnungen 1: 10—1 : 80 überhaupt kaum, gaben aber in stärkeren
688
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
Verdünnungen gute Agglutination (Hemmung der Reaktion in schwächeren
Serumverdünnungen).
Derartige Abweichungen vom normalen Ablauf des Agglutinationsverlaufs
müssen notwendigerweise den Weniggeübten zur Stellung falscher Diagnosen
verleiten. Scheller fordert deshalb, daß mit solchen Untersuchungen nur
Zentralstellen beauftragt werden, denen tüchtige spezialistisch geschulte Kräfte
zur Verfügung stehen. Dr. Lentz-Saarbrücken.
Ueber den Einfluss des Temperaturoptimums von 66° C. auf die
Agglutination beim Flckerschen und W Maischen Versuche. Von k. u. k.
Stabsarzt Dr. Karl Sadler. Berliner klin. Wochenschrift; 1905, Nr. 10.
E. W e i 1 hat gezeigt, daß für die Agglutination der Typhusbazillen des
Temperaturoptimum zwischen 50° und 56 °C. gelegen ist. Verfassers Ver¬
suche ergaben, daß die Agglutination sowohl beim Fick er sehen, als beim
makro- und mikroskopischen Widalschen Versuch durch die Temperatur von
65 °C. ungemein günssig beeinflußt wird, daß der Fick er sehe Versuch sowohl
bei 87°C., als bei 55 0 C. dem unter gleichen Kautelen ausgeführten Widal¬
schen mit dem benutzten Typhusstamm bedeutend überlegen erscheint, und daß
der Fick er sehe Versuch auch bei 55° C. rascher zum Ziele führt, als der
mikroskopische Widal bei 87°C._ Dr. Räuber-Köslin.
Ueber die makroskopische Agglutinationsprobe bei Typhoidfieber.
Von Dr. G. Aaser. Aus dem epidemischen Krankenhause zu Christiana.
BerL klin. Wochenschr.; 1905, Nr. 10.
Verf. hat durch Behandlung von Typhuskulturen mit Tolwol ein Reagens
hergestellt, das ähnlich dem Fick ersehen vollständig steril und ungefährlich
eine makroskopische Agglutinationsprobe bei Typhus (nach 12—48 Stunden)
ermöglicht. Dr. Räüber-Köslin.
Die verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen dem Bacillus faecalis
alkaligenes und dem Typhusbacillus. Von Dr. A. Doebert. Aus dem hyg.
Inst, der Univ. Berlin. Dir.: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Rubner. Arch. f.
Hyg.; 52. Bd., H. 1.
Doebert gelang es, mittelst der Passage durch den Meerschweinchen¬
körper eine Kultur eines Faecalis alcaligenes in den Typhusbazillus überzuführen.
Er sieht hierin eine Bestätigung der Angaben Altschülers, der zu dem
gleichen Resultat gelangte durch mehrfache Weiterzüchtung eines Alcaligenes-
stammes in Milch.
So bestechend und einwandsfrei die Angaben Döberts auch klingen,
kann doch nicht dringend genug vor der kritiklosen Hinnahme solcher
Untersuchungsresultate als beweiskräftige Experimente gewarnt werden.
Der einzige Einwand, der Doebert gemacht werden kann, mit dem aber auch
seine ganze Beweisführung fällt, falls er begründet ist, ist der, daß er kein
Wort darüber sagt, ob er sich in der peinlichsten Weise der Reinheit seiner
Ausgangskultur vergewissert hat. So selbstverständlich die Erfüllung dieser
Forderung erscheinen mag, so wenig darf sie bei der Veröffentlichung der¬
artiger Resultate, die unsere ganzen epidemiologischen Anschauungen auf
den Kopf stellen müssen, einfach mit Stillschweigen übergangen werden.
Es bleibt abzuwarten, ob nicht Doebert wie auch Altschüler das Schicksal
S hi gas teilen werden, der glaubte, den Kruse sehen in den diesem nahe
verwandten Flexn er sehen Dysenteriebacillus umgezüchtet zu haben, dem
aber Referent nachweisen konnte, daß diese Umzüchtung nur infolge einer
Verunreinigung seiner Ausgangs- (Kruse-) Kultur mit dem Flexn ersehen
Bacillus zustande gekommen war. Dr. L e n t z - Saarbrücken
Typhnsbaclllus und Baclllns faecalis alkallgenes, zwei nickt ver¬
wandte Speeles. Von Dr. Richard Tromsd orff, Assistent des hygienischen
Instituts der Universität München. Münchener mcd. Wochenschrift; 1905, Nr. 85.
Im Gegensatz zu den Untersuchuugsergebnissen Alt Schülers und
Doeberts hält sich Verfasser auf Grund seiner Versuche für berechtigt, sich
dahin auszusprechen, daß es bei Ausgang von Reinkulturmaterial nicht gelingt,
den Bacillus fäcalis alcaligenes in einen Bacillus typhi umzuwandeln. Die
Kleinere 'Mitteilungen and Befer&te aas Zeitschriften.
639
Typhusbazillcn and die Bacilli fäcalcs alcaligenes sind zwei wohl differenzierte,
nicht verwandte Species. Im übrigen bestätigen die Serumversuche des Ver¬
fassers eine Verschiedenheit der durch die beiden Alkaligenesstämme erzeugten
Agglutination, so daß man hiernach mit Altschüler und Döbert ver¬
schiedene Qrappen des Bacillus fäcalis alcaligenes anzunehmen berechtigt ist.
Dr. W a i b e 1 - Kempten.
Veber Rassenunterschiede von Typhusstämmen and Aber Hemmangs-
kärper im Serum in ihrer Bedeutung für die (Jruber-Widalsche Reaktion.
Aus der med. Klinik in Basel. Von Dr. Falta u. Noeggerath. Archiv für
klinische Medizin; 1905, Bd. 83, H. 1—2.
Zwei Typhuskranke aus der Umgebnng Basels boten die auffallende Er¬
scheinung, daß ihr Serum in den ersten 10, bezw. 6 Krankheitswochen die
gewöhnlichen Laboratoriumsstämme (von Krftl in Prag und das Fick er sehe
Diagnostikum, ebenso auch Paratyphus A und B) nicht agglatinierte. Jedoch
worden aas einem der beiden Kranken gezüchtete Typhusbazillen von einem
aus Frankfurt bezogenen Tvphusziegcnimmunserum agglutiniert. Letzteres
agglatinierte auch den bisher verwandten Laboratoriumsstamm.
Der auffallende Unterschied in der Agglutinabilität des aus dem Kranken
gezüchteten Typhusstammes „Basel“ und des alten Laboratoriumstammes „Prag“
veranlaßte die Autoren noch 5 weitere Stämme verschiedenster Herkunft auf
ihre Agglutinabilität za untersuchen. Die gewonnenen Resultate fassen sie in
Folgendem zusammen:
1. Nicht oder spät agglutinierende Typhen lassen sich jedenfalls zum
großen Teil dadurch erklären, daß sic mit gerade für ihr Serum schwer
agglutinabelen (relative Agglutinabilität) Typhusstämmen untersucht sind.
2. Diese Fehlerquelle läßt sich durch Untersuchung mit mehreren Typhus¬
stämmen möglichst verschiedener Provenienz (eventuell in Mischbouillon) ver¬
meiden.
3. Die Unterschiede in der relativen Agglutinabilität verschiedener Typhus¬
rassen kommen namentlich bei den gerade für die Frühdiagnose wichtigen
niederen Seris in Betracht. Beim Steigen des Agglutinationstiters verwischen
sie sich meist.
4. Agglutinationshemmende Körper kommen offenbar in frischen mensch-
lischen and tierischen Typhusseris recht häufig vor.
5. Sie werden oft erst gegen das Ende der Erkrankung überhaupt nach¬
weisbar oder nehmen dann za; gelegentlich fehlen sie ganz.
6. Sie sind nicht identisch mit den Proagglatinoiden Eisenbergs and
Volks', sondern stellen vielmehr im Körper entsandene Abbauprodukte
der Joosschen thermolabilen Agglatinine dar.
7. Wenn sie in großer Menge vorhanden sind, können sie einen negativen
Aasfall der Agglutination Vortäuschen.
8. Diese Fehlerquelle läßt sich bei Anwendung sehr dichter Bouillons
(namentlich von Mischbouillons) vermeiden. Dr D o h r n - Cassel.
Kasuistischer Beitrag zur Pathologie des Typbas. Von Kreisassistenz¬
arzt Dr. Lentz, Leiter der Kgl. bakteriol. Untersuchungsanstalt in Saar¬
brücken. Klin. Jahrbuch; Bd. XIV.
Bei einem 28 jährigen Mädchen, das anter der Diagnose Parametritis
mit Sepsis in das Krankenhaus in 0. aufgenommen worden war, ergab die von
dem behandelnden Arzte am 25. Krankheitstage veranlaßte bakteriologische
Untersuchung Typhusbazillen im Stuhl; die gleichzeitig angestellte Wid aIsche
Reaktion war negativ. Nachdem dann am 28. Krankheitstage eine Darmblutung
bei der Patientin eingetreten war, agglatinierte ihr Blutserum am 32. Tage
Typhusbazillen bis zur Verdünnung 1:100. Schon am Tage nach der Darm¬
blutung ging die Morgentemperatur bis 37, 1°C. herab, während sie bis dahin
stets über 88° betragen hatte, und erhob sich nur noch einmal über 38°.
10 Tage nach der Darmblutung begannen auch die Abendtemperaturen zu
sinken and nach einem 8 Tage währenden Stadium decrementi setzte eine nor¬
mal verlaufende Rekonvaleszenz ein. Es hat hier also anscheinend die Darm-
640
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
blutung nicht nur das Auftreten der Agglutinine im Blutserum der Patientin
veranlaßt, sondern gleichzeitig auch den günstigen Ausgang der Krankheit
eingeleitet. (Autorreferat).
Veber chronische Typhusbazillenträger. Von Kreisassistenztarzt Dr.
Lentz, Leiter der König! bakteriologischen Untersuchungsanstalt in Idar
a. d. Nahe. Klin. Jahrbuch; Band XIV.
Die Arbeiten der im Südwesten des Reichs zum Zweck der Typhus¬
bekämpfung errichteten Untersuchungsanstalten haben uns außer mit anderen
epidemiologisch wichtigen Ergebnissen auch mit der Tatsache bekannt gemacht,
daß nicht immer mit dem Ablauf der Typhuserkrankung auch die Ausscheidung
der Typhusbazillen aufhört, daß vielmehr ein gewisser Prozentsatz der von
Typhus Genesenen noch monate- und jahrelang Typhusbazillen ausscheidet.
Nach den Erfahrungen der Idarer Anstalt bleiben etwa 4°/ 0 aller an Typhus
Erkrankten chronische Bazillenträger. Mit diesem Namen werden diejenigen
von Typhus Genesenen bezeichnet, welche noch über die 10. Woche nach Beginn
der Erkrankung hinaus Typhusbazillen ausscheiden. Nur in seltenen Fällen
kommt es dann noch nach Monaten zu einem Aufhören dieser Bazillenausscheidung.
Dielängste von der Anstalt vom Beginn der Erkrankung des betreffenden Individu¬
ums an beobachtete Ausscheidung bestand 1 8 / 4 Jahre. Außerdem wurden bei den
systematischen Untersuchungen noch eine Anzahl gesunder Personen aufgefunden,
die nach einem oft viele Jahre zuvor überstandenen Typhus noch Typhus¬
bazillen ausschieden, ohne daß die Gelegenheit zu einer neuen Infektion vorlag.
Die weitere Beobachtung ergab dann, daß jener Zustand chronisch war; diese
Beobachtung währte bei einzelnen Individuen über ein Jahr lang.
Bei einer auf Veranlassung von Herrn Geh.-Rat Koch Ende Oktober
1904 vorgenommenen Stichprobe sandten von den 82 damals in Beobachtung
der Station stehenden chronischen Bazillenträgern 27 ihre Stuhlproben ein; in
allen fanden sich in gewohnter Weise die Krankheitserreger (22 mal Typhus-,
5 mal Paratyphusbazillen). Bei derartigen auch sonst häufig vorgenommenen
Kontrolluntersuchungen waren nur in seltenen Fällen die Bazillen gelegentlich
in den Fäces vermißt worden, sodaß man annchmen mußte, daß bei diesen
Individuen die Ausscheidung der Bazillen nicht dauernd gleichmäßig, sondern
mehr in einzelnen Schüben vor sich geht; bei der großen Mehrzahl wurden die
Bazillen regelmäßig, auch bei wochenlang täglich vorgenommenen Unter¬
suchungen nachgewiescu. Gewöhnlich finden sich die Bazillen bei chronischen
Bazillenträgern außerordentlich reichlich, nicht selten fast in Reinkultur, nur
selten sind sie ständig in so geringen Mengen vorhanden, daß zu ihrem Nach¬
weis erst das Anreicherungsverfahren herangezogen werden muß.
Die große Mehrzahl der chronischen Bazillenträger sind Frauen, was
darauf hinweist, daß chronische Stoffwechselstörungcn (bei Frauen, die häufig
geboren haben, infolge von Enterophose, ferner auch infolge von Anämieen,
Ueberanstrengung, Kummer und Sorgen) ein begünstigendes Moment für das
Chronischwerdeu der Bazillenausscheidung sind; sicher spielt aber auch mangelnde
Pflege während der Krankheit und schlechte Abwartung der Rekonvaleszenz eine
wichtige Rolle bei der Entstehung dieses chronischen Zustandes. Das bisweilen
bei chronischen Bazillenträgern beobachtete Bestehen von Gallensteinleiden, die
sich erst nach der Typhuserkrankung bemerkbar gemacht haben, weist auf die
Gallenblase als Brutstätte der Typhusbazillen hin, doch spielen hier auch wohl
die Darmfaiten, Divertikel und der Proc. vermiformis eine Rolle.
Die bei den chronischen Bazillenträgern gefundenen Typhus- und Para-
thyphusbazillen zeigen in jeder Beziehung die Charakteristika der bei Typhus¬
kranken gefundenen Krankheitserreger. Durch die Beobachtung einer ganzen
Reihe von Typhusinfektionen, welche z. T. mit Sicherheit, zum Teil mit großer
Wahrscheinlichkeit auf solche Bazillenträger zurückgeführt werden konnten, ist
der Beweis dafür erbracht worden, daß die von diesen Menschen ausgeschiedenen
Bazillen auch menschenpathogen sind, und daß wir in den chronischen Bazillen¬
trägern gefährliche Infektionsquellen zu sehen haben; diese Beobachtung
läßt aber auch einen Schluß zu über das eigentliche Wesen sogenannter „Typhus¬
häuser“ und „Typhusorte“. Der Anstalt ist es in der Tat auch gelungen, in
verschiedenen „Typhushäusern“ chronische Bazillenträger aufzufinden.
Daß es sich mit verhältnismäßig einfachen Mitteln (Belehrung der
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
641
Bazillenträger ttber ihren Zustand, Lieferung von Desinfektionsmitteln aus
öffentlichen Mitteln, behördliche Kontrolle der Desinfektion und wiederholte
Ermahnung) erreichen läßt, die von den Bazillenträgern drohende Gefahr er*
heblich einzuschränken, lehrt das Beispiel der Stadt 0., welche seit Menschen¬
gedenken ein gefährliches Typhuszentrum bildete. Während in dem epidemie¬
freien Jahre 1903 dort von der Station noch 23 Typhus- und 15 Paratyphusfälle
beobachtet wurden, kamen nach Durchführung systematischer Untersuchungen
im März 1904, bei welchen 7 Typhus- und 3 Paratyphusbazillenträger festgestellt
wurden, bis Ende 1904 nur 4 Typhuserkrankungen zur Beobachtung, von denen
eine von außerhalb eingeschleppt war, die 3 übrigen auf 2 Bazillenträger zurttck-
geführt werden konnten (eine Tochter der einen, 2 Dienstmädchen einer anderen
Bazillenträgerin). Die Versuche, mittelst medikamentöser Behandlung die Bazillen¬
träger von ihren Bazillen zu befreien, sind bisher fehlgeschlagen. 1 )
_ (Autorreferat).
a. Weitere Mitteilungen ttber die Anreicherungsmethode für Typhus-
und Paratyphusbazillen mittelst einer Torkultur auf Malachitgrün-Agrar.
Von Kreisassistentenzarzt Dr. Lentz, Leiter, und Dr. Julius Tietz,
Mitglied der Königl. bakteriologischen Untersuchungsanstalt in Idar a. d. Nahe.
Klin. Jahrbuch; Band XIV.
b. Ueber die Grenzen der Verwendbarkeit des Malaehitgrttnagars zum
Nachweise der Typhusbazillen im Stuhle. Von Dr. med. K. Nowack. Aus
dem hygienischen Institut der Universität Berlin, Direktor: Geh. Med.-Rat
Prof. Dr. M. Bnbner. Arch. f. Hygiene; 53. Band, H. 4.
Zu a. In Nr. 49 der Münchener med. Wochenschr. 1903 hatten Lentz und
Tietz ein von ihnen ausgearbeitetes Anreicherungsverfahren für Typhus- und
Paratyphusbazillen beschrieben, das im Wesentlichen eine Kombination des etwas
modifizierten Löfflerschcn Malachitgrünagars, auf welchem das Bact. coli
im Wachstum stark beeinträchtigt wird, mit dem v. Drigalski-Conradi-
schen Lakmus-Milchzuckeragar darstellt. Im ersten Teil ihrer Arbeit geben
die Verfassers nochmals eine genaue Beschreibung der Methode: Zu gewöhn¬
lichem 2—3°/oigem, leicht lakmussaurem Rindfleisch-*) Pepton-Agar wird Mala¬
chitgrün I (Höchst) 1:6000 oder Malachitgrün cryst. (Höchst) 1:22000 hinzu-
geftigt und der flüssige Agar sofort in Petrischalen verteilt. Von dem zu einem
dickflüssigen Brei mit 0,85°/ O iger Kochsalzlösung verriebenen Stuhl werden
zunächst auf einer Mulachitgrün-Agarplatte 2 dicke Tropfen gut verrieben, der
zur Verreibung benutzte Spatel alsdann auf 2 großen Platten v. Drigalski-
Conradi-sehen Agars übertragen. Nach 20 Stunden Brütofenaufentbaltes
werden die blauen Platten auf das Vorhandensein von Typhusbazillen geprüft.
Finden sich diese nicht auf den blauen Platten, so werden die grünen Platten
nach 24stttndigem Brütofenanfenthalt mit ca. 8 ccm 0,85°/oigcr Kochsalzlösung
übergossen und der Bakterienrasen, der oft nur aus wenigen Kolonien besteht,
durch Hin- und Herneigen der Schale abgeschwemmt. Von dieser Aufschwemmung
wird 1 Oese auf 1—2 blauen Platten ausgestrichen, die dann nach 20stündigem
Brütofenaufenthalt in üblicher Weise untersucht werden. Von N e i s s e r - Stettin,
J o r n s und K1 i n g e r, sowie aus einigen anderen Typhus - Untersuchungs-
anstalten, liegen bereits günstige Urteile ttber diese Anreicherungsmethode vor.
Die Verfasser berichten alsdann über die Resultate, welche sie mit diesem
Verfahren während des 1. Jahres seiner Anwendung bei dem Untersuchungs¬
material der Idarer Anstalt gehabt haben. Unter 416 positiven Befunden von
Typhusbazillen waren 83 = 20 °/o, unter 148 Befunden von Paratyphusbazillen
61 = 41,22 °/o lediglich dem Anreicherungsverfahren zu danken. Der Nachweis
der Typhusbazillen im Stuhl und Urin gelang bei 73,2 °/o aller untersuchten
Typhuskranken, der der Paratyphusbazillen bei 100 °lo der Paratyphuskranken. In
den meisten Fällen gelang der Nachweis bereits bei der ersten Untersuchung.
Für die Sicherung der Diagnose durch den Bazillennachweis aus Stuhl und Urin
der Kranken wurde durch die Anwendung der Anreicherungsmethode gegenüber
‘) Siehe das nachstehende Referat über die Forster-Kaysersehe
Abhandlung, S. 642.
*) Nach neueren Erfahrungen des Referenten gibt aus Pferdefleisch oder
Fleisch extrakt hergestellter Agar bei der Züchtung erheblich schlechtere
Resultate als Rindfleischagar.
642
Kleinere Mitteilungen nnd Referate ans Zeitschriften.
dem einfachen y. Drigalski-Conradisehen Agar eine Resnltatverbesserung
von 37,7 °/o bei Typhus und von 131,58 °/o bei Paratyphus erzielt.
Zu b. N o w a c k konstatiert zunächst, daß das Malachitgrün in den für die
Anreicherungsmethode empfohlenen Konzentrationen nicht nur das Bact. coli,
sondern auch den Typhusbazillus nicht unerheblich im Wachstum hemmt 1 ).
Er verwandte zu seinen Versuchen Malachitgrün 120 in der Verdünnung
1:2000 — 2500, Malachitgrün superfein und M. extra (Höchst) in den Ver¬
dünnungen 1:100000 mit gleich gutem Erfolge. Die Reaktion des Agars, auf
die Klinger sehr viel Wert legt, spielt nach Nowack keine wesentliche
Rolle; Reaktionen von 1,8—0,8°/o Normalnatronlauge unter dem Phenolyphthalein-
Neutralpunkt ergaben annähernd gleich gute Resultate, während bei stärkeren
Säure- bezw. Alkaligraden das Verfahren versagte. Dextrinzusatz über l°/o
zum Agar beeinträchtigt gleichfalls das Verfahren.
Die Untersuchungen mit Stuhlgängen, deren Keimzahl festgestellt war,
und denen genau abgemessene Mengen einer Typhnsbazillen-Aufschwemmung
zugesetzt wnrden, ergab sehr günstige Resultate. Noch bei einem Verhältnis
von 1 Typhusbacillus zu 50000 Stuhlbakterien gelang mit dem Anreicherungs¬
verfahren der Typhusbazillennachweis. Nowack empfiehlt zur Vorkultur
zwei große (20 cm Dm.) grüne und 1 blaue bezw. Endoplatte zu benutzen und
auf der ersten grünen Platte 5 große Tropfen der Stuhlaufschwemmung zu ver¬
reiben, um auf diese Weise mehr Material zu untersuchen. Ist dann die erste
Platte zu dicht bewachsen, so wird zum Abschwemmen die zweite grüne Platte
benutzt, die stets einzeln stehende Kolonien aufweist. (Wie sich Referent
überzeugen konnte, ist diese Versuchsanordnung unter Umständen von Nutzen).
Dr. L e n t z - Saarbrücken.
Albuminurie bei Abdominaltyphus. Aus der mediz. Klinik der Uni¬
versität Straßburg. Von Volontärarzt Dr. St ölte. Archiv für klin. Medizin;
1905, Bd. 83, H. 1—2.
Die Häufigkeit des Vorkommens von Eiweißausscheidung bei Typhus
wird sehr verschieden angegeben. Verfasser stellte das Material der Stra߬
burger Klinik daraufhin zusammen. Jeder Fall, in dem auch nur einmal
Eiweiß nach gewiesen wurde, ist als Fall mit Albuminurie angeführt.
Von den leichten Fällen hatten 49,2 °/ 0 , von den mittelschweren 67,4%,
von den schweren 77,7 °/o, im Ganzen 60,8 °/ 0 Eiweißausscheidung. Eine pro¬
gnostische Bedeutung der Eiweißausscheidung will Verfasser nicht aner*
kennen. Dr. D o h r n - Cassel:
Ueber das Vorkommen von Typhusbazillen in der Galle von Typhuft-
kranken und „Typhnsbazillenträgern“. Von Prof. J. Fo rster-Straßburg
und Oberarzt Dr. H. Kayser, kommandiert zum hyg. Institut in Str&ßburg.
Münch, ined. Wochenschrift; 1905, Nr. 81.
Bekanntlich beherbergen überraschend häufig Personen, die keine Krank¬
heitserscheinungen zeigen, Typhusbazillen und scheiden solche mit den Ent¬
leerungen aus. Solche Gesunde bezeichnet man kurz als „Bazillenträger“ und
versteht darunter Leute, welche, in der Umgebung von Typhuskranken lebend,
Typhusbazillen im Stuhle haben, ohne krank zu sein oder Personen, welche
nach überstandenem Typhus inonate- und selbst jahrelang, gewissermaßen als
„chronische Bazillenträger“, Typhuskeime — meist mit mit den Fäces — nach
außen abgeben. Begreiflich ist daher das Streben aller, welche mit Typhus¬
bekämpf ang zu tun haben, nach Mitteln nnd Wegen zu suchen, die betreffen¬
den Personen bazillenfrei zu machen. Hierzu gehört vor allem eine klare
Vorstellung über den eigentlichen Sitz der Typhusbazillen im Körper und über
die Art ihrer Ausscheidung.
Die Verf. halten sich auf Grund ihrer mannigfachen Untersuchungen
und Beobachtungen an Lebenden und Leichen im Zusammenhalte mit den
*) Ein erheblicher Prozentsatz der schlechten Resultate Nowacks ist
aber sicher auf Rechnung des Fleischextraktagars zu setzen, den Nowack
verwandte; bei Anwendung von Rindfieischagar sind die Resultate, wie die
Untersuchungen der Verfassers und von Jorns (ebenfalis im Rubnerschen
Institut ausgeführt) lehren, bedeutend bessere.
Kleinere Mitteilangen nnd Referate an» Zeitschriften.
643
Befanden anderer Aatoren za der Annahme berechtigt, daß die „Bazillenträger*
die Typhuskeime vorzüglich in der Gallenblase beherbergen, in welche sie aof
dem Blutwege durch die Leber gelangen. Die Gallenblase wird dann zom
Vegetationsorte der Typhasbazillen. Die Ausscheidung der Typhesbazillen mit
dem Stuhle beim Kranken, besonders aber beim sog. Bazillenträger, beruht
daranf, daß sie von ihrer Vegetationsst&tte, der Gallenblase, mit der Galle in
den Darm and von hier nach außen geführt werden, soweit sie nicht auf
diesem Wege in dem Dünn- oder Dickdarm zugrande gehen. Vom sanitären
Standpunkte aas erwachsen durch das vielfache Vorkommen von „Typhus-
bazillenträgern* den Aerzten und Hygienikern neue Aufgaben and muß das
Streben dahin gehen, die Ausscheidung von TyphusbazUlen za bekämpfen.
Das ist eine medizinische and wie die weiteren Ausführungen der Verf. durch-
blicken lassen, schwer lösbare Aufgabe. Im übrigen muß auf das Original
verwiesen werden, das eine Fülle von interessanten Beobachtangen and An¬
regungen enthält _ Dr. Waibel-Kempten.
Untersuchungen über die Lebensdauer von TyphusbazUlen Im Aqua-
rtumwasser. Von Stabsarzt Dr. W. Ho ff mann, Assistenten am Hyg. Inst,
der Univ. Berlin. Arch. f. Hyg.; Bd. 52, H. 2.
Hoffmann impfte das Wasser eines Zimmeraquariums, in welchem Wasser¬
pflanzen wachsen und einige Schnecken und kleine Fische sich befanden, mit
Typhusbazillen. Mit Hilfe der Koffein-Anreicherungsmethode gelang es ihm,
noch nach 4 Wochen die Bazillen im Wasser und noch nach acht Wochen
im Bodenschlamm nachzuweisen. Er rät deshalb bei Brunnen, die verdächtig
sind, mit Typhusbazillen infiziert za sein, stets vor allem den Bodenschlamm
des Brunnens zu untersuchen, und hält die Möglichkeit für gegeben, daß aaf
diese Weise der Nachweis der Typhusbazillen noch gelingen wird, auch wenn
die Infektion des Brunnens schon einige Wochen zurückliegen sollte.
Dr. L e n t z - Saarbrücken.
TyphusbazUlen ln dem Wasser eines Hansbrunnens. Von Dr. Edmund
Ströszner,I. Assistent am bakteriologischen Institut der Haupt- und Residenz¬
stadt Budapest (Leiter Doz. Dr. B. V a s). Zentralblatt für Bakteriologie; I.
Abt., Orig.-Bd. 38, 1904, H. 1.
Zu den wenigen sicheren Befunden von Typhusbazillen in Wasser fügt
Ströszner einen neuen. Bei einem Hause, in welchem nacheinander 3 Ty¬
phusfälle vorgekommen waren, befand sich in nächster Nähe des Abortes und
der Dunggrube ein sehr schadhafter Kesselbrunnen, der nur von den Bewohnern
des Hauses benutzt wurde. 4 Wochen nach Beginn der letzten Erkrankung
an Typhus konnte Ströszner mittelst der Ficker sehen Koffein-Anreicherungs¬
methode Bazillen aus dem Wasser dieses Brunnenns züchten, welche adle
Charakteristika des Typhusbazillus boten. Dr. Lentz-Saarbrücken.
Ueber die Bedeutung des Bacterlnm coli Im Brunnenwasser. Von
Dr. M. Kaiser, Assistent am hyg. Inst, der Univ. Graz. Arch. f. Hygiene;
52. Bd., H. 1.
Kaiser weist an der Hand der Untersuchung von 50 verschiedenen
Wasserproben, die ebensovielen verschiedenen Brunnen entnommen waren, nach,
daß die Ansicht, das typische Bakterium coli sei in Brunnenwässern allgemein
verbreitet, irrig ist. Wenn er auch noch kein abschließendes Urteil über die
Verwertbarkeit des Befundes von Bact. coli in einem Wasser als Indikator für
dessen Verunreinigung durch Faekalien abgeben möchte, so scheint ihm doch
die Bedeutung des Bact. coli als Indikator für eine Faekal-Verunreinigung
eines Wassers große Berechtigung zu besitzen.
Zum Nachweise des Bact. coli in den Wasserproben bediente er sich
mit Vorteil eines 3 °/ 0 igen Heuinfnses. Dr. Lentz-Saarbrücken.
Bronnen* oder Kontaktepidemie? Von Kreisassistenzarzt Dr. Lentz,
Leiter der Kgl. bakterioL Untersuchungsanstalt in Saarbrücken. Klin. Jahr¬
buch; Bd. XIV.
Eine im Dorfe M. aufgetretene Typhusepidemie machte zunächst den
Eindruck einer Brunnenepidemie, da eine ganze Anzahl (12) fast gleichzeitig
644 Kleinere Mitteilangen and Referate ans Zeitschriften.
entstandener Typhuserkrankungen sich aof 5 Häuser verteilten, welche rings
um den Dorfbrunnen sich gruppierten. Der gegen den Brunnen sich richtende
Verdacht^mußte jedoch alsbald wieder fallen gelassen werden, als sich herausteilte,
daß nicht nur die Bewohner jener 5 Häuser, sondern sämmliche Dorfinsassen
ihr Trinkwasser aus jenem Brunnen entnahmen, während im ganzen übrigen
Dorf keine einzige Typhuserkrankung vorhanden war. Es ergab sich denn
auch, daß die Krankheit von einem Nachbarorte in eines jener zuerst befallenen
Häuser eingeschleppt worden war, und daß der nahe Verkehr der Leute unter¬
einander — die Besitzer von 4 dieser Häuser hatten Schwestern zu Frauen —
die Verbreitung des Typhus vermittelt hatte. Bei Entdeckung der Epidemie
waren bereits weitere Infektionen vorgekommen, sodaß nach und nach im ganzen
26 Dorfinsassen erkrankten. Diese 26 Fälle verteilten sich auf 10 Häuser,
welche eng zusammen in der Mitte des Dorfes lagen, und auf ein an der
Peripherie des Dorfes gelegenes Haus, wohin der Typhus durch ein junges
Mädchen gelangte, das mit einem in einem der infizierten Häuser hediensteten
Mädchen in Verkehr stand und von diesem in der für die Infektion in Frage
kommenden Zeit einen Apfel geschenkt erhalten hatte. Bis auf einen Fall
konnte bei allen Erkrankten die Infektion auf den Verkehr mit früher Erkrank¬
ten einwandsfrei zurückgeführt werden. In dem einen Falle war ein Zusammen¬
hang mit einem der anderen Erkrankten nicht nachzuweisen, da die Patientin
jeglichen Verkehr mit den Nachbarn leugnete. Erwähnenswert sind 2 Infek¬
tionen ohne nachweisliche Erkrankungen der betreffenden Individuen; die Bazillen¬
ausscheidung war bei beiden nur vorübergehend. Der eine dieser Fälle betraf
eine Krankenschwester, welche 6 Jahre zuvor einen Typhus überstanden und
sich jetzt bei der Pflege einer Typhuskranken infiziert hatte. Ein weiterer
Fall zeichnete sich dadurch aus, daß trotz klinisch absolut sicherer Typhus¬
erkrankung bei mehrfach während der ganzen Krankheitsdauer und Rekon¬
valeszenz wiederholten Untersuchungen weder eine positive W i d a 1 sehe Reaktion
nachgewiesen, noch Typhusbazillen in den Ausscheidungen der Patientin gefunden
werden konnten. (Bisher der einzige Fall dieser Art unter ca 400 vom Ver¬
fasser beobachteten Typhuskranken.) (Autorreferat).
Die Verhütung der Verbreitung des Typhus durch Wasserleitungs-
Anlagen. Auf Grund der bisherigen Erfahrungen. Von Dr. Lücke -Berlin.
Deutsche Medizinal-Zeitung; 1905, Nr. 43 und 44.
An der Verbreitung epidemisch auftretender Erkrankungen trägt oft
ungeeignetes Trinkwasser die Schuld. Verfasser bespricht nun in interessanter
und eingehender Weise die einschlägigen Verhältnisse. Er faßt das Resultat
seiner Arbeit in 6 Leitsätze zusammen, deren wesentlichster Inhalt der
folgende ist:
Am häufigsten findet die Infektion eines Wasserwerkes an der Entnahme¬
stelle statt, entweder durch Einleitung von ungereinigtem Wasser, durch
mangelnde Filtration oder schlechte Anlage der Brunnen usw. usw.
Eine Infektion der Rohrleitung entsteht am häufigsten bei Rohrbrüchen
und sonstigen Defekten.
Erforderlich ist die Konzessionierung eines Wasserwerks, und hierbei
muß als Bedingung angesehen werden, daß die an der Spitze stehende Persön¬
lichkeit eine technisch ausgebildete, zuverlässige ist, und daß selbstverständlich
das Wasser in genügender Menge und in einwandfreier Beschaffenheit vor¬
handen ist.
Das die Entnahmestelle umgebende Gebiet muß am besten Eigentum des
Wasserwerkes sein.
Für das Personal ist ein Regulativ auizustellen.
Dr. Hoffmann-Berlin.
Ueber Impfschutzverbände. Von Dr. Alfred Groth. Münchener med.
Wochenschrift; 1905, Nr. 21.
Verfasser bespricht zuerst die Nachteile unzweckmäßiger bezw. mehrerer
gebräuchlicher Impfschutzverbände und meint, daß ein Impfschutzverband un¬
streitig von Nutzen sein kann, sofern er dem Impfling die Möglichkeit nimmt,
die Impfpusteln zu beschädigen, jederzeit und leicht abnehmbar ist, einen
Schutz gegen die nachträgliche Infektion bietet und für Luft gut durchgängig
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
645
ist. Der Verband darf ferner nicht drttcken and die normalen Hautfonktionen
des Impflings in keiner Weise stören.
Einen solchen Verband liefert nach des Verfassers Angaben die Firma
Hermann Katsch, Hofinstramentenfabrikant in München in drei Größen, and
zwar für Kinder von unter oder etwa einem Jahre, sodann für solche Kinder,
welche das erste Lebensjahr überschritten haben and für die 12 jährigen Kinder
Dem Verband ist Gebrauchsanweisung beigegeben, welche eine Belehrung des
Publikums über seine Benutzung und über die Behandlung der Pusteln be¬
zwecken soll.
Schließlich bejaht Verfasser die Frage, ob die allgemeine Einführung
eines Schutzverbandes auch für die öffentlichen Impfungen empfehlenswert sei,
meint aber, daß hierfür weder Staat noch Gemeinde zu den Kosten heran¬
gezogen werden können, sondern die Anschaffung den Pflegern der Impflinge
überlassen werden müsse unter der Voraussetzung, daß der Verband zu einem
sehr niedrigen Preise zur Verfügung gestellt werden könnte.
Dr. Waibei-Kempten.
Ueber die von den Impfärzten zu befolgenden Vorschriften. Von
Kreisarzt Dr. Solbrig, Hilfsarbeiter bei der Königl. Regierung in Arnsberg.
Deutsche Medizinalzeitung; 1905, Nr. 55.
Verf. meint, daß die Impfvorschriften oft nicht genügend beachtet
würden, und daß deshalb eine Besprechung derselben wohl am Platze sei.
Aus den allgemeinen Bestimmungen hebt er besonders die Beschaffenheit des
Impflokals hervor, bespricht auch die durch die Bestimmungen verlangte
Gegenwart eines Vertreters der Ortspolizeibehörde usw. Sodann verbreitet er
sich über die Lymphe, die Aufbewahrungsart, Zusendung derselben usw., um
sodann die Impfung selbst einer Betrachtung zu unterziehen, in deren Rahmen
selbstverständlich auch die Impfinstrumente die gebührende Beachtung finden,
ebenso wie die Methode der Impfung. Dr. Hoff mann-Berlin.
Säuglingssterblichkeit und Ihre Bekämpfung. Ein Beitrag von
Dr. Schlegtendal, Reg- und Med.-Rat in Aachen. Zentralblatt für all¬
gemeine Gesundheitspflege; 1905, 5. und 6. Heft.
Den ungeheuren Verlusten an Menschenleben gegenüber, die alljährlich
infolge der Sterblichkeit der Säuglinge zu verzeichnen sind, hat man endlich
angefangen auf Mittel und Wege zu sinnen, um Abhilfe zu schaffen. Ein Blick
auf die Statistik lehrt, daß von einer wesentlichen Abnahme der Säuglings¬
sterbefälle in Preußen noch nicht die Rede sein kann: Es starben in Preußen
während der Jahre 1895 bis 1902 nicht weniger als 1934041 Kinder des ersten
Lebensjahres, d. h. durchschnittlich 34,8 d / 0 aller Todesfälle entfallen auf das
erste Lebensjahr; im Jahre 1895 waren es 35,8, im Jahre 1902 31,8 # / 0 . Zum
Vergleich führt Sch. noch statistische Angaben aus dem Bezirk und der Stadt
Aachen, die eine besonders hohe Säuglingssterblichkeit aufzuweisen hat, an.
Daß „umfassende und baldige“ Maßnahmen notwendig sind, um dem
Uebel zu steuern, bedarf diesen sprechenden Zahlen gegenüber keiner weiteren
Begründung. Als erste und wichtigste Maßregel ist anzustreben, daß die
Mütter wieder selbst stillen und zwar genügend lange; denn es ist sicher, daß
bei künstlicher Ernährung sehr viel mehr Säuglinge zugrunde gehen, als
bei der natürlichen. (In Deutschland sterben jährlich etwa 2000O0 Säuglinge
an Magendarmerkrankungen, 150000 davon sind vorher künstlich ernährt!)
Um die Mütter an ihre Pflicht zu erinnern, sollten Behörden und Private, be¬
sonders Aerzte, Lehrer, Geistliche und die Franenvereine eine nachdrückliche
Propaganda zur Förderung der natürlichen Ernährung machen. Auch die
Hebammen sind die berufenen Personen, die hier nützlich wirken können.
Empfehlenswert sind Verfügungen, wie eine solche im Bezirk Aachen durch den
Regierungspräsidenten veranlaßt ist, dahingehend, daß die Hebammen darauf
dringen, daß die Mütter ihre Kinder solange wie möglich selbst stillen. Merk¬
blätter, wie sie mehrfach schon vorhanden sind (so im Reg.-Bez. Düsseldorf,
herausgegeben vom Verein der Medizinalbeamten, vom Vaterländischen Frauen¬
verein u. a.), werden zweckmäßig durch die Standesämter bei der Geburts-
anmeldung, durch Aerzte und Hebammen verbreitet. Je kürzer und eindring¬
licher solche Ratschläge lauten, desto besser wirken sie. Daneben kommen
646
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
die Maßnahmen in Betracht, die beim Fehlen der Mntterbrnst für gute Ersatz¬
nahrang sorgen. So wird in manchen Gemeinden des Bezirks Aachen frische
Kuhmilch umsonst an die Säuglinge unbemittelter Familien gegeben; im Kreise
Düren übernahmen dann noch die Hebammen die weitere Behandlung der ge¬
lieferten Milch, Reinigung der Flaschen und dergl. mehr. Am sichersten ist
es, die Milch gebrauchsfertig in einzelnen Fläschchen zu verabfolgen; solche
Kindermilchanstalten sind u. a. in Malmedy und Düren; Damen des Frauen-
vereins üben die Aufsicht mit dem Kreisarzt. Die bisherigen Erfolge waren
recht gute: von 27 Kindern unter 1 Jahr, die mit solcher Milch versorgt waren,
erkrankto innerhalb 8 Monaten keins an schlimmerem Magendarmkatarrh oder
starb gar daran.
Sch. erwartet Beachtung, Billigung und Nachfolge solcher Bestrebungen.
Dr. Solbrig-Arnsberg.
Veber die Konservierung der Milch dureh Wasserstoffsuperoxyd.
Von Oberarzt Dr. Ernst Baumann, z. Z. kommandiert zum hygienischen
Universitäts - Institut Halle a. S. Münchener med. Wochenschrift; l‘J05, Nr. 23.
Schon seit Jahren ist man bestrebt, die Kuhmilch freizumachen von ge¬
sundheitsschädlichen Stoffen und Beimengungen jeder Art und zwar teils auf
physikalischem Wege durch Anwendung von Wärme oder Kälte (Pasteurisieren,
Sterilisieren, Abkühlung etc.), teils auf chemischem Wege durch Zusatz von
Soda, Borsäure, Borax, Salizylsäure, Natriumsulfat, Kalium-Chromat und -Bi-
Chromat, Wasserstoffsuperoxyd, Hexamethylentetramin, Formalin etc.
Verfasser schildert nun eingehend die Veränderungen, welche die Milch
durch das bisherige, behufs Erlangung von Keimfreiheit geübte Verfahren er¬
leidet, sucht damit zu beweisen, daß dieses Verfahren ungenügend ist, und be¬
richtet dann ausführlich über seine Untersuchungen bezüglich der Wirksamkeit
des in letzter Zeit mehrfach verwendeten Wasserstoffsuperoxyds auf die Milch.
Auf Grund seiner zahlreichen Versuche kommt er zu dem Schlüsse,
daß eine Schädigung der Gesundheit durch Zusatz von Wasserstoffsuperoxyd,
welches in der Milch bekanntlich in die für den menschlichen Körper völlig
indifferenten Stoffe Wasser und Sauerstoff gespalten wird, nicht zu befürchten
ist, daß ferner die mit diesem Mittel versetzte Milch, abgesehen von der An¬
wendung als Kinderernährung, eine Frage, die praktisch noch näher zu prüfen
ist, gut im Felde zur Versorgung von Heer und Marine, sowie zur Verwendung
in den Tropen sich eignet.
Bei Anwendung des Wasserstoffsuperoxyds in der Praxis ist hauptsäch¬
lich zu beachten, daß dieses Mittel sofort nach dem Melken zngesetzt wird,
ehe eine Vermehrung der Keime stattlinden kann. Um eine Verdünnung der
Milch dabei zu verhüten, kann man eine 30proz. Lösung verwenden. Es muß
ferner eine möglichst keimfreie Milch entnähme erstrebt werden durch jedes¬
malige Reinigung der Euter, durch Waschen der Hände, durch Benutzung
steriler Gefäße etc. Die wenigen etwa vorhandenen Keime und die trotz aller
Vorsichtsmaßregeln später vielleicht in die Milch gelangenden Krankheitserreger
werden dann sicher durch den Wasserstoffsuperoxydzusatz vernichtet werden.
Dr. Waibei-Kempten.
Wie hat sieh die Gesundheitspolizei gegenüber dem Verkauf pasteu¬
risierter Milch zu stellen! Von Prof. Dr. Oster tag-Berlin. Aerztliche
Sachverständigen-Zeitung; 1905, Nr. 14.
In neuester Zeit wird wieder der Versuch gemacht, Milch, die in der
Gegend der Produktion (Dänemark usw.) pasteurisiert wird, auf weite Ent¬
fernungen (von Dänemark nach Berlin) zum Zwecke des Verkaufs als Voll¬
milch zu versenden.
Ostertag hält es für seine Pflicht, auf die Gefahren hinzuweisen, die
mit dem wilden, unkontrollierten Verkehr pasteurisierter Milch verbunden sein
können. Der Säuglingsskorbut kann bei länger dauernder Verabreichung auf-
treten; nach Flügge kann ferner die in gewöhnlicher Weise sterilisierte
oder pasteurisierte Milch eine sehr gefährliche Giftwirkung enthalten; des¬
halb sollte solche Milch nur verkauft werden unter der Aufschrift: Erhitzte
Milch, nicht keimfrei, muß unter 18° aufbewahrt oder binnen 12 Standen ver¬
braucht werden. Das Pasteurisieren verdeckt drittens nach C. 0. Jensen
Kleinere Mitteilungen and Referate aus Zeitschriften.
647
Zersetzungsvorgänge, die ror dem Pasteurisieren bestanden haben. Viertens
fault pasteurisierte Milch, rohe dagegen nicht. (S. das nachstehende Referat.)
Diese Gefahren rechtfertigen nach Autors Meinung besondere Ma߬
nahmen; bis dahin sind die Konsumenten aufzuklären.
Dr. T r üger-Adelnau.
Biologisches zur Milchpastenristerung. Aus dem chemisch-bakterio¬
logischen Institute Yon Dr. Blumenthal in Moskau. Von Alexander
Hippius. Jahrbuch für Kinderheilkunde; 1905, Bd. 11, H. 2.
Durch die Pasteurisierung werden alle in der Milch vorhandenen patho¬
genen Keime unschädlich gemacht. Die neuerdings von R u f f m a n n erhobenen
Einwände, daß die Gefahr einer tuberkulösen Infektion bestehen bleibt, sind
zurttckzuweisen, weil sie durch eine fehlerhafte Versuchsanordnung be¬
gründet wird.
Da auch die chemischen Eigenschaften der Milch bei der Pasteuri¬
sierung fast ganz unverändert bleiben, würde dieses Verfahren allen Ansprüchen
genügen, wenn auch fernerhin noch die biologischen Eigenschaften der
Milch bei |dcr Pasteurisierung unverändert bleiben würden. Verf. unterzog
alle biologischen Eigenschaften der Milch gegenüber einer Dauerpasteurisation
bei 60—65 C. während '/*—1 Stunde und gegenüber der kurzdauereden kon¬
tinuierlichen Pasteurisierung bei 80 C. und darüber einer eingehenden experi¬
mentellen Nachuntersuchung. Die wesentlichen Resultate waren folgende:
1. Die Fähigkeit der Milch, ein spezifisches Laktoserum zu bilden, bleibt
beim Erhitzen erhalten. Sie wird auch durch Kochen nicht vernichtet.
2. Die bakterizide Kraft der rohen Milch (gegen B. coli und den Bact.
prodigiosus) bleibt nach anhaltendem Erwärmen auf 60—65 C. noch recht be¬
trächtlich. Sie läßt sich auch nach kurzdauernder Erhitzung auf 85 C. noch
nachweisen. In der gekochten Milch ist keine Spur von bakterizider Wirkung
mehr vorhanden.
3. Das oxydierende Ferment der Kuhmilch wird bei kurzdauernder
Erhitzung der Milch auf 76 C. zerstört. Es erhält sich ungeschwächt bei der
Pasteurisierung der Milch bei 60—65 C. und zeigt sogar eine besonders starke
Farbenreaktion, wenn diese Pasteurisierung stundenlang fortgesetzt wird.
4. Das fettspaltende Ferment verträgt eine Pasteurisierung der Milch
zwischen 60—61 C.; durch die Erwärmung der Milch auf 64 C. wird es un¬
wirksam.
5. Die proteolytischen Fermente sind in pasteurisierter Milch ebenso wie
in der rohen wirksam und werden erst durch Kochen zerstört.
Demnach bleiben die wichtigsten biologischen Eigenschaften der Roh-
milch auch bei der regelrecht pasteurisierten Kindermilch mehr oder weniger
ungeschwächt erhalten. Eine pasteurisierte Milch stellt somit eine fast ganz
unveränderte Rohmilch dar, die jedoch den Vorteil der Haltbarkeit und der
üngefährlichkeit hat. Dr. D o h r n - Cassel.
Eine neue Methode zur Prüfung des Trinkwassers auf Ammoniak?
Bemerkung zum Referat in Nr. 14 dieser Zeitschrift, S. 466. Von Kreisarzt
Dr. Rathmann in Greifenhagen.
Angeregt durch oben näher bezeichnetcs Referat (Ref. Dr. Mayer
Simmern) über eine neue Methode, Ammoniak in Trinkwasser nachzuweisen,
habe ich die Reaktion sofort selbst versucht. Trotzdem ich mich genau an
die Vorschrift gehalten, gelang cs mir nicht die Reaktion in der gewünschten
Weise zu erhalten. Es resultierte eigentlich stets das Gegenteil.
Es war dort folgendes angegeben: In ein Reagcnsglas giebt man 20 ccm
des zu untersuchenden Wassers, 3 Tropfen einer 10’/ c Jodkalilösung, 2 Tropfen
einer konzentierten Eau de Javellelösung. Nach dem Referat tritt bei An¬
wesenheit von Ammoniak Braunfärbung durch Bildung von Jodstickstoff auf.
— Ich habe die Reaktion nun viele Mal probiert, selbst mit destilliertem Wasser
und stets trat die Braunfärbung ein. Ich habe mit einem Chemiker, da wir
glaubten, daß das Mißlingen auf schlechten Reagentien beruhte, sämmtliche
Reagentien frisch bereitet und festgestellt, daß das destillierte Wasser ein¬
wandfrei war. Trotzdem trat immer wieder die Braun- resp. Gelbfärbung ein,
wenn man die Reaktion anstellte. Die Gelbfärbung verschwand erst dann,
648
Kleinere Mitteilungen and Referate aus Zeitschriften.
wenn man ammoniakhaltige Flüssigkeit zugoß und zwar um so schneller, je
größer die Verdünnung des Ammoniak war! Es tritt also das absolute Gegen¬
teil von dem, was man erwarten mußte, ein.
Vielleicht liegt der Fehler in der Herstellung des Eau de javelle, denn
theoretisch muß das Jod herausfallen, wenn chlorhaltige Flüssigkeit zu reiner
Jodlösung tritt. Es ist auch schwer klarzustellen, welches Eau de javelle
gemeint ist. Verlangt man in einer Apotheke Eau de javelle, so erhält man
Liq. Natr. hypochlorosi. Nach einigen Büchern (z. B. Hager) ist das aber nicht
Eau de javelle, sondern Liqueur de Labarraque, während die echte Javelle’sche
Lauge Liq. Kalii hypochlorosi ist. Es ist dies aber ein erheblicher Unterschied,
weil im letzteren noch Acid. hydrochl. pur. enthalten ist. — Andere Bücher (z. B*
Dieterich) kennen den Unterschied garnicht, sie nennen Liq. Natr. hypochlorosi
die Javellesche Lauge. Ich habe mit beiden Lösungen die Reaktion versucht
und stets dasselbe unbefriedigende Resultat erhalten. — Möglich wäre nun
noch, daß die französische Chemie noch ein drittes Eau de javelle kennt. Die
wichtige Frage, ob wir tatsächlich in der obigen Reaktion ein Mittel haben,
Ammoniak in Trinkwasser nachzuweisen, rechtfertigt gewiß eine weitere Er¬
örterung.
Erwiderung von Kreiswundarzt z. D. Dr. M a y e r - Simmern.
Zu den vorstehenden Ausführungen des Herrn Kreisarztes Dr. Rath¬
mann, die mir vom Herausgeber der Zeitschrift zur Aeusserung vorgelegt
sind, gestatte ich mir zunächst, die einschlägigen Stellen der Originalarbeit
von A. Trillat und Turchet im französischen Texte hierher zu setzen:
„Le nouveau procSdö, que nous employons pour d6celer l’ammoniaque,
est base sur la remarquable propriöte, que possede Piodure d’azote naissant de
communiquer ä Peau une coloration noire intense, dont la visibilitfe est encore
appröciable ä une dose de 1:600000 d’aminoniaque.
On ne peut r6ussir ä former Piodure d’azote en mettant en contact
directement de Piode ou de Piodure de potassium avec des traces d’ammoniaque.
Par contre, si l’on provoque la formation intermSdiaire du chlorure d’iode, la
räaction ä lieu instantanäment en prßsence d’une petite qualitö d’alcali, d’apr&s
la formule suivante:
3 Cli + Az H 8 + 3 Na OH = 3 Na CI + AzJ s + 3 H f O.
La mise en oeuvre de cette analyse est extremement simple. II suffit
d’additionner Peau ä analyser d’une solution d’iodure de potassium et d’y ajouter
quelques gouttes d’une solution etendue d’hypochlorite alcalin.
La möthode colorimetrique pourra permettre d’en evaluer l’ammoniaque
en pr6sence des substances, qui les accompagnent (sc. dans la salive humaine,
Purine, le suc gastrique, les jus de viande) avec bien entendu les avant&ges
et inconvßnients inhSrents ä tous les procedes colorimetriques.
En attendant de donner le meilleur mode opäratoire pour ces cas parti-
culiers, nous avons appliquö specialement notre ra6thode ä caractßriscr la puretä
d’une eau potable. Dans un tube ä essais, on met 20 centim&tres cubes d'eau
ä analyser, on ajoute 3 gouttes d’une solution d’iodure de potassium ä 10 p.
100 et 2 gouttes d’une solution concentröe d’un hypochlorite alcalin. (Nous
employons Peau de Javel du commerce). La coloration brune d’iodure d’azote
se produit immßdiatement*).
II faut 6viter un excös de röactif qui dissoudrait rapidement Piodure
d’azote ....
In dem Referate hatte ich demnach den wesentlichen Inhalt des Original¬
artikels wiedergegeben, nur hatte ich nicht erwähnt, daß in zweifelhaften Fällen
zur Auflösung des Jods die Flüssigkeit mit Chloroform zu schütteln ist.
Ich habe nun gemeinsam mit Herrn Apotheker Kirchmayer-
Simmern die Reaktion nachgeprüft und bisher nur negative Resultate erhalten.
Da, wie Herr Kreisarzt Dr. Rath mann mit Recht angibt, die Eau de Javelle
der Apotheken chlorhaltig ist, so entsteht zunächst bei Mischung der vorge¬
schriebenen Reagentien eine auf freies Jod zu beziehende Gelbfärbung.
Nimmt man nun das Jod durch Chloroform auf, so wird dieses blauviolett; die
*) La coloration de Piode mis en libertö ne peut etre confondue avec
celle de Piodure d’azote; on peut dans les cas douteux agiter le liquide contenu
dans le tube avec 2 centimötres cubes de chloroforme qui dissout Piode.
Besprechungen.
649
Gelbfärbung verschwindet völlig aber erst bei Zusatz reichlicher ammoniak¬
haltiger Flüssigkeit.
Prüft man nun ein Wasser, dem man kleine Mengen nicht von Ammoniak,
sondern von Ammoniumsalzen zugesetzt hat, mit Jodkali und Eau de Javelle,
so tritt Gelbfärbung ein. Setzt man 2 ccm Chloroform zu, so färbt sich diese
blauviolett. Die obenstehende Flüssigkeit aber bleibt gelb.
Verwendet man mit Quecksilber geschüttelten Liq. Natrii chlorati, so ist
die Beaktion noch eindeutiger, da destilliertes Wasser hell bleibt, Ammonium¬
salzhaltiges Wasser sich aber tatsächlich braungelb färbt und diese Farbe
behält nach Zusatz von Chloroform.
Sollte es mir gelingen, ein reines alkalisches unterchlorsaures Salz
zu erhalten, und sollte dieses zu positiven Ergebnissen führen, so würde ich
dieselben an dieser Stelle mitteilen.
Vielleicht hat die Darstellung des Herrn Kollegen Bathmann und die
Wiedergabe der Hauptpunkte des Originalartikcls die Wirkung, daß auch
Chemiker von Fach bei Lösung der Frage mitarbeiten.
Nachtrag: Von Merk beschaffter Liq. Natrii chlorati stellt unter¬
chlorigsaures Natron in großer Reinheit dar. Mit demselben geben Ammonium¬
salze in starker Verdünnung eine schöne Gelbfärbung; Ammoniak selbst in
Lösung gibt mit diesem Liq. Natrii chlorati und Jodkalilösung keine Färbung.
Mag nun die Beaktion mit diesem Liquor für Ammonsalze auch
wertvoll sein, so steht sie derjenigen mit dem Neßlerschen Reagens schon
aus dem Grunde nach, weil sie für Ammoniak selbst nicht gilt.
Besprechungen.
B. Heys, Anstaltsgeistlicher bei der l J rov.-lrrenanstalt in Münster: Ueber
Beeeeeenheltswahn bei geistigen Erkrankungszuständen. Pader¬
born 1904. Verlag von F. Schön in gh. 12 o; 147 8. Preis: 1 M.
Was der Verfasser, Anstaltsgeistlicher an der Irrenheilanstalt Marien¬
thal-Münster über die einzelnen Formen geistiger Störungen, teils auf Grund
einer sehr erfreulichen Kenntnis der psychiatrischen Literatur, teils auf Grund
eigener vorurteilsfreier Beobachtung mittcilt, ist so zutreffend und klar, daß
auch der Irrenarzt kaum viel daran aussetzen kann. Seine Forderungen und
Vorschläge für die seelsorgerische Praxis bei Geisteskranken, der das vortreff¬
liche Werk in erster Linie gewidmet ist, werden auch den Arzt in hohem Grade
interessieren müssen; sie sind so gut dem Krankheitszustande bei den einzelnen
Psychosen angepaßt, daß sie kaum ärztlichen Widerspruch erfahren dürften.
Im übrigen erweist sich der Verfasser bei Besprechung zahlreicher Fälle von
angeblicher Besessenheit als ein recht kritischer Beurteiler, der sich in langer
Anstaltspraxis die ärztlichen Erfahrungen in weitem Maße zu eigen gemacht
hat. H.s Buch, dem gerade in seinem speziellen Leserkreise die weiteste Ver¬
breitung zu wünschen ist, erscheint besonders geeignet, mancherlei Vorurteile,
die gegen Irrenanstalten und Aerzte vielfach noch bestehen, beseitigen und
bekämpfen zu helfen. Dr. Pollitz-Münster.
Helen Bradford Thompson, Direktor des pathologischen Laboratoriums
des John Hopking College: Vergleichende Psychologie der Ge¬
schlechter. Experimentelle Untersuchungen der normalen Geistesfähig¬
keiten bei Mann und Weib. Autorisierte Uebersetzung von J. E. K Ötscher.
Würzburg 1905. Stübers Verlag. Kl. 8°; 198 S. Preis: 3,50 M.
Auf die interessanten Untersuchungen des Verfassers, die er an männ¬
lichen und weiblichen Studenten teils experimentell, teils durch Fragebogen
angestellt hat, kann hier nicht tiefer ein gegangen werden. Das Ergebnis ist
auffallend genug. Verfasser fand an seinem Materiale, das im Bildungsgänge ziem¬
lich gleichwertig war, daß nur ein sehr geringer Unterschied in der psychischen
Organisation beider Geschlechter besteht. Wenn ein solcher tatsächlich viel¬
fach hervortritt, ist er das Produkt von von Jugend auf traditionell ein wirkender
Einflüsse auf die beiden Geschlechter. Je weniger derartige Einflüsse in Zu¬
kunft fortwirken werden, um so geringer werden die psychologischen Geschlechts¬
unterschiede hervortreten. In dem umfangreichen bibliographischen Verzeichnis
650
Besprechungen.
vermißt man die für das vorliegende Thema so interessante Abhandlung von
Moobins über den physiologischen Schwachsinn des Weibes.
Dr. Pollitz-Münster.
Dr. F. O. R. Eaohle, Direktor der Kreispflegeanstalt Sinsheim: Die krank¬
hafte Willensschwäche nnd die Aufgaben der erziehlichen
Therapie. Berlin 1904. Verlag von Fischers med. Buchhandlung; 8°;
144 S. Preis: 4 Mark.
Man kann das vorliegende Bach als einen Versuch betrachten, die Lehren
0. Bosenbachs, denen der Verf. mit warmer Begeisterung anhängt, einem
größeren ärztlichen Pablikum bekannt zu machen unter gleichzeitiger Nutz¬
anwendung für die Praxis. Bosenbachs Lehren der „Energeto-Pathologie“,
d. h. psychologische Erscheinungen durch eine Energie - Physiologie zu er¬
klären, können hier nicht mit wenigen Worten dargestellt werden. Der Verf.
baut auf dieser Theorie eine neue Lehre der Geistes- und Nervenkrankheiten
auf, indem er von B.s Definition ausgeht, daß als „krankhaft zu bezeichnen
ist, was direkt oder dureh seine Dauer den Zwecken des Organismus, d. h.
der Erhaltung seines Einflusses auf die Außenwelt widerstreitet.“ Damit
ergibt sich für psychische Störungen als Ausgangspunkt aller Beurteilung die
Handlungsfähigkeit des Individuums und deren Störungen. Verf. unterscheidet
demnach mit Bosenbach verschiedene Formen der „abulischen Insuffizienz“.
Diese zerfällt in drei Hauptgruppen: Die defektive Insuffizienz als Folge oiner
Störung der psychischen Harmonie durch Ausfall seelischer Elemente, die
psychomotorische Insuffizienz charakterisiert durch Störungen im Ineinander¬
greifen des psychomotorischen Apparates, schließlich die motorische Insuffizienz
als Ergebnis mangelhafter Fortleitung motorischer Impulse oder Störung der
motorischen Sphäre selbst. Die erste dieser 3 Gruppen zerfällt wiederum in
destruktive, affektive und originär - affektative. Dahin gehören mancherlei
Störungen, die wir uns gewöhnt haben, wesentlich anders zu klassifizieren,
z. B. sind „destruktive Insuffizienz“-Psychosen die Paralyse, Dementia senilis,
sekundäre Demenz, Melancholie, Manie, Stupidität, akute halluzinatorische
Paranonia, Dementia epileptica und alcoholica. Der Leser wird merken, daß
hier mancherlei leise Berührungspunkte mit der Einteilung Ziehens bestehen,
dessen Lehrbuch neben Weygandts Grundriß als einziges Lehrbuch der
Psychiatrie unter 45 Literaturaugaben genannt wird. Der zweite größere Teil
des Buches behandelt die Therapie dieser „Willensstörungen“; dieser Abschnitt
wird auch bei denen volle Anerkennung finden, die sich nicht mit den theore¬
tischen Ausführungen des ersten Teiles befreunden können nnd die Einführung
neuer Namen für längst Bekanntes nicht als Fortschritt anzusehen geneigt sind.
Dr. Pollitz-Münster.
Profi Dr. A. Eulenburg : Die Hysterie des Kindes. (Moderne ärzt¬
liche Bibliothek.) Berlin 1905. Heft 17; 87 Seiten. Preis: 1 Mark.
Das in den Lehrbüchern meist nur wenig berücksichtigte Kapitel der
Kinderhysterie findet hier aus der Feder eines erfahrenen Beobachters eine
kurze, aber sehr lehrreiche Darstellung, die nicht nur dem Gerichtsarzte,
sondern besonders Schulärzten von Wert sein dürfte. E. lehnt bei der Ab¬
grenzung des Begriffs Hysterie jede Erklärung ab, in der die Krankheit auf
Störungen in den Generationsorganen zurückgeführt wird. Er definiert die
Krankheit als eine Kombination von Psychoneurose mit hochgradiger In-
pressionabilität, Konvulsibilität und abulischcr Insuffizienz. Die Krankheit
wird bei Knaben und Mädchen in gleicherweise beobachtet, die ersten Symp¬
tome vereinzelt schon im dritten und vierten Lebensjahre. Diese letzteren
teilt Verf. ein in Anfalls- und Intervallär - Symptome. Hierher sind die
zahlreichen Bewcgungs-, Empfindungs-, Ernährungs- und psychische Störungen
zu rechnen. Hysterische Anfälle sind kein regelmäßiges Symptom der Krank¬
heit, ebensowenig wie die nicht seltenen hysterischen, mit den Anfällen meist
verbundenen, Dämmerzustände. Bei der Diagnose ist noch mehr als bei der
Beurteilung Erwachsener die Manigfaltigkeit der körperlichen Krankheitsbilder
der Hysterie, die leicht schwere Gehirn- und Bücken marksleiden vortäuscht,
besonders zu beachten. Weniger leicht scheint dem Bef. eine Verwechselung
mit den vom Verfasser erwähnten Psychosen, wie Manie, Paranoia, Katatonie,
Besprechungen.
651
Dementia praecox za sein, da diese Störungen meist erst nach oder in der
Pubertät, nicht im Elindesalter nufzntreten pflegen. Sehr wichtig ist der Ein*
-weis, die Aussagen hysterischer Kinder auf ihre Glaubwürdigkeit in foro
genauestens zu prüfen, besonders bei angeblichen Sittlichkeitsdelikten. Kinder
mit schweren hysterischen Krampfzuständen will E. aus der Schule aus¬
geschlossen wissen, während solche mit auffälligen hysterischen Symptomen
bis zur Heilung dieser dem Schulbesuche fern bleiben sollten.
Dr. Pollitz-Münster.
A. C&lmette et X. Breton: I/Ankylostomle. Maladie sociale —
Anämie der Mineurs —. Paris 1905. Editeur: Masson et Cie.
Bas ziemlich umfangreiche Werk, mit zahlreichen Abbildungen, bringt
zunächst an der Hand der Literatur, die Entwickelungsgeschichte und die
geographische Verbreitung der Ancbylostomi&sis, sodann die Naturgeschichte
des Parasiten, die Diagnose der Krankheit, ihre Behandlungsweise und schließlich
die Prophylaxis der Seuche, sowie sonstige in hygienischer Beziehung belang¬
reiche Maßnahmen.
Wenn auch neue Gesichtspunkte von Bedeutung nicht hervortreten, so
verdienen doch manche Darstellungen, insbesondere die Abhandlung über die
Differentialdiagnose mittelst guter Zeichnungen der verschiedenartigen Eier der
Darmparasiten der vollen Anerkennung; es kann deshalb schon aus diesem Grunde
die Lektüre des Werkes empfohlen werden.
Von besonderem Interesse für uns sind die in Belgien und Frankreich,
nach dem Vorschläge von Malvoz in Lüttich, eingeführten Dispensaires
d’Hyg iene sociale. In diesen Anstalten werden die Bergleute, und selbst¬
verständlich auch Leute anderer Borufsarten, sofern auch sie wurmverdächtig
sind, mittelst der mikroskopischen Kotproben-Durchmusterung auf die Warmeier
untersucht und event. sofort der Abtreibungskur unterzogen. Die Dispensaires
unterscheiden sich von unseren sogenannten Wurmbaracken dadurch, daß die
Behandlung dort keine stationäre, sondern eine ambulante ist.
Leider sind mehrere, unsere Einrichtungen im rheinisch - westfälischen
Kohlenreviere betreffenden Darstellungen nicht ganz richtig ausgefallen. So
sind z. B. die auf S. 17 gebrachten, meiner Broschüre: „Die Untersuchung
auf Anchylostomiasis, 1904, 7. Aufl., Verlag von W. Stumpf in Bochum“, ent¬
nommenen Zeichnungen an und für sich zwar richtig nachgebildet, aber anstatt
auch meine der Tafel mit den Figuren beigegebene Erklärung mit abzu¬
drucken, haben die Herren Verfasser eine andere, jedoch mehrfach unrichtige
Erklärung unter die Zeichnungen gesetzt. Die Fig. 3, 3a und 3b sind von
ihnen als Anchylostomenlarven bezeichnet, während sie in der Tat Würmer,
nämlich die ein freies Geschlechtsleben führende Bhabditis terricola (Ascaris
nigrovenosa) darstellen. Die Fig. 7 und 8 zeigen keine Larven im 4. Stadium,
wie Verfasser annehmen, sondern eine junge Larve der Bhabditis stercoralis
und eine junge Larve der Anguillula intestinalis. Endlich stellt die Figur 9
nicht die Mundkapsel der Larve — capsule buccale de la larve au 4 stade —,
sondern den Kopf nebst Mundkapsel des geschlechtsreifen Anchylostomum-
Wurms dar.
Einzelne andere minder wichtige Unrichtigkeiten sind zu übergehen;
bemerkt sei jedoch noch, daß unsere Knappschaftsärzte nicht, wie es auf S. 92
heißt, einen obligatorischen Ausbildungskursus im bakteriologischen Institut zu
Gelsenkirchen durchgemacht haben, sondern, wenn vielleicht auch nicht sämtlich,
so doch mit ganz vereinzelter Ausnahme, in der unter meiner Leitung stehen¬
den klinischen Abteilung für Wurmkranke im hiesigen Elisabeth - Hospital,
resp. in dem daselbst auf Kosten des Allg. Knappschafts-Vereins eingerichteten
Laboratorium ausgebildet sind und noch aasgebildet werden.
Dr. Tenholt-Bochum.
Flugschriften der Deutsohen Gesellschaft zur Bekämpfung: der
Geschlechtskrankheiten. Dr. O&rl Alexander -Breslau. Leipzig 1904.
Verlag von Ambr. Barth. Heft I: Geschlechtskrankheiten and Kur¬
pfuscherei. 24 S. Preis: 0,30 M.
Der bekannte Bekämpfer der Kurpfuscherei zeigt aufs Klarste, wie
gerade auf diesem Gebiete die Schäden ganz unberechenbar sind, zumal einer¬
seits die Zahl derer, die sich auf Gnade und Ungnade den Kurpfuschern er-
652
Besprechungen.
gibt, eine erschreckend große ist, and anderseits der Einzelne nicht nor sich
schädigt, sondern auch durch Hintanhaltung der zweckmäßigen Behandlung
eine Gefahr für seine Mitmenschen wird.
Dr. Outmann- Berlin, Augenarzt: Heft 2. Bedeutung der Geschlechts¬
krankheiten für die Hygiene des Auges. 16 S. Preis: 0,20 M.
Die dem Arzte bekannten Folgen für das Auge werden hier zusammen*
gefaßt und auch dem Laien verständlich dargestellt.
Dr. Felix Blook - Hannover: 8. Haft. Wie achütsen vir uns vor den
Geschlesohtskrankheiten und deren ttblen Folgen? 32 S. Preis:
0,30 M.
Der Vortrag ist im Hannoverschen Arbeiterverein gehalten und zeigt
Verfasser, wie man durch Aufklärung und Warnung auf die männliche Jagend
einwirken soll, sowohl um sie von der Krankheit fernzuhalten, als auch, um
die Erkrankten vor weiteren Folgen zu bewahren.
Profi Dr. Carl Ropp : Heft 4. Das Geschlechtliche in der Jugend¬
erziehung. Preis: 0,30 M.
Der Vortrag wurde in der öffentlichen Sitzung der Ortsgruppe Münster
gehalten und zeigt besonders den Eltern und Erziehern, daß und wie man
die Kinder, auch Mädchen, in zweckmäßiger Weise aufklären und warnen kann.
Dr. Blokusewski-Niederbreisig a. Bh.
J. R. Proksoh- Wien: Beiträge zur Geschichte der Syphilis. Bonn
1904. Verlag von B. Haustein. Kl. 8°; 54 S. 1,50 M.
Unter Besprechung verschiedener Syphilis-Endemien vertritt Verf. seine
frühere Ansicht, daß die Syphilis nicht erst Ende des 15. Jahrhunderts von
Amerika eingeschleppt sei. Seinen früheren Beweisen fügt er nichts Wesent¬
liches hinzu; sein Hauptgegner Iwan Bloch wird nirgends erwähnt. Jeden¬
falls wird die Frage dadurch nicht weiter geklärt.
Dr. Blokusewski-Niederbreisig a. Bh.
Dr. Wilhelm Hammer -Berlin: Die gesundheitlichen Gefahren ge¬
schlechtlicher Enthaltsamkeit. Leipzig 1904. Verlag von W. Mal¬
ende. Kl. 8°. Preis: 0,80 M.
Die gesundheitlichen Störungen werden bezüglich Geschlechtsorgane,
Nerven, Blut- bezw. Ernährung und Haut erörtert. Die zur Erhärtung solcher
Störungen reproduzierten 2 Cr an ach sehen Originale: Luther ledig und
verheiratet darstellend, lassen auch andere Erklärungen zu. Die pekuniären
Berechnungen der freien und der ehelichen Liebe sind sicherlich nicht ein¬
wandsfrei. Dr. Blokusewski-Niederbreisig a. Bh.
Dr. Max Marouze - Berlin: Darf der Arzt zum ausserehellchen
Geschlechtsverkehr raten ? Leipzig 190t. Verlag von W. Malende.
KL 8°; 34 S. Preis: 1,50 M.
Ausgehend von der Annahme, daß einerseits die gesundheitlichen Folgen
der Enthaltsamkeit zwar vielfach überschätzt, aber doch nicht ganz selten
bestehen, anderseits aber genügende Mittel zur erheblichen Herabsetzung der
Gefahren der Infektion und Konzeption vorhanden sind, bejaht Verfasser diese
Frage, und zwar für beide Geschlechter, wenn auch mit gewissen Einschrän¬
kungen. Nach Ansicht des Beferenten ist aber zu bedenken, daß besonders
bezüglich der Konzeption ein einziger Mißerfolg zu schwer wiegende Folgen
hat. Dr. Blokusewski-Niederbreisig a. Bh.
Dr. med. Fritz Jflrzn, erster Assistent des Instituts für Pharmakologie und
physiologische Chemie der Universität Bostock: Beiträge zur Kenntnis
der Wirkungen einiger als Volksabortiva benutzten Pflanzen,
Tanacetuxn, Thuja, Myrlstioa. Mit drei farbigen Tafeln. Nebst einem
Vorwort von Prof. B. Kob er t. Verlag von Ferdinand Enke. Stuttgart
1904. Gr. 8 °, 112 Seiten. Preis: geh. 5 Mark.
Wie alle Arbeiten vonKobert oder solche aus seinem Institut zeichnet
sich auch die vorliegende durch Genauigkeit und Gründlichkeit aus. Im Vor*
Tagesnaehriehten.
658
•Worte weist Eobert darauf hin, daß die genannten Pflanzen vom Volke ge¬
legentlich als Abortiva gebraucht werden, und daß außerdem Thuja eine
verschiedenartige Wirkung auf das Blut ausäbt.
In der Arbeit selbst gibt Verfasser zunächst eine historische Uebersicht
Aber Vorkommen und bisherige therapeutische Verwendung der Pflanzen, über
die bis jetzt bekannt gewordenen Vergiftungsfälle und endlich über Isolierung,
Beindarstellung und Wirkung der wirksamen Substanz. Sodann werden aus¬
führlich die eigenen Versuche geschildert, die da beweisen, daß die Mittel
keine geeigneten Abortiva sind.
Die beigegebenen Tafeln zeigen Schnitte aus der Leber eines an My¬
ristizin-Vergiftung zugrunde gegangenen Kaninchen: Zentralvene ist erweitert;
in der Peripherie jedes Acinus Anden sich Bundzellen und Austritte von roten
Blutkörperchen. Am Bande jedes Läppchens vakuoläre Degeneration und bei
Osmiumbehandlung intensive Schwarzfärbong.
Dr. Hoffmann-Berlin.
Br. H. v. Hölder, Obermedizinalrat a. D.: Pathologische Anatomie der
Gehirnerschütterung beim Menschen. Gegründet auf Leichen¬
öffnungen von 87 Verunglückten, sowie 58 Selbstmördern durch Schüsse in
den Kopf. Verglichen mit den Befunden bei mehreren durch Gehirnkrank¬
heiten aus inneren Ursachen Gestorbenen. Mit 14 Tafeln Abbildungen.
Stuttgart 1904. Verlag von Julius Weise. Gr. 8°, 80 Seiten.
Verfasser schildert die pathologische Anatomie der Gehirnerschütterungen
und gibt seinen Beschreibungen sehr instruktive Abbildungen bei. Im ersten
Teile werden die Erschütterungen durch mechanische Gewalten und im zweiten
Teile die Befunde bei Schußverletzungen des Kopfes (nach Seite 8, 67, nicht
58 wie das Titelblatt besagt) besprochen. Der dritte Teil bringt „allmähliche
Veränderung der kapillären Apoplexien und größerer Blutung bei den einige
Zeit nach der Verletzung Gestorbenen.“
Die Arbeit soll, wie es in der Einleitung heißt, eine Lücke ausfüllen,
die noch vorhanden ist zwischen den Verletzungen der Blutgefäße des Gehirns
aus innerer Ursache und den durch äußere Gewalt bewirkten.
Denen, welche sich speziell für diese Frage interessieren, kann die Lek¬
türe der vorliegenden Arbeit nur empfohlen werden.
* Dr. Hoffmann-Berlin.
Tagesnachrichten.
Die Cholera ist in der letzten Woche zwar immer noch an einzelnen
Orten, darunter auch in Berlin, neu aufgetreten, die Erkrankungsfälle sind aber
dank der getroffenen Maßregeln stets vereinzelt geblieben, ihre Gesamtzahl hat
sich auch verringert. Während nämlich in der Zeit bis zum 30. August 20 Er¬
krankungen mit 12 Todesfällen und in den darauffolgenden zwei Wochen (bis
13. September) 159 bezw. 53 vorkamen, sind in den letzten 14 Tagen (vom
14. —28. September) nur noch 76 bezw. 22 zur amtlichen Kenntnis gelangt.
Die Gesamtzahl beträgt demnach bis jetzt 255 Erkrankungen, von denen 87
tödlich verliefen.
Genickstarre ln Preussen. Für den Monat August sind gemeldet
81 (72) Erkrankungen (Todesfälle) an epidemischer Genickstarre, und zwar in
der Provinz Westpreußen„l (1), Brandenburg 6 (3), Pommern 1, Schlesien 58 (59),
Sachsen 4 (3), Hannover 1 (1), Westfalen 5 (4), Bheinprovinz 5 (1). Von den
81 (72) Erkrankungen (Todesfällen) entflelen 58 (59) auf die Provinz Schlesien,
23 (13) auf die übrigen Teile der Monarchie. Seit dem Beginn der Epidemie
bis zum 31. August kamen in Preußen 3355 Erkrankungen und 1880 Todes¬
fälle an epidemischer Genickstarre zur Anzeige, von denen 3007 (1711) auf die
Provinz Schlesien, 847 (169) auf den übrigen Staat entflelen.
Bei der am 14. —16. September d. J. in Hamburg stattgehabten
10. Internationalen kriminalistischen Vereinigung kam u. a. die Behänd-
654
. Tagesnachrichtan.
lang der vermindert Zarechnungs fähigen zur Verhandlung. Per Referent,
Prof. Pr. v. Liazt-Berlin, hatte die nachfolgenden vier Thesen aufgestellt:
„1. Für die Minderwertigen (mit verminderter Zurechnungsfähigkeit auf
Grund innerer Ursachen) soll der Gesetzgeber, ob sie straffällig geworden sind
oder nicht, wenn sie für sich selbst, für ihre Umgebung oder für die Gesell¬
schaft gefährlich geworden sind, Schutzmaßnahmen (besondere Beaufsichtigung,
Internierung in Sicherangsanstalten u. a. m.) ins Auge fassen.
2. Für die minderwertigen Straffälligen, mögen sie gefährlich sein oder
nicht, soll neben den bestehenden Bestimmungen über die mildernden Umstände
eine besondere, gemilderte Strafe vorgesehen werden.
3. Was a) die geistig minderwertigen Verbrecher anbelangt, so hat das
Strafgericht festzusetzen, ob der Zustand der Gemeingefährlichkeit vorliegt,
und, falls das auf eine geringere Strafe lautende Urteil nicht vollstreckt werden
kann, die vorläufige Verwahrung anzuordnen; dem ordentlichen Zivilrichter
steht es zu, endgültig über die erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen zu ent¬
scheiden ; was b) die nicht verbrecherischen geistig Minderwertigen anlangt, so
ist es imm er Aufgabe des ordentlichen Zivilrichters, zu entscheiden, ob der
Zustand der Gefährlichkeit vorliegt., und sowohl provisorisch, wie endgültig die
erforderlichen Maßnahmen zu treffen.
4. Sache des ordentlichen Zivilrichters ist es ferner, in jedem Falle über
die provisorische oder endgültige Entlassung eines geistig Minderwertigen,
gegen welchen Sicherheitsmaßnahmen getroffen worden sind, zu entscheiden.“
These 1 und 2 wurden nach längerer Erörterung mit der Aenderung am
Schluß der zweiten These: «eine besondere Strafe oder besondere Behandlung“
statt «eine besondere, gemilderte Strafe“ angenommen. Ueber These 3 und 4
fand eine Abstimmung nicht statt.
Pie diesjährige 77. Naturforscherversammlung in Meran vom 25. bis
30. September hat sich eines sehr zahlreichen Besuches erfreut. Als nächst¬
jähriger Versammlungsort wurde Köln gewählt. Wir werden demnächst eine
besonderen Bericht über die die Leser dieser Zeitschrift interessierenden Vor¬
träge und Verhandlungen bringen.
Auch die in Mannheim vom 13. —16. September abgehaltene dies¬
jährige Jahresversammlung des Deutschen Vereins für öffentliche Gesund¬
heitspflege war zahlreich besucht. Ein ausführlicher Bericht darüber folgt in
einer der nächsten Beilagen der Zeitschrift.
Auf der am 23. September d. J. in Mannheim abgehaltenen
25. Jahresversammlung des deutschen Vereins für Armenpflege und Wühl¬
tätigkeit gelangte u. a. auch die Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit
zur Verhandlung. Pie drei Berichterstatter: Brugger, Beigeordneter in
Ouln, Pr. Finkeistein, Oberarzt am Kinderasyl in Berlin und Pr. Marie
Baum, großherzoglich badische Fabrikinspektorin in Karlsruhe, hatten sich auf
folgende Leitsätze geeinigt, die nach eingehender Piskussion zur Annahme
gelangten:
«Es ist Pflicht des Staates wie der Gemeinden, der in Peutschland be¬
stehenden übergroßen Säuglingssterblichkeit auf das nachdrücklichste entgegen-
zutreten. Insoweit an dem Absterben der Kinder im ersten Lebensjahre die un¬
günstige wirtschaftliche Lage des vorwiegend davon betroffenen Volksteils die
Schuld trägt, ist auf deren Besserung nach Kräften hinzuwirken.
Unbeschadet der hierauf gerichteten Bestrebungen müssen an positiven
Maßnahmen schon heute gefordert werden:
a. Pie entschiedenste Förderung der Brusternährung der Säuglinge, die
als die vornehmste Pflicht jeder Matter bezeichnet werden muß. Soweit wirt¬
schaftliche Verhältnisse, Zwang zur Erwerbstätigkeit, dem Selbststillen hinder¬
lich sind, haben die Gemeinden im Zusammenwirken mit den Faktoren der
Wohlfahrtspflege und Wohltätigkeit durch Gewährung materieller Unterstützung
zur Förderung des Selbststillens helfend mitzuwirken.
Tagesnachrichten.
;655
b. Verbreitung der Grundsätze einer vernunftgemäßen Säuglingshygiene.
Im Rahmen dieser Aufgabe ist die prophylaktisch beratende Tätigkeit der
.Aerzte weitesten Volkskreisen zugänglich zu machen.
c. Da die künstliche Ernährung vieler Säuglinge aus verschiedensten
Gründen nicht zu umgehen sein wird, haben die Gemeinden die Aufgabe, den
weniger bemittelten Volkskreisen den Bezug einer einwandfreien, billigen
Säuglingsmilch zu ermöglichen. An armenrechtlich hilfsbedürftige Personen
ist solche Milch als neue Form der Naturalunterstützung abzugeben. Es ist
•dabei fortgesetzt die Vorstellung zu bekämpfen, daß es für Muttermilch einen
vollwertigen Ersatz gibt.
d. Beaufsichtigung der unehelichen und der in fremder Pflege befind¬
lichen ehelichen Säuglinge durch sachkundige Aerzte unter Mitwirkung weib¬
licher Helferinnen, die ausreichende Kenntnisse bezüglich der Ernährung und
Pflege des Säuglings besitzen.
Neben diesen Maßnahmen empfiehlt sich:
1. Die weitere Ausdehnung der gesetzlichen Fürsorge auf alle in Handel,
Gewerbe, Haus- und Landwirtschaft tätigen Schwangeren und Wöchnerinnen
durch allgemeine Einführung einer angemessenen Ruhezeit vor und nach der
Entbindung unter gleichzeitiger Gewährleistung einer ausreichenden Unter¬
stützung.
2. Die Sorge für Wöchnerinnen durch Ausbreitung der Haus- und
Wochenbettpflege, sowie Unterstützung der Anstalten, welche unterkunftslosen
Müttern für längere Zeit das Zusammenleben mit ihrem Kinde ermöglichen.
8. Errichtung oder wenigstens materielle Unterstützung von Säuglings¬
heimen, Krippen und Säuglingshospitälern bezw. Säuglingsabteilangen bei
Krankenhäusern unter sachverständiger Leitung.
Die der Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit dienenden Maßnahmen
sollen nicht den Charakter der Armenhilfe tragen. Die erforderlichen Mittel
sind deshalb aus Stiftungsmitteln oder aus hierzu besonders bcreitgestellten
Fonds zu entnehmen."
Ueber Gesundheit» - Attaches bringt die Magdeburger Zeitung
Tom 29. Juli d. J. folgende beachtenswerte Ausführungen von Kreisarzt
Dr. Berger in Hannover:
„Auf allen Gebieten schreitet die Menschheit mit Riesenschritten vorwärts,
nicht zum wenigsten auf dem Gebiete des Gesundheitswesens und der Gesund¬
heitspflege. Zahlreiche Zeitschriften in den verschiedenen Ländern sorgen dafür,
daß die Fortschritte dieser Wissenschaft in dem einen Lande schnell auch
anderen Ländern zugänglich gemacht werden zum Heile der Menschheit, und
auf den Errungenschaften des einen Landes baut das andere Land weiter, da
gibt cs keine nationalen Grenzen, Hygieniker sind Kosmopoliten. Daß aber
die wissenschaftlichen Zeitschriften nicht genügen, wenn man sich ein Bild von
dem Gesundheitswesen eines Volkes verschaffen will, braucht nicht erst erwiesen
zu werden, kein Buch kann so ausführlich sein, keine Zeitschrift kann den
Stoff in jahrhundertelanger Arbeit erschöpfen; denn ganz abgesehen von der
Menge des Stoffes sind die Fortschritte tägliche, oft unmerkliche, oft erst in
ihren Folgeerscheinungen erkennbare.
Das hat unser erhabene Kaiser erkannt und bahnte darum den Austausch
von Gelehrten mit den Vereinigten Staaten an. Lebendige Anschauung und
lebendiges Wort arbeiten sicherer und schneller als Bücher; in diesen ist alles
gewissermaßen zu sehr fixiert, während durch jene der lebendige Strom des
Lebens pulsiert. Was liegt näher als den Botschaften Sachverständige beizu¬
geben, welche die Gesundheitsverhältnisse der betreffenden Länder zu studieren
haben? In den Vereinigten Staaten von Nordamerika habe ich soviel Inter-
essantes, Neues, für uns Verwertbares gesehen, daß ein Gesundheit» -Attachö
in den Staaten von großem Nutzen für unser deutsches Vaterland sein würde,
•ebenso ist es mit England und Frankreich und anderen Staaten.
Wenn man die Gesundheit für das größte Gut hält, so ist es eigentlich
selbstverständlich, daß solche Gesundheits-Attaches angestellt werden, ist doch
die Gesundheit das Grundkapital und alle anderen Werte sind nur die Zinsen
dieses Kapitals.
Dem Gedanken, daß die wirtschaftlichen und gesundheitlichen Ein-
666
Tagesnachrichten.
rieh tan gen anderer voranstrebender Nationen zum eigenen Nutzen eingehend
studiert werden müssen, verschließt sich ja heute niemand mehr. Und man ist
auch zu der Ueberzeugung gekommen, daß das nur an Ort und Stelle ge¬
schehen kann durch entsprechende Sachverständige. Den Botschaften werden
bestimmte Sachverständige beigegeben, aber bisher nicht auf gesundheitlichem
Gebiete. Medizinische Sachverständige werden zum Studium in fremde Länder
geschickt. Das reicht nicht aus, auf gesundheitlichem Gebiete noch weniger
als auf anderem. Und diese Beisen und Besichtigungen durch Kommissionen
sind bis jetzt die Begel. Boosevelt hat zum Studium der kommerziellen
Verhältnisse Abgeordnete ernannt, welche als Privatleute reisen sollen; das
letztere ist wichtig, sonst bekommen solche Kommissionen große Sachen zu
sehen, und, da die Ausbeute eine möglichst ergiebige sein soll, so viele, daß
ihnen der Einblick in das Wie und Warum verborgen bleibt, wenigstens zum
großen Teil, ins Innere der Natur kann man so nicht dringen. Ob das dem
englischen Ausschuß zum Studium der deutschen Städteeinrichtungen gelingen
wird, bleibt abzuwarten. Mit Studien-Kommissionen ist ein bedeutender Schritt
vorwärts geschehen, der nächstfolgende ist die Beigabe entsprechender Sach¬
verständiger an die Botschafter. In der „Daily News“ äußerte sich kürzlich
ein Mitglied jenes englischen Ausschusses, Sir Thomas Pile, über deutsche
Wohlfahrtseinrichtungcn; da findet sich manches Bichtige, aber auch manches
Unrichtige, so, daß jede größere deutsche Stadt neben ihrer technischen Schule
auch eine technische Universität hat. Wie glücklich wären wir, wenn wir den
von dem Berichterstatter gemeldeten Badezwang für Schulkinder hätten;
wenn jedes Kind in Berlin, ob es rein oder schmutzig ist, zweimal in
der Woche ein Bad nehmen muß, so wollen wir nur wünschen, daß nicht nur
Berlin dieser Fortschritt Vorbehalten bleibt. Das ist die Folge solcher Beisen
im großen Stile, die ganz gewiß, auch international, nicht zu unterschätzen
sind; doch es entstehen leicht schiefe Bilder der Verhältnisse, über die ebenso
summarisch berichtet wird wie über die großartigen Aufnahmen und die
Festmähler.
Von dem Beichstagsabgeordneten Paasche war kürzlich zu hören, er
wolle eine Informationsreise in unsere Kolonien machen, um einen Einblick in
die tatsächlichen Verhältnisse zu bekommen. Solche Beisen sind zu kurz ; soll
das Studium fremdländischer Verhältnisse wirklich Nutzen schaffen, so müssen
Nachforschungen angestellt, Erkundigungen eingezogen, Gründe abgewogen
werden, und der Beschauer muß dem Geschauten ruhig und kritisch gegenüber,
sonst ist leicht die Folge die, daß nachher allerlei Bückfragen notwendig
werden, die dann wieder der praktischen Anschauung ermangeln; das sieht
man ja so oft.
Das Ziel wird erreicht durch Sachverständige bei den Botschaften in
den fremden Ländern, die Zeit haben, die Verhältnisse genau zu studieren und
kritisch zu betrachten. Solche Sachverständige sind eine Forderung unserer
Zeit, und besonders auf gesundheitlichem Gebiete dürften solche Attaches
dringend wünschenswert sein; gesundheitliche Fragen werden allerorts lebhaft
erörtert, im Gesundheitswesen sieht man überall riesige Fortschritte, die
Fragen des Gesundheitswesens greifen überall tief in das praktische Leben
ein. Besonders wird es vorläufig darauf ankommen, die gesundheitlichen Ver¬
hältnisse in den Vereinigten Staaten, in England und Frankreich eingehend zu
studieren und zum Wohle unseres Vaterlandes nutzbar zu piachen. In weit-
sehauender Weise hat unser Kaiser für den Austausch von Gelehrten, für
Beisen von Kommissionen die Anregung gegeben. Gesundheits- Attaches
werden weiter in dem Sinne Seiner Majestät wirken zum Wohle Deutschlands t
Berichtigung:. In Nr. 18 muß es S. 585, 12. Zeile von unten statt
„Nabelbruch“ heißen „Nabelschnurbrach“. — Seite 586, Zeile 16 der
„linke“ statt „rechte“ Oberschenkel.
Auf S. 602 muß es auf Z. 1 „Heilvorschlag“ statt „Heilerfolg“ und
auf Z. 6 „Näcke“ statt „Bäcke“ lauten.
Verantwortl. Bedakteur: Dr. Kap mnn d, Keg.- n. Geh. Med.-Bat in Minden i. W.
J. C. C. Braus, HerxogL Bichs, n. F. Sch.-I* Hofbuch druckeral ln lflndsn.
18. Jahrg.
1905 ,
Zeitschrift
für
MEDIZINALBEAMTE.
Zentralblatt für gerichtlich« Medizin u4 Psychiatrie,
(ir ärztlich« Sachverstaadigentätigteit in Unfall- und Invafiditätssachen, sowie
für Hygiene, SffentL Saaitatswesea, Medizinal-Gesetzgebung and Rechtsprechug
Heraasgegeben
TOB
Sr. OTTO BAPMUND,
Regiernnfi- ud Geh. Medlrinalrtt ln Minden.
Verlag von Fischers mediz. Buehhandlg., H. Kornfeld,
HenogL Bayer. HOT- u. BnbenogL Kanunwr-BanhtJlnifler.
Berlin W. 35, Lützowstr. 10.
Inserate nehmen die Verlagshandlnng sowie alle Annoncen-Expeditionen des In«
and Auslandes entgegen.
658
Dr. Zelle.
87,8, am 23. Juni 37,6, 37,8, am 24. früh 37,5. Das Befinden des P. war eia
gntes; er hatte keine Schmerzen, sein Appetit war gut. Um Mittag des 24. Joni
fühlte er sich so wohl, daß er wider das Verbot anfstand, tun den Nachtstahl
bequemer za benutzen. Hierbei trat plötzlich ein Schüttelfrost ein; der Verband
blatete stark durch, die Temperatur stieg mit dem Frost auf 41,5. Sofort
Verbandabnahme. Zwischen den guthaltenden Nähten starke arterielle und
venöse Blutung. Die Nähte wurden entfernt; es zeigte sich, daß die Unter¬
bindung der Arterica poplitea gehalten hatte, es blutete dagegen stark aus
den Art. surales, die sich als hart anzufassende, Streichholz dicke besitzende
geschlängelte Blutgefäße präsentierten. Ferner kamen aus der Tiefe der Wunde
fortwährend große dunkle Blutwellen geschossen, die das Gesichtsfeld verdeckten
und die Orientierung sehr schwierig machten. Durch Unterbindung der bluten¬
den Arterien und Umstechung der parenchymatösen Blutungen gelang es endlich,
der Blutung Herr zu werden. Es wurde in die Wunde ungefähr */* 8 Jodo¬
form eingepudert, dann Jodoformgazeverband.
Patient war sehr erschöpft; Temperatur abends 39,7; am 25. Juni früh
Temperatur 39,7, viel Klage über Durst, Puls 180, sehr klein. Verbandwechsel.
Aus der großen Wundhöhle wurden einige Blutklumpen entfernt, die Gewebe
zeigten sich etwas sulzig durchtrankt, jedoch fand sich nirgends eine Spur von
Eiter; bei der nötig werdenden Erweiterung der Wunde auffallende Indolenz
gegen Schmerz.
Die Pupillen waren ad maximum erweitert, ihre Beaktion fast gleich
Null. Augenmuskeln frei, die Zunge dick weißlich belegt; Milz nicht geschwollen,
die Leber ebenfalls nicht. Urin spärlich, hochgestellt. Kein Stuhl. Da das
Aussehen der Wunde das Fieber nicht zu erklären schien, wurde in Bücksicht
auf die Möglichkeit einer Jodoformvergiftung jedes Jodoformkörnchen entfernt,
die Wunde mit sterilisiertem Salzwasser ausgespült und mit 1 °/ 0 Lysoltampons
ausgestopft. P. erhielt stündlich Kampfer-Benzoepulver, alle 2 Stunden eine
Kampfereinspritzung, reichlich Wein und alle halbe Stunde einen Teelöffel
doppelkohlensaures Natron in Wasser, Temperatur mittags 89,8. Der Zustand
verschlechterte sich zusehends; Puls kaum zu zählen, Sensorium benommen,
leichte Delirien. Nachmittags noch einmal Durchspülen der Wunde mit Salz-
. wasser. Abends Temperatur 38,7, Puls 140, am 26. Juni 1 Uhr früh trat der
Tod ein. Der zur Untersuchung zurückgestellte Urin war leider versehentlich
weggegossen worden. Sektion wurde nicht gestattet.
Dieser, wie man mir zugeben wird, nicht ganz klare Fall
hat mich veranlasst, die einschlägige Literatur, soweit sie mir in
einem kleinem Landstädtchen zugänglich war, zu durchmustern.
Wenn man den Fall als eine Wundkrankheit auffassen will,
so kommt selbstverständlich nur die Septikämie in Betracht. Doch
ist bei dieser ein ausgesprochener Schüttelfrost, welcher das An¬
steigen des Fiebers begleitet, selten. Ferner fehlte jegliches Wund¬
sekret, geschweige denn, dass ein dünnes, übelriechendes vorhanden
war; auch ist die starke Erweiterung der Pupillen und ihre Licht¬
starrheit, kein charakteristisches Symptom der Septikämie, eben¬
sowenig wie die Delierien.
Fassen wir den Fall dagegen als Jodoformvergiftung auf,
so scheint dies der Wahrheit näher zu kommen.
Die Jodoformvergiftung ist zwar nicht immer leicht zn
diagnostizieren, da sie durchaus nicht ein einheitliches Bild bietet.
Als das Jodoform von Righini und Mosetig im grossen
Massstabe in die Praxis eingeführt wurde, verbrauchte man an¬
fänglich und sehr oft ganz ohne Schaden enorme Mengen desselben.
So wandte Mikulicz bei einem 5jährigen Mädchen ohne Nach¬
teile 120 g, Gussenbauer bei einer Fusssektion 220 g an. Für
gewöhnlich verbrauchte Mosetig nicht über 20—40 g, seine
höchste Menge war 70 g. Bald wurde nun von allen Seiten Aber
Jodoformvergiftung oder Septik&mie.
659
flble Folgen nach Jodoformanwendung geklagt and es klärte sich
allmählich das Bild der „JodoformVergiftung“. Mikulicz hielt
allerdings zuerst eine akute Jodoformvergiftung für unmöglich,
gab aber zu, dass chronische Formen vorkämen. Seit dieser Zeit
ist die Literatur ftber Jodoformvergiftungen zu einer geradezu
unübersehbaren Höhe angeschwollen.
Aus dem mir davon vorliegenden Material teile ich folgen¬
des mit:
Treves 1 ) teilt dem allgemeinen Verlauf nach die Jodoformvergiftungen
in 2 Hauptklassen: 1) Die akute Form, welche meist junge und kräftige Personen
befällt. Die Symptome entwickeln sich sehr rasch, Kopfschmerzen, Schwindel,
Schlaflosigkeit, hohes Fieber, sehr schneller Puls treten zunächst auf, dann
folgt ein schweres, der akuten Manie ähnliches Delirium; unter raschem Kräfte¬
verfall und Coma erfolgt der Tod. 2) Die mehr chronische, bei älteren und
schwächeren Individuen auftretende Form. Bei dieser entwickeln sich die Symp¬
tome sehr langsam; sie beginnen mit Mißbehagen, Appetitlosigkeit, Erbrechen,
Depression ctc. Dabei besteht geringes Fieber und Beschleunigung des Pulses.
Allmählich tritt ein melancholischer Zustand ein, die Kranken werden vollkommen
willenlos, die Schwäche wird immer größer, bis der Tod eintritt. Genesung ist
möglich, wenn das Jodoform zeitig weggelassen wird.
Schede, einer der Hauptwidersacher des Jodoforms, warnte im chirur¬
gischen Zentralblatt (IX Bd., 8. H., S. 33) 1882 sehr vor dem Jodoform. Er wies
darauf hin, daß gewisse Personen eine Idionsynkrasie gegen Jodoform hätten und
daß das Mittels uch deshalb sehr gefährlich sei, da die Vergiftungserscheinungen
plötzlich ohne irgend welche Vorboten auftreten könnten und zwar so stürmisch,
daß selbst die Entfernung dos Jodoform nichts mehr nütze. Seine Beobachtungen
faßte er in folgenden Sätzen zusammen: 1) Leichtere Störungen des Normal¬
befindens durch Jodoformresorption sind sehr häufig und zwar meistens mit
hoher Temperatursteigerung einsetzend. 2) In anderen Fällen fühlen sich die
Patienten mit oder ohne Fieber unbehaglich; sie klagen über Kopfschmerzen
oder Appetitlosigkeit, der Puls ist klein und weich. 3) Ohne oder mit Fieber
tritt bei gutem allgemeinen Befinden eine enorme Pulssteigerung bis 180 pro
Minute auf. 4) In anderen Fällen ist die Pulssteigerung von einer entsprechen¬
den Temperatursteigerung begleitet. Mehrere Wochen lang sinkt das Thermo¬
meter nicht unter 40 Grad, dabei ist das Allgemeinbefinden gut, die Zunge
feucht und rot, die Wunde stets aseptisch und kommt es zum Tode, so ist der
Sektionsbefund negativ. 5) Zuweilen führt nach eingreifenden Operationen die
Ausfüllung der Wunde mit Jodoform einen rasch zunehmenden Kollaps herbei
und entscheidet den tödlichen Ausgang. 6) Am erschütterndsten ist diejenige
relativ häufige und plötzlich auftretende Form der Intoxikation, bei der Störungen
der Gehirntätigkeit eintreten, die sich teils unter dem Bilde der akuten Menin¬
gitis abspielcn, teils als wirkliche Geisteskrankheiten in die Erscheinung treten.
Schede fügte jedoch hinzu, daß bei allen Formen von Jodoformvergiftungen
bis zum Tode jede Temperatursteigerung fehlen kann. Von Geistesstörungen
sah er häufig solche, die sich den schwersten Formen der Melancholie anreihten
und die entweder als Zustand psychischer Erregung, begleitet von furchtbarer
Angst auftrateu oder unter dem Bilde tiefster psychischer Depression verliefen.
Im übrigen glaubte er, daß die Jodoformgazeverbände ungefährlich seien und
daß man nur größere frische Wunden nicht mit Jodoform ausfüllen dürfe.
König gab an, daß bei Anwendung des Jodoforms in Quantitäten unter
10 g kaum schon Vergiftungen beobachtet worden seien und daß im allgemeinen
das Auftreten schwerer Vergiftung mit der Menge des verbrauchten Mittels im
Einklänge stehen.*)
Mosetig erklärte auf dem VIII. internationalen medizin. Kongreß in
Kopenhagen, daß er eine Idiosynkrasie gegen das Medikament nie gesehen
habe; er leugnete zwar nicht, daß Vergiftungen vorkämen, allein er bezichtigte
für solche: 1) die gleichzeitige Anwendung anderer antiseptischer Mittel, bc-
») Practitioner; XXXVII; 4. S. 271. Okt. 1886.
*) Inauguraldissertation von Nikoliö. Berlin 1881.
660
Dr. Zelle.
sonders des Karbols; 2) die allzu große Menge des auf einmal angewandten
Medikaments; 8) den Bestand von Nierenleiden oder von Fettherz und zog den
Schluß, daß sich Jodoform zu Verbänden bei allen frischen und nichtfrischen
Wunden eignet.
Das so häufige Auftreten von psychischen Storungen erklärte Bummo
Gaetano*) damit, daß das Jodoform vorzugsweise auf das zentrale Nerven¬
system wirke und wies nach, daß bei größeren Dosen allen sonstigen Störungen
eine vom Vaguszentrum ausgehende Aktion auf die Herzbewegung vorausgeht
Bouma*) glaubte, daß Jodoformvergiftungen von dem Gebrauche nicht
reiner in Wasser löslicher Jodverbindungen einschließender Präparate herrfthrt
Diese erkennt man nach ihm an dem schwarzen Niederschlage, welcher sich,
wenn man Jodoformpulver mit destillierten Wasser schüttelt, in dem Filtrat
bei Zusatz alkoholischer Silbernitratlösung nach 24stündigem Stehen bildet,
während reines Jodoform nur eine schwache grauweiße Trübung hinterläßt
Schwarz*) in Halle der eine tödliche Jodoform Vergütung von der
Scheide aus sah, gab den Bat, dasselbe bei Gehirnaffektionen und Nieren-
erkrankungen garnicht anzuwenden.
Guttier 4 ) empfahl auf Grund einer Zusammenstellung von 77 Ver¬
giftungen folgendes: 1) Nur frische Wunden oder solche mit ungesunden resp.
tuberkulösen Granulationen sind geeignet zur Anwendung des Jodoforms. 2) Es
ist nur wenig Jodoform anzuwenden. 3) Bei gesunden Granulationen ist das
Jodoform wegzulassen. 4) Bei den ersten Vergiftungserscheinungen oder gleich
bei der Anwendung des Jodoforms sollen Alkalien oder pflanzliche Säuren innerlich
häufig gegeben werden (Kali acetic.). Bei schweren Vergiftungserscheinungen
soll Transfusion einer Salzlösung vor genommen werden und die Wunde durch
Abwaschen mit reinem Wasser und Sodalösung vom Jodoform gereinigt und
nachher mit Magnesia bestreut werden.
Als Resultat aller Beobachtungen musste aber trotz solcher
Unkenrufe auf dem ersten Kongress der Deutschen Gesellschaft
für Gynäkologie im Jahre 1886 festgestellt werden, dass die Be¬
deutung des Jodoforms als Antiseptikum kaum durch die jedenfalls
sehr seltenen Fälle von Vergiftung gemindert wird, falls man
geringe Dosen von 6 bis 10 g an wendet, dass aber bei älteren
Leuten oder bei sehr fettreichen Wunden mit Vorsicht zu ver¬
fahren sei. Unter dieser Voraussetzung sind Vergiftungen in der
Tat sehr selten.
So sah Leißring in Hamburg 6 ) bei 220 mit Jodoform behandelten
Fällen nur einmal einen tödlichen Ausgang, der möglicherweise durch Jodoform
herbeigeftthrt war.
v. Mttnchow 6 ) faßt die Erfahrungen Küsters über J odofonnan wendung
wie folgt zusammen: J. Störungen der Verdauung: wie Appetitlosig¬
keit, Diarrhöen, die oft mit Blut untermischt sind, Uebelkeit, Erbrechen. Diese
Symptome stellen sich nach 24 Stunden ein und verschwinden nach einigen
Tagen auch ohne Verbandabnahme. 2. Das Fieber: Zuweilen steigt die
Temperatur bis 41 und hält sich wochenlang mit remittierendem Charakter,
der Puls ist dabei klein, 100—110 Schläge, seine Qualität ist weich. 8. Die
irritierende Wirkung auf das Gehirn. Dieselbe äußert sich in De-
pressions- oder Exaltationszuständen; im ersteren Falle kann sich z. B. das
Bild tiefster Melancholie, die sich oft zum Verfolgungswahnsinn steigert, ent¬
wickeln. 4. Die giftige Wirkung an sich: Küster erwännt zwei
Todesfälle, ebenso Schede, Höftmann, König, Henry, Kocher und
Czerny, ln einigen dieser Fälle waren große Massen Jodoform bis 200 g
*) Archiv für klin. Chirurgie; 87. Bd., 1888, 8. Heft.
*) Zentralblatt für Chirurgie; 1883, Nr. 48, S. 769.
*) Berliner klinische Wochenschrift; 1886, Nr. 7.
4 ) Boston Med. and Surg.-Journ.; 1886, S. 78 und 101.
*) Berliner klinische Wochenschrift; 1882, Nr. 16.
*) Das Jodoform in der Wundbehandlung. Inaugural • Dissertation.
Leipzig 1882.
Jodoformvergiftong oder Septikämie.
661
verbraucht, in anderen F&llen dagegen nur sehr wenige. Die gemachten
Sektionen ergaben nie einen positiven Anhalt.
W&rnm das Jodoform eigentlich unter Umständen giftig wirkt,
ist noch nicht genügend aufgeklärt. Als Ursache seiner antisep¬
tischen Wirkung gab Binz bekanntlich an, dass dasselbe bei der Ein¬
wirkung auf die Körpersäfte sich zersetze, wobei das Jod, aus
dem Jodoform zu 9 / 10 seines Gewichts besteht, frei werde. Dem
nach sollte man meinen, dass Jodvergiftung und Jodoformvergiftung
identisch wären. Das ist aber nicht der Fall; im Gegenteil ist
die Form der Jodoformvergiftung zweifellos von der der Jod¬
vergiftung toto coelo verschieden. Nach kürzerem Jodgebrauch
treten bekanntlich katarrhalische Entzündungen verschiedener
Schleimhäute, besonders der Nase und ihrer Adnexe — der soge¬
nannte Jodschnupfen — auf, Katarrh der Augenbindehäute, des
Mundes und des Rachens, des Kehlkopfes, des Magens und des
Darms, bei längeren Einwirkungen zeigen sich Veränderungen
im Stoffwechsel, Abmagerung des Fettes und der Muskeln, Schwund
einzelner drüsiger Organe, besonders der Brustdrüsen, der Hoden
und Schilddrüsen, endlich Veränderungen der Zirkulation, Schwäche
des Herzschlages, verstärkte Kontraktion der Arterien und hier
und da Steigerung der Temperatur. 1 )
Firgan*) zählt als Symptom der Jodvergiftung auf:
Kollaps, Schmerzen in den Verdauungswegen, Gangrän, Haut¬
ausschläge allerlei Art, Speichelfluss bei chronischer Vergiftung,
Konstriktionsgefühl im Rachen, braune oder dunkelgelbe Farbe
des Erbrochenen, Atemnot, Beschleunigung des Pulses und Klein¬
werden desselben, Auftreten von Eiweiss und Blut im Urin,
Schwund der Hoden und der Brustdrüsen, Tränenfluss, vorüber¬
gehende Amblyopie und Amaurose. Schnupfen, Zittern der Ex¬
tremitäten u. a.
Als Zeichen der Jodoformvergiftung gibt er dagegen an:
Gelbsucht, selten vermehrte Schweissreaktion, Fieber, Trockenheit
im Halse, Akneausschlag, Petechien; selten Speichelfluss, meistens
Trockenheit im Halse; Atemnot; Beschleunigung des Pulses, Ei-
weissgehalt des Urins, Blutharnen, Pupillenerweiterung, Doppelt-
sehen, vorübergehende Amblyopie und Amaurose, Delirien mit
Lachen und Singen, Verwirrtheit namentlich bei Kindern, Tobsucht,
Lähmung der äusseren Augenmuskeln und Trismus. Diese Symp-
tomenkomplexe sind also völlig verschieden von einander, und
ganz ausserordentlich selten ist ein Fall wieder, den Anschütz 8 )
beschreibt:
Hier traten nach einer Jodoformglyzerineinspritzung Vergiftungssymptome
auf, welche völlig von dem bekannten Bild der Jodoformintoxikation abweichend,
täuschend denen einer schweren akuten Jodvergiftung glichen. Es entstanden
nach einer Einspritzung von 100 ccm lOproz. Jodoformglyzerins nach einigen
Tagen: Rötung und Schwellung der Nasenspitze, massenhafte Aknepusteln
auf Brust, Armen, Rücken und Nase; das Zahnfleisch war stark gerötet und
aufgelockert, auf der Mundschleimhaut bildeten sich leicht blutende Borken,
*) So nach Herrmann. Lehrbuch der experimentellen Toxikologie.
*) Gifte und starkwirkende Arzneimittel. Berlin 1901.
•) Beiträge zur klinischen Chirurgie; 28. Bd., 1900, S. 233.
662
Dr. Zelle: Jodoformvergiftung oder Septikämie.
die Nase war verstopft, die Augenlider waren verklebt. Der Patient wurde
sebr apathisch. Alle diese Erscheinungen nahmen noch zu und trotz der an¬
gewandten Mittel trat bald der Tod ein.
Das Lebensalter spielt nach einer Zusammenstellung (Zen-
trslblatt für Chirurgie; 1886, Nr. 50) bei Jodoform Vergiftungen
keine Bolle.
Ueberblickt man den Inhalt dieser kurzen Zusammenfassung,
so sieht man, die Vergiftungen durch Jodoform zeichnen sich vor
allem durch eine grosse Polymorphie aus; indessen lassen sich
doch gewisse Symptome herausschälen, die als mehr oder weniger
charakteristisch gelten können.
I. Die Jodoformvergiftung entsteht als unvorherzusehende
Erkrankung bei vorhandener Idiosynkrasie, und zwar ist es bei
solcher Abneigung ganz gleichgültig auf welchem Wege das Jodo¬
form in den Körper eingeführt wird. So beschreibt das Britisch-
Medical-Journal, 22. Dezember 1900, einen Fall von Jodoform-
Vergiftung nach Kauen von Jodoformgaze. Fox sah Vergiftungen
allein nach dem Biechen von Jodoform eintreten. Dr. Bermann 1 )
schildert, wie nach dreimaligem Einblasen von Jodoformpulver ins
Ohr eine schwere Vergiftung mit Pupillenerweiterung, hoher
Temperatur, 120 Pulsen und Bewusstlosigkeit einsetzte.
Ebenso wie von der Art der Aufnahme des Medikaments,
so ist bei vorhandener Abneigung auch von der Menge des Jodo¬
forms die eintretende Vergiftung ganz unabhängig. Cuttier 1 )
beobachtete schwere Vergiftungen schon nach Vs—1 & Neuber
nach 2 g, Dresmann nach 5 g.
II. Ist keine Idiosynkrasie vorhanden, so werden offenbar
ganz enorme Massen, bis 200 g und darüber, ohne Schaden ver¬
tragen. Tritt eine Vergiftung ein, so ist sie abhängig von der
Menge des resorbierten Jodoforms, vielleicht von seiner Beschaffen¬
heit und jedenfalls von der Ausscheidung des aus ihm sich bil¬
denden Jods.
III. Auffallend und merkwürdig ist, dass in der unendlichen
Mehrzahl der Fälle, trotzdem das Jodoform 96,7 Prozent Jod ent¬
hält, die Jodoformvergiftung von der Jodvergiftung vollkommen
verschieden ist. Woher diese eigentümliche Erscheinung kommt,
ist bis jetzt noch völlig unbekannt, und zwar um so mehr, als die
Tierversuche uns im Stich gelassen haben, indem nach Kob er t*)
das Jodoform bei einem Tier ebenso wirkt wie die anderen Jod¬
verbindungen. Hieraus folgert Kunkel 4 ), dass nicht allein die
Jodabspaltung, sondern auch noch unbekannte organische Jodver¬
bindungen am Bild der Jodoformvergiftung beteiligt sind.
IV. Der Eintritt der Jodoformvergiftung ist sehr Belten ein
ganz akuter; Mikulicz sah in zwei Fällen Vergiftungs¬
erscheinungen erst am 20. bezw. 21. Tage. Im allgemeinen treten
die Vergiftungserscheinungen mit Beginn der zweiten Woche auf.
*) Maryland Medical-Journal; 1882, August.
*) Boston Med. and. Surg.-Journal; 1886, C. XV, Nr. 4 und 6.
*) Lehrbuch der Intoxikationen; 1893.
4 ) Handbuch der Toxikologie; 1899.
Dr. Kttrbitz: Vergewaltigung im hysterischen Anfall?
668
Ein früherer Anfang (2—3 Tage) findet eich anscheinend bei den
schwer verlanfenden Fällen.
V. Am häufigsten sind schwere Gehirnerscheinnngen, und
zwar viel seltener unter meningealen Symptomen (Krämpfen,
Lähmungen, Nackenstarre, Erbrechen), als unter dem Bild einer
Psychose. Unter letzteren Fällen sind die mit ausgesprochenen
Erregungszuständen einhergehenden entschieden die häufigeren.
VI. Neben den schweren Zerebralerscheinungen werden fast
regelmässig erwähnt: hohes Fieber, Pulssteigerung und vor allen
Dingen scheint Pupillenerweiterung selten vermisst zu sein.
VII. Die mit Heilung endigenden Fälle verliefen meistens
in 2—8 Wochen. 1 )
Blicken wir nun, nachdem wir uns einen kurzen Ueberblick
über die Jodoformvergiftung verschafft haben, auf den Eingangs
beschriebenen Fall zurück, so scheint derselbe auch als Jodo¬
formvergiftung gedeutet werden zu müssen. Das Fehlen jeder
entzündlichen Wundreaktion einerseits, das plötzlich einsetzende
Fieber, ohne dass embolische Erscheinungen von einem etwa
eitrig eingeschmolzenen Thrombus der Arteria poplitea sich zeigten,
die hohe Pulsfrequenz, die Delirien und vor allem die Pupillen¬
erweiterung machen diese Annahme mehr als wahrscheinlich.
In Anbetracht der ausserordentlich geringen Menge Jodo¬
forms, welche angewandt worden war, und der völligen Nutzlosig¬
keit der angewandten Gegenmittel darf man auch wohl hier von
einer vorhanden gewesenen Idiosynkrasie gegen Jodoform sprechen.
Somit bestätigt auch dieser Fall, dass man mit der Jodoform¬
anwendung, so unentbehrlich sie auch geworden ist, vorsichtig
sein muss, da man immer, wie Zeller sagt, „mit seiner An¬
wendung ein Gift in den Organismus setzt, dessen Wirkung man
vorher gar nicht absehen kann 0 .
Vergewaltigung im hysterischen Anfall?
Ein Beitrag zur Beurteilung des Bewusstseinszustandes Hysterischer.
(Aus der Provinzial-Irrenanstalt Treptow a. Bega.
Direktor: Sanitätsrat Dr. Mercklin.)
Von Dr. W. Kürbitz.
Die von Hysterischen ausgehenden sexuellen Beschuldigungen
anderer bieten, wie längst bekannt ist, häufig Anlass zu forensi¬
scher Begutachtung.*) In dem nachfolgenden Fall eines Mädchens,
welches im Anfall vergewaltigt sein wollte, war nicht nur die
allgemeine Glaubwürdigkeit der Beschuldigenden zu beurteilen,
sondern besonders das Verhalten des Bewusstseins während der
Krampfanfälle zu prüfen, da der Richter selbst zufällig einen An¬
fall der Kranken gesehen und während desselben eine anscheinend
*) Zentralblatt für Chirurgie; 1886, Nr. 50.
*) Vergl. kierzu Binswanger: Die Hysterie; Wien 1904. Cramcr:
Gerichtliche Medizin; III. Aufl., 8.278. Gilles de la Tourette: Hysterie;
Leipzig 1894. Ziehen: Psychiatrie; Leipzig 1902.
Di. Kürbitz.
aal
ow
ungestörte Beob&chtungsfahigkeit der Anschnldigenden rorgefnnden
hatte. Deshalb dflrfte eine kurze Mitteilung des Falles gerecht¬
fertigt erscheinen.
Anna H., 15 Jahre alt, ist erblich nicht belastet; ihr Vater ist aller¬
dings Trinker gewesen, doch steht nicht fest, ob er es zur Zeit der Zeogong
schon war. Ein Bruder von 8 Jahren soll gesund sein. A. H. hat sich völlig
normal entwickelt, ist seit einem Jahre menstruiert, und zwar stets in regel¬
mäßigen Intervallen, zwei Tage lang, mit geringem Blutabgang. Seit einem
halben Jahre sind heftige Krämpfe aufgetreten, so daß sie ihre Stelle als
Dienstmädchen aufgeben mußte. Nachdem sie sich von einem Spezialarzt für
Hals- und Nasenkrankheiten Wucherungen im Nasenrachenraum hatte entfernen
lassen, begab sie sich zu einem Homöopathen in Behandlung. Die Krämpfe
traten immer heftiger auf, und zwar oft 5—6 mal wöchentlich. Auf Bat des
Homöopathen ist sie auf's Land zu ihren Verwandten D. gegangen. Auch hier
stellten sich Krämpfe ein, bald währten sie nur wenige Minuten, bald auch einige
Stunden, manchmal lag sie ruhig da, anderseits schlug sie aber auch wud
um sich, so daß sie gehalten und sogar gebunden werden mußte. Ohne Grund
▼erließ sie D.s, begab sich zu anderen Verwandten, mit denen zusammen sie
D.s noch einmal besuchte. Einen dritten Arzt konsultierte sie nun und kehrte
dann zu ihrer Mutter zurück. Dieser erzählte sie einmal während
eines Anfalls, nachdem sie schon seit 8 Wochen nicht mehr
bei D.s wohnte, ihr Onkel D. hätte einmal mit ihr im Anfall den
Beischlaf vollzogen, sie hätte alles ganz genau wahrnehmen
können, doch wäre sie unfähig gewesen, sich zur Wehr zu
setzen. Darauf strengte die Mutter sofort die Klage an.
D., ein völlig unbescholtener Mann, stellte eine derartige Handlung bei
seiner Vernehmung entschieden in Abrede, behauptet, seine Nichte hätte einst,
als sie im Bett lag, und er ihr auf ihren Wunsch Wasser brachte, seine Hand
unter der Decke an ihren Unterleib geführt und gesagt, er solle „ihr einen
machen“. Er hätte getan, als ob er es nicht hörte und sei aus dem Zimmer
gegangen, bald darauf habe sich ein längerer Anfall eingestellt. Seiner Frau
habe er, als diese von einem Ausweg zurückkehrte, den Vorfall erzählt, was
diese auch bestätigt. Vorwürfe haben sie Anna nicht gemacht, da die Anfälle
immer schlimmer würden, sobald sie aufgeregt sei; auch der Mutter gegenüber
haben sie geschwiegen, um nicht Zwist in die Familie zu bringen, und haben
sie nur aufgefordert, ihre Tochter recht streng zu halten.
Die Vernehmung der H. durch den Amtsvorsteher war zunächst unmöglich«
denn sobald man von dem Vorfall sprach, stellten sich Krämpfe ein. Später
gab sie vor dem Bichter folgendes zu Protokoll:
Eines Abends, nachdem ihre Begel seit zwei Tagen vorüber war, sei sie
mit dem Angeklagten allein gewesen, da die Tante ausgegangen war. Sie sei
dann ins Bett gegangen und hätte einen Anfall bekommen. Ihr Onkel hätte
sich nun zu ihr ins Bett gelegt, das Hemd hochgehoben, ihre Beine auseinander¬
gemacht und sein Glied in ihren Geschlechtsteil gesteckt, gesehen hätte
sie D. aber nicht. Darauf sei er „hin- und hergehopst“, wobei sie Schmerzen
empfunden habe. Der Anfall hätte ungefähr zwei Stunden gedauert und
während dieser ganzen Zeit wäre der Onkel bei ihr gewesen, still gelegen
habe er aber nicht. Später gab sie an, daß die Zeitbestimmung nicht wörtlich
zu nehmen sei, sie hätte damit nur die lange Dauer bezeichnen wollen. Am
folgenden Tage habe sie flüssiges, nicht trockenes Blut im Hemd wahrgenommen,
der Fleck habe die Größe eines Handtellers gehabt. Seit diesem Attentat sei
die Begel ausgeblieben und ihr Leib sei stärker geworden.
Umgang mit Männern habe sie nie gehabt, wohl aber wisse sie aus Erzählungen,
wie Mann und Frau miteinander verkehren.
Während einer zweiten richterlichen Vernehmung, der auch ein beamteter
Arzt als Sachverständiger beiwohnte, hört die A. H. während der Befragung
plötzlich zu sprechen auf. Sie schließt die Augen und bleibt in starrer Haltung
auf dem Stuhl sitzen, ohne zu schwanken und ohne Neigung herunterzufallen.
Diese Gelegenheit benutzt nun der anwesende Sachverständige zu einer ärzt¬
lichen Untersuchung. Die Augenlider sind nur mit Mühe zu öffnen und
schließen sich sofort von selbst wieder. Die Augäpfel sind nach oben gekehrt,
Vergewaltigung im hysterischen Anfall?
865
die Papillen weit, verengern sich auf Lichteinfall. Beim Niederlegen auf den
Fußboden leistet die H. keinen Widerstand; die Daumen, die sie ineinander¬
geschlagen hat, sind kaum za öffnen, die übrigen Finger dagegen leichter.
Wenn man Wasser dnrch die Nase eingießt, so werden Schlnckbewegnng en
aasgelöst; auf Anrufen erfolgt keine Antwort. Um die Geschlechtsteile za
untersuchen, müssen die Beine gespreizt werden, was aber erhebliche Mühe
verursacht. Der Hymen ist kranzförmig, Verletzungen oder Narben sind
nirgends wahrzunehmen. Der Zeigefinger kann beqaem in die Scheide einge¬
führt werden. Die Unterlippe war ständig zwischen den Zahnreihen eingeklemmt,
nicht verletzt. Am Schluß des Anfalls geraten die Augenlider in zitternde
Bewegung. Schmerzäußerungen werden bei der Prüfung nicht geäußert.
Gegen Ende der Untersuchung schlägt H. die Augen auf und ist bei
vollem Bewußtsein. Sie behauptet unmittelbar nach dem Anfall, alle Vorgänge
wahrgenommen zu haben; sie weiß, daß ihr die Kleider auf der Brust geöffnet
sind, daß sie auf die Erde nach dem Fenster hin gelegt ist und daß
ihre Geschlechtsteile untersucht sind. Daß etwas in die Scheide eingeführt
ist, dessen ist sie sich bewußt, ob es der Finger des Arztes war, könne sie
nicht beurteilen, wohl aber sei es anders gewesen, als damals das Glied des D.
Gesehen habe sie in ihrem Krampfzustande niemand, gehört habe sie alles.
Während dieses Anfalles sind die Vorgänge in der Umgebung noch
ganz gut wahrgenommen, es liegt aber deshalb absolut keine Berechtigung zu
der Annahme vor, daß dies seiner Zeit bei dem Anfall mit dem vermeintlichen
Attentat auch der Fall gewesen ist.
Auf Grand seiner Beobachtung und der Akten kam der Sach¬
verständige zu dem Gutachten:
1. Die Krämpfe der H. sind nicht simulierte, auch nicht
epileptische, sondern hysterische.
2. Die A. H. ist während der Krämpfe völlig willenlos, auch
nicht widerstandsfähig. Das Bewusstsein ist dagegen während
der Anfälle erhalten, allerdings mit der Einschränkung, dass der
Gesichtssinn nicht, oder wenigstens nur sehr wenig funktioniert.
Hierdurch fällt eine sehr wesentliche Vorbedingung fort, um wich¬
tige Beobachtungen zu machen.
3. Bei Hysterischen kommen Uebertreibungen, Sinnestäu¬
schungen, Lügenhaftigkeit vor; dies ist bei der H. nicht direkt
beobachtet, doch muss immerhin mit der Möglichkeit solcher Er¬
scheinungen gerechnet werden.
4. Nach dem Genitalbefand ist eine Vergewaltigung nicht
ausgeschlossen.
Der Untersuchungsrichter verlangte nun unter Hinweis auf
die letzte richterliche Vernehmung, während welcher die H. im
Anfall einen „tätigen Gefühlssinn a gezeigt habe, und nach Be¬
endigung des Anfalles „objektiv richtig“ schildern konnte, was
mit ihr vorgenommen war, ein zweites Gutachten darüber, „ob
nach Lage der Akten anzunehmen sei, dass die an hysterischen
Krämpfen leidende Anna H. die während der Krampfanfälle von
ihr gemachten Beobachtungen nach Beendigung des Anfalls objektiv
richtig wiedergibt, oder ob das Bewusstsein in solchen Fällen
hysterischer Krämpfe nur in beschränktem Masse vorhanden ist,
so dass Irrtümer und Uebertreibungen leicht möglich und wahr¬
scheinlich sind.“
Da die Akten über die Art der Krampfanfälle zahlreiche,
eingehende und auch ärztliche Mitteilungen enthielten (vgl. oben),
erschien die gutachtliche Würdigung der Anfälle und ihres Ein-
666
Dr. Kürbitz.
Hasses auf die Glaubwürdigkeit der H. im vorliegenden Fall auf
Grundlage der Akten möglich.
Das anstaltsseitig abgegebene Gutachten konnte zunächst
auf Grund zahlreicher in den Akten enthaltener Tatsachen der
Diagnose des Vorgutachters durchaus beitreten, dass es sich bei
der H. um hysterische, bezw. psychogene Anfälle gehandelt habe.
Im übrigen müsse aller Nachdruck darauf gelegt werden, dass
das Verhalten des Bewasstseinszustandes in dem einen, von Arzt
und Richter gesehenen Anfall für bindende Rückschlüsse auf die
Art des Bewusstseinszustandes in früheren Anfällen nicht mass¬
gebend sein könne.
Nicht immer sind die Anfälle dem ärztlich beobachteten gleich gewesen.
Die Zeugen, welche die H. während dieser Zustände gesehen haben, berichten
auch noch über andere Erscheinungen: „Sie riß sich die Haare aus und schlug
mit den Armen um sich, so daß sie gehalten werden mußte.“ — „Ihr Benehmen
in diesen Anfällen war verschieden. Manchmal lag sie ganz still und hatte
die Augen geschlossen, manchmal schlug sie um sich, so daß sie gehalten
werden mußte.“ — „Anna hat sich nicht halten können, wir haben sie binden
müssen.“ — „Dann setzt sie sich oder legt sich, kneift beide Daumen ein und
fängt mit geschlossenen Augen bald darauf an, geistliche Lieder zu
singen. Nach einer Weile reißt sie die Augen starr auf, es treten
Zuckungen ein und sie ist dann augenscheinlich bewußtlos; die Augen sind
starr nach oben gerichtet. Nieder gefallen ist sie bei solchen Anfällen nicht,
sie hat sich meines Wissens auch nicht auf die Zunge gebissen. Im Anfangs¬
stadium der Krämpfe — solange sie die Augen geschlossen hat — ist sie meines
Erachtens bei Bewußtsein. Sie hat mir einmal in solchem Zustand mehrere
Worte, die ich vorsprach, nachgesprochen.“ — Das Benehmen des Mädchens
während der Anfälle war ein verschiedenes. Einmal lag sie ganz still mit
geschlossenen Augen und schlaffen Gliedern da, ein andermal schlug sie um
sich und raufte sich die Haare aus, hatte die Augen starr geöffnet, zuweilen
sang sie auch Lieder geistlichen Inhalts. Ich habe den Eindruck gehabt, als
ob sie in allen solchen Zuständen das Bewußtsein nicht verlor; denn wenn bei
solchen Anfällen einmal jemand zu uns kam, so merkte sie es und fragte
nachher, wer dagewesen wäre. Antworten gab sie nicht.“
Die Dauer der Anfälle ist eine verschiedene, „manchmal nur wenige
Minuten, zuweilen auch mehrere Stunden“. Nach den Anfällen hat die H. ein
„dösiges Gefühl im Kopf“; Unwohlsein oder Schmerzen empfindet sie nicht.
Aus den Akten geht also hervor, dass schon den Zeugen,
also Laien, die Verschiedenheit der Krämpfe aufgefallen ist.
Während die Kranke manchmal ruhig dalag, schlug sie in anderen
Fällen wild um sich, raufte sich die Haare aus und musste sogar
gebunden werden, da sie nicht zu halten war. Auf Fragen rea¬
gierte sie hin und wieder gar nicht, anderseits beantwortete sie
alles, sang geistliche Lieder und hat auch zuerst im Anfall ihrer
Mutter von der strafbaren Handlung D.s erzählt.
Wenn die H. behauptet, alle Vorgänge in dieser Zeit wahr¬
nehmen zu können, so ist dem wenig Gewicht beizulegen. Es
muss schon zur Vorsicht mahnen, dass sie angibt, ihren Onkel
nicht gesehen zu haben, sie habe nur gefühlt, wie er ihr sein
Glied in den Leib steckte; es fehlt also eine unserer wichtigsten
Wahrnehmungen, das Gesicht. Und zwar nicht nur diesmal,
sondern auch früher; berichtet doch die Mutter, dass die Tochter
während des Anfalls manchmal gemerkt habe, dass Besnch kam,
doch fragte sie dann später stets nach Person und Namen. Aber
.auch das Gefühl ist herabgesetzt, das lehrt schon der leichte
Vergewaltigung im hysterischen Anfall?
667
Anfall vor Gericht, indem sie den untersuchenden Finger des
Arztes nicht erkennt, sondern nur sagt, sie hätte eine andere
Empfindung als damals durch D.s Glied.
Wie sonst bei Hysterischen haben wir auch hier keine vollstän¬
dige Aufhebung des Bewusstseins, nur ist es in krankhafter Weise
mehr oder weniger getrübt. Die pathologische Bewusstseinsver¬
änderung zeigt sich schon bei kurzen Anfällen in dem völligen
oder teil weisen Verlust der Herrschaft über die willkürlichen Be¬
wegungen, ferner in einer Herabsetzung der Wahrnehmungen durch
die Sinnesorgane. So kommt es, dass manche Kranke angeben,
alle Vorgänge zögen „nur ungenau“, „wie im Traum“ an ihnen
vorüber. Sowohl bei kürzeren, als auch namentlich bei längeren
Anfällen kann aber anderseits das Bewusstsein der Hysterischen
in stärkerem Masse verändert sein. Die Wahrnehmung der
äusseren Vorgänge kann noch geringer werden, oder sich nur auf
ein Sinnesgebiet beschränken, während die Aufmerksamkeit ganz
von inneren Vorgängen, geträumten Situationen, schreckhaften,
halluzinatorischen Erlebnissen völlig in Anspruch genommen wird.
Derartige hysterische Traumzustände sind schon seit langer Zeit
bekannt; so sind uns z. B. aus dem Mittelalter gar manche Fälle
überliefert, in denen eine Hysterica sich während des Anfalls
vergewaltigt glaubt, so z. B. oft vom Teufel. Sobald der Anfall
vorüber ist, schildert sie mit aller Deutlichkeit seine Gestalt, das
Eindringen seines stacheligen Gliedes in ihren Geschlechtsteil,
oder sie beschreibt Kleidung und Kopfbedeckung eines ihr be¬
kannten Mannes, der sie missbraucht haben soll. Auchjbei den
Hysterischen unserer Tage sind es oft unangenehme Situationen,
die sie während der Anfälle durchmachen müssen; anch Angriffe
geschlechtlichen Inhalts werden von ihnen in Anknüpfung an ge¬
hörte Erzählungen — auch die H. weiss von Hörensagen, wie sich
der Beischlaf abspielt — und Eindrücke aus gesunden Tagen bis¬
weilen halluzinatorisch durchlebt. Für Augenblicke kann dabei
während eines längeren Anfalls die äussere Wahrnehmung deut¬
licher werden, dann tritt aber wieder der frühere Traumzustand
des Bewusstseins ein und so mengt sich tatsächlich, aber nicht
deutlich Wahrgenommenes mit traumhaft Erlebtem zu einem
bunten Bild zusammen. Derartig mag auch der bewusste, lange
Anfall der H. gewesen sein, in dem das Bewusstsein — im Gegen¬
satz zu dem leichten Anfall vor Gericht — vermutlich stärker in
Mitleidenschaft gezogen war, so dass in dieser Zeit nicht die Be¬
obachtung der Umgebung, sondern innere stark affektbetonte Vor¬
stellungen sie bewegten. Ihre Behauptung, zwar nichts gesehen,
wohl aber falles gefühlt und gehört zu haben, ist ohne Belang,
denn Hysterische unterliegen nur zu leicht Gedächtnistäuschungen
und ihre Aussagen, selbst wenn sie durchaus bona fide gemacht
sind, wollen sicher gestellt sein. Manche Einzelheiten der Ver¬
gewaltigung schildert die H. mit grosser Genauigkeit, aber wir
sahen schon bei Erwähnung derartiger Zustände aus früheren
Zeiten, dass deswegen? die^Situation noch keineswegs erlebt zu
sein braucht. Wenn nun auch nach dem Befund an den Ge-
668
Dr. Kürbitz.
schlechtsorganen (dehnbares Hymen etc.) die Möglichkeit eines
Coitns nicht ausgeschlossen werden kann, so darf man, zumal die
Anfälle oft recht schwere waren, doch die Vermutung nicht von
der Hand weisen, dass sich der angebliche, verbrecherische Akt
nur in ihrer Einbildung abgespielt hat.
Als Quelle für die Entstehung falscher Anschuldigungen bei
hysterischen Personen haben wir soeben die traumartige Bewusst¬
seinsveränderung während der Anfälle angesehen, aus welcher
dann Selbsttäuschungen über scheinbar Erlebtes entspringen. Wir
müssen aber noch auf zwei andere Momente hin weisen:
Manchmal sind die Anklagen auf Lftgenhaftigkeit zurück¬
zu fahren, weise man doch, dass es Hysterische mit der Wahrheit
oft nicht zu genau nehmen. Diese lügenhaften Angaben über un¬
sittliche Attentate werden gemacht, um entweder bestimmten
Leuten zu schaden, oder auch, um sich interessant zu machen. —
Obgleich A. H. an schwerer Hysterie leidet, haben wir aber keine
Anhaltspunkte dafür, dass die Beschuldigung aus Lügenhaftigkeit
erhoben wurde; denn keiner der Zeugen erwähnt eine derartige
Charaktereigenschaft. Lügenhaft oder gar verkommen ist die H.
nicht; auch dass sie die Hand des Angeklagten einst an ihren Leib
geführt hat mit der Aufforderung, ihr „einen zu machen“, lässt
noch nicht auf einen tiefen moralischen Defekt schliessen. Der Vor¬
gang zeigt uns nur, dass sie zur Zeit der Krämpfe — tatsächlich
folgte bald darauf ein Anfall — Vorstellungen geschlechtlichen In¬
halts gehabt hat und dass einmal bei ihr die gewöhnlichen Hem¬
mungen für die Niederhaltung derartiger Vorstellungen und Wünsche
versagt haben. Bei Hysterischen kann bekanntlich zur Zeit der
Krämpfe die geschlechtliche Erregung eine hochgradige, krank¬
hafte Steigerung erfahren, in der dann nur zu leicht die Selbst¬
beherrschung verloren geht.
Als dritte Ursache für die Entstehung falscher Anschuldi¬
gungen bei Hysterischen müssen wir noch der sehr häufig auftreten¬
den Erinnerungstäuschungen Erwähnung tun. An diese muss
man erfahrnngsgemäss stets denken, wenn die Kranken erst nach
längerer Zeit über einen angeblichen Baubanfall, ein sexuelles
Attentat etc. berichten. Da Hysterische eine äusserst lebhafte
Phantasie haben, so reden sie sich, ohne dessen gewahr zu werden,
allerlei ein. Im Anschluss an irgend eine Nachricht, ein Erlebnis
malen sie sich Vorgänge und Situationen bis ins kleinste aus und
sind schliesslich fest davon überzeugt, alles wirklich erlebt zu
haben. Bona fide werden dann derartige Gebilde ihrer Phantasie
als Tatsachen veröffentlicht, wobei wir zwei Arten unterscheiden
müssen: Die leichtere Form schliesst sich an Erlebtes an, das
dann nur in mehr oder minder reichem Masse ausgeschmückt und
verändert wird. Sind die Beschuldigungen dagegen völlig frei
erfunden und von der Wirklichkeit durch die Kranken nicht mehr
zu unterscheiden, dann haben wir eine schwere Erkrankung
vor uns.
Kommen wir nun nach dieser Abschweifung auf unseren Fall
zurück, so müssen wir immerhin mit der Möglichkeit einer Er-
Vergewaltigung im hysterischen Anfall P
669
innerungstäuschung bei der H. rechnen. Ohne Grund hat sie acht
Tage nach dem vermeintlichen Attentat D.s verlassen, sie bald
nachher noch einmal besucht, ohne irgendwelche Anklagen zu
erheben. Erst 8 Wochen später macht sie während eines Anfalles
der Matter die erste Mitteilung! Ein derartiger Tatbestand muss
unwillkürlich anffallen und stutzig machen.
Kann man sich nun eventuell psychologisch das Verhalten
der Anna H. erklären?
Seit einem Jahr war sie regelmässig menstruiert, da blieb
die Regel aus, und sie glaubte ein Slärkerwerden ihres Leibes zu
beobachten. Es ist nun absolut nicht unwahrscheinlich, dass sie
durch das Sistieren der Menses beunruhigt wurde, und dass sie
an eine Schwängerung dachte (tatsächlich war sie nicht schwanger,
auch hat sich die Regel allmählich wieder eingestellt). Da sie
aber noch nie mit einem Mann verkehrt hatte, so mag sie —
vielleicht zuerst ganz flüchtig — an eine Vergewaltigung im
Schlaf oder im Anfall gedacht haben. Diese Ueberlegungen haben
dann mit der Zeit immer festere Gestalt angenommen. Nun war
sie mit dem Onkel nachweislich bei einem Anfall, vielleicht aber
auch häufiger, ganz allein im Zimmer, nnd was zuerst nur ein
flüchtiger Gedanke war, wurde nach und nach immer mehr zur
Wahrscheinlichkeit und schliesslich zu einer feststehenden, unum-
stösslichen Tatsache. Mit allen Einzelheiten malte sie sich all¬
mählich die verbrecherische Handlung aus und vielleicht wurde
diese Erinnerungsfälschang auch noch durch traumartige Eindrücke
späterer Anfälle unterstützt.
Ein derartiger Zusammenhang ist gar manchmal schon bei
Hysterischen nachgewiesen worden und wenn unser Gedankengang
bei der H. auch nur eine Möglichkeit zeigen soll, so darf man
ihn doch nicht ohne weiteres in das Reich der Unmöglichkeiten
weisen.
Das anstaltsseitig abgegebene Gutachten schloss, wie folgt:
1. Die H. leidet sicher an Hysterie und hysterischen Krampf¬
anfällen.
2. Während der Krampfanfälle hat sich bei der H. — wie
dies bei Hysterie stets der Fall ist — eine Bewusstseinsverände¬
rung gezeigt.
3. Diese Bewusstseinsveränderung war in den einzelnen An¬
fällen verschieden. Die objektive Beobachtung der äusseren Vor¬
gänge ist während der Anfälle in verschiedenem Grade gestört
und beschränkt gewesen.
4. Es ist nicht bewiesen, dass der Anfall, in dem das
Attentat erfolgt sein soll, im Verhalten des Bewusstseins dem
vor Gericht beobachteten geglichen hat.
5. Es ist möglich, dass bei der H. während der Anfälle zu
Zeiten auch die äusseren Beobachtungen durch traumartige Be¬
wusstseinsveränderung gefälscht wurden.
6. Es können auch sonst nach Lage der Akten bei der an
Hysterie leidenden H. krankhaft fälschende Momente (Erinnerungs-
070
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
t&nschnugen) für ihre Aussagen über das in Krampfanfällen Er¬
lebte nicht ausgeschlossen werden.
Gerichtsseitig wurde hierauf das Verfahren gegen D. ein¬
gestellt. __
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
Bakteriologie, Infektionskrankheiten and öffentliches
Sanitätswesen.
Zar Kenntnis der Meningitis cerebrospinalis epidemica. Von Dr
Göppert-Kattowitz. Berl. klm. Wochenschrift; 1905, Nr. 21 and 22.
Verf. veröffentlicht 44 Fälle seiner Praxis. Nur 20 Fälle boten bei der
Untersuchung die typische Nackensteifigkeit. Bei den Fällen ohne Nacken*
Steifigkeit sind 8 Typen za antcrscheiden. Im ersten Typas beherrscht die
Aaftreibang des Kopfes das Krankheitsbild (Fontanellenspannnng). Der zweite
Typas ohne Nackensteifigkeit, bei denen aach die Fontanellenspannung im
Stich läßt, zeigte sich bei schnellem Pols and beschleunigter Atmung kein
einziges Symptom aaßer Schmerzhaftigkeit bei passiven Bewegungen. Der dritte
Typas ist die Form mit wachsgelbcr Blässe and hohem Fieber; sie sieht den
eitrigen Blascnkatarrhen des Säuglingsalters zam Verwechseln ähnlich. In
einigen Fällen warde in wenigen Standen anhaltendes Unwohlsein mit Fieber
and Kopfschmerzen beobachtet, dem vor der weiteren Erkrankung ein 10 bis
24 Stunden anhaltendes Wohlbefinden folgte. Von Interesse sind die Fälle,
die gleichzeitig mit Erkrankung der Atmungsorgane einhergehen; Beginn mit
bräuneartigen oder bauchhustenähnlichem Hasten. Za beachten ist ein Symp¬
tom der Pupillen. Im Zustande des Sopors nämlich verengern sich die Papillen,
erweitern sich beim Kneifen fast maximal, am sich dann sofort wieder za
verengern. Von den 44 Fällen boten 22 klares Bewußtsein, zam Teil während
des ganzen Verlaafs der Krankheit dar. Die Nahrungsaufnahme war oft bis
zam Tode eine ausgezeichnete. Dr. Bäu her-Köslin.
Pathologische Anatomie und Infektionsweg bei der Genickstarre.
Von Privatdozent Dr. Westenhöffe r, Prosektor am städtischen Krankenhaus
Moabit, Stabsarzt a. D. Vortrag, gehalten am 24. Mai 1905 in der Berliner
med. Gesellschaft. Berl. klin. Wochenschrift; 1905, Nr. 24.
Der Inhalt deckt sich im wesentlichen mit dem Bl. 496/497 dieser Zeit¬
schrift mitgeteilten Beobachtungen. Die Schlußsätze lauten: 1. Die Eintritts¬
pforte des Krankheitserregers der Cerebrospinalmeningitis ist der hintere Nasen¬
rachenraum, besonders die Bachentonsille. 2. Die Hirnhaatentzttndang ist
anfangs stets eine basilare und zwar in der Gegend der Hypophysis. Sie ent¬
steht auf lymphogenem Weg. 3. Die Hirnhautentzündung als Zeichen der
Erkrankung des Cavam cranii ist analog den Erkrankungen der Schleimhäute
där Nebenhöhlen des hinteren Nasenrachenraumes. 4. Niemals oder sicher nar
ganz ausnahmsweise entsteht die Hirnhautentzündung durch Fortleitung einer
Erkrankung der Siebbeinzellen. 5. Die Krankheit ist eine exquisite Kinder¬
krankheit. 6. Die von der Krankheit befallenen Kinder und Erwachsenen haben
deutliche Zeichen einer sogenannten lymphatischen Konstitution. 7. Die Krank¬
heit ist eine Inhalationskrankheit. 8. Ihre Bekämpfung ist ganz wesentlich
eine wohnungshygienische Frage. 9. Der Meningococcus Weichselbaum-
Jaeger wird zwar in der Mehrzahl der Fälle gefanden, doch ist ein absolut
einwandfreier Beweis, daß er der alleinige Erreger der epidemischen Cerebro¬
spinalmen gitis ist, noch nicht erbracht. Die Tatsache, daß andere Kokken
teils allein, teils gemischt mit dem Meningococcus gefanden werden können,
sohließt die Möglichkeit nicht aus, daß alle diese Bakterien eine sekundäre
Bolle spielen und daß der eigentliche Krankheitserreger überhaupt noch nicht
bekannt ist (Analogie mit Streptokokkeninfektion bei Scharlach).
Dr. Bäuber-Köslin.
Ueber die gegenwärtige Epidemie der Genlkstarre und Ihre Be¬
kämpfung. Von Prof. Dr. M. Kirchner, Geh. Obermedizinalrat. Vortrag
Kleinere Mitteilungen nnd Referate aus Zeitschriften.
671
gehalten in der Berliner med. Gesellschaft. Berl. klin. Wochenschrift; 1905,
Nr. 23 and 24.
Die epidemische Genickstarre führt ihren Namen mit Unrecht, da sie
in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle sporadisch und nur außerordentlich
selten in epidemischer Verbreitung auftritt. ln Preußen kommen im Jahre
durchschnittlich 120—140 Fälle vor mit einer Mortalität von ca. 50°/o. Die
früher 1886/87 und 1895/96 beobachteten Epidemien standen an Zahl der Er¬
krankungen und Schwere des Verlaufs hinter der gegenwärtig im Regierungs¬
bezirk Oppeln herrschenden weit zurück. Die diesjährige Epidemie erscheint
noch viel größer, wenn man berücksichtigt, daß auch in Rußland die Genick¬
starre in denjenigen Teilen herrscht, die an die preußische und österreichische
Grenze anstoßen und daß eine große Epidemie auch in Galizien und Oester-
reichisch - Schlesien besteht. In Galizien sind vom 3. Januar bis 8. April in
78 Gemeinden 437 Erkrankungen mit 188 Todesfällen vorgekommen, in Oester-
reichisch- Schlesien bis Ende März in 24 Gemeinden 64 Erkrankungen mit
21 Todesfällen. Der Ursprung ist schwierig festzustellen. Bis 7. Mai waren
im Reg.-Bez. Oppeln 1955 Erkrankungen mit 1002 Todesfällen zu verzeichnen
Die epidemische Genickstarre hat übergegriffen auf die Reg.-Bez. Breslau und
Liegnitz, einzelne Erkrankungen sind im übrigen preußischen Staat vorgekommen.
Die epid. G. trat zuerst Anfang November v. J. im Kreise Tarnowitz
mit 2 vereinzelten Fällen auf. Hierauf weitere vereinzelte Fälle, erst im Ja¬
nuar begann die Epidemie sich auszubreiten, im Februar erreichte sie eine
beträchtliche Höhe, im März und April ist sie außerordentlich verbreitet. Im
wesentlichen handelt es sich um die Kreise: Stadtkreis Königshütte, Stadt-
und Landkreis Beuthen, Stadt- und Landkreis Kattowitz, Zabrze, Pleß und
Tarnowitz. Die eigenartige Verbreitung der Krankheit läßt sich erklären durch
den Verkehr zwischen den Hütten und Gruben und den oft entfernter liegen¬
den Wohnhäusern der Arbeiter in dem östlich der Oder gelegenem Industrie-
bezirk mit der dichtesten Bevölkerung des preußischen Staates. Der Prozent¬
satz der Erkrankungen ist dabei verhältnismäßig gering. Im Kreise Katto¬
witz Land waren nur 0,24 °/o, in Kattowitz Stadt 0,18 °/o, in Pleß 0,15 °/o, in
Tarnowitz 0,13 °/«, in Zabrze 0,13 °/o und im Stadtkreis Königshütte 0,62 °/o der
Bevölkerung erkrankt. Von sämtlichen 2087 Erkrankungen betrafen 90,5 °/o
Kinder unter 15 Jahren, während Erwachsene nur mit 6,5 °/o der Erkrankungen
vertreten waren. Die epid. Genickstarre ist eine Kinderkrankheit, die Empfäng¬
lichkeit für sie nimmt mit zunehmendem Lebensalter ab. Sie ist verhältnis¬
mäßig wenig ansteckend; „Genickstarrehäuser“ sind selten, Erkrankungen
mehrerer Familienmitglieder sind auf gleichzeitige Infektion zurückzuführon.
Der Krankheitskeim wird nicht selten durch Gesunde, die mit Erkrankten kurz
zuvor in Berührung gekommen sind, verbreitet. Arbeiter aus verseuchten
Orten im Industriebezirk kehrten am Sonnabend in ihr Heimatsdorf zurück,
3—4 Tage darauf erkrankten ihre Kinder oder Kinder in der Nachbarschaft
an epid. Genickstarre. Der Weichsel bäum sehe Diplococcus wurde von
v. Lingelsheim gefunden in der Panktionsflüssigkeit in 56,8°/o (an
243 Kranken), im Leichenmaterial in 49,5 % (189 Leichen), im Nasen- und
Rachensekret in 23°/ 0 (635 Kranken), ferner im Nasen- und Rachenschleim
Die Meningokokken scheinen schnell zugrunde zu gehen. Geringe Mengen
von Desinfektionsmitteln genügen zur Abtötung des Mikroorganismus. Die
von Gesunden in 9 °/o (213 Gesunde); Blutproben zeigten Agglutination in 55,2%.
Verbreitung geschieht wahrscheinlich durch Tröpfcheninfektion. Ob der Dip¬
lococcus intracellularis der Erreger ist, ist noch nicht einwandsfrei festgestellt.
Bei der Bekämpfung der Epidemie erwies sich der Min.-Erlaß vom
23. November 1888 als sehr gut; Ausschluß der gesunden Schulkinder aus
Häusern, in denen Kranke waren, aus der Schule, Desinfektionen und Isolierung
der Kranken konnten gut durchgeführt werden.
Bei der Behandlung der Kranken bewährten sich gut heiße Bäder und
mit äußerster Vorsicht vorgenommene Lumbalpunktionen. Da nach West¬
höf fers Untersuchungen der Beginn der Erkrankung von der Rachenmandel
ausgeht, so sollten alle diejenigen, die mit Kranken an epid. Genickstarre in
Berührung kommen (Aerzte, Krankenwärter) sich davor hüten, sich von dem
Kranken anprusten oder anhusten zu lassen, und dafür sorgen, daß die Kranken
regelmäßig mit Desinfektionsmitteln gurgeln, dies aber auch ihrerseits nicht
unterlassen. Dr. Raub er-Köslin.
672
Kleinere Mitteilangen und Referate ans Zeitschriften.
Beobachtungen Aber die diesjährigen Fälle von Genickstarre. Von
Prof. Dr. Grawitz-Berlin. Vortag, gehalten in der Berliner med. Gesellschaft.
Berl. klin. Wochenschrift; 1905, Nr. 24.
Die alljährlich beobachteten sporadischen Fälle (so 20—30 jährliche
Fälle in den Kasernen beim Militär) führen äußerst selten za Epidemien und
sind wenig ansteckend für die Aerzte und das Pflegepersonal; wenn sich in
Oberschlesien die Krankheit kontagiös verbreitet hat, so müssen dort Momente
vorhanden sein, welche ganz speziell disponierend wirken. Von 17 in kurzer
Zeit mit der Diagnose und unter den Zeichen der Genickstarre in das
Charlottenburger Krankenhaus eingelieferten Fällen erwiesen sich nur 8 als
sporadische Meningitis (2 mal Diplococcus, 1 mal Streptococcus). Zur Diagnose¬
stellung ist histologische Untersuchung des Lumbalsekrets nötig. Die auf der
Basis von Diplokokken oder Streptokokken entstandenen Meningitiden zeigen
in den Lumbalsekreten die gewöhnlichen polynuklearen Eiterkörperchen, während
die Fälle von tuberkulöser M. vorzugsweise lymphoide Zellen darbieten. Im
Blut hingegen zeigt Genickstarre fast gar keine Vermehrung der Leukozyten,
während die tuberkulöse M. starke Leukozytose und eine Vermehrung der
polynuklearen Zellen zeigte. Therapeutisch bewährten sich Entleerung des
Eiters aus dem Lumbalsacke und reichliche Zufuhr von Flüssigkeit zur An¬
regung der Diurese, ferner Kochsalzklystiere. Gr. wünscht, daß die amtlichen
Anzeigen erst erfolgen sollen, wenn die Diagnose gesichert ist. Der Name
„epidemische Genickstarre“ ist in „kontagiöse“ oder „ansteckende Meningitis*
zu ändern. _ Dr. Räuber-Köslin.
lieber Augenstürungen bei der Genickstarre. Erweiterte Diskussions¬
bemerkungen auf Grund von Beobachtungen an 100 Fällen von Genickstarre.
Von Privatdozent Dr. Heine-Breslau, 1. Assistent. Berl. klin. Wochenschr.;
1906, Nr. 25.
Im Vordergrund stehen Störungen im sensorischen Leitungsapparat,
Blutungen in der Retina, einfache Neuritis optica intraoculuris, basilare Amau¬
rose oder hochgradige Amblyopie. Seltener sind die kortikalen Sehstörungen.
Auch durch Mitbeteiligung des Augeninnern können Erblindungen herbei¬
geführt werden, durch metastatische Prozesse, Pseudogliom oder amaurotisches
Katzenauge. Diese metastatische Ophthalmie kann auch in leichteren Formen
auftreten, die nicht zur Erblindung führen. Endlich werden Augenmuskelnerven-
Lähmungen beobachtet, Abducensparesen, vollständige Lähmung sämtlicher
Augenmuskeln und leichtere Formen der Blicklähmungen. Bemerkenswert ist
die Seltenheit des Lidschlages zumal im Beginn der Erkrankung; Nystagmus
und Papillenstörungen kommen mehrfach zur Beobachtung. Unter 100 Kranken
befinden sich mindestens 20 Augenkranke mit wenigstens 30 krankhaften
Augensymptomen, von denen 15 den Bewegungsapparat, 10 die optischen
Leitungsbahnen und 5 das Augeninnere betreffen. Dr. Räuber-Köslin.
Ceber Meningitis eerebrospinalis epidemica. (Weichselbaiunsche
Meningitis.) Von Dr. Hugo Schottmüller-Krankenhaus Eppendorf.
Münchener mediz. Wochenschrift; 1905, Nr. 34, 35 und 36.
Verf. verbreitet sich zuerst über die Geschichte der epidemischen Cere¬
brospinalmeningitis und geht dann näher auf die keineswegs entschiedene
wichtige Frage der Aetiologie ein. Hierbei hat als feststehend zu gelten, daß
der von Weichselbaum bei eitriger Meningitis gefundene und zuerst
näher beschriebene Micrococcus meningitidis cerebrospinalis das ätiologische
Moment vieler Epidemien gewesen ist. Daß der Diplococcus lanceolatus
Fränkel zahlreiche Fälle von Meningitis bedingt, ist eine bekannte Tatsache;
indessen liegt nicht eine einzige auf einwandfreie Untersuchungen gestützte
und hinreichend genaue Mitteilung vor, die zur Behauptung berechtigte, daß
der Diplococcus lanceolatus Fränkel auch eine Epidemie von Genickstarre
hervorrufen kann.
Dagegen kann der Streptococcus mucosus (Schottmüller) ebenso
wie der Micrococcus Weichselbaum sowohl sporadische Fälle, als Epidemien
von Meningitis bedingen. Die durch den erstgenannten Coccus bedingten
Epidemien sind jedoch, soweit heute ein Urteil erlaubt ist, außerordentlich
selten, während die meisten und namentlich die großen Epidemien durch den
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
673
Micrococcus Weichselbaum hervorgerufen sind, so auch die zurzeit in
Schlesien wütende Epidemie.
Verf. hebt zum Schlüsse der Schilderung über die Biologie des Micro*
coccus Weichselbaum besonders hervor, daß der beschriebene Coccus ein
sehr wenig widerstandsfähiger Mikroorganismus ist, was epidemiologisch wich*
tig ist. Er ist besonders empfindlich gegen das Aastrocknen and geht sehr
wahrscheinlich außerhalb des menschlichen Körpers bald zugrunde. Er ist ein
obligater Parasit, der meist direkt von Mensch auf Mensch übertragen
wird und zwar dürfte seine Ansiedlung zunächst in der Nase erfolgen, von wo
aus er dann in gewissen Fällen vermutlich auf dem Ljmphwege in die Meningen
gelangt. Bei der Uebertragung von Mensch auf Mensch spielen wohl die Finger
die Hauptrolle, die ja so häufig in die Nase geführt werden. Das Aufflammen
einer Epidemie dürfte sich ähnlich erklären lassen, wie bei der Influenza.
Auch die Bazillen der Influenza kommen immer vor, nehmen aber zuweilen
hochvirulcnten Charakter an und erzeugen dann durch irgend eine Ursache
besonders virulent und infektiös geworden, eine Epidemie. Verf. geht dann
zum Schluß noch auf das klinische Bild der Weichsel bäum sehen (epide¬
mischen) Meningitis ein, kommt dabei auch auf die Differentialdiagnose zu
sprechen, wobei hauptsächlich in Betracht kommen können: Typhus, Tetanus,
kruppöse Pneumonie, tuberkulöse Meningitis nsw. usw.
Ganz am Schlüsse der Arbeit wirft Verf. noch die Frage auf, ob, nach¬
dem der Name epidemische Genickstarre nicht zutreffend ist, weil sie häufig
genug sporadisch vorkommt, nicht die Normenklaturfrage am einfachsten da¬
durch gelößt würde, daß man die Krankheit „Weichselbaumsehe Menin¬
gitis“ nennt. Dr. Waibel -Kempten.
Die Dysenterie ln Konstantinopel. Von Deycke und Re sch ad
EffendL Für die Türkei: Selbstgelebtes und Gewolltes. Von Dr. Robert
Rieder-Pascha. Jena 1904. Verlag von G. Fischer. Band II.
Nach Ansicht dor Verfassers verbreitet sich die Ruhr in Konstantinopel
in erster Linie durch direkten und indirekten Kontakt, wozu die Gewohnheiten
und die religiösen Gebräuche der muselmännischen Bevölkerung, sowie die
unhygienischen Einrichtungen der Häuser, speziell der Abortanlagen im Orient
Gelegenheit bieten. Aber auch die Eigenart der Wasserversorgung Konstantinopcls,
von der die Verfassers eine hochinteressante Schilderung geben, spielt eine Rolle
bei der Verbreitung der Ruhr, die ohne weiteres dadurch charakterisiert wird,
daß es den Verfassern gelang, in dem Wasser der Kirk-tschesme-Leitung die
beiden Bazillen nachzuweisen, welche sie für die Erreger der bazillären Ruhr
in Konstantinopel halten.
Neben der Amöbenenteritis beobachteten sie nämlich zwei deutlich von¬
einander sich unterscheidende Formen von bazillärer Dysenterie, die zwei
deutlich verschiedenen, streng charakterisierten Erregern ihre Entstehung ver¬
danken. Die erste Form verlief stets schwer, protahiert und war ausgezeichnet
durch die Neigung zu rezidivicren. Aus den Stühlen der Kranken und den
inneren Organen von der Krankheit Erlegenen konnte ein coli ähnliches, un¬
bewegliches Stäbchen gezüchtigt werden, dessen wichtigste kulturelle Merkmale
waren: knopfförmiges Wachstum auf Gelatine, transparente Kolonien auf ge¬
wöhnlichem, blaue, durchscheinende Kolonien auf v. Drigalski-Conradisehen
Agar, Vergährung von Traubenzucker, keine Veränderung der Milch, starke
Indolbildung und kaum sichtbares Wachstum auf der Kartoffel. Das Serum
der Kranken agglutinierte die Bazillen in den Verdünnungen 1:30—1:50,
bisweilen noch höher. Es gelang leicht, durch Verfiitterung und Injektion per
rectum von Ruhrstühlen oder Reinkultur der beschriebenen Bazillen bei Katzen
eine typischo Dysenterie zu erzeugen; schwerer gelang dies dagegen durch
intravenöse oder intraperitonale Injektionen. Pathologisch - anatomisch boten
die infizierten Katzen dieselben Veränderungen, wie sie sich in menschlichen
Dysenterieleichen fanden. Die Bazillen konnten leicht aus den Stühlen, dem
Blut oder den Organen der infizierten Katzen reingezüchtet werden. Ein durch
Autolysc aus den Bazillen gewonnenes Toxin war bei subkutaner Injektion
außerordentlich wirksam und führte zu schwerer Nephritis und allgemeiner
Lähmnng.
Die zweite Form der bazillären Dysenterie verlief dagegen gewöhnlich
674
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
sehr leicht nnd ging in kurzer Zeit in Heilung ttber. In den Dejektionen der
Kranken fand sich ein der Shiga-Kruse-Gruppe an gehörendes Bacterinm,
das Lentz, dem die Verfasser einige der hierher gehörigen Stämme zur Art*
bestimmung übersandten, mit dem Fl exn er sehen Bacillus identifizieren
konnte. Bei 4 Dysenteriekranken, deren Krankheit sehr schwer verlief, fanden
sich beide Dysenterieerreger.
In den Stühlen, der an Amöbenenteritis leidenden Kranken fanden sich
stets sehr lebhaft bewegliche Amöben; da diese nicht katzenpathogen waren,
halten sie die Verfasser nach Quinke und Boos für Amöba coli mitis. Häufig
fanden sich in den Stühlen dieser Kranken Charcot-Leydensehe Krystalle,
während die Stühle der an bazillärer Dysenterie leidenden Kranken häufig
Fettsäurekrystalle enthielten. Erstore enthielten große Mengen oft klumpigen
Blutes, in letzteren fanden sich im Schleim höchstens Blutstreifen. Komplikationen
würden selten beobachtet, nie Leberabszesse, die als die Folge einer Dysenterie
hätten angesprochen werden müssen, dagegen bisweilen perniziöse Anämie.
Die Therapie bei akuter bazillärer Dysenterie bestand zunächst in einer
gründlichen Reinigung des Darms mittelst Ol. Ricini; die Kranken erhielten in
den ersten Tagen nur Reiswasser in kleinen Portionen, daneben Bismut. subnitr.
und Opium, auf den Leib kamen heiße Umschläge. Bei der chronischen Form
müssen zur Hebung der Körperkräfte Milch, Reis, Eier, Rahmkäse eventl. auch
kleine Portionen guten Fleisches gegeben werden; an Medikamenten reicht
D e y k e in diesem Stadium Salol, Thymolpräparate und Ichthoform. Klystiere
wendet er nur ungern an.
Bei der Amöbenenteritris kommt neben der gleichen diätetischen Be¬
handlung wie sie bei der Bazillendysenterie beschrieben wurde, Rad. Ipecac. in
großen Dosen nach vorrausgegangener Darreichung kleiner Dosen Opium und
Kalomel in häufigen kleinen Dosen in Anwendung.
Den Schluß der fleißigen und interessanten Arbeit bildet die Beschreibung
der bei den Leichen an Dysenterie Verstorbener gefundenen pathologisch¬
anatomischen Veränderungen, deren Einzelheiten im Referat nicht wiedergegeben
werden können. Die Verfasser halten die schweren Darmveränderungen für
die Produkte der Giftwirkungcn, der in den Leibern der Ruhrbazillen ent¬
haltenen Toxine. Dr. L e n t z - Saarbrücken.
Veber ruhrartige Erkrankungen in Deutsch-Südwestafrika. Von
Stabsarzt Dr. Hillebrecht, Arch. f. Schiffs- und Tropenhygiene; 1905, Nr. 9.
H. beobachtete in Südwestafrika eine Abart der Ruhr, die sich in viel¬
facher Hinsicht wesentlich von den bekannten Formen unterscheidet. Die
Krankheit beginnt meist mit leichtem Fieber, starken Leibschmerzen und pro¬
fusen Durchfällen. Der Stuhl besteht sehr bald nur noch aus Blut und
Schleim. Die Zunge ist grau belegt, das Bewußtsein frei. Erbrechen fehlt
meist. Schon am 8. Tage beginnen die Erscheinungen abzuklingen; nach
7 Tagen sind sie meist verschwunden. Charakteristisch für diese Form der
Ruhr ist die auffallende Gutartigkeit, die fehlende Neigung, sich zu einem
chronischen Leiden zu entwickeln und das Fehlen von sekundären Leberabszessen.
Verfasser glaubt, daß weder Amöben, noch der Kruse-Shigasche
Baccillus als Erreger in Betracht kommen. Eingehende bakteriologische Unter¬
suchungen fehlen noch. Die Ansteckung erfolgt meist durch infiziertes Trink¬
wasser. Dr. D o h r n - Cassel, z. Z. Czarnikau.
Zwei seltene Beobachtungen bei Scharlach. Von Dr. Leopold Bleib -
treu, Oberarzt in Köln. Münchener mcd. Wochenschrift: 1905, Nr. 87.
I. Ein siebenjähriges Mädchen zeigte am 14. November 1904 typisches
Scharlachexanthem mit erythematöser Angina, Himbeerzunge und nachfolgender
charakteristischer Abschuppung. Am 23. Dezember wurde nach vorausgegangener
Temperatursteigerung, öfterem Erbrechen das Auftreten eines erneuten deut¬
lichen Scharlachexanthems mit Angina und Himbeerzunge konstatiert. Der
diesmalige Krankheitsverlanf war kompliziert mit leichten Schwellungen in
beiden Handgelenken und mit einer leichten Albuminurie. Die Abschuppung
trat wieder so intensiv auf, wie das erste Mal. Im Gegensatz zum Abdominal¬
typhus sind Rezidive bei Scharlach selten. Während die bisher beobachteten
Scharlachrezidive meistens in der Mitte oder am Ende der dritten Woche auf-
Kleinere Mitteilungen nnd Referato aus Zeitschriften.
675
traten, zeigte sich das Rezidiv im vorliegenden Falle am Ende der sechsten
Woche, was gewiß zu den größten Seltenheiten gehört.
II. Bei einem 15jährigen Mädcken trat im Mai 1905 ein deutliches
Scharlachexanthem mit nnr wenige Tage dauerndem Fieber, Eiweißgehalt
des Urins und charakteristischer Abschuppung auf. Am 14. Juni entdeckte
Verfasser an beiden Knieen dicht oberhalb und seitlich der Patella an der
inneren Seite des unteren Teiles der beiden Oberschenkel frisch entstandene,
symmetrisch angeordnete, quergestellte, bläulich rote, annähernd parallel ver¬
laufende Narben, die mehr oder weniger deutlich bis zu 11 übereinander ge¬
lagert in Zwischenräumen von 1—l 1 /* cm verliefen. Aber auch auf beiden
Gefäßhälften fanden sich symmetrisch zahlreiche bläulichrote, von vorn oben
nach hinten unten verlaufende Narben, die ebenfalls wie die Narben am Knie,
nur deutlicher wie diese, gegen die normale Oberfläche vertieft und auch zum
Teil länger und breiter waren. Soweit Verfasser die Literatur überblicken
kann, ist das Auftreten derartiger Striae nach Scharlach nicht beobachtet
worden, während sie nach Typhus abdominalis bekanntlich etwas häufiger zur
Beobachtung kommen. Dr. Waibel-Kempten.
Ueber den Einfluss des roten Lichtes auf Scharlachkranke, welcher
im Nürnberger Kinderhospital beobachtet wurde. Von Hofrat Dr. Cnopf.
Münchener med. Wochenschrift; 1905, Nr. 32.
Bekanntlich wurden schon in der Volksmedizin vergangener Jahrhunderte
in China, Japan und Rumänien das Gesicht und die Hände Pockenkranker mit
roten Tüchern verhüllt.
ln neuerer Zeit wurde die Chromotherapie vielfach und zum Teil mit
günstigem Erfolge angewendet; es kam speziell die Anwendung des roten
Lichtes bei Blatternkranken durch Finsen und seine Schüler zur Einführung
und zwar mit günstigem Erfolge.
Es war bei dem Erfolge dieser Behandlung naheliegend, die Chromo¬
therapie auch bei exanthematischen Krankheiten (Scharlach, Masern und
Erysipel etc.) zu versuchen.
Verfasser machte diesbezügliche Beobachtungen bei 14 scharlachkranken
Kindern und kommt zu dem Schlüsse, daß bei sämtlichen Scharlachkranken im
Initialstadium ein günstiger Einfluss des roten Lichtes auf dem Scharlach¬
prozeß, was die Dermatitis, wie den Temperaturgang anbetrifft, vorhanden und
dementsprechend die Rotlichtbehandlung durch den mildernden Einfluß, den sie
auf das Initialstadium bei Scharlach aasübt, ein wichtiger Faktor der Therapie
dieser Krankheit sei.
Zum Zwecke der Rotlichtbehandlung wurden die 2 Fenster eines Zimmers
auf der Separatabteilung mit Läden versehen, deren untere zwei Drittel das
Tagelicht vollständig abschlossen, während das obere Drittel mit Ruby Christia-
Seide nur dem roten Lichte den Zutritt gestattete. Nachts wurde das künstliche
Licht, ähnlich wie in photographischen Dunkelkammern unschädlich gemacht,
die Türe durch einen roten Vorhang abgeschlossen.
Dr. Waibel- Kempten.
Eine Masernepidemie. Von Bezirksarzt Dr. Heißler in Teuschnitz.
Münchener med. Wochenschrift; 1905, Nr. 28.
Verfasser berichtet ausführlich über die epidemiologischen und statisti¬
schen Verhältnisse einer sehr ausgedehnten und z. T. eigenartig verlaufenden
Masernepidemie in seinem Bezirke (2881 Fälle).
Der Verlauf der Epidemie läßt die Schließung der Schule in keineswegs
günstiger Beleuchtung erscheinen, da die Kinder auf dem Lande, wenn sie m
der Schale nicht Zusammenkommen, um so ausgiebiger auf der Straße und
beim Spiele miteinander in Berührung kommen. Verfasser kommt dann auf
den geringen Erfolg zu sprechen, den wir meistens mit unseren Maßregeln bei
Infektionskrankheiten im allgemeinen haben, und bezeichnet neben der Indolenz
der Bevölkerung als Hauptgrund den Umstand, daß unsere Maßregeln meist zu
spät kommen. Bis das Amt Kenntnis von einer ansteckenden Krankheit erhält,
bis die Mitteilung den Dienstweg durchlaufen hat und die Maßregeln in Vollzug
676
Kleinere Mitteilungen nnd Referate ans Zeitschriften.
gesetzt sind, hat die Infektion meistens schon grosse Fortschritte gemacht.
Ein Erfolg kann aber nur erwartet werden, wenn die Krankheit in ihren ersten
Anfängen getroffen wird, d. h. wenn die Anzeigepflicht für jeden
einzelnen Fall aller Infektionskrankheiten besteht. Mur dann
können ansteckende Krankheiten wirksam bekämpft und Epidemien verhütet
werden. Dann ist aber auch das Opfer für die Schule nicht zu groß und auch
nicht mehr so groß, wie heute. Abgesehen von anderem ist dieses Ziel anzu¬
streben im Interesse der Erhaltung und Hebung unseres Bauernstandes, des
Rückgrates der Bevölkerung, den die häufigen und langen Unterbrechungen
des an sich schon allzu knappen Schulunterrichtes den größten Schaden bringen
müssen. _Dr. Waibel-Kempten.
Zur Aetlologie der Pneumonia crouposa. Von Dr. Hugo Schott¬
in tt 11 e r - Eppendorfer Krankenhaus. Münchener med. Wochenschrift; 1905, Nr. 30.
Auf Grund mehrerer Hunderte von Beobachtungen kann Verfasser be¬
stätigen, daß der von A. Weichselbaum schon 1886 ausgesprochene Satz
zu Recht besteht, daß „der pneumonische Virus kein einheitliches ist und die
sogenannte kroupöse Pneumonie durch mehrere Arten von Bakterien hervor¬
gerufen werden kann“. Verfasser ist in der Lage, die Zahl der Erreger der
primären Pneumonie(Pneumococcus- Fränkel, Diplobacillus- Friedländer),
um einen zu vermehren in der Form des Streptococcns mucosus.
Unter Mitteilung von mehreren Krankengeschichten, Obduktionsbefunden
etc. geht Verfasser näher auf seine Beweisgründe ein und beschreibt dann die
Eigenschaften des Streptococcus mucosus. Wie groß die Zahl der durch
diesen Krankheitserreger erzeugten Pneumonien ist, kann er zunächst nicht
beurteilen, meint aber, daß der Streptococcus mucosus häufiger als der Diplo-
bacillus-Friedländer die kruppöse Pneumonie erzeugt.
Weitere systematisch durchgeführte Sputumuntersuchungen werden
hierüber Aufschluß geben können. Dr. Waibel-Kempten.
Neuere Arbeiten Aber Epidemiologie der Tnberknlose. Von Stabs¬
arzt Dr. Kutscher, kommandiert zum Königl. Institut für Infektionskrank¬
heiten in Berlin. Berliner klinische Wochenschrift; 1905, Nr. 20.
Aus dem umfangreichen Material der Sanitätsstatistik des Preußischen
Staates (Cornct) geht hervor, daß sich die Lehre v. Behrings von der in¬
fantilen Infektion in keiner Weise mit der Statistik der Tuberkulose als Todes¬
ursache in Einklang bringen läßt. Die Häufigkeit der Lungenschwindsucht
auf 10000 Lebende berechnet, fällt von 20,4 im ersten Lebensjahre ständig in
der ersten Lebenszeit auf 4,52 Fälle im Alter von 5—10 Jahren, um dann
wieder konstant bis zum 60—70. Lebensjahre zu Bteigen. Nach den aus dem
FlUggesehen Institut veröffentlichten Beobachtungen lassen sich keine Be¬
ziehungen zwischen der Sterblichkeit an Tuberkulose und der Art der Er¬
nährung des Säuglings herstellen. Das Verhältnis der später tuberkulös ge¬
wordenen Brustkinder zu dem im Säuglingsalter mit Kuhmilch ernährten stellt
sich wie 73 : 27. In Ländern, in denen die Kuhmilch als Säuglingsernährung
keine oder nur eine untergeordnete Rolle spielt (Japan, Türkei, Grönland)
zeigen sich dieselben Sterblichkeitsverhältnisse wie überall. In Berlin ist die
Sterblichkeit an Phthise seit 1886—1900 von 31,69 auf 23,61 gesunken, während
die Anzahl der mit Kuhmilch ernährten Säuglinge von 33,9 auf 54,8 9 /„ stieg.
Daß in den weitaus meisten Fällen den Säuglingen abgekochte Kuhmilch, in
der etwaige Tuberkelbazillen zugrunde gegangen sein müssen, verabfolgt wird,
scheint v. Behring nicht genügend berücksichtigt zu haben. Um die rohe,
wegen der bakteriziden Stoffe von ihm bevorzugte Milch haltbar zu machen,
setzt er Formaldehyd zu. Diese bakteriziden Körper der rohen Milch versagen
aber gegenüber der Typhus-Coli-Gruppe; daß sie für die Verhütung der
Tuberkulose eine besondere Rolle spielen, erscheint zweifelhaft. Die ursprüng¬
lich keimarme Formaldehydmilch läßt schon nach zwei Tagen starke Bakterien¬
vermehrung erkennen bei unverändertem Geschmack. In der ganzen Säuglings¬
milchfrage müssen wir an dem festhalten, was bisher von einsichtigen und
zielbewußten Hygienikern gefordert ist. Dr. Räuber-Köslin.
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
677
Praktische Ergebnisse der neueren Forschungen Aber die Bestehungen
sw Ischen der Menschen* und Tiertuberkulose. Festgestellt in der Sitzung
des Unterausschusses för Tuberkulose des Reichs - Gesundheitsrates vom
7. Juni 1906.
I. Tuberkulose der Haustiere.
A. Tuberkulose des Rindes. 1. Die Tuberkulose des Rindes wird
durch Tuberkelbazillen des Typus bovinus heryorgerufen. Sie entsteht durch
die Ansteckung mit Tuberkelbazillen, welche yon kranken Tieren bei gewissen
Formen der Tuberkulose ausgeschieden werden.
2. Als Qaelle für die Ansteckung des Rindviehs kommen fast ausschlie߬
lich Rinder in Betracht, welche an Tuberkulose des Euters, des Darms, der
Gebärmutter oder der Lunge leiden und mit der Milch, dem Darminhalt, den
Absonderungen der Gebärmutter oder der Luftwege Tuberkelbazillen ausscheiden.
8. Die Erkrankung von Rindern infolge der Aufnahme von Tuberkel¬
bazillen des Typus bovinus, welche bei tuberkulösen Erkrankungen von anderen
Haussäugetieren, z. B. Schafen, Ziegen und Schweinen, ausgeschieden werden,
ist möglich.
4. Der tuberkulöse Mensch bietet filr das Rind in den seltenen Fällen,
in welchen er Tuberkelbazillen des Typus bovinus ausscheidet, eine Gefahr.
6. Die Tuberkulose der Hühner scheint für das Rind unter natürlichen
Verhältnissen kaum eine Gefahr zu bieten.
6. Zur Bekämpfung der Tuberkulose bei den Rindern ist in erster Linie
die Uebertragung der Ansteckungskeime von tuberkulösen Rindern auf gesunde
zu verhindern.
B. Tuberkulose des Schweines. 1. Bei tuberkulösen Schweinen
finden sich in den Krankheitsherden fast ausnahmslos Tuberkelbazillen des
Typhus bovinus.
2. Die Tuberkulose des Schweines hat ihren Ursprung vorzugsweise in
der Tuberkulose des Rindes, daneben kommt Uebertragung der Tuberkulose
von einem Schweine auf das andere vor. Auch ist nicht ausgeschlossen, daß
die Tuberkulose anderer Haussäugetiere und der Hühner auf die Schweine
übertragen wird.
8. Der tuberkulöse Mensch kann die Tuberkulose auf das Schwein über¬
tragen, und zwar gleichviel, welchen Ursprungs Beine eigene Erkrankung ist.
4. Als Quelle der Ansteckung kommen hauptsächlich Absonderungen
und Körperteile kranker Säugetiere in Betracht, in welchen lebende Tuberkel¬
bazillen enthalten sind. Die größte Gefahr bietet die Verfütterung von Zentri¬
fugenschlamm aus Molkereien an Schweine.
C. Tuberkulose der übrigen Haussäugetiere. 1. Die Tuber¬
kulose der übrigen Haussäugetiere leitet sich in den meisten Fällen von der
Tuberkulose des Rindes ab.
2. Es ist zu erwarten, daß die Bekämpfung der Tuberkulose bei den
Rindern zu einer Abnahme der Tuberkulose bei den Schweinen und den Übrigen
Haussäugetieren führen wird.
D. Tuberkulose des Hausgeflügels. 1. Die Tuberkulose des
Hausgeflügels (Hühner, Tauben, Enten, Gänse) wird in der Regel durch den
Hühnertuberkulosebacillus erzeugt und verbreitet. 1 )
2. Als Quelle der Ansteckung sind in erster Linie Tuberkelbazillen ent¬
haltende Darmausleerungen und tuberkulös veränderte Körperbestandteile von
krankem Geflügel zu betrachten.
II. Tuberkulose der Mensoben.
1. In tuberkulös veränderten Körperteilen von Menschen finden sich
meist Tuberkelbazillen des Typus humanus.
2. Es muß angenommen werden, daß hier die Ansteckung mit Tuber¬
kulose in erster Linie durch unmittelbare oder mittelbare Uebertragung der
Tuberkelbazillen von Mensch zu Mensch erfolgt.
3. Dementsprechend haben die zur Bekämpfung der Tuberkuloso be¬
stimmten Maßnahmen sich vorzugsweise gegen die unmittelbare oder mittelbare
*) Bei tuberkulösen Papageien sind jedoch auch Bazillen des Typus
humanus gefunden worden.
678 Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
Uebertragung des Ansteckungskeimes von tuberkulösen Menschen auf gesunde
zu richten.
4. Außerdem ist mit der Möglichkeit zu rechnen, daß mit dem Fleisch
tuberkulöser Schweine Tuberkelbazillen des Typus humanus auf den Menschen
übertragen werden.
5. Die Tatsache, daß in einer Anzahl von Fällen tuberkulös veränderten
Körperteilen bei Menschen Tuberkelbazillen des Typus bovinus nachgewiesen
worden sind, zeigt, daß der menschliche Körper zur Aufnahme der Ansteckungs¬
keime aus tuberkelbazillenhaltigen Ausscheidungen (z. B. Milch) oder tuberkulös
verändertem Fleisch der Haussäugetiere befähigt ist.
6. Die durch Tuberkelbazillen des Typus bovinus bei Menschen hervor¬
gerufenen Gewebsverändcrungeu beschränken sich in einer bemerkenswerten
Zahl von Fällen auf die Eintrittspforte der Keime und die zugehörigen Drüsen
oder auf letztere allein. Jedoch sind Tuberkelbazillen des Typus bovinus auch
in solchen Fällen von Tuberkulose gefunden worden, bei welchen die Er¬
krankung von der Eintrittspforte aus auf entferntere Körperteile übergegriffen
und den Tod der betreffenden Person herbeigeführt hatte.
7. Daher ist der Genuß von Nahrungsmitteln, welche von tuberkulösen
Tieren stammen und lebende Tuberkelbazillen des Typns bovinus enthalten,
für die Gesundheit des Menschen, namentlich im Kindesalter, nicht als unbe¬
denklich zu betrachten.
8. Eine gewissenhaft durchgeführte Fleischbeschau bietet einen erheb¬
lichen Schutz gegen die Uebertragung der Tuberkelbazillen mit dem Fleisch
auf den Menschen; außerdem besteht ein Schutz in der geeigneten Zubereitung
des Fleisches (gründliches Durchlochcn oder Durchbraten).
9. Die Möglichkeit der Uebertragung von Tuberkelbazillen mit der Milch
und den Milchprodukten auf den Menschen wird durch wirksame Bekämpfung
der Tuberkulose unter dem Rindvieh erheblich verringert. Die in der Milch
enthaltenen Tuberkelbazillen können durch zweckentsprechende Erhitzung ab¬
getötet werden.
10. Die Tuberkulose des nutzbaren Hausgeflügels scheint für die Ver¬
breitung der Tuberkulose unter den Menschen keine Rolle zu spielen.
Tuberkulose und Schwangerschaft. Von Dr. F. Reiche, Oberarzt im
Allgemeinen Krankenhaus Hamburg - Eppendorf. Münchener medizin. Wochen¬
schrift; 1906, Nr. 28.
Verfasser konnte auf Grund seiner Untersuchungen zum erstenmal an
größerem Material den Satz erhärten, daß Ehe und Gravidität bei Frauen mit
leichter, umschriebener, rückgängig und obsolet gewordener Lungenschwindsucht
keine so erhöhte Gefahren in sich schließt, daß man die extremen Schlu߬
folgerungen anderer Autoren (v. Ysendycks und Maraglianos) verteidigen
und stützen müßte. Bekanntlich bczeichnete Gerhardt als geringste und
nicht einmal immer ausreichend zu erachtende Forderung, daß jemand, der
tuberkulös war, mindestens 1 Jahr lang wieder gesund gewesen sein muss,
ehe er heiratet. Verfasser möchte mit Cornet die Spanne Zeit nach Rück¬
gang der Krankheitssymptome auf mindestens 2—3 Jahre ausgedehnt wissen,
wobei auch in den scheinbar sichersten Fällen von seiten des Arztes die
schlummernde Gefahr nie verschwiegen werden darf und wo immer Zweifel
bestehen, mit allen Kräften auf Aufschub gedrängt werden muß.
Bei noch aktiv bestehender Lungenschwindsucht ist einer Eheschließung
die Zustimmung zu versagen, bei verheirateten Frauen die Konzeption ein¬
dringlichst zu widerraten. Erfolgt sie oder wird eine Lungentuberkulose erst
während der Schwangerschaft offenkundig, so wird die Frage der künstlichen
Schwangerschaftsunterbrechung abhängig zu machen sein von dem Grad und
Charakter der Lungenveränderungen, von dem Stand des Gesamtbefundes, be¬
sonders auch von der Zeit der Schwangerschaft.
In allen schweren Formen von Tuberkulose der Lungen, bei ausge¬
sprochenen Kehlkopfkomplikationen, bei hohem Fieber und bei rascher Gewichts¬
abnahme wird jedes aktive Vorgehen im Beginn oder in späteren Monaten der
Schwangerschaft als zwecklos zu unterlassen sein, es müßte denn eine Vital¬
indikation vorliegen (behinderte Exkursionsfähigkeit des Thorax mit Atem¬
beschwerden und mangelhaftem Gasaustausch in den Lungen bei stark erweiter-
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
679
tem and nach oben drängendem Uterus). Die künstliche Frühgeburt wird aber
zuweilen auch noch indiziert sein unter den .Bedingungen, die für den
frühzeitigen artefiziellen Abort maßgebend sind. Er erscheint ethisch erlaubt,
ja notwendig, wenn in einem an sich günstigen Falle progressive Lungen¬
veränderungen zugegen sind, wenn die Gesamtkräfte zurückgehen oder leichte
Fiebersteigerungen oder protrahierte Hämoptysen sich zeigen, nicht minder
aber auch dann, wenn die häutigen digestiven Störungen, insbesondere Hyper-
emesis in den Vordergrund treten. Fellners Empfehlung, selbst in den
leichtesten Fällen von Larynxtuberkulose gleich im Beginn die Schwangerschaft
zu unterbrechen, kann Verfasser nur beipflichten.
Neben den rein ärztlichen Momenten mögen auch noch andere Gründe,
z. B. die Eigenart der Familienverhältnisse, Berücksichtigung des Wunsches
der Mutter etc. das ärztliche Handeln mitbestimmen.
Dr. Waibei-Kempten.
Bakteriologische Untersuchungen bei gonorrhoischen Allgemein-
Infektionen. Aus der mediz. Universitätsklinik in Zürich. Von Sekundärarzt
Dr. Proschaska. Deutsches Archiv für klin. Medizin; 1905, Bd. 83, H. 1—2.
Die Entstehuug gonorrhoischer Nachkrankheiten und Komplikationen
wurde bisher vielfach auf Mischinfektion oder Toxinwirkung zuruckgeführt.
Verf. teilt 6 Fälle gonorrhoischer Allgemeininfektion mit, bei denen als alleiniger
Erreger der Gonococcus kulturell aus dem der Armvone entnommenen Blute
nachgewiesen werden konnte. Die Entnahme des Blutes erfolgte mit einer
Glasspritze aus der gestauten Armvene. Zur Züchtung wurde Ascitesbouillon
benutzt.
Zwei Fälle kamen zur Sektion, ln dem einen (gonorrhoische Polyar¬
thritis) gelang es, aus den endokarditischen Auflagerungen Gonokokken zu züchten.
ln dem zweiten handelte es sich um einen 19jährigen Schenkburschen,
der in bewußtlosen Zustande mit den Symptomen einer Meningitis (starke
Nackensteifigkeit, Angensymptome) aufgenommen wurde. Lumbalpunktionen
ohne Resultat. Linkes Samenbläschen vergrößert.
Sektion: Eiterige spinale Meningitis und eiterige Exsudate auf der Hirn¬
oberfläche, multiple enzephalitische Herde, lobuläre Aspirationspneumonie der
Unterlappcn. Eiteriger Inhalt der linken Samenblase und des Ductus ejacula-
torius. Fibröse Narbe im Hoden. Thromben der Plexus prostatici.
ln den Ausstrichpräparaten des Eiters der Samenblase und des meningi-
tischen Eiters wurden Gonokokken nachgewiesen. Auch kulturell wurden in
dem Meningitiseiter und in dem Blute der Armvene Gonokokken nachgewiesen;
ebenso auch in den angefertigten Schnittpräparaten. Andere Bakterien fehlten.
In einem dritten Fall gonorrhoischer Sepsis gelang es, aus einem serösen
Pleuraexudat Gonokokken zu züchten.
Sämtliche Fälle beweisen die außerordentliche Mannigfaltigkeit der
gonorrhoischen Infektion. Dr. Dohrn-Cassel.
Das preusslsche Laudesgesetz, betreffend die Bekämpfung übertrag¬
barer Krankheiten (Preussisches Seuchengesetz). Von Dr. Martineck,
Oberarzt beim Sanitätsamt des V. Armeekorps. Deutsche Medizinalzeitung;
1905, Nr. 71, 72, 73.
ln einer sehr lesenswerten Arbeit bespricht Verf. das „Preußische
Seuchengesetz“. Er behandelt die Bedenken, die dem Gesetze entgegenstanden,
die einmal gesetz-technischer Natur sind, sodann den Uebereifer beamteter
Aerzte und endlich die Kostenfrage betreffen. Bei der Anzeigepflicht
beleuchtet er die Sonderstellung, die hierbei die Tuberkulose einnimmt und
bedauert die Streichung der aus dem Regulativ übernommenen Bestimmung,
wonach die Aerzte Anzeige an den Truppenteil zu erstatten verpflichtet sind, so¬
bald sic an Geschlechtskrankheiten leidende Unteroffiziere und Mannschaften
behandeln. Bei Besprechung des Ermittclungsverfahrens macht Verf. den
m. E. zutreffenden Vorschlag, daß evtl, gleich auf der Meldekarte von dem behan¬
delnden Arzte eine Erklärung abgegeben wird, ob seinerseits der Zutritt des
beamteten Arztes im Interesse des Kranken für bedenklich gehalten wird oder
nicht. — Einen breiten Raum nimmt in der Besprechung selbstverständlich
auch die Kosten frage ein, wo genau unterschieden wird zwischen den Kosten,
6S0 Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
die beim Seuchenausbruch und den Kosten, die in seuchenfreier Zeit den
Gemeinden erwachsen. Oie Arbeit ist, wie schon gesagt, sehr ausführlich und
ihre Lektüre nur zu empfehlen. Dr. Hof f mann-Berlin.
Der Preussisehe Landesverein vom Roten Kreuz und die Bekämpfung
tou Seuchen gemäss Reichsgesetz Tom 80. Juni 1900. Von Dr. Max
Schnitze und Ergänzungsvorschlag dazu von C. A. Ewald. BerL klin.
Wochenschrift; 1905, Nr. 17.
Sch. empfiehlt die bekannten Vorschläge zur Abschließung von Ver¬
trägen, E. empfiehlt für kleinere Gemeinden oder Ortschaften bei epidemie¬
verdächtigen Umständen anstelle der D ö cke rsehen Baracken die Aufstellung
von ein paar Zelten zur Beobachtung und Isolierung verdächtiger Personen
oder eines oder des anderen Kranken auf kurze Zeit. Solche Zelte sind leicht
sofort zu errichten. Sie sollen nur ein Provisorium sein, können aber wie
1870/71 in Bonn für Wochen ausreichen. Dr. Raub er-Köslin.
Zur Schularstfrage ln Hamburg. Von Dr. Fürst und Lehrer Gerken.
Zeitschrift für Schulgesundheitspflege; 1905, Nr. 6.
Nachdem der Senat der Stadt Hamburg beschlossen hat, die hygienische
Beaufsichtigung der Schulen noch mehr als bisher den Stadtärzten zu über¬
geben und zu dem Behufe 8 neue ärztliche Hilfskräfte heranzuziehen, stellt
die „Vereinigung für Schulgesundheitspflege“, bestehend aus Aerzten uni
Lehrern, Leitsätze über die Schularztfrage auf, die sie dem Senat unterbreitet.
Diese enthalten zunächst die bekannten Gründe für die Notwendigkeit der Schul¬
ärzte, verbreiten sich kurz Uber die Aufgaben derselben, die die hygienischen Ein¬
richtungen des Schulhauses und den Gesundheitszustand der Schüler umfassen,
und wünschen die Stellung des Schularztes als fachmännischen Berater des
Lehrers aufgefaßt zu sehen. Neu ist wohl die Art der Anstellung, die nach öffent¬
licher Ausschreibung durch die Oberschulbehörde auf Vorschlag des Medizinal¬
kollegiums geschehen soll. Auch die Dienstordnung für die Schulärzte erläßt
die Oberschulbehörde im Einvernehmen mit dem Medizinalkollegium. Die Schul¬
ärzte bilden eine Vereinigung, deren Vorsitzender ein Stadtarzt ist, der zugleich
Mitglied der Oberschulbehörde sein soll, ohne disziplinarische Befugnisse über
die Schulärzte zu haben. — Durch diese Art der Anstellung sollen die beider¬
seitigen, oft ineinandergreifenden Interessen der beiden Behörden am besten
gewahrt bleiben. _ Dr. Solbrig-Arnsberg.
Betrachtungen über schulärztliche Statistik und Vorschläge zur
Herbeiführung einer Einheitlichkeit in derselben. Von Dr. Samosch in
Breslau. Der Schularzt, Beilage zur Zeitschrift für Schulgesundheitspflege;
1905, 6, 7, 8 H.
Auf dem ersten internationalen Schulhygienekongreß in Nürnberg im
Jahre 1904 wurde eine Kommission gebildet, die die Aufgabe bekam, zweck¬
mäßige und allgemein zu empfehlende Formulare für den schulärztlichen Dienst
zusammenzustellen; denn bei der jetzt noch so verschiedenartigen schulärzt¬
lichen Organisation sei eine brauchbare medizinische Schulstatistik nicht vor¬
handen und ohne eine solche gäbe es keine Fortentwicklung der Schulhygiene.
Verfasser, als Mitglied dieser Kommission, hat sich der Mühe unterzogen,
auf Grund von durch Prof. Leubuscher veranstalteten Sammlungen der in
127 deutschen Städten und Gemeinden gebräuchlichen Formulare, mit Vorschlägen
hervorzutreten.
S. hält zur Schaffung einer guten Statistik folgende, einheitlich zu-
gestaltende Formulare für erforderlich:
1) Aufnahmebogen zur Eintragung des Untersuchungsbefundes beim
Schuleintritt,
2) Personalbogen zur Eintragung der im weiteren Schulleben des Kindes
gemachten schulärztlichen Beobachtungen,
3) Schema für den Jahresbericht.
Von diesen Formularen bringt Verfasser mehrere verschiedene Entwürfe,
die jedes einzelne ‘an Vollständigkeit wohl nichts zu wünschen übrig lassen.
Kleinere Mitteilungen und Referate anB Zeitschriften.
681
Er erwartet, daß durch Meinangsanstansch es gelingen wird, auf Grand seiner
Vorschläge zu einer einheitlichen Regelang dieser Frage za kommen.
Dr. Solbrig-Arnsberg.
Physiologische and pathologische Beobachtangen in der Dorfschale*
Von Kreisarzt Dr. Kr ohne-Düsseldorf. Aerztliche Sachverständigen-Zeitung:
1905, Nr. 13.
Autor hat in 4 Dorfschalen 540 Kinder aaf den äußeren Körperstatus,
den allgemeinen Gesandheitszastand (Skrofulöse, Drüsenaffektionon, Erkran¬
kungen von Langen, Herz asw.), die Sinnesorgane, das Nervensystem und den
geistigen Status untersucht. Das Material ist nicht groß genug, am Schlüsse
ziehen za können, immerhin liefern jedoch die Ergebnisse der Arbeit einen
kleinen, sehr anregend geschriebenen Beitrag za der wichtigen Frage der
Schulhygiene. _ Dr. Tröger-Adelnau.
Die Nervenkrankheiten der Schulkinder. Von San.-Rat Dr. P. Meyer,
Schalarzt in Berlin. BerL klin. Wochenschrift; 1905, Nr. 17.
Von November 1900 bis Mai 1904 hat Verf. 1857 Kinder untersacht.
Von diesen litten an nervösen Affektionen 130 Kinder (7 °/o) und zwar Mädchen
und Knaben fast za gleichen Teilen. Schwachsinn warde bei 22, Epilepsie bei
22, Nervosität bei 22, Kopfschmerz bei 16, Migräne bei 13, Veitstanz bei
12 Kindern beobachtet. M. betont die Wichtigkeit, daß gleich bei der Ein¬
schulung seitens des Schalarztes Epilepsie festgestellt und durch einen Ueber-
wachungsschein den Lehrkräften zar Kenntnis gebracht wird, daß bei schweren
und häafigen Anfällen die Kinder garnicht eingcschult werden. Bei den an
Nervosität leidenden Kindern kann der Schalarzt ebenfalls günstig einwirken.
In Betracht kommen u. a. Ferienkolonien, Erholungsstätten, Handfertigkeits¬
unterricht, Fürsorge für die notwendige Ernährung und Nachtrahe, Vermeidang
der Kinderarbeit in der Industrie, richtige Festsetzung des schulpflichtigen
Alters mit genauer Individualisierung. Beim Kopfschmerz ist außer der ner¬
vösen Disposition auch die geistige Anstrengung beim Unterricht in Betracht
zu ziehen, wie der Einfluß der Schale auf das Nervensystem der Kinder auch
durch die Beobachtung erhellt, daß bei 1068 Kindern, die behufs Einschulung
untersucht'wurden, nur 28 (2,6 °/o), von 770 Schülern und Schülerinnen der ver¬
schiedensten Altersstufen dagegen 122 (16 °/o) nervenleidend gefunden wurden. Die
Aufgaben des Schularztes sind somit bedeutungsvolle. Dr. Räuber-Köslin.
Die praktischen Schwierigkeiten bei der Befriedigung der hygienischen
Forderungen an die Subsellien. Von Dr. Rostowzeff, Sanitätsarzt der
Gouvernementslandschaft in Moskau. Zeitschrift für Schulgesundheitspflege;
1905, Nr. 5.
Sind auch die Normen für die Schulbänke längst festgelegt, so ist die
praktische Durchführung der wissenschaftlichen Forderungen noch längst nicht
erzielt. Zu diesem Resultate gelangte Verfasser auf Grund von Untersuchungen
von 41 Volksschulen im Kreise Dmitroff im Gouvernement Moskau, welche
sämtlich mit den nach Prof. Erismann angegebenen Schulbänken ausgestattet
sind. Er fand nämlich, daß bei 69 */„ der Schulkinder das Größenmaß der Schul¬
bänke mit dem Größenmaß der Schulkinder nicht übereinstimmte (fast ein Viertel
der Kinder saß auf Bänken, die um mehrere Nummern gegen der betr.
Körpergröße abstachen). Die Ursache hiefür war darin zu finden, daß in den
einzelnen Klassen oder Schalen das Verhältnis der einzelnen Subsellien immer
zu den Größennummern der Schulkinder kein richtiges war. Um hierin Wandel
zu schaffen, hält R. eine genauere Individualisierung statt der bis¬
herigen Annahme von Durchschnittsverhältnissen für geboten, indem die Schulen
mit Schulbänken versorgt werden müssen, deren Größenmaße verstellbar
sind. —
Es will uns scheinen, als ob solche Forderungen vorläufig noch — bei
uns wenigstens — unerfüllbar sind, und es schon einen wesentlichen hygienischen
Fortschritt bedeuten würde, wenn die Volksschulen sämtlich mit Bänken aus¬
gestattet werden, die bezüglich der Abmessungen der Höhe, Differenz, Distanz
usw. den Durchschnitts Verhältnissen Rechnung tragen.
_ Dr. Solb rig-Arnsberg.
682
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
Ein Beitrag zur Wachstumsphysiologie des Menschen. Nach statisti¬
schen Erhebungen an der Stoysehen Erziehungsanstalt in Jena. Von Dr.
Alexander Koch-Hesse in Gr. Lichterfelde. Zeitschrift für Schulgesundheits-
pflege; 1905, Nr. 6, 7, 8.
Verf. hat mit großer Sorgfalt Messungen von ca. 800 Schülern der ge¬
nannten Anstalt vorgenommen, um dabei 1. dio Körperlänge im Vergleich zum
Lebensalter, 2. das Körpergewicht im Vergleich zum Lebensalter und zur
Körpergröße, 3. das jährliche Wachstum der einzelnen Schüler genauer zu
Btudieren.
Den Hauptwert legt er auf die Weiterbildung der bisher noch unzu¬
reichenden rechnerischen Methoden für Wachstumsphysiologie und Anthro-
pometrie.
Um einen Durchschnittswert der Körperlänge für einen bestimmten
Moment des Lebens zu erhalten, müßte man eigentlich jedes Individuum an
seinem Geburtstage messen. Dies ist in größerem Umfange nicht gut möglich.
Man hat sich meist mit halbjährlichen oder monatlichen Messungen begnügt
und danach den Durchschnitt berechnet. Verf. nahm nun bei jedem einzelnen
Schüler etwa 10 mal im Jahre in ziemlich regelmäßigen Abständen die Messungen
vor. In einer Liste wurde der Geburtstag und jeder Tag der Messung bei
jedem Schüler eingetragen. Es wurden dann diejenigen 2 Zahlen der Messung
aufgesucht, welche an Tagen notiert waren, zwischen denen der Geburtstag
lag. Da es sich hier nur um wenige Wochen Differenz handelte, konnte in
der Annahme, daß während dieser Zeit das Wachstum regelmäßig vor sich
gegangen sei, durch einfaches Rechenexempel berechnet werden, wieviel der
Einzelne an einem Tage größer geworden sei und wie groß er an seinem
Geburtstage war. So wurden Listen mit Eintragungen der Altersstufen und
den entsprechenden Körpergrößen angelegt. Hieraus ließ sich nach der üblichen
Methode das arithmetische Mittel ziehen. Daneben ließ sich das wahr¬
scheinliche Mittel so berechnen, daß die Einzel werte jedes Jahrganges in
einer Skala der Reihe nach untereinander geschrieben und die Zahlen abgezählt
werden, die genau in der Mitte liegen.
Verf. fand nun eine recht gute Uebereinstimmung beider Mittelwerte
und zieht daraus den Schluß, daß man auf die zeitraubendere Berechnung des
arithmetischen Mittels vielfach wird verzichten können.
Bei der Feststellung des Körpergewichts verfuhr K. ebenso. Durch Ver¬
gleiche des jährlichen Größenzuwuchses mit der Gewichtszunahme kam er zur
Bestimmung des jährlichen relativen Horizontalwachstums.
Als Resultate seiner Untersuchungen bezeichnet Verf. den Nachweis
„mehrerer einander entgegengesetzter Perioden im schulpflichtigen Alter und
der sie trennenden Wendepunkte“, deren wichtigster, das Pubertätsalter, ja
anerkannt ist, für den aber 5 rechnerische Indizien aufgestellt werden.
Dr. S o 1 b r i g - Arnsberg.
Die gesundheitlichen Mindestforderungen an Badeorte. Von Privat¬
dozent Dr. R u g e - Kudowa. Vortrag, gehalten auf dem Balneologen-Kongreß
1905. Berl. klin. Wochenschrift; 1905, Nr. 16.
Verf. hält sich an den Min.-Erlaß vom 24. Januar 1903 auch bezüglich
der Definition „Kurort“. Er verlangt außer den in dem Erlaß genannten For¬
derungen : Anwesenheit mindestens einer Pflegerin oder einer Person, die mit der
Pflege Schwerkranker Bescheid weiß, Sicherung ärztlicher Hülfe für die Saison,
strenge Durchführung der Meldepflicht von Infektionskrankheiten, gutes Trink¬
wasser in ausreichender Menge, ein wandsfreie Einrichtung der Aborte und der
Beseitigung aller Abfallstoffe (auch des Mülls), Kontrolle derselben und die
Möglichkeit, gutes Eis für Kranke zu erhalten. Dr. Räuber-Köslin.
Ueber die wirtschaftlichen und gesundheitlichen VerhUtnlsse der
in nicht fabrtkmussig betriebenen Wäschereien, Bleichereien und Plätte¬
reien beschäftigen Personen. Nach den Erhebungen der Hamburgischen
Behörden bearbeitet von Dr. Moritz Fürst. Archiv für soziale Medizin und
Hygiene; 1905, Bd. 2, H. 2.
Den Ausführungen F.s liegt das Material zugrunde, das bei der Besich¬
tigung von 280 Betrieben durch eine gemischte Kommission gewonnen wurde.
Besprechungen.
683
Die Arbeitszeit betrag in der Mehrzahl der Betriebe 12 Standen. Ucber-
standen bis 11 oder 12 Ohr nachts sind sehr häufig. Vielfach werden hierbei
die nachlassenden Kräfte der Arbeiterinnen durch Verabfolgang von Schnaps
seitens der Arbeitgeber wieder aufgefrischt.
Die Arbeitsräame lassen besonders bezüglich der Ventilation za wünschen
übrig, ln den Plättstaben wird allgemein Wäsche getrocknet, die unsaubere
Leibwäsche wird unter den Betten aufbewahrt.
Als Berufskrankeiten kommen besonders häufig Ekzeme an den Unter¬
armen yor. Sie sind meist auf die reizende Wirkung des angewandten Chlors
zurückzuführen. Infolge des langdauernden Stehens sind Varizen, Plattfüße
und besonders Erkrankungen der Onterleibsorgano (Prolapse) sehr häufig.
Infektionskrankheiten sind die Wäscherinnen naturgemäß sehr stark aus¬
gesetzt. Infektionen durch Typhus- und Tuberkelbazillen sollen sehr zahl¬
reich sein.
Sehr bedenklich sind die sittlichen Zustände unter den Angestellten der
Bleichereien. Die Zahl der unehelichen Gebarten ist auffallend hoch. Der
Versuch des Hamburger Franenvereins, den Plätterinnen durch Errichtung eines
Abendheims eine Stätte zu bieten, sind derart mißglückt, daß die Anstalt wegen
mangelnder Frequenz geschlossen werden muß.
Dr. D o h r n - Cassel, z. Z. Czarnikau.
Besprechungen.
Dr. Emil Kraepelin, Professor in München: Einführung in die psychia¬
trische Klinik. 32 Vorlesungen. Zweite darchgearbeitcte Auflage. Verlag
von Johann Ambrosias Barth. Leipzig 1905. Preis: gcb. Mk. 10.
ln der Neubearbeitung des im Jahre 1900 in erster Auflage erschienenen
Lehrbuches sind zwei Vorlesungen hinzugefügt und einige kleine Verschiebungen
des Stoffes vorgenommen. Für die syphilitische und arteriosklerotische Ver¬
blödung sind einige neue Beispiele angeführt, die Lehre vom Entartungsirresein
ist durch mehrere weitere Fälle bereichert worden. Das Buch ist bei dem
ersten Erscheinen überall sehr günstig aufgenommen worden. Mit Hecht hat
der Verfasser in den Vorlesungen die diagnostischen Gesichtspunkte in den
Vordergrund gestellt und unter einer Krankheitsform vereinigt, was gleiche
Ursache hat, in großen Zügen gleichen Gesamtverlauf, insbesondere gleichen
Endausgang bietet.
Ohne ein Lehrbuch der Psychiatrie zu sein, können die Vorlesungen als
eine vorzügliche Anleitung zur klinischen Betrachtung Geisteskranker gelten.
Dr. B um p-Osnabrück.
Dr. Job. Brealer, Oberarzt: Die Reohtspraxin der Ehescheidung bei
Geisteskrankheit und Trunksuoht seit Inkrafttreten des Bürger¬
lichen Gesetzbuchs. Halle a./S. 1905. Verlag von C. Marhold. 8°;
58 S. Preis: 1,50 Mark.
Die Schwierigkeiten, die bei Anwendung des § 1569 entstehen, sind vor¬
züglich in der Feststellung des vom Gesetz geforderten Nachweises, daß die
eheliche Gemeinschaft aufgehoben sei, und der Umgrenzung dieses Begriffes zu
finden. Verfasser hat sich der dankeswerten Arbeit unterzogen, die verschie¬
denen Auslegungen, die zahlreiche Gerichte gegeben haben, besonders solche
letzter Instanz, an der Hand der Urteile zusammenzustellen. Außer jenem
Begriff kann nur noch die Frage der voraussichtlichen Unheilbarkeit in
wenigen Fällen Schwierigkeiten machen. Verfasser zeigt, daß schon die theo¬
retischen Definitionen sehr divergierende Ansichten über den Begriff der ehe¬
lichen Gemeinschaft ergeben. Er definiert: „daß das Bewußtsein der geistigen
Zusammengehörigkeit sich in dem Wunsche, letztere oder ihre Zwecke zu för¬
dern, als lebendig vorhanden zu erkennen gibt“, und hält diese Begriffsbestim¬
mung an sich für sehr glücklich gewählt, da sie den Gerichten sowie ärztlichen
Sachverständigen einen weiten Spielraum geben und so den verschiedenen sozialen
Bedingungen angepaßt werden könne. Weiterhin betont er, daß die hier ge¬
brauchte Bezeichnung Geisteskrankheit nicht als identisch mit der des § 6 der
Entmündigung sei, mit anderem Worte: eine Ehescheidung kann auch dann
684
Besprechungen.
stattfinden, wenn eine Entmündigung wegen Geisteskrankheit nicht vorangegangen
ist. Diese Auffassung scheinen übrigens nicht alle Gerichte zu teilen, wie die
Ausführungen S. 14 ergeben. Zahlreiche übereinstimmende Urteile, die ein¬
gehend mitgeteilt werden, zeigen, daß die Gerichte besonders die geistige Ge¬
meinschaft sehr verschieden umgrenzen. Einzelne stehen auf dem Standpunkt,
daß die Bezeichnung identisch sei mit geistigem Tode, worauf bereits EL
Schnitze in seinen hier besprochenen Zusammenstellungen wichtiger Gerichts¬
entscheidungen hingewiesen hatte; sie verlangen den Nachweis der absoluten
Verblödung, so daß nur noch „von einer animalischen Existenz gesprochen
werden kann.“ Andere Gerichte haben bei Schwachsinn mäßigen Grades
(S. 33), ferner bei Dementia praecox ohne weitgehende Verblödung die Schei¬
dung ausgesprochen. Die Ehescheidung Trunksüchtiger richtet sich nicht nach
diesem Paragraphen, sondern wird meist mit Erfolg unter § 1568 untergebracht.
Jedenfalls zeigt sich nach dreijährigem Bestehen des Gesetzes, daß die Zahl
der Ehescheidungen wegen Geisteskrankheit wesentlich zurückgegangen ist.
Dr. Pollitz-Münster.
Profi Dr. K. v. Bardeleben: Handbnoh der Anatomie des Menschen.
Verlag von G. Fischer in Jena.
a. Prof. Budolf Flok - Leipzig: Anatomie und Mechanik der Ge¬
lenke unter Berücksichtigung der bewegenden Muskeln. I. Bd.,
I. Abt., I. T., 11. Lieferung des Handbuches. Gr. 8°, 512 8. Mit 162
größtenteils farbigen Abbildungen im Text. Preis: 16 M., geb. 18 M.
b. Profi Dr. O. J. Eberth in Halle a. S.: Die männlichen Geschlechts¬
organe. Gr. 8°, 310 S., II. T., Abt. 2, 12. Lieferung des Handbuches. Mit
zum Teil farbigen Abbildungen im Text. Preis: 10 Mark.
Der vorliegende erste Teil der F.sehen Arbeit behandelt die Ana¬
tomie der Gelenke und bringt die eingehende Beschreibung der einzelnen
Gelenkteilo unter besonderer Berücksichtigung der für die Mechanik und prak¬
tische Medizin wichtigen Verhältnisse. Hierbei sind die Beobachtungen am
lebenden Menschen zugrunde gelegt. An den Schluß jedes größeren Abschnittes
werden praktische, entwickelungsgeschichtliche und vergleichende anatomische
Bemerkungen gebracht.
In der Eberth sehen Arbeit ist die Anatomie sämtlicher Teile und Ab¬
schnitte der männlichen Geschlechtsorgane in sehr ausführlicher Weise wieder¬
gegeben ; jedem Kapitel sind reiche Literaturangaben beigefügt. Dadurch, daß
Verfasser über den Rahmen desskriptiver Anatomie hinausgeht, indem er den
einzelnen Kapiteln vergleichend anatomische, physiologische und event. ethno¬
logische Bemerkung anschließt, wird das Werk auch für den Nicht - Anatomen
interessant.
Die Ausstattung beider Bände ist vorzüglich; insbesondere Bind die zahl¬
reichen größtenteils farbigen Abbildungen außerordentlich naturgetreu, scharf
und instruktiv. Rpd.
Dr. Jnliaa Kratter, o. ö. Professor der gerichtlichen Medizin an der Uni¬
versität Graz: Beiträge nnr Lehre von den Vergiftungen. Ge¬
sammelte Sonderabdrücke der Abhandlungen „Erfahrungen über einige wichtige
Gifte und deren Nachweis“ im Archiv für Kriminal-Anthropologie und
Kriminalistik; 1903, XIII. Bd., 8. 122; 1904, XIV. Bd., 8 . 214 und XVI. Bd.,
Seite 1. Leipzig 1904. Verlag von J. B. Hirschfeld.
In der sehr interessanten und lesenswerten Arbeit behandelt K. im ersten
Abschnitte die anorganischen Gifte; er will die Seltenheiten nicht als eine
Artvon Raritätensammlung vorführen, sondern will einige neue Erfahrungen über
altbekannte Gifte erörtern. Und das tut er im reichsten Maße. Besonders das
erste Kapitel, welches über Arsen, dem „König der Gifte“, das „Hausgift des
Steirers“, handelt, hat des Referenten Aufmerksamkeit besonders gefesselt. Hier
finden wir, die wir in Gegenden wohnen, wo Arsen nicht als „Universalmittel“ gilt,
viel Neues. K. spricht Über die Darreichungsarten, über „Vergiftungs-Irrungen,
wo er besonders darauf hinweist, daß gewisse Bauchfellentzündungen den Arsen-
Vergiftungen bisweilen gleichen, wie ein Ei dem anderen.
Weiter wird der Nachweis des Arsens erörtert und daran erinnert, daß sich
Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften.
685
Arsen im Körper anreichert, besonders in der Leber, dem „Giftfllter des Orga¬
nismus“. Bei Exhumierungen kommt es nicht nur darauf an im Erdreiche,
welches den Sarg umgibt, Arsen nachzuweisen, sondern es muß auch die
Löslichkeit des Arsens in der betreffenden Erdart, ihr Absorptionsvermögen für
Arsen bestimmt werden. Endlich tritt K. der Ansicht entgegen, daß Mumi¬
fikation eine Spezialwirkung des Arsens sei.
Was das Kapitel über Phosphor angeht, so ist hier wohl der wichtigste
Satz, daß dieses Gift in Leichen kaum so viele Wochen lang sicher nachweisbar
ist als Arsen Jahre.
Es folgen dann die Besprechungen von Quecksilber, Blei und Kupfer.
Die organischen Gifte schließen sich an; zunächst Kohlenoxyd,
und zwar Kohlendunstvergiftung und Lenchtgasvergiftung.
Findet sich in der Leiche neben hellrotem Kohlenoxydblat noch viel aus¬
gesprochen dunkles Blut vor, so ist meist eine Kohlendunstvergiftung als vor¬
liegend anzunehmen, während kirschrote Farbe des gesamten Blutes an Ver¬
giftung mit einem an Kohlenoxyde reichen Leuchtgase gemahnt. Kohlenoxyd
wird im Organismus festgehalten, cs reichert sich an. Die reine Kohlen¬
oxydvergiftung führt zum Tode durch zentrale Atmungslähmung; es handelt
sich um wirkliche Vergiftung, während bei der Kohlendunstvergiftung eine
Erstickung vorliegt; der Tod tritt ein durch Kohlensäure-Anreicherung
und Sauerstoffandrängung.
Dem Kohlenoxyd sehr nahe steht in der Wirkung die Blausäure;
auch sie ist ein Blutgift in dem Sinne, daß sie den Chemismus des Blutes stört.
Charakteristische Veränderungen der Leiche setzt die Blausäure nicht,
wohl aber fehlt kaum jemals der spezifische Bittermandelgeruch. Aus eigener
Erfahrung kann ich hier hinzufügen, daß wir es mehrfach erlebt haben, daß
ein mit sehr empfindlicher Nase begabter Kollege sofort beim Betreten des
Obduktionsraumes diesen Geruch wahrnahm.
Es folgt der Alkohol, von dem K. mit einer gewissen Verbitterung
sagt: „Wohin immer der Europäer seinen Fuß setzte, um angeblich wilden
Völkern die zweifelhaften Segnungen seiner höheren Kultur zu bringen, in
Wirklichkeit um seiner Gold- und Ländergier zu frönen, — stets geschah und
geschieht es mit der Schnapsflasche in der Hand.“
Alkohol ist ein Nervengift, doch kommen bei konzentrierten Lösungen
auch Aetzungen vor.
Essigsäure, Chloroform und Karbolsäure schließen diesen
Abschnitt.
Vom Chloroform wird zuerst das Großhirn, dann das Kleinhirn, hierauf
das Rückenmark und endlich das verlängerte Mark (Atmungs- nnd Kreislauf-
Zentrum) gelähmt. Die in der Chloroform-Narkose vorkommenden Unglücks¬
fälle beruhen entweder auf einem regelwidrigen Ablauf der Lähmungen oder
auf einer Ueberempfindlichkeit (Idiosynkrasie) gegen Chloroform. Bei Chloro¬
formvergiftungen ist in forensischen Fällen zu beachten die individuelle Re¬
aktion, die verbrauchte Chloroformmenge, die Anwendungsart, die Beschaffenheit
des Chloroforms und die Körperbeschaffenheit des Kranken.
Karbolsäure findet jetzt seltener Anwendung, die an ihre Stelle ge¬
tretenen Mittel sind sämtlich Homologe des Phenols; ihre Ungefährlichkeit hat
sich nicht bestätigt. Die Wirkung der Karbolsäure ist eine doppelte: Aetzung
und Affektion des zentralen Nervensystems (Bewußtlosigkeit, Lähmung der
motorischen Sphäre, Störung der Atmung und der Herztätigkeit, Abfall der
Körpertemperatur.
Die Pflanzengifte bieten keine charakteristischen Leichenbefunde
dar. Der Nachweis des Pflanzengiftes ist aber schwierig, besonders auch weil
die sich bildenden Leichenalkaloido (Ptomaine) den Pflanzengiften gleichen.
Die Pflanzengifte müssen isoliert sowie chemisch und physiologisch identifiziert
werden.
Ist der Nachweis des Giftes nicht erbracht, so ist damit die Möglichkeit
einer Vergiftung keineswegs ausgeschlossen; das Gift kann bereits wieder aus¬
geschieden oder zerstört worden sein.
Atropin lähmt den pupillenverengenden Apparat, während Kokain den
pupillenerweiternden reizt. Bei Pflanzengiften ist das Suchen nach Bestand¬
teilen der einverlcibten Pflanze in den Gedärmen des Gestorbenen äußerst
686
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
wichtig, weil der botanische Nachweis der Pflanze leichter gelingt, als der
chemische des Giftes.
Das physiologische Antidot des Atropins ist das Morphin; die durch
dasselbe bewirkte Papillenverengerung ist an der Leiche nicht mehr vorhanden,
weil mit Eintritt des Todes die zentrale Reizung des Nervus oculomotorius
aufhört.
Zum chemischen Nachweis des Morphins ist der Harn der vergifteten
Person ein wertvolles Objekt.
Ans dem Kapitel über Strychnin seien folgende Sätze angeführt: Das
Gift wird sehr rasch resorbiert; es wird nnzersetzt durch den Ham aus*
geschieden, der deshalb ein wichtiges Dntersnchnngsobjckt darsteilt. Diese
Ausscheidung beginnt schon in der ersten Stunde nach der Aufnahme und
endet wahrscheinlich längstens in 48 Stunden. Für die Annahme, daß Strychnin
in der Leber aufgespeichert und zurückgehalten werde, findet sich kein An¬
haltspunkt.
In diesem Abschnitt klagt K. über die Reformbedürftigkeit des öster¬
reichischen Regulativs und weist auf das preußische und auf die — fast möchte
ich sagen als Charakteristikum der deutschen Einheit in bezug auf die Medi¬
zinalgesetzgebung — 26 (!!) bundesstaatlichen Regulative hin.
Besprechungen über Veratrin und Kolchizin bilden den Schluß,
in welchem K. die sehr beherzigenswerte Bemerkung macht, daß die forensische
Toxikologie ein geschlossenes Ganze darstelle, die nicht nur die Chemie benutze,
sondern auch auf Physiologie, Pharmakologie und Botanik fuße.
Dr. Hoffmann-Berlin.
Dr. S. Roth, Reg.- und Geh. Medizinalrat in Potsdam: Kompendium der
Gewerbekrankheiten und Einführung in die Gewerbehygiene.
Berlin 1904. Verlag von Richard Schötz. Gr. 8°, 271 S.
Nach einleitenden Worten über das erspriesliche Zusammenwirken von
„Aerzten und Krankenkassen" bei freier Arztwahl und nach allgemeinen
kurzen Ausführungen über „Erkrankungs- und Sterblichkeitsstatistik", über
„natürliche Schutzmittel und Lebensführung" und über „Berufskrankheiten",
wendet sich der Autor dem eigentlichen Thema, der Schilderung der Gewerbe¬
krankheiten, zu. Das geschieht in der Weise, daß an der Hand der einzelnen
Betriebe (Industrie der Metalle, der Steine und Erden, Leder-, Papier-, Nahrungs¬
und Genußmittel-, Konfektions-, chemische Industrie, künstliche Dungstoffe und
forstwirtschaftliche Nebenprodukte) die diesen eigentümlichen Berufsgefahren
und Gewerbekrankheiten unter Berücksichtigung der Art des Betriebes erörtert
werden. Nur soweit einzelne gewerbliche Schädlichkeiten, wie namentlich St&nb,
Gase und Dämpfe einer größeren Zahl von Betrieben eigen sind, sind diese
zusammenhängend besprochen. Der Einwirkung der gewerblichen Anlagen auf
die Umgebung und dem Schutze der Nachbarn gewerblicher Anlagen ist ein
besonderer Abschnitt gewidmet, dem sich Schlußbetrachtungen über die Not¬
wendigkeit statistischer Einzeluntersuchungen und experimenteller gewerbe-
hygienischer Untersuchungen, sowie über die Hineinbeziehung der Heimarbeit
und des Handwerkes in das Gebiet der Gewerbehygiene anschließen. Somit
findet in dem vorliegenden Werk der Arzt die wichtigsten Tatsachen auf dem
Gebiete der Gewerbekrankheiten und Gewerbehygiene zusammenfassend dar¬
gestellt von autorativer, durch jahrelange spezielle Beschäftigung mit gewerbe¬
hygienischen Fragen besonders erfahrener Seite. Auch über den Kreis der
Kassenärzte und Mcdizinalbeamten hinaus sollte das von sozialpolitischem und
sozialhygienischem Geiste getragene und frisch durchwehte Kompendium in
allen Arbeitgeber- und Arboitnchmerkreisen freudige Aufnahme finden, von
deren Verständnis und Mitarbeit in letzter Linie der Segen der dem Arbeiter¬
schutz dienenden Maßnahmen abhängt. Rpd.
Sohroeter, Geh. Oberregierungsrat u. vortr. Rat im Prenß. Ministerium für
Landwirtschaft, Domänen und Forsten: Das Flelsohbesohaugesets.
Zweite neubearbeitete Auflage. Verlag von Richard Schoetz in Berlin.
Kl. 8°, 551 S. Preis: 6,50 Mk.
Besprechungen.
687
Das sehr bald nach der ersten Ausgabe in zweiter Auflage erschienene
Schr.sche Buch umfaßt das Reicbsgesetz mit den Bundesratsvorschriften für
die Inlandsfleischbeschau, die Bandesratsbestimmnngen für die Untersuchung
ausländischen Fleisches and das preußische Ausführungsgesetz mit den preu¬
ßischen Ausführungsbcstimmungcn. Sie sind teils im Wortlaut als Text ab¬
gedruckt, teils in den Anmerkungen an passender Stelle ihrem Wortlaut oder
ihrem wesentlichen Inhalte nach wiedergegeben. Den mit der Durchführung
des Gesetzes befaßten Behörden, Beamten und Sachverständigen wird die prak¬
tische Handhabung der Fleischbeschaugesetze durch das vorliegende Buch
jedenfalls erheblich erleichtert. Bpd.
Ms fern Grosses Konversation»-Lexikon. Ein Nachschlagewerk des
allgemeinen Wissens. Sechste, gänzlich neu bearbeitete und vermehrte Auf¬
lage. Mit mehr als 11000 Abbildungen im Text und auf über 1400 Bilder¬
tafeln, Karten und Plänen, sowie 130 Textbeilagen. Leipzig und Wien,
Bibliographisches Institut. Gr. 8°, über 13240 Seiten. 20 Bände in Halb¬
leder gebunden zu je 10 Mk., oder in Prachtband gebunden zu je 12 Mk.
In Nr. 9 des vorigen Jahrganges dieser Zeitschrift ist darauf hingewiesen
worden, wie notwendig neben fortschreitenden Fachkenntnissen ein fortschreiten¬
des allgemeinen Wissens zum Rüstzeug des Arztes gehört, der in unseren
Tagen über eine rezeptverschreibende Tätigkeit hinaus zum Erzieher und Mit¬
arbeiter an der leiblichen und geistigen Wohlfahrt der Volksmasse berufen
ist. In welch hervorragendem Maße Meyers Großes Konversations-Lexikon
geeignet ist, solches allgemeine Wissen zu vermitteln, hier zu vervollständigen,
dort nach den neuesten Forschungsergebnissen zu berichtigen, lehrt die Durch¬
sicht des großangelegten Nachschlagewerkes, dessen erste Hälfte mit dem so¬
eben erschienenen zehnten Band abschlicßt.
Bei der Fülle der hier behandelten und den Arzt und Hygieniker be¬
sonders interessierende Thcmate ist cs ganz ausgeschlossen, im Rahmen eines
Referates auch nur annähernd erschöpfend oder vollständig auf die Art und
Form, auf die Gründlichkeit und Klarheit des Stoffes cinzugehen. Man könnte
sich auf den Standpunkt stellen, daß der wissenschaftliche Arzt seine Kennt¬
nisse aus den Werken der medizinischen Literatur auffrischen oder ergänzen
soll. Demgegenüber ist zu betonen, daß z. die Kapitel über „Arzneipflanzen“,
über „Bad und Badewesen (Geschichtliches, Technisches, Medizinisches, moderne
Badeanstalten enthaltend)“, über Elektrizität“, Elektromagnetismus“ usw. usw.
in einem Spezialwerk gar nicht instruktiver behandelt sein können, als im
„Großen Meyer“. Die Abbildungen sind im letzterem jedenfalls sehr zahl¬
reich, außerordentlich scharf und so gewählt, daß sie das Verständnis der
Materie ungemein erleichtern. Und wer hat denn all die Spezialwerke in
neuerer oder neuester Auflage immer gleich zur Handt
Anzuerkennen ist ferner die allgemeinverständliche Art, in welcher die
rein medizinischce Kapitel über „Blut“, „Blutbewegnng“, „Blutgefäße“, „Ein¬
geweidelehre“, „Entwicklungsgeschichte“, „Haar“, „Haut“, „Gehirn“, „Gewebe
des Menschen“, „Bandwürmer“, „Bakterien“, „Astigmatismus“ usw. usw. be¬
sprochen sind. Solche Popularisierung seiner Wissenschaft kann der Arzt nur
mit Freude und Stolz empfinden gegenüber der Schundliteratur, die gerade in
bezug auf medizinische Dinge von Kurpfuschern, Naturheilkundigen, Wunder¬
doktoren, Reklamefirmen, wunderkräftigen Orten usw. vertreten wird. Daß in
der vorliegenden Auflage die Abbildungen zum Kapitel „Hautkrankheiten“
fortgeblieben sind, ist auch als ein Vorzug aufzufassen. — Noch sehr vieles
würde eine Hervorhebung verdienen; Ref. versagt es sich, weil er doch nicht
dem gebotenem reichem Wissensschatz vollauf gerecht werden könnte. Aber
die gemachten Andeutungen werden genügen, um uns Aerzten bei einem Be¬
dürfnis nach Aufklärung das genauere Eindringen in Meyers Großes Konver¬
sations-Lexikon nahe zu legen. Die medizinischen Mitarbeiter werden repäsen-
tiert durch Dr. Busch an-Stettin, Stabsarzt Dr. Lambertz-Berlin, Prof.
Dr. La n g e n d o rf-Rostock, Prof. Dr. L e h m a n n - Karlsruhe, Dr. Lommel-
Jena, Prof. Dr. Matth es-Jena, Prof. Dr. Pannwitz- Berlin. — Papier,
Druck, Ausstattung und insbesondere die Abbildungen, Bildertafeln u. dergl.
machen dem bibliographischen Institut Ehre. Dr. Roepke-Melsungen.
688
Tagesnachrichten.
Tagesnachrichten.
Das in der nenesten Nummer der preußischen Gesetzsammlung ver¬
öffentlichte Gesetz, betreffend die Bekämpfung ansteckender Krankheiten,
bat unter dem 28. August d. J. die Königliche Sanktion erhalten nnd tritt
nach der KaiserL Verordnung vom 10. Oktober d. J. am 20. Oktober d. J. in
kraft. Den Wortlaut des Gesetzes werden wir in der Beilage zur nächsten
Nummer der Zeitschrift zum Abdruck bringen.
Die Zahl der Choleraerkrankungen und TodesflUe hat in der Zeit
vom 29. September bis 13. Oktober nur 16 bezw. 3 betragen; die Gesamtzahl
stellt sich damit auf 271 bezw. 90. Die Seuche scheint dem völligen Erlöschen
nahe zu sein; jedenfalls ein schöner Erfolg der getroffenen sanitätspolizeilichen
Maßnahmen und der wissenschaftlichen Forschungsergebnisse, welche die
Grundlage für diese Maßregeln gebildet haben.
Personalien. Der Reg.* u. Med.-Rat Dr. Abel in Oppeln ist vorläufig
kommissarisch in die Medizinalabteilung des Kultusministeriums einberufen
worden; es ist aber wohl anzunehmen, daß er demnächst in die seit Abgang
des Geh. Ober-Med.-Rats Dr. Pistor noch unbesetzte vierte Stelle eines
Vortragenden Rates einrücken wird, allerdings wohl nicht in dessen Dezernat,
da dieses schon seit Jahresfrist zum größten Teil dem Geh.-Ober-Med.-Rat Dr.
Dietrich übertragen ist.
Der vom 2.-7. Oktober d. J. in Paris tagende Internationale Tuber*
kulosekongress hat eine außerordentlich große Beteiligung gefunden. Aus
allen europäischen Staaten waren zahlreiche Delegierte, namentlich aus Deutsch¬
land erschienen und auch die meisten außereuropäischen großen Staaten ver¬
hältnismäßig stark vertreten, so daß die Gesamtzahl der Theilnehmer fast die
Ziffer von 6000 erreicht hat. Nicht weniger als 40 Referate und 800 Vorträge
waren angemeldet; den Höhepunkt der Verhandlungen bildete jedenfalls der
in der Plenarversammlung am letzten Sitzungstage, den 7. Oktober, gehaltene
Vortrag von Prof. Dr. v. Behring, in dem er über das Ergebnis seiner neuen
Versuche und Arbeiten über die Behandlung der Tuberkulose und sein neues
Tuberkuloseheilserum berichtete. Wir werden auf diesen Vortrag,
sobald er gedruckt vorliegt, noch ausführlich zurückkommen. In der Schlu߬
sitzung der Internationalen Tuberkulose-Vereinigung, in der 21 Staaten ver¬
treten waren, wurde die neugestiftete Tu berkulose-M edaille den Pro¬
fessoren Dr. Robert Koch und Paul Brouardcl in Gold, den Professoren
Bang-Kopenhagen, Biggs-Newyork, Broadlent-London und v. Schrötter-
Wien in Silber zuerkannt.
Der nächste internationale Tuberkulose - Kongreß wird 1908 in Amerika
stattfinden.
Die nächstjährige Naturforscher-Versammlung findet nicht in Köln,
wie in der vorigen Nummer der Zeitschrift mitgeteilt wurde, sondern in
Stuttgart statt.
Der IV. internationale Kongress für Versichernngsmedizin findet vom
11.—15. September 1906 in Berlin unter dem Ehrenvorsitz des Staats¬
ministers Dr. Studt statt. Zur Verhandlung gelangen n. a.: 1. Die früh¬
zeitige Feststellung des Vorhandenseins einer Veranlagung zur Tuberkulose.
2. Die Fettleibigkeit in ihrer Bedeutung für die Versicherung. 3. Der Ein¬
fluß der Syphilis auf die Lebensdauer. 4. Die Impfklausel im Versicherungs¬
antrag. 5. Die Beeinflussung innerer Leiden durch Unfälle.
Nfotiz. Der heutigen Nummer der Zeitschrift ist der offlsielle Be¬
richt über die II. Landesversammlung des Bayerischen Medi¬
zin albeamten vereine beigefügt.
V erantwortl. Redakteur: Dr. Rapmund, Reg.- u. Geh. Med.-Rat in Minden i. W.
J. C. C. Bruns, Herzogi. Sächs. n. F. Sch.-L. Hofbncbdruckorei in Minden.
1906.
18. Jahrg.
Zeitschrift
für
MEDIZINALBEAMTE.
ZentralMatt für gerichtliche Hedizii ui Psychiatrie,
für Sntliehe 8achverstudigeutätigkeit in Unfall- uni Iuvaliditätssachen, sowie
für Hygiene, dfentL Saaititswesen, Mediziul - Gesetzfeiug ob 4 Reehtspreehong
Herausgegeben
TOB
Dr. OTTO RAPMDND,
Beglenugs- nnd 0#h. Xedlalnalrat ln Minden»
Verlag von Fischers mediz. Buehhandlg, H. Kornfeld,
HenogL Bayer. Hof- u. BnbenogL Kammer-Buchhändler.
Berlin W. 35, Lützowstr. 10.
Inserate nehmen die V erlagshandlong sowie alle Annoncen-Expeditionen des In*
and Aauandes entgegen.
Nr. 21.
Bmkelat am 1. ud lff. Jedem Memata
1. Novbr.
Zum Pemphigus neonatorum.
Von Dr. Dreves, Kreisarzt in Walsrode.
Das neue Hebammenlehrbuch hat auch die Schftlblasen der
Neugeborenen einer Besprechung unterzogen; demzufolge sind die
Hebammen jetzt angewiesen, vorkommende Erkrankungen anzu¬
zeigen. Es mag daher von allgemeinem Interesse sein, wenn ich
Aber die Beobachtangen, die ich seit dem Jahre 1897 über das
Vorkommen nsw. dieser Krankheit gemacht habe, einige Mit¬
teilungen mache.
Als ich im Mai des Jahres 18 97 Ton einem halbjährigen Urlaub zuzück-
kehrte, kam eines Tages eine der beiden hiesigen Hebammen (M.) zu mir nnd
erzählte, daß seit einigen Wochen mehrere Neugeborene ihrer Praxis an Schäl¬
blasen erkrankt seien. Sie habe dieses dem hiesigen Arzt Dr. S. mitgeteilt,
dieser jedoch ihr die Erkrankungen als angefährlich bezeichnet; soeben sei
aber ein Kind gestorben, offenbar an Schälblasen. Dieses Kind sah ans, als
ob es schwer verbrüht gewesen war, zwar war es abends der Hebamme nur
durch seine geringe Trinklast aafgefallen; am anderen Morgen hatte es tot
im Bette gelegen. Ein anderes schwächliches Kind war bereits, kurze Zeit
nachdem sich einige, wenige Bläschen gezeigt hatten, angeblich an Durchfällen
g estorben. Ein weiteres Kind starb, bedeckt von großen, dicht stehenden
lasen am 18. Lebenstage, zehn Tage nach der Erkrankung. Im ganzen
waren vom 20. April bis 19. Jnni von den während dieser Zeit geborenen
achtzehn Kindern 9 erkrankt und davon 2 sicher, 1 wahrscheinlich an Pemphi¬
gus gestorben. Ein Kind ans der Praxis der zweiten Hebamme G. in W. war
dadurch angesteckt, daß Körperwäsche ans dem Nachbarhanse bei frühzeitig
erfolgter Geburt geholt und in diesem Hanse das oben erwähnte schwächliche
Kind kurz vorher gestorben war. — Die Epidemie erlosch, nachdem die Heb¬
amme M. 8 Tage suspendiert war, ihre Instrumente, Tasche desinfiziert, ihre
Kleidung sämtlich gewaschen, vielfach gelüftet and gesonnt waren, und sie
selbst mehrere Vollbäder genommen hatte.
t>r. Drewes.
690
Sämtliche Hebammen worden aal die Krankheit aufmerksam gemacht
and ihnen aafgegeben, bei diesbezüglichen Beobachtangen sofort Anzeige an
mich za erstatten. Die erste Anzeige lief daraufhin im Februar 1898 ein
and zwar von der zweiten Hebamme G. in W. Die Krankheit verlief in diesem
Falle leicht. Suspension der Hebamme usw. Keine weitere Erkrankung. Bei
einem am 5. April geborenen and am 10. erkrankten Kind aas der Praxis der
Hebamme M. war die Infektion durch die Hebamme mir unwahrscheinlich;
jedenfalls blieben die drei folgenden Kinder aus derselben Praxis gesund. Ein
am 21. April 1898 goborenes Kind erkrankte jedoch am 6. Tage and starb am
10. Tage, nachdem sich die Bläschen rasch über den ganzen Körper verbreitet
hatten. Aach hier war eine Uebertragang von Haas za Haas sehr wahr¬
scheinlich. Ein am 22. April geborenes Kind blieb wieder gesund, ein am
28. April geborenes erkrankte dagegen leicht. Suspension der Hebamme usw.;
Erlöschen der Epidemie. — Es trat dann ebenfalls in W. und in derselben Praxis
noch ein leichter Fall auf; außerdem erkrankte in einem & km entfernten Orte
im April ein Kind leicht in einem Hause, in dem die erste Hebamme M. aus
W. sich vorübergehend besuchsweise aufgehalten hatte.
1899 wurden in W. nur drei leichte, zeitlich sehr getrennte Erkran¬
kungen an Schälblasen beobachtet.
Dagegen erfolgte im Jahre 1900 wieder starkes Auftreten der Krankheit
und zwar in W. in der Praxis der zweiten Hebamme G. Das Kind einer
anderen, mit der Hebamme dasselbe Haus bewohnenden Familie war im Juli
an einer Bläschenerkrankung, offenbar Pemphigus, erkrankt gewesen. Es folgten
zwei leichte Erkrankungen von Kindern, die am 25. und 27. Juli geboren
waren. Suspension der Hebamme usw. Das nächste, am 1. September geborene
Kind blieb gesund; ein am 2. September geborenes erkrankte dagegen vom
14.—20. Tage, ein am 10. September geborenes am 5. Tage nach der Geburt
und starb am 8. Tage. — Abermalige Suspension, freiwillig bis Anfang Oktober
verlängert. Ein am 27. Oktober geborenes Kind blieb dann gesund, während
ein am 28. Oktober geborenes am 2. Tage erkrankte und am 10. Tage starb.
Bei diesem Kinde zeigte sich das erste Bläschen schon wenige Stunden nach
der Geburt. Kurz vor der Geburt war eine Brotträgerin im Hause gewesen,
deren 4 Wochen altes Kind wenige Wochen vorher an Pemphigus erkrankt
gewesen war. — Auch ein am 15. November in der Praxis derselben Heb¬
amme geborenes Kind erkrankte vom 5.—14. Tage. Hier bestand viel Verkehr
mit dem Hause der Eltern des am 25. Juli geborenen Kindes. Obwohl dies¬
mal keine Suspension der Hebamme erfolgte, blieben weitere Erkrankungen
aus; jedoch muß bemerkt werden, daß die Hebamme ihre Instrumente und
Kleidung usw. desinfizierte und daß sie zu jedem Wochenbesuch ein gesondert
aufbewahrtes Kleid anzog, was sie allerdings auch das ganze Jahr hindurch
getan hatte. Beide Hebammen in W. sind gewissenhaft, zuverlässig t und reinlich.
Von 8 Kindern aus der Praxis der Hebamme G. erkrankten also im Jahre 1900
6 und starben 2; eine Erkrankung kam außerdem in der Praxis der Heb¬
amme M. vor.
In demselben Jahre trat auch in der Praxis der Hebamme in K., 8 km
von W., die Krankheit auf. Zwei am 17. resp. 27. Mai in 2 nebeneinander
liegenden Orten geborene Bonder erkrankten, das erstere starb am 11. Lebens-
tage. Das zweite Kind, bei dem das Auftreten von Blasen sich während eines
Vierteljahres vom Bauche nach oben und unten weiterschob ohne merkliche
Störung des Allgemeinbefindens, war die Ursache, daß sämtliche Kinder in
einem benachbarten Hause (bis ca. 8 Jahre alt) an Pemphigus erkrankten,
ebenfalls ohne Störung des Allgemeinbefindens. Suspension der Hebamme usw.
— Die beiden folgenden, in der Praxis dieser Hebamme geborenen Kinder blieben
gesund; die beiden nächsten, am 28. Juni und 1. Juli in zwei anderen Ort¬
schaften geborenen erkrankten dagegen, der Verlauf der Krankheit war aber
günstig. Besondere Vorsichtsmaßregeln wurden damals, weil ich auf Urlaub
war, nicht getroffen, außer daß die Hebamme ihre Instrumente usw. selbst
reinigte. Die nächsten Fälle traten erst bei 4 in der Zeit vom 2.—28. De¬
zember geborenen Kindern auf, von denen das erste und dritte erkrankte, das
zweite war tot geboren. Zwei im Januar 1901 geborene Kinder erkrankten
ebenfalls an Pemphigus, eins davon starb. Trotz 14 tägiger Suspension usw.
der Hebamme erfolgten 14 Tage später abermals 2 Fälle (1 Todesfall), jedoch
Zorn Pemphigus neonatorum.
<91
war hier die Infektion durch nachbarlichen Verkehr wahrscheinlich. Der drei¬
jährige Bruder war nämlich vielfach in dem Hause gewesen, in dem das eine
der beiden Kinder erkrankt war, und hatte sich hier infiziert. In dem 2. Falle
lag zwischen der ersten Erkrankung und der durch dieee eventL bewirkten
Ansteckung ein Zeitraum von l’/s Monaten.
Im Jahre 1901 trat ferner auch ein Fall in D. auf; in demselben Hause
hatte eine Frau kurz vorher an einer Bläschenbildung gelitten, die der obersten
Schicht der Epidermis noch beraubten und geröteten Stellen machten mir die
Diagnose Pemphigus sehr wahrscheinlich. Am 26. November desselben Jahres
erkrankten weiterhin in einem 10 km von W. gelegenen Orte ein 5 Tage altes
Kind schwer und starb; die Aetiologie blieb unbekannt. Am 29. November
erkrankte dann die betreffende Hebamme selbst unter ausgesprochenen Symp¬
tomen des Pemphigus mit schwerer Beeinträchtigung des Allgemeinbefindens.
Die ersten Bläschen zeigten sich am 1. Arm und „brannten wie Feuer“; heftiges
Stechen im Arm, Kopfschmerzen, Schwindel, Durchfall; Temperatur leider nicht
gemessen. 8 Tage später sah ich die Kranke, die durch sehr elendes Aus¬
sehen auffiel, im übrigen sich aber wieder wohl befand. Auf der Beugeseite
des 1. Armes waren zwei scharf umschriebene, gerötete, mit feiner Epidermis
ttberkleidete Stellen, Ftlnfpfennigstttck resp. erbsengroß, vorhanden; außerdem
mehrere stecknadelknopfgroße, auf geröteter Basis stehende, trübe Bläschen
am r. Arm und 1. Bein (Beugeseite). Lange Bekonvaleszenz. Desinfek¬
tion der Wohnung. — Am 28. Februar 1901 abermals eine leichte Erkrankung
in der Praxis derselben Hebamme. — Endlich eine einzelne leichte Erkrankung
in einem entfernten Dorfe. Einschleppung von W. nicht sichergestellt, aber
möglich, außerdem noch eine leichte Erkrankung in W.
1902 kam nur eine Erkrankung eines Neugeborenen vor, bei dessen
Geschwistern zu jener Zeit Pemphigus durch die Hebamme festgestellt war.
1908 und 1904 ist nur je ein sehr leichter Fall von Schälblasen der
Neugeborenen vorgekommen.
Es erkrankten resp. starben 0 danach in den Jahren:
1897 : 9 (8) 1901: 8 (1)
1898 : 6 (1) 1902: 1 (—)
1899 : 8 (—) 1908: 1 (-)
1900 : 9 (8) 1904: 1 (—)
88 (8 = 21*/* Todesfälle).
Dass der Pemphigus eine ansteckende Krankheit ist, wird
wohl z. Z. allgemein zugegeben. Die Uebertragong von Hans
zn Hans zu verhindern, wird sehr erschwert durch den Verkehr
insonderheit der grösseren Kinder, die den Ansteckungsstoff wohl
nicht nur durch tote Gegenstände, sondern ebenso oft durch eigene,
unbeachtete Erkrankung weitertragen. Wie leicht wird ein Bläs¬
chen, bei völligem Wohlbefinden des betr. Kindes, übersehen oder
als leichte Verbrennung angesprochen! Aber auch auf Erwachsene
muss geachtet werden; denn sie können ebenfalls die Mittels¬
person sein. Die Frage nach der Haltbarkeit des- Kontagiums ist
z. Z. nicht zu beantworten. Nach meinen Erfahrungen erscheint
es mir nicht ausgeschlossen zu sein, dass die Lebensfähigkeit
eine sehr grosse ist, sich vielleicht über 1—2 Monate erstreckt.
Ein Urteil in dieser Hinsicht ist allerdings dadurch erschwert,
dass niemals mit Sicherheit die Erkrankung einer Mittelsperson
ausgeschlossen werden und die Erkrankung des Neugeborenen
sich über viele Wochen, ohne Störung des Allgemeinbefindens,
hinziehen kann. Gegen die Haltbarkeit des Kontagiums spricht,
dass m. E. schon eine 8 tägige Suspendierung der Hebamme und
allgemeine Körper-, Kleider- und Instramentenreinigung genügt,
Br. Breyee.
692
um die Ansteckungsfähigkeit auf ein Minimum sicher, wenn nicht
anf Null herabzudrftcken.
Bei Fällen, von denen mit grösster Wahrscheinlichkeit an¬
genommen werden muss, dass sie nicht yon der Hebamme infiziert
— und diese sind m. E. zahlreicher als die von der Hebamme
infizierten — müsste es genügen, wenn die Hebamme in einem
gesonderten Raum eine, in der Wohnung zurückgelassene, vor-
schriftsmässige Schürze überzieht und die nötigen Instrumente
(Thermometer) jedesmal strengstens desinfiziert; vielleicht wäre
es angebracht, so wie ich es bei schweren Scharlachepidemien
bei den von mir behandelten Kindern zum Schutze meiner eigenen
zu tun pflege, nach Benutzung die Schürze (Operationsmantel) in
Sublimat zu tauchen, auszuringen und zum Trocknen bis zum
nächsten Gebrauch hinzuhängen.
Schwerere Epidemien von Pemphigus neonatorum verlangen
entschieden sehr energische Gegenmassregeln, insonderheit die
Suspendierung (8 Tage) der betreffenden Hebamme, die ich aus
bekannten Gründen zwar möglichst zu vermeiden suche, die mir
jedoch unbedingt bei wahrscheinlicher Infektion durch die Heb¬
amme nötig erscheint. Bei Erkrankungen im Hause der Hebamme
Suspension bis zum Erlöschen der Krankheit und 8—14 Tage
darüber hinaus mit sorgfältigster Desinfektion der Wohnung, Lüf¬
tung sämtlicher Kleider, Desinfektion der Instrumente, Körper-
reinigung der Hebamme. Ich halte die Infektion durch die Heb¬
amme nur dann für wahrscheinlich, wenn zwei Fälle in deren
Praxis sich in räumlich entfernten Häusern, die keinen Verkehr
haben, zeigen. Jeder erste Fall muss, falls man annehmen kann,
dass die Hebamme gewissenhaft ihrer Meldepflicht genügt, jeden¬
falls als wahrscheinlicher durch anderweite Infektion entstanden
aufgefasst werden. Zu bedenken ist jedoch, dass auch ein Kind
in den ersten 10 Tagen schon infiziert, aber erst nach der Ent¬
lassung aus der Behandlung der Hebamme erkrankt sein kann.
Falls ein Mitglied der Familie eines Neugeborenen erkrankt ist,
halte ich die Erkrankung des Neugeborenen innerhalb der ersten
10 Lebenstage für sehr wahrscheinlich, sodass man das Neu¬
geborene wohl als Indikator für die Anwesenheit von Pemphigus-
kontagium in seiner Umgebung ansehen kann. Dass hie und da
bei sicher anzunehmender Infektion durch die Hebamme in einer
Erkrankungsreihe hier und da ein Kind Überschlagen wird, lässt
sich leicht erklären durch die Desinfektion der Hände usw. der
Hebamme und durch die Reihenfolge der Wochenbesuche. Es ist
selbstverständlich, dass mit möglichster Sorgfalt die gesamte
Kinder- und Bettwäsche des Erkrankten in einem mit Sodawasser
gefüllten Gefässe gesammelt und 10 Minuten gekocht werden
muss. Ebenso nötig erscheint es, dass die Mutter bei Abwartung
des Kindes sich selbst und die übrigen Kinder schützt durch An¬
legen einer grossen Schürze, Waschen der Hände und eventl. der
Brust, denn nach den jetzigen Erfahrungen ist eine Infektion von
Körperstelle zu Körperstelle wahrscheinlich und erst von hier aus
entsteht eventl. eine Infektion des ganzen Körpers (Baden)!).
Zorn Pemphigus neonatorum.
693
Auf Grand dieser Beobachtungen sind Okklusivverbände empfohlen.
Ich selbst habe diese nicht angewandt, doch erscheint mir diese
Behandlung entschieden ätiologisch richtig.
Dr. Ball in 1 ) empfiehlt, bei einzelnen Blasen nach Abtragung
der Blasen (ohne andere Körperstellen durch den Inhalt zu infi¬
zieren, Ichthargan 5,0, Tragacanth 1,5, Aqua dest. ad 50,0 auf
die Wandfläche zu streichen, dann eine dünne Schicht Watte
darauf zu drücken und noch einmal die Lösung daraufzustreichen.
Bei ausgebreiteterer Form empfiehlt derselbe Autor Bardeleben-
sche Brandbinden. Tritt durch diese keine Heilung ein, Salben¬
verbände mit Ung. sulfurat. rubr. Diese Methode erscheint mir
auch zwecks Verhütung weiterer Infektion durch Lokalisierung
des Kontagiums sehr zweckmässig und werde ich sie gelegentlich
anwenden. —
Es könnten vielleicht zwei Arten von Pemphigus unter¬
schieden werden; bei der ersten rasche Ausbreitung über den
ganzen Körper und Tod wie bei Verbrennung, bei der zweiten In¬
fektion des ganzen Körpers mit schwerer Störung des Allgemein¬
befindens, rheumatischen Schmerzen und Durchfällen. Diese zweite
Art finden wir in ausgesprochener Weise bei der Erkrankung der
Hebamme in B. Diese ist auch ein Beweis dafür, dass es zum
Schutz der Mutter wichtig sein kann, den Infektionsstoff unschäd¬
lich zu machen. Die Angaben der Hebamme, dass die Blasen
wie Feuer gebrannt hätten, dass im befallenen Arm starke
Schmerzen aufgetreten seien, sowie der begleitende Durchfall
machten es mir sehr wahrscheinlich, dass es sich hier um eine
Allgemeininfektion des Körpers handelte und nicht um ein zu¬
fälliges Zusammentreffen zweier Krankheiten.
Bei der Schwere der Erkrankung (21 °/o Todesfälle) halte
ich eine jedesmalige Feststellung durch den Kreisarzt an Ort
und Stelle für geboten. Es ist m. E. Aufgabe des Kreisarztes:
1. Zwecks Feststellung der Aetiologie Fahndung nach Pem¬
phigusblasen (Durchfälle, Brandblasen) a. in der Familie des Neu¬
geborenen, b. in Familien, die im Hause verkehren, c. bei der
Hebamme, d. in deren Familie und e. bei den letzten Kindern in
der Praxis der Hebamme.
2. Verhütung weiterer Infektion durch das Neugeborene.
Zu diesem Zwecke sind a. dem behandelnden Arzte die Okklusiv-
verbände vorzuschlagen, falls solche nicht bereits angelegt sind,
b. Desinfektion der Wäsche des Neugeborenen anzuordnen und
c. der Mutter oder Wartefrau entsprechende Vorschriften zu geben.
8. Verhütung der Weiterschleppung durch die Hebamme:
a. Liegt Verdacht der Infektion durch die Hebamme vor oder
muss die Hebamme, ihre Instrumente und Kleider als infiziert
gelten, so Suspension auf 8 Tage, Auskochei der Schürzen, Kleider
U8W., Desinfektion der Instrumente inkl. Tasche, 2—3 Vollbäder,
Beobachtung auf etwa auftretende Blasen am eigenen Körper.
b. Liegt Verdacht auf Infektion durch 'die Hebamme nicht vor,
*) Therapie der Gegenwart; Juli 1904.
694
Dr. Wegner.
also wenn der erste Fall von Pemphigus in ihrer Praxis auf-
tritt, so sind folgende Vorschriftsmassregeln zn beobachten:
a. Bei Feststellang des Pemphigus Schürze and Waschkleid
sofort aaskochen nnd die Instrumente reinigen,
ß. Gebrauch je ein und derselben Schürze bei den Wochen*
besuchen jedes Kindes, Zurücklassung dieser Schürze in der
betr. Wohnung,
Y‘ jedesmaliges sorgfältiges Absuchen des Kindes vor jedem
Baden nach Pemphigusblasen. Verbot der Praxis bei Auf¬
findung eines Bläschens bei einem 2. Kinde;
c. Als allgemeine Vorschriften kommen endlich in Betracht:
<x. Die Hebammen haben ihre Aufmerksamkeit auch auf das
Auftreten von Schälblasen bei grösseren Kindern zu richten,
ß. die benachbarten Hebammen einer Hebamme, in deren Praxis
Sohälblasen aufgetreten sind, sind hiervon durch den Kreis¬
arzt zu benachrichtigen,
y. etwa vorhandene Gemeindeschwestern oder Pflegerinnen sind
gegebenenfalls über Pemphigus zu unterrichten nnd mit der
Anlegung der Okklusiwerbände vertrant zn machen.
Zur Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit
Von Kreisarzt Med.-Rat Dr. Wegner in Lissa i./P.
Wenn man die in der „Gesundheit“ sehr häufig veröffentlichten
Berichte der Gesundheitskommissionen über die im Laufe dieses
Sommers abgehaltenen Sitzungen durchsieht, so kann man als er¬
freuliches Ergebnis hinstellen, dass der Kampf gegen die Säuglings¬
sterblichkeit mit unleugbarem Erfolg aufgenommen ist. So hat
z. B. die Kommission in Frankfurt a. M. *) beschlossen, steri¬
lisierte Milch unentgeltlich an die Säuglinge abzugeben. Die
Gesundheitskommission in Breslau*) hat über die Errichtung
von Milchküchen beraten. Die Kreisärzte sollen die Hebammen
in den Wiederholungskursen anweisen, den Müttern von der künst¬
lichen Ernährung abzuraten. Stillende Mütter sollen von der Stadt
unterstützt werden und Hebammen prämiiert werden, die in diesem
Sinne wirken. Hier will ich noch einfügen, dass auch der dies¬
seitige Landrat auf meinen Vorschlag die Prämiirung solcher
Hebammen, die für Herabsetzung der Säuglingssterblichkeit wirken,
beim Kreisausschuss beantragen will.
Nach dem Bericht über die Sitzung der Gesundheitskommission
in Halle *) soll hier eine Säuglingsfürsorgestelle in der Universitäts-
Kinder-Poliklinik des Prof. Dr. Stöltzner errichtet werden.
Schöneberg bringt die Errichtung einer Milchwirtschaft auf dem
Rieselfelde in Anregung. In Elberfeld 4 ) ist beschlossen, eine
gemeinverständliche Belehrung über den Verkehr mit Milch von
Zeit zu Zeit in den Tagesblättern zu veröffentlichen.
Stettin 8 ) hat die Stadt in 4 Bezirke geteilt und jeden
*) Siehe Nr. 10 der „Gesundheit“. *) Ebenda Nr. 12. •) Ebenda Nr. 13.
4 ) Ebenda Nr. 15. *) Ebenda Nr. 11.
Zur Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit.
695
einer Pflegerin unterstellt. Die 4 Pflegerinnen haben zusammen
1397 Säuglinge zu besuchen. Täglich machen sie 15—20 Besuche
nnd liefern ihren Tagesbesnchsbogen nachmittags 5 Uhr auf dem
Bflrean des Gesundheitsamts ab. Ungefähr alle 15 Tage wird der
Säugling besucht. Jede säugende Mutter erhält täglich 1 Liter Voll¬
milch, jedes künstlich ernährte Kind täglich 1 j 3 Liter. Alle Familien
mit Einkommen bis zu 900 M. werden besucht. Die Besuche
der Pflegerinnen sowie ihre Ratschläge und Belehrungen werden
im grossen und ganzen gern angenommen; man denkt deshalb
daran, das Institut zu einem dauernden zu machen, damit es sich
zu einer Vertrauensstellung auswächst. Bis zum 8. Monat werden
die Pfleglinge (nötigenfalls auch noch länger) besucht. Sämtliche
Vollmilch wird unentgeltlich verabreicht. Neben dieser Einrichtung
war noch eine andere getroffen, wonach Kindermilch gegen billiges
Entgelt (1 Liter zu 15 Pf.) verabfolgt werden konnte. Diese
Einrichtnng hat sich nicht bewährt und ist sehr wenig in Anspruch
genommen.
Der Gegenstand, der in den Berichten immer wiederkehrt,
ist auch die Milch; sie beherrscht darin die Situation. Es
ist auch nicht zu leugnen, dass die ausreichende Zufährung
einwandfreier Milch eine ungeheure Rolle fttr Leben und Gedeihen
der Säuglinge spielt; deshalb können auch Kuhställe, Kühe,
Milchwirtschaften, Milchverkäufer, Transportwagen und Gefässe
nicht streng genug überwacht werden. Das genägt aber doch
nicht! Es müssen auch noch über viele andere Dinge hygienische
Vorschriften gegeben, auch die Pflege, Ernährung und Wohnung
'der Säuglinge, die Lebensführung der Eltern usw. überwacht
werden. Ist es doch ein weiter Weg 1 , ehe die vom Milchwagen
geholte Milch in den Magen des Kindes gelangt. Erst dann
fängt die eigentliche Pflege und Ernährung des Kindes an. Zu
diesem Zweck wird in den Berichten gewünscht, dass die Kreis¬
ärzte die Hebammen anweisen sollen, den Müttern von der künst¬
lichen Ernährung abzuraten; ferner dass stillende Mütter und
gegen die Säuglingssterblichkeit wirkende Hebammen prämiiert
werden sollen; dass eine Säuglingsfürsorgestelle eingerichtet
wird usw. Geradezu vorbildlich ist in dieser Hinsicht Stettin
vorgegangen mit seiner Pflegerinnenorganisation. Die Pflegerinnen
sind nicht neu, denn die meisten grossen Städte benutzen sie für
ihre Haltekinder. Der Fortschritt liegt darin, dass die Pflegerinnen
alle Säuglinge (nicht nur die Haltekinder darunter) bis zu einem
Einkommen der Eltern von 900 M. besuchen müssen und dass das
eine dauernde und eine Art Vertrauens- und amtliche Stellung
werden soll. Für ungeheuer wichtig halte ich es, dass die stillen¬
den Mütter 1 Liter Vollmilch bekommen, wodurch sie kräftig und
säugefähig werden. Diese von den Frauen in Muttermilch um¬
gewandelte Kuhmilch bekommt den Säuglingen sicher viel besser
als die Kuhmilch in Natur.
Dass die Hebammen bei der Bekämpfung der Säuglings¬
sterblichkeit nicht zu entbehren sind, dieser Ansicht ist ausser
den Gesundheitskommissionen auch das Ministerium beigetreten,
696
Dr. Richter.
indem es die Kreisärzte angewiesen hat, bei jeder Gelegenheit
die Hebammen über Pflege und Ernährung der Säuglinge zu unter-
weisen und von ihnen zu fordern, dass sie ihrerseits wieder diese
Lehren in die Familien tragen. Als ich vor ungefähr 1 Jahr in
einem Vorträge in der Medizinalbeamtenversammlung aussprach,
ausser allen anderen zutreffenden Massnahmen sei es das beste,
das ganze Hebammenwesen würde neu eingerichtet, die Bezirke
müssten verkleinert und besser dotiert und die Hebammen hygienisch
noch besser vorgebildet werden, dann könnten sie die Ueber-
wachung der Säuglinge und auch der Haltekinder mitübernehmen;
die Hebammen seien durch Vorbildung und ihre Vertrauenstätigkeit
bei den jungen Frauen wie bestimmt für die Säuglingsfürsorge —
da erhob sich grosser Widerspruch. Heute ist die Sache schon
anders; denn es ist tatsächlich insofern damit ein Anfang gemacht
worden, als die Hebammen behördlich zum Kampfe gegen die Säug¬
lingssterblichkeit aufgefordert werden und dass gegebenenfalls
ihre Prämiierung vorgeschlagen wird. Ich dürfte deshalb wohl ohne
grossen Widerspruch, allerdings auch mit einiger Einschränkung
meiner damaligen Forderungen folgendes vorschlagen: Auf dem
Lande und in kleinen Städten ist es am zweckentsprechensten,
Hebammen mit kleineren und besser dotierten Bezirken zugleich
die Ueberwachung der Säuglinge und Haltekinder zu übertragen.
In grösseren Städten geht das schon deswegen nicht, weil hier fast
lauter freipraktizierende Hebammen in Tätigkeit sind. Hier müssen
festangestellte Pflegerinnen die Ueberwachung der Säuglinge und
Haltekinder übernehmen. Aber auch hier halte ich es noch für
am besten, zu dieser Stellung Hebammen zu nehmen, denn ich
glaube, in diese zum Teil sehr zarten Aufgaben finden sich diese eher
hinein und erringen sich eher das Vertrauen der Mütter, als die
nur einseitig für diesen Zweck vorgebildeten Pflegerinnen; haben
die Hebammen doch den Kindern ihren Eintritt in dieses Leben
erleichtert, sie zuerst der Mutter an die Brust gelegt und ihnen
bei Wundsein, Augenentzündung, Erbrechen, Durchfall, Krämpfen
usw. die erste Hilfe gewährt. Doch müssen hier Erfahrung und
die jedesmaligen Umstände entscheiden. Wenn auch im Laufe
der Zeit manche getroffenen Massnahmen wieder geändert werden
müssen, weil sie sich nicht als zweckmässig erwiesen haben, so
schadet dies nichts; Irren ist menschlich! Die Hauptsache ist,
dass es sich regt und dass in dieser schon seit 40 Jahren viel
besprochenen, aber trotzdem ruhenden Angelegenheit endlich der
Anfang zur Erledigung gemacht ist.
Ueber die Handverkaufs-Abgabe von 10°/ 0 iger Opiumtinktur.
Von Dr. Richter, Reg.- u. Geh. Med.-Rat in Dessau.
Die infolge des Bundesrats-Beschlusses vom 18. Mai 1896
in allen deutschen Bundesstaaten eingefiihrten Vorschriften über
die Abgabe starkwirkender Arzneimittel gestatten dem Apotheker,
ohne ärztliche Verordnung Tinct. Opii crocata und Tinct. Opii einzeln
im Handverkauf abgeben zu dürfen, sofern dies in Lösungen ge-
Ueber die Handverkaufs - Abgabe ron 10°/ o iger Opinmtinktor. 697
schieht, „die in 100 Gewichtsteilen nicht mehr wie 10 Gewichtsteile
safranhaltige oder einfache Opiumtinktnr enthalten. 8
Es ist als Grund dieser Ausnahmebestimmung anzunehmen,
dass dem Apotheker die bisherige, eigentlich nicht gesetzliche
Abgabe von Opiumtinktur als Bestandteil der sogenannten Tinct.
antidiarrhoeca, Tinct. anticholerica, Choleratropfen erleichtert, und ,
eine Grenzzahl noch oben für die abzngebende Menge von Opium¬
tinktur hat festgestellt werden sollen. Bis zum Erlass dieser
Bestimmung hat meines Wissens der Gehalt an Opiumtinktur in
den Choleratropfen nur 1—2 °/o betragen, es ist also eine wesent¬
liche Erhöhung gegen früher eingetreten. So wohltätig und bequem
für das Publikum bei Cholerazeiten und Sommerdiarrhoen die Vor¬
schrift wirken kann, so kann durch sie doch anderseits eine
grosse Gefahr entstehen; denn die Fassung der Vorschrift in ihrer
Allgemeinheit fordert beinahe dazu heraus, die vielen sonst be¬
stehenden beschränkenden Bestimmungen über Abgabe von Opium¬
tinktur und Opiumderivaten zu umgehen. Sie gestattet dem Apo¬
theker ohne weiteres Opiumtinktur als safranhaltige und einfache
Tinktur in unbeschränkter Menge im Handverkauf abzugeben,
sobald nur das Gewichtsverhältnis 1 : 10 gewahrt ist. Die Vor¬
schrift gibt eben nur die Gewichtsverhältnisse an; sie berück¬
sichtigt weder das Quantum, was abgegeben werden kann, noch
auch die Flüssigkeit, in der die Opiumtinktur gelöst werden soll.
Man kann mithin eine solche Opiumtinktnr im Handverkauf er¬
halten in Wasser oder Alkohol oder in anderen Medien, wie Tink¬
turen, Schleim, Infusen gelöst; fordert man 100 gr davon, so
würde man demzufolge im Handverkauf ohne weiteres 10 Gramm
der offizinellen Opiumtinktur bekommen; bei 200 Gramm würden
es 20 Gramm sein, und niemand könnte dem Apotheker Vor¬
halten, er habe bei Abgabe einer derartigen Menge verdünnter
Opiumtinktur nicht streng gesetzlich gehandelt.
Die meisten Apothekenbetriebsordnungen, wenigstens Nord¬
deutschlands, schreiben vor, dass „Arzneien, welche nicht von appro¬
bierten Aerzten verschrieben sind, nur dann angefertigt werden
dürfen, wenn sie lediglich aus solchen Mitteln bestehen, die auch im
Handverkauf abgegeben werden dürfen. 8 Nur Opiumtinktur kann
in 10 % iger Lösung jetzt im Handverkauf in jeder Apotheke ab¬
gegeben werden; es wird diese auch bereits von intelligenteren
Personen, welche die Heilkunde ohne Approbation betreiben (Kur¬
pfuschern) verschrieben. Da die Menge nicht beschränkt ist, wird
der Kurpfuscher natürlich nicht* 10 Gramm von gelöster Opium¬
tinktur verschreiben, er wird eine Lösung von 20, 40 Gramm
verschreiben und statt der vom Arzte üblich verschriebenen täg¬
lich 8 mal 5—8—10 Tropfen der reinen Tinktur viertelstündlich
15 Tropfen verschreiben, womit er sicherlich dieselbe Wirkung
beim Patienten erzielt — je nach Wunsch der Patienten oder
nach der Menschenkenntnis des Kurpfuschers kann er die Opium¬
tinkturlösung tropfenweise oder teelöffelweise verschreiben und
einnehmen lassen —. Wer die Kreise kennt, aus welchen sich die
Kurpfuscher bilden und ergänzen, wird auch darüber nicht in
698 Dr. Richter: (Jeher die Handrerk&afs - Abgabe von 10 # / 0 iger Opiumtinktur.
Zweifel sein, dass diese die ihnen durch die Vorschrift gebotene
Gelegenheit, Opinmtinktnr unbeschränkt verschreiben zu können,
entsprechend ausgiebig benutzen werden.
Dass dies noch nicht in hohem Masse geschieht, liegt wohl
daran, dass sich das Gros der Kurpfuscher überhaupt nicht nm
die gesetzlichen Bestimmungen des Apothekenwesens bekümmert;
die intelligenteren nutzen jedoch die ihnen gebotenen Vorteile bereits
genügend aus und freuen sich der schönen Vorschrift, die ihnen
gestattet, das von ihnen so viel geschmähte „Gift“ ihren davon
oft ahnungslosen Patienten zu verschreiben, während sie mündlich
gegen jede starkwirkende Arznei zetern. Wenn nun aber, was
mir unvermeidlich scheint, der Missbrauch, der gesetzlicherweise
infolge der Fassung der Ausnahmebestimmung für die beiden
Opiumtinkturen mit dem Verordnen und der Abgabe der Lösung
derselben getrieben werden kann, erst bei den Kurpfuschern und
dem Publikum bekannt geworden ist — und dazu bedarf es nnr
einiger Personen, die hoffen können, durch das Bekanntwerden ein
gutes Geschäft zu machen — so können wir eine Wiederholung
der Tatsachen erleben, die ihrer Zeit dazu geführt haben, die
Abgabe von Morphium in den Apotheken ohne nochmalige^ärztliche
Verordnung zu verbieten.
Wenn der Neurastheniker höheren Grades, wenn die ganze
grosse Zahl männlicher und weiblicher Hysteriker erst wissen
und begreifen, dass sie Opiumlösung im Handverkauf in den
Apotheken erhalten können, so wird ein grosses Jagen nach dem
kostbaren Stoff anheben, den man ja dann auch sich täglich mehr¬
mals, in Städten mit mehreren Apotheken sogar an verschiedenen
Orten ohne weiteres holen kann. Der Geschmack der Opium¬
tinktur in Lösung, ebenso die bösen Folgen des längeren Gebrauches
wird keinen Opiophagen abhalten, dieselbe zu gebrauchen, eben¬
sowenig wie der Stichschmerz der Nadel den Morphinisten von
der Einspritzung je abgehalten hat.
Der nach diesem Narkoticum Bedürftige hat es jetzt auch
noch viel leichter, sich Opium zu verschaffen, wie der Morphinist,
der sich entweder, wie es Vorkommen soll, eines dunklen Ehren¬
mannes von Arzt bedienen muss, der für 20 Mark gleich eine
Anzahl Rezepte mit verschiedenem Datum zu Morphiumlösungen
verschreibt, oder mindestens nur durch eine Pflichtwidrigkeit eines
Apothekers oder Drogisten zu dem gewünschten Stoffe gelangt.
Auch die Engelmacherinnen werden nach Kenntnis der Vor¬
schrift sich der Lösung von Opium'tinktur noch öfter, wie es hie
und da jetzt schon heimlich geschehen soll, bedienen; leichtsinnige
Mütter und Pflegerinnen können nach Einflössung einiger Tropfen
derselben sicher sein, wenn sie ihre Kinder auf einige Stunden
verlassen, dass diese die Zeit ihrer Abwesenheit in ruhigem
Schlafe zubringen. Der sonstigen Möglichkeiten raffinierter Aus¬
nutzung der leicht erreichbaren Opiumlösung zu anderen, möglicher¬
weise unsittlichen und verbrecherischen Zwecken soll hier nur
Erwähnung geschehen.
Ich glaube, dass es nach Vorstehendem im allgemeinen öffent-
Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften.
699
liehen Interesse liegt, der Ausnahmebestimmung eine solche Fassung
zu geben, dass der Missbrauch derselben ausgeschlossen ist, oder
in die Apothekeubetriebsordnungen einen Passus aufzunehmen, der
die Abgabe der 10 % igen Lösung von Opiumtinktur, sobald sie
von Kurpfuschern verschrieben ist, verbietet und Vorsorge gegen
Abgabe an jedermann trifft.
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
A. Gerichtliche Medizin and Psychiatrie.
(Jeher Spätrezidive maligner Tumoren. Von L. Arnspeyer. (Aas
der Heidelberger chirarg. Klinik.) VII. Sapplemcntband von Zieglers Bei¬
trägen zor pathol. Anatomie der allg. Pathologie (Festschrift für Geh. Bat
Arnold- Heidelberg).
A. betont, das sich die Spätrezidive meist in der Operationsnarbe ent¬
wickeln; nach welch langer Zeit dies Ereignis noch eintreten kann, zeigen
seine sehr interessanten Mitteilangen, so bei Mammakrebs noch nach 6, 8, 11,
12, 18 and 19 Jahren, bei Ovarialtumoren nach 11 and 14, bei Stroma maligna
nach 6, bei Mastdarmkrebs nach 5 1 /» Jahren. Dr. Merkel-Erlangen.
(Jeher die Strychnin - Vergiftung in gerichtlich-medizinischer Be¬
ziehung. Von Dr. B. Lücke-Berlin. Deutsche Medizinal-Ztg.; 1905, Nr. 79.
Bei der Strychnin-Vergiftang kommen fast alle Umstände in Betracht,
die sonst bei der forensischen Beurteilung einer Vergiftung eine Rolle spielen.
Als Mittel zom Mord oder Selbstmord eignet sich Strychnin wegen seines
bitteren und schlecht za verdeckenden Geschmackes and wegen seiner auf¬
fälligen Wirkung wenig. Wenn trotzdem häufiger Strychnin-Vergiftungen
Vorkommen, so liegt das wohl an der allgemein bekannten giftigen Wirkung
des Strychnins und daran, daß Strychnin leichter zu erlangen ist, weil es viel¬
fach ökonomische Verwendung findet Aus diesem letzteren Grunde sind auch
besonders in England die Vergiftungen mit Strychnin bänfig.
Ungemein schwankend sind beim Strychnin die letalen Dosen; man
darf nicht übersehen, daß Strychnin eine stark kumulative Wirkung hat, wenn
diese wohl auch hauptsächlich auf eine nach jeder Dosis zurückbleibende Er¬
höhung der Erregbarkeit der Medulla zurückzuführen ist.
Wichtig sind die Krankheitserscheinungen, die Krämpfe, bei
einer Strychnin-Vergiftung, während der Sektionsbefund nichts Charak¬
teristisches bietet
Neben dem chemischen Nachweis soll man den physiologischen
nicht übersehen und weiter daran denken, daß bei Leichen besonders die
Transsudat-Flüssigkeiten reich an Strychnin sind. Deshalb wird auch beson¬
ders darauf hingewiesen, daß bei Exhumierungen von Fäulnistranssudaten durch¬
tränkte Gegenstände der Untersuchung zugängig gemacht werden.
Dr. Hoffmann-Berlin.
Schwierigkeiten hei der forensischen Begutachtung von zurück¬
gebliebenen Nachgeburtstellen. Von Otto Küstner-Breslau. Berliner
klinische Wochenschrift; 1905, Nr. 27.
1. Wenn häutige Massen aus den Genitalien einer Frau herausgespült
werden, kommen Verwechslungen zwischen Gerinnseln und Eihautteilen vor,
besonders wenn die dünnen Gerinnsel mit einem ganz dünnen Belage dezidnalen
Gewebes überzogen sind. 2. Eine bei der Sektion gefundene Cotyledo nimmt
sich auf der Innenfläche des schon nennenswert zurückgebildeten Uterus erheb¬
lich größer aus, als im Zusammenhang auf der Placenta. 8. Wenn infolge
endometritischer Prozesse von den Chorionzotten der deziduale Wall durch¬
brochen wird nad diese zum Teil in die Muscularis hineingewuchert sind, so
bietet bei diesen Fällen von Schwerlösigkeit der Placenta die Innenfläche des
Uterus an den betreffenden Stellen ein irreführendes Aussehen. Nach makro¬
skopischer Betrachtung könnte man leicht das Zurückbleiben von viel mehr
70#
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
Placentagewebe vermuten, als der Wirklichkeit entspricht. Die mikroskopische
Untersuchung gibt Aber die anatomischen Verhältnisse Auskunft. 4. Auf dem
Boden endometritischer Prozesse entwickelt sich auch die Placenta succentu-
riata. Betrachtet man die gelüste Placenta von der fötalen Seite, so gewahrt
man die zur Nebenplacenta führenden durchgerissenen Gefäße. 5. Es kommt
auch in späteren Monaten vor, daß die Trennung der Decidua nicht in der
Ampullärschicht, sondern im Bereiche der Compacta erfolgt (beim Abort im
4.—5. Monat regelmäßig); dann löst sich der Teil, der normal mit dem Ei ab¬
zugehen hat, erst im Wochenbett, mitunter fast wie ein Ausguß des Uterus.
Diese wenig bekannten Verhältnisse sind forensisch wichtig. Die
Hebammenlehrbttcher weisen hier Lücken auf, und der § 220 des Hebammen¬
lehrbuches kann bei späterem Abgehen derartiger Teile für die Hebamme ver¬
hängnisvoll werden, wiewohl diese bei Betrachtung der Nachgeburt nicht
fahrlässig handelte. Auf diesem Gebiete kann durch nicht ausreichende Sach¬
kenntnis Unglück angerichtet, und durch leicht auszugleichende Sachkenntnis
Unglück vermieden werden. K. verlangt, daß in den künftigen Auflagen des
Hebammenlehrbuches die anatomischen Verhältnisse auf dem Gebiete der
Pathologie der Placenta und der Eihäute etwas eingehendere Darstellung
finden. Obduzenten, welche bei einer Obduktion Nachgeburtsreste im Uterus
finden, müssen das Organ außerordentlich genau beschreiben: die Wanddicke, Ort
wo Adhärenzen angetroffen werden, mikroskopische Untersuchung, Ausschneiden
von derartigen Wandstücken, Schnittpräparate nach Härtung. Bei diesen
komplizierten Verhältnissen ist eventuell Konsultation notwendig. In geburts¬
hilflichen Kliniken und pathologischen Instituten kommen derartige nicht all¬
gemein bekannte Bilder häufig zur Beobachtung.
Ausgeschiedene bei der Sektion gefundene häutige Massen sind ebenfalls
mikroskopisch zu untersuchen. Dr. Räuber-Köslin.
Ein Fall von schon im Mutterleibe vollständig ansgebildeter Leichen¬
starre eines totgeborenen Kindes. Von Dr. Mü 11er-Ohrdruf. Korrespondenz-
Blätter des Allgemeinen ärztlichen Vereins von Thüringen; 1906, Nr. 8.
Verfasser berichtet über folgenden von ihm beobachteten Fall eines in
voll entwickelter Leichenstarre geborenen Kindes: Er wurde zu einer Zwil¬
lingsgeburt gerufen mit dem Bemerken: das erste Kind sei geboren, bei dem
zweiten liege ein kleiner Teil vor. — Als er ankam, berichtete die Hebamme,
das erste Kind sei schon vor einiger Zeit rasch und lebend geboren, vor
kurzem sei dann das Wasser des zweiten Kindes abgegangen und dabei als¬
bald ein Aermchen vorgefallen. Deshalb habe sie sogleich nach ihm geschickt.
Er fand den linken Arm ziemlich weit in die Scheide vorgefallen; darüber im
Beckeneingang etwas seitlich, nach der rechten Beckenseite gedrängt, den
ziemlich kleinen Kopf, flach mit der oberen Fläche aufliegend, Hinterhaupt
vorn, Stirn nach dem Kreuzbein zugerichtet. Es gelang ohne große Mühe,
den vorliegenden Arm über den Kopf hinauf zurückzuschieben; dabei war
schon eine gewisse Steifheit des Aermchens zu bemerken, auch zeigte es keine
so große Neigung wieder vorzufallen wie sonst in ähnlichen Fällen, obgleich
der Raum dazu vorhanden gewesen wäre. Mit einer einzigen kräftigen Wehe
wurde bald darauf Kopf und Rumpf des Kindes geboren, das ohne jedes
Lebenszeichen war. Es fiel sogleich die eigentümliche Haltung des ganzen
Körpers auf, in welcher dieser unbeweglich verharrte. Der linke Arm war über
den Kopf in etwas gebeugter Haltung hinaufgestreckt, der Rumpf wie von
links her leicht bogig eingedrückt; beide Füße waren lang gestreckt auseinander-
liegend, im Hüftgelenk ein wenig gebeugt und wie seitlich nach rechts ver¬
schoben. Das Kind war klein (ca. 5 Pfund), sonst gut entwickelt, zeigte gar
keine Zeichen von Fäulnis, auch nicht an der Nabelschnur, war äußerlich un¬
beschädigt, speziell am Kopfe keine Verletzung bemerkbar. Es befand sich
im Zustande voll ausgebildeter Leichenstarre, die auch im warmen Bad unver¬
ändert blieb, so daß später beim Einlegen in eine etwas kurze Schachtel,
linker Arm und Beine mit einiger Gewalt in die geeignete Haltung gebracht
werden mußten.
Die Mutter war 8 Tage zuvor bei einem Gange aufs Feld über einen
am Wege liegenden Rechen gestolpert und auf den Leib gefallen. Nach ihrer
Angabe habe darnach das links liegende Kind sich nicht mehr bewegt. Ihre
Kleinere Mitteilungen and Referate Ans Zeitschriften.
701
Niederkunft habe sie erst Anfang September erwartet. Verfasser nimmt an,
daß die Gebart infolge dieses Sturzes einige Wochen za früh erfolgt sei
Wenn aach das za zweit geborene Kind sich seitdem nicht mehr bewegt habe,
so könne es doch erst karz vor der Gebart wirklich abgestorben sein, da es
keine Anzeichen beginnender Zersetzung trag and in voll aasgebildeter Leichen*
starre geboren wurde, die sonst schon wieder geschwunden sein würde. Ander*
seits müsse Bie aber schon einige Zeit im Matterleibe aasgebildet gewesen
sein, weil die Haltung des Körpers deutlich erkennen lasse, daß sie eingetreten
sei, als das erstgeborene Kind noch in die Gebärmutter mit eingeschlossen
gewesen seL _ Rpd.
Veber chronische Alkoholpsychosen. Von Dr. Schröder. Hoche’s
Sammlung zwangloser Abhandlangen aas dem Gebiete der Nerven* und Geistes¬
krankheiten; VI. Bd., H. 2 und 3. Verlag von Carl Mar hold. Halle 1906.
Preis: 1,80 Mark.
Auf Grund einer kritischen Betrachtung der Literatur, sowie von zehn
eigenen Krankheitsgeschichten bespricht Verfasser die chronischen Alkohol¬
psychosen mit Ausnahme der Korsakow’schen Psychosen und des isolierten
Eifersachtswahns der Trinker. Die als alkoholisch beschriebenen chronischen
psychischen Erkrankungen zeigen die weitgehendsten Verschiedenheiten in der
Anffassung. Der Begriff Aetiologie ist von der Mehrzahl der Autoren nur
sehr wenig scharf gefaßt; wahrscheinlich spielen ätiologische Zwischenglieder
and innere Ursachen eine große Bolle, über die wir allerdings so gut wie nichts
wissen. Die Möglichkeit, daß chronische Psychosen ausschließlich darch Alkohol¬
mißbrauch hervorgerafen werden können, ist nicht za bestreiten, aaf der anderen
Seite kann diese Frage aber auch nicnt mit Sicherheit bejahend beantwortet
werden. Im allgemeinen wird za viel aaf Rechnung des chronischen Alko¬
holismus gesetzt; jedenfalls müssen wir ans in dieser Hinsicht die größte
Reserve auferlegen, solange wir über die Aetiologie der Psychosen überhaupt
so wenig unterrichtet sind. Die Trennung der Alkoholparalyse von der echten
Paralyse ist aach anatomisch sicher möglich. Dr. Schütte-Osnabrück.
Der „pathologische“ Rausch. Von Dr. Paul Schenk- Berlin. Deutsche
Medizinal-Zeitung; 1906, Nr. 69.
Verfasser beginnt seine Arbeit mit dem Satze, daß eigentlich jeder Rausch
etwas Krankhaftes, etwas Pathologisches sei, und bestreitet deshalb die Existenz¬
berechtigung des pathologischen Rausches. Das Krankheitsbild, welches man
nnter diesem Namen zusammenfasse, enthalte keinen einzigen Zug, der nicht
bei jeder anderen Alkoholvergiftung Vorkommen könne. So führe das Wort
-pathologischer Rausch“ eher eine Verwirrung herbei anstatt einer Aufklärung.
Die krankhafte Veranlagung derartiger Individuen, bei denen man einen patho¬
logischen Rausch diagnostiziere, sei viel wichtiger. Hier sei es nötig, diesen
pathologischen Zustand zu präzisieren; hier käme man vielleicht auch ohne
Alkoholvergiftung zu § 61 des St. G. B. — Auch die Erinnerungslosigkeit sei
kein absolut sicheres Zeichen eines pathologischen Rausches. Ebenso würden
„Versuche“ nie zu einem positiven Ziele führen, weil die begleitenden Neben¬
umstände, denen die Hauptrolle zufalle, niemals die gleichen sein würden.
Verfasser meint, daß jeder bestraft werden sollte, der seine Trunkenheit
selbst verschuldet habe. Die Hauptsache sei, daß er vor dem Zustande der
Trunkenheit die Entschlußfähigkeit des geistig Unbescholtenen besessen habe.
Dr. Hoffmann-Berlin.
Gibt es ein pathologisches Plagiat? Von Dr. Otto Juliusburger.
Neurologisches Zentralblatt; 1906, Nr. 4.
Im Anschluß an ein jüngst vorgekommenes und viel besprochenes Er¬
eignis weist Juliusbarger darauf hin, daß auch das psychologisch inter¬
essante Buch der Helene Keller „Die Geschichte eines Lebens“ einen ähnlichen
Vorgang schildert. Dort wird geschildert wie das blinde und taube Mädchen
mit 12 Jahren eine Erzählung schrieb und drucken ließ, die sie früher einmal
gehört haben mußte, und von der sie annahm, es sei völlig ihre eigene und
ursprüngliche Erfindung. Die beiden Erzählungen stimmten in Inhalt und Form
702
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
tiberein. Aber wie aus den Ueberlegungen und Erklärungen der Schriftstellerin
selbst deutlich hervorgeht, war dieses Plagiat kein bewußtes, sondern ein un¬
bewußtes, ein pathologisches. Juliusburger erkennt alsdann das Vorkommen
eines pathologischen Plagiats an und kommt zur Erklärung desselben auf eine
Sejunktionsstörung in der Gefühlssphäre zu sprechen. Pathologischerweise
verknüpfe sich mit der Wahrnehmung bezw. mit der Vorstellung fremden Er¬
zeugnisses das Gefühl eigener Schöpfung. Diese Sejunktion kann durchaus
eng begrenzt sein und mit der Zeit eine Korrektur erfahren. Ob dies ein
Vorkommnis bei ganz besonders gearteten Individuen ist, die über ein phäno¬
menales Gedächtnis verfügen, oder ob dies bei allen Menschen gelegentlich
Vorkommen kann, bleibt dahingestellt. Dr. 8. Kalis eher -Berlin.
Ueber Sprachverwirrtheit. Von Dr. Stransky. Hoch es Sammlung
zwangloser Abhandlungen aus dem Gebiete der Nerven- und Geisteskrankheiten;
VI. Bd» Heft 4 u. 6. Verlag von Carl Marhold, Halle 1905. Preis: 2,80 M.
In dem vorliegenden Werke gibt Verfasser die Resultate seiner quali¬
tativen Untersuchungen über einige wichtigere Formen der Sprachverwirrtheit.
Abgesehen davon, daß man im Zustande der Schlaftrunkenheit an sich selbst
die klassische Sprachverwirrtheit erleben kann, gelang es auch bei normalen
Individuen künstlich, die Oberherrschaft des Interesses und der Aufmerksamkeit
über den Vorstellungsablauf auszuschalten. Zu diesem Zwecke mußte die Ver¬
suchsperson an ein Stichwort anknüpfend eine Minute lang reden, was und wie
es ihr gerade einfiel, und ihre Aufmerksamkeit dem Gesprochenen dabei nicht
zuwenden. Etwa 100 gut gelungene Versuchsreihen konnten phonographisch
aufgenommen werden. Bei fast allen ergab sich ein zu ganz eigenartigen
sprachlichen Bildungen führendes Gemisch von Ideenflucht und Perseveration
in regellosem Durcheinander; zugleich traten Kontrastassoziationen und Ver¬
schmelzungen auf. Aehnliche Versuche wurden bei Hebephrenen und Kata-
tonikern angestellt. Die hier erhaltenen Sprachproben boten fast genau die¬
selben Elementareigenschaften bei der Analyse dar, wie die von normalen
Personen. Es liegt also die Annahme nahe, daß auch die enteren durch den
Mangel an Aufmerksamkeit bedingt sind.
Verfasser erwähnt dann kurz die Sprachverwirrtheit bei den übrigen
Formen psychischer Störung. Im terminalen Stadium der chronischen Paranoia
findet sich nicht selten eine eigenartige Sprachverwirrtheit, die auf den ersten
Blick den Eindruck der Ideenflucht und Inkohärenz macht. Bei näherer
Untersuchung ergibt sich aber, daß stets eine oberste Leitvorstellung vor¬
handen ist.
Die sehr lesenswerte Arbeit enthält eine Menge interessanter Einzelheiten,
anf welche hier nicht näher eingegangen werden kann.
Dr. Schütte-Osnabrück.
Neurologische Untersuchungen von Radrennfahrern. Von Dr. S. Auer¬
bach. Neurologisches Zentralblatt; 1905, Nr. 6.
Auerbach konnte durch eingehende Untersuchungen an Radrennfahrern
vor und nach dem Fahren einige beachtenswerte Tatsachen feststellen. Bei
10 Fahrern konnte eine deutliche erhebliche Verminderung oder ein Erloschen¬
sein der Patellarreflexe konstatiert werden, in 4 Fällen fand sich eine ungewöhn¬
liche Steigerung der Kniescheibenreflexe. Vier andere klagten über stärkere
Paraesthesien an den Händen, besonders an der Volarseite. 75 Prozent zeigte
stärkeren Fingertremor; andere klagten über schmerzhafte Krampfgefühle in
den Oberschenkelmuskeln. Ein Teil dieser Erscheinungen wird durch übergroße
Ermüdung und Erschöpfung zurückgeführt und durch die bekannte Edinger-
sehe Auf brauch- oder Ersatztheorie zu erklären gesucht.
Dr. S. Kalischer-Berlin.
Wie beginnen Geisteskrankheiten? Von Dr. Br es ler. Verlag von
Carl Marhold, Halle 1905. Preis: 1 Mark.
Um festzustellen, inwieweit Nervenkranke vor dem Verfall in Geistes¬
krankheit und geistiges Siechtum durch rechtzeitige Behandlung bewahrt
werden können, bespricht Verfasser nach einem Ueberblick über die Literatur
die Frühsymptome der wichtigeren psychischen Krankheitsformen. Er kommt
kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
703
zu dem Resultat, daß jeder Geisteskrankheit nervöse Symptome vorangehen;
niemals beginnt eine Psychose mit heiterer Verstimmung. Trotz der großen
Verschiedenheit der einzelnen Geisteskrankheiten sind die Vorboten derselben
doch in hohem Grade übereinstimmend. Die rechtzeitige Behandlung in Nerven¬
heilanstalten wird fraglos in einer ganzen Reihe von Fällen den Ausbruch
einer Psyche verhindern können, besonders bei den Erschöpfungszuständen
werden die günstigsten Erfolge erzielt werden. Die Volksnervenheilstätten
müßten auch die Aufgabe der Trinkerbehandlung übernehmen, damit in ihnen
auch das Grundübel der Trunksucht, die Nervenschwäche, behandelt werden kann.
Bei den fortschreitenden Bestrebungen nach Errichtung von Volks-
Nervenheilstätten verdient die klar und interessant geschriebene, auch dem
Laien verständliche Arbeit die größte Verbreitung, zumal da eine zusammen¬
hängende Darstellung dieses Themas bis jetzt nicht existierte.
_ Dr. Schütte-Osnabrück.
Die Königliche psychiatrische Klinik in München. Von Dr. Krae-
pelin. Festschrift zur Eröffnung der Klinik am 7. November 1904. Verlag
von J. A. Barth. Preis: 2 Mark.
Nach einem Ueberblick über die geschichtliche Entwickelung der Klinik
spricht K. über die Organisation und Einrichtung der neuen Anstalt. Sie ist
zunächst für 100 Betten berechnet, von der Bettbehandlung soll ausgedehnter
Gebrauch gemacht werden, ebenso sind alle Einrichtungen zur Anwendung von
Dauerbädern getroffen. Einige Isolierzimmer sollen nur im äußersten Notfall
gebraucht werden. Der Alkohol als Genußmittel ist gänzlich zu verwerfen.
Das Verhältnis von Pilegepersonal zur Zahl der Kranken muß mindestens 1 : 6
betragen, soweit möglich soll die Schwesternpflege auch auf die männlichen
Kranken ausgedehnt werden. K. spricht sich mit Entschiedenheit gegen eine
Verbindung der Lehraufträge für Psychiatrie und Neurologie aus, besonders
weil die klinische Psychiatrie bisher vernachlässigt sei und noch weite Grenz¬
gebiete der Bearbeitung durch den Irrenarzt harren.
Eine Baubeschreibung der Klinik, von den leitenden Architekten verfaßt,
ist angefügt. Dr. Schütte-Osnabrück.
B. Sahverständigentätigkeit in Unfall- und Invaliditäts¬
sachen.
Ueber Dementia paralytiea nach Unfall. Von Dr. G. Reinhold
Neurologisches Zentralblatt; 1905, Nr. 14.
Reinhold berichtet hier ausführlich über einen von ihm selbst beob¬
achteten Fall von Dementia paralytiea nach Unfall, bei welchem alle anderen
ätiologischen Faktoren auszuschließen waren, und die Diagnose durch die
Autopsie bestätigt werden konnte. Der Unfall bestand in einer Erschütterung
des Rückens und der Kreuzbeingegend durch einen Fall. Die somatischen
Krankheitserscheinungen waren ausgeprägter und mehr vorwiegend als die
psychischen. Ein Vierteljahr nach dem Unfall wurde bereits träge Pupillen¬
reaktion, schwerfälliger Gang, reißende Schmerzen in beiden Armen und leichte
Ermüdbarkeit festgestellt. 4*/* Monate danach war die Diagnose noch unsicher,
und erst nach 10 Monaten stellten sich zerebrale Störungen ein, die auf eine
organische Läsion hinwiesen. Der Tod erfolgte im apoplektiformen Anfall, der
etwa 1 Jahr und 10 Monate nach dem Unfallstage eintrat. Lues war anam¬
nestisch nicht festzustellen, und auch der Sektionsbefund sprach in keiner
Weise dafür, nur wies die mikroskopische Untersuchung Gefäßveränderungen
auf, die an Endarteritis syphilitica erinnerten und auch bei konstitutioneller
Syphilis Vorkommen können. — Reinhold möchte den vorliegenden Fall zu
den Fällen traumatischer Dementia paralytiea rechnen, in denen Lues nicht
voraus gegangen ist, da eine ähnliche Gefäßerkrankung ohne Lues vorkommt
und der Gefäßatheromatose nahe steht. Gerade diese aber hat gewisse Be¬
ziehungen zu traumatischen Läsionen und Einflüssen; sie wurde auch bei Un¬
fallsneurosen funktioneller Natur durch die Obduktion festgestellt. Hier ging
das Bild der ;Unfallsneurose allmählich in eine Dementia paralytiea über;
letztere wird von Grashey und anderen als Unfallnervenkrankheit mit allen
Konsequenzen angesehen. Andere Autoren, wie Mendel, Ziehen, sehen
704
Kleinere Mitteilungen Und Referate aus Zeitschriften.
das Trauma als einzige Aetiologie der Paralyse für sehr skeptisch und un¬
gemein selten an; häufiger hat das Trauma nur eine auxiiare Bedeutung neben
anderen und vor allem neben Lues. Das Trauma kann dabei jede Körperstelle,
nicht nur den Schädel selbst treffen. Dr. S. Kalischer-Berlin.
Nervendruekpunkte und Nervenmassage. Von Dr. E. Wullenweber
Schleswig. AerztL. Sachverständigen - Zeitung; 1905, Nr. 18.
Cornelius hat folgende Lehre aufgestellt: „Das Nervensystem wird
fortwährend durchflutet von den Wellen eines Nervenstromes; das An- und
Abschwellen findet in dem eigentümlichen Auf und Ab vieler nervöser Be¬
schwerden und ihrer Begleiterscheinungen, wie der Arzt sie täglich zu beob¬
achten Gelegenheit hat, seinen Ausdruck. Beim gesunden Menschen geht das
Strömen ungehindert vor sich; beim kranken aber finden sich Hindernisse in
kleiner oder großer Zahl, von den grobsinnlichsten angefangen bis zu den mit
unserer heutigen Technik nicht mehr nachweisbaren Narben und Schwielen,
herrührend von Verletzungen der Körperdecken, von Entzündungsvorgängen
rheumatischen, arthritischen, anämischen usw. Ursprungs in den die größten
und kleinsten Nerven umgebenden Geweben. An diesen Hindernissen staut sich
der Nervenstrom; der schmerzhafte Druckpunkt ist da.“ Für die Behandlung
soll nun alles darauf ankommen, die Hindernisse für den Nervenstrom hinweg¬
zuräumen und zwar durch ärztliche Massage.
Wenn Autor schreibt: Merkwürdigerweise aber scheint die Druckpunkt¬
massage nur noch wenig Eingang bei den Aerzten gefunden zu haben, so
findet Referent diese Tatsache nicht merkwürdig. Dr. Troeger-Adelnau.
Ueber ulcus ventriculi traumaticum. Von Dr. Fertig in KasseL
Münchener med. Wochenschrift; 1905, Nr. 37.
Der vollkommen gesunde 28 jährige Knecht Sch. aus K. erhielt vor¬
mittags 11 Uhr, */* Stunde nach reichlich genossenem Frühstück einen Huf¬
schlag ungefähr gegen die Mitte des Bauches. Nach der Art des Traumas
und den vorliegenden Krankheitserscheinungen mußte man eine innere Blutung
oder Perforation des Darmtraktus annehmen. Bei der 2>/t Stunden nach der
Verletzung vorgenommenen Laparotomie konnte nirgends eine Verletzung
wahrgenommen werden, weshalb die Bauchhöhle wieder geschlossen wurde.
Am 2. Tage nach der Operation ziemlich starker Meteorismus, etwas Erbrechen,
Temperatur 39,6°, unblutiger Stuhl. Am 3. Tage unblutiger Stuhl, Leib
weniger aufgetrieben, Abfall der Temperatur. Am Abend des 4. Tages auf¬
fallender Kollaps, etwas Bluterbrechen, anämisches Aussehen ohne Zeichen von
Peritonitis; Puls klein, frequent. Am 5. Tage Anämie noch auffallender,
heftiges Erbrechen mit mehr Blut. Durch Magenspülung entleerte sich eine
große Menge Blut und Blutgerinnsel. Nun mußte die Diagnose auf trauma¬
tisches Magenulcus gestellt werden. Weiterer operativer Eingriff wegen des
schlechten Zustandes des Patienten unterlassen. In der Nacht nochmals blutiges
Erbrechen, reichlicher blutiger Stuhl, darauf bald Exitus letalis.
Bei der Sektion fand sich keine Peritonitis und äußerlich an dem sehr
stark gefüllten Magen keine Verletzung. Der Darm schimmerte schwärzlich
durch und enthielt viel Blut; die übrigen Bauch- und Brustorgane intakt
und gesund. ImjMagen selbst lag ein großer Blutkuchen, die Schleimhaut war
ohne katarrhalische Veränderungen. An der kleinen Kurvatur saßen in einer
Linie nebeneinander 4 ulcera; 8 kleinere von */* bis 1 cm Durchmesser hatten
eine ziemlich runde Form, das 4., dem Pylorus zunächst gelegenen, noch 6 cm
davon entfernt, war oval, quergestellt zur kleinen Kurvatur, 8 cm lang und
1,5 cm breit. Die Geschwüre hatten scharfe, überhängende Ränder und durch¬
setzten die Magenwand vollkommen, der Abschluß nach der Peritonealhöhle
war durch das an der kleinen Kurvatur ansitzende Ligam. hepatogastricum
? gebildet. In der Tiefe des größeren ulcus fand sich ein kleiner, fest sich an-
ühlender Vorsprung, der ein lumen aufwies, eine arrodierte Arterie (coronaria
ventriculi dextra).
Wie kamen die Geschwüre zustande?
Der vollkommen gesunde, niemals magenleidende Mann erhielt bei ge¬
fülltem Magen eine schwere Kontusion des Bauches. Die kleine Kurvatur
wurde gegen die hier nicht fern liegende Wirbelsäule gedrückt, wodurch, mehr
Kleinere Mitteilungen nnd Referate aus Zeitschriften. 70h
/
oder weniger tiefe Bisse in der Magenwand entstanden. Der Magen war
gerade anf dem Höhepunkt seiner Tätigkeit begriffen, vielleicht kam auch
eine Hyperazität hinzu, welche besonders noch die Heilung derartiger Schleim¬
hautwunden verhindern soll. Durch diese Umstände veranlaßt, haben sich
nach eingetretener Infektion ulcera ausgebildet, deren eines nach Arrosion der
Arterien zur tätlichen Blutung Veranlassung gab.
_ Br. Waibei-Kempten.
Die „rückständige“ Yersieherungsmedistn. Von Dr. Gollmer-
Gotha. AerztL Sachverständigen - Ztg.; 1905, Nr. 17.
Der Aufsatz ist eine Erwiderung auf den Artikel des Herrn Dr. Feli¬
ehe nfeld in Nr. 18 der AerztL Sachverst.-Zeitung, in welchem ein ausführ¬
liches Herz-Schema zur Lebensversicherungsuntersuchung auf gestellt worden
war. 1 ). Im Gegensatz zu Feilchenfeld ist Gollmer der Ansicht, daß
eine so detaillierte Fragestellung zwecklos ist, desgleichen das Vorschreiben
einer bestimmten Untersuchungsmethode (leise Perkussion). Nach Gollmer
soll man dem einzelnen Vertrauensärzte die Wahl der Untersuchungsmethoden
überlassen, die er als Student gelernt oder in denen er in der Praxis je länger
je mehr firm geworden ist. Auf diese Weise haben die Lebensversicherungs¬
anstalten nach G. zweifellos die Aussicht, die besten Diagnosen zu bekommen.
Dieser Auffassung schließt sich Referent an. Die Formulare sind heute schon
so umfangreich, daß eine Erweiterung wohl fraglos auf großen Widerstand
bei den Aerzten stoßen würde, wenn nicht eine entsprechende Erhöhung des
Honorars zugleich eintreten würde._ Dr. Troeger-Adelnau.
Infektion als landwirtschaftlicher BetrlebsunfalL Begriff „Unfall 4 *.
Entscheidung des KgL Württembergischen Landesversiche¬
rungsamts vom 4. Februar 1905.
Bezüglich der an der Hand des Verstorbenen nachgewiesenen leichten
Hautverletzung, welche zweifellos das Eindringen des Gifts (der „Lebewesen")
in das Blut ermöglicht hat, kann nicht nachgewiesen werden, daß sie durch
eine landwirtschaftliche Betriebstätigkeit verursacht worden ist. Dagegen kann
mit Grund als bewiesen angenommen werden, daß das Eindringen des Gifts
seine Ursache in einer der gesetzlichen Versicherung unterstehenden Tätigkeit
des H. gehabt hat. Die ärztlichen Gutachten führen aus, daß gerade die
luidwirtschaftliche Tätigkeit des Bauern reichliche Gelegenheit zu einer In¬
fektion der in Frage stehenden Art gibt, und sie nehmen übereinstimmend an,
es sei wahrscheinlich, daß diese Gelegenheit auch hier in Wirkung getreten
sei Erwägt man nun, daß die gefahrbringende Betriebstätigkeit den weitaus
größten Teil der Tätigkeit eines Bauern unter den hier gegebenen Verhält¬
nissen ausmacht, zumal wenn die der Versicherung gleichfalb unterliegenden
hauswirtschaftlichen Verrichtungen hinzugerechnet werden; daß der verstorbene
H. zu der Zeit, als die Infektion erfolgt sein muß, ganz besonders mit land¬
wirtschaftlichen Arbeiten befaßt war, und zwar gerade mit solchen, die, wie
die Dungarbeiten, in besonderem Maß zur Infektion geeignet sind; daß er
ferner selbst beobachtet hat, daß die ersten Zeichen der Infektion zeitlich nach
einer solchen Arbeit aufgetreten sind, so läßt sich nach dem regelmäßigen
Verlauf der Dinge wohl annehmen, daß die Ausübung einer landwirtschaftlichen
Betriebsarbeit es war, die den Giftstoff mit der vorhandenen Hautverletzung
in Berührung gebracht und demgemäß nicht bloß die Gelegenheit, sondern die
Ursache des (ohne die Berührung nicht ermöglichten) Eindringens in den KOrper
gebildet hat. Gerechtfertigt ist es aber (insbesondere in Fällen, in denen
sich naturgemäß der nähere Hergang der menschlichen Beobachtung entzieht),
bei der Beweiswürdigung von dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge auszu¬
gehen, solange nicht im einzelnen Fall besondere Umstände eine andere An¬
nahme begründen.
Steht aber hiernach fest, daß eine landwirtschaftliche Tätigkeit, welche
nicht notwendig nach ihrer besonderen Gestaltung dargetan zu werden braucht,
die Ursache des Eindringens des Giftstoffes gebildet hat, und zwar in der
Weise, daß das einmalige, innerhalb eines kurzen Zeitraums sich vollziehende
') Siehe Nr. 16 der Zeitschrift; 1905, S. 626.
7Öd Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften*
Eindringen schon die Schädigung des Körpers herbeigeführt hat, so ist damit
der Tatbestand des Betriebsunfalls gegeben. Der Unfall im vcrsicherungs-
tecbnischen Sinn ist die körperschädigendo, plötzliche und Tom dem Betroffenen
unbeabsichtete Einwirkung eines äußeren Tatbestands auf den Menschen, nicht
das äußere Ereignis oder der infolge des Ereignisses eingetretene Körper¬
schaden für sich allein. Unter diesem Gesichtspunkt sind stets Vergiftungen,
welche — wie hier — eine Folge plötzlich wirkenden Eindringens von Krank¬
heitsstoffen in den Körper darstellen, als „Unfälle“ angesehen worden, im
Gegensatz zu den Berufskrankheiten, bei denen erst die Uber einen längeren
Zeitraum sich erstreckende Wiederholung der Aufnahme in ihrer Gesamtwirkung
die Vergiftung herbeiführt.
Mit der Aufnahme des Gifts in das Blut war bei H. die körperliche
Schädigung vollzogen, und deren Folge war, wie die ärztlichen Gutachten un¬
zweifelhaft feststellen, dm Tod des Verletzten.
B. Bakteriologie, Infektionskrankheiten und öffentliches
Sanitätswesen.
Ueber spontane Wachstuinshemmung der Bakterien Infolge Selbst¬
vergiftung. Von Dr. Conradi und Dr. Kurpjuweit in Neunkirchen.
Münchener med. Wochenschrift; 1905, Nr. 37.
In den Vordergrund der Forschung ist gegenwärtig das Problem gerückt,
die vielfältigen Schutzkräfte kennen zu lernen, die zur Abwehr der Infektion
dem Organismus zu Gebote stehen. Abseits von diesem breiten Wege führen
die Versuche zur Beantwortung der Frage, aus welchem Grunde eine auf der
Höhe des Wachstums befindliche Bakterienkultur spontan abstirbt.
Aus den Versuchen der Verf. läßt sich die Tatsache entnehmen, daß die
Bakterien von der ersten Stunde ihres Wachstums an entwicklungshemmende
Stoffe bilden. Ihre Wirksamkeit übertrifft den antiseptischen Wert der Karbol¬
säure. Die Bildung der Hemmungsstoffe und die Intensität der Bakterieo¬
vermehrung halten gleichen Schritt. Die antiseptiBchen Bakterienprodukte
sind weder hitzebeständig, noch alkohollöslich, sie sind diffusibel, aber nicht
filtrierbar durch Tonkerzen. Die Verf. schlagen für die hier in Frage kommen¬
den Hemmungsstoffe der Bakterien die Bezeichnung „Autotoxin“ vor.
Dr. Waibei-Kempten.
Augenerknmkungen und gastro-intestinale Autointoxikation. Von
Friedrich Groyer, Demonstrator der ersten Augenklinik in Wien. Münchener
med. Wochenschrift; 1905, Nr. 39.
Es gibt Formen der Scleritis, Ceratitis, Iritis, Iridocyditis, Retinitis,
Chorioiditis, Chorioretinitis, Neuritis, Neuroretinitis, retrobulbären Neuritis, Ka¬
tarakte, der Trübungen des Glaskörpers, der Glaskörperhämorrhagien, des
Glaukoms, der Atrophie n. optici, der Hemianopsie, der Flimmer- und zentralen
Skotome, von Augenmuskcllähmungen und anderer funktioneller Störungen, bei
denen anamnestisch nichts zu erheben ist, was als Ursache der späteren Angen¬
erkrankung angesprochen werden kann. Dagegen fand Verfasser in sämtlichen
erwähnten Erkrankungen des Auges im Harne, in denen die Zucker- und Bi-
weißprobe negativ ausfiel, I n d i k a n vor in verschiedenen Schattierungen, vom
Himmelblau bis zum tiefen Dunkelviolett. Da aber Indikan nur bei Fäulnis¬
vorgängen im Digestionstrakte entsteht, hält sich Verfasser zu der Annahme
berechtigt, daß im Körper solcher Menschen Darmgifte kreisen, welche bald
dieses, bald jenes Organ des Körpers bezw. sehr häufig das Auge primär
schädigen können. _ Dr. Wai bei-Kempten.
Coryuebacterium psendodiphthericum commune als Erreger eines
Hirnabszesses. Von Dr. Steinhaus in Dortmund. Münchener med. Wochen¬
schrift; 1905, Nr. 37.
Angesichts der Unklarheit, die in der Frage der Pathogenität des Pseudo-
diphtheriebacillos (Corynebacterium pseudodiphthericum commune) für den
Menschen noch herrscht und in Anbetracht des Interesses, das einwandfreie
Beobachtungen von Pseudodiptheriebazillen als Krankheitserreger verdienen,
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
707
veröffentlicht Verf. einen derartigen Krankheitsfall, welcher einen zwölfjährigen,
schon seit frühester Jagend an Otitis media purulenta dextra leidenden Knaben
betraf, der wegen zerebraler Herderscheinungen an einem Hirnabszeß operiert
wurde. In dem entleerten Eitor ließ sich ein Bacillus in Reinkultur ohne
Begleiterscheinungen nachweisen, der nach eingehenden Untersuchungen in
bezug auf seine morphologischen und biologischen Eigenschaften ohne Zweifel
in die Groppe des Diphtheriebacillus eingereiht und als Erreger des Krankheits-
Prozesses bezw. des Hirnabszesses angesehen werden mußte. Der isolierte
Bacillus zeigte alle Eigenschaften des Pseudodiphthcriebacillus und möchte
Verf. ihn als Corynebacterium pseudodiphthericum commune betrachten.
Ueber Spirochaete pallida. Von G. Sobernheim und E. Tornas«
czewski. Münchener med. Wochenschrift; 1905, Nr. 39.
Durch die von den Verf. angestellten und eingehend berichteten Unter¬
suchungen ist an einem überaus reichlichen Material von neuem der Beweis
erbracht, daß die Spirochaete pallida als regelmäßige Begleiterin der infektiösen
Produkte der Lues angesehen werden muß, während sie anderseits in nicht¬
syphilitischen Prozessen ebenso regelmäßig vermißt wird. Zwar besitzen wir
zur Zeit noch keine Reinkulturen dieses eigenartigen Mikroorganismus und
sind somit auch noch nicht in der Lage, auf diesem Wego seine ätiologische
Bedeutung für die Syphilis sicherzustellcn; trotzdem glauben die Verf., schon
jetzt auf Grund ihrer eigenen Untersuchungen und aller bisher bekannt
f ewordenen Forschungsergebnisse die Spirochaete pallida als die Ursache der
ypbilis ansohen zu dürfen und ihrem Nachweis eine ausschlaggebende dia¬
gnostische Bedeutung zuerkennen zu müssen. Dr. Waibei-Kempten.
Der Stroptokokkenbefund bol Variola und Varizellen in bezug auf
ein difTerentlaldiagnostlschcs Verfahren. Aus dem Laboratorium der medi¬
zinischen Klinik der Universität und dem Laboratorium des Hospital Civil in
Gent. Von Dr. H. De Wo eie und Dr. E. Sugg. Münchener med. Wochen¬
schrift; 1905, Nr. 25.
Von den Verfassern konnte gelegentlich der Beobachtung verschiedener
Pockenepidemien als konstanter Befund die Anwesenheit eines Streptococcus
im Blute festgestellt werden. Dieser Streptococcus wird durch das Serum
neugeborener Kinder oder nicht vakzinierter Individuen oder Kälber nicht
agglutiniert, dagegen erleidet er durch das Serum vakzinierter Individuen oder
Kälber, sowie durch das Serum Pockenkranker eine Agglutination und zwar
in zunehmendem Maße während des Krankheits Verlaufes.
Diese Eigenschaft deB Serums ist für den aus dem Blute Variolakranker
gezüchteten Streptococcus eine spezifische und läßt sich bei Streptococcus¬
stämmen anderen Ursprungs nicht beobachten.
Auch aus dem Impfstoff läßt sich ein noch verwandter Streptococcus
züchten, welcher dieselben Eigenschaften aufweist. In gleichzeitig vorge¬
nommenen Untersuchungen wurde von den Verfassern aus durch ihre Größe
besonders geeigneten Varizellenbläschen ein Streptococcus gewonnen, welchor
durch Agglutination von dem Variola-Streptococcus deutlich unterschieden ist,
aber auch wie dieser in aufsteigendem Maße im Verlauf der Erkrankung von
dem Seram des Patienten agglutiniert wird.
Die Verfasser berichten dann über ihre Versuchsergebnisse in einzelnen
Fällen, darunter in zwei Fällen, welche teilweise auch das Gebiet der forensi¬
schen Medizin berühren.
Im Verlaufe einer Epidemie zeigte ein 30 jähriger, seit der Jugend nicht
mehr geimpfter Mann ein schwer gestörtes Allgemeinbefinden. Eine genaue
Diagnose ließ sich nicht stellen und es wurde an die Möglichkeit einer Nahrungs¬
mittelvergiftung gedacht.
Unter diesen Umständen trat nach 48 Stunden der Tod ein. In den
letzten Standen waren aber die ersten Flecken eines Ausschlags aufgetreten.
Die Sektion ergab keine Läsionen der Magen- und Darmwände, nur solche
einer schweren Sepsis. Dieser Befand und das Bestehen der Flecken ließ die
Diagnose Variola gravis als wahrscheinlich annehmen. Aus dem Blute ließ
Bich nun ein Streptococcus züchten, der die Eigenschaften des Variola-Strepto-
708 Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften.
coccas aufwies, und das Serum des Individuums agglutinierte sämtliche Variola-
Streptokokken.
Auch in einem anderen Falle hatten die schweren Allgemeinsymptome
den Verdacht einer Intoxikation erweckt, um so mehr, als bei diesen heftigen
Erkrankungen der Tod gewöhnlich vor dem Auftreten der Eruption eintritt.
Bei der betreffenden SO jährigen, im zweiten Monate schwangeren Frau wurde
die gerichtliche Sektion wegen Verdachts eines künstlich eingeleiteten Aborts
angeordnet. Da sich auch hier vor dem Tode die bekannten Symptome einer
fleckigen Rötung in der Unterbauchgegend einstellten, so mußte an
Variolaerkrankung gedacht werden. Die Serumdiagnose bestätigte vollauf die
Annahme einer Variola.
Diese Agglutinationsversuche wurden nicht nur mit den Variola-Strepto¬
kokken angestellt, sondern auch mit zahlreichen Streptococcusstämmen anderer
Herkunft. Das Ausbleiben einer Agglutination dieser Streptokokken beweist
gerade dadurch unzweifelhaft die Spezifität der Serumdiagnose, so daß man
mit Hilfe der Agglutinationsmethode (Serumdiagnostik) eine exakte Diagnose
stellen kann, und zwar nicht nur, um Variola und Varizellen auszuschließen,
sondern auch, um diese beiden Erkrankungen voneinander zu unterscheiden.
_ Dr. Waibel-Kempten.
Ueber zwei Malariaimpfungen. Von Dr. Max Glogner-Breslau
Archiv fttr Schiffs- und Tropenhygiene; Bd. 9, H. 10.
Die Impfung von Kind auf Kind ist in den Tropen noch vielfach üblich.
Verfasser konnte während seiner langjährigen Tätigkeit in den Tropen zahlreiche
Fälle beobachten, in denen kurz nach der Impfang Malaria auftrat.
Zwei Fälle, auf die genauer eingegangen wird, scheinen ihm für die
Uebertragung der Malaria durch die Impfung besonders beweisend. Es war
hier bei vorher gesunden Kindern im Anschluß an eine Impfung mit humaner
Lymphe von malariakranken Kindern Malaria aufgetreten. Eine Uebertragung
durch Mücken war in Anbetracht der Jahreszeit nicht anzunehmen.
Die Impfung mit humaner Lymphe ist deshalb gerade in den Tropen
nach Möglichkeit einzuschränken; statt dessen sollte mit Rücksicht auf die
Gefahr der Malariaübertragung nur Tierlymphe benutzt werden.
Dr. Dohrn-CasseL
Die Ursachen der Zunahme des landwirtschaftlichen Milzbrandes ln
Grossbritannien. Von Prof. Dr. Sheridan D e 16 p i n e - Manchester, Direktor
des hygienischen Universitätslaboratoriums. Vortrag, gehalten in der engL
Medizinalbeamtenversammlung vom 10. März 1904. PabUc he<h XVII; 1905,
8. 491—517. Mit 6 Tabellen und 2 Karten.
An Milzbrand starben in England 1899: 21, 1900: 10, 1901: 12, 1902:
18, 1903: 18 Menschen. Es erkrankten an industriellem Milzbrand in denselben
Jahren 55, 37, 39, 38, 47 Personen; von diesen starben 14, 7, 10, 9 12. Die
Differenz der Todesfälle gibt die Zahl der an „landwirtschaftlichem 11 Milz¬
brand gestorbenen Menschen an.
Delöpine hat von 1892 an in jedem Jahre einige Fälle von Anthrax
beim Menschen oder beim Tier gesehen.
Im Gegensatz zu der herrschenden Ansicht, daß die Mehrzahl der Fälle
beim Tier auf Einführung infizierter Nahrungsmittel zurückzuführen sei, ist
der Autor der Ueberzeugung, daß es sich um persis tente Inf ektions-
quellen handelt, die an Ort und Stelle haften. 1 ) In derselben
Farm kann in aufeinanderfolgenden Jahren eine Epidemie nach der anderen
auftreten — es haben eben vorausgegangene, nicht angezeigte, verheimlichte
Fälle den Boden infiziert. Nicht die Bezirke, in denen Häute, Haare, Wolle
Knochen, Blut am meisten fabrikmäßig verarbeitet werden, haben die meisten
Milzbrandfälle, sondern im Gegenteil jene, wo solche Produkte nicht häufig
eingeführt werden.
Wie groß heute noch die Zahlen der Milzbranderkrankungen beim Vieh
in Großbritannien sind, ergeben folgende Zahlen. Es erkrankten allein beim
*) Vergl. auch den Aufsatz von Dr. Pilf; diese Zeitschrift, Jhrg. 1904,
Seite 805.
Kleinere Mitteilungen nnd Referate ans Zeitschriften.
709
Rindvieh 1899 : 684, 1900 : 668, 1601: 708, 1902: 746, 1908 : 809 8tttck. Der
Autor stellt für die Zukunft noch eine weitere Zunahme in Anssicht
Außer der Verheimlichung der Fälle, der falschen Diagnose, der un¬
genügenden Desinfektion ist die unzureichende Art der. Beseitigung der Ka¬
daver und der Abgänge, die mangelnde Kontrolle durch Sachverständige anzu¬
schuldigen. Delöpine empfiehlt, wie in Deutschland, dem Besitzer eine Ent¬
schädigung für das gefallene Vieh zu bezahlen, ferner aber auch für jede An¬
zeige eine Prämie („fee 11 ) auszusetzen, die ja auch bei der Anzeige der
menschlichen Krankheiten bezahlt wird.
Er rät außerdem, bei jedem Falle von tierischem Milzbrand den
Bericht des Veterinärinspektors dem Distrikts- und Qrafschaftsmedizlnalbeamton
zur Kenntnisnahme vorzulegen. Bei Milzbrand des Menschen empfiehlt er
Anzeige an die Grafschaftsbehörde und Benachrichtigung aller jener Ver¬
waltungsbehörden, in deren Gebiet landwirtschaftliche Produkte, lebende Tiere
von der Farm eingeführt wurden, auf welcher der Fall von Milzbrand vorkam.
Aus der Diskussion sind hervorzuheben die Bemerkungen des chief in-
spector of factories, T. N. Legge, der insbesondere über industriellen Milz¬
brand Erfahrungen gesammelt hatte. (Ein Referat über seine jüngste Arbeit
bringt die Münchener med. Wochenschrift; 1905, Nr. 23.) Er führt die Er¬
krankungen zurück u. a. auf Wolle aus Elleinasien und Persien, auf Roßhaar
aus China und Ostindien, erinnert an die großen, amtlich zugegebenen Zahlen
aus Rußland und Sibirien. Dem Zentralgewerbeinspektor sind von 1899 bis
1904 261 Fälle von industriellem Milzbrand gemeldet worden. Aehnlich wie
die Sommerdiarrhoen in den heißen Monaten zu bedrohlicher Höhe anwachsen,
so ist nach seiner Ansicht der Sommer für die Entwicklung des Milzbrandes
am günstigsten. Die saprophvtische Entwicklung des Bacillus in den oberen
Bodenschichten werde durch hohe Temperatur gefördert, ln einigen Fällen
seien Milzbrandepidemien die direkte Folge von Verunreinigung von Flüssen
durch Fabriken oder infizierte tierische Abgänge.
Arnold Evans, Medizinalbeamter des Bezirkes Bradford, des Mittel-
J unktes der fabrikmäßigen Behandlung der Wolle in West Riding, hat bei
Lensch und Tier viele Milzbrandfälle gesehen. Er ist der Ansicht, daß Milz¬
brand noch häufiger vorkäme, als jetzt, wenn nicht die Verordnungen des
Home office, daß die „ gefährliche“ Wolle verbrannt werden muß, so genau
ausgeführt würden. Er führt einen Teil der Fälle auf Wasser zurück, das
von Wollkämmereiwerken stammt. Ueber die Art der Untersuchungen gibt
folgender Fall hübschen Aufschluß: In Glasgow war ein Mann an Milzbrand
gestorben, der mit der Bereitung von Leinsamenöl beschäftigt war. Der
Medizinalbeamte von Glasgow hatte den Redner darauf aufmerksam gemacht,
daß manche Materialien zur Fabrikation aus Bradford stammten. Evans
konnte nun nachweisen, daß diese aus einer Mischung von Wolle und Haaren
bereitet wurden, die aus China und Ostrußland geliefert worden waren.
Der Vertreter der Behörde, Prof. Stockmann vom Board of agri-
culture, war der Ansicht, daß die Anzeigepflicht gewissenhaft erfüllt werde;
die Zunahme der Zahl beweise nur, daß Fälle gemeldet würden, die kein Milz¬
brand sind. Er führt im Gegensätze zu Delöpine das Auftreten des
Milzbrandes beim Vieh nur in seltenen Fällen auf voraufgegangene, verheim¬
lichte oder ungenügend desinfizierte Fälle zurück. Er denkt insbesondere an
die Einschleppung der Krankheit durch Dünger aus fremden Ländern, durch
bazillenhaltige Nahrungsmittel für die Tiere, wie denn Mac Fady an in solchen
Kuchen die Bazillen positiv habe nachweisen können.
Dr. Mayer-Simmern.
Io welchem Moment wird das Gehirn von Menschen and Tieren)
die von einem wutkranken Hunde gebissen sind) virulent 1 Von P. Kern¬
ling er. Institut imperial de Bactöriologie, Konstantinopel. Comptes rendus
de la soc. de biol.; 1905, LVIII, Nr. 21.
Der Autor weist nach, daß bei Menschen und Tieren, die von einem
lyssakranken Tiere gebissen werden, die nervösen Zentralorgane früher
virulent werden, als man bisher annahm.
710 Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
Versncbsanordnong: 25 Mehrschweinchen oder Kaninchen vom selben
Gewicht werden subkutan oder intramuskulär mit der gleichen Menge Emulsion
von fixem Lissavirns geimpft. Nach einigen Tagen wird eines der Tiere ge¬
tötet; seine Medulla oblongata wird subdural zwei Kaninchen inokuliert. Dieser
Versuch wird täglich ausgeführt, bis die überlebenden Tiere an Wutsymptomen
erkranken.
Es ergab sich nun, daß die subkutan geimpften Tiere 21 Tage nach
der Injektion an Lyssa starben, während die Einverleibung der Medulla oblon¬
gata eines bereits am 10. Tage getöteten Tieres beim Kaninchen Erkrankung
an Lyssa erzeugte.
Es können also die nervösen Zontralorgane bei Tieren, die mit fixem
Virus subkutan oder intramuskulär infiziert worden sind, schon 11—12 Tage
vor dem Tode des Tieres virulent sein.
Von bisher bekannten Tatsachen lassen sich mit dem Ergebnis in Zu¬
sammenhang bringen: Der Nachweis von Nocard und Roux, daß 24, 48,
72 Stunden vor dem Auftreten jeder Aenderung in dem Gebühren eines
Hundes sein Speichel bereits virulent ist; ferner die Beobachtung von Pam-
pouki: Eine Person starb an Wut, der Hund aber zeigt die ersten Symp¬
tome der Krankheit erst 8 Tage nach dem Biß. Zaccaria berichtet von
einem Hunde, der von einem anderen gebissen wurde 13 Tage, bevor dieser
Lyssa bekam, und dennoch an Wut erkrankte. — Da das Wutgift von den
nervösen Zentralorganen ausgeben muß, um zu den Speicheldrüsen zu ge¬
langen, müssen diese vor jenen virulent sein.
Der späte Ansbruch der Wut nach einer Verletzung, einer Erkältung,
einer seelischen Erregung; die Möglichkeit der Heilung beim Hunde,
der Ansteckung des Menschen durch ein gesundes Tier, die
Intensität der Zellveränderungen an den Nervenzellen und der Neuroglia bei
Menschen und Tieren, die der Wut erlegen sind —, stellen ebenso viele noch
nicht völlig aufgeklärte Punkte dar, die sich leichter durch die Annahme er¬
klären, daß das Lyssagift im Gehirne mehr oder weniger lange Zeit vor dem
Auftreten der Krnnkheitssymptome sich anspeichern kann, als durch die Auf¬
fassung, das Gift erreiche die Zentralorgane ungefähr gleichzeitig mit dem
Ausbruch der Wut.
(Die Darlegungen sind übrigens für den ärztlichen Sachverständigen
schon mit Rücksicht auf das dem R.-V.-A. erstattete, in dieser Zeitschrift
1900, S. 238 wiedergegebene Obergutachten von R. Pfeiffer von großem
Interesse. Ref.) Dr. Mayer-Simmern.
Ein neues Tuberkulosemlttel. Vortrag, gehalten von Prof. Dr. Beh¬
ring, Exzellenz auf dem Tuberkulose-Kongreß in Paris am 7. Oktober 1905.*)
Im Laufe der letzten zwei Jahre bin ich zur sicheren Kenntnis eines
Heilprinzips gelangt, das gänzlich verschieden ist von dem antitoxischen Prin¬
zip, das vor 15 Jahren von mir beschrieben wurde.
Dieses neue Heilprinzip spielt die wesentlichste Rolle in der immuni¬
sierenden Wirkung meines „Bovovakzin“, welches seit 4 Jahren seine Probe
in der praktischen Landwirtschaft als Bekämpfungsmittel der Rindertuber¬
kulose bestanden hat.
Dieses Heilprinzip beruht auf der Durchdringung der lebenden
Körperzellen mit einem gut charakterisierten Bestandteil
Jdes unschädlich zu machenden lebenden Krankheitserregers, mit dem von mir
sog. (kontneiösen) C. Speziell bei der Tuberkulose nenne ich diesen Be¬
standteil TC. In der lebenden animalischen Körperzelle erfährt das C. eine
merkliche Umwandlung und in diesem intrazellulären, metamorphosierten Zu¬
stand nenne ich das wirkliche Agens, weil ich noch keine Sicherheit darüber
habe, ob es im letzten Grade ein ponderabler Körper ist, TX.
In dem Tubcrkclbacillus ist das TX, oder besser gesagt, das TC, als
eine Kraft von verschiedenen ausserordentlichen Eigenschaften vorhanden.
Es bildet in demselben die formgebende, assimilierende und absorbierende
Kraft, mit einem Worte, es repräsentiert gleichsam das „Lebensprinzip“ der
’) Mit Rücksicht auf die Wichtigkeit der Mitteilungen des Vortragenden
sind diese hier im Wortlaut wiedergegeben.
Kleinere Mitteilungen und Referate an» Zeitschriften*
711
Bazillen. Außerdem besitzt es noch fermentative und katalytische Eigen¬
schaften auch noch in den mit ihm infizierten animalischen Zellen; ee hat
sein spezifisch wirksames Derivat bis zu einem gewissen Qrade selbständige
Existenz and man kann hier mit Recht von einer Symbiose des TX mit
einem analogen Bestandteil der Tierzelle sprechen, insbesondere
mit den zelligen Elementen, welche von den Keimzentren des lymphatischen
Gewebes abstammen.
Die Gegenwart des TC ist einerseits die Ursache der Tub'erkulin-
Ueberempfindlichkeit tuberkulös infizierter Individuen, und es ist ander¬
seits die Ursache heilsamer zellulärer Reaktionen gegenüber dem
Tuberkulo8evirus.
Einen langen Weg mußte ich zurücklegen und manche Hindernisse
überwinden, bevor ich zu der hier skizzierten Auffassung des Zustandekommens
der experimentell von mir festgestellten, willkürlich herbeigeführten Tuber¬
kulose-Immunität von Rindern, Ziegen, Schafen, Kaninchen und Meerschweinchen
gelangen konnte; und ich kann hinzufügen, daß ich die richtige Auffassung
einer zellulären Immunität, die ganz verschieden ist von der antitoxischen
humoralen Immunität, wesentlich zu verdanken habe der intimen Kenntnis
von Metschnikows Arbeiten über die Phagozytose.
Wenn ich im einzelnen die experimentellen Beweise der Richtigkeit
meiner Auffassung darlegen wollte, so müßte ich Ihre Zeit stundenlang in An¬
spruch nehmen. Ich habe einen Teil derselben dargelegt in dem ersten
Rande eines Baches, das den Titel führen wird „Phthisiogenetische Probleme
der Gegenwart in historischer Beleuchtung.“
Einige Stellen dieses ersten Bandes sind soeben in der bekannten Mo¬
natsschrift „Tuberkulosis“ (September 1905) erschienen.
Ich will hier nur die Natur und die Wirkungsart der neuen Heilmethode
zu schildern versuchen, die meinen wissenschaftlichen Studien über die Tuber¬
kulose ihre Entstehung verdankt.
Diese meine Methode ist, wie ich glaube, berufen, die von der Lungen¬
schwindsucht bedrohten Menschen gegen die schädlichen Folgen der Infektion
zu schützen.
Wenn ich nach dieser Schilderung der neuen tuberkulosetherapeu-
tischen Idee nunmehr übergehe zur Methode der Gewinnung des neuen
Tuberkulosemittels, so will ich zunächst die Bemerkung vorausschicken,
daß ich gegen die Anwendung lebender und vermehrungsfähiger
Tuberkelbazillen bei Menschen die allergewichtigsten Be¬
denken habe, so daß die Uebertragung der von nur für die Bekämpfung
der Rindertuberkulose mit meinem Bovovaccin wirksam befundenen Methode
für mich ausgeschlossen blieb.
Erst von dem Zeitpunkt an begann ich ernstlich mit einem zur Be¬
kämpfung der menschlichen Tuberkulose geeigneten Mittel zu rechnen,
als ich in dem „TC“ einen Substanz gefunden hatte, die ihrerseits nicht
vermehrungsfähig ist und trotzdem an Schutz und Heilwir¬
kung den lebenden Bazillen weit überlegen gemacht werden
kann durch ihre sukzessive Umwandlung in das TX.
Ich bin zur Gewinnung des TC gelangt durch Experimente in vitro
Ich habe die aktive Immunisierung, um nach Ehrlich mich auszudrücken
in eine „passive“ umgewandelt.
Ich kann die Versicherung geben, daß ich selten in meinem
Leben mehr Freude empfanden habe, als während der Tage, Wochen und
Monate, in denen ich die eigentliche Ursache, aus welcher die Impfung zur
Immunität führt, mit immer steigender Klarheit erkannte, dank der unzähligen
wiederholten Tierversuche.
Um das Resultat meiner Arbeiten in wenig Worten zusammenzufassen,
erwähne ich, daß, um das TC von den Substanzen zu befreien, die seine thera¬
peutische Wirksamkeit hemmen, 3 Gruppen von Bestandteilen der Bazillen zu
unterscheiden sind:
1. eine Substanz, die nur in reinem Wasser löslich ist und
welche eine fermentative und katalytische Kraft besitzt. Von dieser im Wasser
löslichen Substanz stammen die toxischen Bestandteile des Koch sehen Tuber¬
kulins. Diese Substanz hat all die chromophilen, physikalischen und ehe-
712
Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften.
mischen Eigenschaften des yon dem Botaniker Arthur Meyer in Marburg be¬
schriebenen Volutins. Ich nenne diese Substanz TV.
Um eine Vorstellung von der toxischen Kraft des Volutins zu gehen,
will ich mitteilen, daß 1 g dieser Substanz in trockenem Zustand wirksamer
ist, als 1 Liter des Koch sehen Tuberkulins.
2. eine Proteinsubstanz, nur in neutralen Salzen lOslich (z. B.
Chlornatrium 10:100); diese Substanz ist von mir TQL benannt, de ist eben¬
falls giftig nach Art des Koch sehen Tuberkulins.
8. mehrere nicht giftige Substanzen, die nur in Alkohol, Aether,
Chloroform usw. löslich sind.
Ist der Tuberkelbacillus von diesen 8 Substanzen befreit, so bleibt ein
Körper, den ich als Restbacillus bezeichne.
Durch geeignete Zubereitung — Zerkleinerung — wird derselbe
in eine amorphe Masse yerwandelt, welch letztere nach der Einführung in
das Unterhautzellgewebe tierischer tuberkelempfänglicher Individuen, wie Ka¬
ninchen, Hammel, Ziegen, Rinder und Pferde, yon Zellen aufgenommen wird,
die aus lymphatischen Keimzentren hervorgehen. Die amorphe Substanz wird
von den lymphatischen Zellen dieser Tiere verarbeitet und umgewandelt, und
man kann beobachten, wie diese mit TC imprägnierten Zellen zu oxyphilen
oder eosinophilen werden. Gleichzeitig mit der Umwandlung der Zellen
entwickelt sich die Immunität des Organismus.
Von fundamentaler Bedeutung für das Verständnis der therapeutischen
TC-Wirkung ist für mich die Feststellung der Tatsache geworden, daß das
TC, obwohl es kein vermehrungsfähiges Agens ist, die Fähigkeit zur
Erzeugung von Tuberkeln besitzt. Die auf diese Weise erzeugten
Tuberkel (TC-Tuberkel) verkäsen und erweichen aber niemals; sie sind von
selbst heilbar, und sie heilen in der Weise aus, daß ihr Gewebe in etwa
demselben Gewebe ohne Rest aufgeht, aus welchem sie hervorgegangen sind.
Dieser Tuberkel entspricht genau der „tuberkulösen Granulalation* Laennecs.
Man kann, im Vergleich zur Verarbeitung der Tuberkelbazillen meines
Bovovaccin zum TX im Rinderkörper, in einer viel weniger langwierigen
und anstrengenden Umarbeitung die Verwandlung des TC in TX der anima¬
lischen Körperzellen noch sehr erleichtern durch gewisse Präparationen in
vitro, so daß schließlich ähnliche Unterschiede in der Schnelligkeit und Un¬
schädlichkeit der Tuberkulose-Immunisierung sich demonstrieren lassen, wie sie
durch die Ehr lieh sehen Ausdrücke „aktiver und passiver Immunisierung*
gekennzeichnet werden.
Ueber diesen Teil meiner Untersuchungen werde ich genauere Angaben
machen in dem zweiten Teil des oben bereits genannten Buches.
Der therapeutische Teil dieses Buches soll aber nicht früher
publiziert werden, als bis Uber die Unschädlichkeit und Nützlichkeit meines
Tuberkulosemittels für den Menschen bestätigende Mitteilungen seitens solcher
Praktiker vorliegen, die mehr Erfahrung besitzen als ich in bezug auf den
Verlauf und die Prognose von einzelnen Tuberkulosefällen des Menschen¬
geschlechtes.
Abgesehen von der erst noch empirisch und statistisch zu beweisenden
Anwendbarkeit meines Tuberkulosemittels zum Zwecke einer präventiven und
kurativen Therapie der menschlichen Tuberkulose erscheint es mir zweckmäßig
und notwendig, daß inzwischen durch experimentell arbeitende Tuber¬
kuloseforscher die Richtigkeit und sichere Wiederkehr meiner Heilresultate an
Tieren auch außerhalb meines eigenen Laboratoriums kontrolliert wird.
Es ist bekannt, daß bis jetzt schon von verschiedenen, angesehenen Tuber¬
kuloseforschern Mittel 8ngekündigt wurden, die im Tierversuche und ins¬
besondere auch im Meerschweinchenversuche, schützende und heilende Wirkung
ausüben sollen. Ich nenne hier vor allem das Koch sehe Alttuberkulin und
Neutuberkulin und dann außerdem noch Maraglianos und Marmoreks
Tuberknlosesera. Es ist aber auch bekannt, daß in meinen Laboratorien und in
den Händen unparteiischer Tuberkuloseforscher mit diesen Mitteln die von ihren
Erfindern gerühmten Wirkungen im Tierkörper nicht bestätigt werden konnten.
Ich hoffe, daß diejenigen Experimentatoren, welchen ich mein He ilmi ttel
anvertrauen will, nicht bloß ebenso gute, sondern noch bessere therapeutische
Resultate bekommen werden, denn ich halte mein Mittel noch für vervoll-
Kleinere Mitteilungen and Referate ana Zeitschriften.
713
kommnungsfähig. Aach die Art and Weise seiner Anwendang kann vielleicht
noch mit Vorteil modifiziert werden.
Die gegenwärtige Situation hat, wie ich ausdrücklich betonen möchte,
außerordentlich große Aehnlichkeit mit derjenigen, in welcher ich mich vor
15 Jahren befand, als ich das neue Diphtherieheilmittel entdeckt
hatte. Gleich am Beginn der Entdeckung im Jahre 1889 hatte ich über ihre
praktische Wichtigkeit nicht den geringsten Zweifel; 4 Jahre aber mußten ver¬
gehen, ehe meine wissenschaftlichen Forschungsergebnisse allgemeine An¬
erkennung fanden, und wahrscheinlich hätte die Anerkennung noch viel länger
auf sich warten lassen, wenn nicht mein hochverehrter Freund Emil Boux
mit seinem Vortrag in Ofen-Pest sich an meine Seite gestellt hätte als Vor¬
kämpfer fttr die Nutzbarmachung des Diphtherieserums zur Heilung der kinder¬
mordenden Diphtherie.
Wie lange Zeit noch vergehen wird, ehe mein Tuberhulosemittel zur
wirksamen Waffe im Kampfe gegen die menschliche Tuber¬
kulose geworden sein wird? Ich weiß es nicht. Das hängt von vielen
Umständen ab; von meiner Arbeitsfähigkeit und Arbeitsfreudigkeit, von meiner
taktischen Geschicklichkeit und von Zufälligkeiten, die nicht in meinem eigenen
Machtbereich liegen. Möchte ein gütiges Geschick mir auch diesmal einen Mit¬
kämpfer mit der werbenden Kraft und der über jeden Zweifel erhabenen Un¬
eigennützigkeit wie Boux schenken; dann hoffe ich, wird schon der nächste
internationale Tuberkulosekongreß wesentliche Fortschritte im Kampfe gegen
die menschliche Tuberkulose zu verzeichnen haben!
Die neuen dänischen Tuberkulosegesetze. Von Dr. Max Salomon.
Deutsche Medizinalzeitung; 1905, Nr. 81.
Dänemark ist uns weit voraus in bezug auf die Bekämpfung der Tuber¬
kulose. Neben ihm hat jetzt nur noch Norwegen ein Gesetz, welches sich
speziell mit den Maßnahmen gegen die Tuberkulose befaßt.
Von den jetzt in Dänemark erlassenen Tuberkulosegesetzen betrifft das
erste die Vorkehrungen zur Bekämpfung der Tuberkulose. Der Ajrat hat
nicht nur die Meldepflicht der Todesfälle, sondern es ist ihm auch auf¬
gegeben, Individualberichte zu erstatten. Die Befugnisse der Gesundheits¬
kommissionen sind erweitert; sie betreffen hauptsächlich die Desinfektion. Eine
Beibe der weiteren Bestimmungen behandelt die Vorkehrungen gegen An¬
steckung; z. B. eine an Tuberkulose leidende Frau darf nicht als Amme
in Dienst treten. Kinder dürfen nicht in Pflegeheime gebracht werden, in
welchen ansteckende Tuberkulose herrscht. Tuberkulöse Kinder müssen
vom Schulbesuch befreit werden. Lehrer, die an ansteckender Tuberkulose
leiden, dürfen nicht angestellt werden. Dasselbe gilt von anderen Beamten,
die dienstlich mit dem Publikum in eine derartige Berührung kommen, daß
eine Ansteckungsgefahr in Frage kommen könnte.
Das zweite ' Gesetz sichert bestimmten Krankenhäusern eine Staats¬
unterstützung zu. Patienten können Zuschüsse zu einer Kur in einer an¬
erkannten Heilanstalt erhalten, und zwar gelten diese Zuschüsse nicht als
Armenunter8tützung.
Dänemark hat mit diesen Gesetzen tatsächlich anderen Staaten ein nach¬
zueiferndes Beispiel gegeben. _ Dr. Hoff man n-Berlin.
Ueber Massnahmen und Verfahren zur Bekflmpfung der Batten- und
Miuseplage. Von Prof. Dr. Wilhelm Kolle-Berlin. Archiv für Schiffs-und
Tropen-Hygiene; 1905, Bd. 9, Nr. 7.
Seitdem die Uebertragung der Pest durch Batten und Mäuse erwiesen
ist, wurde die Ausrottung dieser Nager eine wichtige Aufgabe der Hygiene.
Diese Aufgabe ist aber insofern noch ungelöst, als es bisher weder auf dem
Lande, noch auf den Schiffen ein absolut sicheres Verfahren für die völlige
Ausrottung gibt.
Unter den Giftpräparaten (Arsenik, Strychnin, Phosphor etc.) hat sich
besonders die für Haustiere ungiftige Scilla maritima bewährt. — Die Versuche
mit rattentötenden Bakterien haben keinen günstigen Erfolg gehabt; zum Teil
deshalb, weil die verschiedenen Battenarten auch verschiedene Empfänglichkeit
zeigen. — Die Aussetzung von Prämien hat vielfach nur dazu geführt, daß
714 Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
ein schwunghafter Handel mit dem Import anderwärts gezüchteter Hatten
entstand.
Da demnach jeder Methode bestimmte Grenzen gezogen sind, wird man
im ganzen nur dann etwas erreichen, wenn man elektiv mehrere Verfahren
zugleich anwendet und auch besonders durch zweckmäßige prophylaktische
Maßnahmen der Einnistung der Hatten vorbeugt.
Für die Vernichtung der Batten auf den Schiffen kommen vier Methoden
in Betracht: 1. Die Einleitung von Schwefelwasserstoff (teuer, unsicher in der
Wirkung, schädlich für die Waren). 2. Die Anwendung von Kohlensäure ist
noch teurer und ebenso unsicher. 3. Das Claytongas (Schwefeldioxyd) hat in
genügender Konzentration nicht nur für Hatten, sondern auch für anderes Un¬
geziefer eine tödliche Wirkung. Allerdings steht der schädigende Einfluß auf
einzelne Warenarten der allgemeinen Anwendung desselben entgegen. 4. Der
Nocht-Giernsa’sche Apparat entwickelt hauptsächlich Kohlenoxyd und
Kohlensäure. Er arbeitet billig und sicher. Bei der Art und Geruchlosigkeit
der entwickelten Gase erfordert er aber besondere Vorsicht.
Dr. Dohm-Cassel.
Staibversengung benr. Zersetzung auf Heizkörpern. Von Herbst,
städt. Heizungsingenieur in Cöln. Zentralblatt für allgemeine Gesundheitspflege;
1905, Heft 7 und 8.
Die Forderungen an Zentralheizungsanlagen, soweit es sich darum handelt,
das Versengen von Staub zu verhindern, werden von v. Esmarch, Nu߬
baum und anderen auf Grund von Versuchen dahin zuaammengefaßt, daß die
Heizkörper an ihrer Oberfläche eine Temperatur von 70° (bis höchstens 60°) C.
nicht überschreiten sollen.
Verf. spricht nun aus der Praxis hierüber seine Erfahrungen aus.
Während bei Feuerluftheizungen Klagen über Staubverbrennung vielfach
berechtigt sind, da bei derartigen Anlagen einmal die Luft oft stark erhitzt
wird (auf 100 0 C. und auch weit darüber hinaus), dann auch wegen der meist
großen und rauhen Heizflächen der Stanb sich leicht hier festsetzt, sind doch
die gegenwärtig üblichen Heizflächen bei Dampf- und Warmwasserheizungen
so hergerichtet, daß wegen der vertikalen Anordnung und des glatten Anstriches
an ihnen Staub nicht leicht hängen bleibt. Wird außerdem darauf gesehen,
daß die Heizkörper wie andere Gebrauchsgegenstände im Zimmer vor ihrer
Benutzung von dem etwa abgelagerten Staub gereinigt worden, so läßt sich
leicht trotz Oberflächentemperaturen von 80° C. eine Versengung des Staubes
vermeiden. Es darf aber auch der Heizkörper nicht, wie es manchmal geschieht,
als Trockenvorrichtung für gebrauchte Handtücher, Strümpfe u. dgL benutzt
werden; denn dann freilich muß Staub sich ablagern und versengen oder ver¬
trocknen und so die Luft verunreinigt werden. H. möchte deshalb die For¬
derung stellen: „Es ist auf unbedingte Reinhaltung der Heizkörper zu sehen,
weil sonst bei jeder Heizflächentemperatur über und unter 70° bis 80° C. aus
den auf den Heizkörpern liegenden Staubbestandteilen schädliche Folgen für
die Gesundheit entstehen können.“ Solbrig-Arnsberg.
Ueber Bleistaub und Bleidämpfe. Von Prof. 0. Roth. Aus dem
hygien. bakt. Laboratorium des Polytechnikums zu Zürich. VII. Suppl. - Baad
von Zieglers Beiträgen zur pathologischen Anatomie und allgem. Pathologie
(Festschrift für Geh. Rat Arnold-Heidelberg).
Daß neben der Aufnahme durch den Magen-Darmkanal eine Einverleibung
von Bleistaub auch durch die Vermittelung der Hespirationsschleimhäute statt¬
finden kann, ist bereits experimentell festgestellt; diese Tatsache vergrößert
natürlich die Vergiftungsgefahr mancher Gewerbe.
Roth untersuchte nun, ob auf dem gleichen Weg auch eine körperliche
Schädigung durch verdampfendes Blei (neben dem Bleis taub) für gewisse
Gewerbe in Betracht käme, so z. B. bei der Verhüttung des Bleies und hei der
Gewinnung des Silbers aus silberhaltigen Bleierzen in Akkumulatorenfabriken und
in Buchdruckereien. Was den Schmelzprozeß betrifft, bo hat R. fest¬
gestellt, daß erst bei 650 ° chemisch nachweisbare Bleidämpfe auftreten, während
der Schmelzpunkt des Bleies schon zwischen 325—340° liegt; beim Gießen der
Akkumulatoren platten werden jedoch Temperaturen von 550° nicht über-
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
715
schritten. Auch beim Löten der Akkum&latoren körnte die in Mundhöhe des
Arbeiters entnommene Luft nicht bleihaltig gefunden werden (im Gegensatz su
den Veraucbsresultaten aus der Hagener Akkumulatorenfabrik), wenn nicht
Bleistaub erzeugende Manipulationen beim Löten vorgenommen werden, so
z. B. bei der Reinigung der zu lötenden Metallflächen. Was den Buch¬
druckereibetrieb betrifft, so konnte R. weder bei der Letternanfertigung,
noch bei dem Gießen der Stereotypieplatten, ebenso wenig während der Arbeit
an den modernen sog. Zeilengießmaschinen das Entstehen von Bleidämpfen
nachweisen, während für die Entstehung von bleihaltigem Staub natürlich im
Druckereibetrieb genug Gelegenheit goboten ist. Dr. Merkel-Erlangen.
Die Hilfe für Giftarbeiter. Vorschläge für die Belehrung über die
Giftgefahren. Von L. Lewin. Berl. klin. Wochenschrift; 1905, Nr. 23.
Auf dem Gebiete des Arbeiterschutzes gegen Gifte, auf dem bisher
etwas geleistet wurde, bleibt noch unendlich mehr zu tun übrig. Gegen den
Fortschritt in dieser Beziehung stellen sich manche Widerstände entgegen.
Dazu gehören: nicht genügende Regelung der Arbeitszeiten, besonders hohe
Gefährlichkeit mancher Giftbetriebe, Abneigung mancher Betriebsleitungen
gegen Schaffung der erforderlichen hygienischen Schutzmaßregeln, wo Gesetze
nicht zum Handeln zwingen, das Hineinbeziehen von Frauen in Giftbetriebe,
die Fabrikation von neuen chemiscbsn Substanzen und die Unkenntnis der Gift¬
arbeiter über die Art und den Umfang der Gesundheitsbesch&digung, der sie
sich aussetzen, gleichgültig, ob in der Fabrik oder in ihrem Heim das Gift
sie angreift.
Die Aufklärung der Arbeiter über die sie bedrohenden Gefahren läßt
viel zu wünschen übrig; dazu kommt der große Wechsel von Arbeitern in
manchen Giftbetrieben. Man kann einen großen Teil der Schuld an den Schä¬
digungen dem mangelndem Wissen der Arbeiter über das von ihnen verarbeitete
Material und über die Grundlehren der Vergiftung zuschreiben.
Die Belehrung durch Plakate, die der Staat zum Teil vorgeschrieben
hat, ist nicht wirkungsvoll. L. fordert, daß die Gesundheitslehren dem Arbeiter
in viel persönlicherer Weise beigebracht werden und zwar durch entsprechen¬
den Unterricht in der Volksschule, Unterricht in Fortbildungs- und besonders
Fachschulen, durch Belehrungszcttel für Fabrik- und Heimarbeiter.
Die Lehrer sollten in einem toxikologisch-hygienischen Kursus sich die
nötigen Kenntnisse erwerben, an dem auch zukünftige Gewerbeaufsichtsbeamte
teilnehmen könnten. Arbeiter, die zu keinem Fortbildungskursus gelangen und
sich früh verdingen, Mädchen, Frauen und ältere Arbeiter, sind durch Flug¬
blätter zu belehren, in denen die speziellen Gifte, ihre Wirkungen und die
Schutzmaßregeln allgemeinverständlicn abgehandelt werden. Am wirksamsten
wird es sein, wenn der Staat die Verteilung solcher Beleb rungszettel vorschreibt.
Dr. Räuber-Köslin.
Fortschritte auf dem Gebiete der Gewerbehygiene ln England.
(The effect, as shown by statistics, of british statutory regulations directed to
the improvement of the hygienic conditions of industrial occupations.) Howard
medal price essay. Von Leonard Ward, inspector of factories. Public health;
XVII., 1905, September.
Bei den Arbeiten in Kohlenbergwerken und Eisenhütten ist
heute die Mortalität nur wenig größer, als bei der ackerbautreibenden Be¬
völkerung. Die Erfolge sind hauptsächlich der „Coal mines act“ von 1855
zuzuschreiben, die strenge Ventilationsvorschriften einführte und die die Ex¬
plosion von Grubengasen zu verhüten suchte. Ein halbes Jahrhundert strenger
Gesetzesbeaufsichtigung hat allein durch Verhütung von Explosionen 15000
Leben gerettet
In den Töpfereibetrieben zeigen sich die Fortschritte erst seit
1890; dem Jahre, in dem zuerst die Bleivergiftung auf gesetzlichem Wege
bekämpft wurde. Auch die Fälle von Bleiweiß- und von Phosphorvergiftung
haben abgenommen.
In der Textilindustrie haben sich bereits seit 100 Jahren Fortschritte
angebahnt Der Prozentsatz der Todesfälle an Phthise und anderen Krank¬
heiten des Respirationsapparates in bestimmten Städten der Baumwollindustric
716 Tagesnachrichten.
sinkt stetig, besonders aber seit Einführung der Cotton Cloth Factoriea Aet
ron 1889.
▲n der Hand der Morbiditätstabellen von Textilarbeitern der Grafschaft
Lancaster zeigt sich eine relative Abnahme der Krankheitssiffern.
Der Autor verglich ferner Körpergewicht und Körperlänge von Kindern
aus dem Jahre 1888 und aus 1873, und zwar von solchen, die im Textilgewerbe
beschäftigt waren, und solchen, die es nicht waren. Allerdings waren auch
die letzteren, die ja auch aus Fabrikgegenden stammten, nicht so gut ent*
wickelt, wie andere unter günstigeren Verhältnissen lebenden Kinder; trotzdem
sind die Ergebnisse für den Wert der Gesetzgebung auf dem Gebiete der Ge¬
werbehygiene beweisend. Dr. Mayer-Simmern.
Was lehrt uns die neueste bayerische Blindenstatistik 1 Von Dr.
F. Salzer, Privatdozent an der Universität zu München. Münchener med.
Wochenschrift; 1905, Nr. 28.
Unter dem Titel: „Die Blindenfrage im Königreich Bayern“ ist soeben
die im Aufträge des Königl. Staatsministeriums des Innern von Anton Schaidler,
Lehrer am Königl. Zentralblindeninstitut in München bearbeitete Blindenstatistik
erschienen.
Dieselbe enthält die Besultate der bei der letzten Volkszählung vom
1. Dezember 1900 gemachten Erhebungen, ergänzt durch besondere Erhebungen
über die Blinden in den Jahren 1901 und 1903.
Die Arbeit ist besonders deshalb beachtenswert, weil sie die erste staatliche
Blindenstatistik im Anschluß an die Volkszählung darstellt, bei der die Erhebung
der Erblindungsursachen durch Aerzte (Bezirksärzte) vorgenommen wurde. Von
der prozentualen Beteiligung der einzelnen Erblindungsursachen an der Ge¬
samtzahl der Blinden müssen die gesetzgeberischen und therapeutischen Ma߬
nahmen behufs Verhütung der überhaupt verhütbaren Erblindungen abhängen.
Der 1. Teil des Werkes enthält eine Darstellung der Zählergebnisse
nach Geschlecht, Alter, Staatsgehörigkeit, Familienstand und Religion. Erwähnt
sei hier nur, daß unter 6175057 ortsanwesenden Personen in Bayern 8384 als
blind ermittelt wurden, wobei sich in bezug auf die einzelnen Altersstufen
herausstellt, daß dem ersten Lebensjahrzehnt bezw. der Blennorhoe neonatorum
eine außerordentlich hohe Blindenziffer zur Last fällt.
Der 2. Teil des Buches handelt von den Erblindungsursachen, wobei sich
herausstellt, daß von den 3384 Blinden 7,65 °/o blind geboren und 8,09 °/o an
Blennorrhoe erblindet sind. Es geht somit aus dieser neuesten Statistik klar
hervor, daß eine Abnahme der Erblindungsziffer durch Blennorrhoe nicht ein¬
getreten ist und daß folglich die bisherigen Maßregel ungenügend sind.
Der 3. Teil des Werkes handelt von Blindenbildung, Berufsstatistik der
Blinden und Blindenfürsorge. Den Schluß des Buches bildet eine Tabelle über
die im Jahre 1900 ortsanwesenden Blinden im ganzen Deutschen Reich, wobei
34834 Personen verzeichnet sind gegen 35048 im Jahre 1871.
Verfasser geht dann näher auf die Lehren ein, welche wir aus der vor¬
liegenden Statistik zu ziehen haben und kommt zu dem Schlußsätze: „Eine
gesetzliche Verpflichtung der Hebammen zur Meldung aller Blennorrhoefälle und
eine weniger konservative Behandlung sympathiegefährlicher Augen, welche
einen ebenso hohen Prozentsatz Blinder stellt, wie die Blennorrhoe neonatorum,
sind die wichtigsten Desiderate, die sich aus der bayerischen Blindenstatistik
ergeben. Eine fortgesetzte Aufklärung des Publikums über hygienische und
prophylaktische Fragen muß das ihrige tun.“ Dr. Waibel-Kempten.
Besprechungen.
Dr. Ewald Stier, Oberarzt im 2. Garde-Regt. z. F.: Fahnenflucht und
unerlaubte Entfernung. Eine psychologische, psychiatrische und militär-
rechtliche Studie. Juristisch-psychiatrische Grenzfragen. 2. Band, Heft 3—5.
Halle a./S. 1905. Verlag von Carl Mar hold. Preis: 3 Mark.
Zu einem richtigen Verständnis psychopathologischer Zustände rechts¬
brechender Individuen gehört, wie immer deutlicher erkannt wird, eine eingehende
Besprechungen.
717
Kenntnis des Seelenlebens nicht kranker Verbrecher. Von diesem Gesichts*
punkte ans hat Verfasser in einer höchst interessanten Studie das große Material
an Fahnenflüchtigen im weitesten Sinne des Wortes zu analysieren versucht.
Die Untersuchungen erstrecken sich auf 1553 Soldaten, die teils der Marine,
teils dem Landheere angehörten. Verschiedene Motive stellt St. für die
unerlaubte Entfernung fest; in erster Linie den erhöhten Sexualtrieb, der
sich in gleicher Weise wie bei den Sittlichkeitsverbrechen, besonders in der
wärmeren Jahreszeit geltend macht, als weiteres das Heimweh, das — in manchen
Fällen krankhafter Natur — auf dem Boden wohlcharakterisierter Psychosen
auf tritt, während ein kleinerer Teil — von den Franzosen als nostalgie per*
sistante bezeichnet — nicht als krankhaft anerkannt werden kann. Viel häufiger
wird, wie Verfasser zweifellos richtig bemerkt, das Heimweh zu Selbstmord*
versuchen als zur Fahnenflucht führen. Ein bedeutender Teil aller Fahnen¬
flüchtigen gehört seinen Motiven nach in das Gebiet des Psychopathologischen.
Fälle von Dementia praecox, halluzinatorischer Erregung, manisch-depressivem
Irresein kommen hier vorzüglich in Betracht. Besondere Bedeutung für die
forensische Beurteilung bieten die zahlreichen Fälle, in denen das Delikt auf
dem Boden einer nicht erkannten Epilepsie auf tritt. Verfasser erinnert an die
zahlreichen Beobachtungen, die unter dem Namen Automatisme ambulatoire,
Fuques, Poriomanie, in der Literatur niedergelegt sind, in denen die Kranken
bald in stärker, bald in geringer getrübtem Bewußtseinszustande, bald unter
nachträglicher Amnesie, bald ohne solche weite zwecklose Beizen machten, .oft
ohne der Umgebung als krank aufzufallen und ohne ihrerseits ein verständiges
Motiv für ihr ganz planloses Weglaufen angeben zu können. Während man
aber längere Zeit alle diese Fälle, auch ohne den Nachweis irgendwelcher
epileptischer Antezedentien, als Epilepsia larvata auffaßte, erkennt man neuer¬
dings, besonders im Anschluß an Heilbr onners Untersuchungen, daß ein großer
Teil dieser Kranken den Hysterischen- und Degenerationszuständen, ein weiterer
verschiedenartigen Einwirkungendes Alkoholmißbrauchs zuzurechnen ist. Für die
Beurteilung aller dieser Fälle vertritt St. in Uebereinstimmung mit E. Schnitze
den Standpunkt, daß die bei weitem größte Zahl der Fahnenflüchtigen als militärisch
dienstunbrauchbar, ein kleinerer, bei dem eine wohlcharakterisierte Störung
nachweisbar, auch als unzurechnungsfähig im Sinne des § 51 des St.-G.-B. zu
bezeichnen ist. Für die Praxis fordert er unter eingehender Motivierung u. a.
Anerkennung einer verminderten Zurechnungsfähigkeit und Einführung der
mildernden Umstände in das Militär-St.-G.-B. — Ein sehr eingehendes Literatur¬
verzeichnis, daß auch die ausländische Literatur umfaßt, ist der Abhandlung
beigegeben. Dr. Pollitz-Münster.
Dr. Bohweohten, Geh. Sanitätsrat in Berlin: Eisenbalmhygieiie. Von
Dr. Otto Br ähmer, weiland Geh. Sanitätsrat in Berlin. Mit 81 Abbildungen.
Zweite Auflage. Verlag von Gustav Fischer. Jena 1904. Gr. 8812 8.
Preis: brosch. 10 Mark, geb. 11,50 Mark.
Die vorliegende zweite Auflage der „Eisenbahnhygiene 11 ist von
Schwechten unter Erweiterung und zeitgemäßer Umgestaltung der Bräh-
mersehen Eisenbahnhygiene neu bearbeitet; sie führt daher auch den Autoren-
Doppelnamen: Brähmer-Schwechten. Mit der Entwickelung unserer
Eisenbahnen zu dem großartigen Schienennetz, ohne das Handel, Wandel und
Verkehrsleben eines“ im Herzen Europas liegenden Kulturstaates heute ganz
undenkbar wären, ist die Eisenbahnhygiene zu einem beachtenswerten Zweig
der öffentlichen Gesundheitspflege geworden. Nachdem der Verfasser die durch
den Bahnbetrieb für Gesundheit und Leben entstehenden Gefahren statistisch
and klinisch in prägnanter, vielleicht etwas zu knapper Form behandelt hat,
wendet sich das Werk seiner eigentlichen Aufgabe, der technischen Prophylaxe
und der prophylaktischen Hygiene zu. Die betriebs- und verwaltungstechnischen
Fragen sind von erfahrenen Eisenbahntechnikern, den Geh. Bauräten Bath-
mann und Bork in Berlin und Schuhmacher in Potsdam, bearbeitet, und
umfassen die drei, durch zahlreiche Abbildungen illustrierte Kapitel über An¬
lagen und Erhaltung der Bahn und Bahnhöfe, über Einrichtung, Untersuchung
und Erstattung der Betriebsmittel und über Durchführung des Betriebes. Beim
Studium dieses Abschnittes überkommt den Leser das Gefühl, daß die Betriebs¬
sicherheit auf deutschen Eisenbahnen eine absolute und vollkommene sein
7l8
Besprechungen.
müßte — und vielleicht auch wäre, wenn der irrende Mensch aasgeschaltet
sein könnte. — Der hygienische Teil stammt aas der Feder Schwechtens
and ist der amfangreichste; seine Bedeutung erhellt ohne weiteres aus den
behandelten Fragen, betr. das Verhalten der Beisendsn innerhalb des Bahn¬
gebietes und in den Zügen (Seuchengesetz), Wohlfahrtseinrichtungen für die
Beamten und Arbeiter, Kettungswesen and bahnärztlichen Dienst. Läßt der
betriebstechnische Teil des Werkes eine gewisse Raffiniertheit erkennen, mit
der die Staatseisenbahn-Verwaltang das Reisen nicht nur gesundheitlich ge¬
fahrlos, sondern auch angenehm zu gestalten bestrebt ist, so wird der hygienische
Abschnitt niemand darüber in Zweifel lassen, daß Eisenbahnbygiene heute kein
leeres Wort mehr ist. Um so mehr muß aber Brähmer-Schwechtens
Werk den berufenen Hütern der Eisenbahnhygiene, den Bahnärzten, zu einem
unentbehrlichen Ratgeber and Wegweiser werden in allen den technisch-hygieni¬
schen Fragen, die in den bahnärztlichen Dienst hin überspielen. Wenn die
Staatseisenbahn-Verwaltung trotz aller Gegenströmungen an der Bestellung
besonderer Bahnärzte und Eisenbahn-Vertrauensärzte festgehalten hat, so liegt
der Grund hierfür nicht zum geringsten Teil darin, daß sie von ihren Bahn¬
ärzten eine über den Rahmen ärztlicher Praxis hinausgehende Tätigkeit und
Mitarbeit an den Fragen der Eisenbahnhygiene fordert zum Wohle der Reisenden
und dem des Eisenbahopersonals, von dessen Rüstigkeit und Gesundheit auch
das Leben and die Gesundheit der ersteren abbängt. Darum sollte Schwech-
tons Eisenbahnhygiene in der Bibliothek jedes Bahnarztes vorhanden sein
und fleißig zu Rate gezogen werden. Auch den Vertretern der öffentlichen
Gesundheitspflege kann es in Eisenbahnfragen zum Studium dringend empfohlen
werden. In den Kreisen der höheren Eisenbahn- und Verwaltungsbeamten aber
wird es immer mehr zu der rechten Würdigung der Bedeutung des ärztlichen
Bahndienstes führen. Auch in dieser Hinsicht stellt sich die wohlgelungene
Arbeit Schwechtens dem früheren rastlosen Streben des ersten und bahn¬
brechenden Eisenbahnhygienikers, Otto Brähmer, würdig zur Seite.
28 Tafeln, eine Karte und 81 Abbildungen ergänzen den Text.
_ Dr. R o e p k e - Melsungen.
Dr. J. Holfert, Prof. Dr. H. Thoms, Dr. E. Mylius, Prof Dr. E. CHlf,
Dr. K. F. Jordan: Schule der Pharmanle. Dritte Auflage. Berlin
1905. Verlag von Jul. Springer-Berlin.
Dieses bereits in der dritten Auflage erschienene prächtige Werk nimmt
in der pharmazeutischen Welt seit geraumer Zeit einen hervorragenden Platz
unter denjenigen Lehrbüchern ein, die dazu dienen sollen, den angehenden
Apotheker in die Hilfsw^enschaften seines Faches einzuführen. Es kann nicht
zweifelhaft sein, daß dieser Erfolg hauptsächlich, einerseits durch die ver¬
ständnisvolle Anordnung des Lehrstoffes, beim praktischen anfangend und zum
theoretischen übergehend, bedingt ist, anderseits durch den leicht faßlichen
und lebendigen Vortrag des Gebotenen. Kurz and klar, sich nicht Über un¬
wesentliches verbreiternd, bringen die einzelnen Bände doch alles dasjenige,
was zum pharmazeutischen Vorexamen biiligerwoise verlangt werden kann,
und auch wohl noch etwas mehr, nach dem neuesten Stande der wissenschaft¬
lichen Forschung. Eine große Anzahl vortrefflicher Abbildungen, die in der
vorliegenden neuen Auflage zum Teil verbessert, zum Teil bedeutend vermehrt
wurden, im botanischen Teile allein um ca. 100 Abbildungen, erleichtern das
Verständnis der einzelnen Zweige der Pharmazie.
Das Werk zerfällt in fünf Teile. Der praktische Teil (L) ist von
Dr. E. Mylius, der chemische Teil (II ) von Prof. Dr. H. Thoms, der physi¬
kalische Teil (III.) von Dr. K. F. Jordan, der botanische Teil (JV.) von
Prof. Dr. E. Gil g, und der letzte Teil (V.), die Warenkunde, von Dr. H. Thoms
und Prof. Dr. E. Gilg bearbeitet.
Ist auch das Werk in erster Linie für den angehenden Apotheker be¬
stimmt, sei es als Lehrbuch beim Selbststudium, sei es als Leitladen beim
Unterricht des Lehrherm, so ist doch nicht zu übersehen, daß auch der junge
Mediziner dieses Werk mit Vorteil bei seinen chemischen, botanischen und
physikalischen Stadien benutzen wird. Insbesondere dürfte die „Warenkunde*
Tagesnachriehteü.
719
auch für ihn ein wertrolles Nachschlage* und Orientierungabuch sein, findet
er darin doch in großer Mannigfaltigkeit »lies das, was heute noch in nnserem
Arzneischatze Wert nnd Interesse beansprucht. Aber auch dem beamteten
Arzt, dem die Besichtigung der Apotheken obliegt und der sich auch von dem
8tande der Studien der Lehrlinge zu Überzeugen hat, wird in dem vorliegenden
übersichtlichen Werke einen vorzüglichen Mafistab finden für die Kenntnisse
der jungen Pharmazeuten.
Wir können daher „Die Schule der Pharmazie" als eia modernes, vor¬
züglich angelegtes und ausgestattetes Werk allen interessierten Kreisen
bestens empfehlen. Dr. E u m p - Osnabrück.
Tagesnachricbton.
Durch allerhöchsten Erlaß vom 21. September 1906, betr. Abfederung
der Bestimmungen über das Stimmrecht der technischen Mitglieder der
Begierungen, sowie der Regierangsassessoren in den Plenarversammlungen der
Regierungen, ist unter Aufhebung aller entgegenstehenden Bestimmungen ein¬
heitlich den bei den Regierungen beschäftigten Regierungs- und Forsträten,
den Regierungs- und Bauräten, den Regierungs- und Gewerberäten, den Re¬
gierangs- und Gewerbeschalräten, den Regierungs- und Schulräten, sowie den
Regicrnngs- und Medizinalräten, ferner den Regierungsassessoren
und denjenigen technischen höheren Beamten, die bei den Regierungen be¬
schäftigt sind und die den Rang der Räte vierter Klasse haben, das Stimmrecht
in den Plenarversammlungen der Regierungen in dem Umfange beigelegt werde,
in dem es jetzt die für den höheren Verwaltungsdienst oder das Richteramt
befähigten, unter V zu a und b der Kabinetsordre vom 31. Dezember 1826
aufgelührten Mitglieder haben, und den technischen Hilfsarbeitern bei den
Regierungen, die den Rang der Räte vierter Klasse nicht haben (z. B. die als
medizinische Hilfsarbeiter bei den Regierungen beschäf¬
tigten Kreisärzte), das Stimmrecht in dem Umfange beigelegt worden,
in dem es die Regierungs Assessoren auf Grund der Kabinetsordre vom 31. De¬
zember 1826 a. a. 0. jetzt haben. _
In der heutigen Beilage ist das am 26. Oktober d. J. in Kraft getretene
preußische Besetz vom 28. August d. J., betreffend die Bekämpfung an¬
steckender Krankheiten nebst den dazu unter dem 8. Oktober d. J. erlassenen
Ausführungsbestimmungen zum Abdruck gebracht, worauf wir die
Leser der Zeitschrift noch besonders aufmerksam machen mit dem Bemerken,
daß Sonderabdrücke dieser Beilage von der Verlagsbuchhandlung bezogen
werden können.
Die Cholera ist fast völlig erloschen. In der Zeit vom 14. bis 23. Ok¬
tober sind nur noch 10 Erkrankungen und — Todesfälle vorgekommen, so daß
sich die Gesamtzahl der Erkrankungen damit auf 281 erhöht. Gleichwohl hat eine
Ende Oktober im Oberpräsidiom abgehaltene Konferenz von Vertretern der Re¬
gierung and den Ministerialkommissaren Geh. Ober-Med.-Rat Prof. Dr. Kirchner
nnd Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Gaffky beschlossen, den gesnndheitspolizeilichen
Stromüberwachnngsdienst auf der Weichsel noch bis zum Eintritt des Frostes
beizubehalten.
Der um die Entwicklung des Kaiserlichen Gesundheitsamts hochverdiente
Präsident desselben, Dr. Kühler, hat sich durch Gesundheitsrücksichten ver¬
anlaßt gesehen, um seine Versetzung in den Ruhestand nachzosuchen, die ihm
auch unter Verleihung des Charakters als Wirklicher Geheimer Rat mit dem
Prädikat Exzellenz bewilligt worden ist. Im Jahre 1885 erfolgte seine Berufung
an die Spitze des Gesundheitsamts, dem er mithin zwanzig Jahre lang vor-
gastaadan hat. Während dieses Zeitraums hat das Gesundheitsamt eine wesent¬
liche Erweiterung seiner Organisation erhalten, ist doch inzwischen die Zahl
seiner ordentlichen Mitglieder von 6 auf 20 gestiegen, außerdem sind drei
720
Tageenachriehten.
Abteilungs-Direktoren hinzugekommen. Diese Erweiterung sowie die Schaffung
völlig neuer Arbeitsräume war bedingt durch die außerordentliche Zunahme
der dem Oesandheitsamt gestellten Aufgaben auf fast allen Gebieten des
öffentlichen Gesundheitswesens, nicht nur in wissenschaftlicher Hinsicht, sondern
auch in bezug auf die Mitarbeit bei Gesetzentwürfen usw. Wenn das Gesund¬
heitsamt all diesen Aufgaben gerecht geworden ist und sich eines großen
Ansehens wie einer autorativen Stellung in allen beteiligten Kreisen erfreut,
so ist dies nicht zum geringsten das Verdienst seines bisherigen Leiters, der
•ich dadurch ein bleibendes, ehrenvolles Andenken gesichert hat. Zu seinem
Nachfolger ist der Geh. Ober-Reg.-Rat Bumm ernannt, der seit 1892 im
Reichsamte des Innern tätig ist und hier als Vortragender Rat insbesondere
Medizinalangelegenheiten bearbeitet hat.
Am 21. Oktober ist Geh. Rat Prof. Dr. Robert Koch von seiner fast
einjährigen Forschungsreise in Ostafrika nach Berlin surückgekehrt in voller
körperlicher Frische trotz der großen Anstrengungen und Gefahren, die mit
seiner Reise verbunden gewesen sind. Er beabsichtigt, die nächsten Monate
in Berlin zu bleiben, um das reiche Material, das er über die Erreger des
Rückfallfiebers und der Trjpanosomiasis beim Menschen und Vieh in Deutscb-
Ostafrika und Britisch-Uganda gesammelt hat, zu sichten und durchzuarbeiten.
Dem bedeutungsvollen Ergebnisse seiner neuesten Forschungen wird jedenfalls
von allen Beteiligten mit großem Interesse entgegengesehen.
In Sachsen war bisher zwar die baupolizeiliche Genehmigung zur Er¬
richtung von Krematorien erteilt worden, doch die Feuerbestattung selbst
nach einer Verordnung des Ministeriums unzulässig. Nun hat der Chemnitzer
Verein für Feuerbestattung die Angelegenheit durch sein konseqaentes Vor¬
gehen zur endgültigen rechtlichen Entscheidung gebracht. Er legte gegen die
Ministeri&lentscheidung beim KönigL Sächsischen Obe rverwaltungs ge rieht
Rekurs ein, und zwar erfolgreich. Das Oberverwaltungsgericht erkannte für
Recht, daß das Vorhandensein eines zwingenden Gebotes der Leichenbeerdigung
und in Verbindung damit eines gesetzlichen Verbotes der Feuer¬
bestattung für Sachsen verneint werden müsse.
Die nächstjährige Generalversammlung der Deutschen Gesellschaft für
Volksbftder wird in Worms und zwar am 23. Mai 1906 (Tag vor Himmelfahrt)
stattfinden.
Der Geschäftsausschuß des Deutschen Aerztevereinsbundes
hat beschlossen, daß der nächste deutsche Aerztetag Ende Juni 1906 in
Halle a./S. abgehalten werden solL
Im Juni 1906 findet zu Mailand ein internationaler Kongress für
Gewerbekrankheiten statt. Aus dem reichhaltigen vorläufigen Programm der
Verhandlungen seien erwähnt: Physiologische Kontraindikation der Nacht¬
arbeit; Neurasthenie bei Eisenbahnern; nicht traumatische Gewerbekrankheiten
des Gehörs; Gewerbekrankbeiten der chemischen Betriebe; Tuberkulose und
Arbeitergesetzgebung; Frauenarbeit und Mutterschutz; Anchylostomiaais; Al¬
kohol und Muskelarbeit; Tabak und Muskelarbeit usw. Anmeldungen von
Vorträgen sind bis spätestens 31. Dezember d. J. an das Sekretariat, Prof.
Luigi Devoto in Mailand, Via Montforte 14, zu richten.
Infolge verschiedener Anfragen die Mitteilung, daß der fünfte Jahr¬
gang des Kalenders für Medizinal beamte für das Jahr 1906
in der ersten Woche deB Dezembers d. J. bestimmt zur Ausgabe
gelangt. Bestellungen nimmt schon jetzt die Verlagsbuchhandlung entgegen.
Der Herausgeber.
Verantwort!. Redakteur: Dr. Rap mund, Reg.- u. Geh. Med.-Rat in Mindeni. W.
J. C. C. Bruns, Herzog!. Stich», u. ¥. Sch.-L. Uofbuclidrockerei in
18. Jahrg.
1905.
Zeitschrift
für
MEDIZINALBEAMTE.
Zeitralblatt fiir gerichtliche Hedizii ud Psychiatrie,
fir ärztliche Sachrerständigentätigkeit in Unfall- nnd Inraliditatssachen, sowie
fiir Hygieze, offentL Sanitätswesen, Medizinal - Gesetzgebung and Rechtsprechung
Herausgegeben
▼OB
Dr. OTTO RAPMOND,
Regientngf- und doli. Medirinalrat 1 b Minden.
Verlag von Fischers mediz. Buehhandlg., H. Kornfeld,
HarsogL Bayer. Ho t- n. BnhanogL Mammar-BaohMndlar.
Berlin W. 35, Lützowstr. 10.
Ineonte nehmen die Yerl*gsh*ndlnng sowie alle Annoncen - Expeditionen de« In«
nnd Anslandes entgegen.
Nr. 22.
■raehelat ui 1 . nad IS. Jedes Komata
15. Novbr.
Nochmals die Ausrüstung des ländlichen und kleinstädtischen
Desinfektors mit dem Breslauer oder dem Roepkesehen
Formalinapparat.
Eine Entgegnung auf die „Bemerkungen etc.“ des Herrn
Dr. Boepke in Nr. 15.
Von Dr. Werner, Kreisassistenzarzt in Marburg,
ln Nr. 15 dieser Zeitschrift hat Herr Dr. Boepke versucht,
meine Ausführungen in Nr. 13 über die Vorteile des bewährten
Breslauer Formalinapparats and über gewisse Schwächen der von
ihm konstruierten transportablen Modifikation desselben als unzu¬
treffend hinzustellen. Seine umfangreichen Auseinandersetzungen
geben jedoch so viele Angriffspunkte nnd eine Nachprüfung seiner
Angaben konnte diese so wenig bestätigen, dass ich es nicht unter¬
lassen kann, wenn auch ohne auf den polemischen Ton Boepkes
einzugehn, den immerhin allgemein interessierenden Gegenstand
nochmals zu berühren.
Wenn in dem vorliegendem Aufsätze von Boepke wieder¬
holt meine Auseinandersetzungen als theoretisch nnd theoretisierend
herabgesetzt werden, während er der Wiedergabe einzelner Ver¬
suchsergebnisse oder Zahlenangaben eine weit grössere Beweis¬
kraft zuspricht, so muss ich dem entgegenhalten, dass meine
„theoretisierenden“ Ausführungen nichts anderes waren, als die un¬
parteiische Zusammenfassung einer grossen Menge von Versuchs¬
ergebnissen and Erfahrungen, die in einer mehrjährigen Beschäf¬
tigung mit dem Gegenstände gesammelt sind nnd sich unmöglich
in dem Bahmen eines derartigen, nur zur allgemeinen Orientierung
722 Dr. Werner: Nochmals die Aasrüstung des ländlichen and kleinstädtischen
bestimmten Aufsatzes wiedergeben Hessen, und ferner, dass man
auf keine Weise leichter zu Fehlschlüssen und Irrtfimern kommen
kann, als wenn man zur Beurteilung eines grossen und komplizierten
Gebiets einzelne oder doch im Verhältnis zu der Menge der auf-
znklärenden Fragen vereinzelte Versuchsresultate oder Zahlen¬
angaben für massgebend erklärt. Immerhin habe ich, um diesem
Einwand Roepkes zu begegnen, inzwischen Gelegenheit genommen,
auf der hiesigen hygienischen Abteilung mit dem neuen Apparate
einige Desinfektionsversuche nach den Vorschriften Roepkes zu
machen, während meine frühere Besprechung des Instrumentariums
sich nur auf eine eingehende Besichtigung und Untersuchung des¬
selben gründete, sowie die dem Breslauer Apparat von Roe pke
gemachten Vorwürfe experimentell zu prüfen und einige Zahlen¬
zusammenstellungen aus der Praxis zu liefern. Ich kann nach
dem Vorangegangenen nicht umhin, dieselben wie Engels und
Roepke die ihrigen, in ausführlicher Weise wiederzugeben.
Zur Vermeidung von MisVerständnissen aber, da Roepke
wiederholt unter besonderer Kritik eines Fabrikats der Breslauer
Apparate (Boie-Göttingen) hervorhebt, dass dieses gerade von
mir empfohlen werde, möchte ich noch vorausschicken, dass ich
weder zu den Autoren, noch zu den Fabrikanten des einen, wie
des anderen Apparats irgendwelche Beziehungen, oder an dem
Vertrieb der Apparate irgendwelches Interesse habe. Die Firma
Boie in Göttingen wurde von mir bei Anfragen — auch Roepke
gegenüber — deshalb als geeignete Bezugsquelle für Breslauer
Apparate angegeben und wird von mir nach meinen jüngsten Er¬
fahrungen auch fernerhin empfohlen werden, weil ich durch das
hygienische Taschenbuch von Esmarchs (3. Anfl. S. 272) mit
der Adresse bekannt geworden, mich in mehreren Fällen davon
überzeugt habe, dass sie richtig gebaute, technisch einwandsfreie
Exemplare zu mässigem Preise Hefert. Ob andere Firmen das¬
selbe leisten, habe ich dabei niemals in Frage gezogen.
Roepke bemängelt zunächst, dass von mir für den Apparat
eines Desinfektors in kleinstädtischen und ländHchen Verhältnissen
eine Kapazität für etwa 150 cbm Raum verlangt wird, wie Bie
der Breslauer Apparat in reichlichem Masse besitzt, während der
Roepkesche nach seinen Tabellen bis zu 120 cbm, nach den
Normen des Seuchengesetzes nicht einmal soweit ausreicht. Als
Begründung seines Standpunktes, dass Anforderungen über 120 cbm
praktisch nicht in Betracht kämen, bringt er ausführlich ge¬
schilderte Nachforschungen und Ermittlungen aus der Umgegend
seines Wohnorts Melsungen, wonach „die zum Wohnen oder Schlafen
bestimmten Zimmer in Privatwohnungen auf dem platten Lande
und in kleinen Städten“ einen solchen Luftraum niemals besitzen
sollen. Es mag nun wohl für den Durchschnitt richtig sein, dass
der Luftkubus derartiger Räume 80 cbm vielfach nicht übersteigt,
allein dennoch muss eine Verallgemeinerung der Roe pke sehen
FeststeUungen auch für ländliche und kleinstädtische Verhältnisse
als durchaus irreführend bezeichnet werden. Wer z. B. die
Wohnungsverhältnisse der Landbewohner in hiesiger Gegend
Desinfektors mit dem Breslauer oder dem Boepkescben Formallnapparat. 723
kennt, weise, dass die Bauernhäuser vielfach durch die ganze Tiefe
hinziehende Stuben bedeutender Grosse besitzen, von welchen
im Erdgeschoss häufig durch halbhohe Bretterwände Schlafräume
abgetrennt sind, während sie im Oberstock ungeteilt bleiben. Diese
bilden auch in Krankheitszeiten, da sie heizbar sind, in erster
Linie die Aufenthaltsräume für die Kranken. Ich habe nun, nach¬
dem ich die Anschauungen Roepkes über diesen Punkt gelesen
hatte, diese mir längst bekannte Tatsache durch gelegentliche
Messungen festzulegen versucht und dabei gefunden, dass ich in
jedem Dorfe der Umgegend von Marburg, durch welches mich
während etwa 10 Tagen mein Weg führte, ohne besondere Schwierig¬
keit Wohn- und Schafräume feststellen konnte, welche dem Bereiche
des Roepkeschen Apparats entfallen, da sie einen Luftraum von
120 cbm und mehr besitzen. Ich will meine Notizen in folgender
Weise wiedergeben:
Oberrosphe
Unterrosphe
Cölbe
Schröck
99
Moischt
Bürgermeister
Bürgermeister
Pet. Erkel . .
Bürgermeister
Orthwein.4,6
Jos. Nau.2 Staben za 8,2
Joh. Jos. Fischer 10,0 : 4,4 : 2,36
Cloos.6 Räume za etwa 4,6
„ Bohl.2 Räume za 8,8 : 4,8
Wittelsberg Hch. Peil.4,6 : 8,0 : 2,76
2 Staben
za 6,6 : 8,3 : 2,76 m
= 140
cbm
6,3 :
9,0
2,76
= 160
99
6,0 :
9,0
2,76
= 170
99
7,6 :
6,6
2,1
= 120
99
4,6 :
8,6
2,8
= 140
99
4,6 : 2,8 =
6,6
2,8
2,9 =
140
120
120
140
120
Bürgermeister
Bodenbender.
(anregelmäßig) ohne Abrandang = 146
2 Räume ohne Abrandang =
Beltershausen Bürgermeister . . 4,6 : 8,2 : 2,6
„ Horst Witwe . . 4,8 : 9,0 : 2,7
Marbach Herbener.2 Räume za 7,6 : 6,1 : 2,8
(Der
203,7
= 130
= 140
= 140
Kabikinhalt ist nach DesinfektorenTorechrift berechnet).
Auch hier in Marburg, einer Kleinstadt von 18 000 Einwohnern,
besitzen die meisten der sehr zahlreichen neueren Wohnungen, auch
der Mietswohnungen, Zimmer von 120—140 cbm Luftraum, wofür
ich mein Wohnzimmer mit 4,3 : 7,3 : 3,4 = 120 cbm und das eines
Kollegen von der hygienischen Abteilung mit 7,5:4,8:3,2 = 140 cbm
als Beispiele auftühren könnte.
Erweisen sich aber schon diese Annahmen Roepkes über
die vorkommenden Wohn- und Schlafräume als vielfach nicht zu¬
treffend, so ist es an und für sich falsch, dieselben allein bei
der Frage der Ausrüstung von Desinfektoren zugrunde zu legen.
Eine last zehnjährige ärztliche Bekanntschaft mit den länd¬
lichen und kleinstädtischen Verhältnissen hat mir manches Bei¬
spiel dafür gebracht, dass die üblichen Wohn- und Schlafräume
durchaus nicht die einzigen Objekte für die Desinfektionen bei an¬
steckenden Krankheiten sind. Entgegen der Roepk eschen Be¬
hauptung, dass solche Räume für die Wohnungsdesinfektion nicht
in Frage kommen, erinnere ich mich aus der eigenen Praxis sowohl
an die Desinfektion eines Tanzsaals, in welchem ein auf dem
Durchmarsch erkrankter fremder Schäfer in einem kleinen Dorf an
Typhus verpflegt worden war, als auch des grossen Büreauraums
eines Bürgermeisters nach dessen Tode an Phthise. Der hiesige Des-
724 Dr. Werner: Nochmals die Ausrüstung des ländlichen und kleinstädtischen
infektor hat in den letzten Monaten zweimal ganze Wohnhäuser,
Dienstwohnungen eines Plärrers und eines Oberförsters, auf dem
Lande desinfizieren müssen und dabei mit zwei Breslauer Apparaten
mehrere Tage Arbeit gehabt. Er ist ferner zur Desinfektion von
Kasernenstuben bis zu 280 cbm herangezogen worden 1 Ich erinnere
weiter besonders an die Notwendigkeit, Schulzimmer des¬
infizieren zu können, welche wohl immer über 120 cbm haben,
sodann Massenquartiere von ländlichen und anderen Arbeitern (Zieg¬
lern, Gruben- und Bahnarbeitern) und ähnliche bei der Seuchen¬
bekämpfung besonders in Betracht kommende Bäume grösseren
Kubikinhalts, welche überall vorhanden sind. Wie wichtig ist es
zur Durchführung wirksamer Desinfektionsmassregeln, dass man,
wenn die Einrichtungen zur Wohnungsdesinfektion einmal getroffen
sind, auch derartigen, nicht gerade alltäglichen Aufgaben gegen¬
über nicht hilflos dasteht und, wie früher, auf die kostspielige
und zeitraubende Beschaffung von Hilfsapparaten aus der nächsten
grösseren Zentrale angewiesen ist!
Aber solche, aus der praktischen Erfahrung sich notwendig
machende Erwägungen nennt Boepke kurzerhand „graue Theorie“,
und bei den von seinem Maschinenmeister und Desinfektor vor¬
genommenen Ausmessungen der Wohn- und Schlafräume ruft er
mit Stolz aus: »Das ist Praxis! B
In vielen Fällen würde es sogar, wie auch die Erfahrungen
des hiesigen Kreisdesinfektors bestätigen, wünschenswert sein,
dass der Apparat des ländlichen Desinfektors noch grössere Bäume
versorgen könnte, als 150 cbm, z. B. wenn es sich um die gleich¬
zeitige Desinfektion zweier in Verbindung stehender grösserer
Stuben handelte. Allein es hat sich, worauf von Flügge schon
vor Jahren hingewiesen worden ist, als untunlich erwiesen, in
einem Apparate grössere Flüssigkeitsmengen zu verdampfen, als
sie hierzu in Betracht kommen. Die Verdampfung würde dann
zu lange dauern und die Konzentration des Desinfektionsmittels
erst spät erreicht werden, welche nach Ansicht aller Autoren
— bis auf Engels und Boepke — zur Erreichung der beab¬
sichtigten Wirkung notwendig ist. Gerade weil Flügge, der Be¬
gründer der Wohnungsdesinfektion durch Formaldehyd, auf diesen
Punkt einen besonderen Wert legt, hat er empfohlen, gegebenen¬
falls, d. h. wenn sie zur Verfügung stehen, schon von 100 cbm
an gleichzeitig zwei mit den halben Mengen beschickte Breslauer
Apparate in Tätigkeit zu setzen. Die Formaldehydwasserdämpfe
werden dann eben um so schneller mit den Objekten in Berührung
gebracht und die Desinfektionszeit am vollkommensten ausgenutzt.
Es ist wenig glücklich, wenn Boepke diesen Punkt gegen den
Breslauer und zu Gunsten seines Apparats anführt, bei welchen,
wie meine Versuche (S. 787) beweisen, infolge des ungenügenden
Brenners zunächst eine geraume Zeit unbenutzt vergeht, bis es
überhaupt zur Dampfentwicklung kommt (bis s / 4 Stunde) und sodann
bisweilen die in dem Apparat vorhandenen Formalinwassermengen
während der ganzen Desinfektionsdauer nicht vollständig
in Dampf verwandelt werden können, aber auch bei günstigem
Desinfektors mit dem Breslauer oder dem Boepkeschen Formalinapparat 72b
Funktionieren des Brenners erst kurz vor Schloss der Desinfektion
verdampft sind.
Gerade bei diesen nicht alltäglichen, aber gewiss nicht ganz
selten vorkommenden Fällen besonderer Beanspruchung kommt
aber die Ueberlegenheit des Breslaner Apparats gegenüber dem
Boepkeschen besonders zur Geltang. Sei es non, dass einmal
auch über 150 cbm grosse Räume, z. B. Schulzimmer desinfiziert
werden sollen, oder dass es sich wegen ungünstiger Desinfektions¬
verhältnisse um die Lieferung höherer Formaldehydquantitäten in
grossen Bäumen handelt, oder dass die im Seuchengesetz bei be¬
sonders ansteckenden Krankheiten vorgesehene Einleitung vier¬
facher Formaldehydmengen vor Betreten des Baums ausgeführt
werden soll, immer wieder wird der Breslauer Apparat zu ge¬
brauchen sein, während der Boepkesche bald im Stiche lassen
muss. Neben einem um die Hälfte geringeren Fassungsvermögen
des Kessels benötigt dieser nämlich zur Verdampfung derselben
Flüssigkeitsmenge der drei- bis vierfachen Zeit und vermag
4—5 Liter kaum in 5 Stunden in Dampf zu verwandeln.
Sind durch diese Tatsachen der Leistungsfähigkeit des Bo epke -
sehen Apparats feste und nicht zu verschiebende Grenzen gezogen,
welche durch die höheren Kolumnen der Boepkeschen Tabellen
schon in bedenklicher Weise forziert werden, so gewährt das
Fassungsvermögen des Breslauer Kessels (9 Vs Liter) sowohl, als
das seines Spiritusbrenners — entgegen den Angaben Boepkes
— die Möglichkeit, die Flüggeschen Tabellen, welche bis zu
150 cbm (bei 5,0 F. pro cbm) reichen, nötigenfalls auch
einmal zu überschreiten. Flüssigkeitsmengen bis zu 7V t —8
Liter lassen sich in ihm gut verdampfen, da der Brenner sowohl
bei den Breslauer Apparaten der Firma Boie, als z. B.bei einem
älteren von Schwarzlose volle 2 Liter Spiritus fasst. Hier¬
durch kann man aber 180 cbm Baum mit je 5,0 Formal¬
dehyd und bis 160 cbm mit 10,0 Formaldehyd nebst
dem nötigen Wasserdampf versehen! Allenfalls müsste
dann entsprechend der länger danemden Verdampfung die Des¬
infektionsdauer um eine Stunde verlängert werden. — Durch die
bedeutende Heizkraft des Breslauer Brenners ist es ferner möglich,
nötigenfalls aus dem vor der Tür aufgestellten Apparat unter
wiederholter Füllung auch wesentlich grössere Formaldehydmengen
in verhältnismässig kurzer Zeit in den Baum zu werfen.
Aus diesen Ausführungen geht unzweideutig hervor, dass der
mit dem Breslauer Apparat versehene Desinfektor so ziemlich allen
Eventualitäten gegenüber gerüstet ist und bei einer gewissen
Gewandtheit oder mit Hilfe des eine aussergewöhnliche Desinfektion
anordnenden und überwachenden Arztes oder Medizinalbeamten
auch ausnahmsweise grossen Anforderungen gegenüber nicht ver¬
legen zu werden braucht, während der mit dem Boepkeschen
aasgerüstete nur die Möglichkeit hat, die üblichen Wohn- und
Schlafräume nach den Boepkeschen Tabellen, d. h. mit geringeren
Formaldehydmengen, als sie die Breslauer Methode liefert, zu
desinfizieren.
726 Dr. Werner: Nochmals die Ausrüstung des ländlichen and kleinstädtischen
Denn wie steht es mit den Formaldehydquantitäten,
welche bei der Roepkeschen Methode zur Einwirkung’
kommen P Unter der Voraussetzung, dass das benutzte Formalin
40prozentig ist und dass die Formalinwassermenge völlig ver¬
dampft wird — wobei auch der Roepkesche Kessel, wie mich
schon mein erster Versuch lehrte, defekt zu werden pflegt, —
kommt auf den Kubikmeter Raum etwa 4,8 Formaldebyd. Dabei
ist nun die Desinfektionsdauer auf 5 Stunden herabgesetzt! Einer
solchen Verringerung der Einwirkungszeit würde aber nach den
Vorschriften des Seuchengesetzes eine Quantität von etwa 8,0 Formal¬
dehyd entsprechen; ich habe deshalb, da auch die beiden obigen
Voraussetzungen in der Praxis niemals zutreffen, zur Erfüllung
dieser Normen eine Erhöhung der Formaldehydmengeu über das
Doppelte vorgeschlagen. Wenn Roepke dafür lieber auf die
Verkürzung der Desinfektionsdauer verzichten und wieder anf
7 Stunden übergehen will, so ist dagegen um so weniger zu sagen,
als gerade durch den ungünstigen Verdampfungsmodus seines
Apparats eine Verläng erung der Einwirkungszeit direkt
geboten ist. Nur wird er dann wieder durch die langsame
Verdampfung seines Ammoniakentwicklers mit der überhaupt
zur Verfügung stehenden Zeit ins Gedränge kommen!
Sehr anfechtbar aber ist Roepkes Berechnung, wonach unter
Berücksichtigung der beim Ausmessen der Räume vorgesehenen
Abrundungen nach oben tatsächlich auf 1 cbm ca. 6,0 Formal¬
dehyd kommen sollen! Diese Abrundungen nach oben sind durch¬
aus nicht erst von Roepke eingeführt, sondern schon längst
üblich, auch in der Breslauer Instruktion vorgesehen, wurden aber
bis jetzt allgemein als zur Deckung anderer Fehlerquellen not¬
wendig betrachtet, welche bei der Applikation bestimmter Formal¬
dehydquantitäten nicht zu vermeiden sind, und die auch eben¬
so bei der Roepkeschen Methode Vorkommen. Soistdas
Formalin, wie es der mit Kleinbetrieb arbeitende Desinfektor in
die Hand bekommt, niemals 40prozentig, sondern bei Bezug von
Apothekern und Drogisten gewöhnlich nur 85 °/ 0 , was ja auch der
Vorschrift des Arzneibuchs entspricht, häufig aber auch noch
geringwertiger. Was die Verdampfung der ganzen Kesselfüllung
anlangt, so haben meine, und die Engel eschen Versuche gezeigt,
dass bei genauer Befolgung der Vorschriften in der Hälfte der¬
selben noch ein Flüssigkeitsrest zurückbleibt, sodass auch dadurch
ein Verlust an Formaldehyd entsteht, der im Gegensatz zu
den Breslauer Tabellen nicht vorgesehen ist, obgleich
doch ein Trockenbrennen des Kessels, wie meine Versuche zeigen,
absolut vermieden werden muss. Schliesslich nötigt auch die
Rücksicht auf die bei Formaldehyd so leicht eintretende Polymer-
sation, die Quantitäten nicht zu knapp zu bemessen, sodass das
Abrundungsplus durch diese Fehlerquellen vollauf gedeckt
erscheint.
Massgebend erscheinen für diese Frage auch die Feststellungen
meiner Versuche (S. 787), aus welchen hervorgeht, dass unter Be¬
nutzung derselben Chemikalien die Roepkesche Methode in dem
Desinfektors mit dem Breslauer oder dem Boepkeschen Formalinapparat. 727
grosseren Raum 3,82 und 4,15 Formaldehyd, in dem kleineren
4,36 nnd 4,6 pro cbm (ohne Aufrundung!) lieferte, die grosseren
Zahlen aber beide Male unter Defektwerden des Kessels, während
die Breslauer ohne solche Unfälle 5,22 und 5,76 produzierte.
Man kann also unter diesen Umständen dem Boepkeschen
Apparat, welcher bei seiner tabellenmässigen maximalen Füllung
für 120 cbm nur etwa 4,0 Formaldehyd pro cbm zu liefern vermag,
im Sinne der Vorschriften des Seuchengesetzes auch bei einer
Desinfektionsdauer von 7 Stunden tatsächlich nur
eine Kapizität für etwa 110 cbm zubilligen, bei einer
solchen von 5 Stunden aber nur eine weit geringere!
Die Breslauer Tabellen geben eben nach dieser Seite eine
weit grössere Garantie, da sie darauf eingerichtet sind, dass etwa
600 ccm Flüssigkeit übrig bleiben dürfen, ohne dass eine Ver¬
ringerung der gewünschten Formaldehydkonzentration zu befürchten
ist. Die höheren Zahlen unserer Versuche erklären sich
dadurch, dass wohl unter dem Einfluss der Sommertemperatur die
eingestellten Spiritusmengen die Verdampfung weiter gefördert
hatten, so dass Reste von nur 280 und 350 ccm übrig blieben.
Eine gewisse Unregelmässigkeit und Unbeständigkeit im
Treffen dieses Zeitpunkts wird aber niemals zu vermeiden sein,
so lange man die Verdampfung nur durch die Ver¬
änderung der Spiritusinenge im Brenner reguliert!
Bei allen Apparaten und Brennern wird die Verdampfungsleistung
des Spiritus beeinflusst werden durch die von dem Desinfektor
kaum zu kontrollierende Konzentration desselben, durch die
Temperatur, die Genauigkeit der Abmessung, durch die Formen
und Dimensionen der Apparate, die Luftzuführung und anderes
mehr, und insofern bei verschiedenen Apparaten, aber auch bei
demselben Apparat zu verschiedenen Malen verschieden
sein können!
Dass diese Unregelmässigkeiten bei dem Breslauer Apparat
unter vorschriftsgemässer Beschickung einen so hohen Grad er¬
reichen können, wie sie Roepke in drastischer Weise schildert,
habe ich niemals beobachten können, auch ist in der Literatur
ähnliches nicht bekannt geworden. Meine Nachprüfung der Roepke-
schen Angaben hat nur ergeben, dass bei genau gleichen Bedingungen
die Differenzen der verdampften Mengen selbst bei grossen Füllungen
durchaus innerhalb des in den Breslauer Tabellen vorgesehenen
Spielraums verliefen. Niemals konnte ich z. B. beobachten, dass
bei gleicher Beschickung einmal nur ein Drittel dessen verdampfte,
wie das andere Mal, es müsste sich denn um ganz minimale
Flüssigkeitsmengen gehandelt haben. Ueber diese aber macht
Roepke leider bei der Schilderung seiner Beobachtungen keine
näheren Angaben!
Jedenfalls aber sind, wie mir meine Versuche be¬
wiesen, diese Schwierigkeiten bei dem neuen Brenner
Roepkes, der eine besondere „Errungenschaft“ dar¬
stellen soll, in keiner Weise beseitigt. Die Un¬
regelmässigkeit seiner Leistungen war eine noch viel grössere,
728 Dr. Werner: Nochmals die Ausrüstung des ländlichen und kleinstädtischen
als die des Breslauer Brenners, obgleich das von mir geprüfte
Exemplar neu war, während diese Spiritusgasbrenner gewöhnlich
erst nach einigem Gebrauch in ihren Leistungen nachzulassen
pflegen. Es ist das ja auch kein Wunder, da bei diesen Brennern
zu den oben geschilderten Fehlerquellen, die sie in gleicher Weine
besitzen, die erhebliche eines Dochts hinzukommt. Näheres hier¬
über ist aus der Schilderung der Desinfektions versuche (S. 737)
zu ersehen.
Ueber die von Boepke behauptete „zweifellose* Feuer¬
gefährlichkeit des Breslauer Apparats kann ich mich kurz fassen.
Wie ich schon gesagt habe, konnte ich bei vielen Dutzenden von
Versuchen mit demselben nichts derartiges bemerken, obgleich ich
mehrfach Gelegenheit hatte, das Verhalten des Brenners sowohl
beim absichtlichen Auslöschen der Flamme, als beim Brennen unter
dem trocken, hochgradig erhitzten Kessel zu beobachten. Mehrere
Desinfektoren, die einige Hunderte von Desinfektionen mit dem
Breslauer Apparat ausgeführt haben, konnten mir ebenfalls keine
Beobachtungen von Feuergefährlichkeit berichten. Ja bei Tau¬
senden und Abertausenden von Desinfektionen, die
überhaupt mit dem Breslauer Apparat in der Praxis
ausgeführt worden sind, ist bis jetzt nach den Angaben von
Reichenbach 1 ), wie auch Boepke zugeben musste, nicht ein
einziger Unglücksfall nach dieser Seite vorgekommen! Dies
ist wohl der schlagendste Beweis dafür, dass die Konstruktion
des Apparats in Verbindung mit den zu seinem Gebrauch bestehen¬
den Instruktionen gegen diese Gefahr eine genügende Sicherheit
bietet, und es ist durchaus nebensächlich, dass in der Literatur einige
wenige Laboratoriumsversuche bekannt geworden sind, bei welchen
eine grössere Entflammung, wie Reichenbach nachweist, durch
Gebrauch von höher prozentigen Spiritus, zu grossen Spiritusmengen
u. dgl. vorgekommen ist. Auch die von Boepke geschilderten
Vorkommnisse der Art werden dadurch zu erklären sein, dass
durch verschütteten Spiritus der Brenner erhitzt und dadurch eine
Gasentwicklung in ihm erzeugt wurde, welche die starke Ent¬
flammung bedingte. Allein diese Möglichkeit kann mit Sicherheit
dadurch vermieden werden, dass man nach dem Vorschlag von
Flügge jedesmal etwas Wasser in den Mantel des Apparats
giesst. Bei unvorsichtiger Behandlung, namentlich
beim Einfüllen kann übrigens Aehnliches bei jedem
Spiritusbrenner Vorkommen!
Bei dieser Gelegenheit schildert Roepke die von Flügge
für enge und feuergefährliche Bäume empfohlene Aufstellung des
Apparats vor der Tür mit Einleitung der Dämpfe durch eine Oeff-
nung derselben als besonders misslich „wegen der Formalin¬
belästigung der Hausbewohner, der ungleichmässigen Verteilung
der Dämpfe im Zimmer und der ununterbrochen notwendigen Be¬
wachung des Apparats durch den Desinfektor*. Offenbar schweben
ihm dabei Erfahrungen vor, die er mit seinem Apparat gemacht
*) Zeitschrift für Hygiene and Infektionskrankheiten; 60. Band, 1905.
Desinfektors mit dem Breslauer oder dem Boepkeschen Formalinapparat. 729
hat, welcher wegen des Mangels von Abdichtungen an der Einfüll¬
öffnung und dem Ausströmungsrohr, sowie nach unseren Erfahrungen
nach einmaligem Trockenbrennen massenhaft Formaldehyd¬
dämpfe nach aussen gelangen lässt; ferner wegen des geringen
Dampfdrucks die Verteilung der Dämpfe im Baum kaum zu bewirken
vermag, und schliesslich durch seine äusserst langsame, stunden¬
lang sich hinziehende Verdampfung die Geduld des ihn „bewachen¬
den“ Desinfektors allerdings auf eine harte Probe stellen wird!
Die neueren, gut gearbeiteten Breslauer Apparate sind bei guter
Instandhaltung vollkommen dicht und bleiben es auch, wie ich
mich überzeugt habe, wenn sie einmal trocken brennen, was hin
und wieder nicht zu vermeiden sein wird. Bei dem Boepkeschen
Apparat zeigte sich dagegen schon nach dem ersten, mit vorschrifts-
mässiger Füllung ausgeführten Desinfektions versuch die Verschrau¬
bung der Ausströmungsdüse abgeschmolzen, auch waren aus
der gefalzten Verbindung des Deckels mit dem Kessel'überall ge¬
schmolzene Tröpfchen Lot herausgetreten. Die Beparatur wurde
von dem Kupferschmied, einem geschickten Installateur, als be¬
sonders schwierig bezeichnet, da die Verlötung sich auf der un¬
zugänglichen Innenseite des Deckels befindet, und hat bis heute
keine völlige Dichtigkeit der defekten Stelle erreichen lassen.
Nach dieser bei der ersten Probe wenig vertrauenerweckenden
Erfahrung mit dem neuen Kessel stellte ich zum Vergleich einen
von der Firma Boie-Göttingen gelieferten Breslauer Apparat auf
eine Probe seiner Haltbarkeit, indem ich ihn etwa 10 Minuten
lang trocken über der vollen Flamme des Breslauer Brenners
erhitzte. Es zeigten sich hierbei ebenfalls am Band einige Tröpf¬
chen Lot, ausserdem schmolz an dem fast glühenden Kessel nur
der Bleidichtungsring an der Einfüllöffnung, welcher nachher sofort
durch einen der von der Firma unentgeltlich gelieferten Beserve-
Bleiringe ersetzt wurde. Der Kessel selbst blieb aber
infolge der harten Lötung aller übrigen Teile voll¬
ständig dicht und war sofort wieder brauchbar.
Als grösste Schwäche des Böpkeschen Apparats ist von mir
der äusserst langsame Verdampfungsmodus bezeichnet worden,
da hierdurch die verwendeten Formaldehydwasserquantitäten inner¬
halb der praktisch in Betracht kommenden Desinfektionsdauer gar
nicht zur Entfaltung ihrer desinfektorischen Kraft gelangen. Ich
befinde mich bei dieser Beurteilung in vollem Einklang mit der
einzigen mir von anderer Seite in der Literatur bekannt gewordenen
Besprechung des Boepkeschen Apparats von Beichenbach (l.c.).
Es ist ja so klar, dass ein Desinfektionsmittel nur dann seine
Wirkung auf ein Objekt ausüben kann, wenn es mit demselben
in Berührung gebracht wird, nicht aber solange es sich noch ruhig
in seinem Behälter befindet, und ferner nicht zu bestreiten, dass
es einen um so grösseren Desinfektionseffekt hervorruft, in je
grösserer Menge und je längerer Zeit es einzuwirken Gelegenheit
hat. Aus diesem Grunde hat man es seither bei der Desinfektion
eines Baumes für das Vorteilhafteste gehalten, die als notwendig
erkannten Formaldehydwassermengen durch Verdampfen oder Ver-
730 Dr. Werner: Nochmals die Ausrüstung des ländlichen und kleinstädtischen
sprayen so rasch als möglich in ihrer ganzen Menge in demselben
zn verteilen, so dass die zu desinfizierenden Oberflächen innerhalb
der zur Verfügung stehenden Zeit solange als möglich mit dem
sich auf sie niederschlagenden Desinfiziens in Berührung kämen!
Nun behaupten auf einmal Engels und Roepke, die lang¬
same Verdampfung des neuen Apparats sei ein ganz besonderer
Vorteil! Eine deutliche Illustration hierzu liefern meine Des¬
infektionsversuche bei 120 cbm (S. 737). Während nach Boepke
die ersten Formalindämpfe sich a / 4 Stunden nach Beginn der fünf¬
stündigen Desinfektion entwickeln und die Verdampfung des
Kesselinhalts in dem einen Fall glücklich Vs Stunde vor Ende,
in dem anderen überhaupt noch nicht bei Schluss beendet ist,
sendet der Breslauer Apparat schon nach */ 4 Stunde seinen Dampf-
strahl in den Baum und hat nach 1 */, Stunden die nicht un¬
wesentlich grösseren Formaldehydmengen in demselben verteilt,
so dass ihnen noch 5V* Stunden zur Einwirkung bleiben!
Engels 1 ) motiviert seine Anschauung über diesen Punkt —
übrigens in rein theoretischer Weise — mit folgenden Sätzen:
Das möglichst langsame Verbrennen des Spiritus, wodurch Formalin¬
wasser and Ammoniak bis anf geringe Beste verdampft werden, sei eine wich¬
tige Errungenschaft für die Formalinverdampfung, „um womöglich in langsamer
Folge, aber dauernd den gesamten Formaldehyd aus dem Kessel iu das
Zimmer zu treiben“. „Die Flammen brannten demnach sowohl bei dem For¬
malin, wie bei dem Ammoniak geraume Zeit, so daß die größtmögliche Ver¬
dampfung der Flüssigkeiten erfolgen konnte. Der Spiritus verbrennt infolge
der Vergasung langsamer, daher vorteilhafter für den Desinfektionserfolg.
Sicher ist, daß bei den Flüggesehen und Schneiderschen Apparaten, bei
denen wir offene Feuerung haben, der Spiritus schneller verbrennt. In dem
neuen Spiritusbrenner Boepkes sehe ich einen großen Vorteil, weil einmal
die Feuersgefahr geringer ist, sodann aber auch der Spiritus erheblich lang¬
samer verbrennt, daher das Formalinwasser vollständiger verdampfen kann,
desgleichen der Ammoniak.“
Das verstehe, wer kann! Es mag ja Fälle geben, wo eine
langsame Spiritusverbrennung Vorteile bietet, nnr scheint mir dies
auf die Verdampfung von Formalinwasser zu Desinfektionszwecken
nicht zu passen. Und dass dadurch eine vollständigere Ver¬
dampfung einer Flüssigkeit bewirkt wird, ist doch nicht gut
einzusehen!
Boepke ergänzt auf meinen Ein wand gegen diesen Passus
der Engels sehen Ausführungen denselben „ unter Fernhaltung
von jeder Theorie“ mit der Produktion eines „alten, chemisch¬
physikalischen Erfahrungssatzes“: „dass ein fortgesetzt frisch —
quasi in statu nascendi — einwirkendes Desinfektionsmittel inten¬
sivere bakterizide Eigenschaften zu äussern pflegt, als ein fertiges
Präparat, selbst in höheren Konzentrationen“. Die Anwendung
dieses Satzes, der sich übrigens in dieser Form wohl kaum ganz
aufrecht erhalten lässt, auf die vorliegenden Verhältnisse ist ganz
unverständlich.
Gegenüber derartigen theoretischen Begründungsversuchen
ist mir allerdings das praktische Experiment lieber, auf welches
*) S. Nr. 7 dieser Zeitschrift Jahrgang 1905.
Desinfektors mit dem Breslauer oder dem Boepkeschen^Formallnapparat. 731
auch Boepke hinweist, wenngleich ich gegen seine absolute
Beweiskraft, wie ich schon früher ausführte, vielfach Bedenken
nicht unterdrücken kann. So erscheint es mir nicht gerechtfertigt,
wenn Engels die Leistungsfähigkeit des neuen Apparats nach
fünf in demselben kleinen Baum angestellten Versuchen auf
Grund der prozentualen Abtötungsergebnisse mit der¬
jenigen des Schneid er sehen und Fl ügg eschen vergleicht,
deren Prüfung er an*einem anderen Ort, zu anderer Zeit, mit
anderen Chemikalien, mit anderen Testobjekten, kurz, unter völlig
anderen Versuchsbedingungen vorgenommen hat!
Auch die von Huhs 1 ) ausgeführten Desinfektionsversuche, auf
welche sich Boepke ausdrücklich bezüglich der Vorteile seines Ver¬
dampfungsverfahrens beruft, beweisen ohne nähere Angaben nicht
viel, da bei ihnen grösstenteils nur Streptokokken- und Staphylo¬
kokken-Testobjekte benutzt sind, welche mit Ausnahme weniger,
besonders resistenter Stämme schon bei einer geringen Desinfektions-
Wirkung abgetötet werden, z. B. bei höherer Temperatur schon
mit sehr niedrigen Formaldehydquantitäten!
Schliesslich führt Boepke zu Ungunsten des Breslauer Appa¬
rats noch einen Punkt an, der, soviel ich weies, vollständig neu
ist. Durch die grosse Heizkraft des Breslauer Brenners, deren
unbestreitbare Vorteile sich bei den seitherigen Schilderungen
schon wiederholt gezeigt haben, soll das Formaldehydwasser nach
den neuesten Untersuchungen Boepkes gar nicht ausschliesslich
verdampft, sondern „zum erheblichen Teil“ verspritzt werden,
wodurch dasselbe iür die Desinfektionswirkung ausfalle und den von
ihm getroffenen Gegenständen Schaden zufüge. Weder B eichen-
bach, der in jüngster Zeit alle wesentlichen gegen das Breslauer
Verfahren gerichteten Einwände besprochen hat, muss diese Tatsache
gekannt haben, noch wussten mir erfahrene Desinfektoren etwas
davon Zusagen, noch ist der Firma Boie, deren Apparate nach
Boepke diese Untugend besonders zeigen sollen, jemals darüber
eine Klage bekannt geworden! Da auch mir selbst bei meinen
häufigen Beobachtungen des funktionierenden Apparats diese von
Boepke so drastisch geschilderte Erscheinung vollständig ent¬
gangen war, so habe ich diese „SpritzWirkung“ unter Nachprüfung
der Boepke sehen Schilderungen eingehend untersucht.
Ich benutzte hierzu vier Breslauer Apparate und einen
fünften nach denselben Maassen, aber mit weiterem Ausströmungs¬
rohr zu Versuchszwecken gearbeiteten Kessel. Zwei derselben
stammten von der Firma Boie-Göttingen und besassen nach An¬
gabe derselben genau die gleichen Abmessungen und Formen, wie
der seiner Zeit auf Bestellung des Medizinischen Warenhauses
an Herrn Dr. Boepke gelieferte, welcher die Untugend des Ver-
spritzens in besonders hohem Masse gezeigt haben soll. Der
dritte, von ziemlich genau denselben Dimensionen, war vor etwa
5 Jahren von der Firma Schwarzlose-Berlin bezogen, während
der vierte, ein vielgebrauchter, älterer Apparat geringeren Inhalts
l ) Ebenda, aiehe vorher.
732 Dr. Werner: Nochmals die Ausrüstung des l&ndlichen und kleinstädtischen
unbekannter Fabrikation war. (Die Breslauer Apparate sind —
gegenüber den meisten anderen Formalin-Desinfektionsapparaten —
nicht patentiert und können von jedem Klempner gefertigt werden,
weshalb man sich über ihre Abmessungen und Formen in jedem
Fall orientieren muss.)
Bei Beobachtung der Boi eschen Apparate zeigte sich nach
Füllung mit Wasser, dass sich neben der Ausströmungsöffnung,
welche im tiefsten Punkt einer kugelförmigen Aushöhlung der
Düsenspitze liegt, ein Tropfen Kondenswasser zu bilden pflegt.
Dieser sinkt beim Grösserwerden nach unten, gerät in den Dampf¬
strahl und wird von diesem mitgerissen, worauf er in
kleinen Tröpfchen mehrere Zentimeter entfernt auf
die Oberfläche des Kessels niederfällt. Bei dem dritten
Apparat war die Kante neben der gleich weiten Ausströmungs¬
öffnung schmäler und weniger ausgehöhlt. Sie wurde durch die
Feile noch scharfkantiger gemacht, und es ergab sich, dass dann
die geschilderte Verspritzung fast ganz wegfiel, während die
Kondenswassertropfen aussen an dem Ausströmungs¬
ansatz heruntersickerten. Bei dem vierten Apparate, welcher,
wie gesagt, viel benutzt und noch mit Formalinresten gefüllt in meine
Hände kam, glaubte ich nun, bei dem ersten Versuch ähn¬
liche Verspritzungserscheinungen beobachten zu können,
wie sie Boepke schildert. Es wurden zahlreichere und grössere
Tröpfchen mit dem Dampfstrahl herausgeschleudert, so dass die¬
selben sogar in der nächsten Umgebung des Apparats auf dem
Boden sichtbar wurden, was ich bei den anderen Apparaten nur
ausnahmsweise beobachtet hatte. Auch durch das Hineingeben
einer Hand voll Zinkstückchen wurde die Verdampfung nicht
ruhiger. Als ich aber am anderen Tage, nachdem der Kessel
durch das mühsame Herausholen der Zinkstückchen unter be¬
ständigem Wasserspülen gründlich gereinigt worden war,
die Verspritzung genauer studieren wollte, war sie völlig ver¬
schwunden und die Verdampfung eine ganz glatte! Die Er¬
scheinung liess sich bei keinem Füllungsgrad wieder hervorrufen!
Es war dadurch erwiesen, dass die Flüssigkeit nur infolge irgend¬
welcher Beimengungen aus dem schlecht gereinigten Kessel,
welcher Verdampfungsrückstände und Paraformreste von längerer
Zeit her enthielt, die Verspritzungserscheinungen gezeigt hatte.
Um nun die praktische Bedeutung der von Boepke als
sehr erheblich bezeichneten Verspritzungen festzustellen, füllte
ich die Kessel mit 5 Liter, d. h. etwa dem maximalen Quantum,
mit Methylenblau gefärbten Wassers und legte über dieselben ein
grosses Stück Asbestpappe, so dass nur das Ausströmungsrohr
durch eine in der Mitte befindliche Oeffnung hindurchragte. Auf
diese kamen in derselben Anordnung grosse Bogen weissen Papiers,
welche bei den verschiedenen Versuchen nach gleicher, d. h. etwa
der Verdampfung von 1 Liter Flüssigkeit entsprechender Ein¬
wirkungsdauer gewechselt wurden. Auf diesen markierten
sich dann in anschaulicher und den Vergleich ermög¬
lichender Weise die verspritzten Flüssigkeitströpf-
Desinfektors mit dem Breslauer oder dem Boepkeschen Formalinapparat. 783
eben: Bei den Boi eschen Apparaten gruppierten sich dieselben
in höchstens 2—2 1 /, mm grossen Fleckchen gewöhnlich aof einer
oder zwei Seiten des Ausströmungsrohrs, entsprechend dem sich
an einer bestimmten Stelle bildenden Kondenswassertröpfchen,
meist unter 10 cm entfernt, znm allergrössten Teil im Bereich
der Kesseloberfläche und nur ausnahmsweise und ganz ver¬
einzelt über diese hinausgehend. Bei dem schmalkantig
abgefeilten Ausströmungsrohr des Schwarzloseschen Apparats
waren diese Spuren nur in ganz geringer Menge vorhanden, dafttr
markierte sich ein grösserer Farbflecken direkt um das Rohr.
Ebenso verschwanden sie fast vollständig, wenn man das Kondens-
wassertröpfchen durch eine den oberen Rand des Ausströmungs¬
rohrs eben ttbergreifende Manschette aus Filtrierpapier absaugte.
Schraubte man dagegen das Rohr ab, so dass die etwa den
doppelten Durchmesser besitzende Oeffnung in der Wölbung des
Deckels lag, so waren die Tropfen geringer an Zahl, aber wesent¬
lich grösser an Durchmesser. Sie wurden, wie man deutlich sah,
direkt aus der wallenden Flüssigkeit herausgeschleudert.
Nun wurden in den Dampfstrahl in verschiedener Höhe weisse
Papierbogen je etwa 5 Minuten hineingehalten, um die mit diesem
in die Höhe gerissenen Flüssigkeitströpfchen aufzufangen. Es
zeigte sich bei allen Apparaten und Versuchsmodifikationen in
ungefähr gleicher Weise, dass bei Vs m Höhe sich in etwa
Handtellergrösse zahlreiche, kaum einzeln sichtbare, nadelstich¬
grosse Pünktchen markierten, während dieselben in 1 m Höhe
verschwunden waren.
Zur quantitativen Bestimmung der auf diese Weise ver¬
spritzten Flüssigkeit setzte ich sodann mittelst eines durchbohrten
Gummistöpsels auf das Ausströmungsrohr einen trichterartigen Auf¬
satz, welcher, wie die Beobachtung zeigte, alle seitlich verspritzten
Tröpfchen auffing, so dass ihre Quantität nach Sammlung der
herabgesickerten Flüssigkeit durch ein Ableitungsröhrchen ge¬
messen werden konnte. Diese Feststellung wurde bei den ver¬
schiedenen Apparaten, sowie auch nach regelrechter Füllung
mit Formalinwasser vorgenommen und ergab in ungefähr gleicher
Weise auf etwa 2 Liter verdampfter Flüssigkeit 2 1 /*—3 ccm,
d. h. für die maximale Füllung des Breslauer Appa¬
rats für 150 cbm (5250 ccm) etwa 8 ccm! Eine Messung
der in dem unteren Teil des Dampfstrahls vorhandenen feinst
versprühten Tröpfchen war begreiflicherweise nicht möglich.
Schliesslich suchte ich mir ein Bild von der Ausdehnung der
Vorspritzung bei einer richtigen Zimmerdesinfektion ohne
irgendwelche Veränderungen des Apparats und seiner Füllung zu
verschaffen, indem ich bei den beiden später näher zu schildernden
Desinfektionsversuchen den Kessel spiegelblank putzen liess, so
dass man jede Tröpfchenspur auf ihm sehen konnte, und den
Apparat durch auf der Erde ausgebreitetes schwarzes Glanzpapier
umgab, auf welchem sich ebenfalls Formalinwasser deutlich mar¬
kiert. Bei dem Boi eschen Kessel (Versuch 2) fand ich anf der
Oberfläche dasselbe Bild, wie ich es anf den Papierbogen kennen
784 Dr. Werner: Nochmals die Ausrüstung des ländlichen und kleinstädtischen
i
gelernt hatte, und auf dem Glanzpapier zeigten sich einzelne, in |
einer Richtung etwas reichlichere Tröpfchenspuren, die aber
einen Umkreis von Vs m Abstand vom Kessel nicht
überschritten. Bei dem Schwarzlose’sehen Apparat (Ver¬
such 5) entsprachen die Spuren ebenfalls genau den früheren
Feststellungen. Auf dem Glanzpapier fast nichts, auf dem Kessel
vereinzelte Tröpfchen, aber von dem Ausströmungsrohr herunter¬
ziehend eine schmale Strasse angetrockneten Paraformaldebyds,
die etwas verbreitert am Kesselrand endete.
Nach der geschilderten Erfahrung mit dem nach sorgfältiger
Reinigung nicht mehr spritzenden Kessel, war es mir wahrschein¬
lich, dass die von Roepke beobachteten Erscheinungen durch
etwaige Beimengungen zu der Flüssigkeit sich erklären Hessen,
zumal ich etwas Aehnliches nur dies einzige Mal zu beobachten
Gelegenheit gefunden hatte. Ich hatte auch bei meinen Versuchen
entschieden den Eindruck, als wenn sich dies bei Benutzung
stärkerer Methylenblaulösung bestätigte, ganz abgesehen von der
deutlichen Färbung der Tröpfchenspuren, namentlich wenn das
Methylenblau noch nicht völlig in Lösung war. Gesichert wurde
diese Anschauung aber, als ich eine geringe Menge Seifenlösung
zu der gefärbten Füllung zusetzte. Es gelang dann sofort,
das von Roepke so drastisch geschilderte Resultat
hervorzurufen, dass alle in der Umgebung des Appa¬
rats befindlichen Gegenstände die Spuren des Me¬
thylenblaus davon trugen, was mir vorher auf keine
Weise geglückt war.
Aus diesen Versuchen, welche von mir in den verschie¬
densten Modifikationen wiederholt angestellt und auch Zeugen
demonstriert wurden, geht klar und deutlich hervor, dass die
Roepke sehe Behauptung, bei dem Breslauer Apparat handle es
sich nicht um eine Verdampfung von Formaldehyd, nicht zu¬
treffend ist. Die allerdings vorkommende Verspritzung
ist bei einem sauber gehaltenen und dem Zweck ent¬
sprechend mit reinem Formalinwasser gefüllten Bres¬
lauer Apparat so gering, dass sie praktisch gar keine
Rolle spielt.. Sind schon die Quantitäten, die überhaupt ver¬
spritzt werden, minimal, so wird noch der allergrösste Teil der¬
selben auf dem heissen Kessel wieder verdampft, und auch die
geringen Mengen der vom Dampfstrom versprühten Tröpfchen
kommen der Desinfektion zugute, da die Versprayung des Forma-
lins zu Desinfektionszwecken eine anerkannte und praktisch durch-
ans bewährte Methode darstellt. Beschädigungen von Objekten
aber, auf die Roepke mehrfach hinweist, sind durch Forma¬
linwasser so gut wie ausgeschlossen, da dasselbe auch
empfindliche Gegenstände gar nicht angreift. Die Be¬
schädigungen bei Formaldehyddesinfektionen sind in den meisten
Fällen durch das Ammoniak verursacht!
Es soll hierbei nicht übergangen werden, dass der Roepke-
sche Apparat, welcher bei einer etwa 3—4 mal schwächeren Heil¬
quelle und 4mal grösseren Ausströmungsöffnung den Dampf ohne
Desinfektors mit dem Breslauer oder dem Boepkeschen Formalinapparat. 735
jeden Druck abströmen läset, fast von Verspritzung frei ist.
Immerhin habe ich aasgespritzte Tröpfchen auch bei ihm mehrmals
gesehen!
Es ist kühn, wenn Roepke kurzerhand die von Proskauer
and Elsner 1 ) gefundene Beschädigung lackierter Gegenstände
auf die „Spritzwirkung“ des Breslauer Apparats hinschiebt, wo
die Autoren selbst hinzufügen, dass sich diese Er*
scheinung nur bei schlechtem Lack gefunden habe
und durch die Verbindung des Ammoniak mit dem an
den Oberflächen haftenden Formaldehyd bedingt ge¬
wesen sei! Und ebenso verhält es sich mit der starken Durch¬
feuchtung der Kleidungsstücke und dergl., die Roepke wiederum
rasch durch die „SpritzWirkung“ erklärt! Ein jeder mit dem
Breslauer Apparat arbeitende Desinfektor wird aus seiner Er¬
fahrung bekunden, dass diese Erscheinung — wie bei allen
mit Formaldehydwasserdampf arbeitenden Methoden
— bei niedriger Temperatur vorkommt, während im Sommer alles
trocken bleibt!
Da mir durch das Entgegenkommen des Herrn Professor
Bonhoff ein neuer Roepkescher Apparat zu Versuchszwecken
zur Verfügung gestellt wurde, habe ich nun noch zur Illustration
meiner „theoretischen“ Ausführungen einige praktische Des-
infektionsversuche angestellt. Dieselben sollten erstens über
die praktischen Eigenschaften der einzelnen Teile und der ganzen
Vorschrift ein Urteil verschaffen, und zweitens einen Vergleich
bezüglich der Leistungsfähigkeit mit dem Breslauer Verfahren
ermöglichen. Zu diesem Zweck machte ich in einem grösseren
Raum von rund 120 cbm und einem mittleren von 80 cbm hinter¬
einander unter genau gleichen Versuchsbedingungen
je eine Desinfektion nach Roepke, eine nach dem Breslauer Ver¬
fahren und eine zweite nach Roepke. Da es sich um genau
gleiche Raum- und Temperaturverhältnisse, um die gleiche Auf¬
stellung derselben Testobjekte und dieselben Chemikalien handelte,
auch die Nachbehandlung der Testobjekte in gleicher Weise
auf Nährböden derselben Provenienz erfolgte, so ist aus einer
Vergleichung der Resultate ein Schluss auf die
Leistungsfähigkeit beider Methoden wohl gestattet.
Das Formalin wurde als vollwertig zu Desinfektionszwecken
von der renommierten Chemikalienniederlage einer hiesigen Apotheke
bezogen, erwies sich aber, wie dies nach unseren Unter¬
suchungen bei Handelsformalinen sehr häufig vor¬
kommt, bei der quantitativen Bestimmung nur als 35prozentig.
Die Reste in den Kesseln wurden nach der Desinfektion jedesmal
auf ihren Gehalt an Formaldehyd von mir titriert, um die tat¬
sächlich verdampften Quantitäten hieraus feststellen zu können.
Auch der Spiritus wurde als 86prozentig mit dem Alkoholometer
kontrolliert
Als Testobjekte wählte ich neben Staphylokokken Milzbrand-
‘) Festschrift zum 60 jährigen Geburtstage Bobert Kochs.
786 Dr. Werner: Nochmals die Ausrüstung des ländlichen and kleinstädtischem
sporen geringer Resistenz (von Dampf in 8*/t Minuten abgetötet),
da ein derartiges Sporenmaterial für die Beurteilung der Des¬
infektionswirkung bei Versuchen sich viel besser eignet, als
z. B. Staphylokokken- oder Streptokokkenobjekte. Nach den hie¬
sigen Erfahrungen muss bei genügender Desinfektionswirkung’
eine Abtötnng der Sporen in allen freier zugänglichen Aufstel¬
lungen erreicht werden, während dies bei den ungünstiger unter¬
gebrachten von dem Formaldehyd nicht verlangt werden kann. Da¬
durch markieren sich die Unterschiede in der DesinfektionsWirkung
viel greifbarer, als bei Staphylokokken und dergl., die bei höheren
Temperaturen auch in ungünstigen Aufstellungen schon durch ge¬
ringere Formaldehydwirkung sämtlich abgetötet werden. Das
Bakterienmaterial wurde in wässeriger Aufschwemmung von Agar¬
kulturen an Seidenfäden und Leinenläppchen frisch an¬
getrocknet.
Die Aufstellung in sterilen Glasschalen wurde so gewählt,
dass immer 3 Objekte, frei zugänglich, günstige, 1 etwas ge¬
deckter, mittelmässige, und 3 an entfernten und geschützten
Plätzen ungünstige Chancen für die Desinfektionswirkung boten.
Bei der Nachbehandlung verwendete ich auf Grund früherer
Feststellungen */,ständige Waschung der Objekte in lproz.
sterilem Ammoniak zur Beseitigung des ihnen anhaftenden
Formaldehyds. Sodann wurden sie auf Nährböden — Milzbrand
auf Agar, Staphylokokken in Bouillon — gebracht, bei Bruttempe¬
ratur aufgestellt und die Resultate nach 15 Tagen registriert, da
längere Zeit nicht zur Verfügung stand. 1 )
Bei den Versuchen selbst wurden die einzelnen Vorgänge
durch eine in der Tür angebrachte, mit Glas verschlossene Beob¬
achtungsöffnung genau verfolgt und notiert.
Aus der nebenstehenden Tabelle (S. 737) können alle
Einzelheiten der 6 Versuche am kürzesten ersehen
und, was das wichtigste ist, verglichen werden.
Hauptsächlich ist zu beachten: Die Verschiedenheit der
tabellenmässigen Füllungen für die gleichen Raumgrössen bei den
beiden Methoden, die Verschiedenheit der Verdampfangsvorgänge
bei denselben; die geringen Zeitverluste bis zum Beginn der Ver¬
dampfung bei den Breslauer Versuchen, die grossen bei den
Roepkeschen trotz der kürzeren Desinfektionsdauer, die baldige
Beendigung der Verdampfung bei den Breslauer, die späte bei den
Roepk eschen Versuchen, und dadurch bedingt die lange Ein¬
wirkungsdauer der grösseren Formaldehydmengen bei den ersteren,
die kurze der geringen Quantitäten bei den letzteren. Ferner
die Ungleichmässigkeit der Verdampfungsvorgänge
bei gleichen Füllungen nach Roepke. Bei Versuch 1.
Leerbrennen des Kessels nach 4 1 /, Stunden, trockene Erhitzung
durch 10 Minuten mit Defektwerden desselben, und bei Versuch 3
nach 5 Stunden noch 575 ccm im Kessel und 140 ccm Spiritus im
Brennerl In der zweiten Reihe: In Versuch 4: Trockenbrennen
l ) Anm. bei der Korrektor: Das Resultat war auch nach 80 Tagen
dasselbe geblieben.
Desinfektors mit dem Breslauer oder dem Roepkeschen Formalinapparat. 737
788 Dr. Werner: Nochmals die Ausrüstung des ländlichen und kleinstädtischen
des Kessels (trotz der am fast Vs geringeren Füllung wieder)
nach 4’/j Standen, trockene Erhitzung durch 20 Minuten und wie¬
derum Defektwerden. Bei Versuch 6: Erlöschen des Brenners
nach 4 Stunden 23 Minuten, im Kessel aber noch 260 ccm
Fiftssigkeit!
(Ich konnte diese Beispiele für die ungleichmäßigen Leistungen
des neuen Brenners noch vermehren. Schon bei den ersten orientierenden Ver-
d&mpfungsrersnchen mit Wasser zeigten sie sich in der deutlichsten Weise:
Das eine Mal waren in dem mit 4200 ccm Wasser und 1250 ccm Spiritus be¬
schickten Apparat nach 5 Stunden noch 800 ccm nnverdampft, der Brenner
hatte kleine, leuchtende Flammen, ließ sich am anderen Tag erst wieder an¬
zünden, nachdem der halbverkohlte Docht erneuert war, das andere Mal war
bei derselben Füllung nach 4'/» Stunden der Brenner erloschen, im Kessel
noch 125 ccm!)
Ferner ist in der Versuchstabelle zu beachten: Die Zeit-
Verschwendung bei der Ammoniakentwickelung durch den Roepke-
schen Brenner, das zweimalige Aufschmelzen des Roepkeschen
Kessels, die aus dem gleichen Ausgangsmaterial gelieferten Formal-
debydmengen pro Kubikmeter, und schliesslich die Desinfek¬
tionsresultate, in welchen das Fazit aller dieser
Einzelbeobachtungen gezogen wird:
Bei beiden Methoden ist in gleichem Masse bemerkbar, dass
die Desinfektionswirkung in dem grösseren Raum geringer ist,
als in dem kleineren. In dem ersteren erzielte die Breslauer
Methode Abtötung der am günstigsten aufgestellten 8 Milzbrand-
und aller Staphylokokkenobjekte, die Roepkesche beide Male
keine Abtötung von Milzbrand, und nur solche von 6 unter
7 Staphylokokken! In dem zweiten Raume bewirkte die Breslauer
Methode Abtötung von 6 unter 7 Milzbrand (der eine wuchs noch
am 12. Tage), sowie von allen Staphylokokken, die Roepkesche
dagegen einmal von 3, das andere Mal nur von 2 Milzbrand, und
einmal von sämtlichen, das andere Mal nur von 5 Staphylo¬
kokken.
Die nach den Vorschriften des Seuchengesetzes
auf 7 Stunden modifizierte Breslauer Methode hat
sich demnach in beiden Versuchsreihen der Roepke-
schen entschieden überlegen erwiesen. Es unterliegt nach
dem Vorhergesagten wohl keinem Zweifel, dass diese Ueberlegen-
heit auf die mit grösseren Formaldehydquantitäten und längerer
Einwirkungsdauer arbeitende Methode, sowie auf den einen
günstigeren Verdampfungsmodus bedingenden Breslauer Brenner
zurückzuführen ist. Erst die praktische Berücksichtigung dieser
beiden Pankte wird den Roepk eschen Apparat in der Des¬
infektionswirkung dem Breslauer gleichwertig machen, und
erst dann für den Reflektanten noch die Frage zu entscheiden
sein, ob er der grösseren Kapazität und vielseitigeren Verwend¬
barkeit des Breslauer oder der etwas leichteren Transportabilität
des Roepkeschen Apparats für seine Zwecke den Vorzug
geben will!
Sollte sich Roepke noch entschliessen, diesen auch schon
in meinem vorigen Aufsatz klar und deutlich zum Ausdruck
gekommenen Anregungen durch Aenderung seiner Tabellen
Desinfektors mit dem Breslauer oder dem Boepkeschen Formalinapparat. 739
und Einführung eines geeigneten Brenners stattzngeben,
so wird er sich nm die Brauchbarkeit seines Apparats ein eben
solches Verdienst erwerben, als durch die jetzt von ihm publizierte
Einrichtung, das sonst viel zu schwere Instrumentarium auf dem
Bücken zu transportieren, welche er, als ich sie ihm vorschlug,
vor einigen Monaten noch als durchaus unzweckmässig zurückwies.
Andernfalls werden ihm ungünstige Erfahrungen nicht erspart
bleiben, welche seinerzeit auch die Fabrik des Schneiderschen
Bapid-Desinfektors veranlasst haben, von demselben Spiritusgas¬
brenner abzugehen und einen solchen nach Breslauer Muster ein¬
zuführen !
Auf die neuen Veränderungen des Boepkeschen In¬
strumentariums, welche wohl sämtlich Verbesserungen und
Vervollständigungen darstellen, will ich nicht näher eingehen.
Nur ist es mir nicht klar, wie durch die Hinzufügung der ver¬
schiedensten Dinge, darunter einer grossen Scheuerbürste, sowie
einer Flasche mit Seifenkresol, und ohne dass anderes hinweg¬
gelassen werden konnte, eine Vermehrung des von mir fest¬
gestellten Gewichts nicht eingetreten sein soll! An der Tat¬
sache, dass das Instrumentarium nur das Allernot¬
wendigste für den Desinfektor enthält, können auch
diese Vervollständigungen nicht viel ändern! Ich habe
mich bis jetzt nicht davon überzeugen können, dass sich die zahl¬
reichen, gerade für den ländlichen Desinfektor bei der Primitivität
seines Arbeitsfeldes notwendigen Utensilien zur Wohnungsdesin¬
fektion auf so kleinen Baum unterbringen und in ihrem Gewicht
so einschränken lassen, ohne dass dadurch ihre Zahl zum Schaden
der Leistungsfähigkeit zu sehr vermindert, oder ihre Brauch¬
barkeit nach Grösse und Form zu sehr herabgesetzt wird. Bei¬
spielsweise will ich hierzu nur anführen, dass nach Boepkes
eigener Angabe der zum Abdichten notwendige Kleister in dem
Deckel der in seinem Instrumentarium befindlichen Stärkebüchse
angerührt werden soll. Dieser Deckel aber hat einen
Durchmesser von 6 cm und einen Band von 1 cm Höhe!
Von der wohl allgemein anerkannten Forderung, dass jeder
Desinfektor mit einem vollständigen Schutzanzug ausge¬
rüstet sein muss, kann ich ferner nicht abgehen! Es ist zweifellos
weit sicherer, den Körper und die Kleidung vor der Verunreini¬
gung mit infektiösen Substanzen zu schützen, als letztere nachher
durch die von Boepke geschilderte Desinfektion, über deren
Tragweite und Durchführung wir uns doch keine
Illusionen machen dürfen, wieder unschädlich zu machen.
Klagen jetzt schon manche Desinfektoren, dass sich das Publikum
von ihnen zurückziehe, so wird dies bei Durchführung des Boepke¬
schen Standpunkts noch mehr der Fall sein, — und mit Becht!
Ueber die Frage, wie weit man den Begriff der Trans-
portabilität fassen soll, will ich mit Boepke nicht streiten!
Seine Ausführungen, dass sich gerade sein Instrumentarium
dazu eigne, auf der Post, Bahn und dergl. mitbefördert zu werden,
stimmen durchaus mit dem überein, was ich am Schlüsse meines
740 Dr. Werner: Die Ausrüstung d. ländlichen u. kleinstädtischen Desinfektor».
vorigen Aufsatzes ansgesprochen habe. Dagegen scheint mir
Boepke jedoch das Vorkommen „so ganz verlassener Gegenden
des platten Landes, die durch keine Strassen-, Voll- oder Sekun-
därbahn, keine Personenposten dem täglichen nnd bequemen (!)
Verkehr erschlossen sind“ wesentlich zu nnterschätzen, und der
Desinfektor, der einerseits znr Einhaltung ganz bestimmter, oft
quälend lange werdender Desinfektionszeiten verpflichtet, ander¬
seits aber auf das Abwarten von Gelegenheitsfuhrwerk und seltener
Postverbindungen an den Strassen angewiesen sein soll, scheint
mir keine sonderlich tröstliche Erscheinung in der Entwicklung
des ländlichen Desinfektionswesens zu Bein!
Uebrigens ist die Transportabilität des Breslaner
Instrumentariums auch nicht ganz so schlecht, wie sie Boepke
hinstellen möchte, da sich Alles in den beiden grossen Gefässen
unterbringen lässt. Auch die Anschaffung eines zweirädrigen
Karrens ist wesentlich billiger, als Boepke angibt (der hiesige
kostet 45 Mark), und sein Transport nicht mit besonderen Schwierig¬
keiten verknüpft!
Ich will es am Schlüsse meiner Ausführungen der objektiven
Beurteilung des Lesers gern überlassen, ob der neue Apparat,
wie Boepke sehr selbstbewusst sagt „zum allermindesten
ein gleichwertiger und wegen seiner ungemein leich¬
teren Transportfähigkeit ein notwendiger Ersatz des
Breslauer Apparats“ ist, oder ob er, was meiner Ansicht ent¬
spricht, nur eine unter der Voraussetzung gewisser Ab¬
änderungen für bestimmte Zwecke brauchbare Er¬
gänzung desselben bildet, die aber als alleinige Aus¬
rüstung eines Desinfektors nicht genügt!
Und wenn Dütschke, worauf sich Boepke am Schlüsse
seines Aufsatzes bezieht, auf der Medizinalbeamten-Versammlung
in Hannover anssprach, es sei eine dankbare Aufgabe, sich an der
Lösung der Frage zu beteiligen, wie ein transportabler Des¬
infektionsapparat zu konstruieren sei, so hatte er in demselben
Satze vorausgeschickt, dass nach seiner Ansicht eine Lösung
dieses Problems bis jetzt — trotz des vorliegenden
Boepkeschen Apparats — nicht gelungen sei! Auch ihm
erschien es zweifelhaft, ob derselbe wegen seines Gewichts für
die Desinfektoren auf dem Lande eine Verbesserung hinsichtlich
des leichteren Transports bringen würde. Als Aushilfsmittel
empfahl er, zur Vermeidung des Transports womöglich
eine grosse Zahl von Formalinapparaten an den ver¬
schiedensten Orten anzuschaffen!
Dieser Vorschlag ist sicher leichter durchführbar, als er auf
den ersten Augenblick scheint! Bei dem Kleinbetrieb der
Formaldehyddesinfektion spielen die Kosten der Anschaffung
eine verschwindend geringe Bolle gegenüber denen
des Materialverbrauchs und besonders des Transports;
sie würden sich bei einer Verringerung der letzteren
bald bezahlt machen! Handelt es sich aber dann um die
Beschaffung einer geeigneten Ausrüstung, so wird das Boepkesche
Dr. Boepke: Erwiderung auf vorstehenden Artikel Werners nsw. 741
Instrumentarium allein ebenso wenig in Betracht kommen, als
für den Berufsphotographen zu seinen Atelieraufnahmen der
Kodak des Touristen, oder für den Elektrotherapeuten zum Sprech¬
stundengebrauch der Taschen-Induktionsapparat des ländlichen
Praktikers!
Erwiderung auf vorstehenden Artikel Werners: „Nochmals
die Ausrüstung usw.“
Von Chefarzt Dr. 0. Roepke in Melsungen.
,, Der Not gehorchend, nicht dem eigenen Triebe, sehe ich
mich .gezwungen, auf die vorstehenden Ausführungen Werners
zu erwidern. Ich werde mich hierbei auf die wichtigsten
Punkte beschränken, weil ich weder Lust noch Zeit habe, einen
Federkrieg über eine Frage zu führen, deren endgültige Ent¬
scheidung in der Praxis fallen muss und wird.
Ob die von Werner auf 120 bis über 200 cbm berechneten
Zimmergrössen für unsere heutigen Wohnungsverhältnisse zu¬
treffender sind als der von mir herausgerechnete Kubikinhalt, der
für die einzelnen Wohn- und Schlafzimmer in der Regel ganz
erheblich unter 120 cbm bleibt, das zu entscheiden kann ich
getrost dem Praktiker überlassen. Ich glaube, dass jeder, der
nicht gerade hessische Bauernhäuser aus dem 18. Jahrhundert
und zu Wohnzwecken eingerichtete Institutsräume als die Typen
neuzeitlicher menschlicher Behausungen ansieht, die Werne rachen
Zahlen als ungemein seltene Ausnahmen ansprechen wird, welche
die Regel, die von mir angegebenen Zimmergrössen, bestätigen.
Dass Schulzimmer, Massenquartiere und ähnliche Räume
über 120 cbm fassen und daher mit einem meiner Apparate nicht
zu desinfizieren sind, ist mir wohl bekannt. Können denn aber
solche Räume mit einem Breslauer Apparat desinfiziert werden?
Schulzimmer messen in der Regel 9XMX3,5 m = 204,75 cbm!
Selbst wenn wir nnn, dem Vorschläge Werners folgend, päpst¬
licher sein wollten als der Papst und den Breslauer Apparat, ob¬
wohl er nach der ihm beigegebenen Gebrauchsanweisung aller-
höchstens für 150 cbm anzuwenden ist, zur Desinfektion von
180 cbm als ausreichend ansehen wollten, selbst dann genügt er
in einem Exemplar nicht für die „Notwendigkeit, Schulzimmer zu
desinfizieren/ Also den „nicht gerade alltäglichen Aufgaben
gegenüber“ wird der Desinfektor mit einem Breslauer Apparat
ganz ebenso hilflos gegenüberstehen, wie mit einem meiner
Apparate; er braucht hier unter allen Umständen zwei Apparate;
dann ist es aber gleichgiltig, ob er zwei Breslauer oder zwei
Roepkesche Apparate benutzt.
Dabei hebt Werner selbst hervor, dass es sich als „un¬
tunlich“ erwiesen hat, in einem Apparat grössere Flüssigkeits¬
mengen, als für 150 cbm in betracht kommen, zu verdampfen.
(Wie Werner übrigens dieses Zugeständnis mit seiner wieder¬
holten, Empfehlung, den Breslauer Apparat auch für 180 cbm an¬
zuwenden, in Uebereinstimmung bringt, ist mir absolut unverständ-
742 Dr. Roepke: Erwiderung auf vorstehenden Artikel Werners:
lieh!) Weiter erkennt Werner das Flügge sehe Postulat an,
dass „schon von 100 cbm an gleichzeitig zwei mit den halben
Mengen beschickte Breslauer Aparate in Tätigkeit zu setzen sind."
Ist das aber richtig, so kann die Schlussfolgerung doch nur die
sein, dass es, ganz abgesehen von der Art der Apparate, eher ein
Vorteil als ein Nachteil ist, wenn man sich iür die alltäglich
vorkommenden Zwecke eines etwas kleineren Apparates bedient,
und wenn man ferner für die nicht alltäglichen Desinfektionen
mit zwei oder mehreren etwas kleineren Apparaten arbeitet.
Nach allem komme ich hinsichtlich dieses Punktes der
Werner sehen Ausführungen zu dem Schluss, zu dem auch Werner
logischerweise kommen müsste: es empfiehlt sich für die
alltäglichen Desinfektionen ein auf 120 cbm berech¬
neter Apparat mehr als ein auf 150 cbm berechneter,
während für die nicht alltäglichen Fälle 2, 3 oder
mehr Apparate ä 120 cbm den Vorzug verdienen vor
2, 3 oder mehr Apparaten ä 150 cbm.
Die Einwirkungsdauer der entwickelten Formaldebyd-
dämpfe ist bei meinem Apparat, wie es Werner auch bekannt
ist, auf 7 Stunden heraufgesetzt, um den mir früher unbekannt
gewesenen Vorschriften des Seuchengesetzes zu entsprechen. Es
erübrigt sich also, darauf nochmals einzugehen.
Das an sich begreifliche Bestreben, den ganzen Desinfek¬
tionsakt zeitlich einzuschränken, darf nicht zu einer unzureichen¬
den Handhabung des zweiten Teiles der Wohnungsdesinfektion,
der Ammoniakentwicklung, führen. Eine allzu grosse Beschleu¬
nigung der letzteren kann nur auf Kosten ihrer Gründlich¬
keit zustande kommen; leidet diese aber, so werden die Formal¬
dehyddämpfe in den desinfizierten Räumen nur ungenügend para¬
lysiert, und ein vermehrter Widerstand gegen die überhaupt noch
nicht beliebte Wohnungsdesinfektion gerade in denjenigen Kreisen,
in denen die Desinfektion ebenso nötig zu sein pflegt, wie das
schnelle Beziehen der Wohnung nach der Desinfektion, ist die
unausbleibliche Folge. Darum stehe ich auf dem aus rein prak¬
tischen Erwägungen heraus gewiss gerechtfertigten Standpunkt:
1. nicht mehr Formaldehyd zu verdampfen als unbedingt nötig;
2. die Entwicklung der Ammoniakdämpfe so reichlich und gründ¬
lich zu besorgen, dass die Wohnung, Matratzen, Decken u. dergL
auch gleich nach Schluss der Desinfektion wieder benutzbar sind.
Nun ist es ein grosser Irrtum von Werner, anzunehmen, dass z. B.
die Verdampfung von 1500 ccm Ammoniak in */« Stunde erfolgen
kann. In dem Wern ersehen zweiten Versuch war allerdings
mit dem Breslauer Instrumentarium die Ammoniakentwicklung
nach 30 Minuten beendigt, dafür waren aber auch von den
1500 ccm eingefüllten Ammoniaks nicht weniger als
1050 ccm, also mehr als */ 8 , imKesselzurück geblieben!
Der Desinfektor, der in einen derartig unzureichend mit Ammoniak¬
dämpfen behandelten Raum eintreten soll, um die Fenster zu
öffnen usw., kann mir leid tun, nicht weniger die Wohnungsinsassen,
die den Raum wieder benutzen sollen. Um den in 1500 ccm
Nochmals die Ausrüstung usw.
743
Flüssigkeit enthaltenen Ammoniak in den desinfizierten Raum zn
bringen, müssen mindestens */s der Ammoniakflüssigkeit verdampft
werden; dazu bedarf es aber auch bei Benutzung eines offenen
Brenners einer erheblich grösseren Menge von Spiritus und Zeit
als in dem II. Versuch Werners.
Was die Verdampfungsfähigkeit der von mir be¬
nutzten drei Breslauer Apparate betrifft, so beschränke
ich mich darauf, in der folgenden tabellarischen Uebersicht die¬
jenigen Rückstände anzugeben, die bei drei unter den gleichen
Bedingungen durchgeführten Versuchsreihen im Kessel zurück¬
geblieben waren und mir Veranlassung zu einem Urteil über die
Unbeständigkeit und Unregelmässigkeit der Verdampfung gaben:
Raumgröße: Flüssigkeitsmenge: Spiritus: Rückstände:
i. ii. in.
30 cbm
1500 ccm
800 ccm
510
ccm
950 ccm
290 ccm
60 „
2500 „
600 „
550
1140 „
0 ,,
90 „
3500 „
900 ji
a) 0
b) 700
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1200 „
1300 ||
650 „
720 ,
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4500 „
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a) 1550
b) 20
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1550 n
1370 „
? n ) ■
150 „
5250 „
1400 ,
360
»
1650 ||
900 „
Die Zahlen dürften wohl zu der gewünschten Orientierung
Werners genügen.
Das von mir beobachtete Inflammenstehen des ganzen
Breslauer Apparates erklärt Werner ebenso einfach wie bestimmt
durch verschütteten Spiritus; nur schade, dass diese Erklärung
ganz willkürlich und falsch ist. Da ich in jedem Fall die Apparate
selbst bedient habe, kann ich mit absoluter Bestimmtheit ver¬
sichern, dass auch nicht ein Tropfen Spiritus beim Füllen des
Brenners verschüttet worden ist. Es wird also wohl bei meiner
Deutung der Entflammung bleiben müssen.
Auch die Wern ersehen Erklärungsversuche der von mir
an den Breslauer Apparaten beobachteten Spritz Wirkung sind
nicht zutreffend, weil 1. die ganz neuen Apparate nach der ersten
Benutzung die stattgehabte Verspritzung des Formalinwassers
auf dem Deckel erkennen Hessen; 2. das zur Färbung benutzte
Methylenblau einer reinen filtrierten Stammlösung entstammte
und mit reinem Wasser gemischt körperliche Bestandteile nicht
enthielt; 3. die Apparate auch nach gründlicher Reinigung reines
Formalinwasser weiter verspritzten. Ich habe mir die eine
wahrhafte Geduldsprobe darstellende Mühe gemacht, die in den
Breslauer Kesseln durch die Benutzung losgelöteten und zusammen¬
geflossenen Zinnlötstückchen und -kügelchen immer wieder heraus¬
zubringen — um mich von ihrer Art und Herkunft zu über¬
zeugen —; bei diesen Manipulationen sind die Kessel so gründUch
gereinigt und mit Wasser nachgespült, wie es zu tun der Des¬
infektor kaum Zeit finden wird, trotzdem spritzten die Apparate
weiter; ich habe zum Schluss meinen Maschinenmeister die Kessel
ebenso reinigen, ihre Deckel blank putzen lassen und reines For-
*) Apparat steht in Flammen; Versuch gilt nicht.
744 Dr. Roepke: Erwiderung auf vorstehenden Artikel Werners:
malinwasser eingerollt nnd verdampft, die Deckel waren: naek dar
Benutzung wieder stark bespritzt bezw. mit verbrannten Paraformal-
dehydresten bedeckt. Und ich verstehe wirklich den Wert von —
m. E. ganz ungenauen — Messungen und Wägungen nicht, wo Auge
und Ohr dem Zuschauer Ober die Ursache und Grösse der
Spritzwirkung keinen Zweifel lassen können, wo es dank der
kolossalen Heizflamme „so wallet und siedet und brauset und zischt*
wie in und auf dem Formalinkessel des Breslauer Apparates.
Werner rechnet ferner damit, dass die auf den heissen Deckel
des Apparates niederfallenden Tropfen der Formalinflüssigkeit
doch wieder verdampft werden; was geschieht aber mit der im
grossen Umkreis auf den Fussboden verspritzten Quantität
Formalinwassers ?
Dass die starke Durchfeuchtung der Kleidungs¬
stücke nur „bei niedriger Temperatur vorkommt, während im
Sommer alles trocken bleibt*, bestreite ich ganz entschieden. Die
Aussentemperatur wird selbstverständlich einen Einfluss darauf
ausüben, ob die entwickelten Dämpfe sich schneller oder langsamer,
stärker oder geringer kondensieren. Wichtiger aber ist der Ag¬
gregatzustand, in welchem das Formalinwasser aus
dem Kessel heraus in den Baum gelangt, ob es in
trockener Dampfform oder in einer mit mehr oder weniger zahl¬
reichen Tröpfchen und Tropfen gesättigten Form geschieht. Bei
der ausschliesslich trockenen Verdampfung durch meinen Apparat
wird selbst bei niedriger Temperatur eine starke Durchfeuchtung
der Gegenstände im Zimmer nicht stattfinden, während sie bei
der kombinierten Dampf- und Sprayarbeit des Breslauer Apparates
auch zu wärmerer Jahreszeit unausbleiblich ist. Um das einzu¬
sehen, braucht man nicht ein mit dem Breslauer Apparat arbeiten¬
der Desinfektor zu sein.
Doch genug davon! Wenden wir uns zu den praktischen
Desinfektionsversuchen Werners mit meinem Apparat
Werner hat bei diesen Versuchen zunächst das Defektwerden
des Formalinkessels, bestehend in Abschmelzung der Ausströmungs¬
düse und der Lötung des Deckels beobachtet. Wie erklärt sich das?
Am 5. April d. J. erhielt ich vom hygienischen Institut in Mar¬
burg ein Schreiben mit der Bitte, meinen Apparat dem Institut
zu Demonstrationszwecken für den Desinfektorenkurs zur
Verfügung zu stellen und zwar möglichst umgehend, da der
Kurs an einem der nächsten Tage beginne. Ich wies darauf das
Medizinische Warenhaus in Berlin telegraphisch an, sofort einen :
kompletten Apparat der Marburger Desinfektorenschule zu Demon¬
strationszwecken per Eilgut zu übersenden. Dies sollte so eilig
deshalb geschehen, weil in dem betreffenden Kurs ein Desinfektor
für den hiesigen Kreis ausgebildet wurde, und für diesen auf
Vorschlag des Kreisarztes die Anschaffung meines Apparates vom
Kreisausschuss beschlossen war. Da im Medizinischen Warenhaus
ein Apparat nicht vorrätig war, wurde ein solcher auf Grund
meines Telegrammes noch in den Abendstunden des 5. April in
grösster Eile hergestellt und am 6. April früh per Eilgut expediert.
Nochmals die Ausrüstung nsw.
T45
Es war also keine Zeit, die nötige Sorgfalt bei der Fertigstelluhg
zu verwenden, und das Medizinische Warenhaus glaubte auf Grund
meiner telegraphischen Angabe „za DemonBtrationszwecken* sich
die Freiheit nehmen zu dürfen, den Apparat ganz flüchtig zu»
sammenzabaaen, um ihn nur, was im vorliegenden Falle als die
Hauptsache erschien, noch rechtzeitig in Marburg zu wissen.
Dieser Apparat ist dann im August d. J. von dem Marburger
hygienischen Institute käuflich erworben und von Werner zu
seinen Versuchen benutzt worden. Ich will nicht das Versehen
des Medizinischen Warenhauses beschönigen, dass es den Apparat
hat in den Besitz des Institutes übergehen lassen; aber anderseits
wird es bei dieser Sachlage nicht auf fallen, dass ein solcher
lediglich zu Demonstrationszwecken in grösstem Eile
und deshalb ohne Sorgfalt zusammengebauter Apparat
den Anforderungen der Praxis nicht standhält. Das
Gleiche gilt natürlich für den zugehörigen Brenner, nur noch
in erhöhtem Masse, weil schon geringe Unachtsamkeiten bei der 1
Zusammenstellung genügen, um ihn nicht sicher und dauernd
funktionstüchtig zu machen; jede nicht exakte Arbeit hierbei
wird das tadellose Funktionieren des Brenners und damit den
ganzen Desinfektionsakt in Frage stellen. Deshalb soll auch jeder
Brenner, bevor er aus der Werkstätte herauskommt, geprüft
werden; ist er sorgfältig zusammengestellt und funktioniert er
bei der Prüfung gut, so bleibt er es auch in der Praxis, wie die
gleichen Brenner es seit ihrem mehr als einjährigen täglichen Ge¬
brauch in der hiesigen Heilstätte tun. Der Brenner des nach
Marburg gelieferten Apparates ist aber auch der Kürze der Zeit
wegen nicht geprüft worden, er sollte ja nur „demonstriert“
werden; also ist auch das von Werner monierte nicht richtige*
Funktionieren des Brenners nur zu erklärlich. Haben danach im
vorliegenden Fall die Defekte lediglich die Bedeutung einer be-'
greiflichen und sogar entschuldbaren Zufälligkeit, so ist die von
Werner immer wieder beliebte Verallgemeinerung ungerecht«
fertigt. Ich möchte als Gegenstück die Tatsache anführen, dass
nach dem Bücherausweis des Medizinischen Warenhauses nicht
weniger als 16 Gemeinden, Kreisausschüsse und Krankenhäuser
ein oder mehrere Exemplare meines Apparates nachbestellt
haben, nachdem sie den zuerst bezogenen Probe¬
apparat monatelang in Gebrauch gehabt hatten. Die
gelieferten Apparate müssen sich doch also in allen diesen Fällen
praktisch in jeder Hinsicht bewährt haben. Auch mein Spezial
kollege Kremser hat sich neulich gelegentlich des Pariser
Tuberkulosekongresses ausserordentlich günstig über den Apparat
ausgesprochen, der trotz ungemein starker Inanspruchnahme in
der Sülzhayner Heilstätte und in Kremsers Privatsanatorium'
in keiner Hinsicht versagt hat; meine ausdrückliche Frage nach
irgendwelchen Defekten wurde mit aller Bestimmtheit verneint.
Ich möchte aber auch nicht verschweigen, dass der Melsunger
Desinfektor bei einer ganzen Anzahl von Desinfektionen mit
meinem Apparate einmal eine Lockerung des Schraubenstttcket
746 Dr. Boepke: Erwiderung auf vorstehenden Artikel Werners:
der Ausströmungsdüse beobachtet hat, die von ihm selbst ohne
Schwierigkeit beseitigt wurde.*) Selbst zugegeben also, dass dem
Apparate, wie jedem neuen Gegenstand, Kinderkrankheiten
anhafteten, die nur durch die Erfahrungen im praktische n
Gebrauch erkannt und danach beseitigt werden
konnten, so wird doch jetzt jeder Fachmann durch die folgen¬
den Hinweise von der absoluten Haltbarkeit und Feuer¬
festigkeit meines Formalinkessel überzeugt sein müssen: Der
Kessel ist aus starkem Kupferblech gestanzt, der Kupferdeckel
aufgefalzt ohne Lötung, die Schraubenstticke der Ausströmungs-
dttse und der Einfüllöffnung sind an dem Kupferdeckel ohne Lot
befestigt und unter dem Kupferdeckel umgelegt, so dass
der Kupferde ekel in die Schraubenstti cke dicht hin ein¬
greift. Um auch ein Defektwerden der Nietungen und Schar¬
niere an den Klappfüssen des Kessels und jedes Undichtwerden
am Boden des Kessels auszuschliessen, wird Apparat und Klapp-
fussgestell gesondert in zwei Stücken hergestellt, die aber fest
ineinanderpassen, so dass der Transport zusammen mit dem in
gleicher Weise getrennt angefertigten Ammoniakentwickler in der
Segeltuchtasche unverändert bleibt. Zum Ueberfluss verweise ich
noch auf die heute von meinem I. Assistenten Dr. Huhs experi¬
mentell festgestellte Dauerhaftigkeit des Kessels hin: Der Kessel
wurde für 8 Versuche mit je 100 ccm Wasser gefüllt und blieb,
nachdem das Wasser verdampft war, das erste Mal eine halbe
Stunde, das zweite Mal eine ganze Stunde und das dritte Mal
vollle 2V* Stunden in trocknem Zustande der vollen
Heizkrait des Brenners ausgesetzt; der Kessel war fort¬
dauernd so glühend, dass er das bekannte Leiden fr ostsche
Phänomen zeigte; trotzdem war bei eingehendster Besich¬
tigung nicht die geringste Beschädigung, Loslötung,
Abschmelzung oder dergl. zu konstatieren. Das, meine ich, genügt!
Ich komme schliesslich noch zu den Wern er sehen Resul¬
taten. Dass dieselben nicht als einwandfrei gelten können, ist
zunächst nicht die Schuld Werners, der wohl jetzt nach Kennt¬
nis der Sachlage selbst Bedenken tragen würde, das mit einem
lediglich zu Demonstrationszwecken in grösster Eile und ohne
Sorgfalt zusammeDgebauten Apparat gewonnene Resultat zu ver¬
allgemeinern. Der tatsächlich schon bei den ersten Versuchen
nicht richtig funktionierende Brenner musste hinsichtlich der Art
und Zeit der Verdampfung des Formalinwassers falsche Werte
schaffen.
Der zweite und noch gewichtigere Einwand gegen die Rich¬
tigkeit der Resultate beruht aber auf der Versuchsanordnung, in¬
dem Werner das mit dem Breslauer Apparat entwickelte
Formaldehyd 7 Stunden, das mit meinem Apparat ent-
0 Eine ähnlich winzige Lockerung habe ich übrigens auch am
Bande des Boi eschen Formalinkessels beobachtet, der ich aber heute eben¬
so wie früher keine Bedeutung beimesse, weil so etwas immer einmal Vor¬
kommen kann.
Nochmals die Aasrüstung usw. 747
wickelte nur 5Stunden, also volle 2 Stunden weniger,
auf die Testobjekte einwirken liess. Werner betont, dass er
unter genau gleichen Versuchsbedingungen beide Methoden — die
Breslauer und die Roepkesche auf ihre Leistungsfähigkeit hin
geprüft hat. Ich kenne aber keine Roepkesche „Methode“, und
ich bin tatsächlich auch nicht so „kühn“, mich als Begründer einer
besonderen „Methode“ zu gerieren, wo ich meines Wissens nichts
anderes getan habe, als zur Durchführung der von Flügge in¬
augurierten Desinfektionsmethode mittels flüssigen Formalins, der
sog. „Breslauer Methode“, einen Apparat konstruiert zu haben.
Die Ueberschrift des Wern er sehen Artikels spricht bezeichnender¬
weise nur von dem „Breslauer oder Röpke sehen Apparat“,
und die ganzen Ausführungen Werners von Anfang bis zum
Ende drehen sich auch nur um die beiden „Apparate“, welcher
von beiden leistungsfähiger ist. Da konnte und musste sich
Werner selbst sagen, dass, wenn er für den Vergleich den
Breslauer Apparat 7 und den meinigen nur 5 Stunden arbeiten
bezw. die entwickelten Formaldebyddämpfe in dem ersten Fall 7,
in dem zweiten nur 5 Stunden einwirken lässt, er nicht um einen
Deut sachlicher handelt, wie derjenige, der, um die Leistungs¬
fähigkeit zweier Dynamomaschinen am Amperemeter festzustellen,
die eine 7 Stunden, die andere nur 5 Stunden laufen lässt. Zu¬
dem wusste Werner doch, dass ich die Dauer des Desinfektions¬
aktes auch für meinen Apparat auf 7 Stunden heraufgesetzt hatte.
Sapienti sat!
Wenn trotz alledem — trotz der zufällig nicht ein wands¬
freien Beschaffenheit des Apparates und trotz seiner durch Werner
willkürlich herabgesetzten Einwirkungsdauer — die Abtötung
der Staphylokokken - Testobjekte 70—100 °/ 0 , die der Milzbrand-
Testobjekte 0—42 °/ 0 betrug, so charakterisieren diese immerhin
günstigen Zahlen am besten den von Werner am Schlüsse seiner
Ausführungen gewählten Vergleich als das, was er ist — eine
geschmackvolle Uebertreibung.
Mir liegt es fern, den Ausführungen Werners anders als
sachlich entgegenzutreten. Letzteres ist, glaube ich, das gute
Recht des Vaters, der einem in die Welt gesetzten Kinde seinen
ehrlichen Namen gibt. Wenn man aber bei Werner z. B. lesen
muss: „. . . wobei auch der Roepkesche Kessel, wie mich schon
mein erster Versuch lehrte, defekt zu werden pflegt...“, so
ist das eine logische Entgleisung. Und wenn Werner an anderer
Stelle, um die von Huhs mit meinem Apparate ausgeführten
Desinfektionsversuche zu diskreditieren, wohl die benutzten, an¬
geblich leicht abzutötenden Streptokokken- und Staphylokokken-
Testobjekte erwähnt, aber verschweigt, dass bei den Versuchen
auch Tuberkelbazilien in dünner Sputumschicht in
allen Fällen abgetötet worden sind, so ist das erst recht —
auffallend. Und das ist das unangenehmste am Federkrieg: Es
geht die Fühlung verloren zwischen denjenigen, die von Haus aus
von den besten Absichten beseelt demselben Zweck dienen wollen.
Darum bescheide ich mich, hinfort zu schweigen und die Ent-
748 Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
Scheidung der Zakunft, der praktischen Erfahrung zu über¬
laden.
111
Mit diesen beiden Erwiderungen ist fftr die Redaktion die
Angelegenheit erledigt. Rpd.
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
Bakteriologie, Infektionskrankheiten und öffentliches
Sanitätswesen. . .
Unter Bezug auf das in Nr. 14 dieser Zeitschrift gebrachte Referat über
einen von Dr. B. Otto und B. Tolmacz aus dein Proskauer pomologischen
Institut verfaßten, in der Zeitschrift für Untersuchung 4 er Nahrungs* und
Genußmittel Band 9, Heft 5, Seite 267 und ff. veröffentlichten Artikel „Unter¬
suchungen alkoholfreier Getränke“ erhalten wir von dem Vertreter der
Firma H. Lampe & Co. Worms folgende
Berichtigung.
„In Nr. 14 der „Zeitschrift für Medizinalbeamte“ ist unter dqr Ueber-
schrift: „Untersuchungen alkoholfreier Getränke“ ein Referat erschienen,, das
sieh unter Bezugnahme auf eine von Dr. Otto und B. Tolmacz veröffentlichte
Abhandlung über den Wert und die Zusammensetzung von alkoholfreien Ge¬
tränken ausläßt, hierbei auch des alkoholfreien Traubensaftes der Firma
H. Lampe & Co. zu Worms Erwähnung tut und diesen als ein „Kunstprodukt
aus Dörrobst“ bezeichnet. Dieser Ausdruck entspricht in keiner Weise 4hU
Tatsachen. Die von der Firma H. Lampe & Co. hergestellten Weinmoste
sind weder ein Kunstprodukt, noch aus Dörrobst zubereitet, dieselben sind
vielmehr aus naturreinen und frischen Traubensäften hergestellt. Auch hat
Dr. Otto in der oben erwähnten Abhandlung, wie er selbst in einem Schreiben
an die Firma H. Lampe & Co. versichert hat, niemals die La mp eschen Pro¬
dukte mit der Bezeichnung „Kunstprodukt aus Dörrobst“ belegt, so daß die
Bezugnahme auf die Abhandlung von Dr. Otto unrichtig ist. Dr. Otto hat
der Firma gegenüber selbst die Naturreinheit ihrer Traubensäfte schriftlich
anerkannt.
Berlin, den 1. November 1905.
Dr. JuL Lubszjnski, Rechtsanwalt,
als Bevollmächtigter der Firma Lampe & Co.“
Auf Grund des Preßgesetzes sind wir verpflichtet, obige Berichtigung auf
Verlangen der Firma H. Lampe & Co. abzudrucken, da sie den Form¬
vorschriften dieses Gesetzes entspricht. Damit aber die Leser der Zeitschrift
selbst beurteilen können, ob die in der Berichtigung aufgcstellten Behauptungen,,
soweit sie das Szymannskische Referat über die obengenannte Abhandlung
betreffen, tatsächlich richtig sind, bringen wir nachstehend ein Antwortschreiben
zum Abdruck, das einer der Verfasser dieser Abhandlung, H. Dr. Otto, an
den Schriftleiter des „Korrespondenzblattes der ärztlichen Kreis- und Bezirks¬
vereine im Königreich Sachsen“, H. San.-Rat Dr. Schneider-Zittau, der jenen
um Aufklärung gebeten hatte, gerichtet hat und von diesem in Nr. 21 des
Korrespondenzblattes (vom 2. Nov. d. J.) veröffentlicht ist. Es heißt hier
wörtlich: . , .
„Hr. Dr. 011 o schreibt uns denn auch hierzu unter dem 22. Oktober 1905
wörtlich folgendes:
„Es handelt sich hier tatsächlich um ganz verschieden benannte
Sorten des Lampeschen alkoholfreien Traubensaftes, die von uns zu ganz ver¬
schiedenen Zeilen untersucht sind.
Das in Ihrem Blatte und in unserer Originalarbeit zitierte und von
uns am 27. XI. 1903 untersuchte Lampesche Produkt war tatsächlich sehr
minderwertig , so dass wir in unserer Originalarbeit zu folgendem Schluss ge¬
kommen sind, der in den Heferaten fast nie richtig wiedergegeben wird. Wir
haben S. 274 folgendes wörtlich gesagt:
„Nr. VIII. Alkoholfreier Traubensaft (Weisswein) von
Besprechungen.
749
H. Lampe db Co. in Worms stellt sich durch seine auffallende Abwesenheit
ton ' Fruchtgertich, durch den Karamelgeruch nach Dörrobst, den nicht an¬
genehmen Qeschmacic und durch den im Verhältnis zum Zucker- sehr hohen
Säuregehalt als ein Erzeugnis dar, das mit Traubensaft w ah r scheint ich
sehr wenig gemeinsam hat, vielmehr ein Kunstprodukt und keinen Natur¬
saft darstellt. Der Alkohol wurde zu 0,37 g in 100 ccm gefunden“
So wörtlich bei uns. — Das war also tatsächlich, wie auch die Analysen¬
daten zeigen, ein ganz minderwertiges Produkt.
Nun haben wir vor ca. acht Wochen ganz andere Produkte der
Firma mit ganz anderen Bezeichnungen untersucht (die Analysen sind
von uns noch nicht veröffentlicht), welche allerdings ergeben haben, dass die
jetzt von uns untersuchten Weinmoste (Riessling, Burgunder, Liebfrauenmilch ,
Tokayer, Weiss) einwandfrei und naturrein sind und die in Ihrem Briefe
näher bezeichneten Eigenschaften besitzen. *)
Es ist eben das früher von uns untersuchte (27. XL 1903) und in der
Arbeit angeführte ein ganz anderes Produkt gewesen , wie auch schon aus der
verschiedenen Bezeichnung hervorgeht, als die jetzigen, gegen welche tatsächlich
nichts einzuwenden ist.
Hochachtungsvoll ergebenst
Dr. R. Otto ,
Leiter der ehern. Abt. der Versuchsstation. a
Der Inhalt dieses Schreibens wird nach unserer Ansicht mehr als ge¬
nügen, um beurteilen zu können, ob seitens unseres Beferenten über die toe-
treffende Abhandlung zutreffend referiert ist, oder nicht. Wir brauchen des¬
halb gar nichts mehr hinzuzufügen und überlassen die weitere Beurteilung der
Sache ruhig den Lesern unserer Zeitschrift. Die Bedaktion.
Besprechungen.
Profi Dr. Dhlenhut: Das biologische Verfahren aur Erkennung
und Üntereoheidung von Menschen- und Tierblut, sowie andere#
Elweisssubatansen und seine Anwendung in der forensisohen
Praxis. Aasgewählte Sammlung von Arbeiten nnd Gatachten. Verlag von
Gustav Fischer in Jena. 1905. Preis: 3 Mark.
Die biologische Methode zur Differenzierung verschiedener Blatarten von
einander hat sich seit ihrer Einführung in die gerichtsärztliche Praxis nicht
nur als zuverlässig bei richtiger Anwendung nnd Beurteilung, sondern auch
als unentbehrlich für den gerichtlichen Sachverständigen erwiesen. Freilich
weiß gerade der erfahrene Praktiker, welcher die Methode beherrscht, daß sie
in der Hand des Ungeübten die Quelle von Fehlschlüssen werden kann und
daß nur eigene praktische Uebnng die für die Beurteilung vor Gericht not¬
wendige Sicherheit gewährleistet. Wenn also auch, wie immer wieder betont
werden muß, die Ausführnng derartiger forenser Blutuntersuchungen in ge¬
eignete Institute, in erster Linie in die gerichtlich-medizinischen Institute
gehört, so wird doch auch der Qerichtsarzt ihre Prinzipien kennen and in der
Lage sein müssen, ihren Wert im konkreten Falle vor Gericht beurteilen zu
können. Diesem Zweck dient das vorliegende Büchlein in vortrefflicher Weise.
Es enthält eine Zusammenstellung aller Originalarbeiten des Verfassers und
literarische Hinweise auf alle in Betracht kommenden Arbeiten anderer Autoren.
Am Schloß sind als Musterbeispiele 16 Gutachten aus der eigenen Praxis des
Verfassers angefügt. Mit Rücksicht auf den historischen Entwickelnngsgang
der Methode ist nicht die Form der monographischen Darstellung, welche uns
für die Orientierung und Uebersichtlichkeit förderlicher za sein scheint, gewählt
worden, sondern die einfache Aneinanderreihung der verschiedenen Arbeiten.
Prof. Ziemke-Halle.
*) i e. die Eigenschaften, wie sie in der obigen von Rechtsanwalt Dr*
jur. Lubszynski-Berlin uns übersandten „Berichtigung“ angegeben sind
und wie sie danach in unserem Briefe an Dr. Otto wiedergegeben waren.
Schriftltg.
(des sächsischen Korrespondenzblatts).
750
Besprechungen.
Dr. Brenneoke, S&nitätsrat in Magdeburg: Reform des Hebammen-
wesens oder Reform der geburtshilflichen Ordnung? Ein Beitrag
zur Kritik der im Königreich Preußen geplanten gesetzlichen Neuregelung
des Hebammenwesens. Magdeburg 1904. Verlag der F aber sehen Buch¬
druckerei.
Die vorliegende Arbeit Brenneckes ist weit mehr als nur ein kriti¬
scher Beitrag zu obigem Thema, sie ist eine Zusammenfassung alles dessen,
was ihm von den zahlreichen und mannigfachen Beformgedanken und Reform-
Vorschlägen der letzten Jahrzehnte auf diesem Gebiete als lebens- und ent¬
wickelungsfähig erscheint, verarbeitet zu einer bis ins einzelne ausgebauten
geburtshilflichen Ordnung. Das wichtigste und aktuelle daran ist das Vorwort,
schon mehr eine Einleitung zu den nachfolgenden vier Abhandlungen und eine
Apologie derselben in prägnantester Form, damit aber zugleich eine Kritik der
Wege, die man im Kultusministerium einzuschlagen im Begriff steht. Die
Abhandlungen selbst, ältere Arbeiten des Verfassers, sollen gewissermaßen die
Bausteine für den vom Verfasser ersehnten Einheitsbau einer geburtshilflichen
Ordnung bilden und sind bestimmt, seine ablehnende Kritik näher zu be¬
gründen. Die ersten beiden vom Verfasser in den Jahren 1901 und 1903 dem
Ministerium überreichten Denkschriften behandeln die Hebammenreform und
die Neubearbeitung des Hebammenlehrbuches. Dann folgt ein Vortrag aus
dem Jahre 1898 über die Stellung der geburtshilflichen Lehranstalten gegen¬
über den Wöchnerinnenasylen im Organismus der Geburts- und Wochenbetts¬
hygiene, und ein im Verein für öffentliche Gesundheitspflege zu Kiel im Jahre
1896 erstattetes Referat „Das Ziel der sozialen Entwickelung auf geburtshilf¬
lichem Gebiete: — Die Errichtung von Heimstätten für Wöchnerinnen“. Den
Schluß bilden statistische Nachweise und Tabellen über Wöchnerinnensterblich¬
keit und ein Anhang über die erfolgreiche Wirksamkeit des Wöchnerinnenasyls
in Magdeburg.
Wer sich also von dem derzeitigen Stande der RefoTmfrage sowohl auf
dem Gebiete des Hebammenwesens, als der Wöchnerinnenpflege in Preußen
näher unterrichten will, dem sei die Brennecke sehe Arbeit zu eingehendem
Studium angelegentlich empfohlen. Ob dann die Mehrzahl der Leser dem Ver¬
fasser in seinen weitgehenden Forderungen und namentlich in seiner Kritik der
geplanten gesetzlichen Neuregelung beiznstimmen in der Lage sein wird, erscheint
mir persönlich doch recht zweifelhaft. Dr. Steinkopff-Liebenwerda.
Dr. Julia* Fessler, Privatdozent: Taschenbuch der Krankenpflege.
Zweite Auflage. München 1905. Verlag von Seitz & Schauer.
Die nach Jahresfrist notwendige Neuauflage des Buches ist nach dom
neuesten Standpunkte der Wissenschaft durebgesehen und in einzelnen Kapiteln,
z. B. dem Kapitel XI der inneren Krankheiten, völlig neu bearbeitet worden.
Alle Kreise, welche sich für Krankenpflege in der Anstalt und im Hause
interessieren, auch Laien, finden in dem reichhaltigen Inhalt des Buches Be¬
lehrung und Anregung, Stoff zum Selbststudium, einen Leitfaden beim Anstalts¬
unterricht. Die Sprache ist klar und leichtverständlich. Zahlreiche, in der
Neuauflage vermehrte Abbildungen erleichtern das Verständnis. Der Verfasser
hatte Gelegenheit, als mehrjähriger Assistent am Krankenhause und in zwei
Feldzügen reiche Erfahrungen zu sammeln und für die verschiedensten Lebens¬
lagen praktisch zu verwerten. In seinem Buche ist vom Verfasser die Ein¬
teilung beibehalten worden, die bei den Unterrichtsstunden für Landeskranken¬
pflegerinnen und Samariter sich als die zweckmäßigste erwiesen hat.
Dr. Rump-Osnabrück.
Dr. Alfired Baur: Lehrbuch für den Samariterunterricht. Verlag
von Otto Nemnich. Wiesbaden 1904.
Ein gutes Buch, welches in anschaulicher und zum Unterrichte in den
Schulen wie zum Selbstunterrichte praktischen Weise die Samaritertätigkeit
behandelt, wie sie in Friedenszeiten bei plötzlichen Unglücksfällen und be¬
sonders im Kriege von der freiwilligen Krankenpflege aasgeübt wird. Es gibt
wenig Bücher, in welchen der umfangreiche Stoff, die einzelnen Unglücksfälle
und Verletzungen in so leicht verständlicher und übersichtlicher Form ge¬
schildert werden, und diese dabei stets im Zusammenhänge mit ihren physio¬
logischen Störungen erläutert werden, wie in dem vorliegenden. Der Tätigkeit
Tagesnachrichten.
751
des Samariters gibt der Verfasser dabei ganz bestimmte Direktiven. Das
Krankentransportwesen wird in eingehender Weise erläutert. Der Samariter
erhält eine Fülle von Anregungen zur Ausübung des Improvisationsverfahrens
beim Anlegen von Notverbänden, Lagerung und Fortschaffung der Verletzten.
Präzise begrenzt Verfasser die Samaritertätigkeit und warnt vor eigenmächtigen
Uebergriffen. Am Schlüsse enthält das Büchlein eine große Anzahl Tafeln
mit sehr anschaulichen Abbildungen, welche vom Tun und Treiben ein all¬
gemeines Bild geben und an der Hand des Textes zur gründlichen Weiter¬
bildung des Samariters trefflich geeignet sind. Dr. B um p- Osnabrück.
Dr. Fritz Brunner: Grundriss der Krankenpflege für den Unter¬
richt in den Diakonissenanstalten usw. Zweite Aufl. Mit 11 Fi¬
guren. Zürich 1905. Verlag von Schulthaß & Co.
Das Büchlein erläutert in kurzer und knapper Form alles Wesentliche,
was zur Ausübung der Krankenpflege seitens der Berufspflegerinnen und
Krankenschwestern, vorzüglich in Krankenanstalten, aber auch in privater
häuslicher Pflege wissenswert ist und zur Qrundlage dient. Es wird daher
hauptsächlich ein Leitfaden für den Unterricht für angehende Schwestern und
Pflegerinnen sein, jedoch auch ein geeignetes Nachschlagebuch und ein Rat¬
geber für Haus und Familie zur Orientierung über die wichtigsten Fragen der
Wohnungsbygicne, Diät und Krankenpflege in der Familie wie über das Ver¬
halten bei ansteckenden Krankheiten, plötzlichen Erkrankungs- und Unglücks¬
fällen. _ Dr. Bump-Osnabrück.
Br. Carl Kenne - Cassel: Handbuch der Tropenkrankhelten I. Band
mit 121 Abbildungen im Text und auf 9 Tafeln. Leipzig 1905. Verlag von
Joh. Ambrosius Barth. Gr. 8°. 354 8. Preis: 12 Mark, geb. 18,50 Mark.
Das vorliegende Buch stellt ein für den Studierenden und Forscher, wie
für den in den Kolonialländern tätigen Tropenarzt sehr wertvolles Sammelwerk
dar, dessen einzelne Abschnitte von Fachmännern geschrieben sind, die durch
wissenschaftliche Arbeit, eigene Beobachtung und praktische Tätigkeit mit dem
Stoffe vertraut sind. Die Einteilung des Stoffes ist nach Möglichkeit auf ätio¬
logischer Grundlage erfolgt. Der erste bisher erschienene Band bringt im
ersten Abschnitt eine von Privatdozent Dr. Alb. Plehn-Berlin verfaßte Ab¬
handlung über die tropischen Hautkrankheiten (Bildungsdefekte und Er¬
nährungsstörungen ; Entzündungen der Haut durch physikalische Einflüsse und
durch bakterielle Infektion; Pilzkrankheiten; Hautaffektionen als Ausdruck in¬
dividueller Idiosynkrasie und solche unbekannter Aetiologie). Hier schließt
sich an ein Abschnitt über die durch Würmer und Arthropoden (Glieder¬
füßler) hervorgerufenen Erkrankungen, bearbeitet von Prof. Dr. A. Loos-
Kairo. Dann folgt eine Abhandlung über Nerven- und Geisteskrank¬
heiten in den Tropen von P. C. J. van Brero-Lawang und hierauf das
wichtige Kapitel der tropischen Intoxikationskrankheiten, soweit
solche durch pflanzliche oder tierische Gifte hervorgerufen werden. Die Krank¬
heiten durch pflanzliche Gifte sind von Prof. Dr. Filippo Rho-Neapel, die¬
jenigen durch tierische Gifte von Prof. Dr. Calmette-Lille bearbeitet.
Es würde über den Rahmen eines einfachen Referates hinausgehen, wenn
auf den Inhalt der einzelnen Abhandlungen hier näher eingegangen würde;
dieselben sind in jeder Weise erschöpfend, dem neueren Stande der Wissenschaft
gemäß bearbeitet und dürften z. Z. den besten Ratgeber auf dem Gebiete der
Tropenkrunkheiten darstellen. Hoffentlich folgen die anderen Bände bald nach
und lassen in bezug auf ihren Inhalt ebensowenig zu wünschen übrig, als der erste
Band. Druck und Ausstattung des Werkes, insbesondere auch die demselben bei¬
gegebenen zahlreichen Abbildungen verdienen besondere Anerkennung. Rpd.
O. Lenken: Die Apothekengesetzgebung. Ein Leitfaden zur Vor¬
bereitung auf die pharmazeutischen Prüfungen. Berlin 1905. Selbstverlag
des Deutschen Apothekervereins. Gr. 8 °, 50 Seiten Text nebst ausführlichem
Inhaltsverzeichnis. Preis: 2 Mark.
Das kleine Büchelchen enthält in gedrängter aber übersichtlicher Form
die der Pharmazie betreffenden gesetzlichen Bestimmungen ihrem wichtigsten
Inhalte nach a und erfüllt den im Titel bezeichneten Zweck vollkommen. Außer
m
Tageanaeh richten.
Angaben über das Medizinaledikt, die revidierte Apotbekerordnnng, Betriebs¬
ordnung nsw. enthält ee auch die Tabellen der Verordnung über Abgabe stark
wirkender Arzneimittel, der Gift-Verordnung und den wichtigsten Inhalt des
Arzneibuches.
Auch für den Medisinalbeamten dürfte das Werkchen von Interesse und
praktischem Nutzen sein. __Dr. Räuber- Köslin.
Tagesnachrichten.
Beschränkung des Handels mit Lysol. Nach einer von der Tagespresse
gebrachten Mitteilung ist seitens der preußischen Regierung bei der Reicbs-
regierung der Antrag gestellt, Lysol in das Verzeichnis der Gifte einzureihen,
und damit für dessen Feilhalten und Verkauf die für die Gifte geltenden Vor¬
schriften Anwendung finden. _
Die 88. Plenarversammlung des Kßnlgl. Sächsischen LandesmedisinaJ-
hoUegiams findet am 20. November d. J. in Dresden statt. Auf der Tages¬
ordnung stehen folgende Anträge: 1. Einführung des Einzelkelches bei der
Abendmahlsfeier aus hygienischen und ästhetischen Gründen; 2. Erleichterung
und Beschleunigung der Beförderung von Arzneimitteln an Eisenbahnen: 3. Er¬
gänzung des § 86 Abs. 3 der Gewerbeordnung in der Weise, daß Personen,
deren Unzuverlässigkeit erwiesen ist, das gewerbsmäßige Behandeln von
Kranken verboten wird; 4. Forderung eines Befähigungsnachweises für alle die
Heilkunde gewerbsmäßig ausübenden Personen; 5. An- und Abmeldung der zu-
und wegziehenden Aerzte bei den Vorsitzenden der ärztlichen Bezirksvereiae;
6. Ausdehnung der ärztlichen Standes- und Ehrengerichtsordnung auch auf die
Stellvertreter von Aerzten während der Zeit ihrer Stellvertretung; 7. Zuziehung
von Vertretern des ärztlichen Standes bei den Beratungen über etwaige
Aenderungen der Krankenkassen-, Unfall- und Invalidenversicherungs - Gesetz¬
gebung; 9. Regelung darüber, welche Zivilärzte laut § 12, 2 der Aerzteordnung
einer staatlich geordneten Disziplinarbehörde unterstellt sind.
Im Großherzogtum Hessen ist unter dem 19. Juli d. J. eine neue
Dienstanweisung für Hebammen erlassen und nach dem Erlaß vom
24. August d. J. am 1. Oktober d. J. in Kraft getreten. Durch Erlaß vom
6. September d. J. ist ferner das neue preussische Hebammenlebrbuch
auch für den Unterricht bei den großherzogl. hessischen Lehranstalten eingeführt.
Cholera. Vom 22. Oktober bis 11. November sind keine Erkrankungen
und Todesfälle an Cholera zur amtlichen Kenntnis gelangt; da sich nachträg¬
lich 6 Erkrankungen und 1 Todesfall als nicht durch Cholera verursacht her-
ausgestellt haben, beträgt die Gesamtzahl 280 (89).
An epidemischer Genickstarre sind im Monat September d. J. in
Preußen 52 Personen erkrankt und 29 gestorben, davon entfallen 50 (20) auf
die Provinz Schlesien. Die Gesamtziffer seit Beginn der Epidemie stellt sich
somit auf 3402 (1909), davon 8057 (1737) in Schlesien und 847 (172) auf den
übrigen Staat; darans ergibt sich eine Sterblichkeit der Erkrankten von 56,6 °/„
für Schlesien von 66,8 °/o, für den übrigen Staat von 49,3 °/o.
Durch Urteil vom 2. November d. J. hat sich das preuß. Oberverwaltungs¬
gericht dem Urteil des Reichsgerichts vom 7. Juni 1899, wonach die Bestim¬
mungen der Reichsgewerbeordnung über die Stellvertretung (§ 45) auch auf
das Apothekergewerbe Anwendung finden, angeschlossen und demgemäß
entgegenstehendo landesgesetzliche Bestimmungen, z. B. § 41 der preußischen
Apothekenbetriebsordnung vom 18. Februar 1902, für rechtlich unzuläßig erklärt.
Der Apothekenvorstand ist demnach nicht verpflichtet, bei längerer Abwesen¬
heit oder Behinderung die Genehmigung zu seiner Stellvertretung bei der
Aufsichtsbehörde nachzusuchen, sondern es genügt die Bestellung eines appro¬
bierten Apothekers zu seinem Stellvertreter. Wir werden auf dieses Urteil
zurückkommen, sobald der Wortlaut desselben vorliegt.
Neu eingegangene Bücher.
753
Der Geschäftsausschuß des Deutschen Aerztevereins-
bundes hat in seiner Sitzung am 29. Oktober 1905 beschlossen, für den
nächstjährigen Aerztetag, der in Halle a./S. in der zweiten Hälfte des Juni
stattfinden soll, folgende Gegenstände in Aussicht zu nehmen:
1. Stellung der deutschen Aerzte zu Krankenkassen für nicht-
Tersicherungspflichtige Personen.
2. Bericht von der Krankenkommission über Forderungen und
Vorschläge der Aerzte zur Abänderung der deutschen Ar¬
beiterversicherungsgesetze.
3. Eventuell: Die Hygiene als obligatorischer Lehrgegen¬
stand.
Ueber die Anregung, die Spezialarztfrage auf die Tagesordnung
zu setzen, wurde die Beschlußfassung ausgesetzt.
Am 20. November d. J findet die Jahressitzung des preussischen
Apotheker-Kammer-Ausschusses in Breslau statt. Auf der Tagesordnung
stehen u. a. folgende Anträge: Verleihung des Umlagerechts an die Apotheker¬
kammern; Forderung des Reifezeugnisses eines Gymnasiums oder einer Real¬
schule als Vorbedingung zum Apothekerberufe; Aufnahme des Lysols in die
Tab. C. und Verbot seiner Abgabe im Handverkauf; Berechtigung, Damen
mit einer Auslassung gleich derjenigen der Diakonissen in Apotheken be¬
schäftigen zu dürfen; Abänderung der Bestimmungen über die Nachttaxe.
Neu eingegangene Bücher. 1 )
II. und III. Vierteljahr 1905.
Alexander, Dr. G., San.-Rat: Beitrag zur Revision des Deutschen Straf¬
gesetzbuches in Beziehung auf die Ausübung der Heilkunde, mit einem An¬
hang von Fritze, Dr. jur.: Zusammenstellung der für die Ausübung des
ärztlichen Berufes in Betracht kommenden Paragraphen des Strafgesetz¬
buches. Nach den Verhandlungen der Aerztekammer für die Provinz
Brandenburg und den Stadtkreis Berlin. Berlin 1905. Verlag von Putt¬
kammer u. Mühlbrecht. Gr. 4°; 46 S.
Avellis, Dr. Georg, Frankfurt a./M.: Verhandlungen der Deutschen La-
ryngologischen Gesellschaft. Würzburg 1905. Stübers Verlag. Gr. 8°.
65 S. Preis: 2 M.
Blumenfeld, Dr. Felix, Wiesbaden: Verhandlungen des Vereins süddeut¬
scher Laryngologen. Würzburg 1905. A. Stübers Verlag. Gr. 8°. 207 S.
Preis: 3 M.
Boit, Dr. Hans, Oberarzt: Einfache und sichere Identifizierung des Typhus¬
bacillus. Jena 1905. Verlag von Gustav Fischer. Gr. 8°. 48 S. Preis
geb.: 11 M.
Brauer, Prof. Dr. Ludw.: Beiträge zur Klinik der Tuberkulose. Band IV,
H. 2. (Arbeiten von v. d. Velden, Gidionsen, Moses, Gessner,
Höfler, Amrein). Würzburg 1905. A. Stübers Verlag. Gr. 8°.
Preis: 4,50 M.
Braun, Dr. med. Heinrieh, chir. Oberarzt am Diakonissenhaus und Dozent
an der Universität Leipzig: Die Lokalanästhesie, ihre wissenschaftlichen
Grundlagen und praktische Anwendung. Mit 127 Abbildungen. Leipzig
1905. Verlag von Joh. Ambr. Barth. Gr. 8°. 436 S. Preis: 10 M., geb.
11 M.
Cohn, Dr. Toby, Nervenarzt in Berlin: Die palpablen Gebiete des normalen
menschlichen Körpers und deren methodische Palpation. I. Teil: Obere
Extremität. Mit 21 Abbildungen. Berlin 1905. Verlag von S. Karger.
Gr. 8°. 216 S. Preis: 5 Mark.
v. Düring, Prof. Dr. E.: Prostitution und Geschlechtskrankheiten. Leipzig
1905. Verlag von Ambr. Barth. Gr. 8°. 48 S. Preis: 0,40 M.
Ebstein, Dr. W., Geh. Med.-Rat, o. Professor in Göttingen und Prof. Dr.
*) Eine Besprechung der die Leser der Zeitschrift interessierenden
Bücher bleibt Vorbehalten.
754
Neu eingegangene Bücher.
Schwalbe-Berlin: Handbuch der praktischen Medizin. II. Bd., 1. Hälfte.
Mit 33 Abbildungen. Stuttgart 1905. Verlag von Ferdinand Enke. Or. 8*.
480 S. Preis: 10 M.
Derselbe und Schreiber, Privatdozent in Göttingen: Jahresbericht über
die Fortschritte der inneren Medizin im In- und Auslande für 1901. Stutt¬
gart 1995. Verlag von Ferd. Enke. Heft 4 u. 6 je 150 Seiten; Gr. 8®.
Preis: 4 Mark pro Heft.
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Friedr. Guyßen in Gummersbach. Kl. 8°.
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F. W. Becker in Arnsberg. 1905. Kl. 8°. 20 S. Preis: 0,60 M.
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in der Beziehung zu den anderen Stoffwechselkrankheiten, der Zucker¬
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163 S.
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buchhandlung. Gr. 12°. 517 u. 1060 S. Preis: geb. 25 M.
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kulose. Kurze Belehrung, herausgegeben vom Deutschen Zentralkomitee
zur Errichtung von Heilstätten für Lungenkranke. Berlin 1905. Geschäfts¬
stelle: Berlin W. 9, Eichhornstraße 9. Kl. 8®. 24 S.
Frankel, C., Halle a./S.: Der Stand der Tuberkulose-Bekämpfung in
Deutschland. Denkschrilt, dem Internationalen Tuberkulose-Kongreß in
Paris 1905 vorgelegt vom Zentralkomitee zur Errichtung von Heilstätten
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Berlin W. 9, Eichhornstr. 9. Kl. 4°. 431 S.
Fürst, Dr. Moritz u. Wind sch ei d, Prof. Dr. F.: Handbuch der sozialen
Medizin. Jena 1905. Verlag von Gustav Fischer. IV. Band: Arbeiten
von J essen, Nonn e, Ritt er, N och t, II b er g. Gr. 8°. 478 S. Preis:
12 M. VI. Band: Der Gewerbearzt von Prof. Dr. Sommerfeld. Gr. 8°.
194 S. Preis: 5 M. VII. Band: Die ärztliche Ueberwachung der Prosti¬
tuierten von Prof. Dr. Bett mann. Gr. 8®. 200 S. Preis 7 M. VIII. Band,
erste Abt.: Der Arzt als Begutachter auf dem Gebiete der Unfall- und Inva¬
lidenversicherung von Prof. Dr. Windscheid. Gr. 8“. 204 S. Preis: 5 M.
Gesundheitswesen des Preußischen Staates im Jahre 1903,
bearbeitet von der Medizinalabteilung des Ministeriums. Berlin 1905. Ver¬
lag von Richard Schoctz. Gr. 8°. 490 S. Preis: 14 M., für die Medi¬
zinalbeamten : 7 M.
Goldscheider, Geh. Med.-Rat, Prof. Dr. in Berlin: Hygiene des Herzens.
Veröffentlichungen des Deutschen Vereins für Volkshygiene. München und
Berlin 1905. Druck und Verlag von R. Oldenbourg. Kl. 8°. 48 S. Preis:
30 Pf. das Einzclheft.
Gr ahn, E., Ingenieur: Die Gerichtsverhandlungen über die Gelsenkirchener
Typhusepidemie im Jahre 1901. Berlin 1905. Verlag von R. Olden-
b o u r g. Gr. 8 °. 79 S. Preis: 3 M.
Grashey, Dr. Adolf: Atlas typischer Röntgenbilder vom normalen Men¬
schen. Kl. 4®. 92 S. München 1905. Lehmanns Verlag. Preis: 16 M.
Grotjahn, Dr. med. A. und Kriegei, Dr. phil. K.: Jahresbericht über die
Fortschritte und Leistungen auf dem Gebiete der sozialen Hygiene und De¬
mographie. IV. Band: Bericht über das Jahr 1904. Jena 1905. Verlag von
Gustav Fischer. Gr. 8®. 434 S. Preis: 11 M.
Grube, Dr. H. : Der vordere Scheidcnleibschnitt, seine Technik und Indi¬
kation. 1905. Kl. 8°. 52 S. Preis: 3 M.
Günther. Carl, Rechtsanwalt bei dem Königlichen Landgericht in Arnsberg:
Strafrecht und die gesetzliche Berücksichtigung der geistig Minderwertigen.
Berlin und Leipzig 1905. Verlag von Georg Wattenbach. II. Aufl.
Kl. 8®. 55 S. Preis; 2 M.
Heilbronner, Dr. Karl, o. Professor der Psychiatrie an der Universität
Utrecht: Die strafrechtliche Begutachtung der Trinker. Halle a./S. 1905.
Verlag von Carl Marhold. Kl. 8°. 141 S. Preis: 3 M.
Hölscher, Dr., Stabsarzt: Die otogenen Erkrankungen der Hirnhäute. Halle
a./S. 1905. Verlag von C. Marhold. Kl. 8®. 108 S. Preis: 3,00 M.
Nou eingeg&ngene Bücher.
755
Hoffmann, Dr. med. W., Stabsarzt and Assistent an den hygienischsn In-
. stitaten der Universität Berlin: Leitfaden der Desinfektion für Desinfek¬
toren, Verwaltangsbeamte, Tierärzte and Aerzte. Mit 105 Abbildungen im
Text. Leipzig 1905. Verlag von Job. Ambr. Barth. Kl. 8°. 138 S.
Preis: 2 M.
Jahresbericht, neunter, über den öffentlichen Gesundheits¬
zustand und die Verwaltung der Öffentlichen Gesundheits¬
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vom Gesundheitsrate. 1905. Verlag von G. Winter in Bremen.
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Geisteskranke, Schwachsinnige und Epileptische auf das
Jahr 1903. Sonderabdruck aus dem Medizinalbericht von Württemberg
für das Jahr 1903. Herausgegeben von dem Königl. Medizinalkollegium.
Stuttgart 1905. Druck von H. Kohlhammer. Gr. 8°. 62 S.
Joseph, Dr. M., Berlin: Dermato - histologische Technik. Berlin 1905.
L. Marcus, Verlagsbuchhandlung. Kl. 8°. 152 S. Preis: 3 M.
Juristisch-psychiatrische Grenzfragen. Zwanglose Abhandlungen.
Halle a./S. Verlag von C. Mar hold. II. Band, Heft 6: Die Reform des
Strafprozesses von Prof. Dr. Mittermaier-Gießen und die Forschungen
zur Psychologie der Aussage von Prof. Dr. Sommerfeld-Gießen. Kl. 8°.
71 S. Preis: 1,20 M. — II. Band, Heft 7 u. 8: Geistesschwäche als Entmün¬
digungsgrund. Zwei Vorträge von Dr. Cam er e r und Oberlandesgerichtsrat
Landauer. Kl. 8°. 44 8. Preis: 1,20 M. — III. Band, 1.—3. Heft: Das
Geständnis in Strafsachen von Dr. jur. Lohsing. KL 8°. 148 S. Preis:
2,50 M. — III. Band, Heft 4: Die Gemeingefährlichkeit vom ärztlichen Stand¬
punkte aus von Prof. Dr. A. Cramer. Kl. 8°. 17 Seiten. Preis: 0,50 M.
— III. Band, Heft 5: Ueber die unverbesserlichen Gewohnheitsverbrecher
und die Mittel der Fürsorge zu ihrer Bekämpfung von Dr. E. Siefert.
Kl. 8°. 26 S. Preis: 0,80 M.
Keidel, J., Kgl. Bezirksamtmann: Die Handhabung der MedizinalpolizeL
Für den Gebrauch der bayerischen Polizeibehörden und Gerichte, der Aerzte
und Apotheker. Ansbach 1905. Verlag von C. Brügel& Sohn. Kl. 8°. 530 S.
Preis: 6,50 M.
Kirschstein, Dr. Fritz: Aerzte, Krankenkassen und Leipziger Verband.
Berlin 1905. Verlag von Hermann Walther. BLL 8°. 64 S. Preis:
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Klinisches Jahrbuch: Ueber Erfolge der Sauerstofftherapie unter be¬
sonderer Berücksichtigung der in den Gewerbebetrieben gewonnenen Er¬
fahrungen bei gewerblichen Vergiftungen von H. Brat. Gr. 8°. 16 S.
Preis: 0,76 M. Beiträge zur Typhusforschung von Borntraeger, Lontz,
Tietz, Seige, Vageder. Jena 1905. Verlag von Gustav Fischer.
Gr. 8°. 92 S. Preis: 3 M.
Ko ekel, Prof. Dr. E.: Das Institut für gerichtliche Medizin der Universität
Leipzig. Festschrift. Leipzig 1905. Gebhardts Verlag. Gr. 8°. 98 S.
Meyers Großes Konversationslexikon. Sechste gänzlich neube-
arbeitete und vermehrte Auflage. Verlag des Bibliographischen Instituts
in Leipzig und Wien. 1905. Band X und XI. Preis in Halbleder geb.:
Jeder Band 10 M.
Mittelhäuser, Dr. E.: Unfall und Nervenerkrankung. Halle a./S 1905.
Verlag von C. Marhold. KL 8°. 84 S. Preis: 1,80 M.
M. K. G.: Städtische Lusthäuser mit einem Vorwort von Prof. Dr. C. Frankel.
Leipzig 1905. Verlag von Ambrosius Barth. Kl. 8°. 35 S. Preis: 0,40 M.
MöbiuB, Dr. P.: Die Geschlechter der Kinder. I. Teil. Halle a./S. 1905.
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Me nmann, Dr. Wladyslaw, prakt. Arzt in Neuenburg: Weiteres über die
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Barth. Gr. 12 °. 42 S. Preis: 1 M.
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766
jNeu eingegangene Bücher.
in den Weltpolizen der Lebensversicherungs - Gesellschaften. Veröffent¬
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Berlin 1905. Verlag von E. S. Mittler & Sohn. Kl. 4°. 82 S.
Peiper, Prof. Dr. E.: Der Arzt. Einführung in die ärztlichen Berufs- und
Standesfragen. Wiesbaden 1905. Verlag von J. P. Bergmann. KL 4°.
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Plaszek, Dr. G.: Geschichte der gerichtlichen Medizin. Jena 1905. Verlag
von Gustav Fischer. Gr. 8°. 62 S.
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Bekämpfung des Abdominaltyphus in Württemberg. Sonderabdruck aus
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arzt in Wien: Gcrichtsärztlicho Diagnostik und Technik. Mit 7 Figuren.
Leipzig 1905. Verlag von S. Hirzel. Gr. 8°. 304 S. Preis: 7 M., geb.
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Böpke, Dr. med. Friedrich, Ohren-, Nasen- und Halsarzt in Solingen: Die
Verletzungen der Nase und deren Nebenhöhlen nebst Anleitung zur Begut¬
achtung ihrer Folgezustände. Wiesbaden 1905. Verlag von J. F. Berg¬
mann. Gr. 8°. 135 S. Preis: 4,60 M.
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kologie, Direktor der Universität und Frauenklinik zu Göttingen: Der Krebs
der Gebärmutter. Ein Mahnwort an die Frauenwelt. Berlin 1905. Verlag
von Julius Springer. Kl. 8“. 22 S. Preis: 0,50 M.
Salzer, Dr. Fritz, Privatdozent an der Universität München: Leitfaden zum
Augenspicgelkurs. München 1905. J. F. Lehmanns Verlag. KL 8°. 107 S.
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Schlegel. Prof. Dr. M., Vorstand des Tierbygienischen Instituts der Uni¬
versität Freiburg i. Br.: Die Eotzbckämpfung und die Malieinprobe beim
Pferde. Stuttgart 1905. Verlag von Ferdinand Enke. Gr. 8°. 88 Seiten.
Preis: 2,40 M.
Schubert, Dr. Simon: Jüdische Aerzte und ihr Einfluß auf das Judentum.
Berlin - Leipzig 1905. Verlag von Singer & Co. Gr. 8°. 75 S. Preis:
1,50 M.
Stühlen, Dr. med. August, Königl. Kreisarzt in Gelsenkirchen: Leitfaden für
Krankenpfleger und Krankenpflegerinnen bei der Pflege von ansteckenden
Kranken in Krankenhäusern und in der Wohnung. Berlin 1905. Verlag von
Bichard S c h o e t z. Kl. 8 °. 65 S. Preis: 1,25 M.
Tuberkulose-Arbeiten aus dem Kaiserlichen Gesundheits¬
amte. 4. Auflage. Deutsche Heilstätten für Lungenkranke. Geschichtliche
und statistische Mitteilungen II. Berichterstatter: Dr. Hamei. Berlin
1905. Verlag von Julius Springer. Gr. 8°. 203 S. Preis: 12 M.
Voigt, Dr. Andreas, Professor, und Paul Geldner, Architekt: Kleinhaus
und Mietskaserne. Eine Untersuchung der Intensität der Bebauung vom
wirtschaftlichen und hygienischen Standpunkte. Berlin 1905. Verlag von
Julius Springer. Gr. 8°. 324 S. Preis: 7 M.
Wassermann, Prof. Dr. A. in Berlin: Die Bedeutung der Bakterien für die
Gesundheitspflege. Veröffentlichungen des Deutschen Vereins für Volks¬
hygiene. München und Berlin 1905. Verlag von E. Oldenbourg. KL 8°.
35 S. Preis: 30 Pfg.
Weber, Dr. H., Sanitätsrat: Die Heilung der Lungenschwindsucht durch
Beförderung der Kohlensäurebildung im Körper. Halle a./S. 1905. Verlag
von C. Mar hold. KL 8°. 55 S. Preis: 1 M.
Berichtigung:. In der Beilage Eechtsprechung zu Nr. 21 ist auf
S. 181 im § 1 des Gesetzes vom 28. August 1903, betreffend die Bekämpfung
übertragbarer Krankheiten „Bückfallfieber“ (Febris recurrens) irrtümlicher¬
weise nicht mit aufgeführt.
Verantwortl. Redakteur: Dr. Eapmund, Reg.-u. Geh. Med.-ßat in Minden i. W.
J. 0. C. Bruns, Herzogi. Sachs, u. F. Sch.-L. Hofbuchdrucker«! in Minden.
18. Jahrg.
Zeitschrift
1905.
f'ir
MEDIZINALBEAMTE.
Zentralblatt für gerichtliche Medizin nid Psychiatrie,
für ärztliche Sachverstandigentatigkcit in Unfall- und Invaliditatssachen, sowie
für Hygiene, offontL Sanitatswesen, Medizinal-Gesetzgebung und Rechtsprechung
Heraas gegeben
Ton
Dr. OTTO RAPMÜND,
Reglerungs- and Geh. Medizinalrat in Minden,
Verlag von Fiseher s mediz. Buchhandlg., H. Kornfeld,
HorzogL Bayer. Hof- u. Erzherzogi. Kammer-Biichhtocller.
Berlin W. 35, Lützowstr. 10.
Inaerate nehmen die Verlagshandlang sowie alle Annoncen-Expeditionen des In-
and Auslandes entgegen.
Nr. 23.
Enoheint am 1. und IS. jeden Monats
1. Dezbr.
Die Lebensproben, insbesondere die Magendarmprobe, in
den neuen preussischen Vorschriften für das Verfahren
der Gerichtsärzte bei den gerichtlichen Untersuchungen
menschlicher Leichen. 1 )
Von Geh. Med.-Rat Prof. Dr. E. Ungar-Bonn.
Die am 1. März d. J. an Stelle des Regulativs vom 6. Januar
bezw. 13. Februar 1875 getretenen neuen Vorschriften für das Ver¬
fahren der Gerichtsärzte bei den gerichtlichen Untersuchungen
menschlicher Leichen haben auch einige die Lebensproben be¬
treffende Veränderungen gebracht. Diese Aenderungen einer
Besprechung zu unterziehen und znzusehen, wie sich nunmehr
der Nachweis des Gelebthabens gestaltet, dürfte nicht ohne prak¬
tische Bedeutung sein.
Was zunächst die Lungenprobe anbelangt, so haben die alten,
vortrefflichen Vorschriften des Regulativs keine wesentlichen Aende¬
rungen erfahren. Neu ist nur, dass unter k des § 22 ausdrücklich
bestimmt wird, es sei beim Einschneiden in die Lungen auch auf
die Beschaffenheit des Gewebes, wie bei jeder anderen Leichen¬
öffnung zu achten.
Geblieben ist leider die Bestimmung (sub c), dass nach
Oeffnung der Brusthöhle schon die Farbe und Konsistenz der
Lungen za ermitteln ist. Der Umstand, dass es schon hier heisst,
„sowie die Farbe und Konsistenz der Lungen zu ermitteln“, kann
*) Nach einem in der Sitznng der Medizinalbearaten des Regierungs-
Bezirks Cöln gehaltenen Vortrage.
758
Dr. Ungar.
gar za leicht za einer Fehlerquelle werden. Farbe and Kon¬
sistenz der Langen lassen sich ja erst in genügender Weise fest¬
stellen, wenn die Langen aas der Brusthöhle heraasgenommen
sind. Nan schliesst freilich jene Bestimmung sab c. nicht aas,
dass die Obdazenten die Langen, nachdem sie aus dem Brustkorb
heraasgenommen sind, des genaueren auf Farbe and Konsistenz
prüfen, ja der erste Satz des § 22 der Vorschriften, welcher aus¬
drücklich verlangt, dass bei den Leichenöffnungen Neugeborener,
ausser der für diese Leichenöffnungen zu berücksichtigenden be¬
sonderen, auch die vorher angeführten allgemeinen Vorschriften za
beachten seien, sollte es, wie auch Orth 1 ) in seinen Erläute¬
rungen za den neuen Vorschriften betont, als selbstverständlich
erscheinen lassen, dass vor dem Einschneiden eine solche Prüfung
vorgenommen werde. Die Erfahrung lehrt aber, dass die Obdu¬
zenten dies gar zu häufig unterlassen, dass sie wenigstens, nach¬
dem sie einmal nach der Oeffnnng der Brusthöhle der Farbe und
Konsistenz der Lungen Erwähnung getan haben, nicht mehr auf
das diesbezügliche Verhalten der Lungen zurückkommen.*) Diese
Gefahr ist um so grösser, als man ja gar zu leicht geneigt ist, in
der Lungenprobe hauptsächlich eine Lungenschwimmprobe zu er¬
blicken und dieserhalb, indem man hauptsächlich Wert auf die
Ermittelung des spezifischen Gewichts der Lungen legt, die anderen
wichtigen Kriterien, welche uns die Lungenprobe an die Hand
gibt, gar zu leicht unberücksichtigt lässt.
Ais eine erfreuliche Errungenschaft ist es anzusehen, dass
die Magendarmprobe in den neuen Vorschriften Erwähnung ge¬
funden hat. Während das Regulativ die Magendarmprobe ganz
unberücksichtigt liess, enthalten die neuen Vorschriften wenigstens
die Bestimmung: „Bei negativem oder zweifelhaftem Resultat der
Lungenprobe kann die Magendarmprobe ergänzend herangezogen
werden.“
Mit dieser Bestimmung werden freilich auch die neuen Vor¬
schriften der Bedeutung der Magendarmprobe nicht gerecht. Zu¬
nächst heisst es hier: „kann die Magendarmprobe ergänzend
herangezogen werden“. Während die neuen Vorschriften sonst
bestimmte Weisungen erteilen, stellen sie es hier dem Ermessen
der Obduzenten anheim, ob sie die Magendarmprobe zur Er¬
gänzung heranziehen wollen. In diesem Sinne wird man wenigstens
zunächst den Ausdruck „kann“ auslegen. Dass mit jenem Satze
nur darauf hingewiesen werden soll, dass die Magendarmprobe
noch die gewünschte Auskunft geben könne, und es als selbst¬
verständlich angenommen wird, dass die Obduzenten diese Möglich-
*) Erläuterungen zu den Vorschriften für das Verfahren der Gerichts¬
ärzte bei den gerichtlichen Untersuchungen menschlicher Leichen. Berlin 1905.
Seite 51 und 52.
*) Es liegen mir zurzeit 14 dem Medizinal-Kollegium zur Revision Über¬
sandte Protokolle von Leichenöffnungen Neugeborener vor. In 5 derselben
geschieht der Farbe und Konsistenz der Lungen nach deren Herausnahme aus
dem Brustkorb nicht mehr Erwähnung, in 3 wird nur die Konsistenz berück¬
sichtigt, nur in 6 finden Farbe und Konsistenz nochmals Berücksichtigung.
Die Lebenaproben, insbesondere die Magendarmprobe, usw.
?69
keit nicht unbenutzt lassen, wäre ja möglich. Zweifellos wird
aber alsdann die Fassung des Satzes die Folge haben, dass ge¬
legentlich die Obduzenten doch der Meinung sind, es sei in ihr
Belieben gestellt, ob sie, selbst bei negativem oder zweifelhaftem
Resultat der Lungenprobe, die Magendarmprobe anstellen wollen.
Nun wissen wir doch alle, dass man bei den oft unter den
ungünstigsten Verhältnissen vorzunehmenden Leichenöffnungen gar
zu leicht bestrebt ist, die Obduktion möglichst rasch zu beendigen
und deshalb nicht immer geneigt ist, mehr zu tun als notwendig
erscheint.
Die Befürchtung, dass die Obduzenten selbst in Fällen,
in welchen die Lungenprobe im Stiche gelassen hat, sich der
Magendarmprobe nicht bedienen würden, hat sich mir schon als
nicht unbegründet erwiesen. Bei der Revision der Obduktions¬
protokolle eines benachbarten Regierungsbezirkes musste ich fest¬
stellen, dass bei zwei Leichenöffnungen Neugeborener die Magen¬
darmprobe, obschon die Lungenprobe negativ ausgefallen war,
keine Berücksichtigung gefunden hatte.
Indem die Vorschriften bestimmen, dass die Magendarmprobe
bei negativem oder zweifelhaftem Resultat der Lungenprobe heran¬
gezogen werde, lassen sie ausser acht, dass die Obduzenten bei
der Leichenöffnung nicht immer wissen können, ob das positive
Resultat der Lungenprobe die gewünschte Aufklärung wirklich
gibt, ob hierdurch wirklich der Nachweis geliefert wird, dass das
Kind gelebt hat.
Folgender Fall möge dies illustrieren: Die Lungenprobe
ergibt, dass die Lungen aufgebläht sind, wenn sich auch in beiden
Lungen, so namentlich im linken Unterlappen grössere luftleere
Stellen nachweisen lassen. Der Magen- und der AnfaDgsteil des
Dünndarms erweisen sich als gleichmässig gaserfüllt und schwimm¬
fähig. Auf Grund dieses Befundes spricht sich das vorläufige
Gutachten dahin aus, dass das Kind geatmet und folglich gelebt
habe. Durch die gerichtlichen Ermittelungen wird nun festgestellt,
dass von einer nach der Geburt des unehelichen Kindes herbei¬
geholten Hebamme Wiederbelebungsversuche durch Schultzesche
Schwingungen unternommen worden sind. Darauf hiu kann in
dem Ergebnis der Lungenprobe nicht mehr ein Beweis für das
Gelebthaben des Kindes erblickt werden. Wäre hier nicht trotz
des scheinbar positiven Ergebnisses der Lungenprobe die Magen¬
darmprobe vorgenommen und durch sie nicht nur ein Luftgehalt
des Magens, sondern auch des Darmes, welch letzterer ja, gemäss
der Untersuchungen von Sommer, 1 ) v. Hofmann,*) Runge, 8 )
Winter, 4 ) und Hann 5 ) nicht auf Schultzesche Schwingungen
zurftckgeführt werden kann, nachgewiesen worden, so hätte man
*) Vierteljahrsschrift für ger. Medizin etc; 1885, Bd. XLIII, S. 253.
*) Lehrbach der ger. Medizin; 9. Auflage, 8. 793.
■) Wiener med. Wochenschrift; 1885, Nr. 8.
4 ) Vierteljahrsschrift für ger. Medizin etc.; 1889, Bd. LI, S. 111.
*) Ueber die Magendarm-Schwimmprobe; Berliner Dissertation, 1889.
760
Dr. Ungar.
im begründeten Gutachten den Aussprach, dass das Kind gelebt
habe, zurückziehen müssen.
Die Auffassung, dass es genügt, die Magendarmprobe bei
negativem oder zweifelhaftem Resultate der Lungenprobe er¬
gänzend heranzuziehen, berücksichtigt aber vor allem nicht, dass
die Magendarmprobe, und nur sie allein, uns Auskunft zu geben
vermag über die Dauer eines kürzeren Lebens des Neugeborenen.
Hier lässt uns die Lungenprobe, wie ich früher 1 ) gezeigt habe,
völlig im Stich, oder gestattet höchstens gelegentlich einmal in
Verbindung mit anderen Feststellungen einen Wahrscheinlichkeits¬
schluss. Selbst völlig aufgeblähte Lungen beweisen nicht, dass
das Kind länger wie einige Augenblicke gelebt hat; anderseits
können die Lungen trotz stunden- ja tagelangen Lebens zum
grössten Teil luftleer angetroffen werden, ja, ihren Luftgehalt
wieder soweit verloren haben, dass die Lungenprobe völlig negativ
ausfällt. Auch keine der anderen Lebensproben, mit Ausnahme
der Magendarmprobe, vermag uns über die Dauer eines kurzen
Lebens Auskunft zu geben; sie können uns erst gewisse Anhalts¬
punkte bieten, wenn es sich um ein Leben von Stunden oder
Tagen handelt. Dies gilt auch von dem Verhalten des Ductus
Botalli, dessen Durchgängigkeit gemäss der neuen Vorschriften
(§23h) geprüft werden muss. Wie die neueren Untersuchungen
von Haberda 1 ) ergeben haben, ist der arteriöse Gang durch¬
schnittlich noch bis in die zweite Lebenswoche für eine mittlere
Sonde, bis zum Ende der dritten Woche für eine sehr feine Sonde
durchgängig. Hierzu kommt noch, dass ja der Ductus Botalli,
wenn auch nur ausnahmsweise, das ganze Leben hindurch per-
sistiert. So bleibt also zum Nachweis eines kürzeren Lebens nur
die Magendarmprobe; sie, richtig verwertet, vermag uns in der
Tat wertvolle Anhaltspunkte für die Beurteilung der Dauer des
Lebens zu geben. Dieser Bedeutung der Magendarmprobe gedenkt
auch Orth in seinen Erläuterungen. Es heisst dort Seite 52:
„Da auf die Dauer des Lebens nach der Geburt aus der Ver¬
breitung der Luft im Darmkanal ein gewisser Schluss gemacht
werden kann. . . .*
Zur richtigen Beurteilung dessen, was die Magendarmprobe
hier zu leisten vermag, muss man sich darüber klar sein, wie die
Luft in den Magendarmtraktus aufgenommen wird. Breslan,
der zuerst die Aufmerksamkeit auf die Entstehung und die Be¬
deutung der Darmgase beim neugeborenen Kinde lenkte, vertrat
die Ansicht, dass die Luft durch Verschlucken in den Magen ge¬
langte, welcher Anschauung auch jetzt Orth in seinen Erläute¬
rungen § 52 Ausdruck gibt. Nachdem zuerst Kehrer 8 ) diese
Auffassung bekämpft hatte, konnte ich den Nachweis liefern, dass
die Luftaufnahme in den Magen des Neugeborenen vermittels des
*) Ueber den Nachweis der Zeitdauer des Lebens der Neugeborenen.
Vierteljahrsschrift für ger. Medizin und öffentl. Sanitätswesen; 8. Folge, XIII., 1.
*) Die fötalen Kreislaufwege und ihre Veränderungen nach der Geburt.
Wien 1896.
*) Beiträge zur vergl. und experiro. Geburtskunde; 6. H., Gießen 1877.
Die Lebensproben, insbesondere die Hagendarmprobe, osw. 76L
bei der inspiratorischen Erweiterung des Thorax im Brnstteile
des Oesophagas eintretenden nnteratmosphftrischen Druckes be¬
wirkt wird, wobei ich jedoch keineswegs die Möglichkeit aus-
schloss, dass gelegentlich etwas Luft durch Verschlucken in den
Magen gelange, so namentlich, wie auch Kehrer betonte, die
kleinen von Schleim eingeschlossenen Luftbläschen.
Dadurch, dass die Luft vermittels der Atembewegungen in
den Magendarmtraktus gelangt, wird die Magendarmprobe auch
als eine Atemprobe charakterisiert, welche Stellung ihr übrigens
ja auch die neuen Vorschriften, indem sie sie in den die Ermitte¬
lung stattgehabter Atmung behandelnden § 23 aufgenommen haben,
einräumen.
Halten wir an der Erklärung, dass die Luft vermittels der
Atembewegungen in den Magendarmtraktus gelangt, fest, so wird
es uns verständlich, dass im grossen und ganzen ein direktes Ver¬
hältnis zwischen der Dauer des Gelebthabens und der Luft¬
erfüllung des Magens und Darmes besteht, während wir uns ein
solches Verhalten nicht erklären könnten, wenn die Luftfüllung
des Magens und Darmes von den mehr zufälligen Schluckakten
herrührte.
Ein so bestimmtes Verhältnis, wie es Breslau annahm,
können wir freilich heute nicht mehr anerkennen. Wohl dürfen
wir mit Breslau annehmen, dass, wenn der Magendarmtraktus
von oben herab bis zur Hälfte mit Luft gefüllt ist, der Tod des
Kindes nicht gleich nach den ersten Atemzügen erfolgte. Ja, wir
können noch weiter gehen und sagen, dass, wenn der Magen und
auch nur ein Teil des Dünndarmes so mit Luft aufgebläht sind,
dass sie bei der Schwimmprobe mit einem Teil die Oberfläche des
Wassers überragen, wir im allgemeinen annehmen können, dass
das Kind in der Lage gewesen sein müsse, eine Anzahl von Atem¬
zügen unter Umständen auszuführen, die den Zutritt der Luft zu
Mund- und Nasenöffnung gestatteten. Weder die einzelne inspi¬
ratorische Ausdehnung des Brustkorbes noch der einzelne Schluck¬
akt bringen so viel Luft in den Intestinaltraktus, dass durch einige
wenige dieser Aktionen Magen und ein Teil des Dünndarms stärker
aufgebläht würden. Wenn wir aber aus dem Ergebnis der Magen¬
darmprobe solche Schlussfolgerungen ziehen wollen, dürfen wir
die wichtige Beobachtung von Hofmanns 1 ) nicht ausser acht
lassen, dass sich in einzelnen Fällen, in denen die Lungen wegen
Verstopfung der Bronchien oder wegen Lebensschwäche fast voll¬
kommen atelektatisch geblieben waren, der Magen und der ganze
Dünndarm aufgebläht erwiesen, obgleich das Kind wenige Augen¬
blicke nach der Geburt gestorben war. Diese Beobachtungen,
welche sich dadurch erklären, dass in solchen Fällen behinderter
Luftatmung bei den inspiratorischen Erweiterungen des Brust¬
korbes um so mehr Luft in den Brustteil des Oesophagus auf¬
genommen werden kann, und sich so der Magen und Darm um so
rascher mit Luft erfüllen, lehren uns, dass eine stärkere Luft-
*) Lehrbuch der gerichtlichen Medizin; IX. Auflage, S. 806.
762
Dr. Ungar.
anaammlung im Magen and Darm nur dann einen Schloss auf ein
verhältnismässig längeres Gelebthaben gestattet, wenn aneh die
Langen genügend aufgebläht sind, nnd jeder Anhalt dafür fehlt,
dass die Luftaufnahme in die Lungen behindert gewesen sei.
Inwieweit die Annahme Breslans, ein Luftgehalt bis über
das Colon hinaus beweise, dass das Kind zum mindesten 12 Stunden
gelebt habe, berechtigt ist, müssen weitere Untersochongen er*
geben. Es liegen zu wenige einschlägige Untersuchungen vor,
um diesen Satz als zweifellos berechtigt anzuerkennen. Immerhin
würde ich, wiederum vorausgesetzt, dass Anhaltspunkte für eine
Behinderung der Luftaufnahme in die Lungen fehlen, auf Grund
eines solchen Befundes ein stundenlanges Leben des Kindes für
wahrscheinlich erklären.
Das Fehlen eines Luftgehaltes des Magens und Darmes oder
eine nur wenig vorgeschrittene Autblähung des Magendarmkanals
darf nicht ohne weiteres in dem Sinne ausgelegt werden, dass das
Kind nur wenige Augenblicke gelebt habe. Ganz abgesehen davon,
dass es ein Leben ohne Atmen gibt, müssen wir berücksichtigen,
dass der Magen nicht sofort nach der Geburt lufthaltig zu weiden
braucht, ja, dass derselbe noch völlig luftleer sein kann, wenn die
Lungen bereits aufgebläht sind. Man darf auch nicht ausser acht
lassen, dass, wie ich nachweisen konnte, die Luft in einem bereits
aufgeblähten Magen und Darm der Resorption verfallen kann. 1 )
Immerhin wird man aber nicht fehlgehen, wenn man bei luftleerem
oder kaum lufthaltigem Magendarmkanal ein längeres, ein viele
Minuten langes, kräftiges Leben bei unbehinderter Luftzufuhr für
wenig wahrscheinlich erklärt.
Zur Klarstellung der Bedeutung der Magendarmprobe bedarf
es noch der Besprechung zweier gegen die Beweiskraft dieser
Lebensprobe erhobenen Einwendungen. Zunächst ist dem Einwand
zu begegnen, dass ja auch eine intrauterine Luftaufnahme in den
Magendarmkanal erfolgen kann, ja, dass hierbei sogar, wie ein
von Winter 8 ) mitgeteilter Fall beweist, die Luft bis zum Colon
hin Vordringen kann. Ebensowenig wie aber die intrauterine
Luftaufnahme in die Lungen die Bedeutung der Lungenprobe
schmälern kann, verliert die Magendarmprobe dieserhalb an Wert,
da es sich in den Fällen, in denen eine intrauterine Luftaufnahme
erfolgen kann, nicht um heimliche Geburten und somit kaum je
um das Objekt einer gerichtlichen Leichenöffnung handelt.
Von grösserer Bedeutung ist der Ein wand, dass der Magen*
darmtraktus auch durch Fäulnis gashaltig und schwimmfähig
werden könne, und deshalb die Stichhaltigkeit der Magendarm*
probe anzuzweifeln sei. Dass sich im Magendarmtraktus schliess¬
lich auch Fäulnisgase entwickeln können, kann keinem Zweifel
unterliegen. Zugegeben muss auch werden, dass hierzu nicht,
wie Breslau meinte, stets ein hochgradig fauler Zustand des
Darmkanals gehört, dass sich vielmehr, wie zuerst Liman und
*) Vierteljahrsschrift für ger. Medizin; N. F., XLVI., 1,
4 ) Vierteljahrsschrift für gor. Med. etc.; Bd. LI, S. 103.
Die Lebensproben, insbesondere die Magend&rmprobe, usw. 768
Skrzeczka 1 * * ) nachgewiesen haben, schon in Leichen, welche
einigermassen in der Fäulnis vorgeschritten sind, im Magendarm-
traktus Fäulnisgase bilden können. Alsdann sind aber der Magen
und die angrenzenden Darmpartien nicht durch eine grössere, zu¬
sammenhängende Gasansammlung gleichmässig ausgedehnt, sondern
man trifft die Fäulnisgase nur in weniger umfangreichen und.
nicht zusammenhängenden, über den Darm zerstreuten Herden an;
der Magen erscheint nicht bis zur vollen Rundung und so auf¬
gebläht, dass er auf der Oberfläche des Wassers schwimmt.
Noch weiter sind Mittenzweig*) und Strassmann 8 )
gegangen, indem sie sich auf Grund je eines von ihnen beob¬
achteten Falles dahin aussprachen, dass auch in frischen Leichen
der Neugeborenen im Mageninhalt schon verhältnismässig früh¬
zeitig Verwesungsvorgänge auftreten und zu einer Gasbildung
innerhalb desselben führen könnten. Strassmann fugte zwar
hinzu, dass eine derartige Erscheinung gewiss selten sei, glaubte
sich aber dennoch berechtigt, die Stichhaltigkeit der Magendarm¬
probe zu verneinen. Dieser Anschauung, welche nicht ohne Ein¬
fluss auf das Schicksal der Magendarmprobe geblieben ist, bin ich
seinerzeit entgegengetreten. Es würde jedoch zu weit führen,
wollte ich aut diese Frage hier nochmals des näheren eingehen.
Es ist dies auch um so weniger angezeigt, als Strassmann 4 )
selbst späterhin in seinem Lehrbuche der gerichtlichen Medizin
die Ansicht vertritt, dass eine gleichmässige, zusammenhängende
Luftanfüllung des Magens und Dünndarmes gegen Fäulnis spreche,
also als Beweis des extrauterinen Lebens zu verwerten sei. Aut
diese gleichmässige, zusammenhängende Luftanfüllung kommt es
aber in der gerichtsärztlichen Praxis an; dass man hier der Gegen¬
wart einiger weniger Gasbläschen keine besondere Bedeutung bei¬
legen soll, hatte ich selbst bereits früher betont.
Die Bedeutung der Magendarmprobe vermag also auch die
Tatsache, dass sich Fäulnisgase im Magendarmtraktus ansammeln
können, nicht herabzusetzen.
Bezüglich der Ausführung der Magendarmprobe bestimmen
die Vorschriften, dass der Magen, nachdem seine Schwimmfähig¬
keit geprüft, unter Wasser zu eröffnen sei. Geschieht dies mittels
eines ausgiebigen Schnittes, so entleert sich nicht nur die Luft,
sondern auch ein sonstiger Inhalt ins Wasser, so dass eine für
die Aufklärung des Falles oft wichtige Untersuchung dieses In¬
halts vereitelt wird. Es dürfte sich deshalb empfehlen, zunächst
den Magen nur durch eine weniger umfangreiche Stichöffnung zu
eröffnen und durch diese die Luft austreten zu lassen.
Indem ich hiermit schliesse, möchte ich noch betonen, dass
es nicht meine Absicht war, die neuen Vorschriften einer Kritik
zu unterziehen. Zweck meiner Erörterungen war es, auf einige
Fehlerquellen aufmerksam zu machen und vor allem dazu beizu-
l ) Vierteljahrsschrift für ger. Med. etc.; 1868, Bd. VIII, S. 1.
*) Vierteljahrsschrift für ger. Med. etc.; Bd. XLVIII, S. 252.
*) Berliner klin. Wochenschrift; 1889, Nr. 6.
4 ) Lehrbach der ger. Medizin; S. 527.
764
Carlo Ferrai.
tragen, dass der Magendarmprobe, für die ich wiederholt in Wort
und Schritt eingetreten bin, die Beachtung zuteil werde, welche
sie im Interesse der gerichtsärztlichen Sachverständigentätigkeit
verdient. Ich möchte mich bezüglich der Magendarmprobe der
Mahnung anschliessen, die Eapmund in seiner die neuen Vor¬
schriften betreffenden Abhandlung 1 ) ausspricht: „Man sollte sie
aber in keinem Falle unterlassen, da sie namentlich in bezug auf
die Dauer des Lebens wertvolle Anhaltspunkte gibt.“
Aus dem Institut für gerichtliche Medizin
der Universität Genua (Direktor: Prof. A. Severi).
Ueber Fäulnisverdauung.
Vorläufige Mitteilung
von Carlo Ferrai, Privatdozenten und Assistenten.
In einer vor einigen Jahren erschienenen Arbeit*) habe ich
auf experimentellem Wege nachgewiesen, dass der Verdauungs¬
prozess auch nach dem Tode noch einige Zeit und zwar in nicht
unbedeutendem Masse fortdauert. In der Folge hat Hoffmann-
Elberfeld, angeregt durch meine Veröffentlichung, an menschlichen
Leichen eigene Untersuchungen in der Weise angestellt, dass er
unmittelbar nach dem Tode mittels Schlundsonde eine Nährlösung
in den Magen einführte, der zuvor einige Male ausgespült war.*)
Hierbei fand er unter anderem, dass Fibrinkarmin und Hühner-
eiweiss in den ersten 24 Stunden post mortem am intensivsten
verdaut wurden, in den folgenden 24 Stunden die Verdauung ent¬
weder ganz aufhörte oder doch erheblich nachliess. Im Anschluss
an diese von Hoffmann auf der XIX. Versammlung des Preussi-
schen Medizinalbeamten-Vereins in Cassel vorgetragenen Ergeb¬
nisse, bei denen er sich wieder auf meine Untersuchungen berief,
hob Strassmann 4 ) in der Diskussion hervor, wie dieser von mir
gefundenen und von Hoffmann bestätigten Tatsache nicht nur
ein theoretisches, sondern auch ein praktisches Interesse innewohne;
denn sie mahne von neuem zu grösster Vorsicht bei der Beant¬
wortung der Frage nach dem Zeitpunkt des Todes aus dem Ver¬
halten des Mageninhaltes. Jüngst ist dann lm Strassmann-
schen Institut die Frage, ob sich die Todeszeit und die Zeit der
letzten Nahrungsaufname auf Grund des Mageninhaltes bestimmen
lassen, von Sorge wieder aufgenommen und zum Gegenstand einer
verdienstvollen und erschöpfenden Zusammenstellung gemacht
worden. 8 )
*) Zeitschrift für Modizinalbcamtc; 1905, Nr. 7, S. 222.
*) C. Ferrai: Ueber postmortale Verdauung. Vierteljahrsschr. für
gerichtl. Medizin; 1901, XXI.
3 ) Hoffmann: Ueber postmortale Verdauung. Bericht d. XIX. Haupt¬
versammlung des Preuß. Medizinalbeamtcn- Vereins. Zeitschr. für Medizinal-
beamte; 1902.
*) Ebenda, S. 63.
5 ) A. Sorge: Die Verwertung des Mageninhaltes zur Bestimmung der
Todeszeit und der Zeit der letzten Nahrungsaufnahme. Zeitschr. f. Medizinal¬
beamte ; 1904, 12. Heft.
Ueber Fäulnis Verdauung.
766
Dieselbe Frage, und zwar besonders die postmortale Ver¬
dauung 1 , hat anch in einem kürzlich in Italien verhandelten Sen¬
sationsprozesse eine lange nnd lebhafte Diskussion veranlasst.
Hier galt es, zu entscheiden, ob das Opfer kürzere oder längere
Zeit vor dem Ueberfall und der Ermordung gegessen hatte. Ohne
auch nur im geringsten auf den speziellen Fall eingehen zu wollen,
habe ich ihn doch erwähnt, weil er erstens von neuem die grosse
praktische Bedeutung des Problems illustriert, dann aber, weil
er mir, der die Gerichtsärzte zuerst auf die Erscheinung auf¬
merksam gemacht hat, Veranlassung gibt, hier zu erklären, dass
es zwar durchaus nicht gerechtfertigt ist, ihr jede praktische
Bedeutung abzusprechen, dass es aber ebenso unberechtigt wäre,
ihr allgemeine Gültigkeit beizumessen und zu glauben, dass sie
in jedem Falle eine wesentliche Umdeutung der Befunde ver¬
anlassen könne.
Die Bedeutung des Phänomens liegt m. E. vielmehr in dem,
was Strassmann mit dem Scharfblicke des auf lange und reiche
praktische Erfahrung gestützten Gelehrten auf dem Cassel er
Kongress hervorgehoben hat. Durch die postmortale Verdauung
wird das schon verwickelte, schwierige Problem noch schwieriger
und verwickelter, und es wird notwendig, in jedem einzelnen
Falle die zeitliche Begrenzung weit vorsichtiger und unbestimmter
vorzunehmen, während jetzt leider diese Begrenzung viel zu knapp
und bestimmt in der Antwort der Sachverständigen auf diese ebenso
schwierige wie häufige Frage ausfällt. In der Tat haben mich
eigene Erfahrung und fremde Bestätigung zu der Ueberzeugung
gebracht, und ich bin der erste, der dies zugibt, dass die Er¬
scheinung allerdings in vielen Fällen einen äusserst beschränkten,
praktischen Wert hat, den man ausser acht lassen kann. Ganz
sicher ist dies aber nicht in gewissen Fällen, in denen besondere
örtliche oder Temperaturverhältnisse, die Verdauungsperiode, in
der der Tod eintrat, ganz besonders aber die Menge und vor
allem die Art der Nahrung dahin wirken, dass die Ausseracht-
lassung des Phänomens schwerwiegende Fehler zur Folge haben
könnte.
Noch eine andere Seite der Frage, auf die ich in der eben
erwähnten Arbeit schon hingewiesen habe, die aber bisher von
den Autoren ganz unberücksichtigt geblieben ist, besitzt grosses
praktisches Interesse und verdient geprüft zu werden. Können
die Zusammensetzung und der Zustand der im Magen enthaltenen
Nahrungsmittel durch die Fäulnisprozesse so beeinflusst
werden, dass die Verdauung weiter vorgeschritten zu sein scheint
als sie tatsächlich im Augenblick des Todes war? Kurz, gibt
es eine Fäulnisverdauung?
Wir haben hier zwei Möglichkeiten auseinanderzuhalten:
Die Fäulnis kann die Ingesta 1. in quantitativer, 2. in qualitativer
Weise verändern.
Zn 1. Kann es durch Fäulnis zu einer Entleerung
des Magens kommen? Unberücksichtigt bleiben hierbei jene
766
Carlo Ferrai.
partiellen Entleerungen, die in der Agone entstehen können, und
die verdienten, einer sorgfältigen Prüfung unterzogen zu werden.
Bei Personen, die kurz nach der Mahlzeit verstorben sind, trifft
man nicht selten feste Speiseteile bis in die untersten Abschnitte
des Dünndarms vorgetrieben. 1 ) Aber die Erscheinung ist sicher
nur partiell. Uebrigens können dann, wenn es sich um frische,
feste Speisemassen handelt, aus ihrer Anwesenheit im Darm kaum
Irrtttmer entstehen. —
Grössere Bedeutung könnte eine durch Fäulnis bewirkte
Leerung des Magens erlangen, die nämlich durch den bekanntlich
unter Umständen sehr erheblichen Druck der Fäulnisgase (partns
post mortem) zustande kommen könnte. Ueber diesen Punkt
wären experimentelle Untersuchungen an menschlichen Leichen
vorzunehmen, die allerdings auf Schwierigkeiten stossen dürften,
da hierzu ganze Leichen lange Zeit der Fäulnis überlassen bleiben
müssten. Die Beobachtungen an Leichen, die im Zustande vor*
geschrittener Fäulnis zur Obduktion gelangen, besitzen weniger
Beweiskraft, weil ja gerade in solchen Fällen sehr schwer genaue
Daten über die Zeit des Todes, über die der letzten Mahlzeit und
über deren Menge zu erhalten sind. Immerhin sind auch solche
Beobachtungen nicht zu verachten, weil sie uns die Vorgänge in
ihrer natürlichen Entwicklung und nicht in künstlicher Rekonstruk¬
tion zeigen. Derartige Fälle scheinen nun zu beweisen, dass eine
Leerung des Magens durch Fäulnisvorgänge nicht gerade leicht
entsteht; denn ich habe noch in stark gefaulten Leichen mit
riesiger emphysematöser Auftreibung häufig im Magen einen über¬
aus massigen Inhalt angetroffen, ohne eine Spur von Speisenüber-
tritt in den Darm. Und übrigens — so zweifellos der Druck der
intraabdominalen Fäulnisgase sehr hohe Werte erreichen kann —
ist kein physikalischer Grund zu ersehen, warum dieser Druck
vorzugsweise auf den Magen wirken und seinen Inhalt in den
Darm austreiben sollte. Doch will ich mit diesen Bemerkungen
die Möglichkeit des Vorganges nicht leugnen; die Entscheidung
kann jedoch nur durch geeignete Versuche und sorgfältige Unter¬
suchung einer grossen Zahl von faul zur Sektion gelangenden
Leichen erbracht werden. Besonders wertvoll sind solche, bei
denen zufällig genaue Angaben über die Zeit des Todes und über
die letzte Mahlzeit zu bekommen sind.
Zu 2. Die hier in äusserster Kürze wiederzugebenden ex¬
perimentellen Untersuchungen, die sich zunächst aut das makro-
und mikroskopische Verhalten beschränken, betreffen die zweite
Frage des Problems, ob nämlich durch Fäulnis derartige
qualitative Aenderungen des Mageninhalts hervor¬
gebracht werden können, dass dieser sich in einem späteren
*) Einen schönen Fall dieser Art habe ich kürzlich bei einer Obduktion
im Berliner Schauhaase beobachtet. Bei einem Mädchen, das plötzlich nach
einer zu Abtreibungszwecken vorgenommenen Einspritzung einer kochendheißen
Flüssigkeit in die Gebärmutter gestorben war, waren feste Speiseteile, und
besonders Melonenstückchen, durch den ganzen Dünndarm, bis zum Coecum,
gewandert.
Ueber Fiulniaverdauung. 767
Verdannngsstadium zu befinden scheint, als er im Augenblick des
Todes tatsächlich war.
Die Versuche wurden an Hunden angestellt, die einige Zeit
vor dem Versuche mit einer aus Brot und Suppenfleisch zusammen¬
gesetzten, gemischten Kost gefüttert worden waren.
In einigen Fällen untersuchte ich den Zustand des Magen¬
inhaltes in verschiedenen Zeitabschnitten der Verdauung: Zuweilen
erzeugte ich Erbrechen mit Apomorpbininjektionen, gewöhnlich
aber wurde das Tier durch Baibusstich getötet und der Magen¬
inhalt unmittelbar darauf auf Menge und sonstiges Verhalten
geprüft. Da die Versuche zunächst nur die Erlangung von Ver¬
gleichsdaten mit denen über die Fäulnis bezweckten, wurde die
Beobachtung nicht über die fünfte Verdauungsstunde hinaus fort¬
gesetzt.
Eis wurden Hunde von möglichst gleicher Grösse benutzt.
Die Probemahlzeit bestand aus 25 gr Weizenbrot vom Tag zuvor,
das in warmem Salzwasser eingeweicht und mit 25 gr gehacktem,
magerem Suppenfleisch gemischt wurde.
Ohne die einzelnen Versuche aufzuzählen, berichte ich ganz
kurz über die wichtigsten Tatsachen, die bei der Prüfung nach
45 Minuten 1, 1 */*, 3 und 4*/« Stunden nach der Fütterung fest¬
gestellt wurden.
Die Menge der eingeführten Nahrung erfährt in den ersten
drei Stunden keine Verminderung; nach vier Stunden ist der
Mageninhalt manchmal sehr weichlich, manchmal anscheinend etwas
verringert. Das makroskopische Verhalten ändert sich allmählich:
Anfangs ziemlich kompakt, nicht homogen durch die Gegenwart
grosser Stücke Brot (namentlich der Kruste anhaftender) und
Fleisch, wird er allmählich breiartiger, dann fast flüssig und
gleichzeitig damit mehr homogen. Alle weichen Teile des Brotes
zerfallen schliesslich, auch die der Rinde. Die Fleischstücke
quellen an der Oberfläche nnd werden durchscheinender, beginnen
zu zerfallen und lassen sich mit den Fingern zerdrücken. Jeden¬
falls finden sich auch noch nach 3 und 4 1 /* Stunden Fleischstücke,
die zwar sehr zerkleinert und bröckelig sind, sich aber immer
noch mit blossem Auge gut erkennen lassen.
Bei der mikroskopis chen Durchmusterung des Mageninhalts
sieht man die Stärkekörnchen anfangs in grossen und dichten
Haufen liegen. Allmählich werden diese kleiner und lockerer,
bis nach 3 und 4 1 /* Stunden die Körner frei im Präparat herum¬
schwimmen. Sie zeigen selten Veränderungen. Nur manchmal
sind die Ränder etwas unregelmässig, wie angenagt. Die Muskel¬
fasern hängen anfangs zusammen, so dass man zur Untersuchung
Zupfpräparate herstellen muss. Sie verhalten sich noch vollständig
normal. Allmählich jedoch lösen sie sich voneinander los, teilen
sich der Länge nach, zeigen unregelmässige Begrenzungslinien
und namentlich abgerundete Enden; die Querstreifung wird häufig
weniger deutlich, manchmal unkenntlich, während die Fibrillen,
besonders an den Enden, auffasern. Diese Veränderungen sind
bei den schon abgelösten und frei herumschwimmenden Fasern
768
Carlo Ferr&i.
stärker als bei den noch mit anderen verbundenen. Versucht
man Zupfpräparate von den letzteren herzustellen, so zerquetscht
die Nadel nur, ohne zu trennen. Fettkugeln trifft man während
der ersten Verdauungsstunden fast gar nicht an; sie erscheinen
erst nach drei Stunden und werden später zahlreicher.
Nach dieser Aufzählung der beim Hunde in den verschiedenen
Verdauungsstadien nach der benutzten Fütterung zu findenden
Veränderungen, stelle ich jetzt die Fäulnisversuche zusammen.
A. Ein Hund erhält das bekannte Futter. Eine Stunde
später wird er mittels Bulbusstich getötet. Die Leiche bleibt
9 Tage lang an der Luft der Fäulnis überlassen (April, mittlere
Temperatur 16° C.); dann wird sie seziert.
Die Fäulnis ist ziemlich weit vorgeschritten. Abdomen stark durch Gas
aufgetrieben; Verdauungskanal stark durch Gas gespannt Reichlicher Inhalt im
N
Magen. Starker Säuregehalt (100 cc = 23 cc y EOH). Keine freie HCl. Der
Inhalt besteht aus einer ziemlich dünnflüssigen Masse, in der Speisefetzchen
schwimmen, sowohl Brotteile, die der Binde anhaften, wie graurote Fleisch¬
stückchen, beide gut zu erkennen. Mikroskopisch enthält der flüssige Teil
zahlreiche isolierte Stärkekörnchen, fast alle ganz normal, zahlreiche kleine
fragmentierte Muskelfasern mit meist deutlicher Querstrcifung, aber unregel¬
mäßigen Spitzen und verschiedenen Einrissen. Die Fasern der noch erhaltenen,
aber sehr bröckeligen Fleischstücke, erscheinen ziemlich gut konserviert; drückt
man aber auf das Deckglas, so zerfallen sie nach allen Bichtungen in kleine
Stückchen.
B. Ein anderer Hund wird 45 Minuten nach Verabreichung
des gewöhnlichen Futters getötet und 12 Tage an der Luft der
Fäulnis ausgesetzt (April, mittlere Temperatur 17° C.).
Fäulnis weit vorgeschritten. Die Haare lösen sich beim leichtesten Zuge
von der Haut. Abdomen ziemlich stark geschwollen. Magen und Därme
durch Gas enorm aufgetrieben. Im Magen reichlicher breiig-flüssiger, stark
stinkender Inhalt. Erheblich saure Reaktion (100 ccm = 33 cc y KOH).
In dieser Flüssigkeit lassen sich noch einige Brotstückchen unterscheiden,
deren Krume jedoch vollständig zerfallen ist. Die zahlreichen Fleischstückchen
sind nach Form und Masse nicht sehr verändert. Die mikroskopischen Befunde
ähneln sehr denen des vorstehenden Versuchs. Ueberaus zahlreiche isolierte
Stärkekörner, die nur selten gut erhalten sind. Man sieht Fettkügelchen.
C. Ein weiteres Experiment wurde an einem aus der Leiche
herausgenommenen und im Brutschrank gehaltenen Magen an¬
gestellt. Hierbei entfernte ich mich allerdings von den normalen
Bedingungen, unter denen die Erscheinungen verlaufen; dafür
aber war ich in der Lage, das Verhalten ein und desselben
Mageninhaltes vor der Fäulnis und in deren verschiedenen Ent¬
wickelungsstadien zu beobachten.
Ein Hund wird abends 46 Min. nach Verabreichung des gewöhnlichen
Probefutters getötet. Am nächsten Morgen, nachdem die Leiche kalt geworden
ist, wird der Magen herausgenommen und nach sorgfältigem Verschluß der
Oeffnungen in einem großen Glase mit eingeschliffenem Stöpsel in den
Brutschrank bei 32 u eingestellt. Vorher hatte ich mir jedoch Kenntnis vom
Zustande des Mageninhaltes verschafft und gefunden, daß er teigig, ziemlich
dick, nicht homogen war und gut erhaltene Brotstücke und sehr wenig ver¬
änderte Fleischstücke enthielt. Mikroskopisch: Stärkekörner in dichten Haufen,
Muskelfasern (Zupfpräparat) in gut erhaltenem Zustande, nicht aufgefasert.
Keine Fetttröpfchen.
Ueber F äolnis verd auun g.
769
Der io den Brutschrank gestellte Mageninhalt wnrde dreimal geprüft;
nach drei, fünf and zehn Tagen. Es fanden sich dabei die folgenden
Aenderangen:
Das makroskopische Aassehen änderte sich allmählich, die Masse wurde
immer weicher and teigiger, aber nicht völlig homogen, denn, obwohl die
weichen Teile des Brotes ganz zerfallen waren, ließen sich noch nach 10 tägiger
Fäolnis kleine anversehrte Stücke der Ernste in ihr erkennen. Ebenso waren
die Fleischfetzen zwar aafgeweicht and teilweise in Zerfall, aber selbst nach
10 Tagen noch in Form von gelb-rötlichen Fasern im Mageninhalt za erkennen.
Die Farbe wnrde immer dunkler.
Unter dem Mikroskope erschienen die Brotbestandteile in immer weiterem
Zerfall, so daß schließlich die Stärkekörner fast ganz von den anderen isoliert
lagen, ohne im allgemeinen irgendwie verändert za sein. Im Verhalten der
Muskelfasern waren erhebliche Unterschiede warzanehmen, je nachdem man
den mehr flüssigen Teil der Masse oder die noch erhaltenen Fleischstückchen
ontersachte. Im ersteren wiesen die Fasern mit dem Fortschreiten der Fäulnis
immer stärkere Veränderungen auf, indem sie in kleine, anregelmäßig be¬
grenzte Fragmente zerfielen. Diese beruhten gewöhnlich auf querer und scheiben¬
förmiger Fragmentierung, seltener auf längsgerichteter Auffaserung. Die
Querstreifung war bei einigen verschwanden oder abgeschwächt, häufiger
jedoch stark vorhanden. Dagegen waren die Fasern der erhaltenen Fleisch¬
stückchen weniger verändert; sie erschienen lang, mit stets deutlicher Quer-
streifang, bisweilen der Quere nach gerissen. Bei Druck auf das Deckglas
sah man sie nach allen Bichtangen hin zerfallen. Die anfangs seltenen Fett¬
tröpfchen wurden später immer zahlreicher.
Die Azidität des aof 100 g reduzierten Mageninhaltes verhielt sich
wie folgt:
Nach 3 Tagen: 100 g = 28,2 cc y KOH, keine freie HCl.
» 5 , 100 g = 32,7
„ 10 „ 100 g = 32,0
Um den hermetisch abgeschlossenen Magen bildete sich im Inneren des
Glases allmählich eine dunkle, sehr übelriechende Flüssigkeit, deren Azidität
ebenfalls geprüft wurde: Sie betrug
N
nach 5 Tagen 100 cc = 22,2 cc y KOH
„ 10 , 100 cc = 34,0 cc „
Soweit sind meine Untersuchungen bisher gediehen. Wenn
ich in dieser vorläufigen Mitteilung die Hauptergebnisse zusammen*
gestellt habe, so geschah es, weil man, wie ich glaube, auch aus
Dinen schon, ohne die vollständige Durcharbeitung meines Ver-
suchsplanes abzuwarten, einige betrachtenswerte Tatsachen ent*
nehmen kann.
Vor allem muss als unbestreitbar erklärt werden, dass durch
die Wirkung der Fäulnis auf die Bestandteile des
Mageninhaltes eine vollständigere Verdauung vorge¬
täuscht werden kann, als im Augenblick des Todes
wirklich bestand. Die Resultate der Versuche, in denen
ganze Leichen von Tieren nach dreiviertel bis einstfindiger Ver¬
dauung 9 bis 12 Tage lang der Fäulnis ausgesetzt wurden, lehren,
dass der Mageninhalt am Ende dieser Zeit sowohl in seinem
makro-, wie mikroskopischen Verhalten nicht mehr den Befunden
entspricht, die man im Magen eines Tieres trifft, das nach der¬
selben Verdauungszeit sofort getötet wird. Ebenso sieht man
beim Versuche in vitro die makroskopischen und mikroskopischen
Veränderungen ebenso fortschreiten, wie der Fäulnisprozess
fortschreitet.
110
t)r. Friedel.
Jedoch ist za berücksichtigen, dass 1. diese Wirkung der
Fäolnis zwar bemerkbar, aber doch nicht sehr erheblich ist, dass
ganz besonders aber 2. die Tatsache ihre Bedeutung als Fehler¬
quelle abschwächt, dass die Fäulnisveränderungen sich rasch an
den durch die chemische und mechanische Tätigkeit des lebendigen
Magens, schon gelösten Stoffen vollziehen, in viel geringerem Masse
aber an den noch nicht zerfallenen. Auf diese Weise entsteht
zwischen den zerfallenen und flüssigen Partieen des Mageninhalts
und den noch festen und geformten ein Missverhältnis, dass die
Aufmerksamkeit des Gerichtsarztes erregen muss; denn es er¬
leichtert die Entscheidung, wieviel der am Mageninhalt vor sich
gegangenen Veränderungen auf die Verdauungst&tigkeit, wieviel
auf die Fäulnisprozesse entfällt.
Anderseits ist es auch klar, dass die makroskopischen and
vor allem die mikroskopischen Veränderungen, die der Magen¬
inhalt durch Fäulnis erleidet, die grösste Analogie mit den durch
die Verdauung bewirkten auf weisen, wie Zerfall, Aufweichung,
Mischung der verschiedenen Bestandteile, Fragmentierung der
Muskelfasern, Annagung der Ränder, Auffaserung, Undeutlich¬
werden der Querstreifung, Zerfall in Qaerscheiben u. dergl. m.
Es dürfte sich daher empfehlen, zur weiteren Klärung des
aufgestellten Problems weitere Versuche vorzunehmen, wobei nicht
nur zahlreichere mikroskopische Untersuchungen unter mannig¬
faltigeren experimentellen Bedingungen, sondern auch bakterio¬
logische und vor allem chemische Forschungen einzusetzen hätten.
Denn es ist nicht unwahrscheinlich, dass durch diese am
ehesten der Gang des Prozesses sich genau feststellen läeat.
Ebenso darf man von ihnen diagnostische Daten und Anhaltspunkte
erwarten, die den Zeitpunkt des Todes zu bestimmen und die
Trennung der Fäulniswirkungen von den digestiven durchzuführen
gestatten. In dieser Richtung sollen sich daher meine weiteren
Untersuchungen bewegen.
Veronal - Vergiftungen.
Von Kreisarzt Dr. Friedei in Wernigerode.
Am 23. Juli abends wurde ein Arzt zu einer seit acht Tagen
bei einer hiesigen Familie zu Besuch weilenden jungen 27 jährigen
Dame gerufen. Dieselbe hatte im Frühjahr eine Operation wegen
Tuberkulose im linken Kniegelenk und an der Hüfte durchgemacht
und wollte sich davon bei der ihr befreundeten Familie erholen.
Da sie an Schlaflosigkeit litt, war ihr von einem Arzte ihrer Heimat
Veronal in halben Grammpulvern verordnet mit der Weisung,
nicht mehr als ein, höchstens zwei Pulver auf einmal zu nehmen.
Am 22. Juli abends hatte sie nach eigner Angabe von den Schlaf¬
pulvern, die sie in einer Papierdüte ohne Signatur bei sich führte,
Gebrauch gemacht. Mit Rücksicht darauf, dass es sich vorlie¬
genden Falle um eine gebildete und gewissenhafte Dame handelt,
ist nicht anzunehmen, dass Bie gegen die Vorschrift ihres Arztes
mehr als zwei Pulver auf einmal genommen hat. In der Nacht
Veronal- Vergiftungen.
in
vom 22. zum 23. Juli nahm sie abermals das Schlafmittel. Am
folgenden Morgen war sie heiter, gab aber an, ganz wirr im
Kopfe za sein. Nach Tisch empfahl sie sich mit dem Bemerken,
einmal tftchtig aasschlafen za wollen. Abends fand man sie in
tiefem Schlaf, aas dem sie aach der oben erwähnte Arzt nicht za
erwecken vermochte. Aaf dem Nachttisch neben dem Bett lag eine
Papierdttte mit 2 Pulvern, die von einem hiesigen Apotheker als
Veronalpulver festgestellt worden, so dass anzanehmen ist, dass
der Nachmittagsschlaf abermals durch Veronal herbeigeführt wurde.
Da der Arzt bedrohliche Erscheinungen bei der Schlafenden
nicht feststellen konnte, so ordnete er Ueberwachung an. Am
frühen Morgen des 24. Juli wurde er abermals gerufen und fand
die Patientin röchelnd mit den Erscheinungen des Lungenödems
und sehr schlechter Herztätigkeit. Trotz starker und zahlreicher
Kampfereinspritzangen und dergl. trat am Abend desselben Tages
der Tod ein.
Die gerichtliche Leichenöffnung ergab im Wesentlichen
folgendes:
167 cm lange Leiche mit mittlerem Fettpolster und sehr schlaffer
Muskulatur.
Au! beiden Lungenfellen etwa 8 stecknadelknopfgroße Blutpünktchen; im
Qewebe (Ecchymosen).
Das Herz sehr schlaff, reichlich mit Fett bewachsen. Im rechten Vorhof
60 Gramm geronnenes Blut, in der rechten Kammer etwa halb soviel; die
Muskulatur, die links 9 mm, rechts 4 mm dick ist, fühlt sich weich und
schlaff an.
Die Lungen sind überall lufthaltig. Auf dem Durchschnitt entleert sich
bei Druck besonders stark ans den hinteren unteren Partien eine schaumige
Flüssigkeit.
Zunge mit grauweißem Belag bedeckt.
Milz 14X10X3 cm, sehr weich.
Im Magen schwach saure Beaktion ohne irgend charakteristischen Geruch.
Im Magengrunde zeigen sich vereinzelt, nach dem Magenansgang zu, in großer
Menge punktförmige Blutaustritte in der Schleimhaut und zwar strichförmig
auf der Höhe der intensiv rotgefärbten Magenschleimhautfalten. Die mikro¬
skopische Untersuchung ergibt an diesen Stellen starke Körnung der Drüsen¬
schläuche und freies Blut im Gewebe.
Die Gefäße der weichen Hirnhaut sind bis in ihre feinsten Verästelungen
mit Blut prall gefüllt. Gefäße der harten Hirnhaut blutreich. Im Großhirn
auf Durchschnitt zahlreiche abspülbare Blutpunkte. Blutleiter des Schädel¬
grundes bis zur halben Rundung mit dunklem.flüssigem Blute gefüllt.
Bei einer 27 jährigen, durch langdauernde Krankheit und
operative Eingriffe unter Narkose sehr geschwächten Dame ist
also nach Genuss von 1,5 oder doch höchstens 3 Gramm Veronal
innerhalb 18 Stunden der Tod erfolgt unter denselben klinischen
Erscheinungen der zunehmenden Herzschwäche mit tiefster Be¬
wusstlosigkeit, wie sie in den wenigen bisher bekannt gewordenen
Fällen von Veronalvergiftung beobachtet worden sind. Die Ob¬
duktion hat ausser den Zeichen der Herzlähmung, starker Blut¬
füllung des Gehirns und seiner Häute und akuten Magenkatarrhs
nichts Wesentliches ergeben.
Der vorliegende Fall unterscheidet sich von den mir sonst
bekannten Beobachtungen von Veronal-Vergiftung wesentlich durch
772
Dr. Friedei. Ueber Veronalvergiftungen.
die geringe Menge des Schlafpulvers, die zur Herbeiführung des
tödlichen Erfolges genügten. Nor eine einzige mir von einem
hiesigen Kollegen mitgeteilte Beobachtang vermag ich ihm znr
Seite za stellen. Hier erhielt ein an Influenza erkrankter Hand¬
werker wegen Schlaflosigkeit and grosser Unruhe abends 0,5 Gramm
Veronal. Am Morgen gelang es erst nach vieler Mühe, den mit
ganz schwachem Puls, flacher Atmong and kalten Gliedern in
tiefer Bewusstlosigkeit Vorgefundenen Patienten ins Bewusstsein
zurückzurufen. In allen anderen Fällen traten die Vergiftungs¬
erscheinungen nach erheblich höheren Dosen ein:
So erfolgte in einem vor nicht langer Zeit in Holzminden beobachteten
Falle im tiefsten Koma der Tod etwa 24 Standen n&ch Einnehmen von
10 Gramm Veronal, das dem Patienten versehentlich in der Apotheke anstatt
Kamala in einem Bandwarmmittel verabreicht worden war. (Brannschweiger
Neueste Nachrichten.)
ln einem anderen, in den therapeutischen Monatsheften vom Jahre 1904,
Seite 600, veröffentlichten Falle, nahm eine 30 jährige Fraa 9 Gramm Veronal
in selbstmörderischer Absicht. Es trat tiefer Sopor ein, die Atmung war leise
keuchend.. Auf Anreden erfolgte keine Reaktion, auf schmerzhafte Reize wenig
Reaktion. Erst am vierten Tage wieder völlige Klarheit.
Etwas abweichend in klinischer Beziehung verliefen die nachstehenden
Fälle. Nach Einnehmen von je 1 Gramm an zwei aufeinanderfolgenden Tagen
und 3 Gramm am dritten Tage trat große Unruhe, Taumeln, Kälte der
Extremitäten, Schwäche, Aussetzen des Pulses und Erbrechen ein. Durch
Kampfer- und Aethereinspritzungen allgemeine Besserung nach drei Tagen,
sonst vermutlich Tod durch Herzlähmung. (Berliner klin. Wochenschrift 1903,
Seite 928.)
Eine Kranke, die innerhalb weniger Tage 7,5 Gramm Veronal ein¬
genommen hatte, bekam abwechselnd Koma und Delirium, Exanthem, Fieber,
Muskelschmerzen und Drüsenschwellung. (C1 a r k e im Lancet Nr. 4195, referiert
in der Deutschen Med. Wochenschrift von 1904; Seite 219.)
Das Veronal hat sich in den wenigen Jahren seit seiner
Einführung in den Arzneischatz eine grosse Beliebtheit erworben.
Im Vergleich zu seiner ausgedehnten Anwendung sind die bekannt
gewordenen Vergiftungsfälle wenig zahlreich. Allerdings muss
man dabei bedenken, dass die von praktischen Aerzten beobachteten
Fälle mit günstigem Ausgang nicht immer zur Veröffentlichung
gelangen. Immerhin halte ich es für höchst bedenklich ein Schlaf¬
mittel von so ausgesprochener Wirkung dem freien Verkehr zu
überlassen. Mit der sicher zu erwartenden immer noch mehr
wachsenden Anwendung des Mittels wird absichtliche miss¬
bräuchliche Verwendung (z. B. zum Kindesmord) nicht ausbleiben.
Wenn auch der Nachweis des Mittels im Urin möglich ist, so
wird die Feststellung einer Veronal-Vergiftung immer bei den wenig
charakteristischen pathologisch-anatomischen Veränderungen, zumal
in Ermangelung jeglichen anamnestischen Anhalts, schwierig sein.
Es empfiehlt sich daher dringend, das Veronal möglichst
bald dem freien Verkehr zu entziehen und denjenigen Mitteln ein¬
zureihen, die nach dem Bundesratsbeschluss vom 13. Mai 1896
in den Apotheken nur auf Anweisung eines Arztes etc. an das
Publikum abgegeben werden dürfen.
Dr. Werner: Berichtigung.
773
Berichtigung.
In seiner Erwiderung in Nr. 22 dieser Zeitschrift hat Herr
Dr. Boepke bezüglich meines voranstehenden Aufsatzes in zwei
Pankten meine Darstellung als wissentlich unrichtig hin¬
zustellen versucht. Er behauptet, ich habe die Einwirkungs¬
dauer bei meinen Versuchen mit dem Boepkeschen Verfahren,
obgleich mir bekannt gewesen sei, dass er dieselbe
auf 7 Stunden erhöht habe, willkürlich auf 5 Stunden
herabgesetzt, und ferner zur Diskreditierung der Huhsschen
Desinfektions versuche verschwiegen, dass bei denselben auch
Tuberkelbazillen in allen Fällen abgetötet worden seien.
Ich erkläre demgegenüber, dass es mir bis heute und somit
auch bei der Abfassung meines Artikels im August, wie aus dem¬
selben verschiedentlich hervorgeht, nicht bekannt war, dass
H. Dr. Boepke die Desinfektionsdauer bei seinem Verfahren in¬
zwischen für die Norm von 5 auf 7 Stunden heraufgesetzt hat.
Ich konnte dies auch nicht wissen, da er in seiner Antwort auf
meine diesbezüglichen Vorschläge (S. 483 dieses Jahrgangs) nur
die Möglichkeit einer solchen Heraufsetzung zugegeben hatte,
und zwar für Fälle, welche erfahrungsgemäss eine ausser-
gewöhnlich grosse Desinfektionswirkung verlangen.
Meine Versuche sind genau nach der Vorschrift angestellt worden,
welche dem als vollwertig meines Wissens zum Katalog¬
preis an das Marburger hygienische Institut gelieferten Boepke¬
schen Instrumentarium von dem Medizinischen Warenhaus bei¬
gegeben war und welche auch mit der Eng eis sehen Beschrei¬
bung übereinstimmte (Nr. 7 dieses Jahrgangs). Von einer will¬
kürlichen Herabsetzung meinerseits kann also gar
keine Bede sein!
Auch die weitere Behauptung bezüglich meiner Wiedergabe
der Huhsschen Versuche entspricht nicht den Tatsachen. Aus
der Schilderung ihres Autors (Seite 208—210 dieses Jahrgangs)
geht klar und deutlich hervor, dass nur in einem Versuch
Tuberkelbazillen als Testobjekte verwandt worden sind, bei allen
anderen dagegen nur Streptokokken- und Staphylokokkenobjekte,
was genau meiner Angabe auf Seite 781 entspricht.
Auch dieser Vorwurf ist also völlig grundlos!
Schmalkalden, den 22. November 1905. Dr. Werner.
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
A. Gerichtliche Medizin und Psychiatrie.
Veber Veronal (Dosierung und Idiosynkrasie). Von Dr. Otto Ludwig
Elieneberger in Emmendingen. Münch, med. Wochenschr.; 1905, Nr. 32.
Trotz vorsichtiger bezw. geringer Dosierung erlebte Verfasser einen
Fall von typischer Veronalvergiftung, der die Frage „Veronalidiosynkrasie“ zu
bejahen scheint. Bei einem 33jährigen Mädchen ordinierte Verfasser am ersten
Tage (abends) 0,25 g Veronal, am zweiten Tage morgens, mittags und abends
je 0,25 g, am dritten Tage morgens und mittags je 0,25 g, abends 0,5 g, am
vierten Tage morgens und mittags je 0,5 g.
Nachdem die Patientin bereits vom zweiten Tage an nach der Veronal.
774
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
Verabreichung den für Veronalvergiftong charakteristischen Rauschzustand mit
leichter Benommenheit, Erinnerangstrübnng, Schlafsacht etc. erkennen ließ,
wurde Verfasser am vierten Tage mittags plötzlich zu der Kranken gerufen.
Sie hatte unmittelbar nach der zweiten Veronalgabe erbrochen und lag mit
krampfhaft nach hinten gestrecktem Kopfe, vollkommen apathisch
zu Bette, machte einen benommenen Eindruck und klagte über Doppeltsehen,
Müdigkeit und Schwindelgefühl. Der Dang war stark taumelnd, die Papillen¬
reaktion träge; es bestand leichter Körper- und starker Zangentremor, sowie
lallende Sprache. Reflexe normal. Trotz Klysma und Abführmitteln hielten
Benommenheit, schwankender Gang und Schlafsucht in allmählichem Abklingen
noch nahezu drei Tage an.
Nach drei Wochen wurde ein erneuter Versuch unter den gleichen Be¬
dingungen unternommen. Bereits am zweiten Tage nach Veronalgabe zeigte
sich leichte Benommenheit und starke Schlafsucht. Am dritten Tage machte'
die Kranke abermals einen stark berauschten Eindruck. Sie lag apathisch mit
leicht nach hinten gebogenem Kopfe im Bett und konnte weder sich aufrichten,
noch die Hand reichen. Die mühsam geöffneten Augen fielen andauernd wieder
zu. Sprache schwer, etwas lallend. Pupillen weit, gleich, auf Lichteinfall
längere Zeit starr bleibend, allmählich schwach reagierend. Gang schwankend.
Romberg stark positiv. Puls, Atmung, Haut-, Muskel- und Sehnenreflexe ohne
Unregelmäßigkeit. Mäßige Polyurie. Urin bereits nach der zweiten Veron&l-
gabe neutral, nach der dritten Gabe alkalisch reagierend. Untersuchung auf
Eiweiß, Zucker, Diazo negativ. Die beschriebenen Erscheinungen blieben bis
zum vierten und fünften Tage.
Ein 15 Tage nachher erneuter, nur zweitägiger Versuch ergab am
zweiten Tage das gleiche Bild eines leichten Rauschzustandes: Schlafsucht,
schwankender Gang, mäßige Benommenheit. Sie weigerte sich die Pulver
weiter zu nehmen, „da sie sich sonst zu tot schlafe“. Gegen andere Narcotica
war Patientin indifferent.
Verfasser möchte trotz der Vergiftungserscheinungen diesen Fall nicht
gerade auf das Sündenregister des Veronals setzen, glaubt vielmehr, daß bei
der betreffenden Kranken tatsächlich Idiosynkrasie gegen Veronal besteht.
Gibt es aber eine solche, so dürfte die Mahnung zur Vorsicht sicherlich am
Platze sein, sowohl in der Dosierung der Einzelgaben, als auch in der Steige¬
rung der Dosen.
Die besten Erfolge erzielte Verfasser im allgemeinen mit einer Tages¬
gabe von 0,75 g, indem er dreimal je 0,üö g morgens, mittags und abends
etwa V* Stunde nach der Mahlzeit in Oblaten reichen ließ. Bei größeren
Tagesgaben als 1,0 stellte sich einerseits keine entsprechend größere Wirkung
ein, anderseits traten wiederholt unangenehme Nebenerscheinungen auf, wie
Müdigkeit, Gliederschwere, Schlafsucht und leichte Benommenheit. Der
günstige Erfolg scheint bei diesem Mittel an kleine Dosen
gebunden zu sein. Dr. Waibel-Kempten.
Ueber Pilzvergiftung. Von Dr. Th. A. Maaß, VoL-Assistent am
parmakol. Institut der Berliner Universität. Berliner klin. Wochenschrift;
1905, Nr. 26.
Aus dem Secale cornutum wurden von chemischen Substanzen isoliert
Sphazelotoxin, das Chrysotoxin und das Kornutin, aus dem Polyporus offi-
cinalis Harzsäuren mit abführender Wirkung und die Agaricussäure, die der
Träger der bekannten Schweißsekretion hemmenden Wirkung des Agarizins
ist. Von Agaricuspräparaten sei noch erwähnt das Lithium oder Natrium
agaricinum (Anhydroticum bei Phthise), sowie Kombinationen des Phenetidins
mit Agarizin (anhydrotische und antipyretische Wirkung) und die Wismutsalze
dieser Säuren (gegen Magenkatarrh).
Während jene beiden Pilzarten für die Therapie nutzbar gemacht sind,
können die Giftpilze nur als Schädlinge aufgefaßt werden. Ueber ihre
Toxikologie und Chemie haben wir wenig genauere Kenntnisse. Eine Form
der Pilzvergiftung ist die Intoxikation ex abusu, wenn von dem sehr
eiweiß- und fettreichen Nahrungsmittel im Uebermaß genossen wird. Die
zweite Form entsteht durch Genuß an sich ungiftiger, aber nicht frischer
Pilze (Ptomainebildung). Die dritte Form entsteht durch Genuß derjenigen
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
775
Pilse, die stets eine giftige 8ubstanz enthalten. Unaufgeklärt ist die Vor*
giftung mit Amanita phalloides oder Agaricus phalloides bulbosus (Knollen*
blätterschwamm); das aus ihm dargestellte Phallin kann die Ursache nicht
sein. Ueber die aus ihm dargestellten Substanzen, das Boulbosin und Phalloidin
fehlen genaue Untersuchungen. Erst nach 6—20 Stunden treten die Vergif*
tungserscheinungen auf, Uebelkeit, Erbrechen, Speichelfluß, Koliken, Durch*
fälle, brennender Durst, Prostration, Delirien, Schreie, tonische Krämpfe. Mor¬
talität 75 °/ 0 der Erkrankungen. Ratsam zu geben sind Abführmittel, vielleicht
auch Tannin, kontraindiziert ist Essig. Das Ueberstehen der ersten 3—4 Tage
verbessert die Prognose. Der Sektionsbefund ist ähnlich dem bei Phosphor¬
vergiftung (Verfettung des Lebergewobes, Glykosurie).
Die Ru8sula emitica wird von ihrem Gift befreit durch einmaliges
Aufkocben, Abgießen der Srühe und Abpressen (Estland). Die giftige Lorchel
(Helvella esculenta), fälschlich Morchel genannt, ebenso. Die im heißen Wasser
leicht lösliche, auch durch Trocknen zu zerstörende Helvellasäure ist ein Blut-
gift (auch Erscheinungen von Seiten des Zentralnervensystems). Der Fliegen¬
schwamm, Agaricus muscarius, enthält Muskarin und Pilztoxin.
Der forensische Nachweis der Pilzvergiftung ist schwer zu führen,
giftige und ungiftige Pilze zeigen die gleiche Struktur. Beim Fliegenschwamm
passiert sein Bestandteil, der die berauschende Eigenschaft des Pilzes hervor¬
ruft, den Körper (die ärmeren Kamschadalen trinken daher den Urin der besser
Gestellten, die den Pilzabsud genossen haben, um sich in den Rauschzustand
zu versetzen). Ein weiteres einigermaßen sicheres Zeichen ist die Aehnlichkeit
mit dem Befund bei Phosphorvergiftung, wenn Vergiftung mit Amanita phal¬
loides in Frage kommt und Phosphor-, Alkohol- oder Chloroformvergiftung
ausgeschlossen werden kann.
Die Prophylaxe erfordert sorgfältige Auswahl des Pilzmaterials,
Schwärzung eines silbernen Löffels beim Kochen, Mitkochen von Zwiebeln usw. sind
unzuverlässig. Verfasser verlangt Warnungen, durch Anschauungsunterricht
unterstützte Ausbildung der Schulkinder in der Pilzkunde und Kontrolle des
Pilzbestandes der Händler durch in dem Fach der Pilze ausgebildete polizei¬
liche Organe. Dr, Raub er-Köslin.
Die Rieglersehe Blutprobe und ihr Wert für die gerichtliche Medizin.
Von Dr. med. Palleske-Loitz L P. staatsärztlich approbiert. Aerztliche Sach¬
verständigen-Zeitung; 1905, Nr. 19.
Riegier hat ein Reagens zusammengestellt, welches die Gerinnung
von Hämochromogen in alkalischer Lösung aus normalem oder verändertem
Blut sehr erleichtert. Man bereitet das Reagens durch Lösen von 5 g Hydra¬
zinsulfat in 100 ccm Natronlauge (10°/ o ) und darauffolgendem Zusatz von
100 ccm 96proz. Alkohol. Die erhaltene Mischung wird nach zweistündigem
Stehen filtriert. „Bringt man dieses Reagens nun mit Blut oder Blutderivaten
zusammen, so erhält man immer dieselbe alkalisch - alkoholische Hämochro-
mogenlösung mit ihrer schönen purpurroten Farbe in den zwei charakteristi¬
schen Absorptionsstreifen des Hämochromogens.“ Diese so entstandene Blut¬
lösung zeigt nun folgenden auffallenden und charakteristischen Farbwechsel:
Schüttelt man ein zur Hälfte mit einer Lösung von Blut in genanntem
Reagens gefülltes Reagensglas tüchtig durch, so färbt sich die rote Lösung
für kurze Zeit gelblich - braun. Es beruht diese Verfärbung darauf, daß die
Blutlösung durch den in der darüber stehenden Luftsäule enthaltenen Sauer¬
stoff wieder oxydiert und in die alkalische Hämatinlösung umgewandelt wird;
letztere sicht aber gelblich - braun bis grünlich aus.
Steht die Lösung dann wieder einige Zeit still, so gewinnt das redu¬
zierende Prinzip des Hydrazins wieder die Oberhand über den Sauerstoff, es
entsteht wieder alkalische Hämochromogenlösung in roter Färbung.
Diesen auffallenden Farbenwechsel kann man nun wiederholt und beliebig
oft durch abwechselndes Schütteln der Lösung mit Sauerstoff (Luft) und Ruhen
der Lösung hervorrufen.
„Dieser so leicht zu erzielende Farbenwechsel ist so charakteristisch,
daß man daraus, selbst ohne Spektroskop, auf die Anwesenheit von Blutfarb¬
stoff mit Sicherheit schließen kann* (Rie gier).
Palleske hat die Rie gl er sehe Methode auf ihre Verwertbarkeit
776
Kleinere Mitteilungen and Referate aus Zeitschriften.
für die gerichtliche Medizin nachgeprüft. Das Fazit ist: „Das Hydraxi nsuifat-
Reagens ist eine spezifische Probe auf das Vorhandensein von Blut; der positive
Ausfall der Probe mit dem charakteristischen Farbenwechsel ist typisch für
Blut. Die Probe ist eine willkommene and wertvolle Ergänzung der Probe
mit Qaajaktinktur and Wasserstoffsaperoxyd, indem sie bei positivem Aasfall
dieser Reaktionen, welche bisher nur das Vorhandensein von Blat wahrschein¬
lich machte, die Gegenwart von Blot zur Gewißheit erhebt“
_ Dr. Troeger -Adelnaa.
Ein Fall von Akromegalie (Zerstörung der Hypophysis durch Blutung).
Von Oberarzt Dr.Leopold Bleibtreuin Cöln. Münchenermed.Wochenschrift;
1905, Nr. 43.
Verfasser hatte vor kurzem Gelegenheit, auf seiner Krankenabteilung
einen Patienten zu beobachten, bei dem er im Anfang schwankte, ob ee sich
am einen reinen Riesenwachs, eine Gigantosomie handelte oder am eine Akro¬
megalie. Der Fall betrifft einen 21jährigen Mann, der bis zam September 1904
stets gesund war and angeblich nur 5 Jahre früher durch Starz von einer Treppe
ein Trauma erlitten hatte. Mit 17 Jahren hatte ein sehr schnelles Größen¬
wachstum eingesetzt (Körperlänge 1,96 m). Alle Körperteile, der Kopf, die
Extremitäten, sind auffallend groß, aber doch dem Riesenwuchs entsprechend,
ebenso die Schalterbreite. Einzig allein die Nase und die Lippen machen einen
im Verhältnis übermäßig großen and unförmigen Eindruck, ebenso die Stirnteile
oberhalb der Augenbrauen. Das ganze Gesicht hatte etwas Starres and Masken¬
haftes. Diagnose: Gigantosomie, beginnende Akromegalie. Nach ca 8 Monaten
wieder ins Krankenhaus auf genommen, starb Patient einige Wochen später an
Lungentuberkulose. Bei der Sektion fand man unter anderem nach herans-
genommenem Gehirn die Hypophysis fast vollkommen fehlend und
an ihrer Stelle, wahrscheinlich durch eine Blutung veranlaßt, narbiges mit
Blutpigment erfülltes Bindegewebe and ganz bescheidene Reste der Hypophysis.
Dieser Befand ist wegen der Beziehung zur Akromegalie äaßerst interessant;
die pathologischen Veränderungen der Hypophysis gehören zu den konstantesten
Befanden bei Akromegalie und vieles spricht dafür, daß eine Erkrankung dieser
Drüse die Grundverändcrung bildet, welche die sämtlichen Krankheitserschei-
nungen ins Leben ruft. In der Mehrzahl der Fälle ist allerdings die Drüse
hypertrophiert and geschwulstig entartet, und zwar wurden Tumoren vom
Typus des Adenoms, der Struma pituitaria, des Sarkoms und Glioms beschrieben.
Hier handelt es Bich aber nicht um eine Hypertrophie, sondern um einen voll-
ständigen Schwund der Hypophysis. Ob dieser Schwund mit dem vor dem
Einsetzen des abnormen Längenwachstums erlittenen Trauma in ursächlichen
Zusammenhang zu bringen ist, läßt Verfasser dahingestellt.
_ Dr. Waibei-Kempten.
Veber jugendliche Lügnerinnen. Von Dr. HorBtmann. Aerztliche
Sachverständigenzeitung; 1905, Nr. 19 ‘
In der Provinzial - Irrenanstalt za Treptow a. .d Rega waren in den
Jahren 1900 und 1905 zwei jugendliche Brandstifterinnen zu beobachten und
zu begutachten. Beide Fälle stellen kasuistisches Material zur Frage der
pathologischen Lüge dar. Im ersten Fall handelte es sich um ein „vermindert
zurechnungsfähiges“ Mädchen, das Horstmann als einen Fall von „Pseudo¬
logia phantastica Delbrücks“ begutachtete. Auch das zweite Mädchen war
geistig minderwertig, aber nicht geisteskrank. Ihren Lügen fehlte der Reich¬
tum blühender Phantasie, der der Pseudologia phantastica eigentümlich ist.
Dieser Hang zum Lügen soll bei präpubischen Mädchen — namentlich
bei erblicher Belastung, vielleicht nicht einmal höheren Grades — nicht selten
Vorkommen; jedoch häufig nur vorübergehend auftreten. Nach vollendeter Ge¬
schlechtsreife, ja oft schon nach Eintritt und Regelung der Menstruation,
schwindet dieser sittliche Defekt und zwar dauernd.
_____ Dr. Troeger-Adelnaa.
Ueber Strafvollzugsanfflhigkelt. Von Dr. F. Leppmann-Berlin.
Aerztliche Sachverständigen - Zeitung; 1905, Nr. 19.
Autor schließt mit der These: Wir erschöpfen den Begriff der Straf-
Kleinere Mitteilangen and Referate ans Zeitschriften.
777
Vollzugsunfähigkeit infolge geistiger Gebrechen bei der gegenwärtigen Rechts*
läge and den gegenwärtig bestehenden Einrichtungen für Irre wie für Gefangene
darch die beiden Sätze:
1. Strafvollzugsunfähig ist derjenige, welcher infolge krankhafter
Störung der Geistestätigkeit die Ordnung der Strafanstalt dauernd und
erheblich stört.
2. Strafvollzugsunfähig ist derjenige, welcher infolge krankhafter
Störung der Geistestätigkeit kein Verständnis für seine Strafe und deren Voll¬
streckung besitzt. _ Dr. Troeger-Adelnau.
B. Sahverständigentätigkeit in Unfall- und Invaliditäts¬
sachen.
Zwei seltene Fälle von subkutaner Sehnenierreissnng. Von Dr*
F. Brüning, Assistenzarzt in Freiburg i. B. Münchener med. Wochenschrift;
1906, Nr. 40.
Verfasser berichtet über zwei äußerst seltene Fälle von subkutaner
Sehnenzerreißung, welche beide operativ, d. h. durch Sehnennaht mit Erfolg
behandelt wurden.
Im ersten Falle handelte es sich um einen subkutanen Abriß der peri-
£ hören Bizepssehno nahe ihres radialen Ansatzes und der Lacertus fibrosus.
•er linke Bizepswalst sprang nicht normal vor und erschien nach oben ver¬
schoben. Nach unten brach er plötzlich ab; es folgte eine ca. zwei quer¬
fingerbreite Einsenkung, dann wieder ein hühnereigroßer Wulst, der für
das abgerissene periphere Muskelstück gehalten wurde. Beim Einschneiden auf
diese Geschwulst entleerte sich aus ihr dunkles, flüssiges Blut. Man sah nun
in diesem angeschnittenen Hämatom die abgerissene, aufgerollte Bizepssehne.
Nach Auffindung des peripheren Sehnenstumpfes erfolgte Anfrischung
beider Sehnenstümpfe und Naht.
Im zweiten Falle handelte es sich um einen subkutanen Abriß der Sehne
des M. tibialis anticus in der Höhe des Sprunggelenkes, wobei das kolbig auf¬
getriebene zentrale Ende in einer leicht blutig fingierten, serösen Flüssigkeit
gelagert und mit dem Ligam. cruciatum fest verwachsen war. Das periphere
Ende befand sich in einer Entfernung von ca. 3 cm vom zentralen Ende,
das sich nach Lösung der Verwachsungen heranterziehen und mit dem peri¬
pheren Ende vereinigen ließ. _ Dr. Waibel» Kempten.
Ein seltener Fall von doppelseitiger Saoknlere nach Trauma. Von
Oberstabsarzt Dr. Wolffhügel-München. Münchener med. Wochenschrift;
1906, Nr. 42 und 43.
Verfasser teilt einen Fall nebst ausführlicher Krankheitsgescbichte mit,
wonach ein Kavallerist nach einem Sturze vom Pferde Schmerzen in der linken
Nierengegend verspürt nnd am gleichen Tage noch ein 1*/* Tage dauerndes
Blutharnen bekommt. Er macht ruhig seinen Dienst weiter, reitet täglich,
wenn auch nur im Schritt, spürt aber beim Versuch, höhere Gangarten zu
reiten, immer Schmerzen in der linken Nierengegend. Nach einem Monat fällt
ihm auf, daß ihm die Säbelkoppel zu eng wird und ihm in der bisherigen
Weite durch Druck auf die linke Nierengegend Schmerzen bereitet. Zwei
Monate nach dem Sturz kommt er wegen Grippe ins Lazarett, wo er in den
ersten Tagen nach seiner Aufnahme gelegentlich angibt, daß sich der Harn¬
drang bei ihm seltener einstellte als früher und daß die Schmerzen, die er in
der Unken Nierengegend seit dem Sturze anfangs nur in geringem Grade ver¬
spürt habe, jetzt heftiger geworden seien and einen besonders hohen Grad
dann erreichten, wenn er längere Zeit den Harn nicht mehr entleert habe; nach
dem Harnen Ueßen dann die heftigen Schmerzen immer wieder nach.
Beim Abt&sten des anfangs noch weichen Unterleibes findet man in der
linken Uoterbaucbgegend in der Höhe des vorderen oberen Darmbeinstachels
eine aaf Druck schmerzhafte verschiebbare Geschwulst, die man anfangs ge¬
neigt ist als Wanderniere anzusehen,’ später jedoch bestimmt als intermittierende
Hydronephrose gekennzeichnet werden konnte. Gleichzeitig Ueßen sich vor¬
übergehende enorme Blasenausdehnungen feststellen. Auch rechterseits wird
eine abnorme Dämpfung in der Nierengegend nachgewiesen, die mit Rücksicht
auf das ätiologische Moment der Harnstauung in der Blase als Hydronephrose
778
Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften«
anzusehen ist. Etwa 5 Monate nach dem Starz war eine doppelseitige Parese
der Bauchmuskeln festgestellt worden and später durch den lang dauernden,
besonders auf der linken Niere lastenden Druck der hydronephritischen Flüssig¬
keit eine Druckatrophie des Nierenparenchyms (Schrumpfniere).
Verfasser geht dann auf die Pathogenese des Falles etwas näher ein
und berührt hierbei hauptsächlich die Frage nach der Entstehung der einzelnen
Krankheitserscheinungen und ünfallfolgen (Blutharnen, linksseitige Hydro-
nephrose, Harnblasenatonie, sekundäre rechtsseitige Hydronephrose, Schrumpf¬
niere). Schließlich verbreitet sich Verfasser noch über den ursächlichen Zu¬
sammenhang zwischen Unfall und Krankheitserscheinungen und hält diesen
Zusammenhang trotz des etwas mangelhaften Nachweises der Kontinuität der
Krankheitserscheinun gen im vorliegenden Falle für zweifellos vorhanden.
Dr. Waibei-Kempten.
Schwefelwasserstoffverglftung als Unfallerkrankung. Von Professor
Dr. Fürbringer-Berlin. Aerztliche Sachverständigen - Zeitung; 1905, Nr. 19.
ln dem Falle Fürbringers handelt es sich um einen im Januar 1901
verstorbenen Bergmann, dessen tödliche Krankheit Gegenstand der Beurteilung
von sieben Sachverständigen gewesen war. Trotzdem der Sektionsbefand und
ein chemisches Gutachten Vorgelegen, waren die Meinungen zum Teil weit
auseinandergegangen. Die Fragestellung des R. V. A. ging dahin, ob es wahr¬
scheinlich sei, 1. daß die Einatmung von Schwefelwasserstoffgas, die es für
erwiesen erachtete, Vergiftungserscheinungen bewirkt habe, 2. daß letztere das
Herz- und Nierenleiden des Verstorbenen plötzlich verschlimmert und den Tod
dadurch wesentlich beschleunigt hätten.
Fürbringer bejaht beide Fragen in seinem Gutachten, das jedoch von
Interessenten im Original nachgelesen werden muß. Die Gründe, aus denen
Fürbringer die Veröffentlichung des Gutachtens für zweckmäßig erachtet,
liegen einmal in der wieder von Stadeimann hervorgehobenen Seltenheit
der Schwefelwasserstoff Vergiftung, zumal in der Unfallpraxis; sodann in der
Schwierigkeit der Differenzierung der klinischen Erscheinungen gegen den
Symptomenkomplex der vielgestaltigen Urämie.
Dr. Troeger-Adelnau.
Behufs Durchführung der Vorschrift im § 75, Abs. 8 des Unfall-
versicherungsgesetzes für Land- und Forstwirtschaft (§ 69, Abs. 3 des
Gewerbe-Unfallverslcherungggesetzes) hat die Berufsgenossenschaft den
behandelnden Arzt nach erfolgloser Aufforderung zur Abgabe einer AeuBse-
rang nötigenfalls gerichtlich als Sachverständigen vernehmen zu lassen.
Rekurs-Entscheidung des Reichs-Versicherungsamts vom
2. August 1905. Amtliche Nachrichten des Reichs-Versicherungsamts;
1905, Nr. 11.
Die Auffassung der Vorinstanzen, daß der Vorschrift im § 75, Abs. 3
des Unfallversicherungsgesetzes für Land- und Forstwirtschaft über die An¬
hörung des behandelnden Arztes durch dessen zweimalige erfolglose Aufforde¬
rung zur Abgabe einer Aeußerung genügt sei, trifft nicht zu. Die Bestimmung
ist zwingend, im Interesse des Verletzten getroffen und daher streng zur Durch¬
führung zu bringen. Bereits in zwei Rekurs-Entscheidungen, welche die Be¬
klagte betrafen, hat das Reichs-Versicherungsamt dargelegt, daß, wenn der
Arzt die Abgabe des Gutachtens verweigert, der Berufsgenossenschaft nicht
etwa die Möglichkeit fehlt, ihn dazu zu nötigen. Denn da der Arzt die Heil¬
kunde öffentlich zum Erwerb austtbt, so ist er nach § 407 der Zivilproze߬
ordnung verpflichtet, der Ernennung zum Sachverständigen Folge zu leisten,
und kann er gegebenenfalls durch das gemäß § 164 des Unfallversicherungs¬
gesetzes für Land- und Forstwirtschaft um seine Vernehmung zu ersuchende
zuständige Amtsgericht mittels der im Gesetze (§ 409 der Zivilprozeßordnung)
vorgesehenen Zwangsmittel zur Abgabe des Gutachtens angehalten werden.
Da er vornehmlich seine eigenen Wahrnehmungen mitzuteilen haben wird, so
wird er unter Umständen auch nach den Vorschriften über den Zeugenbeweis
hierzu gezwungen werden können, sofern er nicht — was in der Regel nicht
anzunehroen und im Zwcifelsfalle durch eine ausdrückliche Befragung des Ver¬
letzten festzustellen ist — durch seine Mitteilungen die Pflicht zur Ver-
Kleinere Mitteilangen and Referate aas Zeitschriften.
779
schwiegenheit verletzt (§§ 414, 408, 882, Abs. 1, Ziffer 5 and Abs. 8, § 385,
Abs. 2 der Zivilprozeßordnung). Demgemäß hätte die Beklagte auch hier
nötigenfalls verfahren müssen.
Grad der Erwerbsvermlnderung bei Terstauchung des Endgliedes
des linken Daumens und freier Beweglichkeit des Grundgelenks. Rekurs-
Entscheidung des Reichs-Versicherungsamts vom20.Mai 1905.
Das R.-V.-A. ist den Vorinstanzen beigetreten. Die Folgen der Unfall-
Verletzung vom 14. Dezember 1903 bestehen darin, daß das Endgelenk des
Daumens der linken Hand versteift ist. Da das Grundglied frei beweglich ist,
der Handschlnß vollkommen gelingt und sonstige krankhafte Nebenerscheinungen
fehlen, so maß eine Rente von 10 Proz. als durchaus angemessen und aus¬
reichend angesehen werden. Auch ist anzuerkennen, daß sich durch Eintritt
der Gewöhnung seit der letzten Rentenfestsetzung eine wesentliche Besserung
vollzogen hat. Kompaß; 1905, Nr. 21.
Erwerbsvermlnderung bei Yerlust des linken Unterschenkels an der
Grenze des mittleren und oberen Drittels. Rekurs-Entscheidung
des Reichs-Versicherungsamts vom lS.Mai 1905.
Die Herabsetzung der Rente von 75 auf 50 Proz. vom 1. November 1904
ab hat die Beklagte damit begründet, daß der Kläger bei Annahme des seiner¬
zeit angebotenen Stelzfußes sich an den Gebrauch des Beines mittlerweile
völlig gewöhnt haben würde. Das Rekursgericht hat an und für sich in Ueber-
ein8timmung mit den Vorinstanzen die Voraussetzungen des § 88 des Gewerbe-
Unf.-Vers.-Ges. für gegeben erachtet, hat sich aber dafür entschieden, dem
Kläger statt der Rente von 50 Proz. eine solche von 60 Proz. zu gewähren.
Die Beklagte ist selbst, als sie die Gewährung des künstlichen Beines ablehnte,
davon aasgegangen, daß der Kläger ein einfacher Arbeiter gewesen sei, nur
gröbere Arbeiten verrichtet habe und auch in nächster Zukunft auf ähnliche
Tätigkeit angewiesen sein würde. Unter solchen Umständen ist aber der Ver¬
lust des Unterschenkels entsprechend höher zu bewerten, als wenn der Unfall
einen Mann von höherem Bildungsgrade getroffen hätte. Kompaß; 1905, Nr. 21.
C. Bakteriologie, Infektionskrankheiten und öffentliches
Sanitätswesen.
Ergänzungsblätter zum neuen Preusslsehen Hebammen - Lehrbuch
(Ausgabe 1904).
Verhältnismäßig schnell haben die mannigfachen Wünsche, die in bezug
auf das neue Preußische Hebammenlehrbach geäußert sind, zu einer neuen Aus¬
gabe desselben geführt, in der diese Wünsche fast sämtlich berücksichtigt sind.
Die wichtigsten Aenderungen, die sich in dieser Ansgabe befinden, sind gleich¬
zeitig als Ergänzungsblätter für die erste Ausgabe erschienen und so ein¬
gerichtet, daß sie an den entsprechenden Stellen eingeklebt werden können,
und demzufolge eine Beschaffung der neuen Ausgabe unnötig machen. In
entgegenkommender Weise werden die Blätter außerdem für die Hebammen
unentgeltlich geliefert.
Von den einzelnen Aenderungen verdienen besonders folgende hervor¬
gehoben zu werden:
Statt des im § 92 vorgeschriebenen Jacques-Patent-Katheter
Nr. 8 oder 9 kann jetzt auch ein gleichwertiges deutsches Fabrikat von
gleicher Stärke oder ein Neusilberkatheter benutzt werden, dessen Güte
und Brauchbarkeit aber durch den Kreisarzt nach seiner Anschaffung zu
prüfen ist.
Die Vorschriften über die Desinfektion (§ 113, Nr. 4 und 5) haben
folgende präzisere Fassung erhaltung:
„4. Unmittelbar vor jeder inneren Untersuchung müssen
die Hände desinfiziert, d. h. keimfrei gemacht werden. Die Des¬
infektion besteht 1. in einer Waschung mit warmem Wasser, Seife nnd
Bürste; 2. in der eigentlichen Desinfektion mit einem keimtötenden
Mittel. Die geeignetesten Mittel sind hierzu der Alkohol und das Sublimat.
Wir unterscheiden die gewöhnliche Desinfektion und die
verschärfte Desinfektion.
780
Kleinere Mitteilungen nnd Referate aus Zeitschriften.
Bei der gewöhnlichen Desinfektion werden die Hände nach der
Yorgeschriebenen Waschung mit einer Sublimatlösung von 1 auf 1000 des¬
infiziert. Bei der verschärften Desinfektion werden nach der vor¬
geschriebenen Waschung die Hände erst mit Alkohol abgerieben und dann
erst mit Sublimatlösung 1 auf 1000 bearbeitet. Der Alkohol erhöht die
keimtötende Kraft der Desinfektion.
Die verschärfte Desinfektion muß vor jeder inneren Untersuchung
der Gebärenden ausgeführt werden! Sie muß ferner sofort erfolgen,
wenn die Hebamme trotz aller Vorsicht doch einmal mit verdächtigen
Stoffen, wie z. B. Wochenfluß einer fiebernden Wöchnerin, in
Berührung gekommen ist.
Die gewöhnliche Desinfektion, also mit Sublimat allein, wird bei der
inneren Untersuchung der Schwangeren und bei der Besorgung des
Wochenbettes ausgeführt.
Aber mit aller Bestimmtheit muß hier die Tatsache betont werden, daß
beide Desinfektionen unwirksam sind, wenn nicht eine sorgfältige
Waschung der Hände ihnen vorausgeschickt wird.
5. Beschreibung der verschärften Desinfektion. Die Heb¬
amme stellt sich zwei Schalen von je einem Liter Wasser auf. Die eine füllt
sie mit heißem Wasser, die andere mit Wasser, welches kalt sein kann. In
letztere wird jetzt eine Sublimatpastille von 1 g Sublimat geworfen,
welche die Hebamme bei sich führt. Die Sublimatpastille löst sich in dem
Wasser rasch auf und färbt es rot. Jetzt hat die Hebamme die Waschschale
mit heißem Wasser und die Desinfektionsschale mit rotem Sublimatwasser vor
sich. Von den beiden Wurzelbürsten, die sie gesondert mit sich führt,
tut sie in die Waschschale die größere Wurzelbürste mit der Aufschrift „Seife*,
in die Desinfektionsschale die kleinere mit der Aufschrift „Sublimat“.
In eine dritte Schale, die eine Untertasse oder ein Teller sein kann,
gießt sie die Hälfte des Alkohols, den sie mit sich führt (50 g), und be¬
deckt die mit Alkohol gefüllte Schale mit einem zweiten Teller, da der Alkohol
sehr leicht verdunstet. In den Alkohol hat sie einen kleinen Bausch Watte
gelegt.
Nunmehr beginnt die Waschung der Hände und Vorderarme mit
Seife und Bürste und heißem Wasser. Alle Teile der Hand werden sorg¬
sam mit Seife abgebürstet, jeder Finger einzeln, am sorgfältigsten die Gegend
der Nägel, weil hier der meiste Schmutz sitzt. Die Vorderarme werden ab¬
geseift. Dieses Abbürsten und Waschen soll mindestens 6 Minuten währen.
Wir wiederholen: Ohne gute Waschung ist die Desinfektion nutzlos.
Nach der Waschung wird mit einem Nagelreiniger der Schmutz
unter den Nägeln sorgfältig entfernt und danach die Hand noch einmal im
Wasser abgespült nnd dann abgetrocknet.
Sodann beginnt die eigentliche Desinfektion. Die trockenen
Hände werden mit dem im Alkohol liegenden Bausch energisch abgerieben,
ganz besonders sorgfältig wieder die Fingerspitzen und die Nagelgegend, und
zwar jeder Finger einzeln. Der Wattebausch wird wiederholt bei dem Ab¬
reiben in den Alkohol getaucht. Dieses Abreiben der Hände mit Alkohol soll
2 Minuten dauern.
Dann werden die noch nassen Hände in die Sublimatschale getaucht
und mit der in ihr liegenden Bürste energisch bearbeitet, wie bei der Waschung
jeder Finger einzeln, am meisten die Nagelgegenden. Die
Vorderarme werden mit Sublimat abgespült. Dieses Bearbeiten der Hände mit
Sublimat dauert 3 Minuten.
Jetzt schreitet die Hebamme mit nassen Händen direkt zur Untersuchung,
ohne irgend einen Gegenstand vorher berührt zu haben. Sie kann
annehmen, daß nunmehr die Hände keimfrei sind, wenn sie genau nach Vor¬
schrift die Hände behandelt hat und vorher keine verdächtigen Stoffe angefaßt
hat. Nach jeder Untersuchung sind die Hände sogleich zu waschen, abzu¬
trocknen und mit Sublimatlösung abzuspülen.
Beschreibung der gewöhnlichen Desinfektion. Nach der
vorgeschriebenen Waschung und Reinigung der Nägel werden die gut ab-
getrockneten Hände sogleich in die Sublimatschale gebracht, und, wie
soeben beschrieben, 3 Minuten mit Sublimat und Bürste bearbeitet.“
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
781
Der Haaptonterschied gegen früher ist der, daß jetzt die verschärfte
Desinfektion (mit Alkohol and Sublimat) vor jeder inneren Untersuchung
einer Gebärenden vorgenommen werden muß, also bei Entbindungen all¬
gemein zur Anwendung kommt, während die gewöhnliche Desinfektion mit
Sublimat allein nur bei der inneren Untersuchung Schwangerer und zur Be¬
sorgung des Wochenbetts ausreicht. Es hätte hier wohl noch hinzugefttgt
werden können, „soweit die Hände bei dieser Pflege nicht in Berührung mit
dem Wochenfluß usw. gekommen sind.“ ln diesem Falle hat stets die ver¬
schärfte Desinfektion stattzufinden.
In bezug auf die mitzuführenden Instr um ent e .(§ 194) sind folgende
abändernde Bestimmungen getroffen:
1. Das Glas für Sublimat muß fest verschlossen, mit weitem Hals ver¬
sehen und mit „Sublimatpastillen, Vorsicht, Gift!“ bezeichnet sein. Die
Sublimatpastillen sollen aus der Apotheke zu 100 Stück bezogen und stets
unter Verschluß gehalten sein. — Ob der Bezug von Sublimatpastillen aus
den Apotheken vorgeschrieben werden kann, erscheint mit Rücksicht auf
die bestehenden Vorschriften über den Arzneimittel- und Giftverkehr
zweifelhaft.
2. Die Bürsten müssen mit dem eingebrannten Worte „Seife“ (die größere)
und „Sublimat“ (die kleinere) bezeichnet und in einem Beutel von wasser¬
dichtem Stoff aufbewahrt werden.
3. Der Gummi-Katheder (s. vorher) soll in einer kleinen Blechbüchse
mitgeführt werden. Er muß vor jedem Gebrauch 15 Minuten lang aus¬
gekocht werden und in dem abgekochten Wasser oder in lproz. Lysol-
lösung bis zum Gebrauch liegen bleiben.
4. Zwei verlötete Blechbüchsen, enthaltend je 6 sterile Jodoform¬
wattekugeln mit Faden (Tampons), statt einer Büchse mit 12 Tampons.
Hier ist auf den Bezug aus einer Apotheke nicht mehr hingewiesen.
5. Zwei Päckchen Wundwatte mit je 50 g statt einem von 100 g.
6. Nabelläppchen sind nicht mehr erforderlich; dagegen
7. ein nahtloser dünner, in einem kleinen Leinwandbeutel mitzuführender
Gummihandschuh (Größe Nr. 8) neu vorgeschrieben, der durch Ans¬
kochen zu desinfizieren und vor dem Gebrauch in die Sublimatlösung
1 :1000 zu legen ist. Vor dem Ueberziehen über die Hand ist stets durch
Einfüllen Sublimat zu prüfen, ob er unverletzt ist.
Der § 194 hat außerdem noch folgenden zweckmäßigen Schlußsatz
erhalten: Stößt die Hebamme bei der Anschaffung oder Ergänzung dieser
aufgeführten Instrumente und Mittel auf Zweifel oder Schwierigkeiten, so
wende sie sich an den Kreisarzt.
In § 217, Abs. 2 ist für die Anlegung des Nabelverbandes, die
mit durchaus reiner Hand vorzunebmen ist, jetzt die Verwendung eines kleinen
Wattebausches statt der Nabelläppchen vorgeschrieben.
Im § 219 ist die Wartezeit bis zur Anwendung des Credöschen Hand¬
griffes von */* auf 1 Stunde verlängert, falls keine Unregelmäßigkeiten
(Blutungen) eintreten.
§248, Abs. 3 hat betreffs des Selbststillens der Mutter folgende
Aenderung erfahren:
„Fast jede Frau kann ihr Kind wenigstens während einiger Monate stillen.
Bei vielen Frauen dauert es aber oft wochenlang, bis die für das Kind nötige
Menge von den Brüsten geliefert wird. Während dieser Zeit ist es die
Pflicht der Hebamme, die junge Mutter durch Zuspruch und
Rat zu unterstützen und zu ermutigen, stattihrvon derFort-
setzung des Stillens abzuraten, wenn in den ersten Wochen
nicht sogleich reichlich Milch fließt.
Frauen, welche lungenkrank sind oder an Schwindsucht leiden, ferner
solche, bei welchen schwere Gehirnkrankheiten oder schwere Nervenkrankheiten
(z. B. Epilepsie) bestehen, dürfen das Kind nicht stillen.
Im § 264 ist als künstliche Nahrung des Kindes auch Ziegenmilch
zugelassen.
Die wichtigsten Aenderungen sind endlich in bezug auf das Kindbett¬
fieber. Zunächst hat §469, Abs. 5 einen Zusatz betreffs des Kindbettfieber¬
verdachts erhalten und lautet jetzt wie folgt:
782
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
„Solche Wandkrankheit, die zu einer allgemeinen Blut¬
vergiftung geführt hat, nennen wir nach altem Brauch and entsprechend
der Bezeichnung im Gesetz, betreffend die Bekämpfung übertragbarer Krank*
heiten (Landesseuchengesetz) „Kindbettfieber“, während wir alle leichteren
Formen der Wundkrankheiten im Wochenbett als Kindbettfieberverdacht
bezeichnen. Diese Einteilung ist aus gewissen Gründen zweckmäßig. Denn
niemals kann man mit Sicherheit wissen, ob eine Erkrankung, welche wir als
Kindbettfieberverdacht bezeichnen, selbst wenn sie nur mit Temperaturen von
einigen Zehnteln über 38 0 beginnt, nicht doch noch za dem eigentlichen, meist
tödlichen Kindbetefieber führt. Ja bei manchem Fall, welchen wir heute noch
als „Verdacht“ bezeichnen, war, wie die spätere Beobachtung lehrt, doch schon
eigentliches Kindbettfieber vorhanden, ohne daß wir die Erscheinungen der
allgemeinen Blutvergiftung schon erkennen konnten.“
Sodann ist im § 470 vorgeschrieben, daß, wenn die Hebamme Unglück*
licherweise doch mit Leichen, Leichenteilen, Eiter oder fauligen Ausfluß in
Berührung gekommen ist, nicht nur die verschärfte Desinfektion auszuführen,
sondern sich auch der Praxis bis zur Entscheidung des Kreis¬
arztes zu enthalten hat.
Zu den im § 474, Abs. 1 aufgeführten Krankheiten, bei denen sich die
Hebammen ihrer Berufstätigkeit, falls sie in ihrem Wohnhause auftreten, zu
enthalten hat, ist noch Wundstarrkrampf hinzugekommen; ein gleiches
ist der Fall, wenn sie selbst an eitrigem Ohren fl uß leidet oder sich mit
Syphilis infiziert hat.
Eine wesentliche Abänderung haben die §§ 481 und 482 in bezug auf
die Zuziehung des Arztes und betreffs der Anmeldepflicht bei
W o c h e n b e 11 erkrankungen erhalten und zu folgender Fassung des § 28
der Dienstanweisung geführt:
„Im Wochenbett hat die Hebamme auf die Hinzuziehung eines
Arztes zu dringen:
1. wenn die Temperatur über 38° steigt,
2. bei jedem Schüttelfrost der Wöchnerin,
3. wenn die Zahl der Pulsschläge sehr in die Höhe, z. B. auf 120, geht, und
eine auffallend niedrige Temperatur besonders am Abend vorhanden ist,
z. B. 36° oder 35,5°, was auf bestehende Herzschwäche hindeutet,
4. sobald ein Geschwür an den äußeren Geschlechtsteilen, das sich oft hinter
einer Anschwellung der Teile verbirgt, entdeckt wird, selbst wenn noch
kein Fieber bestehen sollte.
Der Kreisarzt ist zu benachrichtigen bei jedem Fieber
im Wochenbett von mehr als 38°. Sie hat sich bis zum Eintreffen
einer mündlichen oder schriftlichen Belehrung des Kreisarztes jeder Tätigkeit
als Hebamme zu enthalten bei einer anderen Person. Falls ein Arzt hin zu¬
gezogen, so meldet sie den Namen desselben gleichzeitig dem Kreisarzt. Der
Kreisarzt entscheidet, ob sie die erkrankte Wöchnerin weiter pflegen darf.
Den Tod einer Wöchnerin hat die Hebamme sofort dem Kreisarzt per¬
sönlich oder schriftlich zu melden.
Liegt nun aber wirkliches Kindbettfieber vor, so tritt der § 8, Absatz 1,
Ziffer 8, Absatz 3 des Gesetzes, betregend die Bekämpfung übertragbarer
Krankheiten (Laudesseuchengesetz) in Geltung.
§ 29a. Notfälle. Hat die Hebamme in ihrer Praxis eine Wöchnerin
mit Kindbettfieber oder Kindbettfieberverdacht, und kommt jetzt eine Meldung
zur Geburt, und kann eine andere Hebamme sie nicht vertreten, so besteht
ein Notfall. Sie desinfiziert ihre Hände mehrfach mit Alkohol und Sublimat,
nimmt ein Bad, wechselt die Kleider, desinfiziert ihre Instrumente und begnügt
sich mit der äußeren Untersuchung der Gebärenden. Zum Dammschuts
und zur Reinigung der Geschlechtsteile zieht sie ihren Gummihandschuh über
die Hand, welche die Geschlechtsteile berührt. Glaubt sie, mit der äußeren
Untersuchung nicht auszukommen, so bittet sie einen Arzt zur Leitung der
Gebart.“
So zweckmäßig diese Abänderung ist und in den beteiligten Kreisen
gewiß volle Zustimmung finden wird, so liegt doch die Befürchtung vor, dass
sie rechtlich unzulässig ist, weil sie mit den Vorschriften des Landesseuchen¬
gesetzes in Widerspruch steht; denn dieses sieht auch für die Hebammen kein e
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
783
Anzeigepflicht bei Kindbettfieberverdacht vor. Das Gericht wird sich aber
voraussichtlich dem Landesseachengesetz gegenüber genau auf den gleichen
Standpunkt stellen wie früher gegenüber dem Regulativ vom 8. August 1836
und demzufolge annehmen, daß durch jenes die einschlägige Materie erschöpfend
geregelt ist und entgegenstehende Bestimmungen durch Polizeiverordnungen,
Dienstanweisungen usw. nicht getroffen werden dürfen. Rpd.
Bemerkungen in § 8 der Dienstanweisung für die Hebammen Im
KSnigreleh Preussen (Hebammenlehrbuch 1904, S. 366). Von Med.*Rat Dr.
Liedke in Tilsit.
In Absatz 3 heißt es: Die Anzeige beim Standesbeamten unterbleibt
bei denjenigen Todgeburten, welche vor der 28. Schwangerschaftswoche erfolgen
oder bei denen die Länge der Frucht nicht mehr als 83 cm beträgt.
Diese Bestimmung steht nicht im Einklänge mit den Erlassen des
Medizinalininisters vom 26. Oktober 1893, Beilage aer Nr. 22 der Zeitschrift
für Med.-Beamte 1903, S. 170 und der Minister des Innern und der Justiz vom
19. Dezember 1893 (Min.-BL 1894, S. 2). Beide Erlasse, von denen letzterer
den Standesbeamten zur Nachachtung mitgeteilt ist, daß todtgeborene mensch¬
liche Leibesfrüchte dem Standesamte von den Hebammen anzuzeigen sind,
sobald dieselben den sechsten Kalendermonat in ihrer Entwickelung überschritten
haben und zwar mit der Maßgabe, daß Früchte von mehr als 32 cm Körper¬
lange als schon dem 7. Kalendermonat angehörig zu betrachten sind.
Da diese Ministerialerlasse bisher nicht aufgehoben sind und die Standes¬
beamten daher nach wie vor von den Hebammen verlangen können, daß sie
todte menschliche Leibesfrüchte schon von mehr als 32 cm nicht 88 cm zur
Anzeige bringen, so ist eine Aenderung obiger Erlasse notwendig.
Durch das Reichsgesetz vom 14. April 1905 (R.-G.-BL Nr. 17) ist § 28
des Gesetzes über die Beurkundung des Personenstandes X vom 6. Februar
1875 dahin abgeändert worden, daß Todtgeburten nicht mehr am nächstfolgen¬
den Tage, sondern erst am nächstfolgenden Wochentage dem Standesbeamten
von den Hebammen anzuzeigen sind. Es ist demnach auch § 3, Abs. 2, der
Dienstanweisung für die Hebammen entsprechend abzuändern.
Ist die im § 818 des neuen prensslsehen Hebammenlehrbuehes 1904
ausgesprochene Forderung, hei jeder Gesichtslage die Leitung der Geburt
einem Arzte zu fibergeben, gerechtfertigt 1 Von August Zahn. Dissertation
Straßburg 1905.
In den meisten Büchern der Geburtshilfe (auch in den Run£6sehen!)
wird die abwartende Behandlung der Geburtslage empfohlen, weil diese unter
normalen Verhältnissen auch ohne ärztlichen Eingriff günstig verläuft. In
Widerspruch hierzu steht die Forderung, des neuen Lehrbuches, bei jeder
Gesichtslage einen Arzt zuzuziehen.
Verf. sucht an der Hand von 82 Gesichtslagen, die in den letzten 10
Jahren in der Straßburger Klinik beobachtet wurden, den Beweis zu erbringen,
daß in der weitaus größten Mehrzahl Gesichtslagen ohne ärztliche Hilfe
glücklich verlaufen; fernerhin, daß diejenigen Fälle, die tatsächlich einen
Eingriff erforderten, unter allen Umständen — auch wenn nicht gerade eine
Gesichtslage Vorgelegen hätte — die Hebamme zur Inanspruchnahme ärztlicher
Hilfe veranlaßt haben würden.
Das Resultat war folgendes: In 69,5 °/o der Fälle war ein ärztliches
Einschreiten nicht notwendig. Die Prognose für die Mutter wurde durch die
abwartende Behandlung nicht verschlechtert. Die Prognose für das Kind
wurde durch die operative Behandlung nicht derart gebessert, um den für die
Mutter keineswegs gleichgiltigen Eingriff zu rechtfertigen. Die Gefahr, daß
ohne strikte Indikation operativ eingegriffen wird, ist bei der jetzigen Fassung
des g 318 besonders groß.
Es würde daher die Abänderung des § 318 im Fehlin gsehen Sinne dahin
zu treffen sein: Die Hebamme soll zum Arzte schicken, sobald die Geburt
in Gesichtslage etwas langsamer verläuft, z. B. bei Erstgebärenden; sie soll
unbedingt schicken, sobald Gefahr im Anzuge ist. Dr. Dobrn-CasseL
784
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
Das aene englische Hebammengesetx. Referat, erstattet tob Dr.
Mayer- Simmern.
Die nachfolgenden Darlegungen beruhen auf den im Public health,
XVII, Juni 1906 wiedergegebenen Vorträgen über „The midwives act 1902“
yon Dr. G. H. Fosbroke, County medical officer of health, Worcestershire
und Edward Sergeant, County medical officer of health for Lancashire.
Die Vorträge wurden in der englischen Medizinalbeamten-Versammlung selbst
bezw. einer Sektion derselben gehalten; an der Diskussion nahmen teil Ver¬
waltungsbeamte, Vertreter der Zentralbehörde, Medizinalbeamte, Aerzte, Heb-
ammeninspektorinnen.
Bereits früher einmal 1 ) ist in dieser Zeitschrift des niedrigen Standes
des Hebammenwesens in manchen Teilen Englands gedacht worden. Das neue
Gesetz stellt nun an die Hebammen wesentlich höhere Anforderungen als früher.
Als höchste Aufsichtsbehörde fnngiert „The central midwives board“,
der aus 6 Aerzten, 8 Aerztinnen und einem Verwaltungsbeamten besteht.
Der mittlere Instanz stellen die „Local supervising authorities* dar,
die dem Grafschaftsrat beigeordnet sind, z. T. ausschließlich aus Mitgliedern
dieser Behörde bestehen, in anderen Fällen andere Mitglieder, auch Damen,
kooptiert haben. Die Mitwirkung der Damen an dieser Stelle hat sich als
nützlich und fruchtbringend erwiesen. Diese neugeschaffene Behörde hat die
Aufgabe, für das Gebiet der ‘ ganzen Grafschaft die Hebammenlisten zu
führen, Zu- und Abgang der nach dem neuen Gesetze geprüften Hebammen
zu kontrollieren, jeden Fall von Kunstfehler, schlechter Führung, Nachlässig¬
keit der Hebammen zu verfolgen, gegebenenfalls zur Verhütung der Weiter¬
verbreitung von Wochenbettfleber die Berufstätigkeit bis zur Dauer von 4—6
Wochen zu untersagen. Die wesentlichen Befugnisse dieser Behörde liegen
naturgemäß in der Hand ihres Medizinalreferenten. Zur Erleichterung der
gewaltigen Arbeitslast wird er durch Inspektorinnen unterstützt, welche ent¬
weder selbst geprüfte, vorzüglich ausgebildete Krankenpflegerinnen und Heb¬
ammen sind oder welche rite approbierte Aerztinnen sind. Diese haben das
Recht, die Hebammen auf ihren Rundreisen in ihren Wohnungen zu besuchen;
sie unterrichten sie im Gebrauche der Instrumente, prüfen die Tagebücher,
lehren sie die Regeln der Reinlichkeit, besuchen sogar mit den Hebammen
zugleich die Wöchnerinnen, die eben in Pflege stehen. — In Manchester ist
diese ärztliche Inspektorin in ihrer Amtswohnung im Stadthause regelmäßig
zu bestimmten Stunden zu sprechen und gibt hier den Hebammen über alle
fraglichen Punkte bereitwilligst Auskunft.
Der wesentliche Anteil bei Beaufsichtigung der Hebammen fällt also
zur Zeit der mittleren Instanz, dem Grafschaftsrat-Medizinalbeamten zu. Der
unteren Instanz, dem Distrikts-Medizinalbeamten, liegt es allerdings, wie
in Preußen, ob, in jedem Falle von Wochenbettfieber Erhebungen an Ort und
Stelle zu machen und auf Grund dieser Untersuchungen seiner Lokalbehörde
einen Bericht einzureichen. Unterstehen nun dem Grafscbaftsrat, wie in Wor
cestcrshire, 600 Hebammen auf eine Bevölkerung von 375000 Einw. — wie
etwa der Reg.-Bez. Stade sie aufweist —, so wird dem Medizinalbeamten der
Grafschaft durch die Beaufsichtigung, trotz aller Unterstützung durch Inspek¬
torinnen, eine außerordentliche Arbeitslast aufgebürdet. Eine größere
Heranziehung der Lokalmedizinalbeamten erscheint daher
gewiß wünschenswert. Ein Anfang zur Fühlung zwischen mittlerer und
unterer Instanz ist auch bereits insofern auf diesem Gebiete gemacht, als die
Distriktsmedizinalbeamten in einigen Grafschaften bereits verpflichtet wurden,
gegen Entschädigung von 10 Shilling die Wochenbettfieberberichte gleichzeitig
mit der Entsendung an die Lokalbehörde auch an den Grafschaftsrat zu
erstatten.
Die Diagnose „Wo'c henbettfieber“ hat der behandelnde Arzt zu
stellen. Die Anzeige an den Grafschaftsrat, als ihre „Local supervising autho-
rity“ hat die Hebamme zu machen. Ein Arzt ist zuzuziehen, sobald Tempe¬
ratursteigerung auf 88" und Pulsbeschleunigung mehr als 24 Stunden anhalten.
Die Desinfektion nach Berührung wochenbettfieberkranker oder anderswie
infektiöser Wöchnerinnen hat nach Anordnung der Ortssanitätsbehörde zu ge¬
schehen. Alle waschbaren Kleider sind auszukochen, andere Kleider sind im
*) Zur Verhütung des Kindbettfiebers. Von Dr. Morison. 1902,8.869.
Kleinere Mitteilangen nnd Referate ana Zeitschriften.
785
Dampfdesinfektionsapparate zu reinigen and sind dann mehrere Tage hindurch
der freien Loft aoszosetzen.
Da nicht alle Lok&linstanzen Desinfektionsapparate besitzen — von 30
der Grafschaft Worchestorshire z. B. nur 20 — so ist die neae Gesetzesvor¬
schrift eine gate Handhabe, die Weiteraosbildang des Desinfektionswesens
za fordern.
Jede Hebamme hat zwei Tagebücher zn führen: eines, das etwa dem
Tagebach der preußischen Dienstanweisung entspricht and ein zweites, das
ein Verzeichnis der Fälle darstellt, in denen ein Arzt hat zngezogen werden
müssen. Eine solche Zuziehung hat za erfolgen in jedem Falle von Abort,
von Erkrankung von Matter oder Fand, bei jeder Regelwidrigkeit während
der Schwangerschaft, der Gebart oder des Wochenbettfiebers. Die Befolgung
dieser Vorschrift macht einerseits den Hebammen große Schwierigkeiten und
hat anderseits za einer Bennrahigang der ärztlichen Kreise, zu Verhand¬
lungen in den medizinischen Körperschaften and za Verwaltangsmaßnahmen
geführt. Es ist häufig vorgekommen, daß die Angehörigen die Zahlung ver¬
weigerten, da sie angeben, nicht sie, sondern die Hebamme habe den Arzt
zogezogen, and es ist sogar vorgekommen, daß der Arzt nar dann seine Hülfe
zagesagt hat, wenn er das Geld für seine Mühe im voraus erhält — und zwar
näßte die Hebamme aas eigener Tasche das Honorar für den Arzt erlegen I
Der Standpunkt der Aerzte wurde durch einen Arzt durch das Sprichwort
charakterisiert: „Never do ort for nowt, but if tha does, do it for thissen.“
Bei den deutschen Aerzten besteht jedenfalls eine größere Neigung zur Hülfs-
bereitschaft. Za erhoffen ist, daß das Pablikom mit der Zeit besser erzogen
wird and die Aerzte die Vorteile des Gesetzes für ihre eigene gebartshülfliche
Tätigkeit einsehen werden.
Bei der Schwierigkeit, das flache Land genügend mit Hebammen zu ver¬
sorgen, die nach der neuen Ordnung ausgebildet sind, erlaubt das Gesetz, daß
bis zum Jahre 1910 Hebammen, aach wenn sie den neuen Anforderungen nicht
vollständig entsprechen, weiter praktizieren dürfen; nur sollen sie den Titel
„Hebamme“ nicht führen. Dabei ist zu bedenken, daß in den ärmeren Volks¬
kreisen die nicht vollausgebildeten Hebammen schon aus dem Grunde vorge¬
zogen werden, weil sic billiger sind, die Hausarbeit and die Sorge für die
anderen Kinder mit übernehmen.
Zar Ausbildung eines guten Stammes von Hebammen werfen manche
Grafschaften große Summen aus.
Vergleichen wir das neae englische Hebammengesetz mit der preußischen
Dienstanweisung für Hebammen and dem preußischen Lehrbach von 1904, so
scheint dem Referenten zweierlei besonders betont werden za müssen: Die
Wahl des Desinfektionsmittels steht den englischen Hebammen
frei, in den Besitz von Sublimat können sie jedoch nur schwer
gelangen. Ferner scheint die Einrichtung der Inspektorinnen in
mancher Beziehung sehr nachahmenswert. Wenn aach in Preußen dem Kreis¬
arzt ein Teil der Pflichten dieser Beamtinnen zafällt, wenn auch der praktische
Arzt am Kreißbette and in Hebammenvereinen die Tätigkeit der Hebammen
za fördern and za leiten vermag, so dürfte doch die Einrichtung der oft
wiederholten Randreisen, der regelmäßigen Sprechstunden, der Besuche auch
gesunder Wöchnerinnen gemeinsam mit den Hebammen za Zwecken der Be¬
lehrung manches gute Resolut zeitigen.
Im übrigen aber ist das englische Hebammengesetz erst im Werden;
das, was in Deutschland die LehransUlten and die Kreisärzte gemeinsam mit
den praktischen Aerzten durch Jahrzehnte lange Arbeit gesät haben, dürfte
in ähnlicher Weise erst mit der Zeit in England zur Reife gelangen.
Kritische Bemerkungen za dem neuen englischen Hebammengesetze.
(Acriticism of the mid wives act, 1902). Von Dr. Edmund M. Smith,
med. off. of health, city of York. Nach einem Vortrage vor der Yorkshire
Sektion des engL Medizinalbeamtenvereins. Public health, XVIII, Oktober
1905, S. 20—80.
Wir greifen aas dem anregend geschriebenen Aufsätze einige Punkte
heraus, die auch für unsere Verhältnisse von Interesse sind.
Nach dem mid viwes act hat der Gesundheitsbeamte das Recht, bei
786
Kleinere Mitteilangen and Referate aus Zeitschriften.
einer Hebamme, die eine wochenbettfieberkranke Wöchnerin besucht hat, die
Desinfektion zu erzwingen and bis zur vollständigen Desinfektion die Ans*
ttbung der Praxis za a nt er sagen. Vergleicht man mit diesen neuen Vor¬
schriften die im Jahrgang 1902, S. 869 geschilderten Zustände, so springt der
Fortschritt in die Augen.
Wie lange soll die Karenzzeit dauern? ln Schweden muß die
Hebamme 1 Woche hindurch der Praxis fern bleiben und soll sich möglichst
in der freien Luft aufhalten, ln England ist das Recht der Suspension
den Grafschaftsbehörden übertragen, ln den meisten Fällen dauert die
Karenzzeit 2—8 Wochen. Der Gesundheitsbeamte hat in einigen Bezirken
generell das Recht erhalten, aus sich die Suspension von der Praxis zu
verfügen.
Die Anzeigepflicht der Aerzte beruht auf dem Infektions diseases
notifikation act von 1889 und 1899. Die Anzeige wird aber häufig vergessen
oder aus Furcht vor Schaden in der Praxis und für das Rdnomm£e unterlassen,
ln der (1891 67000 Einwohner zählenden) Stadt York wurden gemeldet: 1897:
Krankheitsfälle 2, Todesfälle 0, 1898: 4 (3), 1899 : 4 (4), 1900: 10 (7), 1901:
3 (4), 1902 : 2 (1), 1903 : 3 (2), 1904 : 4 (0). Wenn 1901 3 Krankheitsfälle
gemeldet wurden, 4 Wöchnerinnen aber starben, so zeigt diese Tatsache allein
schon an, wie schlecht die Anzeigepflicht gehandhabt wird. (Die Zahlen sind
übrigens gewiß viel zu niedrig).
Nach dem neuen Gesetze ist auch die Hebamme zur Anzeige verpflichtet
Der Ausdruck „Wochenbettfieber“ ist nach den standesamtlichen Vorschriften
und den für die Jahresberichte geltenden Anordnungen des Local Government
Board durch Septicaemie, Sapraemie und Pyaemie zu ersetzen. Die Klassifi¬
kation des engl. Medizinalbeamtenvereins hat außer den genannten 8 Unter¬
abteilungen noch die Begriffe: Beckenperitonitis, puerperale Endo- und Peri¬
metritis eingeführt.
Auch unter dem neuen Gesetz darf bei Todgeburten die Hebamme den
Begräbnisschein ausstellen. Nur dann wenn der Behörde oder dem Gesundheits¬
beamten verdächtige Fälle zur Kenntnis kommen oder solche Scheine besonders
häufig von einer Hebamme ausgestellt werden, wird die Behörde die Sache
dem Coroner überweisen.
Scheideneingießungen sollten in der Regel den Hebammen verboten werden.
Wie viele deutsche Aerzte, hält auch der Autor Sublimat, ins¬
besondere in Soloidform, für zu gefährlich für die Hebammen. Sublimat sollte
ihnen überhaupt nicht überlassen werden; höchstens dürfte der Arzt für jeden
einzelnen Fall die notwendige Menge Sublimat zu Händen der Hebamme
verschreiben.
Als Vorbild für die N achp rüfun gen der Hebammen ist Schweden anzu¬
sehen. Hier muß jede Hebamme jedes Jahr über den Stand ihres Wissens eine
Prüfung ablegen, sie geschieht durch den Gesundheitsbeamten in Anwesen¬
heit von Zeugen. Bei ungenügendem Ergebnis ist Suspension vom Amte
möglich. Hier dürfen ferner die Hebammen wirksame Arzneimittel weder für
die Matter noch für das Kind abgeben. (Vielleicht ließe sich in einer späteren
Auflage des preuß. Hebammenlehrbuches in § 5 der Dienstanweisung bei. ...:
Jeder unbefugten Behandlung von Krankheiten, namentlich von Frauenkrank¬
heiten, zu enthalten“ auch von „Kinderkrankheiten“ einfügen. Ref.).
_ Dr. Mayer-Simmern.
Ein Beitrag zur Bekämpfung der grossen Säuglingssterblichkeit.
Von Dr. Max Eber t, Volontärassistent an der Universitäts-Kinder-Poliklinik
der Kgl. Charit6. Jahrbuch für Kinderheilkunde; 1905, Bd. XI, H. 3.
In Berlin starben jährlich durchschnittlich 3500 Kinder im ersten Lebens¬
jahr an Verdauungskrankheiten. Die Hauptursache dieser traurigen Tatsache
ist die Unwissenheit der Mütter in den elementarsten Regeln der Ernährung
der Säuglinge. Hierfür bringt der Autor folgenden Beweis:
2/0 Mütter, welche mit ihren Kindern die Poliklinik aufsuchten, wurden
über folgende Punkte der angewandten künstlichen Ernährung befragt:
1. Kochen Sie Milch und Zusatz zugleich ab, und heben Sie beides als
fertige Tagesnahrang in einem Topf auf ? 92,9 °/o der Kinder erhielten eine
erst kurz vor dem Trinken gemischte Nahrung.
Besprechungen.
787
2. Ktthlen Sie die Nahrung, nachdem sie gekocht hat, schnell in kaltem
Wasser abP In 50°/o wurde die Nahrang nicht entsprechend abgekUhlt.
8. Heben Sie die Nahrung verschlossen auf? Nein, in 61,3 ®/o!
4. Wieviel Milch verbrauchen Sie täglich für das Kind? 86,8°/o der
Kinder wurden falsch, z. T. grob falsch ernährt.
5. Wie stark verdünnen sie die Milch ? 68 °/o der Kinder erhielten eine
zu dicke oder zu dünne Nahrung.
6. Wieviel Nahrung erhält das Kind täglich? 94,5 °/o wurden falsch ernährt.
7. Wieviel Zucker setzen Sie täglich der Nahrung zu? 16,6 °/o der
Mütter überschreiten die zulässige Maximalmenge von 60 gr.
8. Wieviel Mahlzeiten erhält das Kind in 24 Stunden? 8,8°/o erhielten
zu wenig, 78,4 °/e zu viele Mahlzeiten.
9. Wie viele Mahlzeiten in der Nacht? 60 °/o hatten keine regelmäßige
Nachtpause.
10. Wie lang sind die Pausen zwischen den einzelnen Mahlzeiten? Von
270 Müttern hielten 135 zu kleine Pausen. Die Antwort: „Alle Stunde, so
oft es haben will“, war dabei besonders häufig.
11. Wie groß ist die einzelne Mahlzeit P In 79,3 °/o war sie nicht richtig
abgemessen.
Nachdem Verf. an der Hand dieses Fragebogens den schlagenden Beweis
für die Bichtigkeit der anfangs angeführten Behauptung geliefert hat, geht
er auf Bekämpfung dieser Uebelstände ein. Er führt zunächst ein sehr zweck¬
mäßiges, von ihm verfaßtes Merkblatt an, dessen Wiedergabe leider den knappen
Baum eines Beferates überschreiten würde. Zweitens fügt er die Beschreibung
eines anscheinend sehr zweckmäßigen Apparates für die Zubereitung der Milch
an, der jede Mutter instand setzt, eine nach Mischung und Tagesmenge ent¬
sprechende Normalnahrung herzustellen. Dr. Dohrn-Cassel.
Besprechungen.
Lunauu modlzlnisohe Atlanten.
a. Dr. Otto Zuokerk&ndl - Wien: Atlas und Grundriss der chi¬
rurgischen Operationslehre. Mit 46 farbigen Tafeln und 809 Abbil¬
dungen im Texte. Bd. XVI. III. vermehrte u. verbesserte Auflage. München
1905. KL 8°; 483 S. Preis: 12 Mk.
b. Dr. Heoker und Dr. 8. Tnunpp, Privatdozenten in Müncheu:
Atlas und Grundriss der Kinderheilkunde. Bd. XXXII. Mit 48
farbigen Tafeln und 144 schwarzen Abbildungen. München 1906. KL 8°;
482 S. Preis: 16 Mk.
Der Zucke rk and Ische Atlas ist bereits früher in der Zeitschrift
besprochen und warm empfohlen; die neue vorliegende Auflage verdient diese
Empfehlung in erhöhtem Maaße, sie ist nicht nur in bezug auf Inhalt, sondern
auch in bezug auf Ausstattung wesentlich verbessert und vermehrt. Nament¬
lich gilt das betreffs der beigegebenen farbigen Tafeln und sonstigen Abbil¬
dungen.
Der Atlas von Hecker und Trum pp erscheint zum erstenmale;
er reiht sich den bisher in dem Verlage erschienenen Atlanten in jeder
Weise würdig an. Der Text stellt ein kurz gefaßtes, aber doch alle wichtigeren
Fragen der Kinderheilkunde ausreichend berücksichtigendes Bepertitorium dar,
das durch die beigegebenen bildlichen Darstellungen in vorzüglicher Weise
erläutert wird. Den Medizinalbeamten werden in diesem Atlas besonders die
Kapitel über die anatomischen und physikalischen Eigentümlichkeiten, über
die Ernährung der Kinder, sowie über Krankheiten und Mißbildungen der
Neugeborenen, chronische und akute Infektionskrankheiten der Kinder,
interessieren. Ebenso wie bei dem früheren Atlanten hat die Verlagsbuch¬
handlung weder Mühe und Kosten gescheut, um dem Atlas eine möglichst
gute äußere Ausstattung zu geben; die größeren farbigen Tafeln sind wahrhaft
künstlerisch ausgeführt; die farbigen Abbildungen lassen an Schärfe und
Klarheit der Darstellung nichts zu wünschen übrig. Bpd.
788
Tagesnachrichten.
Der Dratooha Hebammen Kalender fftr^lOOfi. Verlag von Elwin
Stande in Berlin S. W. 35. Preis: 1 Hk.
Der soeben erschienene neue Jahrgang bringt manche neue Original*
Aufsätze: „Ratschläge znr Ernährung und Pflege der Neugeborenen und
Säuglinge (Heubner-Berlin). „Blatungen in der geburtshülfuchen Praxis“
(W a 11 h e r - Gießen). „ Die Hauptpflichten der Hebammen und ihre Fortbildung
nach dem neuen Lehrbuch“ (Stoeckel-Berlin). Letzterer allein dflrfte die
Anschaffung rechtfertigen. Die Ausfüllung des Tagebuchs ist ja jetzt eine
sehr umständliche, aber doch für alle Teile wichtig. Insbesondere kann nicht
genug betont werden, daß die Hebamme auch wirklich alle Temperaturen ein¬
trägt und nicht etwa die ihr normal erscheinenden fortläßt, weil nur so ein
schnelles Urteil über die etwaige Krankheit gewonnen wird.
Dr. Blokusewski-Niederbreisig a. Rh.
Tagesnachrichten.
Im Relehshaushaltsetat für 1906 sind u. m. 120000 Hark als erste Rate
zur Erforschung der Schlafkrankheit eingestellt. Ueber die geplante
Expedition gibt gleichfalls eine Denkschrift Aufschiaß. — Ferner wird in
dem Etat des Militärsanitätswesens die Schaffung einer neuen Instanz
zwischen dem Generalstabsarzt der Armee und den Korps-Generalärzten vorge¬
schlagen durch Errichtung von vier Sanitäts-Inspektionen mit dem Sitz
in Berlin, Posen, Kassel und Straßbarg i. E. Die Sanitätsinspektoren sollen den
Rang und die Gebührnisse der Brigadeinspekteuro erhalten. — Es ist wieder
ein neuer Beweis, wie sehr dos Militärmedizinal wesen demjenigen der Zivil-
verwaltung voranschreitet. Erst die Divisionsärzte mit dem Range eines Oberst¬
leutnants, wodurch sämtliche Korpsgeneralärzte sofort den Rang als Oberst
erhielten, dann die Beseitigung der Oberstabsärzte zweiter Klasse, und Ein¬
rangierung aller Oberstabsärzte unter die Stabsoffiziere; und nunmehr eine
Zwischeninstanz zwischen dem Generalstabsarzt der Armee und den Korps¬
generalärzten, durch die einem erheblichen Teile der letzteren die Möglichkeit
gegeben wird, nicht nur den Rang, sondern auch die Kompetenzen der Brig&de-
kommandeure zu erreichen. Von der Ausführung der vor einigen Jahren ins
Auge gefaßten Neuerrichtung einer medizinisch-technischen Zwischeninstanz
zwischen Regierung und Ministerium durch Schaffung von Obormedizinalräten
bei den Oberpräsidenten hat man dagegen nichts wieder gehört.
In der am 2 0. N o v e m b e r d. J. stattgehabten Plenarsitzung des
KSuigl. Sächsischen Landes-Medlzinalkollegiums, deren Tagesordnung in der
vorigen Nummer mitgeteilt ist (s. S. 762), wurde der Antrag auf Einführung
des Einzelkelches bei der Abendmahlsfeier einstimmig angenommen. Das
Publikum müsse allmählich daran gewöhnt werden, daß jeder seinen Einzel¬
kelch mitbringe, was der Beschaffung der Einzelkelche durch die Kirche vor¬
zuziehen sei. Ferner sprach sich das Landesmedizinalkollegium grundsätzlich
für Abschaffung der Kurierfreiheit aus, nahm aber davon Abstand,
einen dementsprechenden bereits früher beim Ministerium des Innern gestellten
Antrag zu wiederholen. Die Frage, ob namentlich im Staats- oder Gemeinde¬
dienst angestellten Aerzte (Krankenhaus-, Armen-, Impf-, Schul- usw. Aerzte)
dem ärztlichen Ehrengericht zu unterstellen seien, wurde ärztlicher¬
seits einstimmig bejaht, während seitens des Vertreters der Königlichen Staats¬
regierung juristische Bedenken dagegen geltend gemacht wurden.
Notiz. Gleichzeitig mit der heutigen Nummer der Zeitschrift gelangt
der offizielle Berloht Aber die diesjährige Hauptversammlung doa
Deutsohen Medizinalbeamtenvereinz zur Ausgabe; die Versendung er¬
folgt jedoch für die Nicht-Postabonnenten — also auch für die Mitglieder
des Deutschen Medizinalbeamtenvereins — unter besonderem
Umschlag.
Verantwortl. Redakteur: Dr. Rapmund, Reg.- u. Geh. Med.-Rat in Minden i. W.
J. C. C. Bruns, Herzogi. Sachs, u. F. 8ch.-L. Hofbuchdruckerei in Minden.
18. Jahrg.
1905.
Zeitschrift
fflr
MEDIZINALBEAMTE.
Zentralblatt f&r gerichtliche Medizin ud Psychiatrie,
für ärztliche Sachrerstindigentatigkeit in Unfall* und Inraliditätssaehen, sowie
für Hygiene, öffentL Sanitatswesen, Medizinal-Gesetzgebung und Rechtsprechung
Herausgegeben
▼ on
Dr. OTTO RAPMÜND,
Regierung*- und Geh. Medixlnalret in Minden.
Verlag von Fischers mediz. Buehhandlg, H. Kornfeld,
HaraogL Bayer. Hof- u. BnbanogL Kammar-BaohMadlar.
Berlin W. 35, Lützowstr. 10.
Inserate nehmen die Terlsgshandlang sowie alle Annoncen - Expeditionen des In-
und Auslandes entgegen.
Nr. 24.
Kraeheiitt mm 1. und 15. Jeden Monate
15. Dezbr.
Der amtsärztliche Dienst bei einer Stromüberwachungsstelle.
Von Dr. G. Bundt, Kreisarzt zu Qaerfurt.
Das vollkommene Erlöschen der Cholera in den polnischen
Provinzen des rassischen Reiches im Laufe des Winters erscheint
so wenig sicher, dass voraussichtlich anch für das nächste Früh¬
jahr wiederum eine gesundheitliche Stromtiberwachung erforderlich
sein wird. Es dürfte deshalb anch für die Herren Kollegen,
welche aufgefordert werden, bis zum 1. Januar ihre etwaige
Bereitwilligkeit zur Verwendung im Ueberwachungsdienst für das
Frühjahr 1906 zu erklären, nicht ohne Interesse sein, einiges
über die Einrichtungen und den Dienst in einer solchen Stelle zn
erfahren.
Am 16. September wurde ich zur Leitung der Stromüber¬
wachungsstelle in Lauenburg a./Elbe telegraphisch berufen.
Bereits zwei Tage später, am Montag, den 18. September mittags,
traf ich nach znvoriger Meldung bei dem zuständigen Landrat in
Batzebnrg in Begleitnng des beamteten Kollegen des Kreises
Dr. Rohwedder in Lauenburg an. Am Tage vorher war schon
durch eine Kommission der Königlichen Regierung zu Schleswig
die Stelle für die Ueberwachung am Elbnfer unterhalb der Stadt
im sogenannten Knhgrnnd bestimmt, das zn entleerende Armen¬
haus der Stadt als provisorische Cholerabaracke und Aufenthalts¬
ort für Verdächtige, der amtliche Desinfektor Lauenbnrgs für den
Stromdienst anserBehen and ein Motorboot als Ueberwachungs-
fahrzeug gemietet.
790
Dr. G. Bundt.
Unsere erste Aufgabe war die Besorgung der nötigen
Einrichtungsgegenstände für die Station. Es galt für die
Baracke 6 Betten herzurichten, da die 5300 Einwohner zählende
und gegenüber der Einschleppung von Seuchen so exponiert
gelegene Stadt Lauenburg vollkommen ohne Krankenhaus ist.
Ferner mussten die Räume für eine Pflegeschwester, einen
Wärter und Desinfektor sowie das Motorboot mit der nötigen
Ausstattung ausgerüstet werden. Für die beiden Aerzte wurden
Oelmäntel und Oelkappen (sogen. Südwester) sowie zwei warme
Decken für die Bootfahrten beschafft, ferner Schüsseln und Eimer
für die Desinfektionslösungen, Handbürsten und Handtücher.
Geräte für die Entnahme und Versendung verdächtigen Materiales,
eine ausreichende Anzahl 50 gr haltender, weithalsiger Gläser mit
eingeschliffenen Glasstöpseln, Deckgläschen, Platinöse, Fliesspapier
und Pulverschachteln wurden aus der Apotheke entnommen und
in zwei Kisten untergebracht und diese, alles in Holzwolle ver¬
packt, in das Kontrollboot geschafft. Im Laufe des Nachmittags
traf auch der zweite der Ueberwachungsstelle zuerteilte Kollege,
Dr. Stein aus Berlin, hier ein und unterstützte uns bei unseren
Einkäufen mit Rat und Tat.
Da es immerhin von vornherein fraglich erschien, ob die
Baracke mit aller ihrer Einrichtung überhaupt zur Benutzung
kommen würde, so wurde die für sie erforderliche Ausstattung
nicht fest gekauft, sondern dem betreffenden Geschäftsinhaber nur
aufgegeben, die Ausrttstungsgegenstände jederzeit, solange die
Ueberwachung dauern würde, zur sofortigen Abgabe bereit zu
halten. Diese sollte erfolgen, sobald hier auch nur eine einzige
Person in der Baracke Aufnahme fände. Käme ein Erkrankungs¬
fall oder verdächtiger Fall von Cholera überhaupt nicht vor, so
sollten dem Verkäufer 10—20 °/ 0 des Verkaufspreises der Ware,
je nach Art derselben, für Bereithaltung und Herrichtung gewährt
werden.
Es war somit bis auf Räumung und Säuberung des Armen¬
hauses schon am 18. September abends alles zum Beginn des
Ueberwachungsdienstes bereit. Dadurch jedoch, dass erst am
23. September durch Polizeiverordnungen der für das Lauenburger
Elbgebiet zuständigen Regierungspräsidenten von Schleswig und
Lüneburg den Schiffern das Halten an der Ueberwachungsstelle
unterhalb Lauenburgs zum Zwecke der gesundheitlichen Kontrolle
aufgegeben wurde, blieben uns noch einige Tage unfreiwilliger
Müsse, die wir durch die Ueberwachung der Herrichtung des
Kommunehauses als Cholerabaracke ausfüllten. Neben einer gründ¬
lichen Reinigung war Abputz schadhafter Wandstellen, Besserung
der Fenster und Türen, neuer Kalkanstrich sämtlicher Zimmer
nötig. Trotzdem konnte das Haus wegen des Ziegelsteinfussbodens
mit breiten Ritzen und des Steinpflasters im Flur, wegen seiner
kleinen, niedrigen Räume und seiner weiten Entfernung vom
Ueberwachungsplatz nur als wirklicher Notbehelf angesehen
werden; insbesondere erschienen die Fussböden völlig undesinfizier-
bar. Auch war der Transport von etwaigen Kranken bis zu
Der amtsärztliche Dienst bei einer Stromüberwachnngsstelle.
791
diesem Hause verhältnismässig weit und unbequem. Er hätte zu
Lande durch die ganze Stadt — für einen guten Fussgänger
eine halbe Stunde Weges — oder zu Wasser durch den ganzen
Hafen bis zur Schleuse des Elb -Trave- Kanals und von hier aus
noch über einen schlechten Ausladeplatz und einen tiefen, schlecht
gaugbaren Weg geschehen müssen, wobei eine erhebliche Be¬
unruhigung der Bevölkerung und eine unnütze Qual für die
Patienten, soweit sie noch nicht im benommenen Zustande waren,
unvermeidlich gewesen wäre. Auch die Behandlung der Kranken
wäre sehr erschwert gewesen, wenigstens wenn man sie den
Kontrollärzten übertragen hätte, da Cholerakranke, nach meinen
im Jahre 1892 im Lübecker allgemeinen Krankenhause gemachten
Erfahrungen, einer dauernden ärztlichen Ueberwachung und zeit¬
raubenden Behandlung bedürfen. Es wurde deshalb auch mit dem
Armen- und Polizeiarzte der Stadt ein Uebereinkommen getroffen,
durch das er sich zur Behandlung der etwa eingelieferten Kranken
verpflichtete.
Bei dem Armenhause wurde eine 4 qm grosse, l 1 /* m tiefe
Grube zur Aufnahme der desinfizierten Ausleerungen etwaiger
Eiranke auf Veranlassung der Königl. Regierung zu Schleswig
ausgehoben und ein innen mit Zinkblech ausgeschlagener Trans¬
portkasten für die Aufnahme der Krankenwäsche zum Transport nach
dem Desinfektionsapparat mit zugehörigem Karren bereitgestellt.
Durch die Polizeiverordnungen war den Schiffern verboten,
während der Nacht die Untersuchungsstelle zu passieren; es war
übereinstimmend die Dienstzeit von Sonnenaufgang bis Sonnenunter¬
gang festgesetzt, während nach der im Regierungsbezirke Magde¬
burg schon einige Tage früher in Kraft getretenen Verordnung
der Beginn des Dienstes auf 7 Uhr morgens, das Ende auf 8 Uhr
abends bestimmt war. Die Bestimmung nach der Sonne erscheint
m. E. praktischer, da mit Fortschritt der Jahreszeit die Zeit¬
bestimmung nicht geändert zu werden braucht. Eine Unter¬
suchung der Fahrzeuge in der Dunkelheit ist nicht ausführbar;
denn die Durchsuchung des Schiffes sowie die Untersuchungen
der Personen lassen sich nur bei Tageslicht ohne Schwierigkeit
ausführen, ausserdem ist bei mangelhafter Beleuchtung die Gefahr
des Fehltretens auf den oft ohnehin glatten, abschüssigen Kähnen
und des Hinabstürzens in den Strom eine ziemlich grosse. Wir
haben im Anfang von 6 Uhr morgens bis 7 Uhr abends Dienst
getan und die Dienststunden auch bis zum 1. November nur auf
die Zeit von 6 1 /* Uhr morgens bis 5 ®/ 4 Uhr abends gekürzt.
Die Ueberwachungsstelle wurde durch eine weisse Flagge
und ein Schild, das in grosser, weithin sichtbarer Schrift die
Worte „Halt Ueberwachungsstelle“ trug, kenntlich gemacht.
Ausserdem wurde dicht oberhalb der Stadt ein zweites Schild
angebracht, dessen Aufschrift die Schiffer, auch die durch den
Elb-Travekanal nach Lübeck fahrenden, aufforderte, dicht unter¬
halb Lauenburgs zum Zwecke gesundheitlicher Kontrolle zu halten.
Vor Beginn unserer Tätigkeit konnten wir noch am 21. Sep¬
tember durch die Freundlichkeit des hiesigen Herrn Strombaurates
792
Br. G. Bundt.
den Dampfer der Strombaabehörde benutzen and den Dienst einer
Ueberwachungsstelle an der Hamburger Station in Zollenspieker
ans eigener Anschauung kennen lernen.
Am Sonnabend, den 23. September mittags begannen wir
dann den Dienst an unserer eigenen Ueberwachungsstelle. Den
bestehenden Bestimmungen gemäss mussten wir sämtliche strom¬
auf- and abwärts fahrenden Fahrzeuge, mit Ausnahme der regel¬
mässig verkehrenden Personendampfer, kontrollieren. Hierzu stand
nns ein Motorboot mit schwachem, nur über 2 Pferdekräfte ver¬
fügendem Benzinmotor zur Verfügung, das die weisse Flagge führte
and mit einem Bootsführer, einem Desinfektor und einem Polizei¬
beamten bemannt war. Die Kontrolle sollte der gegebenen An¬
ordnung gemäss möglichst wenig zeitraubend für die 8chiffer, d. h.
so viel als möglich in der Fahrt der Schiffe erfolgen, sodass
nicht jedes Schiff erst Anker zu werfen brauchte. Diese An¬
ordnung war bei einzelnen stromabwärts gleitenden Kähnen immer
durchführbar, die Schleppdampfer aber mussten auch stromaufwärts
die Fahrtgeschwindigkeit mässigen, da sonst der neben den
Fahrzeugen herlaufende Strom unser kleines, schwaches Motor¬
boot so fest an die grossen Kähne sog, dass kaum abzukommen
war. Auch war bei windigem Wetter das Heranfahren an
schnell fahrende Schiffe deshalb unmöglich, weil die Vereinigung
von Fahrt- und Windwellen starke Spritzer über Bord gab. Die
Hauptarbeit war meist morgens in der Frühe zu tun, wo nicht
selten eine grosse Anzahl spät abends und in der Nacht, nament¬
lich in der Zeit vollen und abnehmenden, also spät aufgehenden
Mondes gekommener Schiffe schon bei Beginn des Dienstes ankernd
an unserer Ueberwachungsstelle lag.
Die Untersuchung gestaltete sich nun folgendermassen:
Wir fahren an den Dampfer oder Kahn heran, fragten nach
Namen und Nummer des Schiffes, Namen des Schiffsführers, Aiuaüri
der Personen und machten die entsprechenden Notizen in unser
Kontrollbuch. Eine Vorschrift zu dieser genaueren Buchführung
besteht nicht, doch halte ich sie für nützlich, um gegen etwaige
Nachfragen gerüstet zu sein. Zahl und Art der Fahrzeuge, Zahl
der Personen, etwaiger Kranken und Verdächtigen und die aus¬
geführte Desinfektion müssen ja ohnehin für den täglichen Bericht
gebucht werden. Dann überzeugten wir uns, ob Zahl nnd Art
der Personen dem Verzeichnis auf dem KontroUzettel der Nachbar¬
station entsprachen, und untersuchten die einzelnen Leute. Es
genügte meist die Besichtigung, nur bei Kranken war eine
genauere Untersuchung nötig. Es wurden zweimal Schiffer mit
Brustfellentzündung, eine Schifferfrau im letzten Stadium der
Schwindsucht, zwei Influenzakranke, verschiedene an Händen und
Füssen Verletzte, mehrere Kinder mit Mandelentzündung, Lungen¬
katarrh und skrophulösen Drüsen Schwellungen gefunden. Ver¬
schiedene Frauen lagen schmerzhafter und profuser Menses wegen
zu Bett.
Die Wasser- und Fäkaliengefässe Hessen wir znr Stelle
schaffen. Es wurde ferner festgestellt, ob einwandfreies Trinkwasser
Der amtsärztliche Dienst bei einer Stromttbeiwachongssteile. 798
vorhanden war, und ob den Schiffern die Verhaltungsmassregeln
bei Cholera gegeben waren. Der begleitende Polizeibeamte sah
das Schiff nach etwa weiter vorhandenen Personen durch. Frauen
und kleinere Kinder, die namentlich bei schlechtem Wetter nicht
auf Deck kamen, wurden in den K&j&ten und Kojen aufgesucht.
Eine Desinfektion der Fäkalien und Aborte wurde wenn möglich
durchgeführt. Alsdann wurde auf dem Kontrollschein, den die
Schiffer von früheren Stationen mit sich führten oder auf einem
neuen Schein nach dem vorgeschriebenen Muster 1 ) der Unter¬
suchungsbefund bescheinigt und den Schiffen die Weiterfahrt
gestattet. Leider waren die Kontrollscheine der Ueberwachungs-
stationen in bezug auf Form, Grösse und Beschaffenheit ver¬
schieden; am geeignetsten erscheinen mir nicht zu kleine, halb¬
steife, kartenartige Zettel.
Auf diese Weise haben wir in der Zeit vom 23. September
bis 1. November 5388 Fahrzeuge, 818 Dampfer, 4568 Kähne und
2 Flösse mit 23 486 Personen untersucht. Durchschnittlich kamen
täglich 138 Schiffe, 21 Dampfer und 117 Kähne mit 602 Personen
zur Kontrolle, davon lag in der Kegel etwa ein Drittel (42) schon
morgens bei Beginn des Dienstes auf dem Elbstrome.
Für die Untersuchung eines Schiffes wurden durchschnittlich
5 Minuten beansprucht; die Untersuchung im Schleppzuge hinter
und nebeneinander liegender Kähne, deren die grössten Dampfer
stromaufwärts bis zu 20 hinter sich her ziehen, nimmt etwas
weniger Zeit in Anspruch, namentlich wenn die Schiffer von
früheren Stationen her mit Kontrollscheinen versehen sind; in
anderen Fällen bedarf es dagegen etwas längerer Zeit. Das
Verhalten der Schiffer war im allgemeinen ein durchaus würdiges
und zuvorkommendes. Obwohl ohne Zweifel der unfreiwillige
Aufenthalt durch die Ueberwachung für sie eine höchst unwill¬
kommene Störung und einen Aufenthalt bedeutet, der ihnen noch
dazu durch Ankern, Drehen des Fahrzeuges, Niederlassen der
Segel und anderes mehr vermehrte Arbeit verursacht, so wurden
wir doch auf der Mehrzahl der Fahrzeuge durchaus freundlich
empfangen und erhielten bereitwilligst Antwort und Auskunft.
Dass auch hie und da Brummen und unfreundliche Worte uns
entgegenschallten, kommt dem gegenüber kaum in Betracht. Auch
Revisionen ohne Geleit des plötzlich erkrankten Polizeibeamten
sind ohne jede Störung verlaufen. Kontrollentziehungen sind
mehrere Male, namentlich im Anfang, bei Dampfern vorgekommen.
Die Durchgebrannten wurden gemäss Verfügung des Herrn
Regierungspräsidenten zu Schleswig der örtlichen Polizei zur
Bestrafung jedesmal gemeldet.
Ein längerer, unfreiwilliger Aufenthalt bis zu 4 Stunden
wurde den morgens auf dem Strome liegenden Schiffen verursacht.
Bemerkenswert ist dabei, dass die Schiffer oft selber nichts dazu
taten, um diese Fahrtunterbrechung nach Möglichkeit abzukürzen;*
denn wenn wir früh morgens den Dienst beginnen wollten, war
*) Anlage 9 der Anweisnng dea Bandesrats zur Bekämpfung der Cholera.
79*
Dr. Q. Bundt.
ein grosser Teil der Kahnführer nnd Bootsleute keineswegs zn
anserem Empfange bereit, sondern wir mussten sie oft erst ans
den Betten holen. Ein längerer Aufenthalt ist durch unsere
Tätigkeit wohl kanm je hervorgerufen worden, man darf natür¬
lich das Liegen der Schiffe vor Tagesanbruch nicht mit in Rech¬
nung ziehen; denn in der Dunkelheit müssen die^Schiflfer ohne¬
hin rasten.
Wir hatten im Anfang den Dienst so eingeteilt, dass jeder
der Kollegen einen Nachmittag und einen Vormittag hintereinander
mit dazwischen liegender Nacht Dienst tat und den folgenden
Nachmittag und Vormittag frei hatte. Da wir aber Ende Sep¬
tember und den ganzen Oktober infolge des anhaltenden Regens
mit nur zwei regenfreien, sonnigen Tagen unsere Kleider in der
zwischenliegenden Nacht nicht trocken bekamen, wechselten wir
vom Sonntag, den 15. Oktober in der Weise ab, dass auf einen
vollen Diensttag ein voller freier Tag folgte. Der dienstfreie
Kollege hatte dann bei etwaigen Fahrtstockungen durch viele
zu gleicher Zeit angekommene Fahrzeuge einzuspringen und zu
helfen. Leider ist es hierbei einige Male geschehen, dass weder
das zweite Boot der Fähre, noch der Strombaudampfer, die uns
aushilfsweise zur Verfügung stehen sollten, in den kritischen
Momenten zu haben waren. Der zor Unterstützung bereite
Kollege musste sich in diesem Falle auf die Revision der im
Hafen und im Elbtravekanal vor der Schleuse liegenden Fahr¬
zeuge beschränken. Wir konnten daher auch an verkehrsreichen
Tagen morgens keinen Doppeldienst einführen.
Was nun die einzelnen Dienstverrichtungen betrifft,
so ordnet Anlage 9 der Anweisung zur Bekämpfung der Cholera
eine Desinfektion der Aborte und Fäkalieneimer der
Fahrzeuge in jedem Falle an. Es ist hierzu jedem Kontrollboote
ein Desinfektor beigegeben. Eine Desinfektion der Fahrzeuge,
Kojen und Kajüten, des Bilgewassers (Kielwassers) ist nur daun
auszuführen, wenn der überwachende Arzt es für nötig hält bezw.
wenn ein Kranker oder Choleraverdächtiger auf dem Fahrzeuge
gefunden wird. Auf unserer Ueberwachungsstelle hat sich ein«
solche nicht als notwendig erwiesen.
Nach den bestehenden Bestimmungen soll das Bilgewasser
durch Hineinschütten von Kalkmilch in solcher Menge unschädlich
gemacht werden, dass das ausfiiessende Wasser an der tiefsten
Kahnstelle eine stark alkalische Reaktion zeigt. Man versteht
unter Bilgewasser dasjenige Wasser, welches sich unterhalb der
Fussbodenbretterlage des Laderaumes (der sogenannten Bühne)
zwischen dieser und den Seiten des Kielraumes durch Hinein-
fliessen von oben oder durch Hineinsickern durch kleinste Un¬
dichtigkeiten aus dem Fahrwasser ansammelt. Auch eiserne
Kähne haben fast alle etwas hinein gesickertes Kielwasser. Es
ist leicht zu verstehen, dass dieses bei Choleraerkrankungen der
Schiffer oder Verseuchung des Stromwassers Cholerabakterien
enthalten kann. Die höchsten Stellen des Bilgeraumes sind vorne
und hinten, die tiefste Stelle ist in der Mitte des Kahnes, wo
Der amtsärztliche Dienst bei einer Stromüberwachongsstelle. 795
auch die Pampe steht. Leider ist bei einem beladenen Fahr¬
zeuge diese Desinfektion sehr Bchwer, da es nur wenig Zugänge
zum Bilgeranm gibt. Direkt von oben her durch Aufheben der
Bflhnenbretter ist der Ladung wegen nicht heranzukommen; man
muss deshalb versuchen, die Kalkmilch zwischen äusserer Bord¬
wand und der seitlichen Bretterbekleidung des Laderaumes, der
sogenannten Hängebühne, hineinzuschütten. Ausserdem ist darauf
zu achten, dass durch Zuschfltten der Desinfektionsflüssigkeit das
Kielwasser nicht so hoch steigt, dass es durch die Bitzen der
abschliessenden Bretterlage in die Ladung dringt und diese dadurch
verdirbt. Man muss daher nach jeder Zugabe von Desinfektions-
flfissigkeit den Wasserstand in der Pumpe messen. Als erschweren¬
des Moment kommt ferner hinzu, dass der Kielraum bei vielen
Kähnen kein einheitliches Ganze bildet, sondern durch die Bumpf-
rippen und Spanten des Schiffes in viele einzelne Abteilungen
geteilt wird, so dass die Verteilung der Kalkmilch sehr schwierig
ist, da man kaum für jedes Abteil einen Zugang von obenher
finden wird. Eine wirklich gründliche Desinfektion scheint deshalb
nur bei leeren oder entleerten Kähnen möglich zu sein.
Auch die Abort- und Eimerdesinfektion hat ihr
Missliches. Ihre Wirkung ist nur sehr vorübergehend, da man
nicht die Gewissheit hat, dass die Schiffer auch in der Zwischen¬
zeit zwischen den einzelnen Stationen—für Kähne oft 40—72 Stunden
— ihre Fäkalien vor dem Hineinschütten in den Fluss mit der
übergebenen Kalkmilch desinfizieren. Ein Teil der Schiffer ist
ausserdem gewohnt, Fäces und Urin direkt über Bord in den
Strom zu entleeren; wir sahen z. B. mehrere Male Bootsleute
ohne Scham und Scheu bei diesem Geschäft an uns vorüberfahren.
Und obwohl am Ufer der Elbe eine Tafel die Verunreinigung des
Stromes bei Polizeistrafe verbietet, so wurde uns dennoch von
der Strombau Verwaltung die Auskunft, dass derartige Verunreini¬
gungen als allgemein gebräuchliche zum Gewohnheitsrecht ge¬
worden und nicht strafbar seien. Ein grosser Teil der Aborte
der Dampfer ist ferner so eingerichtet, dass die Fäces direkt ins
Wasser fallen; eine Desinfektion der Trichter und Sitze trifft
somit nicht die frischen Entleerungen. Die für die Weichsel
geltenden Bestimmungen, dass die Schiffer die Fäces nur in ge¬
schlossene Eimer zu entleeren, mit Kalkmilch zu überschütten
und die gefüllten Eimer am Lande zu entleeren haben, kann hier
einige Besserung schaffen, obwohl auch sie viel Gewissenhaftigkeit
und Verständnis der schiffahrenden Bevölkerung voraussetzt. Wir
konnten auch nicht immer die fertiggestellte Kalkmilch an die
Schiffer abgeben, da in unserem engen Boote, dessen Baum durch
den Motor und das Wasserfass ohnehin stark beengt war, eine
Kalkmilchtonne kaum Platz fand. Wir halfen uns durch Abgabe
von Stückkalk, gaben Anweisung zu dessen Behandlung und
wiesen auf die Desinfektionsvorschriften im Merkblatt für Schifier
hin. Ein Teil der Leute hatte nach Ausweis der Beschaffenheit
der Aborte und Gefässe gewissenhaft ihren Kalk benutzt, viele
nahmen den Kalk mit höhnischem, überlegenem Lächeln in Empfang;
796
Dr. G. Bundt.
sie haben ihn wohl alsbald den Fluten der Elbe anvertraut.
Frisches Trinkwasser wurde dagegen im allgemeinen freudig und
dankbar angenommen. Nicht selten erhielten wir allerdings auf
unser Angebot von Trinkwasser die Anwort, man tränke über¬
haupt Wasser nie ungekocht, sondern nur in Form von Kaffee
und Grog.
Nicht unbedeutende Schwierigkeiten hatten wir, bei stür¬
mischem Wetter, bei dem das Wasser der Elbe zu ziemlich hohen
Wogen emporgehoben wird, mit unserem Motorboot an die Schiffe
heranzukommen. Es gab manchen Spritzer über Bord, das Boot
lief, Steuer und Schraube schlecht gehorchend, kaum vorwärts, zu¬
mal elbaufwärts und als in der zweiten Hälfte des Oktober der
Wasserstand erheblich gestiegen war. Auch der Aufenthalt auf
dem Fahrzeug, in dem kaum die 4 nötigen Insassen, Arzt, Boots¬
führer, Polizeibeamter und Desinfektor nebeneinander Platz fanden,
mit seiner niedrigen, nur 1,60 m hohen, nicht heizbaren Kajüte
bei dem fast steten Regen war recht ungemütlich. Zwang uns
der Regen, in der Kajüte den Kontrollzettel zu schreiben, so gabs
beim Ein- und Ausschlupf nicht selten einen kräftigen Stoss gegen
den Kopf. Dazu kam, dass wir einen 'Unterkunftsraum an Land
überhaupt nicht hatten, also in der Dienstzeit vollkommen auf
unser Fahrzeug angewiesen waren; denn ein Abstecher zu unserem
Hotel erforderte mindestens 20 Minuten Zeit und, da wir die vor¬
beifahrenden Schiffe nicht unnötig aufhalten sollten, so war es
durch die Verhältnisse geboten, stets an Bord oder wenigstens in
unmittelbarer Nähe des Bootes zu bleiben. Der Reichskommissar
Herr Oberpräsidialrat Dalen aus Magdeburg, der mit seinem
ärztlichen Berater, Herrn Stabsarzt Dr. Krüger, am 15. Oktober
unsere Station besichtigte, erkannte diese Ausstellungen voll an
und machte selbst auf diese aufmerksam. Seinem Vorschläge
gemäss wird denn auch für 1906 ein grösseres, kräftigeres Kontroll-
fahrzeug den Aerzten zur Verfügung gestellt werden. Zugleich
wird ein zweites, kleines Aushilfsboot dauernd bereit stehen, so
dass bei Fahrtstockungen und für die Morgenstunden beide
Kontrollärzte ein Schiff haben und nötigenfalls zeitweise beide
gemeinschaftlich arbeiten können. Es soll ferner an der Ueber-
wachungsstelle eine Unterkunftsbaracke vorgesehen werden mit
3 Räumen, je einem für die Aerzte, für das Bootspersonal nnd
für Desinfektionsmittel. Ferner soll die Cholerabaracke für Kranke
und krankheitsverdächtige Personen so aufgestellt werden, dass
der schwierige, beunruhigende Transport durch die ganze Stadt
oder über den ganzen Hafen fortfällt. Im Falle, dass in Lauen¬
burg Cholerafälle festgestellt werden und zur Beobachtung und
Behandlung kommen, erscheint ferner die Berufung eines dritten
Arztes für den Dienst in der Baracke nötig, da sowohl die Zahl
der Schiffe, als die durch den Elb - Trave - Kanal, die Honstorfer
Fischzugsstelle, die Fähre und die Tiefen- und Stromverhältnisse
der Elbe bedingten ungünstigen Verhältnisse der Ueberwachungs-
stelle, welche das Durchfahren grosser Wasserflächen im Dienste
erfordern, die volle Tätigkeit von zwei Kontrollärzten unbedingt
Der amtsärztliche Dienst bei einer Stromüberwachnngsstelle. 797
▼erlangen, namentlich wenn für einzelne Tage nnd Stunden regel¬
mässiger Doppeldienst ein geführt wird. Dazu kommt, dass in den
längeren Tagen des Frühlings sich auch die Zeit des Dienstes
im Interesse der Schiffahrt verlängern wird. Ausserdem erfordert
die Desinfektion eine genauere Anweisung und Beaufsichtigung.
Unser Kontrollgebiet erstreckte sich auf der bei Mittelwasser
etwa 800 m, bei Hochwasser, wie wir es vom 20. Oktober bis
1. November bis zu 2,90 m hatten, 450—500 m breiten Elbe auf
eine Länge von etwa 3 km, dabei lief unser Boot bei starkem
Strom stromaufwärts höchstens 4 km in der Stunde.
Wir hatten in der Zeit unseres Lauenburger Aufenthaltes
schon zwei Tage, in denen das Thermometer bei Sonnenaufgang
bis auf 5 Grad unter Null sank, so dass das Schreiben der Eon¬
trollscheine mit den vor Frost steifen Händen kaum noch möglich
war, obwohl wir stets schon teilweise vorgeschriebene, bis auf
Datum, Untersuchungsbefund, Namen des Schiffes, des Bestimmungs¬
ortes und der Personenzahl ausgefüllte Zettel mit uns führten.
Wir haben fast nur mit Bleistift geschrieben, da Tinte und Tinten¬
stift im Hegen verliefen. Ein Orts- und Datumstempel und die
Stellung eines durchaus schreibgewandten Polizeibeamten würde
diesen Teil des Dienstes für die Aerzte wesentlich erleichtern.
Erforderlich erscheint bei den zum Kontrolldienst bestimmten
Aerzten ein gewisses Mass körperlicher Gewandtheit für das Er¬
steigen der Kähne, das Herabsteigen von den Kähnen und das
Hinübersteigen von einem Kahn auf den anderen, da oft in tal¬
wärtsfahrenden Schleppzügen mehrere Kähne nebeneinander liegen.
Die Kähne haben für die Elbschiffahrt einen Tiefgang bis zu
1,70 m. Sind sie leer, wie oftmals die elbabwärtsgleitenden und
geschleppten Fahrzeuge, so liegen sie öfters bis zu 2,75 m über
dem Niveau des Stromes, da über die 1,70 m des Laderaumes,
der leer nur zu einem kleinen Teil ins Wasser taucht, in der Mitte
der Kähne ein hölzerner Deckaufbau und hinten und vorn ein
Bordkranz eraporragt. Da gilt es dann die oft lange nicht geübte
turnerische Fertigkeit wieder hervorsuchen oder sich einer Leiter
zu bedienen, wie sie auch unser Kontrollboot, viele Kähne und
alle Dampfer mit sich führen. Bei unruhigem Wasser und Wellen¬
gang ist aber auch für die Leiter eine gewisse Klettersicherheit
nötig. Vorsicht und Schwindelfreiheit erfordert das Besteigen der
längs- oder querlaufenden Deckleisten der Kähne, welche bei Reif,
Frost und Nässe sehr glatt sind und zum Ausgleiten Anlass geben,
vor dem man sich um so mehr hüten muss, als das nach den
Seiten hin abschüssige Deck gegen den Strom hin ohne Be¬
wehrung ist. Sehr glatt sind bei Nässe und Frost auch die
eisernen Decks der Dampfer.
Alle diese Schwierigkeiten werden jedoch zum grossen Teil
mit der Stellung eines höheren und grösseren Kontrolldampfers
fortfallen, weil man dann schon mit geringeren Höhenunterschieden
zu rechnen hat.
Sonst ist der Stromdienst für einigermassen abgehärtete
Leute, die nicht gar sehr zu Erkältungen neigen, wohl im all-
79S Dr. G. Bandt. Der amtsärzt. Dienst bei einer Stromöberwachungsstelle.
gemeinen ein gesunder zu nennen. Der tagelange Aufenthalt in
Macher, bis auf schnell vorüberziehende Ranchwolken ans den
Dampfschornsteinen staubfreier Luft, die relativ reich an Feuchtig¬
keit ist, wirkt entschieden günstig ein. Ein nicht zu unter¬
schätzender Vorteil für den beschäftigten Medizinalbeamten oder
praktischen Arzt ist auch einmal das vollkommene Freisein von
all den kleinen Unannehmlichkeiten der täglichen amtlichen Tätig¬
keit bezw. der aufreibenden Praxis, sowie die Versetzung in ganz
neue, bisher unbekannte Verhältnisse. Man lernt manches Neue
kennen und kann sich ein schönes, richtiges Bild machen von dem
ungeheuren Verkehr auf unseren Binnenwasserstrassen, und von
der Wichtigkeit derselben für Handel und Wandel. Birgt doch
ein einziger beladener Kahn — bis zu 1250 Tonnen = 25000Ztr.
Tragfähigkeit haben wir solche gesehen — in seinem Riesenrumpf
so viel Gut, wie kaum 80 Eisenbahnwagen (ä 300 Zentner) fort¬
schaffen können, das heisst wie zwei stark beladene, sehr lange
Güterzüge von je 80 Achsen.
Nicht unwillkommen dürften den Herren Kollegen einige
Ratschläge für die Ausrüstung sein. Oelrock und Oelkappe (Süd¬
wester) werden wohl an allen Stationen zur Verfügung gestellt;
sie sind bei Regen absolut unentbehrlich und schützen auch vor¬
züglich gegen durchdringenden Wind. Unmöglich ist es mit Pelz
oder Winterüberzieher zu arbeiten, da man mit beiden in seinen
Bewegungen zu sehr beschränkt ist. Es empfiehlt sich deshalb
besonders warme, dicke wollene Unterkleidung, z. B. Jägerwäsche,
wenn einfach nicht ausreichend, in zweifacher Lage übereinander
gezogen zu tragen. Als Dienstanzug eignet sich am besten ein
Joppenanzug von Lodenstoff, vorne vollkommen bis zum Halse
schliessend und dicht anliegend, um nicht an allen Kanten und
Vorsprüngen der Schiffs- und Kahnbewehrungen hängen zu bleiben;
dazu kommt bei trockenem Wetter eine festsitzende Schirmmütze,
die dem Winde viel weniger Spiel gewährt als ein Hut. Besonders
viel Gewicht zu legen ist auf eine geeignete Fussbekleidung. Die
Fü8se frieren im allgemeinen weniger bei kaltem, als bei nassem
Wetter, wenn der Boden des Kontrollbootes dauernd feucht ist.
Wollene Strümpfe sind hier allein zu empfehlen, bei kälterem
Wetter zu zwei Paaren übereinander gezogen. Die Stiefel dürfen
keine Schnür- oder Knopfstiefel sein, da bei Regen das vom Oel-
rocke herablaufende Wasser gerade in die Schnürlöcher hinein¬
tropft und die Strümpfe vollkommen durchnässt. Es empfiehlt sich
vielmehr, im Dienst derbe, rindlederne, nicht zu hohe Schaftstiefel
mit starken Doppelsohlen zu tragen, die in der kalten Jahreszeit
am besten eine Filzfütterung haben. Derartige Stiefel tragen die
Schiffer; sie werden daher in allen Orten mit Schiffsverkehr vor¬
rätig gehalten oder angefertigt. Lange Stiefel zu tragen, empfehle
ich nicht, da sie die Beweglichkeit auf den Kähnen zu sehr be¬
einträchtigen; Gummischuhe sind ihrer Glätte wegen unpraktisch.
Als Fussbekleidung für trockene, kalte Tage sind besonders Filz¬
schuhe (die sogenannten Schandauer) geeignet, welche den Fuss
sehr warm halten und wegen der stark bindenden Filzsohle das
Df. Diering. Mitteilangen von der Cholerattberwacbangsstelle Brahemünde. 799
Auegleiten auf glatten, befrorenen Kähnen vorzüglich ver¬
hindern.
Wissenschaftliche Erfahrungen über Cholerakranke oder
Choleraverdftchtige kann ich nicht mitteilen, da wir in Lanenbnrg
nicht Gelegenheit hatten, derartige Fälle unter den Schiffern zu
finden; ich hoffe aber auch ohne dieses den Herren Kollegen, die
im nächsten Jahre Stromdienst tun wollen, manches sie Inter¬
essierende gesagt zu haben.
Lassen wir rückblickend noch einmal unseren Aufenthalt am
Elbstrom und unser Wirken in der Stromüberwachungsstelle Lauen¬
burg an unserem Ange vorübergehen, so wird uns, glaube ich,
doch ein Gefühl der Befriedigung überkommen. Wir sehen zwar,
dass der Stromdienst nicht immer eitel Freude war. Das allzu
ungünstige Wetter und mancherlei Unbequemlichkeiten der schnell
geschaffenen Station drohten bisweilen Laune und Freudigkeit zu
stören. Aber das waren nur vorübergehende Momente, waren
nur Kleinigkeiten, die zurücktraten gegenüber der Fülle neuer,
belehrender Eindrücke und vor allem vor dem Gefühl der Genug¬
tuung darüber, dass auch wir an unserem Teile dazu beitragen
durften, unser Vaterland gegen die drohende Verbreitung der
Cholera zu schützen. Wir haben zwar auf unserem Posten dem
Feind nicht ins Angesicht geschaut, und es wäre frevelhaft, diese
Tatsache mit dem Ausdruck des Bedauerns festzustellen, aber
dennoch war auch unsere Tätigkeit nicht praktisch wertlos; hat
doch die strenge, gewissenhafte Stromüberwachung sicherlich
viel dazu beigetragen, das Deutsche Reich zu schützen vor Sperr-
massregeln gegen seinen Handel von Seiten des Auslandes.
So darf man denn wohl erwarten und hoffen, dass auch im
nächsten Jahre, wenn die Notwendigkeit zur gesundheitlichen
Stromüberwachung wiederkehren sollte, die deutsche Aerzteschaft,
in ihrem bekannten Gemeinsinn, vor allem die beamteten Aerzte
ihre Kräfte dem Staate zur Durchführung des Dienstes bereit¬
willigst zur Verfügung stellen. Es wird niemanden gereuen, mit
anf Vorposten gestanden zu haben!
Mitteilungen von der Choleraüberwachungsstelle
Brahemünde.
Von Dr. med. Diering- Kieierslädtel.
Die Cholerabekämpfung nach dem Reichsgesetz vom 30. Juni
1900 ist zum ersten Male seit dem Bestehen des letzteren in
grossem Umfange zur praktischen Anwendung gekommen. Be¬
rücksichtigt man einerseits die weite Zerstreuung der einzelnen
Erkrankungsfälle und die damit verbundene Gefahr einer aus¬
gedehnten Epidemie, anderseits die Folgen der Anwendung des
Gesetzes: Beschränkung der Krankheit auf die Wasserstrassen
mit ihrer nächsten Umgebung und Verhütung eines eigentlichen
Uebergreifens auf das platte Land, dann wird man füglich sagen
können, das Gesetz hat seine erste grosse Probe glänzend bestanden.
800
Dr. Diering.
Die beiden Hanptfaktoren bei der Stromftberwachun g in ge¬
sundheitlicher Beziehung sind: unschädliche Beseitigung der Ent¬
leerungen, insonderheit der Fäkalien, und genügende Versorgung
der Schifferbevölkerung mit unverdächtigem Trinkwasser.
Von diesen Faktoren kommt meines Erachtens die grösste
Wichtigkeit der unschädlichen Beseitigung der Stuhl-
entleerungen zu; sie bedeutet gewissermassen die Verhinderung
der Epidemie oder ihre Bekämpfung in den ersten Anlängen und
muss deshalb mit allen Mitteln erstrebt werden. Gelangen die
Vibrionen mit dem Stuhl in das Wasser, so wird dieses in einem
gewissen Bezirke verseucht. Aus Unachtsamkeit und Unkenntnis
wird es in Gebrauch genommen. Selbst wenn sein Gebrauch als
Trink- oder Waschwasser vermieden wird, so dient es doch zum
Reinigen der Fahrzeuge etc., ein Beschmutzen damit lässt sich
kaum vermeiden; hierdurch tritt wieder die Gefahr neuer Er¬
krankungen auf, die wiederum für andere Stellen verseuchend
werden. Der Circulus vitiosus ist da! Und der natürlichen Selbst¬
reinigung der Flüsse wird entgegengearbeitet.
Die Ausführung der Bestimmungen des Gesetzes vom 80. Juni
1900, betreffs Desinfektion der Entleerungen von Cholerakranken
und -Verdächtigen bietet keine Schwierigkeiten. Wie steht es
aber mit der Desinfektion der Stühle, die nicht von Kranken und
Krankheits verdächtigen herrühren und dennoch — man denke an
die Zeit der Inkubation und an die sogenannten Bazillenträger —
ebenso gefährlich werden können, als es jene sind.
Nach Anlage IV, 4 haben die Vorstände der Ueberwachungs-
bezirke darauf zu achten und dahin zu wirken, dass insbesondere
nicht undesinfizierte Stuhlentleerungen in das Wasser gelangen.
Desgleichen hatte der Herr Staatskommissar für die untere Brahe,
den Bromberger Kanal und die Netze zur Verhütung der Weiter¬
verbreitung der Cholera durch Verfügung vom 3. September 1905
angeordnet, dass sich auf jedem Treiben, jeder Schütze, jedem
Floss beim Nichtvorhandensein eines Abortes ein Eimer zur Auf¬
nahme der Entleerungen der Mannschaften zu befinden habe. An¬
lage IV, 9 bestimmt, dass auch auf Fahrzeugen, auf denen Kranke
nicht gefunden sind, also auf allen untersuchten Fahrzeugen,
regelmässig die auf denselben etwa vorhandenen Aborte bezw. die
zu Stuhlentleerungen bestimmten Gefässe zu desinfizieren sind.
Letztere Bestimmung lässt sich bei genügendem Personal ebenfalls
leicht erfüllen. Während der Arzt die Schiffsinsassen untersucht,
kann ein Mann die erforderliche Desinfektion vornehmen. Anders
die Bestimmung der Anlage IV, 4. Eine wirkliche Durchführung
dieser stösst nicht nur auf erhebliche Schwierigkeiten, sondern sie
wird in den meisten Fällen geradezu unmöglich, unmöglich des¬
wegen, weil wir es nicht verhindern können, dass die Fäkalien
von den Schiffsinsassen sofort und undesinfiziert dem Wasserlaufe
zugeführt werden, unmöglich ferner, weil wir auf den Fahrzeugen
Entleerungen gar nicht zu desinfizieren bekommen, selbst wenn
wir es wollten. Es ist nichts da, was desinfiziert werden könnte.
Die Schiffsbewohner entleeren die gebrauchten Abortgefässe sofort
Mitteilangen von der Cholerattber vrachangsstelie Brahemünde. 801
in das Wasser, „weil es ja sonst zu sehr riechen würde“, wie
einige ehrlich genug selbst angeben. Andere kennen die Be¬
stimmung zwar sehr gut, dass sie jedesmal Kalkmilch anzuwenden
und den Stuhl vor der Beseitigung längere Zeit stehen zu lassen
hätten — sie geben auf Befragen genau an, wie es gemacht
werden soll —, dass sie diese Bestimmungen aber auch ausführen,
das muss mehr als fraglich erscheinen. Auf den Fahrzeugen, die
ich bisher daraufhin untersucht und beobachtet habe — es sind
über 400 — habe ich niemals einen derartig behandelten Stuhl
finden können, obwohl es sich bei der oft recht zahlreichen Be¬
setzung mit Kindern ganz gut hätte erwarten lassen dürfen. Die
Abortgefässe waren meistens sauber und stets leer, Spuren von
Kalkanwendung waren selten an ihnen zu entdecken. Der Kalk¬
behälter steht fast ausnahmslos auf dem hinteren Teil des Fahr¬
zeuges, er lässt sich so am schnellsten und bequemsten dem
untersuchenden Arzt vorzeigen, der eigentlich dazu gehörende
Aborteimer aber ist entweder in der Tiefe des Kahnes, in der
sogenannten „Gäte“ verborgen oder er ist auf dem Vorderraum
zn finden. Der Kalk selbst ist häufig nach eigenen Angaben der
Schifier wochenlang auf dem Kahne oft in einer Menge, die normal
für einmaligen Bedarf genügt hätte, oft in so grosser, dass daraus
von vornherein zu entnehmen war, dass er lediglich da war, weil
er da sein musste. Vielfach bildete er mit darüber gegossenem
Wasser eine so feste Masse, dass von bequemer Herstellung der
Kalkmilch nicht mehr die Bede sein konnte. Alles Beweise, dass
eine tatsächliche Desinfektion des Stuhles von seiten der Schifier etc.
nicht stattfindet und dass auf dieses Hilfsmittel im Kampfe gegen
die Seuche nicht sicher zu rechnen ist.
Wie lassen sich nun die Entleerungen, besonders die Fäkalien
beseitigen, ohne dass durch dieselben die Wasserläufe in gefahr¬
drohender Weise verunreinigt werden P Wie wir gesehen haben,
genügen die vorhandenen Bestimmungen über die Desinfektion
der Entleerungen deshalb nicht, weil sie zum Teil gar nicht aus¬
geführt werden können. Es fehlen demnach noch Bestimmungen,
welche die Anwendung der ersteren ermöglichen.
Die Wasser Verunreinigung würde am besten verhindert
werden, wenn die verunreinigenden Stoffe gar nicht erst in das
Wasser gelangten. Wenn auch nicht vollständig, so liesse sich
dieses doch zum Teil, vielleicht sogar zum grösseren Teil erreichen,
dadurch nämlich, dass die Abortgefässe an das Land geschafft,
dort entleert und desinfiziert wieder zurückgenommen würden.
Zn diesem Zwecke wären an den Anlegeplätzen, den Ueberwachungs-
stationen oder an sonst geeigneten Orten auch Entleerungs- und
Desinfektionsstellen zu errichten. Hier wären die Fäkalien in
Senkgruben oder Tonnen von geeigneten Leuten zu sammeln und
zu desinfizieren, um später weiter beseitigt zu werden. Auch die
kontrollierenden Dampfer könnten mit Tonnen zur Aufnahme der
Fäkalien ansgestattet werden, sei es, dass diese Tonnen auf dem
Dampfer selbst aufgestellt oder auf einem Kahne mitgeführt werden.
Ferner würde vielleicht in Frage kommen, an den Entleernngs-
802
Dr. Diering.
und Desinfektionsstellen Kähne mit Tonnen und Kalkbehältern
auszorüsten, die an die Fahrzeuge keranzufahren und die Fä¬
kalien etc. zu sammeln hätten. Natürlich müsste, um das best¬
mögliche zu erreichen, jede Entleerung der Aborteimer in den
Wasserlauf bei Strafe verboten werden. Ein Ausweis, ähnlich
dem über die ärztliche Untersuchung, auf welchem die Zahl der
Schiffsinsassen und die Zeit der Entleerung und Desinfektion der
Abortgefässe zu verzeichnen wären, würde aus dem Vergleich
beider zu einander nicht nur einen Rückschluss gestatten, ob dem
Wasser mehr oder minder grosse Fäkalienmassen beigefügt worden
sind, er würde auch hinweisen, wo event. Bestrafung am Platze
wäre. Derartige Vorkehrungen würden zwar eine Verseuchung
der Wasserstrassen nicht gänzlich verhüten können, ich glaube
jedoch, dass durch sie eine erhebliche Verminderung der Fluss-
verunreinigung durch event. gefährliche Stuhlentleerungen erzielt
würde.
Eine Verfügung der Königlichen Regierung in Bromberg
vom 3. September 1905 besagt: Aborte, die die Entleerungen
in den Wasserlauf abführen, sind unzulässig. Derartige Aborte
finden sich ausschliesslich auf Dampfern. Die erforderlichen Ab-
orteimer sind zwar auch hier vorhanden, benutzt wird aber der
alte in das Wasser führende Abort aus Bequemlichkeit und Ge¬
wohnheit. Soll der Gebrauch dieser Aborte tatsächlich verhindert
werden, so würde nichts anders übrig bleiben, als sie auf irgend¬
eine Weise unzugänglich zu machen.
Ueber die Wasserversorgung bestimmt das Reichsgesetz
vom 30. Juni 1900 (Anl. IV, 3 und 4) folgendes: Die kontrollieren¬
den Dampfer haben brauchbares Wasser in genügender Menge mit
sich zu führen und davon nach Bedarf abzugeben; es ist ferner
dafür Sorge zu tragen, dass an den Ueberwachungsstellen, regel¬
mässigen Anlegeplätzen und an sonst geeigneten Orten Gelegen¬
heit zur Entnahme unverdächtigen Trinkwassers geboten wird.
Die erstere Art der Wasserversorgung scheint nun bei einem Teil
der Schiffer etc. den Glauben hervorgerufen zu haben, das kon¬
trollierende Fahrzeug sei verpflichtet, die Wasserversorgung gänz¬
lich zu übernehmen. Es wurde nämlich das Fehlen des Trink-
wassers vielfach damit entschuldigt, dass „der Dampfer kein
Wasser gebracht hätte“, ja, es wurden in diesem Sinne sogar
direkte Klagen und Beschwerden darüber laut, dass ihnen der
Dampfer kein Wasser bringe und sie deshalb auf Flusswasser
angewiesen seien. Des weiteren waren anfänglich Klagen darüber
zu hören, dass sich das Wasser in den Tonnen, mit welchen jedes
Fahrzeug nach § 5, VIII der Anweisung zur gesundheitlichen
Ueberwachung der im Stromgebiete der Weichsel verkehrenden
Fahrzeuge ausgerüstet zu sein hat, nicht hielte; es würde in den
neuen Tonnen bläulich und damit unappetitlich; auch der Geschmack
litte, es würde bitter, hingegen hielte es sich viel besser in
emaillierten Gefässen. Dieser Uebelstand ist jetzt, nachdem die
Tonnen längere Zeit im Gebrauch gewesen sind, nicht mehr zu
fürchten; er liesse sich auch sonst leicht dadurch vermeiden, dass
Mitteilungen von der Choleratiberwachungsstellc Brahemünde. 803
auf den Tonnenausgabestellen zunächst die früher bereits ge¬
brauchten Tonnen abgegeben und in der Zwischenzeit die neuen
täglich mit frischem Wasser gefüllt werden, bis die störenden
Eigenschaften beseitigt sind. Es wäre bei einer erforderlich
werdenden Neubeschaffung von Wasserbehältern auf diese Klagen
Bücksicht zu nehmen und an Stelle neuer Tonnen emaillierte Ge-
fässe abzugeben. Von letzteren scheinen die hohen, von unten
nach oben sich verengernden Kannen geeigneter zu sein, als Eimer;
sie sind handlicher und sparsamer im Gebrauch und, wenn von
einer Gefahr bei offenen Wassergefässen die Bede sein kann, mit
ihrer kleineren Oeffnung natürlich auch weniger der Verunreini¬
gung mit verdächtigem Flusswasser ausgesetzt, als die Eimer mit
breiter Oeffnung. Durch Verfügung der Königlichen Begierung
Bromberg vom 3. September 1905 sind solche Kannen, die 5 Liter
fassen und mit Deckeln versehen sind, für das Stromgebiet der
Brahe und Netze bereits eingeführt.
Eine Verfügung der Königlichen Begierung Bromberg vom
19. September 1905 bestimmt die regelmässige in periodischen
Zwischenräumen vorzunehmende ärztliche Untersuchung der bei
Wasserbauten auf Holzplätzen, in Schneidemühlen, Fabriken usw.
beschäftigten Arbeiter. Diese Verfügung ist von ausserordentlicher
Wichtigkeit in gesundheitlicher Beziehung und steht, soweit .sie
die Ueberwachung von Arbeitern betrifft, welche berulsmässig mit
dem Wasser in mehr oder minder fortwährender Berührung stehen,
der eigentlichen Stromüberwachung kaum nach. Unterscheidet sich
doch ein Teil dieser Arbeiter in nichts von den eigentlichen
Schiffern und Flössern. So ist auf den grossen Holzplätzen und
in den Sägemühlen ein Teil der Arbeiter ständig mit dem Wasser
in Berührung. Es sind die Leute, welche das Holz „auswaschen“,
d. h. aus dem Wasser aut das Land befördern; zeitweilig kommen
aber auch die übrigen Arbeiter mit dem Wasser in Berührung,
dann nämlich, wenn die nassen, soeben aus dem Wasser gezogenen
Hölzer sofort zur weiteren Verarbeitung gelangen.
Wie steht es aber mit der praktischen Durchführung dieser
Verfügung? Hier machen sich zum Teil so erhebliche Schwierig¬
keiten bemerkbar, dass die Ausführung dieser Bestimmung leider
nur eine recht unvollkommene sein kann. Die Schwierigkeiten,
die sich entgegenstellen, sind doppelter Art: sie betreffen einmal
den untersuchenden Arzt und zweitens die einzelnen Betriebe;
ersteren freilich nur insofern, als die ihm zur Verfügung stehende
Zeit bei weitem nicht ausreicht, die Untersuchungen vorzunehmen,
ein Uebel, das durch Verwendung einer genügenden Anzahl von
Aerzten leicht behoben werden könnte. Die Arbeitsstätten auf
Holzplätzen und Sägemühlen haben fast durchweg eine grosse
räumliche Ausdehnung — bis zu 25 h und darüber —; die Arbeiter
sind über den ganzen Betrieb zerstreut, sie müssen also auf¬
gesucht werden, ein Beginnen, das in dem Labyrinth aufgestapelter
Holzhaufen ausserordentlich schwierig und zeitraubend ist. Zudem
gibt es keineswegs Sicherheit, dass tatsächlich alle Arbeiter zur
Untersuchung gelangen; während ein Teil jedesmal gefunden wird,
S04
Dr. Diering.
kann sich der andere leicht nnd völlig der ärztlichen Kontrolle
entziehen.. Und gerade auf die es ankommt, Kränkliche nnd Un¬
pässliche, werden sich mit Vorliebe dem Blick des Arztes zu ent¬
ziehen suchen. Zu vermeiden wären diese Unvollkommenheiten,
wenn die Arbeiter in regelmässigen Zwischenräumen zusammen-
gerufen und so an der Hand von Listen untersucht würden. Hier
aber setzen zugleich die Schwierigkeiten von seiten der Betriebe
ein. Die Arbeiter in der Arbeitszeit zu versammeln bedeutet für
die Arbeitgeber einen erheblichen Arbeite- und damit Geldverlust,
lässt sich auch vielfach durch die Art des Betriebes nicht durch¬
führen. Die Arbeitspausen dazu zu verwenden, scheitert an dem
Widerstande des Arbeiters, der sich seine Ruhepause nicht schmä¬
lern lassen will. Bei der Ueberwachungsstelle Brahemünde waren
etwa 850 ständige Arbeiter in regelmässigen Zwischenräumen zu
untersuchen. Das Notieren der Namen der Untersuchten nahm
viel Zeit in Anspruch und verursachte jedesmal eine unliebsame
Störung in der Arbeit; es wurde deshalb versucht, dem einzelnen
Arbeiter eine Nummer einzuprägen, welche er bei der Unter¬
suchung nennen sollte, um so durch die namentlichen Listen die
Untersuchungen kontrollieren zu können. Arbeiterwechsel, Indolenz
und teilweise Böswilligkeit der Arbeiter Hessen diesen Versuch
scheitern. Aus diesen Gründen wird sich zunächst die ärztUche
Beaufsichtigung der genannten Betriebe darauf beschränken müssen,
sie des öfteren einer hygienischen Durchmusterung zu unterziehen,
und die Arbeiter, wo man sie trifft, immer wieder auf die Gefahren
ihrer Unvorsichtigkeit und Nachlässigkeit aufmerksam zu machen.
Ferner würde sich die Verteilung kurzer Verhaltungsmassregeln
an die Arbeiter empfehlen, die der jeweiligen Art des Betriebes
anzupassen wären. Ein weiteres Mittel, eine schärfere Aufsicht
über den Gesundheitszustand der Arbeiter auszuüben, bieten die
Krankenkassen, die angehalten werden könnten, regelmässige Be¬
richte über die Krankenbestände einzureichen, insbesondere jeden
Fall von akuter Magen-Darmerkrankung sofort zu melden.
Dass die rechtzeitige Erkennung der ersten Cholera¬
erkrankungen von einschneidender Bedeutung für die Bekämpfung
der Choleragefahr ist, bedarf keiner besonderen Betonnng. Völlig
abgesehen von den Schwierigkeiten der Diagnose, deren endgültige
Entscheidung ja stets dem Bakteriologen zusteht, hat es für den
praktischen Arzt stets etwas Missliches, mit dem Verdacht „Cholera*
hervorzutreten. Die Folgen seines ausgesprochenen Verdachtes
sind Unbequemlichkeiten für die Familie des Kranken, wohl auch
direkte Schädigungen, z. B. in kaufmännischen Betrieben. Der
Arzt wird noch Entschuldigung finden, wenn sich sein Verdacht
bestätigt hat, bleibt diese Bestätigung aber aus, dann fällt Groll
auf ihn, er kommt in Gefahr, die Patienten zu verlieren und sich
zu schädigen. Darum wartet er vielleicht noch mit der Meldung —
und aus diesem Abwarten bei ersten und zweifelhaften Fällen
wird ihm kaum ein Vorwurf entstehen können — in der Zwischen¬
zeit tritt aber Besserung oder Tod ein. Im eraten Falle schwindet
auch sein Verdacht, im zweiten kommt er erst recht in eine un-
Mitteilungen ron der Cholerattberwaehungsstelle Brahemtlnde. 806
angenehme Lage. Erstattet er jetzt Meldung von seinem Ver¬
dacht nnd wird daraufhin die Obduktion angeordnet, so kann er
bei dem Vorurteil unserer ungebildeten und gebildeten Laien¬
bevölkerung gegen Leichenöffnungen sicher sein, sich die Familie
des Verstorbenen zum Feinde gemacht zu haben. Kann man den
praktischen Arzt aus dieser unangenehmen Lage befreien und
damit die Entdeckung erster Cholerafälle erleichtern helfen? Zum
Teil vielleicht. Und zwar dadurch, dass in Gegenden, in denen
die Gefahr einer Cholerainvasion mehr oder minder stets vorhanden
ist, die Anzeigepflicht für jeden Fall von Brechdurchfall auch in
cholerafreier Zeit angeordnet wird. Der Arzt kann sich dann
durch die gesetzliche Verpflichtung den Angehörigen des Eiranken
gegenüber rechtfertigen; er meldet die Erkrankung, weil er sie
melden muss und wälzt damit gewissermassen die Schuld für alle
Weiterungen auf den beamteten Arzt, dem materieller Schaden
nicht entsteht. In den Händen des letzteren aber können diese
Meldungen zu wertvollem Material werden und wiederum die Fest¬
stellung erster Erkrankungsfälle erleichtern helfen: Er erfährt von
stärkerem oder gefährlicherem Auftreten der Magen-Darmkrank¬
heiten, und wenn auch nicht sofort und jedesmal bakteriologische
Untersuchungen nötig werden, dürften doch einzelne Stichproben
bei besonders schweren und rasch tödlich endenden Fällen am
Platze sein, namentlich wenn sich diese hänfen.
Als ein weiteres und wichtiges Hilfsmittel zur Erkennung
erster Cholerafälle möchte ich die obligatorische Leichenschau
anführen, die für die schiffbaren Wasserläufe nicht nur für die Zeiten
drohender oder bestehender Choleragefahr, sondern auch für die
cholerafreie Zeit angeordnet und zum mindesten auf jeden auf
den Wasserstrassen Verstorbenen Anwendung finden müsste.
Die vom Reichs-Gesundheitsamt herausgegebene Anweisung
„Wie schützt sich der Schiffer vor Cholera“ und die gesundheit¬
lichen Unterweisungen auf den Ueberwachungsstationen, welche
die Schiffer etc. zu passieren hatten, scheinen ein recht erfreu¬
liches Ergebnis gezeitigt zu haben. Im Anfänge standen die
Schiffer den zu ihren Gunsten getroffenen Schutzmassregeln meistens
gleichgültig gegenüber; sie verhielten sich ablehnend gegen die
Unterweisungen des Arztes, der mit mürrischem Gesicht und oft
recht unfreundlichen Worten auf dem Zahne empfangen wurde.
Der Unmut über die den Schiffern lästige und störende „Revision*
trat deutlich hervor und machte sich häufig in recht drastischer
Weise bemerkbar. Das hat sich bald wesentlich gebessert. Die
Schiffer antworteten im allgemeinen gern auf die Fragen des
Arztes, oder sie antworteten wenigstens doch und aus ihren Ant¬
worten liess sich entnehmen, dass ein grosser Teil von ihnen der
gesundheitlichen Stromüberwachung ein gewisses Verständnis ent¬
gegenbringt und ein gewisses Wissen besitzt, wie er sich gegen
die Erkrankung zu schützen hat. Es kam zuletzt gar nicht selten
vor, dass der Führer des Zahnes selbst darauf aufmerksam machte,
dass er noch nicht untersucht sei und selbst um die Revision bat.
Ferner scheint die zuerst vorhandene Angst vor den Cholera-
806 Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
krankenhftusern abgenommen za haben, die darch die nngeheaer-
lichsten Gerüchte im Volksmande genährt, zuweilen so gross war,
dass Zwangs- und Gewaltmassnahmen zur Unterbringung An¬
steckungsverdächtiger erforderlich wurden. So griff z. B. ein
Schiffer, der mit seiner Familie zur Beobachtung in das Kranken¬
haus Fordon gebracht werden sollte, zur Axt, die Gendarmen
mussten ebenfalls zu ihren Waffen greifen, um die Ueberführung
zu ermöglichen. Diese Krankenhausangst musste naturgemäss die
Verheimlichung etwaiger Krankheitsfälle mit ihren Gefahren be¬
günstigen; ihr Nachlassen bedeutet somit auch eine Verringe¬
rung dieser Gefahren. Es wäre falsch, wenn man diesen Tat¬
sachen besondere Wichtigkeit beimessen wollte; indessen steht zu
erwarten, dass das Verständnis des einfachen Mannes für die Ab¬
wehnnassregeln den Kampf gegen die Seuche, wenn nicht sonder¬
lich erleichtern, so doch nicht weiter erschweren wird. Und des¬
halb ist der Umschwung in der Gesinnung mit Freuden zn
begrüssen! Freilich, dass ein Teil völlig indolent, zn weilen
geradezu widersetzlich war und geblieben ist, war zu erwarten
und kann nicht weiter Wunder nehmen. So antwortete ein Schiffer
auf die Unterweisungen des Arztes damit, dass er vor den Augen
desselben Fluss wasser trank. Die Strafe folgte in diesem Falle
auf dem Fusse: da das Wasser für verseucht erklärt war, ordnete
der Arzt die sofortige Ueberführung des Betreffenden als an¬
steckungsverdächtig in das Krankenhaus an, wo er während des
5 tägigen Aufenthaltes wohl genügend Zeit gehabt haben wird,
über event. Folgen von Unvorsichtigkeit nachzudenken.
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
B&ktoriologie, Infektionskrankheiten and öffentliches
Sanitätswesen.
Veber das Vorkommen Ton Spirochaetcn bei syphilitischen nnd
anderen Krankheitsprodnktcn. Aas dem Labor&toriam der Königliehen
Universität«-Klinik für Haut- nnd Geschlechtskrankheiten za Berlin (Professor
Dr. E. Lassar). Von Paal Malger. Berliner klinische Wochenschrift;
1905, Nr. 36.
Aaf Grand seiner zahlreichen Untersuchungen Ober die Gegenwart von
Spirochaetcn bei verschiedenen Erkrankungen des menschlichen Organismns
kommt Verfasser za den Schluß, 1. daß die Spirochaeta pallida so gut wie regel¬
mäßig in den Produkten der infektiösen Lues nachgewiesen ist, 2. daß sic nach
den bisherigen Erfahrungen nur boi Syphilis und nicht bei anderen Krankheiten
oder Gesunden vorkommt, 3. daß die Unterscheidung der Sp. pallida von der
gröberen, schmarotzenden Form dem Geübten meist unschwer gelingt. Sie ist
kleiner, zarter and dünner, besitzt steile korkenzicherartige Windungen gegen¬
über den längeren, flacheren der groben Spirochacte, färbt sich schwerer and
zeigt im Giemsapräparat meist einen mehr rotviolotten Farbenton, gegenüber
dem mehr bläulichen der groben Formen. Dr. Bä ab er-Köslin.
Die Spirochaeta vacctnae. Von Prof. Dr. Bon hoff-Marbarg. Berliner
klin. Wochenschrift; 1905, Nr. 36.
Verfasser fand in frisch beim Kalbe erhaltenen Blattern verschiedenen
Alters Spirochaeten, die sich mit der Giemsa- Methode chrom&tinrot färben
lassen. Am Ende des Fädchons findet sich oft eine knopfförmige Verdickung.
Sic liegen vielfach in der Nähe eines Kerns. In dem lcukozylcnreichcn Teil der
Pustel sind sic in Nestern angehäuft. Neben diesen Spirochaetcn finden sich
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
807
viel zahlreichere kleinste kommaähnliche, einzeln oder za zweien liegende
Zellen, endlich etwas größere, anregelmäßig dreieckige Formen mit zwei langen
sehr zarten, zaweilen schraubenförmigen Fortsätzen an zwei Ecken. Diese
dreieckige Form hält B. für die Grandform des Vaccineerregers. Die Spiro*
chäten hält er für aneinander geratene Kommas. Alle drei Arten gehören
zusammen. Dr. Raub er-Köslin.
Arbeiten ans dem Kaiserlichen Gesnndheltsamte. Beihefte za den
Veröffentlichungen des Kaiserlichen Gesundheitsamts; XXII. Bd., 8. (Schloß-)
Heft, mit 2 Tafeln, Verlag von J. Springer, Berlin 1905.
Untersuchungen über die Vakzine. I. Von Dr. S. Pr o waz ek (Rorigno).
Hierzu Tafel IX.
In der vorliegenden Abhandlung werden über einige experimentelle und
mikroskopische Untersuchungen der Vakzinelymphe, sowie über das Verhalten
des Vakzinevirus in der Kaninchenkornea berichtet. P. glaubt aus diesen
Untersuchungen folgende Schlüsse ziehen zu dürfen: ln der Lymphe findet
man zunächst längliche, sich teilende Gebilde; die Lymphkörperchen, die in
den kleinsten Zellfragmenten ruhen; über ihre Natur wird man erst nach einer
genaueren Untersuchung ihrer Ursprungsstätte, der Kalbspustel, etwas aus-
sagen dürfen. Bei den Veränderungen an der geimpften Kaninchenkornea muß
man zwei ihrem Wesen und ihrer Genese nach verschiedene Vorgänge und
Bildungen unterscheiden: a) das Auftreten der sog. „Initialkörper“, längliche,
meist aus zwei ihrer Größe nach etwas differierenden Körperchen bestehende
Gebilde, die von einem ovalen, lichten Hof umgeben sind und sowohl im Proto¬
plasma, als auch wahrscheinlich im Kern auftreten; b) die Bildung der Guar-
nierischen Körper, die den sogen. Kernsubstanzen entstammen, sehr frühzeitig
und rasch ins Protoplasma austreten und hier weiter wachsen. Sie sind Pro¬
dukte einer regressiven Metamorphose der Kernsubstanzen, während die Initial¬
körper wohl die Träger des Virus sein dürften. Dr. Rost-Rudolstadt.
Ein Fall von Meningokokken-SeptlkSmle. Aus der hygienischen Unter-
suchungsstation und der inneren Krankenstation des Marinelazaretts zu
Wilhelmshaven. Von Marineoberstabsarzt Prof. Dr. Martini und Marine-
Stabsarzt Dr. Roh.de. Berliner klin. Wochenschrift; 1905, Nr. 82.
Ein ausführlich beschriebener Krankheitsfall, der dadurch bemerkenswert
ist, daß die Erscheinungen der Genickstarre durch einen septikämischen Prozeß
(Hautembolien in Gestalt eines den ganzen Körper überziehenden Exanthems,
das bald hämorrhagischen Charakter annahm) eingeleitct wurde, welcher das
eigentliche Bild verschleierte. Es ist der erste Fall, in dem der sichere mikro¬
skopische und kulturelle Nachweis des Mcningococcus intracellularis im Blut
erbracht wurde (Blutentnahme aus einer Armvene). Die Mikroben waren bei
einer Körpertemperatur von 37,5° C. im Blute nachzuweisen.
Der Fall fordert dazu heraus, bei Verdacht auf Meningitis epidemica das
Blut nicht blos der Kranken, sondern auch der Verdächtigen, selbst der an¬
scheinend Gesunden der Umgebung zu unterscheiden.
Ein zweiter Fall, bei dem die eigentlichen Krankheitserscheinungen erst
nach 3—4 wöchigem Krankenlager hervortraten, ließ denselben sowohl im
Blut (37,5) wie in der Lumbalflüssigkeit den Meningococcus erkennen.
Dr. Räuber-Köslin.
Die bakteriologische und klinische Diagnose bei den fibrinösen Ent¬
zündungen der oberen Luftwege. Aus der Klinik und Poliklinik für Ohren-,
Hals- und Nasenkranke des Prof. Dr. Gerber, Königsberg i. Pr. Von Prof.
Gerber. Berliner klin. Wochenschrift; 1905, Nr. 31.
G. hat bei allen fibrinösen Entzündungen in Hals und Nase regelmäßig
Abimpfungen vornehmen lassen. Hierbei ergab sich folgendes: Drciviertcl
aller Fälle von Rhinitis fibrinosa zeigten Diphtheriebazillen. Ebenfalls bei
dreiviertel aller Fälle fehlten Allgemeincrscheinungcn, und zwar bei denen
mit Diphthoriebazillen ebenso wie bei denen ohne. Bei der Pharyngitis stimmte
die klinische Diagnose in den meisten Fällen mit der bakteriologischen überein.
Noch nicht einmal die Hälfte der fibrinösen Halsentzündungen waren diph¬
therischer Natur. Obwohl die fibrinösen Entzündungen der Nase seltener sind
608
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
als die des Halses, sind sie doch relativ häufiger diphtherisch als die des
Halses. Nur etwa die Hälfte aller fibrinösen H&lsentzttnduügen ist von All-
gemeinerscheinangen begleitet; diphtherische Halsentzündungen bieten diese
nicht häufiger als nicht diptherische. Die Allgemeinerscheinungen (oft durch
Streptokokken bedingt) gestatten keinen Schluß auf den diptherischen oder
nicht diphtherischen Charakter der Erkrankung. Dies kann nur durch die
bakteriologische Untersuchung festgestellt werden. Eine spezifische Anti¬
diphtherie-Therapie ist nur da einzuleiten, wo die klinischen Erscheinungen
in Uebereinstimmung mit der bakteriologischen Untersuchung hierzu auffordern.
Falsch ist es, jeden Fall von leichtester fibrinöser Entzündung, wenn Diphtherie¬
bazillen gefunden werden, sofort zu spritzen, da die verdächtigen Erscheinungen
oft überraschend schnell schwinden. Anderseits aber ist es bisweilen geboten,
Fälle mit sehr bedrohlichen Erscheinungen, auch wenn der Ausfall einer bak¬
teriologischen Untersuchung negativ war, zu spritzen, da die Injektionen im
allgemeinen unschädlich sind und wir es auch oft genug erleben, daß eine
Untersuchung negativ und die nächste positiv ausfällt
Dr. Räuber-Köslin.
Zur bakteriologischen Choleradiagnose. Der direkte Agglutlnationa-
versuch. Aus dem staatlichen hygienischen Institut in Hamburg. Von Prot
Dr. Dun bar. Berliner klin. Wochenschrift; 1905, Nr. 39.
Auf 2 Deckgläschen wird mittelst einer Oese ein Tröpfchen Peptonlösung
gebracht. Mit Platinhaken entnimmt man dem choleraverdächtigtigen Stuhl
einige kleine Schleimflocken, die man an den Wandungen des Entnahmeglases
abstreicht und in den beiden Peptontropfen nacheinander verreibt Zu dem
einem Tropfen setzt man 1 Tropfen 50 fach verdünnten normalen Kaninchen¬
serums, zu dem anderen 1 ebenso großen Tropfen 600 fach verdünnten hoch¬
wertigen Choleraserums. Im hohlgeschliffenem Objektträger findet man bei
Anwesenheit von Choleravibrionen diese im Normalserum zum Teil beweglich,
in dem mit Choleraserum versetzten Tropfen keine beweglichen Vibrionen
mehr, und zwar alsbald nach Herstellung des Präparats. Die Herstellung der
Präparate nebst Untersuchung erfordert nur etwa 5 Minuten. Bebrütete man
die Tropfen nach erfolgter Untersuchung bei 87° C. und prüfte sie darauf in
*/* ständigen Zeitabschnitten, so zeigte sich schon innerhalb einer Stunde eine
erhebliche Vermehrung und rege Bewegung in dem mit Normalserum versetzten
Tropfen, wogegen bei Zusatz spezifischen Choleraserums kein beweglicher
Vibrio aufzufinden war. Schon nach l /* Stunde war eine deutliche Agglutination
der Vibrionen durch das Choleraserum festzustellen. Präparate, die in der¬
selben Weise unter Verwendung von choleraähnlichen Vibrionen hergestellt
waren, ließen in jedem Falle die Agglutination vermissen. Lag ein Gemisch
von cholera- oder choleraähnlichen Vibrionen vor, so war gleich nach Ansetzea
der Präparate es möglich, zu konstatieren, das in dem Präparat mit spezifischem
Choleraserum ein Teil der Vibrionen unbeweglich und gequollen erschien,
während ein anderer Teil Beweglichkeit zeigte. Innerhalb 8—6 Stunden trat
eine Verdrängung der normalen Kotbakterien durch die Vibrionen in Er¬
scheinung. Leichter gestaltete sich die Aufgabe, wenn man anstatt des
choleraverdächtigen Stuhls die daraus an gesetzten Peptonkulturen nach 8 stän¬
diger Bebrütung zu dem beschriebenen Versuche heranzog.
Benutzt man die Agarkultur zur Agglutination, so läßt sich selbst bei
Zwischenschaltung der Peptonvorkultur eine Sicherstellung der bakt. Cholera¬
diagnose nicht vor 12—20 Stunden ermöglichen. Der Vorteil, schon innerhalb
einiger Minuten nach Einlieferung des choleraverdächtigen Materials eine
einigermaßen sichere, orientierende Diagnose zu stellen, liegt auf der Hand.
Dr. Räuber-Köslin.
Ueber die praktische Leistungsfähigkeit diagnostischer Flüssigkeiten
für typholde Erkrankungen des Menschen. Aus der I. deutschen med.
Universitätsklinik in Prag (Vorstand: Hofrat Dr. Pribram. Von Peter Paul
Klemens. Berliner klin. Wochenschrift; 1905, Nr. 40.
Die Merk sehe Fabrik in Darmstadt hat außer dem Fick er sehen
Diagnostikern diagnostische Flüssigkeiten für den Schottmüllerschen (B)
Kleinere Mitteilungen nnd Referate ans Zeitschriften.
809
and Brion-Kaysersehen (A) Par&typhns dargestellt. Yerf. hat bei der
Prüfung dieser Flüssigkeiten folgende Ergebnisse gefunden:
1. Cie Agglutination der heute erhältlichen diagnostischen Flüssigkeiten
für typhoide Erkrankungen des Menschen spielt sich £enau so wie bei leben¬
den Bakterienarten nicht in art-, sondern gattungsspezilschen Grenzen ab.
2. Die gattungsspezifischen Titer betragen bei den Diagnostids im all¬
gemeinen niedrigere Werte, als bei den entsprechenden lebenden Stämmen —
ein Umstand, der ihre praktische Leistungsfähigkeit nur erhöht.
3. Die von Zupnik-Posner für eine ätiologische Diagnose notwendig
befundene Ermittelung des obersten Agglutinationstiters stellt auch bei Ver¬
wendung von Fick er schein Diagnostikern eine unerläßliche Bedingung für eine
solche dar.
Die 8 Diagnostica sind also für den praktischen Arzt vorzügliche Behelfe,
die ihn in die Lage versetzen, die 8 häufigsten typhoiden Erkrankungen der
Menschen (Abdominaltyphus, Schottmüllerschenund Brion-Kaysersehen
Paratyphus) sicher zu diagnostizieren. Das Merksche Typhusdiagnostikum
ist neuerdings noch verbessert worden. Dr. Räuber-Köslin.
Der Wert der elnnelnen klinischen Symptome des Typhus abdominalis
für die Diagnose. Von Prof. Dr. Treupel, Chefarzt am Hospital zum
heiligen Geist in Frankfurt a. M. Münchener med. Wochenschrift; 1905, Nr. 80.
Verfasser berichtet über ein im ganzen einheitlich untersuchtes Material
von 60 Typhusfällen aus den letzten Jahren und kommt bei der Beantwortung
der Frage, welches die wichtigsten und möglichst frühzeitigen
diagnostischen Merkmale einer Typhuserkrankung sind, zu
nachstehenden Ergebnissen: Kranke Proz.
1. Anamnestische Anhaltspunkte, derart, daß man
immerhin Typhus mit in den Bereich der Erwägungen ziehen
mußte, boten im ganzen . 45 = 75,0
2. Eine im ganzen Verlauf typische Fieberbewegung
zeigten . . . . .. 28 = 46,7
8. Eine mehr weniger starke Bronchitis im Anfänge der Er¬
krankung hatten. 29 = 48,8
4. Eine im Verhältnis zum Fieber niedrige Pulszahl im
ganzen Verlauf hatten. 52 = 86,7
5. Neigung zur Euphorie bezw. auffallend gutes All¬
gemeinbefinden zeigten.* ... 84 = 56,7
6. a) Lingua typhosa (mit intensivem fuliginösem Belag)
hatten.10 = 16,7
a) Angina (catarrhalis 83, follicularis und aphtosa je 1)
zeigten. 85 = 58,8
7. Beschwerden von seiten des Abdomens (Meteorismus, Druck¬
empfindlichkeit etc.) hatten.87 = 61,7
8. Einen deutlichen Milztumor (dabei 34mal palpabel) hatten 52 = 86,7
9. Roseola typhosa hatten.48 = 71,7
10. Diazoreaktion im Harn zeigten. 44 = 73,3
11. Gruber-Widalsche Reaktion (nur 53 Fälle verwertbar)
hatten. 48 = 90,6
12. Bazillennachweis im Blut (nur 14 Falle kommen in
Betracht) gelang bei ... ..18 = 92,8
Von allen Symptomen ist mithin das größte Gewicht auf den Nachweis
der Typhusbazillen im Blute der Kranken und auf den Ausfall der Gruber-
WidaIschen Reaktion zu legen. Neben diesen beiden sozusagen ätiologischen
Krankheitsmerkmalen behaupten in diagnostischer Hinsicht die Milzvergrößerung,
die verhältnismäßig niedrige Pulszahl, die Diazoreaktion und die Roseola typhosa
eine hohe Bedeutung, wobei der diagnostische Wert der Roseola noch be¬
sonders zu unterstreichen wäre. Demnächst stehen und keineswegs zu unter¬
schätzen sind die übrigen Anhaltspunkte, wie Anamnese, Angina, Bronchitis,
eine mehr weniger typische Temperaturkurve etc.
Unter den 60 Fällen konnte in 12 Fällen erst nach Verlauf einiger Tage
bis Wochen die Diagnose gestellt werden, und zwar erst mittels Widalscher
Reaktion. Dr. Waibei-Kempten.
810
Kleinere Mitteilangen and heferate ans Zeitschriften.
Typhusepidemle unter Kind* -i Im Schulbezirke der Stadt Deggen¬
dorf 1904/1905. Von Bezirksamts j t. Tischler. Münchener medizinische
Wochenschrift; 1905, Nr. 48.
Verfasser berichtet über eine bakteriologisch festgestellte Typhusepidemie,
welche im Dezember 1904 unter Schulkindern ans Deggendorf und nächster
Umgebung explosionsartig anftrat nnd sich fast drei Monate lang hinzog. Im
ganzen erkrankten 65 Kinder, davon die meisten von Mitte Dezember bis Ende
Dezember; daneben erkrankten von Ende Dezember bis über die Mitte März
hinaus 13 Erwachsene, somit im ganzen 74 Personen.
Die Erkrankungen unter den Schulkindern kamen hauptsächlich bei
amen Schulkindern, und zwar nur bei solchen Kindern vor, welche die Suppen¬
anstalt Deggendorfs frequentierten. Unter den 200 Kindern, welche diese
Suppenanstalt besuchten, erkrankten und zwar fast gleichzeitig
50 Kinder, so daß sich förmlich die Ueherzeugung aufdrängte, daß die Krank¬
heit von den Kindern in der Anstalt hineingegessen oder getrunken worden
war. Letztere Vermutung erwies sich nicht als stichhaltig; hinsichtlich des
Essens kam man über die Infektionsmöglichkeit durch ein nicht ganz
einwandfreies Bagout auch nicht hinaus.
Nach ausführlicher Darlegung von Beginn, Verlauf und Ende der Epi¬
demie kommt Verfasser zu folgender Epikrise:
Die vorliegende Typhusepidemie gestattet nicht eine miasmatische Ent¬
stehung, ja, nicht einmal eine miasmatische Beeinflussung anzunehmen; sie
überzeugt vielmehr, daß Kontagiosität die Epidemie verursacht habe.
Verfasser legt dann die Gründe dar, warum die Infektion weder durch
Bodenwirkung von der Suppenanstalt, noch von der Schule, noch von den Woh¬
nungen der Kinder aus entstanden sein kann.
200 bis 270 Kinder frequentieren die Suppenanstalt im Winter; etwa
50 Kinder wurden nachweisbar krank durch Kontagium. Wodurch dieses ein-
vcrleibt wurde, konnte nicht ermittelt werden. Warum erkrankten nicht mehr
als zirka 50 Kinder? Als Grund will Verfasser die individuelle Disposition
geltend machen, das. günstigere körperliche Befinden der übrigen zirka 150
Kinder der Suppcnanstalt, bessere Widerstandskraft, welche siegreich wirkte
im Kampfe mit dem Kontagium. Von Cholera und Typhus ist wohlbekannt,
daß nur höchstens 50°/ 0 von den Infizierten krank werden. Ferner ist zu be¬
achten, daß es Typhus ambulatorius gibt, welches bei Kinderepidemien sicher
eine größere Bolle spielt, als hoi Typhus Erwachsener. Kinder mit Typhus
ambulatorius streuen die Krankheitskeime aus, wie sie auch längere Zeit noch
von Typhusgenesenen ausgestreut werden.
Verfasser spricht sich dann noch über die vielfachen Wege der Kontakt¬
infektionen bezw. der direkten Uebertragungen von Mensch zu Mensch aus und
meint, daß es für den Sanitätspolizeibcamten von größter Wichtigkeit ist, mög¬
lichst rasch zwischen Typhus und Paratyphus zu differenzieren, weil letzterer
meist auf Vergiftung mit Nahrungsmitteln beruht. Es wäre nicht unmöglich,
daß jn der Beurteilung der Typhuserkrankungen manche Veränderung eintreten
wird, daß durch Vervollkommnung der Untersuchungsmethoden das Gebiet des
echten Typhus noch mehr eingeengt wird, daß die typhusähnlichen Krankheiten
noch wesentliche Aufhellung erfahren. Auch jetzt dürfte es in den meisten
Fällen nicht möglich sein, die Typhusquelle nachzuweisen, wenn auch bakterio¬
logisch die Epidemie als Infektionskrankheit durch echte Typhusbazillen fest-
gestellt ist. Dr. Waibel-Kempten.
Bakteriologische Beobachtungen bei einer Paratyphus • Epidemie.
Von Dr. Alfred Schottelius, Assistent am hygienischen Institut der Uni¬
versität Freiburg L B. Münchener medizinische Wochenschrift; 1905, Nr. 44.
Verfasser hatte Gelegenheit an einer Anzahl von Paratyphusfällen eigene
Beobachtungen über die diagnostische Brauchbarkeit der empfohlenen Kultur¬
methoden, sowie des spezifischen Agglutinationsphänomens anzustellen.
Es handelte sich um eine Hausepidemie in einem Gasthof, woselbst beim
Umbau eine seit langen Jahren nicht mehr benutzte zugemauerte Senkgrube
wieder eröffnet wurde. Der Inhalt dieser Senkgrube bestand aus einer übel¬
riechenden, breiigen Masse, welche in Eimern ausgeschöpft, durch das Haus
transportiert und auf Wagen abgefahren wurde. Bei dieser Art der Aus-
Kleinere Mitteilungen m Referate ans Zeitschriften. 811
ränmung waren Veranrcinigongen des ’ r nSportwagens nahezu unvermeidlich
and stehen vielleicht im Zusammenhang' mit dem Ausbruch der nach Ablauf
Ton etwa 14 Tagen erfolgenden akuten Erkrankung verschiedener Hausbewohner,
während auffallenderweise von den Arbeitern, welche mit dem Umbau und der
Ausräumung der Senkgrube beschäftigt waren, niemand erkrankt ist.
Der Ausfall des näher beschriebenen Kultur- und Agglutinationsverfahrens
sprach eindeutig für Bacillus paratyphi Typus B. Zar weiteren Sicherstellung
der Diagnose wurden noch von einzelnen Patienten Fäces und Urin untersucht
and dabei ausschließlich die Bazillen des Paratyphus Typus B festgestcllt,
während echte Typhusbazillen weder im Blut, noch in den Fäzes, noch im
Urin der untersuchten Fälle nachzuweisen waren. Zur Differentialdiagnose der
Typhusarten ist jedenfalls dem Agglutinationsphänomen ein hoher Wert bei-
zumeesen. Ob die Gruber-Wiaalsche Reaktion allerdings die Kultur-
verfahren in allen Fällen vollständig ersetzen kann, ist noch zweifelhaft.
Dr. Waibei-Kempten.
Ueber einen Fall von Iofusorlen-Enteritis. Von Chefarzt Dr. Nagel
in Bochum. Münchener med. Wochenschrift; 1905, Nr. 44.
Verfasser berichtet eingebend über einen Erkrankungsfall infolge der
Einwanderung von Baiantidium coli, eines nach Leukart zu den Ziliaten
oder Winperinfusorien gehörenden, im Durchschnitt 0,09 mm langen und 0,06 mm
breiten Parasiten, der bekanntlich auch im Schweinedarm vorkommt, und des¬
halb bei Leuten, welche mit diesen Tieren zu tun haben, gefunden wird. Der
Parasit scheint einer der gefährlichsten unter den Darmparasiten und weit
gefährlicher als das Anchylostomum duodenale zu sein.
Das Auffinden der Infusorien gelingt am besten in den schleimigen, den
Dejektionen beigemischten Massen, welche nicht selten mit Blut untermischt
sind. Die Infusorien sind nur in den frisch entleerten oder doch noch warmen
Stühlen durch ihre lebhaften Bewegungen, das Spiel der Geißelfäden oder
Winperhaare deutlich zu erkennen. Beim Erkalten der Stühle werden sie be¬
wegungslos und schwer nachweisbar.
Die von dem Parasiten verursachte Krankheit äußert Bich hauptsächlich
durch fortwährende Diarrhoen mit mehr oder minder blutigen, nicht selten
eitrigen Stühlen und spätere hochgradig anämischen und kachektischen Zu¬
ständen, Darmgeschwüren etc. Nach Mitteilung der Krankengeschichte schließt
Verfasser mit dem Wunsche, daß dieser bösartige Parasit nicht weiter um sich
greifen möchte in der Arbeitcrbevölkerung, da seine Wcitervcrbreiiung weit
bedenklicher und gefährlicher zu sein scheint, als die des Anchylostomum duo¬
denale, und zu befürchten steht, daß die Mehrzahl solcher Fälle letal verläuft.
Als hygienisch-prophylaktische Maßnahmen sind zunächst Untersuchungen der
nächsten Familienangehörigen zu empfehlen. Dr. Wai bei-Kempten.
Meine Erfahrungen mit dem Antithyreoidin-Serum Möbius bei fünf
Fällen von Morbus Basedowil. Von Dr. Theodor Schüler-Charlottenburg.
Deutsche Medizinalzeitung; 1905, Nr. 83.
Die von Brown Söquard gebrauchte Organsaft-Theorie und die von
Behring eingeführte Behandlung der bakteriellen Vergiftung durch das ent¬
sprechende Antitoxin haben dahin geführt, bei der Basedowschen Krankheit
ebenfalls eine Behandlung mit einem Gegengifte zu versuchen. So stellten
Burghart und Blumenthal ans der Milch entsprechend behandelter Ziegen
ein Präparat „Rodagcn“ dar, während Möbius ein Blutserum als Heilmittel
empfahl. Dieses Mübinssche Serum hat nun Verfasser in mehreren Fällen
mit sehr gutem Erfolge teils subkutan, teils per os angewandt und kommt auf
Grund dieser Erfahrungen zu dem Schlüsse, daß das Antitbyreoidin-Serum
Möbius eine wertvolle Bereicherung unseres Arzneischatzes darstello.
Dr. Hoffmann-Berlin.
Ueber Krankheiten, die dem Krebs vorangehen. Von E. v. Berg¬
mann. Vortrag, gehalten in der Berliner medizinischen Gesellschaft. Berliner
klin. Wochenschrift; 1905, Nr. 80.
Schon 1893 hat Hey auf chemische, ständig wirkende Reize als Ursache
812
Kleinere Mitteilungen nnd Referate ans Zeitschriften.
▼on Karzinomen hingewiesen, 1885 machte Hawkins die Beobachtung der
Entwickelung der Karzinome aus Narben. B. bestätigt dies und lührt u. a.
einen Fall, in welchem sich bei einer 40jährigen Frau an der Stelle einer in
der Kindheit entstandenen großen Brandnarbe ein kollossales Karzinom ent¬
wickelt hatte. Andere vorhergehende Krankheiten sind die Veränderungen In
der Warze der weiblichen Mamma (Pagelsche .Krankheit), Acne von Paraffln-
arbeitern (Buß- und Teerkrebs), Psoriasis linguae et buccalis, Lupus, Xeroderma
pigmentosum, Fistelgänge, Ekzeme, Seborrhoeen, Warzen und gewisse Mutter¬
muer (Pigmentmäler). _ Dr. Bäuber-Köslin.
Spielen die Krätzmilben eine Rolle bei der Verbreitung der Lepra t
Von Dr. Ernst ▼. Bassewitz. Münchener med. Wochenschrift; 1905, Nr. 41.
Verfasser verbreitet sich in längeren Ausführungen über die Infektions¬
und Verbreitungswege des Lepragiftes, vindiziert dabei auf Qrund einer von
ihm gemachten und näher beschriebenen Beobachtung diesem Schmarotzer eine
Bolle als Lepraüberträger und kommt sohin zu dem Schlüsse, daß jeder mit
Krätze behafteter Lepröser eine viel größere Ansteckungsgefahr für seine ge¬
sunde Umgebung bildet, wie andere, nicht skabiöse Leidensgenossen. Es emp¬
fehlen sich daher geschärfte prophylaktische Maßnahmen in derartigen Fällen
und vor allem möglichst schnell und sicher die Heilung der komplizierenden
parasitären Dermatose. _ Dr. Waibel-Kempten.
Was haben wir von einer staatliehen Trachombekftmpfung zu er¬
warten! Von Prof. Dr. Greef. Vortrag, gehalten in der Berl. medizinischen
Gesellschaft am 19. Juli 1905. Berliner klin. Wochenschrift; 1905, Nr. 82.
Eine Anregung zu der jetzigen Trachombekämpfung ging vom Kriegs¬
ministerium aus, weil wegen der vielen Augenkrankheiten junger Leute in
Ost- und Westpreußen nicht mehr genug Mannschaften zur Aushebung kommen
konnten. Bekannt sind die Trachomerkrankungen im Altertum (die Frösche
von Aristophanes), in den napoleonischen Kriegen und in den Freiheitskriegen
(Yorksches Armeekorps 1813 in Ostpreußen). Vorzugsweise befallen sind
Ost- und Westpreußen, Posen, Niederhessen, das Eichsfeld und etwas der
Niederrhein. Ausschlaggebend für die Ausbreitung sind allein die Lebens¬
gewohnheiten der Einheimischen, nicht die Bodenbeschaffenheit oder das Klima,
ln Westpreußen sind die für sich, aber sauber lebenden Schwaben granulose-
freL Verf. steht der staatlichen Trachombekämpfung optimistisch gegenüber.
Am Bhein hat der Trachom in den letzten 20—30 Jahren eminent abgenommen.
Die Hebung der Kultur, insbesondere die Verbesserung der Wasserverhältnisse,
hat für die Trachomfrage eine gewisse Bedeutung. In Ostpreußen waschen sich
wegen der mangelhaften Wasserverhältnisse alle Familienmitglieder oft in der¬
selben Schüssel mit demselben Wasser. Nach Anlegung eines guten, leicht
erreichbaren Brunnen wurde in einem Orte das Trachom viel seltener. Die
Versorgung der Bevölkerung mit fließendem Wasser scheint ein sehr wichtiger
Faktor in der Trachombehandlung zu sein. Wichtiger ist die Tätigkeit
tüchtiger Augenärzte, deren Einfluß die Erfolge am Bhein zugeschrieben
werden. Die Unterrichtung der in den befallenden Gegenden praktizierenden
Aerzte in der Erkennung und Behandlung des Trachoms, besonders aber die
Ansiedelung tüchtiger Augenärzte daselbst mit staatlicher Subvention würde
die vorzüglichste Maßnahme sein, um der gefährlichen Krankheit allmählig
Herr zu werden.
In der Diskussion schildert Kirchner die Art der bisherigen Be¬
kämpfung und ihre Erfolge; er macht auf die vielen aus Bußland kommenden
Saisonarbeiter sowie auf die vorteilhaften Bestimmungen des neuen Gesetzes
betr. die Bekämpfung der ansteckenden Krankheiten aufmerksam, mit Hülfe
dessen wir des Trachoms Herr zu werden hoffen. Dr. Bäuber-Köslin.
Ergebnisse der amtlichen Pockentodesstatistik im Deutschen Reiche
vom Jahre 1908, nebst Anhang, betreffend die Pockenerkrankungen im
Jahre 1908. Berichterstatter: Reg.-Rat Dr. Sannemann (Hierzu Tafel V).
Medizinal-statistische Mitteilungen aus dem Kaiserlichen Gesundheitsamte. Bei¬
hefte zu den Veröffentlichungen des Kaiserlichen Gesundheitsamts; IX. Band,
2. (Schluß-) Heft. Verlag von J. Springer, Berlin 1905.
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
818
Im Jahre 1903 betrug die Zahl der im Deutschen Reich zur amtlichen
Kenntnis gelangten Pockentodesfälle 20 gegen 15 im Vorjahre und 45 im
Durchschnitt des lOiährigen Zeitraums 1893/1902. Auf je 1 Million Einwohner
kamen 0,34 Todesfälle an Pocken gegen 0,26 im Vorjahre und 0,84 im lOjähr.
Durchschnitt. Diese 20 Pockentodesf älle verteilen sich auf 18 Ortschaften,
von denen 9 in Preußen, je 1 in Sachsen, Braunschweig, Bremen und Elsaß-
Lothringen gelegen sind. Zu einer größeren Verbreitung der Seuche in einem
Ort kam es nur in Altona (3 Todesfälle, in fünf wurden je 2 festgestellt, die
übrigen blieben vereinzelt. Von den 20 Fällen kamen 5 auf Kinder im 1. Lebens¬
jahre, von denen 4 ungeimpft waren, das fünfte war ein 5 Monate alter Säug¬
ling, der erst 2 Tage vor aer Erkrankung, also zu spät, der Impfung unter¬
zogen war. Im 2. Lebensjahre starben 8 ungeimpfte Kinder, im 3. bis 10.
2 Kinder russischer Arbeiter, von denen ein 5jähnger Knabe ungeimpft, ein
4jähr. Mädchen erfolglos geimpft war. Auf die Altersgruppen von 11—20 und
von 31—40 Jahren kam kein Todesfall. Im 21.—30. Lebensjahre starben zwei
21 jähr. Frauen und ein 25jähr. Knecht, welche sämtlich im 12. Lebensjahre
wiedergeimpft waren. Der Altersklasse von 41—50 Jahren gehörten 2 Männer
unbekannten Impfzustandes und ein als Kind geimpfter 48 jähriger Arbeiter an.
Im 61.—60. Lebensjahre starben 3 Personen, und zwar eine ungeimpfte 55 jähr.
Frau, ein geimpfter 53 jähr. Lederhändler und ein im 12. Jahre wiedergeimpfter
67 jähr. Abschündler. Im Alter von mehr als 60 Jahren erlag den Pocken ein
ungeimpfter 77 jähr. Invalide, der sich im Krankenhause befand und dort an-
f esteckt wurde. Von den Oestorbenen gehörten 10 dem männlichen und 10
em weiblichen Geschlecht an. Setzt man die Verhältniszahl der Pockentodes¬
fälle in den Orten des Deutschen Reichs (0,06 :100 000 Einwohner) als Einheit,
so entfiel auf die Städte: Oesterreichs und der Schweiz etwa die vierfache
Zahl, der Niederlande die 5 fache, Englands die 46 fache, Frankreichs die
384 fache, Belgiens die 561 fache.
Nach dem beim Kaiserlichen Gesundheitsamt eingegangenen Meldekarten
sind im Jahre 1903 im Deutschen Reieh 172 Erkrankungen an Pocken zur
amtlichen Kenntnis gelangt. Etwa den 6. Teil hiervon, nämlich 30 = 17,4 °/o,
bildeten Ausländer.
Von je 1 Million Einwohner erkrankten 3 (im Vorj. 2) Personen an den
Pocken. Auf Preußen entfallen 93 (darunter 14 Russen und 1 Luxemburger),
auf Elsaß-Lothringen 27 (3 Oesterreicher, 2 Italiener), Sachsen 15, Baden 14,
Hamburg 11 (8 Russen, 1 Engländer, 1 Grieche), Braunschweig 7, Bremen 2
(Russen), ferner jo 1 auf Bayern, Hessen, Oldenburg. In 16 Bundesstaaten
kamen Pockenfälle überhaupt nicht zur Anzeige. In Preußen wurden aus 28
Ortschaften Pocken gemeldet, und zwar aus 12 nur je 1 Fall, aus 6 je 2, aus
4 je 3, ans Bochum 4, Gut Gaußen (Memel) 5, Gnieballen (Heydekrug) und
Myslowitz je 7, aus Altona 15, Eschweiler 19 Fälle. In Elsaß-Lothringen
kamen 27, und zwar in Straßburg 12 Fälle, in je einer Gemeinde 7, 4 und 2
in 2 Ortschaften je 1 Fall vor, in Sachsen in Leipzig 12 und in drei Gemeinden
je 1, in Baden in je einer Ortschaft 11, 2 und 1, in Hamburg 11, in Braun¬
schweig in den Städten Wolfenbuttel und Braunschweig 6 bezw. 1, in Bremen
2, in Bayern, Hessen und Oldenburg je 1 Fall.
Fast alle Erkrankungen waren auf Einschleppungen aus dem Auslande,
besonders aus Rußland, daneben aber auch aus Belgien und Frankreich zurück¬
zuführen.
Von den 172 erkrankten Personen starben: 20, darunter befanden sich
11 ungeimpfte (9 Kinder, 2 Erwachsene), 3 geimpfte, (1 Kind, 2 Erwachsene),
4 wiedergeimpfte (Erwachsene) und 2 Erwachsene unbekannten Impfzustandes.
Schwer bezw. mittelschwer erkrankt waren : 34 Personen, darunter
8 ungeimpfte, 11 geimpfte, 11 wiedergeimpfte und 4 unbekannten Impfzustandes.
Leicht erkrankt waren 119 Personen: 21 ungeimpfte, 51 geimpfte, 44 wieder¬
geimpfte und 3 unbekannten Impfzustandes. Dr. Rost-Rudolstadt.
Die Ergebnisse des Impfgeschäfts im Deutschen Reiche für das Jahr
1908« Zusammengestellt aus den Mitteilungen der einzelnen Bundesregierungen.
Berichterstatter: Reg.-Rat Dr. 8annemann.
Zur Erstimpfung waren vorzustellen: 1870895 Kinder = 8,24°/ 0 der
814
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
mittleren Bevölkerung (gegen 8,18 % im Vorj.). Hiervon wurden von der
Impfung befreit: a) weil sie die natürlichen Pocken überstanden hatten 63;
b) weil sie bereits im Vorjahre als mit Erfolg geimpft eingetragen waren 68630;
c) weil sie bereits im vorhergehenden Jahre mit Erfolg geimpft, aber erst im
Berichtsjahre zur Nachschau erschienen waren 9091.
Es waren erstimpfpflichtig geblieben 1799111 Kinder. Von diesen wurden
geimpft: a) mit Erfolg 1530301, b) ohne Erfolg 88788, c) mit unbekanntem
Erfolg, weil nicht zur Nachschau erschienen 3489. Von je 100 geimpften Erst¬
impflingen worden mit Erfolg geimpft 97,31 (im Vorj. 96,75). Am günstigsten
waren die Erfolge im Fürstentum Birkenfeld mit 99,67 °/ 0 , am ungünstigsten
in Reuß a. L. mit 87,41 °/ 0 . Fast gleichmäßig waren dio Erfolge in Sachsen
und Württemberg, am gleichmäßigsten in Bayern und Hessen.
Auf 100 ausgefünrte Impfungen entfielen 2,46 ohne Erfolg (gegen 8,01
im Vorj.). Es blieben ungeimpft, weil: a) auf Grund ärztlicher Zeug¬
nisse zurückgestellt: 175206, b) nicht aufzufinden oder orts¬
abwesend: 17080, c) vorschriftswidrig der Impfung entzogen:
34041. Die meisten Impfpflichtigen wurden auf Grund ärztlicher Atteste
zurückgestellt in Chemnitz (21,0 »/„) und Rudolstadt (19,54 o/o), die wenigsten
im Fürstentum Lübeck (1,51 o/o). Die meisten vorschriftswidrigen Entziehungen
fanden in Bremen (10,09 o/ 0 ) statt. Aus dem Fürstentum Lübeck sind seit 1890
derartige Entziehungen nicht mitgeteilt. Mit Menschenlymphe wurden 14, mit
Tierlymphe 1585 577, mit Lymphe nicht näher bezeichneter Art 590 Impfungen
auBgeführt.
Zur Wiederimpfung waren vorzustcllen: 1274721 = 2,21 */o der
mittleren Bevölkerung. Von diesen wurden von der Impfpflicht befreit: a) weil
sie während der vorhergehenden 5 Jahre die Pocken überstanden hatten: 85,
b) weil sie während der vorhergehenden 5 Jahre mit Erfolg geimpft waren:
5796; es blieben demnach impfpflichtig: 1268834 Kinder. Von diesen wurden
wiedergeimpft: a) mit Erfolg: 1162036, b) ohne Erfolg: 72 626, c) mit un¬
bekanntem Erfolg, weil nicht zur Nachschau erschienen: 1854. Von je 100
vorgenommenen Wiederimpfungen waren erfolgreich 93,98 (gegen 98,65 im Vorj.).
Die höchste Erfolgziffer hatte Schaumburg-Lippe mit 99,30o/ 0 , die niedrigste
Reuß ä. L. mit 75,02 °/ 0 . Ohne Erfolg war dio Wiederimpfung bei 5,72 °/o
gegen 6,03 °.o im Vorjahre. Auf Grund ärztlicher Zeugnisse wurden zurück-
gestellt: 17460 = 1,33 °/o, Die meisten Befreiungen kamen vor in Hamburg
(4,49 °/o) ; die wenigsten im Reg.-Bez. Oberpfalz (0,62 °l„). Der Impfung vor¬
schriftswidrig entzogen wurden: 5254 = 0,41 °/ 0 . Im Fürstentum Lübeck, in
Sachsen-Altenburg und Lippe kamen keine Entziehungen vor; mehr als 1,5 •/#
betrug die Zahl nur in Berlin (2,49°/..) und in Bremen (3,30 °/„). Von den
Wiederimpfungen wurden mit Menschenlympho 102 (Schleswig und Oldenburg),
mit Tierlymphe 1238416, mit nicht näher bezeichneter Lymphe 146 vollzogen.
Bei der Ausführung der Impfung bestand die Schnittführung in der
Regel in der Anlegung von 4 bis 6 einfachen seichten Einschnitten; mit weniger
als 4 Schnitten begnügten sich die Impfärzte meist bei besonders zarten Kindern.
Von sonstigen Schnittführungen scheint der Kreuzschnitt noch bei manchen
Aerzten beliebt zu sein. Ueber Impfungen durch Stich wird nur vereinzelt
aus Preußen und Mecklenburg berichtet; in Weimar zogen einzelne Impfärzte
immer noch den Kritzelschnitt vor. Das beliebteste Instrument stellt das
Platin-Iridiummesser dar. Eine Desinfektion des Impffeldes hat nur vereinzelt
stattgefunden, so in Heidelberg. Hinsichtlich der Verwendung von Deck¬
verbänden steht der bayerische Zentralimpfarzt auf dem Standpunkt, daß sie
unvorteilhaft sind.
Entzündungen der Haut in der Umgebung der Impfstelle sind sehr häufig,
Verschwärungen der Impfpusteln nur in geringer Zahl, darunter zwei mit töd¬
lichem Ausgange, zur Beobachtung gelangt. Ueber weitergehende Eiterungen
des Unterhautzollgewebes ist aus Preußen 21 mal — 6 mit Ausgang in Tod —,
aus Sachsen 8 mal berichtet worden. Rotlauf ist sehr oft gemeldet worden,
so aus Rudolstadt allein 25mal; ein Fall in Chemnitz verlief tödlich. Ueber
das Auftreten von Vakzinepusteln an anderen Körperteilen des Impflings als
der Impfstelle oder bei Personen ans der Umgebung des Impflings Degen
zahlreiche Mitteilungen vor. Am häufigsten war das Gesicht, besonders Nase
und Ohr betroffen; Uebertragung auf ein Augo hat in drei Fällen stattgefunden,
Kleinere Mitteilungen nnd Referate ans Zeitschriften«
816
von denen einer durch fortschreitenden Brand mit Tod endete. Schweren Ver¬
lauf zeigten einige Fälle, in denen es zum Auftreten zahlreicher Vakzinepusteln
gekommen war. Aus Preußen sind 9 Fälle generalisierter Vakzine gemeldet
worden, von diesen nahmen 7 einen günstigen Ansgang, 2 endeten tödlich.
_ Br. Rost-Rudolstadt.
Beiträge zur Untersuchung von Schweineschmalz und Butter. Von
Dr. Eduard Polenske, technischer Hilfsarbeiter im Kaiserl. Gesundheitsamt.
Beihefte zu den Veröffentlichungen des Kaiserlichen Gesundheitsamts; XXIL
Bd., 8. (Schluß*) Heft mit 2 Tafeln. Verlag von J. Springer, Berlin 1906.
In der Arbeit wird ein Beitrag zur Beurteilung der in neuerer Zeit be¬
kannt gewordenen wichtigeren Untersuchungsmethoden über den Nachweis von
Fälschungen im Schweineschmalz und in der Butter geliefert. Ferner werden
Beobachtungen über den Einfluß des Baumwollensamenöls auf das Fett yon
Schweinen, die mit diesem Oel gefüttert wurden, mitgeteilt. Die Ausführungen
lassen sich dahin zusammenfassen, daß bei der Untersuchung yon Schmalz und
Butter die Phytosterinazetatprobe wertvolle Dienste zu leisten vermag: ihrer
Anwendung ist aber eine untere Grenze gezogen, da im allgemeinen das Er¬
gebnis zweifelhaft vrird, wenn die Butter unter 7,5 °,o Margarine enthält.
__ Dr. Rost-Rudolstadt.
Beiträge zur Untersuchung von Schweineschmalz. Von Dr. E. Po¬
lenske, technischer Hilfsarbeiter. Ebendaselbst.
In neuester Zeit ist von mehreren Seiten die Beobachtung gemacht
worden, daß Schweineschmalz, welches eine positive Baumwollsamenreaktion
zeigte, bei der amtlich vorgeschriebenen Phytosterinazetatprobe einen weit
niedrigeren Schmelzpunkt ergab, als den des Cholestrinazetats. Als Ursache
hierfür wird meistens das wahrscheinliche Vorhandensein von geringen Mengen
Paraffin angegeben. Da bisher eine zuverlässige Methode für den Nachweis
geringer Mengen von Paraffin im Schweineschmalz nicht bekannt war, so drohte
durch den Zusatz dieses Stofles zu Schweineschmalz und andoren Fetten der
wertvollen Phytosterinazetatprobe eine Gefahr, der so bald als möglich be¬
gegnet werden mußte. P. ist cs gelungen, eine einfache Methode zu finden,
durch welche die Erschwerung der Phytosterinazetatprobe durch Paraffin als
beseitigt angesehen werden kann. Die Ausführung der Probe muß im Original
nachgelesen werden. Dr. Rost-Rudolstadt.
Kleinere Mitteilungen aus den Laboratorien des KaiserUehen Ge¬
sundheitsamtes. Ueber Leukonie. Von Dr. P. Rasenack, technischer
Hilfsarbeiter im Kaiserlichen Gesundheitsamt. Ebendaselbst.
Unter obiger Bezeichnung wurde ein Antimonpräparat in den Handel
gebracht und als Weißfärbemittel für Emaillezwecke wegen seiner außerordent¬
lichen Billigkeit und Unlöslichkeit in Fruchtsäure und mangels aller giftigen
Substanzen als Ersatzmittel des teuren Zmnoxyds empfohlen. Bei der Prüfung
stellte es sich als eine Natriumverbindung der Antimonsäure mit geringen
Spuren von Arsen und Blei dar. Es war sowohl in reinem Wasser, als in
Fruchtsäurelösungen so erheblich löslich, daß ernste Schädigungen der Gesund¬
heit dadurch zu befürchten sind. Dr. Rost-Rudolstadt.
Chemlsobe Untersuchung der Zela-Masse. Von Dr. E. Polenske,
technischer Hilfsarbeiter im Kaiserlichen Gesundheitsamt. Ebendaselbst.
Von der Deutschen Gesellschaft für Konservierung von Nahrungsmitteln
wird unter der Bezeichnung „Zola* eine feste, harzartige Substanz in den
Handel gebracht, welche zum Ueberziehen von Dauerwaren, anstatt des bis¬
herigen Einlegens derselben in Fett, empfohlen wird. Nach der Untersuchung
P.s hat die Masse wahrscheinlich folgende Zusammensetzung: Paraffin: 35°/ 0 ,
Kolophonium: 62,8%, Schlemmkreide: 2,2%. Die Prüfung auf Formaldehyd
fiel negativ aus. Dr. Rost-Rudolstadt.
Fortsetzung der chemischen Untersuchung neuer, Im Handel ver¬
kommenden Konservierungsmittel für Fleisch nnd Fleischwaren. Von
816
Kleinere Mitteilungen nnd Referate ans Zeitschriften.
Dr. E. Polenske, technischer Hilfsarbeiter im Kaiserlichen Gesundheitsamt.
Ebendaselbst.
Untersucht worden: Konserven alz für Fleisch, — Patentiertes, borfreies
Dauer-Konservesalz, — Dr. PO hier 8 „Carnosot“, — Seethol, — Porose Nr. I,
Konservesalz für Hackfleisch, — Porose Nr. II, Konservesalz für alle Fleisch¬
waren außer Hackfleisch, — Müllers Hackfleisch-Konservesalz „ Brillant“,—
„Herkules“ Kristall, — „Hansa“ Kochsalz, — Dreifaches, nicht rötendes Kon¬
servesalz, — Einfaches, rötendes Konservesalz, — „Odin“, — Erhaltungssalz
„Erreicht“, — „Mogontia“ für feinere Worstsorten, — „Cassalin“. Von diesen
fällt das Konservesalz für Fleisch als Alkalikarbonat unter die verbotenen
Stoffe, und Dr. POhlers „Carnosot“ beansprucht durch seinen Gehalt an
Hexamethylentetramin ein besonderes Interesse, da diese aus Formaldehyd und
Ammoniak entstehende Basis sich schon in kalter, wässeriger Lösung unter
Rückbildung von Formaldehyd zersetzt. Dr. Rost-Rudolstadt.
Ueber den Nachweis von Kupfer ln Gemüsekonserven nnd Gurke*
mittels Elsen. Von Dr. G. Rieß, wissenschaftlicher Hilfsarbeiter im Kaiser¬
lichen Gesundheitsamt. Ebendaselbst.
Es ergab sich, daß in gekupferten Konserven und Gurken das Kupfer
nach Ansäuren mit Salzsäure durch metallisches Eisen nachweisbar ist. Für
die Giftwirkung folgt daraus, daß auch in dem sauren Magensaft das Kupfer
dieser Gemüse in Zonenform übergehen und als solches in Reaktion treten wird.
Dr. R o s t- Rudolstadt
Chemische Untersuchung eines unter dem Namen Frakttn (Honig-
Ersatz) im Handel befindlichen Präparates. Von Dr. G. Rieß, wissen¬
schaftlicher Hilfsarbeiter im Kaiserlichen Gesundheitsamt Ebendaselbst
Nach der Analyse besteht Fruktin aus einer Mischung von Rohrzucker,
welcher anscheinend einen geringen Karmelzusatz erhalten hat, mit geringen
Mengen von Weinsäure. Bei der Prüfung des Fruktinhonigs durch den Ge¬
schmack hat sich ergeben, daß dieser nachgemachte Honig durchaus nicht nach
Honig schmeckt; dagegen schmeckt eine Mischung von 75°/ # Bienenhonig mit
25°/ 0 Frukiinhonig so nach Honig, daß nur eine geübte Zunge die Verfälschung
herausfinden dürfte. Dr. Rost-Rudolstadt
Die Ergebnisse einer biologischen Probeuntersuchung des Rheins.
Von Prof. Dr. R. Lauterborn in Ludwigshafen a. Rhein-Heidelberg. (Hierzu
Tafel X.) Ebendaselbst.
Die vom 17.—19. November 1904 auf der Strecke Speyer—Worms statt¬
gefundene biologische Probeuntersuchung des Rheins sollte den Beweis er¬
bringen, daß die Methode der biologischen Beurteilung des Wassers nach seiner
Fauna und Flora auch an einem großen Strome durchführbar und somit sehr
wohl im stände ist, neben der bisher üblichen Beurteilung des Wassers auf
Grund chemischer und bakteriologischer Untersuchungen ihren Platz zu be¬
haupten. Es konnte konstatiert werden, daß bis jetzt kaum eines der Ab¬
wässer für sich im stände ist, den Rhein in seiner ganzen Breite auf eine
größere Strecke hin in bedeutendem Maße zu verunreinigen. In allen Fällen
erscheinen die Verunreinigungen auf die Ufer beschränkt, wo sie sich aller¬
dings teilweise in recht intensiver Weise bemerkbar machten. Der Grund für
dieses Verhalten liegt in dem eigenartigen, von demjenigen der norddeutschen
großen Ströme so verschiedenen natürlichen Strombau des Oberrheins begründet,
in der gewaltigen Wassermasse und der Schnelligkeit seiner Strömung. Ob
dieses bis jetzt immerhin noch günstige Verhältnis zwischen Abwassermenge
und Selbstreinigungskraft des Rheins aber auf die Dauer bestehen wird, dürfte
mehr als fraglich sein; denn die Menge der Abwässer nimmt von Tag zu Tag
zu, und die Selbstreinigungskraft auch des größten Stromes hat ihre natür¬
lichen Grenzen. Dr. Rost-Rudolstadt.
Besprechungen.
817
Besprechungen.
Dt. O. Bapmund, Reg.- and Geh. Med.-Rat in Minden L W.: Kalender für
Medislnalbeamte. V. Jahrgang. Berlin 1906. Fischers medizinische
Bachhandlang, H. Kornfeld. Aasgabe A (Ihr die preußischen Medizinal¬
beamten) mit Beiheft Preis: 4 Mark. Aasgabe B (Ihr die übrigen deut¬
schen Medizinalbeamten) Preis: 8 Mark.
Rechtzeitig bringt ans der Herausgeber dieser Zeitschrift den neuen
Kalender für Medizinalbeamte für das Jahr 1906.
Wiederum zeigen einzelne Kapitel die gründliche and gewissenhafte
Durcharbeitung, welche infolge neuer Erlasse und besonders des Preußischen
Seuchengesstzes vom 28. August d. J. nötig wurde.
Die Einteilung ist dieselbe geblieben, nur trat in der Ausgabe für
Preußen unter Abschnitt VIII das Gesetz, betreffend die Bekämpfung
übertragbarer Krankheiten vom 28. August 1905 nebst Aus¬
führungsbestimmungen vom 5.0ktober 1905 hinzu.
Zu Abschnitt V haben die Kapitel 8. Ausstellung von Attesten
und 10. Aerztliche Sachverständigen-Tätigkeit auf dem Ge¬
biete der Unfall und Invaliden-Versicherung wertvolle Zusätze
erhalten, im 6. Kapitel „Obduktionstechnik“ ist das neue Preußische
Obduktionsregulativ im Wortlaut und mit Erläuterungen eingefügt.
Im Abschnitt VI finden sich wichtige Ergänzungen im Kapitel „1. Be¬
kämpfung ansteckender Krankheiten“, insbesondere sind die Ab¬
weichungen kenntlich gemacht, welche die Ausführunasbestimmungen zum
Preußischen Gesetz vom 28. August 1905 in der Desinfektionsanweisung
gegenüber den Vorschriften des Reichsseuchengesetzes bringen, auch ist die
Verfügung des Staatssekretärs des Reichspostamts vom 81. September 1905
aufgenommen, welche den Versand infektiösen Untersuchungs¬
materials in Briefform regelt.
Ergänzt ist ferner das Kapitels „Hygienische Untersuchungen
von Luft, Boden, Wasser und Gebäuden“, speziell auch durch Be¬
rücksichtigung des Ministerial-Erlasses vom 7. Juli 1905, betreffend Prüfung
der Entwürfe zu zentralen Wasserleitungsanlagen. Ein diesem
Erlasse entsprechendes Muster für die Besichtigung zentraler
Wasserleitungen ist unter die Formulare für Besichtigungen aufgenommen,
die übrigens sehr richtig am Schlüsse des VI. und nicht wie früher des VII. Ab¬
schnittes gebracht werden.
Im Beiheft sind unter Abschnitt III die Anstalten zur Vor¬
nahme der Schutzimpfung gegen Tollwut aufgenommen.
Die Personalien der Medizinal-Behörden und -Beamten sind mit
größter Sorgfalt und Mühe fortgeführt, ebenso die Dienstalters-Liste
der Medizinalbeamten in Preußen.
Trotz der vielen Zusätze und Ergänzungen, die fast ausschließlich die
Ausgabe für die preußischen Medizinalbeamten um fast5Mehr-
bogen betreffen, konnte auch bei dieser Ausgabe die äußerst handliche des Ka¬
lenders beibebalten werden, nur ihr Preis ist um den verhältnismäßig geringen
Betrag von 50 Pf. erhöht, während er bei der Ausgabe der nichtpreußischen
Medizinalbeamten unverändert geblieben ist.
Möge der Rapmundsche Kalender für Medizinalbeamte auch im neuen
Jahre ein unentbehrlicher Begleiter bleiben; dies ist der aufrichtige Wunsch
des Referenten. Dr. Fielitz-Halle a. S.
Med.-Bat Dr. B. FUnxer- Plauen: Die Medlsln&lgesetae und Verord¬
nungen de« Königreiche Sachsens. Zweite Auflage. Leipzig 1905.
Rossbergsche Verlagsbuchhandlung. Zwei Bände. KL 8°, 697 und 1060
Seiten. Preis: geb. 25 Mark.
Wenn man den Umfang der im Jahre 1895 erschienenen ersten Auflage
des vorliegenden Werkes selbst unter Hinzurechnung ihrer beiden im Jahre
1896 und 1899 erschienenen Nachträge mit dem Umfang der jetzigen Auflage
vergleicht, so macht sich schon äußerlich ein ganz außerordentlicher Unter¬
schied bemerkbar, denn die Seitenzahl hat sich fast um das Doppelte vermehrt.
Dasselbe gilt aber auch in bezug auf den Inhalt, der infolge des großen
818
TageBnächrichten.
Aufschwungs, den die Medizinalpolizei 'in dem letzten Jahrzehnt genommen hat,
eine gänzliche Umarbeitung erfahren hat, bei der allerdings die bisherige Ein*
teilung des Stoffes beibehalten ist, da sie sich für die praktische Handhabung
durchaus bewährt hat. Das Werk stellt eine ungemein fleißige Arbeit dar,
für die dem Verfasser nicht nur die Aerzte und Medizinalbeamten, sondern
auch die dortigen Verwaltungsbehörden im hohen Grade dankbar sein werden,
denn es bringt nicht nur eine vollständige Zusammenstellung der geltenden
Landes-Medizinalgesetzgebung, sondern es ist auch überall die Reichsgesetz-
gebung auf gesundheitlichem Gebiete in vollem Umfange berücksichtigt, des¬
gleichen sind die einzelnen Gesetze usw. mit Erläuterung versehen, soweit
solche erforderlich waren. Gerado infolge dieser ausgedehnten Berücksichtigung
der Reichsgesetzgebung ist das Werk auch für weitere Kreise von Wert; ganz
abgesehen davon, daß cs auch recht lohnend und instruktiv ist, die Medizinal-
gesetzgebung eines deutschen Bundesstaates zu studieren, der in bezug auf
die Regelung des öffentlichen Gesundheitswesens nach vielen Richtungen hin
als nachahmenswertes Vorbild dienen kann.
Durch ein sorgfältig ausgearbeitetes chronologisches Register und Sach¬
register wird der Gebrauch des sehr empfehlenswerten Werkes wesentlich
erleichtert. _ Rpd.
A. Sohmedding, Landesrat, Mitglied des Hauses der Abgeordneten: Die
Gesetze betreffend Bekämpfung ansteckender Krankheiten, und
zwar 1. Reichsgesetz betreffend die Bekämpfung gemeingefährlicher Krank¬
heiten vom 30. Juni 1900. 2. Preußisches Gesetz betreffend die Bekämpfung
übertragbarer Krankheiten vom 28. Aug. 1905. Münster i. W. 1905. Verlag
von Aschendorff. XIV u. 208 S.; Preis in Kaliko: 2,60.
Post tot tantosque labores ist das neue Seuchengesetz unter Dach und
Fach gekommen. Sache der beamteten Aerzte wird es nunmehr sein, die
Segnungen dos Gesetzes für die Allgemeinheit nutzbar zu machen. Als Mittel,
um sich vom verwaltungsrechtlichem Standpunkte aus mit der schwierigen
und verwickelten Materie des Gesetzes bekannt zu machen, begrüßen wir den
obigen, prompt erschienenen Kommentar eines Juristen, dessen Ruf und Tätig¬
keit als langjährigen Praktikers und hervorragende Mitwirkung am Zustande¬
kommen des Gesetzes schon dafür bürgt, daß wir es in vorliegendem Werke
mit einer gediegenen Arbeit zu tun haben.
Daß die Erläuterungen, wie Verf (S. XIII) betont, nur vom verwaltungs¬
rechtlichem Standpunkte aus dargeboten werden, kann dem Buche nicht als
Mangel angerechnet werden; denn hier dürften für den Mediziner gerade die
Schwierigkeiten liegen. Zudem ist der medizinische Teil, soweit wir uns haben
überzeugen können, nicht völlig unberücksichtigt geblieben. Es kann hier nicht
der Ort sein, eingehend zu zeigen, wie es dem Verfasser gelungen ist, schwierige
Partien dem Nichtjuristen verständlich zu machen; aber es Bei z. B. darauf
hingewiesen, daß die seiner Zeit viel ventilierte Frage der Kostendeckung, die
das Gesetz beinahe zum Scheitern gebracht hätte, in klarer Weise kommentiert
ist. Daß das Buch auch die Ausführungsvorschriften des Bundesrats zur Be¬
kämpfung der Infektionskrankheiten vom 28. Januar 1904, sowie die bezüglichen
Ausführungsbestimmungen des Kultusministers vom 12. September 1904 und
schließlich die des preußischen Gesetzes vom 28. August 1905 bringt, dürfte
sehr willkommen sein, da so das ganze einschlägige Material gesammelt vorliegt.
In der zu erwartenden Hochflut der Kommentare, die das neue Gesetz
hervorrufon wird, wird dieser erste stets eine hervorragende Stellung einnehmen.
Dr. Meyer-Geseke L W.
Tagesnachrichten.
Unter den Vorlagen, die in der bei Eröffnung des Preußischen Abgeord¬
netenhauses gehaltenen Thronrede erwähnt sind, fehlt eine solche betreffs
Errichtung eines Volks Wohlfahrtsamtes; der dieserhalb im vorigen Jahre
von beiden Häusern des Landtages einstimmig gefaßte Beschluß scheint dem¬
nach noch keine Aussicht auf baldige Verwirklichung zu haben.
Tagesnachrichtei].
819
Die Kosten für die medizinische Fakultät der Universität Münster
hat die 8tadt Münster übernommen, nachdem die Stadtverordneten den Vertrag
des Magistrates mit dem Knltosministeriam genehmigt haben. Danach liegt
der Stadt die Unterhaltung der jetzigen Gebäude und die Errichtung weiterer
Gebäude für naturwissenschaftliche Institute ob, falls die Besuchszahl der
medizinischen Fakultät dies nötig macht, ferner die Vervollständigung und
wirtschaftliche Unterhaltung (Heizung, Licht) der Institute und die Besoldung
der Institutsdiener. Der Staat übernimmt dagegen die etatsmäßige Anstellung
der erforderlichen Professoren und wissenschaftlichen Hilfskräfto und die Ent¬
richtung einer Miete von 1800 M. für die Unterbringung des zoologischen In¬
stituts. Die jährlich aufzuwendonden Kosten belaufen sich auf insgesamt
24000 M., von denen die Hälfte die Stadt, die andere Hälfte voraussichtlich
die Provinz aufbringen wird. _
Der diesjährige Nobelpreis für hervorragende Leistungen auf medizini¬
schem Gebiete ist Geh. Med.-Bat Prof. Dr. Robert Koch verliehen worden.
Cholera. Da auch in der Zeit vom 11.—30. November d. J. keine
choleraverdächtigen Erkrankungen oder Todesfälle in Preußen zur Anzeigo
gelangt sind, ist die gesundheitliche Ueberwachung des Schiffahrts- und
Flößereiverkehrs auf allen Wasserstraßen unter Einziehung sämtlicher Ueber-
wachung8stellen aufgehoben worden.
Nachdem vor kurzem eine Konferenz von Vertretern aus den beteiligten
Kreisen, darunter diesmal auch Vertreter der Krankenkassen, zur Beratung der
Deutschen Arzneitaxe für 1906 im Reichsgesundheitsamtc getagt hatte, ist
jetzt der betreffende Entwarf dem Bundesrat vorgelegt, der ihn in seiner
Plenarsitzung am 7. d. Mts. den zuständigen Ausschüssen überwiesen hat. Das
Erscheinen der neuen Arzneitaxe wird also noch vor Schluß des Jahres zu
erwarten sein; die darin getroffenen Abänderungen werden aber voraussichtlich
nicht grundsätzlicher Natur sein.
Der IV. Internationale Kongress für Verslcherungs- Medizin wird
unter dem Ehrenpräsidium Sr. Exzellenz des Herrn Ministers der usw.
Med.-Angel. Dr. Studt vom 11. bis 15. September 1906 in Berlin tagen.
Dos wissenschaftliche Programm umfaßt folgende Hauptgegenstände:
A. Aus dem Gebiet der Lebensversicherung: 1. Die früh¬
zeitige Feststellung des Vorhandenseins einer Veranlagung zur Tuberkulose,
insbesondere zur Lungentuberkulose. 2. Die Fettleibigkeit in ihrer Bedeutung
für die Versicherung. 3. Der Einfluß der Syphilis auf die Lebensdauer. 4. Die
Impfklausel im Versicherungs-Vertrag.
B. Aus dem Gebiet der Unfallversicherung: 5. Die Beein¬
flussung innerer Leiden durch Unfälle im allgemeinen. 6. Die akute Ver¬
schlimmerung von Geisteskrankheiten im Verlauf von Unfällen. 7. Einfluß des
Trauma bei latenten und offenbaren organischen Bückenmarks- und Gehirn¬
krankheiten. 8. Die Kriterien der Verschlimmerung von funktionellen Neurosen
durch Unfälle.
Ueber jede Frage der Tagesordnung sollen Berichte in den einzelnen
Ländern ausgearbeitet werden, welcho in deutscher, französischer oder eng¬
lischer Sprache mehrere Wochen vor dem Kongreß zur Versendung an die
angemeldeten Kongreßteilnehmer gelangen. Ebenso werden die Verhand¬
lungen des Kongresses in deutscher, französischer oder englischer Sprache
geführt und stenographisch aufgonommen. Die Verhandlungsprotokolle werden
allen Kongreßteilnehmern zugehen.
Das Festprogramm des Kongresses wird im Frühjahr bekannt ge¬
geben werden. Die Sitzungen des Kongresses werden voraussichtlich im
preußischen Abgeordnetenhaus stattfinden.
Zur Teilnahme an dom Kongresse berechtigt sind die Mitglieder des
Deutschen Vereins für Versicherungs-Wissenschaft und der internationalen
Vereinigung der Versicherungsärzte. Die Zulassung sonstiger Teilnehmer ist
820
Tagesnachrichten.
auf Antrag, über welchen der Organisations-Ausschuß beschließt, möglich. Der
Beitrag, welcher zar Teilnahme an den offiziellen Verhandlungen und alles
Festlichkeiten berechtigt, and für welchen die offiziellen Kongreßberichte and
Verhandlungen postfrei zagestellt werden, beträgt für die Mitglieder des Deut¬
schen Vereins für Versicherungs-Wissenschaft and deutsche Beichsangehörige
40 Mark. Personen, welche nur an den Sitzungen, nicht an den Festlidikeiten,
teilnehmen, zahlen 16 Mark. Ebenso zahlen die begleitenden Damen 16 Mark.
Anmeldungen, Anfragen und Mitteilungen sind an den
Generalsekretär des Deutschen Vereins für Versicherungs «Wissenschaft, Herrn
Dr. phiL et jur. Alfred Manes, Berlin W 50, Spichernstraße 22, zu richten.
In Paris wird vom 80. April bis 8. Mai 1906 ein Kongress zur
Bekämpfung der ungesetzlichen Ausübung der Heilkunde stattfinden. Die
Verhandlungen werden sich nicht nur auf die Besprechung der Maßnahmen
gegen gewerbsmäßige Kurpfuscher (Naturärzte, Magnetiseure, Heilgehilfen,
Masseure, Barbiere usw.) erstrecken, sondern es sind auch Vorträge über Ab¬
wehrmaßregeln gegen die Uebergriffe fremdländischer Aerzte und Zahnärzte,
sowie gegen das üeberhandnehmen der wissenschaftlichen Beklame in der
Tagespresse auf die Tagesordnung gestellt.
Auf Veranlassung des Direktoriums der Verstchenmgskasse für die
Aerzte Deutschlands bringen wir folgende Notiz zur Kenntnis der Leser der
Zeitschrift:
„Wie vor einiger Zeit gemeldet, hat der am 5. Mai 1905 verstorbene
Kollege Sanitätsrat Dr. Goburek in Tilsit der Versicherungskasse für die
Aerzte Deutschlands ein Legat von 200000 Mark zur Erweiterung ihrer
Witwenkasse in eine Witwen- und WaisenkaBse Unterlassen. Um der
Bestimmung des Testators gerecht zu werden, ist es notwendig, zunächst die
bisher fehlende statistische Grundlage für eine solche Kasse (Zahl und Lebens¬
alter der gesamten zurzeit lebenden Arztwaisen, Sterbealter des Vaters nnd
Lebens- bezw. Sterbealter der Mütter) zu gewinnen, da nur auf diese Weise
eine technische Sicherheit für die Höhe der Prämien und für die Erfüllung der
Bentenverpflichtungen ermöglicht wird. An sämtliche deutschen Aerzte, ins¬
besondere an die Herren Vorstände der Unterstützungskassen und sonstigen
Wohlfahrtseinrichtungen geht deshalb die dringende Bitte, die Adressen
der Arztwitwen und Arztwaisen, soweit sie ihnen selbst bekannt sind
oder durch Vermittelung von Verwandten, Freunden, Bekannten und Klienten
erlangt werden können, in übersichtlicher Zusammenstellung an das
Direktorium der Versicherungskasse für die Aerzte Deutsch,
lands, Berlin NO., Landsberger Platz 3, hinnen 14 Tagen einzusenden.
äprcohsssL
Anfrage des Kreisarztes Dr.B. in St.: Darf ein Leichenpaß in
allen Fällen nur auf Grund eines kreisärztlichen Leichen-
paßattestes ausgestellt werdenP
Antwort: Maßgebend hierfür ist zunächst der Ministerial-Erlaß vom
28. September 1888, wonach die Erteilung von Leichenpässen nur auf Grund
einer von einem „beamten Arzt“ ausgestellten Bescheinigung über die Todes¬
ursache ausgefertigt werden darf. Im Min.-Erlaß vom 29. Dezember 1888 ist
dann bestimmt, daß unter „beamteten“ lediglich die Kreisphysiker,
also jetzt die Kreisärzte zu verstehen seien. Durch die weiteren Erlasse
vom 14. Oktober 1889, 7. Februar 1891 und 6. Oktober 1891 ist jedoch auch den
Chefärzten der Militärärzte, den Direktoren der Königlichen
Universitätskliniken und bei deren Behinderung ihren Vertretern
die Befugnis zur Ausstellung jener Bescheinigung eingeräumt, jedoch nar für
die Personen, die in den unter ihrer Leitung stehenden Lazaretten oder An¬
stalten verstorben sind.
Verantwortl. Bedakteur: Dr. Bap mnn d, Eeg.- u. Geh. Med.-Bat in Mindern i. W.
1. 0. C. Bruns. Ferzogt. Siebs, o. F. Seh.-L. Hofbuchdruckerei in Hin den.
Preussiseher Medizmalbeamten-Verein.
Offizieller Bericht
über die
za
Hannover
am 28. und 29. April 1905.
Berlin 1905.
FISCHER’S MEDIZINISCHE BUCHHANDLUNG.
H. Kornfeld.
Herzogi. Bayer. Hof- and Erzherzogi. Kammer-Buchhändler.
Preussiseher ledizinalbeamten -Ver ein.
Offizieller Bericht
über die
XXtt Hauptyersaminlung
Hannover
am 28. und 29. April 1905.
Berlin 1905.
FISCHER’S MEDIZINISCHE BUCHHANDLUNG.
H. Kornfeld.
Harzogl. Bayer. Hof* und Erzherzogi. Kammer - Buchhändler.
Inhalt
Erster Sitzungstag. 0elu
1. Eröffnung der Versammlung. 1
2. Geschäfts- und Kassenbericht; Wahl der Kassenrevisoren .... 5
3. Die Verhütung und Bekämpfung des Kindbettfiebers. Referent: Dr.
Kr ohne, medizin. Hülfsarbeiter bei der König! Regierung in
Düsseldorf. 6
4. Der preußische Wohnungsgesetzentwurf vom gesundheitlichen Stand¬
punkte. Referent: Kreisarzt Med.-Rat Dr. H aase -Danzig . . 38
5. Die praktische Durchführung der Desinfektion auf dem platten Lande.
Referent: Kreisarzt Dr. Rom ei ck-Mohrungen. 64
Zweiter Sitzungstag.
1. Bericht der Kassenrevisoren und Wahl des Vorstandes. 70
2. Die gerichtsärztliche Beurteilung der Kurpfuschereidelikte.
Erster Referent: Gerichtsarzt Med.-Rat Prof. Dr. Puppe-
Königsberg . 70
Zweiter Referent: Amtsgericbtsrat Dr. v. Ihering-Hannover . 87
3. Die Aufgabe der Medizinalbeamten in bezug auf die Fürsorge für
Geisteskranke, Epileptische und Idioten. Referent: Gerichtsarzt
Dr. Schwabe-Hannover.106
Präsenzliste.132
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Erster Sitzongstag.
Freitag« den £8. April« vormittags 9 1 /« Ulir
im Rattiaussaale.
I. Eriffmg dar VartannlHg.
H. Reg.- u. Med.-Rat Dr. Wodtke-Merseburg: Ich eröffne
die XXII. Hauptversammlung des Preussischen Medizinalbeamten-
Vereins.
M. H.I Unser bewährter Vorsitzender, H. Geheimrat Dr.
Rapmnnd, ist, wie Sie gewiss schmerzlich bedauern werden,
durch einen Todesfall in seiner Familie, der vorgestern statt-
gefunden hat, verhindert, seinen altgewohnten Platz hier einzu¬
nehmen. Als Mitglied des Vorstandes bin ich plötzlich zu seiner
Vertretung berufen worden; ich muss Sie deshalb bitten, der
diesmaligen Leitung unserer Verhandlungen Ihre gütige Nachsicht
angedeihen zu lassen und mich in der weitgehendsten Weise zu
unterstützen.
M. H.! Wir haben die Freude, eine grosse Anzahl von
Ehrengästen in unserem Kreise heute begrüssen zu dürfen. Der
Herr Minister der Medizinalangelegenheiten bewahrt nach wie
vor unserm Verein ein warmes Interesse und hat den H. Geh.
Ober-Med.-Rat Prof. Dr. Schmidtmann als Vertreter zu
unseren Verhandlungen abgeordnet. Ich heisse H. Geheimrat
Dr. Schmidtmann herzlich willkommen und darf ihn wohl
bitten, dem Herrn Minister unseren Dank zu übermitteln, nament¬
lich auch dafür, dass der Herr Minister über die Medizinal¬
beamten bei allen Angriffen, die in der Presse oder im Landtage
stattgefunden haben, seinen deckenden Schild gehalten hat;
unseren innigsten Dank, der sich mit. hoher Bewunderung ver¬
einigt, dass es der Herr Minister durch unermüdliches per¬
sönliches Eintreten vermocht hat, trotz der anscheinend unüber¬
windlichen Schwierigkeiten das von den Medizinalbeamten so
l
2 Eröffnung der Versammlung.
lang ersehnte prenssische Seachengesetz bis zu einem gewissen
Abschlüsse za fahren.
Wir haben ferner die Ehre, den H. Regierungspräsidenten
v. Philipsborn in unserer Mitte zu sehen; ferner als Vertreter
der Stadt Hannover H. Stadtsyndikus Eyl, sowie die Vertreter
des Königlichen Provinzial-Medizinal'Kollegiums, des ärztlichen
Vereins, des Vereins für öffentliche Gesundheitspflege und der
Ortsgruppe Hannover der Gesellschaft zur Bekämpfung der Ge¬
schlechtskrankheiten. Sie alle sind uns herzlich willkommen I
H. Geh. Ober-Med.-Rat Prof. Dr. Schmidtmann: Hochver¬
ehrte Herren! Ich habe den ehrenvollen Auftrag erhalten, namens
des Herrn Ministers Sie zu begrüssen und an Ihren Verhandlungen
teilzunehmen. Ich darf Ihnen namens des Herrn Ministers den
Dank aussprechen für die Einladung zur heutigen Versammlung;
es wird mir eine ganz besondere Freude sein, dem Herrn Minister
berichten zu können, welche dankbaren Gefühle durch seine Tätig¬
keit im Abgeordnetenhause hier bei Ihnen hervorgerufen sind.
Der Herr Minister hegt in der Tat, wie Ihr Herr Vor¬
sitzender zutreffend hervorhob, ein lebhaftes Interesse für Sie und
mit vollem Recht; sehe ich doch, dass die Medizinalbeamten von
Nord und Süd, Ost und West herbeigeeilt sind, um an den Ver¬
handlungen hier mit Lust und Liebe teilzunehmen und im gegen¬
seitigen Austausch weiter zu studieren. Ihr Herr Vorsitzender,
der leider, wie Sie gehört haben, durch Trauerfall verhindert ist,
hier zu stehen, wird mit berechtigtem Stolze die Zahl der Teil¬
nehmer an der heutigen Versammlung konstatieren. Ihre Anzahl
beweist die Nützlichkeit und die Bedeutung Ihrer Versammlungen,
aber auch der Erfolg beweist dieses. Alle Teilnehmer, glaube ich,
werden mit Befriedigung auf die heutige ebenso wie auf die früheren
Versammlungen sehen, namentlich Ihre Herren Vortragenden werden
dessen eingedenk sein, dass die Mühe und Arbeit, die solche Vor¬
träge machen, nicht vergebens gewesen sind. Denn über den
Kreis der Medizinalbeamten hinaus haben Ihre Verhandlungen
Interesse erweckt und Beachtung gefunden; sie sind vielfach
nicht nur anregend, sondern auch bestimmend für die Entschei¬
dungen der massgebenden Behörden gewesen. So habe ich denn
keinen anderen Wunsch als den: Möge auch die heutige Ver¬
sammlung von dem gleichen Geiste getragen sein wie die Mheren,
und in ihren Ergebnissen ebenso erfolgreich sein, wie dies bei den
früheren Versammlungen der Fall gewesen ist.
(Lebhafter Beifall!)
H. Regierungspräsident v. Philipsborn: Meine sehr geehrten
Herren! Auch ich möchte meinen herzlichen Dank aussprechen.
Ich bin Ihrer Einladung sehr gern gefolgt und habe mich gefreut,
an Ihren Verhandlungen teilnehmen zu können. Wenn Sie aal
das letzte Jahrzehnt zurückblicken, in welch grossartigem Maas-
stabe sich die Bedeutung des Medizinalbeamten gehoben hat, so
kann ich wohl sagen, er ist ein wichtiger Faktor im Kulturleben
geworden, und wo früher Misstrauen und Vorurteile herrschten,
Eröffnung der Versammlung.
8
da wird der Medizinalbeamte jetzt als treuer Freund und Berater
angesehen. Ueberall werden Sie diese Erfahrung gemacht haben;
es ist dies ein ganz besonderer Fortschritt. Ich hoffe, dass die
Verhandlungen einen recht glücklichen Erfolg haben werden!
(Beifall.)
H. Stadtsyndikus Eyl: Meine hochgeehrten Herren! Ich
möchte namens des Magistrates der Stadt Hannover meinem besten
Dank Ausdruck geben für die Einladung zu Ihrer heutigen Ver¬
sammlung und heisse Sie namens des Magistrates in diesem alten
Rathaussaale, der Ihnen gern eingeräumt ist, herzlichst willkommen.
Die Kommunalverwaltung und die Medizinalbeamten haben ja
überall sehr viele Berührungspunkte; denn in der Kommunalverwal¬
tung ist die öffentliche Gesundheitspflege ein grosses Hauptgebiet.
Unser ganzes Gemeinwesen, die Schulen, die Krankenhäuser, die
Wasserleitung usw. müssen den Anforderungen der Hygiene ge¬
nügen, und Sie sind dazu berufen, auf diesem Gebiete mitzuwirken
und unsere Massnahmen zu unterstützen. Ich halte es auch für
sehr ersprieBBlich, wenn die Kommunalverwaltungen mit den
Medizinalbeamten in gutem Einvernehmen leben; wir bringen des¬
halb Ihren Beratungen das grösste Interesse entgegen und wünschen
denselben besten Verlauf. Mit besonderer Genugtuung hat es
uns auch erfüllt, dass Sie uns die Ehre erweisen wollen, zwei
unserer gesundheitlichen Einrichtungen zu besichtigen, das Wasser¬
werk und das Krankenhaus, und ich hoffe, dass unsere Einrich¬
tungen vor Ihnen in Ehren bestehen werden. Und wenn alle
Ihre Versammlungen und ernsten Beratungen einen guten Verlauf
nehmen, so möchte ich noch den Wunsch hinzutügen, dass es
Ihnen auch in unserer Stadt wohl gefallen möge und dass Sie,
wenn Sie von hier scheiden, uns in gutem Angedenken halten!
(Bravo!)
H. Reg.- u. Geh. Med.-Rat Dr. Guertler: M. H.! Ich
habe im Aufträge der Mitglieder des Medizinalkollegiums der Pro¬
vinz Hannover dem Vorstande des Preussischen Medizinalbeamten-
Vereins für die Einladung zur heutigen Versammlung auf das
herzlichste zu danken und Ihnen den Willkommengruss zu Über¬
bringern Die Mitglieder des Medizinalkollegiums folgen mit leb¬
haftem Interesse den Verhandlungen und wünschen, dass auch
die jetzige Versammlung einen guten Verlauf nehmen und von
ganz besonders günstigen Erfolgen begleitet sein möge.
Gleichzeitig habe ich im Namen des Vorstandes des Ver¬
eins für öffentliche Gesundheitspflege und der Ortsgruppe Hannover
der Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechts¬
krankheiten den Dank für die Einladung auszusprechen.
Der Medizinalbeamtenverein umfasst ja in seiner Aufgabe,
die er sich gestellt hat, das ganze weite Gebiet der Hygiene,
und er berücksichtigt alle Teile der Gesundheitspflege. Der Me¬
dizinalbeamtenverein, dessen Mitglieder ausschliesslich beamtete
oder amtliehen Charakter tragende Aerzte sind, ist auf Grund
seiner ganzen Gestaltung in der Lage, vielfach auf die gesetz-
l*
4
Eröffnung der Versammlung.
liehen Bestimmungen zur Förderung der gesundheitlichen Ver¬
hältnisse bedeutungsvoll und direkt einzuwirken. Demgegenüber
haben die lokalen und provinziellen Vereine nur eine beschränkte
nnd ideale Bedeutung, indessen sind sie, da ihre Mitglieder den
verschiedensten Berufsklassen angehören, doch in der Lage, er¬
gänzend für die Tätigkeit des Medizinalbeamtenvereins zu wirken
und in den breitesten Schichten der Bevölkerung das Verständnis
für die Bedeutung der Besserung der gesundheitlichen Verhält¬
nisse zu erwecken. Sie nehmen deshalb an den Verhandlungen
dieses Vereins den regsten Anteil, sind für alle Anregungen, die
ihnen hier geboten werden, dankbar, richten auf die Ergebnisse
derselben ihr besonderes Augenmerk nnd suchen sie für ihre
lokalen Verhältnisse zu verwerten. So wirken sie mit an der
gemeinnützigen Arbeit, an dem gemeinsamen Werke zur För¬
derung der sanitären Verhältnisse. Sie tragen dabei in erster
Linie den Bezirksverhältnissen Rechnung und behandeln besonders
die Fragen, die direkt im Vordergründe des Interesses stehen.
So hat der hiesige Verein für öffentliche Gesundheitspflege
im Laufe des Winters die auch hier besonders schädigend wir¬
kende Rauch- und Russplage zum Gegenstand seiner Beratungen
gemacht und in Gemeinschaft mit einer grossen Zahl beteiligter
Vereine und auf Grund eingehender Verhandlungen ein paar
kleine Schriften verfasst: ein Merkbuch und ein Merkblatt
Der Vorstand des Vereins für öffentliche Gesundheitspflege erlaubt
sich, diese kleinen Schriften, nachdem sie erschienen sind, den
Mitgliedern dieser Versammlung zu überreichen in der Annahme,
dass sie vielleicht manchem von Ihnen von Wert sein werden,
und diese Anregungen auch in weitere Kreise kommen, event bei
ähnlichen Verhältnissen in ähnlicher Weise verwertet werden
können. Dem Verein für öffentliche Gesundheitspflege wird es
zu ganz besonderer Freude gereichen, wenn Ihnen diese Schriften
von einigem Nutzen sein werden.
(Beifall!)
H. San.-Rat Dr. Stromeyer: M. H.! Ich habe die Ehre,
im Namen des ärztlichen Vereins Sie hier auf das Beste zu be-
grflssen. Wir haben die freundliche Einladung Ihres Vorstandes,
an den Sitzungen des Preussischen Medizinalbeamten-Vereins
teilzunehmen, mit grossem Danke angenommen, zumal Ihre Tagung
ja so vieles bietet, was für die Aerzte von ganz besonderem
Interesse iBt. Wir wünschen Ihrer Versammlung daher besten
Erfolg und hoffen, dass Sie auch Zeit und Gelegenheit finden
werden zur Erholung und zum Gedankenaustausch mit Ihren
Kollegen. Sie werden uns stets herzlichst willkommen sein!
(Beifall!)
Vorsitzender: M. H.! Ich danke den Herren Ehrengästen
für die überaus liebenswürdigen Worte, aus denen ein reiches
Wohlwollen für die Medizinalbeamten im allgemeinen und für die
Aufgaben unseres Vereins im besonderen hervorleuchtete.
Geschäfts* and Kassenbericht; Wahl der Kassenreyisoren.
5
Wir kommen nunmehr zum zweiten Punkte der Tages
Ordnung.
II. Geschäfts- ud KasstibirlcH; Wahl dar
Kasstirevisorti.
Kreisarzt und Med.-Rat Dr. Fielitz-Halle a./S., Schrift¬
führer: M. H.! Aufträge der letzten Hauptversammlung waren
seitens des Vorstandes nicht zu erledigen.
Die Mitgliederzahl betrug im April v. J. 891. Ausge¬
schieden sind 37, davon 14 durch Tod. Neu eingetreten sind 43,
so dass am 25. April d. J. ein Bestand von 897 blieb.
Wir haben den Tod folgender Kollegen zu beklagen:
1. Dr. Arena, Kreisarzt und Med.-Rat in Erkelenz.
2. - Dippe, Marineoberstabsarzt a. D. u. Kreisarzt in Genthin.
3. - Hoffmann, Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat in Waldenburg.
4. - Jung, Kreisphysikus z. D. u. Geh. San.-Rat in Weener.
5. - Kant, Kreisarzt u. Med.-Rat in Asohersleben.
6. - Luohhau, Kreisarzt u. Med.-Rat, Direktor der Königl. Impf¬
stoffanstalt in Königsberg i. Pr.
7. - Ko lim, Kreisarzt u. Gen. Med.-Rat in Berlin.
8. - Mittenzweig, Gerichtsarzt u. Med.-Rat in Berlin (Steglitz.)
9. - Penkert, Reg.- u. Geh. Med.-Rat in Merseburg.
10. - Sohmidt, Kreisarzt in Sohwerin a. Warthe.
11. - Sohulte, Kreisarzt in Lippstadt.
12. - Volkmann, Kreisarzt in Kosohmin.
13. - Wen dt, Med-Rat u. mediz. HUlfsarbeiter bei der Königlichen
Regierung zu Breslau.
14. - Züloh, Kreisarzt u. Med.-Rat in Wolfhagen.
Vorsitzender: Unter den soeben gehörten Namen linden
sich einige, die Ihnen Allen wohlbekannt sind. Ganz besonders
darf ich in dieser Beziehung die Kollegen Mittenzweig und
Penkert hervorheben, die mit grosser Liebe dem Verein an¬
hingen und sich erhebliche Verdienste um diesen erworben haben.
Ich bitte Sie, sich zum Andenken an unsre Verstorbenen von
Ihren Plätzen zu erheben!
(Geschieht.)
Sehriftffihrer: Ich gehe nun zum Kassenbericht über.
Die Einnahme im Jahre 1904 betrug
a. an bezahlten Beiträgen von Mitgliedern 14076,— M.
b. an Zinsen. 110,20 „
c. dazu ausstehende Beiträge .... 294,— „
Zusammen 14480,20 M.
Der Bestand aus dem Vorjahre betrug. ... 1 673,22 w
Gesamteinnahme 16153,42 M.
Die Ausgaben betragen. 12026,86 *
Bleibt 4126,56 M.
Davon bar 3832,56 M. und Reste 294,— M.
6
Dt. Krohne.
Im Jahre 1904 also Zuwachs 2453,34 M., wovon noch ein
Beitrag von 15 M. abznziehen ist, welcher 1903 versehentlich
in Einnahme gestellt war. Ich erlaube mir darauf hinzuweisen,
dass es bei Einsendung der Jahresbeiträge durchaus notwendig
ist, den Namen des Absenders auf die Postanweisungen zu setzen,
da es selbstverständlich sehr schwer ist, ungenannte Absender,
z. B. aus Berlin, zu ermitteln.
Schliesslich bitte ich zwei Kassenrevisoren zu wählen,
um die Kasse zu prüfen.
Vorsitzender: Ich schlage zu Kassenrevisoren die
Herren Dr. Kluge und Dr. Itzerott vor.
(Zustimmung.)
III. II» Virhifng ml Bekämpfung dis Kiidbittftebers. 1 )
Kreisarzt Dr. Krohne, medizinischer Hilfsarbeiter bei der
Königl. Regierung in Düsseldorf: M. H ! Unter den vielen tief¬
ernsten und tragischen Vorgängen auf dem Gebiete menschlicher
Krankheiten, menschlichen Elends, deren Verhütung die vornehmste
Aufgabe des Medizinalbeamten ist, ist eines der beklagenswertesten
und erschütterndsten Ereignisse — der Tod einer Mutter während
oder infolge einer Entbindung, der Tod im Kindbett! Zahlreiche
blühende Frauen müssen die Ausübung des edelsten Berufes der
Frau, die Mutterschaft, mit dem Leben oder mit schleichendem
Siechtum bezahlen, müssen in dem Augenblick, in dem sie einem
jungen, hilflosen, der Mutter so notwendig bedürfenden Geschöpf
das Leben geben, ihr eigenes Leben zum Opfer bringen. 100000
Mütter sind allein in Preussen in den letzten 25 Jahren im Kind¬
bett gestorben! Wieviel Jammer, welche Summe von Familien¬
elend spricht sich in diesen toten Zahlen aus! Wieviele an sich
gesunde Kinder mögen frühzeitig dahingestorben sein, nur weil
ihnen die Liebe und Fürsorge der im Kindbett zugrunde gegangenen
Mutter fehlte, wie viele Fälle schlechter Kindererziehung mit all
den traurigen Folgen sittlicher Verwahrlosung, und wieviel wirt¬
schaftliches Familienunglück mögen in dem im Kindbett erfolgten
Tode der sorgenden Matter ihre natürlichste Erklärung finden.
Wahrlich, die fortdauernde Fürsorge für die Erhaltung von Leben
und Gesundheit unserer deutschen Mütter ist eine Aufgabe, des
SchweisBes der Edelsten wert.
M. H.! Unter den rund 4000 Todesfällen im Kindbett, die
wir jährlich in Preussen zählen, sollen wir nach den bisher vor¬
liegenden statistischen Angaben der Jahre 1895—1900, die aber
nicht in jeder Beziehung zutreffend sein dürften, etwa 1570 Fälle
pro Jahr als durch Kindbettfieber veranlasst annehmen. Auf
die Anzahl der jährlichen Geburten berechnet, würde dies be¬
deuten, dass etwa von 800 entbundenen Frauen eine an Kind-
l ) Mit Biicksicht auf die beschränkte Zeit des H. Geh. Med.-Rats Prot
Dr. Runge-Göttingen {wurde das Referat)des H. Kreisarztes Dr. Krohne
zuerst genommen.
Die Verhütung and Bekämpfung des Kindbettfiebers.
7
bettfieber stirbt. In Wirklichkeit ist dies Verhältnis jedoch, wie
ich Ihnen später an meiner Statistik zeigen werde, entschieden weit
ungünstiger. Seit Jahren führen wir einen regelrechten Kampf
gegen das Kindbettfieber mit all dem Büstzeng, das uns die
moderne Antisepsis nnd Asepsis zur Verfügung stellt, mit Polizei-
Verordnungen aller Art, mit Steigerung der Ausbildung unserer
Hebammen und allerlei sonstigen Mitteln — nnd doch können wir
nicht behaupten, dass wir in diesem Feldzuge auch nur an¬
nähernd so glänzende Siege errungen haben, wie auf den
anderen Gebieten der Seuchenbekämpfung und der Hintanhaltung
der Wundinfektionskrankheiten. Die Resultate sind im Gegenteil
recht bescheiden, und trotz der allgemein verbreiteten, recht
zweifelhaften Annahme, dass die Anzahl der Todesfälle infolge von
Kindbettfleber alljährlich langsam abnehme, haben wir durchaus
keinen Grund, uns bezüglich der Erfolge auf dem Gebiete der
Kindbettfleber bekämpfung irgend welchem Optimismus hinzugeben.
Gestatten Sie mir zunächst, mit einigen Worten mich darüber
auszusprechen, was ich unter Kindbettfieber verstehe, d. h. was
wir Medizinalbeamten unter dem Sammelbegriff des Kindbett¬
fiebers subsumieren müssen, wenn wir dieses wirklich bekämpfen
wollen. Sie wissen ja alle zur Genüge, dass der Streit über die
Frage, „was ist Kindbettfleber" oder besser gesagt, „was ist an¬
zeigepflichtiges, ansteckungsfähiges, gefährliches Kindbettfieber",
durchaus noch nicht geschlichtet ist. Das aber kann ich wohl
sagen, dass wir Medizinalbeamten uns über diese Streitfrage so
ziemlich einig sind, während die praktischen Aerzte, die Kliniker,
die Universitätslehrer über den Begriff Kindbettfieber noch recht
weitgehende Meinungsverschiedenheiten haben. Wenn, wie Herr
Kollege Schwabe in Nr. 14 des Jahrganges 1901 der Zeitschrift
für Medizinalbeamte trefflich schildert, der eine Kliniker die An¬
sicht ausspricht, dass ein durch Gonorrhoe hervorgerufenes Fieber
im Wochenbett kein anzeigepflichtiges Kindbettfieber sei, wenn
ferner ein anderer meint, dass jede in den ersten Tagen auf¬
tretende Parametritis, jede fieberhafte Brustdrüsenentzündung
ausserhalb des Begriffes Kindbettfieber stünde, wenn ein anderer
Universitätslehrer sagt, dass die nur durch zersetzte Lochien in¬
folge von Saprophytenwirkung hervorgerufenen Intoxikationsfieber
der Wöchnerinnen „selbstverständlich" niemals infektiös und daher
nicht anzeigepflichtig seien, so muss ich doch sagen, dass alle
diese Lehren für die hier vorliegenden Fragen nur einen zweifel¬
haften praktischen Wert haben, dass sie nur Theorie sind,
nnd zwar eine sehr gefährliche Theorie! Wer von uns möchte
sich wohl vermessen, in den ersten Tagen eines im Wochenbett
auftretenden Fiebers mit Sicherheit festzustellen, ob dieses Fieber
nur auf dem Vorhandensein von Gonokokken beruht, ob es sich
nicht vielleicht um eine Mischinfektion handelt; welcher praktische
Arzt möchte wohl imstande sein, raschen Blickes festzustellen,
dass eine fiebernde Wöchnerin ausgesprochen nur an einem In-
toxikationsfleber, hervorgerufen durch eine saprophytische Zer¬
setzung der Lochien, leidet? Und wer gibt uns eine Garantie
8
Dr. Krohne.
dafür, dass bei einem Fieberfall, bei dem wir zunächst nur die
lokalen Erscheinungen einer Parametritis oder einer Brustdrüsen-
entzündung feststellen können, nicht doch eine während der Ent¬
bindung stattgefundene Infektion, die jederzeit in Form einer
allgemeinen Sepsis auf den ganzen Organismus übergehen kann,
die schuldige Ursache ist? Jedenfalls haben wir in der Praxis
genug traurige Fälle erlebt, in denen am Beginn des auftretenden
Fiebers der Arzt alle möglichen Gründe inkl. des Milchfiebers
und der beliebten Diagnose Influenza für die Verneinung der
Diagnose Kindbettfieber zu haben glaubte, bis sich nach 5 oder
6 Tagen plötzlich das schwere Krankheitsbild der allgemeinen
Sepsis entwickelte und nun endlich die Hebamme yon dem Wochen¬
bett entfernt wurde, nicht selten zu spät, nachdem sie vorher
bereits mehrere frisch entbundene Frauen infiziert hatte! Ich
meine also, es ist die höchste Zeit, dass wir endlich die für die
Praxis unbrauchbaren, oben näher geschilderten Erklärungen des
Begriffs Kindbettfieber aufgeben und dafür die von mir in Leit¬
satz 2 vorgeschlagene Definition annehmen. M. H.! Ich meine,
wenn Sie diese Definition zu der Ihrigen machen, und wenn es
gelingt, diesen so formulierten Begriff gesetzlich festzulegen, dann
haben wir alles, was wir billigerweise zur Behebung von Zweifeln
verlangen können; denn dann bleibt nur eine sehr geringe Anzahl
von Fieberfällen übrig, die aus der Diagnose Kindbettfieberverdacht
ausscheiden würden, wie z. B. Erkrankungen an fieberhafter Lungen¬
schwindsucht, die schon vor der Entbindung vorhanden waren und
auch nach derselben ohne wesentliche Veränderung des Krank*
heitsbildes und ohne entzündliche Erscheinungen des Genitaltraktus
sich gleichmässig weiterentwickeln. Alle die oben genannten
zweifelhaften Krankheitsbilder, wie Parametritis, Gonorrhoe, Be-
sorptionsfieber und dergl. mehr würden künftig als Kindbettfieber
gelten, denn — das ist gerade das wichtige — in dem Punkte
sind sich auch alle Kliniker einig, dass eine Entscheidung darüber,
ob ein Fieber im Puerperium infektiös ist oder nicht, ob es mit
dem Wochenbett zusammenhängt oder nicht, in den ersten Tagen
wenigstens recht schwierig ist.
Welche Bedeutung die Frage einer richtigen Definition des
Kindbettfiebers hat, das mögen Sie aus den Erfahrungen sehen,
welche die Kreisärzte seit dem Bestehen der Dienstanweisung —
also seit 4 Jahren — auf diesem Gebiete gemacht haben. Ich
habe, wie den meisten von Ihnen bekannt sein wird, vor einiger
Zeit an sämtliche 500 Kreisärzte Preussens Fragebogen verschickt,
deren Beantwortung mir über die in den Jahren 1901—1904 zur
Anmeldung gekommenen Entbindungen, die Zahl der Kindbett¬
fiebererkrankungen, der Todesfälle, der unter ärztlicher Leitung
beendigten Entbindungen, der Kindbettfieberfälle hiernach, der
festgestellten Fälle von Uebertragungen, von Verschulden der
Hebammen, der Hebammenpfuscherinnen etc. Aufschluss geben
sollte. Sie werden mir zugeben, dass seit Einführung der neuen
Dienstanweisung für die Kreisärzte, die im § 57 besondere kreis¬
ärztliche Ermittelungen in jedem Fall von Kindbettfieber
Die Verhütung and Bekämpfung des Kindbettflebera.
9
vorschreibt, erat die eigentliche Möglichkeit gegeben ist, eine
brauchbare Kindbettfieberstatistik zu gewinnen und Aber
eine ganze Reihe anderer wichtiger Fragen Aufschluss zu erhalten.
Von den Kollegen haben mir allerdings bei weitem nicht alle,
sondern insgesamt 226 Kreisärzte geantwortet, denen ich an dieser
Stelle für die freundliche Unterstützung bei meiner Arbeit meinen
aufrichtigen Dank ausspreche. Meine aus 226 Kreisen stammende
Statistik verteilt sich fast durchweg auf die vier Jahre 1901 bis
1904. Mit Ausnahme des Regierungsbezirks Stralsund sind alle
Regierungsbezirke Preussens an meiner Statistik in ziemlich
gleichem Verhältnis beteiligt. 124 der beteiligten Kreise liegen
link s der Elbe, 102 Kreise rechts der Elbe. Ich glaube somit
behaupten zu können, dass diese Statistik, die auf den Ergebnissen
von rund 1850000, von den Hebammen gemeldeten Entbindungen
aufgebaut ist, sowohl zahlenmässig, wie auch hinsichtlich der
Beurteilung der verschiedenartigen Verhältnisse im Osten und
Westen unserer Monarchie Anspruch auf eine gewisse Vollständig¬
keit machen kann, und dass die Schlüsse, die wir aus ihr ziehen
können, zum mindesten Beachtung verdienen.
M. H.I Nach den in 226 Kreisen pro 1901—1904 gemeldeten
1850000 Entbindungen sind insgesamt 7983 Kindbettfieber-
erkrankungen beobachtet, d. h. bekannt geworden. Von diesen
7983 Krankheitsfällen haben 2826 mit tödlichem Ausgang geendigt,
das ergibt, wenn wir den 4 jährigen Durchschnitt berechnen, dass
auf 231 Entbindungen ein Fall von Kindbettfiebererkrankung und
auf 653 Entbindungen eine tödlich verlaufene Erkrankung an Kind¬
bettlieber entfällt. Wie ich schon oben ausführte, sollte nach der
unsicheren Statistik aus den Jahren 1895—1900 erst auf 800 Ent¬
bindungen ein Todesfall infolge von Kindbettfieber kommen, während
wir pro 1901—1904 schon auf 653 Entbindungen einen Todesfall
an Kindbettfieber rechnen müssen, so dass sich also für die letzten
Jahre eine höhere Sterblichkeitsziffer an Wochenbettfieber ergeben
müsste, wie für die Jahre 1895—1900. Dieses Zahlenverhältnis
wird indessen noch erheblich ungünstiger, wenn wir die einzelnen
Jahre 1901—1904 jedes für sich besonders betrachten; denn dann
finden wir, dass in den letzten Jahren nicht nur eine fortlaufende
regelmässige Steigerung der Erkrankungen, sondernauch der Todes¬
fälle festznstellen ist, wie sich das aus folgenden Zahlen ergibt:
Entbindungen Fieberfälle Todesfälle. Also
1901 411088 1571 592 1 Todesfall auf 696 Entbindgen
1902 453931 1899 661 1 , 686
1903 476 667 2143 756 1 „ 628
1904 505288 2870 818 1 „ „ 617
1846.959 7988 2826
M. H.! Sie werden mir zugeben, dass dies Ergebnis doch
sehr zu denken gibt und für die seit Jahren feststehende Annahme,
dass wir eine langsame Abnahme der Todesfälle an Kindbettfieber
zuTverzeichnen hätten, eine recht”eigenartige Illustration liefert.
Wenn^wir nun auch ohne^weiteres annehmen 11 können, dass die An¬
meldung der Erkrankungen in den letzten’Jahren immer prompter
und häufiger erfolgt ist — was auch einige Kreisärzte extra be-
10
Dr. Krohne.
richten — so dass von diesem Gesichtspunkt ans eine Steigerung
der Fieberfälle an sich nichts Auffallendes hätte, und wenn wir
auch rohig zageben können, dass in den Anmeldungen noch
mancher vereinzelte, zweifelhafte Fall enthalten sein mag, so dürfte
doch damit immerhin das ganz gleichmässige prozentuale Ansteigen
der Todesfälle — 1901: anf 696 Entb. 1 Todesfall, 1904: auf
617 Entb. 1 Todesfall — noch nicht hinreichend erklärt sein.
Immerhin wollen wir annehmen, dass auch die Todesfälle an Kind¬
bettfieber in den letzten Jahren pünktlicher, als sonst angemeldet
werden, and will anf Grund dieser Erwägungen — obwohl dies
berechtigt erscheinen könnte — nicht als sicher feststehend be¬
haupten, dass die Zahl der jährlichen Erkrankungen und Todes¬
fälle an Kindbettfieber tatsächlich zugenommen hat; aber das
möchte ich doch entschieden betonen, dass wir angesichts dieser
neuesten Statistik kein Hecht haben, immer und immer wieder
von einem allmählichen Hückgang der Kindbettfiebertodes¬
fälle zu sprechen, denn für eine solche Behauptung fehlt es, wie
ich Ihnen soeben an der Hand dieser amtsärztlich gewonnenen
Statistik gezeigt habe, einstweilen noch an jeder Unterlage. Dabei
dürfen wir nicht die bemerkenswerte Tatsache vergessen, dass in
der Anzahl aller pro Jahr im Kindbett — d. h. also auch infolge
Verblutung, regelwidriger Kindslagen und sonstiger unglücklichen
Ereignisse in oder nach der Geburt — sterbenden Frauen Dank
fortschreitender besserer ärztlicher Versorgung der Bevölkerung
allerdings ein erfreulicher Hückgang zu verzeichnen ist, insofern
die Zahl der Todesfälle im Kindbett überhaupt von 4,32 pro 1000
Entbindungen im Jahre 1889 auf 3,24 pro 1000 Fälle im Jahre
1900 gesunken ist. Um so mehr ernste Beachtung verdient des¬
halb der Umstand, dass allein die Anzahl der Kindbettfieber¬
todesfälle offenbar nicht gesunken ist! Da wir nach meinen
Berechnungen auf 1000 Entbindungen 4,25 Erkrankungen nnd
1,5 Todesfälle infolge von Kindbettfieber haben, so würde sich
daraus für die Berechnung des Verhältnisses für die Morbidität
und Mortalität die erschreckende Ziffer von 35 Prozent Morta¬
lität des Kindbettfiebers ergeben! Was das bedeutet, m. H., das
wird ohne weiteres klar, wenn wir bedenken, dass eine so ernste
Erkrankung, wie der Unterleibstyphus, bei den jetzt herrschenden
Behandlungsmethoden ^ nur eine Mortalität von 7 bis höchstens
10 Prozent aufweist.
Ich möchte jetzt mit einigen Worten darauf eingehen, welches
statistische Resultat meine Handfrage nach der Richtung ergeben
hat, inwieweit für die festgestellten Kindbettfieberfälle irgend ein
Verschulden einer Hebamme oder ein Eingriff seitens einer
H|ebamm'enp'fuscherin verantwortlich gemacht werden, and
wie oft ; ; Kindbettfieber auf eine Ansteckung von einem anderen
Wochenbettfieberfall zurückgeführt werden konnte. Da muss ich
nun gleich vorausschicken, dass eine Statistik über diese drei
Punkte immer unvollkommen sein wird — und das ist denn auch
bei meinem Material der Fall. Was zunächst die Hebammen-
pfuscherinnen betrifft, so sind seitens der Kreisärzte insgesamt
Die Verhütung and Bekimpfang des Kindbettfiebers.
11
100 F&lle nachgewiesen worden, in denen Kindbettfieber anf die
Hilfe von Hebammenpfascherinnen mit Sicherheit oder grösster
Wahrscheinlichkeit znrfickgeffihrt werden konnte — das würden
also circa 1,3 Prozent aller Fälle sein. Diese Zahl könnte gering
genannt werden; allein wenn wir bedenken, dass es im Osten —
wo ja hauptsächlich das Hebammenpfuschertum blüht — viele
Kreise gibt, in denen 40—70 Prozent aller Entbindungen von
Laien, bezw. von Hebammenpfuscherinnen geleitet werden, Ent¬
bindungen, deren weiterer Wochenbettverlauf, wenn nicht gerade
ein aufsehenerregender Todesfall eintritt, wohl nur in seltenen
Fällen zur Kenntnis des Kreisarztes kommt, so ist es ohne weiteres
klar, dass die Anzahl der von Hebammenpfuscherinnen ver¬
schuldeten Erkrankungen zweifellos erheblich grösser sein muss,
nnd dass wir mit der uns vorliegenden Zahl von 100 = 1,3 %
aller Fälle nicht viel anfangen können.
Das umgekehrte Verhältnis haben wir bei Feststellung der
Frage, ob die Hebamme irgend ein Verschulden an der Ent¬
stehung des Fiebers trifft; diese Frage wird ja von den Kreis¬
ärzten neuerdings in jedem einzelnen Fall genau geprüft und hat
hier das Resultat gehabt, dass in den 7983 Erkrankungen unserer
Statistik 454 mal, d. h. in etwa 6 Prozent aller Fälle, ein Ver¬
schulden der Hebamme festgestellt wurde. Indessen müssen wir mit
den Schlüssen, die wir aus dieser Zahl ziehen könnten, recht vor¬
sichtig sein; denn in ihr sind, wie mir eine grosse Anzahl von Kol¬
legen noch ausdrücklich mitgeteilt haben, auch meist alle diejenigen
Fälle mit inbegriffen, in denen bei den nach § 57 der kreisärzt¬
lichen Dienstanweisung stattgefundenen kreisärztlichen Ermitte¬
lungen überhaupt irgendeine Unregelmässigkeit der Hebamme,
sei es Unsauberkeit der Instrumente, zu späte Anzeige des Falles,
falsche Führung des Tagebuches und dergl. mehr festgestellt
wurde. Sie sehen daraus, dass der Begriff des Verschuldens einer
Hebamme schon sehr weit gefasst ist; und ich möchte|es deshalb sehr
bezweifeln, ob wir berechtigt sind, in jedem derartigen Falle von
Unregelmässigkeit in der Geschäftsführung der Hebammen, die
doch oft unter den denkbar schwierigsten Verhältnissen und in
der allerschmutzigsten Umgebung Entbindungen vornehmen müssen,
eine Schuld der Hebamme an dem Ausbruche^ eines , Kindbett¬
fiebers zu konstruieren.
Weit wichtiger erscheint es mir, dasB in 219 Fällen, also
in 2,7 Prozent mit Sicherheit eine Uebertragung des Kindbett¬
fiebers, d. h. eine Ansteckung von einem anderen Fieberfall her
festgestellt werden konnte. Berücksichtigen wir, dass es meist
sehr schwer sein wird, eine geschehene Kindbettfieberübertragung
sicher festzustellen, so dürfen wir wohl annehmen, dass die an¬
geführte Ziffer von 2,7 Prozent Uebertragungen das mindeste des
Tatsächlichen darstellt, d. b. dass diese Zahl in Wirklichkeit er¬
heblich höher ist. M. H.! Diese Uebertragungen werden wohl
meist durch die Hebammen stattfinden, und hier wird man
auch oft mit Hinsicht auf eine vorausgegangene* Unterdrückung
der Kindbettfieberanzeige seitens der Hebamme und die damit
12
Dr. Krohne.
gegebene Möglichkeit, die Infektion weiter za schleppen, von einem
schuldhaften Verhalten sprechen können. Ob aber die Verantwor¬
tung für dieses schuldhafte Verhalten immer nur allein die Heb¬
amme trifft, ist eine weitere Frage, die wir noch erörtern müssen.
Ich komme nun auf einen weiterhin recht wichtigen Punkt,
der bisher durch eine Statistik mangels der nötigen Nachweise
noch nicht festgestellt worden ist, — das ist die zahlenmässige
Beteiligung der mit ärztlicher Hilfe beendigten Entbindungen
an der Statistik der Kindbettfiebererkrankungen. M. H.J Die
Frage nach dem Anteil der ärztlich geleiteten Entbindungen am
Wochenbettfieber ist ja nicht von jedem Kreisarzt zu beantworten,
da in dem Formular der jährlichen Entbindungsverzeichnisse zwar
eine Rubrik für die Anzahl der mit Kunsthilfe beendigten Ent¬
bindungen, nicht aber die besondere Frage nach der Zahl der
nach solchen Entbindungen festgestellten Fiebererkrankungen vor¬
gesehen ist. Immerhin sind von den 226 Kollegen, die mir ihr
Material geliefert haben, 177 Kreisärzte in der Lage gewesen, an
der Hand der von ihnen über die Ermittelungen in jedem einzelnen
Fall gemachten Notizen die Frage nach der Beteiligung der durch
Aerzte geleiteten Entbindungen an der Fieberstatistik ausreichend
beantworten und zwar mit folgendem Ergebnis: Insgesamt wurden
in den 177 Kreisen 1496555 Entbindungen mit 6153 Wochenbett¬
fiebererkrankungen angemeldet. Von diesen Entbindungen wurden
103225 — also etwa jede 14. Entbindung — durch ärztliche
Kunsthilfe beendigt, bezw. sonstwie ärztlich geleitet, nnd nach
diesen Entbindungen wurden insgesamt 2306 Fiebererkrankungen
— das sind nahezu */ 6 aller Kindbettfleber — beobachtet. Während
also nach dem Gesamtresultat auf 243 Entbindungen ein Fieber-
fall zu rechnen ist, — kam, sobald wir nur die Zahl der mit
ärztlicher Hilfe beendigten Entbindungen in Betracht ziehen,
schon auf 44 derartige Entbindungen ein Krankheitsfall, d. h. also
die Beteiligung dieser Entbindungen an der Fieberstatistik ist
etwa 6 mal so hoch, wie die prozentuale Beteiligung aller Ent¬
bindungen am Wochenbettfieber. Dieses Verhältnis wird sogar
noch ungünstiger, wenn wir von der Gesamtsumme der Entbin¬
dungen und Fieberfälle die ärztlich geleiteten in Abzug bringen,
um so die Zahl der ausschliesslich und nur von Hebammen
geleiteten Entbindungen zu eliminieren. Bei dieser Berechnung
entfällt bezüglich der nur von Hebammen vorgnommenen Ent¬
bindungen erst auf 362 Entbindungen 1 Krankheitsfall, so dass
die Beteiligung der Aerzte mit 1 Erkrankung auf 44 Entbindungen
8 fach höher sein würde.
Wenn ich nun auch der Ansicht bin, dass wir aus diesen
Zahlen nur mit grosser Vorsicht bestimmte Urteile formulieren
sollen, so ist doch ohne weiteres zuzugeben, dass die soeben er¬
örterte Statistik in verschiedener Richtung zu ernstem Nachdenken
anregt. Die Zahl der Kindbettfieberfälle nach mit ärztlicher Hülfe
beendeten Entbindungen ist mindestens 6 mal so hoch, wie der
Prozentsatz für die Gesamtsumme aller Entbindungen! Es
würde selbstverständlich nicht angängig sein, aus dieser Zahl
Oie Verhütung und Bekämpfung des Kindbettfiebers. 13
ohne weiteres einen Vorwurf für den Aerztestand konstruieren zn
wollen. Wir alle wissen, dass ärztliche Kunsthilfe bei Entbin¬
dungen Operationen, Plazentarlösnngen und dergl. oft recht ge¬
fährliche Eingriffe in den Organismns der Fran darstellen, die
auch bei grösster Vorsicht des Arztes die Infektionsgefahr für die
Fran bedeutend erhöhen und die Widerstandsfähigkeit des mütter¬
lichen Körpers oft so erheblich alterieren können, dass hierdurch
für die Entwickelung eines Kindbettfiebers der günstigste Boden
geschaffen wird. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass ärzt¬
liche Hilfe oft erst im späteren Verlaufe einer Geburt in An¬
spruch genommen wird und eine Infektion demzufolge schon vor
dem ärztlichen Eingriff erfolgt sein kann. Indessen ist es mit
dieser Erklärung allein doch auch nicht getan; denn wenn man
etwa so weit gehen und sagen wollte: „Ja, die durch Aerzte
geleiteten Entbindungen sind eben immer nur schwere Fälle,
nach denen natürlich Kindbettfieber sehr leicht eintreten muss“ —
so möchte ich doch eine solche Behauptung etwas eingeschränkt
sehen und darauf hinweisen, dass nun durchaus nicht jede unter
ärztlicher Leitung beendigte Entbindung einen schweren Eingriff
bedeutet, dass heutzutage recht viele Aerzte schon zu langsam,
aber schliesslich normal verlaufenden Fällen zugezogen werden,
dass z. B. eine grosse Zahl der Beckenendlagen vom Arzte ohne
wesentliche Gefährdung der Frau durch rasche Extraktion be¬
endigt werden kann, so dass also in der Anzahl der ärztlich geleiteten
Entbindungen doch auch ein beachtenswertes Quantum leichterer
Fälle enthalten ist. Ich meine also, dass auch hier die Wahrheit
in der Mitte liegt, und dass mit der besonderen Schwere der Fälle
allein, durch die der Arzt gegenüber der meist leichte Ent¬
bindungen vornehmenden Hebamme im Nachteil sei, die auffallend
hohe Statistik der ärztlichen Kindbettfieberfälle nicht hinreichend
erklärt wird. Denn das dürfen wir doch auch nicht ganz ver¬
gessen, dass der Arzt vermöge seiner erheblich besseren wissen¬
schaftlichen Vorbildung und Geschicklichkeit bei seiner geburts¬
hilflichen Tätigkeit gegenüber den Hebammen einen nicht zu
unterschätzenden Vorteil besitzt, dass er insbesondere — worauf
es hier doch ankommt — für die Bedeutung der Infektion im
Kindbett, für den — ich möchte sagen — Geist der Antisepsis
und Asepsis ein viel tieferes Verständnis besitzt, als wir das
jemals auch von der bestgeschulten Hebamme verlangen können.
Und wir dürfen auch den Eventualeinwand nicht ganz unerwähnt
lassen, dass nicht nur die Aerzte, sondern ebenso auch die Heb¬
ammen ihre Berufsarbeit oft unter den denkbar schwierigsten Ver¬
hältnissen vollenden müssen. Meiner Ansicht nach müssen wir
zur Erklärung der hohen Beteiligung der durch Aerzte geleiteten
Entbindungen an der Zahl der Fiebererkrankungen ausser der
zweifellos besonders wichtigen Schwere der Fälle noch zwei andere
Momente heranziehen, das ist einmal die Tatsache, dass der Arzt in
seiner Praxis tagtäglich mit viel mehr und mit gefährlicheren
Infektionsstoffen in Berührung kommt, als die Hebamme, dann
aber der Umstand, dass wir uns schon seit längerer Zeit in einer
14
Dr. Krohoe.
nicht unbedenklichen Periode der Polypragmasie befinden, dass mit
einem Wort — während es in mancher Gegend noch oft an
rascher ärztlicher Hilfe mangelt, — anderseits doch auch nicht
selten geburtshilflich zn viel behandelt nnd za viel untersucht wird.
Was den ersten Pankt, die vielfache Berührung des Arztes mit
allerlei Infektionsmaterial anbetrifft, so ist das ein nnr schwer ver¬
meidbares Uebel, aus dem wir anf keinen Fall irgend einen Vorwarf
für die Gebartshilfe treibenden Kollegen herleiten können; denn
jeder von ans, der, wie ich, jahrelang eine umfangreiche Land¬
oder Stadtpraxis getrieben hat, weiss zur Genüge, wie schwer es
für den praktischen Arzt, der in Ausübung seines Berufes in fort¬
dauerndem Wechsel mit eiternden Wunden, mit Diphtherie, Schar¬
lach, Wundroseerkrankungen und anderen Infektionskrankheiten,
mit Leichenmaterial etc. in intimste Berührung kommt, unter den
genannten Umständen ist, sich, seinen Körper und seine Kleidung
immer infektionsfrei zu erhalten. Dass der Arzt also sehr leicht
in die Lage kommt, selbst Infektionen zu verschleppen, hat
mancher Kollege schon an traurigen Erkrankungställen in seiner
eigenen Familie oder auch an sich selbst erfahren müssen. Im
übrigen ist es aber einfach eine praktische Unmöglichkeit, dass
der Arzt vor jedem — doch gewöhnlich recht eiligen — Ruf zu
einer Entbindung seine Kleidung und Wäsche wechselt oder ein
Bad nimmt, um jeden Infektionsstoff mit grösster Sicherheit von
sich zu entfernen. Indessen erscheint es zum mindesten nötig,
alle Praxis treibenden Kollegen auf den hier erörterten Umstand —
nämlich die Möglichkeit einer seitens des Arztes der Kreissenden
drohenden Infektionsgefahr — und auf die Notwendigkeit doppelt
peinlicher Desinfektion immer wieder hinzuweisen und sie dringend
zu mahnen, diesem Punkte erhöhte Aufmerksamkeit zuzuwenden.
Dies ist schon wegen des guten Beispiels für die Hebammen er¬
forderlich ; und deshalb sollte es z.B kein Arzt versäumen, auch vor
der geringsten geburtshilflichen Manipulation seine Kleidung mit
einem sterilen Operationsmantel zu umgeben, wie dies von jeder
Hebamme vorschriftsmässig verlangt wird.
Wenn wir uns nun aber darüber klar sind, dass der Arzt
sehr leicht einmal ohne sein Verschulden eine Kreissende infizieren
kann, so ergibt sich daraus ohne weiteres die zwingende Not¬
wendigkeit, geburtshilfliche Eingriffe auf das unbedingt Notwendige
zu beschränken. Diese wichtige Forderung findet, wie es scheint,
doch nicht immer die ihr gebührende Beachtung. Schon der Um¬
stand, dass durchschnittlich die 14. Entbindung von einem Arzte
durch Kunsthilfe oder wenigstens unter ärztlichem Beistand be¬
endigt wird, gibt zu denken. Dabei ist noch besonders bemerkens¬
wert, dass die Verhältniszahl 1: 14 nur eine Durchschnittszahl
ist, und dass es Kreise gibt, in denen schon zu jeder 5. Entbindung,
andere Kreise, in denen trotz guter ärztlicher Versorgung der
betreffenden Gegend erst zu jeder 20. Entbindung ein Arzt hin¬
zugezogen wird.
Für dieses Missverhältnis gibt es doch wohl nur die eine
Erklärung, dass es eben in bestimmten — meist wohlhabenderen —
Die Verhtttong and Bekämpfung des Kindbettfiebers.
1B
Bevölkernngskreisen mehr und mehr Brauch wird, auch zu leich¬
teren Entbindungen — mag die Kindeslage normal sein oder nicht
— einen Arzt hinzuzuziehen, dessen Hilfe dann natürlich von
manchen überempfindlichen und ungeduldigen Frauen, Ehemännern,
Schwiegermüttern etc. zu Untersuchungen der Eindeslage und
sonstigen Hilfeleistungen mehr und öfters beansprucht wird, als unbe¬
dingt notwendig wäre. Jeder Kollege wird mir nun zugeben, dass
es für den praktischen Arzt nicht immer leicht ist, derartigen nicht
unbedingt nötigen, meist zum Zwecke beschleunigter schmerzloser
Entbindung an ihn herantretenden Anforderungen energischen
Widerstand entgegenzusetzen. So sind mir einige Städte bekannt,
in denen es seit Jahren Mode geworden ist, dass die jungen
Frauen der besseren Familien sich kurz vor ihrer Entbindung in
eine Privatklinik aufnehmen, sich dort — geschützt gegen alle
Fährlichkeiten eines Partus — kunstgerecht entbinden lassen und
natürlich auch die Zeit des Wochenbetts in der Klinik verbringen.
Ob wir uns aber über diese intensive Inanspruchnahme ärztlicher
Hilfe bei regelmässigen Entbindungen mit Hinsicht auf den Um¬
stand, dass gerade Entbindungsanstalten und Kliniken oft höhere
Kindbettfieberzahlen haben, besonders freuen sollen, lasse ich da¬
hingestellt. Jedenfalls bin ich der Ansicht, dass zurzeit auf ge¬
burtshilflichem Gebiete in Fällen, in denen eine zwingende Not¬
wendigkeit zu Eingriffen kaum vorliegt, nicht selten zu viel
behandelt und besonders zu viel untersucht wird; denn ich glaube
es einfach nicht, dass die Frauen unserer im Kern so gesunden
deutschen Nation, die einen jährlichen Geburtenüberschuss von
rund 800000 Kindern aufweist, so jammervolle Beckenverhältnisse
haben, dass jede 14. Entbindung — in einzelnen Gegenden schon
jede 5. Entbindung — von einem Arzt durch Kunsthilfe beendigt
oder sonstwie ärztlich geleitet werden muss. Mehr wie für
irgend ein anderes Gebiet des menschlichen Körpers gilt für den
Ganitaltraktus einer Kreissenden das Wort: „Quieta non movere*.
Hier kann jedes zuviel, jede unnötige Berührung der mütter¬
lichen Geburtswege eine gefährliche Infektion veranlassen. Auf
alle Fälle möchte ich aber betonen, dass die Schuld an der zu¬
nehmenden Vielbehandelei, wie ich schon andeutete, vorwiegend
in den Kreisen des Publikums zu suchen ist. Hiergegen aber,
gegen das Ueberhandnehmen einer Ueberempfindlichkeit unserer
Frauen, muss mit allen Mitteln gekämpft werden; diesem Uebel
muss vor allem auch der praktische Arzt mit grösstem Nachdruck
entgegentreten, dann werden wir vielleicht mit einer Abnahme
unnötiger geburtshilflicher Eingriffe und Untersuchungen auch
eine Minderung der Fieberfälle konstatieren können.
Ziehen wir das Fazit aus der feststehenden Tatsache der
auffallend hohen Beteiligung der Aerzte an der Kindbettfieber¬
statistik mit fast */ 6 aller Fälle, so drängt sich uns die Not¬
wendigkeit auf, die noch immer herrschenden Anschauungen über
das meist vermutete Verschulden der Hebammen an dem Ausbruch
eines Kindbettfiebers doch etwas zu modifizieren. Denn wir haben
gesehen, dass die oft gehörte, von Aerzten und Kreisärzten in
16
Dr. Krohne.
Wort and Schrift vertretene Ansicht, dass weitaus die häufigste
Ursache des Wochenbettfiebers in einer unzureichenden Reinlich¬
keit der Hebammen zu suchen sei, in dieser apodiktischen
Form nicht haltbar ist; die einfache Gerechtigkeit erfordert es,
zu erwähnen, dass für die Entstehung des Kindbettfiebers doch
auch noch viele andere, wichtige, von der Hebamme nicht ver¬
schuldete Ursachen in Frage kommen können.
Es bleibt nun noch übrig, auf den wundesten Punkt der
vorstehenden Angelegenheit einzugehen — das ist die häufige
Unterlassung der Kindbettfieberanzeige seitens der Aerzte
und der Hebammen.
M. H.! Die Beobachtungen, die auf diesem Gebiete von
vielen Kreisärzten gesammelt worden sind, sind zum Teil recht
betrübend. In den 7983 bekannt gewordenen bezw. nachträglich
festgestellten Fällen waren 546 Fieberfälle, also ca. 7 Prozent
überhaupt nicht, oder doch erst so spät zur Anmeldung gebracht,
dass die verspätete, oft erst mit dem eintretenden Tode der Frau
erfolgende Anzeige einer Unterdrückung dieser Anzeige gleichkam.
Dabei konnte ich von vielen Kreisärzten keine zahlenmässigen
Angaben über diesen Punkt, sondern nur die Mitteilung erhalten,
dass die Fieberanzeige sehr oft — manchmal in 30 Prozent aller
Fälle — unterdrückt würde, so dass es gar keinem Zweifel unter*
liegt, dass die vorhin angegebene, prozentuale Ziffer der ver¬
säumten Fieberanzeigen die wirkliche Prozentualzahl durchaus
nicht darstellt, diese vielmehr erheblich höher sein dürfte. Leider
muss ich nach dem Resultat der Statistik hervorheben, dass es
nicht selten gerade Aerzte sind, die in der Erstattung der An¬
zeige recht lässig sind, ja in einzelnen Fällen die Hebamme, die
durchaus anzeigen will, direkt veranlassen, die Anzeige nicht zu
erstatten und ungestört ihre Tätigkeit weiter auszuüben. Mir
sind z. B. Fälle schwerster puerperaler Sepsis mitgeteilt worden,
in denen der Arzt trotz zweifellosen Kindbettfiebers oder min¬
destens Kindbettfieberverdachtes nicht nur die Anzeige unterlassen,
sondern sogar die Hebamme überredet hat, auch ihrerseits keine
Anzeige zu erstatten, — Fälle, die dann mehrfach schwere, zum
Teil tödlich verlaufene Uebertragungsfieber zur Folge hatten.
Mancher von Ihnen wird mehr oder weniger ähnliche Fälle kennen
gelernt haben. Ich verweise auf die beiden in Nr. 1 und Nr. 8,
1905, der Zeitschrift für Medizinalbeamte erschienenen Arbeiten
der Kollegen Mann und Nickel, die in recht instruktiverWeise
über die gleichartigen Beobachtungen berichten. Es ist leider
eine sich nur zu oft wiederholende Sache: Eine Entbundene fiebert
einige Tage nach der Entbindung und erkrankt unter unbestimmten
Erscheinungen eines allgemeinen Uebelbefindens; gleichzeitig
stellen sich vielleicht allerlei lokale Beschwerden, Leibschmerzen
und dergleichen ein — und nun werden oft die eigenartigsten
Diagnosen gestellt: Parametritis subacuta, nicht infektiöse Endo¬
metritis, MUchfieber, Influenza, rheumatische Bauchfellentzündung,
letzteres eine Diagnose, die kürzlich in einem Landkreise des
Düsseldorfer Bezirkes von einem Arzte auf dem Totenschein einer an
Die Verhütung und Bekämpfung des Kindbettfiebers.
17
zweifelloser puerperaler, nicht gemeldeter Sepsis verstorbenen Fran
vermerkt wurde. Alle solche Diagnosen dienen nicht selten dazu,
die ominöse Bezeichnung Kiudbettfieber möglichst zu umgehen!
Fragt die Hebamme in solchem Falle den Arzt, ob Kindbettfieber
vorliegt, dann wird manchmal jede Möglichkeit eines Kindbett¬
fiebers bestritten oder es heisst: Jetzt ist das noch nicht mit Sicher¬
heit zu sagen, in einigen Tagen wird sich das erst zeigen usw.
M. H., diese Vorgänge sind Ihnen ja genügend bekannt, und
ich kann — gewiss mit Ihrer aller Einverständnis — wohl be¬
haupten, dass das hier gekennzeichnete Verhalten mancher Aerzte
mit Rücksicht auf die grosse Gefahr einer Weiterverschleppung
solcher, doch mindestens recht verdächtiger Infektionen nicht nur
aufs tiefste zu bedauern, sondern auch kaum jemals zu entschul¬
digen ist! Gegen dieses Verfahren müssen wir sowohl im gesund¬
heitlichen Interesse mancher blühenden, soeben entbundenen Fran,
wie auch mit Rücksicht auf das bedauerliche Beispiel, das mit
solchem Verhalten den Hebammen geliefert wird, Stellung nehmen.
Auf alle Fälle werden Sie mir nach dem bisher Gesagten zugeben,
dass auf diesem Gebiete noch viel zu tun bleibt und ein Ein¬
schreiten gegen das hier geschilderte Uebel dringend Not tut.
Damit komme ich zum wichtigsten und letzten Teil meiner
Betrachtungen, zu den im Sinne einer besseren Verhütung des
Kindbettfiebers zu machenden Vorschlägen.
M. H. Die Erfüllung einer unserer wichtigsten Forderungen
— die gesetzliche Verpflichtung zur Anzeige eines jeden Kind¬
bettfieberfalles einschliesslich des Kindbettfieberverdachtes — ist
ja mit der in dritter Lesung ganz überraschend erfolgten Annahme
des preussischen Ausführungsgesetzes zur Bekämpfung der über¬
tragbaren Krankheiten in greifbare Nähe gerückt — d. h. falls
nicht noch das Herrenhaus einen Strich durch die Rechnung macht
und den Gesetzentwurf ablehnt. Jedenfalls dürfen wir hoffen,
dass die bisherige Rechtsunsicherheit bezüglich der Gültigkeit der
die Kindbettfieberanzeige regelnden Polizeiverordnungen baldigst
beseitigt wird, und da wir von der Notwendigkeit des erwähnten
Gesetzentwurfes wohl alle überzeugt sind, so brauchen wir auf
diesen speziellen Punkt nicht mehr näher einzugehen. Indessen,
wenn auch der genannte Entwurf demnächst Gesetz werden sollte,
so besteht noch immer zwischen dem Seuchengesetz, das auch
schon die Anzeige des Kindbettfieberverdachtes fordert, und den
Bestimmungen des neuen Hebammenlehrbuches ein bedenklicher
Widerspruch insofern, als in den §§ 28 und 84 der Dienstanweisung
für die Hebammen diese nur verpflichtet werden, Kindbettfieber,
nicht aber auch Kindbettfieberverdacht anzuzeigen. Es
erscheint mir daher unerlässlich, dass diese §§ 28 und 34 der
Hebammen-Dienstanweisung, deren Inhalt trotz des neuen Ge¬
setzes auch in Zukunft sehr leicht verwirrend wirken und die
Hebammen mit scheinbarem Recht zur Unterdrückung der nur
verdächtigen Fälle verleiten kann, entsprechend abgeändert
werden. Ich schlage Ihnen daher vor, als ersten Leitsatz
folgende Forderung anzunehmen:
2
18
Dr. Erahne.
„Der Wortlaut der §§ 28 und 34 der neuen
Dienstanweisung für die Hebammen bedarf dringend
einer Abänderung bezw. Ergänzung in der Weise, dass
hinter dem in diesen Paragraphen mehrfach vorkom-
menden Wort „Kindbettfieber“ regelmässig die Worte
„oder Kindbettfieberverdacht“ eingeschoben werden.“
Damit würde der vorhandene bedenkliche Widersprach
zwischen der im Seuchengesetzentwurf und Hebammenlehrbuch
fixierten Kindbettfieberanzeige völlig beseitigt, so dass ich mich
wohl einer weiteren Begründung des ersten Leitsatzes ent¬
halten kann.
M. H.l Die Bedenken, die ich gerade bezüglich des § 28
der Hebammen-Dienstanweisung habe, sind aber damit noch nicht
erschöpft Ich vermag es nämlich — in Uebereinstimmung mit
zahlreichen Kollegen — durchaus nicht als eine Verbesserung zu
begrüssen, dass — wie es jetzt im § 28 jener Dienstanweisung
und auch im § 481 des Hebammenlehrbuches vorgesehen ist —
die Hebamme das Fieber erst dann anzuzeigen verpflichtet ist,
wenn auch der hinzugezogene Arzt auf Befragen nach der Dia¬
gnose eines Fieberfalles sich dahin ausspricht, dass es sich um
Kindbettfieber handele. Denn nach all den Erfahrungen, die
wir bisher gemacht haben, wird dieses Novum gegebenen Falles
die nicht gewollte Wirkung haben, dass ein Arzt eine Hebamme,
die Kindbettfieberanzeige machen will, veranlasst, dies zu unter¬
lassen, wenn er — der hinzugezogene Arzt — bezüglich der zu
stellenden Diagnose noch irgendwie schwankt oder sonst wie im
Zweifel ist. Und da es zahlreiche Hebammen gibt, denen das
Bekanntwerden eines Fieberfalles in ihrer Praxis aus begreiflichen
Gründen recht peinlich ist, so wird diese neue Bestimmung eher
dazu beitragen, die Kindbettfieberanzeigen noch mehr als bisher
zu unterdrücken und den hier gewollten Zweck der Dienst¬
anweisung in manchen Fällen ganz illusorisch machen. Eine der¬
artige Wirkung des § 28 der Dienstanweisung und des § 481 des
Lehrbuches muss aber entschieden vermieden werden; deshalb
erachte ich es als unbedingt erforderlich — und ich spreche dies
hier im Namen und Auftrag zahlreicher Kreisärzte als eine
dringende Notwendigkeit aus —, dass der § 481 des Lehrbuches
und der § 28 der Hebammen - Dienstanweisung eine weitere Ab¬
änderung in dem Sinne erfahren, dass die Hebamme ausnahmslos
verpflichtet wird, Kindbettfieber in ihrer Praxis völlig unabhängig
von der Diagnose bezw. der abweichenden Meinung des behandelnden
Arztes dem zuständigen Kreisarzt anzuzeigen.
Mit der jetzigen Fassung der soeben erörterten Vorschriften
ist offenbar der schon im ersten Teil meiner heutigen Be¬
trachtungen bekämpften, leider auch von manchen Klinikern ver¬
tretenen Theorie, dass es nämlich unbedenklich sei, trotz Fiebers
einer unter allerlei verdächtigen Erscheinungen erkrankten Wöch¬
nerin tagelang mit der Diagnose Kindbettfieber und mit der An¬
zeige zurückzuhalten, eine recht weitgehende Konzession gemacht.
Dass aber die im § 28 der Hebammen - Dienstanweisung formulierte
Die Verhütung and Bekämpfung des Kindbettfiebers. 19
Auffassung, die in der Praxis auf eine Verklausulierung der Dia¬
gnose Kindbettfieber hinauslänft, geeignet ist, auf das Verständnis
and das Handeln der Hebammen und auch der Aerzte verwirrend
za wirken, darüber sind wir Medizinalbeamte nach dem Resultat
unserer aus der Praxis amtlicher Tätigkeit geschöpften Erfahrungen
uns wohl alle klar. Und auch darüber müssen wir uns klar sein,
dass die jetzt in Aussicht gestellte endliche gesetzliche Festlegung
der Anzeigepflicht für Kindbettfieber und Kindbettfieberverdacht
nicht den erhofften Erfolg haben wird, wenn nicht gleichzeitig
in einwandsfreier Form festgestellt wird, was dann eigentlich
in Zukunft als „Kindbettfieber“ anzusehen ist. Deshalb bitte
ich Sie bezugnehmend auf meine früheren Ausführungen als zweite
Forderung den zweiten Leitsatz anzunehmen:
„Als Kindbettfieber im Sinne des ersten Leit¬
satzes (im Sinne des Gesetzes betr. Bekämpfung der
übertragbaren Krankheiten) muss jedes Fieber im
Wochenbett gelten, bei dem ein Zusammenhang
zwischen Fieber und voraufgegangener Entbindung
nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann.“
Wenn diese Definition des Begriffes Kindbettfieber — etwa
in Form einer Zusatzbestimmung zu dem Ausführungsgesetz des
Seuchengesetzes — als massgebende Richtschnur für alle Fieber¬
erkrankungen im Wochenbett gelten würde, denn würden in Zu¬
kunft die Fälle, in denen ein Arzt oder eine Hebamme die An¬
zeige eines verdächtigen Wochenbettfiebers hintanhalten würde,
wohl viel seltener werden, weil eben nur in ganz wenigen
Fällen die Behauptung aufgestellt und ernstlich begründet werden
kann, dass jeder Zusammenhang zwischen einem im Wochen¬
bett aufgetretenen Fieber and der vorausgegangenen Entbin¬
dung bezw. dem Wochenbett selbst mit Sicherheit ausge¬
schlossen werden kann. Wir würden also mit einer derartigen
Definition des Kollektivbegriffes Kindbettfieber einen erheblichen
Schritt vorwärts kommen und mit der rechtzeitigen Entfernung
der Hebamme von allen verdächtigen Wochenbetten die Zahl der
Uebertragungen erheblich vermindern. Zugleich würden wir endlich
einmal auf diesem Gebiete klare Verhältnisse schaffen und Aerzten
wie Hebammen in erhöhtem Masse das Gewissen schärfen.
Die anderen Mittel, die wir zur Bekämpfung des Kindbett¬
fiebers anwenden müssen, liegen vorwiegend auf dem Gebiet der
Kontrolle und einer immer intensiveren Fortbildung unserer Heb¬
ammen und nicht zuletzt einer besseren wirtschaftlichen Hebung
des ganzen Hebammenstandes.
Was zunächst die Kontrolle der Hebammen anbetrifft,
so ist diese ja zweifellos mit Einführung der Dienstanweisung für
die Kreisärzte eine erheblich schärfere und bessere geworden —
und das ist gut so. Aber gerade, weil diese Kontrolle der Heb¬
ammen ein so wichtiges und nnentbehrliches Moment in der Be¬
kämpfung des Wochenbettfiebers bildet, müssen wir uns doch die
Frage vorlegen, ob die zurzeit ausgeübte Kontrolle auch immer
den von uns gewünschten Erfolg erreicht bezw. erreichen kann.
20
Dr. Krohne.
Da ist zunächst eine der wichtigsten und einschneidendsten Be¬
stimmungen zu erwähnen — nämlich der § 57 der kreisärztlichen
Dienstanweisung. Die hiernach anzustellenden lokalen Ermitte¬
lungen in jedem Falle von Kindbett fieber erstrecken sich im all¬
gemeinen nach zwei verschiedenen Bichtungen, indem der Kreis¬
arzt nämlich einmal festzustellen sucht, ob die Hebamme ein
Verschulden an dem Ausbruch eines Kindbett fiebers trifft, und
dann, ob alle zur Verhütung einer Weiterverbreitung der Er¬
krankung notwendigen Schutzmassregeln ergriffen worden sind.
Ich möchte nun bemerken, dass ich aus den mir vorliegenden Be¬
richten der 226 Kreisärzte den Eindruck gewonnen habe, als ob
manche Kollegen bei ihren Ermittelungen einen etwas zu grossen
Wert auf die Untersuchung der Frage, ob die Hebamme eine
Schuld an der Erkrankung treffe, legen, und davor, m. H., möchte
ich doch aus mehrfachen Gründen warnen. Zunächst wissen Sie
alle und haben wir aus unserer Statistik ersehen, dass der Nach¬
weis eines Verschuldens einer Hebamme am Wochenbett fieber in
vielen Fällen doch recht schwierig ist. Dann sind ferner die
meistenteils in der Wohnung einer Wöchnerin oder — was oft
zur Erreichung des gewollten Zweckes unvermeidlich ist — am
Wochenbett selbst stattfindenden Untersuchuugen und Ver¬
nehmungen über das Verhalten der Hebamme während der Ge¬
burt immer eine etwas missliche Sache; mir ist wenigstens diese
Art der Feststellungen in solchem Falle immer recht peinlich
gewesen. Vor allem aber habe ich immer gefunden, dass dabei
meist nicht viel herauskommt — oft schon deshalb nicht, weil die
Angehörigen einer Wöchnerin einerseits nicht selten bestrebt sind,
das Handeln der ihnen vielleicht befreundeten Hebamme im Ein¬
verständnis mit dieser in möglichst günstigem Lichte darzustellen,
anderseits aber öfters Fälle Vorkommen, in denen seitens einer
ungebildeten Wöchnerin oder deren Angehörigen in bewusster Ab¬
sicht eine Reihe unkontrollierbarer und oft ganz ungerechtfertigter
Anschuldigungen gegen die Hebammen vorgebracht werden. Sehr
leicht kann auf diese Weise das Ansehen einer an sich tüchtigen
Hebamme grossen Schaden erleiden. — Auch dürfen wir nicht
vergessen, dass ungebildete und auch gebildete Laien doch kaum
imstande sind, uns über die meist gestellte Frage, ob die Hebamme
sich bei der Entbindung richtig — d. h. so wie wir es nach den
Regeln der Asepsis verlangen — desinfiziert habe, Aufschluss zu
geben. Wenn wir dann noch bedenken, dass die Hebamme, die
doch heute die Kontrolle des Kreisarztes in jedem Kindbett¬
fieberfall zu gewärtigen hat, sich hierauf wohl immer vorbereiten
und häufig die Spuren nachlässigen Handelns rechtzeitig ver¬
wischen wird, so ist nach alledem zuzugeben, dass es vielfach
zwecklos und auch nicht immer ratsam ist, bei dieser Gelegen¬
heit auf die Feststellung eines möglichen Verschuldens der Heb¬
amme das Hauptgewicht zu legen. Hiervon möchte ich aber
schon deshalb abraten, weil es — wie mir eigentlich erst in
jüngster Zeit aufgefallen ist — nach dem Wortlaut des § 57 der
kreisärztlichen Dienstanweisung zweifelhaft erscheinen kann, ob
Die Verhütung und Bekämpfung des Kindbettfiebers.
21
überhaupt der Kreisarzt anlässlich der betr. Ermittelungen das
vorbezeichnete Untersuchungsverfahren einzuschlagen befugt ist.
Es scheint mir nämlich, dass sich in dem allgemein in Gebrauch
befindlichen Exemplar unserer Dienstanweisung im § 57, Abs. 3
ein den Sinn störender Druckfehler eingeschlichen hat, der bisher
noch gar nicht beachtet worden ist. Es heisst an der ge*
nannten Stelle:
„Wenn in der Praxis einer Hebamme ein Fall von Kindbettfieber vor«
kommt, so hat der Kreisarzt an Ort und Stelle Ermittelungen nach der Bich«
tung anzustellen, ob von der Hebamme alle zwecks Verhütung und
Weiterverbreitung des Kindbettfiebers erlassenen Vorschriften beachtet
worden sind.“
Ja, m. H., was heisst denn das: „Die zwecks Verhütung
und Weiterverbreitung des Kindbettfiebers erlassenen Vor¬
schriften“ ! Hier muss doch wohl ein Druckfehler vorliegen; denn
Vorschriften zum Zwecke der Weiterverbreitung des
Kindbettfiebers sind doch nicht erlassen worden, sondern die be¬
treffenden Vorschriften sind erlassen worden 1. zum Zwecke der
Verhütung des Kindbettfiebers, 2. zum Zwecke der Verhütung
der Weiterverbreitung des Kindbettfiebers. Ich nehme des¬
halb an, dass im § 57, Abs. 8 ein Druckfehler entstanden ist, und
dass das Wörtchen „und tt zu ersetzen ist durch das Wörtchen
„der“! Das gibt dann sofort einen klaren Sinn und die auch
anscheinend beabsichtigte Bedeutung dieser Worte; denn es würde
dann besagen, dass der Kreisarzt verpflichtet ist, in allen Fieber¬
fällen Ermittelungen darüber anznstellen, ob von der Hebamme
alle zwecks Verhütung der Weiter Verbreitung des Kindbettfiebers
erlassenen Vorschriften beobachtet worden sind! Daraus würde
aber ohne weiteres hervorgehen, dass der Hauptzweck der kreis¬
ärztlichen Ermittelungen sein soll: Feststellung, ob die Hebamme
sich, ihre Kleider, Instrumente nach dem Beginn des Kindbett¬
fiebers gründlich desinfiziert, ob sie rechtzeitig den Fall gemeldet,
ob sie sich sofort von der fiebernden Wöchnerin ferngehalten hat,
um Uebertragungen der Erkrankung auf gesunde Wöchnerinnen
zu verhüten. Wenn dann der Kreisarzt, dessen Ermittelungen
somit in erster Linie den Schutz der gesunden Wöchnerinnen im
Auge haben sollen, nebenbei auch noch das Verhalten der Heb¬
amme vor und während der Entbindung in diskreter Weise fest¬
zustellen sucht, so kann das bei dieser, wie bei jeder sonstigen
Gelegenheit, nur nützlich sein, — aber regelmässige Vernehmungen
über das Verhalten der Hebamme am Krankenbett und in der
Weise, wie ich das vorhin angedeutet habe, halte ich aus den
angegebenen Gründen nicht für ratsam.
Um nun aber nicht missverstanden zu werden, bemerke ich,
dass ich im übrigen die fortdauernde, scharfe Kontrolle der
Hebammen für dringend nötig erachte. Nur die durch den § 57
unserer Dienstanweisung angeordnete Kontrolle will mir nicht für
alle Fälle wirksam und ausreichend erscheinen; ich möchte viel¬
mehr raten, die Hebammen bei jeder sich darbietenden Gelegen¬
heit unvermutet zu kontrollieren — sie am besten recht oft
unvermutet in ihrer Wohnung aufzusuchen. Bei solcher Gelegen-
22
Dr. Krohno.
heit wird man häufig die überraschendsten Resultate finden! Man
wird da Hebammen, bei denen vielleicht kurz vorher anlässlich
einer nach § 57 unserer Dienstanweisung stattgefundenen, nicht
unvermuteten Revision alles in bester Ordnung war, mitten in
einer von Schmutz starrenden Umgebung antreffen, die Instrumente,
Verbandwatte etc. in Zeitungspapier eingewickelt in einem Schrank,
in dem die unsaubersten Kleidungsstücke der ganzen Famlie bei*
sammen hängen, und dergl. vorfinden. Ich traf einmal eine Heb¬
amme, die bei sonstigen Revisionen immer tadellos sauber er¬
schienen war, in ihrer Wohnung in einem Zimmer an, in dem
junge Gänse und Ziegen untergebracht waren und in einer Ecke
unter allerlei sonstigem Hausgerät die offene Hebammentasche
lag; das Instrumentarium war vollständig — bis auf die Nabel¬
schnurschere ; die wurde nämlich mangels einer sonstigen Scheere
zu allerlei Näharbeiten benutzt. Bei einer anderen, sonst sehr
tüchtigen Hebamme, deren Ehemann das Ausstopfen von Vögeln
und allerlei anderen Tieren gewerblich betrieb, fand sich die In¬
strumententasche in einem Zimmer aufbewahrt, in dem ver¬
schiedene Tierkadaver umherlagen. Derartige Sachen wird man
natürlich nur bei unvermuteten Besichtigungen feststellen; des¬
halb, meine ich, soll der Kreisarzt die Hebammen recht oft unver¬
mutet besuchen, kontrollieren und — was dabei nicht vergessen
werden soll — auf den ganzen Ernst ihres Berufes immer wieder
hinweisen und an der Hand der festgestellten Tatsachen belehren.
Dabei möchte ich bezüglich der eben angedeuteten unzweck¬
mässigen Aufbewahrung der Instrumente der Hebammen bemerken,
dass ich es überhaupt als einen Mangel empfinde, dass im neuen
Hebammenlehrbuch nicht die Bestimmung vorgesehen ist, dass die
Hebammen — wie dies von manchen Kreisärzten schon durch¬
geführt ist — verpflichtet sind, ihre Instrumente etc. in einem
besonderen, verschlossenen Schrank, der für wenig Geld zu be¬
schaffen wäre, anfzubewahren. Manche Infektion wird vielleicht
nur durch unsachgemässe Aufbewahrung der Instrumente in der
Hebammenwohnung verschuldet. Eine solche Unterbringung der
Hebammentasche und aller sonstigen Utensilien, Desinfizientien etc.
in einem besonderen Schrank unter Verschluss erscheint mir aber
schon mit Rücksicht darauf, dass die Hebammen jetzt im Besitze
von Sublimat — also eines sehr gefährlichen Giftes — sein müssen,
durchaus nötig.
Was den weiterhin so wichtigen Punkt einer immer fort¬
schreitenden Besserung in der Ausbildung der Hebammen
betrifft, so ist in der richtigen Erkenntnis, dass ein gut aus-
gebildetes Hebammenpersonal auch einen besseren Schutz gegen
Wochenbetterkrankungen bildet, hieran seit Jahren mit allen
Kräften gearbeitet worden, wie dies auch die Einführung des
neuen Hebammenlehrbuches beweist. Indessen meine ich doch,
dass auf diesem Gebiete noch viel zu tun bleibt. Eine der
grössten Schwierigkeiten besteht meines Erachtens darin, dass die
Hebammen die in der Lehranstalt mühsam gewonnenen Kenntnisse
trotz der dreijährigen kreisärztlichen Nachprüfungen unter dem
Die Verhütung and Bekämpfung des Kindbettfiebers.
23
Druck all der kleinen und kleinlichen Sorgen des alltäglichen
Lebens und in dem täglichen Verkehr mit meist ungebildeten
Menschen nur zu rasch vergessen, so dass das Mass ihres Wissens
oft schon nach wenigen Jahren anf ein bedenkliches Niveau herab¬
sinkt und nur durch einen als Strafe auferlegten Wiederholungs¬
kursus — für vorübergehende Zeit — aui eine etwas höhere
Stufe gehoben werden kann. Ich meine, hier liegt ein Fehler in
unserem System, der auch durch die in dem neuen Hebammen¬
gesetzentwurf vorgesehene Bestimmung, dass nämlich die Aus¬
bildungszeit für die Hebammen allgemein von 6 auf 9 Monate
verlängert werden soll, nicht beseitigt werden wird. Der Fehler
liegt in dem Mangel einer regelmässigen Fortbildung auch in
den späteren Jahren, einer immer erneuten Wiederauffrischung
des einmal gewonnenen Wissens. Eine solche Wiederauffrischung
der Kenntnisse ist aber für die Hebammen schon mit Rücksicht
auf das meist bildungsarme soziale Milieu, in dem sie leben, noch
viel nötiger, als für die Aerzte — und doch sind wir uns längst
darüber klar, dass wir Aerzte, insbesondere wir Medizinalbeamten,
mit den auf der Universität gewonnenen Kenntnissen allein nicht
auskommen können, dass auch wir uns durch regelmässige Fort¬
bildungskurse und dergl. auf dem erforderlichen wissenschaftlichen
Niveau erhalten müssen. Aus allen diesen Gründen halte ich es
für unbedingt erforderlich, dass in Zukunft alle Hebammen bis zu
ihrem 45. Lebensjahre mindestens alle 5 Jahre an einer Hebammen¬
lehranstalt einen mehrwöchentlichen Wiederholungskursus durch¬
machen müssen. Auf diese Weise würden alle Hebammen nach
erfolgter Ausbildung mindestens 8—4 Wiederholungskurse zu ab¬
solvieren haben und würden damit eine nicht zu verkennende
Stärkung und Festigung ihres Wissens und ihrer Gewissenhaftig¬
keit erhalten, die im Sinne einer besseren Fürsorge unseren
heissenden und Wöchnerinnen zugute kommen würde. Wieder¬
holungskurse nach dem 45. Lebensjahre würden dann kaum noch
nötig und mit Rücksicht auf den in diesem Lebensalter beginnenden
Mangel der Lernfähigkeit der Hebammen auch zwecklos sein.
M. H., ich halte die Frage der Einrichtung derartiger 5 jähriger
Wiederholungskurse für so wichtig, dass ich unbedenklich
einer Beibehaltung der bisherigen nur 6 monatlichen Ausbildungs¬
zeit der Hebammen zustimmen würde, wenn dafür solche regel¬
mässigen Fortbildungskurse eingerichtet werden würden. Denn
eine nur 6 Monate ausgebildete Hebamme, die alle 5 Jahre einen
Wiederholungskursus absolviert, wird meiner Ansicht nach in der
späteren Praxis immer über ein grösseres Wissen verfügen, wie
eine Hebamme, die 9 Monate ausgebildet worden ist, zu Wieder¬
holungskursen aber später nicht mehr herangezogen wird; dass
natürlich 9 monatliche Lehrzeit mit späteren 5 jährigen Wieder¬
holungskursen das weitaus beste sein würde, bedarf keiner Er¬
örterung.
Im engsten Zusammenhang mit der Frage der Fortbildung
der Hebammen steht nun fernerhin die vielleicht ebenso wichtige
Frage einer besseren wirtschaftlichen Fürsorge für den
24
Dr. Krohne.
Hebammenstand. M. H., es unterliegt gar keinem Zweifel
dass in der traurigen materiellen Lage vieler unserer Hebammen
mit ein wesentlicher Grund für manche Pflichtverletzung und
Nachlässigkeit, die sich eine Hebamme zu Schulden kommen lässt,
zu suchen ist. Und darum tut Besserung auf diesem Gebiete
dringend not! Wir steigern fortwährend die an das Wissen der
Hebammen zu stellenden Ansprache, wir haben ein neues um¬
fassenderes Lehrbuch, ein neues und viel kostspieligeres Instru¬
mentarium eingeführt, wir sind im Begriff, die Ausbildungszeit zu
verlängern — für die Besserang des Einkommens der Hebammen
aber, oder gar für eine Invaliden- und Altersversicherung derselben
ist seitens des Staates und der Kommunen bisher wenig oder
nichts getan. Hat doch erst kürzlich das Reichsamt des Innern
es abgelehnt, einen Gesetzentwurf zur Einführung der zwangs¬
weisen Invalidenversicherungspflicht der Hebamme einzubringen.
Und doch wissen wir, dass zahlreiche Hebammen mit wirtschaft¬
licher Not kämpfen und sich mit ihrer Berufstätigkeit nur mühsam
durchs Leben schlagen, dass viele Hebammen mit 20—25 Ent¬
bindungen pro Jahr einen Jahresverdienst von etwa 100 Mark
aus ihrer Berufstätigkeit haben. Und von solchen Hebammen
verlangen wir dann die genaueste Beobachtung all der minutiösen
Vorschriften, die sie z. B. zur Verhütung des Kindbettfiebers be¬
obachten sollen. Wir hören so oft in neuester Zeit, wo es sich
um wirtschaftliche Kämpfe des Aerztestandes handelt, die Ansicht
aussprechen, man könne sich nicht wundern, wenn ein schlecht
bezahlter, viel beschäftigter Kassenarzt nur Massenarbeit — id
est mangelhafte Berufsarbeit— liefert. Nun dieser Satz trifft
mit mindestens derselben Berechtigung auch für die schlecht be¬
zahlten Hebammen zu, und leider ist nur ein zu grosser Teil von
ihnen schlecht bezahlt. Wenn wir also ein tüchtiges Hebammen¬
personal haben wollen, dann müssen wir auch dafür sorgen, dass
diese oft recht überlasteten, in schwerem Beruf sich Tag und
Nacht aufreibenden Frauen einen lohnenden Erwerb haben, und
wir müssen ferner darauf bedacht sein, dass die Hebammen gegen
die Sorgen des Alters oder vorzeitiger Invalidität hinreichend
geschützt werden. Deshalb bitte ich Sie, soweit dies Ihnen mög¬
lich ist, darauf hinzuwirken, dass nicht nur die Ansprüche der
Hebammen auf ein angemessenes Einkommen überall die ge¬
bührende Anerkennung finden, sondern dass auch die Gemeinden
sich herbeilassen, die Aufnahme der Hebammen in die staatliche
Invaliditäts- und Altersversicherung durch Tragung der sämtlichen
oder eines Teiles der Kosten zu ermöglichen, wie wir das jetzt
im Düsseldorfer Bezirk einzuführen bestrebt sind.
Die hier erörterte ungünstige materielle Lage der Hebammen
wird nun noch besonders tangiert durch die dem Kreisärzte zu¬
stehende Befugnis, der Hebamme anlässlich eines Falles von Kind¬
bettfieber die Berufstätigkeit auf 1—2 Wochen zu untersagen.
Diese Bestimmung ist, trotzdem sie nur noch verhältnismässig
selten angewendet wird, zweifellos für viele Hebammen auch mit
ein Beweggrund, die Anzeige eines Kindbettfieberfalles zu unter-
Die Verhütung und Bekämpfung des Kindbettflebers.
25
drücken; denn die Möglichkeit, mit der Anzeige eines Fieber-
falles eine Untersagung ihrer Berufstätigkeit und damit einen
empfindlichen Verlust ihrer Einnahmen zu riskieren, bildet eben
für viele Hebammen ein recht ernstes Moment, so dass es immerhin
begreiflich, wenn auch nicht entschuldbar ist, wenn eine Hebamme
aus dieser Furcht heraus eine Anzeige unterlässt. Aus diesem
Grunde und mit Rücksicht darauf, dass wir mit der Untersagung
der Berufstätigkeit einer Hebamme für eine bestimmte Zeit doch
wohl in erster Linie nicht eine Bestrafung der Hebamme, sondern
einen erhöhten Schutz der gesunden Wöchnerin bewirken wollen,
erachte ich für dringend empfehlenswert und auch für gerecht,
dass wir die Hebammen für die ihnen aufgezwungene Unter¬
brechung ihrer Berufstätigkeit materiell entschädigen, und deshalb
bitte ich Sie, den nachstehenden dritten Leitsatz anzunehmen:
„Damit die dem Kreisarzt nach § 29 der Heb-
ammen-Dienstanweisung zustehende Befugnis, einer
Hebamme gegebenen Falles die Ausübung ihres Be¬
rufes für mehrere Wochen zu untersagen, nicht dazu
beiträgt, dass die Hebamme aus Furcht vor einer ihr
drohenden Erwerbsschädigung etwaige Erkrankungen
von Kindbettfieber verheimlicht, empfiehlt es sich
dringend, dass die Hebamme — wie schon heute in
einzelnen Kreisen — für die angeordnete Unter¬
brechung ihrer Tätigkeit eine angemessene Entschä¬
digung erhält.“
Dabei möchte ich noch der vielfach verbreiteten irrigen Auf¬
fassung entgegentreten, als ob der Kreisarzt etwa berechtigt
wäre, einer Hebamme lediglich zum Zweck der Bestrafung,
z. B. bei unterlassener Fieberanzeige, ihre Berufstätigkeit für eine
bis zwei Wochen zu untersagen! Eine Hebamme steht unter der
Gewerbeordnung; die Ausübung ihres Gewerbes aber kann ihr
von der Aufsichtsbehörde nur mit der Begründung für einige Zeit
untersagt werden, dass sie durch ihr Gewerbe andere Personen
gefährden würde, wie dies z. B. seitens einer durch Kindbettfieber
infizierten Hebamme geschieht. Eine Untersagung der Berufs¬
tätigkeit, nur um die Hebamme zu strafen, ist nicht Sache der
Aufsichtsbehörde, sondern Sache der ordentlichen, das Strafver¬
fahren regelnden Gerichte.
M. H.! Mit Vorstehendem haben wir die zur Bekämpfung
des Kindbettfiebers nötigen Massnahmen nicht erschöpft. Vieles
andere, wie die Belehrung des ungebildeten Publikums über die
elementarsten Forderungen der Hygiene, die Erziehung zur Reinhal¬
tung der Umgebung unserer Wöchnerinnen, Fürsorge für eine bessere
Wochenbettpflege der Frauen in den untersten Volksschichten bliebe
noch zu erörtern. Indessen ist ja die Berechtigung aller dieser
Forderungen Ihnen hinlänglich bekannt; sie liegen aber vor allem
mehr auf sozialem Gebiete, auf dem der Medizinalbeamte doch nicht
so allein und ausschlaggebend in der vordersten Linie steht, wie
bei den Dingen, die ich heute ausführlich erörtert habe.
Somit bleibt mir am Schluss meiner Betrachtungen nur noch
26
Diskassion za dem Vorträge:
übrig:, Sie za bitten, bei der Bekämpfung des Kindbettfiebers all
die Konsequenzen zu ziehen, die sich an der Hand der heute vor-
gelegten Statistik und der Erfahrungen, die wir hier vor uns
haben, von selbst ergeben.
Vor allem bitte ich Sie, die Praxis treibenden Kollegen in
Aerztevereinen und bei sonstigen Gelegenheiten auf die ernsten
Resultate unserer Statistik und darauf hinzuweisen, dass es ein¬
fach eine moralische Verpflichtung jedes Arztes ist, uns in dem
Kampf gegen das Kindbettfieber überall zu unterstützen — selbst
auf die Gefahr hin, auf diesem Gebiete prophylaktisch einmal mehr
zu tun, als gerade unbedingt nötig scheinen könnte. Dann wird
es hoffentlich gelingen, die Zahl der Kindbettfiebertodesfälle er¬
heblich zu vermindern und dem deutschen Nachwuchs eine grössere
Zahl von Müttern am Leben zu erhalten, als dies zurzeit noch
der Fall ist!
(Lebhafter Beifall.)
Vorsitzender: Ich eröffne die Diskussion.
H. Kreisassistenzarzt Dr. D o h r n - Cassel: M. H.! Gestatten sie, daß ich
Ihre Aufmerksamkeit kurz für die nachstehenden Kurven in Anspruch nehme.
Seit April 1904 habe ich die bei der Königl. Regierung in Cassel eingehenden
Berichte über Kindbettfieber und plötzliche Todesfälle im Wochenbett laufend
zusammengestellt. Es geschah dies in der Absicht, um vielleicht an der Hand
eines größeren Materials neue Gesichtspunkte für die Verhütung und Bekam*
pfung des Kindbettfiebers zu gewinnen.
Meiner Zusammenstellung, deren wichtigste Ergebnisse ich Ihnen mit*
teilen möchte, liegen ausführliche Berichte über 186 Fälle zugrunde.
Procent ? t 7 z,<? %Y %<? %Y 6,6 10,5 10,6 16 S H?
Die Verhütung and Bekämpfung des Kindbettfiebers.
27
Kurve I zeigt Ihnen die Verteilung der Fieber erkranken gen nach der Zahl
der iiberstandenen Geburten. Die Kurve beginnt mit den zum 10. Male Gebärenden;
sie bleibt auf ziemlich gleicher Höhe bis zu den zum 6. Male Gebärenden, steigt
dann langsam empor, um schließlich mit einem sichtbaren Buck bei den Erst*
gebärenden bis zu der höchsten Höhe von 41,7 °/o emporzuschnellen. Die auffallend
hohe Erkrankungsziffer der Erstgebärenden in der Privatpraxis übertrifft bei
weitem die gleichen, in den Anstalten gemachten Beobachtungen. Die Ursache
dieser Erscheinung dürfte wohl darin zu finden sein, daß die besonders bei
Erstgebärenden oft auftretenden Verletzungen der Geburtswege in der Privat¬
praxis sehr viel häufiger Gelegenheit haben, durch eine nicht sorgfältig ge¬
reinigte Hand infiziert zu werden als in der Anstaltspraxis.
Die praktische Konsequenz, die wir für die Verhütung des Kindbett¬
fiebers daraus ziehen können, ist die, daß gemäß der Ahlfeldsehen Lehre
von uns möglichst darauf gedrungen wird, die Hebamme soll, wenn möglich,
ca. 14 Tage vor der Geburt und während der Geburt selbst ohne zwingende
Gründe garnicht untersuchen.
Kurve II.
Ursache der Erkrankung.
Kurve II zeigt Ihnen die einzelnen Fieberfälle geordnet nach deren
Entstehungsursachen. Sie beginnt mit den Infektionen durch äußere Ursachen.
Z. B. hat in einem solcher Fälle die Entbindung in dem Bett stattgefunden,
wo bis dahin die an eiternden Unterschenkelgeschwüren leidende Mutter lag.
An zweiter Stelle folgt zu frühes Aufstehen der Entbundenen, z. B. Arbeiten
schon am zweiten Tage; dann Gonorrhoe, die Infektionen durch Einrisse,
Selbstinfektion — d. h. solche Fälle, in denen Fieber ohne jegliche innere
Untersuchung aufgetreten ist —, Bentention von Nachgeburtsresten, Kompli¬
kationen wie alte aufflackernde Exsudate usw.
Es folgen dann weiter diejenigen Fälle, in denen mit ziemlicher Sicher¬
heit Verstößen der Hebammen Schuld an der Entstehung des Fiebers zu geben
war; hierauf diejenigen, in denen schwere ärztliche Eingriffe stattgefunden und
die Infektion hervorgerufen haben. Unter diesen nimmt die manuelle Plazenta¬
lösung, die Wendung und die Zange — besonders auch die Luxuszange —
den größten Baum ein. (Unter den 43 ärztlichen Ergriffen waren allein
8 Zangen wegen „schmerzhafter Wehen“, „langdauernder Geburt“ — 2—3 Stun¬
den! — usw. mit nachfolgender schwerer Erkrankung zu verzeichnen.)
In 47 Fällen ließ sich die Ursache der Erkrankung nicht mit Sicherheit
feststellen.
28
Diskussion za dem Vorträge:
III. Etwaige Sobald der Hebammen.
In 127 Fällen mit festgestellter Aetiologie lag die Schuld
nicht an den Hebammen I an den Hebammen
in 104 Fällen = 82 °/ 0 . | in 23 FäUen = 18°/,.
Nebenstehend sind non diejenigen Fälle in einer
Säule zusammen gestellt, in denen die Erkrankung nicht
durch Verschulden der Hebammen entstanden war, in
einer 2. Säule die Fälle, in denen mit Sicherheit die
Hebamme schuld war und in einer dritten Säule die Fälle
(27 °/o), in denen überhaupt Verstöße vorgekommen sin<L
Wir finden hier die bereits durch den Vorredner fest-
gestellte Tatsache bestätigt, daß cs keineswegs angängig
ist, von vornherein immer der Hebamme Schuld an den
Erkrankungen zu geben. Anderseits lassen die häufigen,
bei den kreisärztlichen Erhebungen festgestellten Ver¬
stöße — zum Teil auch unwesentlicher Natur —, die
Wichtigkeit einer dauernden Beaufsichtigung dringend
geboten erscheinen.
Ich möchte noch bemerken, daß unter diesen Verstößen nicht aufgeführt
sind diejenigen Fälle, in denen die Hebamme nicht das vorgeschriebene Klystier
gegeben hat. Dieses ist in 115 von 167 Fällen nicht geschehen.
Suchen wir nun aus der Zusammenstellung der ursächlichen Momente
(Kurve H) einen Anhaltspunkt für die Verhütung des Kindbettfiebers zu ge¬
winnen, so liegt der hier in dieser letzten Linie, dio die Zahl derjenigen Fälle
darstellt, in denen überhaupt Störungen der Nackgebartsperiode aufgetreten
sind. Ganz sicher waren auch in der überwiegend großen Zahl diese Störungen
die Ursache des später auftretenden Fiebers. Die Ursache der Störungen ist
wiederum in der Gewohnheit der Hebammen zu suchen, daß sie zu früh und
zu gewaltsam den äußeren Handgriff anwenden. Es ist mir bekannt, daß ein
großer Teil der Hebammen schon 10 Minuten oder 1 Viertelstunde nach der
Gebart den äußeren Handgriff an wendet.
Hier würde sich für den Kreisarzt ein mächtiger Angriffspunkt für die
Verhütung des Kindbettfiebers bieten, wenn er die Hebammen immer wieder
darauf hinweist, daß sie die Ausstoßung der Nachgeburt möglichst der Natur
überlassen und nicht durch vorzeitiges, rohes Eingreifen stören.
H. Kreisarzt Med.-Bat Dr. Langerhans-Celle: M. H.t Mich haben
besonders interessiert die Ausführungen, die ich über die Fortbildung der
Hebammen gehört habe; es kann ja auch keinem Zweifel unterliegen, daß die
Fortbildung der Hebammen dringend notwendig ist. In unserer Provinz sind
solche Fortbildungskurse eingerichtet und zwar von dreiwöchiger Dauer.
Diese Kurse sollen zunächst nach 5 Jahren und dann noch einmal 10 bis
15 Jahre später stattfinden. Abor auch dies ist praktisch undurchführbar, da
die bisherigen Anstalten dieser Aufgabe gar nicht gewachsen sind; ihre Zahl
müßte vielmehr ganz bedeutend vermehrt werden oder die Hebammenkurse
müßten sehr eingeschränkt werden. Ich habe dies einmal ausgerechnet, das geht
einfach nicht. Die pekuniäre Belastung der Anstalten würde eine ganz gewal¬
tige sein; außerdem würden die Einnahmen aus der Ausbildung der Schülerinnen
noch fortfallen. Die Anstalten würden dann 3 Jahre hindurch nichts zu tun
haben, als Wiederholungskurse für die Hebammen zu geben und darüber würde
die Ausbildung neuer Hebammen ganz ungebührlich verzögert werden. Schon
jetzt klagen aber die Kollegen darüber, daß sie ihre Hebammen nicht recht¬
zeitig aus der Anstalt herausbekommen. Es müßten dann also die Wöchne¬
rinnen-Asyle zu dem Zwecke der Fortbildungskurse mit herangezogen werden,
aber, m. H., dazu gehört wieder eine staatliche Aufsicht. Daß ein durch einen
Verein oder durch milde Mittel erhaltenes Wöchncrinncnasyl mit staatlichen
Aufgaben beauftragt würde, geht wiederum nicht, oder es müßten wenigstens
Garantien gegeben werden, daß diese Aufgaben in demselben Sinne, wie in
den übrigen Anstalten gelöst würden.
Dann halte ich die 9 monatige Dauer der Ausbildungskurse für dringend
32 »/o
19°/o27 # /o
Die Verhütung und Bekämpfung des Kindbettflebers.
29
notwendig. Ich bin jetzt damit beschäftigt, in 6monatigen Kursen den Hebammen
das neue Hcbammenlchrbuch beizubringen; ich werde die Frauen ja auch soweit
bringen, aber die so ausgebildeten Hebammen werden entschieden zu wünschen
übrig lassen. Die 9monatige Ausbildung der Hebammen ist also unbedingt
notwendig. Ich habe noch gewartet mit einem Anträge an meine Vorgesetzte
Behörde mit Rücksicht auf das bevorstehende Hebammengesetz, aber ich glaube,
es wird das sichersto sein, daß man erst einmal privatim bei der Provinz die
9monatigen Kurse durchdrückt.
Die Beteiligung der Aerzte an der Kindbettfiebersterblichkeit ist sehr
groß, nicht blos aus den angegebenen Ursachen, daß die Aerzte mit vielerlei
septischen Stoffen bei ihren Krankenbesuchen in Berührung kommen, es liegt
dies zum Teil auch in der mangelhaften Ausbildung auf der Universität. Die
Universitäten haben selbst in großen Städten nicht gut die Möglichkeit, die
angehenden Aerzte in der Leitung der Geburt und der Nachgeburtszeit zu
üben. Es wird das Praktikum darin etwas abhelfen, aber ich meine doch,
es müßten die Wöchnerinnenasyle diesem Zwecke dienstbar gemacht werden.
Das wesentlichste ist aber immer: Besser situierte Hebammen, und ehe
es das Hebammen gesetz nicht gibt, ist alles nur Stückwerk, was wir
machen.
Ich halte auch dafür, daß wir nicht nur das Kindbettfieber, sondern auch
den Kindbettfieberverdacht anzeigepflichtig machen müssen. Diese
Aenderung ist aber allein nicht ausreichend, es müssen noch andere Aenderungen
im Hebammenlehrbuch stattfinden. M. H.! Ich habe hier nicht die Aufgabe,
das Hebammenlehrbuch zu besprechen, ich habe mich aber veranlaßt gesehen,
dem Verfasser die große Bitte auszudrücken, daß es in manchen Punkten noch
geändert werden möge. Es ist ja im großen und ganzen ein sehr schönes Buch;
namentlich ist auch die Darstellung der Wundkrankheiten und der fieberhaften
Wochenbett-Erkrankungen vorzüglich klar und logisch: 1. Die Erkrankung der
Wunde, 2. das Uebergreifen auf die Umgebung der Wunde, 8. das Uebergreifen
auf die Blutmasse, allgemeine Blutvergiftung; und damit in Parallele: 1. die In¬
fektion der Geburtswunde, 2. das Uebergreifen auf die Umgebung der Geburts¬
wunde, worunter auch Parametritis verstanden wird, und dann das Uebergehen
der Krankheit in die allgemeine Blutmasse, und das ist das Kindbettfieber,
alles andere ist nicht Kindbettfieber. Wenn den praktischen Aerzten diese
Definition in die Hand gegeben wird, und wenn wir dann die Bestimmungen
des Abgeordnetenhauses zum Seuchengesetz dazu nehmen, wonach der Kreisarzt an
das Krankenbett der Kindbettfieberkranken nur dann heran darf, wenn der Ehe¬
mann es erlaubt, ja, m. H., dann können wir einpacken und kommen nicht vor¬
wärts. Ich finde die Fassung der Definition des Vortragenden über das
Kindbettfieber sehr hübsch: Wenn nicht nacbgewiesen werden kann, daß es
ein anderes Fieber ist, so haben wir anzunehmen, es ist Kindbettfieber, und
sehen dann zu, was wir mit der Hebamme machen. So, wie es jetzt liegt,
werden wir leider bald genug erleben, was nur ausnahmsweise in den letzten
Jahrzehnten geschehen ist: Epidemien des Kindbettfiebers, ohne daß der Kreis¬
arzt etwas davon weiß und ohne daß er dagegen einschreiten kann.
H. Kreisarzt Dr. Berger-Hannover: M. H.1 Ich bin der Meinung, daß
die Kontrolle der Hebammen doch noch sehr ausgedehnt werden muß. Ich
kontrolliere die Hebammen bei jeder Gelegenheit, sogar auf meinen Radel¬
touren. Ich lasse mir da von den Frauen etwas erzählen und lasse mir auch
die Hände zeigen. Die Forderung, daß jeder Fall von Fieber im Wochenbett
angezeigt werden soll, möchte ich zwar ebenfalls stellen, ich halte sie aber
nicht für durchführbar und glaube nicht, daß wir damit praktisch weiter
kommen werden. Als Kindbettfieber soll nach dem Referenten jeder Fall von
Fieber im Wochenbette gelten, bei dem ein Zusammenhang zwischen Fieber
und vorhergegangener Entbindung nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden
kann. „Nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann,“ was sagt denn
das ? Demgegenüber möchte ich den Vorschlag machen, daß man die Meldung
des Kindbettfiebers anders gestaltet, nicht auf Meldekarten, sondern auf Karten¬
briefen, und daß auf diesen Anmeldeformularen bestimmte Fragen gestellt
werden; nur so kann ein Ueberblick gewonnen werden, ob es Kindbettfieber
ist oder nicht.
30
Diskussion za dem Vortrage:
Bezüglich des dritten Leitsatzes möchte ich erwähnen, daß die Hebamme
ja manchmal Erkrankungen von Kindbettfieber gar nicht zur Anzeige bringt;
das ist auch natürlich nach dem, was der Herr Referent gesagt hat, z. B.
infolge Aeußerungen des Arztes asw. Ich möchte Ihnen hierzu folgenden
Fall vortragen:
Als das neue Hebammenlehrbach durch gesprochen werden sollte, da
kontrollierte ich die Thermometer der Hebammen und fand bei einem eine
Temperatur von 40°. Ich fragte die Frau: Gebrauchen Sie denn Ihr Ther¬
mometer? Ja, sagte sie, immer. Wann haben Sie es zuletzt gebraucht?
Vorgestern, antwortete sie. Ja, haben Sie denn nichts gefunden, haben Sie denn
den Temperaturzettel nicht ausgefüllt? Jawohl, sagte sie. Was stand denn vor¬
gestern darauf ? 40 0 sagte sie. Als ich dann einwandte, daß die Temperatur doch
ein bischen viel sei, antwortete sie: Ja, aber der Doktor ist dagewesen und
der hat gesagt, die Patientin ist außerordentlich wohl. Ich wandte mich dar¬
auf an den Arzt, der schrieb mir: Nein, der Patientin geht es tadellos, von
Kindbettfieber ist keine Spur. Als ich ihm darauf sagte, er solle die Sache
doch einmal nachsehen, da bekam ich am nächsten Tage einen Eilbrief:
„Heute habe ich Kindbettfieber festgestellt." Sehen Sie, so geht es in der
Praxis her!
H. Reg.- u. Med.-Rat Dr. Dütschke-Erfurt: M. H.1 Gestatten Sie
mir einige kurze Bemerkungen. Als die neue Dienstanweisung für die Hebammen
des Königreichs Preußen jüngst veröffentlicht wurde, war es für jeden Medi¬
zinalbeamten, der sich mit der Materie eingehend befaßte, klar, daß wir durch
die jetzt vor geschriebene Anzeigepflicht der Hebammen bei auftretendem Fieber
an den behandelnden Arzt eine wesentliche Verschlechterung in sanitäts¬
polizeilicher Hinsicht gegen früher erfahren hatten, wo dem Kreisarzt von dem
aufgetretenen Fieber sofort Anzeige zu erstatten war. So, wie die Verhält¬
nisse jetzt liegen, kann es Vorkommen, daß der Kreisarzt erst im Januar des
folgenden Jahres, wenn er die Tagebücher seiner Hebammen einzusehen Ge¬
legenheit hat, überhaupt davon etwas erfährt, wieviel Fieberkranke eine Heb¬
amme in ihrer Praxis gehabt hat. Die Erwägung, daß bei der Verschiedenheit
der Auffassung des Begriffes „Wochenbettfieber" unter den praktischen Aerzten
mancher Fall von Puerperalfieber der kreisärztlichen Kenntnis entgehen und
dadurch ein rechtzeitiges sanitätspolizeiliches Einschreiten unmöglich sein
würde, veranlaßte mich zu einem eingehenden Studium des neuen Hebammen-
lehrbuches und ich fand, daß das Lehrbuch selbst schon eine Handhabe bietet,
die Wirkungen der ungünstigen neuen Bestimmung abzuschwächen. Es be¬
steht in dem Lehrbuch nämlich ein Paragraph, welcher besagt, daß die Heb¬
amme verpflichtet ist, sich in allen zweifelhaften Fällen beim Kreisarzt
Rat zu holen. Gelegentlich meiner Teilnahme an den Instruktionskursen für
Hebammen, welche infolge der Einführung des neuen Hebammenlehrbuches
abgehalten wurden, habe ich die Hebammen des Reg.-Bez. Erfurt dahin
instruiert, daß sie bei denjenigen Fällen, in welchen sie das Vorhandensein
von Fieber festgestellt hätten, aber zweifelhaft seien, ob es sich um Wochen¬
bettfieber handele, nicht allein, den Bestimmungen des Lehrbuches gemäß,
dem behandelnden Arzte, sondern anch dem zuständigen Kreisarzt .Anzeige
erstatten sollten. Der praktische Erfolg dieser Anordnung ließ im Reg.-Bez.
Erfurt nicht auf sich warten. Eine Hebamme, welche diese Instruktion er¬
halten hatte, schrieb pflichtgemäß an ihren Kreisarzt, daß sie eine Wöchberin
in Behandlung habe, die seit 3 Tagen 38,9 Temperatur zeige und bei der sie
befürchte, daß Wochenbettfieber bestehe, obgleich der zugezogene Arzt gesagt
habe, es sei kein Kindbettiieber; im Interesse der anderen Wöchnerinnen bäte
sie um Verhaltungsvorschriften. Der Kreisarzt meldete den Vorgang sofort
dem Herrn Regierungspräsidenten und letzterer ersuchte den behandelnden
Arzt um umgehende Mitteilung, „ob mit Sicherheit Kindbettfieber ausge¬
schlossen sei oder nicht.“ Von dem Arzt traf eine sehr gewundene Erklärung
ein, darauf hinauslaufcnd, daß man ja das Vorhandensein von Wochenbett¬
fieber bei eintretender Temperatursteigerung niemals ausschließen könne usw.
Bei diesem Bescheide erfolgte selbstverständlich telegraphisch die'Suspension
der Hebamme und der weitere Verlauf der fieberhaften Erkrankung jener
Wöchnerin rechtfertigte vollständig das sanitätspolizeiliche Eingreifen. — Ich
gebe gern zu, daß eine Hebamme bei dieser Art des Vorgehens leicht in
Die Verhütung und Bekämpfung des Kindbcttflebera.
31
Kollision mit dem behandelnden Arzt kommen kann, wenn sie sich erlaubt, die
Diagnose des behandelnden Arztes einer bezweifelnden Kritik zu unterziehen;
ich weiß aber, so lange es allein von dem behandelnden Arzt abhängig ist,
ob eine Hebamme von einer an Wochenbettfieber erkrankten Wöchnerin den
Ansteckungsstoff auf andere Wöchnerinnen weiter übertragen kann — und man
erlebt hier hinsichtlich der Diagnose Wochenbettfieber oft recht wunderbare
Sachen —< keinen anderen Ausweg, um in sanitätspolizeilicher Beziehung nichts
zu versäumen, als das von mir geschilderte Verfahren.
Es drängt mich dann weiter, hier an dieser Stelle die günstigen Erfolge
festzustellen, welche ich als Vorsitzender der Prüfungskummission für Heb*
ammen Ende März d. J. in Erfurt hinsichtlich der praktischen Brauchbarkeit
des neuen Hebammenlehrbuches im Unterricht und bei der Prüfung feststellen
konnte. Nach den von mir gewonnenen Eindrücken — und meine Ansicht
wurde von den beiden Hebammenlehrern geteilt —, war es allein der klaren
Diktion des neuen Lehrbuches und der lebendigen und anschaulichen Dar¬
stellungsweise zuzuschreiben, daß die Prüfngsergebnisse so vorzügliche dies¬
mal waren und daß sich der Unterricht der Schülerinnen nach Aussage der
beiden Lehrer erheblich leichter und in manchen Sachen geradezu spielend
abgewickelt hat.
Auf der anderen Seite aber möchte ich nicht unterlassen, darauf auf¬
merksam zu machen, daß nach den von mir gewonnenen Eindrücken der Ab¬
schnitt in dem neuen Hebammenlehrbuch, der von der „Allgemeinen Krankheits¬
lehre“ handelt, entschieden weit über das Auffassungsvermögen der Mehrzahl
der Hebammenschülerinnen hinausgeht und auch im Unterricht zu erhebliche
Schwierigkeiten bereitet, wie sich bei der Prüfung sehr bald herausstellte. Es
ist ja gewiß recht schön, den Hebammen auch allgemeines Verständnis für die
pathologischen Verhältnisse beizubringen, aber hier ist zu viel hineingezogen,
was der Verstand der Hebammen nicht begreifen und verdauen kann und das
daher zweckmäßig dem Unterricht ferngehalten bleibt.
Im allgemeinen, und das möchte ich hier gern nochmals betonen, hat
sich aber der Einfluß des neuen Hebammen-Lehrbuches bei dieser ersten
Prüfung in jeder Beziehung nur vorteilhaft bemerkbar gemacht.
H. Reg.- und Med.-Rat Dr. Rusak-Köln: M. H.I Ich will es unter¬
lassen, nochmals auf die Aeußerungen des Vortragenden einzugehen bezüglich
der Notwendigkeit der Abänderung der Anzeigepflicht. Ich möchte nur be¬
tonen, daß die Notrufe der Kreisärzte über die durch die neuen Bestimmungen
geschaffene Lage auch an uns ergangen sind, sobald das neue Lehrbuch ein¬
geführt war. — Was die Vorschläge des Vortragenden anbetrifft, so meine
ich, es könnte nichts besseres an ihrer Stelle gefunden werden; gerade die
negative Fassung des zweiten Satzes erscheint mir sehr glücklich.
Ich möchte mir dann erlauben, noch auf die unvermuteten Revisionen
einzugehen. Im Regierungsbezirk Köln üben die Kreisärzte schon seit längeren
Jahren die unvermutete Kontrolle der Hebammen aus. Jeder Kreisarzt hat
die Pflicht, besonders bei Hebammen, deren Kenntnisse er als lückenhaft fest¬
gestellt hat, oder deren Verhalten bei ihrer geburtshilflichen Tätigkeit zu
Tadel Veranlassung gegeben hat, wenigstens einmal im Jahre eine unvermutete
Revision vorzunehmen. Diese unvermuteten Revisionen haben auch bei uns
ein Resultat ergeben, welches die unbedingte Notwendigkeit ihrer Beibehaltung
bewiesen hat. Was bei den Revisionen alles gefunden ist, will ich nicht im
einzelnen erörtern, ich schließe mich im großen und ganzen den Ausführungen
des Vortragenden an, sowohl was die Reinlichkeit der Hände, der Kleider und
des Körpers betrifft, als auch den Zustand und die Aufbewahrung der Instru¬
mente. Ich möchte auch warm die Forderung unterstützen, daß die Auf¬
bewahrung der Instrumente in einem besonderen Schranke zu geschehen hat,
vor allen Dingen möchte ich darauf aufmerksam machen, daß es sich auch um
die Aufbewahrung von Sublimatpastillen handelt.
Bezüglich des Sublimats möchte ich noch einige Bemerkungen machen.
Den Hebammen ist, wenn ich nicht irre, im § 114 des Lehrbuches vorge¬
schrieben, die Sublimatpastillen aus der Apotheke zu beziehen. Diese Be¬
stimmung ist halb und halb aufgehoben durch den Erlaß des Ministeriums,
nach dem es den Hebammen freigestellt ist, die Pastillen auch aus jeder
Drogenhandlung zu holen. M. H.! Wer da weiss, mit welchem Leichtsinn oft
32
Diskassion za dem Vortrage:
die stärksten Gifte von den Drogenhandlangen abgegeben werden, and wer
daran denkt, wie gern die Drogenhandlangen za wilden Apotheken aaswachsen,
der muß darum doppeltes Bedenken tragen, den Hebammen die Befugnis zu
geben, in anbeschränkter Zahl so starke Gifte, wie die Sablimatpastillen, aas
Drogenhandlangen za entnehmen. In unserem Bezirk Köln haben wir deshalb
die Anweisung erlassen, daß die Hebammen die Sablimatpastillen nur aus der
Apotheke beziehen sollen.
Zorn Schloß noch eine Bemerkung über den Vorschlag, den einer der
Herren Vorredner machte. Um die Anzeige der Erkrankungen an Kindbett¬
fieber an den Kreisarzt unter Beibehaltung der Vorschriften des neuen Lehr¬
buches zu sichern, wurde yorgeschlagen, daß die Hebammen in zweifelhaften
Fällen unter Umgehung des behandelnden Arztes, also hinter seinem Bücken,
den Kreisarzt nm Bat fragen sollen. Ja, m. H., wenn die Hebamme sich vor¬
sichtiger Weise an den Arzt wendet, und er sagt ihr, es ist kein Kindbett¬
fieber vorhanden, und wenn die Hebamme dann zum Kreisarzt geht, so wird
die nächste Folge eine Differenz zwischen der Hebamme und dem behandelnden
Arzt sein. Wenn der Arzt, oder wenigstens mancher Arzt merkt, die Heb¬
amme ist hinter seinem Bücken zum Kreisarzt gegangen, so wird die Folge
sein, daß er die Hebamme in seiner Klientel nicht wieder zu Entbindungen
rufen läßt.
Im übrigen möchte ich also den Vorschlägen, die der Vortragende in
seinen Leitsätzen wiedergegeben hat, zustimmen.
H. Kreisarzt Prof. Dr. Stolper*Göttingen: M. H.l Der H. Vortragende
hat seinen Aasführungen zugrunde gelegt das neue Hebammenlehrbach, ein
wirkliches Kunstwerk nach meiner Auffassung, das wie jedes Kunstwerk je
nach Geschmack recht verschieden beurteilt wird, das aber leider nicht von
allen gesehen und gelesen wird, von denen wir dies gerade wünschen müssen.
Und das ist der erste Punkt, aaf den ich hinweisen za müssen glaube. Wir
Kreisärzte müssen nämlich verlangen, daß alle Aerzte eine gründliche Kenntnis
des Hebammenlehrbuches haben. Dafür gibt es auch wohl einen gangbaren
Weg: Man möge in die Bestimmungen für das medizinische Staatsexamen be¬
züglich der Prüfung in Gebartshilfe eine Bestimmung einfließen lassen, dahin-
f ehend: es ist besonderer Wert aaf die Kenntnis des Hebammenlehrbaches bei
er Prüfang der Kandidaten za legen. Nun kann man ja dagegen einwenden,
wir können als Bürger des Deutschen Beiches das Examen überall ablegen,
das Lehrbuch gilt aber nur für den Bereich des Königreichs Preußen; doch ich
zweifle nicht, daß sich auch darüber irgendwie hinwegkommen läßt. Ich
brauche wohl nicht weiter zu begründen, warum wir Kreisärzte eine Be¬
stimmung wünschen müssen, daß alle Aerzte peinlich genaue Kenntnis von
dem Hebammenlehrbache haben müssen.
Ein anderer Pankt betrifft die Hebammen selbst. Ich meine, daß wir
als Kreisärzte alle deren materielle Besserstellung anstreben müssen. — Meine
Erfahrung ist ja nicht sehr groß — aber ich meine, bei der Anstellung von
neuen Hebammen müssen wir im Einverständnis mit den Herren Landräten
dahin wirken, daß wir günstige Vertragsverhältnisse der Hebammen mit den
Gemeinden herausschlagen. Außer den Bestimmungen über das Honorar iat
jedesmal gleich die Invalidenversicherung zu verlangen. Vor allen
Dingen aber ist hinzuarbeiten auf eine Vergrößerung der Hebammen-
Bezirke. Eine Hebamme, die nur 6 bis 10 Entbindungen jährlich hat, die
kann unmöglich ganz auf der Höbe der zu wünschenden Leistungsfähigkeit
stehen. Die Verwaltungsorgane tragen gelegentlich den oftmals höchst
egoistischen Wünschen der Gemeinden za sehr Bechnung, und das ist nicht
immer im Interesse der Hebang des Hebammenstandes.
Noch eins möchte ich hervorheben bezüglich des letzten Punktes des
Herrn Vortragenden. Er meint, man müsse eine staatliche Entschädigung der
Hebammen, sofern man sie saspendieren maß, irgendwie flüssig machen. Ja,
m. H., wir Aerzte stehen doch auf dem Standpunkte, wir können uns desinfi¬
zieren. Die Hebamme soll es aber auch können. Wenn ich mich selbst nun nach
gründlicher Desinfektion nicht für längere Zeit als infektiös ansehe, wie kann
ich von der Hebamme eine längere Entfernung von der Praxis verlangen ?
Verlangen muß ich nur von der Hebamme eine Desinfektion unter meinen
Augen; nur dann habe ich eine volle Garantie. Es darf nicht in der Weise
Die Verhütung and Bekämpfang des Kindbettflebers.
33
geschehen, wie ich es erlebt, daß der Hebamme schriftlich aufgegeben wird:
Sie haben sich nach Paragraph so und soviel zu desinfizieren. M. H.1 ln
solchen Pallen, wo es sich um ein Menschenleben handelt, da muß man selbst
dabei sein. Ich habe dann gleichzeitig Gelegenheit, festzustellen, ob die Heb¬
amme das Desinfizieren auch versteht. Ich lasse es im Krankenhause machen,
wo bessere Einrichtungen zu Gebote stehen; ich habe dann mehr Gewähr, als
wenn es die Hebamme zu Hause macht. Ich habe mich auch niemals auf den
Standpunkt gestellt, daß die Hebamme nur ihre Finger zu desinfizieren habe,
sondern es muß eine gründliche Desinfektion des ganzen Körpers — Bad —
und auch der Kleider stattfinden. Man muß die Hebammen mit großer Liebe
heranzuziehen suchen; dann wird man auch Freude haben an den schwierigen
Aufgaben, die uns das Hebammenwesen auferlegt.
H. Kreisarzt Dr. Hoch«-Geestemünde: M. H.I Der Vortragende sprach
zunächst über die Gefahr der Leitung der Entbindung durch die Aerzte; er hat
dabei jedoch einen Punkt nicht berücksichtigt, das ist die Frage der Leitung
der Entbindung ohne die Anwesenheit einer Hebamme. Erscheint zu häufiges
ärztliches Eingreifen an sich schon gefährlich, so vermehrt Bich diese Gefahr
noch ganz beträchtlich, wenn überhaupt eine Hebamme der Geburt nicht bei¬
wohnt. Der Arzt kann nicht den ganzen Gebartsverlauf überwachen, er muß
zwischendurch andere Kranke besuchen und kann dabei auch septische Fälle
nicht ausschließen. Als ich vor 2 Jahren in einer kleinen Broschüre »Arzt
und Hebamme“ auf die Gefahren dieser ohne Zuziehung einer Hebamme
vollendeten Entbindungen für die Kreißende hinwies, Gefahren, die um so be¬
denklicher erscheinen, wenn man bedenkt, daß nach einer auf meine Forderung
der regelmäßigen Zuziehung einer Hebamme seitens eines Hamburger Frauen¬
arztes erfolgenden zustimmenden, in der Hamburger Aerztekorrespondenz ver¬
öffentlichten Aeußerung, z. B. in Hamburg 1902 etwa ein Fünftel aller Ent¬
bindungen nur ärztlich geleitet ist, habe ich, offen gestanden, an diese der
Gefahr einer Verblutung der Kreißenden mindestens gleichartige Gefahr nicht
gedacht. Jetzt scheint mir aber auch zum Zwecke der Verhütung des Wochen¬
bettfiebers eine Bekämpfung der Sitte nur ärztlicher Leitung der Entbindungen
dringend geboten.
Zweitens noch etwas über die Lieferung der Desinfektionsmittel. Daß
die Hebammen die Desinfektionsmittel selbst bezahlen müssen, halte ich nicht
für gut. Alle Hebammen sollten die Mittel geliefert bekommen, denn sonst
fangen sie an, an Desinfektionsmitteln zu sparen. Wohin diese Sparsamkeit
führt, sehe ich in meinem Bezirke Kreis Geestemünde, wo die sämtlichen als
Bezirkshebammen angestellten Landhebammen, denen die Desinfektionsmittel
geliefert werden, trotz der Landarbeit, die sie nebenbei verrichten, regelmäßig
prozentual nur etwa die Hälfte der Fälle an Wochenbettfieber zu ver¬
zeichnen haben, wie die fast ausschließlich als Hebamme tätigen Stadtheb«
ammen, die sich die Desinfektionsmittel selbst beschaffen müssen.
Drittens habe ich noch etwas in dem neuen Hebammenlehrbuche vermißt
bei den Vorschriften über die Krankheiten von Matter und Kind, bei denen
die Hebamme dem Kreisarzt Meldung zu erstatten hat. Es fehlt die Melde¬
pflicht bei entzündlichen Nabelerkrankungen der Neugeborenen. Ein Teil
derselben wird wohl als Bose gemeldet werden, die Mehrzahl tritt aber
trotz der gleichen Uebertragungsgefahr nicht unter rosenartigen Erschei¬
nungen auf.
Ferner fehlen unter den Krankheiten, deren Auftreten bei der Hebamme
sich mit dem Ausüben der Praxis nicht verträgt, Hautkrankheiten, die einer¬
seits selbst übertragbar sind, anderseits mit sekundären Eiterungen einhergehen,
z. B. Krätze. Es fehlen auch die Krankheiten der von den Hebammen
gepflegten Tiere (Schweinepest, eiternde Wunden etc.) als Hindernis der
Ausübung der Praxis. Nach meiner Meinung sollten die Hebammen in allen
diesen Fällen nicht praktizieren dürfen.
Das wären die Punkte, die mir aufgefallen sind.
Geh. Med.-Bat Prof. Dr. Guttstadt« Berlin: M. H. I Was hier heute erörtert
worden ist, ist entschieden ganz wesentlich für die Bekämpfung des Kindbett¬
flebers. Es wird daher auch von Interesse sein, etwas über die statistischen
Unterlagen für diese Todesursache mitzuteilen. Aber bemerken möchte ich doch,
3
34
Diskussion za dem Vortrage:
daß die Frage der Verschaldang doch nicht aaf dem einfach statistischen
Wege za lösen ist, indem man nachweist, so viel Todesfälle entfallen aaf die
Hebammen, welche Eindbettfieber angezeigt haben, and so viel aaf die Aerzte,
welche in solchen Fällen zagezogen worden sind, and aas dem Nebeneinander¬
stellen der Zahlen dann den Schloß zieht, daß, weil verhältnismäßig mehr
Aerzte als Hebammen bei Kindbettfieberfällen tätig gewesen sind, die Aerzte
ein größeres Verschulden als die Hebammen trifft. Es maß vielmehr ein
Kausalnexus nachgewiesen werden. Die Aerzte werden ja meistens erst dann
geholt, wenn die Fälle ernst werden. Es müßte deshalb erst einwandfreies
Material herbeigeschafft werden, ehe man das Urteil aasspricht, and im In¬
teresse des Ansehens der Aerzte sind wir dazu verpflichtet, nicht so leicht
eine Verschuldung der Aerzte anzunehmen. Die Untersuchung, die der Herr
Kollege Dohrn über die Ursachen des Kindbettfiebers vorgefünrt hat, dürfte
empfehlenswert sein.
Was die Hebammen anbetrifft, die für den Beistand der Frauen im
Kindbett zar Verfügung stehen, so ist ja ganz natürlich, was heute aas¬
gesprochen ist, daß man doch an den Staat ganz andere Forderungen wegen
der Bezahlung za stellen hat als bisher; denn nur aaf diesem Wege wird es
gelingen, ein leistangsfähigeres Hebammenpersonal za bekommen.
Gegenüber der Definition des Kindbettfiebers, wie sie der Vor¬
tragende vorgeschlagen hat, möchte ich fragen, wie er den Vorschlag nasführen
will. Wenn die Hebamme schon, wenn sie „Fieber* festgestellt hat, ohne einen
Arzt za fragen, eine Anzeige „Kindbettfieber* beim Kreisarzt aasführt, glaube
ich, werden große Schwierigkeiten entstehen. Das Material über Entbindungen,
das mir aas Krankenhäusern Vorgelegen hat, verrät nicht allein Unsicherheit,
sondern auch eine Zögerung, die Diagnose auf Kindbettfieber za stellen, selbst
in den Kliniken. Sie werden erstaunt sein, wenn Sie in die anangenehme
Lage kommen, selbst zu entscheiden, ob Kindbettfieber nach der vorliegenden
Angabe vorhanden gewesen ist oder nicht. Aas diesem Grande glaube ich,
daß es verfrüht ist, schon jetzt einen Zwang aoszaüben in bezog aaf die
Definition des Wortes Kindbettfieber, wie es der Herr Vortragende vor¬
geschlagen hat.
Ueber die Todesfälle an Kindbettfieber möchte ich wegen der Sicher¬
heit der Angaben überhaupt folgendes bemerken: Im Jahre 1874 wurde die
standesamtliche Gesetzgebung eingeführt, dabei ist bekanntlich die Bezeichnung
der Todesursache im Gesetz abgelehnt, so daß das Protokoll des Standes¬
beamten über jeden Todesfall die Frage nach der Todesursache gar nicht ent¬
hält. Durch die historische Bedeutung der Statistik über die Bewegung der
Bevölkerung hat sich das preußische Ministerium veranlaßt gesehen, diese
Frage außerhalb des Protokolls doch beantworten zu lassen. Bei der Erörte¬
rung der ganzen Angelegenheit im Abgeordnetenhause ist V i r c h o w be¬
sonders eingetreten für die Aufnahme der Frage nachder Todesursache in
das Gesetz. Von juristischer Seite wurde dagegen hervorgehoben, das
könne nicht zulässig sein, weil die ärztlichen Angaben nicht zuverlässig
seien, die Mitteilung der Todesursache der Familie unangenehm sein könne
usw. Aus diesen Gründen ist die Bezeichnung der Todesursache nicht im
Gesetz verlangt.
Von Anfang an habe ich Material gesammelt, um die Notwendigkeit der
ärztlichen Leichenschau zu beweisen und eine Kontrolle der standesamt¬
lichen Angaben durch die Todesursache aoszaüben. Z. B. ist bei der Angabe „Im
Kindbett gestorben* auffällig die Altcrsangabe bei einer Person über 50 Jahre.
Bei der Untersuchung eines solchen Falles hat es sich herausgestellt, daß es
sich gar nicht um eine Frau gehandelt habe, sondern um einen Mann, der an
Delirium tremens gestorben istl Derartige Fälle sind natürlich in neuester
Zeit unter Mitwirkung der Kreisärzte verfolgt worden, und so liegt aus dem
Jahre 1904 folgender Fall vor: Es sollte eine Person im Kindbett gestorben
sein, die 67*/« Jahre alt war. Auf die Anfrage um genaue Aufklärung darüber
schrieb der Standesbeamte, die Frau ist 1846 geboren und ist infolge von
Kindbettfieber gestorben. Daraufhin erging an den zuständigen Kreisarzt die
Frage, daß das Alter doch auffallend sei usw. Schließlich kam heraus, daß
die Frau nicht 1846, sondern 1864 geboren war 1 Der Tod war nicht am Kind¬
bettfieber, sondern im Kindbett 8 Stunden nach der Entbindung erfolgt. Die
Oie Verhütung and Bekämpfung des Kindbettfiebers.
35
Fälle and noch andere Fälle beweisen, daß wir eine möglichst einwandsfreie
Statistik haben mttssen über die Todesursache. Es ist daher ein Landesgesetz
über ärztliche Leichenschau durchaus erforderlich.
Wollte man feststellen, ob die Todesfälle an Kindbettfieber vollständig
angegeben werden, so ergibt sich, daß nur ein Minimum vorliegen kann. Es
gibt Standesbeamte, die die Frage nach der Todesursache überhaupt nicht
beantworten. Bekanntlich bekommen sie für die Ausfüllung von je hundert
Zählkarten drei Mark bezahlt, aber trotzdem unterlassen sie die Beantwortung,
ln der neuesten Zeit wird die Mitwirkung der Kreisärzte auch in dieser Be¬
ziehung in Anspruch genommen. Selbst in den Städten, wo eine ärztliche
Leichenschau eingeführt ist, wird die Frage nach der Todesursache nicht be¬
antwortet bezw. nicht ausreichend beantwortet. Und nun tritt die Frage auf,
ob der Arzt verpflichtet ist, die Todesursache gewissenhaft
anzugeben? So ist in Hamburg vor Jahren ein Mädchen im Kindbett ge¬
storben; der betreffende Arzt hat sich veranlaßt gesehen, als Todesursache
nicht Kindbett anzugeben, sondern Krebs. Die Wahrheit ist nur dadurch
herausgekommen, daß Personen da waren, für die es wegen Erbschaft von
Wert war, festzustellen, daß das Mädchen ein Kind geboren hatte, ln Hamburg
wurde auf Grund dieses Falles angeordnet, daß derjenige Arzt, der eine falsche
Eintragung der Todesursache macht, mit einer Geldstrafe bis zu 3000 Mark
bestraft werden soll. In Preußen ist diese Angelegenheit noch nicht behörd¬
lich geregelt.
Auf Veranlassung des Kaiserlichen Gesundheitsamts sind wir seit 1893
bestrebt, die Todesfälle an Kindbettfieber mehr hervorzuheben. Bisher hatten
wir uns gesträubt, die Todesfälle an Kindbettfieber anzugeben, weil die Unter¬
lagen dafür nicht ausreichend erschienen; in der preußischen Statistik wurden
bisher'ermittelt die Todesursache: „Im Kindbett gestorben“, seit jener Zeit
wird hervorgehoben, „darunter an Kindbettfieber“. Als Fälle von Kindbett¬
fieber nach dem zweiten Vorschläge des Herrn Vortragenden solche Krank¬
heiten zu bezeichnen, bei denen ein Zusammenhang zwischen Fieber und vor¬
angegangener Entbindung nicht mit Sicherheit ausgeschlossen
werden kann, ist als Bestimmung nicht empfehlenswert; sie ist meiner Meinung
nach verfrüht.
H. Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Runge • Göttingen dankt dem Vorstand für
die Einladung, wodurch ihm, als Verfasser des Entwurfes des Preußischen
Hebammenlehrbuches Gelegenheit gegeben, sich über die angefochtenen Be¬
stimmungen über die Verhütung und Bekämpfung des Kindbettfiebers in dem
Hebammenlehrbuch zu äußern. Die Kommission, welche die Bestimmungen
getroffen hat, war in einer üblen Lage. Man hatte gehofft, daß die Aus-
führungsbestimmungen des Reichsseuchengesetzes für Preußen noch vor Er¬
scheinen des Hebammenlehrbuches durch den Landtag gehen würden. Da dies
aber nicht geschah, wurde der Kommission die Basis, auf welcher sie arbeiten
wollte, sozusagen in letzter Stunde entzogen, und man war genötigt, Be¬
stimmungen zu treffen, die nur einen vorläufigen Charakter haben sollten.
Daß diese nicht allen Anforderungen genügen würden, war vorauszusehen,
und eine Aenderung derselben dürfte sicher sein. Da die erste Auflage des
Hebammenlehrbaches bis auf einen kleinen Rest vergriffen ist, so hat der Herr
Minister bereits die Vorbereitungen zu einer zweiten Auflage getroffen. Da
inzwischen das Seuchengesetz wohl durch das Herrenhaus gegangen sein
wird, so hat die neue Kommission, die zur Bearbeitung der zweiten Auflage
demnächst Zusammentritt, eine leichtere und dankbarere Aufgabe, zumal die
Wünsche der Herren Medizinalbeamten in dem Vortrage des Herrn Kollegen
Kr oh ne und in der Diskussion klar zum Ausdruck gekommen sind und die
größte Beachtung verdienen.
H. Kreisarzt Dr. Krohne - Düsseldorf: M. H. I Ich möchte zunächst
meiner besonderen Freade darüber Ausdruck geben, daß wir heute Herrn Ge¬
heimrat Runge hier bei uns haben, und ich möchte ihm Dank sagen für seine
Ausführungen, die uns zeigen, welchen entgegenkommenden Standpunkt er in
dieser so ernsten Angelegenheit einnimmt.
Ich komme nun noch einmal auf den Kardinalpunkt, den der Herr
Geheimrat Guttstadt hier berührte,nämlich auf die Definition des Kind-
3*
36
Diskussion zu dem Vor trage:
bettfiebers! M. H., auch ich bin mir vollkommen darüber klar, daß die rich¬
tige Definition des Begriffes Kindbettfieber ein schwieriger Pnnkt ist, aber ich
g laube denn doch nicht, daß die schwierigen Konsequenzen, die Herr Geheimrat
•uttstadt befürchtet, mit der Annahme meines zweiten Leitsatzes eintreten
werden. Wir müssen nun einmal diese Frage lösen, wir müssen vor allem
praktische Arbeit schaffen; und wenn auch meine Definition anfechtbar ist, so
ist sie doch die einzige Definition, mit der wir in Zukunft die Unterdrückung
der Fieberanzeigen mit all ihrem Unglück verhüten können. Wenn wir eine
solche Definition, wie ich sie Ihnen vorschlage, nicht finden, können wir
solches Unglück in Zukunft jedenfalls nicht verhüten, und darauf kommt es
doch hauptsächlich anl Ich weiss jedenfalls nicht, wie wir es augenblicklich
anders machen sollen. Wir müssen und können nur sagen: Anzeigepflichtig
ist jedes Fieber, bei dem ein Zusammenhang zwischen Fieber und vorange¬
gangener Entbindung nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann. Damit
ist praktisch der Weg zu einer richtigen Kennzeichnung und Bekämpfung
des Kindbettfiebers gegeben, und wir werden dann auch damit zum Ziele
kommen. Das Ideal einer Definition des Wochenbettfieberbegriffes ist ja
nicht erreicht, aber unter den gegenwärtigen Verhältnissen ist es nach meiner
Ueberzeugunh doch des beste. Ich möchte Sie also dringend bitten, den Leit¬
satz anzunehmen.
Nun noch einiges bezüglich der Fortbildungskursei Ich weiß wohl
zu würdigen, daß die Sache Geld kostet — die ganze Hygiene ist ja eine Geld¬
frage — und wahrscheinlich werden die von mir gewünschten Fortbildungs¬
kurse auch daran scheitern, wenigstens in absehbarer Zeit. Vergessen wir
aber nicht, daß wir so viel Geld ausgeben für allerlei andere schöne Dinge
und für die Gesundheitspflege doch noch viel zu wenig! Die sechsmonatliche
Ausbildungszeit ohne spätere Fortbildungskurse beibehalten zu wollen, fällt
mir natürlich gar nicht ein; wir könnten aber die sechsmonatlichen Kurse bei¬
behalten, wenn wir alle 5 Jahre einen Fortbildungskursus für jede Hebamme
hätten. Im Bezirk Düsseldorf haben wir etwa 1200 Hebammen. Ueber 600
davon sind 45 Jahre alt, die würden plso schon fortfallen, es bleiben also noch
ca. 600—700 Hebammen übrig, das würden für Fortbildungskurse 160 Heb¬
ammen sein pro Jahr; wenn nun je 10 Hebammen zu einem mehrwöchentlichen
Kursus vereinigt würden, so würde sich in einem Jahre die Sache doch wohl
machen lassen, wäre also doch nicht unausführbar. Die ganze Sache ist eben
in erster Linie, das gebe ich zu, eine Geldfrage.
Ich möchte nun noch einiges bemerken zu dem, was Herr Geheimrat
Guttstadt sagte bezüglich der Zweifel an der Bichtigkeit meiner Statistik.
Ich gebe ihm ohne weiteres recht, daß der eine oder andere meiner Kindbett¬
fieberfälle zweifelhaft sein mag, aber ich glaube doch, daß es sich da nur um
ein Minimum handelt; denn eine genauere Statistik, als sie die Kreisärzte auf
Grund der in jedem einzelnen Falle angestellten Ermittelungen uns liefern,
können wir nicht haben, und auf diese Statistik der Kreisärzte muß ich mich
im allgemeinen verlassen können. Ich meine, die große Masse meiner Zahlen
läßt doch wohl gewisse Schlüsse zu, und wenn wir auch annehmen wollten,
daß nur 95°/ 0 meiner Ziffern einwandfrei sind, so dürften die von mir daraus
gezogenen Schlüsse doch im allgemeinen zutreffend sein.
Bezüglich der Bewertung des Hebammenlehrbuches möchte ich mich
im übrigen gern dem anschließen, was Herr Beg.-Bat Dütschke sagte. Es
ist zweifellos, daß die Abfassung eines Hebammenlehrbuches eine Sisyphusarbeit
ist, und wir können es nur anerkennend hervorheben, daß der Herr Verfasser
des neuen Hebammenlehrbuches diesem eine so klare Diktion, eine so leicht
verständliche Darstellung gegeben und die einzelnen Kapitel so trefflich aus¬
gewählt und angeordnet hat.
Dann möchte ich noch kurz darauf eingehen, was hier gesagt worden ist
über die Notwendigkeit der ärztlichen Leichenschau und die Schwierigkeit
der Feststellung des Kindbettfiebers. Ich gebe die teilweise Bichtigkeit
dessen zu, was Herr Geheimrat Guttstadt hierüber sagte, aber für den Haupt¬
punkt unserer Frage ist das nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Die Haupt¬
sache ist doch, daß die Erkrankungen gemeldet werdenI Wenn bei der
Statistik der Todesfälle einmal ein Fehler unterläuft, so ist das doch nicht so
schlimm, wenn nur wenigstens die Fälle, wo bei einer Wöchnerin Fieber vor-
Die Verhütung und Bekämpfung des Kindbettfiebers. ST
h&nden ist, rechtzeitig angemeldet und dann sofort die notigen Maßnahmen
getroffen werden; das ist die HauptsacheI
Nun noch weiter zu der Entschädigung für die Hebammen im
Sinne des dritten Leitsatzes. Ich habe schon durchblicken lassen, daß es das
beste wäre, Saspensionen der Hebammen gar nicht mehr vorzunehmen, und zwar
schon deshalb nicht, weil eine Suspension wirklich rechtlichen Zweifeln unterliegen
kann. Allerdings haben wir ja eine die Suspension der Hebamme anerkennende
Beichsgerichts - Entscheidung, und die Bestimmung ist jetzt auch in das neue
Seuchengesetz mit aufgenommen, so daß die Aufsichtsbehörde in Zukunft
zweifellos berechtigt ist, die Tätigkeit der Hebammen auf einige Wochen
zu suspendieren (Zuruf: aber nicht verpflichtet!). Nein, nicht verpflichtet, die
Behörde ist nur berechtigt, die Suspension auszusprechen. Nun werden Sie
mir doch zugeben, daß die Hebammen hierdurch gelegentlich an Einkommen
geschädigt werden, und die Furcht vor dieser Schädigung ihres Einkommens,
oder besser gesagt, die Furcht vor dem hier entscheidenden Kreisarzt ist eben
bei mancher Hebamme so stark, daß sie lieber keine Fieberanzeige macht, als
daß sie eine Suspension von ihrer Berufstätigkeit riskiert. Um den Hebammen
diese Furcht zu nehmen, müssen wir unbedingt dahin kommen, sie zu ent*
schädigen; wir könnten ja immer noch die Lücke offen lassen und sagen:
Wenn die Hebamme sich nachlässig benommen hat, so kann man die Ent*
Schädigung zurückhalten 1
Ich möchte Sie also nach alledem und mit Bücksicht auf das, was in
der Diskussion für meine Leitsätze gesagt ist,' bitten, die drei Leitsätze an¬
zunehmen.
H. Beg.- u. Geh. Med.-Bat Dr. Guertler-Hannover: M. H.! Ich möchte
doch glauben, daß wir zu der heutigen so wichtigen Frage bezüglich der Anzeige-
I »flicht bei Kindbettfieber ganz bestimmte Stellung nehmen müssen. Im wesent-
ichen entspricht das, was im Leitsatz 2 gesagt ist, dem was wir wünschen.
Zwar scheint eine Anordnung, wonach die Entscheidung darüber, ob bei einer
Erkrankung im Wochenbett Puerperalfieber oder Verdacht dafür vorliegt, dem
behandelnden Arzte überlassen, und von dessen Bestimmung die Anzeigepflicht
der Hebammen im allgemeinen abhängig gemacht wird, am nächsten zu liegen.
Wir haben aber aus den verschiedenen Ausführungen gesehen, daß das prak¬
tisch zu Unträglichkeiten führt, und daß wir uns nach den früheren Be¬
stimmungen, die der Hebamme bei Erkrankung einer Wöchnerin an Kindbett¬
fieber, Gebärmutter- oder Unterleibsentzündung, oder einer als solche verdäch¬
tigen Krankheit unter allen Umständen die Anzeige beim Kreisärzte vor-
schreiben, zurücksehnen. Wir werden deshalb gut tun, auf diese Bestimmung
des alten Lehrbuches wieder zurückzugreifen. Das geschieht aber, wenn wir
den Leitsatz 2 annehmen, in dem als anzeigepflichtig nicht allein die aus¬
gesprochenen, sondern auch die verdächtigen Fälle von Kindbettfieber bezeichnet
werden. Ich möchte mich deshalb dafür aussprechen, den Leitsatz 2 in seiner
jetzigen Fassung anzunehmen.
Was den Leitsatz 3 anbetrifft, so ist ja das Bestreben, den Hebammen,
die ihre Berufstätigkeit wegen eines in ihrer Praxis aufgetretenen Falles von
Kindbettfieber unterbrechen müssen, eine Entschädigung zukommen zu lassen,
gerechtfertigt. Die Frage, in welcher Weise und in welchen Fällen dies ge¬
schehen soll, erscheint mir aber durch die heutigen Verhandlungen noch nicht
genügend geklärt. Ich möchte deshalb auch in Hinsicht auf das zu erwartende
Ausführungsgesetz zum Beichsseuchengesetz und dessen Bestimmungen über
zu gewährende Entschädigungen, vorschlagen, heute über den Leitsatz 3 noch
keine Entscheidung zu treffen, sondern ihn dem Vorstande mit dem Ersuchen,
den in der heutigen Versammlung zum Ausdruck gelangten Wünschen und An¬
sichten Bechnung zu tragen, zur weiteren Veranlassung und Behandlung in
einer ihm geeignet scheinenden Weise zu überweisen.
Da sieb niemand mehr znm Wort gemeldet hatte, schliesst
der Vorsitzende die Diskussion nnd bringt die von dem Referenten
aufgestellten Leitsätze znr Abstimmung.
Leitsatz 1 wird ohne Widerspruch angenommen.
88
Dr. H&aae.
Zu Leitsatz 2 stellt H. Kreisarzt Dr. Berger-Hannover
folgenden Zusatzantrag:
„Jeder Fall yon Fieber im Kindbett ist dem Kreisarzt anzuzeigen.“
Bei der darauf folgenden Abstimmung wird dieser Antrag
abgelehnt und hierauf der Leitsatz 2 des Referenten an¬
genommen.
Zu Leitsatz 3 beantragt H. Reg.- u. Geh. Med.-Rat Dr.
Guertler-Hannover Ablehnung dieses Leitsatzes.
Bei der Abstimmung wird dieser Antrag abgelehnt und
danach Leitsatz 3 ebenfalls angenommen.
(Panse.)
Kurz nach 1 Uhr eröffnet der Vorsitzende wiederum die
Sitzung und ersucht die Teilnehmer an den Besichtigungen,
sich bald in die Listen einzuzeichnen, desgleichen zu der Fahrt
nach Hildesheim.
IV. Der preisslsehe Wnbnnngsgesetzentwurf vnm
gesundheitliches Standpunkte.
H. Med.-Rat Kreisarzt Dr. Haase - Danzig: M. H.! Bis
zum Ende des 18. Jahrhunderts galt in Preussen die ganze An¬
lage und Erweiterung einer Stadt als eine öffentliche rechtliche
Angelegenheit des Staates und war es bis ebendahin dem damals
herrschenden Merkantilsystem gelungen, hohe Mietspreise und
Wohnungsnot hintanzuhalten. Erst als im 19. Jahrhundert die
Privatspekulation einsetzte, änderte sich dieser Zustand, während
gleichzeitig das Bevölkerungsverhältnis zwischen Stadt und Land
sich völlig verschob. Obwohl das Prinzip der uneingeschränkten
Konkurrenz manche Fortschritte auf wirtschaftlichem Gebiete
brachte, so waren doch damit auch grosse Nachteile verbunden,
welche unter anderem in einem Übermässigen Entgegenkommen
der Bauordnungen gegenüber der Spekulation in die Erscheinung
traten. Indem der Preuss. Staat diese Nachteile erkannt hat und
die sich daraus ergebenden Erfahrungen zunutze macht, knüpft er
in dem beabsichtigten Gesetzentwurf an die weiter zurückliegende
Vergangenheit wieder an und tritt mit einer zielbewussten Woh¬
nungspolitik an eine der schwierigsten und wichtigsten volkswirt¬
schaftlichen und sozialhygienischen Aufgaben des 20. Jahrhunderts
entschlossen heran.
Die Wohnungsfrage, darüber besteht kein Zweifel, nimmt
immer dringender und umfänglicher die öffentliche Aufmerksam¬
keit in Anspruch, nicht zuletzt auch diejenige des Hygienikers.
Vielfach, wenn es gilt, wirtschaftliche, sittliche und gesundheit¬
liche Missstände zu beseitigen oder zu bessern, stossen wir bei
der Nachforschung nach deren Ursachen auf die Wohnungen als
Der preußische Wohnungsgesetzentwarf vom gesundheitlichen Standpunkte. 89
kausal mittätige Faktoren. Im Kampfe gegen den Alkohol, gegen
die Geschlechtskrankheiten, gegen die übertragbaren Krankheiten
überhaupt, gegen Unsittlichkeit und Verbrechen wird immer and
immer wieder der Ruf nach besseren Wohnungen erhoben und die
Ueberfüllung sowie gesundheitlich bedenkliche Beschaffenheit der
vorhandenen Wohnungen als gefährlich für die nationale und in¬
dividuelle Gesundheit erkannt. Diese gesundheitlich bedenklichen
Wohnungsverhältnisse betreffen vornehmlich die wirtschaftlich
schwächeren, die minderbemittelten Berufsstände, welche auch
sonst wegen der bescheideneren Aufwendungen für die Pflege des
Körpers in der Erhaltung ihrer Gesundheit den wirtschaftlich
Bessergestellten gegenüber im Nachteile sind.
Aus dieser Erkenntnis heraus und zur Abschwächung be¬
ziehentlich Verhütung der dem Einzelnen wie der Staatsgemein¬
schaft drohenden Gefahren ist das Bestreben zur Besserung der
wohnlichen Zustände der Minderbemittelten seitens vieler sozialer,
wirtschaftlicher und hygienischer Interessenkreise auf die Tages¬
ordnung erhoben worden und von dieser nicht mehr ver¬
schwunden. Ich erinnere nur an die Verhandlungen des Deutschen
Vereins für öffentliche Gesundheitspflege aus den letzten drei
Jahrzehnten. Diese sowohl, wie die Bestrebungen anderer, ähnlich
wirkender Vereine führten aber zu einem durchgreifenden und er¬
folgreichen Ergebnis nicht, ebensowenig wie die in gleicher Rich¬
tung sich bewegenden Versuche aus der Reihe grösserer Gemein¬
wesen. Wegen der fruchtlosen Anstrengungen privater und kom¬
munaler Kreise sah sich schliesslich bei dem Fortbestände der
Wohnungsmisere der Staat genötigt, selbst helfend aufzutreten
und die Materie für den Umfang der ganzen Monarchie zu regeln.
So entstand der Wohnungsgesetzentwurf, welcher vor einiger Zeit
bekannt gegeben ist.
Wegen der ausserordentlich grossen Verschiedenheit hin¬
sichtlich des Klimas, der Wohlhabenheit, der Arbeits- und Erwerbs¬
verhältnisse, der Bevölkerungsdichtigkeit, der Sitten, Gebräuche
und Gewohnheiten in den verschiedenen Provinzen der Monarchie
ist es erklärlich und verständlich, dass ein die Wohnungsfrage
umfassendes Gesetz sich im wesentlichen nur in allgemeinen
Gesichtspunkten festlegen kann und die Einzelausführungen Sonder¬
polizeiverordnungen überlassen muss, d. h. nur ein Rahmengesetz
sein kann, welches bestimmte, für das ganze Staatsgebiet anwend¬
bare Grundsätze und Mindestforderungen aufstellt. Und ein solches
Gesetz bezweckt der neue Entwurf. Er greift hinein in die
Boden- und Bauspekulation, in die Boden- und Baupolitik der
Kommunen, in die Tätigkeit des Baugewerbes und besonders ein¬
schneidend in das Wohnungsvermietungsgewerbe. Gerade des
letzteren Umstandes wegen hat er bereits manche Opposition aus
den in Betracht kommenden Kreisen erfahren. Wir aber wollen
unabhängig von spekulativen und Sonderinteressen allein vom
gesundheitlichen Standpunkte den Entwurf einer Betrachtung
unterziehen und dabei sine ira et Studio, keinem zu Liebe und
keinem zu Leide verfahren.
40
Dr. Haue.
Der Entwarf versucht zunächst die Wege zu bahnen fflr den
vermehrten Ban von Kleinwohnungen, sodann diese so billig als
möglich den Interessenten zu verschaffen und schliesslich auch die
hygienischen Verhältnisse zn bessern. Er zerfällt in sechs Artikel,
betreffend: I. Baugelände nnd Strassenkostenbeiträge; II. Bebau¬
ung der Grandstücke; III. Bau- und Grnndabgaben sowie Be¬
steuerung; IV. Benutzung der Gebäude; V. Wohnungsaufsicht;
VI. Schluss- undUebergangsbestimmungen. Von diesen interessieren
den Hygieniker am meisten Artikel IV (Benutzung der Gebäude)
und Artikel V (Wohnungsaufsicht). Jedoch enthalten auch Artikel I
(Baugelände und Strassenkostenbeiträge), sowie Artikel II (Be¬
bauung der Grundstücke) manche gesundheitlich nicht gleichgültige
Neuerung.
Artikel I — Baugelände und Strassenkostenbei¬
träge — trifft in bezug auf das Fluchtliniengesetz vom 2. Juli
1875 einige wesentliche Aenderungen. Will man die Wohnungs-
Verhältnisse bessern, so muss man dem Wohnungsbedürihis Rech¬
nung tragen. Das tut der neue Entwurf, indem er neben den
bis jetzt im Fluchtliniengesetz allein zulässigen Rücksichten des
Verkehrs, der Feuersicherheit und öffentlichen Gesundheit auch
diejenige auf das Wohnungsbedürfnis zufügt und der Polizei¬
behörde die Handhabe gewährt, diesen Standpunkt mit Erfolg zu
vertreten. Ferner war bisher nur eine hinter der Strassenflucht-
linie nicht über 3 m zurückweichende Baufluchtlinie nachgelassen.
Dieses Mass war nicht selten bereits wesentlich überschritten
worden. Der Gesetzentwurf lässt zweckmässigerweise jede Mass-
bestimmung hinsichtlich des Zurttckweichens der Baufluchtlinie
fallen und sagt nur im allgemeinen: Aus besonderen Gründen
kann eine hinter die Strassenfluchtlinie zurückweichende Bauflucht¬
linie festgesetzt werden. Im praktischen Sinne bedeutet dies,
dass Raum für möglichst grosse Vorgärten geschaffen werden kann
da, wo es der Polizeibehörde angezeigt erscheint. Da hiermit
gleichzeitig eine Verbreiterung der Entfernungen zwischen den
gegenübergelegenen Strassenfronten der Häuser ausgesprochen ist,
wird auch die Versorgung der Wohnungen mit Licht nnd Lnft
eine bessere und damit diese Bestimmung eine gesundheitlich
nützliche sein.
Ferner schreibt der Artikel I vor, dass bei der Aufstellung
des Bebauungsplanes auch genügend zahlreiche und grosse freie
Plätze für gärtnerische Anlagen, zu Spiel- und Erholungszwecken
vorgesehen werden. Diese Plätze haben für grössere Städte die
Bedeutung von Luftreservoiren, deren Luft durch keine .an Ort
und Stelle befindliche industrielle Anlagen verunreinigt wird und
daher möglichst rein in die einmündenden Strassen und deren
Häuser mit Wohnungen abfliessen kann. Ferner ist nicht zu ver¬
gessen, dass eine, wenn auch nur bescheidene Baum-, Str&uch-
und Pflanzenvegetation auf Plätzen und Strassen für den Stadt¬
bewohner von erheblichem gesundheitlichen Werte ist, da sie wohl¬
tuend und beruhigend auf Auge und Gemüt einwirkt. Die Anlage
von Spielplätzen zieht die Kinder von der Strasse fort und wird
Der preußische Wohlrangsgesetzentwurf vom gesundheitlichen Standpunkte. 41
so die Häufigkeit der durch den Verkehr bedingten Unfälle herab¬
mindern. Wünschenswert für die Erhaltung dieser als „Stadt¬
lungen“ wichtigen Plätze wäre eine Bestimmung im Gesetzentwurf,
dass dieselben später nicht etwa durch Bebauung verkleinert
werden dürfen. Wir sehen diesen Vorgang in manchen Gross¬
städten, welche Luftplätze durchaus nötig haben, in hygienisch
allzunachgiebiger Weise unter dem Drucke finanzieller Schwierig¬
keiten sich entwickeln, um durch Hergabe von Bauterrain Kapital
zu gewinnen. — Auch dass Baublöcke von geringerer Tiefe nur
für Wohnzwecke und Strassen von geringerer Breite als sog.
Wohnstrassen (im Gegensatz zu den Verkehrsstrassen) vorgesehen
werden können, wenn die Rücksicht auf das Wohnungsbedürfnis
es verlangt, ist eine gesundheitlich unterstützende Bestimmung.
Es kann dadurch dem Bauen von Hinterhäusern und der über¬
mässigen Ausnützung des Hofterrains ein Riegel vorgeschoben und
so der Spekulation die Möglichkeit genommen werden, diese
Terrains auf Rechnung der Mietspreise abnorm in die Höhe zu
treiben. Nützlicher wäre allerdings die Zulassung einer rück¬
wärtigen Baufluchtlinie für Baublöcke zu Wohnzwecken,
durch welche das Bebauen des Hofterrains über eine gewisse
rückwärtige Grenze hinaus ausgeschlossen und die Schaffung von
grossen Hofluftschachten, vielleicht mit Gartenanlagen in der
Mitte, als Luftreservoire für die Hinterräume der Wohnhäuser er¬
möglicht wäre. Gerade die Belüftung dieser Räume ist in alten
Städten wegen zu dichter und umfänglicher Bebauung der Boden¬
grundfläche in einwandfreier Weise nicht möglich und daher die
Entstehung ähnlicher Zustände in modernen Wohngegenden unter
allen Umständen zu vermeiden. Die Festsetzung einer rück¬
wärtigen Baufluchtlinie würde den Bau von jetzt leider so viel
angelegten Hof- und Quergebäuden und damit eine abnorme Aus¬
nützung des Bauterrains unmöglich machen und der ungesunden
Preissteigerung des Bodens entgegenwirken.
Weiter sieht der Entwurf die rechtzeitige Erschliessung
von Baugelände zu Wohnzwecken und die Fertigstellung
von Ortsstrassen vor, wodurch in umsichtiger Weise die Fragen
der Wasserversorgung, der Abwässerung und Beleuchtung bei
Zeiten geregelt werden können.
Schliesslich sucht der Artikel I das Kapital und die Baulust
gerade für solche Wohngebäude zu mobilisieren, welche minder¬
bemittelten Familien gesunde und zweckmässig eingerichtete
Wohnungen bieten sollen, indem für solche Gebäude die Strassen-
kostenbeiträge nur zu einem Teile und zwar höchstens zu drei
Vierteln erhoben werden sollen. Diese Erleichterung soll einen
Anreiz gerade für den Bau solcher Wohnungen für Minderbemittelte
abgeben, für welchen wegen des öfteren Wechsels der Mieter, der
grösseren Abnutzung der Gebäude und des eher zu besorgenden
Ausfalles der Miete nicht überall und zu allen Zeiten besondere
Neigung besteht. Vom sozialhygienischen Standpunkte ist diese
finanzielle Erleichterung des reichlicheren Bauens von Wohnungen
für Minderbemittelte als gerechtfertigt und verständig anzuerkennen.
42
Dr. Haase.
Der Artikel II — Bebauung der Grundstücke —
sieht vor, dass nunmehr durch die Bauordnungen, welche seitens
der Polizeibehörden im Rahmen des Gesetzes erlassen werden, die
bauliche Ausnutzbarkeit der Grundstücke nach Zonen
festgesetzt werden kann mit dem Charakter der geschlossenen, offenen
oder gemischten Bauweise, wodurch besonders in der Peripherie der
Städte Wohngebäude mit wenigen Stockwerken und reichlichem
Luft- und Lichtzutritt geschaffen werden können. Ebenso wichtig
ist die Anordnung, dass Industrie- und Gewerbebetriebe ans
gewissen Ortsteilen, Strassen und Plätzen ganz verwiesen werden
können, wenn sie durch Verbreitung übler Dünste, durch starken
Rauch oder ungewöhnliches Geräusch Gefahren, Nachteile oder
Belästigungen für die Nachbarschaft oder das Publikum überhaupt
herbeizuführen geeignet sind. Es gibt diese Möglichkeit bau¬
polizeilicher Anordnung die Handhabe zur Schaffung gesonderter
Industrie- und Wohnviertel und zeigt den Weg, die mit
schädlichen oder lästigen Einwirkungen auf die Umgebung ver¬
bundene Industrie weit nach draussen an die Grenzen des Gemein¬
wesens zu verweisen und so die Innenbezirke davon zu säubern.
Wer Erfahrungen über die gesundheitsgefährdenden Einwirkungen
hat, welche aus dem Bestehen industrieller oder kleingewerblicher
Anlagen inmitten geschlossener Häuserblocks besonders in alten,
engen Stadtteilen resultieren, wer ferner weiss,wie schwer es unter
Umständen ist, solche Anlagen zu beseitigen, wird diese von einer
einsichtigen Gemeindeverwaltung prophylaktisch wahrzunehmende
hygienische Bevollmächtigung gern begrtissen. Auch die weitere
Bestimmung, dass durch die örtliche Bauordnung der Verputz und
Anstrich oder dieAusfugung der vornehmlich Wohnzwecken die¬
nenden Gebäude geregelt werden kann, ist von gesundheitlichem
Wert. Wer häufig Untersuchungen über die Bewohnbarkeit von
zum Aufenthalt von Menschen bestimmten Räumen vorzunehmen
Gelegenheit gehabt bat, wird in Uebereinstimmung mit den von
mir in meiner Abhandlung über gesundheitswidrige Wohnungen 1 )
niedergelegten Erfahrungen die Beobachtung gemacht haben, dass
durch mangelhaften oder fehlenden Verputz oder ebensolche Aus-
fugung Wohnungen gesundheitsgefährdende Eigenschaften gewinnen
können. Das Bauhandwerk nimmt hiervon keine Kenntnis, be¬
streitet vielmehr nach meiner persönlichen Erfahrung direkt den
Nutzen von Mauerverputz. Auch ein greller Farbenanstrich von
Wandflächen ist imstande, bei Sonnen- oder heller Tagesbeleuch¬
tung das Sehorgan der Bewohner von Räumen, welche auf von
solchen grell beleuchteten Wänden reflektiertes Licht angewiesen
sind, empfindlich zu erregen und durch Hervorrufung nervöser
Störungen die Gesundheit zu gefährden.
Der Artikel III, betreffend Bau- und Grundabgaben
*) „Gesundheitswidrige Wohnungen und deren Begutachtung vom Stand¬
punkte der öffentlichen Gesundheitspflege und mit Berücksichtigung der deut¬
schen Reichs- nnd preußischen Landesgesetzgebung.“ Berlin 1905. Verlag von
Julius Springer.
Der preußische Wohnungsgesetzentwarf vom gesundheitlichen Standpunkte. 43
sowie Besteuerung, hat für den Hygieniker eine unmittelbare
Bedeutung nicht.
Dagegen ist der Artikel IY von erheblicher Wichtigkeit,
welcher im wesentlichen allgemeine Vorschriften über die
Benutzung von Gebäuden zum Wohnen und Schlafen als
sog. Wohnungsordnung zu seinem Inhalt hat. Der Entwurf
bestimmt im § 1, dass fftr Gemeinden und Gutsbezirke mit mehr
als' 4 10000 Einwohnern solche Wohnungsordnungen erlassen werden
mft88en, für kleinere Gemeinden und Gutzbezirke dagegen nur
erlassen werden können. Diese Unterscheidung der Gemeinden
und Gutsbezirke nach der Einwohnerzahl lässt sich bezüglich der
kleineren Gemeinwesen unter 10 000 Einwohnern durch hygienisch
bessere Verhältnisse nicht begründen. Man darf daraus nicht
etwa den Schluss ziehen wollen, dass in den kleineren Städten,
Dörfern und Gutsbezirken von 10000 Einwohnern abwärts die ge¬
sundheitlichen Verhältnisse hinsichtlich der Anlage und Beschaffen¬
heit der Wohnungen befriedigendere wären als in den grösseren
Plätzen. Wer die Verhältnisse in Stadt und Land, im Osten und
Westen, im Norden und Süden unseres Vaterlandes kennt, weiss,
dass das Land im Durchschnitt keineswegs günstiger bezüglich
der Wohnungszustände der Minderbemittelten steht. Die fakulta¬
tive Ueberlassung der Aufstellung einer Wohnungsordnung hiesse
daher die gesundheitlichen Zustände kleinerer Städte und des
Landes, welche sowieso nicht an diejenigen der aus eigener Ini¬
tiative hygienisch vorwärtsstrebenden grösseren Städte heran¬
reichen, willkürlich und ohne hinreichenden Grund in der auch
ihnen notwendigen Entwicklung aufhalten. Man rühmt dem Lande
immer die freie Umspülung seiner Wohnstätten mit reichlich Licht
und reiner Luft nach, vergisst aber dabei, dass nicht nur Er¬
wachsene und Gesunde auf dem Lande wohnen, sondern auch
Kinder, Alte, Gebrechliche und Kranke, dass diese den grösseren
Teil des Jahres wegen des rauhen Klimas im Freien sich nicht
aufhalten können und dass Licht und Luft wegen mangelhafter
baulicher Anlage und Einrichtung der Wohnungen nicht ungehindert,
letztere oft nur durch den Hausflur in diese eindringen können.
Daher ist vom gesundheitlichen Standpunkte die einheitliche Be¬
handlung der Wohnungsverhältnisse auf dem Lande, in kleinen und
grossen Städten darch die gleichmässige Einreihung in die Woh¬
nungsordnung zu befürworten und dies um bo unbedenklicher, als
im § 10 von den Ortspolizeibehörden zuzulassende Ausnahmen
genügend vorgesehen sind. Dasselbe gilt auch für die Be¬
stimmung, dass die Wohnungsordnungen den in den §§ 3 bis 10
niedergelegten Mindestforderungen entsprechen müssen. Wenn im
§ 3 ausgesprochen wird, dass als Wohn- und Schlafränme, auch
Küchen nur solche Räume benutzt werden dürfen, welche zum
dauernden Aufenthalte von Menschen baupolizeilich genehmigt
sind, so ist hier zunächst zwecks Verhütung späterer missbräuch¬
licher Benutzung von Räumen zu wünschen, dass die als bewohn¬
bar zagelassenen Räume im Baukonsens ausdrücklich und unzwei¬
deutig als solche namhaft gemacht werden.
44
Dr. Haase.
Der § 4 der Wohnungsordnung bestimmt, dass Ißetswoh*
nungen folgenden Anforderungen genügen müssen:
,1. Die Wohn- und Schlaf räume, auch Küchen dürfen nicht baulich
verwahrlost und nicht in gesundheitsschädlicher Weise feucht »an; sie muasen
einen durch keine fremden Wohn- oder Schlafräume (auch Küchen) funren en,
verschließbaren Zugang haben. . .
2. Wohnungen für eine gemeinschaftliche Haushaltung von zwei o<i
mehr Personen (Familienwohnungen) müssen eine den ortsüblichen Anforderungen
entsprechende eigene Kochstelle, einen eigenen, verschließbaren Abort nnd, so¬
weit in dem Gebäude Kanalisation oder Wasserleitung eingerichtet ist, einen
eigenen Ausguß und einen eigenen Wasserhahn besitzen.
3. Die Wohn- und Schlafräume (auch Küchen) müssen insgesamt den
Bewohnern soviel Baum bieten, daß auf jede Person mindestens 10 cbm Lult-
raum und 4 qm Bodenfläche entfallen; für Kinder unter 10 Jahren Können
geringere Anforderungen festgesetzt, auch kann vorgesehen^ werden, daö
infolge der Geburt oder des Heranwachsens von Kindern während der llauer
des Mietsverhältnisses cintretende Erhöhung des erforderlichen Mindestluit- nm
Mindestflächenraumes außer Betracht bleibt.
4. Die Wohnung muß so viel Räume enthalten, daß, abgesehen von üJie-
paaren, die über 14 Jahre alten Personen nach dem Geschlecht® getrennt in
besonderen Bäumen schlafen können.“
Diese Bestimmungen wären, wenn sie zum Gesetz erhoben
würden, vom gesundheitlichen Standpunkte mit Freuden zn be-
grüssen, weil dann alle die jetzt noch zum Wohnen benutzten
Spelunken verschwinden oder durch Vorschriften]ässigen Umban
gebessert werden würden. Die Forderungen eines gesonderten
Zugangs, einer eigenen Kochstelle, eines eigenen verechliessbaren
Aborts und zutreffendenfalls einer eigenen Wasserzapfstelle und
eigenen Ausgusses sind von wesentlicher sanitärer Bedeutung. Im
Kampfe gegen die übertragbaren Krankheiten müssen wir zwecks
Verhütung ihrer Weiterverbreitnng die peinliche Absonderung der
Kranken und der dieselben Räume mit ihnen teilenden Umgebung
verlangen, ebenso das Fernhalten der letzteren, soweit zutreffend,
von Schul- nnd Konfirmandenunterricht, von beruflicher Betätigung,
vom öffentlichen Verkehr, können aber bei den jetzigen Wohnnngs-
verhältnissen häufig nicht hindern, dass Scharlach, Masern, Diph-
theritis, Ruhr, Darmtyphus usw. wegen gemeinsamen Wobnnngs-
zugange8, gemeinsamer Benutzung von Küche und Abort von den
Angehörigen einer Familie auf solche einer anderen übertragen
werden. Was helfen alle Absperrungsmassnahmen, wenn die
Menschen zur gemeinsamen Benutzung von Küche und Abort durch
solche Wohnungen gezwungen werden! — Befindet sich noch
dazu das Kloset in der Küche selbst, vielleicht sogar in nächster
Nähe des Kochherdes, dann wächst das gesundheitliche Bedenken
zur Gesundheitsgefahr. Wiederholt konnte ich in solchen ab¬
normen Fällen beobachten, dass Ess- und Kochgeräte wegen
Mangel an Raum oder bequemer Lage des offenstehenden Klosets
anf die Sitzpl&tte des letzteren gelegt resp. gestellt wurden. Aus
diesen Gründen werden wir vom gesundheitlichen Standpunkte
nicht nur einen eigenen Abort befürworten, sondern dem Entwurf
den Znsatz hinznfügen, dass dieser Abort ansserhalb der Küchen
nnd ohne unmittelbaren Zusammenhang mit Wohn- nnd Schlaf¬
räumen belegen sein muss.
Der preaßUehe Wohnangsgesetzentwarf 70 m gesundheitlichen Standpunkte. 45
Die im Entwarf zum Ansdrack gebrachten Eigenschaften
einer ungeeigneten Wohnungsbeschaffenheit (Verwahr¬
losung und gesundheitsschädliche Feuchtigkeit) sind nicht er¬
schöpfend genug. Es gibt noch eine ganze Anzahl anderer ge¬
sundheitsschädlicher Momente, welche die Bewohnbarkeit in Frage
stellen, z. B. Luftverderbnis ans gesundheitlich nachteiliger Be¬
schaffenheit der Wohnung selbst (durch Zersetzungen im Fehl¬
boden, reichliche Schimmelbildung, Hausschwamm, gasige Ema¬
nationen aus fehlerhaft angelegten Aborten usw.), ferner Ungeziefer,
fehlende Verbindung mit der Aussenluft, mangelhafte oder fehlende
Belichtung, Infektiosität wegen Benutzung als Aufenthaltsranm
für ansteckende Kranke durch die vorgängigen Bewohner, fehler¬
hafte bauliche Beschaffenheit nnd Anlage u. dgl. mehr. Um alle
diese gesundheitsgefährdenden Möglichkeiten unter der Ziffer 1
des § 4 im Artikel IV zu berücksichtigen, empfiehlt es sich, in
Uebereinstimmung mit den rechtlichen Festlegungen des allgemeinen
Landrechts (im Teil II, Titel 17, § 10) und des § 544 Bürger¬
lichen Gesetzbuches als untauglich zum Bewohnen alle diejenigen
Wohnungen zu bezeichnen, welche in einem verwahrlosten oder
die Gesundheit gefährdenden Zustande sich befinden; dann würden
auch viele Kellerwohnungen verschwinden. Diese Feststellung zu
machen, wäre Aufgabe der im Artikel V vorgesehenen Wohnungs-
aufseher.
Der uns noch interessierende § 4 des Artikel IV stellt
gewisse Mindestforderungen an Luftmass und Boden¬
fläche (10 cbm nnd 4 qm) für den Bewohner fest, eine Nor-
miernng, welche wir für genügend erachten können. Der Bedarf
an Ventilationsquantum beträgt für den Erwachsenen pro Stunde
32 cbm Frischluft, das ergibt bei zweimaligem Luftwechsel in
der Stunde jedesmal 16 cbm. Dieser LufWechsel erfolgt durch
freiwilliges Oeffnen von Türen nnd Fenstern oder durch die luft¬
durchlässige Beschaffenheit der uns umgebenden Wohnungsflächen.
Da die Menschen sich aber nicht andauernd und nicht immer in
gleicher Zahl in demselben Wohn- oder Schlafraume aufhalten, ist
das Luftmass mit 10 cbm als hinreichend zu erachten. Dagegen
ist die zahlenmässige Festlegung von mindestens 10 cbm Luft¬
raum und mindestens 4 qm Bodenfläche nicht geeignet, einer za
geringen Höhe der Räume entgegenzutreten und die in manchen
Gressstädten, z. B. Berlin, Danzig, bestehenden Hängeböden und
Zwischenetageh (Entresols) zu beseitigen. Soll z. B. ein von
einer Person benutzter Raum 10 cbm Luftinhalt haben, so ist
dies bei vorhandener reichlicher Bodenfläche möglich, z. B. bei
5 qm bezw. 6 qm Bodenfläche und 2 bezw. 1,67 m Höhe. Dass
diese Höhe aus hygienischen Gründen zu gering ist, leuchtet ohne
weiteres ein. Deshalb ist den Mindestforderungen für Luftraum
nnd Bodenfläche pro Person hinzuzufügen eine Mindestforderung
von nicht unter 2,5 m Raumhöhe. Diese Höhe gewährleistet, dass
sich die Personen jederzeit aufrecht in dem Raume bewegen
können, dass eine zweckmässige Anbringung der Fensteröffnungen
möglich ist nnd dass alle unter dieser Höhe befindlichen zur
46
Dr. Haase.
Zeit benutzten Wohnräume von der Bildfläche verschwinden
würden.
Die gleichen Anforderungen hinsichtlich der Grösse und
gesundheitszuträglichen Beschaffenheit werden auch für die
Schlafräume der Dienstboten und Gewerbegehilfen sowie der Ein¬
logierenden gestellt, desgleichen für die zum Wohnen besonders
vermieteten oder weitervermieteten Teile einer ursprünglich nur
für eine Familie bestimmten Wohnung. Es ist dieser Vorschlag
von erheblicher gesundheitlicher Tragweite, da gerade die Räume
für die Dienstboten und Gewerbegehilfen fast durchweg unzuläng¬
liche sind, während der Dienstberechtigte nach § 618 B. G. B.
gehalten ist, für den Dienstverpflichteten in Ansehung des Wohn-
und Schlafraumes diejenigen Einrichtungen und Anordnungen zu
treffen, welche mit Rücksicht auf die Gesundheit und Sittlichkeit
erforderlich sind.
In § 10 des Artikels IV wird die Zulassung von Ausnahmen
hinsichtlich der Einführung von Wohnungsordnungen, der Koch¬
stellen und Aborte, der Schlafräume der Zimmermieter und der
Räume für die Familienangehörigen, Dienstboten und Gewerbe¬
gehilfen vorgesehen, eine Rücksicht, welche während der Ueber-
gangsjahre sicher wohlwollend empfunden werden wird, aber nicht
zu weitgehend sein darf.
Im § 11 wird die Zulässigkeit von Polizei-Verordnungen,
betreffend gesundheitliche Massnahmen zur Unterbringung von
Arbeitern, (Sachsengängern, Schnittern, Industriearbeitern) zum
Ausdruck gebracht.
Der Artikel V behandelt die Wohnungsaufsicht. Diese
bleibt, unbeschadet der allgemeinen gesetzlichen Befugnisse der
Ortspolizeibehörden, im Einzelfalle einzuschreiten, dem Gemeinde¬
vorstand überlassen. Derselbe hat sich von den Zuständen im
Wohnungswesen fortlaufend Kenntnis zu verschaffen, auf die
Fernhaltung und Beseitigung von Missständen sowie auf die
Verbesserung der Wohnungsverhältnisse, namentlich der Minder¬
bemittelten, hinzuwirken und die Befolgung der Vorschriften
der Wohnungsordnung zu überwachen. Zur Durchführung dieser
Aufgaben sollen für Gemeinden mit mehr als 100000 Einwohnern
Wohnungsämter errichtet werden; für kleinere Gemeinden kann
durch Anordnung der zuständigen Minister gleichfalls die Errich¬
tung von solchen oder die Anstellung von vorgebildeten, beamteten
Wohnungsaufsehern bestimmt werden. Im übrigen interessiert
dieser Artikel uns nicht. Hervorzuheben ist nnr noch aus § 5
die Bestimmung, dass den Regierungspräsidenten zur Ausübung
der Aufsicht über die Tätigkeit der Gemeinde- und Ortspolizei¬
behörden, soweit sich dazu ein Bedürfnis ergibt, besondere Woh¬
nungsaufsichtsbeamte beizugeben sind. Hierbei erscheint es
nicht überflüssig, zu bemerken, dass diese Beamten hygienisch vor¬
geschult sein müssen und nicht etwa rein technische Bau- oder
Gewerbebeamte allein sein dürfen. Desgleichen sollen die mit
der Wohnungsaufsicht betrauten Personen in geeigneter Weise
vorgebildet sein; denn es sind gerade bezüglich der gesundheit-
Der preußische Wohnungsgesetzentwarf vom gesundheitlichen Standpunkte. 47
liehen Bewertung von Wohnungen eine Menge Gesichtspunkte zu
berücksichtigen, welche nicht ohne weiteres selbstverständlich oder
naheliegend sind, sondern sich aus, wenn auch einfacher, so doch
wissenschaftlicher hygienischer Vorbildung und Ueberlegung er¬
geben. Diese Vorbildung könnte etwa in ähnlicher Weise geschehen
wie diejenige der Desinfektoren an den Desinfektorenschulen.
Für kleinere Gemeinwesen würden sich auch die Gesundheits-
kommissionen als geeignete Aufsichtsstellen empfehlen, da in ihnen
der beamtete Arzt als Hygieniker sein Wissen und seine Er¬
fahrung zur Verfügung stellen kann.
Soll die Absicht des Entwurfs, nicht nur den Wohnungs¬
mangel zu bekämpfen, sondern auch gesunde Wohnungen für die
Minderbemittelten zu schaffen, sich erfüllen, dann ist vor allem
notwendig, zu verhüten, dass nicht gesundheitlich zu beanstandende
Wohnungen von neuem errichtet werden. Dies ist nur möglich
durch eine gründliche Revision der Bauordnungen, nicht aber
allein durch Juristen und Bausachverständige, sondern vornehmlich
unter Mitwirkung der Hygieniker. Das heutige Bauhand¬
werk baut meist nur unter den Gesichtspunkten der Standfestig¬
keit, Feuersicherheit und Rentabilität; es macht sich kein Nach*
denken über die Einwirkung der von ihm geschaffenen Wohnräume
auf die Gesundheit der Bewohner. Wer viel mit diesen Dingen
zu tun hat, ist erstaunt, wie durch bauliche Mängel in der An¬
lage der Gebäude und Verteilung der Räume sich bei deren
gemeinüblichen Benutzung gesundheitsgefährdende Zustände ent¬
wickeln. Wie den meisten Menschen durch die ihnen aufge¬
drungene Gewohnheit, so ist auch gerade den Angehörigen des
Bauhandwerks die Vorstellung noch eine fremde, dass der Bau
und die Anlage des modernen Wohnhauses unter ernster Berück¬
sichtigung gesundheitlicher Gesichtspunkte vor sich gehen muss,
denen diejenigen der Standfestigkeit und Feuersicherheit nicht
über-, sondern nebengeordnet sein sollen. Mit der Anerkennung
dieser Forderung wird die Rückständigkeit in dem Bau gesunder
Wohnhäuser aufhören. Solche lassen sich mit demselben Bau¬
material, mit derselben Arbeitsleistung, demselben Baukapital und
derselben Bauzeit aufführen, wie gesundheitlich von vornherein
falsch angelegte. Daher hygienisch bessere Ausbildung der Bau¬
techniker und Bauhandwerker und vermehrte Berücksichtigung
der Hygiene in den Bauordnungen!
Es war vorauszusehen, dass dieser Entwurf vor den Augen
der Hauseigentümer wenig Gnade finden würde. Der Hausbesitzer,
soweit er Vermieter ist, hat im Durchschnitt das vornehmste In¬
teresse an möglichst hohen Mietserträgen; wie die von ihm an
andere überlassenen Wohnräumlichkeiten auf die Gesundheit der
Bewohner einwirken, ist ihm mehr oder weniger gleichgültig.
Ihn hier vor unliebsamen, auch jetzt schon durch das allge¬
meine Landrecht und Bürgerliche Gesetzbuch zulässigen Klagen
auf Schadenersatz zu schützen, ist Aufgabe der hygienisch
besser zn schulenden Bantechnik. Ein Gleiches wird der Ge¬
setzentwurf tun, indem die Wohnungsaufsicht derartige gesund-
48
Dr. Hasse.
heitlich za beanstandende Wohnungen auffinden und die Woh¬
nungsordnung sie so verbessern wird, dass sie sowohl dem
zukünftigen Wohnungsgesetze, wie dem Allgemeinen Landrecht
und Bürgerlichen Gesetzbuch genügen. Die Hausbesitzer werden
unter der Aera des neuen Gesetzes ruhigere Zeiten erleben und
viele Unannehmlichkeiten sowie finanzielle Schädigungen, welche
sie jetzt haben können, nicht erfahren. Wie wenig Verständnis
aber für gesundheitliche Fragen in diesen Freisen vorhanden ist,
geht aus der Resolution hervor, welche der Generalsekretär des
Berliner Bundes auf dem 8. Verbandstage städtischer Haus- und
Grundbesitzer vereine am 19. März 1905 in Berlin zur Annahme
empfahl. In dieser Resolution, in welcher die Verbesserung der
Wohn Verhältnisse als erstrebenswertes Ziel, der vorliegende Gesetz¬
entwurf zur Erreichung desselben aber für ungeeignet erachtet
wird, wurde zunächst bemängelt, dass das Gesetz eine rück¬
wirkende Kraft, welche für die Beseitigung der zahlreich bestehen¬
den gesundheitlichen Missstände doch so überaus heilsam und not¬
wendig ist, haben sollte, ferner, dass für jede Familienwohnung
ein eigener Abort, eine eigene Kochstelle und ein eigener Ausguss
vorhanden sein soll. Es erübrigt, hierüber vom Standpunkte des
Hygienikers ein Wort zu verlieren; ich habe mich schon vorher
darüber geäussert. Der Schlusssatz der Resolution, dass eine Ver¬
besserung der Wohnverhältnisse zweckmässig nur unter Mitwir¬
kung der städtischen Hausbesitzer in die Wege geleitet und durch¬
geführt werden kann, hat insofern Recht, als die Hausbesitzer
zutreffendenfalls mit ihren Mietshäusern dabei beteiligt sein müssen,
gibt aber im übrigen unter Berücksichtigung der Erfahrungen
aus dem verflossenen Jahrhundert zu begründeten Zweifeln Ver¬
anlassung, weil alle privaten und Vereinsbestrebungen bisher nur
vereinzelt und lokal etwas geholfen, allgemeine Fortschritte für
das Wohnungswesen aber nicht gezeitigt haben. Daher ist es so
richtig, dass der Staat eingreifen will und ähnlich wie bei anderen
Gewerben, z. B. bei denjenigen mit Herstellung, Aufbewahrung
und Verkauf von Nahrungsmitteln betätigten, jetzt auch das Woh¬
nungsvermietungsgewerbe beaufsichtigen und die zahlreichen schäd¬
lichen Auswüchse desselben beschneiden will. Wer Mietswoh-
nungen zum Zwecke des Erwerbs errichtet, feilbietet und an
andere überlässt, soll jetzt nicht mehr blos Standes- und feuer¬
sicheren, sondern auch gewissen gesundheitlichen Anforderungen
genügen. Einsichtige, die Gesundheit ihrer Mitmenschen ihrem
Geldbeutel nicht skrupellos unterordnende Staatsbürger werden
die Berechtigung des staatlichen Eingreifens anerkennen und den
Gesetzentwurf als wohltätigen Ordner gesundheitlich ungeordneter
Verhältnisse begrüssen.
Die Annahme dieses grosszügigen Entwurfs als Gesetz würde
für Preussen nicht nur einen wesentlichen hygienischen, sondern
auch kulturellen Fortschritt bedeuten, und diejenigen, welche sich
mit der Prüfung desselben an verantwortlicher Stelle zu befassen
haben werden, werden diese Prüfung nicht nur unter dem Ge¬
sichtswinkel des praktischen Bedürfnisses, sondern auch von einem
Der preußische Wohnungsgesetzentwurf vom gesundheitlichen Standpunkte. 49
erhöhten sittlichen Standpunkte vorzunehmen haben, um unter
Zurückdrängung selbstsüchtiger und materieller Erwägungen der
körperlichen und geistigen Gesundheit ihrer minderbemittelten
Nächsten zum Rechte zu verhelfen.
M. H.! Ich bin am Ende meiner Ausführungen und möchte
das Ergebnis der hygienischen Betrachtungen über den Wohnungs¬
gesetzentwurf in folgende Leitsätze zusammenfassen:
1. Der preussische Wohnungsgesetzentwurf bedeutet einen
einschneidenden sozialhygienischen Fortschritt. Seine Annahme als
Gesetz ist vom gesundheitlichen Standpunkte wünschenswert, da
er geeignet ist, die wesentlichen, zur Zeit vorhandenen gesund¬
heitlichen Missstände im Wohnungswesen zu beseitigen.
2. Um die Errichtung neuer, die Gesundheit der Bewohner
gefährdender Wohnräume zu verhüten, ist es notwendig, dass die
Angehörigen der Bautechnik und des Bauhandwerks neben ihrer
spezialtechnischen auch die erforderliche hygienische Vorbildung
erfahren und dass bei der Abfassung von Bauordnungen ausser
dem Juristen und Techniker auch der Hygieniker gleichwertig
beteiligt wird.
3. Es ist wünschenswert, in das Gesetz nachfolgende Zu¬
sätze bezw. Aenderungen aufzunehmen:
a. Oeffentlich angelegte oder im Stadtbebauungsplan vorge¬
sehene Plätze dürfen durch spätere Bebauung nicht
verkleinert werden.
b. Um die Errichtung von Hofwohnungen möglichst einzu¬
schränken und möglichst grosse Hoflufträume innerhalb
geschlossener Baublocks zu gewährleisten, ist die Fest¬
setzung einer rückwärtigen Baufluchtlinie eistrebenswert.
c. Die zu Wohn- und Schlafzwecken, auch Küchen zugelassenen
Räume sind im Baukonsens ausdrücklich als solche zu be¬
zeichnen.
d. In der Wohnungsordnung (§ 4, Ziffer 1) ist statt: „Die
Wohn- und Schlafräume, auch Küchen dürfen nicht baulich
verwahrlost und nicht in gesundheitsschädlicher Weise
feucht sein“, zu setzen: „Die Wohn- und Schlafräume,
auch Küchen dürfen nicht baulich verwahrlost oder nicht
in gesundheitsgefährdendem Zustande sein“.
e. In demselben § 4 ist in Ziffer 8 neben dem Mindestluft¬
raum von 10 cbm und der Mindestbodenfläche von 4 qm
pro Person eine Mindestraumhöhe von nicht unter 2,5 m
festzusetzen.
f. Wohnungsordnung und Wohnungsaufsicht sind für Stadt
und Land, unabhängig von der Bewohnerzahl, obligatorisch
einzuführen.
(Lebhafter Beifall.)
Vorsitzender: Ich eröffne die Diskussion:
H. Kreisarzt Dr. Berger -Hannover: M.H.1 Die Wohnungsfrage nimmt
ja in dem Bahmen der Wohlfahrtspflege eine sehr große Bedeutung ein, und
mit Becht; denn die Wohnungsfürsorge greift in die mannigfachsten Gebiete
über, wie die Bekämpfung des AlkohoUsmus, der Geschlechtskrankheiten usw.,
4
50
Diskussion sn dem Vorträge:
also wir werden gleichzeitig mit der Besserung der Wohnungsfrage auch auf
dem Gebiete der Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten, der Tuberkulose und
des Alkoholismus weiter kommen. Nun ist aber, m. H., zu berücksichtigen,
daß auch die Schule ein großes Interesse an der Wohnungsfrage hat. Die
Schule kann jedoch den WohnungsVerhältnissen nur die nötige Aufmerksamkeit
zuteil werden lassen durch Vermittelung des Schularztes, und es ist, wenn
wir in der Wohnungsfrage weiter kommen wollen, meines Erachtens dringend
notwendig, daß der Schularzt überall eingeführt wird.
H. Prof. H. Chr. Nussbaum - Hannover: M. H.1 Verzeihen Sie, wenn
ich als Nichtmitglied der Versammlung hier das Wort ergreife. Es handelt
sich um Dinge, die mein besonderes Forschungsgebiet berühren. Mit den Aus*
ftthrungen des Herrn Beferenten kann ich mich in fast allen Punkten einver¬
standen erklären. Besonders habe ich mich gefreut, daß der Herr Referent
die Forderung der rückwärtigen Baufluchtlinie aufgestellt hat, ein
Anspruch, der schon vor Jahren von mir in den Vordergrund gestellt worden ist.
Was die Frage des Mauerverputzes und der Ausfugung betrifft, so
möchte ich lieber sehen, wenn der Gesetzentwurf allgemeiner gefaßt würde,
z. B. sagte, die Wetterseite der Häuser bedarf dos Schutzes gegen Schlagregen.
Eine Bestimmung, welche sagt, die Wand maß verpatzt sein, ist wertlos; denn
ein Verputz kann ebensowohl durchlässig, wie undurchlässig für die Nieder¬
schläge sein. Eine Bestimmung, die sagt, jede Wetterseite (also bei uns haupt¬
sächlich die West- und Nord Westseite) muß gegen das Eindringen der Nieder¬
schläge geschützt werden, ist dagegen als eine dringende Notwendigkeit zu
betrachten. Nach meinen Untersuchungen hat sich nämlich feststellen lassen,
daß der Innenverputz aller Wände, die nach Westen oder Nordwesten liegen,
zu gewissen Jahreszeiten stets wieder unzulässig hohe Wassermengen enthält.
Vielfach fand ich, daß der Innenputz solcher Bäume nach anhaltendem Begen
mehr als 2%, nicht selten sogar 8 °/ 0 Wasser enthielt.
Ich möchte weiter beanspruchen, daß allgemein für die Baumhöhe nicht
feststehende Zahlen, sondern Verhältniszahlen auf gestellt werden, die zur Ent¬
fernung der Fensterwand von der gegenüberliegenden Wand in Abhängigkeit
stehen. Meine Ansicht geht nämlich dahin, daß die Baumhöhe mindestens
gleich */1 der Entfernung der Fensterwand von der gegenüberliegenden Wand
sein muß, wenn eine ausreichende Belichtung zustande kommen soll. Je ge¬
ringer jene Entfernung ist, um so niedriger darf ein Baum sein, während tiefe
Zimmer einer großen Höhe bedürfen.
Was ferner die Erklärung der Gesundheitsschädlichkeit einer
Wohnung anbelangt, so kann man dabei kaum vorsichtig genug sein. Die Ge¬
sundheitsschädlichkeit muß wirklich vorliegen, nicht nur angenommen werden, son¬
dern nachweisbar sein. So habe ich als Gutachter vor Gericht einen eigentümlichen
Fall erlebt. In einem teueren Schauladen war durch Zementmörtel vor Jahren
die Tapete derart zerfressen, daß man den Eindruck erhielt, als sei die Wand
mit Schimmelpilzen bedeckt, während sie frei von ihnen und völlig trocken sich
erwies. Dieser Baum war auf Grund jenes Eindrucks für gesundheitsschädlich
erklärt worden, ohne daß der zuständige Medizinalbeamte eine Untersuchung
der wirklichen Sachlage für erforderlich erachtet hatte. Derartige Dinge sind
natürlich geeignet, die Medizinalpolizei in Mißkredit zu bringen. Ich möchte
daher dringend warnen, mit der Erklärung der Gesundheitsschädlichkeit vor¬
eilig vorzugehen. Auch in den von Hausschwamm und anderen Holzkrankheiten
heimgesuchten Bäumen ist nicht immer eine Gesundheitsschädlichkeit vorhanden,
vielmehr oft nur eine Reparaturbedürftigkeit, die binnen weniger Tage sich
beseitigen läßt.
Vor allen Dingen freue ich mich, daß der Herr Referent die Forderung
der hygienischen Ausbildung der Techniker in den Vordergrund seiner
Ausführungen gestellt hat. Heute können zwar die Studierenden auf den tech¬
nischen Hochschulen bereits das lernen, was sie an Hygiene für ihren Beruf
brauchen, aber nur wenn sie es wollen. Die Hygiene ist kein obligatorisches
Fach und kein Prüfungsfach, während sie für alle technischen Berufszweige
ein wichtiges Erfordernis ist, wichtiger wie mancher mathematische Gegen¬
stand. Die hier erörterten Angelegenheiten würden eine ganz wesentliche
Förderung erfahren, sobald die Bauhygiene und die Gewerbehygiene zu Gegen¬
ständen der Prüfung erhoben würden; denn dann erst werden sie von der
Oer preußische Wohnungsgesetzentwurf vom gesundheitlichen Standpunkte. 61
Mehrzahl der Studierenden gewürdigt werden. Mit der Zahl unserer Hörer
können wir Professoren der Hygiene zwar durchaus zufrieden sein. Aber
gerade diejenigen sind nicht unter ihnen, welche der hygienischen Schulung
am meisten bedürfen. Viele und große Mängel werden aus dem Bauwesen
verschwinden, sobald dereinst die Hygiene ein Prüfungsfach geworden ist.
H. Kreisarzt Prof. Dr. Stolper - Göttinnen: M. H. 1 Aus meiner zwar noch
geringen kreisärztlichen Erfahrung glaube ich auf folgende Punkte hinweisen
zu müssen. Es ist mir wiederholt von Privatleuten die Aufforderung geworden,
ich sollte mich über eine Wohnung äußern, ob sie gesundheitsschädlich
in dem gegenwärtigen Zustande sei oder nicht. Unsere Dienstanweisung ent¬
hält jedoch nichts, wie wir uns hierbei zu verhalten haben. Nun habe ich
mir gesagt: was bei einer Wohnung in Frage kommt, kann ich ohne wei¬
teres allein nicht feststellen, und so habe ich in Göttin gen den Modus einge¬
führt, (laß ich nur in Verbindung mit dem Stadtbauamt in derartigen Fällen
zur Verfügung stehe. Ich glaube, daß ist ein Modus, der in der Praxis gute
Erfolge zeitigt, vor allen Dingen bei den unangenehmen Prozessen, die Bich hier
oft entspinnen. Der Hygieniker kann wirklich nicht allein beurteilen, ob die
Wohnung gesundheitsschädlich ist. Das können wir als Aerzte doch immer
nur mit großer Reserve tun; deshalb verlange ich stets den Bausachver¬
ständigen dazu, der sich besonders über die Gründe der Wandfeuchtigkeit
äußert und mit dem ich mich gleich mündlich darüber einige, was wir im Termin
begutachten werden. Eine vorläufige Mitteilung unserer Meinung an die
Interessenten verhütet in den meisten Fällen den sonst unausbleiblichen Prozeß.
Ich möchte dieses Verfahren ganz besonders empfehlen.
Dann noch etwas über die Wohnungsfrage. Da sind die Verhältnisse
ungemein verschieden, je nachdem man es mit großen Städten zu tun hat oder
mit Landkreisen. Ich möchte aber noch auf eine Mittelsorte hinweisen, auf
die V ororte mittelgroßer Städte. Da gibt es Vororte, die zwar bei weitem
hygienisch nicht so ungünstig sind, wie etwa die bei den ganz großen Städten,
aber auch sie bedeuten für die städtische Hygiene oft eine ganz bedeutende
Gefahr. Dorthinaus zieht der Arbeiter, weil er billiger zu wohnen wähnt.
Hier können sich nun, wenn nicht scharfe baupolizeiliche Bestimmungen da
sind, recht unhygienische Verhältnisse entwickeln. Auch diese Orte mit 2000
oder 3000 Einwohnern in unmittelbarer Nachbarschaft kleinerer Mittelstädte
haben gute praktische hygienische und strengste baupolizeiliche Bestimmungen
nötig. Zahlreiche Wohnungen sind auch dort kasernenartig untergebracht;
Wasserleitung fehlt; ein Bebauungsplan wird nicht eingehalten. Viele Wohn¬
häuser sind unmittelbar aneinander gebaut, nur ein schmaler Spalt ist da¬
zwischen. Der Regen fällt mit Sicherheit in diesen engen Spalt hm und näßt
die Wände; die Sonne kommt dagegen nicht hinein, und infolgedessen sind
dort die Wände stets feucht.
Ein anderer Punkt! Der Herr Vortragende hat betont, daß für jede
Familie ein Abort vorhanden sein müsse. Diese Bestimmung des neuen Woh¬
nungsgesetzentwurfes ist durchaus zu empfehlen als hygienisch vorteilhaft.
Wir dürfen uns aber bei diesem hygienischen Wunsche von der Wirklichkeit
doch nicht allzuweit entfernen. Ich kann mir gar nicht denken, daß es Bich
praktisch durchführen läßt, daß in großen Arbeiterkasernen jede Familie mit zwei
oder auch drei oder vier Personen ihren eigenen Abort haben kann. Dadurch
würden sich die Baukosten doch beträchtlich erhöhen, und das dürfen wir doch nicht
wünschen. Wir dürfen die Kostenfrage nicht aus dem Auge lassen; es ist
auf dem Frankfurter Wohnungskongreß auch m. E. sehr richtig betont worden,
daß der Arbeiter verhältnismäßig mehr ausgeben muß für seine Wohnung, als
der besser Situierte; das ist zahlenmäßig erwiesen. Wir sollen keinesfalls
mehr als ein Fünftel unseres Einkommens für die Wohnung ausgeben,
aber wenn Sie beim Arbeiter nachrechnen, werden Sie finden, daß er tatsäch¬
lich oft erheblich mehr ansgeben muß, ganz besonders natürlich überall da,
wo die Bodenpreise so hoch sind, wie in großen und mittleren Städten.
Ich meine, da wird es schwer halten, solche Bestimmungen, wie die eines
besonderen Abortes für jede Familie, durchzuführen.
H. Kreisarzt Dr. Hoehe • Geestemünde: M. H. I Ich möchte auf einen
Punkt aufmerksam machen, der noch nicht genügend berücksichtigt worden
ist, das ist die Frage der Unterbringung von Kindern zusammen
4 *
62
Diskussion za dem Vortrage:
mit Erwachsenen. Die Altersgrenze für Kinder ist da aal 14 Jahre fest¬
gesetzt; dies ist meines Erachtens viel za hoch. Mag es non zum Teil
auch daran liegen, daß in Hafenorten, wie in meinem Bezirke sehr viel Ge¬
sindel zusammenströmt, welches sich dann za erheblichem Teile dauernd dort
ansiedelt, jedenfalls kommen dort sehr viel Sittlichkeitsvergehen vor and ganz
besonders Vergehen an Mädchen von 11—12 Jahren, die sich freiwillig gegen
Zahlung von 10—20 Pfennigen geschlechtlich gebrauchen lassen. Die Sobald
daran liegt neben dem theoretischen Unterricht in geschlechtlichen Dingen,
den die in fast jeder Arbeiterwohnang offen ausliegenden Naturheilbücher, be¬
sonders Platen, erteilen, zweifellos in dem Zusammenschlafen der schon za
gewitzigten Kinder mit Erwachsenen. Die Altersgrenze müßte eben niedriger,
höchstens auf den Ablauf des elften Lebensjahres gesetzt werden.
H. Kreisarzt Dr. Steinberg-Hirscbberg: M. H. 1 Gestatten Sie mir, kurz
darauf aufmerksam zu machen, daß ganz dieselben Mißstände, die H. Professor
Stolper vorhin bezüglich der Vororte unserer Großstädte schilderte, sich
auch überall auf dem Lande entwickeln können; besonders gilt dies für die
Nähe großer Fabriken. Der Unternehmer sieht sich vielfach gezwungen, zur
Unterbringung seiner Arbeiter Wohnhäuser zu errichten, und baut unter Um¬
ständen aus Sparsamkeitsrücksichten Mietskasernen, die jeder Hygiene
spotten. Mir ist eine solche bekannt, die in vier Stockwerken 200 Personen,
darunter etwa 100 Kinder, beherbergt. Wasserversorgung, Abtritte and Lüf¬
tung der langen Mittelkorridore lassen fast alles zu wünschen übrig. Dabei
stehen für den starken Verkehr — einige Bäume dienen als Warenlager —
nur zwei Haustüren zur Verfügung. Von den Bausachverständigen wurde das
Haus nicht beanstandet; eine Abänderung ist aber leider aus finanziellen
Gründen zurzeit nicht angängig. Besonders gefährlich ist ein Scuchenaus-
bruch in solchen Häusern, zumal dadurch auch die Nachbarschaft zum Mit¬
leiden kommt. Namentlich Diphtherie und Scharlach werden immer wieder zur
Verseuchung der Ortschaft, Schuschluß usw. Anlaß geben.
Ich möchte deshalb dafür plädieren, der Entwickelung beregter Mi߬
stände dadurch vorzubeugen, daß mindestens für Mietskasernen auf dem
Flachlande strengere baupolizeiliche Vorschriften — durch Schaffung von
Grenzzahlen — gegeben werden.
H. Kreisarzt Med.-Bat Dr. Haase-Danzig: M. H.t Ich bin dem Herrn
Prof. Nussbaum zu großem Dank verpflichtet, daß er zu meinen Ausführungen
seine Zustimmung gegeben hat. Hätte ich, Herr Professor, gewußt, daß Sie
hier anwesend wären, so hätte ich gewiß gern darauf hingewiesen, daß Sie der
erste gewesen sind, der auf die rückwärtige Baufluchtlinie hingewiesen
hat. Hinsichtlich des Mauerverputzes füge ich mich gern Ihren ver¬
bessernden Vorschlägen an, daß also die Wetterseite gegen Schlagregen ge¬
sichert werden muß. Daß aber der Schutz der Wetterseite notwendig ist, habe
ich bei meinen Besichtigungen vielfach festgestellt; ich könnte Ihnen da mit
einer großen Anzahl Beobachtungen aufwarten. So war in einem Falle im Laafe
der Jahre die nach Westen gelegene Giebelwand ihres Mauerverputzes entkleidet
und so den Einflüssen des Schlagregens ausgesetzt. Durch Zeugenaussage war
gerichtlich festgestellt worden, daß diese Wohnung bereits 10 Jahre von dea
Vorbewohnern benutzt worden war, ohne daß eine gesundheitsschädigende
Wirkung sich bemerkbar gemacht hatte. Als die neuen Mieter einzogen,
hatten sie das Unglück, im Frühjahr einzuziehen, dem ein feuchter Sommer
folgte, das war im Jahre 1903, wo wir in Danzig kaum einen Tag hatten, wo
es nicht regnete. Es trat an der Wand an der Außenseite eine Durchfeuchtnng
ein, wodurch zuerst der Kleister der Tapete und dann die Tapete selbst aa-
f efeuchtet wurde; und nun entwickelte sich eine überreiche Schimmel Vegetation,
ie eine große Ausdehnung nahm und sich auf die angrenzenden Wandflächen
übertrug. In dem Prozeß standen sich das Gutachten des Hygienikers and
des Bausachverständigen gegenüber. Der letztere sagte: das ist nur durch
ungeeignete Benutzung der Wohnung hervorgerufen; der Hygieniker wies auf
den fehlenden Mauerputz hin und erlebte es da zu seiner Ueberraschnng, daß
in dem nächsten Termin drei Bausachverständige und ein Arzt erklärten, ein
Mauerverputz sei ganz gleichgültig für den gesundheitlichen Zustand in einem
Hause. Deshalb freue ich mich, daß im Wohnungsgesetz-Entwurf ein Verputz
vorgesehen wird.
Der preußische Wohnangsgesetzentwurf vom gesundheitlichen Standpunkte. 68
Die Nachweisung der Gesundheitsschädlichkeit ist außerordentlich
schwierig; wir besitzen dafür sehr wenig positive Anhaltspunkte. Aber wer
sehr viel mit Wohnungsbesichtigungen zu tun hat, wird die Erfahrung machen,
daß seitens der Mieter, welche auf sehr verschiedenen Stufen geistiger Bildung
und hygienischer Ansprüche stehen und in ihren ganzen Lebensverhältnissen
einen differenten Standpunkt einnehmen können, doch immer und immer wieder
dieselben Klagen einlaufen, Klagen über die Einwirkung der gesundheitsschäd¬
lichen Einflüsse ungesunder Wohnungen. Da ist es so außerordentlich wichtig,
daß wir nicht nötig haben, bereits vorhandene Schädigungen festzustellen, die
sofort zu merken sind, sondern daß es genügt, vorausschauend eine Gesund¬
heitsgefährdung in Erwägung zu ziehen, falls die Wohnung den Keim zu Krank¬
heiten bilden kann, selbst wenn diese erst dann eintreten, nachdem die Leute
die Wohnung längst verlassen haben. Ich habe eine solche Einwirkung selbst
feststellen können, wo der Zwischenraum des Füllbodens mit zersetzungslähigem
Material ausgefüllt war. Es waren da als Dielungsmaterial Bretter mit Nägeln-
durchschlägen verwandt worden; diese Nägellöcher waren nicht wieder gedichtet
worden, so daß gasige Emanationen direkt in das Zimmer eintreten konnten.
Der Abschluß des Füllbodens fehlte besonders auch an der Ummantelung der
Türpfosten. Sowie man sich einige Minuten in dem Zimmer aufhielt, war es nicht
möglich, darin zu sprechen, die Kehle wurde einem gleichsam zusammen geschnürt;
weiter stellten sich Kopfschmerzen und nervöse Erscheinungen ein, so daß der
Aufenthalt in dem Zimmer zur Unmöglichkeit wurde. Ich ließ dann die Wohnung
lüften, die Tür aufmachen usw., es dauerte dann zwar nicht lange, bis die Innenluft
ersetzt und momentan die Beschwerden verschwunden waren, aber nach viel¬
leicht 5—10 Minuten war die Erscheinung wieder vorhanden. Wieder trat das
zusammenschnürende Gefühl auf, und zwar am meisten in der Nähe der Tür
und in der Nähe des Fußbodens. Es war gar keine Frage, daß hier der Füll¬
bodeninhalt die schädigenden Einwirkungen verursachte.
In einem anderen Falle bestand die Füllung des Füllbodens aus frischem
Gaskalk. Da wurde gesagt, hier sind die Mieter schuld, die nicht genügend
lüften. Ich meine aber, das ist doch eine starke Zumutung. Besonders unan¬
genehm waren diese Erscheinungen, wenn draußen Begen einsetzte, die Boden¬
luft durch den Fttllbodenaufstieg und der Kohlensäuregehalt die Umsetzungs¬
vorgänge in demselben beförderte. Es bildete sich Schwefelzyan und Schwefel¬
ammon, und die Gase traten mit aufdringlicher Geruchswahrnehmung in die
Wohnung ein. Wir wollen ja nicht sagen, daß das sofort gesundheitsschädlich
ist, aber bei einem dauernden Aufenthalt ist es bei einer solchen baulichen
Beschaffenheit sicher, das Gesundheitsschädigungen eintreten müssen.
Weiter freue ich mich auch, daß Herr Prof. Nuss bäum anerkannt hat,
daß eine bessere hygienische Vorschulung der Bautechniker notwendig
ist. Die Baukunst muß dem Bauhandwerk gewisse Rücksichten an die Hand
geben; es muß aber auch dem Bauhandwerk klar werden, daß gewisse gesund¬
heitliche Rücksichten genommen werden müssen. Es ist von mir z. B. in Danzig
gefunden worden, daß manche Mauern nach der Wetterseite zu dünn gebaut
waren und diese nun, wenn die Wohnungen einige Wochen bewohnt waren, feucht
und schimmelbedeckt wurden; es bildete sich Kondenswasser und die Bewohner
mußten heraus, denn es bestand eine gesundheitliche Gefahr nach § 10, Teil II,
Titel 17 des allgemeinen Landrechts. Die Wohnung wurde also geräumt. Nach
4—8 Tagen wurde die Wand trocken, die Schimmelbildung fiel ab und die Wohnung
wurde wieder bewohnt. Dann ging die Sache aber wieder von neuem los, und
das wiederholte sich mehrere Male. In einem anderen Falle war in einem
Neubau eine unheizbare Kammer an der Wetterseite; natürlich wurde auch
dieser Raum feucht; cs trat eine schädigende Wirkung ein, so daß es nicht
möglich war, sich in diesem Raume andauernd aufzuhalten. So lange der
Baubandwerker nicht bessere Regeln erhält, werden diese Zustände auch nicht
anders werden.
Nun möchte ich noch Herrn Stolper gegenüber bemerken, daß gewiß
die Vororte für die Städte eine gewisse gesundheitliche Gefahr bedeuten.
Gerade in den Großstädten drängt sich alles in die Vororte hinein, und zwar
ist dies gerade die Arbeiterbevölkerung, die wegen ihrer minder bemittelten
Lago an die Nähe des Arbeitszentrums gebunden ist. Da sind dann allerdings
die gräßlichsten Verhältnisse zu konstatieren; davon wissen wir auch in
Danzig ein Lied zu singen.
54
Dr. Romeick.
Daß jede Familie einen Abort haben soll, erscheint Herrn Stolper
nicht recht ausführbar: dem gegenüber muß ich jedoch bemerken, daß dies
in Danzig erreicht ist. Die Schichauwerft in Danzig, die 2000—3000 Arbeiter
beschäftigt, hat eine besondere Arbeiterkolonio, die Schichaukolonie, gebaut in
nächster Nähe der Arbeitsstätte. Die Wohnungen kosten 9—10 Mark monatlich
und haben auch ein Stück Gartenland; daß ist also außerordentlich wenig, und
natürlich wird ein Gewinn dabei nicht beansprucht. Jede dieser Wohnungen
hat ihren eigenen Abort Die Aborte sind allerdings nicht im Hause, sondern
außerhalb des Hauses. Daß jede Wohnung ihren eigenen Abort hat, erscheint
mir außerordentlich wichtig.
In neuester Zeit ist auch in Danzig ein Problem gelöst, nämlich der Bau
▼on Massenarbeiterwohnungen. Die Häuser sind vierstöckig und enthalten
60—80 Wohnungen. Diese Wohnhäuser sind eingeteilt in verschiedene Einzel*
Wohnhäuser, die aber in einem massiven Bau zusammenliegen und nur getrennt
sind durch eine vom Keller bis zum Dache reichende Brandmauer. Auch hier
existiert für jede Wohnung ein eigenes Klosett, und zwar befindet sich das
Klosett in der Wohnung. Die Wohnung besteht aus einem Entröe, Vorder¬
zimmer, Hinterzimmer, Speisekammer und Küche; sie kostet 21 Mark pro
Monat, während in dem teueren Danzig in der alten Innenstadt für eine gleiche
Wohnung unter jammervollen Verhältnissen, wo z. B. das Klosett in der Küche
liegt, monatlich 26 Mark bezahlt werden müssen.
Also es war hier möglich, unter hygienischen Gesichtspunkten und bei
nicht abnormer Ausnutzung des Zinsertrages Wohnungen zu bauen, die billiger
sind, als die Arbeiterwohnungen und Wohnungen für Minderbemittelte in der
alten Stadt, und dabei gesundheitlich einwandsfrei.
Dann möchte ich nur noch hervorheben, daß die Trennung der
Kinder von den Erwachsenen auch außerordentlich wichtig ist. Die
Erfahrungen, die man in dieser Hinsicht macht, wenn die Wohnräume zu klein
sind, sind außerordentlich betrübend; wir können deshalb nur dankbar sein,
wenn da eine Besserung geschaffen wird. Ueber die Durchführbarkeit der¬
selben sind mir freilich lebhafte Zweifel geäußert worden, da eine Wohnung
dann mindestens drei Wohnräume haben muß, für die Eltern, für die Brüder
und für die Schwestern. Aber tatsächlich ist das gar nicht so schlimm, da von
den Leuten sowieso die Küche für die Nacht als Schlaf raum benutzt wird. Auch
ist mir von seiten der Hausbesitzer gesagt worden, daß es ihnen ganz recht sei,
wenn die Wohnung nur von einer bestimmten Kopfzahl benutzt werden dürfe.
M. H.I Ich bin sehr dankbar für die Anregungen, die ich hier ge¬
funden habe.
Auf Vorschlag des Vorsitzenden nimmt hierauf die Ver¬
sammlung von den Leitsätzen, die nicht zur Abstimmung bestimmt
sind, Kenntnis.
Der Vorsitzende dankt sodann dem Herrn Referenten für
seinen interessanten Vortrag.
V. Die praktische Dorchfihroig der Beslafektloi aaf den
plattes Lasde.
H. Kreisarzt Dr. Romeick - Mohrungen: M. H.! Herr Kollege
Dr. Gutknecht hat Dinen im vorigen Jahre in einem lichtvollen
Vortrage die gesundheitlichen Zustände des platten Landes ge¬
schildert und Ihnen die Dringlichkeit hygienischer Reformen in
diesem Gebiete, in dem zwei Drittel unserer Volksgenossen ihr
Leben zubringen, ans Herz gelegt. Die Sterblichkeit ist heute
auf dem Lande grösser, als in den Städten, obgleich das viel
weniger dichte Zusammenwohnen, die reinere Luft, die Arbeit im
Freien und die ruhigere, regelmässigere Lebensweise dem ersteren
Die praktische Durchführung der Desiniektion auf dem platten Lande. 65
einen bedeutenden gesundheitlichen Vorsprung gewährleisten
müssten. Die noch viel weniger als in den Städten behinderten
Durchzüge der Seuchen, die Tod und Siechtum hinter sich lassen —
sie sind es, welche die Wirkung jener stärkenden und erhaltenden
Lebensbedingungen hinfällig machen. Die Verhütung und Be«
kämpfung der Seuchen — nach dem Worte des Herrn Geh. Ober-
Medizinalrats Dr. Kirchner unsere schönste und wichtigste Auf¬
gabe, Ziel und Angelpunkt der öffentlichen Gesundheitspflege —
müssen wir auch auf dem platten Lande mit heiligem, von der
Gewissheit einstigen Erfolges beseelten Eifer und mit allen Mitteln
zu erreichen suchen.
M. H.! Sie wissen, dass der Absonderung auf dem Lande
noch fast unüberwindliche Schwierigkeiten entgegenstehen. Inner¬
halb der Familie ist sie bei einem Arbeiter, der vielleicht mit
einem Dutzend Kinder eine einzige Stube bewohnt, gänzlich aus¬
geschlossen; kommen doch immer noch Fälle vor, wo sogar Ge¬
sunde mit ansteckend Kranken das Bett teilen müssen, weil das
Nachtlager der grossen Familie in dem engen Raume beim besten
Willen nicht anders einzurichten ist; die unter diesen Umständen
mit dem Ansteckungsstoff reichlich beladenen Familienmitglieder
treten in ungehinderten Verkehr mit ihrer Umgebung! Das Eintritts¬
verbot in die verseuchten Wohnungen wird noch wenig beachtet,
am wenigsten da, wo es am nötigsten wäre, wo eine Abgabe von
Waaren und Gegenständen stattfindet, bei Hökern, Gastwirten,
Fleischern, Bäckern und Handwerkern. Die durch uralte Gewohn¬
heit geheiligte Unsitte des Leichenschmauses auch bei Todesfällen
infolge von ansteckenden Krankheiten wird sobald nicht auszurotten
sein. Und was die Absonderung in Krankenhäusern anbetrifft, so wird
eine spätere Zeit vielleicht auch auf dem platten Lande Kranken¬
häuser bauen, die zur Aufnahme einer grossen Zahl ansteckenden
Kranker geeignet sind; vorläufig ist dies aber noch so wenig der
Fall, dass wir dieses Hilfsmittel im Kampfe gegen die Seuchen
noch garnicht ernstlich in Betracht ziehen können. Um so notwen¬
diger ist unter diesen Verhältnissen die praktische Durch¬
führung der Desinfektion.
M. H.! Sie werden von mir als Medizinalbeamten in einem
ländlichen Kreise nicht erwarten, dass ich Ihnen neue wissen¬
schaftliche Ergebnisse vortrage. Das ist von berufenerer Seite
geschehen; ich erinnere nur an die Vorträge des Herrn Medizinal-
Rat Prof. Dr. Wer nicke 1900 und 1901 in Berlin. Ich will
mir nur erlauben, Ihnen unter Zugrundelegung der in meinem
Kreise geschaffenen Einrichtungen einige Erfahrungen zu unter¬
breiten, von denen ich hoffen möchte, dass sie eine geeignete
Grundlage für den Austausch Ihrer Erfahrungen auf diesem Ge¬
biete abgeben mögen.
Nach der endlich erfolgten Annahme des Ausführungsgesetz¬
entwurfes zum Reichsseuchengesetz durch das Abgeordnetenhaus
werden wir, die Zustimmung des Herrenhauses vorausgesetzt,
hoffentlich bald einen festen Rechtsboden für unsere Mass¬
nahmen auch bei den einheimischen Seuchen besitzen. Es fragt
6«
Dr. Romeick.
sich nun, bei welchen einheimischen Seuchen wir eine
ordnungsmässige Desinfektion in Anwendung bringen
wollenP
Herr Reg. - nnd Med.-Rat Dr. Wodtke hat 1902 in Kassel
gezeigt, dass in den zehn Jahren von 1891 bis 1900 in Prenssen
dreimal soviel Personen an Keuchhusten und doppelt soviel an
Masern gestorben sind als an Unterleibstyphus, und wiederum
doppelt soviel an Keuchhusten und bedeutend mehr an Masern als
an Scharlach; er hat daher auch für Keuchhusten und Masern
eine energische Bekämpfung vorgeschlagen. Ich kann diesem
Vorschläge für das Land nicht beitreten. Bei der überaus grossen
Flüchtigkeit und Uebertragbarkeit des Ansteckungsstoffes dieser
Seuchen und bei der geschilderten Unmöglichkeit der Absonderung
würden die darauf ausgedehnten Zwangsdesinfektionen mit ge¬
waltigen Kosten verknüpft und von gar keinem Erfolge begleitet
sein. Dasselbe gilt für die Influenza. Herr Geh. Med.-Rat
Prof. Dr. Flügge hat in seiner bekannten Instruktion im Klini¬
schen Jahrbuche 1900, Bd. VII, auch für Kindbettfieber,
Erysipel und die anderen Wundinfektionskrankheiten
eine verschärfte Wohnungsdesinfektion vorgeschrieben. Auch diese
Vorschrift halte ich für das Land für unzweckmässig. Die Ver¬
breitung des Kindbettfiebers geschieht nur durch Vermittelung des
geburtshilflichen Personals; für die Desinfektion der Hebamme
sorgt in jedem Fall der Kreisarzt. Auch bei Erysipel und den
anderen Wundinfektionskrankheiten ist doch eine bedrohliche Ver¬
breitung durch den blossen Verkehr innerhalb der Familie oder
gar innerhalb der Ortschaften wohl kaum beobachtet. Auch bei
ihnen erfolgt die Uebertragung durch die Vermittelung des be¬
handelnden oder pflegenden Personals. Wir können also hierbei
die Verhütung der Ansteckung bezw. die Vernichtung des An¬
steckungsstoffes getrost den Massnahmen des behandelnden Arztes
überlassen; ebenso auch bei Milzbrand, Tollwut und Rotz.
Für die Granulöse besteht in den ergriffenen Landesteilen ein
besonderer Bekämpfungsplan. Die epidemische Genick¬
starre, die jetzt gerade eine so unheimliche Verbreitung ge¬
winnt, bedarf noch weiterer Beobachtung. Rückfallfieber ist
ein seltenes Ereignis, bei dem von Fall zu Fall entschieden werden
kann. Ich schlage daher vor, die polizeiliche Zwangsdesinfektion,
abgesehen von den gemeingefährlichen Seuchen, nur ausführen zu
lassen bei jedem angezeigten Fall von Unterleibstyphus,
Ruhr, Diphtherie, Scharlach, Lungen- und Kehlkopf¬
tuberkulose; die Wohnungsdesinfektion bei Tuberkulose jedoch
nur nach erfolgtem Tode oder Wohnungswechsel.
Welche Einrichtungen sind nun zur Durchführung
der ordnungsmässigen Desinfektion zu schaffen? Um
eine Einheitlichkeit zu erzielen, müssen sie in der Hand der Kreis¬
polizeibehörde, d. h. des Landrats zentralisiert sein; an ihn sind
alle Anzeigen seitens der Ortspolizeibehörden weiterzureichen, von
ihm alle sanitätspolizeilichen Massregeln nach dem Vorschläge des
Kreisarztes anzuordnen. Die Desinfektion hat sofort nach dem
Oie praktische Durchführung der Desinfektion auf dem platten Lande. 57
Ausbruche der Seuche zu beginnen. Die Ausführung dieser
laufenden Desinfektion am Krankenbette werden wir leider
der Familie überlassen müssen. Das ist, solange wir nicht
Ar jeden Seuchenfall eine ausgebildete Krankenpflegeperson zur
Verfügung haben, gar nicht anders zu machen. Die Familie
braucht aber eine Belehrung und Unterweisung. Die münd¬
liche Belehrung und persönliche Unterweisung ist die wirksamste.
Da ihre Befolgung amtlich gefordert wird, so muss sie durch den
beamteten Arzt geschehen, so sehr auch eine verständnisvolle Mit¬
wirkung des behandelnden Arztes dabei zu wünschen und zu ver¬
langen ist. Es ergibt sich daraus die Forderung, dass der Kreis¬
arzt in jedem Falle einer in den Bekämpfungsplan einbezogenen
Seuche an Ort und Stelle zu erscheinen hat; weitere Aufgaben,
die ihm bei diesem Erscheinen zufallen, werde ich später erwähnen.
Es ist aber auch unbedingt eine schriftliche Anweisung notwendig,
schon um die Ausrede des Nichtgewusst- oder Vergessenhabens
abzuschneiden. Diese Anweisung muss einfach und kurz, sowie gross
und deutlich gedruckt sein. Die vom Potsdamer Medizinalbeamten-
Verein veröffentlichten Verhaltungsmassregeln und die Merkblätter
des Beichsgesundheitsamtes sind für diesen Zweck zu ausführlich.
Herr Kollege Med.-Rat Dr. Fielitz hat s. Z. die Güte gehabt, mir
die von ihm für den Saalekreis ausgearbeiteten Blätter zur Ver¬
fügung zu stellen. Diese halte ich für zwecktsprechend und
habe sie daher nach kleinen Aenderungen auch in meinem Kreise
eingeführt.
Die Hauptsache aber für die Sicherung der laufenden Des¬
infektion ist ihre amtliche Kontrolle. Von Laien kann diese
niemals wirksam ausgeführt werden; anderseits kann der Kreis¬
arzt die vielen dazu nötigen Reisen nicht machen. Es müssen
also Desinf ektionsaufseher ausgebi’det und angestellt
werden. Gemeindeschwestern sind dazu nicht geeignet, denn
erstens sind ihrer zu wenige — wir haben z. B. 40 Amts¬
bezirke und nur 5 Gemeindeschwestern —, ferner unterstehen,
sie den Vorständen religiöser Genossenschaften oder Vaterlän¬
discher Frauenvereine und lassen sich daher in den amtlichen
Apparat nicht einfügen; schliesslich widerspricht auch ihr barm¬
herziger Beruf dem Amte eines Aufsehers, der zwar auch
belehren und unterweisen, im Falle böswilliger Unterlassung
aber auch anzeigen und Bestrafung veranlassen soll. Empfiehlt
es sich nun das Amt eines solchen Desinfektionsaufsehers mit dem
des Wohnungsdesinfektors — von dem ich später zu sprechen
habe — zu vereinigen ? Im Regierungsbezirk Arnsberg ist diese
Vereinigung erfolgt und zugleich damit noch das Amt eines Ge¬
sundheitsaufsehers verbunden. Vor der Einführung solcher Ge¬
sundheitsaufseher kann ich, wenigstens für den Osten der Monarchie,
nur dringend warnen. Unser Grossgrundbesitz, adliger und nicht
adliger, hat sich aus vergangenen Zeiten noch ein starkes Souve¬
ränitätsgefühl bewahrt; schon das kreisärztliche Ortsbesichtigungs¬
recht scheint ihm ein Eingriff in seine Besitzrechte. Spioniert
nun noch ein Gesundheitsaufseher um seine Instwohnungen, seine
68
Dr. Bomaick.
Brunnen, seine Dunghaufen herum, so kann es ihm manchmal
schlecht ergehen; und auch der Kreisarzt, dem alle Ermittelungen
des Aufsehers zur weiteren amtlichen Veranlassung zugehen, wird
nicht auf Rosen gebettet sein. Der Grossgrundbesitz folgt ungern
polizeilichem Zwang, gern dagegen dem Vorbilde angesehener
Standesgenossen. Wenn der Kreisarzt auf solche Einfluss gewinnt,
wird er am meisten erreichen; kommt aber zu dem eifrigen —
nach dem Urteile jener Partei schon übereifrigen — Kreisärzte
noch ein eifriger bezw. übereifriger Gesundheitsaufseher hinzu,
dessen Tätigkeit überdies Güter und Gemeinden ans ihrer
eigenen Tasche bezahlen sollen, so heisst das wirklich ein zu
schnelles Tempo in der Sanierung des platten Landes einschlagen.
Dadurch könnte der Fortbestand des kreisärztlichen Ortsbesich¬
tigungsrechtes geradezu in Frage gestellt werden.
Aber auch ganz abgesehen von diesen Gesundheitsanfsehem
ist die Vereinigung beider Aemter unzweckmässig. Der Desin-
fektionsaufseher braucht keine Ausbildung in der Technikder Woh¬
nungsdesinfektion, er kann vom Kreisärzte unentgeltlich oder mit
ganz geringen Kosten ausgebildet werden; er braucht gar keine
Ausrüstung, er braucht auch keine grosse Uebung. Ein gewissen¬
hafter Mann wird auch bei wenigen Seuchenfällen im Jahre an der
Hand der gedruckten Anweisung die Aufsicht wirksam ausführen;
bei der geringen Mühe, die die Aufsicht verursacht, wird er auch
mit geringen Einnahmen, die ihm aus diesem kleinen Nebenamte
erwachsen, zufrieden sein. Je mehr Desinfektionsaufseher also vor¬
handen sind, desto besser und billiger wird der Zweck erreicht
Es könnte gar nicht schaden, wenn in jedem grösseren Dorfe einer
ausgesucht würde; mindestens muss aber einer in jedem Amts¬
bezirke angestellt werden. — Genau das Gegenteil trifft in allen
Punkten für den Wohnungsdesinfektor zu. Die Ausbildung und
Ausrüstung eines jeden kostet etwa 300 Mark. Wollte z. B. mein
Kreis für jeden seiner 40 Amtsbezirke einen Wohnungsdesinfektor
'haben, so würde ihm dies 12000 Mark kosten. Und diese kost¬
spieligen Leute würden sehr bald unbrauchbar und unzufrieden
werden. Um auf der Höhe der Wohnungsdesinfektionstechnik zu.
bleiben, brauchen sie eine dauernde Uebung, die ihnen die wenigen
auf einen Amtsbezirk im Jahre entfallenden Seuchen nicht bieten
können; ausserdem wären ihre Einnahmen viel zu gering und dem
Anlagekapital nicht entsprechend. Stellt dagegen der Kreis nur
wenige (2—3) in zweckmässiger Entfernung von einander statio¬
nierte Wohnungsdesinfektoren an, so ist das Anlagekapital gering
und gute Uebung wie Einnahme gesichert. Mit je weniger
Wohnungsdesinfektoren also ein Kreis auskommt, desto besser
wird er fahren.
Nach meinem Vorschläge ist bei uns in jedem Amtsbezirke
eine Person ausgesucht, von mir ausgebildet und als Kreisdesin¬
fektionsaufseher angestellt. Dieser erhält für jeden Kontrollbesnch
am Wohnorte 50 Pf, und für jeden Kontrollbesnch ausserhalb noch
50 Pf. für jedes Kilometer Reisegeld aus der Amtskasse. An
Die praktische Durchführung der Desinfektion auf dem platten Lande. 69
ihrem Stationsorte sind natürlich die beiden Wohnungsdesin-
fektoren auch mit der Desinfektionsanfsicht betraut.
M. H.l Wenn es gelänge, durch die laufende Desinfektion
alle ausgestreuten Keime zu vernichten, wäre die Wohnungsdes-
infektion nach Ablauf der Senche überflüssig. Leider werden
wir dies jedoch trotz wirksamer Kontrolle sobald nicht erreichen.
Vorläufig beweist die Existenz sog. Typhus-, Diphtherie-, Scharlach-
und Schwindsuchtshäuser die Notwendigkeit der Wohnungsdes¬
infektion. In neuerer Zeit hat man das hartnäckige Wiederauftreten
des Typhus in bestimmten Lokalitäten durch die Vermittelung
gesunder „ Bazillenträger“ zu erklären versucht. Diese neue Ent¬
deckung schafft doch aber die Tatsache, dass sich die Typhus¬
bazillen auch ausserhalb des menschlichen Körpers lange virulent
erhalten können, nicht aus der Welt. Die laufende Desinfektion
wird durch diese Entdeckung nur erschwert, die Wahrscheinlich¬
keit der Verstreuung virulenter Keime in der Wohnung wie in
ihrer Umgebung erhöht und eine Wohnungsdesinfektion daher
doppelt nötig.
M. H.! Bei der Besprechung der praktischen Durchführung
der Wohnungsdesinfektion will ich alles, was in unseren Vereins-
Versammlungen genügend erörtert ist, übergehen. Sie werden alle
darüber einig sein, dass sie nur von ausgebildeten Woh¬
nungsdesinfektoren wirksam ausgefübrt werden kann, dass
deren Ausbildung besser in einer Desinfektorenschule als durch
den Kreisarzt geschieht, und dass sie vom Kreise ausgerüstet und
angestellt werden müssen. Auch über das brauchbarste Material
werden inzwischen genügende Erfahrungen gesammelt sein; Frauen
z. B. halte ich auf dem Lande nicht für geeignet. Ich möchte mich
nur gegen den mehrfach hervorgetretenen, auch schon praktisch
betätigten Vorschlag wenden, unsere Desinfektoren zur Erhöhung
ihrer Uebung und ihrer Einnahme zugleich in den Dienst der
Veterinärpolizei zu stellen. Sie würden damit auch dem beamteten
Tierarzte unterstellt, und die Verschiedenheit der Ansichten und
Methoden würde nur ihre Köpfe verwirren, ihre Leistungen be¬
einträchtigen. Die Desinfektion bei den Tierseuchen geschieht
jetzt durch die Besitzer selbst und wird durch den beamteten
Tierarzt kontrolliert. Wenn die Veterinärpolizei dazn gelangt,
ebenfalls besonderes Desinfektionspersonal anzustellen, so wird sie
ganz anderes Material gebrauchen können; wir wollen dann in
unseren Leuten das Bewusstsein, einer höheren Aufgabe — der
menschlichen Gesundheit — zu dienen, aufrecht erhalten. Und
wenn meinem Vorschläge gemäss nur wenige Wohnungsdesinfek¬
toren angestellt werden, bo ist ihnen auch ohnedies genügende
Uebung und genügende Einnahme gesichert
Ich bespreche nun ganz kurz das für die Wohnungsdesinfektoren
nötige Handwerkszeug. Vor allem sind Dampfdesinfektions¬
apparate nötig, am besten für jeden Desinfektor einer an seinem
Stationsorte, er ist dann auf denselben gut eingeübt und nach der
Desinfektion sogleich zu Hause. Das zum Streichen, Scheuern und
Bürsten nötige Gerät übergehe ich. Dann ist aber auch — darin
60
Dr. Romeick.
werden Sie nach dem schon erwähnten Vorträge des Herrn Med.-
ßat Prof. Dr. Wernicke vom Jahre 1900 mit mir ttbereinstimmen
— für jeden Desinfektor ein wirksamer Formalinapparat zu fordern.
Ein solcher Apparat muss vor allem bequem zu transportieren sein.
Um die täglichen Strapazen auf allen möglichen Wegen und Vehi¬
keln des Landes auszuhalten, muss er möglichst einfach sein, mög¬
lichst wenig kleine, leicht der Beschädigung ausgesetzte Teile, Röhr¬
chen, Spitzen, Düsen besitzen. Dieser Forderung entsprach bisher
am besten der Breslauer Apparat nach Flügge. Der Schering-
sche kombinierte Aeskulap ist ein komplizierter Apparat und arbeitet
infolge der Pastillenmethode 4 mal so teuer. Die Desinfektion von
100 cbm Raum kostet mit ihm 9 Mark, mit dem Breslauer Apparat
nicht ganz 2,50 Mark. Der Lingnersche Sprayapparat ist sehr
kompliziert. Er soll die Polymerisation, d. h. das unwirksame Zn-
sammentreten von Formaldehydmolekülen, verhüten und eine so
viel bessere Verteilung des Gases bewirken, dass die Abdichtung
des Zimmers entbehrlich wird. Eine nennenswerte Polymerisation
findet nach dem Urteile von Sachverständigen auch bei dem Bres¬
lauer Apparat nicht statt. Das wenige Gas, das vor dem Sieden
des Wassers entweicht, wird durch den beim Verbrennen des
Spiritus gebildeten Wasserdampf genügend gesättigt; nach den
Untersuchungen von Prof. Rubner und Dr. Peerenboom bewirkt
ausserdem die ruhige Verdunstung eine sehr viel bessere Verteilung
des Gases in der Zimmerluft als die Versprayung. Der „Rapid*
von Schneider in Hannover und die „Berolina* von Lauten¬
schläger unterscheiden sich von dem Breslauer Apparat im
wesentlichen nur durch die Anlage eines Doppelkessels zur Ver¬
meidung der Polymerisation. Nach dem Gesagten ist aber die
Trennung von Formalin und Wasser überflüssig. In neuester Zeit
hat Herr Dr. Roepke, Chefarzt der Eisenbahnheilstätte „Stadt¬
wald* bei Melsungen, einen neuen Apparat konstruiert, der Ihnen
ja aus der Beschreibung in der „Zeitschrift für Medizinalbeamte*
bekannt geworden ist. Er beruht auf demselben Prinzip wie der
Breslauer, ist aber leichter und sicherer zu transportieren. Das
aus dem Kessel führende Dampfrohr ist abschraubbar und der
Mantel durch zusammenklappbare Füsse ersetzt. Der Dr. Roepke-
sche Apparat scheint mir daher für das Land der brauchbarste
und empfehlenswerteste zu sein. Herr Dr. Roepke hat die Güte
gehabt, mir einen Apparat hier zur Verfügung zu stellen; ich
darf wohl die Herren bitten, sich denselben nachher etwas näher
anzusehen.
Ich komme nun zu der Gebühren- und Kostenfrage.
Im Saalekreis ist ein Desinfektor im Hauptamte mit 1200 Mark
festem Gehalt angestellt, ein zweiter für einen entfernten Kreiszipfel
mit 600 Mark. Diese Einrichtung empfiehlt sich m. E nicht. Ein
Desinfektor ist zu wenig, im Falle seiner Erkrankung oder sonstigen
plötzlichen Behinderung ist man sofort in Verlegenheit; zwei Des¬
infektoren mit so hohem Gehalt sind zu teuer. Ein Desinfektor
im Hauptamte ist in seuchefreier Zeit beschäftigungslos; eine
passende Nebenbeschäftigung kann aber die Desinfektionsarbeit
Die praktische Durchführung der Desinfektion auf dem platten Lande. 61
nicht beeinträchtigen; anch ist es eine alte Erfahrung, dass der ge¬
wöhnliche Mann lieber nnd besser arbeitet, wenn er für jede Einzel¬
leistung bezahlt wird, als wenn er ein festes Gehalt bezieht.
Diese Einzelleistung aber nach Stunden zu berechnen, oder nach
den verschiedenen Desinfektionsarten verschieden zu bemessen,
empfiehlt sich auch nicht; in ersterem Falle können bei der Un¬
möglichkeit der Kontrolle auf dem Lande unerwartet hohe Rech¬
nungen herauskommen, im letzteren wird die jedesmalige Abrech¬
nung erschwert und kompliziert. Am besten ist ein festes und
für jede Desinfektionsart gleiches Tagegeld, daneben freie Reise,
freie Verpflegung und freie Lieferung sämtlicher Desinfektionsmittel.
Wer hat diese Kosten aufzubringenP Auf dem Lande
gilt die Mark mehr als in der Stadt. Wenn wir der Familie nach
der Unbequemlichkeit der Wohnungsdesinfektion noch 10—12 Mk.
abverlangen, so werden wir erbitterten Widerstand hervorrufen;
ja, die ansteckenden Krankheiten werden dann solange wie möglich
verheimlicht werden. Die Kostenfreiheit ist das notwendige
Aequivalent für den polizeilichen Zwang; und sie ist auch nur
gerecht; denn die Wohnungsdesinfektion dient weniger dem Schutze
der solange der Ansteckung ausgesetzt gewesenen Familienmit¬
glieder, als vielmehr dem Schutze der anderen Familien der Ge¬
meinde, dem Schutze der Schule und dem Schutze des weiteren
Verkehrskreises. Kreis und Gemeinde müssen sich daher die
Kosten teilen. Diese Teilung erfolgt bei uns in der Weise, dass
der Kreis die Hälfte des Tagegeldes, den Betrieb der Dampf¬
apparate und die aus der Apotheke zu beziehenden Desinfektions¬
mittel (Formalin, Ammoniak und Kresolseifenlösung) trägt, die
Gemeinde dagegen die andere Hälfte des Tagegeldes, sowie die
Kosten für Reise, Transport, Verpflegung und Desinfektions¬
hausmittel (Seife, Kalk und Spiritus). In 5 km Entfernung vom
Stationsorte kostet bei uns die einfache nebst Dampfdesinfektion
11 Mark, die Formalindesinfektion 12 Mark. Bei ersterer
kommen 4 Mark auf den Kreis und 7 Mark auf die Gemeinde,
bei letzterer wegen des teueren Formalins 7 Mark auf den Kreis
und 5 Mark auf die Gemeinde. Da die Formalin-Desinfektionen
in der Mehrzahl sind, kommt am Jahresschluss auf jeden Teil
ziemlich genau die Hälfte.
M. H.! Die Notwendigkeit der Wohnungsdesinfektion auf
dem Lande wird von keiner Seite ernstlich bestritten; sie kann auch
gar nicht bestritten werden. Dagegen finden sich selbst in unsern
Reihen zahlreiche Stimmen, die ihre wirksame Durchführbar¬
keit leugnen. Dieser kostspieligen und unbequemen Massregel,
heisst es, stellen sich in der Praxis auf dem platten Lande soviele
unüberwindliche Schwierigkeiten entgegen, dass dadurch nur ein
trügerisches Sicherheitsgefühl, aber kein wirklicher Erfolg erzielt
wird. Das unvermeidliche häufige Wiederauftreten der Seuche in
den frisch desinfizierten Wohnungen erschüttere nur das Ansehen
der Wissenschaft und das Vertrauen zum Kreisarzt und zur Be¬
hörde! Für diese Ansicht wird eine ganze Reihe von Gründen
angeführt, auf die ich noch etwas näher eingehen muss; denn
62
Dr. Bomeick.
das ist ja eia Haaptpaakt. Was nützt unser Kopfzerbrechen über
die beste Art, Wohnungsdesinf ektoren auszusuchen, ansznbilden,
auszurüsten, anznstellen, zu beschäftigen und zu bezahlen, wenn
ihre Arbeit doch pro nihilo geschieht, wenn die Verhältnisse des
platten Landes es doch unmöglich machen, der verstreuten An¬
steckungskeime habhaft zu werden!
Der Kranke bezw. Genesende, heisst es, verlässt
sobald als möglich die stickige Schlafstube; er benutzt
und infiziert dadurch das ganze Haus. Natürlich muss jeder
von dem Kranken bezw. Genesenen benutzte Raum auch desinfi¬
ziert werden. Das lässt sich aber auf dem Lande praktisch viel¬
leicht leichter durchführen als in der Stadt. Es gehört dazu
allerdings die Anwesenheit des Kreisarztes bei jedem in Betracht
kommenden Seuchenfalle. Nach Belehrung und Unterweisung der
Familie in der laufenden Desinfektion muss dieser dabei zugleich
feststellen, in welchen Räumen und auf welche Art die Wohnungs¬
desinfektion durch den Kreisdesinfektor auszuführen ist. Bei den
Wohlhabenden und Gebildeten — den Gutsbesitzern, Geistlichen,
vielleicht auch Lehrern — wird es gerade durch den Hinweis auf
die bevorstehende Wohnungsdesinfektion meist zu erreichen sein,
den Kranken bis dahin in einem Raume festzuhalten. Der Bauer
hat zwar mehrere „gute Stuben“, benutzt aber höchstens ein bis
zwei Stuben, Küche und Hausflur, und der Arbeiter hat nur Stabe,
Kammer und Hausflur zur Verfügung. Küche und Hausflur werden
stets durch Kalkanstrich und Kresolseifenscheuerung desinfiziert.
Bei Typhus und Ruhr geschieht das gleiche mit den Stuben,
nachdem Betten, Kleider usw. für den Dampfapparat verpackt
sind. Bei Diphtherie, Scharlach und Tuberkulose werden jedoch
die Stuben mittels Formalin desinfiziert. Dagegen wird ein¬
gewendet: Die Arbeiterwohnungen auf dem Lande (Inst¬
katen) lassen sich gar nicht mit Formalin desinfi¬
zieren. Bei uns gelingt es, und ich glaube kaum, dass die
Häuser in anderen Teilen des Landes sehr viel schlechter sein
können. Die grösste Oeffnung ist der Kamin; da dieser aber
nur im Sommer benutzt wird, ist überall gegen den Abzug der
Wärme im Winter ein genau hineinpassendes, solides Holzbrett
vorhanden; vor dieses lasse ich nasse Säcke stopfen und eine
Blechplatte herübernageln. Die Kelleröffnung im Fussboden, die
oft nur mit losen Brettern bedeckt ist, wird mit nassen Tüchern
verstopft. Ist der Ofen sehr schadhaft, wird auf die Heizung
verzichtet und das Ofenrohr vom Schornstein aus verstopft. Türen
und Fenster sind klein und daher bequem abzudichten. Um über den
Erfolg sicher zu sein, habe ich im vorigen Jahre vom hygienischen
Universitäts-Institut zu Königsberg 12 Päckchen mit Milzbrand¬
sporen erbeten, diese vor der Formalindesinfektion in den ver¬
schiedensten Ecken und Winkeln der Stuben ausgelegt und nach
derselben zur Untersuchung wieder eingeschickt. In allen Fällen
waren die Milzbrandsporen abgetötet; dann werden es die Diph¬
therie-, Scharlach- und Tuberkulosekeime sicher auch gewesen
sein. Natürlich darf es niemandem einfallen, die Küche mit der
Die praktische Durchführung der Desinfektion auf dem platten Lande. 63
grossen Oeffnung über dem Herde oder den Hausflur mit den
schlecht schliessenden Klinktüren mit Formalin zu desinfizieren.
Findet der Kreisarzt auch in den Stuben grosse Löcher in Aussen-
wänden und Decke, so wird er gleichfalls auf Formalin verzichten;
ebenso auch, wenn in einem kleinen Baume soviel nichtwaschbare
Gegenstände vorhanden sind, dass sie nicht ohne enge Berührung
aufgehängt werden können. War sowieso ein Transport nach dem
Dampfapparat nötig, habe ich stets das teuere Formalin gespart.
Die Familie, wird weiter eingewendet, findet während
der langen Dauer der Wohnungsdesinfektion keine
Unterkunft; sie kann auch im Falle einer Dampfdes¬
infektion ihre Betten nicht entbehren, weil sie oft
keine Beservebetten hat. Einen besonderen heizbaren Baum
werden freilich Güter und Gemeinden für diesen Zweck nicht leer
stehen lassen. Da hilft aber die freundnachbarliche Gefälligkeit:
Die Familie tfird von den Nachbarn beherbergt und beköstigt,
ohne dass ein Zwang oder eine Entschädigung nötig ist. Das
bestätigt bei uns eine 6‘/t jährige Beobachtung; es ist wie die
gegenseitige Hilfe bei Feuersgefahr, der sich niemand entziehen
mag, und trägt auch nichts dazu bei, die Massregel unbeliebt
zn machen. Die Vernichtung des bösen Seuchengiftes wird, be¬
sonders nach Einführung der Formalinmethode, durchaus gern
gesehen, da sie der Familie selbst keine Kosten macht. Letzteres
ist, um es noch einmal hervorzuheben, für die Einbürgerung der
Massregel ein sehr wesentliches Moment.
Die Formalindesinfektion dauert — zwei zusammenhängende
Stuben bezw. Stube und Kammer sind gleichzeitig zu erledigen —
durchschnittlich 6 Stunden, wobei 1 */* Stunden auf die Vorbereitung,
8V> Stunden auf die Dampfeinwirkung (nach Flügge bei 5 g
Formaldehyd auf 1 cbm Baum ausreichend) und eine Stunde auf
Ammoniakeinwirkung und Entlüftung gerechnet ist. Inzwischen
werden Küche und Hausflur fertig gestellt. Ebenso lange dauert
etwa die einfache Desinfektion der ganzen Wohnung. Sieht
man darauf, dass der Desinfektor früh am Morgen seine Arbeit
beginnt, und ist, wie es sein sollte, der Dampfapparat nicht zu
weit entfernt, so ist auch die Dampfdesinfektion noch an demselben
Tage zu erledigen; die Familie erhält also ihre Betten zur Nacht
stets wieder zurück.
Ferner wird eingeworfen: Die Personen und vor allem
ihre Kleider lassen sich nicht desinfizieren, da oft nur
die Kleider auf dem Leibe vorhanden sind; bei der Gewohn¬
heit der Leute, allen Schmutz und Schleim an den Aermeln, der
vorderen Bockpartien uud den Hosen abznwischen, sind diese aber
die hauptsächlichsten Seuchen Vermittler. Auch diese Schwierigkeit
lässt sich vollkommen überwinden. Ich lasse stets am Morgen,
zu dem die Wohnungsdesinfektion angesagt ist, auch den Des¬
infektionsaufseher nach dem Seuchenorte hingehen; er ist mit dafür
verantwortlich, dass nichts undesinfiziert aus der Wohnung heraus-
langt. Eine Badeeinrichtung ist freilich nirgends vorhanden.
Wenn sich aber die Leute entkleidet in eine Wanne stellen, sich
64
Dr. Romeick.
vom Scheitel bis zur Sohle gründlich einseifen und dann mit warmem
Wasser abwaschen, so ist ihrer Desinfektion Genüge geschehen.
Im Koffer ist dann stets frische Wäsche vorhanden und im Schranke
ein während der Seuche nicht getragener Sonntagsanzug. Ist
letzteres einmal nicht der Fall, so muss eine einigermassen
passende Bekleidung von anderswo zusammengeborgt werden;
nötigenfalls ist Gemeindevorsteher oder Gendarm dazu in Bewegung
zu setzen; es darf darauf in keinem Falle verzichtet werden.
Endlich heisst es: Es werden nicht alle Seuchen¬
fälle bekannt; von den unentdeckt gebliebenen kann
die Seuche weiter um sich greifen. Selbst wenn man auf
diesem resignierten Standpunkt stände und dies für unvermeidlich
hielte, wäre es doch immer richtiger, möglichst viele Herde zu
vernichten, als alle unberührt zu lassen. Ich wage aber die kühne
Behauptung, dass bei uns alle in Betracht kommenden Fälle anch
bekannt werden. Die Aerzte zeigen gewissenhaft an; Gemeinde¬
vorsteher, Amtsvorsteher, Lehrer, Standesbeamte zeigen an; der
Kreisarzt geht bei seinen Untersuchungen von Haus zu Haus; die
Familien Vorstände werden im Falle bewusster Verheimlichung
streng bestraft; sie haben dazu auch keinen Anlass, da die Des¬
infektion ihnen selbst keine Kosten macht — wenn alles dieses
zusammenwirkt, werden wenige Fälle unentdeckt bleiben. Es
ist aber nicht richtig, die Wohnungsdesinfektionen erst nach Ablauf
der Seuche im Orte auf einmal ausführen zu lassen; dann ist das
ein seltenes aufregendes Ereignis, und wenn danach die Seuche
wiederauftritt, kann Misstrauen und Spott nicht ausbleiben. Nein!
Die Wohnungsdesinfektionen sind fortlaufend je nach dem Beginne
der Seuchen auszuführen; sie müssen dem Publikum als etwas
Natürliches, notwendig mit dem Ablauf der Seuche Zusammen¬
hängendes erscheinen. Tritt dann einmal in einer desinfizierten
Wohnung die Seuche wieder auf, so wird der Grund da gesucht,
wo er wirklich liegt, in der nachher noch stattgehabten Berührung
mit einer verseuchten Familie oder Person.
Dem letzten Einwande: es fehlt ein sicherer Mass¬
stab, um die richtige Zeit für die Ausführung der
Wohnungsdesinfektion zu bestimmen, ist etwas schwerer
zu begegnen. Theoretisch ist dieser Massstab ja vorhanden. Die
Wohnungsdesinfektion ist sofort auszuführen, wenn der Genesene
und seine Haushaltungsmitglieder keine virulenten Keime mehr
ausscheideu oder beherbergen. Wie ist dieser Zeitpunkt aber
praktisch festzustellen ? Der Kreisarzt kann viele Reisen, um
bakteriologische Untersuchungen zu veranlassen, nicht machen;
ich glaube jedoch, dass in Wirklichkeit viele Fehler nicht Vor¬
kommen werden. Nimmt man bei Diphtherie 4 Wochen, bei Schar¬
lach 6 Wochen nach Beginn der Erkrankung, so wird der Genesene
nach Seifenbad und Kleiderwechsel wohl nie mehr ansteckungsfähig
sein. Beim Typhus wird die Zeitbestimmung allerdings durch die
Möglichkeit erschwert, dass der genesene und gesund gebliebene
„Bazillenträger“ noch monatelang virulente Keime im Stuhl und
Urin ausscheiden könuen. Im Urin lassen sich diese durch Uro-
Die praktische Durchführung der Desinfektion auf dem platten Lande. 65
tropin oder das billigere Hexamethylentetramin, 8 Tage zu 2—3 g
pro die gereicht, sicher ab töten. Es wäre zn erwägen, ob diese
Verabreichung vor der Wohnungsdesinfektion nicht in die sanitäts¬
polizeilichen Massregeln aufzunehmen wäre. Die Desinfektion des
weit ungefährlicheren Stuhles könnte ja dann noch für mehrere
Wochen nach der Wohnungsdesinfektion angeordnet werden.
M. H.I Ich glaube, Ihnen genügende Beweise dafür geliefert
zn haben, dass eine wirksame Desinfektion auch auf dem platten
Lande praktisch durchführbar ist. Es liegt daher kein berech¬
tigter Grund mehr vor, sie zu unterlassen; um so weniger, als
ohne sie zur Bekämpfung der Seuchen auf dem Lande praktisch
wenig geschieht. Es wird zwar viel auf dem Papiere gearbeitet,
aber wenig erreicht. Sind alle Empfänglichen durchseucht, so
berichtet der Amts Vorsteher: „Die Seuche ist erloschen, die sani¬
tätspolizeilichen Massregeln sind durch geführt.“ In Zukunft soll
er berichten: „Die Kontrolle der laufenden Desinfektion ist so und
so oft durch den Desinfektionsaufseher ausgeführt, die Wohnungs¬
desinfektion ist in den und den Räumen auf die und die Art durch
den Wohnungsdesinfektor vollzogen.“ Diese Desinfektion wird
dann auch ein willkommener und wirksamer Bundesgenosse für
die Massregel der Absonderung sein. Wenn die Leute sehen,
dass jeder Seuchenfall soviel Umstände und Kosten verursacht,
werden sie allmählich zu dem Einsehen gelangen, dass diese
Krankheiten wirklich ansteckend, also vermeidbar sind, und sich
vor unnötiger Berührung mit denselben hüten. — Es ist auch
nicht richtig, zu fragen: „Welche Erfolge hast Du denn mit
Deinen Einrichtungen aufzuweisen P Sind bei Dir denn wirklich
soviel weniger Seuchen als anderswo P“ und von der Bejahung
dieser Frage erst seine Mitarbeit abhängig zu machen. Ich habe
eine Seuchenstatistik der letzten 10 Jahre in meinem Kreise zu¬
sammengestellt; ein besonderer Erfolg ist daraus nicht ersicht¬
lich; in den Jahren 1901 und 1902 sind gerade ungewöhnlich
viele Seuchen gewesen. Diese Statistik kann aber nichts beweisen.
Vor unserer Desinfektionsordnung sind die Seuchen sehr viel
weniger angezeigt, auch hatten bisher die Nachbarkreise — ich
grenze mit 7 Kreisen — eine ordnungsmässige Desinfektion noch
nicht durchgeführt. Wenn alle gemeinsam rüsten und arbeiten,
wird auch der Erfolg bald und deutlich zutage treten.
Eine Vorbedingung dazu ist aber die ständige Kontrolle
der ganzen Einrichtung, speziell der Wohnungsdes¬
infektoren durch den Kreisarzt. Wir werden ja dazu nicht
beauftragt; wenn wir aber nach dem Bilde des Herrn Professor
Dr. Fränkel als leichte Kavallerie viel im Kreise herumreisen,
werden wir gern kleine Umwege auch unentgeltlich machen. Die
Wohnungsdesinfektoren dürfen sich vor uns niemals sicher fühlen;
Ich lasse mir dazu die Termine der Wohnungsdesinfektion stets
von den Gemeindevorstehern rechtzeitig mitteüen. Durch regel¬
mässige Nachprüfungen ist diese unvermutete Kontrolle zu
ergänzen.
(Lebhafter Beifall.)
5
66
Diskussion zu dom Vorträge:
Die von dem Referenten aufgestellten Leitsätze lauten
wie folgt:
1. Nach den bisher gewonnenen praktischen Erfahrungen
ist auch auf dem platten Lande die Desinfektion in wirksamer
Weise durchzuführen.
2. Sie ist sanitätspolizeilich anzuordnen bei jedem angezeigten
Falle von Unterleibstyphus, Ruhr, Diphtherie, Scharlach, Lungen-
und Kehlkopftuberkulose; die Wohnungsdesinfektion bei Tuber¬
kulose jedoch nur nach erfolgtem Tode oder Wohnungswechsel.
3. Zur amtlichen Kontrolle der Desinfektion während des
Verlaufs der Seuche sind von den Kreisen möglichst viele
Desinfektionsaufseher anzustellen, mindestens einer für jeden Amts¬
bezirk. Zur Ausführung der Wohnungsdesinfektion nach Ablauf
der Seuche dagegen nur wenige (2—31 in zweckmässiger Ent¬
fernung voneinander stationierte Wohnungsdesinfektoren.
4. Die Ausrüstung der Desinfektionsaufseher besteht in
Lehrbuch, Dienstanweisung und Tagebuch. Für jeden Desinfektor
ist dagegen ausserdem noch Gerät zur sog. einfachen Desinfektion
und ein Formalinapparat zu beschaffen sowie ein Dampf-Desinfek-
tionsapparat an seinem Stationsorte aufzustellen.
5. Die Bezahlung der Desinfektionsaufseher hat nach Einzel¬
leistung aus den Amtskassen zu erfolgen. Die Bezahlung der Woh¬
nungsdesinfektoren hat in einem festen und für jede Desinfektions¬
art gleichen Tagegelde, nebst freier Reise, freier Verpflegung und
freier Lieferung sämtlicher Desinfektionsmittel zu bestehen; sie
ist zu etwa gleichen Teilen von der Gemeinde und vom Eireise zu
tragen.
6. Der Kreisarzt hat die Desinfektionsaufseher und ins¬
besondere die Wohnungsdesinfektoren möglichst häufig unvermutet
zu kontrollieren und sie in regelmässigen Zeitabständen (alle
2—3 Jahre) nachzuprüfen.
Diskussion 1 ):
H. Reg.- u. Med.-Rat Dr. Dlitschke-Erfart: M. H.! Sie wissen alle,
daß es zu den schwierigsten Aufgaben der Mcdizinalbcamten gehört, eine ge¬
nügende Zahl von Desinfektoren für den Kreis bezw. den Bezirk zu schaffen,
and es ist Ihnen aus eigener Erfahrung bekannt, daß nichts so unpopulär ist,
wie das Desinfektionswescn selbst. Deshalb würde ich es nur als eine Er¬
schwerung der jetzigen Bestrebungen, ausreichendes Desinfektionspersonal zu
beschaffen, ansehen, wenn außer den Desinfektoren noch Desinfektions aufs eh er
geschaflen würden, wie der Herr Kollege Rome ick dies vorschlägt* Man
kommt mit den Desinfektoren allein ganz gut aus, und der Aufseher ist doch
nichts als ein zweiter ausgebildeter Desinfektor. Mir scheint das Institut der
Desinfektionsaufseher ganz überflüssig zu sein. Ich verweise in dieser Beziehung
auf die Erfahrungen in den Reg.-Bez. Arnsberg und Erfurt. Ich habe in beiden
Bezirken in dieser Beziehung genügende Erfahrungen gesammelt, und nach
diesen sind wir mit dem Institut der Desinfektoren allein gut ausgekommen
wenn der Oang sich folgendermaßen gestaltet:
Nachdem der Anzeigepflicht genügt ist, stellt die Polizeibehörde dem
Haushaltungsvorstand eine gedruckte Verfügung mit den erforderlichen Des¬
infektionsvorschriften zu. Der Desinfektor sucht den Kranken auf und erklärt
J ) Die Diskussion über diesen Vortrag fand erst am zweiten Sitzungs-
tage statt, ist aber hier des besseren Zusammenhanges wegen gleich angefügt.
Die praktische Durchführung der Desinfektion auf dem platten Lande. 67
den Angehörigen, wie die fortlaufende Desinfektion vorzunehmen sei, und über¬
zeugt sich dann ferner in gewissen Intervallen, ob die Desinfektionsvorschriften
richtig ausgeführt sind. Ich muß sagen, ich würde es als eine wesentliche
Erschwerung der Durchführung der Desinfektion ansehen, nun noch eine zweite
Kategorie, die Desinfektionsaufseher anzustellen. Darauf müssen wir aber
vornehmlich Rücksicht nehmen, besonders jetzt, wo die Ausführungsbestimmungen
zum Reichsseuchengesetz demnächst gesetzliche Kraft erhalten werden, und
wo das, was, bisher aus hygienischer Ueberzeugung von uns angeordnet ist,
jetzt eine gesetzliche Basis erhält.
Was die Frage der Beschaffung des Desinfektionspersonals an¬
langt, so habe ich in Arnsberg und Erfurt die Ueberzeugung gewonnen, daß man
bei gutem Willen und mit der nötigen Energie in kurzer Zeit geradezu ein Heer
von Desinfektoren schaffen kann. Allerdings ist es nur der zielbewußten Mit¬
arbeit der Herren Kollegen zu verdanken, daß in den beiden Bezirken Arnsberg
und Erfurt in kurzer Zeit so gute Resultate erzielt wurden. Wir haben z. B.
im Reg.-Bez. Erfurt in einem Jahre fast 30 Desinfektoren ausgebildet und an¬
gestellt. Das schwierigste bei der ganzen Organisation des Desinfektionswesens
bildet die Regelung der Kosten, nicht die Personalfrage. Man muß die
Kämpfe wegen der Bezahlung der Kosten mit den Kreisen und den Aemtern
durchgefochten haben, um das zu verstehen. Da ist nur etwas zu erreichen,
wenn von vornherein durch die Bezirksinstanz genau bestimmt wird, daß die
Kosten auf breitere Schultern gewälzt und vom Amt oder vom Kreise über¬
nommen werden. Vollständig verfehlt ist es ferner, wenn dem Desinfektor
überlassen bleibt, die entstehenden Kosten vom Publikum selbst einzuziehen;
denn der Desinfektor muß unabhängig vom Publikum sein. Das Amt oder die
Polizei-Verwaltung muß ihn honorieren und ihm auch die Desinfizientien
liefern, damit der Desinfektor nicht zu falscher Sparsamkeit im Gebrauch der
Desinfektionsmittel verleitet wird. Zur Verbesserung der persönlichen Ver¬
hältnisse der Desinfektoren dient endlich wesentlich ihre Versicherung gegen
berufliche Unfälle. Es ist den Herren Kollegen vielleicht wenig bekannt, daß
die rheinische Berufs-Genossenschaft sich bereit erklärt hat, die Desinfektoren
zu versichern.
Zum Schluß möchte ich noch des in der Zeitschrift für Medizinalbeamte
jüngst erwähnten Desinfektionsapparates nebst Ausrüstung des Herrn Kollegen
Roepke gedenken, der hier auf dem Nebentisch aufgestellt ist. Ich darf
nicht verhehlen, daß ich etwas enttäuscht bin; denn nach der Beschreibung in
unserer Zeitschrift hatte ich mir den Apparat erheblich leichter vorgestellt.
Die große Schwere des Apparates, trotz seiner praktischen Zusammenstellung,
läßt es aber recht zweifelhaft erscheinen, ob der Apparat für unsere Des¬
infektoren auf dem Lande eine Verbesserung hinsichtlich des leichteren Trans¬
portes bringt. Das beste ist immerhin, wo es die Verhältnisse gestatten, für
Beschaffung einer möglichst großen Zahl von Formalinapparaten in den ver¬
schiedensten Orten zu sorgen, schon um den Transport der Apparate in Wegfall
zu bringen. Auf jeden Fall, m. H., ist das Problem der Konstruktion eines
leicht transportablen Desinfektionsapparates noch nicht gelöst, und eine dank¬
bare Aufgabe scheint es mir zu sein, sich an der Lösung dieser Frage zu
beteiligen.
H. Kreisarzt Dr. Romeick - Mohrungen: M. H. 1 Da eine weitere Debatte
nicht erfolgt ist, kann ich mich ganz kurz fassen. Auf dem Lande sind natur¬
gemäß alle Waffen und Abwehrmaßregeln gegen die Seuchen kostspieliger als
in der Stadt. Alles, was Kosten macht, ist unbeliebt. Die Absonderung hat
aber eine energische Wohnungsreform als Voraussetzung, die unendlich viel
schwieriger und kostspieliger ist, als die Desinfektion. Daher erscheint es mir
zweckmäßig, mit der wirksamen Durchführung der letzteren den Anfang zu
machen. Diese gelingt weitaus am billigsten, wenn wir für die Ueberwachung
der laufenden Desinfektion und für die Ausführung der Wohnungsdesinfektion
verschiedene Organe schaffen. Der Desinfektionsaufseher, als Hilfsorgan des
Amtsvorstehers, wird wegen der geringen Kosten, die er verursacht, bald po¬
pulär werden. Die Befürchtung, daß durch diese Einrichtung den nach An¬
nahme des Preußischen Seuchengesetzes zu erwartenden Desinfektionsvorschriften
der Zentralinstanz vorgegriffen werden könnte, vermag ich nicht zu teilen.
Dio Regierung kann nur allgemeine Direktiven geben; die spezielle Durch-
5*
68
Schloß der Sitzung des ersten Tages.
führong der Maßregeln maß den Kreisen überlassen werden, da diese die Kosten
tragen. Der Kreisarzt wird demnach überall die Vermittelung zu übernehmen
haben. Ich habe daher geglaubt, daß die Darlegung der in einem Kreise ge¬
troffenen Einrichtungen einigen Kollegen erwünscht sein könnte. Schließlich
bemerke ich noch, daß die Ton mir aufgestellten Leitsätze nicht zur Abstim¬
mung bestimmt sind; sie sind nur eine kurze Wiedergabe der Hauptpunkte
meines Beferates.
Die Versammlung beschließet hierauf, von den Leitsätzen
Kenntnis zu nehmen.
Schluß der Sitzung gegen 3 Uhr nachmittags.
Nachmittags 4 1 /, Uhr vereinigte das Festessen im Hotel
Kasten fast sämtliche Teilnehmer mit ihren Damen zu frohbe¬
wegtem Beisammensein. Nach Besuch des Königlichen Hof¬
theaters oder eines anderen Theaters trafen sich dann die
Mehrzahl der Teilnehmer im Restaurant „Bristol“ am Bahnhof.
Zweiter Sitzungstag.
Sonnabend, den SO. April, vormittags OV4 Uhr
Vorsitzender: M. H.! Ich eröffne die Sitzung. Wir haben
die grosse Ehre, als Vertreter Sr. Exzellenz des Herrn Oberprä-
sidenten den Herrn Landrat Dr. Kriege, sowie als Gäste den
Herrn Landgerichtspräsidenten Friedberg und den Direktor der
tierärztlichen Hochschule, Herrn Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. Dam«
mann bei uns zu sehen. Ich heisse diese Herren herzlichst will¬
kommen !
H. Landrat Dr. Kriege: Sehr geehrte Herren! Der Herr
Oberpräsident hat mich beauftragt, Ihnen sein lebhaftes Bedauern
darüber auszusprechen, dass es ihm infolge dienstlicher Inanspruch¬
nahme leider nicht vergönnt ist, hier persönlich zu erscheinen
und an Ihren bedeutsamen Beratungen und Beschlüssen teilzu¬
nehmen. Sie wissen, dass der Herr Oberpräsident sein ganz be¬
sonderes Augenmerk auf die Hebung und Verbesserung der ge¬
sundheitlichen Verhältnisse gerichtet hat, dass er alle auf diesem
Gebiete liegenden Bestrebungen mit Freude begrüsst und Ihren
Beschlüssen ein ganz besonderes Gewicht beimisst. Deshalb hat
er mich beauftragt, Ihnen seinen herzlichsten Willkommengruss
in der hannoverschen Provinzialhauptstadt auszusprechen und
Ihren heutigen Beratungen die besten und schönsten Erfolge zu
wünschen.
(Beifall.)
Vorsitzender: Ich bitte Herrn Landrat Dr. Kriege, dem
Herrn Oberpräsidenten unseren verbindlichsten Dank für das
gütige Wohlwollen übermitteln zu wollen.
70
Bericht der Kassenrevisoren and Wahl des Vorstandes.
I. Bericht der Kasseirerlserei «ul Wahl
des Vorstaides.
Kreisarzt Dr. Kluge - Wolmirstedt: Wir haben die Kasse
geprüft and Einnahmen wie Ausgaben mit den Belegen in Ord¬
nung gefunden, so dass wir beantragen können, dem Kassenführer
Entlastung zu erteilen.
Vorsitzender: Da sich kein Widerspruch erhebt, stelle
ich fest, dass dem Kassenführer Entlastung erteilt ist. Wir
kommen nunmehr zur Wahl des Vorstandes.
H. Reg.- u. Geh. Med.-Rat Dr. Guertler: M. H.! Der
bisherige Vorstand hat die Geschäfte in so vorzüglicher Weise
geleitet, dass ich glaube, wir können nichts besseres tun, als den
Vorstand bitten, die Geschäfte weiter zu führen. Nach § 10 der
Satzungen ist die Wahl per Akklamation erlaubt und ich möchte
mir den Vorschlag erlauben, dass wir von diesem Paragraphen
Gebrauch machen.
(Lebhafte Zustimmung.)
Vorsitzender: Da sich kein Widerspruch erhebt, ist dieser
Wahlmodus zulässig. Ich stelle also fest, dass der bisherige Vor¬
stand wiedergewählt ist; in seinem Namen kann ich erklären,
dass er mit Dank für Ihr Vertrauen die Wahl annimmt.
II. II« giriehtsärztllcfae Btirtellug der Konsfaschercf-
Delikfe.
A.
H. Med.-Rat Prof. Dr. Puppe, Gerichtsarzt in Königsberg
i. Pr., erster Referent: Sehr geehrte Herren! Unter ganz besonders
günstigen Auspizien hat der Preussische Medizinalbeamten-Verein
dieses Mal seine Hauptversammlung abgehalten; ist doch das viel¬
umstrittene Preussische Seuchengesetz erst vor wenigen Tagen
von dem Abgeordnetenhause verabschiedet worden. Eine längst
erstrebte Forderung der Medizinalbeamten ist damit erfüllt worden.
Aber vergessen wir nicht, dass in dem Becher der Freude manches
Wermuttröpfchen enthalten ist; in so manchem Punkte ist uns
nicht gegeben worden, was wir im Interesse der Volksgesundheit
erstrebten. Davon abgesehen, werden sich noch in einem Punkte
bei der Durchführung des Gesetzes Schwierigkeiten ergeben, und
dieser wichtige Punkt ist der, dass die Aerzteschaft sich die Be¬
handlung der ansteckenden Krankheiten wird teilen müssen mit
dem gewerbsmässigen und nicht gewerbsmässigen Kurpfuschertum.
Der Kurpfuscher, der nicht gelernt hat, die Infektionskrankheiten
als solche zu erkennen, der Kurpfuscher, der mit einem billigen
Witz sich über die Befürchtungen, die der Kundige hinsichtlich
Dr. Pappe: Die gerichtsärztliche Beurteilung der Kurpfuschereidelikte. 71
der Verbreitung der Infektionskrankheiten hegt nnd ansspricht,
hinwegsetzt, der Kurpfuscher, der die ihm anvertrauten mensch¬
lichen Wesen in anzweckmässiger Weise behandelt, wird wie bisher
ebenso wie der Arzt von dem Heilung von Krankheiten suchenden
Publikum in Anspruch genommen werden. Es ist wiederholt in
letzter Zeit betont worden, wie wichtig es gerade ist, die ersten Fälle
einer Infektionskrankheit richtig zu erkennen und entsprechende
Massregeln zu treffen, damit sie nicht weiter verbreitet wird; dass
der Pfuscher aber Infektionskrankheiten behandeln darf, ist eine
Tatsache, welche nicht geeignet ist, den Zielen und Zwecken, die
der Gesetzgeber bei dem Seuchengesetz verfolgte, förderlich zu
sein. Im Gegenteil!
Durch die Gewerbeordnung sind ja — das ist Ihnen allen
bekannt — hinsichtlich der Krankenbehandlung die Verhältnisse
in der Weise geregelt worden, dass jeder Mensch jeden Kranken
behandeln darf, und dass es nur eben darauf ankommt, dass der
betreffende Heilbeflissene seine Sache versteht. Die heilenden
Aerzte sowohl, wie Nichtärzte stehen damit rechtlich vollständig
nebeneinander, was die Möglichkeit der Heilung eines Krankheits¬
falles anbetrifft. Der Arzt hat aber gewisse Privilegien: Nur er
darf sich Arzt nennen, nur er darf gewisse Medikamente ver¬
schreiben, nur er darf behördliche Urkunden als die Heilung
Leitender und Begutachtender unterschreiben. Dafür ist der
Nichtarzt, welcher gewerbsmässig oder nicht gewerbsmässig Kranke
heilt oder zu heilen versucht, an vieles nicht gebunden, was den
ehrenwerten Arzt in seinen Entschliessungen und Handlungen be¬
stimmt. Der Nichtapprobierte ist in der Lage, Eeklame zu machen;
kein Standesgesetz bindet ihn in dieser Beziehung. Es ist der
Initiative des Herrn Ministers der geistlichen, Unterrichts- und
Medizidal- Angelegenheiten zu danken, dass der Reklame der
Kurpfuscherei, welche Ueberhand zu nehmen drohte, durch eine
Verfügung vom 28. Juni 1902, betreffend die Bekämpfung der
Kurpfuscherei, ein Damm entgegengesetzt ist. Durch die auf
Anlass dieser Verfügung erlassenen Regier.-Polizeiverordnungen
sind öffentliche Anzeigen von nicht approbierten Personen, welche die
Heilknnde gewerbsmässig ausüben, verboten, insofern sie über
Vorbildung, Befähigung oder Erfolge dieser Personen zu täuschen
geeignet sind oder prahlerische Versprechungen enthalten. Ausser¬
dem ist die öffentliche Ankündigung von Gegenständen, Vorrich¬
tungen, Methoden oder Mitteln, welche zur Verhütung, Linderung
oder Heilung von Menschen- und Tierkrankheiten bestimmt sind,
verboten, wenn den Gegenständen etc. über ihren wahren Wert
hinausgehende Wirkungen beigelegt werden oder das Publikum
durch die Art ihrer Anpreisung irregeführt oder belästigt wird,
oder wenn die Gegenstände etc. ihrer Beschaffenheit nach geeignet
sind, Gesundheitsstörungen hervorzurufen. Endlich ist auf An¬
lass jener Verfügung die Meldepflicht der Kurpfuscher eingeführt.
Die getroffenen Bestimmungen sind sehr wirksame, als sie in
der Tat gestatten, die schamlos betriebene Reklame der Pfuscher
zu unterdrücken. Aber wir wissen alle, dass die nicht approbierten
72
Dr. Poppe.
Heilbeflissenen längst Mittel und Wege gefunden haben, doch den
beabsichtigten Zweck zu erreichen. Sie selbst treiben keine Re¬
klame, aber andere tun es für sie, in einer Form, die bescheiden
klingend, doch weiter nichts als plumpe Reklame ist; oder sie
treten in ihren Vereinen auf, die sie um sich zu gruppieren ver¬
stehen, und senden in jedem ihrer interessierten Vereinsmitglieder
Werbe -Apostel hinaus in die Menschheit. Es ist eigentümlich,
dass in unserer Zeit der Aufklärung so viele Heilungsuchende den
Anpreisungen der Pfuscher erliegen. Es hängt das zweifellos mit
dem Hang nach dem Mystischen, welcher der menschlichen Natur
innewohnt, zusammen; die klare Sonne wissenschaftlicher Er¬
kenntnis ist bei vielen Menschen leider weniger angesehen, als
das mystische Dunkel unklaren Dunkelmännertums.
Bei der Beurteilung eines Pfuschers wird der Richter stets
das subjektive Schuldmoment zu berücksichtigen haben;
die Frage der subjektiven Verschuldung steht gleichwertig neben
der zweiten Frage nach dem objektiven Tatbestand. Es ist
zweifellos die Aufgabe des gerichtsärztlichen Sachverständigen,
den Richter bei der Feststellung des subjektiven Tatbestandes
intensiv zu unterstützen. Der Richter legt sich die Frage vor:
„War sich der Angeklagte bewusst, Täuschungshand-
lungen begangen zu haben? Hat er einen betrügerischen Willen
gehabt? War er sich der Unzulänglichkeit seiner Kenntnisse be¬
wusst, als er sich als Heilkundiger niederliess? Konnte er vor¬
aussehen, dass sein Verhalten eine Schädigung der Gesund¬
heit des von ihm Behandelten bewirken würde dadurch, dass eine
Verschlechterung der Krankheit eintrat oder auch dadurch, dass
die Heilung verzögert wurde?“
Man sollte meinen, dass diese Fragen einfacher Natur wären.
Das komplizierte Gefüge des menschlichen Körpers, die Funktionen
seiner Organe, die Lehre von den Krankheiten, das sind alles
Punkte, welche meines Dafürhaltens von jedem, der sich mit der
Heilung von Kranken beschäftigt, auch vollständig beherrscht
werden sollten. Demgegenüber hören wir aber von einer Reihe
von Fällen, in welchen das subjektive Verschulden verneint worden
ist, weil den Betreffenden nicht nachgewiesen werden konnte, dass
sie in bewusster Weise sich strafbar gemacht hatten. Ich erinnere
hier an die Behandlung, welche Kühne 1 ) zuteil geworden ist;
er hatte die Einheitslehre der Krankheiten ausgesprochen, d. h. er
hatte gesagt, es gebe nur eine Krankheit, ebenso gebe es auch
nur eine Behandlung. Zur Erkennung seiner Krankheiten brauche
er keine Anatomie, keine Diagnose; es genüge ihm dazu seine
Gesichtsausdruckskunde (Psycho-Physiognomik). Seitens des Ge¬
richts ist ein hoher Grad von Selbstschätzung bei Kühne fest¬
gestellt worden, und es ist erklärt worden, dass während der
fast eine Woche dauernden Gerichtsverhandlung es nicht ge -
*) Urteil des Königlichen Landgerichts Leipzig vom 2. Februar 1901.
Sammlung gerichtlicher Entscheidungen auf dem Gebiete der öffentl. Gesund¬
heitspflege. Beilage zu den Veröffentlichungen des Kaiserlichen Gesundheits¬
amts. Berlin, Verlag von Springer. Bd. III; 1902, S. 349.
Die gerichts&rzüiche Beurteilung der Kurpfuscherei - Delikte.
73
langen sei, den subjektiven Schuldbeweis zu erbringen, weil
Kühne selbst an seine Lehre und an seine Kur geglaubt habe.
Gleichzeitig führt das Urteil am Schluss jene bekannte Unredlich¬
keit Kühnes an, der einen Buckligen an einem Tage zweimal
photographieren und die Abbildungen in seinem Buche reprodu¬
zieren liess, indem er zu den Abbildungen bemerkte: Die Ab¬
bildung en face stellte den Kranken nach der Behandlung und
die Profil - Abbildung vor der Behandlung dar. Es ist von dem
Gericht gesagt, dass es hierin einen unlauteren Wettbewerb er¬
blicke, dass es aber wegen mangelnden Strafantrages dieses De¬
likt nicht verfolgen könne. Ich vermag nicht einzusehen, warum
gerade in dieser zweifellos bewussten Unredlichkeit ein zur Be¬
jahung der subjektiven Schuldfrage führendes Moment nicht ge¬
legen hat. Dass der Leipziger Beibesitzbad - Künstler damals
freigesprochen ist, hat gewiss in vielen, nicht allein in ärztlichen
Kreisen Befremden erregt.
Ein anderes Urteil, welches hierher gehört, möchte ich kurz
streifen: Es handelt sich um das Glüneckesehe Heilverfahren.*)
Auch Glünecke hatte die Klugheit begangen, sich hinter einer
„Einheitslehre“ zu verschanzen. Er ging davon aus, dass im
Körper fremde Stoffe entweder gebildet würden, oder dass die
fremden Stoffe von aussen her in den Körper hineinkämen, und
dass das Wesen aller Krankheiten eben diese Fremdstoffe seien.
Er war bescheidener, als der gleich zu erwähnende Heilkünstler
Jakobi, der erklärt hat, alle Krankheiten heilen zu können; er
erklärte wenigstens, dass er alle bis auf Missbildungen und Ver¬
stümmelungen heilen könne. In dem gegen Glüneckes Schwester
und einer Reihe Mitangeschuldigter nach seinem Tode gerichteten
Strafverfahren erfolgte gleichfalls Freisprechung, weil eine be¬
wusste Täuschung des Publikums nicht Vorgelegen habe, und doch
stellte das Urteil fest, dass eine Reihe von Unregelmässigkeiten
in dem Betriebe vorgekommen sei, dass das Heilverfahren un¬
wissenschaftlich und die Reklame ungehörig sei. Es verzeichnet,
dass eine schematische Fragebogenbebandlung stattgefunden hatte,
dass Mediziner in höheren und höchsten Semestern ohne Examen
als „akademisch gebildete Assistenten“ fungierten und figurierten,
und es hebt endlich hervor, dass bei dem Verfahren, welches bei
der Herstellung von Pflanzensäften befolgt wurde, es nicht mög¬
lich gewesen sei, dass der tatsächliche Gehalt der einzelnen Saft¬
flaschen an heilkräftigen Stoffen bis auf die Bruchteile eines
Grammes genau angegeben werden konnte, wie es stets der Fall
war. Das Urteil kommt zu dem Schluss, dass wohl ein Verstoss
gegen verschiedene gesetzliche Bestimmungen hinsichtlich des
Vertriebes von Arzneimitteln vorläge, dass aber hinsichtlich dieses
Delikts wegen Verjährung eine Bestrafung nicht in Frage
kommen könne.
Auch bei diesem Sachverhalt werden wir sagen müssen, dass
') Urteil des Königlichen Landgerichts I Berlin vom 9. Dezember 1900,
gegen M. und Gen.; 1. c., S. 290.
74
Dr. Pappe.
es uns scheinen wolle, als ob die Angeklagten wohl hätten sehen
müssen, dass ihre Handlangen anders hätten eingerichtet werden
mässen, und dass in der Tat eine Reihe von Täuschungshandlungen
vorlag, welche den Angeklagten als solche anch hätten zum Be¬
wusstsein kommen müssen, wenn man ihnen einen gesunden
Menschenverstand konzediert. So aber verschanzen sich die
Angeklagten hinter einem Krankheitssystem und behaupten, ohne
eine Spur eines Beweises erbringen zu können, mit kecker
Stirn, ihre Lehre sei die einzig richtige. Ich kann in solchen
Fällen die subjektive Richtigkeit einer derartigen Behauptung nur
zugeben, wenn vom psychiatrischen Standpunkt aus das Individuum
als nicht normal betrachtet werden darf, wenn insbesondere seine
Urteilskraft aus irgendwelchen Gründen gelitten hat. Von solchen
Leuten habe ich z. B. den älteren Laabs untersucht. Bei ihm
stellte ich die krankhafte Euphorie des Greises fest, der sich
nicht mehr überzeugen lässt. Vielleicht sind auch andere Pinscher,
wie z. B. Jakobi, hierher zu zählen, der von sich erklärt hatte,
er habe alle Krankheiten geheilt bis auf Lepra und Pest, zu
deren Heilung er noch keine Gelegenheit gehabt habe. 1 ) Seine
Kur bestand nur in der Erneuerung des Blutes; das war seine
Krankheitslehre. Dass geistiger Defekt bei einem Teil der
Pfuscher vorliegt, erscheint mir glaubhaft und wahrscheinlich; ich
denke dabei auch an die nahe Verwandtschaft von Pfuscherei und
Kriminalität, insofern, als wir wisseu, dass ein nicht unbeträcht¬
licher Teil der gewerbsmässigen Pfuscher eine kriminelle Ver¬
gangenheit hat, als es sich um bankerotte Existenzen handelt, die
infolge psychischer oder somatischer Ursachen im Leben Schiff¬
bruch gelitten haben. Jedenfalls würde ich die nähere Ergründung
der Psyche derartiger Personen, wenn ihnen der gute Glaube zu¬
gemessen werden soll, für notwendig erachten; ergibt sich dagegen,
dass nur Ignoranz, Selbstüberschätzung und dergleichen
vorhanden sind, dann wird man fordern müssen, dass auch sie be¬
handelt werden als Leute, welche die Tragweite ihrer Handlangen
sehr wohl zu überlegen imstande sind. Dass der menschliche Körper
bei der Behandlung von Krankheiten sehr genau gekannt werden
muss, das ist eine Forderung, welche der leidende Mensch zu
stellen das Recht hat.
Auch der Tilsiter Heilkundige Schröter ist auf seinen
Geisteszustand untersucht worden. Man hat bei ihm gewisse
Zeichen einer Degeneration festgestellt, aber man hat nicht fest¬
gestellt, dass er etwa als unzurechnungsfähig zu erachten sei; die
Bestrafung ist erfolgt, nachdem die fast drei Wochen lang
dauernde Hauptverhandlung eine Fülle von Momenten für die Be¬
jahung der subjektiven Sehuldfrage ergeben hatte. Es stellte sich
nämlich heraus, dass der Angeklagte zwar viele Bücher, ins¬
besondere populäre Schriften über Homöopathie und Naturheilkunde
gelesen hatte, und dass er sich anmasste, alle möglichen Heil¬
verfahren zu beherrschen. Die Hauptverhandlung hat ihm Ge-
*) Urteil des Königlichen Landgerichts Berlin vom 28. Oktober 1899; 1. c.,
S. 286.
Die gerichtsärztliche Beurteilung der Kurpfuscherei - Delikte. 76
legenheit gegeben, za auskaltieren and za perkatieren and seine
Kenntnisse auf allen Gebieten der Heilkunde darzntnn. Es ist
sehr anerkennenswert, dass sich der Gerichtshof, der Mtihe
unterzog, in dieser Ausführlichkeit auf das subjektive Schuld¬
moment einzugehen, und da haben dann die langen Verhandlungen —
im ganzen standen nur 59 Fälle zur Anklage — ergeben, dass er
gelogen hatte, als er behauptete, bei dem Homöopathen Dr. Schttss-
ler in Oldenburg vorgebildet zu sein; auch dafür, dass er von
einem seiner Patienten 2000 Mark zur weiteren Ausbildung er¬
halten hatte, hat die Verhandlung nichts ergeben. Man hat ihn
magnetische Experimente machen lassen, und erkannt, dass er
dabei plump zu schwindeln suchte; den Dunst seiner schweissigen
Hand, der sich auf der kalten Fensterscheibe niederschlug, hat
er für Magnetismus auszugeben versucht. Seinen einfältigen
Patienten hat er an Wandtafeln demonstriert, so viel Kraft habe
Christus, und so viel habe er — Schröter; Christus könne Tote
auferwecken, er könne Kranke gesund machen. Dabei hat er sich
nicht gescheut, eine geschlechtskranke Patientin geschlechtlich zu
gebrauchen, und eine andere Patientin mit der Gonorrhoe, die er
akquiriert hatte, zu infizieren. Wie ein Stümper ist er bald von
einer Krankheitstheorie zur anderen gekommen; bald hat er die
Diagnose durch Kühnes Psycho-Physiognomik gestellt, bald hat
er die Augendiagnose, auf die ich alsbald kommen werde, an¬
gewendet, bald hat er behauptet, durch Hellfühlen die Krankheit
ermittelt zu haben; dann wieder hat er homöopathisch ordiniert
und wie der von ihm geschmähte Schulmediziner den Kranken
untersucht. Wie die Vielzahl seiner Untersuchungsmethoden,
so stellen auch seine Behandlungsmethoden eine durch nichts ge¬
rechtfertigte Polypragmasie dar: Licht, Luft, Lehm, Magnetismus,
Luisenquellwasser, Apfeltee, Sand! (innerlich!), Biochemie, Homöo¬
pathie, Vibrations-Massage, Oszillations-Massage, Baunscheidtismus,
Kühnes Reibe-Sitzbäder, Rumpfbäder etc. bildeten sein thera¬
peutisches Rüstzeug. Er hat wegen 27 fachen Betruges, 8facher
Körperverletzung und wegen einmaligen versuchten Betrages eine
Strafe von 2 Jahren Gefängnis erlitten. Wie mir neulich mitge¬
teilt worden ist, soll er mittlerweile nach Amerika ausgewandert
sein, nachdem er seine Strafe verbüsst hat.
Für die Klärung des subjektiven Tatbestandes erscheint
neben diesen mehr allgemeinen Ueberlegungen von höchster Be¬
deutung das Urteil des III. Strafsenats des Reichsgerichts vom
12. April 1882. 1 ) In diesem Urteil wird ausgesprochen, dass ein
gewerbsmässig Kranke Behandelnder eine besondere erhöhte Pflicht
zur Aufmerksamkeit habe, und dass nicht nur die allgemein
geltenden Gebote der Vorsicht, sondern auch die speziell für den
Beruf des Kranke Behandelnden bestehenden Gebote erhöhter Auf¬
merksamkeit hinsichtlich der §§ 222, Abs. 2 und 280, Abs. 2 des
St.-G.-B. Anwendung finden sollen. Es war gerade die bewusste
') Rechtsprechung des Deutschen Reichsgerichts, Strafsachen; Bd. IV,
1882, S. 313. München und Leipzig. Verlag von Oldcnbourg.
76
Dr. Pappe.
Absicht der Gesetzgebung, so führt das Urteil aus, um bei dem
durch die Gewerbeordnung freigegebenen ärztlichen Gewerbe die
Gefährdung des Lebens und der Gesundheit durch unqualifizierte,
die Heilkunde gewerbsmässig ausübende Personen strenge zu
ahnden, derartige Kurpfuscher auch für Kunstfehler strafrechtlich
verantwortlich zu machen; deshalb habe man von der Aufnahme
mildernder Strafbestimmungen zugunsten solcher, speziell ärztlicher
Fahrlässigkeit, Abstand genommen; wer die Heilkunde gewerbs¬
mässig betreibt, hat Fehler gegen anerkannte Regeln der Heil¬
kunde ebenso zu vertreten, wie eine geprüfte und approbierte
Medizinalperson. Wenn wir die Worte dieser Entscheidung kennen,
so vermögen wir es z. B. nicht recht einzusehen, wenn wir in
einem gerichtlichen Urteil über die frivole Vornahme einer Band¬
wurmkur und dadurch bewirkten Betrug und Körperverletzung
die Ansicht ausgesprochen hören, dass der Angeklagte zwar die¬
jenige Vorsicht nicht beobachtet habe, welche für einen Arzt im
gleichen Fall geboten gewesen wäre, als Laie aber habe er die
nachteiligen Folgen des Gebrauchs des Mittels (Farrenkrautextrakt)
in ihrem ganzen Umfang nicht voraussehen können. *) Ich glaube
im Gegenteil, dass der Pfuscher bei Anklage wegen fahrlässiger
Körperverletzung und Tötung mit demselben Mass gemessen werden
muss, wie der Arzt; was dem einen recht ist hinsichtlich der
Bewertung der von ihm ausgeübten Handlungen, das muss dem
andern billig sein. Diese Ansicht ergibt sich aus den rechtlichen
Verhältnissen, wie sie durch die Gewerbeordnung geschaffen sind.
In einer Reihe von Fällen ist in betrügerischer Absicht ein
Heilversprechen seitens der behandelnden Laien abgegeben
worden. Im Schröter-Prozess erfolgte in der Mehrzahl der
Fälle von Betrug die richterliche Feststellung, dass in betrüge¬
rischer Absicht ein Heilversprechen abgegeben sei, was der An¬
geklagte nicht abgeben durfte. Wir hören auch, dass diese Heil¬
versprechen in einer Reihe von anderen richterlichen Urteilen eine
wesentliche Rolle spielten, in denen Verurteilung wegen Betruges
und wegen unlauteren Wettbewerbs erfolgte. So kennen wir ein
Urteil des Königlichen Landgerichts in Neuburg a. D. vom 11. Fe¬
bruar 1901,*) in welchem ausgeführt wird, dass ein vorbestraftes
Individuum einen Schwindsüchtigen in 18 Tagen gesund machen zu
wollen vorgab, dafür 20 Mark Anzahlung nahm und dann die Kur
durch Gebete, Kräuter-Säfte, Schmalzumschläge, innere Schmalz-
und Kräuterdarreichung und Magnetismus unternahm. Es ist in
diesem Falle wegen Betrages im Rückfalle eine Zuchthausstrafe
von 1 Jahr und 6 Monaten verhängt worden. Das Urteil des
Königl. Landgerichts zu Bautzen vom 30. März 1900, 8 ) bestätigt
durch das Urteil des Reichsgerichts vom 16. Juni 1900, geht
davon aus, dass ein Angeklagter inseriert hatte: Damen erhalten
!) Urteil des Königlichen Landgerichts za Frankfurt a. M. vom 12.
1899; 1. c., S. 321.
*) 1. c., S. 337.
•) L c., S. 341.
Hai
Die gerichtsärztliche Beurteilung der Kurpfuscherei-Delikte.
77
schnelle Hille in allen diskreten Leiden, wie Regelstörungen jeder
Art, Weis8fluss usw.; selbst Brnstknoten (Krebs), sowie alle nnr
vorkommenden Krankheiten heilt schnellstens St. 1 ) Der Ange¬
klagte ist in diesem Falle wegen Vergehens gegen § 4 des Reichs¬
gesetzes zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs vom
27. Mai 1896 bestraft worden. In dem Urteil ist ausgeliihrt, dass
die Uebertreibung seiner heilgewerblichen Leistungen durch den
Inserenten deutlich die Absicht erkennen lasse, die der Angeklagte
mit der Veröffentlichung des Inserats verfolgt habe. Dadurch,
dasB er die Schnelligkeit seiner Heilweise besonders betonte, da¬
durch, dass er sogar Krebs zu heilen versprach, suchte er den
Anschein zu erwecken, als sei er im Besitz ganz aussergewöhn-
licher heilkräftiger Mittel, und als sei seine Heilmethode eine ganz
besonders glückliche und erfolgreiche, erfolgreicher als die der
durch medizinisches Studium geschulten Aerzte.
Die Heil versprechen, welche Schröter in betrügerischer
Absicht gegeben hatte, kann ich hier unmöglich alle im einzelnen
anftfthren; ich will nur folgendes erwähnen:
Eine Patientin kam zu ihm mit einer ßttckenverkrttmmung; er behandelte
sie mit magnetischen Sitzungen, indem er erklärte, er müsse durch den Magne¬
tismus die Wirbelsäule geschmeidig machen, hierzu gebrauche er 1 Jahr. Einem
Förster, welcher an einer unheilbaren Hemiplegie mit Aphasie litt, versprach
er, ihm bestimmt gesund zu machen und zwar in kurzer Zeit; es sei lächerlich,
daß die Aerzte ihn nicht schon gesund gemacht hätten. Einem an unheilbarem
epileptischen Blödsinn Leidenden versprach er Heilung in 9 Monaten; hierbei
zeigte er der Mutter des jungen Menschen in einem Buch die Abbildung
einer Hand, von welcher Strahlen ausgingen; so wäre seine Hand und
sein Körper.
In einigen Fällen wurde, obwohl ein Heilversprechen nicht
abgegeben war, eine Verurteilung nicht ausgesprochen, weil an¬
genommen wurde, dass das Heilversprechen nur in Form einer
allgemeinen Vertröstung abgegeben war oder weil der betreffende
Patient angab, dass er gar keine Heilung, sondern nur eine ge¬
wisse Linderung seines Leidens erwartet habe.
Wenn wir uns nunmehr zu den diagnostischen und therapeuti¬
schen Methoden der Pfuscher wenden, so weiss ich sehr wohl,
dass ich nicht imstande bin, Ihnen hier aus eigener gerichtsärztlicher
Erfahrung alle Kurpfuschermethoden und Praktiken, die es gibt,
auseinander zu setzen, aber ich will versuchen, Ihnen etwas über
die wichtigsten mitzuteilen und bitte Sie selbst, die Sie ja alle
in dieser Beziehung eigene Erfahrungen besitzen, nachher in der
Diskussion diese mitzuteilen, so dass wir imstande sind, ein Bild
über die Ausdehnung, die Folgen und die Art der Pfuscherei aus
dieser Besprechung zu gewinnen. Vor mir liegt ein Blatt, welches
ein bekannter, in hohen Kreisen geschätzter Kurpfuscher geschrieben
hat, der bekannte Gössel. Ein mir befreundeter Herr hatte Ge¬
legenheit, ihn in einer Familie zu sehen, in welcher er einen
Patienten behandelte. Auf Wunsch des betreffenden Patienten
liess sich auch mein Gewährsmann von Gössel untersuchen.
Gössel setzte sich zu ihm, fasste ihn an die Hand und schrieb
78 Dr. Puppe.
dann wie einem inneren Drange gehorchend mit Bleistift nachfol¬
gende Worte nieder:
„Die Vergrößerung der Blase hat im Unterleib eine eigenartige Zirku¬
lation geschaffen und setzt das Blut die Wasserstoffe sehr schwer und dick
in den Nieren ab — auch sind dadurch die Hautgefäße und die Haut mit
vielen Salzen und Säuren belegt — welche längst dnrch die Nieren ausge¬
schieden werden sollten — im allgemeinen sind viel Stoffe im Körper, welche
belästigen — der ganze Körper muß sich zusammenziehen, wenn die Wasser¬
stoffe im Mittelkörper verringert werden und muß durch warme Bäder und
Massage eingerichtet werden; gezeichnet Gössel. 16. X. 1904.“
Dieses Dokument aus meiner Sammlung ist ein typischer Fall
einer Krankheitsdiagnose durch Hellfühlen. Ich will nicht unter¬
lassen hinzuzufügen, dass die Konsultation in dem von mir vor¬
getragenen Fall damit endete, dass der Patient dem Kurpfuscher
erklärte, ihm fehle gar nichts, er fühle sich vollkommen wohl und
er habe die Konsultation nur auf Bitten des ihm befreundeten
Patienten des Kurpfuschers statthaben lassen. Der Fall ist zu¬
gleich auch interessant, weil er die Neigung der in Kurpfuscher¬
behandlung befindlichen Patienten zur Propaganda illustriert. Es
bedarf keines Nachweises, dass diese ganze Methode des Hell-
fühlens Unsinn ist. Ich kann etwas fühlen, was ich mir selbst
suggeriere; ich kann auch etwas fühlen, wenn objektive oder
funktionelle Veränderungen irgend welcher Art in meinem Körper
vor sich gehen oder wenn durch meine Gefühlsnerven irgend eine
mechanische, thermische o. and. Beizung vermittelt wird, aber ich
kann nichts fühlen, was nicht durch eine dieser erwähnten Arten
seine natürliche Erklärung finde; das ist eben kein Hellfühlen,
sondern, wenn Sie mir die Bemerkung gestatten, heller Unsinn.
Die Kuhnesche Psycho-Phy siognomik erwähnte ich
bereits. Kühne ersetzt dadurch bekanntlich die genaue Unter¬
suchung des Patienten; er sieht die Formen des menschlichen
Körpers an, konstruiert sich eine Normal-Figur für das betreffende
Individuum und spricht dann von Vorderbelastung, Seitenbe¬
lastung etc., wenn der Betreffende ein Plus an Körperumfang vorn,
an der Seite etc. hat; er meint, dass hier der Sitz der Krank¬
heit sei, die beseitigt werden müsse. Es bedarf keines weiteren
Wortes zum Nachweis der Hinfälligkeit einer derartigen Methode
zur Feststellung der Krankheiten. Ein Lipom, ein Knochen¬
auswuchs, eine tuberkulöse Wirbelerkrankung und dergleichen, ja,
eine einfache Wirbelsäulenverkrümmung ergeben nach Kühne
alle Hinterbelastung; sie stellen grundsätzlich von einander ver¬
schiedene Krankheitsarten dar, über deren verschiedene Natur nur
der Schwindler andere Leute hinwegzutäuschen versuchen mag,
während er sich selbst, wenn er seine fünf Sinne beisammen hat,
darüber klar sein muss, dass mit dem Ausdruck Belastung das
Wesen der Krankheit nicht erschöpft ist. In einer vollen Tasche
kann alles mögliche verborgen sein.
Ich komme nunmehr zu der durch Schröter so bekannt
gewordenen Augendiagnose und beziehe mich hier, indem ich
Ihnen über dieses diagnostische Verfahren einige Mitteilungen mache,
auf das Buch: „Die Diagnose aus den Augen“ von Nils Lilje-
Die gorichtsärztliche Beurteilung der Kurpfuscherei-Delikte. 79
quist, 1 ) das auch Schröter zum Studium gedient hat. £s
handelt sich um die Behauptung, dass auf der Iris an bestimmten
Stellen Flecke von eigenartiger Farbe vorhanden sein sollen,
welche darauf beruhen, dass das Individuum an ganz gewissen
Stellen des Körpers Krankheitsherde aufweist; man würde also
in der Augendiagnose etwas ähnliches haben, wie unsere Alt¬
vorderen in der Cheiromanthie, in der Lehre, aus den Linien der
Hand Vergangenheit und Zukunft des Menschen zu lesen, zu be¬
sitzen glaubten. Diese angebliche Methode ist «entdeckt“ durch
einen 11jährigen Knaben Ignaz Pöczely, auf dessen Hand
eines Tages sich eine Eule setzte; der Knabe entfernte die Eule
mit Gewalt von seiner Hand, er brach ihr dabei ein Bein; in
demselben Augenblick sah er einen schwarzen Strich im Auge
der Eule entstehen, das Zeichen eines schweren Organschadens.
Der Knabe sah die Eule nach einem halben Jahre wieder und
noch immer in dem Auge das Zeichen des Beinbruchs, aber von
einer weissen krummen Linie begrenzt. So wurde die Entdeckung
der Diagnose aus den Augen gemacht. Einer der hauptsächlichsten
Verbreiter der Pöczelyschen Lehre von der Augendiagnose ist
Liljequist, ein schwedischer Geistlicher niederen Grades. Um
die wissenschaftliche Höhe des Lil je quist sehen Standpunkts zu
kennzeichnen, will ich folgende Zitate geben:
„Kaiser Napoleon I. wollte unter keiner Bedingung die Einreibung
seines Krätzansschlages erlauben, um seiner Gesundheit nicht zu schaden;
indessen wird er es schließlich dennoch zugegeben haben, da er ja doch an
Krebs starb, was meistens das schließliche Schicksal der Krätzkranken ist.“
(S. 13.)
Eine einfache Methode zur Feststellung der immer noch
strittigen Natur des Krebses.
„Nächst der venerischen Ansteckung dürfte keine Krankheit so zur De¬
generation des Menschengeschlechts beigetragen haben, als die verschmierte
Krätze; krätzige Eltern zeugen schorfige Kinder; da die eingeriebene Krätze
nicht vollständig geheilt werden kann, geht das Krätzgift erblich auf die
Kinder über und selbst blauäugige, aber krätzige Eltern bekommen ganz sicher
schorfige, wenn nicht auch braunäugige Kinder.“ (S. 14.)
Liljequist fand, daß das Merkmal des vererbten Krätzgiftes ein
schwärzlicher, nicht scharfbegrenzter Band ist, weicher die ganze Iris um¬
schließt (S. 15). Die Folgen des zurückgetriebenen Schorfes sind noch
schlimmer, als die verschmierte Krätze, schwerere Dyskrasie, englische Krank¬
heit, Fallsucht, Taubstummheit, Blindheit, Aussatz, Skrofeln.
Dass auch diese Menschen Impfgegner sind, darf weiter
nicht Wunder nehmen; es wird die Behauptung in die Welt
posaunt, dass Deutschlands Kaiser Wilhelm II (S. 27) an der
Spitze seines Volkes mit gutem Beispiel vorangegangen sei und
seine Kinder nicht habe impfen lassen. Ich lasse für die Herren,
die es interessiert, das Buch zirkulieren und verfehle hierbei
auch nicht, eine Nachbildung des Schröter sehen Augenspiegels
herumgehen zu lassen. Das Original ist leider am letzten Tage
der Gerichtsverhandlung in Tilsit vom Gerichtstische gestohlen
worden; ich kann es Ihnen nicht vorlegen und muss Sie bitten,
sich mit dieser teilweisen Nachbildung zu begnügen.
*) Kommissionsverlag von Krüger & C’o.; Leipzig 1903. 2. Aufl.
80
Dr. Puppe.
Dass durch die Augendiagnose Krankheiten erkannt werden
können, wird keiner, der ernsthaft denkt, behaupten wollen; auch
Schröter hat es nicht zu beweisen vermocht. In einer Reihe
von Fällen hat er aber, wenn die Patienten zu ihm kamen, nach¬
dem er ihnen mit seinem Augenspiegel die Iris untersucht hatte,
erklärt, die Betreffenden litten an irgendwelchen Leiden, sie seien
durch und durch krank. Dadurch hat er in mehreren Fällen den
Betreffenden Krankheiten suggeriert und sie dazu bestimmt,
sich von ihm behandeln zu lassen. Auch in dieser Methode ist
der Tatbestand des Betruges erblickt worden, eine fahrlässige
Körperverletzung dagegen nicht. Die Diagnose wurde dem Kur¬
pfuscher in vielen Fällen von dem Patienten mitgeteilt, nachdem
sie ärztlicherseits gestellt war. Der Patient erklärte dem Pfuscher
das Symptom; dieser gebrauchte dann seinen Augenspiegel,
bestätigte die ärztliche Diagnose oder stellte etwas anderes fest
und begann dann seine Behandlung.
Ich möchte hier einmal einen sehr interessanten und wich¬
tigen Fall — wichtig, weil er typisch für viele ist — kurz vor¬
tragen :
Eine junge Dame kommt za dem Kurpfuscher and klagt ihm, daß ihr
Sehvermögen abnehme, der Augenarzt habe die Diagnose Netzhaatenzündung
gestellt. Schröter antersacht sie mit seinem Augenspiegel; er macht die
Begleiterin auf das Leuchten der dunklen Pupille aufmerksam, als er bei Licht
untersucht und bestätigt die Diagnose. Die Behandlung besteht in Vibration
der knöchernen Bänder der Augenhöhle und in Massage des Augapfels; das
mag alles gut sein, aber tatsächlich erfährt die Patientin nach einiger Zeit,
daß sie gar nicht an Netzhautentzündung, sondern an Netzhautablösung
leide. Sie teilt das Schröter mit; er sieht in seinem Buche nach und meint,
dann müsse er sie auch anders behandeln. — Eine fahrlässige Körperverletzung
ließ sich in diesem Falle nicht konstatieren, eine Gesundheitsbeschädigung der
der Dame ist nicht eingetreten, in den ersten Tagen hat sie sogar ein gewisses
Gefühl von Besserung zu fühlen geglaubt, nachher aber nicht mehr; so konnten
hier nur die Tatbestandsmerkmale des Betruges festgcstellt werden (Schein-
Untersuchung mit einem Augenspiegel, während er tatsächlich seine Behand¬
lung nach der ihm anfangs falsch hinterbrachten Diagnose des Augenarztes
einrichtete, bestimmtes Heil versprechen, während er sich der Unwahrheit dieses
Versprechens bewußt war), die Körperverletzung dagegen nicht.
Es ist das aber doch, wie mir scheint, eine höchst bedenk¬
liche Gefährdung des Menschen, gegen die wir auf
Grnnd der bestehenden Gesetze machtlos sind. Es
erscheint notwendig, Fälle wie diesen nachdrücklich zu erwägen,
um zu ermitteln, ob es hier nicht eine Abhilfe gibt; eine Gefähr¬
dung der Gesundheit des Menschen in so gröblicher Weise, wo
durch jeden Massagestrich eine weitere Ausdehnung der Netzhaut-
ablösung erfolgen kann, ist in diesem Falle rechtlich nicht zu
ahnden. Der vorgetragene Fall ist aber typisch.
Wir haben uns jetzt mit einigen diagnostischen Methoden
der Kurpfuscher beschäftigt; ich hätte zur Ergänzung meiner
Darlegungen nur zu sagen, dass bei ihnen überhaupt von einer
exakten Untersuchung nicht die Rede ist und auch nicht die Rede
sein kann, weil ihnen ja die anatomischen Kenntnisse, welche
erforderlich sind, abgeben. So begnügen sie sich mit dem Hin¬
sehen oder Hinfühlen, um ihre oft höchst abenteuerlich klingende
Die gerichtsärztliche Beorteilong der Kurpfoscherei - Delikte. 81
Diagnose za stellen. Abenteuerlich ist aber vor allen Dingen in
vielen F&llen die Therapie. Ich will hier einmal eine Reihe
von Fällen hervorheben, in welchen eine falsche Behandlung
stattgehabt hat, und durch welche die ganze Gefährlichkeit des
Treibens der Kurpfuscher ganz besonders illustriert wird:
Ein vollständig ungebildeter Mensch trifft mit einem Apothekenbesitzer
eine Verabredung, des Inhaltes, daß er jenem Kranke zuschicken solle, die
dieser mit Arzneien zu versehen habe. Die Manipulationen dieses Kurpfuschers
wurden als betrügerische angenommen und mit Hecht. Der Angeklagte war
— so hat das Urteil festgestellt 1 ) — sich seiner Unfähigkeit bewußt, er ver¬
schrieb Rezepte, die lediglich den Zweck haben sollten, bei den Beteiligten
den Schein zu erwecken, als handle es sich um eine sachgemäße, fachmännische
Behandlung; so hat er ferner den hohlen Stiel eines Federhalters den Kranken
auf die Brust gesetzt, als ob er auskultieren wollte. Der Angeklagte ist zu
einer Qesamtstrafe von 2 Jahren Gefängnis verurteilt, und zwar wegen 24 fachen
vollendeten und 3fachen versuchten Betruges; auch der Apotheker ist zu
3 Monaten Gefängnis und einer Geldstrafe von 1900 Mark verurteilt worden
nnd das Reichsgericht hat unter dem 11. Dezember 1900 dieses Urteil im
wesentlichen bestätigt.
Ein an Scharlach und Diphtherie erkranktes Kind wurde von einem
Naturheilkundigen behandelt und in ganz roher Weise mit Bädern maltraitiert;
es wurde nicht in gehöriger Weise beaufsichtigt, die Temperatur wurde nicht
kontrolliert, die Krankheit selbst wurde von dem Naturheilkundigen für Masern
gehalten. Die Behandlung des erkrankten Kindes war eine ganz unzweck¬
mäßige, das Kind erlag der Krankheit in kurzer Zeit. Das Gericht hat in
dem Verhalten des Kurpfuschers nur den Tatbestand einer fahrlässigen Körper¬
verletzung erblickt, indem es annahm, daß das fahrlässige Verhalten des
Angeklagten eine Verschlechterung der Gesundheit zur Folge hatte.*)
Fahrlässigkeit wurde in der Unterlassung der Zuziehung eines Arztes
in einem Falle von Diphtherie erblickt und mit 9 Monaten Gefängnis geahndet:
Der Kurpfuscher riß das fand aus dem Schlaf, um alle Viertelstunden gurgeln
zu lassen; er kümmerte sich anderseits einen Tag lang nicht um das Kind.
Auch in diesem Falle trat der Tod ein und auch in diesem Falle war der
ursächliche Zusammenhang des Todes mit der Behandlung, die das Kind er¬
halten hat, nicht zu erbringen, weil die Grundkrankheit möglicherweise eine
tötliche war, aber fahrlässige Körperverletzung ist, wie gesagt, angenommen
worden*)
Eine akute Osteomyelitis wurde von einem Kurpfuscher für Gelenkrheu¬
matismus gehalten; trotz Ersuchens des Kranken wurde die Zuziehung eines
Arztes seitens des Kurpfuschers abgelehnt. Auch in diesem Falle erfolgte die
Verurteilung wegen fahrlässiger Körperverletzung und zwar zu 800 Mark
Geldstrafe 4 ).
Eine fahrlässige Körperverletzung, die mit 600 Mark Geldstrafe geahndet
wurde, hat das Gericht in der Behandlung einer Frühgeburt erblickt, bei der
nach Ausstoßung des Foetus die Nachgeburt nicht ausgeräumt, sondern im
Uterus belassen wurde, so daß Sepsis eintrat. 8 )
Eine fahrlässige Tötung durch fehlerhafte Behandlung ist festgestellt
worden insofern, als eine Kranke mit einem Panaritium kunstwidrig mit Brei¬
umschlägen statt mit dem Messer, aseptisch statt antiseptisch behandelt wurde
und weil sich der Kurpfuscher nicht um die Patientin in gehöriger Weise
kümmerte; es entwickelte sich eine tödliche Pyämie. Das Reichsgericht hat
das verurteilende Erkenntnis des Königlichen Landgerichts zu Flensburg vom
*) Urteil des Kgl. Landgerichts Memel vom 20. Juni 1900; 1. c., S. 276.
*) Urteil des Kgl. Landgerichts II Berlin vom 25. Januar 1900; 1. c.,
S 297.
*) Urteil des Kgl. Landgerichts II Berlin vom 12. April 1900; 1. c., S. 298.
4 ) Urteil des Kgl. Landgerichts zu Magdeburg vom 19. September 1900;
1. c. S. 304.
*) Urteil des Kgl. Landgerichts Altona vom 26. Februar 1900.
6
82
Dr. Pappe.
20. November 1899 bestätigt and zwar unterm 6. Februar 1900. Es war aof
eine Gefängnisstrafe von einem Jahr erkannt. 1 )
Eine fehlerhafte Behandlung eines Oberarmbraches mit nachfolgender
Radiallähmung — es wurde kein fixierender Verband angelegt — wurde von
dem Landgericht za Düsseldorf am 17. März 1900 mit 900 Mark Geldstrafe
geahndet; das Reichsgericht hat unter dem 21. Mai 1900 dieses Urteil bestätigt. 1 )
Ein Pfuscher, welcher ein vereiterndes Hüftgelenk durch Streckung be¬
handelte, wurde ebenfalls wegen fahrlässiger Körperverletzung mit 60 Mark
Geldstrafe belegt.*)
Ein anderer Heilkundiger worde za einem Oberschenkelbruch gerufen,
den ein Arzt kunstgerecht mittels eines Slreckverbandes behandelt hatte; er
nahm den Streckverband ab, ließ oberhalb und unterhalb des Bruches ziehen,
bis es krachte und legte dann einen fixierenden Verband an; der Oberschenkel
heilte mit einer Verkürzung von 9 cm. Der Schuldige wurde wegen fahr¬
lässiger Körperverletzung zu 50 Mark Geldstrafe verurteilt 4 ).
Wegen Verkennung eines Oberschenkelbruches und dementsprechender
falscher Behandlung erhielt ein Heilkundiger einen Monat Gefängnis; erschwe¬
rend ist in diesem Falle, daß der Angeklagte von der Hinzuziehung eines
Arztes abgeraten hatte. 6 )
Anklage wegen fahrlässiger Körperverletzung wurde wegen mehrerer
Fälle erhoben. Es erfolgte Verurteilung, weil eine Herzbeutelentzündung nicht
erkannt und fehlerhaft behandelt war und weil der Angeklagte eine syphi¬
litische Keh 1 kopfgeschwulst durch Inspektion des Rachens als solche
erkannt haben wollte und falsch behandelt hatte, nachdem er die Diagnose
auf Halsgeschwür nach Quecksilberbehandlung gestellt hatte. Urteil der Straf¬
kammer des Großherzoglichen Landgerichts Mainz vom 28. September 1899.
Auch das Reichsgericht ist mit dieser Sache befaßt gewesen; es spricht in
seinem Urteil vom 22. Januar 1900 aus: „Nicht in einem Mangel an Begabung
und Intelligenz hat die Strafkammer ein Verschulden des Angeklagten gefunden,
sondern seine mangelhafte Ausbildung und zufolge dessen ungenügende Befähi¬
gung zur Behandlung von Erkrankungen, wie sie in den beiden besprochenen
Fällen Vorlagen, festgestellt. Daß er solche im Bewußtsein seiner unzulänglichen
Vorbildung unternahm, während er hierbei die Möglichkeit schlimmer Folgen
und einer Schädigung für seine Patienten voraussehen konnte, wie solche den
Tatsachen zufolge eingetreten sind, hat der erste Richter mit Recht dem An¬
geklagten als Fahrlässigkeit zur Last gelegt.“ *)
Auch in einer nachlässigen und falschen Behandlung einer Blinddarm¬
entzündung hat das Kgl. Landgericht Bautzen am 11. April 1899 eine fahr¬
lässige Körperverletzung erkannt und das Reichsgericht hat unter dem 7. Ja¬
nuar 1900 das Urteil bestätigt. 7 )
Wegen fahrlässiger Tötung eines 4 Jahre alten Kindes erhielt ein vor¬
bestrafter Pfuscher 2'/* Jahre Gefängnis: Er hatte einen kleinen unbedeu¬
tenden Hautausschlag kurieren wollen und hatte durch eine stark alkalische,
mehrfach wiederholte Einreibung die Haut zu einer pergamentenen Eintrock¬
nung gebracht, so daß der Tod infolge von gestörter Hautatmung eintrat.*)
Eine fahrlässige Körperverletzung hat zu einer Verurteilung von 6 Mo¬
naten Gefängnis bei einer Angeklagten geführt, die einem Kinde beim „Ziehen“
beide Oberschenkel brach; eine Mitangeklagte wurde freigesprochen, weil es
nicht als erwiesen erachtet wurde, daß sie durch ihre Behandlung mit Crucius-
Pflaster und Vertröstung der Mutter die Heilung des Kindes verzögert hätte *);
*) 1. c., 8. 814.
*) 1. c., S. 329.
*) Urteil des Kgl. Landgerichts Elberfeld vom 8. Novbr. 1899; 1. c., S. 881.
*) Urteil des Kgl. Landgerichts Frankenthal vom 13. Okt. 1899; 1. c, S. 334.
*) Urteil des Kgl. Landgerichtshof Hof vom 17. Sept 1900; 1. c., S. 335.
°) 1. c., 8. 363.
7 ) 1. c., 8. 106.
8 ) Sammlung gerichtl. Entscheidungen etc. Beilage zu den Veröffent¬
lichungen des Kaiserl. Gesundheitsamts, III. Band, S. 82. Berlin 1896. Ver¬
lag von Jul. Springer. Urteil des Fürstlichen Landgerichts Gera vom
13. August 1894.
e ) Urt. des Kgl. Landgerichts Breslau vom 16. Aug. 1893; L c., S. 33.
Die gerichtsärztliche Beurteilung der Kurpfuscherei-Delikte. 83
das Beichsgericht hat dieses Urteil bestätigt (IV. Str.-Sen.^|16.9Dezbr. 1893).
Das Beichsgericht erklärt es zwar für nicht bedenkenfrei, daß durch das Tun
der zweiten freigesprochenen Angeklagten eine Verschlimmerung nicht bewiesen
sei; es führt aus, daß die Schuld nicht nur in der Verursachung des Entste¬
hens einer Krankheit liege, sondern in der Verursachung des Fortbestehens
der Krankheit, die ohne Eingreifen der Angeklagten in den Kausalrerlauf be¬
seitigt wäre. In der Verhinderung der Zuziehung eines Arztes konnte der
Tatbestand einer Körperverletzung gefunden werden. Da der Bichter aber —
so fährt das Beichsgericht fort — festgestellt hat, daß die Angeklagte die
Möglichkeit einer Heilungsverzögerung nicht zu erkennen vermochte, so fehlt
das subjektive Schuldmoment —.
Die zweite Angeklagte war eine sogenannte „kluge Fran“, welche die
Heilung etwa 3 Wochen verzögert hatte und die bei Uebernahme der Hei¬
lung erklärt hatte, daß bei beiden Beinen des Kindes „der Apfel ausge¬
treten" sei.
Eine fahrlässige Körperverletzung hat das Kgl. Landgericht Memmingen
am 28. Januar 1901 in der falschen Behandlung eines Lungenkatarrhs mit
Quecksilber gefunden, nachdem sich Mund- und Darmentzündung infolge der
fehlerhaften Behandlung eingestellt hatten.
Das bekannte Urteil des Reichsgerichts (III. Str.-S.) vom
26. Oktober 1893 *) folgert noch nicht ohne weiteres ans dem Um*
stand, dass jemand, der die Heilkunde ohne wissenschaftliche Vor-
bildnng ausübt, ein fahrlässiges Handeln begeht; es ist vielmehr stets
im einzelnen festzustellen, wenn die Kur eines nicht wissenschaftlich
vorgebiideten Heilkünstlers einen nicht gewollten Erfolg hatte,
erstens, ob der Beschuldigte nach dem Masse seiner Kenntnisse und
nach seiner sonstigen Einsicht und Erfahrung bei Anwendung gehö¬
riger Sorgfalt jene Folgen hätte voraussehen können, und zweitens, ob
für ihn aus Rücksicht auf die besondere Art des Krankheitsfalles
die Verpflichtung vorlag, vor dem Beginn einer Kur den Rat eines
Arztes einzuholen, und ob, wenn dies geschehen wäre, der schädliche
Erfolg vermieden oder doch eingeschränkt worden sein würde.
Wenn eine dieser beiden Fragen bejaht werden kann, so ist eine
Fahrlässigkeitsschuld gegeben. Es ist also stets ein Eingehen
auf die besonderen Verhältnisse des konkreten Falles notwendig,
wenn darüber entschieden werden soll, ob ein nicht approbierter
Heilkünstler bei der Behandlung von Kranken fahrlässig gehandelt
habe oder nicht. Das gerichtsärztliche Gutachten wird in diesen
Fällen einmal die Tatsache der Gesundheitsbeschädigung, d. h.
der Gesund heitsVerschlechterung oder der Heilungsverzögerung
festzustellen haben; sodann aber wird der ursächliche Zusammen¬
hang zwischen der Gesundheitsverschlechterung bezw. Heilungs¬
verzögerung und dem Handeln oder Unterlassen des Heilkünstlers
zu beweisen sein. Solch ein Beweis ist mit Gewissheit nur selten
zu erbringen. Es genügt nach dem Urteil des Reichsgerichts vom
12. Januar 1894, wenn sich nach dem regelmässigen Gange der
Dinge, wie er sich erfahrungsgemäss in den meisten Fällen zu
gestalten pflegt, die Wahrscheinlichkeit eines gewissen hypothetisch
unterstellten Kausalverlaufes ergibt, da für die Beantwortung
solcher hypothetischen Fragen eine absolute Gewissheit niemals
und nirgends existiert. Weiter ist im gerichtsärztlichen Gut-
•) Goldtammers Arch., 41. Jahrg., Berlin 1893. S. 395.
6*
84
Dr. Pappe.
achten die dritte Frage za berücksichtigen, ob der Heilbeflissene
vermöge der ihm infolge seines Berufes obliegenden besonderen
Aufmerksamkeit die eingetretenen üblen Folgen hätte voraussehen
können. In diesen Bahnen hat sich das gerichtsärztliche Gut¬
achten zu bewegen. Ich erwähne bei dieser Gelegenheit, dass die
Feststellung des Richters sich in eben diesen Bahnen bewegt:
dass eine Körperverletzung begangen ist und dass der Angeklagte
bei Anwendung der ihm durch seinen Beruf gebotenen Sorgfalt
hätte erkennen müssen, dass zum mindesten die Möglichkeit des
eingetretenen schlechten Erfolges vorlag; auf die Voraussehbar¬
keit desselben kommt es an, wenn das Moment der Fahrlässig¬
keit bei Zufügung der Körperverletzung resp. der Tötung im Sinne
des § 222 bezw. 230 St. G. B. bejaht werden soll.
Der Vollständigkeit halber erwähne ich, dass auch noch in
einigen anderen Fällen eine fahrlässige Körperverletzung seitens
der richterlichen Behörde für vorliegend erachtet worden ist; so
z. B. dadurch, dass ein Drogist bei Verabfolgung einer Morphium¬
lösung nicht auf die Gefährlichkeit dieses Stoffes auf¬
merksam machte; 1 ) dadurch, dass ein Heilkundiger es unter¬
lassen hatte, einen an Lippenkrebs leidenden Menschen Aber
die Notwendigkeit einer Operation aufzuklären,*)
endlich noch darin, dass ein 10 Monate altes Kind durch nutz¬
lose Quälerei behandelt wurde, nachdem ein Heilkundiger die
Diagnose Diphtherie gestellt hatte. Der zugezogene Arzt konnte
von einer Diptherie nichts finden, wohl aber fand er die Folgen
der übermässig rohen Behandlung, die unter anderem in dem Ein¬
giessen von Heringslake in den Mund des armen Geschöpfes be¬
standen hat. 8 )
Wenden wir uns nun zu der Behandlung, welche durch völlig
wirkungslose Substanzen den Heilungerstrebenden durch die so¬
genannten Heilkundigen zuteil wird, so werden wir hier, was die
richterliche Qualifikation der Straftaten anbetrifft, besonders Be¬
trugsfälle entdecken können, wenn wir die Annalen der Recht¬
sprechung durchmustern:
Ein Pfuscher wurde verurteilt zu 9 Uonaten Gefängnis, weil er Rheu¬
matismus mit unschädlichen Pulvern, die sich bei der Untersuchung lediglich
als aus Zucker bestehend herausstellten, und die er für schweres Geld ver¬
kauft hatte, behandelte. Das Reichsgericht hat dieses Urteil unter dem
12. Oktober 1899 bestätigt. 4 )
Minderwertige Mittel wurden noch in folgenden Fällen in
betrügerischer Absicht gegeben:
Ein Pfuscher hatte vorgespiegclt, jemand sei krank, er könne helfen
und verkaufte eine Medizin für 6 Mk.; dieselbe war 1,20 Mk. wert und der
Betreffende war garnicht krank. Täuschung wurde in diesem Falle noch darin
erblickt, daß der Pfuscher erklärt hatte, er sei Militärarzt in den Kolonien
gewesen usw. 6 ) ln einem anderen Falle erklärte eine Zeugin, sie hätte sich der
*) U. d. Kgl. Landg. Königsberg vom 14. Januar 1899; L c., S. 275.
Bestätigt durch reichsgcrichtliches Erkenntnis vom 7. April 1899.
*) U. d. Horzogl. Landg. Altenburg vom 28. Juni 1890; L c., S. 863.
*) U. d. Herzogi. Landg. Altenburg vom 20. Februar 1900; L c., S. 364.
4 ) U. d. Kgl. Landg. Erfurt vom 6. Juni 1899; L c., S. 802.
6 ) U. d. Kgl. Landg. Magdeburg vom 18. Oktober 1900; L c., 8. 806.
Die gerichtärztliche Beurteilung der Kurpfuscherei-Delikte. 85
Behandlung nicht unterzogen, wenn sie gewußt hätte, daß der Angeklagte kein
Militärarzt sei
Betrügerische Kurpfuscherei liegt vor in folgenden Fällen:
Ein Pfuscher, der vielfach vorbestraft ist, läßt sich von einem Epilep¬
tischen den Namen auf den Zettel schreiben und legt diesen in die Herz¬
gegend. In einem anderen Falle stellt er sich als alter Doktor vor, fragt
nach einer Adresse und bietet sich dann sofort zur Behandlung in der Familie
an, indem er glauben zu machen sucht, daß die betreffende, mit ihm redende
Person krank sei. „So ein alter Doktor sieht doch alles.“ In einem anderen
Falle erschien er, um einen Knaben von Krämpfen zu befreien und suchte der
Frau einzureden, daß sie krank sei, ein schlimmes Auge, Herzklopfen habe
und an kalten Füßen leide. In einem vierten Falle hatte der Betreffende sich
den Anschein eines Arztes gegeben; er gab wertlose Ratschläge und Rezepte,
deren Unwirksamkeit ihm bekannt war. Durch seine Vorspiegelungen erregte
er in den betreffenden Personen den Irrtum, daß sie es mit einer Persönlichkeit
zu tun hätten, welche ärztliche Kenntnisse und Geschicklichkeit besitze, die
sie zur Beseitigung ihrer bezw. ihrer Angehörigen Leiden geeignet machten.
Die Getäuschten zahlten Honorar und wurden so in ihrem Vermögen geschädigt. 1 )
In einem Falle von Hirngeschwulst*) spiegelte ein Pfuscher vor, er
könne das Leiden heilen; zugleich spiegelte er vor, daß es ihm durch dio
Röntgenstrahlen möglich sei, zu sehen, daß im Bauche bei der letzten Geburt
etwas gerissen sei und sich auf den Sehnerven gelegt habe. Einen elektrischen
Apparat im Werte von 65 Mk. verkaufte dieser Mensch für 180 Mk. Es er¬
folgte Verurteilung wegen wiederholten Betruges zu 4 Monaten Gefängnis und
200 Mk. Geldstrafe.
Wegen betrügerischen Vertriebes einer Bruchheilsalbe erhielt ein An¬
geklagter 6 Monate Gefängnis. 1 )
Wegen des betrügerischen Vertriebes eines Mittels für Mannesschwäche
und für Bartwuchs (Dr. Jauers Regenerator und Dr. Jauers Capillair) er¬
hielten 2 Angeklagte Geldstrafe von 1000 bezw. 500 Mk. 4 ) Es handelte sich
bei dem Regenerator um ein wertloses Gemisch von Kochsalz, Bittersalz usw.
in Lösung und bei dem Capillair um Wachs, Paraffin und Kampfermischung.
In organisatorisch höchst geschickter Weise hat es ein Pfuscher ver¬
standen, einen Kreis von Agenten um sich zu gruppieren. Er gründete eine
Gesellschaft für Hygiene und Homöopathie, ließ sich zum Präsidenten wählen,
ließ sich als Doktor und Professor anreden und nahm alle möglichen Leiden
in Behandlung, z. B. Brustkrebs und Wirbelsäulentuberkulose; letztere er¬
klärte er für eine „Lungenverschleimung“, für deren Heilung er 80 Mk. im
voraus forderte. Die Patienten gaben an, sie hätten den Betreffenden nicht
zu ihrem Arzt gemacht, wenn sie nicht angenommen hätten, daß er Arzt sei.
Es erfolgte Verurteilung wegen vollendeten und versuchten Betruges. 8 )
Wegen eines betrügerischen Vertriebes eines Mittels gegen die Trunk¬
sucht erfolgte Verurteilung zu einem Jahr Gefängnis und 5 Jahren Ehrverlust.
Nach dem Inserat wurde der Glaube erweckt, als ob das Mittel gegen Ein¬
sendung von 80 Pfg. übersendet würde. Wenn diese Summe von den In¬
teressenten eingegangen war, erhielten sie nur einen Prospekt über die 6 Mk.
kostende eigentliche Flüssigkeit, die eine Wachholderextraktlösung im Werte
von 15 Pfg. darstellte. Dieses Mittel wurde zuweilen gleich mit zugeschickt
und der Betrag durch Postnachnahme erhoben. Es wurde festgestellt, daß
der versprochene Dauererfolg in den bei weitem meisten Fällen nicht eintrat,
und daß in wenigen Fällen in einer begrenzten Weise Erfolg eingetreten war,
jedenfalls aber kein Dauererfolg, wie er versprochen war.
Die Aufgabe des ärztlichen Gutachters bei Strafverfahren
dieser Art wird es sein, festzustellen, welches der Wert der ärzt¬
lichen Behandlung ist, insbesondere wird er zu sagen haben, ob
>) U. d. Kgl. Landg. zu Nordhausen vom 17. Mai 1899; 1. c., S. 307.
*) U. d. Kgl. Landg. Wiesbaden vom 23. Oktober 1899; 1. c., S. 322.
•) U. d. Kgl. Landg. Aachen vom 3. September 1900; 1. c., S. 326.
4 ) U. d. Kgl. Landg. Dresden vom 19. Juli 1900; 1. c., S. 347.
8 ) U. d. Kgl. Landg. Hamburg vom 30. August 1899; 1. c., 8. 366.
86
Dr. Puppe.
das Verfahren geeignet ist, Leiden der infrage kommenden
Art zu heben nnd ob es als ein von wissenschaftlich anerkannten
Aerzten geübtes Verfahren za gelten hat.
Das ist z. B. mit dem bekannten und auch noch im Schröter-
Prozess viel erwähnten Baunscheidtismns sicher nicht der
der Fall. Der Bannscheidtismns stellt — rein medizinisch ge¬
sprochen, in seiner Anwendung eine doppelte Körperverletzung
dar: einmal dadurch, dass durch die Stichelung der an der Spirale
befindlichen Nadeln etwa 20—30 Wunden in der Haut des Körpers
geschaffen werden, und sodann dadurch, dass die gestichelte Haut¬
partie mit einem reizenden Oele, in dem sich Krotonöl befindet,
in einen Zustand der Entzündung versetzt' wird. In dem
Schröter-Prozess wurde indess nur in den Fällen eine fahr¬
lässige Körperverletzung als vorliegend erachtet ist, in denen den
Patienten bei Zufügung der Stichelung ein erheblicher Schmerz
verursacht worden war, wie z. B. in einem Falle von Fussgelenks-
tuberkulose, von Hornhaut- und Regenbogenhaut-Entzündung und
von chronischen Gelenkrheumatismus.
In einem Urteil vom 1. Mai 1900 hat das KönigL Lanngericht in Dort¬
mund *) dahin erkannt, daß nicht sowohl die Stichelang, als die Hautentzündung
nach der Stichelung sich als eine besonders schwere Störung des körperlichen
Wohlbefindens darstelle, welches bei Anwendung der erforderlichen Aufmerk¬
samkeit hätte vermieden werden können und verurteilte den Angeklagten
wegen fahrlässiger Körperverletzung in 3 Fällen zu einer Gefängnisstrafe von
6 Monaten. Das Beichsgericht hat unter dem 22. Septbr. dieses Urteil bestätigt.
M. H.I Ich hoffe, Ihnen an einer Reihe von Beispielen
gezeigt zu haben, in welchen Bahnen sich die gerichtsärztliche
Sachverständigen-Tätigkeit, sowohl was die Feststellung des sub¬
jektiven, als auch des objektiven Tatbestandes betrifft, zu bewegen
hat. Dabei weiss ich sehr wohl, dass die Bestrafung der Kur¬
pfuscher nicht allein aus den angeführten rechtlichen Gesichts¬
punkten (Betrug, unlauteren Wettbewerb, fahrlässige Körperver¬
letzung, fahrlässige Tötung), sondern auch noch wegen Führung
arztähnlicher Titel, wegen Ausübung der Heilkunde im Umher¬
ziehen und wegen Abgabe verbotener Arzneimittel erfolgen kann.
Indessen kommen diese letzerwähnten Punkte für die Tätigkeit
des Gerichtsarztes weniger in Betracht.
Nach der angeführten Kasuistik könnte es scheinen, als ob
die Bestrafung von Kurpfuscherei-Delikten eine einfache Sache sei.
Dem ist aber, wie wir alle wissen, nicht so. Vielleicht tragen
meine Darlegungen dazu bei, dass gerade die Frage des subjek¬
tiven Schuldmoments gelegentlich einer anderweiten Prüfung unter¬
zogen wird. Ich meine selbstverständlich nicht die Prüfung gemäss
§ 51 St. G. B., sondern eine Prüfung daraufhin, ob der Beschul¬
digte mit Defekten in seiner Intelligenz, in seinem Urteilsvermögen
u. dgl. belastet ist, die das subjektive Schuldmoment ausschliesseu
können. Die allergrösste Mehrzahl der Kurpfuscher ist sich, wie
ich überzeugt bin, ihrer Unfähigkeit bewusst; sie haben nicht
die bona fldes, die sie stets für sich in Anspruch nehmen möchten.
(Lebhafter Beifall.)
•) L c., 8. 817.
Die gericbtsärztliche Beurteilung der Kurpfuscherei-Delikte.
87
Die von dem Vortragenden aufgestellten Leitsätze hatten
folgenden Wortlaut:
1. Kurpfuschereidelikte sind Verstösse nicht approbierter
Heilbeflissener gegen Strafgesetze bei Ausübung des Heilgewerbes.
2. Sie können bestehen in Tötung der zur Wiederherstellung
übernommenen Patienten oder Beschädigung der Gesundheit der¬
selben, und zwar sowohl durch Verschlechterung des Gesundheits¬
zustandes, als auch durch Verzögerung der Heilung. Juristisch
qualifizieren sich diese Verstösse als fahrlässige Tötung oder fahr¬
lässige Körperverletzung.
3. Für die Feststellung des subjektiven Schuldmomentes ist
von Erheblichkeit die Reichsgerichtsentscheidung vom 12. April
1882, nach welcher Fehler gegen anerkannte Regeln der Heil¬
kunde von gewerbsmässigen Kurpfuschern ebenso zu vertreten
sind wie von Aerzten.
4. Sodann können Kurpfuschereidelikte bestehen in Täu¬
schungshandlungen mannichfacher Art; in Betracht kommen besonders
betrügerische Heilversprechen, betrügerische Untersuchungen, z. B.
durch Hellfühlen, Augendiagnose, Gesichtsausdruckskunde (Psycho-
physiognomik), betrügerische, indifferente Behandlung, wie z. B.
Magnetismus bei organischen Erkrankungen u. a. m. Juristisch
kommen hier Betrug und unlauterer Wettbewerb in Frage.
5. In subjektiver Hinsicht ist in solchen Fällen die Schuld¬
frage stets zu bejahen, wenn bei den Angeschuldigten nicht psy¬
chiatrisch Defekte in der Sphäre der Intelligenz und des Urteils
zu ermitteln sind.
6. Von sonstigen Kurpfuschereidelikten kommen in Frage:
Führung arztähnlicher Titel, Abgabe von Arzneien, die dem freien
Verkehr nicht überlassen sind, Ausübung der Heilkunde im Umher¬
ziehen, betrügerische Reklame und Ankündigung von Mitteln, die
gesundheitsschädlich sind, oder denen eine ihnen nicht inne¬
wohnende Wirkung beigelegt ist.
7. In Fällen der Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit
durch Kurpfuscher, in denen eine üble Wirkung der Behandlung
aus irgend einem Grunde nicht eingetreten ist oder nicht fest¬
gestellt werden kann, versagen die bestehenden gesetzlichen
Bestimmungen.
B.
H. Amtsgerichtsrat Dr. von Dtering- Hannover, Korrefe¬
rent: M. H.! Der ehrenvollen Aufforderung Ihres Vorstandes, das
Referat über die gerichtsärztliche Beurteilung der Kurpfuscherei-
Delikte zu übernehmen, habe ich trotz aller Bedenken, ob ich zur
Lösung einer so wichtigen, schwierigen Frage etwas beizusteuern
vermöchte, mich nicht entziehen zu sollen geglaubt, weil ich der
Meinung bin, dass diese meist von ärztlicher Seite behandelte
Frage eine überwiegend juristische Seite hat, und dass es im
Kampfe gegen die Quacksalber und Wunderdoktoren nicht allein
darauf ankommt, das Uebel zu erkennen, die Grösse der Gefahr
aufzudecken, sondern die vom Gesetz, namentlich dem Reichs-
88
Dr. t. Ihering.
Straf-Gesetzbuch gebotenen Waffen gegen das Unwesen zu schärfen,
damit auf Grund des jetzt geltenden Rechtszustandes manches
Kampfmittel gegen das Kurpfuschertum noch erfolgreicher an ge¬
wendet werde, und endlich die Lücken, die das Gesetz zurzeit
noch auf weist, zur Erreichung besserer Zustände auf dem Gebiete
des Gesundheitswesens zu schliessen. Auf diesem Gebiete mit¬
zuarbeiten, im Kampfe gegen das Kurpfuschertum mitzukämpfen,
halte ich für eine so dankbare, wichtige Aufgabe, dass ich dem
verehrten Vorstände Ihres Vereins dankbar bin, mir Gelegenheit
geboten und Anregung gegeben zu haben, den einschlägigen Fragen
einmal näher zu treten.
Was ist nun Kurpfuscherei?
Fast alle, welche sich mit ihr literarisch beschäftigt haben,
bestimmen den Begriff derselben verschieden. Die meisten ver¬
stehen unter Kurpfuscher diejenige nicht ärztlich approbierte Person,
die gewerbsmässig durch Raterteilung und Handanlegung die Be¬
handlung von Krankheiten oder Leiden übernimmt, ohne die zu
solcher Behandlung erforderliche Vorbildung, Erfahrung oder
Kenntnis zu besitzen. Der junge Mediziner des sechsten Semesters,
der die ärztliche Approbation noch nicht erlangt hat und bei der
Mensur die Paukanten flickt, ist kein Kurpfuscher, denn er handelt
weder gewerbsmässig, noch ohne die zur übernommenen Behand¬
lung erforderliche Vorbildung. Auch der im Samariterdienst aus¬
gebildete Schutzmann, welcher an einem Erhängten Wieder¬
belebungsversuche macht, ist kein Kurpfuscher, weil er weder
gewerbsmässig, noch unsachgemäss handelt. Wie weit die An¬
sichten über die Begriffsbestimmung auseinandergehen, veran¬
schaulicht sich am besten durch den Hinweis auf den im 8. Jahr¬
gang der Deutschen Juristenzeitung, Nr. 8 vom 15. April 1908
enthaltenen Aufsatz des Senatsvorsitzenden im Reichsversicherungs¬
amt Dr. Flügge in Berlin. Für ihn ist Kurpfuscherei diejenige
Behandlung eines Kranken durch nicht ärztlich gebildete Personen,
die im Widerspruch zu ärztlichen Zulassungen oder Anordnungen
steht oder stehen würde, wenn der Arzt um sie gewusst hätte.
Nach seiner Ansicht ist es keine Kurpfuscherei, wenn der Holz¬
fäller dem verletzten Kameraden im Walde Karbolwatte auf die
verletzte Hand bindet, wohl aber, wenn er dem Kameraden auf
die bereits infizierte Wunde statt der Karbolwatte Heftpflaster
legt. In den zahllosen Fällen einer Laienbehandlung von Kranken
entscheidet erst nachträglich die ärztliche Wissenschaft, ob Kur¬
pfuscherei vorliegt oder nicht. Kurpfuscherei kann nach Flügge
entgeltlich, unentgeltlich, gewohnheitsmässig oder gewerbsmässig
betrieben werden. Mit einer solchen Begriffsbestimmung ist in
der Praxis nicht viel anzufangen; denn der eine Arzt wird sein
Urteil für, der andere gegen ein Vorliegen von Kurpfuscherei
abgeben. Auch der approbierte Arzt würde danach eigentlich,
wenn er einen Kunstfehler in der Behandlung eines Kranken begeht,
zum Kurpfuscher werden, insofern die von ihm beliebte Behand¬
lung des Kranken im Widerspruch zu dem steht, was andere Aerzte
anzuordnen pflegen. Es kommt hinzu, dass der Sprachgebrauch
Die gerichta&rztliche Bearteilung der Kurpfuscherei- Delikte. 89
unter Pinscher den versteht, welcher ohne geprüft zu sein, ein
Handwerk, eine Kunst, eine Wissenschaft ausübt, die er nicht
beherrscht, und zwar seines Erwerbes wegen.
Wie dem aber auch sei, der Kreisarzt jedenfalls, wie in der
Hegel auch das Gericht hat es nur mit dem gewerbsmässigen
Kurpfuscher, der der nötigen Vorbildung für die von ihm über¬
nommene Behandlung von Kranken ermangelt, zu tun.
An sich ist die Kurpfuscherei kein Delikt; denn die Aus¬
übung der Heilkunde und auch die gewerbsmässige Behandlung
ansteckender Krankheiten ist durch den, den freien Betrieb auch
dieses Gewerbes zulassenden § 1 der Eeichsgewerbeordnung frei¬
gegeben. *)
Wenn Prof. Dr. phil. und med. Kossmann zu Berlin in der
Zeitschrift „Das Recht“ aus der Entstehungsgeschichte der Reichs-
Gewerbeordnung den von den Bearbeitern der Gewerbeordnung
übereinstimmend als unbestreitbar hingestellten Satz, dass die
Ausübung der Heilkunde freigegeben, zu bekämpfen versucht und
sich dabei insbesondere gegen ein Erkenntnis des Obertribunals
wendet, auch dessen Ausführungen als auf einer Verkennung der
Entstehungsgeschichte der Gewerbeordnung beruhend hinstellt, so
widerlegen sich seine Ausführungen von selbst, wie denn auch
zahlreiche höchstrichterliche Entscheidungen auf entgegen¬
gesetztem Standpunkt stehen. Grade der Umstand, dass bei Be¬
ratung der Gewerbeordnung die vorgeschlagene Bestimmung,
wonach der Landesgesetzgebung überlassen wurde, zu bestimmen,
inwieweit die Ausübung der Heilkunde durch ungeprüfte Personen
zu beschränken, in das Gesetz nicht aufgenommen wurde, ergibt
deutlich, dass der im Reichsgesetz zur Anerkennung gelangte
Grundsatz der Kurierfreiheit der Willkür landesgesetzlicher Be¬
schränkungen entzogen werden sollte. Es entsprach dies auch
ganz und gar der allen Beschränkungen der gewerblichen Freiheit
und Hemmungen des Verkehrs abgeneigten Zeitströmung jener
Tage der Gründung des Norddeutschen Bundes und des Deutschen
Reiches. Han hielt eben Massregeln gegen die Medizinpfuscherei
nicht für modern. Gewiss mag der Uebereifer der Apostel einer
schrankenlosen Gewerbefreiheit, die in dem freien Spiel der wirt¬
schaftlichen Kräfte die oberste Gewähr für die Förderung des
allgemeinen Wohles, für das Blühen und Gedeihen des Ganzen
erblickten, in manchem zu weit gegangen sein und dadurch eine
naturnotwendige Reaktion hervorgerufen haben; für das Baugewerbe
werden wir nach den Aeusserungen des Staatssekretärs des Reichs¬
amts des Innern Graf Posadowsky bei der Beratung des dies¬
jährigen Haushaltsplanes eine Gesetzvorlage über den Befähigungs¬
nachweis im Baugewerbe demnächst zu erwarten haben, für das
Gebiet der Heilkunde verlautet von solchen reichsgesetzlichen
Plänen nicht das mindeste. Aber es bedarf auch nicht eines all¬
gemeinen, gesetzlichen Verbotes der Kurpfuscherei; denn die ge¬
setzlichen Handhaben, die im Kampfe gegen das nationale Uebel
') Urteil des preußischen Ober-Verwaltungsgerichts Tom 22. April 1895.
90 Dr. ▼. Ihering.
des Kurpfuschertums den Behörden zur Verfügung stehen, genügen
im grossen und ganzen.
Mit welchen Mitteln lässt sich die Kurpfuscherei
bekämpfen?
Wer ein nationales Uebel, einen am Marke des Volkes
zehrenden Krebsschaden wirksam bekämpfen will, wie etwa die
Trunksucht, die Spielwut, muss zuerst den Sitz des Hebels zu
ergründen suchen. Gilt es die Quellen zu verstopfen, aus denen
das Uebel seine Nahrung zieht, so muss eine gründliche zuver¬
lässige Erforschung derselben vorangehen.
Unzweifelhaft sind die Gründe des Zulaufs zum Kurpfuscher
mannichfache: Scheu so vieler vor den nicht selten hohen Doktor-
und Apothekerrechnungen, also Sparsamkeit am falschen Ort — sagt
man doch: Mancher Bauer schickt bei Erkrankung seiner Fran
zum Arzt erst, wenn sie im Sterben liegt, — Unerreichbarkeit des
weit entfernt wohnenden Arztes, vor allem geringer Bildungsgrad
der Masse, die von den Fortschritten der heutigen Medizin, der
durch ihre heutigen Leistungen fast verblüffenden Chirurgie und
der nicht minder erfolgreichen Serumtherapie keine Ahnung hat.
Gleich dem Spiritismus beruht der Erfolg des Kurpfuschers
auf der Hinneigung der Menschenseele zum Geheimnisvollen,
Wunderbaren, Unverstandenen; mundus vult decipi. Versteht es
der Charlatan den Leuten Sand in die Augen zu streuen, indem
er ihnen mit hochtrabenden Phrasen, mit gelehrten Kunstaus¬
drücken seine Theorien über das Wesen des Organismus und seiner
Funktionen, von dem Ursprung der Lebenskraft auseinandersetzt,
dass sie Mund und Ohren aufsperren, so hat er sie in der Tasche,
und es bewährt sich das alte credo quia absurdum. Ich erinnere
nur an den französischen Grafen Cesare Mattei, der mit weisser,
blauer, rosa, grüner Elektrizität saturierte Zuckerpillen massen¬
haft vertrieb, als ein untrügliches Mittel gegen alle möglichen
Krankheiten, und an den Schäfer Ast, der aus durchschnittenem
Nackenhaar des Kranken Sitz und Ursache der Krankheit fest¬
zustellen vorgab.
Darum gilt es im Kampfe gegen das Kurpfuschertum vor
allem für Verbreitung einer allgemeinen, gediegenen, naturwissen¬
schaftlich vertieften Bildung zu sorgen, die jeden in den Stand
setzt, sich ein selbständiges, zutreffendes Urteil über schwindel¬
hafte Reklame zu bilden. Nicht minder auch durch amtliche
Warnungen und öffentliche Bekanntmachungen über einzelne grade
besonders im Vordergrund stehende Geheimmittel oder Heilmethoden
— nach dem trefflichen nachahmenswerten Vorgang des Berliner
Polizei-Präsidiums — die Wahrheit zu verbreiten, sie ins rechte
Licht zu setzen.
Freilich mit amtlichen Warnungen und öffentlichen Bekannt¬
machungen der Polizei- und Medizinalbehörden im Reichsanzeiger,
im Amtsblatt und dergl. ist es nicht getan, sie sind dort meist
vergraben und werden nicht dem Volke, sondern nur denen be¬
kannt, die ihren Inhalt ohnehin schon kennen.
Deshalb wäre vor allem seitens der beamteten Aerzte, zumal
Die gerichts&rztliche Beurteilung der Kurpfuscherei - Delikte. 91
der Kreisärzte, die Tagespresse in den Dienst der Agitation zn
stellen gegen den Geheimmittelschwindel und den Charlatan, und
bei jeder sich bietenden Gelegenheit auf besonders schreiende
Fälle von Quacksalberei hinzuweisen, um belehrende, aufklärende
Erörterungen anzufügen, entsprechend der Aufgabe des Medizinal*
beamten, die Kurpfuscher unausgesetzt im Auge zu behalten, sie
mit allen gesetzlichen Mitteln zu beaufsichtigen und gegebenen¬
falls gegen sie einzuschreiten.
Geschieht dies in systematischer geschickter Weise in den
gelesensten Tagesblättern, z. B. gelegentlich durch Abdruck ein¬
schlägiger Vorträge, oder in Besprechungen amtlicher Warnungen,
dann wird bei dem grossen Interesse unserer Zeit für alle medi¬
zinisch-naturwissenschaftlichen Fragen schon viel gewonnen sein.
Freilich für den Medizinalbeamten, der sich mit vollem Ernste
dieser schwierigen Aufgabe widmet, ist der so betretene Pfad oft
ein dornenvoller; nicht selten wird er sich dem Vorwurf des De¬
nunziantentums ausgesetzt sehen, er wird umfangreiche Ermitte¬
lungen anzustellen, und eingehende Gutachten zur Vorbereitung
der strafgerichtlichen Verhandlung auszuarbeiten haben.
Der Verbreitung der Wahrheit über die Gemeingefährlichkeit
des Geheimmittelschwindels und des Kurpfuschertums wird be¬
kanntlich durch nichts so sehr entgegengewirkt, als durch ge¬
richtliche mit Freisprechung endende Strafprozesse gegen Kur¬
pfuscher, die erfahrungsgemäss oft in schamloser Weise zu
Beklamezwecken ausgebeutet werden, eine ernste Mahnung, bei
Erhebung von Auklagen gegen Geheimmittelschwindel und Kurier-
schwindel die grösste Umsicht und Vorsicht walten zu lassen.
Es gibt gewisse Wahrheiten, die, des Reizes der Neuheit
entbehrend, das Mal der Alltäglichkeit an der Stirn tragen, haus¬
backene Wahrheiten, die nur dann wahrhaft wirksam werden, die
ihren wahren Wert nur dann entfalten, wenn sie immer wieder
in die Erinnerung zurückgerufen, immer von neuem verkündet
werden.
Zu diesen Wahrheiten gehört unter anderem die das Volks¬
wohl untergrabende gesundheitsschädigende Macht des Alkohols
und die Gemeingefährlichkeit der Quacksalberei. Wer die Anti¬
alkoholbewegung unserer Tage verfolgt hat, weise, dass es im
Kampfe gegen den Missbrauch geistiger Getränke mit der Er¬
kenntnis der Alkoholgefahr allein nicht getan ist, sondern dass
nur eine unablässige, in immer weitere Kreise getragene Agitation
einen Erfolg erringen, den Wert der einmal erkannten Wahrheit
zu sichern vermag.
Ein Gleiches gilt im Kampf gegen das Kurpfuschertum.
Immer aufs Neue muss gegen die Auswüchse desselben angekämpft
werden, damit seine Gefahr für die Volksgesundheit, vielleicht
auch für das materielle Wohl des Aerztestandes in immer weiteren
Kreisen erkannt und der Wahrheit zum Siege geholfen werde.
Deshalb hat sich die Leitung des Preussischen Medizinalbeamten-
Vereins ein grosses Verdienst erworben, indem es den Kampf
gegen das Kurpfuschertum auf dem Gebiete des Strafrechts auf
92
Dr. t. Ihering.
die Tagesordnung setzte; denn es gilt immer von neuem die
Schäden des Geheimmittelschwindels and die Gefahren der Quack¬
salberei aufzudecken. Jedenfalls ist es ein Wahn zu glauben,
dass man des Uebels der Kurpfuscherei durch einen Paragraphen
der Gewerbeordnung Herr werden könnte, der die gewerbliche
Ausübung der Heilkunde durch nichtgeprüfte Personen abhängig
macht von dem Nachweise der Befähigung des Bewerbers; im
Gegensatz zu der ärztlichen Approbation etwa nach Art des Be¬
fähigungsnachweises geprüfter Hebammen und geprüfter Heil¬
gehilfen. Dies würde, wenn überhaupt ausführbar, ganz abge¬
sehen davon, ob auch nur die ärgsten Versündigungen gegen die
Gesundheit anderer hintangehalten würden, aber gleichwohl die
schwersten Bedenken gegen sich haben; es hiesse die Kurpfuscher
von Staats wegen zu Aerzten II. Klasse erheben und die ge¬
setzliche Anerkennung der Kurpfuscherei noch erhöhen.
Auch eine Vorschrift der Gewerbeordnung, welche die ge¬
werbliche Ausübung der Heilkunde von einer ärztlichen Appro¬
bation abhängig machte, mit einem Federstriche die Kurierfreiheit
beseitigte, damit aber die Gewerbefreiheit in tiefeinschneidender
Weise beschränkte, verdient zurzeit nicht ernstlich ins Auge gefasst
zu werden.
Ueber die für und wider vorzubringenden gesetzgeberischen
Gründe dieser in viele Lebensverhältnisse tiefeingreifenden Frage,
vom rechtswissenschaftlichen, ärztlichen, volkswirtschaftlichen und
sozialen Standpunkte aus mich des Näheren zu verbreiten, würde
hier zu weit führen und erscheint auch unnötig, da nach dem
dermaligen Standpunkt der gesetzgebenden Faktoren an eine Auf¬
hebung der Kurierfreiheit in absehbarer Zeit wohl nicht zu denken
ist. Haben die Anhänger desselben doch noch nicht einmal den
Befähigungsnachweis im Baugewerbe durchzusetzen vermocht, so
dass die Gewerbe - Ordnung zurzeit nur den Befähigungsnachweis
der Seeschiffer, Seesteuerleute, Maschinisten der Seedampfer und
Lotsen gemäss § 8 Gewerbeordnung vorsieht.
Am ehesten könnte noch vom gesetzgeberischen Standpunkte
aus an eine Ausdehnung des § 35 Gewerbe - Ordnung gedacht
werden, wonach die Erteilung von Tanz-, Turn- und Schwimm¬
unterricht als Gewerbe zu untersagen ist, wenn Tatsachen vor¬
liegen, welche die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden in
bezug auf diesen Gewerbebetrieb dartun. Nach derselben Vor¬
schrift ist auch der Handel mit Drogen und chemischen Präpa¬
raten, die zu Heilzwecken dienen, zu untersagen, wenn die Hand¬
habung des Gewerbebetriebes Leben und Gesundheit gefährdet.
Ist die Untersagung erfolgt, so kann die Landeszentralbehörde
oder eine andere von ihr zu bestimmende Behörde die Wieder¬
aufnahme des Gewerbebetriebes gestatten, sofern seit der Unter¬
sagung mindestens 1 Jahr verflossen ist. Personen, welche die
in diesem § 35 bezeichneten Gewerbe beginnen, haben bei Eröff¬
nung ihres Gewerbebetriebes der zuständigen Behörde hiervon
Anzeige zu machen.
Eine solche Vorschrift würde im Falle schwerer Versündigung
Die gerichtsärztliche Beurteilung der Kurpfuscherei-Delikte.
93
des Kurpfuschers an fremder Gesundheit bei besonders groben
Yerstössen gegen die allgemein anerkannten und bekannten Regeln
der Heilkunde die Handhabe bieten, dem Pfuscher das Handwerk
zu legen.
Entsprechend der dem Tum-, Tanz- und Schwimmlehrer usw.
auferlegten Verpflichtung, bei Eröffnung ihres Gewerbebetriebes
der zuständigen Behörde hiervon Anzeige zu machen, ist eine
solche Verpflichtung bisher schon vielfach auf ministerielle An¬
weisung durch Polizei-Verordnungen eingeführt, wie die für den
Reg.-Bez. Hannover erlassene Polizeiverordnung vom 26. Mai 1903,
betr. die Vorschriften, insbesondere die Meldepflicht für Personen,
welche die Heilkunde gewerbsmässig ausüben, ohne approbiert
zu sein.
Diese Verordnung schreibt vor,
„daß Personen, welche, ohne approbiert zu sein, die Heilkunde gewerbs¬
mäßig ausüben wollen, unter anderen auch Zahntechniker, Zahnkünstler, soweit
sie die Zahnheilkunde ausüben, nicht geprüfte Heilgehilfen und Masseure,
Barbiere, die die kleine Chirurgie betreiben, dies vor Beginn des Gewerbe¬
betriebes dem zuständigen Kreisärzte zu melden und gleichzeitig die erforder¬
lichen Angaben über ihre persönlichen Verhältnisse zu machen haben; des¬
gleichen haben sie auch jeden Wohnungswechsel zu melden, sowie die Auf¬
gabe ihres Berufes.“
§ 3 sieht vor, daß öffentliche Anzeigen von nicht approbierten Personen,
welche die Heilkunde gewerbsmäßig ausüben, verboten sind, sofern sie über
Vorbildung, Befähigung oder Erfolge dieser Personen zu täuschen geeignet
sind oder prahlerische Versprechungen enthalten.
§ 4 bestimmt: „Die öffentliche Ankündigung von Gegenständen, Vorrich¬
tungen, Methoden oder Mitteln, welche zur Verhütung, Linderung oder Heilung
von Menschen- oder Tierkrankheiten bestimmt sind, ist verboten, wenn den¬
selben besondere über ihren wahren Wert hinausgehende Wirkungen beigelegt
werden, oder das Publikum durch die Art ihrer Anpreisung irregeführt oder
belästigt wird, oder wenn die Gegenstände etc. ihrer Beschaffenheit nach ge¬
eignet sind, Gesundheitsschädigungen hervorzurufen.“
§ 6 bestraft Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften, soweit nicht in
den bestehenden Gesetzen eine höhere Strafe vorgesehen ist, mit Geldstrafe
bis zu 60 Mark, an deren Stelle im Unvermögensfalle Haft tritt.
Soweit bekannt geworden, wird diese Verordnnng streng
dnrehgeführt and hat schon znr Bestrafung einer ganzen Reihe
von gewissenlosen Heilkünstlern geführt. — Aber eine Handhabe,
auch bei schwersten Versündigungen gegen die Gesundheit anderer
dem Heilkünstler die Ausübung des Gewerbebetriebes zu unter¬
sagen, ihm das Handwerk zu legen, bietet die erwähnte Verord¬
nung nicht und kann sie nicht bieten; dies wäre nur im Wege
der Reichsgesetzgebung durch Erstreckung der im § 35 Reichs¬
gewerbeordnung für Drogisten gegebenen Vorschriften auf die
Kurpfuscher zu erreichen.
Wenn nach der Gewerbeordnung § 35, Abs. 4 der Handel
mit Drogen und zu Heilzwecken bestimmten chemischen Präpa¬
raten zu untersagen ist, wenn die Handhabung des Gewerbe¬
betriebes Leben und Gesundheit von Menschen gefährdet, so sollte
doch um so viel eher das gleiche gelten müssen, wenn ein skrupel¬
loser, auf den Erwerb erpichter Kurpfuscher eine gemeingefährliche
Wirksamkeit entwickelt.
Klingt es nicht geradezu wie eine Verhöhnung der Staats-
94
Dr. y. Ihering.
gewalt, wie eine Verspottung der Rechtsordnung, wenn der in
einem aufsehenerregenden Strafprozesse von dem Landgericht
Königsberg za längerer Freiheitsstrafe verurteilte Heilkünstler
Schröder in der Tagespresse ankündigt, nach Verbüssung seiner
Strafe gedenke er seine Praxis alsbald wieder aufzunehmen, wie
er hoffe mit grösserem Erfolge wie zuvor, da er in den längeren
strafgerichtlichen Verhandlungen viel gelernt habe.
Ob nun die erwähnte Polizei-Verordnung des Regierungs¬
präsidenten von Hannover vom 26. Mai 1903 sich auf die Dauer
bewähren wird, so lange nicht die Untersagung des Gewerbe¬
betriebes gemeingefährlicher Kurpfascher auf gesetzgeberischem
Wege ermöglicht wird, muss die Zukunft lehren, insbesondere ob
nicht die Vorteile der Anmeldepflicht dadurch wieder aufgewogen
werden, dass die Kurpfuscher sich fortan als beim Kreisarzt an¬
gemeldet and als zugelassen bezeichnen und diese Tatsache zu
Reklamezwecken ausbeuten.
Von den einschlägigen, die Ausübung der Heilkunde be¬
rührenden Vorschriften der Reichsgewerbeordnung ist die
wichtigste § 29 in Verbindung mit § 147 9 . Einer auf Grund eines
Nachweises der Befähigung zu erteilenden Approbation bedürfen
ausser den Apothekern diejenigen Personen, welche sich als Aerzte,
Wundärzte, Augenärzte, Geburtshelfer, Zahnärzte und Tierärzte
oder mit gleichbedeutenden Titeln bezeichnen. Die Zuwiderhand¬
lung wird mit einer Geldstrafe bis 800 Mark, im Unvermögens¬
falle mit Haft bestraft (§ 147). Diese Vorschrift umfasst nur die
im § 29 bezeichneten Medizinalpersonen, nicht also das niedere
Heilpersonal, für das nach § 6 die landesrechtlichen Vorschriften
gelten, also auch die Ablegung einer Prüfung verlangt werden
kann. Wer, ohne sich als Arzt usw. zu bezeichnen, die Tätigkeit
des Arztes ausübt, bedarf keiner Approbation; anderseits ist die
unbefugte Annahme des Titels eines Arztes auch ohne Hinzutritt der
ärztlichen Tätigkeit strafbar. Auch derjenige, welcher zur Führung
des Doktortitels berechtigt ist, verstösst gegen die fr. Vorschrift,
wenn er dies unter Umständen, in einer Weise tut, welche den
Glauben erweckt, er sei eine geprüfte Medizinalperson. Denn die
Frage, ob die Bezeichnung, welche sich eine nicht ärztlich appro¬
bierte Person beilegt, eine dem Titel Arzt ähnliche sei und ob
dadurch der Glaube erweckt wird, er sei eine geprüfte Medizinal¬
person, ist nicht abstrakt, sondern nach den Umständen des Einzel¬
falls zu beurteilen.
Unlängst hat das Kammergericht einen approbierten Zahn¬
arzt, welcher zum Dr. phil. promoviert, auf seinen Schildern und
Stempeln sich Dr. N. N., prakt. Zahnarzt, genannt hatte, von der
Anklage wegen Vergehens gegen den § 147, Nr. 3 Gew.-Ordn.
freigesprochen, da das Verlangen der Staatsbehörde, den Titel Dr.
durch den Zusatz phil. zu ergänzen, um nicht den Anschein zu
erwecken, er sei ein Dr. med., für unberechtigt zu halten sei.
Grade dass der Angeklagte zu seinem wohlerworbenen Dr.-Titel
die Bezeichnung prakt. Zahnarzt hinzufügt, stelle ausser Zweifel,
dass er sich nicht als anderweit approbierter Arzt habe bezeichnen
Die gerichtsärztliche Beurteilung der Kurpfuscherei*Delikte.
95
wollen. Nor wenn er den Dr. - Titel vor seinem Namen ohne den
Zusatz praktischer Zahnarzt geführt hätte, würde er dadurch
möglicherweise den Glauben haben erwecken können, dass er
approbierter Arzt sei. Eine nicht geprüfte Medizinalperson darf
sich den Titel Homöopath nicht beilegen. In der Bezeichnung
als Naturarzt kann die Annahme eines Titels gefunden werden,
durch welchen der Glaube erweckt wird, dass jemand eine appro¬
bierte, also geprüfte Medizinalperson sei. *) An sich ist aber der
Titel Naturarzt noch nicht als eine Bezeichnung als Arzt auf¬
zufassen, sondern nach den Umständen jedes einzelnen Falles zu
beurteilen, ob dadurch der Glaube erweckt wird, dass die Appro¬
bation stattgefunden hat. 8 )
Nach der Entscheidung des Reichsgerichts s ) ist nur die Bei¬
legung eines persönlichen Titels, nicht aber die Angabe einer
Kurmethode durch § 147 8 Gew.-O. geregelt. Nicht für strafbar
ist deshalb derjenige in der Rechtsprechung erachtet, welcher auf
dem Firmenschild seinen Gewerbebetrieb als Institut für geheime
und Hautkrankheiten, als Institut für physiologische Therapie, als
Anstalt für Naturheilbehandlung bezeichnet hatte. Nicht für straf¬
bar ist ferner im Einzelfall erachtet worden, wer sich als
Spezialist für Massage oder für Heilgymnastik, als Diätetiker be¬
zeichnet hatte.
An zweiter Stelle möchte ich das Reichsgesetz zur Be¬
kämpfung des unlauteren Wettbewerbs vom 27. Mai 1896
erwähnen, dem ich aber nur einige Worte widme, weil die bereits
erwähnte Polizeiverordnung des Reg.-Präsidenten in Hannover vom
26. Mai 1903 mit ihren ins einzelne gehenden Bestimmungen über
öffentliche Anzeigen der Heilkünstler und öffentliche Anpreisung
ihrer Heilmethoden und Mittel hier nur selten Anlass bieten wird,
auf dieses Reichsgesetz zurückzugreifen. Nach § 1 desselben in
Verbindung mit § 4 wird mit Geldstrafe bis zu 1500 Mark be¬
straft, wer in der Absicht, den Anschein eines besonders günstigen
Angebots hervorzurufen, in öffentlichen Bekanntmachungen über
die Beschaffenheit, die Herstellungsart oder die Preisbemessung
von Waren oder gewerblichen Leistungen unwahre und zur Irre¬
führung geeignete Angaben tatsächlicher Art macht. Zu solchen
gewerblichen Leistungen zählen nicht nur die Dienste der Besitzer
von Instituten für Massage, für Heilgymnastik, von Mineralbädern
und dergl., die Dienste des Barbiers, welcher die sogenannte kleine
Chirurgie betreibt, sondern überhaupt die Dienste der gewerbs¬
mässigen Heilkünstler. So hat denn das Reichsgericht 4 ) erkannt,
dass § 4 des betreffenden Gesetzes auch auf öffentliche Ankündi¬
gung der Uebernahme von Krankheitsheilungen und der Befähigung
zu solchen, falls tatsächlich eine solche dem Täter, wie bei allen
Kurpfuschern, abgeht, verwendbar sei. Hiernach bietet das Gesetz
eine wirksame Handhabe gegen schwindelhafte Reklame, und das
•) Erk. des Obertribunals Tom 22. Dezember 1875.
*) Erk. des Obertribunals vom 9. November 1876.
*) Bd. 81, 8.164 der Entscheidungen in Strafsachen.
4 ) Vergl. Entscheidungen in Strafsachen; Bd. 85, S. 286.
Dr. y. Ihering.
%
um so mehr, als in Preussen auf Grund der Königl. Verordnung vom
27. Mai 1887 die Aerztekammern zur Stellung von Anträgen gegen
Kurpfuscher berechtigt sind; denn sie haben die Eigenschaft von
Verbänden im Sinne des § 1, da ihr Geschäftskreis die Erörterung
aller Fragen und Angelegenheiten umfasst, die auf die Wahr¬
nehmung und Vertretung der ärztlichen Standesinteressen gerichtet
sind, und zu letzteren auch die materiellen Interessen gehören.
Nicht minder ist nach höchstrichterlicher Entscheidung auch der
Kreisarzt, auch der vollbesoldete, zur Antragstellung befugt, da
er, weil ihm die Ausübung der ärztlichen Berufstätigkeit wenigstens
in dringenden Fällen freigegeben ist, als Gewerbetreibender des
§ 1 anzusehen ist.
Wenn ich mich zum Schluss den Vorschriften des Straf¬
gesetzbuches zuwende, so muss ich mich, um die vorgesehene
Zeitdauer nicht zu überschreiten, beschränken auf die Erörterung
der Begriffe, Fahrlässigkeit, Ursachenzusammenhang, Tatbestand
der fahrlässigen Körperverletzung und Tötung, auf die Voraus¬
setzungen, unter denen der Täter zu der Aufmerksamkeit, die er
ausser Acht liess, vermöge seines Amtes, Berufes, Gewerbes ver¬
pflichtet war. Fahrlässigkeit besteht in der Vernachlässigung
einer nach den konkreten Umständen zu beurteilenden vernünftigen
Ueberlegung und Berechnung, wobei auf die individuellen Eigen¬
schaften und Fähigkeiten des einzelnen Rücksicht zu nehmen ist.
Eine Fahrlässigkeit ist angenommen worden, wenn jemand eine
Aufgabe übernommen, sich zu einer Tätigkeit verpflichtet hat,
z. B. zum Fahren eines Wagens als Kutscher, zur Leitung einer
Geburt als Arzt, ohne die dazu erforderlichen Fähigkeiten und
Eigenschaften sich erworben zu haben; das kann auch beim Kur¬
pfuscher gelten, wenn er die erforderliche Handreichung wegen
zitternder Hand, wegen Kurzsichtigkeit oder Schwerhörigkeit nicht
ordentlich auszufüliren vermag. Abzulehnen ist der Gedanke, dann
der Kurpfuscher schon durch die Uebernahme der Behandlung
schwer zu erkennender, schwerer noch zu heilender Krankheiten
eine Schuld auf sich lade; denn die Ausübung der Heilkunde ist
freigegeben.
Aeusserst zweifelhaft kann es im einzelnen sein, ob der
Kurpfuscher zu der Aufmerksamkeit, die er ausser Augen setzte,
vermöge seines Gewerbes verpflichtet ist, d. h. zu einer besonderen
erhöhten Aufmerksamkeit.
Man wird nicht ohne weiteres in jedem Falle mit Dr. Diet¬
rich 1 ) aus der gegen Entgelt erfolgten Ausübung der Heilkunde
die Verpflichtung zu erhöhter Aufmerksamkeit herleiten können,
wohl aber dann solche festzustellen haben, wenn jemand das Heilen
von Krankheiten gegen Entgelt in einem grösseren örtlichen Um¬
kreise seit längerer Zeit berufsmässig betreibt und daraus ein
Gewerbe gemacht hat.’)
■) Siehe Bericht über die 13. Hauptversammlung des PreuAischen Med.*
Beamtenvereins; S. 70.
*) VergL Urteil des Reichsgerichts vom 12. April 1882; Rechtsprechung,
IV, Seite 818.
t
Die gerichts&rztliche Beurteilung der Kurpinecherei- Delikte.
97
Ein Gewerbe fordert stets eine fortgesetzte Tätigkeit in
Erwerbsabsicht, einzelne gelegentliche Fälle der Ansflbnng der
Tätigkeit reichen nicht hin. In zahlreichen Fällen bietet der
§ 263 Str. G. B. die Handhabe gegen den Kurpfuscher wegen
Betruges einznschreiten. Dies ist einmal der Fall, wenn der
Heilkünstler den Leuten gegenüber sich in allgemeinen Prahlereien
über seinen Heilerfolg, über seine Erfahrung und Befähigung er¬
geht, sowie bestimmte Tatsachen über von ihm behandelte Krank¬
heiten und dabei erzielte Erfolge anführt oder nähere Daten über
seine auf diese oder jene Weise erlangte Vorbildung gibt, welche
der Wahrheit zuwiderlaufen, nicht minder wenn er sich für einen
Arzt ausgibt, wie dies in einer vom Reichsgericht entschiedenen
Strafsache des Landgerichts Lüneburg der Angeklagte getan hatte,
indem er sich in seinen in den Tagesblättern veröffentlichten An¬
zeigen Sanitätsrat N. N. zu Lüneburg zu nennen beliebte. Das
Gericht fand den Betrug darin, dass der Kranke, welcher für sein
Geld den sachgemässen Rat eines approbierten Arztes erwarten
durfte, statt dessen den unsachgemässen Rat eines ärztlich nicht
vorgebildeten Mannes erhalten hatte.
Eines Betruges kann sich der Kurpfuscher aber auch da¬
durch schuldig machen, dass er bei Abgabe von minderwertigen
Heilmitteln den Kranken falsche Tatsachen über den Selbstkosten-,
den Einkaufspreis und Menge der Bestandteile vorspiegelt, endlich
auch dadurch, dass der Kurpfascher den Leuten vorspiegelt, sie
litten an einer Krankheit, die er sicher und rasch zu heilen ver¬
möge, wie in dem vor wenigen Tagen aus dem Kreise Geeste¬
münde-Lehe mitgeteilten Falle, wo ein nmherziehender Heil¬
künstler zahlreichen Leuten vorgespiegelt hatte, sie litten an
grauem Staar und ihnen seine Nervenbrillen zum Preise von 20
oder 40 Mark aufgenötigt hatte.
Zum Schlüsse wende ich mich dem Vergehen der fahr¬
lässigen Tötung und Körperverletzung zu. Der Staat
schützt pflichtgemäss das Leben und die Gesundheit seiner Bürger
gegen Beschädigungen, indem er ausser der vorsätzlichen, auch
die fahrlässige Körperverletzung bestraft, und zwar mit erhöhter
Strafe, wenn der Täter zu der Aufmerksamkeit, die er ausser
Augen setzte, vermöge seines Amtes, Berufes oder Gewerbes be¬
sonders verpflichtet war. Letzterenfalls tritt an die Stelle der
Verfolgung auf Antrag diejenige von Amtswegen.
Man hat diese straferhöhende Vorschrift schlechthin an¬
wenden wollen auf die Kurpfuscher, so Dr. Dietrich 1 ); denn der
Kurpfuscher sei doch grade vermöge seines Gewerbes, der Aus¬
übung der Heilkunde, zu der Aufmerksamkeit, die er gegebenen¬
falls ausser Augen setzte, besonders verpflichtet.
Wie an der Hand der reichsgerichtlichen Entscheidung schon
ausgeführt worden, ist die Frage nach dem Vorliegen einer Be¬
rufs- und Gewerbepflicht im Einzelfalle nach der Gesamtheit der
begleitenden Umstände zu beantworten. Hat der Täter sich ganz
*) L c.
7
98
Dr. v. Ihering.
and gar in einer seine ganze Erwerbstätigkeit in Anspruch
nehmenden Weise der Ausübung der Heilkunde gewidmet, z. B.
nur der Abtreibung von Bandwürmern, der Heilung von Bruch¬
schäden, von Hautkrankheiten, besonders Flechten, so kann man
von ihm ein höheres Mass von Sachkenntnis, Erfahrung und Ein¬
sicht erwarten, als von dem Handwerker, z. B. einem Dorfschmied,
einem Bader, einem Schuhmacher, der gelegentlich einmal an einem i
Krankenbett gegen Entgelt einen guten Rat erteilt. I
Bei Beurteilung der Verantwortlichkeit eines Heilkfinstlers
für Verschlimmerung der von ihm behandelten Krankheit ist von
dem obersten Grundsatz auszugehen, dass er nicht die Kenntnis,
die Erfahrung, den sicheren Blick, die geschickte Hand des appro¬
bierten Arztes zu vertreten hat; denn er hat nicht Medizin studiert,
er gibt sich ja auch nicht als approbierter Arzt aus, wohl aber
muss er die Sorgfalt, die der Verkehr bei der Behandlung kranker,
zumal schwerkranker Personen erfordert, an den Tag legen, und
zwar wenn er aus der Ausübung der Heilkunde einen Lebens¬
beruf macht, dem er seine ganze Erwerbstätigkeit widmet, ein i
erhöhtes Mass von Sorgfalt, Umsicht und Aufmerksamkeit auf¬
wenden. Verletzt er seine Sorgfaltspflicht, so hat er die Folgen
nach den strafrechtlichen Vorschriften über fahrlässige Körper¬
verletzung oder Tötung zu tragen. Zweitens ist von dem Grund¬
sätze auszugehen, dass der Heilkünstler, wenn er bei der Be¬
handlung von Kranken ein Mittel oder ein Verfahren anwendet,
von dessen vollkommener Ungefährlichkeit nach der individuellen
Beschaffenheit des Kranken er sich nicht überzeugt halten darf, ,
er den ungünstigen Erfolg strafrechtlich zu vertreten hat. So¬
dann ist drittens darauf hinzuweisen, dass eine fahrlässige Tötung j
in der Beschleunigung des Todes durch Kurpfuscherei auch dann
gefunden werden kann, wenn der tödliche Ausgang der Krankheit
unabwendbar war. 1 ) ■
Meine Ausführungen haben darzulegen versucht, dass die
Waffen, welche das Gesetz für den Kampf gegen das Kurpfuscher¬
tum darbietet, im wesentlichen ausreichen. Aber freilich ent¬
scheidend ist niemals der tote Buchstabe des Gesetzes, sondern
der Geist, in welchem das Gesetz gehandhabt wird.
Erwägt man, dass mehr als die Hälfte der Heilkünstler vor¬
bestrafte, höchst unzuverlässige Subjekte sind, dass parallel mit
der Blüte der medizinischen Wissenschaft ein fast unglaubliches j
Ueberhandnehmen des Kurpfuschertums geht — in Berlin soll die
Zahl derselben in den letzten Jahren sich versechzehnfacht haben;
erwägt man endlich, dass die Kurpfuscherei nicht etwa im
geheimen, im verborgenen ihr Wesen treibt, sondern dass sie
dreist und frech ihr Haupt erhebt, so ergibt sich daraus für jeden,
*) Siehe Urteil des Reichsgerichts vom 18. September 1888, Recht¬
sprechung des Reichsgerichts, herausgegeben von den Reichsanwälten; X, S. 483.
Vergl. auch: a. Urteil vom 26. März Iö88; Rechtsprechung, X, 8. 268. b. Ur¬
teil vom 4. Mai 1886; Entscheidungen, XIV, 8.118; auch Rechtsprechung.
VIII, 8. 342. c. Urteil vom 20. Mai 1889; Entscheidungen, XTX, S. 226,
sowie Urteil vom 12. April 1882; Rechtsprechung, IV, 8.318.
Die gerichtsärztliche Beurteilung der Kurpfuscherei-Delikte 99
der zur Bekämpfung dieses notwendigen Uebels mitzuwirken be¬
rufen ist, die unverbrüchliche Pflicht, allzeit seine volle Schuldig¬
keit zu tun.
(Lebhafter Beifall.)
Der Vortragende hatte seine Ausführungen in folgende Leit¬
sätze zusammengefasst:
1. Wenn auch die bestehenden Gesetzes Vorschriften im all¬
gemeinen im Kampfe gegen die Kurpfuscherei genügende Waffen
bieten, so empfiehlt sich doch dringend eine Ausdehnung der im
§ 35 Gewerbeordnung für die Drogisten gegebenen Vorschrift über
die Untersagung des Gewerbebetriebes auf nicht ärztlich appro¬
bierte Personen, welche gewerbsmässig die Heilkunde ausüben.
2. Es empfiehlt sich mehr als bisher seitens der beamteten
Aerzte durch Besprechung geeigneter Gerichtsverhandlungen, Er¬
läuterung amtlicher Warnungen vor schädlichen Geheimmitteln
oder Mitteilung sonst bekannt gewordener krasser Fälle von Kur¬
pfuscherei auf die gesundheitsschädigende Gefahr des Kurpfuscher¬
tums und Geheimmittelschwindels hinzuweisen.
3. Bei Erhebung von Anklagen gegen Kurpfuscher ist mit
besonderer Umsicht und Vorsicht zu verfahren, da freisprechende
Erkenntnisse der Gerichte meist übermässig zu Reklamezwecken
ausgebeutet werden.
Vorsitzender: M. H.! Ich bin nicht im Zweifel, dass ich
die Stimmung der Versammlung richtig interpretiere, wenn ich den
Herrn Referenten für ihre überaus interessanten Ausführungen
den wärmsten Dank ausspreche und namentlich die uns durch
den Herrn Amtsgerichtsrat Dr. v. Ihering zuteil gewordene
Unterstützung als einen wertvollen Gewinn der diesjährigen Ver¬
sammlung bezeichne.
Ich eröffne nunmehr die Diskussion über die von den Vor¬
tragenden aufgestellten Leitsätze:
H. Geh. Med.-Bat Prof. Dr. Guttstadt-Berlin: M. H.I Mit Bäcksicht
auf die große Bedeutung der Frage möchte ich mir nur einige Bemerkungen
erlauben, die dartun sollen, daß der Standpunkt, den die Versammlung hier
mit der Annahme der Thesen einnehmen würde, doch nicht für richtig zu
halten ist.
M. H.I Die Kurpfuscherfrage hat die ärztlichen Kreise so eingehend
beschäftigt, daß man eigentlich betrübt sein mnß darüber, daß man immer
auf demselben Standpunkte verharrt, die bestehenden Gesetze als bleibend
maßgebend anzuerkennen. M. H.! Ist denn die Kurierfreiheit ein geführt
worden aus dem Grunde, weil durch sie das öffentliche Wohl besser als bisher
gefördert würde ? Ist denn die Kurierfreiheit eingeführt, weil man annahm, daß
durch die Kurpfuscherei auch eine Förderung der Wissenschaft erfolgen würde?
M. H.I Es ist bedauerlich, daß die historische Entwickelung der Frage so ganz
außer acht gelassen wird. Die Verpflichtung des Arztes zur Hilfeleistung ist
in das Strafgesetzbuch 1849 hincingekommen aus so kläglichen Gründen, daß
deswegen schon der betreffende Paragraph hätte fallen müssen bei der Bera¬
tung des neuen Strafgesetzbuchs. Im Reichstage hat das Gutachten der wissen¬
schaftlichen Deputation für das Medizinalwescn gar keine Bedeutung erlangt,
weil die Verhandlung über Einführung der ärztlichen Gewerbefreiheit zum
Schlüsse der Sitzung erfolgte, wo die Aufmerksamkeit der Beteiligten nicht
mehr darauf zu lenken war. Als Grund, warum man gegen die Aufhebung
der Kurierfreiheit nicht yorgegangen ist, ist die Furcht vor Einführung der
7*
100
Diskussion zu dem Vorträge:
Verpflichtung des Arztes zur Hilfeleistung anzugeben, auch wenn er nachts
oder weit weg von seiner Wohnung zu einem Kranken gerulen wird. Kul¬
tusminister v. Goßler hat die Frage mit mir erörtert und es ausgesprochen,
daß der innere Zusammenhang vollständig verkannt sei. Noch heute könnte
die Gesetzgebung, wenn eklatante Fälle vorkämen, trotz der Kurierfreiheit den
Aerzten den Zwang zur Hilfeleistung auferlegen.
Nun muß man doch sagen, wenn die Kurierfreiheit so ausgedehnt er¬
scheint, daß Juristen und Medizinalbeamte sich abmühen müssen, wie sie Kur¬
pfuscher gerichtlich verfolgen, so muß doch ein anderer Weg dafür vorhanden
sein. So gut wie man den Diebstahl durch Gesetzgebung nicht aus der Welt
schaffen kann, so kann man auch die Kurpfuscherei vollständig nicht verhindern.
Aber die Kurpfuscher treten doch heute als „makellose“ Menschen auf, und
wenn man sieht, in welche Familien diese Leute Eingang gefunden haben, so
muß man doch sagen, die Anschauung, durch Verbreitung aufklärender
Schriften usw. sei Wandel zu schaffen, wird durch die Tatsachen wiederlegt.
Gerade die gebildeten und besitzenden Kreise sind es, die sich an die Kur¬
pfuscher wenden, und von diesem Erwerbe leben die Kurpfuscher, nicht von
den armen Leuten. Das Mittel der Aufklärung ist schon seit 30 Jahren ver¬
sucht und vollständig resaltatlos geblieben. Die Statistik über die Kurpfuscherei
weist nach, daß eine gewaltige Zunahme der Kurpfuscher erfolgt ist. Wenn
man angibt, daß die Sparsamkeit des Publikums die Ursache dafür ist, daß
Hilfe bei Kurpfuschern und nicht bei Aerzten gesucht wird, so muß man da
auch nach den Tatsachen urteilen, ln Wirklichkeit ist der Kurpfuscher durch¬
aus nicht billig!
Wenn man die Kurpfuscherprozesse verfolgt, Prozeß Nardenkötter
usw., und hört, welche Einnahmen da erzielt sind, da kann man doch mit
diesen Bedenken gegen die gesetzliche Verhinderung der Kurpfuscherei nicht
auftreten. Und wenn die Juristen zurzeit bemüht sind, mit allem Scharfsinn
herauszufinden, wie man Kurpfuscher verurteilen kann, so liegt dies daran,
daß bis in die jüngste Zeit hinein Kurpfuscher, obgleich sie Schaden an¬
richteten, freigesprochen wurden, weil man sagte, der Mann kann nicht ver¬
antwortlich gemacht werden, da ihm die nötigen Kenntnisse fehlen. Erst in
der neuesten Zeit ist die Auffassung anerkannt, daß man sagt, gerade weil
er nicht die nötigen Kenntnisse besitzt und doch die Behandlung von Kranken
unternommen hat, deswegen wird er verurteilt wegen des angerichtetea
Schadens.
Wird denn garnicht daran gedacht, daß der Kurpfuscher in der Regel
garnicht in der Lage ist, eine Diagnose der Krankheit zu stellen? Besteht
denn die ärztliche Kunst nur in der Anwendung therapeutischer Mittel? An¬
erkannt wird gesetzlich heute, daß es 1. Aerzte gibt, 2. Personen ohne ärzt¬
liche Ausbildung, die ein ärztliches Gewerbe betreiben! Gegen diese Unter¬
scheidung muß man sich in allen ärztlichen Kreisen auflehnen. Es ist doch
nicht zuzugeben, daß von Personen, ohne eine Diagnose stellen zu können, eine
Heilbehandlung übernommen werden kann.
M. H.! Wenn wir uns nicht auf diesen Standpunkt stellen, dann wächst
die Kurpfuscherei von Jahr zu Jahr. Wir haben gesehen, in welch großartiger
Weise Nardenkötter die Kurpfuscherei betrieben hat; sie wird nicht nur
am Orte selbst, sondern besonders erfolgreich auch in der Umgegend, in der
Provinz betrieben; durch Broschüren und Flugblätter werden die Leute
angelockt, nicht allein durch die Zeitungsannoncen. Wenn man ausspricht,
daß eine geheimnisvolle Macht in den Annoncen liegt, so liegt anderseits auch
eine Ohnmacht in dem kranken Zustande des Menschen. Und diese Ohn¬
macht kanndoch nicht preisgegeben werden dem Kurpfuscher!
Die Gesetzgebung stellt im Interesse des kranken Menschen Schranken auf
für die Personen, die kranken Menschen helfen und sich „Aerzte“ nennen
wollen. Virchow, der die gesetzliche ärztliche Gewerbefreiheit befürwortet
hat, war seiner Zeit ganz erstaunt darüber, daß die Bestimmung der
Medizinalverwaltung über die Anzeigepflicht für Diphtherie usw. so gefaßt
wurde: „Alle Personen, welche kranke Menschen behandeln, sind verpflichtet,
Anzeige zu erstatten“; aber natürlich mußte die Regierung hier die Konsequenz
dieser Gesetzgebung ziehen. Es ist doch klar, daß als Folge der Gesetzgebung
die Kurpfuscher auf gleiche Stufe mit den Aerzten gestellt werden, daß Leute
auf eine Stufe gestellt werden, die ein ärztliches Studium betrieben haben,
Die gerichtsärztliche Beurteilung der Kurpfuscherei - Delikte. 101
and Leute, die früher Schuster, Schneider oder sonst was gewesen sind, aber
jetzt kranke Menschen behandeln. Daß es bloß darauf ankommt, wie man die
Kurpfuscher zur Bestrafung bringen kann, ist doch nicht als der einzige Weg
zur Bekämpfung der Kurpfuscherei hinzustellen I
Ich habe Gelegenheit gehabt, die Prozeßverhandlungen gegen Kurpfuscher
aus vielen Jahren amtlich zu bearbeiten; es ist doch ein kläglicher Zustand,
daß soviel Zeit und Scharfsinn auf die Verfolgung solcher Menschen verwandt
werden muß, bloß weil man sich scheut, die Gesetzgebung zu ändern; das
geschiet nur mit Rücksichtnahme auf gewisse Kreise. Wir sind doch darüber
einig, daß es im Interesse der Wissenschaft und der allgemeinen Wohlfahrt
nicht liegen kann, daß eine ärztliche Kurierfreiheit gesetzlich garantiert
wird. (Bravo 1)
H. Gerichtsarzt Dr. Keferstein ■ Magdeburg: M. H. I Ich habe einmal
als Sachverständiger in einem Prozesse gegen einen Kurpfuscher fungiert, der
sich für eine Medizin den fünffachen Preis bezahlen ließ. Diesen erhöhten
Preis berechnete er sich für den Weg, den er zur Apotheke zurückgelegt hatte,
und es konnte ihm nicht als Betrug angerechnet werden, daß er sich den Weg
viermal so hoch bezahlen ließ, als die Medizin wert wart Er ist dann nur
verurteilt worden, weil er weiter ging, als er es anfangs klugerweise getan
hatte. Er sagte nämlich, meine Medizin ist derartig stark und giftig, daß ich
sie nur selbst aus der Apotheke holen kann, nicht der Patient! Und hierin
wurde der Betrug gefunden, denn die Medizin war nicht so stark und giftig;
er ist daraufhin verurteilt worden.
Weiter war eine Frau in Magdeburg, die Homöopathie und Abtreibung
trieb. Sie berechnete sich die Sache sehr hoch, konnte aber auch nicht be¬
langt werden. Sie sagte selbst, ich treibe nicht ab, sondern heile nur Blut¬
stockung; ein Sachverständiger sagte dann auch aus, daß die Mittel nicht
so stark seien, daß eine Abtreibung eintreten könne, und so kann die Frau ihr
Gewerbe schamlos weiter treiben. Ich kann den Kreisärzten nur empfehlen,
die Annoncen in den Zeitungen durchzulesen, die in den betreffenden
Städten erscheinen, wie das ja bei der Polizei schon geschieht. Aber die
Polizei hat doch nicht die Sachkenntnis, so daß ihr manchmal eine Annonce
entgeht, die sehr wohl eine Handhabe zum Einschreiten bietet. Es ist in¬
dessen geraten, eine Annonce nicht gleich der Polizei oder der Staatsanwalt¬
schaft zu übergeben. In einem solchen Falle hatte sich z. B. der betreffende
Kurpfuscher einen Rechtsanwalt genommen; dieser führte aus, der Herr
Sachverständige ist selbst der Denunziant gewesen, er ist also befangen, und
hieraus schlug der Verteidiger Kapital. Man tut daher am besten, die
Annonce der Aerztekammcr oder einem befreundeten Arzte zu übergeben, der
sich dazu bereit erklärt, den Strafantrag zu stellen; denn jeder Arzt ist dazu
befugt mit Rücksicht auf unlauteren Wettbewerb. Auf diese Weise entgeht
man am besten dem Vorwurf, Denunziant zu sein.
H. Kreisarzt Prot Dr. Stolper - Göttingen: M. H.! Ich halte es für
meine Pflicht, gegen den ersten Hauptleitsatz zu protestieren. Es
gibt gewiß eine ganze Menge Gründe, die ich dafür anführen könnte; aber ich
möchte nur einiges hervorheben, das ich für besonders wichtig halte. Die
gegenwärtigen gesetzlichen Bestimmungen genügen zur Bekämpfung der Kur-
S fuscher ganz und gar nicht, vor allen Dingen nicht auf sanitätspolizeilichem
ebiete. Mir ist es passiert, daß in einem Dorfe eine Typhusepidemie ausbrach
und wochenlang bestand, ohne daß sie zur Kenntnis der Behörde kam. Es
war das ein Dorf, von welchem große Mengen Milch und Butter täglich in die
Stadt gehen. Es war eben kein Arzt, sondern nur ein Kurpfuscher von den
Leuten zu Rate gezogen; deshalb wurde der Ausbruch der Epidemie an zu¬
ständiger Stelle gar nicht bekannt. Jeder Arzt ist verpflichtet, eine infektiöse
Krankheit, wie den Typhus, anzuzeigen, der Kurpfuscher ist es nicht. Das
preußische Seuchengesetz, das jetzt beschlossen werden soll, sieht die Anzeige¬
pflicht auch für andere Personen als den Arzt vor. Aber noch ist das Gesetz
nicht heraus und wir würden eine grobe Unterlassung begehen, wenn wir diesen
unseren Wunsch heut hier nicht zum Ausdruck brächten. Also das ist meines
Erachtens ein Punkt, wo die gegenwärtigen Bestimmungen dringend einer Ver¬
besserung bedürfen.
Noch etwas anderes: Es besteht, wie ich gehört habe, auch in diesem
Kreise eine förmliche Abneigung dagegen, einen Strafantrag gegen einen Kur-
102
Diskussion zu dem Vorträge:
pfnscher zu stellen. Die Kreisärzte haben schlimme Erfahrungen damit ge¬
macht; ich halte es aber für einen großen Fehler, wenn dies Verzichten Usus
werden sollte. Ich möchte dringend darum bitten, ja keinen Indüferentismns
im Verhalten gegen die Kurpfuscher zu betätigen. Gewonnene Prozesse
werden ja allerdings Ton den Kurpfuschern redlich ausgenutzt, aber bei denen,
die schon eine Biesenpraxis besitzen, sich schon ein Rittergut erworben haben,
wie Ast, können Sie unter keinen Umständen das Unglück größer machen.
Ich möchte aber noch eins betonen — das wird hoffentlich auch von
manchem praktischen Arzt gelesen —, ich meine den Indifferentismus der
praktischen Aerztc selbst, den muß man beklagen. In einem augenblicklich
mich beschäftigenden Kurpfuscherprozeß ist mir auf meine Bitte im ärztlichen
Verein auch nicht ein einziges Stück zu den Akten gegeben. Was man sich
da eben nicht selbst heranholt, das erhält man nicht. Es liegt doch sehr im
Interesse der Aerzte, wenn sie uns Kreisärzte dabei unterstützten.
Nun endlich der Fall, daß der Sachverständige zugleich Antragsteller
ist. Da ist es mir in einem Prozeß, wo ein Strafantrag gegen einen Drogisten
gestellt war, vorgekommen, daß ich von dem betreffenden Amtsgericht als
Sachverständiger nicht angenommen, sondern ich nur als Zeuge vernommen
wurde. Der Pharmakologe von der Universität war als Sachverständiger ge¬
laden; [ich wurde dann hinausgeschickt und habe über den ganzen Prozeß
überhaupt keinen rechten Aufschluß bekommen. Selbstverständlich habe ich
von vornherein dagegen protestiert; es wäre mir ungeheuer wichtig, wenn ich
hier von juristischer Seite hören könnte, wie weit der Schöfiengerichts-Beschluß
berechtigt war, oder ob überhaupt schon darüber Entscheidungen bestehen.
Das können wir uns doch meines Erachtens nicht ohne weiteres gefallen
lassen, daß, wenn wir unserer Dienstanweisung gemäß Anzeige erstatten, daß
wir dann auch nur mit dem Schein von Denunziantentum behaftet werden. Der
in Bede stehende Fall ist leider nicht geeignet dazu, diesen Punkt klarzulegen,
aber es wäre dies wünschenswert für die Klarlegung der Situation des einen
Strafantrag stellenden Kreisarztes in Kurpfuschereiangelcgenheiten.
H. Prof. Dr. Cramer - Göttingen: M. H. 1 Gestatten Sie mir noch eine ganz
kurze Bemerkung. Ich möchte mich unbedingt den Anregungen der Herren
Guttstadt und Stolper anschließen von ganzem Herzen. Ich habe das
Wort nur ergriffen, um zu zeigen, wie es einem gehen kann.
In der Göttinger Anstalt befindet sich mit Unterbrechungen seit 20 Jahren
ein Mann, der typischer Paranoiker ist, mit der Eigenschaft, daß er in der
Irrenanstalt hypochondrische Ideen hat; im übrigen ist er aber ein überaus
gewandter Schlosser. Er ist allein aus Göttingen fünfmal ausgerückt. Er ist
aber in seiner Gcmeingcfährlichkcit außerordentlich überschätzt worden. Aller¬
dings hat er immer gegen den Menschen, der im Brennpunkt seiner Umgebung
stand, einen außerordentlich kräftigen Abscheu gehabt, so z. B. gegen den je¬
weiligen Anstaltsdircktor, aber wenn er draußen war, hat er als solider Mensch
gelebt, der keinem etwas zu Leide tun kann. .
Nun kam die Sache aber anders. Bei seinem letzten Aufenthalt in
Göttingen hat er mich gebeten, er wolle sich gegen die Vivisektionsversuche
schützen, die ich mit ihm angestellt haben sollte, und ich möchte ihm doch
das und das als Gegenmittel geben, und das tat ich denn auch. Dadurch kam
er auf das Medizinieren. Und nun hat er sich in Hannover als Kurpfuscher
niedergelassen und hat ein Lebenselixier erfunden; er hat großartige
Erfolge damit erzielt (Heiterkeit), ich meine natürlich nur in finanzieller Be¬
ziehung (erneute Heiterkeit). Als ich den Mann fragte, ob er nicht wieder als
Schlosser arbeiten wolle, da antwortete er mir, ja früher habe er gearbeitet,
bis die Leute zu ihm gekommen seien, da hätte er das Schlosserhandwerk
nicht mehr ausgeübt, das andere brächte ihm ja viel mehr ein! Sie sehen also,
ein Geisteskranker treibt hier sein Unwesen als Kurpfuscher.
So sehr ich den Antrag von Stolper und Guttstadt unterstütze, so
möchte ich doch noch etwas erwähnen, was mir wichtig erscheint, nämlich die
Aufklärung des Publikums. Aber das soll nicht so verstanden werden, daß es
so geschehen soll, wie wir heute darüber verhandeln, sondern cs muß populär
geschehen. Wenn ein Kurpfuscher verurteilt wird, so macht das nichts, sondern
es muß allen Leuten klar vor Augen geführt werden, was für Unheil er an¬
gerichtet hat. Das wollte ich bemerken.
Die gerichtsärztliche Beurteilung der Kurpfuscherei - Delikte. 103
H. Kreisarzt Dr. Krohne-Düsseldorf: M. H.! Ich möchte im Anschluß
an das, was Herr Prof. Dr. Stolper sagte, eine kurze Bemerkung machen, weil
mir die Frage doch außerordentlich wichtig erscheint. Wir haben kürzlich
im Düsseldorfer Regierungsbezirk einen Fall erlebt, der eine gar bedenkliche
Illustration liefert zu dem, was Herr Prof. Dr. Stolper ausführte.
M. H. I Wir hatten dort einen Prozeß, in dem die Verordnungs¬
weise eines weitbekannten Kurpfuschers eine Rolle spielte. In diesem Prozesse
wurde einer der angesehensten Medizinalbeamten als Sachverständiger vor¬
geladen, und im Laufe der Verhandlungen wurde vom Angeklagten hingewiesen
auf das weniger bekannte Buch von Clevo über die Komplexmittel der Homöo¬
pathie. Dies Buch ist ein ganz gewöhnliches Buch von einem Kurpfuscher.
Von seiten des Angeklagten wurde viel über diese Komplex-Homöopathie und
ihre Anwendung gesprochen, und da wurde dem Sachverständigen die Frage
vorgelegt, ob er schon nach dem Buche behandelt hätte bezw. dasselbe genau
studiert hätte, und es wurde dann einfach behauptet, dieses Buch müßte man
kennen, wenn man sich überhaupt zum Sachverständigen hergeben wollte, und
man müßte dieses Buch und seine Methoden beherrschen. Die Sachverständigen —
es war noch ein Apotheker dabei — wiesen mit Nachdruck darauf hin, daß
die Clevesche Komplex-Homöopathie überhaupt keine von der Homöopathie
selbst anerkannte Methode darstelle! Vergeblich! Das Bedenkliche ist nun,
daß auch der Vorsitzende des Gerichts sich auf diesen Standpunkt stellte und
eine höchst bedauerliche Kritik an der Qualifikation der Sachverständigen übte,
die darauf hinaus kam, daß die Sachverständigen lächerlich gemacht wurden.
Der Angeklagte wurde dann freigesprochen! Im Anschluß an diesen Fall hat
der Herr Regierungspräsident gegen den Amtsrichter wegen der von ihm ge¬
übten unsachlichen Kritik Beschwerde erhoben, und diese Beschwerde hat auch
Erfolg gehabt. Aber dieser Erfolg wird in der Oeffcntiichkeit nicht bekannt.
Tatsache ist, daß der betreffende Medizinalbeamtc von der gegnerischen Presse
ganz wüst angegriffen wurde. Die bestechende und scheinbar richtige Ansicht
wird ja auch manchmal von sonst ganz verständigen Menschen ausgesprochen,
nämlich die Ansicht, daß, wenn jemand als ärztlicher Sachverständiger ein
Urteil abgeben wollte, er doch auch nach den Grundsätzen der Gegenpartei
behandelt haben müsse, sonst verstände er doch nichts davon.
Sie werden ferner wissen, daß, als in dem Kühne-Prozeß Prof. Dr.
Trendelenburg vorgeladen wurde, ihm als Sachverständigen die Frage vor¬
gelegt wurde, ob er schon einmal nach der Methode der Geschlechtsreibesitz¬
bäder Patienten behandelt habe. Und als dieser entrüstet verneinte, da lehnte
der Verteidiger den Sachverständigen ab; der Gerichtshof zog sich tat¬
sächlich zur Beratung über den Antrag des Verteidigers zurück, und ich glaube,
er hat den Sachverständigen auch abgclehnt 1 M. H.! Einen vom Gericht selbst
geladenen Sachverständigen wegen eines solchen Grundes abzulehncn, das halte
ich doch für recht bedenklich. Man hört ja freilich sehr oft die Ansicht aus¬
sprechen, daß ärztliche Sachverständige, die über einen Kurpfuscher urteilen
wollen, die besondere Behandlungsmethode desselben erst selbst kennen gelernt
und erprobt haben müßten. Aber m. H., das ist doch der großartigste Unsinn,
den es gibt! Wie töricht eine solche Auffassung ist, dafür möchte ich
Ihnen noch ein anderes Beispiel ans einem anderen Gebiete vorführen.
Wenn z. B. in einem Prozesse ein Baumeister verurteilt werden soll, weil er
einen Konstruktionsfehler gemacht hat, so werden die zuständigen Bausach¬
verständigen vernommen. Der Bausachverständige sagt nun etwa: nach unseren
Grundsätzen der Baukunst muß so oder so gebaut werden, und gegen diesen
Grundsatz hat der Beklagte verstoßen. Jetzt kommt der Verteidiger und
fragt: Hat denn der Bausachverständige schon einmal nach den Grundsätzen
meines Klienten gebaut ? Und, wenn dann dieser die Frage verneint, dann sagt
der Verteidiger: ja, wenn Sie noch nicht nach diesen Grundsätzen gebaut
haben, dann können Sie doch auch nicht darüber urteilen!
Ich möchte also die Medizinalbeamten bitten, in Prozessen, wo aus
einem solchen Grunde die Qualifikation des ärztlichen Sachverständigen ange-
zweifelt wird, und der Gerichtshof in eine derartige Erörterung einzugehen
geneigt ist, ganz energisch gegen diese Methode zu protestieren. Das Bedauer¬
liche ist außerdem, daß solche Vorfälle geeignet sind, das Ansehen der Me¬
dizinalbeamten ganz außerordentlich zu schädigen.
Ich komme damit auf das zurück, was Herr Prof. Dr. Stolper sagte, daß
104
Diskussion zu dom Vorträge:
nach solchen Erfahrungen mancher Medizinalbeamte sich scheut, hineinzugreifen
in das Wespennest des Kurpfuschertums, und das ist bedauerlich! Ich mochte
zum Schluß nur noch Herrn Amtsgerichtsrat Dr. 7 . Ihering fragen, ob das
geschilderte Vorgehen eines Gerichts gegen ärztliche Sachverständige gerecht¬
fertigt ist?
H. Amtsgerichtsrat Dr. v. Ihering • Hannover: M. H.! Zunächst mochte
ich meiner aufrichtigen Freude Ausdruck geben über die Worte des Prof. Dr.
Cramer, besonders zum Schluß seiner Ausführungen für den Hinweis, daß in
dem Kampfe gegen das Kurpfuschertum kein anderer Weg zurzeit beschreitbar
ist, als der auch von mir vorgeschlagene. Wohl weiß ich, daß dieser Weg
schwer ist und daß das Gesetz nicht immer eine genügende Handhabe bietet;
ich habe deshalb in meinen Thesen auch nur gesagt, die bestehende Gesetz¬
gebung genüge im allgemeinen, weiter gehe ich nicht; das sei nur zur ‘Be¬
richtigung erwähnt. Gerade der Weg, den Prof. Cramer empfiehlt, ist
sehr dornenvoll, wie wir gesehen haben, aber er ist der einzige Weg, und
andere Berufsstände wandeln ja auch auf dornenvollen Pfaden. Im Interesse
der Standesinteressen müssen da Opfer gebracht werden; es muß schneidig vor¬
gegangen werden, wenn der Fall dazu angezeigt erscheint.
Was die Frage nach der Vernehmung als Sachverständiger oder Zeuge
anbelangt, so schreibt die Str.-Pr.-O. vor, daß jeder Zeuge einzeln und in
Abwesenheit der übrigen Zeugen zu vernehmen sei. Bei dem ersterwähnten
Strafprozeß war es selbstverständlich, daß bei der Vernehmung des Angeklagten
die Zeugen abzutreten hatten, dagegen kann der Sachverständige der Ver¬
nehmung des Angeklagten beiwohnen, wie überhaupt der ganzen Verhandlung.
Es ist Sache des Vorsitzenden, ob er den Sachverständigen gestatten will, der
Verhandlung beizuwohnen oder nicht, aber ich muß offen gestehen, ich ver¬
stehe nicht die Gründe des Vorgehens des Gerichtes in den erwähnten Fällen,
und ich kann es mir auch nicht erklären ohne genaue Kenntnis der einzelnen
maßgebenden Faktoren und Momente. Aber so wie es dargestellt wurde, bin
ich nicht imstande, das Verfahren irgendwie zu rechtfertigen.
Zum zweiten möchte ich auch noch den Fall mit dem Prof. Dr. Tren¬
delenburg hier kurz erwähnen. Soweit ich klar sehen kann, ist da auch ein
Mißgriff, ein offenbarer Mißgriff des Gerichtes zu verzeichnen. Selbstverständlich
haben wir Juristen, m. H., gerade so wie die Medizinalbeamten, ebenfalls das
Privileg, zu irren, und das kann auch Vorkommen, ohne daß dadurch das An¬
sehen der ganzen Justiz untergraben wird. Aber dieser Fall liegt doch so
klar und deutlich, daß es gar nicht nötig ist, daß der Jurist seinen Stempel
darauf drückt, um zu sagen, das ist Unsinn, das geht gar nicht; ein ver¬
nünftiges Gericht wird das auch nie und nimmer tun. Es müssen da ganz
andere Dinge hineingespielt haben; denn das betreffende Gericht selbst wird
auch nicht den Standpunkt vertreten haben.
Ich möchte Sie nur noch erinnern an den berühmten Grafen Cesare
Matt ei, der mit weißer, blauer, rosa und grüner Elektrizität saturierte Zucker¬
pillen massenhaft als Heilmittel vertrieb. Bei derartigen krassen Fällen wird
selbstverständlich jedem Sachverständigen, zumal dem Medizinalbeamten voller
Glaube beigemessen, und daß der Sachverständige zuvor nach einem solchen
Verfahren Kranke behandelt haben soll, das kann kein Gericht verlangen,
sondern es wird ohne weiteres dem Sachverständigen Glauben beimessen und
es seiner Sachkunde überlassen, zu ermessen, ob er auch, ohne das vom Kur¬
pfuscher beliebte Verfahren zuvor am Krankenbette angewandt zu haben, in
der Lage ist, dasselbe, weil im Widerspruch mit allgemein anerkannten Er¬
fahrungstatsachen oder medizinischen Grundsätzen stehend, als Humbug zu
bezeichnen. Aber es lassen sich auch Fälle denken, in denen das Verlangen
des Gerichts gerechtfertigt erscheint, daß der Sachverständige ein von dem
Heilkünstler angewandtes neues Verfahren, welches sich nicht ohne weiteres
als widersinnig erweist, soweit angängig zunächst erprobe. (Beifall.)
Kreisarzt Dr. Hoche • Geestemünde: M. H.! Ich wollte nur sagen, daß
es mir auch schon passiert ist, daß ich auf Antrag des Verteidigers iss «iwfti»
Termine, betr. Revision einer Drogenhandlung vom Gericht abgelehnt wurde,
weil ich die Revision selbst geleitet habe und deshalb nun nicht als Sach¬
verständiger fungieren könne.
Noch eine andere Frage, das ist die des Gewerbebetriebes im Umher¬
ziehen. Ich habe neulich wieder einen Fall gehabt, daß ein Kurpfuscher im
Oie ge richte ärztliche Beurteilung der Kurpfuscherei - Delikte. 106
Lande umherreiste. Ich beantragte Strafantrag gegen den Kurpfuscher, für
den in den einzelnen Ortschaften in den Wirtschaften Bestellungen entgegen-
f enommen wurden. Oer Strafantrag wurde abgelchnt mit der Begründung, der
Kurpfuscher hätte den Wirten nicht den Auftrag gegeben, die Bestellungon
entgegenzunehmen. Bei solchen Erfahrungen ist allerdings niemals gesetzlich
gegen einen Kurpfuscher vorzugehen wegen des Gewerbebetriebes im Um¬
herziehen.
H. Amtsgerichtsrat Dr. r. Ihering: M. H. 1 Der § 66 der Gewerbe¬
ordnung schließt vom Feilbieten im Umherziehen aus einmal geistige Getränke,
ferner u. a. Gifte, Arzncion und Geheimmittel, und es ist bei den Revisionen
der Gewerbeordnung der Kreis der Gegenstände, welche im Umherziehen feil¬
geboten, und der Leistungen, die im Umherziehen dargeboten werden dürfen,
fortwährend eingeschränkt worden. § 56 a hat ausgeschlossen vom Gewerbe¬
betriebe im Umherziehen ferner die Ausübung der Heilkunde, sofern der Aus¬
übende nicht approbiert ist. Ein Gewerbebetrieb im Umherziehen (Hausierge¬
werbe) liegt aber nur vor, wenn ohne vorgängige Bestellung in eigener Person
Leistungen angeboten werden außerhalb des Gemcindebezirkes des Wohnortes
des Gewerbetreibenden. Weist nun der Kurpfuscher nach, daß er zu einer
früheren Zeit, als er in der betreffenden Ortschaft seine gewerbliche Tätigkeit
ausgeübt, den Auftrag erhalten l^sbe, demnächst wieder zu kommen, so kommt
ein Gewerbebetrieb im Umherziehen nicht in Frage, insoweit eine vorgängige
Bestellung des Heilkünstlers feststeht. Darüber, in welcher Weise, ob schrift¬
lich oder mündlich und von welchem Orte aus die Bestellung zu erfolgen habe,
besteht keine Vorschrift.
H. Kreisarzt Dr. Berger-Hannover: M. H.! Wir haben in dieser Hin¬
sicht ganz entgegengesetzte gerichtliche Entscheidungen; das Landgericht in
Cleve hat z. B. ganz anders entschieden als das Amtsgericht in Beverungen.
H. Reg.- u. Geh. Med.-Rat Dr. Guertler - Hannover: M. H.! Wir haben
in den Vorträgen des Herren Referenten und in der nachfolgenden Diskussion
sehr viel schätzbares Material erhalten. Ich glaube aber nicht, daß wir jetzt
schon in der Lage sind, die aufgestellten Leitsätze in der vorliegenden Fassung
anzunehmen. Meines Wissens sind aber aueh dahingehende bestimmte Anträge
nicht gestellt. Ich möchte es indeß für zweckmäßig halten, den Inhalt der
heutigen Verhandlungen über die gerichtsärztliche Beurteilung der Kurpfuscherei-
Delikte als Material dem Vorstande zur weiteren Verfügung zu überweisen
und glaube, daß wir damit am besten unseren Zweck erreichen. Ich stelle
deshalb den Antrag:
„Die Versammlung beschließt, das bei der heutigen Verhand¬
lung betreffend „die gerichtsärztliche Beurteilung der Kur-
pfuschereidelikte“ gewonnene Material dem Vorstande zur
weiteren Veranlassung und Verwendung an geeigneter Stelle
zu überweisen.“
H. Med.-Rat Prof. Dr. Puppe: M. H.J Ich habe über die gerichtsärztliche
Beurteilung der Kurpfuschereidelikte gesprochen, so wie sie heute geschehen
muß auf Grund der bestehenden Gesetze; ich habe mich davon ferngehalten,
Vorschläge zu Aenderungen zu machen. Ich habe aber wohl darauf Rücksicht
genommen, ob und inwieweit eine andersartige Prüfung des subjektiven Schuld¬
momentes, auf Grund dessen eine Reihe uns unbegreiflicher Freisprechungen
erfolgt sind, einzutreten hat. Ich bin dann auf die fahrlässige Körperverletzung
und fahrlässige Tötung eingegangen, und habe da nur den Standpunkt des
Reichsgerichts zu rekapitulieren vermocht, das sagt, daß beide, der Arzt und
der Kurpfuscher bei diesen Verstößen mit demselben Maßstabe gemessen werden,
weil sie sich beide berufs- bezw. gewerbsmäßig mit der Behandlung von Kranken
befassen. Zugleich habe ich gesagt, daß die bestehenden Gesetze im Straf¬
verfahren wegen fahrlässiger Körperverletzung und fahrlässiger Tötung, wenn
nicht gerade eine Schädigung nachweisbar ist, völlig versagen.
Wo aber die Frage einmal angeschnitten ist, wie den bestehenden Uebel-
ständen abzuhelfen sei, will auch ich meine Meinung bekennen. Mit den Straf¬
verfahren wegen Betruges, wegen unlauteren Wettbewerbs, wegen fahrlässiger
Körperverletzung und Tötung, wegen Verstoß gegen Polizei-Verordnungen
treffen wir nicht die Sache, die eigentlich getroffen werden muß — und das
Ist die Kurpfuschereil Wir wollen von unserem Standpunkte aus keine Be¬
trüger etc. bestraft wissen, sondern die Kurpfuscher als solche, die in frivoler
106
Dr. Schwabe: Die Aufgaben der Modizinalbeamten in bezng
Weise ohne die nötige Vorbildung, ohne die nötige Aufmerksamkeit und ohne
die nötige Achtung vor dem komplizierten Gefüge des menschlichen Körpers
gewerbsmäßig Kranke behandeln. Dabei bin ich mir wohl bewußt, daß es
nicht gelingen wird, die Kurpfuscherei als solche überhaupt auszurotten ; so
lange es unheilbare Kranke gibt, so lange wird es auch Kurpfuscher geben.
Aber wenn die Kurpfuscherei, wie es der Schröter-Prozeß in Tilsit enthüllte,
geradezu zu einer öffentlichen Kalamität wird, wenn sie in zügelloser Selbst¬
überhebung öffentlich erklärt, daß die „Schulmedizin“ „eine der nutzlosesten
Institutionen und gefährlicher ist für die Gesamtheit, als Krieg und Pestilenz
zusammen“, dann haben wir das Recht und die Pflicht, ein bis hierher und
nicht weiter zu rufen, wenn wir nicht erleben wollen, daß die Volksmeinung
verwirrt und die Volksgesundheit untergraben wird. Die Kurpfuscherei als
selche muß also getroffen werden, und der einzige Weg, der zu diesem Ziel
führt, ist die Aufhebung der Kurierfreiheit. Lassen Sie uns versuchen,
den Stein ins Rollen zu bringen, und überweisen Sie das gesamte Material
dem Vorstande zur Einleitung weiterer Schritte. Die Schwierigkeiten sind
groß, aber nicht unüberwindlich, und wo ein Wille ist, da ist auch ein
Wog! (Bravo!)
H. Amtsgerichts rat Dr. von Iherin g-Hannover: M. H.! Ich kann
nur die Bitte aussprechen, wenigstens die Ausdehnung des § 35 Gew.-O., betr.
These 2, anzunehmen. Ich bewege mich dabei ganz auf dem Boden der ärzt¬
lichen Vereine, die in der Erkenntnis, einmal, daß cs so nicht weiter gehen
kann, und zweitens, daß an ein Verbot der einmal so hoch gepriesenen Kurier¬
freiheit zurzeit gar nicht zu denken ist, einen Mittelweg cinschlagen und eine
Ausdehnung dos § 35 der Gewerbe-Ordnung auf die Kurpfuscher fordern, eine
Vorschrift, welche es ermöglicht, daß, wenn es einmal der Kurpfuscher zu toll
treibt, ihm dann bei den ärgsten Versündigungen gegen die Gesundheit anderer
die Ausübung dos Betriebes untersagt werden kann. Wenn wir das Kur¬
pfuschereiverbot nicht bekommen können, dann wollen wir wenigstens das
nehmen, was erreichbar ist; dann können doch die Leute nachher wenigstens
nicht wieder von vorne anfangen.
M. H., mein Antrag will durch die Ausdehnung der Vorschriften gegen
gewissenlose Drogisten, wenn ihre Handhabung des Gewerbebetriebes das Leben
und die Gesundheit anderer gefährdet, auf die Kurpfuscher, bewirken, daß bei
ernsten Verfehlungen eines gewissenlosen Kurpfuschers ihm das Handwerk
gelegt werden kann. Etwas muß doch einmal geschehen! Das Ideal ist nicht
erreichbar, an die Abschaffung der Gewerbefreiheit ist nicht zu denken.
Durch die stetige Agitation unseres Vereins wird dann auch etwas erreicht
werden. Ich bitte Sie also, diese These anzunehmen, daß der § 35 der Gewerbe¬
ordnung ausgedehnt werden möge auf die Kurpfuscher, damit wir in dem
Kampfe gegen das Kurpfuschertum, welches Leben und Gesundheit anderer
gefährdet, einen gewissen Erfolg erzielen. Mit anderen Worten, ich möchte
einen Kompromiß Vorschlägen. Bekommen wir nicht alles, so bekommen wir
doch etwas. (Beifall).
Der Antrag Guertler wird darauf mit grosser Majorität
angenommen.
III. Die Aufgaben der Medlzlnalbeamfen Io bezog anf die
Fürsorge für Geisteskranke, Epileptiker and laletea.
H. Gerichtsarzt Dr. Schwabe-Hannover: M. H.! Bis zum
Erlass des Gesetzes vom 16. September 1899, betreffend die Dienst¬
stellung des Kreisarztes und die Bildung von Gesundheits-
kommissionen, and der darauf basierenden Dienstanweisung für
die Kreisärzte vom 23. März 1901 beschränkte sich die Fürsorge
des Medizinalbeamten für Geisteskranke, Epileptische und Idioten
als Verwaltungsbeamter darauf, dass der damalige Physikus im
aal die Fürsorge für Geisteskranke, Epileptiker and Idioten.
107
Rahmen der gegebenen Unterlagen für seinen jährlich abzustattenden
Generalsanitätsbericht tätig war, d. h. gemäss Kapitel 9 — Ge*
fängnisse — sich die Geisteskrankheiten der Gefangenen, Kap. 10 —
Fürsorge für die Kranken und Gebrechlichen —, die Irrenhäuser
(öffentliche und private Anstalten, Konzessionierungen, Beauf¬
sichtigung, besondere Vorgänge), endlich die sonstigen zur Heilung
und Pflege von Siechen und Gebrechlichen dienenden Anstalten
angelegen sein liess. Dazu kam dann noch gemäss Rund-Erlass
des Medizinalministers und des Ministers des Innern vom 25. April
1898 die Beaufsichtigung Geisteskranker, Geistesschwacher und
Blödsinniger, welche in allgemeinen Krankenhäusern, sowie in
Siechenanstalten und in fremden Familien gegen Entgelt längere
Zeit oder dauernd aufgenommen waren. — Auch in diesen eng
gezogenen Grenzen vermochte der Medizinalbeamte wohl manches
Erspriessliche in der Fürsorge für die Aermsten der Armen zu
leisten. Allein die durch seine frühere Stellung recht mangelhafte
amtliche Bewegungsfreiheit bereitete einer auch nur annähernd
ausreichenden Fürsorgetätigkeit erhebliche Schwierigkeiten. Um
so freudiger und dankbarer ist es zu begrüssen, dass das sogen.
Kreisarztgesetz auch hier Wandel schuf, indem es nicht nur der
humanen Seite der Irrenfürsorge, sondern auch ihrer ausgesprochen
sozialen Bedeutung Rechnung zu tragen sucht.
Die humane Seite sollte in der heutigen Zeit, die in bezug
auf Wohltätigkeit ja unter dem markanten Zeichen praktischen
Christentums steht, ohne weiteres verständlich sein. Und wenn
von Zeit zu Zeit Mitteilungen über barbarische Behandlung Geistes¬
kranker durch gefühlsrohe Verwandte oder untaugliches Pflege¬
personal an die Oeffentlichkeit gelangen, namentlich aber auch,
wenn den Irrenanstalten und Irrenärzten etwas am Zeuge geflickt
werden kann, dann scheint es so, als ob die christliche Nächsten¬
liebe, das Interesse für die geistigen Krüppel, als warmer Strom
dicht unter der Oberfläche pulsiere und nur einer Anregung be¬
dürfe, um mit elementarer Gewalt hervorzubrechen.
Aber wie gesagt: es scheint nur so! Gewiss gibt es auch
ausserhalb der irrenärztlichen Kreise und ihrer Beziehungen edle
Menschenfreunde, die ihre Wohltätigkeit mit Liebe und Verständnis
in den Dienst der Irrensache stellen, jedoch die breiten Massen
sind zum Teil noch sehr indolent, zum Teil stehen sie mehr oder
weniger unter dem Banne veralteter Ansichten über das Wesen
und die Erscheinungen der Geisteskrankheiten, über den ihnen
gebührenden Platz in dem grossen Gebiet der Humanitäts¬
bestrebungen. Im besten Falle nehmen sie den Irrenanstalten
und ihrer notwendigen Vermehrung gegenüber eine freundliche
Haltung ein, wünschen Sicherungen gegen gemeingefährliche
Handlungen Geisteskranker. Aber darüber hinaus kommen
sie kaum.
Auch die soziale Seite der Irrenfürsorge wird wenig ge¬
würdigt, höchstens unter dem beschränkten Gesichtswinkel der
Kostenfrage. Wer aber fragt nach dem noch nutzbar zu machenden
Kapital sozialer Leistungsfähigkeit, das in vielen geistig Kranken
108 Dr. Schwabe: Die Aufgaben der Medizinalbeamten in bezug
zinslos verkümmert P Und doch welche beredte Sprache sprechen
die Zahlen unserer Irrenanstalten nnd ihrer Insassen! Im Jahre
1900 zählte man im preussischen Staat 248 Irrenanstalten mit
80027 Krankheitsfällen; 1902: 256 Anstalten mit 85610 Krank¬
heitsfällen! Was schliessen diese nüchternen Zahlen an Elend
nnd Pflichten der Fürsorge, an Unterhaitangskosten, an Verlost
von Arbeitskraft in sich ein! Gleichwohl decken sich diese Zahlen
nicht im entferntesten mit der absoluten Zahl der vorhandenen
Geisteskranken. Sie ist ungleich viel grösser!
Bei denen, die berufen sind, über des Staates Wohlfahrt zu
wachen, haben diese Feststellungen ihren Eindruck nicht verfehlt,
und so lauten die §§ 104 nnd 105 der kreisärztlichen Dienst¬
anweisung:
§ 105. „Der Kreisarzt hat der Fürsorge für Geisteskranke, Epileptische
und Idioten dauernd seine Aufmerksamkeit zu widmen.
Bei der Aufnahme solcher Personen in Privatanstalten, hat er nach
Maßgabe der bestehenden Vorschriften mitzuwirken."')
§ 105. „Die von Privatpersonen in fremder Familie untergebrachten
Geisteskranken, Epileptischen und Idioten sind in Gemäßheit der in dem ein¬
zelnen Bezirken bestehenden Vorschriften zu beaufsichtigen."
Diese Beaufsichtigung wird zusammen mit der Aufsicht über
die zur längeren oder dauernden Verpflegung in allgemeinen
Krankenhäusern und Siechenhäusern untergebrachten Geistes¬
kranken, Geistesschwachen oder Blödsinnigen geregelt durch einen
Rund-Erlass des Medizinalministers und des Ministers des Innern
vom 25. April 1898, demzufolge einzelne Regierungen besondere
Verfügungen erlassen haben, die folgendes bestimmen:
„1. Geisteskranke oder Blödsinnige dürfen zur längeren oder dauermdea
Verpflegung in allgemeinen Krankenanstalten, sowie in Siechenhäusern nur
auf Grund eines ärztlichen Zeugnisses aufgenommen werden, in dem die Form
der geistigen Störung angegeben ist und ausdrücklich bescheinigt wird, daß
der betreffende Geisteskranke usw. weder heilbar, noch unruhig ist und sich
zur Unterbringung in eine derartige Anstalt eignet. Die erfolgte A ufnahm e
ist binnen drei Tagen dem zuständigen Kreisphysikus unter Vorlegung des
ärztlichen Zeugnisses anzuzeigen. Bei provisorischer Unterbringung fallen
diese Bedingungen fort.
2. Alle in Familienpflege gegen Entgelt untergebrachten Geistes¬
kranken usw. sind von der Ortspolizeibehörde nach vorgeschriebenem 8chema
in einem Verzeichnis zu führen, das fortlaufend zu ergänzen ist.
3. Dieses Verzeichnis ist von der Ortspolizeibehörde am 1. Februar jeden
Jahres dem zuständigen Kreisphysikus einzureichen, der es mit seinem in vor¬
gesehenem Bubrum zu machenden Bemerkungen und etwaigen Vorschlägen
durch die Hand des Landrats innerhalb 14 Tage weiterzugeben hat.
4. Die Kreisphysiker haben bei ihren alljährlichen Revisionen der all¬
gemeinen Krankenanstalten und Siechenhäuser auf die etwaigen Geistes¬
kranken pp. ihr besonderes Augenmerk zu richten und eventuell, wo es not¬
wendig erscheint, die Ueberführung in eine Irrenanstalt dem Landrat Voran¬
schlägen, der das weitere veranlaßt.
5. Auch die gegen Entgelt in Familien untergebrachten Geisteskranken
usw. sind von den Kreisphysikern (Kreisärzten) zu überwachen und bei ge¬
legentlicher Anwesenheit an den betreffenden Orten zu besuchen. Bei Uebel-
ständen ist dem Landrat Anzeige zu erstatten. Sache der Ortspolizei ist es
dann, für Abstellung etwaiger Mängel Sorge zu tragen."
*) Diese Vorschriften sind enthalten in der durch die Ministerial-Erlasse
vom 25. Januar, 8. September und 18. November 1902 und vom 27. Februar 1903
ergänzten Anweisung vom 26. März 1901.
auf die Fürsorge für Geisteskranke, Epileptiker and Idioten.
109
Da auch diese Verfügungen bezüglich der in Privatpflege
befindlichen Geisteskranken pp. in praxi sich als nicht ganz aus¬
reichend erwiesen, wie ein besonders krasser Fall im Landkreise
Linden lehrte, hat der Herr Regierungspräsident in Hannover
unter dem 12. Januar 1905 folgende Abänderung verfügt:
„In Abänderung meines Aasschreibens vom 80. April 1904 — I 8879 —
bestimme ich, daß das dort vorgeschriebene Verzeichnis der in Privatpflege
befindlichen Geisteskranken dortseits aufzustellen ist. Ein Muster liegt an. *)
Die in Spalte 8 gestellten Fragen sind nicht auf Grund von Angaben
etwa mit der Ermittelung betrauter Polizeibeamten, sondern nur auf ärztliche
Auskunft hin zu beantworten. Soweit die Kreisärzte nicht schon die nötigen
Angaben machen können, werden auch am Wohnorte der Kranken oder in ihrer
Nähe wohnhafte Privatärzte heranzuziehen und zu ersuchen sein, bei passender
Gelegenheit wenn tunlich die in Spalte 8 bezeichneten Feststellungen zu machen
und Ihnen kurz — ohne ausführliches schriftliches Gutachten — mitzuteilen.
Die hierfür zu zahlende Vergütung — etwa 2—8 Mark — ist vorher zu
vereinbaren. Die entstehenden Kosten sind ab Kosten der örtlichen Polizei¬
verwaltung anzusehen.
Das Verzeichnis bt spätestens bb zum 15. September d. J. fertigzastellen
and dem Krebarzt za übersenden.*
Zweifellos bedeutet diese Verfügung einen grossen Fort¬
schritt; besonders auch die Einschränkung der polizeilichen Mit¬
wirkung. — Ich vermisse aber in dem Verzeichnis noch Spalten
zur Beantwortung der Fragen nach erblicher Belastung, Krimi¬
nalität mit genauer Bezeichnung, ob ledig oder nicht, Höhe des
eventuelles Arbeitsverdienstes. — Betreffs der Kriminalität dürfte
meines Erachtens in Erwägung zu ziehen sein, ob es sich nicht
*) Mutter für das Y er Belohnte der ln Privatpflege befindlichen
Geisteskranken.
Laufende Nr. |
Des Kranken
Bezeichnung
der
Anstalt
oder
des Pflegers.
Wie hoch
beläuft sich
das
Pflegegeld?
Name
und
Vorname.
Stand.
Alter
(in
Jahren)
Aufenthalts¬
ort.
1 .
2 .
3.
4.
6 .
6 .
7.
Form und
Dauer der
Geistes¬
krankheit;
bt
der Kranke
heilbar,
anrohig oder
gemein¬
gefährlich?
Findet eine
ärztliche
Behandlung
statt, event.
welcher
Art, durch
welchen
Arzt?
Art der
Unterbrin¬
gung, Ver¬
pflegung und
Beschäf¬
tigung des
Kranken.
Ist der
Kranke ent¬
mündigt ?
Eventuell
Name
des
Vormundes.
Bemerkungen.
Vermerke
über
die ausgeführten
- Besuche.
8 .
9.
10 .
11 .
12 .
110 Dr. Schwabe: Die Aufgabe der Medizinalbeamten in bezog
nach Art der Straft egisterführung empfiehlt, dass alle mit dem
Strafgesetz in Konflikt geratenen Geisteskranken, Epileptiker und
Idioten der Polizeibehörde ihres Geburtsortes bekannt gegeben
werden. Bei dem Vagieren vieler Geisteskranken würde dadurch
die Kontrolle wesentlich erleichtert werden.
Der § 103 der Dienstanweisung schreibt dem Kreisarzt
unter anderem auch die Mitwirkung bei Konzessionierung von
Privat-Irrenanstalten behufs Prüfung der dabei in Betracht kommen¬
den Fragen der Hygiene und der Zuverlässigkeit des Unternehmers
vor. Massgebend für die hygienischen Anforderungen ist der
Ministerial - Erlass vom 19. August 1895 mit den darauf basieren¬
den Anordnungen der einzelnen Regierungen.
Die gesundheitspolizeiliche Aufsicht über die Provinzial-
Anstalten, also die öffentlichen Irren- und Idioten-Anstalten — die
Fürsorge für die Idioten ist Dank des Gesetzes vom 11. Juli 1891
Sache der Provinzen geworden — führt bekanntlich der Ober¬
präsident, der sich hierzu der Mitwirkung der Regierungs- und
Medizinalräte bedienen kann.
Die dem Kreisarzt in den genannten Paragraphen seiner
Dienstanweisung zur Pflicht gemachte dauernde Fürsorge für
Geisteskranke, Epileptische und Idioten muss naturgemäss mit
der Auffindung dieser Kranken in seinem Amtsbezirk beginnen.
Drei Hauptwege sind ihm dazu gewiesen und mehr oder
minder gangbar:
1. Seine persönliche Berührung mit den KreisinsasBen,
die er bei Ortsbesichtigungen, Schulrevisionen — besonders auch
der eventuellen sogen. Hilfsschulen für geistig Zurückgebliebene—,
bei Impfterminen, der Sachverständigentätigkeit in Verwaltungs-,
Zivil- und Strafsachen, Invaliditäts- und Unfallsachen, Pensions¬
gutachten für Beamte, als Polizeiarzt, event. auch als Stadtarzt,
bei Revision von Schlafstellen und Herbergen, bei Ausübung von
Privatpraxis und event. auch auf sogenannten Familienabenden ge¬
winnen kann.
Obwohl, wie wir sehen, sich eine ganze Menge von Be¬
rührungspunkten mit seinen Kreisinsassen für den Medizinalbeamten
darbieten, treten ihm gerade für die Auffindung der seiner Für¬
sorge bedürftigen geistig Kranken beträchtliche Schwierigkeiten
in den Weg.
Zunächst muss er, wie bereits hervorgehoben, mit der Indo¬
lenz und Verständnislosigkeit der breiten Massen für alles, was
unter den Begriff Geisteskrankheit fällt, kämpfen, sodann mit der
natürlichen Abneigung, welche der grössere Teil der Bevölkerung
gerade gegen geistige Gebrechen hegt und sich aus mancherlei
höchst abstossenden Eigentümlichkeiten der Geisteskranken herzu¬
leiten scheint. Nur so ist die geradezu stiefmütterliche Behand¬
lung dieser Kranken im Gegensatz zu den körperlich Kranken zu
erklären. Dazu gesellt sich die noch immer nicht ausrottbare
törichte Anschauung, die geistige Krankheit eines Familienmit¬
gliedes als Schande für die ganze Familie anzusehen. Anderseits
sind diejenigen, welche ein warmes Herz für diese unglücklichen
auf die Fürsorge für Geisteskranke, Epileptiker and Idioten.
111
Angehörigen besitzen, teils von solcher Sehen, solchem Vorurteil
gegen die Irrenanstalten erfüllt, dass sie lieber ihre Kranken in
unzweckmässiger Pflege daheim hinsiechen lassen, als dass sie die
rechtzeitige Hilfe der Anstalten in Anspruch nehmen würden, teils
in dem Wahn befangen, dass der Anstaltsaufenthalt den Irren für
alle Zeit ein Kainszeichen auf die Stirn drücke.
Auch der Geldpunkt spielt oft eine massgebende Rolle, die
rechtzeitige Aufnahme des Kranken in eine Anstalt hintenanzu¬
halten. Lieber verzettelt man zu Hause grosse Summen für aller¬
hand törichte Kuren, ungeeignete oder gar schädliche Pflege,
macht den Kranken dauernd erwerbsunfähig, als an die rechte
Schmiede zu gehen und sich zu sagen, dass die ganze Anstalts¬
fürsorge doch nur für die Kranken mit grossem Kostenaufwands
von Staatswegen ins Leben gerufen ist. — Endlich und leider
nicht so ganz selten spielen allerhand selbstsüchtige Motive, wie
die Ausnutzung der Arbeitskraft solcher bedauernswerten Menschen,
Nutzniessung ihres eventuellen Vermögens, Erbschleicherei usw.
ihre ausschlaggebende hässliche Rolle. Die Kehrseite dieser Me¬
daille zeigen ja die relativ häufigen Entmündigungsanträge, die
zuweilen mit zynischer Unverfrorenheit gestellt werden, An¬
fechtungen von Testamenten, Geschäftsfähigkeit und dergl. mehr.
Es ist daher nicht überraschend, wenn geflissentlich die
geistigen Gebrechen Angehöriger nach aussen hin nach Möglichkeit
kachiert werden, und es auch dann und wann, wenn dieses Ver¬
tuschungssystem gegenüber der Aeusserungsform der geistigen
Erkrankung unmöglich geworden ist, zu einer Gefangenhaltung
der betreffenden Unglücklichen kommt, deren Durchführung sich
wiederum teils nach dem Charakter, der Bildungsstufe des ge¬
wissenlosen Pflegers, teils nach der Form der Geisteskrankheit
richtet.
Diese Schranken, welche Indolenz, Unverstand, eingewurzelte
Vorurteile, Gewissenlosigkeit, Geiz und Geldgier zwischen dem
Medizinalbeamten und seinen geistig gebrechlichen Schützlingen
aufrichten, niederzureissen, erfordert eiserne Pflichterfüllung und
kluges Vorgehen. Wohl nirgends ist die alte Mahnung: „suaviter
in modo, fortiter in re“ besser am Platze, wie hier.
Auch die vertraulichen Auskünfte der Gemeindevorsteher und
sonstiger das öffentliche Vertrauen geniessenden Personen sind mit
Vorsicht zu verwerten; denn einmal stecken auch diese mehr oder
weniger in dem gleichen Indifferentismus und in den gleichen Vor¬
urteilen Irrenangelegenheiten gegenüber wie die grosse Menge,
zum anderen fühlt besonders das Gemeindeoberhaupt, auch bei
höherer Intelligenz und höher entwickeltem Verantwortungsgefühl,
das Damoklesschwert der Belastung des Gemeindesäckels mit allen
ihren Folgen über seinem Haupte schweben. Des leidigen Kosten¬
punktes wegen ist deshalb die Verfügung des Ministers des Innern
vom 13. Juli 1904 mit besonderem Dank zu begrüssen, der zufolge
ein hilfsbedürftiger, gemeingefährlicher Geisteskranker, welcher
von der Ortspolizei ermittelt oder ihr zugeführt ist, von dem vor¬
läufig verpflichteten Ortsarmenverband schleunigst in eine Anstalt
112
Dr.'Schw&be: Die Aufgaben der Medizin&ibeamten in bezug
za verbringen ist, und dabei nicht lediglich die sicherheitspolizei¬
lichen Massnahmen in den Vordergrund zu treten haben, sondern
auch die Anstaltsbediirftigkeit im Interesse des Kranken selbst
und seine Hilfsbedürftigkeit.
2. Die Informationen des Kreisarztes durch die
staatlichen und kommunalen Behörden, und zwar in erster
Linie ex officio direkt durch das zuständige Landratsamt mit seinen
zu- und untergeordneten Organen, sodann indirekt durch dessen
Vermittelung auf Grund von Mitteilungen seitens der Staats- und
Amtsanwaltschaften, Obervormundschaften, Militär- und Zivil¬
behörden (Entlassung bezw. Pensionierung geisteskranker Militär¬
personen oder Beamten), die bisher unzureichend waren and daher
m. E. ministerieller bezw. regierungsseitiger Begelung bedürfen.
Was die Information durch die Behörden angeht, so müssen,
wie gesagt, alle diese Auskünfte auf dem Landratsamt, bezw. der
Ortspolizeibehörde der Stadtkreise zusammenlaufen und von dort
dem Kreisarzt zur Vervollständigung seines Registers übermittelt
werden.
Zwei wichtige behördliche Quellen, aus denen Auskünfte über
Geisteskranke pp. bisher nur spärlich dem Kreisarzt zufliessen,
bilden die Militär- und Gerichtsbehörden. Es ist bekanntlich
keine seltene Erfahrung, dass die geistige Verfassung eines bisher
von seiner Umgebung nicht genügend beachteten und für geistig
normal gehaltenen Menschen erst durch die Anforderungen des
Militärdienstes klargestellt wird. Und zwar sind es hier nicht
nur die Kraftproben für die Intelligenz, sondern auch ganz
besonders die der gemütlichen und moralisch ethischen Ver¬
anlagung: Heimweh, Unselbständigkeit, leichte Beeinflussb&rkeit,
die Unfähigkeit, sich unterzuordnen, sich zu beherrschen, einem
festgefügten Organismus einzuordnen; Aufregungen aller Art,
körperliche Anstrengungen bringen die im ruhigen Gleichmass der
Tage, in gedankenloser, schablonenhafter Tätigkeit verborgen
gebliebene geistige und gemütliche Unfähigkeit plötzlich an den
Tag. Nach etlichen an Schwere zunehmenden Disziplinär- oder
kriegsgerichtlichen Strafen, die natürlich das angeborene Fehlen
jeglichen Verständnisses für militärische Subordination, Ordnung,
Pünktlichkeit, die schwachsinnige Selbstüberschätzung, Halsstarrig¬
keit, krankhafte Reizbarkeit eines solchen geistig defekten Indi¬
viduums nicht zu bessern vermochten, erfolgt Beobachtung des
Geisteszustandes, und schliesslich die Entlassung als dauernd un¬
brauchbar. Der Militärpass aber, den ein solcher Mensch in
die Heimat zurückbringt, gibt, soweit ich wenigstens nach meinen
gerichtsärztlichen Erfahrungen zu urteilen vermag, den Grund der
Dienstunfähigkeit nicht an. Der Entlassene selbst, nunmehr häufig
erst recht zum unverbesserlichen Taugenichts geworden, wird aus
naheliegenden Gründen in den seltensten Fällen wahrheitsgetreu
Aufklärung geben wollen oder können; er entgeht somit der
durchaus notwendigen Ueberwachung. Die Militärbehörden müssten
deshalb angewiesen sein, wegen geistiger Defekte Entlassene dem
Landratsamte bezw. der städtischen Ortspolizeibehörde ihrer
auf die Fürsorge für Geisteskranke, Epileptiker und Idioten. 113
Heimat namhaft zu machen, die ihrerseits ihre untergeordneten
Organe und den Kreisarzt davon in Kenntnis zu setzen hätten.
Ebenso müssten auch die Staats- bezw. Amtsanwaltschaften an¬
gewiesen werden, alle diejenigen den zuständigen Polizeibehörden
namhaft zu machen, gegen welche wegen Geisteskrankheit ein
Verfahren eingestellt oder auf Freisprechung erkannt ist, auch
wenn eine sogenannte Gemeingefährlichkeit zur Zeit, nach der
übrigens durchaus nicht immer gefragt wird, nicht vorliegt.
Bei denen, die sich in Untersuchungshaft befinden, erübrigt sich
diese Mitteilung, weil die Gefängnisdirektoren durch eine besondere
Verfügung dazu verpflichtet sind. Wie oft habe ich es erlebt,
dass ein heute wegen Geisteskrankheit Freigesprochener nach
wenigen Wochen, selbst Tagen, wieder auf der Anklagebank er¬
schien und von neuem mir zur Begutachtung überwiesen wurde,
weil niemand von seiner Geisteskrankheit etwas wusste, und durch
irgend einen Zufall ein anderer Staatsanwalt die Sachen behan¬
delte. Solche Leute werden gewissermassen immer wieder von
neuem auf die Menschheit losgelassen und zu ihrem eigenen
Schaden der Irrenanstalt ferngehalten, weil aus der den Polizei¬
behörden unbekannt gebliebenen Begründung ihrer Freisprechung
womöglich ihre Schuld- und Harmlosigkeit gefolgert wurde. Ich
habe es sogar erlebt, dass Leute, die als unheilbar geistes¬
krank jahrelang in Irrenanstalten verpflegt und dann gebessert
oder probeweise entlassen worden waren, wieder zu einer lang¬
jährigen Zuchthausstrafe verurteilt wurden und diese angetreten,
ja, vollständig abgebüsst hatten, weil jeder Bericht über ihre
geistige Erkrankung an die Heimatsbehörden fehlte. Erst die
eigenen Angaben dieser Geisteskranken, die durch Rückfragen bei
den von ihnen genannten Irrenanstalten bestätigt wurden, brachten
das zu Tage, was die Staatsanwaltschaft durch die Heimatsbehörde
vor Erhebung der Anklage hätte erfahren müssen. Es erscheint
mir daher unerlässlich, dass in den Strafregistern auch vermerkt
wird, wenn jemand wegen Geisteskrankheit ausser Verfolgung
gesetzt oder freigesprochen wurde; sonst lagern diese wichtigen
Vorgänge unbekannt in den Staatsanwaltschafts-Registraturen.
Neben den Staats- und Amtsanwaltschaften müssten auch die
Obervormundschaften gehalten sein, nicht nur die heimat¬
liche Polizeibehörde über entmündigte und in Pflegschaft befind¬
liche Personen auf dem laufenden zu halten, sondern auch die¬
jenigen, in deren Bezirk sie verziehen. Nur so kann es vermieden
werden, dass Entmündigte standesamtlich Ehen eingehen. Zum
mindesten müssten die Vormünder viel strenger kontrolliert werden.
Es ist mir verschiedentlich vorgekommen, dass wegen Geistes¬
krankheit Entmündigte nach mehrjähriger Ehe mit dem Ansuchen
an mich herantraten, ihnen zwecks Aufhebung der Entmündigung
ein Gutachten über ihre geistige Gesundheit auszustellen, die de
facto nicht vorhanden war.
Sehr wünschenswert wäre es auch, wenn alle anderen der
Staatsaufsicht unterstehenden Behörden streng vertraulich die¬
jenigen Beamten namhaft machen würden, welche wegen Geistes-
8
114 Dr. Schwabe: Die Aufgaben der Medizinalbeamten in bezug
krankheit pensioniert wurden. Ich erinnere mich beispielsweise
eines geisteskranken emer. Pastors, der durch sein unsittliches
Verhalten das grösste Aergernis erregte und noch während der
Zeit unglaublichster sittlicher Verirrungen in Vertretung Amts¬
handlungen vornahm. Das alles hätte vermieden werden können, !
hätte man ein wachsames Auge auf ihn gehabt. — So will
es mir denn erscheinen, als verdienten gerade die behördlichen
Auskunftsquellen, als die klarsten, ungeeigneten Beeinflussungen
unzugänglichsten und recht ergiebigen ' einer besonders festen
Fassung und Nutzbarmachung für die Irrenfürsorge des Medizinal¬
beamten.
3. Der dritte Weg einer Information ist gegeben durch
Hand in Hand Arbeiten der Kreisärzte mit den leiten¬
den Aerzten an den zuständigen öffentlichen und pri-
vatenAnstaltenfür Geisteskranke, Epileptische, Idioten, Trunk-,
Aether-, Morphium- und Kokainsüchtige, an den Strafanstalten,
Korrektions- und Arbeitshäusern, Siechen-, Armen- und eventuell
auch Waisenhäusern, Fürsorgeanstalten, Bettungshäusern, mit
dem event. besonderen Gerichtsarzt, den Kreisärzten
der benachbarten Kreise, den praktischen Aerzten.
Die aus Anstalten für Geisteskranke, Epileptische, Trunksüchtige
pp. als geheilt oder gebessert Entlassenen, in Familienpflege
Gegebenen müssen dem zuständigen Medizinalbeamten via Land- j
ratsamt zugleich mit genauer Diagnose und Prognose ihrer Krank- 1
heit und eventuellen VerhaltungsVorschlägen namhaft gemacht
werden. j
Was diesen Weg angeht, so hat sich für die Medizinalbe&mten
das unabweisbare Bedürfnis herausgestellt, mit den Leitern der
in Betracht kommenden Irrenanstalten eine viel engere Fühlung
zu gewinnen, als dies bisher — wenigstens generell — der Fall
war. In den seltensten Fällen erfahren sie etwas über das Er¬
gehen der von ihnen als anstaltsbedürftig Begutachteten. Ebenso¬
wenig werden sie über Diagnose, Prognose, Verhaltungsmassregeln
bei denjenigen informiert, die als geheilt, gebessert, probeweise
in die Heimat entlassen werden. Es wäre lebhaft zu wünschen,
dass nicht nur bei der Entlassung geisteskranker Verbrecher und
sonstiger Gemeingefährlichen, wie es der Ministerial - Erlass vom
15. Juni 1901 vorschreibt, ein diesen drei Punkten Rechnung tragen¬
der Bericht allein dem Landrat bezw. der Ortspolizeibehörde zuge¬
sendet würde, sondern auch bei der Entlassung nicht gefährlicher
Geisteskranken, und dass dann auch dem Kreisarzt dieser Bericht
zugänglich gemacht würde.
Unerlässlich ist auch die Fühlung zwischen den Medizinal- j
beamten und den Aerzten der Fürsorgeanstalten. Unter den Zög- ‘
lingen dieser Anstalten gibt es, soweit ich nach meinen Erfahrungen
in der hiesigen Station für jugendliche Strafgefangene urteUen
kann, die ich vielfach mit dem hiesigen Stephanstifte aus- und
einwechselte, eine ganze Zahl in foro auf die ganze Schwere ihrer
Imbezillität nicht Erkannte, Degenerierte und Epileptiker. Alle
diese bedürfen vor wie nach ihrer Entlassung aus der Fürsorge-
auf die Fürsorge für Geisteskranke, Epileptiker und Idioten.
115
erziehung sogenannter Ueberwachnng. Einzelne passen überhaupt
nicht in Fürsorgeanstalten und miskreditieren nur deren Leistungen.
Cr am er sagt wörtlich bei Besprechung des Fflrsorgegesetzes vom
3. Juli 1900 (in Kraft seit dem 1. April 1901):
„Mit Rücksicht darauf, daß die Fürsorgepfleglinge sich gerade in den
Entwickelongsjahren befinden, und daß gerade in der Pubertät nicht selten
Entwickelungshemmungen und psychische Störungen einsetzen, kann die ärzt¬
liche Ueberwachung der Fürsorgepfleglinge von psychiatrisch gebildeten Aerzten,
z. B. den Kreisärzten, nicht genau genug sein.“
Soweit ich zu urteilen vermag, ist der psychiatrischen Seite
der Fürsorgeerziehung — generell wenigstens — nicht die ge¬
nügende Beachtung geschenkt. Beispielsweise möchte ich darauf
hinweisen, dass die die Fürsorgeerziehung übernehmenden Organe
der Provinzial-Verbände wohl unter Nr. 12 des für die Anstalten
bestimmten Aufnahmebogens nach der körperlichen und geistigen
Gesundheit fragen, auf die Beantwortung dieser Fragen durch
einen Arzt aber, wenn er dafür liquidiert, verzichten, so dass diese
an und für sich äusserst wichtige, m. E. für die fernere Erziehung
ausschlaggebende Frage nur pro forma auf dem genannten Bogen
figuriert.
Wo der Kreisarzt nicht zugleich Gerichts-und Gefäng¬
nis arzt ist, erscheint mir ein gemeinsames Arbeiten mit diesem
naturgemä8B gegeben. Sowohl straf- wie zivilrechtlich wird der
Gerichtsarzt durch das ihm zugängliche Aktenmaterial häufig
leichter und eingehender über Geisteskranke, Epileptiker und
Idioten informiert sein wie der Kreisarzt. Und ein gegenseitiger
Austausch ihrer Informationen und Erfahrungen kann nur segens¬
reich für das von ihnen beiden verfolgte Ziel sein: in dem Wohl
des einzelnen das des Staates zu fördern und umgekehrt.
Das gleiche gilt von der gemeinsamen Arbeit mit den be¬
nachbarten Medizinalbeamten, Schulärzten, Aerzten an Waisen-,
Armen-, Siechenhäusern, Korrigenden - Anstalten pp.
Der Unterstützung durch die praktischen Aerzte steht
ja leider die Wahrung des ärztlichen Berufsgeheimnisses vielfach
sehr hindernd im Wege.
Alles in allem wird aber auch auf dem Wege der gemein¬
samen Berufsarbeit vieles der Fürsorgetätigkeit Erspriessliche
geleistet werden können.
4. Als vierter, zwar an und für sich nicht neuer, aber meines
Wissens nur 1872 und 1895 eingeschlagener Weg zur Auffindung
der Geisteskranken, Epileptischen und Idioten empfiehlt sich
zweifellos, die Volkszählungen regelmässig mit zur Hilfe zu
nehmen. Es wird freilich wohl zu bedenken sein, dass diese
Zählung vielfach auf Widerstand stossen wird, weil sie gleich¬
bedeutend mit der Offenbarung intimer Familienangelegenheiten
ist, die meisthin einen ganz besonders wanden Punkt bilden.
Indessen, wo es das Wohl einer ganzen Kategorie ganz besonders
hilfsbedürftiger Kranken gilt, dürften der Empfindsamkeit des
einzelnen nicht zu grosse Konzessionen gemacht werden. Alle
Fürsorge bleibt auf dem Papier stehen, wenn der Medizinalbeamte
über die Fürsorgebedürftigeu im Unklaren bleibt. Sache des
8 *
116 Dr Schwabe: Die Aufgaben der Medizinalbeamten in bezog
Kreisarztes wird es sein, das ihm durch die Volkszählung über¬
mittelte Material nachzuprüfen.
Die auf den genannten Wegen ermittelten Geisteskranken pp.
hat er in eine nach psychiatrischen und sozialen Gesichtspunkten
sorgsam rubrizierten Liste einzutragen und fortlaufend zu er¬
gänzen. Ist er auf diese Weise über die in seinem Kreise vor¬
handenen Geisteskranken, Epileptiker und Idioten genügend in¬
formiert, so tritt die zweite, nicht minder schwer zu beantwortende
Frage an ihn heran, wie er die Fürsorge für diese Kranken
ausüben soll? Der Begriff Fürsorge nimmt bei den genannten Kate¬
gorien von Kranken insofern eine Sonderstellung ein, als in dieser Für¬
sorge implizite auch die Bewahrung engerer oder weiterer Kreise
vor eventuellen von diesen Kranken drohenden Gefahren für Leben,
Gesundheit, ideelles und materielles Gut enthalten ist. Ausdrück¬
lich muss auch darauf hingewiesen werden, dass diese „dauernde
Fürsorge“, wie sie die Dienstanweisung vorschreibt, keine passive,
allerhand Zufällen überlassene, sogenannte gelegentliche sein darf,
sondern eine aktive, planmässig geordnete, den Charakter selbst¬
ständiger amtlicher Tätigkeit tragende sein muss. Die Fürsorge
zerfällt in
1. eine aktive, in die persönlichen Verhältnisse der Kranken
eingreifende, d. h. in die Ueberweisung in eine geeignete Anstalt, *
eventuell auch in Vorkehrungen und Anordnungen für eine an¬
gemessene private Pflege in oder ausser dem Hause;
2. eine überwachende, d. h. abgesehen von der gesetzlich
geregelten Aufsichtstätigkeit des Kreisarztes in den zuständigen !
Anstalten für Geisteskranke pp., in einem Wachen über das Ver¬
halten der Kranken selbst, um eventuell im geeigneten Augenblick
aktiv einzugreifen, und über die den Kranken in der eigenen oder
in einer fremden Familie zuteü werdenden Pflege im weitesten
Sinne des Wortes; !
8. endlich in eine prophylaktische, d. h. in eine Ueber-
wachung der als geheilt oder gebessert aus den Anstalten Ent¬
lassenen und, soweit es möglich ist, auch in der Bewachung der
numerisch nicht zu niedrig zu bemessenden Degenerierten, Schwach¬
sinnigen aller Schattierungen, seelisch Labilen vor Verfall in
Geisteskrankheit.
Zu 1. Die aktiv eingreifende Fürsorge in Gestalt der
Ueberweisung in eine Irrenanstalt wird ex officio im wesentlichen
nur bei sogenannten Gemeingefährlichen im engeren nnd
weiteren Sinn oder bei zweifelhaften Geisteszuständen vor Gericht i
zur Ausübung gelangen. Bei nicht geisteskranken Epüepbikern
und bei Idioten werden gemeinhin ungeeignete häusliche Verhält- 1
nisse zur Anstaltsüberweisung drängen. Die Verbringung der
Idioten in eine öffentliche Idiotenanstalt, bei welcher der
Medizinalbeamte ex officio nur gelegentlich dann mitznwirken
pflegt, wenn es sich darum handelt, vorher noch ein Urteil über
die Bildungsfähigkeit des Einzuweisenden zu erhalten, stösst
kaum auf Schwierigkeiten. Die geistigen Defekte der Idioten
sind so offensichtlich, ihre Behandlung meist so schwer und nn-
auf die Fürsorge für Geisteskranke, Epileptiker nnd Idioten.
117
bequem, dass sie Anstalten gern überwiesen werden. Auch die
Anstalten selbst haben nicht im entferntesten mit dem Misstrauen
nnd den Vorurteilen der Allgemeinheit zu kämpfen, wie die Irren¬
anstalten; allerdings sind die öffentlichen Idiotenanstalten auch
mancher gehässigen Kritik aasgesetzt. Für private Idioten¬
anstalten gilt der Ministerial - Erlass vom 26. März 1901. Danach
hat der zuständige Kreis- bezw. Gerichtsarzt dem betreffenden das
Aufnahmezeugnis auszustellen und die Anstalt regelmässig zu
revidieren.
So wenig Schwierigkeiten die aktive Fürsorge für die aus¬
gesprochenen Idioten dem Medizinalbeamten bereitet, um so höher
türmen sie sich bei den Schwachsinnigen, welche wesentlich
die Erscheinungsformen der Entartung zeigen, deren Zustände
Gudden scherzhaft als den „höheren Blödsinn“ bezeichnete, nnd
die trotz ihrer tiefgreifenden geistigen Unzulänglichkeit der breiten
Masse durch ihr hohles Scheinwesen womöglich noch imponieren,
zum mindesten nicht für seelisch defekt gelten. Ebenso steht es
mit den ausgesprochen Degenerierten mit ihrer auf Grund
psychopathischer Veranlagung unharmonischen geistigen Entwicke¬
lung, ungemein labilen seelischen Gleichgewicht, Phantastereien,
Intoleranz gegen Alkohol, Unberechenbarkeit, Neigung zum Verfall
in paranoische, manische, melancholische Zustände, affektive
Störungen. Auch diese Degenerierten erscheinen dem Publikum
als alles andere, nur nicht als seelisch krank und anstaltsbedürftig. 1 )
Auch die Angehörigen von Epileptischen, unter ihnen
besonders wieder die Alkoholiker, obwohl sie bei ihrer häufigen
psychischen Degeneration, ihren krankhaften Affekten, ihrer Un¬
berechenbarkeit, ihren event. Bewusstseinsstörungen ein hohes
Kontingent für Landstreicher, Taugenichtse, Sittlichkeitsverbrecher,
Schamverletzer, Brandstifter, Totschläger stellen, und ihre recht¬
zeitige Anstaltsverwahrung ihnen selbst wie der Allgemeinheit
von höchstem Nutzen sein würde, sind schwer davon zu überzeugen,
dass die seelischen Veränderungen dieser Unglücklichen höher zu
werten sind, als die Krampferscheinungen.
Was die trunksüchtigen Epileptiker angeht, so ist
es sehr bedauerlich, dass der Staatsanwalt nicht die Berechtigung
hat, den Entmündigungsantrag zu stellen, und damit die zwangs¬
weise Internierung in Trinkerasylen in die Wege zu leiten; es ist
dies deshalb so sehr bedauerlich, weil die Angehörigen meist so
durch die Brutalität des Betreffenden eingeschüchtert sind, dass
sie einen Entmündigungsantrag nicht wagen, nnd die dazu be¬
rechtigten Armenverbände häufig viel zu indolent sind.
Bei nicht geisteskranken Trunksüchtigen kann der
Vormund ja geeignetenfalls auch gegen den Willen des Trinkers
für dessen Aufnahme und Festhaltung in einer Heilanstalt sorgen
und sich zu dem Zweck die kreisärztliche Mitwirkung erbitten.
Indessen die Fälle sind selten.
*) Imbezille, Idioten and Kretins wurden in Irrenanstalten aufgenommen:
1875: männlich . . 286 = 8,97"/,, 1900: männlich . . 1141 = 10,84%
weiblich . . 186 = 8,55 „ weiblich . . 714 = 9,35 *
118 Dr. Schwabe: Die Aufgaben der Medizinalbeamten in bezug
Bei zweifelhaften Geisteszuständen zu Entmündigender,
insonderheit den sogen. Grenzfällen, wie bei beginnender Paralyse,
sogen. Alkoholparalyse, nicht klaren Fällen von Paranoia, periodi¬
schen und zirkulären Geisteskrankheiten wird der Medizinalbeamte
gut tun, die Ueberweisung in eine Anstalt zwecks Beobachtung
als geboten zu begutachten. Er muss dann aber die Notwendig¬
keit bescheinigen, die blosse Zweckmässigkeit genügt nicht.
Dass der Antragsteller darauf nicht einzugehen braucht, ist be¬
kannt. Auch darauf möchte ich hinweisen, dass der Medizin&l-
beamte, wenn er die Ueberführung in eine Anstalt für notwendig
befunden hat, nach Möglichkeit dafür Sorge tragen soll, dass diese
Ueberführung ohne Anwendung roher Gewaltmittel vor sich geht.
Täuschungen der Kranken zum Zweck der Ueberführung sind vom
irrenärztlichen Standpunkte aus zu verwerfen, in praxi aber wohl
nicht immer zu vermeiden.
Auf die häufig ganz ungenügende, ja direkt gesundheits¬
schädliche Beschaffenheit der für die vorläufige Inter¬
nierung gefährlicher Geisteskranken dienenden Loka¬
litäten — Spritzen-, Armenhäuser pp. — muss der Kreisarzt
bei Ortsbesichtigungen und Besichtigungen von Armen- und
Siechenhäusem, kleinen Irren-Beobachtungsstationen, Gefängnissen,
Krankenhäusern ein wachsames Auge haben. In rein ländlichen
Bezirken empfiehlt es sich vielleicht in Entfernungen, wie
in den für die Pflegestationen vorgesehenen, auch für solche
Geisteskranke ganz einfache, aber zweckmässig eingerichtete, von
einem Arzt schnell zu erreichende Lokalitäten bereit zu halten.
Am 27. Mai 1893 wies beispielsweise die Aerztekammer der Provinz
Hannover schon auf die Notwendigkeit geeigneter Lokalitäten zur
provisorischen Aufnahme gefährlicher Geisteskranken hin. Das
Königliche Oberpräsidium erkannte die Berechtigung des von der
Aerztekammer geäusserten Wunsches an, gab aber zugleich zu
erkennen, dass diesem Anträge in seinem Umfange nicht ent¬
sprochen werden könne. Da anzunehmen ist, dass auch in anderen
Provinzen mehr oder weniger ähnliche Missstände vorhanden und
durch behördliche Massnahmen auf Grund verwaltungsgesetzlicher
Schwierigkeiten nicht ganz zu beheben sind, so müssen m. E. die
Organe der privaten Wohltätigkeit für diese Frage interessiert
und gewonnen werden. — Auch darauf wird der Medizinalbeamte
zu achten haben, dass die in provisorischen Unterkunftsorten unter¬
gebrachten Geisteskranken dort nicht zu lange verbleiben und zu
eigenem und ihrer gesetzmässigen Unterhalter Schaden an Hei¬
lungsaussicht einbüssen. Diese Provisoria sind deshalb nach Mög¬
lichkeit zeitlich zu beschränken, weil sie meist aus Mangel an
Raum und geschultem Personal mit Einzelinternierung verbunden
sind, die für den Verlauf der Geisteskrankheit den schwersten,
ja vielleicht irreparablen Schaden bringen kann. Wenn irgend
möglich, sollen alle provisorischen Verwahrungen
Anstaltsbedürftiger vermieden werden!
Zu 2. Die überwachende Fürsorge muss dort, wo die
Kranken in der eigenen Familie oder bei Verwandten
auf die Fürsorge für Geisteskranke, Epileptiker and Idioten. 119
— bei letzteren jedoch nicht gegen Entgelt — leben, sich einer¬
seits darauf beschränken, durch Vermittelung der Ortspolizeibehörde
in unauffälliger, schonender Weise nach dem Ergehen der be¬
treffenden zu forschen, anderseits es sich angelegen sein lassen,
das Vertrauen der Angehörigen und dadurch Einfluss auf das
Wohlergehen der Kranken zu gewinnen, oder auch mit Hilfe des
behandelnden Arztes, des Geistlichen, d. h. eines, der mit dem Be¬
griff der dämonischen Besessenheit gebrochen hat, event. auch der
Gemeindediakonissin, des Lehrers pp. zu diesem Ziel zu gelangen.
Sehr taktvolles und diplomatisches Vorgehen sind dabei unerlässlich.
Es ist mir wohlbekannt, dass gegen die amtsärztliche sogen,
unauffällige Beaufsichtigung von nicht gefährlichen, in ihrer Familie
verpflegten Geisteskranken schwerwiegende Bedenken erhoben
worden sind. Ich gebe auch gerne zu, dass die Klippen der
Empfindsamkeit, des Vorurteils, der Beunruhigung nicht ganz
leicht zu umschiffen sind. Indessen muss ich mich doch auf den
von der XV. Hauptversammlung des Preussischen Medizinalbeamten-
Vereins vertretenen Standpunkt stellen, dass bei den Medizinal¬
beamten generell der nötige Takt und das besonnene Vorgehen
vorausgesetzt werden müssen, um dieser schwierigen, ja äusserst
schwierigen Aufgabe gerecht zu werden, dass er doch nicht mit
seiner beamteten Stellung die Feinfühligkeit des Arztes verloren
hat. Erleichtert aber würde m. E. seine Aufgabe dadurch, dass
mit der Gründung von Irrenhilfsvereinen, die freilich ja in erster
Linie ihre Tätigkeit den als geheilt oder gebessert aus Anstalten
entlassenen Geisteskranken zugute kommen lassen sollen, Ver¬
trauensmänner über den Kreis verteilt würden. Diese Vertrauens¬
männer könnten sehr wohl das Bindeglied zwischen Familien und
dem Medizinalbeamten bilden und dazu beitragen, Missverständ¬
nisse, Vorurteile, falsche Empfindlichkeit zu bekämpfen und den poli¬
zeilichen Exekutivbeamten nach Möglichkeit entbehrlich zu machen.
Um nach Kräften alles auszuschalten, was nach polizeilicher Bevor¬
mundung aussehen könnte, wogegen die Allgemeinheit bekanntlich
krankhaft empfindlich ist, obwohl sie auf der anderen Seite schnell
mit dem Ruf, „wo ist die Polizei P“ bei der Hand ist, will mir
auch die Stationierung von Gemeindeschwestern, die, in der Irren¬
pflege ausgebildet, sich lediglich der Pflege geistiger Invaliden
zu widmen hätten, zweckmässig erscheinen. Die privaten chari-
tativen Verbände sollen sich eben auch ihrer Pflichten gegen die
armen Geisteskranken erinnern, denen sie körperlich kranken und
materiell Bedürftigen gegenüber in so anerkennenswerter Weise
gerecht werden. —
Handelt es sich um gefährliche Geisteskranke, die in
der eigenen Familie bleiben sollen, dann liegt ein öffentliches Inter¬
esse vor und damit auch die Berechtigung für den Medizinalbeamten,
ex officio eine dem besonderen Falle angemessene Kontrolle aus¬
zuüben. Mag es auch — namentlich bei räumlich weiter Ent¬
fernung des Medizinalbeamten — zweckmässig erscheinen, dass
die Ortspolizeibehörde ein wachsames Auge auf die Vorgänge in
einem einen gefährlichen Geisteskranken beherbergenden Hause
120 Dr. Schwabe: Die Aufgaben der Medizinalbeamten in bezug
hat, die eigentliche Kontrolle steht nur dem Medizinalbeamten zu,
der sie suaviter in modo, fortiter in re auszuüben und unter allen
Umständen auf die Beschaffung geeigneten Wartepersonals, geeig¬
neter Räumlichkeiten zu bestehen hat.
Sobald die Kranken in fremden Familien gegen Ent¬
gelt untergebracht sind, muss die Fürsorge schon damit be¬
ginnen, dass der Medizinalbeamte in Stand gesetzt wird, die
Qualifikation des Geisteskranken selbst für Familienpflege and
ganz besonders auch der in Aussicht genommenen gewerbsmässigen
Pfleger eingehend zu prüfen. Diese müssen zum mindesten den¬
selben Vorschriften unterworfen sein, wie diejenigen Personen, bei
welchen fremde, noch nicht 6 Jahre alte Kinder in Kost und
Pflege untergebracht werden. 1 ) Der Kreisarzt muss, wie seine
Vorschrift bei den Haltekindern lautet, nach Bedarf tunlichst un¬
vermutet diese Pflegestellen revidieren. Unter Bedarf darf aber
nicht eine Revision bei Gelegenheit anderweitiger Dienstreisen
verstanden werden, sondern das pflichtgemässe Ermessen des
Kreisarztes muss ausschlaggebend sein.
Von allen, welche gegen Entgelt Geisteskranke, Epileptische
und Idioten pflegen, ist zu verlangen, dass sie sich
1. eines tadellosen Lenmnnds erfreuen,
2. in geregelten und auskömmlichen Vermögensverhältnissen leben, geräumig
genug wohnen,
3. körperlich und geistig gesund sind,
4. genügend Zeit haben und fähig sind, ihre Pflegebefohlenen zu beauf¬
sichtigen und zu leiten.
Zu bevorzugen sind solche, welche
1. womöglich schon Erfahrung in der Irrenpflege haben,
2. abseits regeren Verkehrs wohnen (ländliche Verhältnisse werden im
allgemeinen die geeignetsten sein).
Die familiäre Irrenpflege, deren Geburtsstätte in dem
belgischen Flecken Gheel liegt, welches mit 19 anliegenden Dörfern
unter 12 700 Einwohnern 2000 Geisteskranke zählt, hat sich auch
in Deutschland, wo sie schon seit mehr als 100 Jahren in den
bremischen Dörfern Ellen-Rockwinkel besteht, von Wahrendorf-
Ilten, Alt-Uchtspringe und anderen weiter ausgebildet ist, bislang
so gut bewährt, dass sie eines immer grösseren Ausbaus bedarf,
zum Wohle der Kranken, zur Nutzbarmachung ihrer oft noch nicht
unerheblichen sozialen Leistungsfähigkeit und damit zur Ent¬
lastung der Gemeinden und der Irrenanstalten und zu Nutz und
Frommen der wirklich Anstaltsbedürftigen.
Aufgabe der Medizinalbeamten wird es sein, Anregungen und
Belehrungen in dieser Beziehung zu geben, sich selbst in der Be¬
urteilung geeigneter Privatpflegen und der für solche Pflege ge¬
eigneten Kranken nach Kräften zu vervollkommnen. — Für eine
Erweiterung der Familien - Irrenpflege über die nächstliegenden
Ortschaften einer Irrenanstalt hinaus erscheint mir ebenfalls die
Gründung von Irrenhilfsvereinen mit über den Kreis verteilten
') Vcrpl. Rundorlaß des Ministers der McdizinnlanKelcpcnheitcn and des
Ministers des Innern, betr. das gewerbsmäßige Halten von Kostkindern, vom
26. August 1S8U.
auf die Fürsorge für Geisteskranke, Epileptiker und Idioten.
121
Vertrauensmännern sehr wünschenswert. Ihre Kontrolle wirkt
weniger auffallend und ist gleichwohl geeignet, den Medizinal¬
beamten auf dem Laufenden zu erhalten, vermag auch Kosten¬
ersparnisse herbeizuführen.
Zu 3. Die prophylaktische Fürsorge wird, streng ge¬
nommen, in der Dienstanweisung vom Kreisarzt nicht verlangt,
da diese nur von bereits Geisteskranken, Epileptischen und Idioten
spricht. Indessen ist sie implicite doch in ihr enthalten, weil die
„dauernde“ Fürsorge sich naturgemäss auch auf diejenigen er¬
strecken muss, welche als geheilt oder gebessert oder versuchs¬
weise zu ihren Familien, in ihre berufliche Tätigkeit aus den
Anstalten entlassen sind; denn ein beträchtlicher Prozentsatz
dieser Geheilten oder Gebesserten bleibt seelisch ungemein labil,
und der von den Stürmen der Sorgen, des Kummers, der mensch¬
lichen Leidenschaften zu haushohen Wellen aufgepeitschte Ozean
des alltäglichen Lebens verlangt eine ganz andere seelische Wider¬
standskraft, als der ruhige, glatte geschützte Hafen, wie ihn das
Leben in einer Anstalt darstellt. Somit erwächst für den Medi¬
zinalbeamten die unabweisbare Pflicht, sich mit Rat und Tat daran
zu beteiligen, diesen gefährdeten Personen zu einer geeigneten
Tätigkeit zu verhelfen, Schädlichkeiten von ihnen abzuwehren,
Vorurteile und Inhumanität zu bekämpfen.
Zur Erfüllung dieser Aufgabe reichen aber Zeit und Kraft
des Medizinalbeamten nicht aus; er wird es sich daher angelegen
sein lassen, Vereine zur Plazierung und Unterstützung aus An¬
stalten für Geisteskranke pp. Entlassener, also die schon er¬
wähnten sogen. Irrenhilfs vereine, nach Möglichkeit zu fördern.
Derartige Vereine, deren Wirksamkeit eine hervorragend soziale
ist, gibt es zurzeit noch viel zu wenige. Die Aufgabe der Irren-
Hilfsvereine muss demnach eine dreifache sein:
1. Sic sollen die ans der Anstaltspfiegc als geheilt oder gebessert Ent¬
lassenen bezw. deren Familien materiell durch Geldznwendnngen, Arbeitsnach¬
weise unterstützen, um Rückfälle bezw. Verschlechterungen ihres Zustandes
durch Sorgen, Kummer, getäuschte Hoffnungen auf Lebensunterhalt pp. nach
Möglichkeit zu verhüten.
2. Sie sollen durch freundlichen, verständnisvollen Zuspruch, Rat, be¬
sonnene Führung das häufig erschütterte Selbstvertrauen dieser Entlassenen
zu heben, Verbitterung, Selbstvorwürfe zu zerstreuen, kurz ihnen festen Halt
zn geben suchen.
3. Sic sollen es sich angelegen sein lassen, das allgemeine Verständnis
für das Wesen der Geistesstörungen zu beleben, die Scheu, Gleichgültigkeit,
Vorurteile gegen Geisteskranke und die ihnen dienenden Anstalten zu bekämpfen.
An der Spitze des Vereins mnss ein psychiatrisch gebildeter
Arzt stehen, wenn möglich der Kreisarzt. Ausserdem sind sorg¬
sam auszuwählende Vertrauensmänner zu bestellen, welche, mög¬
lichst zahlreich über das Hilfsgebiet des Vereins verteilt, die Art
und Höhe der Bedürftigkeit der geistigen Invaliden festzustellen,
das fernere Wohlergehen der Entlassenen im Auge zu behalten,
dem Vorstand darüber zu berichten haben.
Da nun die ganze Wirksamkeit des Medizinalbeamten schliess¬
lich auf Prophylaxis hinausläuft, so wird er sich auch der Pflicht,
Prophylaxis auf dem Gebiet der Geisteskrankheiten
122 Dr. Schwabe: Die Aufgaben der Medizin&lbeamten in besag
aaszuüben, nicht ganz entziehen können, wenn diese auch natur¬
gemäße zum überwiegenden Teil in den Händen der praktischen
Aerzte ruht. Immerhin wird ihm die amtliche Tätigkeit nicht
selten Gelegenheit darbieten, Degenerierte, Schwachsinnige in
allen Nuancen, an epileptoiden, hysterischen Zuständen Leidende,
Neurastheniker kennen zu lernen und deren Angehörige, Erzieher,
Brotherren pp. auf die richtige Behandlung dieser auf der Grenze
zwischen geistig Gesunden und Kranken Stehenden hinzuweisen
und dadurch dem Ausbruch yon Psychosen vorzubeugen oder ihn
doch wenigstens zu verzögern oder zu mildern. Besonders sei
auf den für Laien schwer richtig zu beurteilenden Beginn des
Jugendirreseins zur Zeit der psychischen Wandlungen während
der Pubertätsjahre hingewiesen.
Die von manchen belächelten Familien ab ende würden
auch geeignete Stätten für den Medizinalbeamten bilden, in all¬
gemein verständlicher Form das Gebiet der geistigen Minder¬
wertigkeit und der epileptoiden, hysterischen Zustände, der gei¬
stigen Erkrankungen im allgemeinen zu beleuchten, die rück¬
ständige Furcht vor den Irrenanstalten zu bekämpfen, diesbezügL
Vorurteile und Irrtümer zu zerstreuen, vor Ehen zwischen Geistes¬
kranken, mit Geisteskrankheit erblich Belasteten zu warnen
u. dgl. mehr.
Die prophylaktische Fürsorge besteht endlich in beratender
und tatkräftiger Unterstützung aller jener Bestrebungen, welche
auf die Gründung von Volkssanatorien für Nervenkranke, von
Rekonvaleszentenheimen, Anstalten für Epileptische und Idioten,
Erziehungsanstalten für geistig Zurückgebliebene und sittlich
Schwache (ich erinnere hier an das von Prof. Zimmer, dem
Leiter des Evangelischen Diakonienvereine in Zehlendorf, be¬
gründete Heilerziehungsheim), auf Bekämpfung von Trunksucht,
dieses für die geistige Entartung der Nachkommenschaft schwer¬
wiegenden Lasters, und von Geschlechtskrankheiten, abzielen.
Die Prophylaxis der seelischen Störungen stellt mit ihren
engen Beziehungen zu den genannten körperlichen, seelischen und
sozialen Lebensbedingungen ein Gebiet von so gewaltigem Umfange
dar, dass ich im Rahmen dieses Referats nur Streifzüge in das¬
selbe zu unternehmen und wie in einem Panorama nur einzelne
charakterisierende Bilder herauszugreifen vermag, Bilder, welche
auch ohne Kommentar dem Medizinalbeamten je nach seiner In¬
dividualität, seinem Wirkungskreise und seinem Können die Bahnen
seiner prophylaktischen Tätigkeit weisen können. Die allge¬
meine Prophylaxis der seelischen Störungen setzt naturgemäss schon
mit den Vorbedingungen der Zeugung ein. Das Verant¬
wortlichkeitsgefühl für die seelische Gesundheit der Nachkommen
ist zu wecken. Welch trostloses Erbteil erwartet den von geistes¬
kranken bezw. schwachen, entarteten, epileptischen, hysterischen,
neurasthenischen, trunk- oder morphiumsüchtigen, luetischen, un¬
reifen, entkräfteten Eltern Gezeugten! Wie schadet dem wer¬
denden Menschen eine durch körperliche und seelische Exzesse,
durch Furcht, Angst und Sorgen beeinflusste Schwangerschaft!
auf die Fürsorge für Geisteskranke, Epileptiker nnd Idioten. 123
Welche Unsumme von Torheiten bei der Erziehung benach¬
teiligen die langsam erwachsende Seele des Kindes im ersten Le¬
bensjahre und wie steigern sie sich in den weiteren Kinderjahren!
Mit an und fiir sich schon geistig sehr regsamen, zu Phantastereien,
womöglich abendlichen Halluzinationen neigenden Kindern wird
paradiert, Dressur getrieben. Wie fehlt oft die feinfühlende, in¬
dividuelle, gleichmässige, zielbewusste, freundlich strenge, ver¬
trauenerweckende Behandlung der ungemein fein reagierenden
Kindesseele, die einzig und allein ihre harmonische Entwickelung
gewährleisten kann! Welche Missgriffe werden in der Schul¬
erziehung gemacht! Zum Ertöten der Arbeitslust führender Sche¬
matismus, an Stelle Förderung intellektueller, produktiver Lei¬
stungen mechanisches Auswendiglernen, Ueberbürdung, falsche
Anwendung der Erziehungsmittel, Verkennen seelischer Eigen¬
tümlichkeiten und körperlicher Leiden, unhygienische Einteilung des
Unterrichts und dergl. mehr. Welch segensreiches Feld der
Tätigkeit für den Medizinalbeamten als psychagogischer Berater!
Es folgt die sexuelle Prophylaxe, die mit Bekämpfung des
oft schon sehr frühzeitig entwickelten Strebens nach Auslösung
von Wollustgefühlen zu beginnen hat und hervorragende psychische
Technik verlangt. Und nun die der Psyche ganz besonders gefähr¬
liche Klippe der Pubertätsjahre! Hier gilt es den Körper zu
kräftigen und zu stählen, schädliche Reiz- und Genussmittel, wie
Tabak, Alkohol pp. auszuschalten, Ueberarbeitung, Störungen der
Nachtruhe, schlechten Umgang zu verhindern, für zuträgliche
seelische Kost zu sorgen. Bei Mädchen spielen die seelischen
Aufregungen während der Menses eine besonders einflussreiche
Rolle und verlangen angesichts der modernen Bestrebungen in
der Mädchenerziehung erhöhte Aufmerksamkeit. — Auch der
schwerwiegende Schritt der Berufswahl erfordert die strengste
Prüfung von Wollen und Können und Wesensart auf seelischem
und körperlichem Gebiet.
Welches Unheil Exzesse in Baccho et Venere, insbesondere
auch sexuelle Infektionen, unhygienisches Leben, schrankenloser
Ehrgeiz pp. der Psyche bringen können, bedarf kaum der Erwäh¬
nung. Die auf dem Boden von verschiedenen körperlichen, ins¬
besondere Infektionskrankheiten entstehenden psychischen Al¬
terationen werden sich ja nur zum Teil durch ärztliche Massnahmen
hintenanhalten lassen. Immerhin sei in dieser Beziehung auf die
segensreiche Wirksamkeit von Krankenunterstützungsvereinen und
Rekonvaleszenten- und Wöchnerinnenheimen, Erholungsstätten hin¬
gewiesen, deren Bestrebungen der Medizinalbeamte nach Kräften
zu unterstützen hat. Erspriessliches vermag er auch mit prophy¬
laktischen Massnahmen gegen psychische Störungen im Wochen¬
bett durch strenge Ueberwachung und Belehrung der Hebammen
zu leisten.
Was die spezielle Prophylaxe angeht, so wird der Medizinal¬
beamte sie vielfach als Schularzt und durch gemeinverständliche
Vorträge ausüben können. Bei Entarteten beispielsweise wird
er die Lehrer bezw. die Eltern auf die pathologische Reizbarkeit,
124 Dr. Schwabe: Die Auf gaben der Medizinalbeamten in bezug
Trotz- and Jähzornantälle, eventl. auch auf depressive Affekte,
expansive Stimmnngsznstände, leicht vorkommende Abweichungen
des Geschlechtstriebes aufmerksam zu machen und diesen Eigen¬
heiten gegenüber ein ruhiges, affektfreies, verständiges, zielklares
Vorgehen zu empfehlen haben. Das Gleiche gilt von den Hyste¬
rischen. Ihnen gegenüber sind methodische Uebung, die ruhige
Selbstzucht, Lust zum Selbstkorrigieren, Anfeuerung gesunden
Ehrgeizes, Pflege objektiver und massvoller Interessen am Platze.
Auch den Epileptischen soll in dieser Weise begegnet werden;
insbesondere sind von ihnen noch körperliche und geistige Ueber-
anstrengungen, schwere Züchtigungen, Schläge auf den Kopf und
der Alkohol in jeder Form fernzuhalten, ihnen reichlicher Schlaf
zu gewähren.
Bei den Schwachsinnigen wird er darauf hin weisen müssen,
dass man bei ihnen darauf verzichten muss, abstrakte Begriffe
hervorrufen zu wollen, sie vielmehr intellektuell wie ethisch durch
häufiges Wiederholen, Uebungen im Wiedererkennen, Wieder¬
erzählen, Aufmerksamkeitsübungen, durch Lob und Tadel, Beloh¬
nung und Strafe zu dressieren, allen Affektausbrüchen streng ent¬
gegenzutreten hat.
Selbst die Paranoia ist häufig für eine Prophylaxe geeignet,
da sie in ihren ersten Anfängen nicht selten bis in die Jugend¬
zeit zurückreicht. Solche Kinder halten sich abseits ihrer Alters¬
genossen, neigen zu hochfahrendem, eitelem Wesen, sind miss¬
trauisch, sehr empfindlich und nachtragend, spinnen sich in Träu¬
mereien und Phantastereien ein, sind schwer zu überzeugen und
zu korrigieren, lassen sich leicht zu Affekthandlungen hinreissen.
Nur verständnisvolles, liebevolles Eingehen auf ihre Eigentümlich¬
keiten, ein fortgesetztes Werben um ihr Vertrauen und unmerk¬
liches, ununterbrochenes Bekämpfen ihrer hartnäckigen, rein sub¬
jektiven Vorstellungen, Anregung objektiver Interessen können
zum Ziele führen und sind den Erziehern dringend an Herz
zu legen.
Auf das Jugendirresein, das sich besonders zur Zeit
der Pubertät entwickelt und in seinem Beginn durch Reizbarkeit,
triebartige Handlungen, durch ein Gemisch von Verlegenheit und
Scheu und Geziertheit einerseits, von Grossmannssucht, läppisch¬
frechem Benehmen anderseits eingeleitet wird, könnte unter Um¬
ständen in Familienabenden hingewiesen und damit in manchen
Fällen eine rechtzeitige Behandlung erzielt werden; zweiffellos
hat der Medizinalbeamte als Gefängnisarzt Gelegenheit, dem Aus¬
bruch ausgesprochener paranoider Erscheinungen durch Beantra¬
gung der Haftentlassung oder Ueberführung in geeignete Behand¬
lung vorzubeugen. Auch den Ausbruch anderer Seelenerkrankungen
im Gefängnis wird er durch sorgsame Beobachtung vielfach ver¬
hindern können.
In der aktiv eingreifenden Fürsorge für die Geisteskranken
spielt eine bedeutungsvolle Rolle der Begriff der „Gemein-
gefährlichkeit“. Er ist zurzeit geradezu aktuell, weil unsere
hervorragendsten Psychiater neuerdings gegen seine Ausdehnung
aal die Fürsorge für Geisteskranke, Epileptiker and Idioten.
125
and Ueberwertung mehr oder weniger energisch Front gemacht,
ihn in die Rüstkammer überwundener barbarischer Zeiten der
Irrenbehandlung gewiesen haben. „Gemeingefährlichkeit 11 eines
geisteskranken Menschen ist in der Tat kein psychiatrischer Begriff,
auch kein rechtlicher, sondern ein verwaltungs - technischer. Er
musste wohl oder übel von den Irrenärzten übernommen werden,
und seine Auslegung schwankt nach der Anschauung des ein¬
zelnen in weiten Grenzen. Es empfiehlt sich daher, ihn fallen
zu lassen und durch „gefährlich* 1 mit näherer Begründung, wes¬
halb und wie lange etwa gefährlich, zu ersetzen. Und das um
so mehr, als der dehnbare Begriff des bisherigen „gemeingefähr¬
lich 11 viele harmlos und sozial mehr oder minder wieder lei¬
stungsfähig gewordene, als gemeingefährlich seiner Zeit einge¬
lieferte Geisteskranke auf Grund strenger gesetzlicher Vor¬
schriften 1 ) unnötig lange und zum Schaden ihrer verpflichteten
Unterhalter in den Irrenanstalten zurückhält, diese selbst über¬
füllt. Diese Vorschriften sind deshalb so schwerwiegend für
die Entlassung aus den Irrenanstalten, weil die Direktoren die
von den in Betracht kommenden Polizeibehörden mitgeteilten Be¬
denken zu berücksichtigen haben, „welche aus ihrem Vorleben und
den ganzen wirtschaftlichen und Familienverhältnissen gegen die
Entlassung sprechen 11 ; also hier der Laienbegriff der Gemein¬
gefährlichkeit eine ganz erhebliche Rolle spielt. Muss aber da¬
vor gewarnt werden, den Begriff der Gemeingefährlichkeit nicht
zu sehr auszudehnen und dort, wo er zu Recht besteht, bezügl.
seiner Dauer nicht zu überschätzen, so ist ebenso eindringlich die
Warnung gerechtfertigt, die Dauer der festgestellten Gemeingefähr¬
lichkeit nicht zu unterschätzen, nicht zu vergessen, dass die
Erfahrungen über daB Verhalten eines Geisteskranken unter den
Lebensbedingungen der Anstalt nicht ohne weiteres auf sein mut¬
massliches Verhalten im alltäglichen Leben mit seinen zahlreichen
physischen Insulten übertragen werden können. Exempla docent.
Dass gerade die von Laien für besonders gefährlich gehaltenen
tobenden, lärmenden Geisteskranken im Grunde genommen viel
weniger ihre Umgebung bezw. sich selbst gefährden, als die vor
sich hinbrütenden, von innerer Angst gequälten, unter hoher
innerer Spannung stehenden, ist für den in der Irrenheilkunde
Bewanderten etwas Bekanntes. Immerhin wird der Medizinal¬
beamte, welcher seltener Gelegenheit hat, Geisteszustände zu
begutachten, häufig unter sehr erschwerten Umständen sein Votum
abzugeben hat und gleichwohl die volle Verantwortung und das
ganze Odium dafür trägt, ob ein Geisteskranker zu Recht oder
Unrecht einer Anstalt zugeführt wird, gut daran tun, sich gegen¬
wärtig zu halten, dass in der Skala der Gefährlichkeit die Alkohol¬
deliranten und die geisteskranken Epileptiker — und unter ihnen
wieder die alkoholischen Epileptiker — mit Rücksicht auf den
brutalen Charakter ihrer gewalttätigen Handlungen, und die letz¬
teren auch besonders ihrer absoluten Unberechenbarkeit wegen,
') Siehe Erlaß des Ministers des Innern vom 15. Juni 1901, die Ent¬
lassung von gefährlichen Geisteskranken betreffend.
126 Dr. Schwabe: Die Aufgaben der tfedizinalbeamten in bezog
obenan stehen. Dann folgen etwa die chronischen Paranoiker, die
unter dem ersten quälenden Ansturm ihrer Wahnideen stehen;
auch sie sind insofern unberechenbar, als ihrer Umgebung der
besondere Gegenstand ihrer Feindseligkeit ganz verborgen bleiben
kann. Bekannt ist, dass paranoische Hypochonder es besonders
häufig auf Aerzte, als die vermeintlichen Urheber ihrer ein¬
gebildeten Krankheiten, abgesehen haben. Die manisch Erregten
werden gemeinhin nur gefährlich, wenn sie durch falsche Mittel
an der Betätigung ihres Bewegungsdranges verhindert werden.
Auch die an impulsivem bezl. degenerativem Irresein, hysterischem
Irresein Leidenden, die ausgesprochen ethisch defekten Schwach¬
sinnigen neigen nicht selten zu gefährlichen Handlungen. Dass
auch die in erster Linie sich selbst Gefährlichen, d. h. die zum
Selbstmord neigenden Melancholiker und chronischen Alkoholiker,
gleichzeitig für andere sehr gefährlich werden können, beweist
eine hinter den wirklichen Zahlen noch erheblich zurückstehende
Statistik für Deutschland aus den letzten 2 Jahren, nach der
111 Kinder von geisteskranken Selbstmördern getötet worden sind.
Es waren 49 Männer und 98 Frauen, von denen letztere vor¬
wiegend an Melancholie, die ersteren vorwiegend an chronischem
Alkoholismus litten. Hätte man diese Geisteskranken rechtzeitig
einer Anstalt übergeben, so wäre das Unglück wohl in den meisten
Fällen verhütet worden.
Gleichwohl ist es für die Stellung des grossen Publikums
zu dem segensreichen Wirken der Anstalten für Geisteskranke
charakteristisch, dass die grossen Tageszeitungen derartige traurige
Vorfälle meistens ohne jeden Kommentar bringen, ja dass trotz
derselben nach wie vor gegen die Irrenärzte Stellung genommen
und durch Laienmitwirkung eine Sicherung gegen ungerecht¬
fertigte Anstaltsüberweisung verlangt wird. Es ist eine soziale
Aufgabe der Medizinalbeamten, an der Hand solcher Vorkomm¬
nisse belehrend, autklärend und bessernd zu wirken. Der Me¬
dizinalbeamte tut, unbeschadet seines freien, pflichtgemässen Er¬
messens von Fall zu Fall, doch im allgemeinen gut, den Begriff
der Gefährlichkeit eines Geisteskranken relativ scharf zu um¬
grenzen.
Ein Geisteskranker muss als gefährlich einer An¬
stalt zugeführt werden, d. h. es liegt eine „absolute“ Indi¬
kation vor
A. In bezug auf andere Personen:
1. Wenn er Gesundheit und Leben seiner engeren und weiteren
Umgebung, die Sittlichkeit der Familie und der Oeffent-
lichkeit gefährdet oder
2. die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit in dem Masse
dauernd oder doch so häufig erheblich stört, dass er an¬
dauernd oder mit geringen Unterbrechungen in Polizei¬
gewahrsam gehalten werden muss.
Diese Voraussetzungen zu 1 und 2 müssen durch sichere
Tatsachen gegeben sein; Gerüchte, Vermutungen, unkontrollier¬
bare Mitteilungen genügen nicht. Nur wenn der Medizinalbeamte
auf die Fürsorge für Geisteskranke, Epileptiker und Idioten. 127
auf Grand eigener eingehender Präfang annehmen muss, dass die
derzeitige anscheinende Ungefährlichkeit des Geisteskranken die
Rahe vor dem sicheren Sturm bedeutet, dass in wenigen Tagen
oder gar nur Stunden der Kranke die Konsequenzen aus seinen
Wahnideen ziehen und sich zu gefährlichen Angriffen auf seinen
oder seine vermutlichen Widersacher hinreissen lassen wird,
braucht er Tatsachen nicht abzuwarten. Die relativ seltenen
Fälle, in denen der Medizinalbeamte ohne behördlichen Auftrag
von den Angehörigen eines Geisteskranken aufgefordert wird, die
Notwendigkeit der Unterbringung in eine Anstalt zu attestieren,
erfordern die allergrösste Vorsicht in der Begutachtung und
Wertung der vorgebrachten Beweismittel für die Gefährlichkeit
des betreffenden Kranken. Exempla docent.
8. Wenn der Geisteskranke auf Grund verbrecherischer Nei¬
gungen nachweislich Leben, Gesundheit und materielles
Gut seiner Mitmenschen schädigt, die Sittlichkeit gefährdet.
Vereinzelte geringfügige Delikte genügen nicht für die
Begutachtung der Gefährlichkeit.
Die Beantwortung der Frage, ob verbrecherische Neigungen
bei einem Kranken gewissermassen als separierte moralisch-ethische
Defekte innerhalb der psychischen Gesundheitsbreite aufzufassen
sind oder schon als Symptom seiner Geisteskrankheit, wird oft
Schwierigkeiten bereiten. — Praktisches Interesse für die Anstalts*
einweisung wird sie aber erst dann gewinnen, wenn die andere
Frage befriedigend beantwortet sein wird, ob sich der Bau be¬
sonderer Anstalten für verbrecherische Irre empfiehlt. Eine
Trennung zwischen diesen und den mit den Strafgesetzen nicht
wesentlich in Konflikt geratenen Geisteskranken wird aber wohl
erforderlich werden, je mehr sich einerseits der Charakter der
Irrenanstalten immer stärker dem freier Krankenhäuser nähert,
die Isolierung der Geisteskranken nur noch vereinzelt zur An¬
wendung gelangt; anderseits darauf Bedacht genommen wird, dem
grossen Publikum die törichte Scheu vor der rechtzeitigen Unter¬
bringung des Geisteskranken in Anstalten zubenehmen. Vor der
Hand dürfte es sich empfehlen, für verbrecherische Irre kleinere
Stationen an die grossen Strafanstalten in grösserer Zahl, als das
bisher geschehen ist, anzugliedern.
B. In bezug auf seine eigene Person:
Wenn der Geisteskranke Selbstbeschädigungen vornimmt oder
offenbar dazu neigt; dazu gehören auch Nahrungsverweigerung,
Verschlingen von Fäkalien und unverdaulichen Gegenständen, un¬
besiegbarer Widerstand gegen die Vornahme der notwendigsten
körperlichen Pflege und therapeutischer Massnahmen, gewaltsames
Verhalten von Harn und Kot, kurz alle Erscheinungen des schweren
Negativismus, unbekämpfbare Ruhelosigkeit bis zur Tobsucht (auch
ohne aggressiven Charakter). Schwere Depressionszustände, in¬
sonderheit reine Melancholie, werden ganz besondere Berücksich¬
tigung verlangen. Diese Zustände werden aber nur dann die
Notwendigkeit der Anstaltsüberführung bedingen, wenn nachweis-
128 Diskussion zu dem Vortrage: Die Aufgaben der Medizinalbeamten in
lieh die häusliche Pflege zu ihrer zweckmässigen Bekämpfung
nicht ansreicht.
Besteht die Selbstbeschädigung des an und für sich nicht
gefährlichen Geisteskranken nur darin, dass er durch sein Ver¬
halten sich oder auch die Seinen der Gefahr des Notstandes ans¬
setzt, dann ist, wie bekannt, die Entmündigung oder Pflegschaft
dazu berufen, ihn zu schützen.
Periodisch oder zirkulär Geisteskranke, solche mit erheblichen
Remissionen ihrer Geisteskrankheit, auch die sogenannten Ver¬
schrobenen müssen von Fall zu Fall und besonders sorgsam auf
ihre Anstaltsbedürftigkeit begutachtet werden.
So wünschenswert auch in vielen Fällen zum Heil des Geistes¬
kranken allein oder auch seiner Familie eine frühzeitige Anstalts¬
überweisung sein mag (bessere Heiluugsaussichten, Verhütung von
materiellen Schäden, Gesundheitsschädigungen der Angehörigen,
erzieherischen Fehlgriffen, induziertem Irresein usw.), die Not¬
wendigkeit der zwangsweisen Ueberführung in eine Anstalt kann
durch diese Erwägungen nicht begründet werden.
Der Medizinalbeamte wird bei seiner Fürsorge für die Geistes¬
kranken und -Schwachen zu keiner Zeit vergessen dürfen, „dass
es auf das Können, nicht auf das Wissen allein ankommt; dass
Anschauung und Erfahrung auf dem festen Baugrund umfassender
wissenschaftlichen und kritischen Vorbildung den Meister bilden,
nicht der grüne Tisch oder Vielwisserei ohne eigene Arbeit, ohne
klaren Blick, die nur Schematismus und Pedanterie zeitigen.“ —
Der Pfad, den der Medizinalbeamte zu wandeln hat, um seiner
Fürsorge-Aufgabe gerecht zu werden, ist mannigfach verschlungen
und dornenvoll, er geht ihn aber arbeitsfreudig und des Erfolges
seiner Kleinarbeit sicher, getragen von dem erhebenden Geföhl
des Vertrauens, das ihm der Staat entgegenbrachte, als er die
Aermsten der Armen seinem Schutz empfahl.
(Lebhafter Beifall.)
Vorsitzender: Ich eröffne die Diskussion.
H. Prof. Dr. Cramer-Göttingen: M. H. 1 Ich habe mich außerordentlich
gefreut, das Beferat des Herrn Schwabe zu hören, und ich kann ihm fast
in allen Dingen nur zustimmen. Er hat zunächst den Wunsch ausgesprochen,
der gewiß berechtigt ist, daß die Kreisärzte auch erfahren müssen, was aus
dem Kranken geworden ist, den sie in die Anstalt geschickt haben. Das ist
auch durchaus berechtigt. Bei uns in Hannover geschieht dies zur genüge,
über jede Entlassung bekommt die Behörde, die die Aufnahme beantragt hat,
eine Benachrichtigung. Es wäre vielleicht noch die weitere Möglichkeit, daß
durch den Oberpräsidenten die Anstalten angewiesen werden, daß die Berichte
weniger laienhaft und ausführlicher gehalten würden.
Was nun die Pflege außerhalb der Anstalt anbetrifft, so ist dies eine
sehr verantwortungsvolle Sache, aber sic ist auch außerordentlich wichtig. Bei
einer Menge von Geisteskranken kann durch diese Aufsicht vermieden werden,
daß der Kranke in die Anstalt kommt. Der Kreisarzt muß natürlich durch
die Aerzte unterstützt werden, und wenn das Geld kostet, so wird das tausend¬
fach wieder eingebracht werden dadurch, daß die gemeingefährlichen Kranken
keinen Schaden anrichten, und daß viele Kranke wieder gesund werden, die
wir jetzt mit hohen Kosten dauernd verpflegen müssen.
Noch etwas zur Prophylaxe. Dringend notwendig ist es da, daß der
Kreisarzt eine ganz andere Stellung cinninunt. In die Ftirsorgepflcge kommen
bezug auf die Fürsorge für Geisteskranke, Epileptiker und Idioten. 129
die Kranken bei oder vor der Pubertät; viele Veränderungen, die zur Krimina¬
lität fuhren, sind aber veranlaßt während der Pubertät. Was nützt nun die ganze
Fürsorgepflege, wenn ich einen Kranken vor mir habe; den Kranken kann nur
der Arzt behandeln, aber die meisten Fürsorgepfleglinge entbehren der Be¬
handlung. Die Idiotenanstalten werden gewiß nicht so sehr mit Mißtrauen
betrachtet wie die Irrenanstalten — das sind diejenigen, die unter geistlicher
Leitung stehen — aber fragen Sie nur einmal, wie man über Langenhagen
denkt! Die Gründe hierfür möchte ich hier nicht entwickeln, sie liegen tiefer.
Was die vorläufigen Unterkunftsstellen für die Geisteskranken anbetrifft,
so muß ich erklären, daß ich die Sache noch etwas anders ansehe. Meines
Erachtens muß die Möglichkeit gegeben werden, jeden Geisteskranken sofort
innerhalb weniger Stunden in eine Anstalt zu bringen; das Verfahren der vor¬
läufigen Unterkunftsstellen müßte also gänzlich vermieden werden. Nur die
Möglichkeit, daß wir einen akut Geisteskranken sofort in die Anstalt hinein¬
schaffen, gibt die Möglichkeit, ihn so zu bessern, daß er draußen wieder sozial
möglich ist.
Dann hat der Herr Dr. Schwabe gesagt, daß die Gemeingefährlichkeit
namentlich die Handhabe bietet, die Kranken in eine Irrenanstalt zu bringen.
Ich möchte dem nicht nur widersprechen, weil ich fürchte, es würde in die
Zeitungen kommen; nein, die erste Bedingung für eine Aufnahme ist, daß der
Patient heilbar ist und daß er pflegebedürftig ist. Der Herr Minister hat ja
selbst gesagt, daß wir bezüglich der Unterbringung der Kranken in die Irren¬
anstalten nicht auf die Gemeingefährlichkeit zurückgreifen sollen. Die Haupt¬
aufgabe der Irrenanstalten ist die Heilung von Geisteskranken, nicht die Ge¬
meingefährlichkeit ist entscheidend dafür.
Nun die Schulärzte! In Göttingen haben wir die Einrichtung, daß, wenn
dem Schularzt ein Kind als zurückgeblieben auffällt, dasselbe der Poliklinik
zugeschickt wird. Sicher wird cs hier auch so sein.
Ich möchte nochmals betonen, daß es mich besonders gefreut hat, daß
der Redner sich der Geisteskranken und der Irrenanstalten so warm an¬
genommen bat.
H. Geh. Med.-Bat Prof. Dr. Guttstadt-Berlin. M. H.! In dankenswerter
Weise hat Herr Kollege Schwabe eine solche Fülle von Gesichtspunkten
vorgetragen, daß cs sehr bedauerlich ist, daß wir uns wegen der vorgerückten
Zeit einschränken müssen. Ich möchte daher auch nur einen Gesichtspunkt
hervorheben. Die Fürsorge für die Geisteskranken hat schon im vorigen Jahr¬
hundert den Wunsch nach einer statistischen Aufnahme der Geistes¬
kranken auf kommen lassen. In den einzelnen Kreisen werden Listen geführt
über die Geisteskranken, die durch die betreffende Behörde stets vervollständigt
werden sollen. Da diese Methode nicht dazu geführt hat, die Zahlen sicher zu
ermitteln, ist es schließlich dahin gekommen, bei Gelegenheit der Volkszählung
Erhebungen darüber zu machen. Im Jahre 1870/71 ist die Zählung der Geistes¬
kranken zum ersten Male ansgeführt und auch mit ganz gutem Erfolge, weil
damals zum ersten Male die Zählkartenmethode angewendet war. Im Anschluß
an Zählungen in der Schweiz waren gewisse Unterlagen für die Beurteilung
der ermittelten Zahlen gegeben, die für Preußen günstig ausfiel. Es wurde
dann unterschieden zwischen Idioten und anderen Geisteskranken; die Ergeb¬
nisse waren jedoch nicht wertvoll genug. Auch inbezug auf andere Gebrechen
wurden statistische Unterlagen bei Gelegenheit der Volkszählung, so über
Blinde, gesammelt. Im Regierungsbezirk Düsseldorf sind z. B. die Blinden
nach 1871 auf Grund der Volkszählungsergebnisse aufgesucht worden; mit
großem Erfolge hat man segensreich für ihre Lage wirken können, sogar
Heilungen sind herbeigeführt. Erst 1880 und dann 1895 sind die Zählungen
der Gebrechlichen wiederholt. Im Jahre 1895 ist festgestellt, daß 88000
Geisteskranke in Anstalten verpflegt wurden, während 46 000 außerhalb der An¬
stalten in den Familien ermittelt wurden.
Nun habe ich Bchon bei Begründung der medizinalstatistischen Abteilung
des Statistischen Bureaus eine Arbeit über die Geisteskranken in Preußen von
1852 bis 1872 veröffentlicht und damals bereits den Wunsch begründet,
daß an der Hand der Zählkarten bei der Volkszählung durch Sachver¬
ständige nachgewiesen werden möge, wieviel Geisteskranke und welcher Art
wirklich vorhanden seien. Heute komme ich wieder darauf zurück, weil wir
9
130
Schiaß der Sitzung.
vor einer Volkszählung stehen, in der ebenfalls wieder die Zählung der Geistes¬
kranken ausgeführt wird, ob es nicht möglich ist, eine Nachprüfung dieser
Ergebnisse durch Aerzte herbeizuführen. Wenn man diese Gelegenheit benutzt,
an der Hand der Volkszählung die Gebrechlichen durch die Kreisärzte fest-
steilen zu lassen, so würde dadurch eine vorzügliche Grundlage für ihre weitere
Tätigkeit geschaffen. Ueberhaupt könnte dadurch die Wirksamkeit des Kreisarztes
eine Ausdehnung erfahren, die ihm eine andere Stellung gibt. Er muß aller¬
dings ein besonderes Zimmer haben und geeignete Schreibkräfte, ebenso wie der
Gerichtsarzt. Die Höhe seiner Aufgabe kann er nur dann erreichen, wenn er
in dieser Weise von dem Schreibwerk entlastet wird. Es ist durchaus nötig,
ihn so zu stellen, daß ihm bureaumäßig die Einrichtungen gegeben werden,
die zum Kreis- und Gerichtsarztamt gehören. (Beifall.)
H. Beg.- u. Geh. Med.-Bat Dr. Guertler-Hannover: M. H.! Es ist zu
bedauern, daß die eingehenden und wertvollen Ausführungen des Herrn Befe¬
renten wegen der vorgerückten Zeit eine eingehende Besprechung nicht mehr
ermöglichen.
Für die Ausübung der Fürsorge für die Geisteskranken durch den Kreis¬
arzt erscheint mir in erster Linie nötig, die Zahl und den Aufenthalt der
Kranken zu kennen. Es läßt sich dies, wie wir gesehen haben, auf verschiedenen
Wegen erreichen. Als besonders beachtenswert — Tim möglichst sichere An¬
gaben zu erhalten, dürfte sich das Verfahren, das auch im Regierungsbezirk
Hannover eingeleitet ist, empfehlen, also für die erste Feststellung der in
den Kreisen vorhandenen Geisteskranken unter Benutzung besonderer Verzeich¬
nisse, bezw. Fragebogen, auch die Hilfe der praktischen Aerzte bei den durch
Kreisarzt und Obrigkeit anzustellenden Ermittelungen in Anspruch zu
nehmen.
M. H.! Um das heute gewonnene, sehr schätzbare Material zur ferneren
ersprießlichen Verarbeitung gelangen zu lassen, möchte ich vorschlagen, es
dem Vorstande zur weiteren Veranlassung zu überweisen, mit der besonderen
Bitte, dabei auch in eine eingehende Prüfang einzutreten, in welcher Weise
die zur Ueberwachung der Geisteskranken zunächst nötigen Ermittelungen am
zweckmäßigsten anzustellen sind und danach auf eine allgemeine Empfehlung
der als besonders geeignet erscheinenden Mittel und Wege hinzuwirken.
Die Versammlung beschließet hierauf, die Angelegenheit dem
Vorstande zur Behandlung und weiteren Veranlassung zu fiber¬
weisen.
Vorsitzender: Ich habe noch mitzuteilen, dass der Vorstand
ein Beileidstelegramm an den Vorsitzenden H. Geheimrat Dr.
Bapmund gesandt und dass dieser telegraphisch seinen Dank
ausgesprochen hat.
M. H.! Wir sind am Schlüsse unserer Tagesordnung an¬
gelangt. Mit dem Ausdrucke unseres Dankes an die Stadt
Hannover, die uns diesen schönen Saal zur Verfügung gestellt,
sowie an das Lokalkomitee, dass uns diese Tage so angenehm
gestaltete, schliesse ich die 22. Hauptversammlung des Preussischen
Medizinalbeamten - Vereins.
H. Reg.- und Med.-Rat Dr. Guertler-Hannover bringt
darauf ein lebhaft aufgenommenes Hoch auf den Vorstand ans.
Schluß der Sitzung gegen 1*/» Uhr nachmittags.
Nach einem zwangslosen Mittagessen fanden am Nach¬
mittag um 8 Uhr die Besichtungen statt. Zunächst wurde die
tierärztliche Hochschule eingehend besichtigt unter Führung
Schloß der Sitzung.
131
des H. Geh. Reg.-Rats Prof. Dr. Dam mann, sodann das städti¬
sche Wasserwerk und das städtische Krankenhaus I besucht.
Die Herren Direktor Bock und Chefarzt Prof. Dr. Reinhold
waren so liebenswürdig, die Teilnehmer zu empfangen und zu
führen.
Am Sonntag, den 30. April machten eine grössere An¬
zahl der Teilnehmer mit ihren Damen einen Ausflng nach Hildes-
heim, wo sie in freundlichster Weise von H. Reg.- und Med.-
Rat Dr. Arbeit empfangen und geführt wurden.
Präsenzliste.
Provinz Ostpreussen.
Dr. Puppe, Gerichtsarzt, Med.-Bat u. Prof, in Königsberg i. Pr.
- Bomeick, Kreisarzt in Mohrungen.
Provinz Westpreussen.
Dr. H a a s e, Kreisarzt u. Med.-Bat in Danzig.
- König, Kreisarzt in Könitz.
Berlin mit den Stadtkreisen
Charlottenburg, Sohöneberg und Rixdorf.
Dr. Elten, Kreisarzt u. Med.-Bat in Berlin.
- Guttstadt, Geh. Med.-Bat u. Prof, in Berlin.
- Schmidt mann, Geh. Ober-Med.-Bat u. Prof, in Berlin (Vertreter des
Herrn Kultusministers).
Provins Brandenburg.
Dr. Nickel, Kreisarzt in Perleberg.
- Wiedner, Kreisarzt u. Geh. Med.-Bat in Kottbus.
Provins Posen.
Dr. Bekkcr, Kreisarzt in Wongrowitz.
Provinz Schlesien.
Dr. P a u 1 i u i, Kreisarzt u. Med.-Bat in Militsch.
- Steinberg, Kreisarzt in Hirschberg.
Provinz Sachsen.
Dr. Dütschke, Bcg.- u. Med.-Bat in Erfurt.
- Curtius, Kreisarzt in Gr. Kamsdorf.
- Fielitz, Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat in Halle a. S.
- Keferstein, Gerichtsarzt in Magdeburg.
- Kluge, Kreisarzt in Wolmirstedt.
- Koppen, Kreisarzt u. Geh. Med.-Bat in Heiligenstadt.
- Pantzer, Kreisarzt in Sangcrhauscn.
- Bothmalcr, prakt. Arzt in (lerbstedt, staatsärztl. approb.
- Schade, Kreisarzt in Ncuhaldcnslebcn.
- Straßner, Kreis- u. Stadtarzt und Med.-Rat in Magdeburg.
- Wodtke, Reg.- u. Med. -Rat in Merseburg.
- Ziemkc, a. o. Prof, der gcricbtl. Medizin u. Gerichtsarzt in Halle a.,'S.
Präsenzliste.
133
ProYin* Sohleewig-Holstein.
Dr. Rohwedder, Kreisarzt in Ratzebarg.
- Schröder, Stadtarzt in Altona.
Prorlns HannoYer.
Dr. A r b e i t, Reg.- u. Med.-Rat in Hildesheim.
- Barth, Kreisarzt in Bassum.
- Berger, Kreisarzt a. Direktor der Künigl. Anstalt zar Gewinnung
tierischen Impfstoffs in Hannover.
- Brandt, Kreisarzt in Lüchow.
- Gramer, Prof. u. Direktor der Prov.-Heil- u. Pflegeanstalt, der psychiatr.
Universitäts-Klinik and der Poliklinik f. psych. and Nervenkranke
in Göttingen.
- Drewes, Kreisarzt in Walsrode.
- Elsaesser, prakt. Arzt in Hannover, staatsärztl. approb.
Eyl, Stadtsyndikus in Hannover (als Gast).
- Dammann, Geh. Reg.-Rat u. Prof., Direktor der tierärztlichen Hochschale
(als Gast).
- Finger, Reg.- u. Med.-Rat in Stade.
- Frech, Kreisassistenzarzt in Hannover.
Friedberg, Landgerichtspräsident in Hannover (als Gast).
- Gaehde, Kreisarzt and Med.-Rat in Blamenthal.
- Guertler, Reg.- n. Geh. Med.-Rat, Mitglied des Medizinal-Kollegiums
hi Hannover.
- Halle, Kreisarzt u. Med.-Rat in Bargdorf.
- Halle in Hannover (als Gast).
- Helwes, Kreisarzt in Diepholz.
- Ho che, Kreisarzt in Geestemünde.
- Holling, Kreisarzt a. Med.-Rat in Soegel.
„ v. Ihering, Amtsgerichtsrat in Hannover (als Gast).
- Itzerott, Kreisarzt in Uelzen.
- Kriege, Landrat in Hannover (als Vertreter des Herrn Oberpräsidenten).
Lange, Regierangsrat in Hannover (als Gast).
- I. angerhans, Kreisarzt, Med.-Rat u. Direktor der Hebammen-Lehranstalt
in Celle
- Lemmer, Kreisarzt a. Med.-Rat in Alfeld a. L.
- Meyer, Kreisarzt a. Med.-Rat in Dannenberg.
- Meyer, Kreisarzt in Gifhorn.
- Müller, Kreisarzt in Rotenbarg.
- N ö 11 e r, Reg.- a. Geh. Med.-Rat in Lünebarg.
- Ocker, Kreisarzt in Verden.
- Olivet, prakt. Arzt in Northeim, staatsärztL approb.
v. Philipsborn, Regierangspräsident in Hannover (als Gast).
- Picht, Kreisarzt in Nienburg.
• Plinke, Kreisarzt in Hannover.
• Poten, Direktor der Hebammen-Lehranstalt in Hannover (als Gast).
- Reinhold, Prof, und Medizinalassessor in Hannover.
- Richter, Kreisarzt, Med.-Rat a. Stabsarzt a. D. in Peine.
- R i e h n, Kreisarzt a. Med.-Rat in Klaasthal L Harz.
- Range, Prof. a. Geh. Med.-Rat in Göttingen (als Gast).
- Sährendt, Kreisarzt in Zeven.
- Schmal faß, Med.-Rat in Hannover.
- Schnelle, Kreisarzt in Hildesheim.
- Schwabe, Gerichtsarzt in Hannover.
- Seelig, prakt. Arzt in Hannover, staatsärztL approb.
• Stechow, General- a. Korpsarzt in Hannover (als Gast).
- Stolper, aaßerordentl. Professor and Kreisarzt in Göttingen.
- Strohmeyer, San.-Rat in Hannover (als Gast).
- Th ölen, Kreisarzt n. Med.-Rat in Papenburg.
• West rum, Kreisarzt in Springe.
ProYinn Westfalen.
Dr. Bonthaas, Kreisarzt u. Med.-Rat in Paderborn.
134
Präsenzliste.
Dr. Br an di8, prakt. Arzt in Bielefeld, staatsärztl. approb.
- Deutsch, prakt Arzt in Neuhaus, staatsärztL approb.
- Kluge, Kreisarzt u. Med.-Rat in Höxter.
- Krummacher, Heg.* u. Med.-B.at in Münster.
- Löer, Kreisarzt in Büren.
• Nünninghoff, Kreisarzt u. Med.-Bat in Bielefeld.
- Rapmund 1 ), Reg.- u. Geh. Med.-Rat in Minden.
- Rheinen, Kreisarzt u. Med.-Rat in Herford.
• Ritter, Kreisarzt in Lübbecke.
- Schlautmann, Kreisarzt in Münster.
• Schlüter, Kreisarzt u. Med.-Rat in Gütersloh.
• Stühlen, Kreisarzt in Gelsenkirchen.
- Suedhoelter, Kreisarzt in Minden.
• Wolf, prakt. Arzt in Minden L W., staatsärztl. approb.
PrOTinn Hessen-Nassau.
Dr. Börner, Oberstabsarzt a. D. n. Kreisarzt in Eschwege.
- Cöster, Kreisarzt u. Med.-Rat in Rinteln.
- Dohrn, Kreisassistenzarzt u. Assistent an der Königl. Anstalt zur Ge¬
winnung tierischen Impfstoffs in Cassel.
- Eichenberg, Kreisarzt u. Med.-Rat in Hanau.
• Rockwitz, Reg.- u. Med.-Rat in Cassel.
• Sch erb, Kreisarzt in Fritzlar.
Rheinproxins und Hohensollern.
Dr. Kr ohne, Kreisarzt und ständiger Hülfsarbeiter bei der Königl. Regierung
in Düsseldorf.
- Rusack, Reg.- u. Med.-Rat in Köln.
- Schrakamp, Stadtarzt in Düsseldorf.
- Wex, Kreisarzt u. Med.-Rat in Düren.
>) Hat nur an der Vorstandssitzung am Begrüßungsabend teilgenommen.
Deutscher Medizinalbeamten-Verein.
Offizieller Bericht
über die
Vierte Hauptversammlung
Heidelberg
am 8. und 9. September 1905.
Berlin 1905.
FISCHER’S MEDIZINISCHE BUCHHANDLUNG.
H. Kornfeld.
Herzog). Bayer. Hof- and Erzherzogi. Kammer - Buchhändler.
J. C. C. Brun*, Herzog!. fc&eha. u. Fürst! Kch.-L Hofbuchdruckerei ln Mlndtn.
Inhalt
Erster Sitzungstag. Stlu
1. Eröffnung der Versammlung. 1
2. Geschäfts* und Kassenbericht; Wahl der Kassenrevisoren .... 7
3. Gerichtsärztliche Wünsche in bezug auf die bevorstehende Beform der
Strafprozeßordnung. 9
Berichterstatter:
Prof. Dr. Heimberger-Bonn.10, 87
Prof. Dr. Straßmann-Berlin . 13
Prof. Dr. Aschaffenburg-Cöln a./Bh. 24
4. Bericht der Kassenrevisoren. .... 54
Zweiter Sitzungstag.
1. Die Beaufsichtigung der Geisteskranken außerhalb der Anstalten
Erster Beferent: Dr. Weber-Göttingen. 55
Zweiter Beferent: Kreisarzt Prof. Dr. Stolper-Guumgen . . 63
2. Vorstandswahl. 72
3. Abwasserreinigung mit Bücksicht auf die Beinigung der Wasser laufe.
a) Die Beinhaltung der Wasserläufe vom sanitätspolizeilichen und
verwaltungsrechtlichcn Standpunkt. Beferent: Beg. u. Med.-Bat
Dr. Dütschke -Erfurt. 72
b) Die Abwasserreinigung mit Bücksicht auf die Beinhaltung der
Wasserläufe vom hygienisch - technischen Standpunkt. Be¬
ferent: Prof. Dr. K. Thumm-Berlin. 95
Anhang: Zusammenstellung der in den deutschen Bundesstaaten beste¬
henden wichtigeren gesetzlichen Vorschriften über die Beinhal¬
tung der Gewässer.113
Mitgliederverzeichnis.125
->^n/WW\AA/V\A/\
Erster Sitzungstag.
Freitag, den 8. September, vormittags ö l / 2 Uhr
im Zammermualkiaal« der St&dthall«.
I. Eriffiiag dir Versanaltiig.
H. Reg.- u. Geh. Med.-Med.-R&t Dr. Rapmund-Minden
i. W., Vorsitzender: M. H.! Im Namen des Vorstandes heisse
ich Sie herzlich willkommen! Nachdem unser Verein im vorigen
Jahr im fernen Osten des Deutschen Reiches getagt hatte, hielt
es der Vorstand für billig, diesmal unsere Hauptversammlung im
Westen unseres Vaterlandes abzuhalten, damit die hier wohnenden
zahlreichen Vereinsmitglieder auch einmal an einer solchen ohne
grosse Kosten und erheblichen Zeitverlust teilnehmen könnten.
Ausserdem sind einem früheren Beschlüsse gemäss Zeit und Ort
so gewählt, dass es den Teilnehmern an der Versammlung er¬
möglicht wird, im Anschluss an diese auch die Jahresversamm¬
lung des Deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege zu
besuchen. Zwischen beiden Versammlungen ist diesmal allerdings
ein mehrtägiger Zwischenraum; Heidelberg und seine Umgebung
bieten aber so prachtvolle Naturschönheiten, dass es sicherlich
Niemand bereuen wird, wenn er auf diese Weise gezwungen wird,
seinen Aufenthalt hier etwas zu verlängern.
M. H.! Von den Beratungsgegenständen unserer diesmaligen
Tagesordnung hat uns einer: „Gerichtsärztliche Wünsche mit
Rücksicht auf die bevorstehende Neubearbeitung der Strafprozess¬
ordnung“ bereits auf der vorjährigen Versammlung beschäftigt;
seine nochmalige Aufstellung entspricht dem damals gefassten
Beschluss, auf dessen Ausführung ich später noch zurückkommen
werde. Die beiden anderen Themate berühren Fragen aus dem
Gebiete der öffentlichen Gesundheitspflege, so dass auch in diesem
Jahre die Hauptzweige unserer amtlichen Tätigkeit auf der Tages¬
ordnung Berücksichtigung gefunden haben. Alle drei Beratungs¬
gegenstände sind aber von so grosser und weitgehender Bedeu-
1
2
Eröffnung der Versammlung.
tung, dass sie einer gründlichen Erörterung bedürfen. Mit dem
Wunsche, dass sie diese hier finden nnd sich unsere Beratungen
darüber nach jeder Richtung hin befriedigend nnd erspriessUch
gestalten mögen, eröffne ich die heutige Versammlung!
M. H.! Vor Eintritt in die Tagesordnung liegt mir noch
die angenehme Pflicht ob, dem Landesausschuss auch an dieser
Stelle unseren herzlichen Dank für die ausserordentliche Liebens¬
würdigkeit auszusprechen, mit der er die Vorbereitungen zu
unserer Hauptversammlung bereitwilligst übernommen nnd sich
in jeder Weise bemüht hat, uns den Aufenthalt hierselbst so an¬
genehm wie möglich zu machen. Gleichzeitig möchte ich diesen
Dank auf Herrn Oberbürgermeister Dr. Wilckens hierselbst
und auf den hiesigen Stadtrat ausdehnen, der uns nicht nur
diese Festräume, sondern auch eine Anzahl Exemplare der
Schrift: „Acht Tage in Heidelberg“, sowie Eintrittskarten za der
städtischen Kunst- und Altertümer-Sammlung und zu den Kon¬
zerten des städtischen Orchesters zur Verfügung gestellt hat.
M. H.! Weiterhin habe ich die Ehre, als hochverehrte Gäste
in unserer Mitte begrüssen zu können die Herren: Geh. Ober-
Reg.-Bat Pfisterer in Mannheim als Vertreter des Grossherzogi.
Badischen Staatsministeriums des Innern, Geh. Beg.-Bat Becker
hierselbst, Bürgermeister Prof. Dr. Walz als Vertreter des hie¬
sigen Stadtrats; Ober-Med.-Bat Dr. v. Guss mann-Stuttgart,
Med.-Bat Prof. Dr. Gumprecht-Weimar, Med.-Bat Dr. Engel¬
brecht-Braunschweig und Geh. Med.-Bat Dr. Bayer-Sonders¬
hausen als Vertreter der Regierungen der betreffenden Bundes¬
staaten. Im Namen des Vereins heisse ich Sie, hochverehrte
Herren, herzlich willkommen und spreche Ihnen, wie den Behörden,
die Sie vertreten, nnsern verbindlichsten Dank dafür ans, dass
Sie unserer Einladung in so liebenswürdiger Weise gefolgt sind.
H. Geh. Ober-Regierungsrat Dr. Pfisterer - Mannheim:
Meine hochverehrten Herren! Seitens des Grossherzoglichen Mi¬
nisteriums des Innern ist mir der ehrenvolle Auftrag geworden,
der vierten Hauptversammlung des Deutschen Medizinalbeamten-
Vereins als Vertreter des Ministeriums beizuwohnen. Indem ich
meiner Freude darüber Ausdruck gebe, dass Sie sobald nach der
Gründung des Vereins den Weg zu uns nach Baden gefunden
haben, heisse ich Sie aufs Herzlichste willkommen.
Unter den verschiedenen Gebieten, deren Pflege als Zweck
Ihres Vereins bezeichnet ist, werden Sie in dem Landesteil, in
dem Sie in diesem Jahre Ihre Beratungen pflegen, und besonders
in Heidelberg lebhaftes Interesse vorfinden.
Ein wichtiges von Ihnen bearbeitetes Gebiet ist die Irren-
pflege. Sie haben ausser der Universitäts-Irrenklinik hier in
Neckargemünd eine Nervenheilanstalt; im laufenden Jahre ist
in Sinsheim der Neubau der Kreispflegeanstalt errichtet, der für
250 Köpfe Platz hat und einen Kostenaufwand von etwa */• Million
Mark verursachte, eine Anstalt, die nach den neuesten Erfahrungen
eingerichtet und deren Besuch den Herren ganz besonders zu
Eröffnung der Versammlung.
3
empfehlen ist. In dem nicht weit entfernten Wiesloch ist eine
staatliche Heil- and Pflegeanstalt im Bau begriffen, die für 1200
Köpfe Unterkunft schaffen soll, und auf etwa 7—8 Millionen Mark
kommen wird. Es ist diese Anstalt bereits im Bau soweit vor¬
geschritten, dass noch im Laufe des Jahres ein Teil derselben
belegt werden soll. Um das Bild zu vervollständigen, ist ferner
zu erwähnen, dass in dem auch nicht weit entfernten Weinheim
sich die Kreispflegeanstalt für den Kreis Mannheim befindet, wo
durchschnittlich 200 Insassen untergebracht sind; in Mosbach ist
eine Idioten-Anstalt für Idioten und Epileptiker (nicht Er¬
wachsene^, die in kurzer Zeit erweitert werden soll, damit auch
Erwachsene dort Aufnahme finden können. Ich kann den geehrten
Herren den Besuch der einen oder anderen dieser Anstalten nur
dringend empfehlen. Die genannten Städte sind sämtlich von
hier aus bequem und mit der Bahn in kurzer Zeit zu erreichen;
ich empfehle ganz besonders die Anstalt in Sinsheim zur Besich¬
tigung.
Auch auf einem anderen Gebiete ist ein reges Leben bei
uns wahrzunehmen; es ist das Gebiet der Wasserversorgung.
Dass die grösseren Städte bereits eine regelrechte Wasserver¬
sorgung haben, ist bekannt. Mannheim hat eine GrundwasserVer¬
sorgung, Heidelberg hatte ursprünglich Quellwasser, musste aber
im Laufe der Zeit ebenfalls zur Grundwasserversorgung über¬
gehen. — Aber nicht nur die grösseren Städte haben in diesem
Landesteil eine regelrechte Wasserversorgung, auch in den
kleineren Städten finden Sie zentrale Wasserleitungen und selbst
die kleinen Landgemeinden beginnen immer mehr den sanitären
Vorteil einer ordnungsmässigen Wasserversorgung einzusehen.
Nicht nur diejenigen Gemeinden, die im Gebirge liegen, haben
sich Wasserleitungen angelegt, sondern auch draussen in der
Ebene beginnen die Gemeinden damit. Die Herren von Ihnen,
welche bei Tageslicht die Beise hierher beendet haben, werden
da und dort Wassertürme beobachtet haben, als Beweis dafür,
dass hier eine kleine Gemeinde sich mit einer Wasserleitung ver¬
sehen hat.
Mit der Wasserversorgung steht ein anderes Ihrer Arbeits¬
gebiete, die Entfernung der Abwässer, in enger Verbin¬
dung; Sie haben ja auch für den zweiten Sitzungstag einen Teil
dieses Gegenstandes zur Beratung angesetzt. Die Kanalisierungs¬
frage ist für die Städte eine überaus wichtige, und es werden
wohl morgen die hauptsächlichsten Gegensätze auf diesem Gebiet,
ob Tonnensystem, ob Schwemmkanalisation, ob Klärung der Ab¬
wässer auf mechanischem oder chemischem Wege, biologisches
System u. s. f., ausgedehnt zur Sprache kommen; das wird hier
in Heidelberg umsomehr geschehen, als hier der klassische Boden
für die Einführung des Tonnensystems ist. Die Stadt Mannheim
hat vor Kurzem die Schwemmkanalisation in den Bhein durch¬
geführt; es sind die Kanäle überall hergestellt, ebenso wie die
ausgedehnten Kläranlagen; die Einrichtung ist seit 2—8 Monaten
im Betriebe, Schwierigkeiten gemacht hat nur die Entfernung
l*
4
Eröffnung der Versammlung.
der in der Kläranlage verbliebenen festen Bestandteile. In
Heidelberg steht z. Z. ebenfalls ein Projekt der Schwemmkana¬
lisation (System RienschJ in Beratung, über deren Schicksal
vorläufig allerdings noch nichts sicheres zu sagen ist. Auch in
den Landgemeinden, wo die Kanalisation im allgemeinen nicht so
dringend ist, finden Sie eine rege Arbeit; in vielen Landgemeinden
in der Eheinebene hat man früher mangels geeigneter Wasser¬
läufe Gruben zur Aufnahme der Abwässer angelegt, die Häuser
der wachsenden Gemeinden sind so nahe an diese Gruben heran¬
gerückt, dass sie beseitigt werden müssen; damit beginnen auch
hier nach und nach bessere Verhältnisse einzutreten.
Ich habe mir erlaubt, Ihnen dies Alles kurz anzuführen,
damit Sie sehen, dass die Zwecke Ihres Vereins und auch die
Beratungen nicht nur bei den Verwaltungen des Staates, der Kreise
und Gemeinden, sondern auch in den weitesten Kreisen der Be¬
völkerung volles Interesse finden werden. Es ist, m. H., darüber
kein Zweifel, dass die wichtigsten Fragen der Gesundheitspflege
nicht durch die Wissenschft allein gelöst werden können, viel¬
mehr nur durch ein inniges Zusammenarbeiten der Männer der
Wissenschaft und der Praxis, und Sie haben auch Ihrerseits dieses
Zusammenarbeiten auf die Fahne Ihres Vereins geschrieben.
Diese gemeinsame Arbeit ist es eben, die die volle Garantie für
ein praktisches, brauchbares Resultat ihrer Beratungen bietet.
Aus diesem Grunde wird die Grossherzogliche Regierung den Be¬
ratungen der vierten Hauptversammlung des Deutschen Medizinal-
beamten -Vereins mit der grössten Aufmerksamkeit lolgen in der
Ueberzeugung, dass die Versammlung aus dem reichen Schosse
der Erfahrungen ihrer Mitglieder der Regierung so manchen wich¬
tigen Fingerzeig geben wird zur Anbahnung segensreicher Fort¬
schritte auf dem Gebiete der Hygiene, der öffentlichen Gesund¬
heitspflege, der gerichtlichen Medizin und der Psychiatrie. Ich
schliesse mit dem herzlichen und aufrichtigem Wunsche, dass
Ihre Beratungen dem gesunden, wie dem leidenden Teil der Mensch¬
heit zum Heil und Segen gereichen mögen!
(Lebhafter Beifall.)
H. Bürgermeister Prof. Dr. Walz-Heidelberg: Hochverehrte
Versammlung! Mir ist der ehrenvolle Auftrag geworden, die
vierte Tagung der deutschen Medizinalbeamten im Namen der
städtischen Verwaltung zu begrüssen und den Dank dafür aus¬
zusprechen, dass Ihr Verein Heidelberg zum Ort seiner Verhand¬
lungen gewählt hat.
M. H.! Wir haben uns gefreut darüber, dass Sie nach
Heidelberg gekommen sind, nicht nur deshalb, weil es uns
Heidelbergern immer wohl tut, wenn Fremde zu uns kommen,
um mit uns die Schönheiten zu gemessen, mit denen die Natur
unsere Gegend so reich aussestattet; nein! es ist ein besonderes
engeres Band, das uns in der städtischen Verwaltung mit Ihnen
verknüpft.
Sehen Sie sich die Voranschläge unserer Städte an, so werden
Eröffnung der Versammlung.
5
Sie finden, dass neben der Fürsorge für den Unterricht und das
Verkehrswesen vor allem die öffentliche Gesundheitspflege
es ist, welche die bedeutendsten Anforderungen an die Gemeinden
stellt. Sobald unsere Städte nach der schweren Zeit des wirtschaft¬
lichen Elends der vorhergehenden Jahrhunderte sich wieder etwas
emporgearbeitet hatten, waren es in erster Linie Aufgaben der
Gesundheitspflege, die mit starken Ansprüchen an sie herantraten
und deren Lösung mit ernstem Streben betrieben wurde. Wenn es
den Städten gelungen ist, auf diesem Gebiete vieles und grosses
zu schaffen, so war dies aber nicht allein ihrer eigenen Kraft
und Leistungsfähigkeit zu danken. Ein wesentliches Verdienst
an dem, was zu Stande gekommen, ist darauf zurückzuführen,
dass die Städte bei dieser Arbeit in Ihren Kreisen, an den Me¬
dizinalbeamten, treue Mitarbeiter und Freunde gefunden, die all
ihr Wissen und Können den Gemeinden zur Verfügung stellten,
und wenn sie mitunter auch viel verlangten, doch stets bestrebt
waren, das Beste der Gemeinden mit zu fördern. Wir hoffen,
dass dies gute Verhältnis zwischen den Medizinalbeamten und
den Städten auch fernerhin bestehen bleiben wird; denn, wenn
auch manches geschehen, so ist doch noch vieles zu tun für die
Zukunft.
Mit diesem. Wunsche heisse ich Sie in den Mauern Heidel¬
bergs herzlich willkommen. Möge der Verlauf Ihrer gegenwär¬
tigen Tagung für Ihre Bestrebungen nutzbringend sein und möge
der Himmel, der heute so wenig gnädig dareinschaut, es Ihnen
gestatten, dass Sie auch die Erholung gemessen können, die Sie
hier erwartet und die Sie nach Ihrer Arbeit auch verdient haben!
(Bravo.)
H. Med.-Rat Dr. Becker, Bezirksarzt in Offenburg: Hoch¬
geehrte Herren! Es ist mir eine ganz besondere Freude, dass
es mir vergönnt ist, Ihnen heute im Namen des staatsärztlichen
Vereins des Grossherzogtums Baden den herzlichsten Willkommen-
gruss der badischen Kollegen entbieten zu dürfen. Meine Freude
ist um so grösser, als ich überzeugt bin, dass die heute hier
tagende vierte Hauptversammlung des Deutschen Medizinalbeamten-
VereinB dazu angetan ist, den Anschluss der badischen Kollegen
an den Deutschen Medizinalbeamten-Verein in noch höherem
Masse, als dies seither geschehen ist, zu fördern und dazu beizu¬
tragen, den Bing, der alle deutschen Medizinalbeamten in einen
grossen Verein zusammenfassen soll, fester und fester zu schliessen.
Die Entwicklung der Hygiene, speziell ihre Anwendung auf
die praktische Gesundheitspflege, die Förderung der Psychiatrie
und der gerichtlichen Medizin und deren Uebertragung auf die
praktischen Verhältnisse des Lebens stellen heute so hohe Anfor¬
derungen an das Wissen und Können des einzelnen Medizinal¬
beamten, dass dieser bestrebt sein mnss, im Widerstreit der Mei¬
nungen sein Urteil tunlichst zu klären und auf wissenschaftlicher
Höhe zu behaupten.
Dies ist dem Einzelnen ans sich heraus nicht gut möglich;
6
Eröffnung der Versammlung.
dagegen im Anschluss an einen Verband, in dem die ihn inter¬
essierenden Fragen auf breitester Grundlage erörtert, in dem die
Erfahrungen der Allgemeinheit dem Einzelnen zur Verfügung
gestellt werden, wird dieses Ziel leichter erreicht. Aus diesen
Gründen heraus begrüsse ich die Versammlung in einer der
schönsten Perlen unseres badischen Städtekranzes. Die heutige
Versammlung wird geeignet sein, die Kollegen aus der südwest¬
lichen Ecke Deutschlands jenen des ganzen Reiches näher zu
bringen zu gemeinsamem Wirken, zu gemeinsamem Arbeiten, znm
Vorteil unserer Wissenschaft. In diesem Sinne herzlich willkommen
im schönen Heidelberg, willkommen im Lande Baden!
(Bravo!)
Vorsitzender: Im Namen des Vereins spreche ich den
Herren Vorrednern für die so freundlichen Begrüssungsworte und
herzlichen Wünsche für den Verlauf unserer diesjährigen Tagung
wie für das fernere Wachstum und Gedeihen unseres Vereins
unseren verbindlichsten Dank aus. Haben wir doch daraus ent¬
nommen, dass wir hier als liebe Gäste gern gesehen sind, und
sich besonders unsere badischen Kollegen über den Beschluss
gefreut haben, diesmal unsere Hauptversammlung in ihrem engeren
Vaterlande abzuhalten!
M. H.! Mit Recht ist sowohl von H. Ober-Reg.-Rat
Pfisterer, als von H. Bürgermeister Prof. Dr. Walz hervor¬
gehoben, dass nur bei gemeinsamer Arbeit von Wissenschaft und
Praxis, von Verwaltungsbehörden und Gesundheitsbeamten die
mannigfachen und oft recht schwierigen Aufgaben der öffentlichen
Gesundheitspflege in befriedigender und erfolgreicher Weise gelöst
werden können. Wir Medizinalbeamten sind uns dessen auch
bewusst und freuen uns, wenn unsere Mitarbeit eine solche An¬
erkennung findet, wie dies soeben von dem Vertreter der hiesigen
Stadt geschehen ist. Die Anforderungen der öffentlichen Gesund¬
heitspflege an die Gemeinden sind ja nicht immer leicht zu be¬
friedigen und oft mit schweren finanziellen Opfern verknüpft; um
so mehr müssen die Fortschritte anerkannt werden, die Dank der
Opferwilligkeit der Gemeinden gerade in den letzten Jahren auf
sanitärem Gebiete geschaffen sind. In welch grossem Masse dies
in dem Badischen Lande der Fall ist, haben wir soeben aus dem
Munde des Herrn Vertreters der Grossherzoglichen Staatsregierung
erfahren; aber auch in allen anderen Bundesstaaten ist ein gleicher
Fortschritt bemerkbar und wird sich von Jahr zu Jahr immer
mehr bemerkbar machen, je einträchtiger alle dabei beteiligten
Behörden Zusammenwirken!
Der liebenswürdigen Einladung des Herrn Vertreters der
Grossherzogi. Staatsregierung, uns einige von den nahegelegenen
staatlichen Anstalten anzusehen, werden sicherlich manche Vereins¬
mitglieder sehr gern Folge leisten, wobei ich gleich hinzufügen
möchte, dass der H. Direktor Dr. Eschle uns noch besonders
zum Besuch der ihm unterstellten neuen Kreispflegeanstalt ein¬
geladen hat.
Geschäfts- and Kassenbericht.
7
II. Geschäfts- nd Kassenbericht.
H. Med.-Kat Bezirksarzt Dr. Flinzer - Plauen i. V., Schrift*
ftthrer: M. H.! Die Mitgliederaahl hat sich seit der letzten
Versammlung; erfreulicher Weise um 109 Mitglieder vermehrt.
Ausgeschieden sind 31, davon durch den Tod 22; neu eingetreten
sind 162 Mitglieder (darunter 79 bayerische Medizinalbeamte), so
dass die Gesammtzalu der Mitglieder zurZeit 1564 betrügt. Die¬
selben verteilen sich auf die einzelnen Bundesstaaten wie folgt:
Königreich Preußen.
„ Bayern.
„ Saohsen.
„ Württemberg.
Großherzogtum Baden.
, Hessen.
„ Mecklenburg-Schwerin
Strelitz ....
, Oldenburg . ....
„ Sachsen-Weimar . .
Herzogtümer.
Fürstentümer.
Freie und Hansestädte ......
Reiohsland Elsaß-Lothringen . . .
. 900 (899) ») Mitglieder.
. 344 (265)
n
. 27 (29)
r >
. 88 (77)
*
. 38 (28)
. 28 (28)
! 16 (17)
8 (6)
n
14 (14)
V
. 46 (42)
. 28 (27)
. 15 (13)
n
. 13 (9)
n
*«* io/ _2_
1564 (1455) Mitglieder.
Gestorben sind seit dem 1. Oktober 1904 folgende Mit¬
glieder:
1. Dr. Arens, Kreisarzt und Med.-Rat in Erkelenz (Reg.-Bez. Aaohen)
2. - Bernhart, Direktor der Kreis - Kranken - u. rnegeanstalt in
Frankenthal (Bayern).
8. - Böttger, Kreisphysikus u. Med.- Rat in Dessau.
4. - Bruon, Landgerichtsarzt in Landau (Pfalz).
5. - Dippe, Marineoberstabsarzt a. D. u. Kreisarzt in Genthin (Reg.-
Magdeburg).
6. - Greiss, Oberamtsarzt in Neckarsulm.
7. - Hoffmann, Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat in Waldenburg (Sohles).
8. - Jung, Kreisphysikus z. D. u. Geh. San.-Rat in Weener (Ostfriesl.).
9. - Ko lim, Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat in Berlin.
10. - Luohhau, Kreisarzt u. Med.-Rat, Direktor der Königl. Impf¬
stoffanstalt in Königsberg i. Pr.
11. - Mittenzweig, Geriohtsarzt u. Med.-Rat in Berlin (Steglitz.)
12. - Munsch, Kreisarzt u. Med.-Rat in Booholt.
13. - Neetzke, prakt. Arzt in Landeshut (Reg.-Bez. Liegnitz), staats-
ärztl. appob.
14. - Overkamp, Kreisarzt u. Med.-Rat in Warendorf (Westfalen).
15. - Plitt, Kreisarzt u. Med.-Rat in Hofgeismar (Reg.-Bez. Cassel).
16. - Röper, dirigierender Arzt der Anstalt Maria-Lindenhof bei
Dorsten (Westfalen), staatsärztl. app rob.
17. - Sohmidt, Kreisarzt in Schwerin a. Warthe.
18. - Sohulte, Kreisarzt in Lippstadt.
19. - Toporski, Med.-Rat in Posen.
20. - Wen dt, Med-Rat u. mediz. Hülfsarbeiter bei der Königlichen
Regierung zu Breslau.
*) Die in Klammern beigefügten Ziffern bedeuten die Zahl der Mitglieder
im Vorjahre. Die Ziffern iür das Taufende Jahr stimmen übrigens mit denen
des am 8chluß beigefügten Verzeichnisses nicht mehr genau überein, da in
diesem die inzwischen erfolgten Veränderungen nachgetragen sind.
8
Geschäfts- and Kassenbericht.
21. Dr. Wolpert, Bezirksarzt in SulzbaohfBayern).
22. - Zülch, Kreisarzt u. Med.-Rat in Wolfhagen.
Vorsitzender: M. H.! Leider ist in diesem Jahre die Z&hl
der verstorbenen Mitglieder eine ausserordentlich grosse gewesen,
so dass wir nur wünschen können, im nächsten Jahre nicht wieder
so zahlreiche Verluste durch den Tod beklagen zu müssen. Ich
darf Sie wohl bitten, sich zum Andenken der Verstorbenen von
Ihren Plätzen zu erheben.
(Geschieht.)
H. Med.-Rat u. Bezirksarzt Dr. Flinzer: Der Bericht über
die III. Hauptversammlung ist den Regierungen, Medizin&l-
Deputationen und Kollegien etc. sämtlicher Bundesstaaten zuge¬
sandt worden, die dem Verein dafür ihren Dank ausgesprochen
haben.
Der Vorstand hat im Juli d. J. eine Sitzung in Eisenach
abgehalten, in der die Tagesordnung für die diesjährige IV. Haupt¬
versammlung festgesetzt ist, sowie dem vorjährigen Beschluss
gemäss die zu machenden Vorschläge znr Reform der Strafprozess¬
ordnung unter Zuziehung der Referenten durchberaten worden sind.
Der Ort der Tagung (Heidelberg) war bereits in einer im An¬
schluss an die vorige Hauptversammlung in Danzig abgehaltenen
Vorstandssitzung bestimmt worden.
Die Kasse schloss im Jahre 1903 mit einem Ueberschuss
von 38 M. 66 Pf. ab.
Die Einnahmen und Ausgaben für 1904 stellen sich
wie folgt:
Einnahmen:
Uebersohuß von 1903 38,66 M.
Zinsen. 92,05 M.
559 Mitgliederbeiträge ä 12 M. 6708,— „
903 „ k 2 „ >). 1806,- „
2 „ ä 12 „ (von 1903). . . 24,— „
8668,71 M.
Ausgaben:
Für die Zeitschrift. 5650,— M.
Druokkosten. 1309,36 „
Reisekosten der Vorstandsmitglieder .... 505,90 „
Kosten der Hauptversammlung. 474,65 P
Portokosten. 48,31 P
Kopialien und Expeditionsaufwand . . . . . 239,25 „
Zusammen 8227,47 M.
Es verbleibt somit ein Ueberschuss von 441 M. 24 Pf.,
der auf das Jahr 1904 übertragen worden ist. Der erfreuliche
Kassenabschluss lässt mit Bestimmtheit voraussehen, dass wir
auch in diesem Jahre mit dem Beitrag von 12 Mark auskommen
werden.
') Für die Mitglieder der Preußischen Medizinalbeamtenvereins wird von
diesem Verein das Abonnement für die Zeitschrift an die Verlagsbachhandlang
direkt bezahlt and demnach nur 2 Mark pro Mitglied an die Vereinskaase
entrichtet.
Gerichtaärztl. Wünsche in bezug auf die bevorstehende Befonn der Str.-Pr.-O. 9
Vorsitzender: Ich frage, ob Jemand das Wort zum Kassen¬
bericht ergreifen will? — Da dies nicht der Fall ist, so können
wir zur Wahl der Kassenrevisoren übergehen. Ich schlage
hierzu die Herren Stadtarzt Dr. 0ebbecke-Breslau und Med.-Bat
Dr. Vanselow-Kissingen vor. Sind Sie damit einverstanden?
(Allgemeine Zustimmung.)
Dann darf ich wohl die beiden Herren bitten, die Bücher
recht bald zu prüfen, damit wir das Prüfungsergebnis womöglich
noch am Schluss der heutigen Sitzung entgegennehmen und dem
Schriftführer, der leider schon morgen früh wieder abreisen muss,
Entlastung erteilen können.
III. Geriehfsärztlldn Witsche It bezog nf
die hmrsfehetde Reform der Strafprezessordiosg.
Berichterstatter:
Prof. Pr. Heimberger -Bonn; Gerichtsarzt Prof. Or. Strassmann - Berlin;
Prof. Pr. Asehaffenburg-Halle a./S.
Vorsitzender: M. H.! Gestatten Sie mir zur Einleitung
dieses Beratungsgegenstandes einige Worte!
Es wird Ihnen erinnerlich sein, dass auf unserer vorjährigen
Hauptversammlung das gleiche Thema, allerdings in etwas erwei¬
terter Form, zur Erörterung gelangt ist; denn die Referate er¬
streckten sich damals auf die gerichtsärztlicben Wünsche zur
Strafgesetzgebung überhaupt, also auch zum Strafgesetzbuche. Die
diesjährige Einschränkung des Themas ist eine Folge des im Vor¬
jahre gefassten Beschlusses, durch den der Vorstand beauftragt
wurde:
„die einschlägigen Fragen unter besonderer Berücksichtigung der in
der Folge von seiten der Vereinsmitglieder zutage tretenden Wünsche
und Bedenken im Verein mit den Herren Berichterstattern einer
weiteren Beratung zu unterziehen und womöglich schon der nächst¬
jährigen Hauptversammlung bestimmte Vorschläge, wenigstens in bezug
auf die Straf Prozeßordnung, zur Beschlußfassung zu unter¬
breiten.“
M. H.! Diesem Aufträge ist der Vorstand nachgekommen.
Er hat zunächst die Vereinsmitglieder bei Uebersendung des vor¬
jährigen offiziellen Berichtes ersucht, sich zu den Vorschlägen
und Ausführungen der Berichterstatter zu äussem und etwaige
weitere Wünsche zur Kenntnis des Vorstandes zu bringen. Nach¬
dem dann im Laufe dieses Jahres die Protokolle der Reichs-
Kommission zur Revision des Strafprozesses veröffentlicht sind,
hat der Vorstand die vorjährigen Berichterstatter um nochmalige
Uebernahme des Referats gebeten, wozu diese sich sofort in der
entgegenkommensten Weise bereit erklärten. Späterhin hat aller¬
dings H. Gerichtsarzt Med.-Rat Dr. Hoffmann seine Zusage
wieder znrücknehmen müssen, da es ihm wegen seiner Dienst¬
geschäfte unmöglich war, an der diesjährigen Hauptversammlung
10
Dr. Hornberger.
teilzunehmen. Sein Referat hat infolgedessen H. Prot. Dr. StraBe¬
mann mit übernommen. Die Angelegenheit ist hieranf in der
Weise weiter behandelt, dass die beiden medizinischen Herren
Referenten ihre Wünsche zur Revision der Strafprozessordnung
aufgestellt haben und diese Vorschläge sodann unter ihrer Zuzie¬
hung in einer Vorstandssitzung durchberaten sind. Unter Berück¬
sichtigung der hier geäusserten Wünsche sind die Vorschläge von
den betreffenden Referenten einer nochmaligen Beratung unter¬
zogen, desgleichen hat sie H. Prof. Dr. Heimberger vom
juristischen Standpunkt geprüft. Nach allen diesen Vorarbeiten
sind sie schliesslich sämtlichen Vereinsmitgliedern mit der Bitte
zugestellt, etwaige Abänderungs- oder Ergänzungsvorschläge dem
Vorstande womöglich noch vor der Versammlung mitzuteilen. Es
sind nur wenige derartige Vorschläge eingegangen und diese,
soweit es möglich war, bei der Schlussberatung in der gestrigen
Vorstandssitzung berücksichtigt. Die heute zur Verteilung ge¬
langten gedruckten Vorschläge der Referenten sind das Ergebnis
dieser Beratung.
M. H.! Sie werden mir zugeben, dass sich sowohl der Vor¬
stand, als vor allem auch die Herren Referenten, denen wir zum
grössten Danke verpflichtet sind, alle Mühe gegeben haben, um
die Ihnen zur Beschlussfassung unterbreiteten Vorschläge so zu
gestalten, dass sie nicht nur unsern Wünschen entsprechen, son¬
dern auch geeignet sind, um die bisher auf dem Gebiete der
Strafprozessordnung hervorgetretenen Mängel, soweit sie unsere
gerichtsärztliche Tätigkeit betreffen, in wirksamer Weise zu be¬
seitigen. Hoffentlich finden sie ebenso wie die Ausführungen der
Herren Referenten Ihren vollen Beifall!
(Bravo!)
M. H.! Ebenso wie im Vorjahre ist zwischen den Herren
Referenten eine Vereinbarung dahin getroffen, dass H. Prof. Dr.
Heimberger die Verhandlungen zunächst einleiten wird; hier¬
auf werden die beiden medizinischen Herren Referenten, Prof. Dr.
Strassmann und Prof. Dr. Aschaffenburg, die Vorschläge
vom gerichtsärztlichen und psychiatrischen Standpunkte aus be¬
leuchten bezw. begründen; am Schluss beabsichtigt sodann H.
Prof. Dr. Heimberger nochmals das Wort zu nehmen, um sich
vom juristischen Standpunkt aus zu den einzelnen Vorschlägen
zu äussern. Ich nehme an, dass Sie mit diesem Verfahren ein¬
verstanden sind, und erteile dem ersten Herrn Referenten das
Wort.
H. Prof. Dr. Heimberger-Bonn, erster Berichterstatter: Auf
der Tagesordnung Ihrer vorjährigen Hauptversammlung zu Danzig
stand als erster Gegenstand das Thema: „Gerichtsärztliche
Wünsche mit Rücksicht auf die bevorstehende Neubearbeitung
der Strafgesetzgebung für das Deutsche Reich*. Die heutige
Tagesordnung weist zwar nicht das gleiche, aber ein ähnliches
Thema auf; denn es sollen heute besprochen werden: „Gerichts-
Gerichtsärztl. Wünsche in bezug auf die bevorstehende Reform der Str.-Pr.-O. 11
Ärztliche Wünsche in bezag auf die bevorstehende Reform der
Strafprozessordnung. “
Wie ich sehe and wie es der Natar der Verhältnisse ent¬
spricht, ist die heutige Versammlung zum grössten Teil aas
anderen Personen zusammengesetzt als die vorigjährige, die im
Nordosten des Reiches tagte. Ich werde mich daher wohl nicht
einer überflüssigen Wiederholung schuldig machen, wenn ich wie
im vorigen Jahre so auch diesmal in ganz kurzen Zügen Ihnen
über den Stand und die Art der Reform unserer Strafgesetzgebung
Bericht erstatte und Ihnen mitteile, wieso unser heutiges Thema
eine Einschränkung gegenüber dem vorigjährigen erfahren musste.
Wir sind nicht bloss in einer Reform unseres Strafver¬
fahrens begriffen, sondern stehen auch vor einer Aenderung des
materiellen Strafrechts. An beiden Reformen sind Sie, m. H.,
die deutschen Medizinalbeamten, insbesondere soweit Sie Gerichts¬
ärzte sind, aufs Lebhafteste interessiert; denn Strafgesetzbuch
und Strafgesetzgebung gehören ja zu Ihrem täglichen Handwerks¬
zeug; Vorzüge und Mängel dieser Gesetze empfinden Sie in
mancher Richtung ganz unmittelbar. Es versteht sich daher von
selbst und ist von Seite des Gesetzgebers mit ganz besonderem
Danke zu begrüssen, wenn Sie bei der Reform unserer Straf¬
gesetzgebung Hand mit anlegen, Ihre reiche und vielfältige Er¬
fahrung in den Dienst der Reformbestrebungen stellen und dem
gesetzausarbeitenden Juristen dort zur Seite stehen, wo sein
Wissen lückenhaft wird, das Ihre aber Hilfe bringen kann.
Auf der vorjährigen Tagung zu Danzig haben wir uns
nach doppelter Richtung hin ausgesprochen* Es wurden von den
Referenten Wünsche in bezug auf die Neugestaltung des ma¬
teriellen Strafrechts wie des Strafverfahrens geäussert; doch fand
eine Debatte nicht statt; die Vorträge der Referenten sollten als
Vorbereitung und Anregung für die diesjährigen Beratungen
gelten, und an eine endgültige Beschlussfassung war bei der
grossen Zahl der erörterten Einzelfragen überhaupt nicht zu
denken.
Für die heutige Versammlung hat Ihr Vorstand eine sach-
gemässe Einschränkung des vorigjährigen Themas eintreten lassen.
Das materielle Strafrecht, die Reform des Strafgesetzbuchs, scheidet
heute aus den Beratungen aus. In dieser Richtung Wünsche aus¬
zusprechen, hat keine Eile, da die Aenderung des materiellen
Strafrechts, die weitausgreifender rechtsvergleichender Vorarbeiten
bedarf, weit langsamer vorwärts schreitet, als die Reform des
Prozessrechts. Letztere allein ist heute Gegenstand der Erör¬
terung. Der äussere Anlass, jetzt die Reform der Strafprozess¬
ordnung auf die Tagesordnung zu setzen, war der Umstand, dass
vor mehreren Monaten die Protokolle der Kommission für die
Reform des Strafprozesses erschienen sind. Das Reichsjustizamt
hatte vor etwa» drei Jahren eine Kommission zur Beratung einer
Reform des Strafverfahrens zusammenberufen. Die Kommission
hat ihre Aufgabe in 86 Sitzungen erledigt. Die letzte fand am
1. April 1905 statt, und einige Zeit darauf gab das Reichsjustiz-
12
Dr. Heimberger.
amt die Protokolle der Kommission in zwei Bänden heraus. Einen
eigentlichen Gesetzentwurf enthalten die Protokolle nicht; sie
geben nur die Verhandlungen der Kommission über die einzelnen
Fragen, die znr Beratung standen, wieder und enthalten am
Schlosse eine im Reichsjustizamt bearbeitete Zusammenstellung
des bestehenden Gesetzes mit dem Inhalt der Kommissions¬
beschlüsse. Die Beschlüsse der Kommission bedeuten auch nicht
irgend eine Bindung der Regierung, ja sie geben nicht einmal
die Ansicht der Regierung wieder, sondern nur die Auffassung
und die Wünsche der Kommission. Wir stehen also noch voll¬
kommen im Stadium der Vorbereitung einer neuen Prozessordnung,
und die Veröffentlichung der Protokolle ist gleichbedeutend mit
der Aufforderung, zu den Ergebnissen der Kommissionsberatungeil
Stellung zu nehmen.
Dieser Aufforderung hat Ihr Vorstand, soweit gerichtsärzt¬
liche Interessen in Frage kommen, Folge geleistet. Er legt
Ihnen durch die Referenten eine Reihe von Leitsätzen vor, in denen
zum Ausdruck gebracht wird, was auf Seite der Gerichtsärzte
von der neuen Strafprozessordnung noch zu wünschen sein dürfte.
Es versteht sich, dass die bisherige Prozessordnung wie die
jetzigen Kommissionsbeschlüsse ohnehin schon im wesentlichen
diejenigen Bestimmungen treffen oder vorschlagen, deren Aufnahme
im Interesse der Rechtspflege von den Gerichtsärzten gewünscht
werden muss. Aber bei einer Anzahl von Einzelheiten finden
sich doch noch Lücken, deren Ausfüllung von seiten der Gerichts¬
ärzte zu erstreben ist. Diesem Zwecke dienen die aufgestellten
Leitsätze. Sache der heutigen Versammlung ist es, zu diesen
vom Vorstand und den Referenten vorgeschlagenen Sätzen sich zu
äussern und nötigenfalls noch in anderen Richtungen Anregungen
zu geben.
Die Herren medizinischen Referenten, Prof. Dr. Strassmann
und Prof. Dr. Aschaffenburg, werden Ihnen die einzelnen
Leitsätze begründen. Wenn dann, wie Saul unter den Propheten,
auch noch der Jurist unter Ihnen erscheint, insofern als mir die
Ehre zuteil wurde, von Ihrem Vorstand als Korreferent heran¬
gezogen zu werden, so beruht das auf einer gewissen Gegen¬
seitigkeit. Ich habe vorhin schon gesagt, dass der Jurist bei
Ausarbeitung der Straf- und Strafprozessgesetze des Mediziners
nicht entraten kann. Umgekehrt ist für den in kühneren Zügen
arbeitenden Mediziner die Mitwirkung des vielleicht bedächtigeren
und manchmal haarspaltenden Juristen nicht ganz zu entbehren,
um bei der Redaktion der Beschlüsse allzu weitgehende, wenn
auch an sich nicht unbegründete Wünsche auf das Mass des
augenblicklich Erreichbaren zurückzuschneiden.
Damit schliesse ich meine Einleitungsworte; wenn die Herren
medizinischen Referenten gesprochen haben, werde ich ^ dann
meinerseits, soweit notwendig, einzelne Fragen Vom juristischen
Standpunkt aus beleuchten.
(Lebhafter Beif&IL)
Gerichtsärztl. Wünsche in bezug auf die bevorstehende Reform der Str.-Pr.-O. 18
H. Prof. Dr. Strassmann - Berlin, zweiter Berichterstatter:
Wie Sie, meine Herren Kollegen, wissen, habe ich von der Straf¬
prozessordnung diejenigen Bestimmungen zur Besprechung über¬
nommen, welche sich auf die Sachverständigen und den Sach¬
verständigenbeweis im allgemeinen beziehen. Die Grundlage
meiner Vorschläge auf diesem Gebiete, die Sie in den Ihnen vor¬
liegenden Leitsätzen 4, 6, 7,8, 9,11,17,18, also in den Anträgen zu
den §§ 80,82,85,87,91,111,188 und 255 der Str.-P.-Ordn. nieder¬
gelegt finden, bilden zunächst meine auf der vorjährigen Danziger
Versammlung gestellten Anträge. Meine neuen Vorschläge sind
aber mit jenen Anträgen nicht völlig identisch; es war nötig, bei
ihnen die inzwischen erschienenen Beschlüsse und Verhandlungen
der Kommission für die Reform der Strafprozessordnung zu be¬
rücksichtigen. Wenn sich auch die Arbeiten dieser Kommission
überwiegend auf die allgemeine Organisation der Gerichte bezogen
und die uns speziell interessierenden Themata weniger berührt
haben, so sind doch in einzelnen Punkten Beschlüsse gefasst
worden, die unserseits nicht unberücksichtigt bleiben können.
Eine litterarische Besprechung unserer damaligen Vorschläge
hat kaum stattgefunden, so dass ich auf Grund entsprechender
Publikationen Aenderungen nicht vorzunehmen hätte. Dagegen
haben verschiedene unserer Vereinsmitglieder, vor allem unser
erster Vorsitzender, der sich auch hier wieder als die Seele des
Vereins bewiesen hat, noch ergänzende Anträge gestellt, die ich
zum Teil ebenfalls aufgenommen habe und hier vertreten werde.
Nicht allen mir gegebenen Anregungen habe ich folgen zu können
geglaubt; ich werde indes Ihnen, m. H., auch über diese Vor¬
schläge hier berichten und meinen ablehnenden Standpunkt be¬
gründen, damit Sie in der Lage sind, das entscheidende Urteil zu
fällen, das Ihnen zusteht. Endlich bemerke ich noch, dass einer
meiner Vorschläge Opposition gefunden hat und von manchen
Seiten als zu weitgehend bezeichnet worden ist; ich habe deshalb
in diesem Punkte eine Einschränkung vorgenommen.
Wenn ich der Reihenfolge der Paragraphen der Strafprozess¬
ordnung mich anschliesse, so habe ich zunächst zu bemerken, dass
zu § 75 eine Erläuterung gewünscht worden ist. Dieser Para¬
graph lautet:
„Der zum Sachverständigen Ernannte hat der Ernennung Folge zu leisten,
wenn er zur Erstattung von Gutachten der erforderten Art öffentlich bestellt
ist, oder wenn er die Wissenschaft, die Kunst oder da3 Gewerbe, deren Kenntnis
Voraussetzung der Begutachtung ist, öffentlich zum Erwerbe ausübt, oder wenn
er zur Ausübung derselben öffentlich bestellt oder ermächtigt ist.
Zur Erstattung des Gutachtens ist auch derjenige verpflichtet, welcher
sich zu derselben vor Gericht bereit erklärt hat“
Es hat sich, wie Ihnen bekannt, ein Zweifel darüber er¬
hoben, ob ein nichtbeamteter Arzt auf Grund dieses Para¬
graphen gezwungen werden kann, eine Leichenöffnung
vorzunehmen. Diese Frage ist früher gerichtlicherseits be¬
jahend beantwortet worden. Es ist nun angeregt worden, den
Paragraphen in dem Sinne zu erläutern, dass die Frage verneint
werde. Die Herbeischafiung des Materials, soweit sie über die
14
Dr. Straßmann.
gewöhnliche Tätigkeit eines Arztes hinansgeht, sei Sache des
Gerichts. Ich würde eine solche Erläuterung nicht für wünschens¬
wert halten. Zunächst besteht doch entschieden für die Gerichte
ein Interesse daran, dass es ihnen eventuell ohne Schwierigkeiten
möglich ist, den erforderlichen zweiten Obduzenten zu erlangen.
Die Gefahr, dass ein solcher nicht zu erlangen ist und dass da-
durch eine wesentliche Hemmung der Rechtspflege eintritt, ist in
Deutschland, dessen Einzelstaaten durchweg über angestellte, be¬
amtete Aerzte verfügen, nicht so gross, wie in anderen Ländern,
z. B. in Frankreich. Dort wurde vor Jahren gegen die beiden
Aerzte einer südfranzösischen Stadt Rodez ein Strafverfahren ein¬
geleitet, weil sie sich geweigert hatten, der Ladung zu einer
gerichtlichen Sektion — die deshalb anscheinend nicht hat statt-
flnden können — zu folgen. Die Affaire der Aerzte von Rodez
ist damals in der französischen Fachpresse lebhaft erörtert
worden. 1 ) Wenn auch die Gefahr infolge unserer Einrichtungen,
wie schon gesagt, geringer ist, so erscheint eine empfindliche
Störung des gerichtlichen Vorgehens doch nicht unmöglich, falls
der Arzt das Recht hat, das Erscheinen und die Tätigkeit bei
einer Leichenöffnung zu verweigern. Man wird sich auf der
anderen Seite fragen müssen, ob mit dieser Teilnahme dem Arzte
etwas zugemutet wird, was über den Rahmen seiner notwendigen
Kenntnisse und Fertigkeiten hinausgeht; denn dazu kann man
natürlich keinen Sachverständigen zwingen, dass er etwas ans¬
führt, was er nicht gelernt hat und wozu er unvermögend ist
Es würde z. B. undenkbar sein, einen nicht darauf eingerichteten
Arzt zwingen zu wollen, eine Untersuchung mit Röntgen-Strahlen
vorzunehmen. Aber pathologische Anatomie und Sektionstechnik
sollen doch jetzt medizinisches Gemeingut sein. Die Zahl der
Aerzte, die in diesem Fache noch nicht geprüft und ausgebildet
sind, ist nicht mehr so gross und wird von Jahr zu Jahr geringer,
so dass es, glaube ich, nicht notwendig sein wird, für die Zeit,
in der die neue Strafprozessordnung in Kraft tritt, was doch
auch erst in einigen Jahren geschehen wird, eine Bestimmung zu
treffen, wie sie hier vorgeschlagen worden ist.
Bei Abs. 2 des § 80 (Vorbereitung des Gutachtens
von Sachverständigen) haben wir eine kleine Aenderung vor¬
geschlagen. Während es bisher hiess:
„Zu demselben Zwecke kann ihm gestattet werden, die Akten einznsehen,
der Vernehmung von Zeugen oder des Beschuldigten beizuwohnen und an die¬
selben unmittelbar Fragen zu stellen“
soll künftig gesagt werden, „es ist ihm zu gestatten, 0 falls
nicht besondere Hinderungsgründe vorliegen. Es soll mit dieser
anderen Fassung dem Richter ein Hinweis darauf gegeben werden,
dass die Zuziehung von Sachverständigen zur Vernehmung der
Zeugen und Beschuldigten in vielen Fällen im dringenden Interesse
der Sache liegt. Es ist im einzelnen von den Herren, die schrift¬
liche Anträge eingereicht haben, besonders von unserem Vor-
') Anualta d’hygient; 1890.
Gerichtsarztl. Wünsche in bezog auf die bevorstehende Reform der Str.-Pr.-O. 16
sitzenden nnd von Herrn Kollegen Köstlin in Danzig darauf
aufmerksam gemacht worden, dass z. B. die Frage, ob bei Puer¬
peralfieber eine Fahrlässigkeit der Hebamme vorliegt, nur gelbst
werden kann, wenn von vornherein ein ärztlicher Sachverständiger
mit dem Richter zusammen wirkt und wenn er, so lange das Ge¬
dächtnis der Zeugen noch frisch ist, durch sachgemässe Fragen
den Tatbestand aufklärt. Ich komme auf diesen Punkt nachher
nochmals zurück.
Unser Vorschlag zu § 82 (Berechtigung der Sach¬
verständigen, ihr Gutachten und den festgestellten
Befund selbst zu Protokoll zu diktieren) bedarf der
Begründung wohl nicht. Dass es zweckmässig ist, wenn der Sach¬
verständige direkt und nicht erst durch das Medium eines anderen
seinen Befund oder sein Gutachten niederlegt, dass damit manche
überflüssigen Erörterungen und Missverständnisse vermieden
werden, ist sicher. In der Praxis wird auch zumeist danach ver¬
fahren, aber es kommt doch vor, dass ein etwas pedantisch ver¬
anlagter Richter ein derartiges Vorgehen für unzulässig erklärt; es
schien deshalb erwünscht, die Zulässigkeit gesetzlich festzustellen.
Der Zusatz: „und Leichenöffnung" könnte vielleicht weg¬
fallen, denn die Leichenöffnung wird schon nach der gegen¬
wärtigen Gesetzgebung nicht von dem Richter, sondern im Beisein
des Richters von zwei Aerzten vorgenommen. Eine etwaige Be¬
hauptung des Richters, dass die Aerzte den Befund nicht selbst
diktieren dürften, erscheint danach gesetzlich nicht begründet und
ist auch tatsächlich wohl noch nie vorgekommen.
Dass der § 85, der die Bestimmungen über sachverständige
Zeugen enthält, entbehrlich ist und fortfallen kann, hat irgend¬
welchen Widerspruch nicht gefunden; ich glaube deshalb meine vor¬
jährigen Ausführungen hierzu nicht nochmals wiederholen zu sollen.
Ebenso bestand, wie ich sehe, allgemeine Uebereinstimmung
darüber, dass der zweite Absatz des §97*) fortfällt, da eine
Leichenschau ohne Zuziehung eines Arztes eigentlich keinen
vernünftigen Zweck hat. Ja, es ist mit Recht, wie ich meine,
darauf hingewiesen worden, dass auch die Zuziehung eines nicht
geschulten, nicht sachkundigen Arztes den Erfolg der Leichen¬
schau in Frage stellt und dass es deshalb geboten erscheint, für
die Leichenschau vorzuschreiben, dass der zuzuziehende Arzt „in
der Regel der Gerichtsarzt sein soll". Die einschränkenden Worte
„in der Regel" lassen unseren Vorschlag als durchführbar er¬
scheinen und ermöglichen es, dass in besonderen dringenden Fällen
dem Gericht störende Schwierigkeiten erspart bleiben. Dass die
Zuziehung des Gerichtsarztes aber die Regel sein soll, wird,
meine ich, gebilligt werden müssen. Die Gefahr schwerwiegender
Irrtümer ist sonst vorhanden; es gibt doch eine ganze Reihe
tüchtiger, aber gerichtlich-medizinisch nicht erfahrener Aerzte,
die z. B. nicht wissen, dass bei völliger Unversehrtheit der äusseren
*) § 97, Abs. 2 lantet: „Die Zuziehung eines Arztes kann bei der Leichen¬
schau unterbleiben, wenn sie nach dem Ermessen des Richters entbehrlich ist.“
16
Br. Str&ßm&nn.
Bedeckungen schwere innere Verletzungen vorhanden sein können,
und dass also eine solche Integrität einen gewaltsamen Tod durch¬
aus nicht ausschliesst.
Für besonders erwttnscht halte ich auch den Zusatz zu Ab¬
satz 3, der uns die Entnahme von Leichenteilen znr
weiteren Untersuchung und zur Konservierung ermöglicht Oft
genug wird erst nach der Sektion uns beispielsweise die Frage
vorgelegt, ob ein verdächtiges Instrument die Vorgefundenen Ver¬
letzungen bewirkt haben kann. Wie ganz anders lässt sich diese
Frage beantworten, wenn wir die Verletzungen selbst noch auf¬
gehoben haben und wenn wir sie und nicht bloss ihre Be¬
schreibung mit dem Instrument vergleichen können. Dann noch
etwas anderes, m. H.! Wir sind doch alle nicht allwissend und
erleben es oft genug, dass wir Befunde bei der Leichenöffnung
erheben, Aber deren Deutung wir uns zunächst nicht klar sind
und die wir gern noch später in Buhe nach erfolgter Literatur¬
einsicht oder Beratung mit kundigen Kollegen prüfen möchten.
Ich habe im allgemeinen für die Aufhebung von Leichenteilen aus
diesen Gründen Verständnis bei unseren Bichtem gefunden nnd
Schwierigkeiten kaum gehabt. Immerhin sind mir doch hier und
da Bedenken geäussert worden; es wird darum wohl zweckmässig
sein, auch hier eine unzweideutige gesetzliche Basis zu schaffen.
Nicht aufgenommen habe ich den Vorschlag des Kollegen
Kornfeld in Gleiwitz, der, soweit ich ihn verstanden habe, unter
Beziehung auf Verhandlungen, die in England stattgefunden haben,
die Bestimmung gestrichen zu sehen wünscht, dass dem be¬
handelnden Arzt die Leichenöffnung nicht übertragen werden soll.
Ich halte die Bestimmung für nicht unangebracht. Es ist doch
immerhin an die Möglichkeit zu denken, dass der behandelnde
Arzt durch seine bisherige Auffassung des Falles befangen ist;
es liegt ja auch hier nnd da die Möglichkeit vor, dass die Frage
eines Verschuldens seinerseits in Betracht kommen könnte. So
erwünscht es auch ist, dass er bei der Leichenöffnung mit wirkt
und Aufklärungen gibt, so scheint es doch nicht durchaus unbe¬
denklich, ihm eine entscheidende Stimme bei der Beurteilung
des Ergebnisses der Leichenöffnung zu erteilen.
Im § 91 (Untersuchungen bei Verdacht einer Ver¬
giftung) soll statt „Chemiker* gesagt werden, „geeigneter Sach¬
verständiger*. Es ist wohl keine Frage, dass in manchen Fällen,
besonders z. B. bei Nahrungsmittelvergiftungen, geeigneter für die
Untersuchung der Leichenteile als der Chemiker ein bakteriologi¬
sches Institut ist. Wir haben schon wiederholt in solchen Fällen
entsprechende Anträge gestellt, die auch berücksichtigt worden
sind; doch ist gewiss hier wie in den früher schon erwähnten
Funkten die Beseitigung etwaiger immerhin möglicher Bedenken
durch entsprechende gesetzliche Bestimmungen erwünscht.
Es ist noch vorgeschlagen worden, zum § 91 einen Zusatz
zu machen, wonach die Untersuchung vorzunehmen ist, „falls die
Todesursache nicht bereits durch die Untersuchung des Gerichts¬
arztes völlig klargestellt ist*. Ich glaube, dass dieser Zusatz
Gerichts&rztl. Wünsche in bezog auf die bevorstehende Reform der Str.-Pr.-O. 17
entbehrlich ist. Der § 91 schreibt nicht vor, soweit ich ihn ver¬
stehe, dass in jedem Falle eine Untersuchung der Leichenteile
vorgenommen werden muss. Meiner Erfahrung nach haben Richter
und Staatsanwalt wiederholt von der Anordnung einer solchen
Untersuchung Abstand genommen, wenn wir nach der Leichen¬
öffnung erklärten, dass an der Vergiftung durch Karbol, durch
Kohlenoxyd usw. keine Zweifel bestehen.
Es ist weiter gewünscht worden, dass der zweite Absatz
dieses Paragraphen folgendermassen formuliert werde:
„Der Richter kann anordnen, daß diese Untersnchong unter Mitwirkung
oder Leitung des Gerichtsarztes stattzufinden hat. Wird von dem Gerichtsarzt
eine solche Anordnung verlangt, so hat der Richter diesem Verlangen nach¬
zugeben, falls nicht besondere Gründe dagegen sprechen.“
Ich muss es dem Antragsteller überlassen, seinen Vorschlag
zu begründen; ich habe bisher in meiner Praxis das Bedürfnis
für eine solche Bestimmung noch nicht empfunden. Im Gegenteil
habe ich immer den Standpunkt vertreten, dass die analytischen
Untersuchungen Sache des Chemikers sind und diesem überlassen
werden sollen, und dass wir von dem Chemiker nur verlangen
können, dass er unser Recht respektiert, wenn auch wir keinen
Uebergriff in sein Gebiet vornehmen. Ich lehne daher etwaige
gerichtliche Aufträge auch zu leichteren chemischen Untersuchungen,
zu denen ich die notwendigen Einrichtungen und Fertigkeiten
besitze, ab, und beschränke mich auf die unmittelbar bei der
Sektion etwa anzustellenden und eigentlich noch zur Sektion ge¬
hörigen Reaktionen, die, abgesehen von der Untersuchung auf
Kohlenoxyd Vergiftung, zumeist nur vorläufiger Natur sind und einen
bloss informatorischen Charakter tragen. Dafür wünsche ich aller¬
dings, dass die Beurteilung der Gesundheitsschädlichkeit einer
vom Chemiker gefundenen giftigen Substanz als medizinische Frage
mir zukommt, und halte es ebenso für notwendig, dass sich in
Fällen von fraglichem Gifttod der Richter nicht mit dem chemi¬
schen Befunde begnügt, sondern den Mediziner befragt, welcher
Schluss daraus zu ziehen ist. Ich habe Klagen von Kollegen
darüber gehört, dass dies nicht geschieht, dass unzutreffenderweise
ohne weiteres bei positivem Ausfall der chemischen Analyse Tod
durch Vergiftung angenommen und Anklage erhoben, bei negativem
Ausfall Giftmord ausgeschlossen und das Verfahren eingestellt
wird. Eine gesetzliche Bestimmung zu schaffen, die derartiges
verhindert und die den Wirkungskreis der einzelnen Sachver¬
ständigen abgrenzt, dürfte kaum möglich sein. Eine Besseruug
dieser Verhältnisse kann nur durch Aufklärung der Juristen herbei¬
geführt werden; wie ich höre, soll auch vor einiger Zeit eine
justizministerielle Verfügung in Preussen ergangen sein, die die
Gerichte darüber aufklärt, dass die Fragen der Gesundheitsschäd¬
lichkeit und Giftigkeit nicht Sache des chemischen Sachverständigen
sind. In gleicher Weise wird eine Aufklärung darüber zu er¬
streben sein, dass Untersuchungen auf Blut, auf Sperma, auf
Haare vorwiegend mikroskopisch anatomische Untersuchungen sind
und dass die mikroskopische Anatomie einen Teil des medizinischen
2
18
Dr. Straßmann.
Stadiums and der medizinischen Wissenschaft, aber nicht der
chemischen darstellt. Wenn einzelne Chemiker sich in diese Ge¬
biete eingearbeitet haben and sich in diesen grosse Uebnng
and Erfahrung verschafft haben and anderseits mitunter Mediziner,
die sich mit Bluthistologie befasst haben, sehr verfehlte Gutachten
abgeben, so ändert das an dem Prinzip jedenfalls nichts.
Die im Vorjahre von mir hervorgehobene Lücke in der
Strafprozessordnung, bedingt darch das Fehlen von ausdrücklichen
Bestimmungen über die Zulässigkeit körperlicher Unter¬
suchung bei Angeschuldigten und Zeugen, hat der Kom¬
missionsbeschluss zum Abschnitt 8 (hinter § 111) ausgefüllt. Im
allgemeinen werden wir mit den hier gemachten Vorschlägen uns
einverstanden erklären können. Schwierigkeiten hat bei der
Kommissionsberatung die Frage gemacht, was bei einer Weigerung
der betreffenden Personen, sich untersuchen za lassen, geschehen
soll. Die Kommission hat anscheinend ans formal juristischen
Gründen Abstand genommen von der Anordnung von Strafen analog
den Strafen für die Zeugnisverweigerung; sie hat vielmehr für
solche Fälle den Zwang zur Untersuchung für zulässig erklärt.
Den Einwand, dass die gewaltsame Vornahme einer Untersuchung
die betroffene Person körperlich schädigen könne, hat die Kom¬
mission in ihrer Mehrheit damit abzutun geglaubt, dass sie sagte,
eine Gefährdung der betroffenen Personen durch gynäkologische
Untersuchungen sei nicht zu befürchten, da erwartet werden dürfe,
dass dazu nur geeignete Spezialärzte verwendet werden würden.
Ob diese Gefahr in der Tat so ausgeschlossen ist, kann vielleicht
zweifelhaft sein. Richtig ist aber sicher, was die Mehrzahl der
Kommission weiter hervorgehoben hat, dass überhaupt nur selten
ein solcher Zwang tatsächlich ausgeführt werden wird, da eine
dauernde Weigerung selbst gegenüber der Drohung des Zwanges
nicht leicht Vorkommen wird. Wenn sie aber vorkommt, so liegt
in einer erzwungenen körperlichen Untersuchung, besonders in der
erzwungenen Untersuchuug der Genitalien einer weiblichen Person,
um die es sich meist handeln wird, zumal einer unverdächtigen
Person, einer Zeugin gegenüber, ein so gewaltiger Eingriff in die
körperliche Freiheit und das weibliche Schamgefühl, dass dafür
meines Erachtens grössere Garantien geschaffen werden müssen,
als sie die Kommission dadurch geschaffen hat, dass zur Anordnung
des Zwanges nur der Richter, zumeist wohl der Einzelrichter,
zuständig sein soll. Ich kann mich nicht davon überzeugen, dass
das bestandene Assessorexamen und die eventuell vorübergehende
Beauftragung mit richterlichen Funktionen nun in jedem Falle
das Mass von Besonnenheit verleihen, das der besitzen muss, dem
ein so folgenschweres Recht in unbedingter Weise gewährt werden
soll. Ich glaube, dass hier dieselbe Garantie geschaffen werden
sollte, die für die Verbringung in die Irrenanstalt gemäss § 81
der Strafprozessordnung gewährt ist: dass nämlich der Betroffene
das Recht sofortiger Beschwerde mit aufschiebender Wirkung
erhält. Wie ich schon im Vorjahre bemerkte, wird, wenn alle
beteiligten richterlichen Personen mit der in solchen Fällen not-
Gerichts ärztl. Wünsche in bezog auf die bevorstehende Reform der 8tr.-Pr.-0. 19
▼endigen Schnelligkeit Vorgehen, nicht zu befürchten sein, dass
durch Einführung dieser Garantie der Untersuchungszweck ver¬
eitelt wird, nnd dass früher vorhandene Sparen eines Verbrechens
nicht mehr nachweisbar sind.
Zn diesem Eommissionsbeschlnss ist von einzelnen Mitgliedern
noch gewünscht worden, dass das in Klammem eingesetzte Wort
„Aerztinnen“ neben Aerzten in Fortfall kommt. Es dürfte in
der Tat dieses Wort überflüssig sein, da es keinem Zweifel unter¬
liegt, dass approbierte Aerztinnen als Aerzte im vollen gesetzlichen
Sinne zu gelten haben, wie das auch in der Kommissionsberatnng
speziell gesagt worden ist, nnd dass sie daher mit einer solchen
Untersuchung beauftragt werden können. Nicht in Deutschland
approbierte Aerztinnen aber mit derartigen gewissermassen amt¬
lichen Funktionen zu betrauen, entspricht doch nicht dem sonst
in dieser Beziehung festgehaltenen Brauch. Der Zusatz dürfte
also überflüssig sein; er scheint anderseits nicht unbedenklich, da
vielleicht aus ihm hergeleitet werden könnte, dass Aerztinnen für
diese Untersuchung besonders geeignet sind und einen besonderen
Vorzug verdienen, was wir nicht anerkennen können. Wir haben
indessen von einem Antrag auf Streichung des Wortes „Aerztinnen"
Abstand genommen, weil derselbe leicht missverstanden werden
könnte.
Wegfallen könnten, wie weiter geäussert wurde, auch die
Worte „Angehöriger oder", so dass es dann heissen würde:
„auf Verlangen ist eine geeignete weibliche Person als Beistand
zur Untersuchung zuzuziehen*. Als solche geeignete weibliche
Person wird wohl immer in erster Reihe eine weibliche Angehörige,
wenn sie vorhanden ist, in Betracht kommen, so dass ein besonders
entsprechender Zusatz kaum notwendig ist. Einen männlichen
Angehörigen aber, etwa den Bräutigam, zu solchen Untersuchungen
zuzuziehen, wie es nach dem Wortlaut des vorgeschlagenen Para¬
graphen möglich sein würde, ist doch wohl kaum angebracht.
Auf Grand der früher von Herrn Prof. Heimberger erhobenen
Bedenken habe ich meinen Vorschlag nicht wiederholt, im An¬
schluss an den § 157 gesetzliche Grundlagen zu schaffen für die
Einführung der sanitätspolizeilichen Leichenöffnung oder
wie es von anderer Seite gewünscht worden ist, der obligatori¬
schen ärztlichen Leichenschau in allen Fällen zweifelhaften natür¬
lichen Todes.
Wesentliche Wünsche haben wir dann noch geltend zu machen
im Anschluss an den § 188 (Beweisaufnahme in der Vor¬
untersuchung). Die bisherige Fassung desselben ist:
„Die Voruntersuchung ist nicht weiter auszudehnen, als erforderlich ist,
um eine Entscheidung darüber zu begründen, ob das Hauptverfahren zu eröffnen
oder der Angeschuldigte außer Verfolgung zu setzen sei.
Auch sind Beweise, deren Verlust für die Hauptverhandlung zu besorgen
steht, oder deren Aufnahme zur Vorbereitung der Verteidigung des An-
geschuldigten erforderlich erscheint, in der Voruntersuchung zu erheben.“
Nach den Beschlüssen der Kommission würde der Absatz 1
dieses Paragraphen künftig lauten:
„Die Voruntersuchung ist nicht weiter auszudehnen, als erforderlich ist,
2 *
20
Dr. Straßmann.
am eine Entscheidung darüber zn begründen, ob das Hauptverf&hren zn er¬
öffnen oder der Angeschnldigte außer Verfolgung zn setzen sei and am im
ersteren Falle die Durchführung der Hanptverhandlnng zn ermöglichen.“
In dem Rahmen dieses Abänderungsvorschlages, der die Auf¬
gabe der Voruntersuchung erweitert, bewegen sich auch unsere
Vorschläge. Wir halten einen Hinweis auf die Notwendigkeit der
Einholung sachverständiger Gutachten schon im Vorverfahren
für geboten. Erfahrungsgemäss geschieht das bisher nicht immer
in genügender Weise. Ich bin wiederholt im Schwurgericht bei
Anklagen wegen Körperverletzung mit tödlichem Ausgange tätig
gewesen, die durch die Voruntersuchung entschieden nicht aus¬
reichend geklärt waren, bei denen uns vor der Hauptverhandlung
nicht Gelegenheit gegeben war, uns über die keineswegs einfache
Frage des ursächlichen Zusammenhanges auszusprechen, bei denen
Anklage erhoben worden war ohne Einholung des nach Lage der
Sache unbedingt notwendigen begründeten ärztlichen Gutachtens.
Mitunter musste dann in der Hauptverhandlung der schwierige
Versuch gemacht werden, das fehlende Material besonders in Ge¬
stalt der behandelnden Aerzte herbeizuschaffen, weil wir allein
auf Grund des Leichenbefundes ein bestimmtes Gutachten über
den Zusammenhang von Verletzung und Tod nicht abgeben
konnten. Andere Male war z. B. eine Anklage wegen Abtreibung
ohne Anhörung eines medizinischen Sachverständigen erhoben
worden; erst in der Hauptverhandlung wurde ich zugezogen und
konnte gelegentlich feststellen, dass die Anklage von irrigen Vor¬
aussetzungen ausgegangen war, dass nur harmlose, anscheinend
auch von den Angeklagten selbst nicht für abortiv gehaltene
Mittel angewendet worden waren. Ich komme endlich hier noch¬
mals auf die bereits früher erwähnte Frage der fahrlässigen Wochen¬
bettinfektion zurück. Es wurde schon vorhin darauf hingewiesen,
dass gerade in solchen Fällen dem Anträge des Arztes auf Akten¬
einsicht und Zuziehung zu den Vernehmungen nachgegeben werden
müsste. Selbstverständlich kann aber ein solcher Antrag nur
gestellt werden, wenn der ärztliche Sachverständige Überhaupt
zur Begutachtung zugezogen wird und insofern ist die Bestimmung,
die zu dem § 188 vorgeschlagen wird, noch wichtiger, als die
vorhin angeregte.
Ich habe an dieser Stelle ferner den im Vorjahre gestellten
Antrag wiederholt: dem Angeschuldigten das Recht zuzugestehen,
schon im Vorverfahren die Einholung eines Gegengut¬
achtens zu verlangen, allerdings mit einer gewissen Ein¬
schränkung. Es wurde von verschiedenen Seiten hervorgehoben,
dass ein solches unbedingtes Recht wohl nicht angebracht sei,
dass es zur Verschleppung missbraucht werden könne und dass
es eine erhebliche Belastung des Strafverfahrens darstellen würde,
wenn ein Angeschuldigter in jedem, auch im einfachsten Falle,
die Einholung noch eines weiteren Gutachtens neben dem schon
erstatteten verlangen dürfte. Mit Rücksicht hierauf habe ich
meinem Vorschlag die Worte zugesetzt: „falls dieser Antrag nicht
ganz unbegründet erscheint 0 . In dieser Form bitte ich aber
Gerichts ürztl. Wünsche in hezng auf die bevorstehende Reform der Str.-Pr.-O. 21
dringend, den Antrag anznnehmen. Es ist ein berechtigtes Inter¬
esse eines Angeschuldigten, dass er nicht nnr vor einer Ver¬
urteilung, sondern auch vor einer Stellung unter Anklage auf
Grund eines irrigen Gutachtens geschützt wird. Dass solche irrigen
Gutachten Vorkommen, wird nicht bezweifelt werden; ich darf
mich im einzelnen auf meine vorjährigen Ausführungen beziehen.
Ich will aber nicht verfehlen, auf einen krassen derartigen
Fall hinzuweisen, den mir Herr Prof. Dr. Cr am er -Göttingen
neuerdings mitgeteilt hat: Eine Anklage wegen Stnprums stützte
sich auf das Gutachten eines Arztes, der bekundete, dass er als
beweisendes Zeichen eines stattgehabten Missbrauches „ein Ver¬
strichensein des Muttermundes“ festgestellt habe. Solche Fälle ab¬
soluter Ignoranz sind gewiss selten, aber ich glaube, dass, ebenso
wie ich, mancher von Ihnen schon die Erfahrung gemacht haben
wird, dass Aerzte, die ungeübt in gerichtlich-medizinischen Unter¬
suchungen sind, bei der Beurteilung des Hymen und seiner Ver¬
letzungen nicht selten grobe Irrtümer begehen, und dass auf diesem
Gebiete manche Anschuldigung gestützt wird durch ein fehlerhaftes
ärztliches Gutachten.
Hinweisen möchte ich bei dieser Gelegenheit darauf, dass
nach den Beschlüssen der Kommission künftig nicht mehr unbe¬
dingt die von dem Angeklagten direkt zur Hauptverhandlung
geladenen Sachverständigen oder Zeugen vernommen werden
müssen. Die Kommission hat, wenn auch mit sehr geringer Mehr¬
heit, beschlossen, dass auch in den Hauptverhandlungen vor den
mittleren und grossen Schöffengerichten das Gericht die Erhebung
einzelner Beweise ablehnen kann, wenn es die Tatsachen, die da¬
durch bewiesen werden, zugunsten des Angeklagten für erwiesen
oder einstimmig für unerheblich erachtet, sowie, dass die Gründe
für die Unerheblichkeit im Beschlüsse anzugeben sind.
Trotz dieser Einschränkungen wird man in der Neuerung
doch eine Verschlechterung der Stellung des Angeklagten sehen
müssen und mit Rücksicht hierauf wird es vielleicht noch mehr
erwünscht sein, seine Stellung im Vorverfahren etwas zu stärken,
wie es durch den vorher behandelten Antrag geschehen würde.
Ich erwähne noch, dass nach den Beschlüssen der Kommission
der § 238 künftig wegfallen soll, der an Stelle der Vernehmung
durch den Gerichtsvorsitzenden das Kreuzverhör durch Staats¬
anwalt und Verteidiger für zulässig erklärt. Diese Abänderung
hat wohl keine grosse Bedeutung, da die Bestimmungen über
Kreuzverhör bisher kaum praktisch geworden sind. Die Ansicht,
dass nun die direkte Befragung des Sachverständigen durch
Staatsanwalt und Verteidiger nach der Vernehmung durch den
Gerichtsvorsitzenden in Wegfall käme, die mir gegenüber in einer
Zuschrift geäus8ert worden ist, beruht auf einer irrigen Auf¬
fassung des Begriffes Kreuzverhör.
Ein weiterer Beschluss der Kommission zu § 240 wird viel¬
fach und auch in unseren Kreisen beifällig begrüsst werden. Es
soll danach bestimmt werden, dass der Vorsitzende Fragen an
Zeugen und Sachverständige, deren Beantwortung diesem selbst
22
Dr. Straßmann.
oder einem der Angehörigen der Zeugen oder Sachverständigen,
oder einem anderen Zeugen oder Sachverständigen zur Unehre
gereichen konnte, zur&ckweisen soll, wenn der zu bekundende
Umstand als für die Entscheidung unerheblich anzusehen ist.
Der zu § 255, Abs. 1 (Verlesung des Gutachtens in
der Hauptverhandlung) gestellte Antrag ist eine Wieder¬
bdung des schon vordem von mir gestellten; sein Zweck ist, uns
Sachverständige etwas von der Last mündlicher Termine zu be¬
freien, die für die Sache selbst entbehrlich sind, in denen wir nur
unsere schriftlichen, von keiner Seite bezweifelten Gutachten
wiederholen. Ich hatte früher beantragt, die Vorlesung schrift¬
licher medizinischer Gutachen in den vor dem Schöffengericht
stattfindenden Verhandlungen zu gestatten. Da nach den Be¬
schlüssen der Kommission künftighin an Stelle der Schöffengerichte
teils der Einzelrichter, teils die sogenannten kleinen Schöffengerichte
treten werden, ergab sich die Notwendigkeit einer etwas anderem
Formulierung des Antrages. Zur Begründung desselben kann ich
auf meine früheren Ausführungen verweisen. Ob der Antrag Aus¬
sicht auf Erfolg hat, ist allerdings vielleicht zweifelhaft Die
Verhandlungen der Beformkommission sind im übrigen einer Ein¬
schränkung des Prinzips der Mündlichkeit nicht gerade günstig
gewesen; es ist sogar zu § 366 ein Beschluss gefasst worden, der
die Zulässigkeit der Verlesung von Schriftstücken in der Haupt¬
verhandlung noch in höherem Masse einschränkt, als bisher.
Mehrfach ist der Wunsch geäussert worden, im Anschluss
an die §§ 273 u. 274 Bestimmungen zu treffen, die eine bessere Proto-
kollierung und Aufnahme des vom Sachverständigen
in der Hauptverhandlung abgegebenen Gutachtens sichern
sollen. Es ist vorgeschlagen worden, auch hier, ähnlich wie im
Vorverfahren dem Sachverständigen das Becht zu verleihen, sein
Gutachten selbst zu Protokoll zu diktieren und dieses Protokoll
nachträglich zur Durchsicht zu verlangen. In einer Zuschrift
wurde übrigens die Ansicht geäussert, der Beschluss der Beform¬
kommission, wonach die Prozessbeteiligten zur Durchsicht der
Protokolle und zur Stellung von Anträgen auf Berichtigung oder
Ergänzung befugt seien, gebe auch uns Sachverständigen die
Möglichkeit, eine Bichtigstellung etwaiger Irrtümer über unsere
Gutachten zu erlangen. Die Ansicht erscheint mir irrig, die Sach¬
verständigen sind, soviel ich weiss, keine Prozessbeteiligten in
diesem Sinne. Was jenes Verlangen nach grösserer Garantie für
eine korrekte Aufnahme unserer Gutachten anlangt, so hat es
unzweifelhaft eine Berechtigung. Missverständnisse kommen seitens
der Bichter nicht so selten vor, wenn auch vielleicht nicht so
häufig, wie seitens der Zeitungsberichterstatter, die unsere Gut¬
achten oft in so verkehrter Weise auf fassen und wiedergeben,
dass mitunter unser Ansehen gegenüber Kollegen und Publikum
dadurch leiden kann. Es wäre auch für die spätere Begutachtung
eines schon früher von anderen Sachverständigen — nur münd¬
lich — begutachteten Falles mitunter recht wünschenswert, wenn
wir eine genauere Wiedergabe des vordem erstatteten Gutachtens
Gerichtsärztl. Wünsche in bezug aof die bevorstehende Reform der 8tr.-Pr.-0 28
in den Akten vorfänden. Man darf aber nicht verkennen, dass
ebenen wie wir Sachverständigen auch Zengen ein sehr lebhaftes
Interesse haben, dass ihre Anssagen richtig aufgefasst und wieder*
gegeben werden. Gewiss ist im allgemeinen bei der Anssage
eines Zengen, die sich auf Tatsachen bezieht, ein Missverständnis
weniger wahrscheinlich, als bei einem Sachverständigengutachten,
das Dinge behandelt, deren Kenntnis nicht Allgemeingut ist.
Anderseits ist aber für den Zeugen die Gefahr, anf Grund einer
irrig anfgefassten Aussage der Verletzung der Eidespflicht be¬
schuldigt zu werden, eine erheblich grössere, als für den Sach¬
verständigen, bei dem diese Gefahr zwar theoretisch, aber nicht
praktisch in gleichem Masse besteht. Ich bemerke bei dieser
Gelegenheit, dass die Reformkommission für Sachverständige den
Voreid als Regel aufgestellt hat, dass sie aber auch beschlossen
hat, die Beeidigung soll unterbleiben dürfen, wenn die Staats¬
anwaltschaft und der Angeklagte mit der Unterlassung der Be¬
eidigung einverstanden sind. Man wird also in Zukunft viel mehr
mit unbeeideten Sachverständigen-Gutachten zu rechnen haben. Mit
Rücksicht darauf glaube ich, dass, wenn man die Protokollierung,
Verlesung und Genehmigung der Sachverständigengutachten ver¬
langt, das gleiche für die Zeugenaussagen in der Hauptverhandlung
billig würde gefordert werden können. Damit würde aber unser
ganzes Verfahren den eigentlichen Charakter der Unmittelbarkeit
und Mündlichkeit verlieren, auf den seitens der Kriminalisten der
grösste Wert gelegt wird und der unseren ganzen Strafprozess
beherrscht. Erwägenswert erscheint mir ein anderer Ausweg.
Man könnte bei jeder Gerichtsverhandlung durch einen vereidigten
Stenographen ein Protokoll führen lassen, welches der Verhandlung
beigegeben wird, während das Urteil selbst ohne Rücksicht auf
dieses Protokoll nach dem unmittelbaren Eindruck der mündlichen
Hauptverhandlung, so wie bisher, gefällt wird. Es würde das
Verfahren alsdann ähnlich sein dem in unseren Parlamenten üb¬
lichen, wo auch Reden und Beschlüsse einerseits und das steno¬
graphische Protokoll anderseits nebeneinander hergehen. Bei voller
Wahrung der Grundsätze unserer Strafprozessordnung würde damit
doch für alle etwa später sich anschliessenden Erörterungen, also
fiir die Frage, ob ein Zeuge seine Eidespflicht verletzt bat, für
die Frage, wie ein Sachverständiger den Fall damals begutachtet
hat, eine ganz andere Unterlage geschaffen sein, als bisher. Die
Frage, ob die Stenographie in den Strafprozess eingeführt
werden sollte, ist auch in der Kommission erörtert worden.
Es herrschte jedoch, wie die Protokolle ergeben, Uebereinstimmung
darüber, dass der Vorschlag praktisch undurchführbar sei, weil
keine genügende Anzahl befähigter Stenographen zur Verfügung
stände, weil die Prüfung der Stenogramme, die Uebertragung
derselben in gewöhnliche Schrift einen erheblichen Zeitaufwand,
eine grosse Vermehrung des Schreibwerkes und wesentliche Kosten
verursachen würde. Ob diese Hindernisse in der Tat so unüber¬
windbar sind, vermag ich nicht zu unterscheiden; ich glaube aber,
wir sollten uns eines entsprechenden Antrages enthalten, nachdem
24
Dr. Asch&ffenborg.
von massgebender juristischer Seite derselbe als praktisch un¬
durchführbar bezeichnet worden ist. Denn nur, wenn wir uns auf
das beschränken, was praktisch ausführbar ist, und weitergehende,
wenn auch berechtigte Wünsche zurückstellen, können wir erwarten,
dass unsere Anträge Berücksichtigung finden. Ich glaube, dass
die Anträge, die ich die Ehre hatte, vor Ihnen zu vertreten, jenes
Erfordernis erfüllen.
(Lebhafter BeifalL)
H. Prof. Dr. Aschaffenburg - Cöln a./Bh.: M. H.! Ich habe
mich mit Herrn Prof. Dr. Heimberger dahin geeinigt, dass
ich ihm von den übrigbleibenden Bestimmungen aus dem Gebiete
der Strafprozessordnung einiges ganz überlasse und mich nur zu
den Fragen äussere, bei denen medizinische Gesichtspunkte
zu Reformvorschlägen drängen.
Unter den Paragraphen, die im Laufe der letzten Jahre eine
von der früheren Beurteilung wesentlich verschiedene Würdigung
gemessen, sind vor allem diejenigen zu nennen, die sich auf die
Zeugenaussagen und deren Glaubwürdigkeit beziehen. Während
man früher als selbstverständlich voraussetzte, dass jeder mit
klaren Sinnen Begabte imstande sei, zuverlässig wahrzunehmen
und das Wahrgenommene richtig wiederzugeben, haben die Studien
zur Psychologie der Aussage gezeigt, dass jeder bei seinen Be¬
obachtungen nur einen Teil richtig aufzufassen vermag, und dass
sich in die Erinnerungen neue Fehler einschleichen. Man kann
wohl aus einer Reihe von Zeugenaussagen ein klares und [zu¬
treffendes Bild von den Ereignissen gewinnen, aber jede einzelne
Aussage enthält in jedem etwas verwickelteren Falle manches
Unzutreffende. Durch diese Erfahrung werden wir notwendiger¬
weise vorsichtig gemacht und dürfen nicht ohne weiteres jede
eidliche Aussage als absolute Wahrheit betrachten.
Gilt das schon gegenüber dem geistig Gesunden, so erst
recht da, wo eine Erkrankung des Geistes die klare Auffassung,
die sachgemässe Verarbeitung, die einwandfreie Erinnerung zu
trüben imstande ist. Diese Gefahr ist ausserordentlich gross, da
bei dem Geisteskranken in wechselnder Stärke Aufmerksamkeit,
Merkfähigkeit und Gedächtnis leidet, Sinnestäuschungen, Er¬
innerungsfälschungen und affektive Falschdeutungen des Beob¬
achteten auftreten können.
Nun liegt es zwar in der Hand des Richters, wie weit er
einem Zeugen, auch einem gesunden Zeugen Glauben schenken will;
grobe Entstellungen wird auch der Richter sofort als solche er¬
kennen. Immerhin aber nicht so häufig, wie notwendig wäre.
Vor allen Dingen glaube ich nicht, dass die Vereidigung tat¬
sächlich imstande ist, die Erinnerung zu schärfen, indem sie den
Vereidigten mit Nachdruck auf die Notwendigkeit, sein Gedächt¬
nis anzuspannen, hinweist. Ich glaube vielmehr, dass auch ein
Gesunder unter Umständen durch die Feierlichkeit der Beeidigung
allein schon in eine gewisse Erregung gerät, die der Sicherheit
der Erinnerung nicht günstig ist, und das wird umsomehr ein-
Gerichts&rztl. Wünsche in bezug auf die bevorstehende Eelorm der Str.-Pr.-O. 26
treten, je leichter sein psychisches Gleichgewicht gestört wird;
also je näher er der Grenze geistiger Störung steht.
Der § 56 der Strafprozessordnung 1 ) schliesst von der Be¬
eidigung, abgesehen von Personen unter 16 Jahren, diejenigen
ans, die wegen mangelnder Verstandesreife oder wegen Verstandes¬
schwäche von dem Wesen and der Bedeutung des Eides keine ge¬
nügende Vorstellung haben. Es ist leicht zu beweisen, dass das
nicht ausreicht. Von der Vereidigung sind eben nur die aus¬
geschlossen, deren intellektuelle Störung sie in der Erfassung des
Wesens der Vereidigung hindert, nicht aber diejenigen, deren
Aussagen von wahnhaften Ideen beeinflusst sind. Ich verweise
z. B. auf den Querulantenwahn. Der Querulant weiss natürlich
ganz genau, was der Eid bedeutet; er wird aber seiner wahn¬
haften Vorstellung in den Aussagen ohne weiteres den Platz ein¬
räumen, den er für richtig findet. Er wird unter Umständen
sogar, um seine Gegner zu schädigen und zu vernichten, einen
Meineid schwören, und doch wird ihn niemand für zurechnungs¬
fähig im Sinne der Strafgesetzgebung halten. So könnte es also
Vorkommen, dass ein Kranker vereidigt werden muss, für seine
falschen Angaben aber nicht verantwortlich gemacht werden kann.
Gewiss ein unhaltbarer Zustand, wenn man dazu noch erwägt,
dass zwischen den richtigen und falschen Aussagen eine Ent¬
scheidung oft garnicht möglich ist, und dass der Richter nur zu
sehr geneigt ist, beeidigte Aussagen für glaubhaft zu halten.
Zur Erläuterung eines andern Bedenken muss ich auf den¬
selben Fall hinweisen, den ich an gleicher Stelle schon im vorigen
Jahre erwähnt habe. Ein Mann sollte Angaben machen über
Wahrnehmungen, die er zu einer Zeit schwerster, tobsüchtiger
Erregung gemacht hatte. Zur Zeit der Vereidigung war er von
seiner Krankheit genesen. Ich machte, als Sachverständiger ver¬
nommen, darauf aufmerksam, wie bedenklich es sei, Auskunft über
eine Zeit zu verlangen, in der eine so schwere Erkrankung das
gesamte Denken beeinflusst haben musste. Mir wurde aber ent¬
gegengehalten, dass ich nur zu beantworten habe, ob der zu Ver¬
nehmende zurzeit von dem Wesen und der Bedeutung des Eides
eine genügende Vorstellung habe; das musste ich selbstverständ¬
lich bejahen. Der Fall beweist, dass eine Lücke der Gesetzgebung
besteht, die, wenn auch nicht häufig, doch gelegentlich von
grösster praktischer Bedeutung sein kann.
Ich habe mich bemüht, einen Wortlaut für den Paragraphen
zu finden, der beide Fehler beseitigt. Ich möchte Ihnen den fol¬
genden Vorschlag unterbreiten:
„Unbeeidigt sind zu vernehmen Personen, deren
Aussagen oder Wahrnehmungen durch Geistes¬
krankheit oder Geistesschwäche beeinflusst sind.*
*) § 56 Str.-Pr.-O.: „Unbeeidigt sind za vernehmen:
Personen, welche zarzeit der Vernehmung das 16. Lebensjahr noch nicht
vollendet oder wegen mangelnder Verstandesreife oder wegen Verstandes¬
schwäche von dem Wesen and der Bedeutung des Eides keine genügende
Vorstellung haben."
26
Dr. Aflchaffenburg.
Ich glaube, dass dieser Wortlaut allen Schwierigkeiten ge¬
recht za werden vermag. Aach Hoche hat sich diesem Vor¬
schlag angeschlossen; in einer Besprechung ist aber seitens eines
Juristen, Kulimann, der Zusatz gewünscht worden: „sofern ein
Einfluss der Beeidigung auf die Richtigkeit der Aussagen aus¬
geschlossen ist.“ Ich glaube nicht, dass dieser Zusatz zweck¬
mässig ist. Wie schon erwähnt, wird ein nervös Erregter durch
die Beeidigung eher unsicherer, ein wahnhaft Beeinflusster aber
nicht von einer Unwahrhaftigkeit zurückgehalten, zn der sich
ein Paranoiker z. B. berechtigt glaubt, da seine Feinde ja auch
mit unlauteren Mitteln arbeiten.
Ueber die Vereidigung Geisteskranker habe ich vor kurzem
in dem Psychiatrischen Verein der Rheinprovinz einen Vortrag ge¬
halten, der sich im wesentlichen mit meinen heutigen Ausführungen
deckt. Der Verein hat daraufhin eine Kommission, bestehend aus
den Herren Pelm an, Ungarund mir, beantragt, einen Vorschlag
anszuarbeiten und Sie, m. H., den Verein der Deutschen Medizinal-
beamten, zu bitten, unseren Vorschlag auch zu dem Ihrigen zu
machen. Das ist hiermit geschehen und ich hoffe, dass das Ge¬
wicht unserer Anträge durch Ihre Zustimmung gestützt wird. —
Auch der Leitsatz 3 beschäftigt sich mit den Zeugen. Eis
kann doch leicht der Fall Vorkommen, dass ein Zeuge dm*
Geisteskrankheit verdächtig ist; das Gesetz berechtigt uns aber
nicht, den Zeugen auf seinen geistigen Zustand hin zu untersuchen;
mindestens hat der Zeuge das Recht, sich dem zu widersetzen.
Dabei kann gerade von der Aussage eines solchen Zeugen alles
abhängen. Ich weise nur auf die Fälle hin, in denen etwa eine
Hysterische angibt, sie sei geschlechtlich angegriffen worden.
Bis die Untersuchung stattfindet, wenn eine solche überhaupt
berechtigt ist, können die Sparen eines frischen Eingriffs ver¬
schwunden sein, so dass die Entscheidung, ob das angebliche
Attentat wirklich geschehen ist oder nicht, ganz unmöglich ist.
Hier würde nun die Feststellung, dass es sich um eine Hysterische
handelt, und der weitere Nachweis, dass die Neigung zum Ver-
läumden und zum Erfinden dramatischer Schauerszenen in ihrer
krankhaften Natur begründet sei, leicht den Richter auf den rich¬
tigen Weg weisen können. Diese Feststellung kann aber nicht
bei einer flüchtigen Besprechung geschehen; dazu bedarf es einer
längeren Untersuchung, am besten wohl einer Beobachtung in
einer Irrenanstalt. Ich will gern zugeben, dass diese Mass-
regel so einschneidend ist, dass sich ein erklärlicher Widerstand
dagegen erheben dürfte. Es soll sich ja anch nicht um eine
häufiger anzuwendende, sondern um eine Ausnahmemassregel han¬
deln ; ich glaube deshalb auch, dass gegen den Beschluss der
Einweisung die Beschwerdeberechtigung zugestanden werden muss.
Herr Prof. Dr. Heimberger hatte auf der vorigen Ver¬
sammlung die Befürchtung ausgesprochen, es würde seitens der
Juristen der Vorschlag, obgleich seine Notwendigkeit gewiss in
vereinzelten Fällen zugestanden werden müsste, abgelehnt werden.
Er wies darauf hin, wie man vielleicht die Bedenken der Juristen
Gerichts ärztl. Wünsche in bezng ul die bevorstehende Reform der Str.-Pr.-O. 27
beseitigen könne, wenn wir nns nämlich anf diejenigen Fälle be¬
schränkten, in denen die fragliche Zeugin gleichzeitig die An¬
geberin des angeblichen Verbrechens ist oder diejenige, anf deren
Antrag hin die Strafverfolgung eingeleitet worden ist. Heim¬
bergers Vorschlag scheint mir durchaus zweckentsprechend zu
sein und ich lege Ihnen deshalb in dem Leitsatz 3 eine Fassung
vor, in der wir uns bemüht haben, seiner Anregung Folge zu
leisten und sie mit unseren Wünschen zu vereinigen. Er lautet:
„Gibt der Geisteszustand eines Zeugen zu Be*
denken Anlass, so ist ein Sachverständiger zur
Beobachtung und Begutachtung zu bestellen.
Hat der Zeuge selbst das Verbrechen angezeigt
oder den Antrag auf Strafverfolgung gestellt, so
kann das Gericht zur Vorbereitung eines Gutach¬
tens auf Antrag eines Sachverständigen und nach
Anhörung eines dem Zeugen zur Wahrung seiner
Interessen zu bestellenden oder von ihm gewählten
Bechtsanwalts anordnen, dass der Zeuge in eine
Irrenanstalt gebracht und dort beobachtet werde.
Gegen denBeschluss findet sofortige Beschwerde
statt; diese hat aufschiebende Wirkung. — Die
Verwahrung in der Irrenanstalt darf die Dauer
von sechs Wochen nicht überschreiten.*
Leitsatz 5 zu § 81 (Einweisung eines Angeschul¬
digten in eine öffentliche Irrenanstalt behufs Beob¬
achtung) lautet:
„Falls von dem Gericht oder von dem Angeschul¬
digten ein Obergutachten verlangt wird, kann
von neuem die Einweisung in eine der obergut¬
achtlichen Behörde oder dem als Obergutachter
bestellten Sachverständigen zugängliche Irren¬
anstalt auf die Dauer von höchstens sechs Wochen
beschlossen werden. — Der Beschluss ist mit der
sofortigen Beschwerde anfechtbar; diese hat auf-
schiebende Wirkung.*
Hierzu sind nicht viel Worte zu verlieren. Wir stehen im
allgemeinen auf dem Standpunkte, dass ein psychiatrisches Gut¬
achten nicht abgegeben werden darf ohne persönliche Beobachtung
des Kranken, und dass die Fälle, bei denen, wie bei Verstorbenen,
eine Beobachtung nur aus Akten möglich ist, stets gewisse Bedenken
offen lassen. Gilt das schon für die Fälle der täglichen Praxis,
so erst recht für diejenigen, die unseren höchsten psychiatrischen
Instanzen, den Medizinal-Kollegien und wissenschaftlichen Depu¬
tationen, vorgelegt werden. Non gestattet unsere Gesetzgebung
nicht, die Beobachtung, nachdem die Dauer von sechs Wochen
erreicht ist, zu verlängern oder zu wiederholen; die Aushilfe, die
betreffenden Kranken in einem Untersuchungsgefängnis zu beob¬
achten, entspricht nicht den Anforderungen an die psychiatrische
Sorgsamkeit, die wir bei allen besonders verwickelten und uh-
28
Dr. Aschaffenbnrg.
gewöhnlichen Fällen zu stellen gewohnt sind. Es ist deshalb
unbedingt erforderlich, dass als Ansnahmemassregel die Möglich¬
keit besteht, einen Angeschnldigten zum zweiten Male zu beob¬
achten, wenn es sich nm ein Obergutachten handelt, dessen Aus¬
fall ja nicht selten über Tod und Leben zn entscheiden hat. Der
Wortlaut unserer Forderung entspricht dem § 81, als dessen An¬
hang er gedacht ist. Von medizinischer Seite wird gewiss kein
Widerspruch zn erwarten sein und, ich meine, bei der Wichtig¬
keit der Frage auch kanm von juristischer Seite.
Ich komme nun zu Leitsatz 12 (Fesselung eines Unter¬
suchungsgefangenen), der auch ohne längeren Kommentar
verständlich ist. Er hat folgenden Wortlaut:
„Nach den Gefängnis- und Zuchthausordnungen
pflegt die Fesselung eines Strafgefangenen nur
nach Anhörung des Arztes angeordnet zn werden.
Bei Fesselung eines Untersuchungsgefangenen
ist die Anhörung des Arztes vorgeschrieben. Es
erscheint die Aufnahme einer entsprechenden
Bestimmung im § 116 Str.-P.-O. empfehlenswert.*
Unsere Gefängnis- und Zuchthansordnungeu schreiben vor
der Fesselung eines Strafgefangenen die Anhörung des Arztes
vor, um zu entscheiden, ob der zu Fesselnde gesundheitlich die
Fesselung vertragen kann, oder ob nicht der Anlass, der die
Fesselung notwendig macht, in einer psychischen Erkrankung
liegt. Was bei dem Strafgefangenen Recht ist, müsste doch hei
einem Untersuchungsgefangenen doppelt billig sein, bei dem
nur der Verdacht einer Schuld besteht. Der Strafgefangene er¬
hält bei dem Eintritt in die Strafanstalt eine genaue Hausord¬
nung, in der seine Pflichten, aber auch seine Rechte genau um¬
grenzt sind. Bei den Untersuchungsgefangenen sind diese Haus¬
ordnungen, soweit sie überhaupt bestehen, nicht so sorgfältig
ausgearbeitet. Durch § 116 der Str.-P.-O. ist bestimmt, dass
Fesseln einem Verhafteten nur angelegt werden dürfen, wenn es
wegen besonderer Gefährlichkeit seiner Person, namentlich zur
Sicherung anderer erforderlich erscheint, oder wenn er einen Selbst-
entleibungs- oder Entweichungsversuch gemacht oder vorbereitet
hat. Es ist wohl notwendig, Fürsorge zu tragen, dass auch bei
Untersuchungsgefangenen in jedem einzelnen Falle der Arzt
mitwirkt; er dürfte bei der Gelegenheit wohl manche Feststel¬
lung machen, die bei der Beurteilung der Zurechnungsfähigkeit
von ausschlaggebender Bedeutung sein kann.
Die Kommission zur Reform der Str.-P.-O. (Protokolle, II«
Band, S. 449, Nr. 102) schlägt vor, „dass an die Stelle der im
§ 128 der Str.-P.-O. vorgesehenen Vorführung die Einsen¬
dung der über die Festnahme anfgenommenen Ver¬
handlung tritt, wenn sich der Festgenommene in einem körper¬
lichen Zustande befindet, welcher die Vorführung mit Rücksicht
auf seinen Gesundheitszustand nicht zulässt. In diesem Falle darf
die Vernehmung so lange ausgesetzt bleiben, als von ihr Gefahr
Gerichtsärztl. Wünsche in bezug auf die bevorstehende Reform der 8tr.-Pr.-0. 29
für Leben und Gesundheit des Festgenommenen zu befürchten ist.“
Es wäre wünschenswert, hier noch den Zusatz zu machen,
»deren Vorliegen durch gerichtsärztliche Untersnchnng
festzustellen ist.“ Dieser Zusatz bezweckt nichts weiteres,
als ein Verfahren iestzulegen, dass wohl jetzt schon in der Regel
üblich ist. Im allgemeinen ist es durchaus wünschenswert, dass
sich ein Angeschuldigter nicht durch Berufung auf Krankheit
einer Vernehmung und der Vorführung entzieht und ebenso, dass
das Vorhandensein einer schweren Krankheit amtsärztlich fest¬
gestellt wird.
Leitsatz 14 zu § 186, Absatz 3 und § 273 der Str.-Pr.-O.
(Aufnahme von Aussagen in das Protokoll des Vor¬
verfahrens und der Hanptverhandlnng), geht in seiner
Bedeutung weit über das hinaus, was wir als Aerzte im all¬
gemeinen zu beantragen haben. Den Anlass dazu, uns mit
dieser Frage zu beschäftigen, bot ein Vortrag des H. Kollegen
Ungar auf der Versammlung des Psychiatrischen Vereins der
Rheinprovinz. Ungar wies darauf hin, dass die direkte Rede
in dem Protokoll häufig zu den grössten Schwierigkeiten Anlass
gäbe. Der Sachverständige erklärt einen Mann für idiotisch, der
Richter aber beruft sich darauf, dass, wie die Protokolle ergeben,
in der Voruntersuchung der Angeklagte sich klar und verständig
ansgedrückt habe, und schliesst daraus, dass der Arzt sich habe
täuschen lassen. Wer viel mit Gerichten zu tun gehabt hat,
weiss, wie solche Protokolle zustande kommen. Ich will ans
meine!* eigenen Erfahrung nur einen einzelnen Fall anführen. In
den Akten eines Mädchens, das wegen hochgradigen Schwachsinns
eine Hilfsschule besucht hatte, fand ich wörtlich folgende Aus¬
sage: »Offenbar waren die nachher zu mir geäusserten inkrimi-
nierten Worte noch eine Folge dieser früheren Auseinandersetzung!“
Es ist ja selbstverständlich, dass das Mädchen weder diese Worte,
noch auch Worte ähnlicher Art gebraucht haben kann. Stehen
aber derartige Worte im Gegensatz zu der Auffassung des Arztes,
so wird sich der Richter nur schwer von dem Verdacht frei
machen können, dass der Untersuchte sich dem Arzte gegenüber
anders gibt, als er könnte. Dieser Widerspruch kann uns unter
Umständen erheblich zu schaffen machen, aber — und das ist der
Punkt, an dem nnser Vorschlag allgemeineres Interesse hat —
auch sonst hat sich das scheinbar wörtliche Zitieren für den Gang
der Untersuchung oft als höchst störend erwiesen. Wie mir vor
wenigen Tagen erst ein Mitglied der erwähnten Kommission für
die Reform der Str.-Pr.-O. mitgeteilt hat, haben aus diesem Grunde
im Kreise der Kommission Erörterungen stattgefunden, die indessen
nicht zu einem greifbaren Resultat geführt haben.
Unser Vorschlag ist das Ergebnis der Beratung derselben
3 Herren, die von dem rheinischen Psychiaterverein als Kommission
zur Prüfung der Eidesfrage ernannt worden waren. Die endgültige
Fassung verdankt auch hier wie in vielen anderen Fällen viel
der bessernden Hand des H. Prof. Dr. Heimberger. Wenn
man nicht zu der stenographischen Nachschrift sämtlicher Ver-
80
Dr. AsdurifeHburg.
nehmungen schreiten will, was praktisch und technisch mit den
grössten Schwierigkeiten verbanden wäre, so bleibt kaum etwas
anderes übrig, als die Beschränkung aaf bestimmte wichtige
Aassagen and Fragen bezw. Antworten von erheblicher Trag¬
weite. Es würde ans freuen, wenn ihnen der Wortlaut Zusagen
würde:
„In das Protokoll dürfen als Anssagen in direkter
Bede nnr solche aufgenommen werden, die tat¬
sächlich wörtlich niedergeschrieben sind; die¬
selben sind durch Anführungszeichen als wörtlich
anfgenommene Aussagen zu kennzeichen. Handelt
es sich hierbei um Antworten auf Fragen, so ist
auch der Wortlaut der Frage wörtlich aufzunehmen
und dies ebenfalls durch Anführungzeichen kennt¬
lich zu machen."
Der § 208 stellt fest, unter welchen Umständen die vor¬
läufige Einstellung des Strafverfahrens bei Geistes¬
kranken erfolgen muss. Der Gedanke, der dieser Massregel
zugrunde liegt, ist ein ausserordentlich gesunder. Der Kranke
ist durch seine psychische Erkrankung in der Wahrung seiner
Bechte behindert, und so könnte der Verlauf einer Verhandlung
leicht einen Weg nehmen, der zu einem falschen Ergebnis führen
würde. Diese Wohltat, die dem Kranken erwiesen werden soll,
kann aber auch, wie leicht zu beweisen ist, zu einem erheblichen
Nachteil führen. Sehr häufig ist die Erkrankung, die scheinbar
nach der Tat erst ausgebrochen ist, schon vor der Tat vorhanden
gewesen. Es würde also der Fortgang des Verfahrens oder die
Vernehmung des Sachverständigen im Termin zur Freisprechung
auf Grund des § 51 Str.-G.-B. führen. Statt dessen schwebt das
unterbrochene Verfahren und erweist sich durch die damit ver¬
bundene psychische Angst als ein Hemmnis für die Besserung
oder bewirkt in Fällen eingetretener Genesung einen Bückfall.
Gleiches gilt natürlich auch für solche Fälle, in denen die Er¬
krankung erst tatsächlich nach der Tat ausgebrochen ist. Es
kommt weiter noch hinzu, dass in manchen Fällen an eine Wieder¬
aufnahme des Verfahrens überhaupt nicht wieder gedacht werden
kann, wenn z. B. die Krankheit eine unheilbare ist. Dann hat
das Gericht die Verpflichtung, von Zeit zu Zeit nach dem
Schicksal des Angeklagten sich zu erkundigen; die Beunruhigung
der Familie, die Belästigung der Anstalt kann sich so end¬
los fortsetzen. Es ist deshalb wohl wünschenswert, dass
eine Verhandlung überall da, wo sie, wenn auch unter Beihilfe
eines Sachverständigen, möglich ist, zu Ende geführt wird, und
es ist tatsächlich, wenn ein Sachverständiger zugegen ist, nicht
schwer, eine Benachteiligung des Kranken zu verhindern. Wir
schlagen deshalb vor, dem § 203 die Fassung zu geben:
„Vorläufige Einstellung des Verfahrens kann be¬
schlossen werden, wenn dem weiteren Verfahren
. . . der Umstand entgegensteht, dass der An-
GerichtsärztL Wünsche in bezog auf die bevorstehende Reform der Str.-Pr.-O. 81
geschuldigte nach der Tat in Geisteskrankheit
verfallen ist, die eine Verhandlung als unausführ-
bar erscheinen lässt. In jedem Falle ist ihm von
Amts wegen ein ärztlicher Sachverständiger bei¬
zuordnen, sofern er sich nicht selbst einen solchen
gewählt oder ihn von seinen Angehörigen bestellt
erhalten hat.“
Ein Wort zu § 222 (behindertes Erscheinen eines
Zeugen oder Sachverständigen in der Hauptverhand¬
lung). Er lautet:
„Wenn dem Erscheinen eines Zeugen oder Sachverständigen in der
Haoptverhandlong für eine längere oder angewisse Zeit Krankheit oder
Gebrechlichkeit oder andere nicht za beseitigende Hindernisse entgegonstehen,
so kann das Gericht die Vernehmnng desselben durch einen beauftragten oder
ersuchten Richter anordnen. Dip Vernehmung erfolgt, soweit die Beeidigung
zulässig ist, eidlich."
Auch hier soll unser Vorschlag (Leisatz 17) nichts weiteres
bezwecken, als das jetzige Verfahren festzulegen. Es besteht
darüber ja wohl kein Zweifel, dass weder ein Zeuge, noch ein
Sachverständiger vernommen werden kann, wenn er schwer krank
ist, und dass in allen solchen Fällen der Richter von einer Ver¬
nehmung Abstand nehmen muss. Durch das Einschieben der
Worte „falls nicht die Vernehmung mit Gefahr für den
Franken verbunden ist“, wird die Ausnahme gesetzlich geregelt.
Ganz ähnliches gilt für § 229.
„Gegen einen ausgebliebenen Angeklagten findet eine Hauptverhandlung
nicht statt. Ist das Ausbleiben des Angeklagten nicht genügend entschuldigt,
so ist die Vorführung anzuordnen oder ein Haftbefehl zu erlassen."
Auch hier ist der gleiche Zusatz erforderlich; denn eine
Vorführung wird unbedingt zu unterbleiben haben, wenn sie mit
Gefahr für den Kranken verbunden ist.
Der § 250, Abs. 1 (Verlesen der Gutachten in der
Hauptverhandlung) lautet:
„Ist ein Zeuge, Sachverständiger oder Mitbeschuldigter .... in Geistes¬
krankheit verfallen,.so kann das Protokoll über seine frühere richter¬
liche Vernehmung verlesen werden. Dasselbe gilt von dem bereits verurteilten
Mitschuldigen."
Wir schlagen hier vor, den Zusatz zu machen:
„Zur Verlesung des Protokolls über die Verneh¬
mung eines in Geisteskrankheit Verfallenen ist
ein ärztlicher Sachverständiger zuzuziehen.“
Diesen Zusatz halte ich für unbedingt notwendig. Geistes¬
krankheiten pflegen nicht plötzlich auszubrechen; in den meisten
Fällen geht vielmehr dem scheinbar akuten Beginn ein länger
dauerndes Vorstadium voraus, während dessen wohl der Arzt,
nicht aber der Laie die Krankheit zu erkennen vermag. Wenn
nun bald nach einer Vernehmung ein Zeuge oder Sachverständiger
geisteskrank wird, so werden wir uns der Befürchtung nicht er¬
wehren können, dass schon seine Aussage unter dem Einfluss der
beginnenden Krankheit gestanden habe. Das zu entscheiden, wird,
32
Dr. Asch&ffenburg.
wenn auch nicht stets, doch oft genug der Sachkenntnis des
Fachmannes möglich sein, besonders wenn er die Untersuchung
der Schrift, des Stils, des Aensseren etwa vorhandener Schrift¬
stücke hinzazieht. Deshalb unser Vorschlag, der ein Verfahren
obligatorisch machen soll, zu dem wohl ein verständiger Richter
auch aus eigener Initiative greifen wird.
§ 411 der Str.-P.-O. (Wiederaufnahme eines durch
rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens
bei inzwischen Verstorbenen oder in Geisteskrankheit
verfallenen Personen) hat folgenden Inhalt:
„Ist der Verurteilte bereits verstorben, so hat ohne Erneuerung der
Eauptverhandlung das Gericht nach Aufnahme des etwa noch erforderlichen
Beweises entweder die Freisprechung zu erkennen oder den Antrag auf Wie¬
deraufnahme abzulehnen. Auch in anderen Fällen kann das Gericht, bei
öffentlichen Klagen jedoch nur mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft, den
Verurteilten sofort freisprechen, wenn dazu genügende Beweise bereits vor¬
liegen.“
Dieser Paragraph bezieht sich auf die Verhandlungsfähigkeit;
dieselben Wünsche, die wir schon früher bei dem § 203 geltend
gemacht haben, tauchen auch hier auf. Wenn es sich bei einem
Verurteilten herausstellt, dass die Tat in einem Zustande geistiger
Störung geschehen ist, oder wenn sich sonst ein Grund zur
Wiederaufnahme findet, so erfordert das Interesse des Kranken
die baldige Erledigung des Prozesses. Nichts kann für seinen
Zustand schädlicher sein, wie die Spannung, in die begreiflicher
Weise ein schwebender Prozess versetzen muss, und deshalb ist
ein Urteil, selbst ein ungünstiges, besser wie das schwebende
Verfahren. Ich habe im ganzen nur zweimal erlebt, dass die
Gerichte von dem § 411 Gebrauch gemacht haben undohne Ver¬
handlung auf Freisprechung erkannten. In Fällen fortgeschrit¬
tenen Greisenblödsinns, in denen eine Besserung und damit eine
Verhandlungsfähigkeit ausgeschlossen ist, würde ohne den § 411
die Wiederaufnahme des Verfahrens und die Freisprechung nicht
möglich sein. Es geht wohl nicht an, mehr wie den Wunsch
auszusprechen, dass die Gerichte häufiger von dem Paragraphen
Gebrauch machen. Wir haben in unserem Leitsatz die Möglich¬
keit vorgesehen, auch schon dann den § 411 anzuwenden, wenn
eine Wiederherstellung in absehbarer Zeit nicht zu
erwarten ist. Die Prognose der geistigen Störungen ist im
allgemeinen, wie wir ja leider zugeben müssen, recht unsicher,
der Verlauf in der Regel ein ausserordentlich schleppender; Grund
genug, um nicht in jedem Falle das Verfahren deshalb weiter
schweben zu lassen, weil wir noch immer auf eine Wiederher¬
stellung hoffen.
Noch aus einem anderen Grunde müssen wir uns mit dem
Paragraphen beschäftigen. Die Kommission für die Reform der
Str.-P.-O. (Protokolle, 2. Bd., S. 549, Nr. 240) hat zu § 411 einen
Zusatz gewünscht, des Inhalts: „dass gegen den Willen des
Kranken eine Freisprechung ohne Hauptverhandlung oder eine
Ablehnung nicht erfolgen dürfe/ Dieser Zusatz wäre für unsere
Gerichts ärztL Wünsche in bezog aof die bevorstehende Reform der Str.-Pr.-O. 83
Kranken nicht erforderlich gewesen; wenn er aber znr Einführung
kommt, so muss natürlich der Eigenart unserer Kranken ent¬
sprechend an ihre Stelle der Vormund oder ein Pffeger treten, so
dass der Leitsatz folgende Gestalt bekommen würde:
„Ist der Verurteilte bereits verstorben oder in
Geisteskrankheit verfallen und seine Wiederher¬
stellung in absehbarer Zeit nicht zu erwarten, so
hat ohne Erneuerung der Hauptverhandlung das
Gericht.entweder die Freisprechung zu
erkennen oder den Antrag auf Wiederaufnahme
abzulehnen. Das Urteil soll ohne Erneuerung der
Hauptverhandlung gegen den Willen des Ver¬
urteilten, sowie bei Geisteskranken gegen den
Willen des Vormundes oder Pflegers eines ver¬
urteilten Geisteskranken nicht mehr zulässig
sein.“
Der § 503, Abs. 2 (Erstattung der Auslagen seitens
der Verurteilten bei Privatklagen) soll eine kleine Ver¬
änderung bekommen, die uns durchaus billig und angemessen
erschien. Wenn heute jemand einen Antrag auf Strafverfolgung
stellt, und der Täter wird wegen Geisteskrankheit trotz zweifellos
bestehender objektiver Schuld freigesprochen, so hat der Antrag¬
steller die Kosten des Verfahrens, sowie die dem Angeschuldigten
erwachsenen notwendigen Auslagen zu decken. Wenn sich also
jemand der Beleidigungen eines Querulanten erwehren will, oder
eine Körperverletzung, einen Hausfriedensbruch, eine Sachbeschädi¬
gung eines Epileptikers zur Anzeige bringt, so hat er ausser dem
Schaden noch die zuweilen ganz erheblichen Kosten zu tragen.
Das ist unrecht; daraus ergibt sich unser Antrag von selbst
Er lautet:
„Wird der Beschuldigte auf Grund des § 51 Str.-G.-B.
ausser Verfolgung gesetzt oder freigesprochen,
so kann das Gericht den Privatkläger nach Be¬
findender Umstände von der Tragung der Kosten
ganz oder teilweise entbinden.“
Ich komme nunmehr zur Strafvollstreckung, §§ 485,
Abs. 2 und 487 der Str.-Pr.-O. Sie lauten:
§ 485, Abs. 2. „An Geisteskranken darf ein Todesurteil nicht voll¬
streckt werden.“
g 487. „Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe ist aufzuschieben, wenn
der Verurteilte in Geisteskrankheit verfällt.“
Dass ich bei diesem Paragraphen überhaupt Wünsche äussere,
darf ich mit zwei persönlichen Erlebnissen begründen. In dem
ersten Falle handelte es sich um einen Epileptiker, der nach der
Ueberzeugung der sämtlichen Sachverständigen seine Tat — er
hatte zweimal zwei Kinder ermordet nnd zerstückelt — in einem
Zustand geistiger Störung begangen hatte. Trotzdem wurde er
von den Geschworenen verurteilt und sollte hingerichtet werden.
Gegen die Hinrichtung wäre auf Grund des § 485 kein Wider-
8
84
Dr. Aschaffenburg.
sprach zu erheben gewesen, da die Epilepsie, wenigstens bei
seltenen Anfällen, nicht als eine Krankheit in dem Sinne des Para*
graphen gelten kann. Die Erregung der Vorbereitung znr Hin¬
richtung löste bei dem Manne einen schweren epileptischen Anfall
aus, so dass die Hinrichtung verschoben und Gelegenheit gegeben
wurde, ein Wiederaufnahmeverfahren in Gang zu bringen. Wie
aber, wenn der Staatsanwalt über das Bestehen der Krankheit
anderer Ansicht gewesen wäre, wie die Aerzte? Wer hat dann die
Entscheidung P Dem Gesetz nach zweifellos die Staatsanwaltschaft
als Strafvollstreckungsbehörde. Hier ist unverkennbar eine Lücke;
denn wenn wir uns auch als Aerzte kein WiderspruchBrecht an-
massen dürfen, so darf doch auch anderseits die Fehlerquelle, die
in dem Misstrauen manches Staatsanwalts gegen ärztliche Gut¬
achten besteht, nicht ohne Korrektur bleiben.
Der zweite Fall war folgender: Ein Mann hatte mit seinem
Bruder einen Einbruchsdiebstahl begangen. Er wurde verurteilt;
es wurde aber Revision eingelegt, so dass zwischen der Tat und der
endgültigen Verurteilung eine längere Zeit verstrich, in der sich
die Zeichen einer schweren geistigen Erkrankung bemerkbar
machten. (Später stellte sich heraus, dass es sich um eine be¬
ginnende Gehirnerweichung gehandelt hatte.) Der Staatsanwalt
wünschte die Strafvollstreckung, die Aerzte erklärten, der Mann
sei geisteskrank. Der Staatsanwalt aber, der die Erkrankung
nicht für glaubhaft hielt und an Simulation dachte, liess den
Kranken aus der Irrenanstalt, sowie er etwas ruhiger geworden
war, in die Strafanstalt überführen, von wo er allerdings sehr
bald wieder in die Irrenanstalt zurückgeführt werden musste.
Bei solchen Meinungsverschiedenheiten muss die Möglichkeit
gegeben sein, die Entscheidung einer höheren Instanz anzurufen.
Steht auch das Obergutachten auf demselben Standpunkte wie das
Gutachten der ersten Aerzte, so dürfte wohl die Entscheidung
der Strafvollzugsbehörde anheimgegeben werden. Wir haben des¬
halb uns mit der Forderung begnügt, ein Obergutachten einzu¬
holen, und schlagen zu den §§ 485, Abs. 2 und 487 den Zusatz vor:
„Steht die Auffassung der Strafvollzugsbehörde
Über das Vorliegen einer Geisteskrankheit oder
das Vorhandensein einer nahen Lebensgefahr mit
der Auffassung der Sachverständigen in Wider¬
spruch, so ist ein Obergutachten einer kolle¬
gialen Fachbehörde einzuholen.“
Zum Schlüsse noch einige Worte zu dem vorletzten Leitsatz
(Anrechnung der Dauer des Aufenthalts eines geistes¬
kranken Strafgefangenen in einer Irrenanstalt auf die
Strafzeit), der zum Teil von Herrn Prof. Dr. Heimberger
besprochen werden wird. Ich habe nur die medizinischen Gründe
anzuführen, die eine Reform des § 493 der Str.-P.-O. wünschens¬
wert erscheinen lassen. Er lautet:
„Ist der Verurteilte nach 1 Beginn der Strafvollstreckung wegen Krank*
heit in eine von der Strafanstalt getrennte Krankenanstalt gebracht worden.
Gerichts&rztl. Wünsche in bezug auf die bevorstehende Reform der Str.-Pr.-O. 86
so ist die Däner des Aufenthalts in der Krankenanstalt in die Strafzeit ein¬
zurechnen, wenn nicht der Verurteilte mit der Absicht, die Strafvollstreckung
zu unterbrechen, die Krankheit herbeigeftthrt hat.
Die Staatsanwaltschaft hat in letzterem Falle eine Entscheidung des
Gerichts herbeizuftthren.“
Die Zentralstelle für die Gefangenen - Fürsorge der Provinz
Brandenburg hat den Antrag gestellt, dass dieser Paragraph auch
auf Geisteskranke Anwendung finden soll. Ich persönlich muss
gestehen, dass ich das eigentlich für selbstverständlich ansehe,
aber dem ist leider nicht überall so. In Württemberg z. B. wird
die Zeit angerechnet, in Prenssen bei kürzerer Dauer, bei Frauen
auch bei erheblicherer Dauer der Krankheit ebenfalls, nicht aber
bei Männern, bei denen die Strafe noch lange dauert; dann
wird der Strafvollzug unterbrochen. Wozu das führt, kann
ich an einer Reihe von Fällen dartun, von denen ich nur einen
hervorheben will. Es handelt sich um einen Mann, der im
Jahre 1894 zu einer sechsjährigen Zuchthausstrafe verurteilt
wurde. Zweimal wurde die Strafe unterbrochen; sobald sich
der Zustand in der Irrenanstalt einigermassen wieder gebessert
hatte, wurde der Strafvollzug wieder aufgenommen, so dass
bis zum Strafende 11 Jahre vergingen. In einem anderen Falle,
wo der Kranke, ein Paranoiker, nach seiner Entlassung aus der
Irrenanstalt, ohne Aufsehen zu erregen, in einem kleinen Orte
arbeitete, wurde der Bürgermeister des Ortes um eine gutacht¬
liche Aeusserung über den Zustand gebeten, und der Mann, als
ihn der Börgermeister für gesnnd erklärte, ins Zuchthaus zurück¬
gebracht, wo natürlich die Krankheit sofort wieder in vollem
Umfange ausbrach, und die Ueberführung in die Irrenanstalt von
neuem notwendig wurde.
Ein solches Verfahren widerspricht meines Erachtens dem
§ 493 und sicher sowohl dem Interesse des Kranken, wie des
Strafvollzuges. Auch die Kommission für die Strafprozessreform
hat sich mit dieser Frage beschäftigt. Einzelne Mitglieder waren
der Ansicht, dass nach geltendem Rechte Anrechnung der in einer
Irrenanstalt verbrachten Zeit erfolgen müsse. Die überwiegende
Mehrheit aber war der Ansicht, dass es „bedenklich sein würde,
das geltende Recht im Sinne einer obligatorischen Anrechnung des
Krankenhausanfenthaltes abzuändern. Dies verbiete sich schon
deshalb, weil sich dann die jetzt bereits grosse Zahl der
Gefangenen, die Geisteskrankheit simulieren, um in eine
Irrenanstalt überführt zu werden und dort einer weniger strengeren
Zucht und Aufsicht unterworfen zu sein, noch erheblich steigern
würde.
Ich muss gestehen, dass mich diese Anschauung im höchsten
Masse verblüfft hat. Ich hatte mich immer der Hoffnung hin¬
gegeben, es sei allmählich auch in die Kreise der Richter die
Ueberzeugung eingedrungen, dass die Zahl der Simulanten ausser¬
ordentlich gering sei. Wir Irrenärzte haben uns doch allmählich
alle überzeugen müssen, dass zielbewusstes Simulieren, vor allen
Dingen längere Zeit fortgesetztes Vortäuschen geistiger Er¬
krankung, zu den höchsten Seltenheiten gehört, und hier wird nun
8*
36
Dr. Aschaffenbnrg.
von einer grossen Anzahl von Simulanten als von einer fest¬
stehenden Tatsache gesprochen! Dagegen muss unbedingt pro¬
testiert werden. Damit soll nicht gesagt werden, dass die Wohltat
des § 493 auch demjenigen zuteil werden soll, der tatsächlich,
vielleicht um leichter entweichen zu können, versucht, seine Ueber-
führung in eine Irrenanstalt durch Simulation zu erreichen. § 493
schliesst die Anrechnung in die Strafdauer aus, wenn der Verurteilte
die Krankheit mit der Absicht herbeiführt, die Strafvollstreckung
zu unterbrechen. Man kann die Simulation nicht gut als Krankheit
bezeichnen, und deshalb haben wir vorgeschlagen hinzuzufügen:
„oder seine Verbringung in die Krankenanstalt.“ Damit fällt der
Einwand, den man der Simulanten wegen gemacht hat, weg, der
Einwand, den ich nur für Ausnahmefälle zugeben kann.
Wichtiger scheint mir ein anderes Bedenken der Kommission.
Sie meint, die Anrechnung der in einer Irrenanstalt verbrachten
Zeit würde „zu einer unbilligen Benachteiligung derjenigen geistes¬
kranken Gefangenen führen, die nicht als gemeingefährlich zu er¬
achten seien und deshalb nicht in einer Irrenanstalt untergebracht,
sondern sich selbst und ihrer Familie überlassen würden; denn
bei denen könnte eine Anrechnung der verbrachten Zeit nicht in
Frage kommen.“ Wenn es sich um geisteskranke Verbrecher
handelt, wird man wohl selten die Gemeingefäbrlichkeit als aus¬
geschlossen betrachten, so dass eine Entlassung in die Freiheit zu
den grössten Ausnahmen gehören wird; von der Strafanstalt aus
habe ich das nur ein einziges Mal erlebt. Eine Entlassung in die
Freiheit ist aber keine Freiheitsentziehung und es wird deshalb
billigerweise niemand das Verlangen stellen, dass auch in solchen
Fällen eine Anrechnung stattfinde.
Das, wogegen wir uns wehren wollen und wehren müssen,
ist der jetzige Zustand, nach dem ein Kranker zwei-, dreimal und
mehr wie eia Spielball zwischen Strafanstalt und Irrenanstalt hin-
und hergeworfen wird, dass der Strafvollzug unterbrochen, wieder
aufgenommen, von neuem unterbrochen, von neuem aufgenommen
wird; und deshalb haben wir den Leitsatz aufgestellt, der einen
Zustand gesetzlich festlegt, der in einzelnen Bundesstaaten, dem
Wortlaut des bisherigen Paragraphen entsprechend, bereits an¬
gewendet wird. Der Leitsatz lautet:
„Ist der Verurteilte nach Beginn der Strafvoll¬
streckung wegen Krankheit in eine von der Straf¬
anstalt getrennte Krankenanstalt gebracht worden,
so ist die Dauer des Aufenthalts in der Kranken¬
anstalt in die Strafzeit einzurechnen, wenn nicht
der Verurteilte mit der Absicht, die Strafvoll¬
streckung zu unterbrechen, die Krankheit oder
seine Verbringung in die Krankenanstalt herbei¬
geführt hat. Dies gilt auch für solche Verurteilte,
welche wegen Geisteskrankheit in eine Irren-
Anstalt gebracht werden.“
M. H.! Ich bin am Schlüsse! Gestatten Sie mir, mich noch
iit einem allgemeinen Bedenken zu befassen, das mir verschieden!-
OerichtsärztL Wünsche in bezug auf die bevorstehende Reform der Str.-Pr.-O. 87
lieh begegnet ist, dem nfimlich, ob wir uns als Aerzte überhaupt
mit Gesetzesvorschlägen befassen dflrfen. Wäre es nicht vielleicht
besser, einfach unsere Wünsche zu änssern, ohne ihnen irgend
eine genaue Fassung zu geben, and dieses den Juristen za über¬
lassen P Ich glaube nicht! Ich stehe auf dem Standpunkte des
Prof. v. Liszt, der es für eine „Ehrenpflicht der Wissenschaft“
hält, „den Fortschritten der Gesetzgebung die Bahn zu ebnen
und zu weisen; dass aber fruchtbringende Erörterung nur auf dem
Boden bestimmter, greifbarer Vorschläge möglich ist.“ Der Vor¬
schläge haben wir genug gemacht; wir wollen hoffen, dass sie
zum Ziele führen, zum Besten der unserem Schatze Befohlenen,
unserer Kranken!
(Lebhafter Beifallt)
H. Prof. Dr. Heimberger-Bonn: M. H.! Von den aufgestellten
Leitsätzen haben die Herren medizinischen Referenten mir einige
zur fast ausschliesslichen Erörterung überlassen, die Leitsätze 1,
10, 22 und 23. Ich will sofort die Besprechung dieser 4 Leit¬
sätze in Angriff nehmen. Der erste Leitsatz lautet:
„Es wird gewünscht, dass auch die Aerzte vor ihrer
Vernehmung über ihr Recht zur Verweigerung
des Zeugnisses belehrt werden.“
Dieser Leitsatz hat seine Vorgeschichte in der Zivilprozess¬
ordnung und in den Protokollen der Strafprozesskommission. Im
§ 383 Z.-Pr.-O. sind u. A. in Ziff. 4 und 5 als zeugnisverwei-
gerernngsberechtigte Personen erklärt „Geistliche in Ansehung
dessen, was ihnen bei der Ausübung der Seelsorge anvertraut
ist“, ferner „Personen, welchen kraft ihres Amtes, Standes oder
Gewerbes Tatsachen anvertraut sind, deren Geheimhaltung durch
die Natur derselben oder durch gesetzliche Vorschrift geboten
ist, in Betreff der Tatsachen, auf welche die Verpflichtung zur
Verschwiegenheit sich bezieht“. „Die Vernehmung der Nr. 4, 5
bezeichnten Personen ist, auch wenn das Zeugnis nicht verweigert
wird, auf Tatsachen nicht zu richten, in Ansehung welcher erhellt,
dass ohne Verletzung der Verpflichtung zur Verschwiegenheit ein
Zeugnis nicht abgelegt werden kann.“
Im Zivilprozess darf also die Vernehmung des Arztes —
dieser hat hier für uns allein Interesse — auf solche augen¬
scheinlich unter das Berufsgeheimnis fallende Dinge von vornherein
nicht gerichtet werden.
Die Strafprozesskommission (Protokolle n, S. 206) fand nun,
dass im Strafprozess eine ähnliche Beschränkung Platz greifen
müsse und beschloss, zunächst hinsichtlich der Geistlichen, dass
„von der Vernehmung der Geistlichen die Tatsachen ausgeschlossen
sein sollen, die ihnen bei Ausübung der Seelsorge anvertraut
sind“, ferner „dass die Geistlichen vor ihrer Vernehmung über
diese Beschränkung des Gegenstandes der Vernehmung belehrt
werden sollen.“ Bezüglich der Aerzte war gleichfalls beantragt
worden, dass auch auf sie die in Ansehung der Geistlichen be-
88
Dr. Heimberger.
schlossenen Vorschriften, betreffend die Beschränkung des Gegen¬
standes ihrer Vernehmung und die Belehrung über diese Be¬
schränkung auszudehnen Bei (S. 207). Dieser Antrag fand jedoch
nicht den Beifall der Kommission. Die Kommission fürchtete fol¬
gendes: Wenn die Vernehmung des Arztes von vornherein sich
nicht erstrecken dürfe auf das ihm in Ausübung seines Berufs
Anvertraute und wenn der Arzt überdies vor jeder Vernehmung
über diese Beschränkung belehrt werden müsse, so gebe der
Strafrechtspflege das in vielen Fällen überaus wertvolle Wissen
des Arztes nahezu völlig verloren. Die Aerzte würden vor Ge¬
richt im wesentlichen nur noch als Sachverständige in Betracht
kommen und auch in dieser Beziehung würden ihre Bekundungen
durch die beantragte Vorschrift an Wert erheblich verlieren, da
das Sachverständigengutachten mehr oder weniger mit den Zeugen¬
vernehmungen Zusammenhänge und sich von diesen nur schwer i
trennen lasse.
Es hat sich bei Aufstellung unserer Leitsätze gefragt, ob
nicht der Auffassung der Strafprozesskommission entgegenzutreten
sei und ob man nicht den Wunsch aussprechen solle, es möge
das, was bezüglich der Geistlichen bestimmt worden ist, auch
auf die Aerzte ausgedehnt werden. Der Arzt, so sagten wir uns,
hat ja freilich das Hecht der Zeugnisverweigerung; aber wenn
er das Zeugnis über einen gewissen Punkt verweigert, so ist auch
dadurch schon über diesen Punkt etwas gesagt, nämlich, dass der
Arzt etwas wisse, und natürlich etwas, was zu Ungunsten der
betreffenden Person spricht; sonst würde er ja wohl die Aussage
nicht verweigern. Dadurch lässt sich möglicherweise der Richter,
wenn auch nicht mit Absicht, so doch vielleicht unbewusst in
seinem Urteil beeinflussen. Trotzdem waren Ihr Vorstand und
die Referenten der Meinung, dass die Befürchtung der Strafpro¬
zesskommission der Begründung nicht entbehre, dass tatsächlich
die Erforschung der Wahrheit zu Gunsten wie zu Ungunsten des
Beschuldigten über Gebühr erschwert werde, wenn von vornherein
die Vernehmung des Arztes die angegebene Beschränkung erfahre.
Auch dürfe die Berufung auf die Zivilprozessordnung nicht mass¬
gebend sein, da es sich im Strafprozess um viel wichtigere Rechts-
güter handle als im Zivilprozess, und dass im letzteren andere
Beweismittel (Eid) zur Verfügung ständen als im Strafprozess 1 ).
— Das Berufsgeheimnis des Arztes ist nach unserer Meinung
hinreichend gedeckt durch das ZeugnisverweigerungBrecht. Der
Arzt braucht sich dieses Rechtes nur zu bedienen.
Aber etwas sollte, damit die betreffende Bestimmung der
Z.-Pr.-O. nicht bedeutungslos wird, noch geschehen: Es sollte,
wie der Leitsatz 1 vorschlägt, der Arzt über das Recht der
Zeugnisverweigerung vor der Vernehmung belehrt werden. Bei
gesetzeskundigen Aerzten, wie z. B. bei den Gerichtsärzten, wäre
dies ja nicht notwendig; aber bei anderen Aerzten kann die Unter¬
lassung der Belehrung dazu führen, dass die wohlwollende Be-
*) So im Anschluß an die Protokolle, II, S. 208.
GerichtsärztL Wünsche in besag saf die bevorstehende Reform der Str.-Pr.-O. 89
Stimmung des Gesetzes jede Bedeutung verliert) insofern als der
gesetzesunkundige Arzt dem fragenden Richter gegenüber zur
Antwort verpflichtet zu sein glaubt, während das Gesetz ihn von
der Antwort entbindet. Das Gesetz schweigt von der Belehrung
des Arztes sicher nicht etwa deswegen, weil es hofft, der Gesetzes¬
unkundige werde dem Richter in die Falle gehen und Geheimnisse
offenbaren, sondern weil es glaubt, der Arzt werde schon von
selbst wissen, dass und wann er das Zeugnis verweigern könne.
Wenn aber diese Voraussetzung, wie mir versichert wird, nicht
durchweg zutrifft, warum soll es dann nicht angebracht sein, den
Arzt jedesmal noch ausdrücklich zu belehren? Er wird dadurch
nur dem Willen des Gesetzes, den Arzt nicht zur Aussage zu
zwingen, zur Durchführung verholten.
Ich darf daher wohl annehmen, dass niemand von Ihnen Be¬
denken tragen wird, unserem ersten Leitsatz zuzustimmen.
Der Leitsatz 10 (Beschlagnahme von Krankenjour¬
nalen usw.) enthält eine Zustimmung zu einem der Kommissions-
beechlüsse. Es handelt sich hier um Folgendes:
Nach § 97 Str.-Pr.-O. unterliegen schriftliche Mitteilungen
zwischen dem Beschuldigten und den zeugnisverweigerungsberech¬
tigten Personen, also z. B. dem Arzt, der Beschlagnahme nicht,
falls sie sich in den Händen der letzteren Personen befinden und
diese nicht einer Teilnahme usw. verdächtig sind. Nehmen Sie
an, eine Frau, die abgetrieben hat, ruft schriftlich unter Schil¬
derung ihres Zustandes einen ihr befreundeten Arzt. Bei einer
strafrechtlichen Untersuchung gegen die Frau darf die in den
Händen des Arztes befindliche schriftliche Mitteilung nicht mit Be¬
schlag belegt werden. — Nun nehmen Sie den Fall so: Die Frau
geht persönlich zum Arzt und dieser trägt ihre Mitteilungen und
das Ergebnis der Untersuchung in sein Krankenjouraal ein. Da es
sich hier nicht um eine schriftliche Mitteilung der Beschuldigten an
den Arzt handelt, so kann nach geltendem Recht das Krankenjour¬
nal mit Beschlag belegt werden. Es kann zwar der Arzt nach § 95,
Abs. 2 nicht durch Geldstrafe und Haft zur Herausgabe gezwungen
werden, aber man kann ihm das Journal wegnehmen. Die Prozess¬
kommission hielt dies für ungerechtfertigt; denn warum sollen
schriftliche Mitteilungen der Beschuldigten an den Arzt anders
behandelt werden als mündliche Mitteilungen, die der Arzt dann
schriftlich niedergelegt hat? Sie werden dieser dem Interesse
der Aerzte Rechnung tragenden Auffassung der Kommission gewiss
zustimmen und daher den Leitsatz 10 annehmen.
Zu Ihrer Orientierung über die Bedeutung des vorhin an¬
gezogenen § 95 darf ich vielleicht noch folgenden Falles gedenken:
Sie sind im Besitz von Resten eines von einer Frauensperson
herbeigeführten Abortus. Der Staatsanwalt möchte zum Zwecke
der Ueberführung der Frauensperson diese Reste in Verwahrung
nehmen. Hier ist es zwar möglich, bei Ihnen eine Haussuchung
und zwangsweise Wegnahme des Gegenstandes zn veranlassen,
aber ein physischer Zwang zur Herausgabe mit Geldstrafe und
40
Dr. Heimberger.
Haft ist gegenüber dem Arzt, als einer zur Zeugnisverweigerung
berechtigten Person, nicht zulässig.
Bei Leitsatz 22 (Berechnung der Strafzeit bei
Geisteskrankheit) handelt es sich um eine Bestimmung, be¬
züglich deren schon die Zentralstelle für das Gefangenen - Für¬
sorgewesen der Provinz Brandenburg am 11. März 1905 sich vor¬
sorglich an die Strafprozesskommission gewandt hat, aber leider
ohne Erfolg. Unser Vorschlag bezieht sich auf § 493 der Str.-
Pr.-O., welcher lautet:
Ist der Verurteilte nach Beginn der Strafvollstreckung wegen Krankheit
in eine von der Strafanstalt getrennte Krankenanstalt gebracht worden, so ist
die Dauer des Aufenthalts in der Krankenanstalt in die Strafzeit einzurechnen,
wenn nicht der Verurteilte mit der Absicht, die Strafvollstreckung zu unter¬
brechen, die Krankheit herbeigefiihrt hat.“
In der Praxis, besonders in der preussischen, wird hier ein
Unterschied gemacht, je nachdem es sich um Geisteskrankheit
oder, wenn ich diese Gegenüberstellung machen darf, um körper¬
liche Krankheit handelt (Geisteskrankheit ist ja schliesslich auch
nur eine im Körper begründete Krankheit). Bei körperlicher
Erkrankung zählt der Aufenthalt in der Krankenanstalt als Straf¬
zeit, bei nicht ganz vorübergehender geistiger Erkrankung wird
der Strafvollzug ausgesetzt und der Aufenthalt in der Irrenanstalt
nicht in die Strafzeit eingerechnet. Zu welchen Zuständen dies
führt, hat Ihnen H. Prof. Dr. Aschaffenburg auseinandergesetzt
Die Strafprozesskommission (Protokolle II, S. 293—295) hat das
Verfahren für berechtigt erklärt und sich für die Möglichkeit
ihrer Auffassung auf die Entstehungsgeschichte des Gesetzes be¬
rufen. Ich halte zum mindesten das letztere für unzutreffend.
Die Entstehungsgeschichte des Gesetzes zeigt nämlich mit
aller wünschenswerten Deutlichkeit, dass Geisteskrankheit und
körperliche Krankheit hier sich durchaus gleich stehen sollen. In
der zur Beratung des Entwurfs der Strafprozessordnung einge¬
setzten Beichstagskommission schlug bei der I. Lesung der Abg.
Dr. Zinn folgenden § 411a vor: 1 )
„Ist der Verurteilte nach bereits begonnener Strafzeit wegen körperlicher
oder Geisteskrankheit in eine von der Strafanstalt getrennte Krankenanstalt
gebracht worden, so ist ihm die Dauer des Aufenthalts in der Krankenanstalt
in die Strafzeit einzurechnen, wenn nicht die Krankheit eine selbstverschul¬
dete ist.“
Dieser Antrag wurde angenommen. — Bei der 2. Lesung*)
kam zu dem nunmehrigen § 414b ein Antrag Becker: a) die
Worte „körperlicher oder Geistes-“ zu streichen, b) die Schluss¬
worte durch die Worte zu ersetzen „wenn nicht der Verurteilte
mit der Absicht, die Strafvollstreckung zu unterbrechen, die
Krankheit herbeigeführt hat.“ Dieser Antrag wurde in seinen
beiden Teilen angenommen. Wenn hier die Worte „körperlicher
oder Geistes-“, nämlich -Krankheit gestrichen wurden, so geschah
dies offenbar deswegen, weil man es für selbstverständlich hielt,
*) Hahn: Materialien zur Str.-Pr.-O., 1. Abt., 2. Aufl., 1886, S. 1183.
*) Ebenda, 2. Abt., S. 1464/66.
Gerichte ärztL Wünsche in bezug auf die beyorstehende Reform der Str.-Pr.-O. 41
dass mit dem einfachen Worte Krankheit sowohl die Geistes- wie
die Körperkrankheit getroffen sei, nnd doch nicht etwa deshalb,
weil man unter „Krankheit“ jetzt nnr eine körperliche Krankheit
hätte verstehen wollen.
Der Bandesrat beschloss den Paragraphen zu streichen 1 )
und zwar aus dem Grunde, weil er in ein Strafvollzugsgesetz,
nicht in die Strafprozessordnung gehöre. Auf die hier einschlägigen
Aeusserungen des Geh. Ober-ßeg.-Rats Hanauer erklärte der
Abg. ßeichensperger*):
„In Preußen bestehe das Strafgesetzbuch schon seit Menschenaltern,
aber ein Gesetz über den Strafvollzug fehle. Das Obertribunal habe sich
Öfters mit der Präge beschäftigt, ob, wenn ein Gefangener in eine Irrenanstalt
gebracht werde, ihm die in dieser Anstalt zngebrachte Zeit anzurechnen sei.
Das Obertribunal habe diese Frage bejaht. Wenn die geisteskranken Gefangenen
in die Irrenanstalt gebracht würden, so seien sie ja nicht frei, sie blieben unter
Ueberwachung der Direktion, die Strafe würde an ihnen vollstreckt. Jedenfalls
müsse also die Zeit in der Krankenanstalt eingerechnet werden. Immer sei
ja der Ausweg gegeben, daß die Exekutivbehörde eine zeitweise Entlassung
eintreten lasse.“
Das letzte Sätzchen ist die einzige, noch dazu ganz neben¬
her gemachte Aeusserung über die Unterbrechung des Strafvoll¬
zugs bei Geisteskranken. Sicher dachte Abg. ßeichensperger
hier nur an Ausnahmefälle. Der Bundesratskommissar Hanauer
hatte sachliche Einwendungen gegen den Paragraphen nicht zu
machen, der Reichstag blieb daher bei dem Vorschlag der Kom¬
mission, und schliesslich stimmte ihm auch der Bundesrat zu.
Aus dieser Entstehungsgeschichte des § 493 ergibt sich
doch mit aller Deutlichkeit, dass kein Unterschied zwischen
geistiger und körperlicher Krankheit gemacht werden solle.
Uebrigens, wenn die Entstehungsgeschichte uns auch nicht
zu diesem, wie ich meine, zweifellosen Ergebnis kommen liesse,
so mttsste man einfach auf Grund des Wortlautes des Gesetzes
zu dieser Ueberzeugung kommen. § 493 spricht schlechtweg von
Krankheit, welche die Unterbringung in eine Krankenanstalt ver¬
anlasst. Die Art der Krankheit ist gleichgiltig. Wenn man den
Aufenthalt in einem Spital für einen genügenden Ersatz der
Freiheitsstrafe ansieht, warum nicht auch jenen in einer Irren¬
anstalt, wo die Ueberwachung und Freiheitsbeschränkung der
Natur der Sache nach eine viel schärfere ist, als in einer anderen
Krankenanstalt? Und ist der Geisteskranke durch sein Geschick
nicht mindestens ebenso gestraft wie der körperlich Kranke P
Es bedürfte daher, bei Licht betrachtet, der § 493 gar keiner
Abänderung, sondern nur der richtigen Anwendung. Da aber
tatsächlich verschiedene Auffassungen über die Bedeutung des
Paragraphen zutage getreten sind, sollten alle Zweifel durch die
vorgeschlagenen Worte in Zukunft beseitigt werden.
Dass die Anrechnung des Aufenthalts in der Irrenanstalt
bei Simulanten nicht stattfindet, versteht sich von selbst. Der
vorgeschlagene Leitsatz enthält überdies die Bestimmung, dass
l ) Hahn: a. a. 0., S. 1464, 1622, 1676.
*) Ebenda, S. 1676.
42
Dr. Heimbeiger.
die Anrechnung: nur erfolge, wenn nicht der Verurteilte mit der
Absicht, die Strafvollstreckung zu unterbrechen, die Krankheit
oder seine Verbringung in die Krankenanstalt herbei-
fährt. Die letzteren Worte kommen hier in Betracht; der Simu¬
lant führt nicht die Krankheit, sondern nur seine Verbringung in
die Krankenanstalt herbei.
Was die übrigen Leitsätze anbelangt, so scheinen mir die
von den Herren medizinischen Referenten in denselben ausge¬
sprochenen Wünsche durchweg sachgemäss. Ich möchte mir nur
zu einzelnen derselben eine kurze Bemerkung erlauben.
Leitsatz 3 betrifft die Unterbringung eines Zeugen
zur Beobachtung in die Irrenanstalt, wenn sein Geistes¬
zustand zu Bedenken Anlass gibt. Im Interesse der Vermeidung
unbegründeter Strafverfolgung halte ich den hier gemachten Vor¬
schlag für empfehlenswert; ich kann aber die Befürchtung nicht
unterdrücken, dass die gesetzgebenden Faktoren sich vielleicht
scheuen werden, ihm Rechnung zu tragen. Er erinnert mich
etwas an die Bestimmung in der Peinlichen Gerichtsordnung
Karls V., nach welcher der private Ankläger bis zur Durch¬
führung der Anklage ins Gefängnis gesetzt wird, wenn er nicht
imstande ist, Bürgschaft für den Schaden, der durch unbe¬
gründete Anklage dem Angeklagten etwa erwächst, zu leisten.
Wie hierdurch damals die Leute von der unmittelbaren Anklage¬
erhebung abgeschreckt wurden, so mag die Aussicht, in eine
Irrenanstalt gebracht oder auch ausserhalb derselben auf seinen
Geisteszustand beobachtet zu werden, manchen, der eine begrün¬
dete Anzeige zu erstatten hätte, von einer solchen abschrecken.
Leitsatz 14 bezieht sich auf einen Mangel in den Proto¬
kollen, der sich nicht selten fühlbar macht. Es berührt sonder¬
bar, wenn nach den Protokollen Leute in elegantem Stil Vorträge
halten, die hinterher bei der Vernehmung in der Verhandlung
keinen ordentlichen Satz zuwege bringen. Es liegt auf der Hand,
dass bei derartiger Abfassung der Protokolle derjenige leicht ein
falsches Bild erhält, der auf Grund der protokollierten Aussage
zu einem Entschluss kommen, etwa ein Gutachten abgeben soll.
Die Forderung des Leitsatzes 14 kann von juristischer Seite
sachlich kaum eine Beanstandung erfahren. Eigentlich bedürfte
es gar keiner besonderen Vorschrift der hier vorgeschlagenen
Art. Verständiger Weise wird man nicht Leuten Aeusserungen
in direkter Rede in den Mund legen, die sie beim Mangel der
erforderlichen Sprachgewandheit von vornherein gar nicht in der
angegebenen Form gemacht haben können. Da aber, wie die
Erfahrung zeigt, in der Tat häufig in dieser Richtung gefehlt
wird, mag sich die Aufnahme der vorgeschlagenen Bestimmung
in das Gesetz empfehlen.
Zu Leitsatz 20 möchte ich nur die Anregung geben, ob
nicht eine Zerlegung des Paragraphen in zwei Teile wünschens¬
wert wäre. Der Leitsatz behandelt die Wiederaufnahme des Ver¬
fahrens bei Verstorbenen wie Geisteskranken in einem Atem.
Gerichtsärztl. Wünsche in bezog auf die bevorstehende Beform der Str.-Pr.-O. 48
Eine Trennung der Bestimmung mochte grossere Klarheit ge¬
währleisten.
Einige Worte noch zu Leitsatz 23. Er lautet:
„Wird der Beschuldigte auf Grund des § 51 des
Strafgesetzbuchs ausser Verfolgung gesetzt oder
freigesprochen, so kann das Gericht den Privat-
klfiger nach Befinden derUmstände von der Tra¬
gung der Kosten ganz oder teilweise entbinden. 8
Bisher ist die Sache so: In § 503, Abs. 2 Str.-Pr.-O. heisst
es: „Wird der Beschuldigte ausser Verfolgung gesetzt oder frei-
gesprochen . . . ., so fallen dem Privatkläger die Kosten des Ver¬
fahrens ... zur Last, 8 Nun kann es Vorkommen, dass die Frei¬
sprechung erfolgt nicht deswegen, weil der Beklagte die Tat nicht
begangen hat, sondern weil er unzurechnungsfähig ist. Von der
Geisteskrankheit des Beschuldigten hatte aber der Privatkläger
nicht die geringste Kenntnis, und es erscheint als eine Härte, ihn
in solchem Fall die Kosten des Verfahrens tragen zu lassen. Er
verfolgte ja nicht einen privaten Strafanspruch, sondern den Straf¬
anspruch des Staates — wenn auch im Wege der Privatklage, —
und da entspricht es einer Forderung der Billigkeit, dass der
Staat bei solcher Sachlage die Kosten trägt — je nach Umständen
ganz oder teilweise. Hatte er aber Kenntnis von der Geistes¬
krankheit des Beschuldigten nnd erhob er dennoch Klage, dann
wird er mit Recht zur Kostentragung verurteilt werden.
Auf eines darf ich Sie vielleicht noch aufmerksam machen,
was in den Leitsätzen nicht erwähnt ist, aber für Sie des Inter¬
esses doch nicht entbehrt: Die von der Strafprozesskommission
vorgeschlagene Ausdehnung der Zulässigkeit der Privat¬
klage. Nach geltendem Recht kann bei fahrlässigen Körperver¬
letzungen, die dem Arzte in Ausübung seines Berufes begegnen,
Privatklage nicht erhoben werden, da sie Offizialdelikte sind. Die
Klageerhebung kann nur vom Staatsanwalt ausgehen. Die Kom¬
mission möchte die Privatklage bei allen fahrlässigen Körperver¬
letzungen zugelassen wissen (II. Bd., S. 551). Wenn sich dieser
Vorschlag der Kommission verwirklicht, so werden in Zukunft die
Aerzte vielleicht mehr als bisher vom guten oder bösen Willen
der Patienten abhängig sein. Bisher prüfte auf eine Anzeige
gegen einen Arzt wegen angeblicher Körperverletzung der Staats¬
anwalt immer erst nach, ob wirklich eine Fahrlässigkeit vorliege.
In Zukunft würde der Patient unmittelbar Klage erheben können,
und wenn er mit derselben auch nicht durchdringt, bedeutet
sein Vorgehen immerhin eine erhebliche Belästigung nnd auch
Schädigung des Arztes. Umgekehrt mag die vorgeschlagene
Aenderung dem Arzt auch einen gewissen Schutz bieten: Bisher
ist der Staatsanwalt verpflichtet, von amtswegen Klage zu er¬
heben, wenn er von einer fahrlässigen, vom Arzt in Ausübung
seines Berufs begangenen Körperverletzung Kenntnis erhält; in
Zukunft bleibt dem Arzt, wenn ihm ein Missgeschick begegnet,
die Möglichkeit, sich mit dem Patienten aussergerichtlich aus¬
einanderzusetzen.
44
Diskussion za den Vorträgen:
Damit bin ich zum Schlosse meiner Ausführungen ge¬
kommen. Unter unsern Leitsätzen ist, denke ich, keiner, der
vom Standpunkte des Juristen aus unhaltbar und dessen Verwirk¬
lichung unter den gegenwärtigen Verhältnissen nicht möglich
wäre. Ich glaube daher auch als Kriminalist die Leitsätze zur
Annahme empfehlen zu dürfen.
(Lebhafter Beifall.)
Vorsitzender: Ich eröffne die Generaldiskussion über
die erstatteten Referate und die von den Herren Referenten auf¬
gestellten Leitsätze; nach dieser werden wir dann in die Erör¬
terung der einzelnen Leitsätze eintreten und schliesslich nach
Beendigung der Spezialdiskussion zur Abstimmung Aber die ein¬
zelnen Leitsätze schreiten.
Med.-Bat Dr. Vanselow, Bezirksarzt in Kissingen: M. H.I Ich möchte
folgenden Fall zam Vortrag bringen: Ein Kellner, der bisher körperlich and
geistig vollkommen gesund war und seinen Dienst zur größten Zufriedenheit
seines Prinzipals versah, geht abends in eine Restauration, trinkt in */ 4 Stunden
7 Glas Bier und beginnt zu exzedieren so, daß die Polizei ihn hinter Schloß
und Riegel bringt. Der Amtsanwalt eröffnet das Ermittelungsverfahren und
kommt zu der Anschauung, daß die freie Willensbestimmung in diesem Falle
ausgeschlossen sein könnte. Er stellt deshalb an den betr. Arzt das Ersuchen,
er möge sich auf Grund des erhobenen Ermittelungsverfahrens gutachtlich
äußern, ob hier eine Störung der freien Willensbestimmung ausgeschlossen sei.
event. möge er Bich den betr. Kellner vorführen lassen. — Es mag ja dieser Fall
mit den Leitsätzen nicht Zusammenhängen, aber vielleicht mit der Reform der
Strafprozeßordnung. Herr Prof. Dr. Aschaffenburg hat nämlich vorge¬
tragen, wenn ich ihn recht verstanden habe, daß es kaum wohl Vor¬
kommen werde, und wenn es vorkomme, als falsch zu erachten sei, daß
ein Arzt ein Gutachten über die Zurechnungsfähigkeit eines Individuums ab-
giebt, ohne das Individuum vorher untersucht zu haben. Der von mir er¬
wähnte Fall liegt ja im großen Ganzen einfach; ein Kellner, der in der Zeit von
*/ 4 Stunden 7 Glas Bier trinkt, dürfte an sich doch bei solchem sinnlosen Ex¬
zedieren als unzurechnungsfähig bezeichnet werden. Wenn auch in solchen
Fällen eine persönliche Untersuchung vielleicht nicht im Interesse des Staates
liegen mag, so liegt sie ganz gewiß im Interesse des Individuums. Deshalb
möchte ich bitten, dahin zu wirken, daß bei allen Fällen ohne Ausnahme, soweit
es sich um die freie Willensbestimmung handelt, nur Gutachten auf Grund
persönlicher Untersuchung abgegeben werden dürfen.
Vorsitzender: Es hat Niemand mehr das Wort zur General¬
diskussion verlangt. Ich schliesse diese, eröffne die Spezialdis¬
kussion und zwar Aber Leitsatz 1. — Da das Wort nicht ver¬
langt wird, können wir zu Leitsatz 2 Abergehen.
H. Oberarzt Dr. Weber-Göttingen: M. H.I Der Ausdruck Geistes¬
krankheit oder Geistesschwäche wird Veranlassung geben, wiederauf
die im B. G. B. gegebene Definition dieses Begriffes zurückzagreifen. Der
Sachverständige maß dann wieder die Frage des Richters beantworten: „Ist
die Zeugenaussage infolge von Geisteskrankheit oder von Geistesschwäche
unmöglich ?“ Man könnte ihm dies ersparen, wenn man den indifferenten Aus¬
druck „Geistesstörung“ gebrauchte. Dieser würde auch besser die
transitorischen Zustände, welche manchmal die richtige Auffassung eines Vor¬
gangs vermindern, treffen.
Vorsitzender: Wünscht sonst Jemand das Wort zu diesem
Leitsatz zu nehmen? Es ist nicht der Fall. Auch zu den fol¬
genden Leitsätzen 3—10 hat sich Niemand zum Wort gemeldet
Wir kommen nun zum Leitsatz 11.
GerichtsärztL Wünsche in bezug auf die bevorstehende Reform der Str.-Pr.-O. 46
H. Prof. Dr. Stolper, Kreisarzt in Göttingen: M. H.1 Zur Frage der
zwangsweisen ärztlichen Untersachnng verdächtiger und un¬
verdächtiger Personen (Protokolle, II. Bd., S. 439, Nr. 79—82) möchte
ich mir einige Worte erlanben. Mir erscheint — ganz allgemein genommen
— eine dahingehende Bestimmung ein ganz ungewöhnlicher Eingriff in die
persönliche Freiheit; außerdem kommt es noch viel auf die praktische Durch¬
führung dieser zwangsweisen Untersachnng an. H. Prof. Dr. Straß mann
hat nnr die Schamverletznng als bedenklich erörtert; es gibt aber noch andere
Gesichtspunkte, die man gegen eine gesetzliche Festlegung der zwangsweisen
körperlichen Untersuchung geltend machen muß. Ich denke unter anderem
an folgende Fälle: Der Staatsanwalt kann ein sehr wohl begründetes Interesse
an einer verweigerten Untersuchung haben und sie durch Beschluß erzwingen.
Es handelt sich um eine Attaque auf eine weibliche Person, die z. B. ein ans¬
lösendes Moment für eine schwere hysterische oder neurasthenische Störung
würde. Die Angegriffene hat nicht das mindeste persönliche Interesse an der
Bestrafung des vielleicht schon vielfach vorbestraften Subjektes. Soll hier die
zwangsweise Untersuchung möglich werden? Der Herr Referent hat bereits
eine Abschwächung vorgeschlagen. Mir sträubt sich das Empfinden gegen eine
dahingehende Reform der Strafprozeßordnung im allgemeinen. Aber es sprechen
auch rein medizinische Einwände dagegen, die ich zur eingehenden Erwägung
anheim geben möchte. Denken Sie an die Möglichkeit, daß die Hysterische
unter dem Einfluß der Zwangsuntersuchung eine schwere Verschlimmerung er¬
fährt, z. B. in hysterische Lähmung verfällt. Für diese Fälle käme dann die
Haftpflicht des Gerichts in Frage. Oder glauben Sie, daß sich gegen eine
derartige Gefahr der Richter oder Staatsanwalt rückversichern, schützen könnte
durch ein ärztliches Gutachten? Nein, m. H. 1 Welcher Arzt vermag alle
Möglichkeiten bei Hysterischen vorauszusehen? Keiner, nach meiner Erfahrungl
Ferner denken Sie an die Fragen von Syphilis und Haftpflicht. Welche
Schwierigkeiten können sich da bieten, und doch zu keinem Resultate führen ?
Nehmen Sie den Fall: Es handelt sich um Simulation zwecks Erlangung einer
Unfallrente. Der dutzendmal Untersuchte verweigert die Untersuchung; sie
wird zwangsweise angeordnet. Wie weit darf hier der Untersucher gehen?
Darf er narkotisieren, um eine vorgetäuschte Ankylose festzustellen ? Darf er
es jetzt, wo er unter doppelter Veranwortung steht? Wird er ohne derartige
einschneidende Maßnahmen weiter kommen als die Vorgutachter? Ich glaube
nicht! Man könnte noch eines anderen Falles gedenken: Es handelt sich um
Zweikampf und die Feststellung, ob Selbstverletzung vorliegt u. dergL Sie
sehen, m. H., es kommen hier außerordentlich schwerwiegende Fragen in Be¬
tracht. Ich halte deshalb die körperliche Untersuchung für praktisch undurch¬
führbar und glaube, wir dürfen diese Bestimmung — vom Standpunkte
des Arztes aus — für die neue Reform der Strafprozeßordnung nicht
empfehlen.
H. Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Ungar-Bonn: M. H.1 Ich möchte einen
dem Herrn Vorredner entgegengesetzten Standpunkt einnehmen. Ich habe das
größte Bedenken gegen eine Bestimmung, die es einer Frauensperson möglich
machen würde, eine Untersuchung, von der sie eine ihr ungünstige Feststel¬
lung erwartet, hinauszuschieben. Dadurch könnte die durch die gerichtsärzt¬
liche Untersuchung bezweckte Aufklärung gar zu leicht vereitelt werden.
Setzen Sie z. B. den Fall, es handle sich um einen provozierten Abort oder
um die Frage, ob eine Person vor Kurzem geboren habe. Wird die Unter¬
suchung, die sich schon an und für sich leicht verspätet, noch um Tage hin¬
ausgeschoben, so können wichtige Befunde, die eine Aufklärung ermöglicht
hätten, völlig verwischt sein. So kann man nach Tagen allenfalls noch sagen,
daß eine Person geboren habe, ob aber in letzter Zeit, muß unentschieden
bleiben, während bei einer einige Tage früher vorgenommenen Untersuchung
eine solche Unterscheidung möglich gewesen wäre. Wir dürfen nicht unbe¬
rücksichtigt lassen, daß bei einer Berufung an eine höhere Instanz mancher
Tag vergehen wird, ehe die Entscheidung gefällt ist. Zudem hat mich die
Erfahrung gelehrt, daß gerade sittsame, unbescholtene Personen sich in eine
ärztliche Untersuchung viel eher schicken, sich viel weniger gegen eine solche
sträuben, als gerade diejenigen, deren Moralität alles weniger als eine ein¬
wandfreie ist. Ich bitte deshalb von dem vorgeschlagenen Zusatze zu Absatz 3
Abstand zu nehmen.
46
Diskussion za den Vorträgen):
Vorsitzender: Za Leitsatz 11 hat Niemand mehr am das
Wort gebeten; auch za Leitsatz 12 und 13 ist dies nicht ge¬
schehen; ich eröffne daher die Diskussion über Leitsatz 14.
H. Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Ungar-Bonn: M. H.! Dem Herkommen
gemäß werden die Aoss&gen bei der ärztlichen and polizeilichen Vernehmung
in direkter Rede za Protokoll genommen. In der überwiegend großen Mehr¬
zahl der Fälle werden jedoch die Aassagen keineswegs wörtlich niederge-
schrieben, meist wird nar ein Aaszag des Gesagten in möglichst gedrängter
Form gegeben, dabei aber nichtsdestoweniger die direkte Rede beibehaltea.
Vielfach bedient man sich hierbei auch gewisser Redewendungen, wie s. B.
„ich gestehe die mir zar Last gelegte Tat in vollem Umfange ein,“ oder „ich
mache die mir vorgelesene Aassage des Zeugen H. za der meinigen and
schließe mich ihr in allen Punkten an.“ Die Protokolle lassen auch nur aus¬
nahmsweise erkennen, was die Antwort anf eine vorgelegte Frage ist, and
was aas eigenem Antrieb gesagt wurde, was erst nach längerem Zureden and
was später geäaßert warde. Der Wiedergabe unter Anführung von Fragen
and Antworten begegnet man meist nur in Protokollen der Entmündigungs¬
termine. Durch jene Art and Weise der Protokollierung wird die Verwertung
der Aassagen für die gerichts&rztlichen, namentlich für die den Geisteszustand
betreffenden Gutachten sehr beeinträchtigt, der Sachverständige kann durch
solche Protokolle vollständig irregeführt werden. In anderen Fällen sieht er
sich in der unangenehmen Lage, daß seine Auffassung des geistigen Verhal¬
tens der betreffenden Person in Widerspruch steht mit deren angeblicher Aas¬
sage. So mußte ich in einem Falle, in dem das Protokoll der Vernehmung
einer zweifellos blödsinnigen, des Kindesmordes beschuldigten Person, eine
Aussage wiedergab, welche im schroffen Widerspruch zu dem ganzen geistigen
Verhalten der Person stand, in meinem Gutachten erklären, daß die Person,
wenn sie sich bei ihrer Vernehmung in so klarer, verständnisvoller Weise ge¬
äußert hätte, eine ganz durchtriebene Simulantin sein müßte.
Die jetzt übliche Art der Protokollierung ist besonders gefährlich für
jene Fälle, in denen der Sachverständige sich nicht durch eine Untersuchung
der fraglichen Person Aufklärung verschaffen kann, so namentlich in den
Fällen, in denen es sich um eine Beurteilung des Gesundheitszustandes zu
einer gewissen Zeit handelt, und eine später vorgenommene Prüfung des
geistigen Verhaltens weniger in Betracht kommen kann; so z. B. in Fällen,
in denen ein pathologischer Rauschzustand, ein epileptischer Dämmerzustand
oder ähnliche Zustände transitorischer Bewußtseinsstörung in Frage kommen.
Es wäre deshalb wichtiger, wenn die Protokolle im allgemeinen nur den
Inhalt des Gesagten in indirekter Rede wiedergäben und nur für die wichtigeren
Punkte Wiedergabe in direkter Rede beibehalten würde; bei Benutzung der
direkten Rede müßte das Gesagte aber auch möglichst im Wortlaut nieder¬
geschrieben werden. Sodann müßte das Protokoll möglichst erkennen lassen,
inwieweit das Gesagte eine Antwort auf eine vorgelegte Frage bildet.
Vorsitzender: Wünscht sonst Jemand das Wort za Leit¬
satz 14P Dann bitte ich H. Prof. Dr. Ungar seine Ausführungen in
einen bestimmten Abänderungsvorschlag zu formulieren, über den
nachher abgestimmt werden kann.
Verlangt Jemand zu einem der folgenden Leitsätze das
WortP — Es meldet sich Niemand. Ich schliesse nunmehr die
Diskassion and stelle den Herren Referenten anheim, das Schluss¬
wort zu ergreifen.
H. Prof. Dr. Strassmann-Berlin (Schlußwort): Ich muß zunächst berichten,
daß einer der Herren Kollegen mir privatim den Wunsch geäaßert hat, es möge in
unserer These 8 das letzte Wort „ist“ ersetzt werden durch die Worte „sein
kann“. Ich halte diesen Vorschlag für berechtigt und bitte, ihn anzunehmea.
Man kann mitunter zur Zeit der Leichenöffnung noch nicht bestimmt erklären,
daß eine weitere Untersuchung der Leichenteile erforderlich ist und wenn
der Richter von der Bejahung dieser Frage die Genehmigung zur Aufhebung
der Leichenteile abhängig macht, wird sie häufig in vielen Fällen unterbleiben
Gerichts ärztL Wünsch« In besag auf die berorstehende Reform der 8tr.-Pr.-0. 47
müssen, in denen sie doch sehr erwünscht ist, weil sie sur Aofklirong des
Tatbestandes erforderlich sein kann.
Was Leitsatz 11 anlangt, so geht mein Vorschlag, gegen den Zwang
zur Untersuchung das Beschwerderecht zu gewähren, Herrn Ungar zu weit,
Herrn Stolper nicht weit genug. Ich glaube, daß ich wohl das nichtige
getroffen habe, da die Wahrheit auch hier in der Mitte liegen wird. Die Ge¬
fahr der Verschleppung, die Verwischung Ton Spuren des Verbrechens, die
Herr Ungar fürchtet, ist wohl nicht so groß. Der Beschwerdeweg ist ja
ein geregelter, gangbarer und die Erledigung der Beschwerde in kurzer
Zeit möglich. Anderseits gehen die Befürchtungen des Herrn Stolper über
den Schaden, der durch eine solche erzwungene Untersuchung gestiftet werden
konnte, wohl zu weit, da es sicherlich, wie ich schon früher hervorhob, nur
selten Vorkommen wird, daß sich jemand der körperlichen Untersuchung gegen¬
über dauernd ablehnend verhält, auch nachdem etwa seine Beschwerde zurttck-
gewiesen ist, so daß nun wirklich zu einem physischen Zwange geschritten
werden muß. Ich bitte, daß Sie es bei meinem Antrag belassen.
H. Prof. Dr. Aschaffenburg-Cöln a./Rh. (Schlußwort): M. H.I Ich bin
für meine Person mit dem Vorschläge des Herrn Kollegen Ungar einver¬
standen, obgleich ich nicht zugeben kann, daß er notwendig ist. Ich habe
aber keine ernsten Bedenken und will deshalb auch nicht dagegen sprechen.
Der Einwand, daß die Begriffe Geisteskrankheit und Geistes¬
schwäche nicht eindeutig genug seien, ist schon mehrfach gemacht worden,
und ich gebe auch die Berechtigung des Einwandes zu; aber ich habe mich
bisher vergeblich bemüht, einen besseren Ausdruck zu finden. Gegen den
Ersatz durch das einfache Wort „Geistesstörung“ muß ich mich jedoch aufs
entschiedenste aussprechen, weil man immer wieder die Erfahrung macht, daß
es dem Juristen absolut nicht einleuchten will, daß geistige Schwäche unter
den Begriff der Krankheit fällt. Gerade aus diesem Grunde ist im B. G.
B. neben der Geisteskrankheit stets von Geistesschwäche die Bede. Wenn
wir das nicht auch tun, so kann es geschehen, daß der Richter einen Geistes¬
schwachen nicht als unter den Paragraphen gehörig anerkennen wird. Wenn
man das Wort „Geistesstörung“ an die Stelle der „Geisteskrankheit“ setzen
will, so ist mir das recht, aber die Geistesschwäche möchte ich bitten beizu¬
behalten. Einen Vorzug kann ich aber dem Ausdruck „Geistesstörung“ vor
dem „Geisteskrankheit“ nicht zuerkennen.
Vorsitzender: M. H.! Wir kommen jetzt znr Abstim¬
mung aber die einzelnen Leitsätze. Zn Leitsatz 1 ist kein
Antrag gestellt; ich bitte diejenigen, die diesem Leitsatz zu-
stimmen, sitzen za bleiben. — Der Leitsatz ist einstimmig
angenommen.
Za Leitsatz 2 hat Herr Kollege Dr. Weber den Antrag
gestellt, die Worte „Geisteskrankheit oder Geistesschwäche“ durch
das Wort „Geistesstörung“ za ersetzen; der Beferent, Prof. Dr.
Aschaffenbarg, bittet dagegen, es bei der vorgeschlagenen
Fassung za belassen. Wer für diese Beibehaltung ist, den bitte
ich, sich zu erheben.
Das ist die grosse Mehrheit. Der Antrag des Kollegen
Dr. Weber ist damit abgelehnt.
Ueber die Leitsätze 3 — 7 kann zusammen abgestimmt
werden, da Abänderungsvorschläge nicht vorliegen. Ich bitte die¬
jenigen Herren, die diesen Leitsätzen zustimmen, sitzen zu bleiben.
Es erhebt sich Niemand; die Leitsätze 3—7 sind also ein¬
stimmig angenommen.
Zn Leitsatz 8 ist anf Anregung aus der Mitte der Ver¬
sammlung von dem Herrn Beferenten, Prof.Dr.Strassmann, vorge¬
schlagen, am Schiass des zweiten Absatzes das Wort „ist“ durch
48
Leitsätze za den Vorträgen:
die Worte »sein kann“ zu ersetzen. Wer für die Annahme des
Leitsatzes 8 mit dieser Abänderung ist, den bitte ich, sitzen zu
bleiben.
Leitsatz 8 ist einstimmig angenommen.
Zn den Leitsätzen 9 —13 sind keine Abänderungsvor¬
schläge gestellt; Herr Hollege Dr. Stolper hat auf die Stellong
eines solchen za Leitsatz 11 verzichtet and H. Kollege Dr. Ungar
seinen Antrag za diesem Leitsatz zurückgezogen. Ich bringe diese
Leitsätze somit zur Abstimmung und bitte diejenigen, die damit
einverstanden sind, sich zu erheben.
Die Leitsätze 9—13 sind einstimmig angenommen.
Za Leitsatz 14 liegt ein Abänderungsantrag des Herrn
Prof. Dr. Ungar vor dahingehend, dem letzten Satz dieses Leit¬
satzes folgende Fassung za geben:
»Bildet eine wichtige Aussage die Antwort anf
eine Frage, so ist auch diese Frage wörtlich anf-
zunehmen und ebenfalls durch Anführungszeichen
kenntlich zu machen.“
M. H.! Ich bringe Leitsatz 14 mit dieser Abänderung zur
Abstimmung und bitte diejenigen, die für die jetzt vorgeschlagene
Fassung sind, sitzen zu bleiben.
Es erhebt sich Niemand; Leitsatz 14 ist daher mit der
beantragten Abänderung einstimmig angenommen.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über die Leitsätze
15 — 23, zu denen Abänderungsvorschläge nicht vorliegen. Wer
für diese Leitsätze ist, den bitte ich, sitzen zu bleiben.
Die Leitsätze 15—23 sind einstimmig angenommen.
M. H.! Der wichtigste und hauptsächlichste Beratungs¬
gegenstand unserer heutigen Tagesordnung ist damit erledigt.
Hoffentlich finden unsere Beschlüsse an massgebender Steile
Berücksichtigung! Ausserordentlichen Dank sind wir aber unseren
Herren Referenten schuldig, die diese Beschlüsse vorbereitet und
in so vorzüglicher Weise sowohl auf unserer vorjährigen, als auf der
diesjährigen Hauptversammlung vertreten haben. Zum Zeichen
unseres Dankes bitte ich Sie, sich von Ihren Plätzen zu erheben.
(Geschieht.)
Nach dem Ergebnis der Abstimmung haben die Leitsätze
somit folgenden Wortlaut:
I.
Zu § 52 (Zeugnisverweigerungsrecht):
»Es wird gewünscht, dass auch die Aerzte vor ihrer Ver¬
nehmung über ihr Recht zur Verweigerung des Zeugnisses belehrt
werden.“
II.
Zu § 56 (Unbeeidigte Vernehmung von Zeugen)
ist die Anfügung folgender Bestimmung erwünscht:
Gerichtsärztl. Wünsche in bezug auf die bevorstehende Reform der Str.-P.-O. 49
„Unbeeidigt sind zu vernehmen Personen, deren Anssagen
oder Wahrnehmungen durch Geisteskrankheit oder Geistesschwäche
beeinflusst sind/
HL
Dem Abschnitt Aber die „Zeugen“ soll ausserdem fol¬
gende Bestimmung angefflgt werden:
„Gibt der Geisteszustand eines Zeugen zu Bedenken Anlass,
so ist ein Sachverständiger zur Beobachtung und Begutachtung zu
bestellen. Hat der Zeuge selbst das Verbrechen angezeigt oder
den Antrag auf Strafverfolgung gestellt, so kann das Gericht zur
Vorbereitung eines Gutachtens auf Antrag eines Sachverständigen
und nach Anhörung eines dem Zeugen zur Wahrung seiner Inter¬
essen zu bestellenden oder von ihm gewählten Rechtsanwalts an¬
ordnen, dass der Zeuge in eine Irrenanstalt gebracht und dort
beobachtet werde. — Gegen den Beschluss findet sofortige Be¬
schwerde statt; diese hat aufschiebende Wirkung. — Die Ver¬
wahrung in i der Anstalt darf die Dauer von sechs Wochen nicht
überschreiten.“
IV.
Zu § 80 (Vorbereitung des Gutachtens von Sach¬
verständigen) wird beantragt, den Absatz 2 zu fassen:
„Zu diesem Zwecke ist ihm zu gestatten, falls nicht be¬
sondere Hinderungsgründe vorliegen, die Akten einzusehen, der
Vernehmung von Zeugen oder des Beschuldigten beizuwohnen und
an diese Fragen zu stellen.“
V.
§ 81 (Einweisung eines Angeschuldigten in eine
öffentliche Irrenansalt behufs ärztlicher Beobach¬
tung und Erstattung eines Gutachtens über seinen
Zustand) möge folgenden Zusatz erhalten:
„Falls vom Gericht oder von dem Angeschuldigten ein Ober¬
gutachten verlangt wird, kann von neuem die Einweisung in eine
der obergutachtenden Behörde oder dem als Obergutachter bestellten
Sachverständigen zugängliche Irrenanstalt auf die Dauer von
höchstens sechs Wochen beschlossen werden. — Der Beschluss ist
mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar; diese hat aufschie¬
bende Wirkung.
VI.
Zu § 82 (Erstattung von Gutachten im Vorver¬
fahren) ist dem Absatz 2 hinzuzusetzen:
„Bei mündlicher Erstattung eines Gutachtens sowie bei
Augenscheins-Einnahmen, gerichtlicher Leichenschau und Leichen¬
öffnung (§§ 86 und 87 ) ist der Sachverständige berechtigt, sein
Gutachten oder den von ihm festgestellten Sachbefund selbst zu
Protokoll zu diktieren.“
VH.
§ 85 (betreffend sachverständige Zeugen) soll fort¬
fallen.
4
50
Leitsätze zu den Vorträgen:
vm.
§ 87 (Richterliche Leichenschau) soll lauten:
„Die richterliche Leichenschau wird unter Zuziehung eines
Arztes, der in der Regel ein Gerichtsarzt sein soll, die Leichen¬
öffnung im Beisein des Richters von 2 Aerzten, unter denen sich
ein Gerichtsarzt befinden muss, vorgenommen. Demjenigen Axzte,
welcher den Verstorbenen in der dem Tode unmittelbar voran¬
gegangenen Krankheit behandelt hat, ist die Leichenöffnung nicht
zu übertragen. Derselbe kann jedoch aufgefordert werden, der
Leichenöffnung anzuwohnen, um aus der Krankheitsgeschichte
Aufschlüsse zu geben.
Behufs der Besichtigung oder Oeffnung einer schon beerdigten
Leiche ist ihre Ausgrabung statthaft. Ebenso ist die Entnahme
von Leichenteilen statthaft, soweit sie zur weiteren Untersuchung
und Beweisaufnahme erforderlich sein kann.*
IX.
In § 91 (Untersuchungen bei Verdacht einer Ver¬
giftung) soll an Stelle des Wortes „Chemiker* gesetzt werden
„geeigneten Sachverständigen*.
X.
Zu § 97 (Nicht zulässige Beschlagnahme von
schriftlichen Mitteilungen usw. der zur Verweigerung
des Zeugnisses berechtigten Personen).
Es ist dem Beschlüsse der Kommission für die Reform der
Strafprozessordnung zu § 97 (Protokolle, II. Bd., S. 481, Nr. 75)
zuzustimmen, welcher lautet:
„Unter den im § 97 bezeichneten Voraussetzungen sollen
nicht nur, wie schon bisher, schriftliche Mitteilungen zwischen
dem Beschuldigten und den nach § 52 zur Verweigerung des
Zeugnisses berechtigten Personen, sondern auch Aufzeichnungen
der nach § 52 Verweigerungsberechtigten über Mitteilungen des
Beschuldigten der Beschlagnahme nicht unterliegen.*
XI.
Die Kommission für die Reform der Strafprozessordnung
hat zum Abschnitt 8 hinter § 111 folgende neue Vorschriften über
die körperliche Untersuchung vorgeschlagen (s. Protokolle,
n. Bd., S. 439, Nr. 79—82):
„Die körperliche Untersuchung soll verdächtigen und unverdächtigen
Personen gegenüber zulässig sein, wenn sie für das anhängige Strafverfahren zun
Zwecke der Feststellung des Vorhandenseins oder Nichtvorhandenseins von
Spuren oder Folgen einer strafbaren Handlung notwendig ist.
Im Falle der Weigerung soll es zulässig sein, die Untersuchung zu er¬
zwingen.
Die Anordnung der körperlichen Untersuchung soll dem Bichter, bei
Gefahr im Verzüge auch der Staatsanwaltschaft zustehen. Die Androhung
und die Anordnung des Zwanges soll nur dem Bichter zustehen.
Für die körperliche Untersuchung einer weiblichen Person soll weiter
bestimmt werden, daß sie nur von einem oder mehreren Aerzten (Aerztinnen)
yorgenommen werden darf und daß auf Verlangen der zu Untersuchenden oder
ihres gesetzlichen Vertreters ein Angehöriger oder eine geeignete weibliche
Gerichtearztl. Wünsche in besag naf die bevorstehende Reform der 8tr.-Pr.-0. 61
Person als Beistand zozoziehen ist, wenn dies ohne Gefährdung des (Jnter-
suchungszweckes geschehen kann."
Za Absatz 3 dieses neuen Paragraphen wird folgender
Zusatz vorgeschlagen:
„Gegen den richterlichen Beschluss, der den Zwang anordnet,
ist sofortige Beschwerde zulässig; dieselbe hat aufschiebende
Wirkung.“
Za Absatz 4 wird vorgeschlagen:
Die Worte „ein Angehöriger oder“ zu streichen.
XII.
Zu § 116 (Untersuchungshaft).
Nach den Gefängnis- und Zuchthausordnungen pflegt die
Fesselung eines Strafgefangenen nur nach Anhörung des
Arztes angeordnet zu werden. Bei Fesselung eines Untersuchungs¬
gefangenen ist die Anhörung des Arztes nicht vorgeschrieben. Es
erscheint die Aufnahme einer entsprechenden Bestimmung im
§116 Str.-P.-O. empfehlenswert.
XIII.
Zu § 128 (Festnahme und Vorführung eines An¬
geschuldigten behufs Vernehmung).
Die Kommission für die Beform der Strafprozessordnung
(Protokoll, n. Bd., S. 419, Nr. 102) schlägt vor, „dass an die
Stelle der im § 118 vorgesehenen Vorführung die Einsendung der
über die Festnahme aufgenommenen Verhandlungen tritt, wenn
sich der Festgenommene in einem körperlichen Zustande befindet,
welcher die Vorführung mit Rücksicht auf seinen Gesundheits¬
zustand nicht zaiässt. In diesem Falle darf die Vernehmung so
lange ausgesetzt bleiben, als von ihr Gefahr für Leben und Ge¬
sundheit des Festgenommenen zu befürchten ist.“
Es wird hierzu folgender Zusatz vorgeschlagen: „deren
Vorliegen durch gerichtsärztlicheUntersuchung fest¬
zustellen ist.“
XIV.
Zu § 186, Abs. 3 und § 273 (Aufnahme von Aussagen
in das Protokoll des Vorverfahrens und der Haupt¬
verhandlung).
Hier wird zu den von der Kommission ,für die Strafprozess¬
ordnung (Protokolle, II. Bd., S. 513, 515, Nr. 199—205) ge¬
machten Vorschlägen der Zusatz gewünscht:
„In das Protokoll dürfen als Aussagen in direkter Bede
nur solche aufgenommen werden, die tatsächlich wörtlich nieder¬
geschrieben sind; dieselben sind durch Anführungszeichen als
wörtlich aufgenommene Aussagen zu kennzeichnen. Bildet eine
wichtige Aussage die Antwort auf eine Frage, so ist auch diese
Frage wörtlich aufzunehmen und ebenfalls durch Anführungs¬
zeichen kenntlich zu machen.“
4*
52
Leitsätze za dea Vorträgen:
XV.
Dem § 188 (Beweisaufnahme in der Vorunter¬
suchung) soll als Absatz 8 zugesetzt werden:
„Insbesondere ist in Sachen, zu deren Aufklärung ein sach¬
verständiges Gutachten gehört, dieses schon in der Vor¬
untersuchung einzuholen; auch ist dem etwaigen Antrag des An¬
geschuldigten, der durch ein solches Gutachten belastet wird, auf
Einholung eines zweiten Gutachtens zu entsprechen, falls dieser
Antrag nicht ganz unbegründet erscheint*
XVI.
Zu § 203 (Vorläufige Einstellung des Strafver¬
fahrens bei geisteskranken oder geistesschwachen
Angeschuldigten) soll folgende Fassung vorgeschlagen werden:
„Vorläufige Einstellung des Verfahrens kann beschlossen
werden, wenn dem weiteren Verfahren.der Umstand
entgegensteht, dass der Angeschuldigte nach der Tat in Geistes¬
krankheit verfallen ist, die eine Verhandlung als unaus¬
führbar erscheinen lässt. In jedem Falle ist ihm von Amts¬
wegen ein ärztlicher Sachverständiger beizuordnen, sofern er sich
nicht selbst einen solchen gewählt oder ihn von seinen Angehörigen
bestellt erhalten hat.*
XVII.
Zu § 222 (Behindertes Erscheinen eines Zeugen
als Sachverständigen in der Hanptverhandlung) wird
vorgeschlagen,
dass nach den Worten „so kann das Gericht die Vernehmung
desselben (Zeugen oder Sachverständigen) durch einen beauftragten
oder ersuchten Bichter anordnen* die Worte eingeschoben werden:
„falls nicht die Vernehmung mit Gefahr für den Kranken ver¬
bunden ist*.
XVIII.
§ 250, Abs. 1 (Verlesung des Protokolls über die
frühere Vernehmung eines Zeugen oder Sachverstän¬
digen) soll den Zusatz erhalten:
„Zur Verlesung des Protokolls über die Vernehmung eines
in Geisteskrankheit Verfallenen ist ein ärztlicher Sachverständiger
zuzuziehen.*
XIX.
Zu § 255 Absatz 1 (Verlesung von Gutachten in der
Hauptverhandlung) soll hinzugesetzt werden:
„In den vor den kleinen Schöffengerichten und den vor dem
Amtsrichter verhandelten Strafsachen können auch anderweitige
ärztliche Gutachten verlesen werden.*
XX.
Zu § 411 (Wiederaufnahme eines durch rechts¬
kräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens bei in¬
zwischen verstorbenen oder in Geisteskrankheit
Gerichte Erztl. Wünsche in besag aaf die bevorstehende Reform der Str.-Pr.-O. 53
verfallenen Verurteilten) wird folgende Fassung vor¬
geschlagen :
»Ist der Verurteilte bereits verstorben oder in Geistes¬
krankheit verfallen und seine Widerherstellnng in
absehbarer Zeit nicht zu erwarten, so hat ohne Erneue¬
rung der Hauptverhandlung das Gericht.entweder
die Freisprechung zu erkennen oder den Antrag auf Wieder¬
aufnahme abzulehnen.
Eine Urteilsfällung soll ohne Erneuerung der Hauptver¬
handlung gegen den Willen des Verurteilten (entsprechend dem
Beschlüsse der Kommission für die Beform der Strafprozessord¬
nung, Protokolle, II. Bd., S. 549, Nr. 240) sowie gegen den
Willen des Vormundes oder Pflegers eines verurteilten
Geisteskranken nicht mehr zulässig sein.“
XXI.
Zu §§ 485 und 487 (Vollstreckung des Todesurteils
und Aufschiebung einer Freiheitsstrafe bei geistes¬
kranken Personen).
Nach § 485, Abs. 2 darf an geisteskranken Personen ein
Todesurteil nicht vollstreckt werden, und nach § 487, Abs. 1 ist
die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe aufzuschieben, wenn der
Verurteilte in Geisteskrankheit verfällt, ferner bei anderen Krank¬
heiten, wenn von der Vollstreckung eine nahe Lebensgefahr für
den Verurteilten zu besorgen steht. Beide Paragraphen sollen
etwa in folgender Weise ergänzt werden:
»Steht die Auffassung der Strafvollzugsbehörde über das
Vorliegen einer Geisteskrankheit oder das Vorhandensein einer
nahen Lebensgefahr mit der Auffassung der Sachverständigen in
Widerspruch, so ist ein Obergutachten einer kollegialen Fach¬
behörde einzuholen.“
XXII.
Für§ 498, Abs. 1 (Anrechnung der Dauer des Auf¬
enthalts eines Strafgefangenen in einer Kranken¬
anstalt auf die Strafzeit) soll folgende Fassung vor¬
geschlagen werden:
»Ist der Verurteilte nach Beginn der Strafvollstreckung wegen
Krankheit in eine von der Strafanstalt getrennte Krankenanstalt
gebracht worden, so ist die Dauer des Aufenthalts in der Kranken¬
anstalt in die Strafzeit einzurechnen, wenn nicht der Verurteilte
mit der Absicht, die Strafvollstreckung zu unterbrechen, die
Krankheit oder seine Verbringung in die Krankenanstalt
herbeigeführt hat. Dies gilt auch für solche Verurteilte,
welche wegen Geisteskrankheit in eine Irrenanstalt
gebracht werden.“
XXIII.
§ 503 (Erstattung der Auslagen seitens des Ver¬
urteilten bei Privatklagen) soll folgende Ergänzung in
Abs. 2 finden:
»Wird der Beschuldigte auf Grund des § 51 St.-G.-B. ausser
64
Bericht der Kaasenrerisoren.
Verfolgung gesetzt oder freigesprochen, so kann das Gericht den
Privatkläger nach Befinden der Umstände von der Tragung der
Kosten ganz oder teilweise entbinden.*
IV. Bericht der Kasseareviserti.
Vorsitzender: M. H.! Ehe wir die heutige Sitzung
schliessen, bitte ich noch den Bericht der Herren Kassenrevisoren
entgegen zu nehmen.
Stadtarzt Dr. Oebbecke-Breslau: M. H.! Wir haben die
Kasse auf Grund der Bftcher und Beläge geprüft, Alles in bester
Ordnung gefunden und beantragen daher den Schriftführer, der
die Kasse in vorzüglicher Weise geführt hat (Bravo!), zu ent¬
lasten.
Vorsitzender: Gegen den Antrag erhebt sich kein Wider¬
spruch, ich darf daher wohl annehmen, dass Sie alle damit ein¬
verstanden sind. Unserm Herrn Schriftführer, dem ich im Namen
des Vereins den besten Dank für seine viele Mühe ausspreche,
ist hiermit die ordnungsmässige Entlastung erteilt
Schluss der Sitzung: 2 1 /» Uhr nachmittags.
Im unmittelbaren Anschlüsse hieran fand die Besichtigung
der Milchküche in der Luisen-Heilanstalt unter sachverständiger
Führung des H. Privatdozenzen Dr. Tobler statt und hierauf
die Besichtigung des Krematoriums auf dem städtischen Fried¬
hofe, bei der H. Architekt Thomas in liebenswürdiger Weise die
Fühlung übernommen hatte.
6 Uhr nachmittags vereinigte das in der Stadthalle
abgehaltene Festessen die grosse Mehrzahl der Mitglieder mit
ihren Damen zu einem frohbewegten, mehrstündigen Beisammen¬
sein, das gegen 9 Uhr abends im „Bitter“ bei einem Glas Bier
einen recht vergnügten Abschluss fand.
Zweiter Sitzongstag.
Sonnabend, den 9.. September, vormittags 9 1 /* Uhr
im Eammermualktaal« der Stadtlia.il e.
I. Bl«
Brnnfslchtlgna dar üelstukraikw auswhalk
«er Aastaltu.
H. Privatdozent Dr. Weber, Oberarzt der Prov.-Heil- und
Pflegeanstalt in Göttingen, erster Referent: M. H.! Die Be¬
aufsichtigung der Geisteskranken hat einen doppelten Zweck zn
erfüllen, nämlich die Fürsorge für die Geisteskranken selbst und
die Wahrung der Interessen des Pnbliknms. Ich habe mich darauf
zn beschränken, das anzugeben, was wir vom irrenärztlichen
Standpunkte aus im Interesse der Geisteskranken wünschen
müssen. Der andere Referent wird als Medizinalbeamter dann
diese Wünsche prüfen event. einschränken und sie mit dem öffent¬
lichen Interesse in Einklang zu bringen suchen.
Dass wohl ebensoviel Geisteskranke ausserhalb als in den
Anstalten leben, ist Tatsache. Zu den Geisteskranken kommt aber
noch die grosse Zahl der Epileptiker und Idioten, und ich möchte
auch von dieser Stelle betonen, dass diese Kranken genau derselben
ärztlichen Beaufsichtigung bedürfen, wie die übrigen Geistes¬
kranken. Endlich kommen dazu noch eine Anzahl Individuen, die
wir als Labile zu bezeichnen pflegen, die also hart an der Grenze
der Geisteskrankheit stehen. Alle diese genannten Kranken in
Anstalten unterzubringen, ist schon aus finanziellen'Gründen un¬
möglich; aber auch humanitäre Gesichtspunkte machen es begreif¬
lich, dass man nicht eine solche Beschränkung der persönlichen
Freiheit allen denen antut, bei denen ihr Zustand dies nicht er¬
fordert.
M. H.! Zunächst muss ich darauf eingehen, welche Formen
von den hier in Betracht kommenden Kranken ausser¬
halb der Anstalten leben können? Erwarten Sie nicht
56
Dt. Weber.
eine Einteilung von rein klinischen Gesichtspunkten! In allen
„verwaltungs - technischen“ Fragen, wie die Aufnahme und Ent*
lassnng der Kranken, können wir mit rein nosologischen Betrach*
tnngen nicht viel anfangen; denn nicht die Krankheitsform ist
hier in erster Linie massgebend, sondern andere, ausserhalb des
Kranken liegende Momente, und die können bei klinisch gleich*
artigen Störungen verschieden sein.
Wenn wir nach diesen Punkten die Geisteskranken, die
ausserhalb der Anstalten leben können, mustern, so kommen wir
zu folgender Einteilung:
1. Solche Fälle, die noch nicht in einer Anstalt waren, die
also frisch [erkrankt sind. Das ist eine numerisch kleine
Gruppe.
2. Eine viel grössere Gruppe umfassen die schon längere
Zeit Erkrankten, die einer Behandlung, Pflege und Fürsorge
bedürfen, die aber aus den verschiedensten Gründen in die Anstalten
nicht aufgenommen werden können oder müssen. Hierbei kommen
besonders äussere Momente in Betracht: Die Anstalten sind über¬
füllt, oder die Angehörigen unterlassen die Aufnahme aus Mangel
an Mitteln usw. Die Angehörigen dieser Gruppen sind sozial
leistungsunfähig, so dass die Kranken besonders auch vielfach
aus diesem Grunde einer besonderen Fürsorge bedürfen.
Unter dieser Gruppe möchte ich eine Abteilung hervor¬
heben; das sind die in der Familienpflege lebenden
Geisteskranken. Wenn ich kurz zusammenfassen darf, welche
Erfahrungen seit der Einführung der Familienpflege von den
Kennern derselben gemacht worden sind, so sind es folgende
Gesichtspunkte. Erstens: die in der Familienpflege lebenden
Geisteskranken müssen in enger Beziehung zu einer grösseren
oder kleineren Anstalt stehen. Hier müssen sie beobachtet und
vorbereitet werden; sie müssen auch in diese Anstalt jederzeit
ohne jede Formalität für kurze oder längere Zeit zurückgenommen
werden können. Zweitens muss die Unterbringung, Behandlung
und Beaufsichtigung der Kranken, die Anleitung der Pflegefamilien
im grossen und ganzen von der Anstalt bezw. von deren Beamten
und Aerzten ausgeführt werden. Endlich müssen für die Unter*
bringung in Familien der Hauptsache nach fremde Familien, also
Nichtangehörige, in Betracht kommen. Diese Forderungen im
Einzelnen zu begründen, fehlt mir die Zeit. Ich weiss sehr wohl,
dass von verschiedenen Seiten der Versuch gemacht wird, eine
Familienpflege unabhängig von einer Anstaltszentrale in grösserem
Massstabe einzuftthren und sie etwa der Leitung des Medizinal¬
beamten zu unterstellen. Unsere Erfahrungen sprechen nicht
dafür, dass der Versuch Erfolg haben wird, eine derartige Fa¬
milienpflege für solche Kranke einzurichten, die noch einer dauern¬
den Fürsorge und Beaufsichtigung bedürfen; denn sie müsste des
Vorteils entbehren, die Kranken jederzeit in die Anstalt zurück¬
nehmen zu können, wenn ihr Befinden dies erfordert. Ausserdem
glauben wir auch nicht, dass durch eine solche von der übrigen
öffentlichen Irrenfürsorge losgelöste Einrichtung pekuniäre Erfolge
Die Beaufsichtigung der Geisteskranken außerhalb der Anstalten. 57
erzielt werden. Es schliesst dieser enge Zusammenschluss mit
der Anstalt nicht aus, dass der Medizinalbeamte ttber die in
seinem Bezirke untergebrachten Familienpfleglinge auf dem Lau*
fanden erhalten wird.
Neben dieser eigentlichen, im irrenftrztlichen Sinne gemeinten
Familienpflege kommt es jedoch immer noch vor, dass Kranke für
eine Zeit lang in Familien untergebracht werden, z. B. in „Fa¬
milienheime“ für „Nervöse“ und „Zurückgebliebene“, die in der
Tagespresse offeriert werden. Vielfach handelt es sich dabei um
leichte Psychosen, die über kurz oder lang doch in die Anstalt
kommen. Für diese Form der Familienpflege halten wir eine
Beaufsichtigung durch den Medizinalbeamten für wünschenswert;
denn die Gefahr liegt nahe, dass sie zu einer Privat-Irrenanstalt
ohne behördliche Konzession auswächst.
• 3. In eine dritte Gruppe von Geisteskranken, die ausserhalb
der Anstalten leben können, möchte ich diejenigen zusammenfassen,
die einer besonderen Pflege oder Behandlung momen¬
tan nicht bedürfen. Dahin gehören die als geheilt oder ge¬
bessert aus einer früheren Geisteskrankheit hervorgegangenen
Kranken. Weiter gehören zu dieser Gruppe auch die schon oben
erwähnten Labilen. Die Beaufsichtigung dieser Fälle hat sich
nicht nur auf eine Prophylaxe gegen eine neue Erkrankung zu
erstrecken, sondern muss vor allem auch die soziale Leistungs¬
fähigkeit zu stärken und zu erhalten suchen.
Das sind die Gruppen von Kranken, von denen wir glauben,
dass sie ausserhalb der Anstalten leben können.
In bezug auf ihre Beaufsichtigung kommen wir zu
folgenden Wünschen: Eine auf die Heilung oder Besserung der
Geisteskrankheiten selbst und ihre Erscheinungen gerichtete Be¬
handlung wird in den wenigsten Fällen ausserhalb der Anstalten
durchgeführt werden können; eine wichtige Aufgabe ist es viel¬
mehr, dass diese Geisteskranken möglichst rasch den Anstalten
zugeführt werden. Eine sachgemässe Behandlung ausserhalb der
Anstalt halten wir nur dann für durchführbar, wenn die in der
modernen Anstalt vorhandenen Hilfsmittel zur Verfügung stehen.
Dazu rechne ich die Möglichkeit einer dauernden Ueberwachung
durch geschultes Personal und die Einrichtungen zur Regelung der
Ernährung, der Bettruhe und der Beruhigung erregter oder
tobsüchtiger Kranken. Bei günstigen sozialen Umständen lässt
sich das in häuslichen Verhältnissen vielleicht durchführen; für
das Gros der Kranken aber kommt eine solche Behandlung
ausserhalb der Anstalten nicht in Betracht. Aber auch die Kranken¬
häuser der kleinen und mittleren Städte verfügen in den seltensten
Fällen über die zur Behandlung akuter Geistesstörungen geeigneten
Mittel. Das, was in diesen Krankenhäusern dafür vorgesehen ist,
beschränkt sich meist auf die Isolierzelle, und damit können wir
nicht viel anfangen; ja selbst wenn die geeigneten Einrichtungen
für Bett- und Bäderbehandlung vorhanden sind, so ist damit nicht
viel getan, wenn nicht ein geschultes Personal zur Verfügung
steht. Man kann aber nicht verlangen, dass ein kleineres Kranken-
58
Dr. Weber.
h&us geschultes Irrenpflegepersonal ständig unterhält; denn dass
ein Krankenwärter oder die Krankenhausschwester nicht ausreicht
weise jedermann. M. H.! Das soll keinen Vorwurf gegen die
Krankenhäuser enthalten; wir hören auch aus den grösseren
Krankenhäusern, die eigene Irrenabteilungen haben, die Klage, dass
das geschulte Personal fehlt. Das lässt sich eben nur durch¬
führen in den Irrenanstalten, wo man mehr Personal hat. Ich
möchte nochmals betonen, dass wir diese Krankenhäuser, wenn
sie nicht mit den nötigen Einrichtungen versehen sind, auch fftr
die vorläufige Unterbringung von akuten Geistes¬
kranken nicht für geeignet halten. Vielfach trägt die
Schuld an diesen Verhältnissen die Ueberfüllung der öffentlichen
Anstalten und die Schwerfälligkeit des Aufnahmeverfahrens. Dieser
letzte Punkt fällt ausserhalb des Rahmens meines Referates, aber
ich möchte nicht unterlassen, zu betonen, wie sehr man gerade
die schweren Geisteskrankheiten durch eine weitere Erschwerung
des Aufnahmeverfahrens schädigen würde. Was ihnen not tut,
ist nicht eine Erschwerung, sondern eine Erleichterung der
Aufnahmeformalitäten. Was ihnen weiter not tut, ist eine Ein¬
richtung, dass wenigstens die akut Erkrankten für einige Zeit
umsonst oder doch ohne vorherige Regelung der Kosten verpflegt
werden.
Den Medizinalbeamten sind ja die Aufnahmeformalitäten der
Anstalten ihres Bezirks bekannt; aber vielfach liegt auch die
Aufhahmebegutachtung nichtbeamteten Aerzten ob; man denke
nur an die Verhältnisse auf dem platten Lande. Für die rasche
Erledigung einer Aufnahme ist dies sehr zweckmässig; aber was
wir noch dazu wünschen, ist, dass auch die praktischen Aerzte
wenigstens einige Kenntnisse der Aufnahmeformalitäten besitzen.
Es soll von dem praktischen Arzt nicht verlangt werden, da«
er lange Gutachten baut, das ist bei dem heutigen Stand unserer
Systematik sehr schwer; aber das Gutachten sollte doch einige
Tatsachen und den Schluss auf die Notwendigkeit der Aufnahme
enthalten. Und dann müsste der praktische Arzt auch so viel
von den Aufnahmeformalitäten wissen, dass er den Kranken und
seine Angehörigen nicht blos mit dem kurzen Gutachten auf die
Bahn zur nächsten Anstalt schickt, sondern dass er ihm auch
einige Winke geben kann, wie er die notwendigen amtlichen
Unterlagen erlangt.
Um es noch einmal zu erwähnen: Es wäre also eine wich¬
tige Aufgabe der Beaufsichtigung, dafür zu sorgen, dass die
Kranken, die ausserhalb der Anstalten nicht behan¬
delt werden können, letzteren möglichst rasch zu¬
geführt werden und dass in dem Aufnahmegutachten
der Gesichtspunkt der Heil- und Pflegebedürftigkeit
in erster Linie zum Abdruck kommt.
Ueber die in der Straf- und Untersuchungshaft
geistig Erkrankten ist in der letzten Zeit viel geschrieben
worden; auch sind die Forderungen, die vom irrenärztlichen Stand¬
punkte zu stellen sind, wiederholt zusammengefasst worden. Ich
Die Beaufsichtigung der Geisteskranken außerhalb der Anstalten. 59
mochte bei dieser Gelegenheit nochmals die eine Hauptforderung,
die wir an eine Strafprozess-Reform zu stellen haben, erwähnen,
dass ein in Strafhaft Erkrankter nicht auf unabsehbare Zeit zwi¬
schen Gefängnis und Irrenanstalt hin- und herpendelt, sondern dass
ihm die Zeit des Aufenthaltes in der Anstalt auf die Strafzeit an¬
gerechnet wird. Die gestrigen Vorträge haben die Dringlichkeit
dieser Forderung erwiesen. Was im übrigen die in den Gefängnissen
Erkrankten betrifft, so verfügen die grösseren Gefängnisse ja
meistens über Lazarette und Beobachtungsstationen und in den
kleineren ist es leichter, eine individuelle Behandlung eintreten zu
lassen, bis die Aufnahme in die Anstalt erfolgen kann. Auch in den
Korrigendenanstalten ist eine grosse Anzahl psychopathischer In¬
dividuen untergebracht. Es ist der Vorschlag gemacht worden,
regelmässig eine irrenärztliche Revision dieser Anstalten eintreten
zu lassen und die betreffenden Individuen in Irrenanstalten auf¬
zunehmen. Wir können den Vorschlag nicht billigen, solange
nicht geeignete Anstalten geschaffen sind; denn unsere Irren¬
anstalten reichen weder räumlich dafür aus, noch eignen sie sich
sonst für dieses Krankenmaterial.
M. H.! Ein anderer Punkt der Beaufsichtigung betrifft die¬
jenigen chronisch Kranken, Labilen und die früher
geisteskrank Gewesenen, die nicht notwendig in der An¬
stalt leben müssen. Hier handelt es sich um Massregeln, die
einerseits sich zu richten haben gegen eine neue Erkrankung,
und die anderseits die noch vorhandene, wenn auch geringe soziale
Leistungsfähigkeit wieder stärken sollen. Auch hier lässt sich
ein allgemeiner Gesichtspunkt nicht geben, und gerade hier ist
dem beamteten Arzt ein weites Feld der individuellen Betäti¬
gung geboten. — Ich möchte nur einige Gesichtspunkte her¬
vorheben: Ich brauche kaum zu betonen, dass für alle die¬
jenigen, die an einer Alkoholpsychose gelitten haben, eine voll¬
ständige Abstinenz zu befürworten ist. Aber auch Epileptiker,
Schwachsinnige und psychisch Labile sollten tunlichst dem Al¬
kohol ferngehalten werden. Was hier getan werden kann, ist
folgendes: Wir haben in geeigneten Fällen den Versuch ge¬
macht, die Entmündigung wegen Trunksucht zu beantragen oder
aber die zur Entlassung kommenden Kranken zu veranlassen,
sich einem Abstinenzvereine anzuschliessen. Durch Belehrung der
Angehörigen kann in dieser Richtung wohl noch mehr getan
werden. Einer weiteren Ausdehnung der Entmündigung steht ja
der Umstand entgegen, dass der Staatsanwalt kein Antragsrecht
besitzt, und von den Angehörigen ist es begreiflich, wenn sie die
Stellung des Antrages unterlassen, weil sie den Zorn des Mannes
pp. fürchten.
Wichtig sind auch noch andere Massregeln, welche sich auf die
Stärkung der Leistungsfähigkeit des genesenen Geistes¬
kranken beziehen. Es ist von Wichtigkeit, dem Kranken wieder
Stellung zu verschaffen und ihn auf diese Weise über Wasser zu
halten. Hier haben eine segensreiche Tätigkeit die Irrenhülfs-
vereine entfaltet, deren Einrichtung zum grössten Teil bekannt ist.
60
Dr. Weber.
Wir halten es nicht für gut, wenn diese Vereine unter Leitung: der
regionären Anstalten stehen. Viel zweckmässiger stehen sie unter
der Leitung des Medizinalbeamten, da das immer noch gegen die
Irrenanstalten bestehende Misstrauen sonst auch dem Verein ent¬
gegen gebracht würde. Von all’ den Massregeln versprechen wir
uns aber nur dann einen Erfolg, wenn sie nicht auf dem akten-
mäsBigen oder dienstlichen Wege vollzogen werden, sondern nur
durch persönliche Kenntnisnahme des Erkrankten.
M. H.! Die Bedeutung der Fürsorgeerziehung liegt
nicht zum wenigsten auf psychiatrischem Gebiete. Unter den
Fürsorgezöglingen sind zahlreiche psychopathische Individuen, wie
z. B. leichtere Formen von Schwachsinn, ferner beginnende Jugend¬
psychosen. Hier ist es Aufgabe der Beaufsichtigung, zu zeigen,
dass manche scheinbare Unarten aus diesen Geistesstörungen her¬
vorgegangen sind, und dass Züchtigungen nicht am Platze sind.
Eine wesentliche Unterstützung in der Prophylaxe der Psy¬
chosen erblicken wir auch in der Einrichtung von Volksheil¬
stätten und Polikliniken für Nervenkranke.
Die Begutachtung zweifelhafter Geisteszustände
namentlich in krimineller Beziehung hat ebenfalls eine Bedeutung
für unser Thema. Vielfach fördert erst die Begutachtung solcher
Zustände die Kenntnis derselben zutage und man ist erstaunt, wie
lange oft die Kranken von ihrer Umgebung mitgeschleppt werden,
ohne dass der Versuch der Behandlung gemacht worden ist. Was
die Begutachtung selbst betrifft, so wird bei solchen Kranken
die Frage zu erwägen sein, wie sich ihr künftiges Schicksal
gestalten soll. Es ist ja bekannt, dass der Sachverständige
hierfür nicht kompetent ist und auch das Gericht nicht, sondern
die Entscheidung haben die Polizeibehörden zu treffen. Wir
halten es aber nicht für eine Ueberschreitnng seiner Kompetenz,
wenn der Sachverständige auch kurz das künftige Schicksal des
Kranken nebenbei berührt; er würde dadurch dem Staatsanwalt
bei der Ueberweisung an die Polizeibehörde eine Unterlage
gewähren.
Weiter möchten wir die Forderung aufstellen, dass in allen
Fällen, in denen eine Freisprechung wegen einer geistigen Störung
erfolgt, dem zuständigen Medizinalbeamten Kenntnis gegeben wird.
Die meisten auf Grund des § 51 für geisteskrank Erklärten werden
doch der Irrenanstalt zugeführt werden. Es gibt aber nach
unseren Erfahrungen eine ganze Reihe von Fällen, bei denen
in medizinischem Sinne gar kein Zweifel besteht, dass eine
Geisteskrankheit vorliegt; trotzdem ist hier häufig den Betreffen¬
den mehr gedient, wenn man sie nicht auf § 51 exknlpiert, sondern
dem Strafvollzug zuführt, und das lässt sich wohl machen, wenn
es leichte Vergehen mit geringen Bestrafungen sind. Der Kranke
entgeht dadurch dem Schicksal, auf lange Zeit der Erwerbstätig-
keit entrissen zu werden; er wird wieder sozial leistungsfähig
und kann verdienen. Wir müssen auch dem Umstand im Auge
behalten, dass in gewissen Volksschichten gegen den aus der
Irrenanstalt Entlassenen immer ein Misstrauen besteht, welches
Die Beaufsichtigung der Geisteskranken außerhalb der Anstalten. 61
grosser ist als die Voreingenommenheit gegen einen bestraften
Verbrecher.
Damit komme ich zn dem letzten Punkte, der Beaufsich¬
tigung der sog. gemeingefährlichen Geisteskranken.
Ich will nicht auf diesen Punkt näher eingehen, sondern nnr
betonen: Die Gemeingefährlichkeit ist kein medizinischer Begriff,
sie ist auch nicht ein juristischer, nicht einmal ein fest nmschriebener
verwaltungstechnischer Begriff; nebenbei bemerkt würde sie das
auch nicht werden, wenn man ihre Feststellung von einem Ver¬
fahren analog dem Entmündigungsverfahren abhängig machen
würde. Die Gemeingefährlichkeit hängt auch nicht an einzelnen
Formen oder Stadien geistiger Erkrankungen; alle Versuche,
die Geisteskrankheiten von diesem Gesichtspunkte einzuteilen,
sind verfehlt. Was wir vom praktischen Standpunkte für die
Beaufsichtigung der belästigenden oder gefährlichen Kranken
fordern, ist folgendes: In erster Linie kommt die Begutachtung
in Betracht. Hier ist der beamtete Arzt häufig in einem Dilemma.
Einerseits wird darauf hingewiesen, dass mit der Bezeichnung
„Gemeingefährlichkeit“ ein Missbrauch getrieben wird, anderseits
riskiert er, dass ihm die insozialen Handlungen des Kranken in
die Schuhe geschoben werden. Man kann ihm somit nicht ver¬
denken, wenn er sich den Bücken deckt und die Aufnahme des
Kranken in eine Anstalt beantragt. Aber im Interesse des Kranken
liegt es, wenn in dem Aufnahmegutachten mehr die Heilbarkeit
oder Pflegebedürftigkeit, als die Gemeingefahr betont wird. Wir
hatten vor kurzem einen 70 jährigen Mann, der nach einem Schlag-
anfall halbseitig gelähmt war; er lag zu Bette, liess unter sich
gehen, konnte nicht gehen und stehen. Er schimpfte und schlug
mit einem Arm um sich bei der Untersuchung und aus diesem
Grunde hat das Gutachten gelautet: „Der Mann muss wegen
Gemeingefährlichkeit in eine Anstalt kommen.“ Die Pflegebedürf¬
tigkeit war gamicht erwähnt. Nun weiss ich ja, dass es viele
belästigende und gefährliche Geisteskranke gibt, bei denen eine
Besserung nicht denkbar ist und auch von einer Pflegebedürftig¬
keit keine Bede sein kann; man denke nur an die degenerierten
und schwachsinnigen Betrüger, Hochstapler pp. Unter dieser
Gruppe sind es nun einzelne, die ich besprechen will: Das sind
solche Zustände, bei denen zum Zustandekommen der Gemein¬
gefährlichkeit die äusseren Momente mitgespielt haben, eine Kom¬
plikation von Umständen, die vielleicht nicht wieder Vorkommen.
Das ist der Fall z. B. bei den Handlungen im Affekt der Degene¬
rierten. Es gibt hier Fälle, die für gewöhnlich überhaupt nicht
geisteskrank genannt werden würden, bei denen nur infolge der
Einwirkung von Alkohol oder besonderer Affekte eine solche Hand¬
lung zustande gekommen ist. In vielen Fällen könnte hier von
der Aufnahme Abstand genommen werden. Einer anderen Gruppe
gehören Fälle an, bei denen es sich um verhältnismässig leichte
Vergehen chronischer, aber sozial noch leistungsfähiger Kranken
handelt. Dahin gehören z. B. manche Formen des Querulanten¬
wahns. Es ist oft nicht zweckmässig, sie auf lange Jahre der
62
Dr. Weber.
Irrenanstalt zu überweisen, was der Oeffentlichkeit nur Kosten
verursacht und die Leute dem freien Erwerb entzieht. Ich er¬
innere mich an einen Kranken, der im Jahre 1878 einen beleidigen¬
den Brief an den Kronanw< in Hannover geschrieben hatte und
deswegen in die Irrenanstalt gebracht wurde. Er ist entwichen;
ist verfolgt und wieder eingeliefert worden, ist abermals ent¬
wichen; kurzum er ist in 20 Jahren 6 mal entwichen und wieder
in die Anstalt gebracht worden. Das 7. Mal haben wir ihn ent¬
lassen. Ich glaube nicht, dass diese Vergehen so gefährlich sind,
dass eine Anstaltsinternierung auf lange Jahre zweckmässig ist.
Unterlässt man sie, so bleibt der Mann sozial leistungsfähig.
Was die Beaufsichtigung der Gemeingefährlichen betrifft, die
entlassen sind, so schreibt eine preussische Ministerialverfügung
vor, dass die zuständige Polizeibehörde von der Entlassung benach¬
richtigt werden muss. Wir möchten wünschen, dass diese Beauf¬
sichtigung so gehandhabt wird, dass sie nicht eine fortwährende Be¬
unruhigung des ehemaligen Kranken darstellt, dass, wenn der Be¬
treffende wieder Stellung gefunden hat, nicht alle 8 Tage ein unifor¬
mierter Beamter in der Wohnung nach ihm fragt. Einem Falle
unserer Beobachtung ist folgendes entnommen: Der Mann war 4
Wochen entlassen und die Beaufsichtigung wurde so gehandhabt:
Als er auf einer Tanzmusik war, trat der Gendarm zu ihm und
fragte: „Geraucht hat es bei Ihnen auch schon wieder?“ Der
Kranke erwiderte: „Wenn sie das gerochen haben, müssen sie eine
feine Nase haben.“ Daraufhin wurde Strafantrag wegen Beamten¬
beleidigung gestellt. Wir haben davon Abstand genommen, dem
Mann den Schutz des § 51 zuzubilligen, und er ist aus pro¬
zessualen Gründen freigesprochen worden. Jetzt lebt er zu
Hause und verdient seinen Unterhalt. Ich meine, gerade hier
in diesem Punkte könnte der Arzt durch persönliche Einwirkung
auf die untergeordneten Organe und durch Belehrung dieser Be¬
amten Gutes schaffen.
M. H.! Was ich Ihnen eben vorgetragen habe, soll ein Teil
der Wünsche sein, die wir vom irrenärztlichen Standpunkte aus
für die Beaufsichtigung der ausserhalb der Anstalt lebenden
Kranken haben. Ich möchte nur noch einen allgemeinen Gesichts¬
punkt hervorheben: Nach unserer Anschauung ist den Kranken
in und ausserhalb der Anstalten nicht viel gedient, wenn all’ die
Wünsche, die wir für sie haben, reglementarisch, d. h. auf dem
Wege der Gesetzgebung, festgelegt werden. Immer lauter erschallt
ja der Ruf nach einem Reichs-Irren ge setz. Wir können den
Wunsch nicht teilen, und die Erfahrung, die man bisher in anderen
Ländern mit einer solchen Gesetzgebung gemacht hat, befestigen
uns in dieser ablehnenden Haltung. Wir erblicken Erfolg viel¬
mehr in der Ausgestaltung der individuellen Entwickelung, welche
die Irrenfürsorge in den einzelnen Landesteilen genommen hat,
nämlich in der Berücksichtigung der Eigenarten der Landesteile
und der Gewohnheiten ihrer Bewohner. Jede Irrengesetzgebung
würde die Geisteskranken zu einer besonderen Menschenklasse
stempeln, die wenigstens in der Laienanschauung dem Vor-
Die Beaufsichtigung der Geisteskranken außerhalb der Anstalten. 63
bracher nahe verwandt ist. Der einzige Gesichtspunkt, der der
Behandlung und Fürsorge der Geisteskranken innerhalb und ausser¬
halb der Anstalten zugrunde liegen muss, ist der, den die natur¬
wissenschaftliche Kenntnis an die Hand gegeben hat: dass
Geisteskranke nichts anderes sind als körperlich
Kranke und nur nach Massgabe ihrer Krankheitssymptome
behandelt werden dürfen. Wir geben uns dem Vertrauen hin,
dass die deutschen Medizinalbeamten immer dafür eintreten werden,
diesem Grundsätze Geltung zu verschaffen und die ihm entgegen¬
stehenden Vorurteile zu bekämpfen.
(Lebhafter Beifall.)
H. Prof. Dr. Stolper, Kreisarzt in Göttingen, zweiter Refe¬
rent: M. H.! Nach den lichtvollen Darlegungen des Herrn Vor¬
redners, die sich auf vielj&hrige Erfahrung in der Anstaltspraxis wie
in der FamilieDpflege stützen, bleiben mir die Folgerungen für
die Verwaltungspraxis zu erörtern. Der Herr Referent hat die
Notwendigkeit einer gründlichen gleichmässigen Beaufsichtigung
aller Geisteskranken einschliesslich Epileptischer und Idioten ausser¬
halb der Anstalten dargelegt. Ist nun diese Aufgabe der Gesundheits¬
polizei verwaltungsrechtlich nicht bereits hinreichend geregelt?
Diese Frage wird man, meine ich, verneinen müssen. Und das kann
auch wohl z. Z. nicht anders sein. Die Psychiatrie hat selbst diese
ihre Wünsche erst in neuerer Zeit schärfer betont, seit auch im
übrigen die Gesundheitspolizei mehr und mehr in die Hände der
Sachverständigen gelegt worden ist. Tatsächlich verdanken die
Medizinalbeamten noch heute mehr oder weniger zufälligen
Gelegenheiten die Kenntnis, und zwar nur eines Teils aller
Geisteskranken des ihrer Obsorge anvertrauten Bezirks. Noch
ist es keineswegs überall durchgeführt, dass der Medizinalbeamte
amtlich Kenntnis erhält von der Entlassung eines gebesserten,
aber ungeheilten Kranken aus der Anstalt. Wenn man, wie in
Preussen, auch die praktischen Aerzte mit heranzieht zur Aus¬
füllung der Jahreslisten über die in ihrer Nähe wohnenden Geistes¬
kranken, so ist das für diese keineswegs eine angenehme Auf¬
gabe ; denn machen sie pflichtmässig auf eine mangelhafte Unter¬
bringung oder Verwahrlosung aufmerksam, so schädigen sie sich
dadurch leicht in ihren Existenzbedingungen, oder aber sie bringen
sich mit ihrem Berufsgeheimnis in Konflikt. Auf die nichtärzt¬
liche Kontrolle der Aufsichtsbedürftigen, z. B. durch Polizisten
und Gendarmen und die daraus entspringenden Unzuträglichkeiten
hat der Herr Vorredner schon gebührend hingewiesen.
Die Anmeldung von Geisteskranken, die mit dem Straf¬
gesetz in Konflikt und so in Untersuchungshaft kommen, aber auf
Grund des § 51 des Strafgesetzbuchs als unzurechnungsfähig freige¬
lassen werden, bedarf der gesetzlichen Regelung. Ich denke z. B.
an einen schwachsinnigen Brandstifter. Aus der Untersuchungshaft
kommt er für 6 Wochen in eine Irrenanstalt, von dieser wird sein
angeborener Schwachsinn als straffreimachend überzeugend darge¬
legt. Dann verfügt die Staatsanwaltschaft alsbald seine sofortige
64
Dr. Stolper.
Entlassung. Wohin kommt er? In der Regel .in die Heimat, wo
ängstliche Gemüter sich vor diesem „gemeingefährlichen“ Menschen
bangen, ihm Aufnahme in ein Arbeitsverhältnis versagen, bis
schliesslich der Herr Pastor nach Wochen sich bei der Kreis-
behörde beschwert und so auch wohl der Medizinalbeamte etwas
erfährt. Man darf sich nicht wundern, wenn der Geistesschwache
aus Verdruss über alle Zurückweisungen, Sorgen und Nahrungs¬
not, urteilsschwach überdies wie er ist, sich neuer Delikte in
dieser Zeit schuldig macht.
Nicht minder fehlt die Anzeigepflicht am Schlüsse des Ent¬
mündigungsverfahrens. Wenn da nicht gerade der zustän¬
dige Medizinalbeamte, sondern eine psychiatrische Autorität gehört
worden ist, so bleibt die Existenz des Entmündigten an zustän¬
diger Stelle unbekannt. Die Zahl derer, die entmündigt werden,
ohne je in einer Anstalt gewesen zu sein, ist doch keineswegs
eine geringe.
Aber auch bezüglich der Arider Entlassung der Gei¬
steskranken aus der Anstalt" bleibt manches zu wünschen
übrig. Warum kann das Ergebnis einer langen Anstaltsbeobach¬
tung bei der Entlassung dem zuständigen Medizinalbeamten nicht
zu Gute kommen? Die einfache knappe Entlassungsmeldung
lässt sich ohne grosse Mühewaltung ersetzen durch eine kurze
Mitteilung über Art der Geistesstörung, deren Prognose, über die
zweckmässigste Unterbringung, über die erwerbliche Leistungs¬
fähigkeit des Entlassenen. Dem Medizinalbeamten erspart diu
Wege, Kopfzerbrechen und gibt ihm eine Sicherheit in bezug auf
die ihm zufallende Aufsicht, die er durch ein- oder mehrmalige
Beobachtung nicht gewinnen kann. Kostenersparnis und harmo¬
nisches Zusammenarbeiten der Anstaltsleiter und der Medizinal¬
beamten würden sich daraus naturgemäss ergeben; denn auch die
Letzteren können für die Anstalten gebend sein durch Auskünfte
über die Entlassenen und ähnliches. Im Interesse des Kranken
muss beides zur Pflicht gemacht werden, was bislang wohl schon
oft geübt wird.
Wenn die in Familienpflege aus einer Anstalt übertre¬
tenden Kranken Anstaltsangehörige bleiben, wie dies Herr Weber
verlangt hat — und ich stimme ihm darin vollkommen bei —, so
kann es zweifelhaft bleiben, ob dem Medizinalbeamten von deren
Unterbringung in seinem Bezirk pflichtmässig Mitteilung zu machen
ist oder nicht. Es wäre nicht erforderlich, wenn man nur die
Obsorge für das psychische Leiden ins Auge fasst; es ist indes
dringend notwendig, wenn man, wie dies selbstverständlich, auch
das körperliche Wohl der Schutzbefohlenen nicht ausser Acht
lässt. Ich denke z. B. an den Fall, dass in einem Dorfe, das
viele Familienpfleglinge birgt, eine gemeingefährliche (übertrag¬
bare) Krankheit auftritt. Hier wird der Medizinalbeamte doch
am frühesten Schutzmassregeln auch für diese Pfleglinge treffen
können: Zurückziehung in die Anstalt rechtzeitig empfehlen oder
auch vielleicht oft widerraten, sofern eine solche die Insassen der
Anstalt gefährden könnte. Es kommt also in der Praxis auch
Die Beaufsichtigung der Geisteskranken außerhalb der Anstalten. 65
hier wieder auf ein harmonisches Zusammenwirken der Anstalts¬
leiter mit den Medizinalbeamten hinaus. Dass die letzteren auch
bei der Auswahl der Dörfer für die Familienpflege nützlich mit-
wirken können, liegt auf der Hand. Ich zweifle nicht, dass bei
solcher Art Zusammenwirken die Familienpflege noch eine grössere
Zukunit hat. Macht sie doch eine Summe von Arbeitskraft, aber
auch von Kapital frei und nutzbar, wie wir dies unseren an Ar¬
beitskräften oft so knappen Landgemeinden nicht besser wünschen
können, ganz abgesehen davon, dass der wohl beaufsichtigte Fa¬
milienpflegling auch der humansten Form der Irrenbehandlung
teilhaftig wird.
Eine gewisse Meldepflicht in bezug auf die Geisteskranken
ausserhalb der Anstalten besteht also, aber die tägliche Praxis
zeigt, dass sie ungenügend ist und auch in der Art der Durch¬
führung zu wünschen übrig lässt! Der Medizinalbeamte muss
alle aufsichtsbedürftigen Geisteskranken kennen, bei
ihm müssen alle Berichtsquellen zusammenfliessen.
Sein Wirkungskreis ist räumlich nicht so ausgedehnt, dass er
nicht ein- bis zweimal im Jahre alle Kranken persönlich sehen
und auch die Einflüsse der Umgebung wirklich kennen lernen
kann. Alle kennen, wirklich kennen, das ist die erste
Bedingung einer befriedigenden und erschöpfenden
Aufsicht. Dass diese mit dem nötigen Takt erfolgt, dafür bürgt
m. E. die Ausbildung, aber auch die heutige Stellung der Medizi¬
nalbeamten. Kaum ein anderer Beamter hat so die Möglichkeit,
auch kein Arzt sonst, wie der beamtete, ohne Aufsehen zu er¬
regen, in die Verhältnisse des Pfleglings Einblick zu nehmen.
Bei den Ortsbesichtigungen, bei Wohnungsrevisionen, bei Ermit¬
telungen aller Art, wie sie dem Gesundheitsbeamten heute zur
Pflicht gemacht sind, hat er Gelegenheit, in unauffälligster Weise
zu erfahren, was er zu wissen braucht und wünscht. Ganz auf
die Feststellung der in der eigenen Familie verpflegten Geistes¬
kranken zu verzichten, ist keineswegs angängig; denn die Er¬
fahrung lehrt, dass auch in sog. guten Familien Fälle von straf¬
barer Vernachlässigung und Misshandlung keineswegs ausge¬
schlossen sind. Ja gerade in reichen Häusern, wo Erbschaften,
Renten und andere wirtschaftliche Vorteile nicht ohne Einfluss
auf die Umgebung des Geisteskranken und die Art seiner Be¬
handlung sind, ist die Kontrolle oft recht notwendig. Diese darf
nicht ohne eine gewisse Diskretion geschehen, nicht ohne gewissen
Takt; doch reicht da der angeborene Takt des Herzens allein
nicht hin, es ist auch eine gewisse psychiatrische Erfahrung im
Umgang erforderlich. Rein verwaltungstechnisch wäre es keines¬
wegs ohne Analogon, wenn man den Kreismedizinalbeamten in
erster Linie zum Empfänger der behördlichen Meldung der Geistes¬
kranken machte, also ohne den Umweg über die Polizeidirektion
oder den Landrat, welche Instanzen dann erst von ihm zu benach¬
richtigen wären. Die Meldungen betreffend das Wochenbettfieber
gehen ja auch unmittelbar an den beamteten Arzt, doch nicht
blos aus dem Grunde, dass Eile in den Massnahmen besonders
ö
6t>
Dr. Weber.
geboten, die Bflckeicht anf die Kranken hat doch bei dieser Aus¬
nahme von der Kegel mitgespielt. Man kann so diskrete Ermit¬
telungen überhaupt nur vom Arzt machen lassen, dessen Sach¬
kenntnis und Takt im Umgang eben notwendig ist. In dem
gleichen Sinne wie im Hebammenwesen könnte der Kreismedizinal¬
beamte verwaltungsrechtlich als erste Meldeinstanz und mit einem
gewissen Grad von Aufsichts- und Anordnungsrecht ausgestattet
werden.
Die verwaltungstechnische Frage der Irrenfürsorge ist viel¬
fach schon erörtert, nicht zuletzt auch von den Medizinalbeamten.
Ich erinnere an das Keferat von 0 ebb ecke (1898 in Berlin^,
an diejenigen von Vorster, Weber und Rusack (1903 in Leip¬
zig), von Schwabe (1905 in Hannover). Schon in dem ersten
finde ich betont die Notwendigkeit der Aufsichtseinheit für die
ausserhalb der Anstalten befindlichen Geisteskranken, und zwar
der Aufsicht über alle Geisteskranken, auch die in der eigenen
Familie verpflegten. Leppmann, der ältere, der diese Forderung
besonders betonte, hat damals bereits hervorgehoben, dass es der
Medizinalbeamte ist, dem vor allem diese einheitliche Aufsicht zu
übertragen sei. Für diese schwere und verantwortliche Auf¬
gabe der Gesundheitspolizei ist der staatsseitig bestellte Gesund-
heits beamte des Kreises der in erster Linie Berufene. Das Melde¬
wesen ist so zu regeln, dass alle Kranken zu seiner Kenntnis
kommen. Eine ärztliche oder gar eine allgemeine Meldepflicht,
wie z. B. bei den Seuchen, ist selbstverständlich nicht zu wünschen;
aber alle, denen von Amtswegen die Existenz eines Geistes¬
kranken einwandsfrei bekannt wird, können und müssen von Reichs¬
wegen zur Meldung verpflichtet werden.
Zunächst die Anstaltsleiter; am besten schon einige Tage
vor der Entlassung haben sie einen, wenn auch knappen, so doch
erschöpfenden Bericht (Formular) an den zuständigen Medizinal¬
beamten zu geben, welcher die Art der Erkrankung, ihren beob¬
achteten und vermutlichen Verlauf (Voraussage) sowie Vorschläge
in bezug auf die Unterbringung enthält. So viel Interesse hat
jede Anstalt an ihren Kranken, muss sie haben, dass sie diese auch
in die möglichst beste Umgebung versetzt. Wer wäre da ein
besserer Vermittler, als eben der Medizinalbeamte, der ja auch
der künftige Fürsorger sein soll! M. fl.! Die einheitliche Ver¬
pflichtung aller Irrenanstalten im Deutschen Reiche zu solcher
Meldung jedes entlassenen Kranken lässt sich m. E. ohne Reichs¬
gesetz lediglich dadurch erzielen, dass ein dahingehendes Gut¬
achten des Reichsgesundheitsamtes in der Form eines Bundesrats¬
beschlusses den Einzelstaaten zur weiteren Veranlassung zuginge.
Die Meldepflicht für die Gerichte bezw. Staats¬
anwälte ist reichsgesetzlich durch Zusätze zur Straf- bezw.
Zivilprozess-Ordnung zu regeln. In dem gestrigen Re¬
ferat „Gerichtsärztliche Wünsche zur Strafprozessordnung“ habe
ich eine solche Bestimmung vermisst. Wir müssen zum § 51
des Strafgesetzbuches eine Ergänzung der Strafprozessord¬
nung verlangen des Inhaltes: „Ueber Geisteskranke, welche
Die Beaufsichtigung der Geisteskranken außerhalb der Anstalten. 6?
wegen Unzurechnungsfähigkeit straffrei ansgehen, ist an die zu¬
ständigen Medizinalbeamten eingehend zu berichten“. Ich denke
hier an Verwendung eines Formulars, das von dem zugezogenen
Gutachter auszufüllen wäre.
In gleicher Weise bedarf die Zivilprozessordnung einer Er¬
gänzung, und zwar zweckmässig in § 603: „Der die Entmündi¬
gung aussprechende Beschluss ist von Amts wegen der Vormund¬
schaftsbehörde und dem für den künftigen Wohnsitz des
Entmündigten zuständigen Medizinalbeamten sowie,
wenn eine gesetzliche Vormundschaft stattfindet, auch dem gesetz¬
lichen Vormunde mitzuteilen.“ Mit Erfüllung dieser Forderung
wäre erreicht, dass bis auf die frisch Erkrankten, die Minderwer¬
tigen und Zweifelhaften alle wirklich Geisteskranken, die sich
ausserhalb der Anstalten befinden, an einer zuständigen Stelle be¬
kannt wären. Eine sorgfältige Listenführung käme auch den An¬
stalten und Gerichten bei vielen Gelegenheiten wieder zugute. Die
Anstalten werden sich leichter entschlossen, Kranke zu entlassen,
wenn sie die weitere Fürsorge in sachkundige Hand gelegt wissen.
Die grosse Ratlosigkeit — auch unter den Aerzten — beim Auf¬
treten einer Geistesstörung wird sich mindern, wenn man allgemein
weiss, dass der Medizinalbeamte die berufene Stelle ist. Den Bat
eines praktischen Arztes befolgen Kranke und Angehörige zu
ihrem Schaden oft nicht; den eines beamteten beachtet man
zweifellos mehr, weil man weiss, dass die Beachtung nötigenfalls
erzwungen werden kann.
M. H.! Es sind eigentlich nnr kleine Wünsche und nur
in bezug auf Aenderung des formellen Hechts, nicht des ma¬
teriellen, die wir in bezug auf die Irrenfürsorge zur Geltung
bringen müssen. Der Medizinalbeamte empfindet in der Praxis,
dass er auf diesem Gebiete der Gesundheitspolizei ausserordent¬
lich verantwortlich arbeitet, aber bislang noch ohne genügende
gesetzliche Handhaben für ein wirklich erfolgreiches Wirken.
Diese Unzulänglichkeit der Mittel hat zweifellos, wie z. B. auch
im Kampfe gegen die Kurpfuscherei eine gewiss nicht wünschens¬
werte, aber wohl verständliche Interesselosigkeit gezeitigt, sehr
zum Schaden der Kranken, aber auch der Nichtkranken. Ohne
Aussicht auf Erfolg kein befriedigendes Arbeiten! Die Fürsorge
für die Geisteskranken wjrd ein befriedigendes erfolgreiches Ar¬
beitsfeld des Medizinalbeamten erst werden, wenn er in der ge¬
forderten Weise in den Mittelpunkt desselben gestellt wird.
(Lebhafter Beifall.)
Die von den beiden Herren Referenten aufgestellten Leit¬
sätze hatten folgenden Wortlaut:
A. Leitsätze des Referenten.
1. Die Anstaltspflegebedürftigkeit eines Geisteskranken wird
nicht ausschliesslich durch den Krankheitszustand, sondern durch
äussere Umstände, die auf den Kranken einwirken, bedingt.
2. Die Behandlung oder Pflege von Epileptikern, Idioten
6*
68
Leitsätze za den Vorträgen:
and Imbezillen ausserhalb der Öffentlichen Anstalten in privater
oder Familienpflege irgendwelcher Art muss derselben ärztlichen
Beaufsichtigung unterstehen, wie die der anderen Geisteskranken.
3. Die öffentlichen Irrenanstalten sind in erster Linie zur
Heilung and Pflege, nicht zur Unschädlichmachung Geisteskranker
bestimmt. Dieser Gesichtspunkt muss auch bei der Aufnahme -
begutachtung besonders betont werden.
4. Die allgemeinen Krankenhäuser eignen sich auch zur vor¬
läufigen Unterbringung, Behandlung und Pflege frischer Psychosen
nur, wenn ihnen die Einrichtungen und das geschulte Pflege¬
personal der modernen Irrenanstalt zur Verfögung steht und ihr
Leiter psychiatrisch ausgebildet ist.
5. Eine Information der praktischen Aerzte Aber das
für ihren Bezirk zuständige Aufnahmeverfahren ist dringend
wünschenswert.
6. Die Familienpflege im irrenärztlichen Sprachgebrauch ist
nur eine freiere Form der Anstaltspflege. Die in dieser Familien-
pflege untergebrachten Kranken sind Anstaltsangehörige; ihre
Beaufsichtigung und Behandlung wird zweckmässig von der An¬
stalt ausgeübt.
7. Wenn unabhängig von einer öffentlichen Zentralanstalt
mehr als drei Geisteskianke in einer fremden Familie unter¬
gebracht sind, so ist dies als eine Privatanstalt zu betrachten,
die den entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen zu unter¬
liegen hat.
8. Irrenhilfsvereine müssen, wenn sie ihren Zweck erfüllen
sollen, in ihrer Verwaltung und Organisation völlig von den re¬
gionären Irrenanstalten losgelöst sein und am besten unter Leitung
der Medizinalbeamten stehen.
9. Eine stetige enge Fühlung zwischen den Medizinalbeamten
und den Leitern der öffentlichen Irrenanstalten ist wünschenswert
10. Ueber die aus den Anstalten entlassenen Geisteskranken,
ebenso über die im Zivil- oder Strafverfahren als geistig gestört
in irgendwelcher Form Erklärten sollen die Medizinalbeamten
durch Vermittelung der zuständigen Behörden oder Gerichte in¬
formiert werden.
11. Bei der Beaufsichtigung entlassener Kranker ist das
Elingreifen subalterner, uniformierter Beamter tunlichst zu ver¬
meiden ; auch bei der Begleitung von Kranken in die Anstalt
sollten nicht uniformierte Beamte verwendet werden.
12. Zur Prophylaxe geistiger Störungen ist die Einrichtung
von Nervenpolikliniken und Volksnervenheilstätten dringend zu
empfehlen.
13. Es ist wünschenswert, dass auch der Staatsanwalt ein
Antragsrecht bei der Entmündigung wegen Trunksucht erhält.
B. Leitsätze des Korreferenten.
14. Die Beaufsichtigung der Geisteskranken ausserhalb der
Anstalten, eine noch nicht hinreichend geordnete Aufgabe der
Gesundheitspolizei, kann erschöpfend nur sein, wenn eine gut
Die Beaufsichtigung der Geisteskranken außerhalb der Anstalten. 69
geregelte Meldepflicht an eine Zentralmeldeetelle für ein um¬
grenztes, übersehbares Gebiet gesetzlich eingefflhrt wird.
15. Als solches kommt der Wirkungskreis je eines Staats¬
medizinalbeamten (Kreisarzt, Bezirksarzt) in Frage.
16. Dem Medizinalbeamten müssen auf dem Wege über die
Kreispolizeibehörde gemeldet werden:
a. seitens der Anstalten alle für seinen Bezirk irgendwie
in Betracht kommenden Entlassungen von nngeheilten bezw.
nur gebesserten Geisteskranken und zwar unter Mitteilung
von Art und Voraussage der Erkrankung des Entlassenen,
sowie von Wünschen, betreffend seine Unterbringung; auch
die in Familienpflege Entlassenen sind zu melden.
b. seitens der Behörden alle Feststellungen von Geistes¬
krankheit, sei es im Zivil-, sei es im Strafprozess.
17. Der Medizinalbeamte ist mit Ermittelungs-, Aufsichts¬
und beschränktem Anordnungsrecht inbezug auf Geisteskranke
ausserhalb der Anstalten auszustatten.
18. Diese Bestimmungen haben zur Voraussetzung ent¬
sprechende Ergänzungen der Zivil- und Strafprozessordnung und
einen Bundesratsbeschluss, der die Einheitlichkeit der landesrecht¬
lichen Anordnungen gewährleistet; dagegen bedarf es dazu keiner
weitgehenden generellen reichsgesetzlichen Regelung im Sinne
einer Reichsirrengesetzgebung.
Vorsitzender: Ich eröffne die Diskussion.
H. Med.-Bat Dr. Kreuser, Direktor der Königl. Heil- und Pflegeanstalt
in Wiesenthal: M. H.! Zu den Ausführungen der beiden Herrn Vortragenden
möchte ich beistimmend betonen, wie außerordentlich wichtig es ist, daß
heute in Ziffer 2 der Leitsätze die Ausdehnung der öffentlichen Fürsorge auch
auf Epileptiker, Idioten und Imbezille zur Sprache kommt Wohl ist
diese Ausdehnung in einzelnen Bundesstaaten wie in Preußen gesetzlich schon
einigermaßen geregelt, in anderen, speziell bei uns in Württemberg, fehlt sie
noch fast ganz, ist sie fast ausschließlich privater Wohltätigkeit überlassen.
Und doch zeichnen sich grade diese Kranken durch eine besorgniserregende
Kriminalität aus, die für die private Unterbringung oft genug die größten
Schwierigkeiten verursacht.
Sodann möchte ich Ziffer 8 herausgreifen, um zum Ausdruck zu bringen,
daß ich nicht recht verstehen kann, warum eine völlige Trennung der Irren-
hilfsvercine von den Anstalten gefordert wird. Ganz gewiß ist die Fürsorge
für die Geisteskranken eine Aufgabe, die der gesamten Bevölkerung im
weitesten Maße nahezulegen ist; es ist eine soziale Pflicht, diese Fürsorge
nicht nur den Irrenanstalten zu überlassen. Eben darum sind rege Beziehungen
zwischen den Irrenanstalten und dem Publikum, vorzugsweise durch Vermittlung
der Medizinalbeamten notwendig. Nur mit Hilfe solcher vermögen die An¬
stalten auch über ihren unmittelbaren Wirkungskreis hinaus noch Einfluß zu
nehmen auf das Loos ihrer früheren Patienten, können diese von den Hilfs¬
vereinen die angemessene Fürsorge erhalten. Medizinalbeamte und Vertrauens¬
männer der Vereine müssen in unmittelbarer Fühlung mit den Anstalten bleiben.
Dies würde nur erschwert durch eine völlige Loslösung der Vereine von den
Anstalten. Sind beide Aufgaben auch verschieden, so sind sie doch nicht ganz
getrennt, können persönliche Beziehungen ihrer Erfüllung gegenseitig nur zu
Statten kommen. Wird ohne solche ein aus der Anstalt Austretender dem
Verein überwiesen, so ist es viel zweifelhafter, ob die Fürsorge für ihn eine
angemessene wird, als wenn eine gewisse Verbindung mit der öffentlichen
Anstalt erhalten bleibt. Ich glAnbe, daß eine Art von Personalunion in der
Verwaltung der Vereine und der Anstalten nur empfehlenswert ist, wie ja
auch tatsächlich die Gründung solcher Vereine meist von Anstaltsvorständen
70
Diskussion za den Vortr&gen:
aasgegangen ist. Ich bin ferner überzeugt, daß es für die aas den Öffentliche«
Anstalten Entlassenen nur gut sein kann, wenn sie nnter die Aufsicht des
Medizinalbeamten ihres Bezirks kommen; wenn dieser dabei jedoch weniger als
Beamter aaftritt, sondern zugleich als Vertrauensmann des Hilfsvereins snr
materiellen und sozialen Unterstützung der Entlassenen beitragen kann.
Kommt er nicht mit leeren Händen, so wird ihm auch seine Ueberwach ungs-
aafgabe wesentlich erleichtert. Mit Freuden bringe ich es hier zum Ausdruck,
daß ich an den Medizinalbeamten unseres Landes in dieser Bichtang stets eine
bereitwillige Hilfe gefunden habe.
Endlich mochte ich auch den Leitsätzen 16 bis 18 noch warm znstimmen
and für anbedingt notwendig erklären, daß der 8trafprozeßordnung in ihrem
Sinne eine Ergänzung zu teil wird. Schon gestern hätte ich das gern zum
Ausdruck gebracht, wenn ich nicht Bedenken getragen hätte, zur Strafprozeß*
Ordnung überhaupt zu sprechen, solange der § 61 des Strafgesetzbuchs in der
jetzigen Fassung besteht, nach der „eine strafbare Handlung nicht 'vorhanden
ist", wenn der Täter sich in einem Zustande krankhafter Störung etc. befunden
hat. Ist letzteres festgestellt, so ist die Aufgabe des Richters erschöpft, kann
eventuell auf Grund eines eigenen Verfahrens die Verwaltung eintreten. Eine
solche scharfe Trennung zwischen Justiz und Verwaltung entspricht nicht dem
tatsächlichen Bedürfnisse nach einer raschen Fürsorge für die unter Anwendung
des § 51 des St. G. B. außer Verfolgung gesetzten und zugleich gefährlichen
Geisteskranken. Wünschenswerter wäre es, wenn das Gericht mit seinem
Urteil unmittelbar die Maßnahmen zu veranlassen hätte, die bisher ausschließlich
der Verwaltung zustehen. Dabei kann es nur zweckmäßig sein, wenn für die
Ausführung mehr die Mitwirkung des Medizinal- als die des Polizeibeamten in
Anspruch genommen wird. Ausdrücklich beitreten möchte ich der Ansicht,
daß sich alles hierzu Erforderliche vollkommen erreichen läßt durch eine Er¬
gänzung der Strafprozeßordnung, weit besser jedenfalls als durch eine be¬
sondere Irrengesetzgebong, die nur die größten Schwierigkeiten machen konnte.
Alle Fürsorge für die Geisteskranken würde bedenklich erschwert werden,
wenn sie nach juristischem Stsndpunkte abhängig gemacht werden müßte von
bestimmten Tatsachen, die dem Kranken zur Last fallen, anstatt von seinem
Zustande und seinen Gesinnungen. Auch alle Erfahrungen, die man anderwärts
mit der Einführung besonderer Irrengesetzgebungen gemacht hat, können
nicht zur Nachahmung ermuntern. Ist es doch durchaus unmöglich, von
vornherein den Wirkungsbereich einer solchen Gesetzgebung zu umgrenzen.
Sie wäre eine Ausnahmegesetzgebung, durch welche die Geisteskranken als
eine besondere Menschenklasse gekennzeichnet werden würden, meist im
ausdrücklichen Widerspruch mit ihrer eigenen Auffassung. Daß sie ihr an¬
gehören, wäre in jedem einzelnen Falle erst durch ein eigenes peinliches Ver¬
fahren zu erweisen, nicht etwa wie bei anderen Ausnahmegesetzen abhängig
vom eigenen Bekenntnisse der davon Betroffenen. Schon weil dies bei Geistes¬
kranken kaum jemals zutrifft, muß ich jede auf sie sich beziehende Ausnahme-
gcsetzgebung für ein geradezu gefährliches Unternehmen halten. (Beifall).
H. Kreisarzt Dr. Sonntag-Witzenhausen: M. H.! Die Fassung der
Ziffer 16 der Leitsätze könnte die Vermatong erwecken, daß aaf die bisherigen
Vorschriften über die Anmeldung von Geisteskranken verzichtet wird. Ich
würde das für verkehrt halten. Es kommt sehr häufig vor, daß lange Zeit
Geisteskranke, ohne angemeldet za sein, in ihren oder anderen Familien leben,
wo sie oft in keineswegs angemessener Weise nntergebracht sind, bis dann
schließlich darch irgend einen Zufall, meist auf Veranlassung der Gerichts¬
behörden, der Kreisarzt davon erfährt, und nun erst Schritte von ihm getan
werden, um Abänderung herbeizuführen. Hier zeigt sich, daß schon die
mangelhafte Durchführung der zur Zeit für die Polizeibehörden bestehenden
Verpflichtung zur Anmeldung von Geisteskranken üble Folgen haben kann.
Ich weiß nicht, ob etwa beabsichtigt ist, diese Art der Verpflichtung aufzu¬
heben, möchte aber meinerseits für diesen Fall besonders beantragen, daß unter
b. gesagt wird: „seitens der gerichtlichen Behörden . . .* und daß weiter
hinzugefügt wird: „c. seitens der Ortspolizeibehörden alle Fälle notorischer
Geisteskrankheit and Geistesschwäche“; denn gerade. bei Geistesschwäche
— die im Volke vielfach nicht als Geisteskrankheit angesehen wird — ist
die Art der Unterbringung in Privatpflege häafig eine sehr wenig passende.
Die Beaufsichtigung der Geisteskranken außerhalb der Anstalten. 71
H. Med.-Rat Dr. Yanselow, Bezirksamt in Eissingen: M. H.! Ich
halte die Erörterung des Themas für eine höchst aktuelle und möchte mir
erlauben, eine Episode aus der Praxis vorzutragen. Mein früherer Amtsb ezir k
war wohl in Bezug auf körperliche Strapazen der schwerste in meinem
engeren Vaterlande. Ich überwachte die Geisteskranken, soweit meine
körperlichen Fähigkeiten reichten; sie alle zu kontrolieren, war mir unmöglich.
Eines schönen Tages kam ein höherer Verwaltungsbeamter. Dies und Jenes
wurde besprochen. Plötzlich fragte er mich: „Wie steht es denn mit Ihren
Geisteskranken?“ Ich antwortete „ich überwache sie, soweit meine körperliche
Leistungsfähigkeit mir das ermöglicht“. Er entgegnete, „ich mache Sie darauf
aufmerksam wenn in Ihrem Bezirke etwas vorkommt, mache ich Sie haftbar“.
„Schön, ich werde darauf bedacht sein“. Wenige Tage später erzählte ich
die Unterredung dem Vorstande der Verwaltung und bat um sein Fuhrwerk.
„Gut, sagte er, fahren wir in den nächsten Tagen früh 7 Uhr fort“. Das
war mir unmöglich, da die Holzarbeiter von 4 Forstämtern bis zu 5 Weg¬
stunden auf mich angewiesen waren und ich vor 10 Uhr nicht abkommen
konnte, da diese am nämlichen Tage sonst nicht mehr nach Hause gekommen
wären. Und so blieb die Sache beim alten. Nun ist es ja wahr, daß der
Amtsarzt sehr häufig Gelegenheit hat, z. B. bei der Impfung, Schulgebäude¬
besichtigungen, die Geisteskranken zu kontrolieren, allein überall kommt man
doch nicht hin. Jedenfalls ist es aber mit der Haltbarmachung für etwas,
was man gelegentlich tun soll, so eine eigene Sache. Ich möchte deshalb
präzise Bestimmungen befürworten.
Vorsitzender. M. H.! Ich glaube, daß die Wünsche des Kollegen
Dr. Sonntag bereits durch Leitsatz 14 berücksichtig sind. Aber einen
Punkt möchte ich noch hervorheben: Bekanntlich wird eine nicht unerhebliche
Anzahl von Geisteskranken in Krankenhäusern untergebracht, teils vorüber¬
gehend bis zur Ueberführung in eine Irrenanstalt, teils ständig; außerdem
kommt es nicht selten vor, daß Kranke in einem Krankenhause während ihres
Aufenthaltes daselbst geisteskrank werden. Um auch über diese Kranken eine
Kontrolle auszuüben, ist im Reg.-Bezirk Minden eine Bestimmung getroffen,
daß jeder Pflegling eines Krankenhauses, der geisteskrank und innerhalb drei
Tage nicht wieder besser wird, dem zuständigen Kreisarzt angezeigt werden muß,
dasselbe gilt nicht nur betreffs der ständig, sondern auch betreffs der vorläufig in
Krankenhäusern wegen Ueberfüllung der Irrenanstalten untergebrachten Kranken,
sobald ihr Aufenthalt länger als 3 Tage dauert. M. E. dürfte es sich empfehlen,
eine solche Meldepflicht allgemein einzuführen.
H. Oberarzt Dr. Weber- Göttingen (Schlußwort): M. H.! Ich habe nur einige
Punkte zu Nr. 8 unserer Leitsätze nachzutragen: Der einzige Gesichtspunkt,
der uns bestimmt, vorzuschlagen, daß die Irrenhilfsvereine von den Anstalten
wenigstens äußerlich unabhängig sind, ist der, daß das Publikum, wenigstens
bei uns in Hannover, immer noch ein großes Mißtrauen den öffentlichen
Anstalten entgegenbringt. Wir glauben, daß die Tätigkeit der Vereine besser
gewährleistet ist, wenn sie äußerlich gar nichts mit der Anstalt zu tun haben.
Ein Zusammenarbeiten zwischen den Leitern der Irrenhilfsvereine und der
Anstalt sollte durch engere Beziehungen zwischen denselben aufrecht erhalten
werden. Was die anderen in der Diskussion vorgebrachten Punkte betrifft, so
darf ich meiner Freude Ausdruck geben, daß von so erfahrener Seite, wie Herrn
Direktor Kreuser, die Zustimmung geäußert wurde, daß die Epilektiker und
Idioten der ärztlichen Aufsicht bedürfen; wir wissen, daß wir darauf zu
achten haben, daß nicht von unberufener Seite die Fürsorge für diese Kranken
an sich gerissen wird.
Vorsitzender: M. H.! Die von den Herren Referenten
zu der heutigen Tagesordnung aufgestellten Leitsätze sind zwar
nicht zur Abstimmung gestellt; nach dem lebhaften Beifall, den
Sie den Ausführungen aber gespendet haben, darf ich wohl an-
nehmen, dass Sie mit diesen im grossen und ganzen einverstanden
sind. Ich möchte dies hier noch ausdrücklich konstatieren. Zum
Schluss den Herren Referenten unsern herzlichsten Dank, den sie
in vollstem Masse für ihre interessanten Referate verdient haben!
72
Voratandswohl.
II. Varstandswahl.
Vorsitzender: M. H.! Ehe wir za dem letzten Gegen¬
stand der Tagesordnung übergehen, schlage ich vor, die noch
ausstehende Vorstandswahl zu erledigen.
H. Reg.- u. Med.-Rat Dr. Dtitschke-Erfurt: M. H.! Ich
schlage vor, den jetzigen Vorstand, der die Geschäfte in so vor¬
züglicher Weise bisher geführt hat, durch Akklamation wieder
zu wählen. (Beifall.)
Vorsitzender: Eine Wiederwahl durch Zuruf ist nur zu¬
lässig, wenn sich kein Widerspruch erhebt. — Es ist dies nicht
der Fall; ich bringe den Antrag zur Abstimmung.
Der Vorstand ist einstimmig wiedergewählt.
M. H.! Ich danke Ihnen auch im Namen der übrigen Vor¬
standsmitglieder für den Beweis des Vertrauens, den Sie uns
durch die Wiederwahl gegeben haben. Ich nehme diese gern an
und darf auch annehmen, dass dies seitens der anderen Herren
Vorstandsmitglieder der Fall sein wird.
III. Abwasser-Reinigung mit Riiekslehf auf die Relnfgimi
der Wasserläufe.
Vorsitzender: M. H.! Bevor ich dem Herren Referenten
das Wort zum letzten Gegenstand der Tagesordnung erteile, möchte
ich noch kurz hervorheben, dass H. Reg.- u. Med.-Rat Dr. Dütscbke
erst in letzter Stunde an Stelle des H. Reg.- u. Med.-Rats Dr.
Salomon-Coblenz das Referat bereitwilligst übernommen hat, wo¬
für wir ihm unseren ganz besonderen Dank schulden. Wenn Sie ein
Blick in die in Ihren Händen befindliche Zusammenstellung der ge¬
setzlichen Vorschriften über die Reinhaltung der Flüsse werfen,
dann werden Sie auch die grosse Mühe und Arbeit ermessen können,
die dem Herrn Kollegen Dr. Dütschke durch die Uebernabme des
Referats erwachsen ist. Unseren Dank an ihn möchte ich aber
noch weiter ausdehnen und zwar auf die einzelnen Bundesregie¬
rungen, die dem Herrn Referenten das zu dieser Zusammenstellung
erforderliche Material in liebenswürdiger Weise so schnell und voll¬
ständig zur Verfügung gestellt haben. Wie Sie sehen, fehlt kein
einziger Bundesstaat! Ich möchte daraus den Schluss ziehen, dass
die Bestrebungen unseres Vereins auch bei den Bundesregierungen
nicht ohne Anerkennung geblieben und diese gern bereit sind, unseren
Wünschen entgegen zu kommen. Ich gehe aber gewiss nicht fehl,
wenn ich annehme, dass unsere Herren Spezialkollegen an den mass¬
gebenden Stellen in dieser Hinsicht ihren Einfluss mit bestem Erfolge
geltend gemacht haben; deshalb[sei auch Ihnen herzlichst gedankt!
A. Die Reinhaltung der Wasserläufe vom sanitätspolizei¬
lichen und verwaltungsrechtlichen Standpunkt.
H. Reg.- u. Med.-Rat Dr. Dtitschke-Erfurt: Meine hoch¬
geehrten Herren! Nachdem Ihnen unser Herr Vorsitzender soeben
Dr. DiHschke: Die Beinhaltuog der Wasserl&ofe usw.
73
die Veranlassung’ geschildert hat, welche mich heute für den rer*
hinderten Herrn Kollegen Dr. Salomonin Coblenz an dieser Stelle
als Referent über die sanitfttspolizeiliche und verwaltungsrecht-
liche Seite der Frage der Reinhaltung der Wasserlftufe erscheinen
lässt, darf ich gewiss im Hinblick auf die für einen solchen Vor¬
trag verhältnismässig kurze Vorbereitungzeit von 5 Wochen, be¬
sonders wenn man die vorhandene überreiche Literatur berück¬
sichtigt, die Hoffnung aussprechen, aus dem angeführten Grunde
bei Ihnen auch die erforderliche liebenswürdige Nachsicht bei
Beurteilung des Nachstehenden zu finden. Von dieser Nachsicht
bitte ich mir gegenüber bei der Kritik einen möglichst ergiebigen
Gebrauch zu machen; denn ich weiss es, und habe es bei der
Durcharbeitung des Themas immer mehr empfunden, dass der
Schwerpunkt der ganzen Angelegenheit der Reinhaltung der
Wasserläufe weniger in den sanitätspolizeilichen und verwal¬
tungsrechtlichen Massnahmen liegt, wie in der Kenntnis der
neueren Methoden der Abwässerreinigung, als dem für unsere Be¬
strebungen weit wirksameren Mittel!
M. H.! Es ist eine bekannte Tatsache, dass die Beseitigung
der menschlichen Abfallstoffe und die Fortschaffung der städtischen
und industriellen Abwässer immer schwieriger und kostspieliger
wird, je mehr die einzelnen Städte an Einwohnerzahl und Aus¬
dehnung gewinnen und je gewaltiger die Industrie ihre Schwingen
regt! Die Abwässer der Städte sind daher eine grosse Plage für
diese; durch ihre Massenhaftigkeit gegenüber den ursprünglich
zur Aufnahme bestimmten Wasserläufen bereiten sie Schwierig¬
keiten, da sie deren Verwendbarkeit für die Zwecke des mensch¬
lichen Lebens mehr oder minder beeinflussen. Durch ihre Nei¬
gung zur Fäulnis und durch ihren häufigen Gehalt an Infektions¬
stoffen können sie direkt schädlich werden, an manchen Orten
und zu manchen Zeiten auch durch den Gehalt an giftigen Mi¬
neralstoffen, wie z. B. in den Industriestädten. So kommt es, dass
es sich im Laufe der Jahre in sehr vielen, vielleicht in den meisten
Orten jetzt als untunlich herausgestellt hat, diese Abwässer
den Strömen, Flüssen und Bächen anders, als in gereinigtem
oder geklärtem Zustande zu übergeben.
Diese Anschauung hat aber nicht immer bestanden, und wo
sie geherrscht hat, da ist sie oft weder praktisch gehandhabt,
noch nach ihr verfahren worden; auch haben die zur Anwendung
gebrachten Klär- und Reinigungsverfahren bei weitem nicht das
gehalten, was man von ihnen erwartete. Wir würden sonst nicht
in unserem deutschen Vaterlande eine solch’ erhebliche Zahl von
Bächen, Flüssen und Seen besitzen, die seit Jahrhunderten den
Unrat der an ihnen gelegenen Städte und Ortschaften aufgenommen,
weggespült und wohl auch unschädlich gemacht haben, ohne dabei
scheinbar in ihrem äusseren Verhalten eine nennenswerte Verän¬
derung zu erleiden! Jene Wasserläufe sind aber z. Z. vielfach
nicht mehr imstande, diese ihre altgewohnte Arbeit in der frü¬
heren Vollkommenheit zu verrichten, sie sind sozusagen insuffi¬
zient geworden; sie werden von den Schmutzwässern erdrückt
74
Dr. Dätscbke: Die Beinh&Itang der Wasserlinie
and gleichen, indem sie stinkende, tintenfarbige Massen dahin-
wälzen, häufig selbst weniger mehr natürlichen Wasserläufen, wie
grossen Kloaken. Ich erinnere, um aus vielen nur einige Beispiele
herauszugreifen, an die Emscher in dem rheinisch-westfalischen
Industriegebiet, an die Wupper in Elberfeld und an die Orla
unterhalb der Sachsen - Meiningischen Stadt Pössneck, ohne darüber
die Verunreinigungen der Saale unterhalb Hof und der Gera
unterhalb Erfurt, sowie der Unstrut bei Mühlhausen zu vergessen.
Diese Flussverunreinigungen, die wohl in keinem Falle eine
völlig gleichgiltige Veränderung des ursprünglichen Zustandes
darstellen, werden aber sicher nicht überall gleichmässig stark,
sondern bald mehr, bald weniger schwer empfanden; es richtet
sich das ganz nach den jeweiligen örtlichen Verhältnissen, ob
bedeutende oder weniger bedeutende Interessen in Frage
kommen und sich geschädigt fühlen.
Bei dieser Sachlage muss sich uns zunächst die Frage auf¬
drängen, wann können, oder richtiger müssen wir von einer Ver¬
unreinigung eines Wasserlaufes sprechen, wodurch werden die
Verunreinigungen erzeugt, welche schädlichen Folgen zeitigen
sie und wie können wir nach Lage der Gesetzgebung in Deutsch¬
land einer Verunreinigung Vorbeugen bezw. auf die Beinhaltung
der letzteren verwaltungsrechtlich hin wirken?
Für gewöhnlich pflegt man die Grösse der Verunreinigung
eines Wasserlaufes nach seinem äusseren Aussehen zu beur¬
teilen. Dies wird aber mitunter zu grossen Täuschungen führen, weil
einerseits ein klar aussehendes Wasser ebenso schlecht oder noch
schlechter sein kann, als ein schmutzig aussehendeB Wasser;
anderseits nur geringe Mengen einer Substanz dazu gehören, um
dem Wasser ein schmutziges Aussehen zu verleihen.
Im allgemeinen wird nach den Ausführungen Königs die
Grösse der Verunreinigung eines Wasserlaufes durch Schmutz¬
wasser abhängig sein von der Grösse der Wassermengedes
Flusses, denn es ist ja einleuchtend, dass die Verunreinigung sich
um so weniger geltend macht, je mehr die Schmutzstofie durch
Diffusion verdünnt werden und umgekehrt. Sodann ist die Strom¬
geschwindigkeit und die Art und Weise der Strömung der
Flüsse von Einfluss auf den Grad der Verunreinigung. Je schneller
ein Wasser fliesst, desto mehr werden die schädlichen Schmutz¬
stoffe in die Länge gezogen und über eine grössere Strecke ver¬
teilt. So kann ein Fluss mit starkem Gefälle und unebenem Bett
und mit Ufer-Einschnitten mehr Schmutzstoffe aufnehmen, ohne
durch Verunreinigung schädlich zu wirken, als ein in der Ebene
gradlinig und langsam sich bewegender Fluss. »Aus diesen Er¬
wägungen ergibt sich schon, dass die Verunreinigung eines
Wasserlaufes sich nach Ort und Zeit sehr verschieden gestaltet,
dass sich über die Grenze des Zulässigen oder Gemeinüblichen
allgemeine Hegeln nicht aufstellen lassen und dass die Frage
der Verunreinigung der Wasserläufe örtlich und zeitlich geprüft
sein will“ (König).
Dazu kommt, dass die den Wasserläufen zugeleiteten Schmutz-
vom sanitätspolizeilichen und verwaltungerechtlichen Standpunkt. 75
Stoffe je nach dem Nutzungszwecke eines Wassers verschieden
schädlich wirken. Was für Zwecke eines Trinkwassers nachteilig
ist, das wird z. B. für landwirtschaftliche Nutzungszwecke (zur
Berieselung) unter Umständen nützlich sein, und was in letzter
Hinsicht schadet, ist für andere Zwecke, wie Viehtränke, Fisch¬
zucht usw. vielleicht wieder unschädlich, so dass die Frage der
Schädlichkeit eines verunreinigten Wasserlaufes nicht nur nach
der Art der Verunreinigung und der Verdünnung sowie nach Strom¬
geschwindigkeit, Selbstreinigung usw. des Flusses, sondern auch
nach dem Nutzungszweck eines Wassers in jedem gegebenen
Fall geprüft sein will.
Die durch das Zusammenwohnen von Menschen und durch
technische Gewerbe hervorgerufenen künstlichen Verunreinigungen
der Wasserläufe enthalten, indem ich auch hier wieder Königs
Ausführungen folge, vorwiegend organische und grösstenteils
zugleich stickstoffhaltige Stoffe, z. B. durch die Abgänge
aus menschlichen Wohnungen in Stadt und Land, aus Schläch¬
tereien, Zucker- und Stärkefabriken, Bierbrauereien, Gerbereien,
Spinnereien usw.; oder die Wasserläufe erleiden Verunreinigungen,
welche mineralische Stoffe enthalten, wie sie von Salinen,
Grubenbetrieben des Erz-, Steinkohlen- und Braunkohlenbergbaues,
Drahtziehereien usw. geliefert werden.
Eine besonders in gesundheitlicher Beziehung nicht zu
unterschätzende Ursache der Verunreinigung unserer öffentlichen
Flüsse bildet, wie sich in den letzten Tagen wieder an der
Weichsel gelegentlich des Vorkommens der Cholera gezeigt hat,
auch der Schiffsverkehr. Wenngleich er hinter den anderen
Ursachen sonst zurückbleibt, so trägt er doch, vor allem in den
Hafenstädten, nicht unerheblich mit zur Verschmutzung der
Wasserläufe bei, da die Unsitte der Schiffsbevölkerung, alles „über
.Bord zu werfen“, nur schwer auszurotten ist und die Vorschrift
der Hafenpolizei, Torfklosetts an Bord zu haben und diese zu
benutzen, wenig Beachtung findet.
Von den durch diese eben erwähnten Verunreinigungen der
Wasserläufe bewirkten Schädigungen wird zunächst die Fisch¬
zucht betroffen. Durch zahlreiche Beobachtungen ist sicher¬
gestellt, dass die Fische in stark verunreinigtem Wasser zugrunde
gehen, so dass das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein von
Fischen ja geradezu als Massstab für die Reinheit bezw. Verun¬
reinigung eines Wasserlaufes angesehen wird. Vor allem sind
es die städtischen Abwässer, welche die Fischzucht schädigen;
ob hierbei, wie von einigen Autoren angegeben wird, Ammoniak
und dessen Derivate, sowie Schwefelwasserstoff und der geringe
Sauerstoffgehalt städtischer Abwässer die Hauptrolle spielen, muss
dahin gestellt bleiben. Aber auch gewerbliche Abwässer wirken
in hohem Grade fischtötend. Dies gilt besonders für Abwässer
von Stärkefabriken und für Flachsrotten; bei Papier- bezw. Zellu¬
losefabriken beobachtet man ja häufig ein Fischsterben, indem
gröbere Partikel von Zellulose zwischen die Kiemen der Fische
geraten und den Erstickungstod herbeiführen.
76
Dr. Dütschke: Die Reinhaltung der Wasserlinie
Die Schädigung des Gewerbetriebes durch verunreinigtes
Flusswasser kann sich sehr verschieden gestalten. Ein ver¬
schlammter Fluss hemmt die Schifffahrt; Wäschereien brauchen
ein wirklich reines Wasser, weil sonst die Wäsche unansehnlich,
z. B. gelb wird. Dasselbe gilt fdr die Brauereien, welche unreines
Wasser benutzen; denn diese laufen Gefahr, ein durch Neben-
gährung ungeniessbares Bier zu erzeugen.
Fdr die Landwirtschaft weiter vermag die Einleitung'
von gewerblichen Abwässern in einen Wasserlauf den Ertrag der
Wiesen wesentlich herabzusetzen, wenn sie z. B. reich an Koch¬
salz, Chlormagnesium und Chlorkalium sind und namentlich, wenn
sie direkte Pflanzenstoffe enthalten (Weyl).
Die für uns als Medizinalbeamte bedeutsamste Schädigung der
Verunreinigung der Wasserläufe ist ohne Frage nächst der Be¬
schränkung der Benutzung des Wasserlaufes zu Trinkzwecken
die Verbreitung von Krankheiten durch das Wasser beim
Menschen. Die Ueberzeugung, dass durch Wasser Krankheiten
übertragen werden können, hat schon in den ältesten Zeiten be¬
standen. Als nun im Laufe der Jahrhunderte die naturwissen¬
schaftliche Beobachtung durch neue Methoden sich vertiefte und
an Sicherheit gewann, befestigte sich auch allmählich die Beweis¬
kraft der Schlüsse über den Einfluss schlechten Wassers
auf die Gesundheit. Während sich jedoch diese Schlüsse bis
Aber die Mitte des 19. Jahrhunderts hinaus wesentlich auf epide¬
miologische Beobachtungen stützten, setzte die mikrosko¬
pisch-bakteriologische Forschung der letzten 25 Jahre an die
Stelle der Ueberzeugung den Beweis von der Schädlichkeit be¬
stimmter Wässer für die Gesundheit.
Die steigende und sich beständig mehrende Zahl jener Be¬
weise verdichtete sich endlich zur „Trinkwassertheorie*,
als deren hervorragendster Vertreter Robert Koch gelten darf!
Diese Trinkwassertheorie behauptet bekanntlich, dass im
Oberflächenwasser und in Brunnen nicht allzu selten die Erreger
bestimmter Krankheiten nachgewiesen werden können, welche, in
den Körper des Menschen oder der Tiere gelangt, Krankheiten
erzeugen. „Wenngleich unsere Kenntnisse noch nicht in allen
Fällen zum Nachweis der Krankheitserreger im Wasser ausreichen,
so ist doch für einzelne Infektionskrankheiten, wie Cholera, Unter¬
leibstyphus, Ruhr und Milzbrand der Nachweis für ihre Verbrei¬
tung durch das Wasser mit Hilfe der bakteriologischen Unter¬
suchungsmethoden festgestellt!“ (Weyl).
Es ist Ihnen, m. H., ja allgemein bekannt, dass die Trink-
wassertheorie einen erbitterten hartnäckigen Gegner in dem Alt¬
meister der Hygiene, dem verstorbenen v. Pettenkofer fand.
Den von diesem und seinen Schülern aufgestellten Lehren gegen¬
über werden wir Medizinalbeamte aber stets wieder auf die Beweis¬
kraft des praktischen Experimentes hinweisen müssen, wie wir es
in unseren einzelnen Wirkungskreisen, der eine seltener, der andere
wieder häufiger zu beobachten Gelegenheit haben. Ich erinnere nur
an die Hamburger Choleraexplosion im Jahre 1892 mit ihren Tao-
Vom B&mtätspolizeiUchen tmd yerwaltoogsreehtlichen Standpunkt. 77
seiden von Todesfällen in wenigen Wochen als traurigen Beweis
dafür, wie unberechenbar plötzlich ein verschmutztes, aber bis
dahin scheinbar ungefährliches Wasser von der eminentesten Gif¬
tigkeit zu einer Quelle furchtbarster Seucheneruption werden
kann; ich darf nur auf die Typhusepidemien in Gelsenkirchen
1901 und Lüdenscheid 1902, sowie Detmold 1904 verweisen, welche
noch in unserer frischen Erinnerung sind und zahlreiche andere,
durch infiziertes Wasser hervorgerufene kleinere Typhusepidemien.
Die Pettenkofersche Auffassung, dass Typhus und Cholera¬
bakterien im Wasser rasch zugrunde gehen, und der früher viel¬
fach geäusserte Zweifel an der Möglichkeit, lebensfähige Typhus¬
bazillen überhaupt im Wasser nacbzuweisen, ist durch die neueste
bakteriologische Forschung wohl als widerlegt anzusehen, nach¬
dem Conradi bis zu 500 Tagen die Typhusbazillen im Wasser
lebensfähig gefunden hat! Wir Medizinalbeamte sehen ja alltäg¬
lich, welche gewaltig'; Rolle das Wasser bei der Weiterverbreit
tung des Typhus spielt; wir kennen die Gefährlichkeit verseuchter
Wasserentnahmestellen und richten bei unseren hygienischen
Massnahmen unser Hauptaugenmerk auf die Beschaffung einwand¬
freier, einer Verseuchung nicht zugängiger Wasseranlagen für
die Bevölkerung und feiern hierbei die schönsten Erfolge im vor¬
beugenden und verhütenden Kampfe gegen die Seuchen!
Nicht immer gelingt es, den Zusammenhang zwischen Typhus
und Wasser klar festzustellen und oft werden wir auf dem Wege
der Ausschliessung anderer Ursachen nur darauf hingewiesen;
aber zahllos sind demgegenüber die Fälle, in denen der Gebrauch
infizierten Wassers für die Entstehung einer Typhusepidemie ver¬
antwortlich gemacht werden muss und wo die Ausschaltung des
Genusses dieses infizierten Wassers mit einem Schlage die Epi¬
demie zum Stillstand bringt.
In erster Linie sind natürlich die Fäkalien der Typhus-
und Cholerakranken als Infektionsträger bei der Zuleitung mensch¬
licher Abgänge in Wasserläufe zu fürchten, aber nicht weniger
bedenklich erscheinen auch die übrigen flüssigen Abgänge
aus infizierten Häusern, wie z. B. das Waschwasser, in
welchem die Wäsche der Cholera- oder Typhuskranken gewaschen
ist. Es wäre also, soweit es sich um Beseitigung der Infektions¬
gefahr handelt, nicht richtig, gegen die durch das Einleiten von
Fäkalien bedingte Verunreinigung der öffentlichen Wasserläufe
allein vorzugehen und das Hausschmutzwasser als ungefährlich
anzusehen.
Mit zunehmender Verdünnung derartiger unreinen Zuflüsse
nimmt die Infektionsgefahr zwar ab, aber ganz schwindet sie nie,
da noch ein einzelner Keim infizieren kann. Daher lässt sich
auch nach R. Kochs Ausführungen in bezug auf Infektionsstoffe
nicht, wie bei toxisch wirkenden Verunreinigungen, welche für ihre
schädliche Wirkung einer bestimmten Konzentration bedürfen,
eine bestimmte Grenze für den der Abhülfe bedürfenden Grad der
Verunreinigung angeben. Infektionsstoffe sollten somit unter allen
Umständen, auch in den allergeringsten Mengen von den öffent-
78
Dt. Dtttachke: Die Beinhaitang der Wasserläufe
liehen Wasserläufen ferngehalten werden bezw. vorher durch eine
geeignete Desinfektion, welche naturgemäss schon am Krankenbett
einsetzen muss, unschädlich gemacht werden.
Petra schky hat neuerdings vorgeschlagen, als Kriterium
für fäkale Verunreinigung eines Flusses den Nachweis des Bac-
terium coli zu benutzen, während andere Bakteriologen bei der
TTbiquität dieses Bacteriums dessen Auffinden im Wasser keine
besondere Beweiskraft beilegen.
Die Frage, wie lange sich die pathogenen Keime, in erster
Linie die des Typhus, im Flusswasser zu halten und virulent zu
bleiben vermögen, ist eine ganz offene. Mit einem Fluss kann
man nicht experimentieren, der strikte Nachweis wird sich
schwer erbringen lassen, während bereits Beobachtungen Aber die
Lebensdauer von Typhuskeimen in Wasserleitungen vor¬
liegen, welche Rückschlüsse gestatten.
Es ist, m. H., allgemein bekannt, dass die Gefahren einer
Stromverseuchung von verschiedenen Autoren, insbesondere von
Pettenkofer, bestritten worden sind und die direkte Zuleitung
der ungeklärten Abgänge einer Grosstadt wie München in die
Isar als harmlos hingestellt wurde unter Berufung auf das Schlag¬
wort von der „Selbstreinigung“ der Flüsse, und derPetten-
koforschen Autorität ist es in erster Linie mit zuzuschreiben,
dass man den Faktor der Selbstreinigung bei weitem überschätzt
und hierdurch vielleicht vornehmlich zu der jetzt verbreiteten
hochgradigen Verunreinigung vieler Flüsse mit beigetragen hat
Dieses scheinbar harmlose Verfahren der Einleitung der ungeklärten
Abwässer der Stadt München in die Isar ist in jüngster Zeit
einer scharfen Kritik durch den Intendanturbaurat Hauben-
schmidt in München unterzogen worden, die vielleicht Anlass
geben wird, zumal gerade die Reinigungskraft der Isar bisher immer
als Paradigma für die Selbstreinigungskraft der Flüsse hingestellt
wurde, von dieser sanitär höchst bedenklichen Art der Beseitigung
der Abwässer endgültig abzusehen.
Gewiss besorgen unter besonderen, hier nicht weiter anzu¬
führenden günstigen Verhältnissen gewisse Flüsse das Wegführen
und Unschädlichmachen der in sie hineingelangenden Abwässer,
ohne dass irgend ein Uebelstand dabei zutage tritt und — ein
bedeutender Vorteil — ohne dass es die genannten Städte einen
Pfennig kostet! Die Flüsse besitzen eben, in ganz ähnlicher
Weise wie der Mutterboden, das Vermögen, Schmutzmassen, die
in sie hineingelangen, zu zersetzen resp. sich ihrer zu entledigen.
Aber dieses Selbstreinigungsvermögen hat seine Grenzen; werden
diese überschritten, so treten die oben beschriebenen Missstände
und schädlichen Folgen der Verunreinigungen zutage. Auf dieses
Selbstreinigungsvermögen der Wasserläufe müssen ja zu guterletzt
auch sämtliche künstliche Verfahren der Abwässerreinigung noch
mit zurückgreifen; denn selbst bei der Reinigungsmethode, die
das Beste leistet, dem Rieselverfahren, gelangen doch noch Stoffe
in das Flusswasser, die nicht absolut gleichgültig sind, wie Am¬
moniak und Salpetersäure. Ausserdem müssen diejenigen Wasser-
vom sanit&tspolizeilichen and rerw<ungsrechtlichen Standpunkt 79
massen, die für Fälle bedeutender Regengüsse bei einer Kanalisa-
tionsanlage durch Notauslässe ungereinigt entfernt werden, doch dem
Selbstreinigungsvermdgen des Wasserlaufes überlassen werden.
Es fragt sich nur, inwieweit will und darf man eventuell
von der eben besprochenen günstigen Eigenschaft der Flüsse, die
zudem noch in den verschiedenen Fällen verschieden stark ent¬
wickelt ist, tatsächlich noch Gebrauch machen? Sie ganz unbenutzt
zu lassen, das vermag man ja eben nicht.
Das Kaiserliche Gesundheitsamt will je nach Örtlicher Sach¬
lage von Fall 2 U Fall die Frage entschieden sehen, während
Flügge z. B. seine Entscheidung von der Menge der gelie¬
ferten Kanaljauche, von der Wassermenge des Flusses, von
dessen Stromgeschwindigkeit, der Ufergestaltung, dem Ver¬
laufe des Flusses, sowie von der Bewohnung der stromabwärts
gelegenen Ufer und der Benutzung des Flusswassers abhängig
macht, v. Pettenkofer stellte sogar den empirischen Satz
auf, dass man gewöhnliches Sielwasser sowie Fäkalien un¬
bedenklich in jeden Fluss oder Bach einleiten dürfe, dessen
Wassermenge mindestens das Fünfzehnfache von der Menge
des Sielwassers betrage und dessen Geschwindigkeit keine gerin¬
gere, als die des Sielwassers sei. Demgegenüber verlangte Uffel-
mann, dass, wenn Flusswasser überhaupt zum Trinken dienen
solle, eine direkte Einleitung von Exkrementen in einen Wasser¬
lauf nicht zu gestatten sei (Burckhardt).
Man ist sich sonach, wie Sie ersehen, über die prinzi¬
pielle Frage, ob das Hinleiten ungereinigten Sielwassers in
einen Fluss unter allen Umständen zu verbieten oder doch
unter gewissen Verhältnissen zu gestatten sei, durchaus nicht
vollkommen einig.
Je mehr man nun jetzt die Ueberzeugung gewinnt, dass die
„Selbstreinigung“ im wesentlichen nur aus den vereinten Wir¬
kungen der Verdünnung, Sedimentierung und Verzehrung organi¬
scher Substanz durch Lebewesen pflanzlicher und tierischer Art
besteht, umsomehr muss man einsehen, dass diese Selbstreinigung
für die Entfernung der gefährlichsten Bestandteile mensch¬
licher Ausscheidungsstoffe, der Krankheit erregenden Spalt¬
pilze so gut wie garnichts leistet.
Es ist einwandsfrei nachgewiesen, dass sich der wesentlichste
Parasit, der hier in Betracht kommt, der Typhusbacillus, in
Wässern verschiedener Zusammensetzung sehr lange lebend er¬
halten kann, namentlich bei niederer Temperatur, und daher ganz
ausserordentlich weite Strecken in einem Flusse zurückzulegen
vermag. Gelangt eine grosse Masse Typhusbakterien in einen
Strom, wie dies z. B. mit dem Urin von Typhuskranken oder Rekon¬
valeszenten geschehen kann, der zuweilen Milliarden Typhus¬
bazillen in einem einzigen Liter enthält, so kann diese Typhus¬
einsaat als eine Art Wolke im Flusse weite Strecken zurück¬
legen, ohne an Gefährlichkeit einzubüssen (Petruschky). Bereits
1889 hat Kruse nachgewiesen, dass selbst im Rhein auf eine
Strecke von 49 Kilometern noch nichts von einer Selbstreinigungs-
80
Dr. Diitschke: Die Reinhaltung der Wasserläufe
kraft des Flusses za spüren sei and man kein Recht h&tte, eine
bakteriologische Selbstreinigung des Wassers anzunehmen,
sowie dass die Möglichkeit einer Selbstreinigung der Flüsse in
sehr engen (Grenzen liegt (Bonne). Hiernach dürfen wir als
sicher annehmen, dass Verdünnung des Wassers die Bakterien
nicht tötet, und je weniger antagonistische Bakterien vorhanden
sind, desto länger die krankheitserregenden Bakterien widerstehen.
Wenn wir nunmehr, m. H., diese verschiedenartigen Schädi¬
gungen berücksichtigen, welche durch die Verunreinigungen
unserer Wasserläufe in landwirtschaftlicher, gewerblicher und
vor allem in gesundheitlicher Beziehung hervorgerufen werden,
so muss sich uns unwillkürlich die Frage aufdrängen, wie es
dann möglich war, dass man eine Verunreinigung unserer Fluss¬
läufe in Deutschland in so hohem Grade zuliess, und wie man es
jetzt noch zulassen kann, dass viele Wasserläufe eine immer mehr
zunehmende Verunreinigung erfahren, anstatt gesetzlich gegen
diese Schädigungen vorzugehen P
Prüft man noch, wer die Schuld an den heutigen Verhält¬
nissen trägt, so kommt man zu dem Schluss, dass den von der
Bevölkerungszunahme und der Entwickelung der Industrie auf
den Zustand der Wasserläufe ausgeübten Einflüssen nicht bei
Zeiten von der Gesetzgebung und Verwaltung Rechnung getragen
worden ist (Adam). Auf der einen Seite hat man die gesund¬
heitlichen, gewerblichen und landwirtschaftlichen Schädigungen,
welche durch die Verunreinigungen der Wasserläufe verursacht
wurden, und hierbei sind auch die Schädigungen der Fischzucht
nicht ausser acht zu lassen, grösstenteils unterschätzt oder noch
nicht ihrem vollen Umfang nach gekannt. Vielfach machen sich
auch die Folgen der Zuleitung verunreinigender Flüssigkeiten in
die Wasserläufe keineswegs in vollem Umfange von vorherein
bemerkbar; die allmählich wachsenden Uebelstände werden lange
Zeit ertragen, die Industrie erweitert sich, eine früher unbebaute
Gegend wird rasch besiedelt und kultiviert und erst jetzt werden
die Folgen der durch die Einleitung der Abwässer nach und nach
bewirkten Verunreinigung eines Wasserlaufes wirklich fühlbar
und unerträglich. Nicht unwesentlich hat an dieser Verschmutzung
unserer Wasserläufe auch der Siegeszug der von England zu uns
herübergekommenen Wasserklosets beigetragen, durch welche
sowohl der Abort-Dünger für die Landwirtschaft völlig entwertet
und nutzlos wurde, als auch Unmassen von Jauche dem nächsten Vor¬
fluter übergeben werden müssen, damit die Städte sich dieser
Last schnell und möglichst billig entledigen. Auf der anderen
Seite aber darf man sich auch die Schwierigkeiten nicht verhehlen,
welche einer erschöpfenden gesetzlichen Regelung des Wasser¬
benutzungsrechts sowohl für die einzelnen Bundesstaaten, als für
das Deutsche Reich allgemein entgegenstehen. Vielfach hat man
auch aus Rücksicht auf verschiedene Industriezweige, an deren
Aufblühen den einzelnen Staaten gelegen sein musste, die volle
Schärfe der bestehenden gesetzlichen Bestimmungen nicht zur An¬
wendung bringen können oder wollen. Mit Recht weist in dieser
Tom s&nitatapolizeilichen und rerwnltangsrechtlichen Standpunkt. 81
Beziehung Adam auf den § 3 des preossisehen Gesetzes Aber die
Priyatflüsse vom 28. Februar 1843 hin, welcher Paragraph sagt:
.Das zum Betriebe von Färbereien, Gerbereien, Walken and ähnlichen An¬
lagen benutzte Wasser darf keinem Flusse zugeleitet werden, wenn dadurch
der Bedarf der Umgegend an reinem Wasser beeinträchtigt oder eine er¬
hebliche Belästigung des Publikums verursacht wird. Die Entscheidung
hierüber steht der Polizeibehörde zu;“
denn was wäre wohl ans unserer jetzt hochentwickelten Textil¬
industrie geworden, hätte man den § 3 dieses Gesetzes streng
znr Durchführung gebracht?
Hierzu kommt, dass für die Begierungen der einzelnen
Staaten die Entscheidung darüber, was zur Verhütung der Ver¬
unreinigung der Wasserläufe in gesetzlicher Beziehung zu veran¬
lassen sei, deshalb immer schwieriger wurde, weil die Gutachten
der über die Abwässerbeseitigung befragten Hygieniker und
Wasserbautechniker, auf welche sich die Polizeibehörden bei ihrem
Vorgehen doch stützen müssen, sich oft geradezu gegenüber¬
standen. Ich erinnere nur an das Kapitel der Selbstreinigung
der Flüsse und verweise auf die Anschauungen der Münchener
Schule über die Trinkwassertheorie. Daneben waren die ver¬
schiedenen Interessentengiuppen, wie z. B. die Stadtverwaltungen
zu berücksichtigen, für welche es durchaus nicht gleichgültig sein
konnte, ob sie ihre Abwässer ohne einen Pfennig Unkosten un¬
geklärt in den nächsten Vorfluter abführen dürfen, oder ob sie
kostspielige, in ihrer Wirkung vielleicht noch zweifelhafte Klär¬
anlagen errichten müssen. Demgegenüber verlangte dann die
Fischzucht und Landwirtschaft im Verein mit der öffentlichen
Gesundheitspflege gebührende Berücksichtigung, so dass es ausser¬
ordentlich schwer halten musste, allen Forderungen gleichmässig
gerecht zu werden. So konnte es nicht ausbleiben, dass die Ent¬
scheidungen und Massnahmen der einzelnen Begierungen, gestützt
auf ihre jeweiligen technischen Gutachter verschieden ausfielen
und oft geradezu gegensätzlich waren, wie Bayern z. B. für
München die glatte Einleitung der gesamten Abwässer zugestand,
während Preussen sie für Magdeburg versagte und sie für Cöln
unter gewissen Bedingungen zugab.
Bei dieser Sachlage erscheint es nur zu erklärlich, dass sieh
im Laufe der Jahre die Stimmen nach einer reiehsgesetzliehen
Regelung des Wasserrechts immer lauter und häufiger erhoben
haben, und Juristen, Verwaltungsbeamte, Hygieniker und Industrielle
immer von neuem wieder auf eine allgemeine gesetzliche Regelung
dieser schwierigen Materie hindrängten, um der Verunreinigung
unserer Flüsse, welche von Jahr zu Jahr zunahm, Einhalt zu
gebieten.
Als ein Verdienst des „Deutschen Vereins für öffentliche
Gesundheitspflege“ müssen wir es ansehen, dass dieser mächtige
und einflussreiche Verein, der sich aus Aerzten, Verwaltungs¬
beamten, Stadtgemeinden, Technikern, Juristen und Chemikern
grösstenteils zusammensetzt, immer wieder von neuem die
sanitär- und volkswirtschaftlich wichtige Frage der
6
82 Dr. Dütechke: Die Reinhaltung der Wasserlinie
Verhütung der Flussverunreinigung und der sachgemässen
Beseitigung der Abwässer, sowie der zu ergreifenden verwaltungs-
rechtlichen und hygienischen Massnahmen auf die Tagesordnungen
seiner Wanderversammlungen gesetzt hat, wie 1877 in Düssel¬
dorf, 1888 in Berlin, 1892 in Leipzig, 1902 in München und 1904
in Danzig.
Daneben hat nicht minder anregend der „Internationale
Verein zur Beinhaltung der Flüsse, des Bodens und
der Luft 8 , dessen verdienstvollen Vorsitzenden in unserer Mitte
zu sehen, wir heute die Freude haben, durch seine wiederholten
Eingaben an den deutschen Reichstag gewirkt! Erwähnt sei hier
auch noch die Kundgebung des Deutschen Anwaltsvereins vom
Jahre 1899, der die Schaffung eines einheitlichen deutschen
Wasserrechtes empfahl; endlich möge auch noch auf die aus
Fischerei- und landwirtschaftlichen Kreisen dieserhalb hervor¬
gegangenen, vielfachen Anregungen hingewiesen sein.
Was nun, m. H., nach dem Vorausgeschickten den augen¬
blicklichen Rechtszustand hinsichtlich der Verunreinigung
der Wasserläufe in Deutschland anbelangt, so ist es ja bekannt,
dass nach Artikel 65 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen
G-esetzbnch die landesgesetzlichen Vorschriften, welche das
Wasserrecht betreffen, von jenem unberührt bleiben, ebenso
die Vorschriften zur Beförderung der Entwässerung der Grund¬
stücke. Der augenblickliche Rechtszustand ist durch mehrere
Entscheidungen des Reichsgerichts festgelegt, von denen die vom
12. Juni 1886 und 12. November 1896 das grösste Interesse in
Anspruch nehmen.
Nach der Entscheidung vom 12. Nov. 1896 ist die Ansicht
nicht zutreffend, dass der oberhalb liegende Uferbesitzer an einem
Privatfluss sich jedes, den unterliegenden Besitzer irgendwie schä¬
digenden Zuflusses in den Fluss enthalten müsse. Die Flüsse
dienen ihrer natürlichen Bestimmung zufolge zur Aufnahme und
Abführung von Flüssigkeiten nnd die Grenze, die dabei im Interesse
des unterliegenden Besitzers nicht überschritten werden darf, lässt
sich aus den Grundsätzen des Nachbarrechts nicht dahin be¬
stimmen, dass jede Schädigung der unterliegenden Bewohner unter¬
bleiben müsse, sondern der Unterlieger muss solche Zuleitungen
dulden, die das Mass des Regelmässigen, Gemeinüblichen nicht
überschreiten, selbst wenn dadurch die absolute Verwendbarkeit
des ihm zufliessenden Wassers zu gemeinbeliebigem Gebrauche
irgendwie beeinträchtigt wird.
Anders verhält es sich mit dem polizeilichen Einschreiten.
Die Polizei ist an die Schranke des gemeinüblichen Masses nicht
gebunden, sobald ein Gemeingebrauch, der nach Lage des Einzel¬
falles das gemeinübliche Mass vielleicht noch nicht überschreitet,
die Gefahr einer Verletzung öffentlicher Interessen, insbesondere
eine Gesundheitsgefahr in sich trägt (R.G. E. Bd. XVI, S. 181).
Umgekehrt ist die Polizeibehörde aber nicht befugt, gegen
eine, wenn auch das gemeinübliche Mass überschreitende Verun¬
reinigung vorzugehen, sofern daraus keine Gefahr für das Gemein-
vom sanitätspolizeilichen and verwaltungsrechtlichen Standpunkt. 83
wohl erwächst und auch kein Verstoss gegen die Strafgesetze
vorliegt; denn znm Schutze rein privater Interessen ist die
Polizei nicht berufen. (Vergl. § 10 Allg. Landr. II, 17 und § 6
des Gesetzes vom 11. März 1850; siehe auch Holtz). Betreffs
der Ueberschreitung des Gemeinüblichen sagt Prof. Dr.
König:
„Eine solche Ueberschreitang des Gemeinüblichen würde beispielsweise
vorliegen, wenn eine derartige Menge in den Wasserlaof abgeführt würde,
daß infolge dessen der Floß aastritt, oder auszatreten droht; wenn ferner in
den Fluß Stoffe geleitet werden, welche nach ihrer Beschaffenheit den Grund¬
stücken des Unterliegers zu schaden fähig sind, wenn durch die Einführung
von Flüssigkeiten das Wasser seine bisherigen Eigenschaften als Trink- oder
Tränkewasser verliert und dergleichen mehr. Liegt eine solche Ueberschreitung
vor, so muß der Begel nach ohne weiteres angenommen werden, daß hier¬
durch eine ungebührliche Belästigung des unterhalb liegenden Uferbesitzers
verursacht und somit dessen Eigentumsrecht verletzt wird.
Der unterhalb Liegende würde somit zur Anstellung seiner (Negatorien)
Klage gegen den Oberliegenden den Nachweis seines Eigentums am Flusse
und einer das Becht des Gemeinüblichen in quantitativer und qualitativer
Beziehung überschreitenden Zuleitung durch den Oberliegenden zu führen haben.
Eigentümer des Privatflusses sind aber die Eigentümer der Ufer. Das Eigen¬
tum des .Ufers wird bewiesen, wie überhaupt Eigentum von Grundstücken, also
namentlich durch die Eintragung im Grundbuchamt. Beim Nachweis der
Ueberschreitung des Maßes des Gemeinüblichen ist zu bemerken, daß diese
Ueberschreitung abhängt von dem Zustande des Wassers oder seiner Wasser¬
menge, wie er sich an den Grundstücken des unterhalb Liegenden zeigt. Dem
Oberliegenden bleibt aber der Nachweis frei, daß seine Zuleitung den Unten¬
liegenden nicht, oder nicht anders, wie der ganz gemeinübliche Gebrauch
des Wasserlaufes belästigt, somit keine wirkliche Verletzung der Interessen
des Unterliegenden, kein Schaden eingetreten ist.“
Die oben erwähnte, vom Reichsgericht ans allgemeinen Ge¬
sichtspunkten hergeleitete Rechtsanffassnng hat Übrigens auch im
§ 906 des Bürgerlichen Gesetzbuches Anerkennung gefunden. Dem¬
gemäss hat das Reichsgericht in der Entscheidung vom 15. De¬
zember 1900 die Einführung von Schmutzwässern in einen Fluss,
die das gewöhnliche Mass übersteigt, für eine nach § 906 des
B.G.B. unzulässige Eigentumsstörung erachtet.
Die Ausführungen des Reichsgerichts beziehen sich ausschliess¬
lich auf Privatflüsse. Für öffentliche Flüsse hat das Preuss.
Oberverwaltungsgericht (Urteil vom 27. Nov. 1897)*) im wesentlichen
in Uebereinstimmung mit den obigen Ausführungen des Reichsgerichts
den Grundsatz aufgestellt, dass darin niemand ohne Genehmigung
der zuständigen Behörde etwas vornehmen darf, was über den Ge¬
meingebrauch hinausgeht, sowie dass die Beseitigung dessen, was
hiernach der Genehmigung bedürfte, aber die Genehmigung
nicht erhalten hat, von der Polizeibehörde lediglich deshalb
verlangt werden kann, weil es nicht genehmigt worden ist, und
dass eine erteilte Genehmigung jederzeit widerruflich ist. Dieser
Grundsatz muss auch für die Einleitung unreiner Stoffe in die
Flüsse gelten (Holtz).
Anderseits wird nach einer Entscheidung des Preussischen
Oberverwaltungsgerichts *) vom 25. November 1895 eine Be¬
einträchtigung des Bedarfs an reinem Wasser durch Verun¬
reinigung des Flusswassers dann ausgeschlossen sein, wenn dieser
») Band XXXII, Seite 263. *) Band XXIX, Seite 293.
6*
84
Dr. Dütschke: Die Reinhaltung der Waes erlaufe
Bedarf aas irgend welchen Ursachen — dahin würde eine bereits
stark vorgeschrittene Verunreinigung gehören, die das Wasser za
anderweitem Gebrauch ungeeignet macht — überhaupt nicht
aus dem fraglichen Flusse gedeckt wird (Holtz).
Für die Beurteilung der Frage, ob im Einzelfalle eine
das Mass des Gemeinüblichen überschreitende Verunreinigung
vorliegt, kommen nach Prof. Dr. König folgende Gesichtspunkte
in Betracht:
„Daß durch Zuleitung eines Abfallwaasers in einen Waaserlauf das
Maß des Gemeinftblichen in qualitativer Hinsicht für einen bestimmt anzuge¬
benden Nutzungszweck überschritten ist, ergibt sich nur aus der chemischen bezw.
bakteriologischen Untersuchung des betreffenden Abfallwassers und des Wassers
des Flußlaufes vor und nach Aufnahme des Abfallwassers. Hierbei sind die
durchschnittlichen, niedrigsten und höchsten Wassermengen des Flußlaufes zu
berücksichtigen, ferner, ob die Menge der zugeleiteten Bestandteile des Abf&ll-
wassers oder der erhöhte Gehalt, welchen der Wasserlauf durch die Zuleitung
des Abfallwassers annimmt, den Wasserlauf für den betreffenden berechtigten
Nutzungswert unbrauchbar macht.
„Wenn hiernach bei Verunreinigung eines Wasserlaufes die Beweislast
eine etwas schwierige ist, so dürfen wir doch die ganze Rechtslage als eine
klare und durchsichtige bezeichnen und als wohl geeignet, die Beurteilung
einer Verunreinigung eines Wasserlaufes in jedem Falle zu ermöglichen.“
Die Schwierigkeit liegt nur darin, dass wir bisher allgemein
anerkannte Grundsätze für die Beurteilung nicht haben und im
Einzelfalle stets auf das nach dem jeweiligen Stande der Wissen¬
schaft und Praxis zu erstattende sachverständige Gutachten an¬
gewiesen sind, um eine einigermassen gerechte Abwägung der
Interessentengegensätze, sowie eine Beurteilung des überwiegen¬
den Nutzens oder Schadens eintreten zu lassen. Handelt es sich
nun vom sanitätspolizeilichen Standpunkt aus um die Frage
der Zulässigkeit der Einleitung von Abwässern in einen Fluss,
so werden wir nach dem jetzigen Stande der Wissenschaft und
den hygienischen Gewohnheiten von vornherein ein ungereinigtes
rohes Flusswasser als Trinkwasser überhaupt nicht mehr zulassen
oder anerkennen; solches wird bei uns in Deutschland auch kaum
mehr zu Trinkwasserzwecken benutzt. Dahingegen findet fil¬
triertes Flusswasser noch vielfach als Trinkwasser Verwendung,
wenngleich sich im Laufe der Jahre immer mehr das Bestreben
geltend gemacht hat, vom filtrierten Flusswasser zum Grand¬
oder Quellwasser überzugehen. Ist aber diese Möglichkeit nicht
vorhanden, muss das Wasser von Flüssen und Bächen zum Trinken
benutzt werden, so muss auch für diese Gewässer eine erheblich
höhere Reinheit gefordert werden, als dort, wo Flusswasser
nicht als Trinkwasser benutzt wird. Dieselbe Forderung einer
grösseren Reinhaltung eines Wasserlaufes muss da erhoben werden,
wo das Grandwasser vom Flnss gespeist wird; denn wenn auch
die Bodenfiltration die Suspensa und darunter die Bakterien ab-
fangenkann, so ist doch noch nicht gesagt, dass sie das immer
tut, die Porengrösse und der Druckunterschied sind die haupt¬
sächlich beeinflussenden Faktoren (Gärtner).
Die Forderung, dass ein Wasserlauf nicht so verunreinigt
sein dürfe, um ihn nicht noch als Gebrauchswasser oder zum
vom sanitätapolizeilichen and yerw&Itangsreditlichen Standpunkt. 85
Baden znznlassen, wird sich in industriellen Gegenden schwerlich
flberall durchführen lassen; man wird hier, einer blühenden
Industrie zu Liebe, gewiss besser davon absehen und für eine
andere Badegelegenheit und anderweite Beschaffung von Gebrauchs-
wasser sorgen.
Zu den schwierigsten Aufgaben mit gehört es, die For¬
derungen der Industrie in betreff Ableitung ihrer Abwässer mit
den Forderungen der Fischzucht und Landwirtschaft in Ein¬
klang zu bringen, denn alle drei haben den gleichen Anspruch
auf Schutz. Die grösseren und wichtigeren Interessen müssen
hier stets den Vorrang behaupten, wenn auch selbstverständlich
das Wohl und Wehe der einen oder anderen Interessentengruppe
nicht dominierend in den Vordergrund gestellt werden darf.
(Gärtner).
Diese allgemeinen Gesichtspunkte können uns daher bei der
Begutachtung der Zulässigkeit der Zuleitung von Abwässern in
einen Wasserlauf als Bichtschnur dienen und bieten uns gleich¬
zeitig einen gewissen Massstab für die zu stellenden sanitäts¬
polizeilichen Forderungen hinsichtlich der Klärung und Reinigung
der Abwässer vor ihrer Einlassung in den betreffenden Wasserlanf.
Wie vorhin, m. H., von mir schon angeführt wurde, bleiben
gemäss Artikel 65 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen
Gesetzbuch die landesgesetzlichen Vorschriften unberührt, welche
dem Wasserrecht angebören. Es ist daher vielleicht nicht ganz
ohne Interesse, in unseren deutschen Landen einmal Umschau zu
halten, welche gesetzlichen Bestimmungen die Einzelstaaten hin¬
sichtlich des Schutzes der Reinhaltung ihrer Wasserläufe haben.
Zu diesem Zwecke habe ich mir erlaubt, eine Zusammstellnng
der wichtigsten einschlägigen gesetzlichen Bestim¬
mungen anzufertigen, die Ihnen, um Sie nicht mit dem Vorlesen
derselben zu ermüden, gedruckt übergeben ist. Ich verdanke das
reiche Material zu dieser Zusammenstellung dem liebenswürdigen
Entgegenkommen zahlreicher Herren Kollegen unseres Vereins,
denen meinen verbindlichsten Dank auszusprechen, ich auch von
dieser Stelle aus nicht unterlassen möchte.
Aus dieser etwas mosaikartigen Zusammenstellung, m. H.,
wollen Sie zunächst ersehen, dass in Deutschland die ständige
hygienische Ueberwachung der Wasserläufe noch
sehr zu wünschen übrig lässt und nach meiner Kenntnis nur
Preussen, Württemberg, Baden, Sachsen und Mecklenburg-Schwerin
eine geregelte Flussschau unter Beteiligung der Medizinalbeamten
hat, dass überhaupt in den erlassenen Gesetzen mit wenigen
Ansnahmen der Hygiene fast gar nicht näher Rechnung
getragen ist, sondern meist nur die Interessen der Landwirt¬
schaft, Fischzucht und die Erhaltung der Vorflutverhältnisse berück¬
sichtigt sind.
Sie wollen aber weiter aus der Zusammenstellung ent¬
nehmen, dass bis jetzt nur das Königreich Württemberg seit dem
1. Dezember 1900 ein besonderes Wassergesetz besitzt und im
Anschluss hieran eine Ministerialverfügnng vom 16. November
86
Dr. Dütachke: Die Beinbaitang der Wasserlinie
1901 den Vollzog dieses Gesetzes regelt. In den anderen deutschen
Bundesstaaten sind die Bestimmungen, betreffend die Reinhaltung
der Wasserläufe, entweder durch allgemeine wassergesetzliche
Bestimmungen oder durch besondere Verordnungen geregelt. In
Bayern soll nach einer mir götigst gewordenen Mitteilung im
kommenden Landtag eine Revision des Bayerischen Gesetzes vom
28. Mai 1852, die Benutzung des Wassers betreffend, erfolgen,
wobei hoffentlich die hygienischen Forderungen hinsichtlich der
Einleitung der Abwässer und der Reinhaltung der Wasserläufe
eine gebührende Berücksichtigung erfahren und auch die Tätig¬
keit der Medizinalbeamten bei den anzuordnenden regelmässigen
Flussbesichtigungen zu einer obligatorischen umgestaltet wird.
Für das Königreich Preussen war im Jahre 1894 ein Wasser¬
gesetz ausgearbeitet; dasselbe ist aber, da sich ge(gen die l&ndes-
gesetzliche Regelung der Massnahmen zur Reinhaltung der Gewässer,
besonders aus der Verschiedenheit der örtlichen und wirtschaft¬
lichen Verhältnisse zwischen den einzelnen Provinzen und selbst
innerhalb derselben Provinz, ausserordentliche Schwierigkeiten
ergaben, wieder zurückgestellt worden, zumal es keine Aussicht
auf Annahme hatte.
Inzwischen ist nun, wie aus der Zusammenstellung hervor¬
geht, von den preussischen Ministern der Landwirtschaft, des
Handels, der Medizinalangelegenheiten und der öffentlichen Ar¬
beiten unter dem 20. Februar 1901 eine allgemeine Verord¬
nung, betreffend die Fürsorge für die Reinhaltung der Gewässer,
ergangen, welche in 6 Abschnitten diejenigen Massnahmen angibt,
welche auf Grund der bestehenden Gesetzgebung ergriffen werden
können, um den Uebelständen entgegenzutreten. Durch diese
Verordnung wird vor allem eineUeberwachung der Gewässer
der einzelnen Bezirke durch Exekutivbeamte angeordnet, wobei
dem zuständigen Baubeamten, dem Gewerbeinspektor und dem
Medizinalbeamten stets Gelegenheit gegeben werden soll, sich
an den alle 2—8 Jahre stattfindenden Begehungen der Wasser¬
läufe zu beteiligen. In dieser letzteren Anordnung liegt ohne
Frage ein bedeutsamer, hygienischer Fortschritt!
Als eines der neuesten und interessantesten Gesetze ist so¬
dann für Preussen noch das Gesetz vom 14. Juli 1904,
betreffend Bildung einer Genossenschaft zur Rege¬
lung der Vorflut und zur Abwässerreinigung im Em-
schergebiet, hervorzuheben, weil es auf genossenschaftlicher
Grundlage diesen Zweck zu erreichen sucht.
Zwischen den beiden Nebenflüssen des Rheins, der Ruhr und
Lippe, liegt das rheinisch-westfälische Industriegebiet, ein Land¬
strich, welcher sich wie kaum ein zweiter in Deutschland in der
letzten Zeit entwickelt hat und dessen Industrie als die be¬
deutendste bezeichnet werden muss. Ein grosser Teil dieses
Landstriches, der im ganzen eine Längenausdehnung von 100 Kilo¬
metern hat, entwässert nach der Emscher, einem ursprünglich
kleinen Bach, der sich aber infolge der ihm zugeleiteten Abwässer
zu einem grossen Flusslauf erweitert hat. Die ohnehin stets
Tom s&nit&tspolizeüichen und verw<angsrechtlichen Standpunkt 87
ungünstigen Entwässerungs Verhältnisse dieses Bezirkes erfahren
im Lanfe des in den letzten 50 Jahren sich immer mehr ent*
wickelnden Steinkohlenbergbaues und der sich hieran schliessen*
den Hüttenindustrie eine fortlaufende Verschlechterung. Das in
den letzten 20 Jahren auf l l /s Million erfolgte Anwachsen der
Bevölkerung veranlasste die Anlage künstlicher Wasserleitungen,
die das aus dem Vorflutgebiete der Ruhr entnommene Wasser
nach der Benutzung der Emscher wieder zuführten. Hierdurch und
durch das aus den Bergwerken geförderte Grubenwasser wurde die
Menge der Abwässer vervielfacht; es entstanden ausserdem künst¬
liche Städtekanalisationen, die das Tages- und Verbrauchswasser
schnell ableiteten. Diese rapide Entwickelung musste für die
Entwässerungsverhältnisse unausbleibliche Unzuträglichkeiten im
Gefolge haben; zwei Gefahren waren es vornehmlich, welche die
Zukunft des ganzen Landes auf das empfindlichste bedrohten, die
Verunreinigung der Wasserläufe infolge der Besiedelung der
Gegend und die Bodensenkungen infolge des Bergbaues. Unter
diesen Verhältnissen brach sich in den beteiligten Kreisen immer
mehr die Ueberzeugung Bahn, dass die bisherige Art der Ab¬
wässerbeseitigung einer Abänderung dringend bedürfe und dass die
vorhandenen Uebelstände durch die von den Gemeinden und indu¬
striellen Werken bisher getroffenen Einzel Vorrichtungen nicht
behoben werden können, dass vielmehr nur die gemeinschaft¬
liche Durchführung eines neu aufzustellenden einheitlichen
Projektes, das den Anforderungen der Vorflut und der Hygiene
in gleicher Weise gerecht werde, zum Ziele führen werde. Nach
jahrelangen schwierigen Verhandlungen zwischen den zu zwei
Provinzen gehörenden Kreisen und Städten gelang die Bildung
einer Genossenschaft, wobei die Städte und Landkreise
gewissermassen die Repräsentanten der Genossen bilden, während
die nicht unbedeutenden Lasten von den Interessenten getragen
werden. Es ist ein umfangreiches Projekt ausgearbeitet worden,
dessen Ausführung sich auf über 25 Millionen Mark beläuft und
das eine Begradigung des stark gewundenen Flusslaufes, eine
möglichst weitgehende Beseitigung der Stauwerke, eine Vertiefung
der Sohle um rund 3 Meter und die Anlage von Klärvorrichtungen
vorsieht. Man darf mit Recht gespannt sein auf die Wirkung
der gesetzlichen Emscherregulierung, welche geeignet erscheint,
Ar viele verunreinigte Wasserläufe vorbildlich zu wirken!
Wenn sich schon, wie ich eben erwähnte, in Preussen für
das Zustandekommen eines allgemeinen Wassergesetzes ausser¬
ordentliche Schwierigkeiten in den Weg stellten, so trifft dies für
das Deutsche Reich wegen der Verschiedenheit der örtlichen und
wirtschaftlichen, sowie gesetzlichen Verhältnisse in weit höherem
Masse zu; die Folge davon ist, dass wir noch lange Zeit auf
den Verwaltungsweg angewiesen sein werden.
Dementsprechend konnte auch bei der Reichtagsverhandlung
am 30. April 1904 über die Petition des Internationalen Vereins
zur Reinhaltung der Flüsse um „Schaffung eines Reichsfluss¬
schutzgesetzes mit Exekutivbehörden, welche unabhängig den
88 Dr. Dütschke: Die Reinhaltung der Wasserlinie
Magistraten da* Städte und dem Einfluss der Industriellen gegen-
überstellen“ die Antwort des Regiemngskommissars nicht andere
als dahin lauten, dass es den betreffenden Landesregierangen
überlassen bleiben müsse, je nach den vom gesundheitlichen Stand¬
punkte gebotenen Rücksichten die Genehmigung zur Einleitung
von Abw&ssern in ein öffentliches Gewässer zu versagen oder
nur unter entsprechenden Bedingungen zu erteilen, und dass es
sieh empfiehlt, zunächst abzuwarten, wie der auf Grund des § 43
des Reichsgesetzes zur Bekämpfung gemeingefährlicher Krank¬
heiten vom 30. Juni 1900 gebildete Gesundheitsrat werden wird,
bei dem ein Ausschuss für Wasserversorgung und Beseitigung
der Abfallstoffe, einschliesslich Reinhaltung der Gewässer, durch
Beschluss des Bundesrats vom 25. April 1901 errichtet ist. Der
Reichsgesundheitsrat soll eine begutachtende und vermittelnde
Tätigkeit ausüben bei Angelegenheiten und Einrichtungen, welche
die aus gesundheits- und veterinärpolizeilichen Rücksichten ge¬
botene Reinhaltung der das Gebiet mehrerer Bundesstaaten
berührenden Gewässer betreffen; er soll über Streitigkeiten,
die auf dem vorbezeichneten Gebiete zwischen mehreren
Staaten entstehen, einen Schiedsspruch abgeben, aber auch be¬
fugt sein, auf dem in Rede stehenden Gebiete durch Vermittelung
des Reichskanzlers (Reichsamt des Innern"! Anregungen zur Ver¬
hütung drohender Misstände oder zur Verbesserung vorhandener
Zustände zu geben.
Wenn hiernach auch dem Gutachten des Reichsgesundheits¬
rats eine unmittelbare verbindliche Kraft nicht zukommt, so hat
doch bei dem Ansehen, welches sein aus den hervorragendsten
Sachverständigen zusammengesetzter Ausschuss für Wasserver¬
sorgung geniesst, sein Urteil bisher stets die gebührende Beach¬
tung gefunden. Am 20. Mai 1901 trat der Reichsgesundheitsrat
zum ersten Mal nach seiner Konstituierung zusammen und als
erste Aufgabe wurde ihm die Frage der Regelung der Mann¬
heimer Schwemmkanalisation vorgelegt. In rascher Folge ist
sodann seine Tätigkeit oft in Anspruch genommen worden; ich
darf nur an das Gutachten betr. die Einleitung der Abwässer
der Stadt Mainz in den Rhein vom 9. Mai 1903 und den Streit¬
fall zwischen den Städten Karlsruhe und Speyer erinnern!
Interessieren dürfte es ferner, dass gerade in den nächsten
Tagen auf Veranlassung des Herrn Reichskanzlers der Gesund¬
heitsrat sich wieder versammeln wird, um eine Bereisung des
Rheines anzutreten und die vorhandenen Verunreinigungen fest¬
zustellen; an dieser Bereisung Teil zu nehmen, hat mein Herr
Korreferent den ehrenvollen Auftrag erhalten, gemeinsam mit des
Vertretern der anderen Bundesstaaten, deren Gebiet ebenfalls vom
Rhein durchflossen wird.
Im übrigen bildet ja bekanntlich der § 76 der Reichsver¬
fassung die Handhabe, im gegebenen Fall die vom Reichsgesund¬
heitsrat erstatteten Gutachten zur entsprechenden Geltung zu
bringen, da nach'*§ 76 Streitigkeiten zwischen verschiedenen
Bundesstaaten, sofern dieselbe nicht privatrechtlicher Natur und
vom s&nit&tspoiizeüichen and verwaltangsrechtlichen Standpunkt. 89
daher von kompetenten Gerichtsbehörden zu entscheiden sind, auf
Anrufen eines Teiles von dem Bandesrat erledigt werden (Adam).
In richtiger Erkenntnis und Würdigung der hohen Bedeu-
tang, welche nicht nnr in streitigen Fällen, sondern überhaupt
der gutachtlichen Tätigkeit über Abwässerbeseitigung und Fluss-
vernnreinigung dem hygienisch technischen Gutachten zukommt,
ist bekanntlich für Preussen seit dem 1. April 1901 die König*
liehe Versuchs- und Prüfungsanstalt für Wasserversor¬
gung und Abwässerbeseitigung errichtet und der Medizinal¬
abteilung des Kultusministeriums angegliedert worden. Die er-
spriessliche Tätigkeit, welche dieses junge Institut in den wenigen
Jahren seines Bestehens bereits entfaltet hat, beweist am besten
die lange erkannte Notwendigkeit, wissenschaftliche Untersuchungen
im Grossen auf diesem Gebiete zur Verhinderung der Flussver-
unreinigungen anzustellen; aus dem Munde eines Mitgliedes
der erwähnten Anstalt, meines Herrn Korreferenten, der sich auf
diesem Gebiete des Studiums der Abwässerbeseitigung ja eines
besonderen spezialistischen Rufes erfreut, werden Ihnen nachher
die neueren Untersuchungs- und Prüfungsmethoden der Abwässer¬
beseitigung vorgetragen werden. Ich zweifele keinen Augenblick,
dass Sie hiernach die Ueberzeugung gewinnen werden, dass wir
auf dem besten Wege sind, hinsichtlich dieser sanitär und volks¬
wirtschaftlich so wichtigen Frage nach und nach zu einem alle
Interessen berücksichtigenden befriedigenden Abschluss zu ge¬
langen.
Als einen besonders wertvollen Fortschritt, den die jüngsten
Jahre zu verzeichnen haben, möchte ich es noch ansehen, dass
die Prüfangs- und Versuchsanstalt in Berlin durch die Einführung
besonderer Unterweisungskurse für Medizinalbeamte, Gewerbe-
aufsichts- und Baubeamte dafür gesorgt hat, dass die hier in der
Anstalt auf Grund exakter Untersuchungen und Beobachtungen
gewonnenen Erfahrungen das Gemeingut derjenigen Beamten
gerade werden, welche in erster Linie berufen sind, über die
Reinhaltung der Wasserläufe zu wachen und die Projekte der
Abwässerbeseitigung vom technischen Standpunkte aus zu prüfen.
Neben der in fast allen Bundesstaaten angeordneten medi-
zinalbeamtlichen Begutachtung der nach den §§16 und 25 der
Reichs-Gew.-O. konzessionspflichtigen Neuanlagen, halte ich für
eine der wirksamsten Verwaltungsmassnahmen zur Verhütung der
Fluss Verunreinigungen die in dem 1. Abschnitt der erwähnten
preussischen Verordnung vom 20. Februar 1901 vorgesehene Auf¬
sicht über die Flüsse, welche bei der Gelegenheit der Fluss¬
begehungen durch den zuständigen Baubeamten, Gewerbeinspektor
und Medizinalbeamten ausgeübt wird; sie besteht in Sachsen,
Württemberg, Baden und Mecklenburg-Schwerin ebenfalls, wäh¬
rend in zahlreichen anderen Bundesstaaten zwar Flussschauen
angeordnet sind, aber ohne Beteiligung der Medizinalbeamten.
Und doch erscheinen die hier für Preussen angegebenen
immerhin vortrefflichen Massnahmen noch nicht ausreichend,$ um
der leider noch immer zunehmenden Verunreinigung der Wasser-
90 Dr. Dütschke: Oie Reinhaltung'der Wasserläufe
lftnfe rechtzeitig vorzubeugen, -wie schon Prof. Dr. Gärtner im
Jahre 1902 auf der 27. Versammlung des Deutschen Vereins für
Öffentliche Gesundheitspflege in München gelegentlich seines Vor*
träges über „die hygienische Ueberwachnng der Wasserläufe‘
nachwies.
Jeder Medizinalbeamte, der bisher Gelegenheit gehabt hat,
solchen Flussschauen oder Begehungen beiznwohnen, wird mir
darin beistimmen, dass es zunächst als ein Mangel bezeichnet
werden muss, dass bei diesen kommissarischen Begehungen nur
die grösseren und wichtigeren Flüsse bezw. Wasserläufe vorwie¬
gend berücksichtigt werden und die der Verschmutzung oft weit
mehr ausgesetzten Bäche und kleinen Flnssläufe bisher zu wenig
Beachtung gefunden haben. In Preussen ist ja nun zwar durch
§76 der Dienstanweisung für die Kreisärzte Fürsorge getroffen,
dass letztere der Reinhaltung der Wasserläufe fortlaufend aus
eigenem Antriebe, sobald Missstände zu ihrer Kenntnis gelangen,
ihre Aufmerksamkeit zu widmen haben. Die Erfahrung hat aber
zur Genüge gelehrt, dass die von den Kreisärzten zur Verhütung
der Verunreinigung der Flussläufe gemachten Vorschläge in den
meisten Fällen den Interessenten als zu weit gehend und als ein
tiefeinschneidender Eingriff in ihre persönlichen Rechte und In¬
teressen erschienen und dann zu den alljährlich im preussischen
Abgeordneten- und Herrenhause bei Gelegenheit der Beratung
des Medizinaletats stets wiederkehrenden unberechtigten Klagen
über den „Uebereifer der Kreisärzte 8 führten, die nicht das
volle Verständnis dafür besässen, das Wünschenswerte vom Not¬
wendigen und das praktisch Erreichbare vom Undurchführbaren
zu unterscheiden! Diese unbegründeten Klagen über zu weit¬
gehende Forderungen sind ja wiederholt auch seitens der Industrie
hinsichtlich der Gewerbeaufsichtsbeamten laut geworden. Ich
glaube daher, dass die Persönlichkeit des einzelnen Medizinal¬
oder Gewerbeaufsichtsbeamten bei Beurteilung der Vorschläge
über eine zweckmässige und einwandsfreie Behandlung der Ab¬
fallstoffe und Abwässer, besonders im Hinblick auf die finanziell
nicht unbedeutenden Konsequenzen, der Autorität einer Kom¬
mission gegenüber zurückstehen muss, und erachte deshalb die
Einsetzung einer ständigen Kommission zur Ueberwachnng dei
Wasserläufe im Sinne der Gärtner sehen Ausführungen für weif
aussichtsvoller.
Auch bin ich der Ansicht, dass die Flussbegehungen schon
jetzt im Rahmen der ministeriellen Anordnung für Preussen Er-
spriessliches erreichen können, wenn der Schwerpunkt der Be¬
sichtigungen weniger auf die wassertechnische Seite, die Störung
der Vorflut usw., als vielmehr auf die hygienische Seite gelegt
wird und dementsprechend auch die auf Grand der betreffenden
Feststellungen zu erlassenden Verfügungen an die Interessenten
den gesundheitlichen Zweck der Flussschau mehr zum Ausdruck
und zur Geltung bringen.
Ich halte es aber nicht für wünschenswert, dass der Kom¬
mission, wie Prof. Dr. Gärtner dies will, das Recht beigelegt werde,
vom sanitfttspolizeilichen and verwaltungsrechtlichen Standpunkt. 91
Prozesse za fahren and Strafen zn verfügen. Die Kommission wird
ihren Zweck weit besser erfüllen, wenn sie nichts anderes ist,
als eine im Auftrag der zuständigen Landespolizeibehörde, also
des betreffenden Regierungspräsidenten tätige Kommission, die
ihre Wahrnehmungen in Gestalt eines Protokolls der zuständigen
Aufsichtsbehörde übermittelt, die dann anf Grund des Protokolles
die erforderlichen sanitäts-, wassser-, gewerbepolizeilichen Mass-
regeln anordnet and für deren [Darchführnng durch die zu-
ständigen Polizeibehörden Sorge trägt. Aus diesem Grande
möchte ich es auch als richtiger ansehen, dass für die durch die
Begehung der Wasserläufe entstandenen Kosten nicht die Inter¬
essenten, wie Gärtner dies vorschlägt, sondern der Staat auf-
kommt, der seinen Beamten im „allgemeinen Interesse“ den Auf¬
trag zu den Begehungen erteilt, wie dies bisher in Preussen schon
geschieht.
Die weiter von Geheimrat Prof. Dr. König in Münster zu den
Gärtnersehen Vorschlägen erhobene Forderung, noch einen Che¬
miker ausser dem Medizinal-, Gewerbeaufsichts-, Bau- und Ver¬
waltungsbeamten zu der Kommission hinzuziehen, erscheint beach¬
tenswert, da bei der Beurteilung der Verunreinigungen der Wasser¬
läufe die chemischen Vorgänge neben den hygienischen Verhält¬
nissen meist eine wichtige Rolle spielen.
Nach der Preussischen Verordnung vom 20. Februar 1901
wird den betreffenden technischen Beamten „nur die Gelegenheit
geboten“, sich an den Flussbegehungen zu beteiligen; es sollte
dafür die Teilnahme der erwähnten Beamten überall obligatorisch
gemacht werden. Leider ist, wie eine Rundfrage bei den Herren
Kollegen der Einzelstaaten ergeben hat, die Beteiligung der v Me¬
dizinalbeamten bei den Flussbegehungen nur in wenigen Bundes¬
staaten direkt vorgeschrieben; die Besichtigung wird vielmehr
nur von den Wasserbau- bezw. Meliorationsbaubeamten vorge¬
nommen und nach Bedürfhis nur im Einzelfall ein Medizinal)
beamter zugezogen. Die Flussüberwachung muss eben, wie
Gärtner zutreffend sagt, nicht etwas Beiläufiges, so eine Ar-
recht unbequemer, anstrengender und undankbarer Nebenbeschäf¬
tigung sein, sondern einen festen integrierenden Teil der Tätig¬
keit der Medizinalbeamten bilden.
Die Hauptsache bleibt allerdings stets, dass die Aufsichts¬
behörden, sobald irgendwelche durch die Zuleitung von Abwässern
hervorgerufene Missständen festgestellt worden sind, an der Hand
der ihnen zu Gebote stehenden gesetzlichen Bestimmungen auf
die Abstellung dieser Missstände dringen und diese kontrol¬
lieren.
Mit Recht sagt Prof. Dr. Gärtner:
„Schon jetzt wird den Städten and der Industrie ein gewisses Maß der
Reinigung ihrer Abwässer aufgegeben; aber bald, namentlich wenn eine fort¬
laufende scharfe Kontrolle nicht besteht, werden die betreffenden Vorschriften,
besonders wenn es sich um eine nach und nach eintretende Vermehrung der
Abwässer handelt, denen die ursprünglich verlangten Kläranlagen nicht mehr
genügen können, nicht weiter beachtet and der ganze Unrat gelangt in die
92 Dr. Dütschke: Die Reinhaltung der Waase rl&ofe
Flüsse; diese Misstände würden ohne Frage bei Handhabung einer regel¬
mäßigen scharfen Kontrolle in dem oben erwähnten Sinne beseitigt werden.
Die Wasserläufe sind einmal die natürlichen Rezipienten für unsere
Abwässer, denn wo sollten letztere bleiben, wenn wir sie nicht den Flüssen
übergeben könnten. Den Städten steht nicht überall ein geeignetes und ge¬
nügendes Rieselgelände zur Verfügung, die Industrien können nicht alle
Abwässer verdunsten, sondern müssen sie dem nächsten geeignetsten Vorfluter
zuführen, aber Städte und Industrie dürfen nicht alle in ihnen enthaltenen
Unreinlichkeiten mit in das Wasser ableiten"
Alle gesetzlichen Massnahmen aber, m. H., welche die Zu¬
leitung der Abwässer in die Wässerlänfe nur gestatten, wenn die
Abwässer vorher unschädlich gemacht sind, helfen uns nicht, wenn
es der Technik nicht gelingt, solche Methoden der Abwässerrei-
nigung ausfindig zu machen und sicher zu stellen, welche die In¬
teressen der Gesundheitspflege, der Industrie, der Landwirtschaft
und Fischzucht gebfthrend berücksichtigen und welche auch die
volkswirtschaftliche Seite genügend im Auge behalten, so dass
ihrer finanziellen Durchführung keine Schwierigkeiten entgegen-
stehen. Dabei müssen, wie schon vorher bei Abschätzung und
Abwägung der Interessen erwähnt, die grösseren und wichtigeren
Interessen stets den Vorrang behaupten. Es wird aber immer
Fälle geben, wo es der Technik nicht gelingen wird, die Abwässer
so zu reinigen, dass jede Verunreinigung des Vorfluters vermieden
wird; unter Umständen werden deshalb ganze Bachläufe preisge¬
geben werden müssen, um eine blühende Industrie auch fernerhin
konkurrenz- und lebensfähig zu erhalten. Wir können bei der For¬
derung der Reinigung der verschiedenen Abwässer unmöglich ver¬
langen, dass daraus Trinkwasser geschaffen wird, oder dass eine
untergeordnete Fischzucht einer steuerkräftigen Industrie gegen¬
über bestehen bleibt.
Die Behandlung unreiner Abwässer ist ein Zweig der Technik
und bildet, wie Hauberschmidt zutreffend ausführt, heute
eine technische Spezialität. Wie in manchen anderen technischen
Spezialitäten spielte auch in der Reinigungstechnik der em¬
pirische Versuch, dem erst nachträglich aufklärend die wissen¬
schaftliche Forschung folgte, eine hervorragende Rolle. Die
Klärtechnik ist aus England, dem Lande der Praktiker, zu
uns nach Deutschland, dem Lande der Wissenschaft, gelangt
Unter dem Drucke schlimmer Wasserverhältnisse und eines dra¬
konischen Gesetzes hat das englische Volk seit Jahren ungeheure
Geldmittel aufgewandt, um durch Versuche im Grossen zu prak¬
tischen Methoden, Abwässer zu reinigen, zu gelangen. Diesem
Beispiele folgte die in den engsten Handelsbeziehungen zu Eng¬
land lebende Stadt Hamburg zuerst, deren Senat, dem Rate seines
hygienischen Vertrauensmanns folgend, mit fürstlicher Munifizenz
schon seit Jahren Mittel für jene Versuche gewährt, die praktisch
und wissenschaftlich für die Entwickelung der Sache eine nicht
geahnte Bedeutung erlangen sollten.
Der hohe Stand, den die Technik der Abwässerreinigung im
Laufe der letzten Jahre, besonders seit Errichtung der König¬
lichen Versuchs- und Prüfungsanstalt für Wasserversorgung und
tom sanitätspolizeilichen und Terw altungsrechtlichen Standpunkt. 93
Abwässerbeseitigang in Berlin, erreicht hat infolge der dort vor-
genommenen systematischen Arbeiten, bietet nns die beste Gewähr
dafür, dass die Frage einer sachgemässen Reinigung der Abwässer
ohne welche eine Reinhaltung unserer Wasserläufe ausgeschlossen
sein muss, immer mehr einer befriedigenden Lösung entgegengeht.
Ich zweifle nicht daran, dass, wenn die Technik uns hier
helfend zur Hand geht, auch die Sanitätspolizei und die Ver¬
waltungsgesetzgebung dann die richtigen Konsequenzen aus dem
Gebotenen zu ziehen vermag und wir ferner dann auch nicht mehr
der Verunreinigung unserer Wasserläufe in Deutschland machtlos
gegenftberstehen werden! 1 )
(Lebhafter Beifall.)
Von dem Referenten waren folgende Leitsätze aufgestellt:
1. Die in Deutschland bestehenden hochgradigen Verun¬
reinigungen zahlreicher Wasserläufe bedeuten eine grosse gesund-
*) Literatur:
Dr. G. Adam: Der gegenwärtige Stand der Abwässerfrage. Braun¬
schweig 1905.
Bonne: Ueber die militärische Bedeutung der Beinhaltung unserer
deutschen Gewässer. Leipzig 1904.
F. W. Büsing: Die Städtereinigung. Jena 1895.
Dr. Burckhardt: Die Abfallwässer und ihre Beinigung. Berlin 1897.
Dr. 0. Dämmer: Handwörterbuch der öffentlichen und privaten
Gesundheitspflege. 1891.
Dr. F. Fischer: Das Wasser, seine Verwendung, Beinigung und
Beurteilung. 1891.
Dr. C. Flügge: Grundriß der Hygiene. Leipzig 1894.
Dr. Holtz: Die Fürsorge für die Beinhaltung der Gewässer, auf
Grund der allgemeinen Verfügung vom 20. Februar 1901. Auf amtliche Ver¬
anlassung erläutert. Berlin 1902.
Dr. J. König: Die Verunreinigung der Gewässer, deren schädliche
Folgen, sowie die Beinigung von Trink- und Schmutzwasser. 1899.
Derselbe: Maßnahmen gegen die Verunreinigung der Flüsse.
Berlin 1903.
Dr. C. Petruschky: Flußverunreinigung und Volksbäder, nach einem
Referate auf der Tagung des Deutschen Vereins für Volksbäder 1903 in Danzig.
Dr. 0. Bapmund: Der beamtete Arzt und ärztliche Sachverständige.
Berlin 1904. Bd. II.
Dr. C. Weigelt: Ueber den Stand der Wasserverunreinigungen in den
westlichen Kulturstaaten. Internationaler Fischereikongreßl902 in Petersburg.
Dr. Weyl: Flußverunreinigung, Klärung der Abwässer, Selbstreinigung
der Flüsse. 1897.
Entwurf eines Gesetzes, betr. Bildung einer Genossenschaft zur Begelung
der Vorflut und zur Ab wässer reinigung im Emschergebiet. (Herrenhaus, Nr. 28
der Drucksachen 1904).
Supplement-Bände zur Deutschen Vierteljahrsschrift für öffentliche Ge¬
sundheitspflege: Jahresberichte über die Fortschritte und Leistungen auf
dem Gebiete der Hygiene für 1900 (Band XXXIII), 1901 (Band XXXIV), 1902
(Band XXXV).
Verhandlungen des Vereins für öffentliche Gesundheitspflege. Sonder¬
abdruck aus der Vierteljahrsschrift für öffentliche Gesundheitspflege. Band
XXXV, Heft 1.
Vierteljahrsschrift für gerichtliche Medizin und öffentliches Gesundheits¬
wesen: 1897, Band XIII und XIV; 1898, Band XVI, Supplement; 1901, Band
XXI, Supplement; 1904, Band XXVHI.
94 Leitsätze zü dem Vortrag: Die Reinhaltung der Wasserlinie nsw.
heitliche and wirtschaftliche Gefahr; sie bedürfen daher dringend
der Beseitigung bezw. der Einschränknng.
2. Am sichersten würde die Beinhaltung der Wasserläufe
durch eine einheitliche gesetzliche Begelung für das ganze Beich
erreicht werden; einer solchen stellen sich jedoch zur Zeit noch
grosse Schwierigkeiten entgegen.
3. Im allgemeinen bieten aber schon jetzt die gesetzlichen
Bestimmungen und Verwaltungsmassregeln der einzelnen Bundes¬
staaten eine wirksame Handhabe, die Verunreinigungen der
Wasserläufe in Deutschland zu verhüten oder erheblich einzu-
schränken, wenn diese Massregeln nur konsequent von den ein¬
zelnen Bundesstaaten gehandhabt werden.
4. Als die zur Zeit aussichtsvollste Verwaltungsmassnahme
zur Verhütung und Beseitigung der Verunreinigung der Wasser¬
läufe müssen die regelmässigen Besichtigungen sämtlicher Wasser¬
läufe in den einzelnen Bezirken durch eine zu berufende Ueber-
wachungskommission angesehen werden, bei denen die Teilnahme
des Medizinalbeamten neben der des Wasserbau- und Gewerbe¬
aufsichtsbeamten obligatorisch zu machen ist.
4. Bei einer zukünftigen gesetzlichen Neuregelung der Be¬
stimmungen übr die Benutzung der Wasserläufe ist den hygie¬
nischen Forderungen, die auf ein besseres Unschädlichkeitmachen
der den Wasserläufen zuzuführenden Abwässer, und somit auf eine
wirksame Beinhaltung derselben hinzustreben haben,in erhöhterem
Masse Bechnung zu tragen, als dies bislang der Fall war, wo die
hydrotechnischen Gesichtspunkte vorzugsweise berücksichtigt sind.
5. Bei dem Bestreben, die Verunreinigung der Flussläufe
einzuschränken, hat sich bis jetzt das Ausstehen eines allgemeinen
deutschen Wasserrechts weniger fühlbar gemacht, als das Fehlen
bestimmt anerkannter technisch-hygienischer Grundsätze für die
Beinigung der Abwässer.
Wenn es daher der Technik gelingt, solche Methoden der
Abwässerreinigung zu schaffen, durch welche nicht nur die For¬
derungen der Gesundheitspflege und zwar in erster Linie erfüllt,
sondern auch die Interessen der Industrie, der Fischzucht und
Landwirtschaft gewahrt werden und gleichzeitig eine übermässige
finanzielle Belastung der einzelnen Gemeinden nicht zu befürchten
steht, dann werden auch die sanitätspolizeilichen und verwaltungs¬
rechtlichen Massnahmen eine weit bedeutendere Wirkung ent¬
falten können.
6. Aufgabe des deutschen Medizinalbeamten muss es bilden,
sich über die Fortschritte der Technik der Abwässerreinigungs¬
methoden fortlaufend zu unterrichten und die Wirkungen der in
seinem Bezirke bereits im Betriebe befindlichen Anlagen ständig
aufmerksam zu überwachen, um so auch seinerseits mit zu einer
Verhütung der Verunreinigung der Flussläufe beizutragen.
Um ihn hierzu mit Rücksicht auf die ständigen Fortschritte
der Technik zu befähigen, ist die Einführung von Fortbildungs¬
kursen für Medizinal Beamte zu empfehlen, wie solche an der für
Preuagen errichteten Versuchs- und Prüfungsanstalt für zentrale
Dr. Thomm: Abwasserreinigung uw.
»5
Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung bereits eingeführt
sind. — Auch würde die Errichtung weiterer ähnlicher Versuchs-
und Prüfungsanstalten, wenigstens in den grösseren Bundesstaaten,
wie solche für Preussen und Hamburg bereits bestehen, nur freudig
zu begrüssen sein.
B. Die Abwässerreinigung mit Rücksicht auf'die
Reinhaltung der Wasserläufe vom hygienisch-technischen
Standpunkt.
H. Prof. Dr. K. Thumm, Mitglied der Königlichen Prüfungs¬
anstalt für Wasserversorgung und Abwässerbeseitigung in Berlin:
M. H.! Die Abwasserreinigung verfolgt den Zweck, die Schmutz¬
stoffe, welche teils in gelöster oder in ungelöster Form, teils
als organische oder anorganische Verbindung im Abwasser vor¬
handen sein können, derartig weitgehend aus demselben auszu¬
scheiden, bezw. unschädlich zu machen, dass das Auftreten von
Missständen im Vorfluter mit Sicherheit vermieden wird. Me¬
thoden, welche diese Aufgabe im Einzeltalle zu erfüllen vermögen,
leisten hygienisch befriedigendes.
Bei Anwendung der einzelnen Reinigungsverfahren darf aber
die ^Reinigung des Abwassers nicht allein Berücksichtigung
Anden; ebenso wichtig, in vielen Fällen sogar noch wichtiger als
die Abwässerreinigung ist die ordnuugsmässige Beseitigung
der hierbei erhaltenen festen Rückstände, die in jedem ein¬
zelnen Falle eingehendster Erwägung bedarf. Bestehen Zweifel,
ob zu allen Jahreszeiten die Beseitigung dieser Rückstände in
hygienisch ein wandsfreier Weise möglich ist, so empfiehlt es sich,
bei den Reinigungsanlagen Land vorzusehen, um hier die Rück¬
stände erforderlichenfalls — am vorteilhaftesten nach Birming-
hamer Art 1 ) — unterbringen zu können. Bei der Projektierung
von häuslichen und städtischen Abwässerreinigungsanlagen ist
ferner darauf Bedacht zu nehmen, dass die Möglichkeit gegeben
ist, eine Desinfektion der Gtesamtabwässer mit Chlorkalk
und eine Unschädlichmachung des überschüssig zugesetzten Des¬
infektionsmittels mit Eisenvitriol vornehmen zu können. Wenn
auch die Beseitigung etwa in einem Abwasser vorhandener Krank¬
heitskeime mit der Abwässerreinigung direkt nichts zu tun hat,
so darf dieser Punkt bei der Projektbearbeitung natürlich nicht
ausseracht gelassen werden, um so mehr, da besondere Einrich¬
tungen hierfür meistens nicht erforderlich sind, und die mechani¬
schen Reinigungsanlagen, bezw. die Vorreinigungsanlagen für die
biologischen Körper (Becken, Brunnen usw.) ohne Schwierigkeit
baulich derartig gestaltet werden können, dass sie zu dem ge¬
nannten Zwecke ohne weiteres Verwendung finden können. Zu
beachten ist hierbei, dass die Unschädlichmachung etwa vor¬
handener Krankheitskeime um so sicherer erfolgt, je geringere
*) VergL Heft 8 der Mitteilungen aas der Königlichen Prüfangsanst<
für Wasserversorgung und Abwässerbeseitigung zu Berlin, S. 175. Verlag von
August Hirschwald-Berlin NW. 7, Unter den Linden 06.
Ö6 t)r. Thomm: Die Abw isserr emignng mH Blicksicht auf die
Mengen ungelöster Stoffe ein Abwasser enthält, und dass beim
Vorhandensein gröberer Abwasserbestandteile eine sichere Des¬
infektionswirkung im allgemeinen nicht erzielt werden kann. Bei
der Ausgestaltung einer Abwasserreinigungsanlage hat weiter anch
die Beschaffenheit des Abwassers, mit der dasselbe ror-
aussichtlich auf der projektierten Reinigungsanlage ankommen
wird, eingehendste Berücksichtigung zu finden. Die Elinrichtung
und Grösse einer Anlage, die Vorgänge, welche sich in derselben
abspielen, sind nämlich davon abhängig, ob die Abwässer frisch
oder mehr oder weniger angefault, die festen Stoffe ganz oder
zerrieben, die einzelnen Abwasserarten miteinander vermischt oder
noch nnvermischt auf der Anlage eintreffen.
M. H.! Die einzelnen zur Reinigung häuslicher and städti¬
scher Abwässer in Frage kommenden Verfahren sind in ihrer
Leistungsfähigkeit im allgemeinen bekannt; im einzelnen bleibt
bei diesen aber noch viel zu tun übrig, so dass es sich vor Er¬
richtung einer definitiven Anlage, wo es irgendwie angängig ist,
empfiehlt, zuerst eine Versuchsanlage zu erbauen und an dieser
die bestmöglichste Art der Abwässerreinigung zu ermitteln. Hin¬
sichtlich der Reinigung industrieller Abwässer fehlen brauchbare
Verfahren fast so gut wie vollständig; hier ist das Anstellen von
Versuchen vor Errichtung definitiver Anlagen in jedem einzelnen
Falle nahezu unerlässlich. Kann man die gewerblichen Abwässer
zusammen mit häuslichen Abwässern behandeln, d. h. jene Ab¬
wässer städtischen Kanälen zuführen, so stellt dies zurzeit meist
die beste Beseitigung der industriellen Abwässer dar. Empfehlens¬
wert ist es hierbei aber, diese Wässer nicht ohne weiteres, sondern
mit einem gewissen Vorbehalt in die Kanäle aufzunehmen. Mit
Rücksicht auf die spätere Reinigung der Gesamtwässer oder mit
Rücksicht auf die Erhaltung der Kanäle kann es nämlich not¬
wendig werden, dass man die Art der Ableitung aus der Fabrik
oder eine Behandlung der Abwässer schon auf dem Fabrikgrund¬
stücke vorschreiben muss.
Die Errichtung von Versuchsanlagen stellt oft eine grosse
Ersparnis an Geld dar; auch ist der Weg des Versuchs oft die
einzige Möglichkeit festzustellen, in welcher Weise mit Aufwendung
der geringsten Mittel die bestmöglichste Reinigung im einzelnen
Falle sich erzielen lässt. Schon in kleinem Massstab angestellte
Versuche vermögen — wenigstens beim biologischen Verfahren —
oft brauchbare Anhaltspunkte zu liefern; besser ist es natürlich,
die Versuchsanlage in tunlichst grossem Massstab und derartig
anznlegen, dass sie sich später der definitiven Anlage zwanglos
angliedern lässt
Ausser den Untersuchungen, welche die Förderung unserer
Kenntnisse in der Reinigungsmöglichkeit der Abwässer zum Ziele
haben, bedarf die Einwirkung der behandelten Abwässer auf die
Mikro- und Makrofauna eines Vorfluters einer ebenso sorgfäl¬
tigen Prüfung. Auch hier ist zwar schon manches geschehen;
man kennt z. B. die Bedeutung des in einem Abwasser ent¬
haltenen freien Sauerstoffs, der Nitrate und der anorganischen
Reinhaltung der Wasserläufe vom hygienisch * technischen Standpunkt. 97
Nährsalze, doch fehlen nähere Kenntnisse darüber eigentlich so
gut wie vollständig.
M. H.! Die Behandlung auf Land bewirkt sowohl unter
Zuhilfenahme des Lebensprozesses höherer Pflanzen (Riesel-
verfahren), wie ohne deren Mitwirkung (intermittierende
Filtration) eine Beseitigung, bezw. Unschädlichmachung der in
einem Abwasser enthaltenen ungelösten und gelösten Schmutz-
stoffe, sowie die dauernde Entfernung der eventuell vorhandenen
Krankheitskeime. Nach den Feststellungen der in England im
Jahre 1898 zur Prftfnng der ittr die Abwässerreinigung Verwendung
findenden Verfahren ernannten »Royal Commission on Sewage Dis-
posal“ leistet die Landbehandlung hinsichtlich des letztgenannten
Punktes aber nicht immer so viel, wie man im allgemeinen än-
zunehmen gewohnt ist.
Die Abflüsse, welche bei der intermittierenden Bodenfiltration
erlangt werden, unterscheiden sich von denen typischer Riesel¬
felder hinsichtlich der anorganischen Nährsalze (Kalk, Phosphor¬
säure, Kali) aber oft recht beträchtlich. Da bei der intermittie¬
renden Filtration infolge des Fehlens der höheren Pflanzen eine
Entfernung der absorbierten anorganischen Nährsalze nicht eintritt,
sättigt sich der Boden immer mehr mit diesen Stoffen, die schliess¬
lich, nach Erschöpfung seiner Absorptionskraft, fast in — prak¬
tisch gesprochen — gleichen Mengen, in welchen sie im Roh¬
wasser dem Lande zugeführt werden, in den Abflüssen wieder
Weggehen. Anders ist es bei der Rieselei, wenigstens im Sommer.
Hier reinigt sich das Land durch die vorhandenen höheren Pflanzen
von diesen anorganischen Stoffen mehr oder weniger weitgehend,
so dass immer neue Mengen dieser Verbindungen durch den Boden
absorbiert werden können. Die Abflüsse von Rieselfeldern sind
deshalb ärmer an diesen Stoffen als die von intermittierend be¬
triebenen Landflächen stammenden Abflüsse. Der geringere oder
grössere Gehalt an anorganischen Nährstoffen ist aber mit Rück¬
sicht auf den Vorfluter nicht ohne Bedeutung und erklärt oft
manche sonst wenig erklärbare Beobachtungen. In bezug auf den
Gehalt der Abflüsse an freiem Sauerstoff und Nitraten bestehen
zwischen Rieselei und intermittierender Filtration keine Unter¬
schiede, indem bei beiden Verfahren diese Stoffe in reichlicher
Menge sich vorfinden.
Durch das Verfahren der Landbehandlung lässt sich die
höchste erreichbare Reinigung erzielen; diese liegt im allgemeinen—
von den anorganischen Nährstoffen abgesehen, die je nach der
Höhe der Belastung in verschieden grosser Menge in den Ab¬
flüssen enthalten sind — innerhalb verhältnismässig enger Grenzen.
Das Verfahren gewährleistet deshalb zwar eine hohe Betriebs¬
sicherheit, ist anderseits aber örtlichen Verhältnissen hinsichtlich
des erzielten Reinigungseffektes nur wenig anpassungsfähig.
Die Schlammfrage bedarf zwar jeweils eingehender Berück¬
sichtigung, ihre Lösung macht aber im allgemeinen keine grossen
Schwierigkeiten, auch wenn, was vorteilhaft ist, vor Aufleitung
7
di i)r. Thumm: t)ie Abwasserreinigung mit Bücksicht auf die
der Abw&sser auf das Land die Schlammstoffe ans dem Wasser
durch Becken- usw. Anlagen entfernt werden.
Die Desinfektion der Gesamtabwässer verlangt hier keiner
weiteren Besprechung, da das Verfahren an sich schon in dieser
Richtung hin praktisch befriedigendes zu leisten imstande ist.
Das künstliche biologische Verfahren vermag in
physikalisch-chemischer Beziehung ebensoviel zu leisten wie die
Landbehandlung; hinsichtlich der Abscheidung etwaiger Krank¬
heitskeime steht das Verfahren der Landbehandlung aber nicht
unbeträchtlich nach. Am meisten leisten in letzterer Beziehung
noch Füllkörper (s. unten) bei Vorschaltung von Faulbecken,
während Tropfkörper bei einer Vorbehandlung des Abwassers durch
Rechenanlagen oder Sandfänge am wenigsten wirksam sind. Hin¬
sichtlich der Nährsalze gilt das vorher über die Abflüsse von
intermittierend betriebenen Landflächen Gesagte: Die Abflüsse
sind reich an anorganischen Nährsalzen, die aber beim Stehen¬
lassen des Wassers — ebenso wie bei den Abflüssen von Riesel¬
land — zum grossen Teile sich aus dem gereinigten Wasser
wieder ausscheiden:
Art des Abwassers.
mg pro 1 Liter |
Bemerkungen
CaO |
MgO |
OsPo Ü
Rohwasser (aus einer Stärkefabrik)
Abfluß ans ein. biologischen Körper:
134
70
220
Die Bestimmun¬
gen wurden im
filtrierten W asser
a) sofort untersucht
151
85
211
b) nach acht Tagen untersacht
53
38
39
ausgeffthrt.
Durch Anlage von Teichen können deshalb — ebenso wie
bei den Abflüssen von intermittierend betriebenen Bodenflächen —
die für den Vorfluter oft schädlichen Nährsalze auf verhältnismässig
einfache Weise herabgesetzt werden.
Füllverfahren und Tropfverfahren sind die beiden
Grundtypen, auf welche sich die so zahlreichen biologischen Systeme
zurückführen lassen. Alle Gesichtspunkte, welche für diese Grund¬
typen massgebend sind, haben auch für die Abarten des biologi¬
schen Verfahrens Gültigkeit. Füll- und Tropfverlahren sind, all¬
gemein betrachtet, im Prinzip gleichwertige Methoden. Wo nur
geringes Gefälle, aber reichliches Gelände für die biologische An¬
lage zur Verfügung steht, kommt an erster Stelle das Füll ver¬
fahren in Frage; in Fällen, wo genügendes Gefälle vorhanden
ist oder Hebewerke an und für sich schon erforderlich sind, sowie
in Fällen, in denen eine biologische Anlage auf einem relativ
kleinen Gelände untergebracht werden soll, ist das Tropfverfahren
die geeignetere biologische Reinigungsmethode. Tropikörperabflüsse
enthalten grosse Mengen an freiem Sauerstoff und an Nitraten;
Füllkörperabflüssen fehlt meistens der freie Sauerstoff, und der
Gehalt des Wassers an Nitraten ist niedriger als in Tropfkörper¬
abflüssen.
Das biologische Verfahren kann den örtlichen Verhältnissen
in weitgehendster Weise angepasst werden, da je nach der ge¬
wählten Korngrösse — beim Füllverfahren — oder je nach der
Reinhaltung der Wasserläufe vom hygienisch- technischen Standpunkt. 99
Höhe der Belastung der biologischen Körper — beim Tropfver¬
fahren — alle Reinignngseffekte, welche zwischen der Beseitigung
der Fäulnisfähigkeit eines Abwassers nnd der Gewinnung einer
klaren, färb- und geruchlosen Flüssigkeit liegen, sich erzielen
lassen.
Biologische Körper sind baulich derartig zu gestalten, dass
Luft entweder dauernd (beim Tropfverfahren) oder zu gewissen
Zeiten (beim Füll verfahren, während der sogenannten Lüftungs¬
periode) in alle Zwischenräume des Materials eindringen kann.
Der Betrieb der Körper ist so einzurichten, dass die Absorptions-
vorgäuge und die Vorgänge der Regenerierung miteinander Schritt
halten. Die Vorreinigungsanlage ist so auszugestalten, dass alle
Stoffe, welche die Lebensvorgänge in den Körpern beeinträchtigen
könnten, von denselben ferngehalten werden.
Zum Aufbau der biologischen Körper ist hartes, widerstands¬
fähiges, zackiges Material zu verwenden, welches einen gewissen
Prozentsatz (nicht zu viel) Eisen 1 ) enthält; feinporiges Material
ist als Körpermaterial wenig zu empfehlen. Die vielfach ange¬
priesenen Patentmaterialien besitzen vor den gewöhnlichen Ma¬
terialien, wie z. B. Kesselschlacke oder Grubenkoks, keinerlei
Vorzüge. Gegenüber Polarite ist infolge seines hohen Eisengehalts
nach den bisherigen Erfahrungen Vorsicht geboten. Für Füll¬
körper sind feinkörnige, für Tropfkörper mehr grobkörnige Ma¬
terialien zu verwenden. Materialien unter 3 mm sind für Füll¬
körper nicht mehr geeignet; Materialien über 10 mm nehmen
einem Abwasser beim Füllverfahren nur ausnahmsweise seine
Fäulnisfähigkeit. Für Tropfkörper ist bei genügender Höhe (2—3 m)
taust- bis kinderkopfgrosses Material empfehlenswert. Als Ver¬
teilungseinrichtungen bei Tropfkörpern haben sich rotierende
Sprinkler, Kipprinnen und Streudüsen-ähnliche Einrichtungen be¬
währt. Die Dun bar sehe Verteilungseinrichtung (Verteilungs¬
schale) hat im Klein- wie im Grossbetriebe Anwendung gefunden.
Die Schlammfrage wird durch das biologische Verfahren im
allgemeinen nicht gelöst. Wie man auch im einzelnen die Vor¬
reinigungsanlage ausgestaltet, stets muss mit der Notwendigkeit
einer Schlammbeseitigung gerechnet werden. Die Abwässer sind
vor ihrer Aufleitung auf die biologischen Körper, wenigstens beim
Füllverfahren, durch eine Vorreinigungsanlage von den Schlamm¬
stoffen tunlichst weitgehend zu befreien. Beim Tropfverfahren ist
diese weitgehende Vorreinigung, wenn zum Aufbau der biologischen
Körper das oben bezeichnete grobkörnige Material Verwendung ge-
gefunden hat, nicht so notwendig. Normale Tropfkörperabflüsse ent¬
halten stets grössere oder kleinere Mengen von ungelösten abgebauten
Stoffen, sowie je nach der Höhe der Inanspruchnahme der biologi¬
schen Körper grössere oder kleinere Mengen an Organismen; Füll-
körperabflüsse, wenigstens solche, welche aus feinem Material
stammen, pflegen, praktisch gesprochen, frei von ungelösten Stoffen
*) Der Eisengehalt, welcher bei den Füllkörpern eine Rolle spielt, ist
anscheinend für Tropfkörper von geringerer Wichtigkeit.
7*
löö Dr. 'Thamm: Die Abwässerreinigung mit fittcksicht auf die
zu sein. Hinter Tropfkörpern sind deshalb stets Einrichtungen
(Bronnen, Filter usw.) vorzusehen, durch welche diese Stoffe aas
den Abflüssen rasch ausgeschieden werden können. Der Schlamm
ist nämlich öfters noch fäulnisfähig und vermag, wenn er nicht
rechtzeitig aus dem Wasser entfernt wird, dessen Beschaffenheit
in nachteiliger Weise zu beeinflussen.
Eine Vorfaulung der Abwässer ist zur Erzielung fäulnisfreier
Abflüsse meistens nicht erforderlich. In vielen Fällen ist die Ein¬
richtung von Faulbecken aber zweckmässig und für kleine An¬
lagen (für Krankenhäuser usw.) aus praktischen Gründen notwendig.
Wenn die Abwässer grössere Mengen industrieller Wässer ent¬
halten, so kann gelegentlich auch eine chemische Vorbehandlung
der Wässer in Frage kommen. Im allgemeinen genügen zur
Vorbehandlung die sogenannten Absitzanlagen (s. unten), während
Bechen nicht ausreichen. In Fällen, in denen es zweifelhaft ist,
ob man mit einer rein mechanischen Vorbehandlung der Abwässer
auskommen wird oder dieselben einer Vorfaulung oder gar einer
chemischen Behandlung zwecks ausreichender Vorreinigung unter¬
ziehen muss, wenn also die städtischen Abwässer reich an in¬
dustriellen Wässern sind, wählt man für die Vorreinigung am
besten Becken, die sowohl als einfache Absitzbecken wie als Faul-
becken oder auch bei Verwendung von Fällungsmitteln mit Erfolg
benutzt werden können.
Zwecks Sicherstellung einer gelegentlichen Desinfektion der
Gesamtabwässer ist die Vorreinigungsanlage so einzurichten, dass
sowohl die Desinfektion der Abwässer, als auch die Wiederaus-
scheidnng des überschüssig zugesetzten Desinfektionsmittels möglich
ist (s. unten).
Die mechanischen Reinigungsverfahren entfernen
je nach der Art des gewählten Verfahrens und der Dauer des
Aufenthalts des Abwassers in der Reinigungsanlage einen ge¬
ringeren oder grösseren Teil der ungelösten Stoffe; die gelösten
Stoffe werden nur in Ausnahmefällen vermindert Der Charakter
des Abwassers wird durch die Entfernung der ungelösten Stoffe
nicht unwesentlich gebessert, das Wasser behält aber in den weit¬
aus meisten Fällen noch seine Fäulnisfähigkeit. Dies gilt auch,
wenn man die Abwässer der Dialyse unterwirft. Die Auffassung,
die Schmutzstoffe eines Abwassers seien stets nur ungelöster Natur,
ist aus diesem und einer Reihe anderer Gründe nicht zutreffend. 1 )
In betreff der Ausscheidung etwaiger Krankheitskeime leisten die
mechanischen Reinigungsverfahren praktisch nicht ganz dasselbe
wie die künstlichen biologischen Verfahren und wie das nachher
besprochene Faulverfahren. Voraussetzung für eine befriedigende
Wirkung der mechanischen Verfahren ist die regelmässige Ent-
’) Damit soll nicht gesagt werden, daß in der Praxis oft yiel als gelöst
angesehen wird, was im Abwasser in Wirklichkeit in angelöster Form enthalten
ist. Filtriert man ein Abwasser durch Filtrierpapier, so kann das Filtrat oft
noch reichliche Mengen an angelösten Stoffen entbalten; die im filtrierten Ab¬
wasser aasgeführten Bestimmungen können deshalb nicht als „gelöste Stoffe“
bezeichnet werden, sondern dürfen nur als „Bestandteile, im filtriarten Wasser
ermittelt“ angegeben werden.
Reinhaltung der Wasserläufe Tom hygienisch-technischen Standpunkt. 101
fernung der ausgeschiedenen Schlammassen, und zwar in derartigen
Zeiträumen, dass eine nachteilige Beeinflussung des Wassers durch
den Schlamm nicht möglich ist, dass also die Wässer in gleich
frischem Zustande die Anlage verlassen, wie sie derselben zu*
geführt werden. Die Abflüsse aus Absitzanlagen enthalten, gleich
dem Rohwasser, 1 ) weder freien Sauerstoff noch Nitrate.
M. H.t Die weitgehendste Ausscheidung der ungelösten
Stoffe aus einem Abwasser bewirken Becken, Brunnen oder
Türme; geringeres leisten Rechenanlagen, und zwar diejenigen
Systeme, bei welchen die abgefangenen Stoffe ausserhalb des
Wassers abgestrichen werden, wieder mehr als Einrichtungen, bei
welchen die Entfernung der gröberen Stoffe innerhalb des
Wassers, während das Wasser durch die Rechen hindurchströmt,
vorgenommen wird. Das Kremersehe Verfahren ist eine be¬
sonders konstruierte Brunnenanlage und steht hinsichtlich seiner
Leistungsfähigkeit nach den bislang vorliegend Erfahrungen
zwischen den Rechenanlagen einerseits und den Absitzanlagen
anderseits. Das Verfahren verdient Beachtung sowohl bei manchen
städtischen, wie bei verschiedenen industriellen Abwässern (z. B.
bei Seifenwässern), und zwar in Fällen, in denen ein Wasser viel
Schwimmstoffe enthält. Alsdann kann es entweder allein oder
auch als Vorreinigungsanlage für Absitz-usw.* Becken als zweck¬
dienlich in Betracht kommen.
Bei frischen oder wenig angefaulten Abwässern, in denen
die festen Stoffe in mehr oder weniger ganzem Zustande vorhanden
sind, können alle diese Systeme gegebenenfalls als geeignet in
Frage kommen, und zwar müssen zwecks sicherer Wirkung der
Absitzanlagen denselben stets Rechenanlagen vorgeschaltet werden.
Bei schon weitergehend zersetzten Wässern sind Brunnenanlagen,
die ohne Betriebsstörung eine dauernde Schlammbeseitigung ge¬
statten, den Beckenanlagen vorzuziehen. Sind die ungelösten Stoffe
schon stark zerrieben, so leisten Rechenanlagen praktisch so gut
wie nichts; sie kommen alsdann weder für sich allein, noch als Vor¬
reinigung für Absitzanlagen in Frage.
Ausser der Abscheidung der ungelösten Stoffe aus einem
Abwasser kommt den Absitzanlagen — nicht aber den Rechen¬
anlagen — die weitere Funktion zu, eine Vermischung der
einzelnen Abwasserarten herbeizuführen, welche von grösster
Wichtigkeit ist, und zwar gleichgültig, ob das Wasser direkt einem
Vorfluter zugeführt oder noch weitergehend, z. B. in biologischen
Körpern, gereinigt werden soll, weil hierdurch zugleich gewisse
ungünstig zusammengesetzte Abwasseranteile unschädlich gemacht
werden können. Um eine richtige Vermischung zu erreichen,
müssen die Anlagen oft bedeutend grösser bemessen werden, als
wenn nur eine Ausscheidung der Schlammstoffe beabsichtigt wird;
hierbei können dann gleichzeitig noch Effekte erzielt werden, die
bei der nur auf die Ausscheidung der ungelösten Stoffe berech-
') In sehr seltenen Fällen enthält das Rohwasser Sparen von freiem
Sauerstoff and Ton Nitraten.
102
Dr. Thomm: Die Abwasserreinigung mit Rücksicht aal die
neten Bemessung sieh nicht erreichen lassen. So werden in
manchen Industriestädten mit den industriellen Abwässern so grosse
Mengen chemischer Stoffe zugeffihrt, dass Abwasserbestandteile,
wie z. B. Textilfasern, Farbstoffe usw., nach erfolgter Vermischung
der einzelnen Abwasserarten in den Absitzanlagen bequem und in
praktisch ausreichender Menge zur Ausscheidung gelangen. In¬
dustrieabwässer können deshalb Öfters schon durch einfache Ver¬
mischung der einzelnen Abwasserarten in befriedigter Weise ge¬
reinigt werden. Bei der Bewertung von Absitzanlagen darf
deshalb nicht allein auf die Ausscheidung der ungelösten Stoffe
geachtet werden, man muss vielmehr, wenn ein Abwasser in¬
dustrielle Wässer enthält und in den Kanälen eine ausreichende
Vermischung der verschiedenen Wässer noch nicht stattgefunden
hat, auch der zweiten Funktion, der Unschädlichmachung der
Abwässer, gebührende Beachtung schenken.
Die Absitzanlagen sind baulich derart zu gestalten, dass
Schlammassen, welche durch etwa eintretende Faulprozesse an die
Wasseroberfläche gelangen, nicht zum Abflüsse kommen können.
Deshalb sind auch bei Absitzbrunnen und -türmen gleichwertige
Einrichtungen wie bei den Beckenanlagen am Auslauf anzubringen;
die Ableitung muss entweder durch Binnensysteme, wie sie
Mairich in Neustadt O.-Schl. angewandt hat, oder dadurch be¬
wirkt werden, dass die Ableitungsröhren nicht an der Wasser¬
oberfläche, sondern, wie z. B. in Ohrdruf (auch von Mairich),
unterhalb des Wasserspiegels angebracht werden. Ob Becken¬
einrichtungen wie in Cassel oder Anlagen wie in Cöln mehr leisten,
kann zurzeit, solange nicht beide Systeme mit ein und demselben
Wasser geprüft worden sind, nicht gesagt werden. An sich be¬
trachtet, halte ich die eine Beckenkonstruktion als praktisch
ebenso brauchbar wie die andere.
Der durch die mechanischen Verfahren erhaltene Schlamm
ist meistens stark fäulnisfähig und auf Land schwer drainierb&r.
Bei dem Krem er sehen Verfahren erfährt der Schlamm eine
Trennung in eine fettreiche Schwimmschicht und eine fettarme,
gegenüber dem gewöhnlichen Schlamme wasserärmere Sink¬
schicht. Die Beseitigung der erhaltenen Schlammstoffe erfolgt am
einfachsten bei Bechenanlagen; bei den übrigen Verfahren ist sie
schwieriger und bedarf von Fall zu Fall eingehendster Erwägung.
Die Desinfektion der Gesamtwässer gestaltet sich bei Becken-
und Brunnenanlagen im allgemeinen einfach, sofern man die ein¬
zelnen Becken oder Brunnen entweder in zwei oder noch besser
in drei verschiedenen Höhenanlagen anlegt, wozu verhältnismässig
nur relativ wenig Gefälle (20 bis 30 cm) erforderlich ist. Schwie¬
riger, bezw. kostspieliger gestaltet sich die Desinfektion bei den
Turm- und Bechenanlagen; hier bleibt nichts anderes übrig, als
besondere Einrichtungen für dieselbe vorzunehmen (DesinfektionB-
gerinne usw.), wenn man nicht die Desinfektion und Wieder¬
ausscheidung des nicht verbrauchten Desinfektionsmittels im Zu¬
laufkanal ausführen will, was aber infolge der gröberen ungelösten
Abwasserbestandteile immer eine etwas unsichere Methode darstellt
Reinhaltung der Wasserläufe vom hygienisch* technischen Standdunkt. 108
M. H.! Das Faulverfahren ist ein mechanisch - biologi¬
sches Verfahren, bei welchem die Schlammstoffe in den Reinigungs¬
anlagen längere Zeit, nnd zwar meistens solange belassen werden,
bis eine Verminderung des mechanischen Reinigungseffekts zu
beobachten ist. Das Verfahren leistet bei richtiger Anwendung
in bezug auf die Abscheidung der ungelösten Stoffe praktisch das
gleiche wie die Absitzanlagen. Im Gegensatz zu den rein mecha¬
nischen Verfahren wirkt es aber auch auf die feinsten suspendierten
Bestandteile verändernd (verflüssigend) ein und beeinflusst oft
nicht unbedeutend die gelösten fäulnisfähigen Verbindungen. Die
Fäulnisfähigkeit kann aber einem Abwasser, auch wenn man die
Anlagen — wie z. B. bei den sogenannten Fäkalienkläranlagen
(Fosses automatiques usw.) — so gross wählt, dass sich das
Wasser 10 bis 20 Tage in denselben aufhält, durch das Faul¬
verfahren meistens nicht genommen werden. 1 ) Die Abflüsse aus
Faulanlagen sind frei von Sauerstoff und Nitraten. Gegenüber
den Abflüssen aus den rein mechanisch betriebenen Anlagen ent¬
halten die beim Faulverfahren entstehenden Abflüsse offensiv
wirkende Substanzen, wie z. B. Schwefelwasserstoff, der im Vor¬
fluter entweder direkt schädigend wirkt oder, wenn die Vorflut
Eisensalze enthält, eine Schwarzfärbung des Flusswassers (durch
gebildetes FeS) hervorruft. Die Faulraumabflüsse enthalten aber
auch Schwefeleisen in suspendierter Form oft in nicht unbeträcht¬
lichen Mengen, aus denen im Vorfluter — sowie aus dem in ihm
gegebenenfalls erst gebildeten Schwefeleisen — durch die Kohlen¬
säure des Wassers Schwefelwasserstoff in statu nascendi frei¬
gemacht wird (Marsson), der seinerseits dann Schädigungen
auszuüben vermag, die weitergehen als diejenigen, welche durch
den in den Abflüssen an sich vorhandenen Schwefelwasserstoff
hervorgerufen werden.
Pathogene Keime werden durch das Faulverfahren in ihren
Lebensäusserungen geschwächt, teilweise auch abgetötet; eine
sichere Unschädlichmachung der Keime wird durch das Verfahren
also nicht erzielt.
Das Faulverfahren hat wie die Absitzverfahren die weitere
Aufgabe, eine Vermischung der Abwässerarten herbeizuführen.
Es leistet nach dieser Richtung mehr als die betreffenden rein
mechanischen Verfahren und wird, wenn die Abwässer sehr kon¬
zentriert sind sowie viel schleimige Substanzen, Farbstoffe,
Fette, Seifen, Gerbstoffe, giftige Metallsalze und dergl. enthalten,
dieser Methode in manchen Fällen vorzuziehen sein. Das Ver¬
fahren findet wegen seiner hohen Betriebssicherheit als Vor¬
reinigungsanlage für biologische Körper vielfach praktische An¬
wendung und sollte bei kleineren Anlagen (bei Krankenhäusern,
Barackenlagern usw.) stets statt der mechanischen Verfahren
*) Werden bei den Fäkalienkläranlagen wasserbelle and mehr oder weniger
geruchlose Abflüsse beobachtet, so rührt dies daher, daß eine entsprechend«
Verdünnung mit reinem Wasser — pro Kopf und Tag sollen hierzu etwa
50 Liter notwendig sein — stattgefunden bat,
101 Dt. Tiuunm; Die Abwasserreinigung mit Rücksicht auf die
Anwendung finden. Als selbstständiges Verfahren ist die Methode
nnr mit grosser Vorsicht anwendbar.
Für die Faulverfahren sollten ausschliesslich die Becken-
anlagen, bei denen je 2 Abteilungen hintereinander geschaltet sind,
vorgesehen werden; dies gilt auch für die sogenannten Fäkalien¬
kläranlagen, wenigstens was die Zweiteilung und Hintereinander¬
schaltung anbelangt.
Ffir den Grad der erzielten Reinigung ist es gleichgültig,
ob die Faulbecken offen oder fiberdeckt betrieben werden. Die
Schlammverzehrung (s. unten) ist in den ersteren aber eine höhere
als in dem letzteren. Einen sicheren Schutz gegen Geruchs¬
belästigungen und Fliegenplage bieten jedoch nur die überdeckten
Becken. Die Grösse der Faulbecken ist von der Beschaffenheit
des zu behandelnden Abwassers abhängig; frische Abwässer ver¬
langen grössere Anlagen als mehr oder weniger ausgefaulte
Wässer. Enthält das zu behandelnde Wasser grössere Mengen
schädlicher Bestandteile (s. oben), so sind gleichfalls grössere
Beckenanlagen zu schaffen, als wenn diese Stoffe fehlen oder
bereits in langen Kanalleitungen durch Vermischung mit den
anderen Abwässern mehr oder weniger unschädlich gemacht
worden sind. Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte wählt
man für die Faulbecken eine derartige Grösse, dass je nach den
besonderen Verhältnissen etwa die Hälfte bis l 1 /, fache des täg¬
lichen Trockenwetterabflusses in ihnen aufgespeichert werden
kann. Faulräume für geringe Abwässermengen, z. B. für die von
Krankenhäusern, erhalten vorteilhaft eine noch grössere Abmessung.
Die Schlammfrage ist beim Faulverfahren eine einfachere
als bei den rein mechanischen und bei den chemischen Verfahren.
Das Faulverfahren bewirkt teils eine gewisse Verminderung der
Schlammstoffe (die aber nur selten so hoch — etwa 50 °/ 0 —
ist, wie vielfach angenommen wird), teils eine Veränderung des
Schlammes in physikalisch-chemischer Beziehung: Er wird wasser¬
ärmer und auf Landflächen drainierbar. Ist der Schlamm nicht
zu allen Jahreszeiten gleich gut loszuwerden, so empfiehlt es sich,
ihn in den Becken solange lagern zu lassen, bis er den landwirt¬
schaftlichen Betrieben der Umgebung wieder zugeführt werden kann.
Hinsichtlich der Desinfektion gilt das, was vorher über die
mechanischen Verfahren gesagt ist. Es erscheint hierbei aber not¬
wendig, die angesammelten Schlammmassen — mit aller hygienisch
gebotenen Vorsicht — aus dem Faulbecken zu entfernen, bevor
die Desinfektion der Wässer vorgenommen wird.
Die chemischen Reinigungsverfahren bewirken eine
weitgehende Abscheidung der ungelösten Stoffe. Je nach der Art
des Fällungsmittels können aber auch die gelösten Stoffe, und
zwar so weitgehend abgeschieden werden, dass das behandelte
Wasser seine Fäulnisfähigkeit verliert. Das letztere kann z. B.
eintreten, wenn Braunkohle oder humoser Torf in Verbindung mit
Eisen- oder Tonerdesalzen (Kohlebreiverfahren) als Klärmittel
Verwendung finden. Etwa vorhandene Krankheitskeime werden
durch die chemischen Verfahren in ungefähr gleicher Weise be-
Reinhaltung der Wasscrläufe vom hygienisch - technischen Standpunkt. 105
einflosst wie durch die mechanischen Verfahren. Zar Ausschei¬
dung der ungelösten Stoffe eines normalen städtischen Abwassers
sind chemische Zuschläge nur selten notwendig, da meistens
schon die rein mechanischen Verfahren nach dieser Richtung hin
zum Ziele führen. Eine Ausnahme hiervon bilden Abwässer,
welche gewisse Beimengungen ans gewerblichen Anlagen, wie
Farbstoffe, Fette, Seifen, anorganische Säuren oder Textil- oder
Zellnlosefasem and dergl. enthalten. Chemische Znsätze führen
bei sehr konzentrierten Wässern nicht immer znm Ziele, da die
hervorgernfene Fällung sich in solchen Fällen manchmal ent¬
weder gar nicht oder nur sehr unvollständig zu Boden setzt.
Bei sehr dünnen Wässern ist eine chemische Behandlung des
öftern gleichfalls nicht anwendbar, da die ausgefällten Teilchen
so fein verteilt sein können, dass eine zu lange Zeit zu ihrer
Ausscheidung notwendig ist. Zwecks Verminderung der Menge
der chemischen Zuschläge kann es zweckmässig sein, der che¬
mischen Fällung eine auf rein mechanischem Wege bewirkte Aus¬
scheidung der ungelösten Stoffe vorausgehen zu lassen.
Alle auf chemischem Wege behandelten Wässer enthalten einen
gewissen Ueberschuss des benutzten Fällungsmittels, da ohne diesen
Ueberschuss eine ausreichende Klärung des Wassers nicht möglich
ist. Deshalb entstehen, wenn ein mit Chemikalien behandeltes
Wasser in einem Vorfluter kommt, hier weitere Fällungen, die zu
Missständen oft schwerster Natur (Verschlammung des Vorfluters
usw.) Veranlassung geben können.
Die bislang geübte chemische Klärung kann nach neueren,
von mir gemachten Feststellungen 1 ) in vielen Fällen bedeutend
verbessert werden, wenn man darauf hinausgeht, die Wässer mit
Eisensalzen (Ferro- oder Ferrisalzen) entweder allein oder mit
anderen chemischen Zuschlägen kombiniert so zu klären — zuerst
z. B. mit Kalk und dann erst mit Eisen —, dass zum Schlüsse
nur noch die Eisensalze im Ueberschusse vorhanden sind. Dann
ist es nämlich möglich, das überschüssige Fällungsmittel, das Eisen,
durch intermittierend betriebene Sandfilter (ähnlich wie bei der
Enteisenung des Grundwassers) auf verhältnismässig einfache und
bequeme Weise auszuscheiden, und es können, da hierbei dem Wasser
gleichzeitig seine Fäulnisfähigkeit genommen werden kann, über¬
raschend gute Ergebnisse erzielt werden. Die Abflüsse" enthalten
dann auch freien Sauerstoff und grosse Mengen von Nitraten, die
dem nur auf chemischem Wege geklärten Wasser entweder ganz
oder nahezu vollständig fehlen. Das Kohlebreiverfahren, nach
diesen Gesichtspunkten umgestaltet, wird in manchen Fällen, wo
es bislang nicht so befriedigte, alsdann gleichfalls besseres leisten.
In der derzeitig geübten Weise betrieben, bewirken nämlich die
nach diesem Verfahren behandelten Wässer, in wasserarme Vor¬
fluter eingeleitet, nicht selten die oben angedeuteten sekundären
Missstände, auch wenn das Wasser, an sich betrachtet, gut ist,
d. h. seine Fäulnisfähigkeit verloren hat.
’) Hierüber werde ich in einer besonderen Veröffentlichung demnächst
ausführlich^berichten.
106 Dr. Thomm: Oie Abwasserreinigung vom hygienisch-technischen Standpunkt.
Becken, Bronnen oder Türme sind die bei den chemischen
Verfahren Verwendung findenden Einrichtungen; bezüglich dieser
sei aof das bei den mechanischen Verfahren Gesagte verwiesen.
Was über die Vermischong der einzelnen Abwasserarten an
anderer Stelle gesagt ist, hat natürlich aoch für die chemischen
Verfahren seine Gültigkeit.
Der bei der chemischen Klärung erhaltene Schlamm ist wie
der, welcher bei den mechanischen Methoden anfällt, sofern er
nicht Eisensalze oder ähnliche Verbindungen in grosser Menge
oder Braunkohle oder Torf enthält, in hohem Masse fäulnisfällig;
er ist aber leichter drainierbar als der auf rein mechanischem
Wege erhaltene Schlamm; die Menge der Schlammstoffe ist bei
der Verwendung chemischer Zuschläge aber eine bedeutend
grossere als ohne Verwendung solcher Zusätze.
M. H.! Die richtige Wahl des Reinigungsverfahrens
und die sachgemässe Herstellung der Reinigungsanlage sind
allein nicht ausreichend, um Missstände im Vorfluter zu vermeiden.
Als weitere ebenso wichtige Forderung kommt der ordnungsmässige
Betrieb der Anlage hinzu, welcher ein dauerndes Interesse
für die geübte Abwässerreinigung zur Voraussetzung hat. Ohne
ein gewisses liebevolles Eingehen auf die Eigenart der in Rede
stehenden Anlagen kann etwas wirklich Gutes nicht geleistet
werden. Hiergegen wird zurzeit viel gefehlt, und zahlreiche
Reinigungsanlagen, die richtig konstruiert sind, lassen infolge
eines unsachgemässen Betriebes recht schlechte Reinigungseffekte
erkennen. Nicht selten kommt es nämlich vor, dass der Betrieb
einer Anlage ganz in das Belieben eines einfachen Klärwärters
gestellt ist, d. h. dass die Anlage so gut wie sich selbst über¬
lassen wird. Kommt nun noch hinzu, dass im Laufe der Zeit die
täglich zu reinigende Abwässermenge anwächst, die Anlage aber
nicht entsprechend erweitert wird, so erklärt es sich, wenn an
sich brauchbare Verfahren im praktischen Betriebe nicht selten
versagen oder im Grossbetriebe Öfters andere Ergebnisse als an
Versuchsanlagen erlangt werden. Die Ueberwachung grösserer
Anlagen sollte deshalb stets, wie z. B. für jeden Fabrikbetrieb,
wissenschaftlich geschulten Leuten übertragen werden, welche im
Dienste der betreffenden Städte oder Fabriken stehen. Für
kleinere Anlagen mögen gut angelernte. Klärmeister, die aber
dauernd kontrolliert werden müssen, genügen. Die Mehrkosten,
welche besonders in dem ersten Falle entstehen, machen sich nach
mehrfacher Richtung hin bezahlt. Die Anlagen kOnnen oft kleiner
angelegt werden und leisten trotzdem mehr als grössere, nicht
so sorgfältig überwachte Betriebe. Die fortlaufend ausgeführte
chemisch • biologische Untersuchung des Abwassers in den ver¬
schiedenen Stadien der Reinigung, die Ermittelungen über die
Einwirkungen des gereinigten Abwassers anf die Vorflut werden
dann auch die besten Anhaltspunkte geben, um einer Verunreinigung
unserer Flüsse und Bäche wirksam Vorbeugen zu können.
(Lebhafter Beifall!)
Leitsätze zur Abwasserreinigung Tom hygienisch-technischen Standpunkt. 10?
Die von dem Referenten aufgeetellten Leitsätze hatten
folgenden Wortlaut:
1. Bei der Errichtung von Abwässer-Reinignngsanlagen ist
der Schlammbeseitignng und der Möglichkeit einer Des*
infektionder Gesamtabwässer die gleiche Beachtung zu schenken
wie der Abwasserreinigung selbst.
2. Die zur Reinigung häuslicher und städtischer Ab¬
wässer benutzten Reinigungsverfahren sind in ihrer Leistungs¬
fähigkeit und der Art ihrer praktischen Anwendung im allgemeinen
bekannt. Ueber die Reinigung industrieller Abwässer veiss
man viel weniger; hier bleibt sowohl im allgemeinen, als im ein¬
zelnen noch viel zu tun flbrig.
3. Vor Errichtung der definitiven Reinigungsanlage empfiehlt
sich, besonders bei grösseren Einrichtungen, die Anstellung von
Vorversuchen.
4. Die intermittierende Bodenfiltration bietet in
bezug auf die Beseitigung der fäulnisfähigen Stoffe, sowie etwaiger
in einem Abwasser enthaltener Krankheitskeime die gleiche Sicher¬
heit wie die Landberieselung. Die Abflüsse enthalten aber
nicht unerheblich grossere Mengen an Nährsalzen als typische
Rieselfeldabflfisse.
5. Die zahlreichen künstlichen biologischen Reini¬
gungsverfahren beruhen auf den beiden Grundtypen, Füll-
und Tropfverfahren. Beide sind im Prinzip gleich¬
wertige Methoden. Bei geringem Gefälle kommt an erster
Stelle das Füll verfahren, bei reichlichem Gefälle das Tropf¬
verfahren als Reinigungsmethode in Frage.
Alle biologischen Körper sind baulich derartig zu gestalten,
dass Luft entweder dauernd (beim Tropfverfahren) oder nur
zugewissen Zeiten (in der Lüftungsperiode beim Füllver¬
fahren) in alle Zwischenräume des Materials ein dringen kann.
Ihr Betrieb ist derartig zu handhaben, dass Absorption und Re¬
generierung der Körper miteinander Schritt halten. Die Abwässer
sind endlich so vorzubehandeln, dass die das Leben in den bio¬
logischen Körpern beeinträchtigenden S'toffe von diesen
so weit als möglich ferngehalten werden.
6. Becken, Brunnen und Türme haben eine doppelte
Funktion zu erfüllen; sie sollen einmal die ungelösten Stoffe
mehr oder weniger weitgehend aus einem Abwasser entfernen,
und zoeitens eine Vermischung der einzelnen Abwasserarten,
falls eworderlich, herbeiführen.
7. Rechenanlagen bewirken nur eine teilweise Ent-
fernug der gröberen ungelösten Stoffe; am meisten
leisten* noch die Systeme, bei denen die abgefangenen Stoffe
ausserhalb des Wassers von den Rechen abgenommen werden.
8. Für die erfolgreiche Wirkung grösserer Reinigungs¬
anlagen ist es unerlässlich, dass diese wissenschaftlich
geschulten, im Dienste der betreffenden Städte und Fabriken
stehenden Betriebsleitern dauernd unterstellt werden; für
108
Diskussion za den Vorträgen:
kleinere Anlagen mag ein gut angelernter, aber dauernd kon¬
trollierter KlÄrwftrter ansreichend sein.
Vorsitzender: Ich eröffne die Diskussion:
H. Geh. Med.-Bat Dr. Mittermaier-Heidelberg: M. H.! Die beiden Re¬
ferate, die wir gehört haben, sind von hoher Bedentnng, weil sie die wichtige
Frage der Gesundheitspflege, die Flüsse rein zn halten, behandeln, ln dem
Referat von Herrn Dr. Thumm haben wir die verschiedenen, insbesondere bio¬
logischen Systeme gehört, die zar Reinhaitang der Flüsse angewendet werden.
Wir in Heidelberg haben einen anderen Weg betreten; wir haben das A b f u h r -
System eingeführt seit 30 Jahren and gute Erfahrungen damit gemacht. Das
Abfahrsystem verdient hier genannt za werden, weil es die Methode ist, welche
am allerbesten und sichersten geeignet ist, unerwünschte Beimengungen, gerade
die pathogenenKeime von den Flüssen gründlich fern za halten. Heidel¬
berg besitzt seit 30 Jahren das Abfuhrsystem; ™ ist so eingerichtet, daß die
Abort-Stoffe entweder in Tonnen, die 90—100 Liter halten, kommen oder sie
kommen in fahrbare Behälter, die 500—600 Liter fassen, am damit nach dem
1V» km von der Stadt entfernten Grabenhofe in große aaszementierte Tangs
verbracht za werden. Die anderen Abwässer aus den Küchen, Waschküchen usw.
werden in gaten Kanälen nach dem Flösse geleitet. Nun ist es die erste Frage,
was haben wir in Heidelberg erreicht durch unser System? Ziehen wir hier¬
bei in erster Linie die sanitäre Frage in Betracht, so hat sich gezeigt, daß
in Heidelberg in bezug auf die Abnahme der allgemeinen Sterblichkeit
große Fortschritte gemacht sind. Früher starben von lOOOEinwohnern 27—28,
während heute diese Zahlen auf 18—19 herabgegangen sind. Heidelberg ist
eine Stadt, die von früher her als Typhusstadt gelten konnte; etwa 140—150
Erkranknng8fälle an Typhus jährlich waren gang and gäbe. Seit Ein¬
führung des Abfuhrsystems haben sich dagegen die Fälle von Typhös, die be¬
kanntlich als untrüglicher Gradmesser der öffentlichen Gesundheit einer Stadt
gelten können, bis auf ein Zehntel, also am 90°/ 0 vermindert. Heidelberg
ist eine Stadt, die alle 12—20 Jahre von einer Ueberschwemmang durch
den Neckar heimgesucht wird. Während nun früher nach den Ueberschwem-
mungen regelmäßig 500—600 Typhhusfälle auftraten, sind bei der letzten
großen Ueberschwemmung im Jahre 1882 nnr 33 Fälle vorgekommen, and
merkwürdigerweise in keinem einzigen Hause, wo Tonnen aufgestellt sind.
Es ist dies gewiß ein Fortschritt von großer Bedeutung. Ich habe die
Typhuserkrankungen in die Stadtpläne eingezeichnet, die ich Ihnen vorzeige.
Sie sehen z. B. hier einen Plan, in welchem die Typhusfälle von 1872 einge¬
zeichnet sind, und können nun durch Vergleich mit den anderen Plänen die
allmähliche Abnahme des Typhas in den folgenden Jahren erkennen.
Ueberall, wo Tonnen auf gestellt sind, sind Typhusfälle fast nicht mehr anf ge¬
treten. Ich bemerke hierbei noch, daß in den Fällen, wo Typhus in einem
Hause auftritt, die ganz besonders eingerichteten Tonnen sofort desinfiziert
werden.
Betreffs der finanziellen Verhältnisse, die für ein Abfuhrsystem
von großer Bedeutung sind, habe ich folgendes mitzuteilen: Die jährlichen
Ausgaben der Hausbesitzer, welche an die Stadt entrichtet werden, betragen
durchschnittlich M. 63000; ca. 43000 M. Einnahmen erzielt die Stadt durch
den Verkauf der Dnngstoffo an die Landwirte. Die Gesamt-Betriebsausgaben
betragen ca. 126000, wovon 106000 M. durch die obigen Einnahmen gedeckt
werden, so daß die Gemeindeverwaltung noch rund 20 000 M. zuschießen muß;
diese Summe muß jedoch für die Abfuhr des Kehrichts in Rechnung gestellt
werden, die für jeden Hausbesitzer anentgeltlich geschieht. Die Be¬
triebskosten für die Hausbesitzer betragen im Jahr pro Kopf etwa
1,26 M. und für die Gemeinde im Jahr pro Kopf 40 Pf.
Aus diesen kurzen Angaben mögen Sie ersehen, daß in sanitärer?Be¬
ziehung unser Abfuhrsystem alle Anerkennung verdient. Wenn es vielleicht
auch manch anderem System in anderen Punkten, z. B. in bezog auf Bequem¬
lichkeit, nachsteht, so steht es aber sicherlich in volkswirtschaftlicher and sani¬
tärer Hinsicht für eine Einwohnerschaft und insbesondere für Reinhaltung
der Bäche und Flüsse bedeutend voran. (Beifall.)
H. Ober-Med.-Rat Dr. Scheuerten - Stuttgart: Lassen Sie mich dem
Abwasserreinigung mit Rücksicht auf die Reinhaltung der Wasserläufe. 109
ersten Herrn Referenten gleichfalls meine Anerkennung für die ausgezeichnete
Zusammenstellung aussprechen, welche die gesamten in den deutschen Bundes*
Staaten bestehenden gesetzlichen Vorschriften über die Reinhaltung der Ge¬
wässer umfaßt. Ich weiß es aus eigener Erfahrung als Referent im württem¬
bergischen Medizinalkollegium, wie schwierig es ist, sich auf diesem Gebiete
zu informieren. Dabei gestatte ich mir nebenbei darauf aufmerksam zu machen,
daß im württembergischen Wassergesetz die wichtigste Bestimmung Artikel 28
enthält. Nach diesem bedarf „die Einleitung übelriechender, ekelhafter oder
schädlicher Flüssigkeiten in ein Öffentliches Gewässer der polizeilichen Erlaub-
niß“, und die Vollzugsverfügung zum Wassergesetz bestimmt in § 60, daß die
Kreisregierung vor Erteilung der Erlaubnis das Medizinalkollegium zu hören
hat. So kommt es, daß diese Zentralbehörde über die vorkommenden und zu
erwartenden Verunreinigungen auf dem Laufenden erhalten wird und recht¬
zeitig auf eine Besserung dringen kann. Sie werden mich nun fragen, wie es
bei dieser zweifellos zweckmäßigen Organisation noch Vorkommen kann, daß
erhebliche Flußverunreinigungen bestehen; denn es ist auf diesem Gebiete in
Württemberg auch nicht gerade anders als im übrigen Deutschland. Hieran
tragen verschiedene Umstände Schuld. Einmal glaube ich, daß wir Hygieniker
in früheren Jahren zuviel verlangt haben, und daß daraufhin gar nichts ge¬
schah. Dann habe ich die Beobachtung gemacht, daß auch die Aufsichtsbehörde
keineswegs immer von der Schädlichkeit des betreffenden Abwassers überzeugt
ist, dass überhaupt dem Publikum auf diesem Gebiete das hygienische Ver¬
ständnis vielfach fehlt. Schließlich war auch der Sachverständige bis vor
wenigen Jahren nicht selten außerstande, ein sicheres Reinigungsverfahren ohne
unverhältnismäßigen Kostenaufwand namhaft zu machen.
Um allmählich eine Besserung auf dem Gebiet der Abwässerreinigung
zu erzielen, gehen wir in Württemberg zurzeit so vor, daß zunächst der Staat
bei seinen Anstalten dafür gesorgt hat und noch darauf bedacht ist, daß deren
Abwässerbeseitigung eine gute und einwandsfreie wird. Dann ist die Stadt
Stuttgart zur Erbauung einer großen Versuchskläranlage veranlaßt worden,
deren Ergebnisse in den Mitteilungen aus der Königlichen Prüfungsanstalt für
Wasserversorgung und Abwässerbeseitigung zu Berlin Heft 5 veröffentlicht sind.
Die ersten biologischen Kläranlagen, welche wir haben, sind im
Jahre 1829 erbaut worden: ich habe später, im Jahre 1901, auf der Hamburger
Naturforscherversammlung 1 ) über deren Besultate Mitteilung gemacht. Es ist
mir damals von Herrn Geheimrat Dr. Löffler der Einwurf gemacht worden,
die sonstigen Anlagen, z. B. die auf dem Lechfeld, hätten sich nicht bewährt;
es sei daher große Vorsicht am Platze. Demgegenüber konnte ich hervor¬
heben, daß ein Hauptfehler verschiedener Anlagen die mangelhafte Größen¬
abmessung sei; wenn eine Anlage für die Abwässer eines Bataillons erbaut ist,
kann nicht von ihr verlangt werden, daß sie diejenigen einer Brigade reinigt;
sie muß sich in kurzem zu Tod arbeiten.
Die Württembergischen biologischen Kläranlagen, deren zurzeit etwa 60
vorhanden sein dürften, sind alle kleinerer Art; die größte reinigt die Abwässer
von etwa 1000 Menschen. Alle sind nach dem Faulkammerverfahren
eingerichtet, welches meinen Erfahrungen nach doch gewisse Vorzüge besitzt.
Die Faulkammer kann z. B. besser als die Ozydationskörper Farbstoffe zer¬
stören, so daß sie für die Abwässer von Färbereien besonders geeignet erscheint.
Sie kann, je nach der Zusammensetzung des Abwassers, z. B. wenn ihr nur
Fäkalien zufließen, den Schlamm vollkommen auflösen; wir haben diese Er¬
fahrungen an zahlreichen Kläranlagen in Stuttgart gemacht, so daß ein Be¬
obachtungsfehler ausgeschlossen erscheint. Sobald aber anorganischer Schmutz
der Kläranlage zugeführt wird, tritt auch in der Faulkammer Schlammbil¬
dung ein. Es hat dieses Ergebnis schon der Vergleich der zwei im Jahre
1899 erbauten Kläranlagen in Winnenden und WUhelmsheim ergeben. Der
Schlamm des Faulraums hat aber vor dem eines bloßen Absitzbeckens den
Vorzug, daß er preßfähig und daher leichter zu beseitigen ist.
Auch wir sind bei der Konstruktion der Faulkammer zu dem Ergebnis
gekommen, zwei Räume anzulegen, um das Abfließen ungelöster Stoffe zu ver-
’) Verhandlungen, II. Bd., S. 557, und Medizinalbericht von Württemberg,
1901, S. 144.
110 Biskussion zu den Vorträgefi:
hindern. Wir glauben auch beobachtet zu haben, daß ein besseres Resultat
ein tritt, wenn der Faulraum möglichst flach gehalten wird. Ftlr eine lediglich
mechanisch wirkende Einrichtung kann man meiner Ansicht nach die Faul¬
kammer nicht erklären, wenn auch nach den bisherigen Beobachtungen darüber
ein Zweifel nicht besteht, daß von einer Reinigung des Abwassers allein durch
die Faulkammer keine Rede sein kann.
Was schließlich die Frage, ob Fflllyerfahren oder Tropfver-
fahren, betrifft, welche beide ziemlich gleich gut sind, so wird hierüber die
Praxis entscheiden. Das Fflllyerfahren verlangt bei aller Einfachheit eine
aufmerksame, rechtzeitige Bedienung; die Schutzen müssen wiederholt nach
zwei Stunden geöffnet und geschlossen werden. Dies ist bei dem Tropfver-
fahren nicht der Fall; es funktioniert yon selbst, was im praktischen Leben,
namentlich bei kleineren Anlagen ein großer Vorzug ist (Beifall.)
H. Reg.- und Med.-Rat Dr. H. Hecker-Straßburg L Eis.: M. H.I
Zu der letzten Bemerkung des Herrn Vorredners bezüglich der Notwen¬
digkeit, die Zuleitung des Abwassers aus dem Faulbecken in die Filter
durch einen Wärter regeln zu lassen, wollte ich nur noch anfflhren, daß
man hierzu auch ein automatisches Verfahren hat, bei welchem —
wenn es gut funktioniert — ein Wärter nicht erforderlich ist. Dort wo
das Wasser die Faulkammmern verläßt, fließt es in die Mitte eines quer
zur AusflußOffnung angebrachten beweglichen Troges, welcher das Wasser —
je nachdem er nach rechts oder links gesenkt ist — in das rechte, bezw.
linke Filter leitet. Unterhalb des Troges befindet sich an jedem Ende des¬
selben ein senkrechtes Rohr, welches nach unten mit dem Boden des Filter¬
beckens kommuniziert. Oben in diesem Rohre ist jederseits ein aus einer
Hohlkugel bestehender Schwimmer angebracht. Wenn nun das Wasser in dem
Filter steigt, geschieht dasselbe auch in dem kommunizierenden Rohre, wodurch
der Schwimmer gehoben wird. Diese drückt infolgedessen yon unten gegen
das Ende des beweglichen Troges, so daß derselbe sich um seine Q.ueraxe
dreht. Von da ab fließt das Wasser dann in das andere Filter.
Dieses System ist yon der „Allgemeinen Städte-Reinigungs-Gesellschaft
in Wiesbaden* in der Lungenheilstätte Tannenberg bei Saales im Unter-Elsaß
ausgeführt worden. So lange die Anlage nun nicht überlastet wird, geht alles
seinen vorschriftsmäßigen Gang. Sobald aber der Zufluß zu stark ist, hat das
Abwasser nicht die nötige Zeit, sich gleichmäßig in dem Filter auszubreiten.
Es staut sich vielmehr in der Nähe der Einflußstelle, so daß es hier höher
steht als im übrigen Filter. Dadurch steigt es aber in dem kommunizierenden
Rohre gleichfalls so hoch, das es den Schwimmer, und mit ihm den Trog, hebt,
ehe das Filter also gefüllt ist. Dasselbe geschieht dann auf der anderen 8eite.
So wechselt der Zufluß zu den beiden Filtern allerdings ab, aber nicht
in der beabsichtigten Weise, daß jedes Filter zunächst langsam vollläuft,
dann — nach stattgefundener Entleerung — mehrere Stunden Ruhe hat. Es
zeigt sich hier, wie so häufig, daß automatische Vorrichtungen nicht unter
allen Umständen zuverlässig arbeiten.
H. Ob.-Med.-Rat Dr. Scheurlen-Stuttgart: M. H.I Die Konstruktion,
die der Herr Vorredner erklärt hat, rührt wahrscheinlich von einem Stuttgarter
Wasserleitungsgeschäfte her. In Stuttgart stehen */* Dutzend solcher Apparate,
aber wir sind davon abgekommen aus dem Grunde, weil es nicht möglich ge¬
wesen ist, ein Material herauszufinden, welches in der Lage wäre, der Wirkung
des Abwassers Widerstand zu leisten. Wir haben auch die Erfahrung gemacht,
daß die Sache anfangs gut funktionierte, aber bald nach einigen Monaten außer
Tätigkeit getreten ist. M. H.I Ich warne Sie, von diesen selbsttätigen Ap¬
paraten Gebrauch zu machen.
H. Reg.- u. Med.-Rat Dr. Hecker: Ich kann diese Darstellungen nur
bestätigen, denn die erwähnte Anlage besteht seit ca. VI* Jahren und der
Schwimmer ist schon durchgerostet. Ich glaube aber, daß sich vielleicht
Kupfer besser bewähren würde.
H. Ob.-Med.-Rat Dr. Scheurlen: Das ist schon möglich, aber Kupfer
wird für eine solche Anlage zu teuer und ist auch nicht oxydationsfreL
H. Reg.- u. Med.-Rat Dr. Dütochke (Schlußwort): M. H.! Indem ich
meiner Genugtuung darüber Ausdruck verleihe, daß die yon mir aufgestellten
Abwasserreinigung mit Rücksicht auf die Reinhaltung der Wasserläufe. 111
Leitsätze Ihre Zustimmung erfahren haben, drängt es mich gleichzeitig, Herrn
Kollegen Dr. Scheurlen meinen verbindlichsten Dank auszusprechen für die
liebenswürdig anerkennenden Worte, welche er hinsichtlich der von mir vor¬
genommenen Zusammenstellung der in den deutschen Bundesstaaten bestehenden
wichtigen gesetzlichen Vorschriften über die Reinhaltung der Qewässer aus¬
gesprochen hat. Ich bin mir völlig bewußt, daß ich mit dieser Zusammen¬
stellung nichts Erschöpfendes und Vollständiges gebracht habe, ich darf aber
von Neuem auf die grossen Schwierigkeiten hinweisen, welche sich erfahrungs¬
gemäß der Ausarbeitung einer solchen Zusammenstellung entgegenstellen, be¬
sonders, wenn, wie im vorliegenden Fall, hierfür nur eine verhältnismäßig kurze
Zeit zur Verfügung steht. Den Herrn Kollegen würde ich zu aufrichtigem
Dank verpflichtet sein, wenn Sie mich auf etwaige Ungenauigkeiten und Un¬
richtigkeiten in dieser Zusammenstellung aufmerksam machen wollen, ich werde
dann nicht versäumen, auf die Richtigstellung hinzuwirken.
H. Prof. Dr. Thumm-Berlin (Schlußwort): Zu den Ausführungen der
Herren Vorredner möchte ich kurz folgendes bemerken. Bezüglich der beim
Füllverfahren angewandten automatischen Apparate stimmen meine
Erfahrungen mit den hier gemachten Angaben im großen und ganzen überein.
Es gibt 4 oder 6 verschiedene Systeme, die ich heute aber, weil sie sich nur
in seltenen Fällen als praktisch brauchbar erwiesen haben, nicht weiter
behandelt habe. Als bestes System kann noch das von Adam angesehen
werden; aber wie gesagt, die selbsttätig wirkenden Einrichtungen haben sich
besonders, wenn die Abwässermenge sehr wechselte, nur wenig bewährt und
besitzen noch den Nachteil, daß sie einen Teil der Abwässer in nicht genügend
gereinigtem Zustande ableiten.
Was dann das Faulverfahren und die Mitteilung des Herren Ober¬
medizinalrats Dr. Scheurlen anbetrifft, daß in Württemberg gute Erfahrun¬
gen mit flachen Faulbecken gemacht worden seien, so kann ich diese Beobach¬
tungen nach einigen, von mir gemachten Feststellungen bestätigen. Im
allgemeinen gehen aber meine Erfahrungen dahin, daß mau mit tieferen Becken
bessere Erfolge hat, und daß man die Becken am zweckmäßigsten ungefähr
1,5 m tief anlegt. Allgemein ist zu sagen, daß die Tiefenabmessung von der
Beschaffenheit des zu behandelnden Abwassers abhängt und zu flache oder zu
tiefe Becken zweckmäßig keine Verwendung finden. Betreffs der in den Faul¬
becken sich abspielenden Schlammverzehrung ist zu sagen, daß deren Größe
von der Qualität des Abwassers bezw. der in diesem befindlichen ungelösten
Stoffe abhängt und, wie bereits erwähnt, keineswegs so hoch ist, wie vielfach
angenommen wird. In zahlreichen Fällen, woselbst eine hohe Schlammver¬
zehrung festgestellt wurde, liefen fehlerhafte Beobachtungen mit unter, indem
mau nur den in den Becken zurückgehaltenen Schlamm in Rechnung stellte,
und die ungelösten Stoffe, welche in den Abflüssen aus den Faulbecken weg¬
geführt wurden, nicht berücksichtigte. Eine vollständige Schlammverzehrung
in den Faulbecken ist mir bislang noch nicht bekannt geworden, und ich kann
nur raten, auch beim Faulverfahren in allen Fällen mit Schlammmengen zu
rechnen, die früher oder später beseitigt werden müssen. Zu beachten ist
hierbei, daß, wie oben ausgeführt, der Faulbeckenschlamm gegenüber frischem
Schlamm in physikalischer Beziehung nicht unwesesentliche Veränderungen
erfahren hat und deswegen im allgemeinen leichter zu behandeln ist als dieser.
Vorsitzender: Die za diesem Gegenstände unserer heu¬
tigen Tagesordnung aufgestellten Leitsätze sind nicht zur Ab¬
stimmung bestimmt. Der lebhafte Beifall aber, den die Aus¬
führungen der beiden Referenten gefunden haben, lässt die An¬
nahme berechtigt erscheinen, dass Sie mit diesen Ausführungen
sowohl, als mit den Leitsätzen im allgemeinen einverstanden sind.
Es liegt mir nun noch die angenehme Pflicht ob, den beiden
Herren Referenten unsern verbindlichsten Dank für ihre vorzüg¬
lichen Vorträge auszusprechen.
M. H.I Die Tagesordnung unserer diesjährigen Tagung ist
erledigt; bevor ich die Sitzung schliesse, möchte ich Ihnen noch
112
Schloß der Sitzung.
mitteilen, dass inzwischen ein Telegramm von unserem Vorstands¬
mitglied, H. Prof. Dr. C r a m e r - Göttingen, z. Z. in Riva, und ein
Schreiben des H. Geh. Rat Dr. Battlehner-Earlsrohe einge¬
gangen ist, in denen unserer diesjährigen Versammlung ein schöner,
erfolgreicher, zu weiterem Gedeihen und Blähen unseres Vereins
beitragender Verlauf gewünscht wird.
Nun, m. H., dieser Wunsch, für den wir den beiden Herren
herzlich danken, ist m. E. voll und ganz in Erfüllung gegangen!
Mit besonderer Genugtuung kann ich konstatieren, dass die
zahlreich erschienenen Mitglieder den Verhandlungen bis zum
Schluss mit dem grössten Interesse gefolgt und der Saal jetzt,
wo diese ihr Ende erreicht haben, sich noch ebenso gefüllt zeigt
wie am gestrigen Tage und zu Beginn der heutigen Sitzung;
jedenfalls der beste Beweis dafür, dass jeder Teilnehmer volle
Befriedigung gefunden hat. Mit dem Wunsche auf ein fröhliches
Wiedersehen im nächsten Jahre schliesse ich die diesjährige
Hauptversammlung. (Bravo)
Nach Schluss der Sitzung (1 Uhr nachmittags) feind
ein gemeinschaftliches zwangloses Mittagsessen (mit Damen)
im Scblossrestaurant statt, an das sich gegen 3 Uhr
nachmittags die Besichtigung des alten Schlosses anschloss.
Hierauf vereinigte sich die Mehrzahl der Mitglieder mit ihren
Damen zu einem Ausflag nach dem im Neckartal schön gelegenen
Kümmelbacher Hof. Am Abend trafen sich die noch anwe¬
senden Mitglieder im Stadtgarten, in dem grosses Konzert
nebst Illumination zur Feier des 79. Geburtstages Sr. KönigL
Hoheit des Grossherzogs von Baden stattfand.
Anhang.
Zusammenstellung
der in den
deutschen Bundesstaaten
bestehenden wichtigeren
gesetzlichen Vorschriften Uber die Reinhaltung der Gewässer.
Zn dem Beferat des
Beg.- n. Med.-Rats Dr. Dütschke in Erfurt
über die
„Beinhaitang der Wasserläufe vom sanitätspolizei¬
lichen und verw<nngsrechtlichen Standpunkte“.
I. Deutsches Reich.
1. § 366 des Strafgesetzbuches für das Deutsche, Reich vom
26. Febrnar 1876:
„Mit Geldstrafe bis zu 60 Mark wird bestraft:
10. Wer die znr Erhaltung der Sicherheit, Bequemlichkeit Reinlichkeit
auf.den öffentlichen Wasserstraßen erlassenen Polizei-Verordnungen
Übertritt.“
2. § 906 des Bürgerlichen Gesetzbuches:
„Der Eigentümer eines Grundstücks kann die Zuführung von Gasen,
Dämpfen, Gerüchen, Rauch, Ruß, Wärme, Geräusch, Erschütterungen und ähn¬
liche von einem anderen Grundstück ausgehende Einwirkungen insoweit nicht
verbieten, als die Einwirkung die Benutzung seines Grundstückes nicht oder
nur unwesentlich beeinträchtigt oder durch eine Benutzung des anderen Grund¬
stücks herbeigeführt wird, die nach den örtlichen Verhältnissen bei Grund¬
stücken dieser Lage gewöhnlich ist Die Zuführung durch eine besondere
Leitung ist unzulässig.
8. Artikel 65 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Ge¬
setzbuch :
„Unberührt bleiben die landesgesetzlichen Vorschriften, welche dem
Wasserrecht angehören, mit Einschluß des Mühlrechts, des Flötzrechts und
des Flößereirechts, sowie die Vorschriften zur Beförderung der Bewässerung
und Entwässerung der Grundstücke und die Vorschriften über Anlandungen,
entstehende Inseln und verlassene Flußbetten.“
4. Reichsgesetz, betreffend die Bekämpfung gemein¬
gefährlicher Krankheiten, vom 30. Juni 1900:
§ 35. „Die dem allgemeinen Gebrauche dienenden Einrichtungen für
Versorgung mit Trink- oder Wirtschaftswasser und für Fortschaffung der Ab¬
fallstoffe sind fortlaufend durch staatliche Beamte zu überwachen.
Die Gemeinden sind verpflichtet, für die Beseitigung der Vorgefundenen
gesundheitsgefährlichen Mißstände Sorge zu tragen. Sie können nach Maßgabe
ihrer Leistungsfähigkeit zur Herstellung von Einrichtungen der im Absatz 1
bezeichneten Art, sofern dieselben zum Schutze gegen übertragbare Krank¬
heiten erforderlich sind, jederzeit angehalten werden.
Das Verfahren, in welchem über die hiernach gegen die Gemeinde zu¬
lässigen Anordnungen zu entscheiden ist, richtet sich nach Landesrecht.“
§ 41. „Dem Reichskanzler liegt ob, die Ausführung dieses Gesetzes
und der auf Grund desselben erlassenen Anordnungen zu überwachen. Des¬
gleichen hat er, wenn die Gebiete mehrerer Bundesstaaten in Betracht kommen,
für Herstellung und Erhaltung der Einheit in den Anordnungen der Bundes-
8
114 Anhang: Zusammenstellung der in den deutschen Bundesstaaten bestehenden
behörden za sorgen and za diesem Behafe des Erforderliche za bestimmen,
in dringenden Fällen auch die Landesbehörden anmittelbar mit Anweisung zu
▼ersehen.“
„§ 48. Betrifft die Bildung eines Beichsgesandheitsrats in Ver¬
bindung mit dem Kaiserlichen Gesundheitsamt.
Gemäß § 5, Ziffer 8 der Geschäftsordnung des Beichsgesund-
heitsrats vom März 1901 berät er in seiner Gesamtheit oder in Ausschüssen
ttber „Wasserversorgung und Beseitigung der Abfallstoffe — einschließlich der
Beinhaltung von Gewässern.“
6. Beschluß des Bundesrats vom 25. April 1901, betr. die
Tätigkeit des Beichsgesandheitsrats mit Bezug auf die aus gesund-
heits- oder veterinärpolizeilichen Rücksichten gebotene Beinhaltung der
das Gebiet mehrerer Bundesstaaten berührenden Gewässer.
II. Königreich Preussen.
A.
Gesetze, die für die ganze Monarchie gelten:
1. Feld- und Forstpolizeigesetz vom 1. April 1880.
§ 27 bedroht die unbefugte Verunreinigung von Gewässern.
2. Fischereigesetz für den preußischen Staat vom 30. Mai 1879.
g 43. Verbot der Einleitung solcher Stoffe und in solchen Mengen aus
landwirtschaftlichen oder gewerblichen Betrieben, durch welche fremde Fischerei¬
rechte geschädigt werden.
§ 44. Verbot des Bötens von Flachs und Hanf in nicht geschlossenen
Gewässern.
8. Gesetz über die Polizeiverwaltung vom 11. März 1850,
eingeführt in den neuen Provinzen durch Königliche Verordnung vom 20. Sep¬
tember 1867.
§ 6. „Zu den Gegenständen der ortspolizeilichen Vorschriften gehören
. . . Sorge für Leben und Gesundheit.“
4. Allgemein Verfügung der Minister für Landwirtschaft, für
Handel und Gewerbe, der öffentlichen Arbeiten, der Medizinalangelegenheitea
und des Innern vom 20. Februar 1901.
Den Polizeibehörden wird aufgegeben, durch Exekutivbe&mte eine
ständige Ueberwachung der Gewässer des Bezirks vornehmen zu
lassen. Dem zuständigen Baubeamten, Gewerbeinspektor und Medizinal beamten
wird Gelegenheit gegeben, sich an den alle 2—8 Jahre stattfindenden Be¬
gehungen zu beteiligen.
Angabe der zur Beinhaltung der Gewässer zu ergreifenden
Maßnahmen und der hierbei zu beachtenden Gesichtspunkte.
Bei dem polizeilichen Vorgehen ist ein Unterschied zu machen je nach
der Art der Anlagen und Anstalten, von denen die Verunreinigung ausgeht,
ob es sich um gewerbliche Anlagen handelt, die einer besonderen Genehmi¬
gung nach § 16 der Gewerbeordnung bedürfen, oder ob es sich um gewerb¬
liche Anlagen handelt, die einer Genehmigung nach § 16 der G.-O. nicht
bedürfen.
Der 6. Abschnitt erwähnt die Verunreinigung der Gewässer
durch den Bergbau und schreibt gemeinsames Vorgehen der Wasserpolizei
und der Bergbehörden vor.
Zum Schluß dieser Allgemeinen Verfügung werden noch Grundsätze
für die Einleitung von Abwässern in Vorfluter (Wasserläufe und
stehende Gewässer) gegeben.
5. Dienstanweisung für die Kreisärzte vom 23. März 1901.
§ 75. „Der Kreisarzt hat darauf zu achten, daß in den Ortschaften
seines Bezirkes die Beseitigung der Abfallstoffe und Abwässer in einer den
Grundsätzen der Hygiene tunlichst entsprechenden Weise geschieht. Die Ab¬
stellung von Mängeln hat er an zuständiger Stelle anznregen und die Aus¬
führung von Verbesserungsvorschlägen mit Bat und Tat zu fördern und zu
unterstützen.
Ueber jedes Kanalisationsprojekt seines Bezirks hat er sich gutachtlich
zu äußern.“
§ 76. „Die Beinhaltung der öffentlichen Wasserläufe ist in gesundheit¬
licher Hinsicht von der gleichen Wichtigkeit, wie die des Untergrundes. Die
wichtigeren gesetzt. Vorschriften Aber die Beinhaltung der Gewisser. 116
Verunreinigung der Wasserlinie durch Zuffihrung schmutziger oder giftiger
Abwässer aus gewerblichen Anlagen, aus Kanalisationseinrichtungen usw. muß
durch aufmerksame Ueberwachung verhütet werden, eine Aufgabe, an deren
Losung der Kreisarzt nach Kräften mitzuwirken hat, und zwar nicht nur in¬
folge einer amtlichen Beteiligung, sondern auch aus eigenem Antriebe, sobald
Mißstände zu seiner Kenntnis gelangen.“
B.
Gesetze, die nur in den sogenannten alten Provinzen gelten.
6. Bestimmungen des § 10 Allgem. Land-Bechts II, 17.
„Die nötigen Anstalten zur Erhaltung der Öffentlichen Buhe, Sicherheit
und Ordnung und zur Abwendung der dem Publico oder einzelnen Mitgliedern
desselben bevorstehenden Gefahr zu treffen, ist das Amt der Polizei“
7. Allerhöchste Kabinetsordre vom 24. Februar 1816, die Ver¬
hütung der Verunreinigung der schiff- und floßbaren Flüsse
und Kanäle betreffend.
Untersagt die Verunreinigung der Gewässer, insoweit sie durch ge¬
werbliche Anlagen herbeigeführt wird, jedoch nur, wenn sie nur durch Ein¬
werfen fester Stoffe erfolgt.
8. Gesetz über die Benutzung der Privatflüsse vom 28. Febr.
1848, in der Bheinprovinz durch Verordnung vom 9. Januar 1846 eingeführt.
§ 8. Verbot der Verunreinigung der Privatflüsse durch gewerbliche
Abwässer, wenn dadurch der Bedarf der Umgegend an reinem Wasser beein¬
trächtigt, oder eine erhebliche Belästigung des Publikums verursacht wird.
0 .
Für einzelne Landesteile:
9. Für den Geltungsbereich des rheinischen Bechts:
Ordonnance du mois d’aoüt 1669 sur le fait des eaux et forOts.
Artikel 42 bezieht sich nur auf schiff- und floßbare Flüsse, untersagt
aber deren Verunreinigung allgemein.
10. Gesetz, betreffend die Bildung einer Genossenschaft
zur Begelung der Vorflut und zur Abwässerreinigung im
Emschergebiet vom 14. Juli 1904.
III. Königreich Bayern.
1. Wasserbenutzungsgesetz vom 28. Mai 1862.
Artikel 68. „Die Benutzung des Wassers der Privatflüsse zum Betriebe
von Gerbereien, chemischen Fabriken.und zu anderen Bestimmungen,
durch welche die Eigenschaften des Wassers auf schädliche Art verändert
werden, unterliegt der besonderen Bewilligung und Beschränkung durch die
Verwaltungsbehörde.“
2. Artikel 97 des Polizei-Strafgesetzes vom 26. Dezember 1871.
„Mit Geldstrafe bis zu 60 Gulden wird bestraft:
Ziffer 8. Wer an den Ufern Öffentlicher Flüsse Anlagen macht, welche
den freien Lauf oder den gemeinen Gebrauch des Flusses hindern.
Ziffer 6. Wer das Wasser eines Privatflusses zum Betriebe von chemi¬
schen Fabriken .... oder zu anderen Bestimmungen, durch welche die Eigen¬
schaften des Wassers auf schädliche Art verändert werden, ohne besondere
Bewilligung der Verwaltungsbehörde benützt . . . .“
8. Entschließung des Königlich bayerischen Staats¬
ministeriums des Innern vom 13. April 1906:
Vor Erteilung der Genehmigung der Einleitung von Abwässern in öffent¬
liche Flüsse usw. ist eine gutachtliche Aeußerung des Königlichen hydrotech¬
nischen Bureaus einzuholen.
IV. Königreich Sachaen.
1. Verordnung des Minist, des Innern vom 9. April 1877.
Betrifft die Feststellung der Verunreinigung der Gewässer und
die zur Beseitigung der Mißstände anzuordnenden Maßnahmen.
2. Verordnung des Minist, des Innern vom 26. März 1882.
Eine strengere Handhabung der in dem Erlaß vom 9. April 1877 an¬
geordneten Maßnahmen wird veranlaßt.
8. Verordnung des Ministeriums des Innern vom 19. De¬
zember 1886.
8*
116 Anhang: Zusammenstellung der in den deutschen Bundesstaaten bestehenden
Die Ereishauptmannschaften haben auf möglichste Beschränkung
der Verunreinigung yon fließenden Gewässern hinzuwirken. An*
Ordnung regelmäßiger Besichtigungen unter Teilnahme der Be¬
zirksärzte und Gewerbeinspektoren. Unbedingtes Verbot der Einführung
fester Stoffe in einen Wasserlauf. Die Verwaltungsbehörden haben Maßnahmen
zu treffen, daß verunreinigende Flüssigkeiten vor Einlauf in den Flußlauf
unschädlich gemacht werden.
4. Verordnung des Ministeriums des Innern vom 25. No¬
vember 1903, betreffend Verhütung der Verunreinigung fließender
Gewässer durch die Pockenkrankheit der Karpfen.
6. Verordnung des Ministeriums des Innern vom 18. Fe¬
bruar 1904.
Anordnung jährlicher Flußschauen unter Teilnahme der Bezirks¬
ärzte und Gewerbeaufsichtsbeamten.
Y. Königreich Württemberg.
1. Wassergesetz vom 1. Dezember 1900 und Vollzugsverfftgung
vom 16. November 1901.
Nach Artikel 28 des Gesetzes bedarf die Einleitung übelriechender,
ekelhafter oder schädlicher Flüssigkeiten in ein Öffentliches Gewässer der poli¬
zeilichen Erlaubnis; nach § 60 der Vollzugsverfügung soll die Kreisregierung
vor Erteilung der Erlaubnis die beteiligten FachbehOrden, insbesondere
das Medizinalkollegium hOren 1 )
Artikel 106 ordnet regelmäßig wiederkehrende technische Besichtigungen
der Öffentlichen Gewässer und sämtlicher in und an denselben befindlichen
Wasserbenutzungsanlagen an.
2. Verfügung des Ministeriums des Innern vom 6. No¬
vember 1901, betreffend die Wasserschau.
Vom Jahre 1903 ab findet die regelmäßige Schau der Gewässer unter
Teilnahme des Oberamtsarztes, des Straßenbau- und Kulturinspektors,
des oberamtlichen Wasserbautechnikers, des Fischereisachverständigen des
Kreises und von Vertretern der Interessenkreise statt.
3. Verfügung des Ministeriums des Innern vom 7. No¬
vember 1901, betr. das Verfahren vor den Wasserschiedsgerichten
Nach § 4 findet das Verfahren vor dem Schiedsgericht in Streitigkeiten
über die Benutzung eines Öffentlichen Wassers nur statt, wenn der erhobene
Anspruch nicht privatrechtlicher Art ist.
VI. Grosshernogtam Baden.
1. Wassergesetz vom 26. Juni 1899.
§ 12. „Die Ausübung des Gemeingebrauchs an Gewässern
kann durch polizeiliche Anordnung, sowie durch Verordnung bezirks- oder orts¬
polizeilicher Vorschrift geregelt oder beschränkt werden, wenn Gefährdung
oder Verletzung Öffentlicher Interessen zu befürchten steht.*
§ 16. „Die öffentlichen Gewässer dienen unter Leitung und Aufsicht
der Staatsbehörden dem öffentlichen Verkehr und sonstigen Gemeingebrauch
und dürfen für andere Zwecke nur nach Maßgabe der Anordnungen der Staats¬
behörden und nur insoweit benutzt werden, als dadurch der nach der Be¬
schaffenheit des Gewässers stattfindende Gemeingebrauch keine wesentlichen
Beeinträchtigungen erfährt.“
§§ 37—46 behandeln die Genehmigung, Untersagung und Regelung der
Wasserbenutzung und Entwässerung.
§ 48. „Eine Wasserbenutzung kann von der Verwaltungsbehörde unter¬
sagt oder an beschränkende Bedingungen geknüpft werden, wenn und soweit
durch die Art der Ausübung für das Gemeinwohl überwiegende Nach¬
teile und Gefahren entstehen.“
§ 49. „Im Interesse einer zweckentsprechenden Wasserbenutzung und
Entwässerung, insbesondere hinsichtlich des Gebrauchs und der Instandhutung
der Stanvorricbtungen, Gräben und sonstigen Anlagen können besondere Be¬
schränkungen und verpflichtende Bestimmungen getroffen werden.“
§§ 107—109 regeln die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörde im all¬
gemeinen und besonderen.
') Nachträglich vervollständigt.
wichtigeren gesetzl. Vorschriften Uber die Reinhaltung der Gewässer. 117
§101. Anordnung regelmäßiger Wasserschauen durch die
technischen Behörden, an denen auch nach der
2. Verordnung des Ministeriums des Innern vom 4. März
1903 die Bezirkssanitätsbeamten von Zeit zu Zeit teilzunehmen haben.
3. Verordnung des Minist, des Innern vom 27. Juni 1874, die
Sicherung der öffentlichen Gesundheit und Reinlichkeit betr.
§ 5. „Uebelriechende, ekelhafte, der Gesundheit durch ihre Aus*
dünstungen schädliche Flüssigkeiten sollen nicht in die Straßenrinnen, sondern
unterirdisch in gut eingerichteten Kanälen abgeleitet oder auf andere an¬
gemessene Weise ohne Belästigung oder Benachteiligung der Nachbarn oder
der Einwohnerschaft beseitigt werden.
Die periodische Reinigung der durch Ortschaften fließenden
Bäche, Kanäle, Gräben, sowie der innerhalb der Ortschaften gelegenen, dem
öffentlichen Gebrauche dienenden Teiche, Weiher usw. hat die Ortspoli¬
zeibehörde unter Aufsicht des Bezirksamtes zu regeln und zu überwachen.“
§ 6. „Die zur Ableitung von Kot, Abwasser und dergleichen dienenden
Abzugskanäle müssen jederzeit derart hergestellt sein, daß durch die Um¬
wandlungen keine Abflüsse, bei unterirdischen Kanälen auch keine Aus¬
dünstungen stattfinden können.“
TU. G r osahersogtam Hessen.
1. Gesetz vom 31. Juli 1887 in der Neufassung vom 30. September 1899
die Bäche und die nicht ständig fließenden Gewässer betreffend
„Artikel 14. Besonderer Genehmigung des Kreisausschusses bedarf:
1. Wer einen Bach zu Zwecken benutzen will, welche die Eigenschaften
des Wassers durch Einleitung fremder Stoffe ändern;
2. wer einen Bach mittelst besonderer Anlagen benutzen oder bezüglich
dieser Benutzungsart und der hierzu bestehenden Anlagen wesentliche Aende-
rungen vornehmen will, insbesondere wer in oder an einem Bache
a) Stauanlagen .... wie Zu- und Ableitungskanäle, Sammelweiher,
b) Bewässerungs- und Entwässerungsanlagen, wodurch der Lauf des Wassers
eines Baches mit nachteiligerWirkung für dritte Grundeigentümer
oder Nutzungsberechtigte gehemmt, beschleunigt oder abgeleitet wird,
errichten oder wesentlich ändern will.
2. Verordnung vom 23. Juni 1891, betreffend die Ausführung
des Gesetzes vom 14. Juni 1887 Uber das Dammbauwesen und das
Wasserrecht in den Gebieten des Rhein, Main, Neckar und des schiffbaren
Teiles der Lahn.
„§ 15. Die Einleitung flüssiger Abgangsstoffe in das Flußbett bedarf in
jedem Falle der ausdrücklichen Genehmigung der Flußbaubehörde.“
2. Polizeistrafges etz vom 10. Oktober 1871.
„Artikel 120. Unbefugtes Einwerfen von . . . Unrat in die Bäche oder
Gräben ist untersagt.“
4. Außerdem Polizei-Verordnungen für
den Kreis Groß-Gerau, betreffend die Benutzung des Wassers und Flu߬
bettes des Rheins und Mains, vom 12. März 1892,
das Kreisamt Heppenheim vom 7. März 1892 für den Neckar,
„ Kreisamt Bensheim vom 8. März 1892 für den Rhein,
„ Kreisamt Worms vom 28. März 1892 für den Rhein,
„ Kreisamt Offenbach vom 26. März 1892 für den Main,
„ Kreisamt Gießen vom 18. Oktober 1893 für die Lahn,
den Kreis Mainz, mit Ausnahme des Hafengebietes der Stadt Mainz, vom
5. Oktober 1901,
welche sämtlich die Einleitung flüssiger Abgangs Stoffe in die
Flußbetten ohne vorherige ausdrückliche Genehmigung der Flußbaubehörden
verbieten.
VIII. Groasherzogtum Mecklenburg-Schwerin.
1. Verordnung vom 2. September 1879, betr. Verunreinigung
von Gewässern.
§ 3, Ziffer 12. „Mit Geldstrafe bis zu 60 Mark wird bestraft:
Wer unbefugter Weise fremde Gewässer oder ortspolizeilicher Vorschrift
zuwider Gewässer, welche ihren Abfluß nach fremden Grundstücken haben,
verunreinigt.“
118 Anhang: Zusammenstellung der in den deutschen Bundesstaaten bestehenden
2. Verordnung vom 21. Jnli 1886, betr. Verunreinigung
yon Wasserentnahmestellen.
§ 14, Ziffer 1. „Jede Verunreinigung der Stellen, an welchen Wasser
zum Trinken oder zum Hausgebrauch entnommen wird, und deren nächster
Umgebung, namentlich durch die Abfälle der menschlichen Haushaltung, ist
verboten; insbesondere ist das Spülen yon Gefäßen und Wäsche an den Wasser¬
entnahmestellen untersagt.“
3. Verordnung vom 22. Juni 1900, betr. Betrieb und Be¬
aufsichtigung yon §alz-Bergwerken.
§ 17. „Die Einleitung der Abwässer aus Bergwerken und Aufbereitungs¬
anstalten in Öffentliche Gewässer ist nur in einem für die Interessen der An¬
lieger oder sonstigten Berechtigten unschädlichen Zustande gestattet.“
4. Verordnung vom 20. Juni 1902, betr. Schauordnung für
die größeren Wasserläufe im Dom.-Amt Dömitz.
§ 13. Anlagen von Viehtränken sind nur in einiger Entfernung von
den Wasserläufen herzurichten und so anzulegen, daß Verschlammung und
Verunreinigung des Flußbettes nicht stattfinde.
5. Verordnung vom 6. Mai 1905 über Maßnahmen aus § 85 des
Reichsgesetzes, betreffend die Bekämpfung gemeingefährlicher
Krankheiten vom 30. Juni 1900.
Eine Kommission, bestehend ans dem Kreisphysikus und einem Bau¬
distriktsbeamten, ist beauftragt mit der Ueberwachung der Wasserwerke zur
Versorgung mit Trink- und Wirtschaftswasser und der Fortschaffung der
Abfallstoffe.
IX. Grossheraogtum Sachsen - Weimar.
1. Landesgesetz über den Schutz gegen fließende Ge¬
wässer und über Benutzung derselben vom 16. Februar 1854.
Das Gesetz enthält keine speziellen auf die Verunreinigung der Öffent¬
lichen Wasserläufe durch Abwässer yon Fabriken und durch den Zufluß von
Fäkalien bezügliche Bestimmungen, gibt aber eine Handhabe gegen derartige
Verunreinigungen insofern, als alle zu Nutzzwecken in und an fließenden Ge¬
wässern beabsichtigten Einrichtungen und Anlagen von der Genehmigung der
zuständigen Verwaltungsbehörden abhängig sind, welche die Benutzung der
fließenden Gewässer und ihrer Ufer nur insoweit zuläßt, als dieselbe mit der
Öffentlichen Wohlfahrt übereinstimmt, und Zuwiderhandlungen mit Strafe be¬
droht.
2. Landesgesetz, betr. die Fischerei vom 6. Mai 1876.
§ 37. Verunreinigung der Fischw&sser, Verbot der Einleitung von
solchen Stoffen aus landwirtschaftlichen oder gewerblichen Betrieben m die
Gewässer, daß dadurch fremde Fischereirechte geschädigt werden können.
Ausnahmen werden gestattet unter Auferlegung der Verpflichtung zur Her¬
stellung besonderer Vorkehrungen, welche geeignet sind, den Schaden zu heben
oder doch möglichst zu verringern.
X. Groenhersogtum Oldenburg.
1. Wasserordnung für das Herzogtnm Oldenburg vom
20. November 1868.
Artikel 16. § 1. Verbot der Benutzung der Öffentlichen Wasserzüge
zn Zwecken, welche das Wasser zum Schöpfen, Trinken, Waschen, Baden un¬
tauglich machen.
Artikel 17. § 2. Die Abführung solcher Wässer in die Öffentlichen
Wasserzüge, welche für den Gemeinbrauch, die Fischerei oder die landwirt¬
schaftliche Benutzung schädliche Stoffe enthalten, kann vom Amte untersagt
werden.
2. Ministerial-Bek anntmachung vom 26. Mai 1875, betr. Ver¬
bot der Vertiefung und Verunreinigung Öffentlicher Gewässer.
XI. Herzogtum Brzunaobvelg.
1. Wassergesetz für das Herzogtum Braunschweig vom 20. Juni 1876.
§ 50. Eine Benutzung der öffentlichen Gewässer und ihrer Ufer ist nur
insoweit zulässig, als dieselbe mit der Öffentlichen Wohlfahrt übereinstimmt.
§ 85. Es bedarf der Verleihung des Rechtes zur Benutzung
wichtigeres gesetzt. Vorschriften über die Reinhaltung der Gewisser. 119
eines öffentlichen Gewissere, um demselben von seinem Grundstücke durch be¬
sondere Vorrichtungen abgeleitetes Wasser zuzuführen.
§ 88. Durch die Benutzung des Wassers seitens des Privateigentümers
darf keine das Recht eines anderen beeinträchtigende Verunreinigung
des Wassers usw. verursacht werden.
2. Polizei-Strafgesetz vom 23. März 1899.
§ 18 Ziffer 1. Mit Geldstrafe bis zu 160 M. wird bestraft, „wer den
Lauf öffentlicher Gewässer hemmt oder stört oder denselben unbeiugt ver¬
unreinigt.“
XII. Hersogtom Sachsen - Meiningen.
1. Gesetz vom 6. Mai 1872, die Benutzung und Behandlung
der Gewässer betreffend.
Artikel 43. Unrat, Kot, tierische Körper, Sigespähne und
andere das Wasser verunreinigende oder seine Beschaffen¬
heit in schädlicher Weise verändernde Gegenstände dürfen,
wo es von der Polizeibehörde nicht besonders erlaubt wird, in fließende Ge¬
wässer nicht gebracht werden.
Die Polizeibehörde kann die Zuleitung verunreinigender oder schädlicher.
Zuflüsse verbieten.
Das Flachs- und Hanfrösten kann von ihr untersagt werden, wo
es der Beschaffenheit des Wassers oder der Heilsamkeit der Luft nach¬
teilig wird.
Artikel 44. Die Polizeibehörde kann verbieten, Sand, Erde, Steine und
andere Gegenstände in fließende Gewässer zu bringen, wenn es die Vorflut
zum Nachteil anderer hemmt oder in anderer Hinsicht schädlich wird
XIII. Hersogtum Sachsen - Altenburg.
1. Gesetz über die Rechtsverhältnisse des Wassers vom
18. Oktober 1865.
§ 28. „Jede Benutzung des öffentlichen Wassers, sowie das in selbiges
abfließende geschlossene Wasser, wodurch die Eigenschaften des öffent¬
lichen Wassers auf schädliche Art verändert oder die Ufer der
öffentlichen Gewässer gefährdet werden, namentlich die Benutzung zu Gerbereien,
chemischen Fabriken, Bleichereien, ingleichen die Ableitung schädlicher
Flüssigkeiten in die vorgedachten Gewässer, unterliegt, soweit sie nicht
auf einem wohlerworbenen Rechte beruht, der Bewilligung und Beschränkung
durch die Verwaltungsbehörde, welche bei ihren diesfallsigen Entschließungen
namentlich auch auf den Uferschutz und auf etwaige Nutzungsrechte Anderer
Rücksicht zu nehmen hat.
Auch das Anlegen von Badeanstalten und Viehtränken, 8chafwaschen,
das Pferde8chwämmen, Durchtreiben des Viehes, Durchfahren, Flachs- oder
Hanfrösten, kann, auf Antrag der Beteiligten, von der Verwaltungsbehörde
beschränkt oder sonst geregelt werden.“
§29. „Wohlerworbene Rechte, durch deren Ausübung die
Eigenschaften des öffentlichen Wassers auf schädliche Art verändert, oder die
Ufer öffentlicher Gewässer gefährdet werden, können, wann und insoweit dies
im wesentlichen öffentlichen Interesse erforderlich ist, gegen Ent¬
schädigung beschränkt oder au fgehoben werden.“
2. Gesetz, die Fischerei betreffend vom 19. Juli 1876.
§41. Verbot der Verunreinigung der Fischwasser in öffent¬
lichen oder geschlossenen Gewässern unter Hinweis auf §§ 28, 29 des Gesetzes
über die Rechtsverhältnisse des Wassers vom 18. Oktober 1865 (s. vorher).
Ausnahmen kann die zuständige Verwaltungsbehörde gestatten.
§ 42. Das Rösten von Flachs und Hanf in nicht geschlossenen Ge¬
wässern, welche Fische führen oder nach fischhaltigen Gewässern ihren Abfluß
haben, ist verboten.
8. Baugesetz für die Städte des Herzogtums Sachsen-
Altenburg vom 14. Januar 1901.
§ 67. Verbot der Anlagen von Sieker- (Senk) Gruben zur Unterbringung
von Abfallwasser. Vorschriften für Beseitigung der Abfallwasser.
4. Baugesetz für die Dörfer des Herzogtums Sachsen-
Altenburg vom 14. Januar 1901.
120 Anhang: Zusammenstellung der in den deutschen Bundesstaaten bestehenden
§ 58. Jauche aus Viehstillen, Dungstätten, Aborten, ferner Abgänge
aus Schlachthäusern, Gerbereien u. dergl. sowie andere Unreinlichkeiten dürfen
nie auf Öffentliche Wege oder in deren Gräben abfließen.
XIV. Heraogtum Sachsen-Gotha.
1. Gesetz über die Benutzung desWassers und über den
Schutz gegen dasselbe vom 12. August 1859.
§ 30. „Die Benutzung des Wassers zu Gerbereien, chemischen Fabriken,
Bleichereien, Flachs- u. Hanfrösten, Badeanlagen usw. und zu sonstigen
Zwecken, wodurch die Eigenschaften des ersten auf schädliche Art verändert
oder die Ufer gefährdet werden, unterliegt vorbehaltlich wohlerworbener
Hechte, der Bewilligung und Beschränkung durch die Verwaltungsbehörde,
welche bei ihren desfallsigen Entschließungen namentlich auch auf den Ufer¬
schutz und auf etwaige Nutzungsrechte Bücksicht zu nehmen hat.“
§ 31 verbietet Anlage und wesentliche Umänderungen von Triebwerken
und Stauvorrichtungen ohne Genehmigung der Verwaltungsbehörde und definiert
als wesentliche Veränderungen solche, welche auf den Stand, den Lauf oder
die Benutzungsweise des Wassers Einfluß haben.
§99 schreibt Besichtigungen und Untersuchungen der
fließenden Gewässer und ihrer Ufer vor, die von den Verwaltungsbe¬
hörden von Zeit zu Zeit anzuordnen sind.
(Auf Grund dieses § finden jetzt regelmäßige Flußbesichtigungen durch
besondere Kommissionen statt, zu denen nach Bedarf vom Staatsministerium
Kommissare abgeordnet werden.)
2. Ausführungsverordnung vom 81. Dezember 1900 zum
Beichsgesetz vom 80. Juni 1900 über die Bekämpfung gemein¬
gefährlicher Krankheiten.
Die im § 85 des Gesetzes vom 80. Juni 1900 aufgeführten Einrichtungen
sind der Aufsicht der Amtsphysiker unterstellt.
XV. Hersogtum Anhalt.
1. Gesetz, die Einführung d es Polizeistrafgesetze s be
treffend, vom 6. August 1864.
Artikel 148. „Wer Brunnen oder fließendes Wasser, welches zum
Trinken, Kochen oder Brauen dient, durch Dinge verunreinigt, welche Ekel
erregen oder dem Wasser eine der Gesundheit nachteilige Eigenschaft mit-
teilen, ohne daß die Handlung als peinlich zu bestrafendes Verbrechen oder
Vergehen erscheint, fällt in Geldstrafe von 2—20 Talern oder Gefängnisstrafe
von 3 Tagen — 4 Wochen.“
2. Gesetz vom 24. Juli 1876. (Anhaitische Gesetz-SammL Nr. 426)*
§ 39. Es ist verboten, in die Gewässer aus landwirtschaftlichen oder
gewerblichen Betrieben Stoffe in solcher Beschaffenheit und in solchen Mengen
einzuwerfen, einzuleiten oder einfließen zu lassen, daß dadurch fremde Fischerei-
r echte geschädigt werden können.“
8. Gesetz vom 22. Juni 1900. (Anhaitische Gesetz-SammL Nr. 1099).
§ 13. Die Beseitigung gefallener oder getöteter Tiere
durch Verbringen in Flüsse pp. ist verboten.
XVI. Fürstentum Sohwarsburg- Rudolstadt.
Gesetzliche Vorschriften über die Beinhaltung der Wasserläufe be¬
stehen nicht.
XVII. Fürstentum 8chvarsburg - Sondersbausen.
1. Wassergesetz vom 26. Januar 1858.
§ 47. „Die Benutzung fließender Gewässer zu Anstalten für Gewerbe
und für Hauswirtschaftszwecke, jedoch mit Ausschluß der Triebwerke, setzt
die Erlaubnis des Landrats voraus. In der Bogel soll diese Erlaubnis er¬
teilt werden, wenn.
Ziffer 2. das öffentliche Interesse die fragliche Benutzung nicht
verbietet, insonderheit diese Benutzung den Bedarf von Wasser zum wirtschaft¬
lichen Gebrauche, bei Feuersgefahr usw. nicht beeinträchtigt.“
2. Fischereigesetz vom 20. September 1876.
§ 42. „Es ist verboten, in die Gewässer aus landwirtschaftlichen oder
gewerblichen Betrieben Stoffe von solcher Beschaffenheit und in solchen Mengen
wichtigeren gesetzl. Vorschriften über die Reinhaltung der Gewässer. 121
einznwerfen, einzuleiten oder einfließen zu lassen, daß dadurch fremde Fischerei¬
rechte geschädigt werden können.
Bei überwiegendem Interesse der Landwirtschaft oder der Industrie kann
das Einleiten oder Einwerfen solcher Stoffe in die Gewässer gestattet werden.
Soweit es die örtlichen Verhältnisse zulassen, soll dabei dem Inhaber der An¬
lage die Ausführung solcher Einrichtungen aufgegeben werden, welche geeignet
sind, den Schaden für die Fischerei möglichst zu beschränken.“
§ 43. „Das Bösten von Flachs und Hanf in nicht geschlossenen Gewässern
ist verboten.“
XVIII. Fürstentum Reusa älterer Linie.
1. Fischereigesetz vom 2. Juli 1878.
§ 41. Wörtlich wie § 42 des Fischereigesetzes für Fürstentum Schwarz-
burg-Sondershausen. Vergl. vorher unter XVII, Nr. 2.
2. Besondere gesetzliche Bestimmungen über die Beinhaltung der
Wasserläufe bestehen sonst für das Fürstentum Beuß älterer Linie nicht.
XIX. Fürstentum Reuss jüngerer Linie.
Ministerialbekanntmachung vom 27. Juli 1888, die Verun¬
reinigungen des fließenden Wassers betreffend.
„Die Besitzer derjenigen Anlagen, deren Abgänge wesentlich zur Verun¬
reinigung des fließenden Wassers Veranlassung geben, haben je nach Art des
Betriebes und nach den vorhandenen örtlichen Verhältnissen für Unschädlich¬
machung und Klärung dieser Abgänge zu sorgen. In den Klärungen ist die
Ausscheidung und Fällung der verunreinigenden Stoffe unter Umständen durch
entsprechenden Zusatz von Kalk und anderen geeigneten chemischen Präparaten
zu beschleunigen.
Die Verwendung des Schwefelarsens in den Gerberei-Anlagen ist verboten.
Da, wo besondere Klärungen erforderlich sind, müssen dieselben bis
zum 1. Juli 1889 hergestellt sein. Im übrigen tritt diese Anordnung sofort in
Kraft.
Zuwiderhandlungen usw.“
XX. Fürstentum Schaumburg - Lippe.
1. Gesetz vom 28. April 1880:
„Mit Geldstrafe bis zu 50 M. oder Haft bis zu 14 Tagen (abgesehen
von Fällen des § 366 Ziffer 10 des B. Str. G. B.) wird bestraft, wer unbefugt . . .
2) in Gewässern Felle auf weicht oder reinigt oder Schafe wäscht;
3) wer Gewässer verunreinigt oder ihre Benutzung in anderer Weise er¬
schwert oder verhindert.“
2. Gesetz vom 31. März 1898, betreffend Bäumung natür¬
licher Wasserläufe.
§ 4. „Werden natürliche Wasserläufe infolge Betriebes von Fabriken,
Bergwerken und ähnlichen industriellen Unternehmungen in erheblichem Maße
verunreinigt, so kann auf Antrag des Räumungspflichtigen durch das Landrats¬
amt ein angemessener Beitrag zu den Räumungskosten auf erlegt werden.“
Die Ortspolizeibehörde überwacht die ordnungsmäßige Ausführung der
Bäumung.
XXI. Fürstentum Lippe.
1. Verordnung vom 23. September 1669. Verbot des Ein¬
legens von Flachs in fließende Gewässer.
2. Verordnung vem 28. Dezember 1779. Verbot des Einlassens
des Flachsrottenwassers in die Gewässer.
3. Gesetz vom 5. April 1890 betr. Einrichtung privater Schlacht-
h äuser.
§ 6. Unter Berücksichtigung besonderer Verhältnisse kann die Orts¬
polizeibehörde die Ableitung der Abwässer in vorhandene Wasserläufe ohne
Einrichtung eines Sammelbehälters gestatten.
4. Gesetz vom 26. April 1901 als Ergänzung zum Feld-Forst¬
polizeigesetz:
„Wer, abgesehen von den Fällen des § 366 Nr. 10 des R.-Str.-G.-B. und
befugt öffentliche Gewässer dadurch verunreinigt, oder ihre Benutzung dadurch
verhindert oder erschwert, daß er Unrat, Abfälle, Kadaver oder andere feste
122 Anhang: Zusammenstellung der in den deutschen Bundesstaaten bestehenden
Stoffe in die Gewisser bringt, wird mit Geldstrafe bis zu 50 M. oder mit Haft
bis za 14 Tagen bestraft. tt
5. Polizei-Verordnung fttr die Stadt Detmold über die
Aufrhamang and Instandhaltung des Bettes der Werre, der
kleinen Werre nnd des Knochenbaches vom 15. April 1897.
§ 12. „Des Einwerfens und Einwälzens von losen Steinen, Erde, Asche,
Schlacken, Kadavern, Dnrat and aller Art Materialien maß ein Jeder sich
enthalten. Eine Ausnahme findet statt, wenn solches znm Behuf einer Anlage
am Ufer nothwendig ist und daraus nach dem Urteil des Magistrats kein Hin¬
dernis für den Abfluß des Wassers entsteht und auch dadurch die Beeinträch¬
tigung des Bedarfs der Umgegend an reinem Wasser oder eine erhebliche Be¬
lästigung des Publikums nicht stattfindet.“
XXII. Freie and Hansestadt Lflbeck.
1. Wasserlösungsordnung für den Lübeckischen Frei¬
staat vom 2. Dezember 1865.
Behandelt im wesentlichen die physikalischen Verhältnisse der Ent¬
wässerung und die Beinhaitun^ der Wasserläufe im Artikel 2.
2. Gesetz, betr. die Benutzung der Öffentlichen Siel¬
anlagen in der Stadt und den Vorstädten, sowie die Herstel¬
lung der Privatsiele daselbst vom 25. Mai 1905.
§ 6. „Feste Stoffe, wie Küchenabfälle, Müll, Kehricht, Schutt, Sand,
Asche, Fett, Fleischteile und dergleichen dürfen dem Privatsiel nicht zugeführt
werden.
Es ist nicht erlaubt, die in Ställen und Dunggruben angehäuften Dung¬
massen durch Ueberleiten von Wasser, sei es durch Begenabflüsse von den
Dächern oder durch Leitang von der Stadtwasserkunst, aufzulOsen.
Abwässer aus Fabriken und gewerblichen Anlagen und diesen gleich zu
achtenden Betrieben, sowie abgängige Wässer, welche stark übelriechende
Stoffe enthalten oder den baulichen Zustand der Siele gefährden können, dürfen
nur unter Einhaltung der für jeden Einzelfall von der Baudeputation nach An¬
hörung des Medizinalamts festzusetzenden Genehmigungsbedingungen in die
öffentlichen Siele abgeleitet werden.“
XXIII. Freie und Hansestadt Bremen.
1. Gesetz, betr. die Beinhaltung der großen und kleinen
Weser und des Balgekanals vom 18. September 1892.
§ 1. „Es ist verboten, aus den Grundstücken der Stadt Bremen mensch¬
liche Auswurfstoffe in die große oder kleine Weser oder in die große Balge
abzuleiten.
2. Gesetz, wegen Abänderung des Gesetzes vom 18. Sep¬
tember 1892, betr. Beinhaltung der großen und kleinen Weserund
des Balgekanals, vom 30. März 1893.
§ 4 wird dahin abgeändert, daß anderweite Hanskanäle und sonstige
Entwässerungen, welche in die große und kleine Wesor oder in den Balge¬
kanal einmünden, auf Anfordern des Medizinalamts, ohne daß den Grundeigen¬
tümern oder sonstigen Beteiligten ein Widerspruchsrecht zusteht, derart um¬
gearbeitet werden müssen, daß die Einmündung in den öffentlichen Wasser-
lauf oder in den Balgekanal beseitigt und statt dessen ein Anschluß an einen
öffentlichen Kanal hergestellt wird, insoweit nicht der Balgekanal als Öffent¬
licher Kanal ausgearbeitet wird.
8. Gesetz, betr. die Entwässerung von Grundstücken
und deren Anschluß an das stadtbremische Kanalnetz vom
31. Januar 1896.
§ 12. Die Herstellung offener Wasserläufe ist nur zulässig, falls sie
zu sanitären Bedenken keine Veranlassung geben, und wenn es sich um
Leitungen außerhalb der Gebäude zur Abführung von reinem Wasser handelt;
in allen anderen Fällen sind geschlossene Bohrleitungen zu verwenden. Zwischen
offenen Wasserläufen und Bohrleitungen, die in einen Straßenkanal münden,
ist stets ein Wasserverschluß einzuschalten.
§ 22. Entwässerungsanlagen, deren Einläufe zu ebener Erde liegen,
müssen mit einem leicht zu reinigenden Sinkkasten (Schlammfang) und einem
zukömmlichen Wasserverschloß versehen sein.“
wichtigeren gesetzL Vorschriften ttber die Reinhaltung der Gewisser. 128
§ 23. Für Ableitangen von Küchen, Schlachtereien and dergleichen
können nach Ermessen der Baupolizeibehörde Fettfänge vorgeschrieben werden.
Abwässer über 60° C. in Mengen von mehr als 1000 Liter in der 8tande
dürfen dem StraBenkanal nicht zugeführt werden.
§ 24. Bei gewerblichen and industriellen Anlagen können aach Einrich¬
tungen zur Desinfektion, Klärung, chemischen Reinigung oder sonstige Vor¬
kehrungen zur Unschädlichmachung der Abwässer von der Baapolizeibehörde
ungeordnet werden.
4. Gesetz, betr. Einrichtung von Spülaborten vom 5. Ja¬
nuar 1900.
5. Gesetz, betr. Verpflichtung der Hauseigentümer zur
Einrichtung von Spülaborten vom 28. April 1908.
XIV. Freie and Hansestadt Hamburg.
1. Gesetz, betr. Beseitigung der Abwässer und Fäkalien
von den nicht oder nur zum Teil andie Siele angeschlossenen
Grnndstücken vom 80. Januar 1899.
g 2. „Ableitung von Abwässern in einen öffentlicken Wasserlauf darf
nur unter Erteilung näherer Vorschriften über die vorherige Behandlung der
Abwässer erfolgen.
g. 5. Behandlung und Verbleib der Fäkalien.
§ 17, Ziff. 2. Die Medizinalbehörde übt die Aufsicht aus über die even¬
tuelle Vorbehandlung (Vorklärung, Desinfektion) der Abflüsse vor ihrem Aus¬
tritt auf den öffentlichen Grund.
2. Gesetz über die Aufbewahrung und Beseitigung von
Abwässern, Fäkalien und sonstigen Abfallstoffen für das
Hamburgische Landgebiet vom 26. Mai 1905. *
g 2. Die sanitäre Aufsicht über Beseitigung der Abwässer
usw. wird nach der Medizinalordnung vom 29. Dezember 1899 durch den Me¬
dizinalrat und die von ihm beauftragten Beamten ausgeübt.
g 3. Abfallstoffe dürfen nur an solchen Orten gelagert werden, von
denen aus Abflüsse weder zu öffentlichen, noch privaten Wasserläufen oder
Brunnen hinströmen können.
g 4. Es ist verboten, Fäkalien und gesundheitsschädliche Abwässer
irgend welcher Art in öffentliche oder private Wasscrläufe gelangen zu lassen,
es sei denn, daß sie vorgängig nach Anweisung der Landherrenschaft, welche
im Einvernehmen mit dem Medizinalrat zu erteilen ist, unschädlich gemacht
werden.
‘ § 6. Aufbewahrung der gesundheitsschädlichen häuslichen und gewerb¬
lichen Abwässer. Verbot des Anbringens von Abflußleitungen.
§ 7. Anzeigepflicht für Neuanlagen oder Umbauten von Abwässerbe¬
handlungsanlagen.
2. Bekanntmachung der Landherrenschaft der Geest-
und Marschlande vom 5. November 1902 in Sachen der Verunreini¬
gung der Wasserläufe.
Es wird verboten, Unrat, Abfälle und andere Gegenstände, die geeignet
sind, das Wasser zu verunreinigen oder Schiffahrtshindernisse hervorzurufen,
in Flüsse und Wasserläufe zu werfen.
3. Gemeindepolizeiliche Verordnung, betr. Beseitigung
von Abwässern und Fäkalien in der Landgemeinde Ohlsdorf vom
7. April 1903.
§ 5. Die Ableitung von Abwässern und Fäkalien in einen privaten oder
öffentlichen Wasserlauf ist verboten (siehe vorher die Bekanntmachung der Land¬
herrenschaft vom 5. November 1902).
4. Alsterordnung vom 3. März 1904.
§ 13, Ziffer 3. Das Ausschütten von Unrat und dergleichen in die Alster
and ihre Nebenarme ist verboten.
5. Hafenordnung vom 1. Juli 1897.
§ 24. Die' Mannschaftsaborte sind auf Schiffen, welche an den Kais
liegen, zu verschließen, und die am Lande eingerichteten Aborte von der Mann¬
schaft zu benutzen.
124 Zusammenstellung der gesetzL Vorschriften üb. d. Reinhaitang der Gewässer.
XXY. Reiohslande Blsans - Lothringen.
1. Polizei-Verordnung für die weder schiffbaren noch
flößbaren Wasserläufe im Bezirk Unter-Elsaß vom 8. Jnli 1860.
Artikel 9. „Jede Verunreinigung des Bachbettes und des Bachwassers
ist streng untersagt. Insbesondere dürfen weder Steine noch Schlamm, noch
sonstige den freien Wasserlauf hindernde Gegenstände in dem Bachbett ab¬
gelagert oder hineingeworfen, noch schädliche oder verunreinigte Flüssigkeiten
in dasselbe geleitet werden.“
2. Gesetz für Elsaß-Lothringen, betr. Wasserbenutzung
und Wasserschutz vom 2. Juli 1891.
§ 1. „An Wasserläufen jeder Art bedürfen diejenigen Veranstaltungen,
welche geeignet sind, den Lauf des Wassers zu verändern, zu stauen, za
hemmen oder zu beschleunigen, der Genehmigung. Insbesondere ist an eine
solche Genehmigung neben der Errichtung, Beseitigung oder Abänderung von
Stauanlagen für Wassertriebwerke (§§ 16, 23, 25 der Gewerbeordnung für das
Deutsche Reich) gebunden :
c) die Anlage von Wassereinführungen in einen Wasserlauf.“
Gleicher Genehmigung bedürfen diejenigen Veranstaltungen, welche ge¬
eignet sind, die Eigenschaften des Wassers durch Zuleitung fremder Stoffe zu
verändern oder in sonstiger Weise die Benutzung des Wassers zu verhindern
oder zu erschweren.
Die Genehmigung erfolgt unter Vorbehalt der Rechte Dritter.
§ 3. An schiff- oder flößbaren Wasserläufen ist ferner eine Erlaubnis
erforderlich zu jeder Benutzung des Wassers oder des Bettes, mit welcher eine
besondere Vorrichtung verbunden ist.
3. Gesetz für Elsaß-Lothringen, betr. die Fischerei vom
2. Juli 1891.
§ 29. Es ist verboten, in die Wasserläufe aller Art Stoffe von solcher
Beschaffenheit und Menge einzuwerfen, einzuleiten oder einfließen zu lassen,
daß dadurch dem Fischstande Schaden erwächst, oder die Fische ver¬
trieben werden.
Das Ministerium bestimmt allgemein, welche Maßregeln bei Ableitung
der den Fischen schädlichen Stoffe und Abfälle aus Fabriken und sonstigen
gewerblichen und landwirtschaftlichen Betrieben zu beobachten sind. Die
erforderlichen Anordnungen im einzelnen Falle erlassen die Bezirkspräsidenten.
Die Bezirkspräsidenten haben ferner zu beschließen über die Dauer des
Röstens des Leins und Hanfs und die Bezeichnung derjenigen Wasser-
läufe und Orte, an welchen diese Arbeit mit dem geringsten Nachteil für die
Fische stattfinden kann.
Hierzu
4. Bekanntmachung des Ministeriums für Elsaß-Lothrin¬
gen vom 12. Dezember 1897 zur Ausführung des § 29, Abs. 2 des Gesetzes
betreffend die Fischerei vom 2. Juli 1891 (vergL vorher Nr. 3.).
Artikel 1 schreibt die Beachtung genau bestimmter Maßregeln bei Er¬
teilung der Genehmigung zur Ableitung der den Fischen schädlichen Stoffe
und Abfälle aus Fabriken und sonstigen gewerblichen und landwirtschaftlichen
Betrieben in einen Wasserlauf vor.
5. Ausführungsanweisung des Ministeriums für Elsaß-
Lothringen vom 22. Dezember 1897 zur Bekanntmachung des Ministe¬
riums vom 12. Dezember 1897 (vergl. vorher Nr. 4.).
Nicht nur die in der Bekanntmachung hervorgehobeneu allgemeinen
Maßregeln sind bei Erteilung der Genehmigung zur Einleitung von Abwässern,
Abfällen usw. in die Wasserläufe sorgfältig zu prüfen, sondern auch jedesmal
die besonderen Verhältnisse des in Frage stehenden Wasserlaufes.
6. Anweisung des Ministeriums für Elsaß-Lothringen
vom 25 . Januar 1898 zur Bekanntmachung des Ministeriums vom 12. De¬
zember 1897 (vergl. vorher Nr. 4.).
Empfiehlt genaue Beachtung, daß im gesundheitlichen und wirtschaft¬
lichen Interesse der Flußanwohner und Flußbenutzer nicht gegen die im Art. 1
angegebenen Grundsätze verstoßen wird. Bei Fragen der öffentlichen Gesund¬
heitspflege ist unter Mitteilung der Begutachtung der technischen Beamten
ein Gutachten des Gesundheitsrats einzuholen.
Mitglieder "V erzeiehniss
des
Deutschen Medizinalbeamten^Vereins.
Abgeschlossen am 25. November 1905. *)
Provinz Ostprenssen.
1. Dr. Asoher, Kreisassistenzarzt und Assistent der Königlichen Anstalt
zur Gewinnung tierischen Impfstoffs in Königsberg i. Pr.
2. - Ban di sch, Kreiswundarzt a. D. in Tilsit.
3. - Baserin, Kreisassistenzarzt in Neidenburg.
4. - Behrendt, Kreisarzt in Tilsit.
5. - Berneick, prakt. Arzt in Gilgenburg, staatsärztl. approb.
6. - Boehnke, Kreisassistenzarzt in Bialla.
7. - Bredsohneider, Kreisarzt u. Med.-Rat in Angerburg.
8. - Czygan, Kreisarzt in Goldap.
9. - v. Decker, Kreisarzt in Neidenburg.
10. - Deckner, prakt. Arzt in Stallupönen, staatsärztl. approb.
11. - Derbe, Kreisassistenzarzt in Gilgenburg.
12. - Doepner, Regierungs- u. Med.-Rat in Gumbinnen.
13. - Gberhardt, Kreisarzt u. Med.-Rat in Allenstein.
14. - Engel, Kreisarzt in Labiau.
15. - Engelien, Kreiswundarzt a. D. in Bartenstein.
16. - Fabian, Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat in Königsberg i. Pr.
17. - Fischer, prakt. Arzt in Hohenstein, staatsärztl. approb.
18. - Forstreuter, Kreisarzt u. Med.-Rat in Königsberg i./Pr.
19. - Franz, Kreisarzt in Heinrichswalde.
20. - Gallien, prakt. Arzt in Bladiau, staatsärztl. approb.
21. - Gessner, Kreisarzt in Rastenburg.
22. - Harmsen, Stabs- u. Bataillonsarzt in Braunsberg.
23. - Haase, Reg.- und Med.-Rat in Allenstein.
24. - Havemann, Direktor der Provinzial-Irrenanstalt in Tapiau.
25. - Heidenhain, Med.-Rat u. Kreisarzt in Insterburg.
26. - Heimbucher, prakt. Arzt in Neukirch, staatsärztl. approb.
27. - Hennemeyer, Kreisarzt u. Med.-Rat in Osterode.
28. - Herrendörfer, Kreisarzt u. Med.-Rat in Ragnit.
29. - H e y e r, Kreisarzt in Lötzen.
30. - Hilbert, prakt. Arzt in Sensburg, staatsärztl. approb.
31. - Hoppe, Oberarzt an der Provinzial-Irrenanstalt Allenberg,
staatsärztl. approb.
') Die Namen der Teilnehmer an der diesjährigen Hauptversammlung
sind mit einem * bezeichnet.
126 Mitgliederverzeichnis.
32. Dr. H u r w i t z, prakt. Arzt in Memel, staatsärztl. approb.
33. - Israel, Kreisarzt u. Med.-Rat in Fischhausen.
34. - v. Jankowski, prakt. Arzt in Braunsberg, staatsärztl. approb.
35. - Janssen, Kreisarzt, Med.-Rat und medizinischer Hilfsarbeiter
an der Regierung in Königsberg.
36. - Kahlweiss, Kreisarzt u. Med.-Rat in Braunsberg.
37. - Katerbau, Regierungs- u. Geh.Med.-Rat in Königsberg i.Pr.
38. - Katluhn, Kreisassistenzarzt in Prostken.
39. - Kehler, Kreiswundarzt z. D. in Gumbinnen.
40. - Knospe, Kreisassistenzarzt in Willenberg.
41. - Krause, Kreisarzt und Hilfsarbeiter bei der Königl. Regierung
in Gumbinnen.
42. - Lemhöfer, Kreisarzt in Preuss. Holland.
43. - Lemke, Kreisarzt in Sensburg.
44. - Lewinsky, prakt. Arzt in Braunsberg, staatsärztl. approb.
45. - Liedtke, Kreisarzt a. D. u. Med.-Rat in Tilsit.
46. - v. Maoh, Kreisarzt in Bartenstein.
47. - v. Petrikowsky, Kreisarzt in Orteisburg.
48. - Plooh, Kreisarzt in Gumbinnen.
49. - Poddey, Kreisarzt in Darkehmen,
50. - Pulewka, Kreisarzt in Heilsberg.
51. - Puppe, Geriohtsarzt, Prof. u. Medizinalrat in Königsberg i. Pr.
52. - Rimeok, Kreisarzt in Pr. Eylau.
53. - Romeick, Kreisarzt in Mohrungen.
54. - Sohawaller, Eireisarzt in Pillk&llen.
55. - Schiller, KIreisarzt u. Med.-Rat in Wehlau.
56. - Sohütze, Eireisarzt u. Med.-Rat in Rössel.
57. - Sohultz, Kreisarzt in Stallupönen.
*58. - Speiser, prakt Arzt in Bischofsburg, staatsärztl. approb.
59. - Stumm, Kreisarzt in Lyok.
60. - Urbanowioz, Kreisarzt u. Med.-Rat in Memel.
61. - Vossius, Kreisarzt u. Med.-Rat in Marggrabowa.
62. - Winter, Prof., Med.-Rat u. Direktor der Univ. - Frauenklinik
in Königsberg i. Pr.
63. - Wollermann, Kreisarzt u. Med.-Rat in Heiligenbeil.
64. - Wollermann, Kreisarzt in Johannisburg.
Provinz Westpreussen.
65. Dr. A r b e i t, Kreisarzt u. Med.-Rat in Marienburg.
66. - Baniok, Kreisarzt in Sohloohau.
67. - Birnbaoher, Kreisarzt in Pr. Stargard.
68. - Bremer, Eireisarzt in Berent
69. - Brinn, Kreisarzt in Putzig.
70. - Esohrioht, Kreisarzt in Danzig.
71. - v. Gizyoki, Kreisarzt in Stuhm.
72. - Haase, Kreisarzt u. Med.-Rat in Danzig.
73. - v. Hake, Regierungs- u. Med.-Rat in Marienwerder.
74. - Hasse, Kreisarzt in Flatow.
75. - Heise, Kreisarzt u. Med.-Rat in Kulm.
Mitgliederverzeiohnis.
12?
76. Dr. Hermann, Kreisarzt u. Med.-Rat in Dirsohau.
77. - Heynaoher, Kreisarzt u. Med.-Rat in Graudenz.
78. - Hoohmann, prakt. Arzt in Marienburg, staatsärztl. approb.
79. - Hopmann, Kreisarzt in Briesen.
80. - J o r n s, Kreisassistenzarzt in Marienwerder.
81. - Kaempfe, Kreisarzt u. Med.-Rat in Karthaus.
82. - Kasten, Kreisarzt in Marienwerder.
83. - Klein, Kreisassistensarzt in Danzig.
84. - König, Kreisarzt in Könitz.
85. - Köstlin, Direktor der Prov.-Hebammen-Lehranstalt in Danzig.
86. - Mailiefert, prakt. Arzt in Culm i. W., staatsärztl. approb.
87. - Matz, Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat in Deutsoh-Krone.
88. - Pfeiffer, Kreisarzt in Rosenberg.
89. - Post, Kreisarzt in Strassburg.
90. - Sohlee, Kreisarzt in Löbau.
91. - Schmidt, Kreisarzt in Elbing.
92. - Sohulz, prakt. Arzt in Sohloohau, staatsärztl. approb.
93. - Seemann, Reg.- und Med.-Rat in Danzig.
94. - Steg er, Kreisarzt in Thom.
95. - Wagner, Kreisarzt in Schwetz.
96. - Wollermann, Kreisassistenzarzt u. San.-Rat in Baldenburg.
97. - Zadow, prakt. Arzt in Deutsch-Krone, staatsärztl. approb.
Berlin mit den Stadtkreisen
Charlottenburg, Schöneberg und Blxdorf.
98 Dr. Abel, Reg.- und Med.-Rat, Hülfsarbeiter in der Medizinal¬
abteilung des Kultusministeriums.
99. - Adler, Arthur, Spezialarzt fdr innere und Nervenkrankheiten
staatsärztl. approb.
100. - Arnheim, prakt. Arzt in Rixdorf, staatsärztl. approb.
101. - Baer, Kreisarzt und Geh. Medizinalrat.
102. - Becker, Kreisarzt u. Geh. Medizinalrat.
103. - von Boltenstern, prakt. Arzt, staatsärztl. approb.
104. - Dietrioh, Geh. Ober-Med.-Rat u. Vortragender Rat in der
Med. Abteilung des Kultusministeriums.
105. - Dietrioh, Kreisarzt des Kreises Rixdorf.
106. - Elten, Med.-Rat u. Kreisarzt des Kreises Teltow.
107. - v. Folier, Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat.
108. - Fränkel, Arthur, prakt. Arzt, staatsärztl. approb.
109. - Friede.mann, prakt. Arzt, staatsärztl. approb.
110. - Gaffky, Geh. Med.-Rat u. Prof., Leiter des Instituts für Infek¬
tionskrankheiten in Berlin.
111. - Granier, Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat.
112. - Gross, praktischer Arzt, staatsärztl. approb.
113. - Guttstadt, Professor u. Geh. Medizinalrat in Berlin.
114. - Günther, Geh. Med.-Rat, Prof. u. Vorsteher d. Königl. Ver¬
suche- und Prüflings-anstalt für Wasserversorgung und Ab¬
wässerungsbeseitigung in Berlin.
128
Mitgliederverzeichnis.
115. Dr. Herz borg, prakt. Arzt, staatsärztl. approb.
116. - Hoffmann, Gerichtsarzt, Med.-Rat und dirigierender Arzt
des Untersuchungsgefängnisses.
117. - van Huellen, prakt. Arzt, staatsärztl. approb.
118. - Jaoobson, Kreisarzt und Med.-Rat.
119. - Kettler, Kreisarzt in Schöneberg.
120. - Klein, Kreisarzt u. Med.-Rat in Charlottenburg.
121. - v. Kobyleoki, Kreisarzt u. Med.-Rat in Soböneberg.
122. - K utzki, Kreisassistenzarzt in Charlottenburg (für Kreis Nioder-
Bamim).
123. - Lehnsen, prakt. Arzt, staatsärzt. approb.
124. - Leppmann, Med.-Rat, Kreisarzt u. Strafanstaltsarzt.
125. - F. Leppmann, prakt. Arzt, staatsärztl. approb.
126. - Marx, prakt. Arzt, staatsärztl. approb., Assistent am Institut
für Staatsarzneikunde.
127. - Nesemann, Regierungs- u. Med. - Rat.
128. - Pfleger, Gerichtsarzt u. Med.-Rat in Plötzensee b. Berlin.
129. - Rahts, Geh. Reg.-Rat u. Mitglied des Reiohsgesundheitsamts.
130. - Röokl, Geh. Reg.-Rat u. Abteilungsvorsteher im Reiohsgesund-
beitsamt (Halensee).
131. - Rüge, Med.-Rat u. Mitglied des Prov.-Medizinal-Kollegiums.
132. - Sohenk, prakt. Arzt, staatsärztl. approb.
133. - Schmidtmann, Geh. Ober-Med.-Rat, Professor u. Vortragen¬
der Rat in der Med.-Abt. des Kultusministeriums.
134. - Schönstadt, prakt. Arzt in Schöneberg, staatsärztl. approb.
135. - Schulz, Rud. in Charlottenburg, Kreisarzt fllr Niederbamim.
136. - Schulz, Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat, Direktor der Königlichen
Anstalt zur Gewinnung tierisohen Impfstoffs.
137. - Schulz, Assistent der Unterrichtsanstalt für Staatsarzneikunde
staatsärztl. approb.
138. - Stein, Hans, prakt. Arzt, staatsärztl. approb.
139. - Stürmer, Gerichtsarzt u. Med.-Assessor.
*140. - Strass mann, Professor u. Gerichtsarzt.
141. - Strauch, Privatdozent für gerichtliche Medizin und Staats-
arzneikunde in Berlin.
142. - Strecker, prakt. Arzt, staatsärztl. approb.
143. - Stüler, Kreisarzt u. Med.-Rat.
144. - Wagner, Gustav, prakt. Arzt, staatsärztl. approb.
145. - Wehmer, Regierungs- u. Geh. Med.-Rat.
146. - Weissenborn, Kreisarzt u. Med.-Rat.
147. - Wutzdorff, Geh. Regierungsrat u. Direktor im Kaiserlichen
Gesundheitsamte.
Provinz Brandenburg.
148. Dr. Aust, Kreisarzt in Nauen.
149. - Barnick, Regierungs- u. Geh. Med.-Rat in Frankfurt a.,/0.
150. - Benda, Kreisarzt u. Med.-Rat in Angermtlnde.
151. - Braeutigam, Kreisarzt u. Med.-Rat in Königsberg (Neumark).
152. - B ras oh, prakt. Arzt in Wannsee bei Berlin, staatsärztl. approb.
153. - Dalichow, prakt. Arzt in Neudamm, staatsärztl. approb.
Mitgliederverzeiohnis.
129
164 Dr.
166. -
166. -
167. -
168. -
169. -
160. -
161. -
162. -
168. -
164. -
166. -
166. -
167. -
168. -
169. -
170. -
171. -
172. -
178. -
174. -
176. -
176. -
177. -
17a -
179. -
180. -
181. -
182. -
183. -
184 -
186. -
186. -
187. -
188. -
189. -
190. -
191. -
192. -
193. -
194. -
196. -
196. -
Friedrioh, Kreisarzt u. Med.-Rat in Landsberg a./W.
Gebauer, prakt. Arzt in Wittenberge, staatsärztl. approb.
Geissler, Kreisarzt in Friedeberg (Neumark).
Gottsohalk, Kreisarzt u. Med.-Rat in Rathenow.
Gottsohalk, Kreisarzt in Kalau.
Grossmann, Kreisarzt u. Med.-Rat in Freienwalde a./O.
Grape, prakt. Arzt in Bärwalde, staatsärztl. approb.
Günther, Kreisarzt in Krossen.
Hafemann, Kreisarzt in Luokau.
Herya, Kreisarzt a. D. u. Med.-Rat in Buokow.
Hopf, Anstaltsarzt a. d. Provinzial - Anstalt für Epileptische
in Potsdam, staatsärztl. approb.
Howe, prakt. Arzt in Luokau, staatsärztl. approb.
Jaenioke, Kreisarzt u. Med.-Rat in Spandau.
Jörioh, prakt. Arzt in Lttbben, staatsärztl. approb.
Jung mann, Kreisarzt u. Med.-Rat in Guben.
Keller, prakt. Arzt in Fürstenwerder (Uckermark), staatsärztl.
approb.
König, Kreisarzt in Soldin.
Kr ahn, prakt. Ärztin Landsberg a. W., staatsärztl. approb.
Kuhnt, Kreisarzt u. Med.-Rat in Beeskow.
Lähr, G., San.-Rat, 2. Arzt der Irrenanstalt Schweizerhof bei
Zehlendorf, staatsärztl. approb.
Leopold, leitender Arzt an der Heilstätte Blankenfelde bei
Berlin, staatsärztl. approb.
Löwenthal, prakt Arzt in Steglitz b. Berlin, staatsärztl. approb.
Lummerzheim, prakt. Ärztin Forst i. L., staatsärztl. approb.
Maass, Spezialarzt für Chirurgie in Landsberg a./W., staatsärztl.
approb.
Ma ire, prakt Arzt in Fürstenberg a./0., staatsärztl. approb.
Meyen, Kreisarzt und Hülfsarbeiter bei der Königl. Regierung
in Potsdam.
Meyer, W., Kreisassistenzarzt in Potsdam.
Meyer, H., kommiss. Kreisarzt in Belzig.
Nickel, Kreisarzt in Perleberg.
Pape, Kreisphysikus a. D. in Sohöneberg b. Berlin.
Pas s au er, Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat in Potsdam.
Pflanz, prakt. Arzt in Adlershof bei Berlin, staatsärztl. approl».
Podlewski, Kreiswundarzt z. D. in Oderberg (Mark).
Prawitz, Kreisarzt u. Med.-Rat in Brandenburg.
Priester, Kreisarzt u. Med.-Rat in Zielenzig.
Rosenow, prakt. Arzt in Eberswalde, staatsärztl. approb.
Rosenthal, prakt. Arzt in Tegel, staatsärztl. approb.
Roth, Regierungs- und Geh. Med.-Rat in Potsdam.
Rüdlin, kommiss. Kreiswundarzt z. D. in Triebei.
Sander, Geh. Med.-Rat u. Direktor der städtischen Irren¬
anstalt in Dalldorf.
Sohäfer, Kreisarzt u. Med.-Rat in Frankfurt a./O.
Sohäfer, Kreisarzt in Sorau.
Schichhold, Kreisassistenzarzt in Potsdam.
9
130 Mitgliederverzeiohnis.
197. Dr. Schim'mel, prakt. Arzt in Straussberg b. Berlin, staatsärztl.
approb.
198. - Sohlüter, Kreisarzt u. Med.-Rat in Arnswalde.
199. - Sohneider, Kreisarzt in Prenzlau.
200. - Schultz-Schultzenstein, Eireisarzt in Belzig.
201. - Schweitzer, prakt. Arzt in Teltow, staatsärztl. approb.
202. - Seeg er, Kreisarzt in Lllbben.
203. - Siehe, Kreisarzt u. Med.-Rat in Ztlllichau.
204. - S p 1 i e d t, Arzt an der Prov.-Heil- u. Pflegeanstalt in Eberswalde
staatsärztl. approb.
206. - Steffen, prakt. Arzt in Spremberg, staatsärztl. approb.
206. - Struntz, Kreisarzt u. Med.-Rat in Jttterbogk.
207. - Voigt, Kreisarzt in Templin.
208. - Wiedemann, Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat in Neu-Ruppin.
209. - Wiedner, Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat in Kottbus.
210. - Wiese, Kreisarzt u. Med.-Rat in Spremberg.
211. - Winzerling, prakt. Arzt in Calau, staatsärztl. approb.
Provinz Pommern.
212. Dr. Andrae, prakt. Arzt in Köslin, staatsärztl. approb.
213. - Behla, Reg.- und Geh. Med.-Rat in Stralsund.
*214. - Bohrend, Kreisarzt u. Med.-Rat in Kolberg.
216. - Beumer, Kreisarzt, Med.-Rat u. Professor in Greifswald.
216. - Birkholz, Kreisarzt in Stolp.
217. - BUtow, Kreisarzt u. Med.-Rat in Stargard.
218. - Burmeister, Eireisassistenzarzt in Stralsund.
219. - de Camp, Eireiswundarzt a. D. u. San.-Rat in Lauenburg,
staatsärztl. approb.
220. - Dieterioh, Kreisarzt u. Med.-Rat in Demmin.
221. - Ebhardt, Kreisarzt in Lauenburg i. P.
*222. - Frank, prakt. Arzt in Bergen, staatsärztl. approb.
223. - Frey er, Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat in Naugard.
224. - Frey er, Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat; Direktor der Königlichen
Anstalt zur Gewinnung tierisohen Impfstoffs in Stettin.
226. - Gast er s, Kreisarzt in Ueokermttnde.
226. - Gerloff, Kreisarzt in Labes.
227. - Gutkneoht, Kreisarzt in Belgard (Pergante).
228. - Hassenstein, Kreisarzt in Greifenberg.
229. - Howitz, prakt. Arzt in Dramburg, staatsärztl. approb.
230. - Hillsmeyer, Kreisarzt in BUtow.
231. - Kindt, prakt. Arzt in Greifswald, staatsärztl. approb.
232. - Kypke-Burchardi, Eireisassistenzarzt in Köslin.
233. - Landgrebe, Eireisarzt in Neustettin.
234. - Lemke, Kreisarzt u. Med.-Rat in Grimmen.
236. - Lewerenz, Kreisassistenzarzt in Stettin.
236. - Lew in, prakt. Arzt in Neustettin, staatsärztl. approb.
237. - Märklin, Direktor der Provinzial-Irrenanstalt in Treptow
a./Rega.
238. - Manke, Kreisarzt in Schlawe.
Mitgliederverzeiohnia.
181
299. Dr. Margulies, prakt. Arzt in Kolberg, staatsärztl. approb.
240. - Massmann, Kreisarzt u. Med.-Rat in Dramburg.
241. - Meinhardt, Kreisarzt u. Med.-Rat in Anklam.
242. - Mennioke, Kreiswundarzt a. D. in Grimmen.
243. - Müller, prakt. Arzt in Btitow, staatsärztl. approb.
244. - v. Münohow, Kreisarzt u. Med.-Rat in Swinemünde.
246. - Neumeister, Med.-Rat u. ehirur. Medizinalassessor bei dem
Prov.-Medizinalkollegium in Stettin.
246. - Ohrloff, prakt. Arzt in Wolgast, staatsärztl. approb.
247. - Palleske, prakt. Arzt in Loitz, staatsärztl. approb.
248. - Peters, Kreisarzt in Bublitz.
249. - Pogge, Kreisarzt und Med.-Rat in Stralsund.
250. - Rathmann, Kreisarzt in Greifenhagen.
251. - Räuber, Regierungs- u. Med.-Rat in Köslin.
252. - Sa oh s, prakt Arzt in Pollnow, staatsärztl. approb.
253. - Sarganeok, Kreisarzt in Köslin.
254. - Sohlütter, Kreisarzt u. Med.-Rat in Pyritz.
255. - Sohmidt, prakt. Arzt in Neustettin, staatsärztl. approb.
256. - Sobröder, prakt. Arzt in Pasewalk, staatsärztl approb.
257. • Sohulze-Barnim, Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat in Stettin.
258. - Sohultze, Professor u. Direktor der psyohiatrisohen KHnik in
Greifswald.
259. - Sohwerdtfeger, prakt. Arzt in Sohievelbein, staatsärztl.
approb.
260. - Settegast, Kreisarzt u. Med.-Rat in Bergen auf Rügen.
261. - Siemens, Direktor der Provinzial-Irrenanstalt und Geh. Me¬
dizinalrat in Lauenburg.
262. - Vanselow, Regierungs- u. Med.-Rat in Stettin.
263. - Voigt, Kreisarzt u. Med.-Rat in Kammin.
264. - Wanke, Kreisarzt in Rummelsburg.
265. - Zibell, prakt. Arzt in Greifswald, staatsärztl. approb.
Provinz Posen.
266. Dr. v. Alkiewioz, prakt. Arzt in Pudewitz, staatsärztl. approb.
267. - Bekker, Kreisarzt in Wongrowitz.
268. - Bio oh, prakt. Arzt in Janowitz, staatsärztl. approb.
•269. - v. Blomberg, Freiherr, Oberarzt an der Provinzial - Irren,
anstalt Dziekanka bei Gnesen, staatsärztl. approb.
270. - Brinkmann, Kreisarzt u. Med.-Rat in Wollstein.
271. - Brüggemann, Kreisarzt u. Med.-Rat in Bromberg.
272. - Buddee, Kreisarzt in Neutomischel.
273. - Cohn, Kreisarzt u. Med.-Rat in Jarotsohin.
274. - Clausa, Eireisarzt in Posen.
275. - Dembozaok, Kreisarzt u. Med.-Rat in Krotoschin.
276. - Doersohlag, Kreisarzt in Strelno.
277. - Friedrioh, Kreisarzt in Sohubin.
278. - Gebhardt, Kreisarzt u. Med.-Rat in Fraustadt.
279. - Haaok, Kreisarzt in Gnesen.
y*
132
Mitgliederverzeiohnis.
280. Dr. Hartisoh, Kreisarzt in Gostyn.
281. - Heinze, prakt. Arzt in Sohlehen, staatsärztl. approb.
282. - Herrmann, Kreisarzt in Obornik.
283. - Holz, Kreisarzt u. Med.-Rat in Bromberg.
284. - Jäokel, Kreisarzt in Samter.
286. - Jaster, Regierungs- u. Med.-Rat in Bromberg.
286. - Kleinert, Kreisarzt u. Med.-Rat in Ra witsch.
287. - Ko so hei, Kreisarzt in Filehne.
288. - Krause, prakt. Arzt in Unruhstadt, staatsärztl. approb.
289. - Kunau, Geh. Med.-Rat in Posen.
290. - Lange, prakt. Arzt in Sohneidemtlhl, staatsärztl. approb.
291. - Lasohke, Kreisarzt in Sohroda.
292. - Lehmann, Kreisarzt u. Med.-Rat in Posen.
293. - Lehmann, Kreisarzt in Sohmiegel.
294. - Lissner, Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat in Kosten.
295. - Miohaelsobn, Kreisarzt u. Med.-Rat in Wresohen.
296. - Panidnski, Kreisarzt a. D. u. MecL-Rat in Posen.
297. - Paulisoh, Kreisarzt in Hohensalza.
298. - Peyser, prakt. Arzt in Posen, staatsärztl. approb.
299. - Pieoonka, Kreisarzt in Znin.
300. - Pilf, Kreisassistenzarzt a. D. in Sohokken.
301. - Plot he, Kreisarzt in Plesohen.
302. - Rieok, Kreisarzt in Kempen.
303. - Rogowski, Eireisarzt in Meseritz.
304. - Rubensohn, Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat in Graetz.
306. - Salzwedel, Kreisarzt in Witkowo.
306. - Sandhop, Kreisarzt in Kosohmin.
307. - Sauberzweig, Kreisarzt in Wirsitz.
308. - So he 11 in, Kreiswundarzt z. D. in Hohensalza.
309. - Sohlag, Kreisarzt in Ostrowo.
310. - Sohmidt, Regierungs- u. Med.-Rat in Posen.
311. - Sohmidt, Kreisassistenzarzt in Sohokken.
312. - Sikorski, Kreisarzt u. Med.-Rat in Sohildberg.
313. - Steiner, Kreisarzt in Czamikau.
814. - Straube, Kreisarzt in Sohwerin a./W.
315. - Telsohow, Kreisarzt in Sohrimm.
316. - Trog er, Kreisarzt in Adelnau.
317. - Wege, Kreisarzt in Mogilno.
318. - Wegner, Kreisarzt u. Med.-Rat in Lissa.
319. - Wernioke, Med.-Rat, Prorektor der Akademie, Prof, und
Direktor des hygienischen Instituts in Posen.
320. - Winckler,HI .Arzt an der Provinzial - Irrenanstalt in Owin&k.
staatsärztl. approb.
321. - Witting, Kreisarzt in Kolmar.
Provinz Schlesien.
322. - Adam, Oberarzt in Kreuzburg, staatsärztl. approb.
323. - Adler, Kreisarzt a. D. u. Geh. Med.-Rat in Brieg.
324. - Beninde, Kreisassistenzarzt in Carolath.
Mitglied erverzeiohnis.
133
326. Dr. Bergmann, prakt.Ärztin Neumarkti.Sohl., staatsärztl.approb.
326. - Bleioh, Kreisarzt in Steinau a./0.
327. - Blumenreioh, prakt Arzt in Sohrau (Ob.-Sohl.), staatsärztl.
approb.
328. - Bohm, Kreisarzt in Strehlen.
329. - Boretius, Kreisarzt in Rybnick.
330. - Boss, Kreiswundarzt z. D. in Falkenberg (Ob.-Sohl.).
331. - Brieger, prakt. Arzt in Cosel, staatsärztl. approb.
332. - Br oll, Kreisarzt u. Med.-Rat in Pless.
333. - Cimbal, Kreisarzt u. Med.-Rat in Neisse.
334. - Coester, Kreisarzt u. Med.-Rat in Bunzlau.
335. - Denkmann, Kreisarzt in Grottkau.
336. - Dirska, Kreisarzt u. Med.-Rat in Namslau.
337. - Du da, Kreisarzt in Nimptsoh.
338. - Dybowski, Kreisarzt u. Med.-Rat Mn Waldenburg i. Sohl.
839. - Ebeling, prakt. Arzt in Dittmannsdorf, staatsärztl. approb.
340. - Erbkam, Kreisarzt u. Med.-Rat in Jauer.
341. - Erdner, Kreisarzt u. Med-Rat in Görlitz.
342. - Färber, Kreisarzt a. D. u. Geh. Med.-Rat in Kattowitz.
343. - Feige, Kreisarzt in Hoyerswerda.
344. - Finger, Kreisarzt u. Med.-Rat in Mttnsterberg.
345. - Platten, Kreisarzt u. Med.-Rat u. mediz. Hilfsarbeiter bei der
Königlichen Regierung in Oppeln.
346. - Flügge. Geh. Med.-Rat, Professor u. Direktor des hygienisohen
Instituts in Breslau.
347. - Frey, Kreisassistenzarzt in Beuthen.
348. - Friedländer, Kreisarzt a. D. u. Geh. Med.-Rat in Lublinitz.
349. - Furoh, Kreisarzt in Gross-Wartenberg.
350. - Gorke, Kreisarzt in Frankenstein.
351. - Hassenstein, Kreisarzt u. Med.-Rat in Sagan.
352. - Hausohild, Kreisarzt u. Med.-Rat in Breslau.
353. - Heidelberg, Kreisarzt u. Med.-Rat in Reiohenbaoh.
354. - Herfarth, prakt. Arzt in Glogau, staatsärztl. approb.
355. - Hirsohfeld, Kreisarzt u. Med.-Rat in Glogau.
356. - Hoppe, Kreisarzt u. Med.-Rat in Gleiwitz.
367. - Horn, Kreisarzt u. Med.-Rat in Löwenberg.
358. - Jaoobi, Prof., Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat in Breslau.
359. - Keintooh, prakt. Arzt in Myslowitz, staatsärztl. approb.
360. - Klewe, Stabsarzt a. D. in Naumburg a/.Queis, staatsärztl. approb.
361. - Kley, Kreisarzt in Lublinitz.
362. - Klingmüller, prakt. Arzt in Strehlen, staatsärztl. approb.
363. - Klose, Kreisarzt u. Med.-Rat, Direktor der Königlichen Anstalt
zur Gewinnung tierischen Impfstoffs in Oppeln.
364. - Köhler, Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat in Landeshut.
365. - Kornfeld, Gerichtsarzt u. Geh. Med.-Rat in Gleiwitz.
366. - Krao au er, prakt. Arzt in Altwasser, staatsärztl. approb.
367. - Krau, Kreisarzt u. Med.-Rat in Sohweidnitz.
368. - Kühn, Kreisarzt in Ratibor.
*369. - Laohmann, Kreisarzt in Oels.
370. - Langner, prakt. Arzt in Frankenstein, staatsärztl. approb.
184
Mitgliederverzeiohnis.
371.
Dr.
372.
-
373.
-
874.
-
87B.
-
376.
•
877.
-
378.
-
379.
-
380.
-
381.
-
382.
-
383.
-
384.
-
386.
-
386.
-
387.
-
388.
-
♦389.
-
390.
-
391.
-
392.
-
393.
-
394.
-
396.
-
396.
•
397.
-
♦398.
-
399.
-
400.
-
401.
-
402.
-
403.
-
404.
.
406.
-
406.
-
407.
-
408.
-
409.
-
410.
-
411.
-
♦412.
-
413.
-
414.
-
416.
-
416.
-
417.
-
418.
-
la Roche, Kreisarzt u. Med.-Rat in Beuthen (Ob.-Schl.).
Leder, Kreisarzt u. Med.-Rat in Lauban.
Leske, Kreisarzt in Liegnitz.
Lesser, Geriohtsarzt und Professor in Breslau.
Lewald, Besitzer der Privat-Irrenanstalt in Obernigk bei
Breslau, staatsärzsL approb.
Liohtwitz, Kreisarzt u. Med.-Rat in Ohlau.
Ludwig, Kreisarzt u. Med.-Rat in Habelsohwerdt.
Lustig, Kreisarzt in Grünberg.
Mäder, Kreisarzt in Neumarkt.
Malis oh, prakt. Arzt in Deutsch - Krawam, staatsärztl. approb.
Matth es, Kreisarzt u. Med.-Rat in Breslau.
Men de, prakt. Arzt in Gottesberg, staatsärztl. approb.
Mewius, Kreisarzt u. Med.-Rat in Neustadt (Ob.-Schl.).
Mühlenbaoh, Kreisarzt in Wohlau.
Nauwerok, Kreisarzt u. Med.-Rat in Guhrau.
N e b 1 e r, Kreisarzt in Glatz.
Neumann, Kreisarzt in Leobsohütz.
Neu mann, Kreisphysikus z. D. u. Geh. San.-Rat in Glogau.
Oebbeoke, Stadtarzt in Breslau.
Ostermann, prakt. Arzt in Gremsdorf, staatsärztl. approb.
Otto, Kreisarzt u. Med.-Rat in Neurode.
Paulini, Kreisarzt u. Med.-Rat in Militsoh.
Philipp, Geh. Med.-Rat in Liegnitz.
Pietrulla, San.-Rat in Strehlen, staatsärztl. approb.
Reimer, Stadtarzt in Görlitz.
Reinkober, Kreisarzt u. Med.-Rat in Trebnitz.
Repetzki, Kreiswundarzt z. D. u. San.-Rat in Gleiwitz.
Rieger, Kreisarzt in Brieg.
Rinke, Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat in Tarnowitz.
Rot her, Kreisarzt u. Med.-Rat in Falkenberg.
Sohilling, Kreisarzt in Freistadt.
Sohmidt, Regierungs- u. Geh. Med.-Rat in Liegnitz.
Sohneider, Kreisarzt u. Hilfsarbeiter bei der Königl. Regierung
in Breslau.
Soholtz, Kreisarzt in Goldberg.
So holz, prakt. Arzt in Görlitz, staatsärztl. approb.
Sohreber, Kreisassistenzarzt in Liegnitz.
Sohr öder, Kreisarzt in Sprottau.
Sohröder, Kreisarzt u. Med.-Rat in Kattowitz.
Sohubert, prakt. Arzt in Sohweidnitz, staatsärztl. approb.
Sie gl, Kreiswundarzt a. D. in Rybniok.
Skrzeozek, Kreiswundarzt a. D. in Orzesohe.
Steinberg, Kreisarzt in Hirsohberg.
Steiner, Kreisarzt in Rosenberg (Ob.-Sohl.).
Stern, Med.-Rat u. Gerichtsarzt in Breslau.
SUssmann, Knappschaftsarzt in Petrzkowitz, staatsärztl. approb.
Talke, prakt. Arzt in Rothenburg (Ob.-Laus.), staatsärztl. approb.
Telke, Regierungs- u. Med.-Rat in Breslau.
Thienel, Kreisarzt in Gross-Strehlitz.
Mitgliederverzeiohnis.
136
419. Dr. Tom alle, Kreisassistenzarzt in Waldenburg.
420. - To o küss, prakt. Ärztin Kreuzberg (Ob.-Sohl.), staatsärztl. approb.
421. - Traoinski, Kreisarzt u. Med.-Rat in Zabrze.
422. - Wagen er, 0., Kreisarzt in Rothenburg (Ober/Lausitz).
423. - Wagner, Gerichtsarzt in Beuthen (Ob.-Sohl.).
424. - Weozereok, Kreisarzt in Kreuzburg (Ob.-Sohl.).
426. - Woda, prakt. Arzt in Pitsohen, staatsärztl. approb.
426. - Wolff, Kreisarzt u. Med.-Rat in Kosel.
427. - Wolffberg, Kreisarzt u. Med.-Rat in Breslau.
428. - Zelle, Kreisarzt in Lilben*
Provinz Sachsen.
429. Dr. Brill, Kreiswundarzt z. D. in Magdeburg.
430. - v. Buohka, Oberarzt an der Provinzial-Irrenanstalt in Alt-
Soherbitz, staatsärztl. approb.
431. - Bundt, Kreisarzt in Querfurt.
482. - Busolt, Kreisarzt u. Med.-Rat in Delitzsoh.
433. - Buttenberg, prakt. Arzt in Magdeburg, staatsärztl. approb.
434. - Curtius, Kreisarzt in Grosskamsdorf.
436. - Dahlmann, Med.-Rat u. Direktor der Provinzial - Hebammen-
Lehranstalt in Magdeburg.
436. - Deneke, Regierungs- u. Med.-Rat in Magdeburg.
•437. - DUtsohke, Reg.- u. Med.-Rat in Erfurt.
438. - Eilers, Kreisarzt in Sohleusingen.
439. - Fielitz, Kreisarzt und Geh. Med.-Rat in Halle a. S.
440. - Fränkel, Geh. Med.-Rat,Professor u. Direktor des hygienischen
Instituts in Halle a./S.
441. - Friedel, Kreisarzt in Wernigerode.
442. - Fries, Geh. San.-Rat und Direktor der Prov.-Irrenanstalt in
Nietleben b. Halle a./S.
443. - Geissler, Kreisarzt u. Med.-Rat in Torgau.
444. - Gundlaoh, Kreisassistenzarzt in Magdeburg.
446. - Häbler, Kreisarzt u. Med.-Rat in Nordhausen.
446. - Hauoh, Kreisarzt u. Med.-Rat in Eisleben.
447. - Herr mann, Kreisarzt in Bitterfeld.
448. - Her ms, Kreisarzt u. Med.-Rat in Burg bei Magdeburg.
'449. - Heydloff, Kreisarzt u. Med.-Rat in Erfurt
460. - Hildebrandt, Privatdozent für Pharmakologie und gerichtl.
Medizin in Halle a. S.
461. • Hirsoh, Geh. Med.-Rat in Magdeburg.
462. - Holthoff, Kreisarzt in Salzwedel.
463. • Hoppe, Oberarzt an der Provinzial-Heil- u. Pflegeanstalt in
Uohtspringe, staatsärztl. approb.
464. - v. Ingersleben, Kreisarzt in Oschersleben.
465. - Janert, Kreisarzt u. Med.-Rat in Seehausen i. Altmark.
466. - Kalkoff, Kreisarzt u. Med.-Rat in Kölleda.
467. - Keferstein, Gerichtsarzt in Magdeburg.
458. - Keller, Frauenarzt in Halle a./S., staatsärztl. aqprob.
469. - Kluge, Kreisarzt in Wolmirstedt.
136
Mitgliederverzeiohnis.
460. Dr. Koppen, Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat in Heiligenstadt.
461. - Kornalewski, Kreisarzt u. Med.-Rat in Naumburg a./S.
462. - Kühn, Kreisarzt u. Med.-Rat in Kalbe a./S.
468. - Laudowioz, Kreisarzt in Worbis.
*464. - Martini, Kreisarzt in Langensalza.
465. - Meye, Kreisarzt u. Med.-Rat in Mansfeld.
466. - Montag, prakt. Arzt in Elsterwerda, staatsärztl. approb.
467. - Moritz, Kreisarzt u. Med.-Rat in Halberstadt.
468. - Müller, Kreisarzt in Herzberg a. d. Elster.
469. - Müller, prakt. Arzt in Sehleusingen, staatsärztl. approb.
470. - Pantzer, Kreisarzt in Sangerhausen.
471. - Penkert, Assistenzarzt an der Universitäts-Klinik für innere
Krankheiten in Halle a. S., staatsärztl. approb.
472. - Pfeffer, Kreisarzt in Genthin.
473. - PI an ge, Kreisarzt u. Med.-Rat in Stendal.
474. - Probst, Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat in Gardelegen.
475. - Reip, Kreisphysikus a. D. u. San.-Rat in Arendsee.
476. - Ri sei, Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat, Direktor der KönigL Anstalt
zur Gewinnung tierisohen Impfstoffs in Halle a./S.
477. - Rothmaler, prakt. Arzt in Gerbstedt, staatsärztl. approb.
478. - Schade, Kreisarzt in Neuhaldensleben.
479. - Sohaffranek, Kreisarzt u. Med.-Rat in Zeitz.
480. - Sohmiele, Kreisarzt a. D. u. Med.-Rat in Weissenfels.
481. - Sohmidt, prakt. Arzt in Weissenfels, staatsärztl. approb.
482. - Sohneider, Kreisarzt u. Med.-Rat in Merseburg.
488. - Sohröder, Kreisarzt in Weissenfels.
484. - Sohulze, prakt. Arzt in Liebenwerda, staatsärztl. approb.
485. - Seiffert, Kreisarzt in Mülhausen in Th.
486. - Steinkopff, Kreisarzt in Liebenwerda.
487. - Strassner, Kreis- u. Stadtarzt u. Med.-Rat in Magdeburg.
488. - Strübe, San.-Rat u. Kreiswundarzt z. D. in Halle a./S.
489. - Thilow, Kreisarzt in Wanzleben.
490. - Waoh b, Kreisarzt in Wittenberg.
491. - Weidenmüller, zweiter Arzt a. Landesasyl in Jeriohow,
staatsärztl. approb.
492. - Weinreich, prakt. Arzt in Heiligenstadt, staatsärztl. approb.
493. - Wodtke, Regierungs- u. Med.-Rat in Merseburg.
494. - Ziemke, a. o. Professorder geriohtl. Medizin u. Geriohteaizt in
Halle a./S.
Prorins Schleswig • Holstein*
495. Dr. Assmussen, Kreisarzt u. Med.-Rat in Rendsburg.
496. - Bahrs, Kreisarzt in Sonderburg.
497. - Bartels, Kreisarzt in Husum.
498. - Bertheau, Regierungs- und Med.-Rat in Sohleswig.
499. - Bookendahl, Kreisarzt u. Med.-Rat in Kiel.
500. - Bruhn, Kreisarzt in Segeberg.
501. - Gold, Kreisarzt u. Med.-Rat in Meldorf.
502. - von Fisoher-Benzon, Kreisarzt u. Med.-Rat in Flensburg.
Mitgliederverzeiohnis.
137
503. Dr.
504. -
505. -
506. -
507. -
508. -
509. -
510. -
511. -
512. -
513. -
514 -
515. -
516. -
617. -
518. -
519. -
520. -
*521. -
522. -
523. -
524. -
525. -
526. -
627. -
528. -
629. -
630. -
531. Dr.
532. -
533. -
634 -
635. -
636. -
537. -
638. -
539. -
540. -
541. -
542. -
543. -
544. -
545. -
546. -
Halling, Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat in Glückstadt.
Hansen, Kreisarzt u. Med.-Rat in Hadersleben.
Hillenberg, Kreisassistenzarzt in Oldesloe.
Horn, Kreisarzt u. Med.-Rat in Tondern.
Hunnius, Kreisarzt u. Med.-Rat in Wandsbek.
Jahn, Kreisphysikus z. D. in Kappeln a./Schlei.
Knuth, Kreisarzt in Alpenrade.
Kramer, prakt. Arzt in Schleswig, staatsärztl. approb.
Krefting, Kreisarzt in Plön.
Krosz, prakt. Arzt in Horst, staatsärztl. approb.
Lübbe, prakt Arzt in Wüster, staatsärztl. approb.
Neid har dt, Geriohtsarzt in Altona.
Paulssen, Jens, prakt Arzt in Elllerbeck, staatsärztl. approb.
Reimann, Kreisarzt in Neumünster.
Rohwedder, Kreisarzt in Ratzeburg.
Sohlieben, Kreisassistenzarzt in Schleswig.
Schmidt-Petersen, Kreisphysikus z. D. in Bredstedt
Sohow jun., Kreisarzt in Neustadt
Sohröder, Stadtarzt in Altona.
S oh Ul er, prakt. Arzt in Reinfeld, staatsärztl. approb.
Sohütt, Kreisarzt in Eokernförde.
Sohultz, Kreisassistenzarzt in Niebüll.
Siok, prakt. Arzt in Oldesloe, staatsärztl. approb.
Suadioani, Kreisarzt u. Med.-Rat in Schleswig.
Walliohs, Kreisphysikus z. D. u. Geh. San.-Rat in Altona.
Wenok, Kreisarzt u. Med-Rat in Pinneberg.
Wolff, prakt Arzt in Schleswig, staatsärztl. approb.
Zappe, Direktor der Provinzial-Idiotenanstalt in Schleswig.
Provinz Hannover.
Andr 6e, Kreisarzt u. Med.-Rat in Linden.
Arbeit, Regierungs- u. Med.-Rat in Hüdesheim.
Baohmann, Kreisarzt in Harburg.
Barth, Kreisarzt in Bassum.
Beoker, Geh. Med.-Rat in Hannover.
Becker, Kreisarzt in Hüdesheim.
Behrens, prakt Arzt in Hildesheim, staatsärztl. approb.
Berger, Kreisarzt u. Direktor der Königl. Anstalt zur
Gewinnung tierisohen Impfstoffs in Hannover.
Bitter, Stadtarzt in Osnabrück.
v. Bönninghausen, prakt. Arzt in Glandorf, staatsärztl. approb.
Brandt, Kreisarzt in Lüchow.
Brummund, Kreisarzt in Stade.
Buohholtz, Kreisarzt in Einbeok.
Büntin g, Kreisarzt in Stolzenau.
Gramer, Prof. u. Direktor der Prov.-Heil- u. Pflegeanstalt, der
psyohiatr. Universitäts-Klinik u. der Poliklinik für psyoh. und
Nervenkranke in Göttingen.
Dempwolff, Kreisphysikus z. D. u. Geh. San.-Rat in Har¬
burg a. d. Elbe.
188
Mitgliederverzeiohnis.
547. Dr. Dieokmann, prakt. in SohUttorf, staatsärztl. approb.
548. - Dreves, Kreisarzt in Walsrode.
549. - Eiohhorst, Kreiswundarzt z. D. in Ottersberg.
550- - Ehrhorn, prakt. Arzt in Hannover-Herrenhausen, staatsärztl.
approb.
551. - Elsaesser, prakt. Arzt in Hannover, staatsärztl. approb.
552. - Elten, Kreisarzt in Freiburg a. E.
558. - v. Esmaroh, Professor u. Direktor des hygienischen Instituts
in Göttingen.
554. - Finger, Reg.- und Med.-Rat in Stade.
555. - Freoh, Kreisassistenzarzt in Hannover.
556. - Gaehde, Kreisarzt u. Med.-Rat in Blumenthal.
557. - Gerlaoh, Kreisarzt in Niedersachswerfen.
558. - Grisar, Regierungs- u. Geh. Med.-Rat in Osnabrück.
569. - Grote, prakt. Arzt in Vienenburg, staatsärztl. approb.
560. - Guertler, Regierungs- u. Geh. Med.-Rat in Hannover.
561. - Guttmann, Kreisassistenzarzt in Otterndorf.
562. - Halle, Kreisarzt u. Med.-Rat in Burgdorf bei Hannover.
563. - Heilmann, Kreisarzt u. Med.-Rat in Melle.
564. - Hel wes, Kreisarzt in Diepholz.
565. - Hesse, Kreisarzt u. Med.-Rat in Lüneburg.
566. - Hoohe, Kreisarzt in Geestemünde.
567. - Holling, Kreisarzt u. Med.-Rat in Soegel.
568. - Hüpeden, Geh. Med.-Rat in Hannover.
569. - Huntemueller, Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat in Hoya.
570. - Itzerott, Kreisarzt in Uelzen.
571. - Kanzler, San.-Rat u. Badearzt in Rothenfelde, staatsärztl. approb.
572. - Kessler, Kreiswundarzt z. D. u. San.-Rat in Salzgitter.
573. - Köhler, prakt. Arzt in Winsen a. d. Luhe, staatsärztl. approb.
574. - Kreoke, prakt. Arzt in Bersenbrück, staatsärztl. approb.
575. - Kuhlmey, prakt. Arzt in Bergen a. d. Dumme, staatsärztl. approb.
576. - Langerhans, Kreisarzt, Med.-Rat u. Direktor der Hebammen¬
lehranstalt in Celle.
577. - Lemke, prakt. Arzt in Springe, staatsärztl. approb.
578. • Lemmer, Kreisarzt u. Med.-Rat in Alfeld a. L.
579. - Lotze, Kreisarzt u. Med.-Rat in Osterode a./H.
580. - Mansholt, Kreisarzt in Leer.
581. - von Meurers, Kreisarzt u. Med.-Rat in Wilhelmshaven.
582. - Meyer, Kreisarzt u. Med.-Rat in Dannenberg.
583. - Meyer, Kreisarzt in Gifhorn.
584. - Müller, Kreisarzt in Rotenburg.
585. - Müller, Kreisarzt in Northeim.
586. • Müller, prakt. Arzt in Gross-Rhüden, staatsärztl. approb.
587. - Neuhaus, Stabs- u. Bataillonsarzt in Göttingen, staatsärztl.
approb.
588. - Niep er, Kreisarzt u. Med.-Rat in Goslar.
589. - Niewerth, prakt. Arzt in Hildesheim, staatsärztl. approb.
590. - Nothnagel, Kreisarzt in Lehe, Oberstabsarzt a. D.
591. - Nöller, Regierungs- u. Geh. Med.-Rat in Lüneburg.
592. - Ocker, Kreisarzt in Verden.
Mitgliederverzeiohnis.
139
698. Dr. Offenberg, Kreisarzt u. Med.-Rat in Osnabrüok.
594. - Oliv et, prakt. Arzt in Northeim, staatsärztl. approb.
595. - Petermöller, Kreisarzt in Meppen.
596. - Picht, Kreisarzt u. Med.-Rat in Nienburg a. W.
597. - Plinke, Kreisarzt in Hannover.
598. - Proelss, Kreisassistenzarzt in Bremervörde.
599. • Quentin, Kreisarzt in Bentheim.
600. - Reinhold, Prof. u. Medizinalassessor in Hannover.
601. - Richter, Kreisarzt, Med.-Rat u. Stabsarzt a. D. in Peine.
602. - Riehn, Kreisarzt u. Med.-Rat in Klausthal i. Harz.
603. - Rump, Kreisarzt u. Med.-Rat in Osnabrüok.
604. - Sährendt, Kreisarzt in Zeven.
605. - Sohmalfuss, Med.-Rat in Hannover.
606. - Sohnelle, Kreisarzt u. Med.-Rat in Hildesheim.
607. - Sohrader, Anstaltsarzt in Moringen, staatsärztl. approb.
608. - Sohulte, Kreisarzt u. Med.-Rat in Hannov. Münden.
609. - Sohwabe, Geriohtsarzt in Hannover.
610. - Seelig, prakt. Arzt in Hannover, staatsärztl. approb.
611. - Siemon, prakt. Arzt in Hannov. Münden, staatsärztl. approb.
612. - Sonntag, prakt. Arzt in Uelzen, staatsärztl. approb.
613. - Staokemann, Chefarzt der Anstalt für Epileptiker in Roten¬
burg, staatsärztl. approb.
614. - Steinebaoh, Kreisarzt u. Med.-Rat in Hameln.
*615. - Stolper, ausserordentl. Professor und Kreisarzt in Göttingen.
616. - Strangmeyer, Kreisarzt in Quakenbrüok.
617. - Stuoke, prakt. Arzt in Bramsohe, staatsärztl. approb.
618. - Tergast, Kreisarzt u. Med.-Rat in Emden.
619. - Th ölen, Kreisarzt u. Med.-Rat in Papenburg.
620. - Wagner, Kreisarzt in Aurioh.
621. - Wegener, prakt. Arzt in Zellerfeld, staatsärztl. approb.
622. - Weithöner, prakt. Arzt in Buer, staatsärztl. approb.
623. - Westrum, Eireisarzt in Springe.
624. - Wieohers, Kreisphysikus z. D. und San.-Rat in Gronau.
625. - Winter, Eireisarzt in Norden.
Provinz Westfalen.
626. Dr.-Benthaus, Kreisarzt u. Med.-Rat in Paderborn.
627. - Besserer, Kreisassistenzarzt in Münster i./W.
628. - Biokhoff, prakt. Arzt in Dortmund, staatsärztl. approb.
629. - Bliesener, Kreisarzt in Gelsenkirchen.
630. - Bookeloh, Kreisarzt u. Med.-Rat in Lüdinghausen.
631. - Boegershausen, Kreisassistenzarzt in Reoklinghausen.
632. - Br an dis, prakt. Arzt in Bielefeld, staatsärztl. approb.
633. - Brümmer, Med.-Rat in Münster.
634. - Claus, Kreisarzt u. Med.-Rat in Warburg.
636. - Conrads, prakt. Arzt in Borken, staatsärztl. approb.
636. - Cordes, Kreiswundarzt z. D. in Dorsten.
637. -* Deutsoh, prakt. Arzt in Neuhaus, staatsärztl. approb.
140
Mitgliederverzeiohnis.
638. Dr. Deutsohländer, prakt. Arzt in Ueokendorf, staatsärztl. approb.
639. - Dörrenberg, Kreisarzt in Soest.
640. - Georg, Kreisarzt a. D. u. Geh. Med.-Rat, Direktor der Heb-
ammen-Lehranstalt in Paderborn.
641. - Gerlaoh, Geh. Med.-Rat u. Direktor der Provinzial - Irren
anstalt in Münster.
642. - Graeve, Kreisarzt u. Med.-Rat in Hagen.
643. - Grfive, prakt. Arzt in Iserlohn, staatsärztl. approb.
644. - Gruohot, Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat in Hamm.
646. - Guder, Kreisarzt u. Med.-Rat in Laasphe.
646. - Hagemann, Kreisarzt in Dortmund.
647. - Hegemann, Kreiswundarzt z. D. in Werne.
648. - Heising, Kreisarzt und Med.-Rat in Borken.
649. - Helming, Kreisarzt u. Med.-Rat in Ahaus.
660. • Hensgen, Kreisarzt u. Med.-Rat in Siegen.
661. - Heyne, Kreisarzt in Beokum.
662. - Hillebrecht, Kreiswundarzt z. D. u. San.-Rat in Vlotho.
653. - vom Hofe, Kreisarzt u. Med.-Rat in Altena.
664. - Isfert, prakt. Arzt in Telgte, staatsärztl. approb.
666. - Kasemayer, Kreisarzt u. Med.-Rat in Burgsteinfurt.
666. - Kirstein, Kreisarzt in Lippstadt.
657. - Kluge, Kreisarzt u. Med.-Rat in Höxter.
658. - Köttgen, Stadtarzt in Dortmund.
669. - Krummaoher, Regierungs- u. Med.-Rat in Münster.
660. - L a u r e k, prakt. Arzt in Schalke-Gelsenkirohen, staatsärztl. approb
661. - Li mp er, Kreisarzt a. D. u. Med.-Rat in Gelsenkirchen.
662. - L ö e r, Kreisarzt in Büren.
663. - Lüttig, Kreisarzt in Brilon.
664. - Mann, Lehrer an der Prov.- Hebammenlehranstalt in Paderborn.
665. - Mertens, Oberarzt an der Provinzial - Irrenanstalt in Lengerich
staatsärztl. approb.
666. - Meyer, San.-Rat in Olpe, staatsärztl. approb.
*667. - Meyer, Augenarzt in Hagen i. W., staatsärztl. approb.
668. - Nauok, Kreisarzt u. Med.-Rat in Hattingen (Ruhr).
669. - Nünninghoff, Kreisarzt u. Med.-Rat in Bielefeld.
670. - Petermöller, prakt. Arzt in Oelde, staatsärztl. approb.
671. - Pollitz, Arzt der Irrenabteilung der Strafanstalt zu Münster,
staatsärztl. approb.
*672. - Rapmund, Regierungs- u. Geh. Med.-Rat in Minden.
673. - von Recklinghausen, Kreisarzt in Teoklenburg.
674. - Rheinen, Kreisarzt u. Med.-Rat in Herford.
676. - Ritter, Kreisassistenzarzt in Lübbecke.
676. - Roberg, prakt. Arzt in Greven, staatsärztl. approb.
677. - Röper, Kreisarzt u. Med.-Rat in Arnsberg.
678. - Rubarth, Geh. San.-Rat, Direktor der Prov.-Irrenanstalt in
N iedermarsberg.
679. - Schäffer, prakt. Arzt in Altena, staatsärztl. approb.
680. - v. Soheibner, Chefarzt der Heilstätte Ambrook bei Hagen
staatsärztl. approb.
*681. - Sohlautmann, Kreisarzt in Münster.
Mitgliederverzeiohnis.
141
682. Dr. Schlüter, Kreisarzt u. Med.-Rat in Gütersloh.
688. - Sohmidt, Kreisarzt in Warendorf.
684. - Sohonlau, Kreiswundarzt z. D. in Steinheim.
686. - Sohulte, Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat in Hörde.
686. - So Ihrig, Kreisarzt u. Hilfsarbeiter bei der Königl. Regierung
in Arnsberg.
687. - Spanken, Kreisarzt u. Med.-Rat in Meschede.
688. - Springfeld, Regierungs- u. Med.-Rat in Arnsberg.
689. - Steinbaoh, Kreisarzt in Schwelm.
690. - Stühlen, Kreisarzt in Gelsenkirohen.
691. - Sudhoelter, Kreisarzt in Minden.
692. - Tenholt, Regierungs- u. Med.-Rat a. D., Knappsohafts-Ober-
arzt in Bochum.
693. - Többen, Kreisarzt u. Med.-Rat in Reoklinghausen.
694. - v. Trzaska, Kreisarzt in Iserlohn.
695. - Voigt, prakt. Arzt in Holzwickede, staatsärztl. approb.
696. - Westerhove, prakt. Arzt in Gelsenkirohen, staatsSrztl. approb.
697. - Wolters, Kreisarzt in Coesfeld.
698. - Zumwinkel, Kreiswundarzt z. D. u. San.-Rat in Gütersloh.
Provinz Hessen - Nassau.
699. Dr. Auerbaoh, prakt. Arzt in Frankfurt a./M., staatsSrztl. approb.
700. - Beinhauer, Kreisarzt u. Med.-Rat in Höchst a./M.
701. - Rellinger, Kreisassistenzarzt in Usingen.
702. - Börner, Oberstabsarzt a. D. u. Kreisarzt in Esohwege.
703. - Cauer, Kreisarzt in Sohlüohtern.
704. - Cöster, Kreisarzt u. Med.-Rat in Rinteln.
705. - Dohm, Kreisassistenzarzt u. Assistent an der Königl. Anstalt
zur Gewinnung tierischen Impfstoffes in Cassel.
706. - Dreising, Kreisarzt u. Med.-Rat in Cassel.
*707. - Eiohenberg, Kreisarzt u. Med.-Rat in Hanau.
708. - F a b e r, Kreisarzt u. Med.-Rat in Rotenburg a. d. Fulda.
709. - Floeok, Kreisarzt in Montabaur.
710. - Frank, Prof. u. Kreisassistenzarzt in Wiesbaden.
711. - Fromm, Kreisassistenzarzt in Frankfurt a. M.
712. - Frotscher, prakt. Arzt in Rotenburg a./Fulda, staatsärztl. approb.
713. - Führer, Kreisphysikus z. D. u. Geh. San.-Rat in Wolfhagen.
714. - Gleitsmann, Kreisarzt u. Med.-Rat in Wiesbaden.
*716. - Grandhomme, Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat in Frankfurt a./M.
716. - Grau, Kreisarzt u. Med.-Rat in Gelnhausen.
717. - Hans, Hospitalarzt in Limburg a./L., staatsärztl. approb.
718. - Heinemann, Kreisarzt u. Med.-Rat in Cassel.
719. - Hüter, prakt. Arzt in Gelnhausen, staatsärztl. approb.
720. - Jannsen, Kreisarzt in Westerburg.
721. - Kahl, prakt. Arzt in Melsungen, staatsärztl. approb.
722. - Kimpen, Kreisarzt u. Med.-Rat in Rüdesheim.
723. - Kind, Kreiswundarzt z. D. in Fulda.
*724. - Klingelhöffer, Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat in Frankfurt a./M.
725. - König, Stadtarzt in Frankfurt a. M.
142
MitgliederverzeiohnJs.
726. Dr. Krause, Geh. Med.-Rat in Cassel.
727. - Kuhlemann, prakt. Arzt in Niederaula, staatsärztl. approb.
728. - Lambert, Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat in Melsungen.
729. - Liedig, Kreisassistenzarzt in HUnfeld.
730. - Malous, prakt. Arzt in Hersfeld,. staatsärztl. approb.
731. - Mannes, prakt. Arzt in St Goarshausen, staatsärztl. approb-
732. - Marx, Kreisarzt u. Med.-Rat in Fulda.
733. - Mayer, Kreisarzt u. Med.-Rat in St Goarshausen.
734. - Meder, Direktor der Königl. Anstalt zur Gewinnung tierischen
Impfstoffs in Cassel.
735. - Menke, Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat in Weilburg a. L.
786. - Oberstadt, Kreisarzt u. Med.-Rat in Langensohwalbach.
737. - Petsohull, Kreisarzt in Diez.
738. - Pfeiffer, Regierungs- u. Geh. Med.-Rat in Wiesbaden.
739. - Rockwitz, Reg.- und Med.-Rat in Cassel.
740. - Roselieb, Kreisarzt in Wolfhagen, staatsärztl. approb.
741. - Roth, Geriohtsarzt in Frankfurt a./M.
742. - S oh aus, Kreisarzt in Marienberg.
743. - Sohauss, Kreisarzt u. Med.-Rat in Dillenburg.
744. - S oh erb, Kreisarzt in Fritzlar.
745. - Schirmer, prakt Arzt in Wahlershausen, staatsärzl. approb.
746. - Sohmolk, Kreisarzt a. D. in Wiesbaden.
747. - Sohotten, Med.-Rat in Cassel.
748. - Sohuohhardt, prakt Arzt in Haohenburg (Westerwald),
staatsärztl. approb.
749. - Seligmann, Kreiswundarzt z. D. in Hanau.
750. - Gl. Simon, prakt. Arzt in Frankfurt a./M., staatsärztl. approb.
*751. - Sonntag, Kreisarzt in Witzenhausen.
752. - Stadtfeld, prakt. Arzt in Wiesbaden, staatsärztl approb.
753. - Stöltzing, Kreisassistenzarzt in Homberg.
754. • Tenbaum, Kreisarzt in Biedenkopf.
755. - vonTessmar, Kreisarzt u. Mod.-Rat in Limburg.
756. - Tuozek, Med.-Rat u. Professor in Marburg, Mitglied des Me¬
dizinalkollegiums für die Provinz Hessen-Nassau.
757. - Vahle, Kreisarzt in Frankenberg.
758. - Vietor, Kreisarzt u. Med.-Rat in Hersfeld.
759. - Werner, Kreisarzt in Schmalkalden.
760. - Wittioh, prakt. Arzt in Kassel, staatsärztl. approb.
761. - Wolf, Kreisassistenzarzt in Marburg.
762. - Ziehe, Kreisarzt u. Med.-Rat in Homburg v. d. H.
BheinprorlDS und Hohenzelleni.
763. Dr. Albert, Kreisarzt und Med.-Rat in Meisenheim.
764. - Altendorf, Kreisarzt u. Med.-Rat in Prüm.
*765. - Aschaffenburg, Prof, der Psychiatrie in Cb ln a. Rh.
766. - Baohem, Kreisarzt in Euskirchen.
767. - Bahr, Kreisarzt in Duisburg.
768. - Baizar, Kreisarzt in Heddesdorf (Kreis Neuwied).
769. - Bauer, Kreisarzt u. Med.-Rat in Moers a./Rh.
Mitgliederverzeiohnis.
143
770. Dr.Baum, Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat in Aaohen.
771. - Berg, Geriohtsarzt in Essen a. R.
772. - Blokusewski, Kreisphysikus z. D. in Niederbreisig.
773. - Borntraeger, Regierungs- u. Med.-Rat in Düsseldorf.
774. - Brand, Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat in Geldern.
775. - Braun, Kreisarzt in Wetzlar.
776. - Braun, Geriohtsarzt u. Med.-Rat in Elberfeld.
777. - Brookhaus, Kreiswundarzt z. D. u. San.-Rat in Godesberg.
778. - Burkart, prakk Arzt in Millheima. d.Ruhr, staatsärztl.approb
779. - Burkharth, Oberamtsarzt in Gammertingen (Hohenzollem).
780. - Carp, Kreisarzt u. Med.-Rat in Wesel.
781. - Clären, Kreisarzt in Krefeld.
782. - Clarfeld, prakt. Arzt in Solingen, staatsärztl. approb.
783. - Clauditz, Kreisassistenzarzt in Trier.
784. - Döllner, prakt. Arzt in Vallendar a./Rh., staatsärztl. approb.
786. - Eickhoff, Kreisarzt u. Med.-Rat in Siegburg.
786. - Engels, Kreisarzt in Gummersbaoh.
787. - Esoh-Waltrup, Kreisarzt u. Med.-Rat in Köln a/Rh.
788. - Ewers, Kreisarzt in Kempen.
789. - Falkenbaoh, Kreisarzt a. D. u. Geh. Med.-Rat in Mayen.
*790. - v. Fewson, Baron, prakt. Arzt in Cöln, staatsärztl. approb.
791. - Finkler, Geh. Med.-Rat, ord. Professor und Direktor des hygie¬
nischen Instituts in Bonn.
792. - Friedei, Kreisassistenzarzt in Koblenz.
793. - Fritsoh, Geh. Med.-Rat u. ord. Professor in Bonn, Mitglied
des Medizinalkollegiums für die Rheinprovinz.
794. - Fooke, prakt. Arzt in Düsseldorf, staatsärztl. approb.
795. - Heinriohs, Kreisarzt u. Med.-Rat in Jülioh.
796. - Herlitzius, Kreisarzt in Heinsberg.
797. - Herting, Direktor der Prov.-Heil- u. Pflegeanstalt in Galk-
hausen.
798. - Herwig, Kreisarzt u. Med.-Rat in Rheinbaoh.
799. - Hillebrand, Kreisarzt in Berg heim.
800. - Hoeohst, Kreisarzt a. D. u. Geh. Med.-Rat in Wetzlar.
801. - Hofaoker, Kreisarzt in Düsseldorf.
802. - Hoffa, Theodor, prakt. Arzt in Barmen, staatsärztl. approb.
803. - Hoffmann, Kreisarzt in Trier.
804. - J annes, Arzt des Kreispflegehauses in Esohweiler.
805. - Kessel, prakt. Arzt in Lobberioh, staatsärztl. approb.
806. - Kirohgässser, Kreisarzt in Koblenz.
807. - Kirsoh, prakt. Arzt in Eupen, staatsärztl. approb.
808. - Klein, Kreisarzt in St. Goar.
809. - Knepper, Kreisarzt in Wipperfürth.
810. - Köppe, Kreisarzt u. Med.-Rat in Zell a./M.
811. - Kohlmann, Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat in Remagen.
812. - Kramer, San.-Rat u. Kreisassistenzarzt a. D. in St Johann.
813. - Krämer, Stadtarzt in Sk Johann.
814. - Krause, Kreisarzt in München - Gladbaoh.
*816. - Krautwig, Stadtarzt in Köln.
816. - Kriege, Kreisarzt in Barmen.
144
Mitgliederverzeiohnis.
817. Dr. Krohne, Kreisarzt und ständiger Hülfsarbeiter bei dar König-
Regierung in Düsseldorf.
818. - Kruse, Professor in Bonn.
819. - Kurpjuweit, Assistent an der bakteriolog. Untersuchungs¬
anstalt in Neunkirohen, staatsärztl. approb.
820. - Le Blano, Kreiswundarzt z. D. u. San.-Rat in Opladen.
821. - Ledermann, Kreisarzt in Saarlouis.
822. - Lehnen, prakt. Arzt in Hillesheim (Eifel), staatsärztl. approb.
823. - Lembke, Kreisarzt in Kreuznaoh.
824. - Lentz, Kreisassistenzarzt und Leiter der bakteriolog. Unter-
suohungsanstalt in Saarbrücken.
826. - Liebetrau, Assistent der Kgl. bakteriolog. Untersuohungs-
anstalt in Trier.
826. - Linok, Kreisarzt in Bitburg.
827. - Litterski, Kreisarzt u. Med.-Rat in Mayen.
828. - Lohmer, Kreisassistenzarzt in Cöln.
829. - Marx, Kreisarzt u. Med.-Rat in Mülheim a. d. Ruhr.
830. - Mayer, Kreiswundarzt z. D. in Simmern.
831. - Meder, Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat in Altenkirohen (Westerwald).
832. - Meder, Eireisarzt u. Direktor der Königlichen Anstalt zur Ge¬
winnung tierisohen Impfstoffs in Köln.
833. - Meerbeok, Kreisarzt in Mülheim a./Rh.
834. - Meyer, Kreisarzt in Lennep.
835. - Michels, Kreisarzt u. Med.-Rat in Adenau.
836. - Müller, prakt. Arzt in Mettmann, staatsärztl. approb.
837. - Müller, prakt. Arzt in Münohen-Gladbach, staatsärztl. approb.
838. - N a u s s, Kreisw. Arzt z. D. u. San.-Rat in Altenkirchen (WesterwV
839. - Neuhaus, San.-Rat u. leitender Arzt d. Dep. - Irrenanstalt in
Düsseldorf.
840. - Niemeyer, Kreisarzt in Neuss.
841. - Noethliohs, Kreisarzt a. D. u. Geh. Med.-Rat in Heinsberg.
842. - Orthmann, Oberarzt an der Provinzial-Irrenanstalt in Düren.
staatsärztl. approb.
843. - Paffrath, Kreisarzt in Kleve.
844. - Peren, Kreisarzt in Montjoie.
845. - Peretti, San.-Rat u. Direktor der Heil- u. Pflegeanstalt in
Grafenberg.
846. - Petersen, Kreisphysikus a. D. in Düsseldorf.
847. - Plempel, Geriohtsarzt in Cöln a. Rh.
848. - Pollack, Kreisarzt in St. Wendel.
849. - Püllen, Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat in Grevenbroioh.
850. - Racine, Kreisarzt u. Med.-Rat in Essen a. d. Ruhr.
851. - Renner, prakt. Arzt in Neuss, staatsärztl. approb.
852. - Riohter, Kreisarzt u. Med.-Rat in Remsoheid.
853. - Rieoken, Kreisarzt in Malmedy.
854. - Roeder, Kreisarzt u. Med.-Rat in Vohwinkel.
855. - Roeder, prakt. Arzt in Elberfeld, staatsärztl. approb.
866. - Roller, Kreisarzt u. Med.-Rat in Trier.
*857. - Rusak, Regierungs- u. Geh. Med.-Rat in Köln,
858. - Sal o m o n, Regierungs- und Med.-Rat in Koblenz.
Mitgliederverzelohnia.
146"
839. Dr.
860. -
861. -
862. -
863. -
864. -
866 . -
866. -
*867. -
868 . -
869. -
870. -
871. -
872. -
873. -
874. -
876. -
876. -
*877. -
878. -
879. -
880. -
881. -
882. -
883. -
884. -
886. -
886 . -
887. -
* 888 . -
889. -
690. -
891. -
892. -
893. -
*894. -
896. -
896. -
897. -
898. -
899. -
Schäfer, Kreisarzt in Bernkastel.
Sohelowsky, prakt. Arzt in Heiligenhaus, staatsärztl. approb,
Schleoht, Regierungs- u. Med.-Rat in Trier.
Sohlegtendal, Regierungs- u. Med.-Rat in Aaohen.
Schmidt, Gerichtsarzt u. Med.-Rat in Düsseldorf.
Sohmidt, Kreisarzt in Neuenkirohen.
Schmitz, Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat in Aachen.
Sohrakamp, Stadtarzt in Düsseldorf.
Sohubert, Kreisarzt u. Med.-Rat in Cöln a. Rh.
Sohulz, Kreisarzt a. D. u. Geh. Med.-Rat in Koblenz.
Schwass, Regierungs-u. Med.-Rat u. Hofrat in Sigmaringen.
S ö h 1 e, Kreisarzt in Waldbröl.
Sorge, Kreisassistenzarzt in Sigmaringen.
Stauss, Oberamtsarzt in Heohingen.
Stoffels, Stadtassistenzarzt in Düsseldorf.
Thiele, Kreisarzt u. Med.-Rat in Koohem.
Tboma, Kreiswundarzt z. D. u. San.-Rat in Aaohen.
Ueberholz, Kreisarzt in Wittlioh.
Ungar, Geriohtsarzt, Geh. Med.-Rat u. Prof, in Bonn.
Vieson, Kreisarzt u. Med.-Rat in Merzig.
Volkmuth, Kreisarzt u. Med.-Rat in Saarburg.
Vollmer, Kreisarzt in Simmero.
Waohendorf, prakt. Arzt in Stolberg (Rhnl.), staatsärztl. approb.
W e i s s, prakt. Arzt in Ehrang, staatsärztl. approb.
Wellenstein, Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat i. Urft (Kr. Sohleiden).
W e x, Kreisarzt u. Med.-Rat in Düren.
Windheuser, Kreisarzt in Daun.
Wir so h, Kreisarzt in Bonn.
Wirtz, prakt. Arzt in Cöln a. Rh., staatsärztl. approb.
Wolff, Kreisarzt u. Med.-Rat in Elberfeld.
Wolff, Kreisarzt in Saarbrücken.
Wollenweber, Kreisassistensarzt in Düsseldorf - Grafenberg.
W o 11 e m a s, Kreisarzt in Solingen.
Ausserdem:
Gettwart, Kreisarzt a. D. in Dessau.
Kossel, Prof, der Hygiene in Giessen.
Longard, Geriohtsarzt a. D. in Heidelberg.
Mumm, Kreisphysikus z. D. u. Geh. San.-Rat in Chemnitz.
Ohlemann, San.-Rat in Dessau, staatsärztl.approb.
Pusoh, Assistenzarzt am pathologisch-hygienischen Institut
in Chemnitz, staatsärztl. approb.
Siedamgrotzky, Geh. Med.-Rat in Dresden.
Szymanski, Leiter des bakteriologischen Untersuchungsamts
in Hagenau i./E., staatsärztl. approb.
B. Königreich Beyern.
*900. Dr. Alafberg, Bezirksarzt in Ludwigshafen a/Rh.
*901. - Angerer, Bezirksarzt in Weilheim.
10
146
Mitgliederverzeichnis.
902. Dr. v. Angerer, k. Geh. Rat, Universitätsprofessor, Generalarzt
ä la suite des Sanitäts-Corps in Miinohen.
903. - Appel, Bezirksarzt in Straubing.
904. - Auer, Bezirksarzt in Bad Aibling (Oberbayern).
905. - AumUller, Bezirksarzt in Roding.
906. - Bald, Bezirksarzt in Weissenburg a. S.
907. - Bartholomä, Bezirksarzt in Nürnberg.
908. - Bauer, Karl, bezirksärztl. Stellvertreter in Nordhalben.
909. - Bauer, Philipp, prakt. Arzt in Weiden, staatsärztL approb.
910. - Baumann, Bezirksarzt in Liehtenau.
911. - Baumgart, Bezirksarzt in Miltenberg.
912. - Bayerl, Landgeriohtsarzt in Deggendorf.
913. - Bayersdörfer, prakt. Arzt in Neustadt a. Hardt, staataäntL
approb.
914. - Becher, prakt. Arzt in Teisnaoh, staatsärztl, approb.
916. - Book, Med.-Rat u. Bezirksarzt in Eiohstätt.
916. - Becker, Karl, Phys.-Ass. u. Gefängisarzt in Münohen.
917. - Becker, Georg, Bezirksarzt in Kirchheimbolanden.
918. - Behr, Valentin, prakt. Arzt in WUrzburg, staatsärztl. approb.
919. - Beisele, .Hans, prakt. Arzt u. Bahnarzt in Tutzing (.Ober¬
bayern), staatsärztl. approb.
920. - Beltinger, prakt. Arzt in Nördlingen, staatsärztl approb.
921. - Bernhuber, Franz, Krankenhausarzt in Altötting, staatsärztl
approb.
922. - Beyer, Bezirksarzt in Cham.
923. - Bisohoff, Bezirksarzt in Erlangen.
924. - Bitton, Bezirksarzt in Staffelstein.
925. - Blachian, k. Oberarzt der Kreisirrenanstalt in Weraeck.
926. - Bl analt, Bezirksarzt in Rothenburg a. T.
927. - Bleser, prakt. Arzt in Alzenau, staatsärztl. approb.
928. - BlUmm, Bezirksarzt in Neustadt a./Saale.
929. - Boeoale, Bezirksarzt in Stadtamhof.
930. - Böhm, Bezirksarzt in Augsburg.
931. - Borger, Bahnarzt in Helmbrechts, staatsärztl approb.
932. - Bott, prakt. Arzt in Waohenheim, staatsärztl approb.
933. - Brand, Bezirksarzt u. Medizinalrat in Füssen.
934. - Braun, Adolf, prakt. Arzt in Bergtheim, staatsärztl. approb.
935. - Braun, Friedrich, Bezirksarzt in Kulmbaoh.
936. - Braun, Lorentz, prakt. Arzt in Reichertshofen, staatsärztl. approb.
937. - Braun, Rud., prakt. Arzt in Markt Sugenheim, staatsärztl approb.
938. - Bredauer, Bezirksarzt in Wolfratshausen.
939. - Breunig, Bahnarzt in Mainburg, staatsärztl approb.
940. - Brinsteiner, Bezirksarzt in Landsberg.
941. - Bruglocher, Reg.- u. Kreismedizinalrat in Ansbaoh.
942. - Bsohorer, Bezirksarzt in Neustadt a. Aisoh.
943. - Bub, Bezirksarzt in Augsburg.
944. - BUller, bezirksärztlicher Stellvertreter in Obergünzburg.
945. - Burgl, Landgeriohtsarzt, Hausarzt bei dem Geriohtsgefangrua
in Nürnberg.
946. - Burkart, Bezirksarzt u. Med.-Rat in Rosenheim.
Mitgliederverzeiohnis.
147
947. Dr. Burkhard, landriohtl. Phys.-Assessor in Nürnberg.
948. - Butz, prakt. Arzt in Vaoh, staatsärztl. approb.
949. - v. Dall’Armi, Bezirksarzt in München.
950. - Dehler, Oberarzt an der Kreiskrankenanstalt in Frankenthal,
staatsärztl. approb.
951. - Demuth, Reg.- u. Eireis-Med.-Rat in Speyer.
952. - Deppisoh, bezirksärztl. Stellvertreter in Pottenstein.
953. - Desing, prakt. Arzt in Mörasheim, staatsärztl. approb.
954. - Detzel, prakt. Arzt in Dahn, staatsärztl. approb.
955. - Dielmann, prakt. Arzt in Goohsheim, staatsärztl approb.
958. - Dietsoh, Bezirksarzt in Hof.
957. - Disohinger, prakt. Arzt in München, staatsärztl. approb.
958. - Döderlein, prakt. Arzt in Erding, staatsärztl. approb.
959. - Döpke, prakt Arzt in Bamberg, staatsärztl. approb.
960. - D örfler, Spezialarzt in Regensburg, staatsärztl. approb.
961. - Dollmann, Ohrenarzt in München, staatsärztl. approb.
962. - Dorffmeister, Reg.- u. Kreis-Med.-Rat in Regensburg.
963. - Dreyfuss, prakt. Arzt in Kaiserslautern, staatsärztl. approb.
964. - Drossbach, Strafanstaltsarzt in Laufen.
965. - E c o a r d, Direktor der Kreispflegeanstalt in Frarkenthal.
966. - Eder, Bezirsarzt in Grafenau.
967. - Egger, Landgerichtsarzt in Straubing.
968. - Eisenstädt, Bahnarzt in Pappenheim, staatsärztl. approb.
969. - End res, Bezirksarzt in Illertissen (Schwaben).
970. - Enzenberger, Bezirksarzt in Kemnath.
971. - Erdt, Landgerichtsarzt in Schweinfurt a./M.
972. - Ernst, prakt. Arzt in Hof, staatsärztl. approb.
973. - Er ras, prakt. Arzt in Babenhausen, staatsärztl. approb.
974. - Ertl, Bezirksarzt in Landau a. J.
975. - Eschwig, Bezirksarzt in Laufen.
976. - Faber, Bezirksarzt in Kusel (Pfalz).
977. - Federsohmidt, Bezirksarzt in Dinkelsbuhl.
978. - Feyerle, Bezirksarzt in Hilpoltstein.
979. - Fleisohmann, prakt. Arzt in Freinsheim (Pfalz), staatsärztl.
approb.
980. - Flierl, Bezirksarzt in Sohweinfurt.
981. - Fortner, Bezirksarzt in Bad Tölz.
982. - Frank, Karl, bezirksärztl. Stellvertreter in Obermoschel.
983. - Frantz, Alfred, prakt. Arzt in Göllheim staatsärztl. approb.
•984. - Frantz, Riohard, bezirksärztl. Stellvertreter in Grünstadt.
985. - Friokhinger, Bezirksarzt in Schrobenhuusen.
986. - Fritz, Oberarzt der Kreis-Irrenanstalt in Bayreuth.
987. - Fuchs, Bezirksarzt in Würzburg.
988. - Gaggell, Bezirksarzt in Pirmasens.
989. - Gaill, Bezirksarzt in Mallersdorf.
990. - Gebhardt, bezirksärztl. Stellvertreter in Haag (Oberbayern).
991. - Gernaud, Bezirksarzt in Alzenau.
992. - Gessele, prakt. Arzt in Traunstein, staatsärztl. approb.
993. - Gier er, prakt. Arzt in Wendelstein, staatsärztl. approb.
994. - Glauning, Physikatsassiteut in Nürnberg.
10*
148
Mitgliederverzeichnis.
995. Dr. Gmehling, Bezirksarzt in Burglengenfeld.
996. - Go es, Bezirksarzt in Kaufbeuren.
997. - Goettling, Direktor der Entbindungsanstalt und Hebammen-
sobule in Bamberg.
998. - Götz, Herrmann, prakt. Arzt in Aichaoh, staatsärztL approb.
999. - Götz, Karl, Bezirksarzt u. Med.-Rat in Nördlingen.
1000. - Goy, Bezirksarzt und Med.-Rat in Ochsenfurt.
1001. - Grahamer, Jakob, L Bezirksarzt in Memmingen.
1002. - Grahamer, Karl, Bezirksarzt in Rottenburg.
1008. - v. Grashey, Geh. Ober-Med.-Rat, Referent im Staatsminist, d.
Innern und Vorsitzender des Obermedizinal-Ausschusses in
München.
1004. - Grassl, Bezirksarzt in Lindau.
1005. - Grassier, Bezirksarzt in Berchtesgaden.
1006. - Grassmann, Bezirksarzt in Regensburg.
1007. - Gr einer, Bezirksarzt in Amberg.
1008. - Grimm, prakt. Arzt in Edenkoben, staatsäzztl. approb.
1009. - Gros, Bezirksarzt in Parsberg.
1010. - GrUb, Bezirksarzt in Freising.
1011. - Grub er, Bezirksarzt in MUnohen-Giesing.
1012. - Grundier, Bezirksarzt in Neumarkt (Oberpfalz).
1013. - Günther, Bezirksarzt in Höohstadt a. Aisch.
1014. - Gutermann, prakt. Arzt in Unterthingau, staatsärztl. approb.
1015. - Haass, bezirksärztl. Stellvertreter in Altdorf.
1016. - Härtl, Hofarzt u. Bezirksarzt in Wasserburg.
1017- - Handschuoh, Bezirksarzt in Homburg.
1018. - Harder, Bezirksarzt in Bogen.
1019. - Hartmann, Bezirksarzt in Pfaffenhofen a. Um.
1020. - Hausladen, prakt. Arzt in Schäftlarn, staatsärztl. approb.
1021. - Hausmann, Bezirksarzt in Daohau.
1022. - Heissler, Bezirksarzt in Teuschnitz.
1023. - Heinsen, Nervenarzt in Augsburg, staatsärztl approb.
1024. - Heilmaier, prakt. Arzt in Würzburg, staatsärztl. approb.
1025. - Held, Bezirksarzt u. Hausarzt a. Zuohth. in Straubing.
1026. - Helmerioh, bezirksärztl. Stellvertreter in Sesslaoh.
1027. - Henkel, Bezirksarzt in Münohen.
1028. - Hen nig, bezirksärztl. Stellvertreter in Winnweiler,
1029. - Hermann, Franz, Bezirksarzt in Germersheim.
1030. - Hermann, Friedrioh Anton, Landgeriohtsarzt in Fürth.
1031. - Hertel, prakt. Arzt in Hagenbaoh (Pfalz), staatsärztl. approb
1032. - Hess, Bezirksarzt in Wunsiedel.
1033. - Hiemer, Bezirksarzt in Altötting.
1034. - Hink er, bezirksärztl. Stellvertreter in Rotthalmünster.
1035. - Hook, prakt. Arzt in Wörth a. M.. staatsärztl. approb.
1036. - v. Hörmann, Bezirksarzt in Speyer.
1037. - Hörrner, Bezirksarzt in St. Ingbert.
1038. - v. Hösslin, Landgeriohtsarzt in Landau (Pfalz).
•1039. - Hofmann, Franz, Bezirksarzt in Würzburg.
1040. - Hofmann, Heinr., prakt. Arzt in Hilpoltstein, staatsärztl.
approb.
Mitgliederverzeichnis.
149
1041.
1042.
1043.
1044.
1046.
1046.
1047.
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1060.
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1069.
1070.
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1077.
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1079.
1080.
1081.
1082.
1083.
1084.
1086.
1086.
Dr. Hofmann, Moritz, Prof., Med.-Rat u. Landgeriohtsarzt in
München.
- Horeld, Hausarzt an der Gefangenenanstalt in Sulzbaoh,
staatsärztl. approb.
- Huber, Krankenhausarzt in Fladungen.
- Hug, Bezirksarzt in Donauwörth-Vohenstrauss.
- Husslein, bezirksärztl. Stellvertreter in MUnnerstadt.
- Imhof, prakt. Arzt in Sohellenberg. staatsärztl. approb.
- Ingerle, prakt. Arzt in Münohen, staatsärztl approb.
- Kablert, prakt. Arzt in Wunsiedel, staatsärztl approb.
- Karrer, Med.-Rat u. Direktor der Kreisirrenanstalt in Klingen¬
münster.
- Kaspar, Bahnarzt in Wttrzburg, staatsärztl. approb.
- Kaufmann, Veit, Hofrat u. Bezirksarzt a. D. in Dürkheim.
- Kaufmann, Sally, prakt. Arzt in Dürkheim, staatsärztl. approb*
- Kayser, prakt Arzt u. Bahnarzt in Würzburg, staatsärztl
approb.
- Keller, prakt. Arzt in Heimenkiroh, staatsärztl. approb.
- Kempf, bezirksärztl. Stellvertreter in Oberviechtaoh.
- Kern, prakt. Arzt in Pirmasens, staatsärztl. approb.
- Kersoher, prakt. Arzt in Lam, staatsärztl. approb.
- Kienningers, Bezirksarzt in Sonthofen.
- Klein, Knappsohaftsarzt in Waldmohr, staatsärztl. approb.
- Klemz, Landgerichtsarzt in Memmingen.
- Klingel, städt. Schularzt in Nürnberg.
- Knorz, prakt. Arzt in Prien, staatsärztl. approb.
- Köhl, prakt. Arzt in Naila, staatsärztl. approb.
- K ö 11 e r, Bezirksarzt in Pfarrkirchen.
- Körb er, Medizinalrat, Bezirks- u. Zuohthausarzt in Würzburg.
- Krämer, Bezirksarzt in Naila (Oberfranken).
- Krembs, prakt. Arzt in Schongau, staatsärztl. approb.
- Kreuz, bezirksärztl. Stellvertreter in Dettelbach.
- Kröhl, bezirksärztl. Stellvertreter in Schesslitz.
- Kühn, Bezirksarzt und Landgerichtsarzt in Frankenthal.
- Kundmüller, Bezirksarzt in Hofheim.
- Kundt, Direktor der Kreisirrenanstalt in Deggendorf.
- Lacher, Hofrat u. prakt. Arzt in Berchtesgaden, staatsärztl.
approb.
- Landgraf, Krankenhausarzt in Bayreuth.
- Laub er, Medizinalrat u. Bezirksarzt in Neuburg a. D.
- Lauer, prakt. Arzt in Neustadt a. Aisch, staatsärztl. approb.
- Leohleuthner, prakt. Arzt in Rosenheini, staatsärztl. approb.
- Lehner, prakt. Arzt in Frankenthal, staatsärztl. approb.
- Lochner, Medizinalrat u. Bezirksarzt in Sohwabach.
- Löffler, Bezirksarzt in Mellrichstadt.
- Löbe, prakt. Arzt in Dienkelscherben, staatsärztl. approb.
- Lottner, Bezirksarzt in Griesbach.
- Luokinger, Landgerichtsarzt in Regensburg.
- LU st, Bezirksarzt in Sohwabmünchen.
- Lutz, Bezirksarzt in Lichtenfels.
160
Mitgliederverzeiohnis.
1087. Dr. Maar, Bahnarzt in Ansbach, staatsärztl. approb.
1088. - Mädl, prakt. Arzt in Kempten, staatsärztl. approb.
1089. - Mangelsdorff, Bezirksarzt in Gmiinden a. M..
1000. - Mann, prakt. Arzt in Elmstein, staatsärztl. approb.
1091. - Martius, prakt. u. Krankenhausarzt in Kulmbaoh, staatsärztl.
approb.
1092. - Marzeil, Bezirksarzt in Kitzingen.
1098. - Mayer, Franz Xaver,Bezirksarzt in Wegscheid.
1094. - Mayer, Landgeriohtsarzt u. Med.-Rat in Amberg.
1096. - Mayer, Carl, Bezirksarzt in MUnohberg.
1096. - Meixner, prakt. Arzt in Liohtenfels, staatsärztl. approb.
1097. - Merkel, Hermann, Privatdozent für gerichtl. Medizin und
Suppleant des Medizinalkomites in Erlangen.
1098. - Merkel, Gottlieb, Ober-Med.-Rat u. Bezirksarzt a. D. in
Nürnberg.
1099. - Merkel, Siegmund, Physikats-Assistent in Nürnberg.
1100. - Meyer, Bezirksarzt in Erding.
1101. - Miller, Bezirksarzt in Stadtsteinach.
1102. - Mo eg es, Bezirksarzt ln Tirschenreuth.
1103. - Mott, Bezirksarzt in Nabburg.
1104. - Müller, Adolf, Reg.-u. Kreis-Med.-Rat in Landshut.
1105. - Müller, Franz, Bezirksarzt in Schongau.
1106. - Müller, Julius, Bezirksarzt in Aiohach.
1107. - Neidhardt, Bozirksarzt in Zusmarshausen.
1108. - Niedermair, bezirksärztl. Stellvertreter in Neumarkt a. Rott.
1109. - No der, Bezirksarzt in Mindelheim.
1110. - Nothaas, Bezirksarzt in Günzburg.
1111. - Obermeyer, Bezirksarzt in Ansbach.
1112. - Oberweiler, Bezirksarzt in Esohenbaoh.
1113. - Osohmann, Aug., bezirksärztl. Stellvertreter in Euerdorf
(Unterfranken).
1114. - Osohmann, Georg, Bahnarzt in Hammelburg, staatsärztl.
approb.
1115. - Ott, Bezirksarzt in Garmisch.
1116. - Pallikau, Paul, Physikatsassistent in München.
1117. - Palmedo, bezirksärztl. Stellvertreter in Roth.
1118. - Pfeiffer, k. Landgerichtsarzt in Hof.
1119. - Pickl, Langeriohtsarzt in Eichstädt.
1120. - Poehlmann, Bezirksarzt in Bamberg.
1121. - v. Pracher, bezirksärztl. Stellvertreter in Tegernsee.
1122. - Preisendoerfer, Bezirksarzt in Lohr.
1123. - Pürkhauer, Reg.- u. Kreismedizinalrat in Bayreuth.
1124. - Putscher, Bezirksarzt in Waldmünohen.
1125. - Raab, Otto, Bezirksarzt in Soheinfeld.
1126. - Raab, Wilhelm, Bezirksarzt in Rehau.
1127. - Rauch, Bezirksarzt in Hammelburg.
1128. - Rauh, Bezirksarzt in Kötzting.
1129. - Rausoh, prakt. Arzt in Zweibrücken, staatsärztl. approb.
1130. - Regler, Landgerichtsarzt in Landshut.
1131. - Reichold, bezirksärztl. Stellvertreter in Lauf.
I
Mitgliederverseiohnis.
161
1132.
1133.
1134.
1135.
1136.
1137.
1138.
1139.
1140.
1141.
•1142.
1143.
1144.
1145.
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1149.
1160.
1151.
1162.
1163.
1154.
1155.
1156.
1157.
1168.
1169.
1160.
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1164.
1165.
1166.
1167.
1168.
1169.
1170.
1171.
1172.
1173.
1174.
1176.
Dr. Reinhardt, Bahnarzt in Weiden, staatsärztl approb.
- Renner, Bezirksarzt in Zweibriioken.
- Riedel, Bezirksarzt in Forohheim.
- Riegel, Landgeriohtsarzt u. Med.-Rat in Kempten (Schwaben).
- Roelig, prakt. Arzt in Nürnberg, staatsärztL approb.
- Roger, Regierungs- u. Kreismedizinal rat in Augsburg.
- Rohm er, Bezirksarzt in Bergzabern.
- Roth, Friedrich, Med.-Rat, Bezirksarzt u. Direktor des städti¬
schen Krankenhauses in Bamberg.
- Roth, Jos. Herrn., Polizei- u. Bahnarzt in Bamberg.
- Roth, Ludwig, Med.-Rat, Landgerichtsarzt u. Bezirksarzt in
Aschaffenburg.
- Roth, Max, Med.-Rat u. Bezirksarzt in Nürnberg.
- Rothhammer, prakt Arzt in Steingaden, staatsärztl. approb.
- Rott, Bezirksarzt in Marktheidenfeld.
- RU ding er, bezirksärztl. Stellvertreter in Weissenborn.
- R u n o k, prakt. Arzt in Ludwigshafen, staatsärztl approb.
- Rüss, bezirksärztl Stellvertreter in Eltmann.
- Salomon, prakt. Arzt in Waldmohr, staatsärztl. approb.
- Saradeth, prakt. Arzt in Ruhpolding, staatsärztl approb.
- Sohäfer, Bezirksarzt u. Hausarzt an der Gefangenanstalt in
Sulzbach.
- Sohalkhauser, Landgeriohtsarzt in Passau.
- Soharff, prakt. Arzt in Wunsiedel, staatsärztl. approb.
- Sohelle, prakt. Arzt u. Krankenhausarzt in Isen (Oberbayern),
staatsärztl. approb.
- Sohenk, bezirksärztl. Stellvertreter in Babenhausen.
- Scheppach, prakt. Arzt in Oettingen a. R., staatsärztl. approb.
- Sohiokendantz, Bezirksarzt a. D. in Kusel (Pfalz).
- Sohild, prakt. Arzt in Speyer, staatsärztl. approb.
- Sohirmer, Bezirksarzt in Ebern.
- Sohlier, prakt. Arzt in Hersbruok, staatsärztl. approb.
- Schmid, Anton, Bezirksarzt in Vilshofen.
- S o h m i d. Johann, prakt. Arzt in Donauwörtb, staatsärztl. approb.
- Sohmid, Miohael, Bezirksarzt u. Med.-Rat in Passau.
- S o h m i 11, Eduard, prakt. Arzt in Edesheim, staatsärztl approb.
- Sohmitt, Josef, bezirksärztl. Stellvertreter in Weidenberg
(Oberfranken).
- Schmidt, Peter, Bezirksarzt in Hersbruck.
- Sohmitz, Bezirksarzt in Starnberg.
- Sohneller, Bezirksarzt in Berneck.
- Schön, bezirksärztl. Stellvertreter in Geisenfeid.
- Sohöppener, Karl, bezirksärztl. Stellvertreter in Reichenhall.
- Schöppner, Ludwig, Bezirksarzt in Friedberg.
- Sohrank, Bezirksarzt in Mainburg.
- Sohröfl, prakt. Arzt in Wertingen, staatsärztl. approb.
- Sohrön, prakt. Arzt in Uettingen (Unterfranken), staatsärztl.
approb.
- SohUtz, Bezirksarzt in Vilsbiburg.
- Sohuster, prakt. Arzt in Augsburg, staatsärztl. approb.
152
Mitgliederverzeichnis.
*1176.
1177.
1178.
1179.
1180.
1181.
1182.
1183.
1184.
1185.
1186.
1187.
1188.
1189.
1190.
1191.
1192.
1193.
1194.
1195.
1196.
1197.
1198.
1199.
1200.
1201.
1202.
1203.
1204.
1206.
1206.
1207.
1208.
1209.
* 1210 .
1211 .
1212 .
1213.
1214.
1215.
1216.
1217.
1218.
1219.
1220.
Dr. S o h w i n k, Bezirksarzt in Rookenhausen.
• Sohultz, bezirksärztl. Stellvertreter in Landau.
• Seelos, Bezirksarzt in Wertingen (Sohwaben).
- Seiderer, Bahnarzt in Mumau, staatsärztL approb.
- Seil, Bezirksarzt in Dillingen a. d. Donau.
- Severin, bezirksärztl. Stellvertreter in Hollfeld.
- Solbrig, Bezirksarzt in Bayreuth.
• Söloh, bezirksärztl. Stellvertreter in Lauingen a. Donau.
- Spät, Bezirksarzt in Fürth.
• Späth, Bezirksarzt in Landshut.
- Spenkuoh, Bezirksarzt in Neustadt a. d. Hardt
- Spiegel, prakt. Arzt in Oberhausen bei Augsburg, staatsärztL
approb.
- Spies, Bezirksarzt in Dürkheim.
- Stadler, prakt. Arzt in Dinkelsbühl, staatsärztL approb.
- Stark, prakt. Arzt in Neustadt a. Hordt, staatsärztL approb.
- Steiohele, Bezirksarzt in Uffenheim.
- Steidle, prakt. Arzt in Kempten, staatsärztL approb.
- St ein dl, prakt. Arzt in Rennertshofen, staatsärztl, approb.
- Steinhuber, Bezirksarzt in Freyung - Wolfstein.
- Steininger, Bezirksarzt in Brückenau.
- Stengel, Physikatsassistent in Würzburg.
- Stic kl, Bezirksarzt in Rain.
- Stritzl, prakt. Arzt u. Hausarzt am Zuchthause in Kaisheim
staatsärzl. approb.
- Stubenrath, Privatdozent für gerichtL Medizin in Würzburg.
- Stummer, bezirksärztl. Stellvertreter in Prien.
- Stumpf, Universitäts-Prof. u. Landgerichtsarzt in Würzburg.
- Teioher, Bezirksarzt u. Med.-Rat in Pegnitz.
- Thiel, prakt. Arzt in Karlstadt a. M., staatsärztl. approb.
- Tischler, Bezirksarzt in Deggendorf.
- Frhr. v. Thon-Dittmer, Bahnarzt in Pressath, staatsärztl
approb.
- Trzetziak, bezirksärztl. Stellvertreter u. Krankenhausarzt in
Volkach (Unterfranken).
- Ul 1 mann, Landgeriohtsarzt u. Med.-Rat in Zweibrücken.
- U t z, Alfons, Landgeriohtsarzt in Augsburg.
- Utzsohneider, prakt. Arzt in Rottenbuoh, staatsärztl. approb.
- Vanselow, Bezirksarzt u. Med.-Rat in Kissingen.
- Vierling, Bezirksarzt in Ingolstadt.
- Vogl, prakt. Arzt in Kottern, staatsärztl. approb.
- Vogler, Bezirksarzt in Krumbach (Schwaben).
- Vogt jun., prakt. Arzt in Kandel, staatsärztl. approb.
- Voll, bezirksärztl. Stellvertreter in Weismain.
- W a i b e 1, Bezirksarzt in Kempten.
- Wan der, prakt. Arzt u. Bahnarzt in Unterpeissenberg, staate-
ärztl. approb.
- Weber, Emanuel, Bezirksarzt in Kelheim.
- Weber, Jakob, prakt. Arzt in Burghaslach, staatsärztl. approb.
- Weber, Jakob,'prakt. Arzt in Kaiserslautern, staatsärztl. approb.
Mitgliederverzeichnis.
163
1221.
Dr.
1222.
-
1223.
-
1224.
-
1225.
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1226.
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1227.
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1230.
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1241.
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1244.
-
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-
1246.
-
1247.
-
1248.
-
Weber, J., prakt. Arzt in Landeshut, staatsärztl. approb.
Weigel, prakt. Arzt in Milnohen, staatsärztl. approb.
Weikard, Bezirksarzt in Neu-Ulm.
Weiss, August, Landgeriohtsarzt in Bayreuth.
Weiss, Theobald, Bezirksarzt in Miesbaoh.
Welte, prakt. Arzt in Saal (Unterfr.), staatsärztl. approb.
W e n t z e 1, prakt. Arzt in SohmidmUhlen, staatsärztl. approb.
Wetzel, Landgerichtsarzt in Münoben.
Weygandt, ausserordentl. Professor und Privatdozent in
Wiirzburg.
Wiedemann, bezirksärztl- Stellvertreter in Bisohofsheim
a. d. Rhön.
Wild, prakt. Arzt in Endorf, staatsärztl. approb.
Wille, Bezirksarzt in Markt-Oberdorf,
v. Winokel, Geheimer Rat u. Prof, in München.
W ins au er, Bahnarzt und Hofarzt in Kleinheubach, staatsärztl.
approb.
Wirsohing, Bezirksarzt in Waldmohr.
W i 11 m e r, Assistenzarzt a. d. Kreiskrankenanstalt in Franken“
thal, staatsärztl. approb.
Wollenweber, Landgeriohtsarzt in Neuburg a. D.
Wunder, bezirksärztl. Stellvertreter in Wolfstein (Pfalz).
Zängerle, prakt. Arzt in aLndshut, staatsärztl. approb.
Zahn, Landgerichts- und Bezirksarzt in Kaiserslautern.
Z a n 11, Bezirksarzt in Eggenfelden.
Z e i 11 e r, Bezirksarzt in Ebrach.
Zeitler, prakt. Arzt in Wörth a./D., staatsärztl. approb.
Zinn, Landgeriohtsarzt in Bamberg.
Zöllner, Bezirksarzt in Bruck b. MUnohen.
Zorn, Friedrioh, prakt. Arzt in Memmingen, staatsärztl. approb
Zorn, Ludwig, prakt. Arzt in Frankenthal, staatsärztl. approb.
Zweoker, bezirksärztl. Stellvertreter in Waldfisohbach.
Außerdem Mitglied des Bayerischen Medizinalbeamtenvereins:
1249. - Leh mann, Chefarzt der Pierson sehen Privat - Heilanstalt
in Coswig a./Elbe.
1260.
1261.
*1252.
1263.
*1254.
1265.
1256.
1267.
*1258.
•1269.
1260.
O. Königreich Ssohian.
Dr. Beoker, Bezirksarzt u. Med.-Rat in Doebeln.
- Böttoher, Anstaltsbezirksarzt in Hohnstein.
- Erler, Bezirksarzt u. Med.-Rat in Meissen.
- Fiokert, Bezirksarzt in Rochlitz.
- Flinzer. Bezirksarzt u. Med.-Rat in Plauen i. Vogtland.
- Gelbke, Bezirksarzt u. Med.-Rat in Chemnitz.
- Hertsch, Bezirksarzt in Borna b. Leipzig.
- Hesse, Obermedizinalrat u. Bezirksarzt in Dresden-Strehlen.
- Hirschberg, Anstalts- u. Bezirksarzt in Zwickau.
- Holz, Bezirksarzt in Dippoldiswalde.
- Kookel, a. o. Professor u. Direktor des Institut« für gerichtl.
Medizin in Leipzig.
164
Mitgliederverzeiohnis.
1261.
1262.
1263.
1264.
*1265.
1266.
1267.
1268.
1269.
1270.
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1273.
1274.
1275.
*1276.
1277.
•1278.
1279.
1280.
•1281.
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1286.
1286.
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1288.
1289.
1290.
1291.
1292.
1293.
•1294.
1295.
1296.
*1297.
1298.
1299.
1300.
1301.
1302.
Dr. Lehmann, Obermedizinalrat u. Direktor der städtischen Heil-
und Pflegeanstalt in Dösen bei Leipzig.
- Lehmann, Bezirksarzt und Med.-Rat in Freiberg.
- Müller, Anstaltsbezirksarzt in Stollberg i. Erzgeb.
- Petzholdt, Bezirksarzt in Grossenhain.
- Perthen, Bezirksarzt in Oelsnitz i. Voigltl.
- Reohholtz, Bezirksatzt in Frankenberg.
- Riohter, Gerichtsassistenzarzt in Leipzig.
- Sauer, Bezirksarzt in Kamenz.
- Sohmidt, Bezirksarzt in Osohatz.
- Siegel, Stadt- u. Bezirksarzt u. Geh. Med.-Rat in Leipzig.
- v. Stieglitz, Bezirksarzt u. Med.-Rat in Löbau.
- Streit, Bezirksarzt u. Med.-Rat in Bautzen.
- Thierseh, San.-Rat, Assistent des Bezirksarztes in Leipzig.
• Weber, Geh. Med.-Rat und Direktor der Heil- u. Pflegeanstalt
in Sonnenstein.
- W eso he, Geh. Med.-Rat in Leipzig.
- Zehlert, Kgl. Bezirksarzt in Sohwarzenberg.
D. Königreich Württemberg.
Dr. Andrassy, Oberamtsarzt in Böblingen.
- Baur, Oberamtsarzt in Blaubeuren.
- Bilfinger, Oberamtsarzt in Neokarsulm.
- Blezinger, Oberamtsarzt u. Med.-Rat in Cannstadt.
- Breit, Oberamtsarzt u. Med.-Rat in Stuttgart.
- Bubenhofer, Oberamtsarzt u. MecL-Rat in Vaihingen a. E.
- Camerer, Med.-Rat u. Mitglied des Medizinalkollegiums in
Stuttgart.
- Ciess, stellvertretender Stadtdirektionsarzt in Stuttgart.
- Cuhorst Oberamtswundarzt in KUnzelsau.
- Dünge s, Chefarzt der süddeutsohen Heilstätte für Lungen¬
kranke Schömberg, staatsärztl. approb.
- Engelhorn, Oberamtsarzt und Med.-Rat in Göppingen.
- Fauser, San.-Rat u. dirig. Arzt am Bürger-Hospital in Stuttgart.
- Finokh, Oberamtsarzt in Tettnang.
- Föhr sen., Oberamtsarzt u. Med.-Rat in Marbaoh.
- Frioker, Oberamtsarzt in Nagold.
- Gastpar, Stadtarzt in Stuttgart.
- G a u p p, Oberamtsarzt in Schorndorf.
- Georgii, Oberamtsarzt in Maulbronn.
- Gnaut, Oberamtsarzt in Neresheim.
- Grundier, Oberamtswundarzt in Herrenberg.
• v. Guss mann, Obermedizinalrat und Mitglied des Medizinal-
Kollegiums in Stuttgart.
- Haag, Oberamtsarzt in Wangen (Allgäu).
- Habermaas, San.-Rat, leitender Arzt der Anstalt für
Schwachsinnige und Epileptische in Stetten im RemsthaL
- Härlin, Oberamtsarzt in Neuenbürg.
- Hart mann, Oberamtsarzt in Herrenberg.
- Heller, Oberamtsarzt in Baoknang.
Mitgliederverzeiohnis.
166
*1303.
1304.
1305.
•1306.
1307.
*1308.
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1310.
*1311.
•1312.
1313.
1314
1316.
1316.
1317.
131&
1319.
1320.
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1322.
1323.
1324
1325.
1326.
1327.
1328.
1329.
1330.
1331.
1332.
*1333.
1334.
1335.
1336.
1337.
•1338.
ia39.
1340.
1341.
1342.
•1343.
*1344.
1346.
1346.
1347.
1348.
Dr. Höring, Oberamtsarzt u. Hofrat in Weinsberg.
- Hopf, Oberamtsarzt u. San.-Rat in Balingen.
- Jägor, Oberamtsarzt u. Med.-Rat in Ulm.
- Kern, Oberamtsarzt in KUnzelsau.
- K n a u s s, Oberamtsarzt u. Med.-Rat in Geisslingen.
- Köstlin, Stadtdirektionsarzt u. Med.-Rat in Stuttgart.
- Kohlbaas, Med-Rat u. Mitglied des Medizinal - Kollegiums in
Stuttgart.
- Kommereil, Oberamtsarzt u. Med.-Rat in Waiblingen.
- Kr au ss, Oberamtsarzt u. Med.-Rat in Kirchheim-Teok.
- Kreuser, Med.-Rat und Direktor der K. Heil- u. Pflegeanstalt
in Winnenthal.
- Lang, Oberamtsarzt u. Hofrat in Besigheim.
•- Lang, Oberamtswundarzt in Rottweil.
- Lieb, Oberamtsarzt in Freudenstadt.
- Lindemann, Oberamtsarzt in Mergentheim.
- Ludwig, Oberamtsarzt in Leonberg.
- Lutz, Oberamtsarzt in Saulgau.
- Maisch, Oberamtsarzt in Oehringen.
- Majer, Oberamtsarzt und Med.-Rat in Hei'bronn.
- Man dry, Chefarzt des Krankenhauses in Heilbronn.
- Mayer, Oberamtswundarzt in Tettnang.
- Mayer, Viktor, Oberamtsarzt in Miinsingen.
- Mi ss mahl, Oberamtsarzt in Riedlingen.
- Mülberger, Oberamtsarzt in Crailsheim.
- Müller, Oberamtsarzt u. Med.-Rat in Calw.
- Müller, Oberamtsarzt in Oberndorf a. Neokar.
- Muntsoh, Stadt- und Distriktsarzt in Wiesensteig.
- Mutsohler, Oberamtsarzt in Aalen.
- Oesterlen, Prof, und Med.-Rat in Tübingen.
- Palmer, Oberamtsarzt u. Med.-Rat in Biberaoh.
- Paulus, Oberamtsarzt in Heidenheim.
- Pfäfflin, Oberamtsarzt in Urach.
- Pfeilstioker, Oberamtsarzt u. Med.-Rat in Gmünd.
- P fl ei derer, Stadtarzt in Knittlingen.
- Ray, Oberamtsarzt in Ehingen.
- v. Rembold, Ober-Med. Rat u. Mitglied des Med.-Kollegiums
in Stuttgart.
- Rembold, Oberamtsarzt in Waldsee.
- Rödelheimer, Oberamtsarzt u. San.-Rat in Laupheim.
- Romberg, Oberamtsarzt in Nürtingen.
- R u s s, Oberamtsarzt u. Med.-Rat in Rottweil.
- Sattler, Oberamtswundarzt in Cannstadt.
- Soheef, Oberamtsarzt in Rottenburg.
- Soheurlen, Ober-Med.-Rat und Mitglied des Medizinalkolle¬
giums in Stuttgart.
- Schmid, Oberamtsarzt u. Med.-Rat in Brackenheim.
- Sohmidt, Oberamtswundarzt in Rottenburg a. Neokar.
- Sohneckenburger, Oberamtsarzt in Tuttlingen.
- So hum, Oberamtswundarzt in Mergentheim.
156
Mitgliederverzeiohnis.
1349. Dr. Schulz, fürstl. Leibarzt in Wolfegg, staatsärztl. approb.
1350. - Schott, Oberarzt an der Königl. Heilanstalt in Weinsberg.
1351. - Seeger, Oberamtsarzt in Welzheim.
1352. - Siegmundt, Oberamtsarzt in Spaihingen.
1353. - Späth, Oberamtsarzt u. Med.-Rat in Esslingen.
1354. - Staudenmeyer, Oberamtsarzt in Langenburg.
1355. - Steinbrück, Oberamtsarzt u. Med.-Rat in Reutlingen.
1356. - SUsskind, Oberamtsarzt a. D. in Heidenheim.
1357. - SUsskind, Oberamtsarzt in Hall (Schwäbisch).
1358. - T e u f f e 1, Oberamtsarzt ln Gaildorf.
1859. - Walcher, Med.-Rat, Direktor der Landes-Hebammen-Lehr-
anstalt in Stuttgart.
1360. - Walz, Medizinalrat u. Mitglied des Medizinalkollegiums in
Stuttgart.
1361. - Werfer, Oberamtsarzt u. Med.-Rat in Eliwangen.
1362. - Wollenberg, Prof. u.Direktor d. psyohiatr.Klinik in Tübingen
1363. - Zeller, Oberamtsarzt u. Med.-Rat in Ludwigsburg.
1364. Dr.
1365. -
*1366. -
*1367. -
*1368. -
*1369. -
*1370. -
1371. -
*1372. -
*1373. -
*1374. -
1375. -
1376. -
1377. -
1378. -
*1379. -
*1380. -
1381. -
*1382. -
1383. -
1384. -
*1385. -
*1386. -
1387. -
*1388. -
*1389. -
*1390. -
*1391. -
1392. -
E. Grosshersogtum Baden.
Baader, Bezirksarzt und Med.-Rat in St. Blasien.
Battlehner, Geheimer Rat in Karlsruhe.
Bau mann, Bezirksassistenzarzt in Walldürn.
Becker, Bezirksarzt u. Med.-Rat in Offenburg.
Behrle, Bezirksarzt u. Med.-Rat in Mannheim.
Blume, Bozirksassistenzarzt u. Med.-Rat in Philippsburg.
Brenzinger, Bezirksarzt und Med.-Rat in Buohen.
Compter, Bezirksarzt und Med.-Rat in Rastatt.
Dörner, Bezirksarzt in Adelsheim.
Esohle, Direktor der Kreispflegeanstalt in Sinsheim.
Greif f, Ober - Med. - Rat in Karlsruhe.
Hauser, Ober-Med.-Rat in Karlsruhe.
Heinemann, Bezirksarzt u. Med.-Rat in Konstanz.
Herzog, Bezirksassistenzarzt in Gengenbach.
Hoohe, Professor u. Direktor der psyohiatrisohen Klinik in
Freiburg i. Breisgau.
Holl, Bezirksassistenzarzt in Heidelberg.
Kaiser, Bezirksarzt u. Med.-Rat in Karlsruhe.
Kamm, Bezirksarzt in Bretton.
Kl ehe, Geh. Med.-Rat u. Bezirksarzt in Bruohsal.
K r i e s c h e, Adolf, Bezirksarzt tu Med.-Rat in Breisaoh.
Kröll, Bezirksarzt u. Geh. Hofrat in Lahr.
Kürz, Bezirksarzt u. Med.-Rat in Heidelberg.
Lefholz, Bezirksarzt in Säokingen.
Manz, Bezirksarzt in Pfullendorf.
Mayer, Bezirksarzt in Schopfheim.
Me es, Bezirksarzt in Bonndorf.
Mittermaier, Geh. Med.-Rat in Heidelberg.
Nitka, Bezirksassistenzarzt in Mannheim.
Rehmann, Bezirksarzt u. Med.-Rat in Pfonheim.
Mitgliederverzeiohnis.
157
*1398. Dr. Rittstieg, Bezirksarzt in Eppingen.
1394 - Schleid, Bezirksarzt in Wieslooh.
1895. - Sohmid, Bezirksarzt in Meßkiroh.
*1396. - Sohneider, Bezirksarzt in Achern.
*1897. - Sohottelius, Professor u. Geh. Hofrat in Freiburg i. Br.
*1898. - Sohulze, prakt. Arzt in Ziegelhausen bei Heidelberg, staats¬
ärztl. approb.
1399. - Stark, Bezirksarzt u. Med.-Rat i. Lörraoh.
*1400. - Stöoker, Bezirksarzt in Eberbaoh a./Necker.
1401. - Thomann, Bezirksarzt in Wertheim a. M.
*1402. - Thomen, Bezirksarzt in Weinheim.
*1403. - Vögel in, Bezirksassistenzarzt in Gernsbaoh (Murohtal).
1404. - Walther, Bezirksarzt u. Med.-Rat in Ettenheim.
*1405. - Warth, Med.-Rat und Bezirksarzt in MUllheim.
*1406. - Wippermann, Med.-Rat und Bezirksarzt in Mosbach.
1407. - Wörner, Bezirksarzt in Ueberlingen.
*1408. - Wohlfahrt, Bezirksarzt in Bühl.
*1409. - Zix, Bezirksarzt u. Med.-Rat in Schwetzingen.
F. GroMharsogtum Hassan.
*1410. Dr. Baiser, Kreisarzt u. Med.-Rat in Mainz.
*1411. - Best, Kreisassistenzarzt in Hirschhorn a. Neokar.
1412. - Gursohmann, Kreisassistenzarzt in Giessen.
1413. - Dannenberger, Kreisarzt u. Med.-Rat in Dieburg.
1414 - Dresoher, Kreisassistenzarzt in Mainz.
1415. - Fertig, Kreisarzt u. Med.-Rat in Worms.
1416. - Fresenius, Kreisassistenzarzt in Worms.
1417. - Grein, prakt. Arzt in Offenbach, staatsärztl. approb.
•1418. - Groos, Kreisarzt u. Med.-Rat in Bensheim.
1419. - Haberkorn, Kreisarzt u. Med.-Rat in Giessen.
*1420. - Hauser, Geh. Ob.-Med.-Rat in Donastadt.
1421. - Heinricy, Kreisarzt in Lauterbaoh.
1422. - Jaup, prakt. Arzt in Gross-Gerau, staatsärztl. approb.
1423. - Koeniger, Kreisarzt in Schotten.
1424. - Langermann, Kreisassistenzarzt in Gedern.
*1425. - Lehr, Med.-Rat u. Kreisarzt in Darmstadt.
1426. - Lindenborn, Kreisarzt u. Med.-Rat in Gross-Gerau.
1427. - Nebel, Kreisarzt in Friedberg.
*1428. - Neidhart, Geh. Obermedizinal-Rat in Darmstadt.
1429. - Pfannmüller, Med.-Rat u. Kreisarzt in Offenbaoh a./M.
1430. - Pfannenstiel, Geh. Med.-Rat, Professor u. Direktor der
geburtshilflichen Frauenklinik in Giessen.
1431. - Schäffer, Kreisarzt in Alzey.
1432. - Sohäffer, Kreisarzt in Bingen.
1433. - Sohwan, Kreisassistenzarzt in Darmstadt.
1434 - Stigell, Kreisarzt u. Med.-Rat in Oppenheim.
1435. - W a 1 g e r, Kreisarzt in Erbach (Odenwald).
1436. - Walther, Prof.u.Lehrer an d. Hebam.-Lehranatalt in Giessen
1437. - Wengler, Kreisarzt in Alsfeld.
1438. - Wiessner, Kreisarzt u. Med.-Rat in Büdingen.
168
Mitgliederverzeiohms.
O. Oroashanogtftmar l«oUenbu| • Bohwaria n. XeoUnbuf*
ßtrellta
1439. Dr. D u g g e, Kreiaphysikua in Rostock.
1440. - El fei dt, Kreiaphysikua u. San.-Rat in Gadebusch.
1441. - Günther, Kreiaphysikua n. San.-Rat in Hagenow.
1442. - Havemann, Kreiaphysikua u. Med.-Rat in Dobbertin.
1443. - Kausch, Direktor der Kaltwasserheilanstalt in Feldberg, pro
physic. approb.
1444. - Mozer, Kreiaphysikua u. Med.-Rat in Malchin.
1446. - Müller, Geh. Med.-Rat u. Medizinal-Referent bei dem Justiz¬
ministerium (Abt. f. Medizinal-Angelegenheiten) in Schwerin.
1446. - Mulert, Kreiaphysikua u. San.-Rat in Waren.
1447. - Reuter, Kreiaphysikua u. Med.-Rat in Güstrow.
1448. - Sohrakamp, Physikus in Schönberg (Mecklenburg-Strelitz).
1449. - Sohubart, prakt. Arzt in Parchim (Mecklb.), staataärztl. approb.
1460. - Sohuohardt, Geh. Med.-Rat u. Professor in Gehlsheim
(Mecklb.-Schwerin), Mitglied der Medizinalkommission.
1451. - Stephan, Kreisphysikus u. Med.-Rat in Dargun.
1462. - Unruh, Kreisphysikus u. Med.-Rat in Wismar.
1453. - Viereck, Kreisphysikus u. San.-Rat in Ludwigslust.
1464. - Wilhelmi, Kreisphysikus u. Med.-Rat in Schwerin.
H. Oronhenogtnm Oldenburg.
1466. Dr. Barnstedt, prakt. Arzt in Bockhorn, staatsärztl. approb.
1456. - G i e s 1 e r, Physikus in Eutin (Fürstentum Lübeck).
1457. - Heinz, Amtsarzt in Veohta.
1468. - Möhlfeld, Amtsarzt in Delmenhorst.
1459. - Ritter, Geh. Ober-Med.-Rat, Mitglied des Med.-Kollegiums.
1460. - Schlaeger, Landphysikus u. Landgerichtsarzt in Oldenburg.
1461. - Schmidt, Landesarzt u. Med.-Rat in Idar (Fürstent. Birkenfeld)
1462. - Tietz, prakt. Arzt in Idar (Fürstent. Birkenfeld), staatsärztl
approb.
L OroMhersogtum Saohsen - Weimar.
1463. Dr. Brauns, Med.-Rat u. Bezirksarzt in Eisenaoh.
1464. - Giese, Privatdozent u. Bezirksarzt in Jena.
*1465. - Gumpreoht, Prof. u. Med.-Rat in Weimar.
1466. - Knopf, Bezirksarzt u. Med.-Rat in Weimar.
1467. - Löber, Bezirksarzt in Vacha.
1468. - Meunier, Bezirksarzt in Creuzburg a M.
1469. - Miohael, prakt. Arzt in Ilmenau, staatsärztl. approb.
1470. - Moser, Bezirksarzt u. Med.-Rat in Dornburg.
1471. - Pfeiffer, Geh. Hof- u. Med.-Rat in Weimar.
1472. - R ö h 1 e r, Bezirksarzt in Apolda
1473. - Stapff, Bezirksarzt in Dermbach.
1474. - Starke, Med.-Rat u. Bezirksarzt in Vieselbaoh.
1475. - Wedemann, Med.-Rat, Landgerichts- u. Bezirksamt i. Eisenaoh.
1476. - Werner, prakt. Arzt in Blankenhain, staatsärztl. approb.
Mitgliederverzeiohnis.
159
K. Henogtnm Anhalt.
1477. Dr. von Brunn, Kreisphysikus u. Med.-Rat in Köthen.
1478. - Esieben, Kreisphysikus u. Med.-Rat in Bemburg.
1479. - Fitzau, Kreisphysikus in Ballenstedt.
1480. - Klauder, prakt. Ärztin Dessau, staatsärztl. approb.
1481. - Neuendorf, Direktor der Irrenanstalt u. Med.-Rat in Bernburg
1482. - Oehmke, Kreisphysikus u. Med.-Rat in Dessau.
*1483. - Ri oh t er, Reg.- u. Geh. Med.-Rat in Dessau.
1484. - Robitzsoh, Kreisphysikus u. Med.-Rat in Zerbst.
1486. - Weinberg, prakt. Arzt in Güsten, staatsärztl. approb.
L Herzogtum Braunaohwelg.
1486. Dr. Beokhaus, Physikus u. San.-Rat in Königslutter.
1487. - Diederiohs, prakt. Arzt in Holzminden, staatsärztl. approb.
1488. - Ehrlich, prakt. Arzt in Stadt-Oldendorf, staatsärztl. approb.
1489. - Engel, Physikus in Sohöppenstedt.
*1490. - Engelbreoht, Med.-Rat u. Mitglied des Obersanitätskollo-
giums in Braunschweig.
1491. - Hartmann, Physikus in Ottenstein.
1492. - Klöppel, San.-Rat u. Physikus in Blankenburg.
1493. - Müller, Rob., Physikus in Braunschweig.
1494. - Niemann, Physikus u. San.-Rat in Holzminden.
1496. - Roth, Stadtphysikus u. San.-Rat in Braunsohweig.
1496. - Sohrader, San.-Rat u. Physikus in Vechelde.
1497. - Seulke, Physikus u. San.-Rat in Eschershausen.
1498. - Zimmer, Physikus und San.-Rat in Gandersheim.
X. Herzogtum Baohsen -Altenburg.
1499. Dr. Hesse, Bezirksarzt in Eisenberg.
1500. - Kutschbaoh, Bezirksarzt in Kahla.
1501. # - Lorentz, Bezirksarzt u. San.-Rat in Luoka.
1502. - Nützennadel, Med.-Rat in Altenburg.
1503. - Schaumkeil, prakt. Arzt in Ronneburg, staatsärztl. approb.
V. Herzogtum Baohsen - Coburg - Gotha.
1604. Dr. Beoker, Amtsphysikus u. Geh. Med.-Rat in Gotha.
1605. - Franke, Amtsphysikus in Waltershausen.
1606. - Kessler, prakt. Arzt in Gotha, staatsärztl. approb.
1607. - Kompe, prakt. Arzt in Friedrichsroda, staatsärztl. apqrob.
1508. - Liebmann, Amtsphysikus u. Med.-Rat in Neustadt.
1509. - Philipp, Geh. Regierungs- u. Ober-Med.-Rat in Gotha.
1610. - Pottien, Amtsphysikus in Gräfentonna.
1511. - Sterzing, Stadtphysikus u. Med.-Rat in Gotha.
1612. - St Ul er, Amtsphysikus in Ohrdruf.
1618. - Waldvogel, Med.-Rat u. Amtsphysikus in Coburg.
160
Mitgliederverzeiohnis.
O. Herzogtum gaohsen - Meiningen.
1514. Dr. Berthot, Physikus u. San.-Rat in Hildburghausen.
1515. - Freyburg, Physikus in Meiningen.
1516. - Leubuscher, Prof., Reg.- und Geh. Med.-Rat in Meiningen.
1517. - Helmkampf, Physikus u. San.-Rat in Saalfeld.
1618. - Sohöningh, Physikus in Gräfenthal.
1519. - Wagner, Kreisphys. u. Geh. Med.-Rat in Salzungen.
1620. - Wegener, Kreisphysikus in Wasungen.
P. Fürstentum Kanas Utero Linie.
1621. Dr. Krämer, Physikus in Zeulenroda.
1522. - Löscher, Physikus in Remptendorf.
1623. - Soheube, Physikus u. Med.-Rat in Greiz.
Q. Fürstentum Renas Jüngere Linie.
1524. Dr. Franz, Bezirksarzt in Sohleiz.
1525. - Hä über, Med.-Rat u. Bezirksarzt in Gera.
B. Fürstentum Lippe.
1526. Dr. Carius, Amtswundarzt in Detmold.
1527. - Esohenburg, Geh. Hofrat in Detmold.
1528. - Gottschalk, Physikus in Salzuflen.
1529. - Hovedissen, San.-Rat u. Amtswundarzt in Varenholz.
1630. - Overbeck, Geh. Med.-Rat in Lemgo.
1531. - Pütz, Amtswundarzt in Bösingfeld.
1532. - Theopold, Physikus u. San.-Rat in Blomberg.
1533. - Volkhausen, Med.-Rat u. Physikus in Detmold.
8. Fürstentum Sohaumbnrg - Lippe.
1534. Dr. Burohard, Kreisphysikus in BUokeburg.
1636. - Lambreoht, Kreisphysikus in Stadthagen.
1636. - Ridder, Geh. Med.-Rat in Büokeburg.
T. Fürstentum Sohwarxbnrg - Rudolstadt.
1537. Dr. Graef 1, Geh. San.-Rat u. Physikus in Frankenhausen.
1638. - Rosendorf, Bezirksphysikus in Leutenberg.
1639. - Rost, Regierungs- u. Med.-Rat in Rudolstadt
1540. - Sorge, Bezirksphysikus in Königssee.
U. Fürstentum 8ohw&rslrarg-8ondershAHsen.
*1541. Dr. Bayer, Geh. Med.-Rat, vortrag. Rat im Ministerium u. Besirka-
physikus in Sondershausen.
Mitgliederverzeichnis.
161
1542. Dr. M tlller, Bezirksphysikus in Gehren.
1543. - Oss wald II, Bez.-Physikus u. San.-Rat in Arnstadt.
V. Fflratentum Waldeok.
1544. Dr. Hartwig, Kreisphysikus u. San.-Rat in Korbaoh.
1545. - M a n n e 1, Geh. Medizinalrat in Arolsen.
1546. - Maro, Kreisphysikus u. Geh. San.-Rat in Bad Wildungen
1547. - Seebohm, Geh. Hofrat u. Kreisphysikus in Pyrmont.
W. Freie and HmutMte.
1548. Dr. Berkhan, Amtsphysikus in Bergedorf.
1549. - Dreier, Kreisarzt in Bremen.
1550. - Harmsen, prakt. Arzt in Hamburg, staatsärztl. approb.
1551. • Heinrioh, Hafenarzt in Bremerhaven, staatsärztl. approb.
1552. - Kister, AbteilungsVorsteher am hygienisohen Institut in
Hamburg.
1553. - Loohte, Physikus in Hamburg.
1554. - Maes, Physikus in Hamburg.
1555. - Otto, Besitzer einer Privatklinik nebst mediko-mechanisohem
Institut in Hamburg, pro physio. approb.
1556. - Rei.noke, Med.-Rat in Hamburg.
1657. - Riedel, Physikus u. Med.-Rat in Lübeck.
1558. - Sieveking, Physikus in Hamburg.
1559. - Strub e, Gerichtsarzt in Bremen.
1560. - Tiedemann, prakt. Arzt in Bremen, staatsärztl. approb.
1561. - Tjaden, Geschäftsführer des Gesundheitsamts u. Direktor des
bakteriologischen Instituts in Bremen.
1562. - Wahnoau, Verwaltungs-Physikus in Hamburg.
X. Beiohsland Eisau - Lothringen.
1563. Dr. de Bary, Kreisarzt u. Mecl.-Rat in Altthann (Oberelsaß).
1564. - Belin, Kreisarzt in Straßburg i./Els.
1565. - Bielski, Kantonalarzt in Maursmünster.
1566. - Biedert, Prof. u. Geh, Med.-Rat, Ministerialrat in Strassburg
i./Els.
1567. - Giß, Kreisarzt in Diedenhofen.
*1568. - Hecker, Reg.- und Med.-Rat in Straßburg i./Els.
1569. - Hoeffel, Geh. Med.-Rat und Kreisarzt in Buchsweiler.
1570. - Holtzmann, Landesgesundheitsinspektor in Straßburg i./E.
1571. - Köster, Med.-Rat und Kreisarzt in Saarburg.
1572. - Krimke, Kreisarzt in Rothau i. Eis.
1573. - Matth es, Leiter des bakteriologischen Instituts in Metz.
1574. - Mosser, Kreisarzt in Rappoltsweiler.
1675. - M Ul ler-H er ring s, Kreisarzt in Metz.
1576. - Pawolleck, Regierungs- u. Geh. Med.-Rat in Metz.
1577. - Ransohoff, Direktor der staatl. Irrenanstalt in Stophansfeld
bei Straßburg i/E.
162
Mitgliederverzeiohnis.
1678. Dr. Spiegel, Kreisarzt in Gebweiler.
1679. - Sutter, Kantonalarzt in St. Avold.
1680. - Winter, prakt. Arzt in Sennheim, staatsärztl. approb.
Ausserdem:
1581. Dr. Overlaoh, Ober-Med.-Rat in Schdneberg b. Berlin.
1582. - Weiohardt, Bezirksphys. a. D. und San.-Rat in Berlin.
Gestorben seit der diesjährigen Versammlung:
1. Dr. Albert, Bezirksarzt in Hassfurt (Bayern.)
2. - Comnick, Kreisarzt u. Med.-Rat in Striegau (Sohlesien).
3. - Heilmann, Kreisphys. z. D.u.Geh. San.-Rat in Krefeld(Rheinpr.).
4. - Helm, San.-Rat u. Physikus in Helmstedt (Braunsohweig).
5. - Hennig, prakt. Arzt in Berent, staatsärztl. approb. (Westpr.).
6. - Karsoh, Ober-Med.-Rat in Speyer (Bayern).
7. - Merkel, Kreisarzt u. Geh. Med.-Rat in Ziegenhain (Hessen-Nassau).
8. - Poeschel, Bezirksarzt in Beraeok (Bayern).
9. - S o hrö der, Bezirksarzt u. Med.-Rat in Neustadt a./Hardt (Bayern).
10. - Weinreich, Kreiswundarzt z. D. in Merseburg (Pror. Sachsen)
Bayerischer Kedizinalheamten-Verein (E. V.).
Offizieller Bericht
über die
II. Land es Versammlung
ZU
Würzburg
am 2. und 3. Juni 1905.
Berlin 1905.
FISCHER’S MEDIZINISCHE BUCHHANDLUNG.
H. Kornfeld.
Herzogi. Bayer. Hof- und Erzherzogi. Kammer - Buchhändler.
Bayerischer Medirinalbeamten-Verein (E.V.).
Offizieller Bericht
über die
II. Landesyersammlung
W ürzburg
am 2. und 3. Juni 1905.
Berlin 1905.
FISCHER’S MEDIZINISCHE BUCHHANDLUNG.
H. Kornfeld.
Herzog!. Bayer. Hof- and Erzherzog!. Kammer - Buchhändler.
Inhalt.
A. Bericht Ober die zweite Hauptversammlung. 1
1. Eröffnung der Versammlung. Geschäfts- und Kassenbericht . . 1
2. Neueste Ergebnisse bei der Erforschung der Infektionskrank¬
heiten. Prof. Dr. K. B. Lehmann, Vorstand des hygienischen
Instituts in Wttrzburg. 3
3. Wie haben sich die Gesetzesparagraphen des Bürgerlichen Gesetz¬
buches und der Zivilprozeßordnungsnovelle, welche sich auf
die Entmündigung beziehen, in der gerichtsärztlichen Praxis
bewährt und welche Erfahrungen werden von seiten der ärzt¬
lichen Sachverständigen in bezug auf die Handhabung der
Gesetze gemachtf Landgerichtsarzt Dr. Burgl-Nürnberg 15
4. Weitere Mitteilungen über die quantitative Bestimmung der
Lungenluft bei Neugeborenen; eine Erweiterung der Lungen¬
schwimmprobe. Landgerichtsarzt Prof. Dr. Stumpf-Würzburg 35
5. Die geistige Minderwertigkeit im schulpflichtigen Alter. Prof.
Dr. Weygandt-Wttrzburg . 37
6. Bevimon der Bezepttaxierung durch die KönigL Bezirksärzte . 61
B. Sitzung des Vorstandes. 68
C. Verzeichnis der Teilnehmer an der Versammlung . . 67
-— ^VW'JVVX
A. Bericht
über die am
Samstag, den 3. Juni 1905, vormittags 8 1 /» Uhr
in
"W’ttrzb'urg
in den Gesellschaftsränmen der „Harmonie“
stattgehabte
Zweite Hauptvergammlung.
L Eriffiui dar Virsamnlng. Geschäfts¬
ud Kassssberleht.
Der Vorsitzende, Bezirksarzt Dr. Angerer-Weilheim,
eröffnet die Versammlung mit einer Begrüssung der erschienenen
Mitglieder; insbesondere begrttsst er die anwesenden Herren
Kreismedizinalräte und dankt für das Interesse, das sie durch
ihre Teilnahme an der Versammlung dem Bayerischen Medizinal¬
beamtenverein entgegenbringen; ebenso begrftsst er den Vorstand
der Stadtverwaltung von Würzburg, Herrn I. Bürgermeister, Kgl.
Hofrat v. Michel.
Weiterhin berichtet er, dass der Verein aus 343 Mitgliedern
besteht, wovon 178 amtliche und 165 pro physicatu geprüfte
praktische Aerzte sind; er betont diese Zusammensetzung mit je
der Hälfte amtlicher und praktischer Aerzte als ganz besonders
wertvoll mit dem Hinweis, dass eine erfolgreiche Tätigkeit der
amtlichen Aerzte nur mit ausgiebiger Unterstützung der prak¬
tischen Aerzte möglich sei, und gibt der Hoffnung Ausdruck,
dass wie im beruflichen und praktischen Leben, so auch innerhalb
des Vereins ein erspriessliches Zusammenarbeiten beider sich be¬
merkbar machen möchte.
Landgerichtsarzt Dr. Hermann-Fürth referiert über den
Kassenbestand. Die Rechnung schliesst ab mit 8177 M. 70 Pf.
Einnahme und 2492 M. 35 Pf. Ausgabe, bleibt somit ein
Kassenbestand von 685 M. 35 Pf. baar.
Die Rechnung wurde von den Bezirksärzten Dr. Späth-
Landshut und Dr. Di et sch-Hof geprüft und richtig befunden.
l
2
Eröffnung der Versammlung.
Weiterhin stellte Dr. Hermann-Fürth den Antrag, den
Vereinsbeitrag für das folgende Jahr anf 15 Mark festzu-
setzen; dem Antrag wurde zugestimmt.
H. Reg.- n. Kreis-Med.-Rat Dr. Schmitt -Würzbnrg: Sehr
geehrte Herren! Meine lieben Kollegen! Wie Sie ans dem Munde
Ihres Herrn Vorsitzenden, dem ich für seine freundlichen, mir
geltenden Worte bestens danke, erfahren haben, steht die Staats¬
regierung Ihrem jungen Vereine, dem Bayerischen Medizinal¬
beamtenvereine, wohlwollend gegenüber. Ausser anderem ist
hierfür schon dadurch der Beweis gegeben, dass das Kgl. Staats-
ministerium die Kreisregierungen ermächtigt hat, zu den Versamm¬
lungen Ihres Vereins Vertreter abzuordnen, so dass sich ausser
mir noch 3 Medizinalreferenten in Ihrer Mitte befinden mit dem
Aufträge, ihrer Regierung über die Verhandlungen zu referieren.
Durch diese Abordnung komme ich selbst in die angenehme Lage
unter Ihnen, meine Herren Kollegen, nicht nur eine Reihe alter
Freunde und Kollegen begrüssen zu können und neue zu gewinnen,
sondern es ist mir auch vergönnt, mich dahin auszusprechen, dass
ich persönlich den Zwecken, Zielen und Bestrebungen des Bayer.
Medizinalbeamtenvereins sympathisch gegenüberstehe. Ich darf
deshalb wohl mit dem Wunsche schliessen, es möge Urnen ge¬
lingen, jene Ziele zu erreichen, welche Sie sich als Aufgaben
Ihres Vereins gestellt haben; ich wünsche dem Vereine das beste
Gedeihen, Ihren heutigen Verhandlungen den besten Erfolg!
H. I. Bürgermeister Kgl. Hofrat v. Michel: Meine sehr ver¬
ehrten Herren! Im Namen der Stadt und der Stadtverwaltung
Würzburg rufe ich Ihnen ein herzliches Willkommen entgegen!
Mit diesem Willkommgruss der Stadt verbinde ich zugleich den
Dank dafür, dass Sie für Ihre diesjährige Tagung, die meines
Wissens als erste ordentliche Tagung stattfindet, die Stadt
Würzburg gewählt haben. Wir wissen die Ehre dieser Wahl um
so mehr zu schätzen, als die Wahl erfolgt ist aus der eigenen Ini¬
tiative Ihres Vereins ohne Einwirkung von fremder Seite. Dass
diese Wahl Sie nicht gereuen möge, dafür bürgt, glaube ich, ausser
dem gastlichen Ruf der Stadt auch der Umstand, dass eine grosse
Zahl von Ihnen durch eine Reihe angenehmer Erinnerungen aus der
heiteren Studienzeit mit der alten Universitätsstadt verbunden ist.
Dass die Stadtverwaltung für Ihren hochachtbaren Beruf die wärm¬
sten Sympathien empfindet, Ihren Bestrebungen und Verhandlungen
regstes Interesse entgegenbringt, darüber glaube ich kaum, mich
näher äussern zu müssen. Heutzutage, wo die Hygiene im Interesse
der Volkswohlfahrt überall die ihr gebührende Rücksicht findet,
hat der Medizinalbeamte im Organismus der öffentlichen Verwal¬
tung eine geradezu hervorragende Rolle und so wünsehe ich denn
namens der Stadt und der Stadtverwaltung Würzburg, dass Ihre
diesmaligen Beratungen nach jeder Richtung hin von Erfolge be¬
gleitet sind. Ich wünsche jedoch auch, dass es Ihnen in unserer
Stadt recht gut gefallen möge und dass die Rückerinnerangen an
Ihre diesmalige Tagung auch angenehme Erinnerungen an die
Stadt Würzburg in sich bergen, welche Sie veranlassen werden
Dr. Lehmann: Neueste Ergebnisse bei der Erforschung der Infektionskrankheiten. 8
und mögen, oft und hoffentlich anf längere Zeit wieder in sie
zurückzukehren. Und in diesem Sinne heisse ich Sie nochmals
herzlichst willkommen in Würzburg!
Der Vorsitzende dankt den beiden Herren Rednern für
Ihre wohlwollenden und freundlichen Worte und bittet besonders
Herrn I. Bürgermeister Hofrat y. Michel den Dank des Vereins
der Stadtverwaltung Würzburg übermitteln zu wollen für die
gastliche Aufnahme und namentlich auch für die interessanten und
reizenden litterarischen Festgaben an die Teilnehmer der Ver¬
sammlung.
Hierauf gab er einen kurzen Bericht über die gestrige
Vorstandssitzung (siehe am Schlüsse dieses Berichtes) und
teilte eine Anzahl eingelaufener Briefe von am Erscheinen ver¬
hinderter Kollegen mit, darunter auch ein Schreiben des Herrn
Ob.-Med.-Rats Dr. v. Grashey, worin dieser sein Bedauern
aussprach, infolge dienstlicher Abhaltung der Einladung nicht
folgen zu können, der Versammlung seinen Gruss entbot und den
Verhandlungen den besten Verlauf wünschte.
Dann wurde in die Beratung der Tagesordnung eingetreten.
II. Nousti Ergebelm M dir Erftrschng der
lifektloiskraikktltei.
(Mit Demonstrationen.)
H. Prof. Dr. K. B. Lehmann, Vorstand des hygienischen
Instituts Würzburg: Es geht Ihnen, meine sehr verehrten
Herren Kollegen, wohl allen gelegentlich wie mir; es beschleicht
Sie Ungeduld und Kummer, dass wir trotz aller Bemühungen der
Theoretiker und Praktiker, der Aerzte, Pathologen, Botaniker,
Zoologen und Hygieniker, über das Zustandekommen der Epide¬
mien von wichtigen Infektionskrankheiten noch immer so vieles
nicht wissen — mindestens nicht sicher wissen. Noch immer
harren z. B. Pettenkofers glänzende Beobachtungen einer ab¬
schliessenden, allseitig befriedigen Erklärung. — In solcher Stim¬
mung tut es gut, einmal zurückzuschauen! Schlagen Sie z. B. das
sorgfältige Werk von Hirsch „Medizinische Geographie“ aus dem
Jahre 1883 auf und lesen sie nach, was man damals wusste.
Nachdem Hirsch alle möglichen Erfahrungen der Aerzte aller
Zeiten und die Meinung der verschiedenen alten und neuen Au¬
toren über die Aetiologie der Pest angeführt, sagt er nämlich wörtlich:
„Ein sicheres Urteil über die Rolle, welche der Pestkranke bei
der Uebertragung des Krankheitsgiftes spielt, bezw. ob sich das¬
selbe in ihm reproduziert — oder ob er (was ich für wahrschein¬
licher halte) nur der Träger des ausserhalb seiner reproduzierten
und wirkungsfähig gewordenen Pestgiftes darstellt ... — lässt
sich nicht sicher formulieren. Jedenfalls können auch gesunde
Menschen die Pest übertragen.“
l*
4
Dr. Lehmann.
Mutet ans dies nicht an, als ob es vor drei statt yor einem
Menschenalter geschrieben wäre, und tröstet es nns Ungeduldige
nicht über so manche Unvollkommenheit unseres heutigen Wissens!
Wie anders sehen wir jetzt diese Dinge an, wie sind wir
von folgenden Grund Vorstellungen überzeugt:
Bei jeder Infektionskrankheit muss ein Mikroorganismus in
den Körper des Befallenen gelangen; er muss sich darin ver¬
mehren. Die Vermehrung kann mikroskopisch oder auch nur
experimentell dadurch nachgewiesen werden, dass kleinste Mengen
der Körperflüssigkeiten des Erkrankten ausreichen, um weitere
Individuen anzustecken, von denen dann immer weitere infiziert
werden können. Das geht bei keiner Intoxikation. Der Infektions¬
erreger verursacht Krankheit durch Bildung von Stoffwechsel¬
produkten, die wir in manchen Fällen schon ziemlich gut kennen.
Der Kranke ist aber nur dann ansteckend, wenn die Krank¬
heitserreger seinen Körper verlassen und in lebendem Zustande
auf oder in andere Menschen gelangen können.
Infektionskrankheiten, die nicht anstecken, die der früheren
Generation als miasmatisch erschienen, nehmen nur deshalb diese
merkwürdige Sonderstellung ein, weil der Infektionserreger den
Körper des Kranken nicht oder nicht leicht verlässt und unter
natürlichen Bedingungen nur unter der Vermittelung gewisser
Zwischenträger in einen neuen Menschen gelangt. Das klassische
Beispiel hierfür ist die Malaria, welche nur durch die Anopheles¬
schnake übertragen wird, die nicht überall vorkommt. Ist der
Zwischenträger aber sehr häufig, so können auch direkt gar nicht
ansteckende Krankheiten höchst ansteckend erscheinen: Gelbfieber,
Typhus exanthematicus und recurrens.
Es ist hier in Würzburg gewesen, wo zum ersten Male dar¬
getan wurde, dass der Typus aller miasmatischen Krankheiten,
die Malaria, direkt künstlich überimpfbar sei. Durch seine be¬
rühmten Ueberimpfungsversuche auf den Menschen hat Gerhardt
zum ersten Male einwandfrei die Malaria als eine wirkliche In¬
fektionskrankheit erwiesen — und durch Beseitigung der unklaren
Miasmabegriffe mächtig zum Verständnis der Infektionskrankheiten
beigetragen.
Die Aelteren von Ihnen haben die ganze glänzende Entwicke¬
lung der modernen Erforschung der Aetiologie der Infektions¬
krankheiten miterlebt. Nachdem Pasteur, Lister, Nägeli,
Cohn, Klebs, Hüter und Henle, um nur einige der glän¬
zendsten Namen zu nennen, nach den verschiedensten Richtungen
hin der Erforschung der Aetiologie der menschlichen und tierischen
Infektionskrankheiten vorgearbeitet hatten, sind Sie, meine Herren,
Zeugen gewesen, wie es dem Genius und der Arbeitskraft von
Robert Koch mit Hülfe bestechend einfacher und jedem Laien
einleuchtender, wahrhaft geistreicher Methoden gelang, unterstützt
von begeisterten und begabten Schülern in der auffallend kurzen
Zeit von etwa 10 Jahren die meisten bakteriellen Infektions¬
krankheiten aufzuklären.
Neueste Ergebnisse bei der Erforschung der Infektionskrankheiten. 5
Ein Blick auf diese Tafeln zeigt Ihnen, wie rasch zeitlich
die wichtigsten Entdeckungen aufeinanderfolgen.
Um das Jahr 1890 war die erste Serie der Entdeckungen
im wesentlichen abgeschlossen. Das folgende Jahrzehnt brachte
noch in der Influenza (1893), der Pest (1894), Ulcus molle (1895),
des Botulismus (1897) und der Ruhr (1898) eine wertvolle Nach¬
lese. Damit aber waren die letzten Siege der Bakteriologie im
Kampf um die Aufklärung der menschlichen Infektionskrankheiten
so ziemlich erfochten. Das seither Hinzugekommene betrifft meist
seltenere oder wenig wichtige Krankheiten oder zweifelhafte Er¬
gebnisse.
Aber lange vergeblich versuchten sich die Bakteriologen an
der Syphilis, an der Malaria, an den akuten Exanthemen, an Keuch¬
husten, Wut, Gelbfieber und vielen der wichtigsten Tierkrank-
keiten (Rinderpest, Maul- und Klauenseuche). Es war mit den
bakteriologischen Methoden nicht weiter zu kommen und man
kam zu dem Ergebnis, dass die noch nicht erforschten Mikro¬
organismen entweder so klein seien, dass sie unseren Mikroskopen
entgehen müssten, oder von einer Form, dass sie von den normalen
Bestandteilen des Körpers, etwa den weissen Blutkörperchen, nicht
leicht zu unterscheiden seien. Beide Annahmen haben sich in
gewissen Fällen als richtig erwiesen.
Es sind eben keine Bakterien, welche die Studien der letzten
Jahre als neue Krankheitserreger erkannt haben. So viel wich¬
tiges die Vertiefung der bakteriologischen Studien auf dem Gebiete
der Biologie, der Pathologie, der Diagnose und Therapie, der
Epidemiologie und Prophylaxe zutage gefördert hat, so viel neue
Perspektiven und zum Teil hochwichtige Ergebnisse die Anwendung
der Bakteriologie auf Landwirtschaft und Technik uns beschieden,
neue Krankheitserreger sind kaum mehr unter den Bakterien ge¬
funden worden.
Die führende Rolle in der Krankheitserforschung hat heute
die Mikrozoologie resp. die Protozoenforschung ergriffen, viele der
wichtigsten Krankheiten sind auf gut charakterisierte Protozoen
zurückgeführt, und die Krankheiten, deren Erreger so klein sind,
dass uns die Morphologie im Stich lässt bei ihrer Aufklärung,
dürften mindestens grösstenteils Protozoen als Erreger haben.
Die erste Krankheit, welche auf Protozoen zurückgeführt
wurde, ist die Malaria, und da ihre Krankheitserreger heute
zu den morphologisch und biologisch bestbekannten gehören, kann
ich nicht widerstehen, meine Ausführungen mit einem ganz kurzen
Abriss unseres Wissens von den Malariaerregern einzuleiten, weil
wir hier so vieles sicher und bestimmt wissen, was uns bei anderen
Protozoenkrankheiten noch zweifelhaft ist, und weil die auf die
neuen Kenntnisse gegründete Epidemiologie der Malaria heute
durchsichtiger, die Prophylaxe sicherer ist als bei irgendeiner
anderen Infektionskrankheit, vor allem sicherer als bei Typhus
und Cholera, wo so manche Rätsel noch zu lösen sind.
Sie sehen an den Wandtafeln dargestellt, wie die Parasiten
in den jüngsten Stadien bei allen drei Malariaformen (man unter-
6
Dr. Lehmann.
scheidet jetzt bekanntlich Tertiana, Qnartana und die in Sfldeuropa
und den Tropen yorkommende Tropica) im wesentlichen gleich
aassehen, wie sie sich dann bei der Tropica zn — Vakuolen ein-
schliessenden — ringförmigen, bei der Tertiana and Qnartana za
amoeboiden Gebilden entwickeln, welche im Inneren der roten
Blutkörperchen in Ein-Dreizahl liegen. Die schwarzen Fleckchen
in den Parasiten sind ans dem Blutfarbstoff entstandene Melanin¬
körnchen.
Sie bemerken dann, wie sich in einem späteren Stadium die
in die Blutkörperchen eingedrungenen Parasiten unter Erzeugung
lappiger, z. T. gänseblümchenartiger Figuren ungeschlechtlich ver-
mehren. Die Teilstücke werden frei und ihr Eindringen in ein
neues Blutkörperchen verursacht den Beginn eines neuen Fieber¬
anfalles; vor dem Fieberanfall findet man die grossen gelappten
Formen.
Es ist das grosse Verdienst von Golgi, gezeigt zu haben,
dass der Fiebertyphus bei jeder einzelnen Malariaform mit der
Entwickelungsgeschichte der Keime aufs engste zeitlich zusammen¬
hängt.
In den letzten Bildern sehen Sie die Dauerformen dargestellt,
welche erst auftreten, wenn die Krankheit längere Zeit angehalten
hat. Man nennt sie Gameten — bei der Tropica, ihrer deutlichen
halbmondförmigen Gestalt wegen, auch Halbmonde —. Bis etwa
zum Jahre 1897 hatte man sie vielfach für Degenerationsformen
gehalten; da brachten die Untersuchungen des englischen Militär¬
arztes Boss die erstaunliche Aufklärung, dass die Gameten der
Sperlingsmalaria sich im Magen der blutsaugenden Culexmücken
kopulieren; die männlichen Halbmonde (Mikrogametozyten) er¬
zeugen geisselförmige Mikrogameten, die in die weiblichen Ma¬
krogameten eindringen. Das Produkt der Befruchtung ist eine
Sporenzyste, die sich in der Magenwand der Schnake entwickelt
Aus ihr gehen nach einiger Zeit sichelförmige schmale spitze
Keime hervor, die in die Speicheldrüsen wandern nnd von dort
durch den Säugrüssel des stechenden Tieres in einen neuen VogeL
Weiter fand dann Grassi, dass es die Anophelesschnake
und nur die Anopheleschnake ist, welche die Menschenmalaria
überträgt. Auch die Untersuchungen von Koch und in neuester
Zeit namentlich die des trefflichen deutschen Protozoenforschers
Schaudinn haben viele wichtige Einzelheiten hinzugebracht
Wir kennen jetzt die Entwickelungsgeschichte der Malaria¬
parasiten, wir dürfen wohl sagen, auf das genaueste, und es gibt
sehr wenig Fragen in der Malariaätiologie, die uns noch dunkel
wären. So wissen wir z. B., dass die nach längerer Zeit ein¬
tretenden Rezidive dadurch zustande kommen, dass im Körper
zurückgebliebene Gameten plötzlich wieder — offenbar begünstigt
durch irgend eine Schädigung (Uebermüdung, Diätfehler, Erkäl¬
tung), die den Körper getroffen hat, — sich ungeschlechtlich zn
vermehren beginnen und den Körper wieder mit jungen Blut¬
körperchenparasiten überschwemmen.
Auch die Entwickelungsgeschichte der Schnake und ihr Ver-
Neueste Ergebnisse bei der Erforschung der Infektionskrankheiten. 7
halten za den Parasiten ist aufs genaueste festgestellt. Nament¬
lich ist der wichtige Umstand ermittelt, dass die Parasiten in der
grossen Mehrzahl der Fälle nicht aaf die Schnakeneier übergehen,
dass also eine Schnake nnr dann die Malaria überträgt, wenn sie
selbst vorher bei dem Malariakranken gesaugt hat.
Wie Sie wissen, hat man, auf diese Kenntnisse gestützt,
eine äusserst erfolgreiche Malariabekämpfung in Italien dadurch
erreicht, dass man einmal tunlichst die Entwickelung der Schnake
bekämpft (Trockenlegung, Petrolierung der Sümpfe), vor allen
Dingen aber das Eindringen der Schnaken in die Häuser dnrch
geeignete Fliegengitter vor Türen und Fenstern verhindert and
sich daneben zur Nachtzeit im Freien durch Handschuhe und
Schleier schützt.
Gewiss sind alle diese Methoden, namentlich die Schnaken¬
bekämpfung, noch weiter auszubilden, und sicher wird die Forschung
noch manches Neue, Ungeahnte auch auf diesem jetzt soviel
durchforschten Gebiet mit der Zeit aufklären. Wir dürfen aber
sagen, dass die Malaria, die vor 25 Jahren die dunkelste Krank¬
heit war, als deren Ursache ein unbegreiflich rätselhaftes Miasma
vermutet wurde, heute vielleicht die allerverständlichste und durch¬
sichtigste unserer Infektionskrankheiten geworden ist.
Ich habe nun eine Anzahl Präparate von Blut von Malaria¬
kranken aufgestellt, daneben einige Anophelespräparate, die ans
italienischem Material gewonnen sind, ein Anophelespärchen, Männ¬
chen und Weibchen, aus dem früher so verrufenen Germersheim
und eine Tafel, an der Sie die Unterschiede der Malariaschnake
Anopheles von der ähnlichen Culex erkennen können. Sie sehen, es
sind namentlich die Flügelflecke, welche Anopheles vor den ge¬
wöhnlichen Culexarten auszeichnen; daneben sind Rüssel und Taster
bei den beiden Geschlechtern von Anopheles gleichlang, während
die Culexmännchen sehr lange, die Culexweibchen ausserordentlich
kurze Taster besitzen.
Ich möchte aber hier noch die Bemerkung einschalten, dass
man, bevor man nach diesem Gesichtspunkte einen Culex oder
Anopheles zu erkennen sucht, sich überzeugen soll, ob das Tier
überhaupt einen Stechrüssel hat. Es gibt eine grosse Zahl von
zarten, schnakenartig gebauten Zweiflüglern, welche mit den
Stechschnaken nur eine äussere Aehnlichkeit haben und keinen
Stechrüssel besitzen. Diese sind von vornherein bei der Unter¬
suchung anszuschliessen.
Vom Texasfieber, der wichtigen seit 1898 aufgeklärten
Rinderkrankheit, welche in Südeuropa, in Finnland und Rumänien,
insbesondere aber in Nordamerika und den Tropen schwere Rinder¬
verluste hervorbringt, und das durch die abgebildeten kleinen Blut¬
parasiten hervorgerufen wird, ist besonders interessant, dass die
Krankheit durch Zecken übertragen wird, die auf den kranken
Tieren in Menge sitzen. Koch hat gezeigt,^dass man mit den
Abkömmlingen der infizierten Zecken, die sich leicht weit trans¬
portieren lassen, an ganz abgelegenen Orten das Texasfieber
8
Dr. Lehmann.
wieder hervorbringen könne. Es können verschiedene Zeckenarten
die Bolle des Zwischenwirts spielen.
Nach den Angaben von Gottschlich wäre eine ähnliche
Protozoenkrankheit der Typhus exanthematicus und die
Wanze der Ueberträger; doch sind diese Angaben noch nicht
bestätigt.
Eine wichtige, immer grösser werdende Gruppe von Proto-
zoenkrankheiten sind die erst in den letzten Jahrzehnten erforschten
Trypanosomenaffektionen.
Trypanosomen sind schlanke, durch eine undulierende Mem¬
bran, die in eine lange Geissei ausläuft, sehr bewegliche Proto¬
zoen, die man zu den Flagellaten rechnet. Ihre Entwickelungs¬
geschichte, die wahrscheinlich ebenso kompliziert ist, wie die der
Malariaorganismen, ist bisher nur unvollständig bekannt. Sie
teilen sich ungeschlechtlich im Blut der Tiere, aber nicht in den
roten Blutkörperchen, sondern im Blutserum. Sie gelten als reine
Serumschmarotzer; es ist aber wohl mit Wahrscheinlichkeit zu ver¬
muten, dass auch diese Tiere daneben eine Geschlechtsgeneration
in den Zwischenwirten haben, deren Stich auch hier die Krank¬
heit überträgt.
Von allen Trypanosomen ist am besten studiert das Trypa¬
nosoma Lewisii der Batte, das auch bei uns in Deutschland nicht
selten vorkommt und das seinen Wirt wenig schädigt. Für das
Trypanosoma Lewisii der Batte hat Prochownik gezeigt, dass
in der Battenlaus (jedenfalls nach Babinowitsch und Kempner
auch im Battenfloh) 1. einfache Spaltung, 2. multiple Spaltung,
3. Selbstbefruchtung (Kopulation der beiden vorher durch Beduk-
tionsprozesse verkleinerter Kerne), 4. Kopulation zweier kaum
differenzierter, 5. Kopulation zweier hochdifferenzierter Formen
(schlanke Männchen mit grossem Blepharoplast und bandförmigem
Somakern und^ plumpe Weibchen mit kleinem Blepharoplast und
grossem Somakern) stattfindet. Doch soll aus der Kopulation stets
nur wieder ein Trypanosoma, nicht etwa Sichelsporen und der¬
gleichen entstehen.
Für den Mediziner am interessantesten unter den Trypano¬
somenkrankheiten ist die seit einem Jahrzehnt viel studierte
Schlafkrankheit der afrikanischen Neger. Sie kommt nament¬
lich in Uganda weit verbreitet vor; der Parasit ist im Blute und
der Zerebrospinalflüssigkeit zu finden. Neuestens sind auch
sichere Fälle der Erkrankung. bei Weissen bekannt geworden.
Die Hauptsymptome sind: Mattigkeit, Kopfschmerz, taumelnder
Gang, Schlafsucht; dabei herrscht unregelmässiges Fieber, Haut¬
jucken, Lidödem. Es gibt aber auch Patienten, welche die Para¬
siten beherbergen, ohne sich subjektiv krank zu fühlen, und gerade
solche Individuen sind für die Verschleppung der Krankheit be¬
sonders gefährlich.
Als Ueberträger der Krankheit funktioniert eine Fliege,
welche unserem einheimischen Wadenstecher, der Stubenfliegen¬
ähnlichen Stomoxys calcitrans nahe verwandt ist. Das Tier, das
Sie hier auf dem Demonstrationstisch sehen, führt den Namen
Neueste Ergebnisse bei der Erforschung der Infektionskrankheiten. 9
Glossina p&lpalis. Sie sehen den gewaltigen Stechrüssel der Glos¬
sina, den sehr fthnlich gehanten spitzen Rüssel der Stomoxys und
znm Vergleich den weichlappigen Rüssel der Stubenfliege (Musca
domestica), der Brummfliege (Musca vomitoria), der beiden Fleisch¬
fliegen (Sarcophaga carnaria und Sarcophaga mortuorum). Man
braucht nur den Rüssel zu beachten, um die Unmöglichkeit des
alten Volksglaubens einzusehen, dass sich die gemeine Stuben¬
fliege im Herbst in den Wadenstecher verwandle. Nein, der
Wadenstecher ist ein ganz anderes Tier, das erst im Spätsommer
reichlich erscheint.
Die Fortpflanzung der Trypanosomen in den Stechfliegen ist
bisher nicht näher untersucht.
Fast grössere Bedeutung noch als die Schlafkrankheit der
Menschen haben oder hatten wenigstens einige Trypanosomen-
Tierkrankheiten, von denen die bekannteste die Tsetsekrank¬
heit oder Nagana in Südafrika ist (Rinder, Pferde, Esel, Hunde,
Schweine, Ratten). Diese Krankheit glaubte man früher durch
den giftigen Stich der Tsetseflige hervorgebracht; jetzt weise
man, dass die Fliege — auch eine Glossina — bloss die Krank¬
heit überträgt.
Verwandte Krankheiten sind in Indien die Surrakrank-
heit des Rindes, das Mal de caderas der Pferde in Südamerika
und mehrere andere. Besonders interessant ist die nordafrika¬
nische und südeuropäische Beschälseuche der Pferde (Dourine,
Mal de coit), bei welcher die Trypanosomen ohne Zwischenwirt
durch den Coitus übertragen werden. — Wir kommen nochmals
auf diese Krankheit zurück.
Inwieweit die Erreger dieser Krankheiten wirklich ver¬
schieden sind, ist heute noch streitig. Während die Mehrzahl
der Forscher auf kleinere morphologische Unterschiede den
grössten Wert legen und — wie sie an der Tafel sehen — sorg-
föltigst nach Form und Lage der Kerne, der Gestalt des Leibes¬
endes, der Struktur des Protoplasmas die Arten zu unterscheiden
versuchen, ist Koch geneigt, wenig Speziesunterschiede anzu¬
erkennen.
Als Protozoenkrankheit ist in neuester Zeit durch Schandinn
auch das Rekurrens erkannt. Es ist interessant, dass »die
erste für den Menschen pathogene Bakterienart“ die Spirochäte
Obermeieri, die durch ihre Grösse, ihre korkzieherartig gewundene
Form, ihre Biegsamkeit und starke Eigenbewegung leicht auffiel,
jetzt als Tier angesehen werden muss. Die Eigenbewegung dieses
Geschöpfs ohne Geissei, eine Eigenschaft, die keinem Bakterium
zukommt, war schon immer verdächtig. Wir können nach den
Forschungen von Schandinn nicht mehr zweifeln, dass die Spiro¬
chäten langgestreckte, trypanosomenähnliche Protozoen sind, die
sich mit Hilfe einer undulierenden Membran, ähnlich wie der Aal
mit seiner Rückenflosse bewegt.
Von Schandinn haben wir die Entwickelungsgeschichte
dieses Parasiten zu erwarten, er hat uns die komplizierte Ent¬
wickelung der die Vögel bewohnenden Spir. Ziemanni bereits ge-
10
Dr. Lehmann.
liefert. Sicher ist, dass Bekurrens durch W&nzenstich übertragen
wird, und dass in den Entwickelnngskreis der Reknrrensspirochäten
noch eine Beihe anderer, wahrscheinlich sehr kleiner Entwick¬
lungsformen hineingehören, über die noch nichts Näheres vorliegt.
Von ganz besonderem Interesse sind die Bekorrensspirochäten
dadurch geworden, dass vor wenigen Wochen Schaudinn bei der
solange vergeblich studierten Syphilis ebenfalls Spirochäten ge¬
funden hat. Es ist dies eine der überraschendsten Entdeckungen
der neueren Zeit, welche zeigt, was bei sorgfältiger, pl&nmässiger
Untersuchung auf dem Gebiete der Pathologie noch zu finden ist.
Mit kurzen Worten lauteten die Befunde von Schaudinn
und seinem Mitarbeiter E. Ho ff mann etwa so: „Man findet in
frisch untersuchten syphilitischen Primäraffekten regelmässig be¬
wegliche Spirochäten, von denen eine blässere, schwer färbbare,
fein gewundene kleine (Spirochäte pallida) und eine grosse, derbe,
glänzendere, leichter färbbare (Spirochäte refringens) unterschieden
werden.“
Da Spirochäten in Geschwüren, z. B. beim Hospitalbrand,
bei den phagedänischen Geschwüren der Tropen, bei ulzerösen
Anginen schon mehrfach gefunden sind, so würde der Befund in
den Primäraffekten allein wenig beweisen; es zeigt sich aber
von Tag zu Tag mehr, dass die blasse, leicht zu übersehende, erst
in einer Stunde nach Bomanowsky resp. Giemsa zu färbende
Spirochäte pallida nur bei Lues vorkommt.
Von höchstem Interesse besonders ist, dass es Schaudinn
gelungen ist, in 12 Fällen in den induzierten Inguinaldrüsen des
Kranken teils nach Exstirpation, teils nach Punktion regelmässig,
wenn auch zuweilen spärlich, die Spirillen zu finden.
Ausserdem sind positive Besultate erhalten im Milzblut eines
Syphilitikers, im Fingerblut eines anderen, im Ausstrich der Leber
und Milz eines an foudroyanter Syphilis gestorbenen Kindes.
Namentlich in den Pemphigusblasen bei angeborener Syphilis sind
viele exquisit positive Befunde erhalten.
Metschnikoff fand auch beim Affen, den er erfolgreich
mit Syphilis vom Menschen impfte, die Spirochäten in den inneren
Organen.
Die bestätigenden Nachuntersuchungen werden sich bald
häufen, doch ist Schaudinn ein so vortrefflicher Forscher, dass
mir seine Angaben allein genügen, um grosse Hoffnungen zu
erwecken.
Selbstverständlich hat sich Schandinn in der vorsichtigsten
Weise darüber geäussert, ob der Organismus der Erreger der
Syphilis ist. Dies wird man erst beantworten können, wenn
weitere Untersuchungen vorliegen.
Vorläufig dürfen wir eines Bagen. Es gibt in der Literatur
zurzeit keinen Fall, in dem ein auffallend geformter Organismus
regelmässig bei einer Infektionskrankheit im Innern des Körpers
gefunden wurde, ohne dass er mit derselben in ursächlichem Zu¬
sammenhang steht.
Mächtig scheint mir ferner zur Erhöhung der Wahrschein-
Neueste Ergebnisse bei der Erforschung der Infektionskrankheiten. 11
lichkeit beizutragen, dass die Spirochäte pallida der Erreger der
Syphilis ist, der Umstand, dass die Beschälseuche der Pferde, wie
wir oben sahen, unzweifelhaft von einem Trypanosoma ohne
Zwischenwirt hervorgebracht wird. Trypanosomen und Spirochäten
sind aber die nächsten Verwandten.
Wir sind mit unseren Besprechungen an der Grenze des
deutlich Sichtbaren angekommen, die bisher geschilderten Proto¬
zoen hatten Dimensionen von der Grössenordnung eines roten Blut¬
körperchens, eine Länge und z. T. Breite von mehreren Mikra.
Aber die Forschung hat hier nicht Halt gemacht. Zunächst
hat sie eine Methode ausfindig gemacht, um in Fällen, in denen
das Mikroskop nichts Charakteristisches mehr enthüllt, eine Orien¬
tierung über die Grösse der Mikroorganismen zu haben. Hierzu
dient die Filtration durch Chamberlandfilter.
Es ist Ihnen vielleicht erinnerlich, dass es Löffler war,
der bei seinen Untersuchungen über Maul- und Klauenseuche 1898
zum ersten Mal bei den Versuchen, das Toxin von den Erregern
durch Porzellanfilter zu trennen, zu klaren Filtraten gelangte, die
sich vollständig verhielten, als ob sie nicht filtriert seien, d. h.
sie brachten in den kleinsten Mengen bei der Uebertragung auf
Tiere die Krankheit hervor, und man konnte mit sehr kleinen
Gewebesaftmengen von den auf diese Injektion hin erkrankten
Tieren wieder beliebig viele neue Tiere infizieren. Daraus war
sicher zu schliessen, dass sich in dem erstinfizierten Tiere der
Impfstoff vermehrt hatte, dass also auch Organismen vorhanden
gewesen sein müssten, die sich vermehren.
Und doch war mit den besten Mikroskopen bei 2000facher
Vergrösserung nichts Deutliches mehr in dem Filtrate zu sehen!
Man stand also zum erstenmal vor unsichtbar kleinen Organismen,
und es war zu erwarten, dass sie ewig unsichtbar bleiben würden;
denn Helmholz und Abbe bewiesen ungefähr gleichzeitig, dastj
Objekte unter 0,1—0,2 Mikromillimeter aus theoretischen Gründen
mit Mikroskopen nicht mehr deutlich gesehen werden könnten.
Es ist also zunächst von einer morphologischen Untersuchung
nur bei den Infektionskrankheiten etwas zu erwarten, deren Erreger
wenigstens Porzellanfilter nicht passieren, und in der Tat haben
die bisherigen mikroskopischen Untersuchungen mit Ausnahme
einer Beobachtung der allerneuesten Zeit nichts Positives in solchen
Filtraten ergeben.
Aber sehen wir zuerst, was man bei zwei Krankheiten,
deren Erreger Filter nicht passieren, Wut und Pocken, ge¬
funden hat.
Am besten sind wir seit 2 Jahren über Wut unterrichtet.
Negri fand 1903 mit Romanowsky-Färbnng namentlich im
Innern der Ganglienzellen des Ammonshorns, aber auch im Klein¬
hirn, den Spinalganglien und im Rückenmark sich rotfärbende
ovale oder rundliche Gebilde in Einzahl oder zu 2—3, ja, manch¬
mal zu 5—6. Die kleinsten Formen sind nur 1 ft, die gewöhn¬
lichen 4—7 (j. gross, ausnahmsweise sind Gebilde von einer Grösse
bis 27 |i gefunden. Im Inneren der „Negrisehen Körperchen*
12
Dr. Lehmann.
sieht man eine Anzahl heller Kreischen mit einem dunklen Mittel¬
punkt. Eine Deutung' der Gebilde als Protozoen ist sehr wahr¬
scheinlich, ohne dass wir bisher ein sicheres Verständnis dafür
hätten, — sicher ist aber, dass die Gebilde pathognomonisch für
Wut sind und eine rasche einfache anatomische Diagnose der
Wut gestatten.
Noch schwieriger liegen die Dinge bei den Pocken:
Viele Autoren identifizieren seit langem die Pocken resp.
Vaccineerreger mit kleinen, grünlich schimmernden Körnchen, die
man in der Lymphe sehen kann, und deren Abfiltrieren die Lymphe
unwirksam macht.
An diesen kleinen Gebilden hat Siegel in neuester Zeit
eine Gliederung gesehen; ein fingerartiger Fortsatz bewegt sich
wie in einem Gelenk und erzeugt dadurch eine deutliche Eigen¬
bewegung. Später sollen sich aus diesen beweglichen Körperchen
kreisende Zytosporen bilden, die 4—32 bewegliche Körnchen ein-
schliessen. Weiterauf die Aufsehen erregenden Angaben Siegels
einzugehen, muss ich unterlassen, da die Nachprüfung seiner Aus¬
führungen, die sich gleich auf Syphilis, Scharlach, Maul- und
und Klauenseuche und Pocken beziehen, noch viele Arbeit
machen wird.
Am meisten Nachuntersuchungen haben die Forschungen
von Guarnieri über Pocken gefunden, welcher konstant durch
Einimpfung von Pockenpustelsaft oder Vaccine in die Hornhaut
des Kaninchens charakteristische Gebilde^ in den Epithelzellen
der Hornhaut erzeugen konnte.
Sie sehen an der aufgehängten Tafel in den Epithelzellen
zur Seite des Kernes halbmondförmige, dreieckige, rundliche,
schollige Gebilde, welche Guarnieri für den Infektionserreger
ansieht, und denen er den Namen Cytorryctes variolae gegeben
hat. Ueberimpft man von einer solchen Hornhaut auf eine andere,
und wiederholt dies solange man will, so erhält man immer
wieder diese Schollen in den Zellen, und man hat sie deshalb für
den^Infektionserreger erklärt.
Es ist nun sehr merkwürdig,dass Prowazeckgefunden hat,
dass man diese Körper mit verdünnter Kochsalzlösung auflösen
und vollständig zum Verschwinden bringen kann, ohne dass die
Infektiosität des so behandelten Materials vermindert wird. Pro-
wazek schliesst daraus, dass diese Körner wohl mit dem
Pockenprozess etwas zu tun haben, vielleicht ein Beaktions-
Produkt auf den Beiz der Parasiten darstellen, dass sie vielleicht
den Parasiten einschliessen, dass sie aber unmöglich den Parasiten
selbst entsprechen können. Gorini hat nun neben den Guar-
nierischen Körpern in der Hornhaut sehr kleine, zu 1—4 an¬
geordnete, kokkenartige, auf den Nährböden unzüchtbare Gebilde
gesehen, umgeben von hellen Höfen, welche er mit Wahrschein¬
lichkeit für die Erreger des Pockenprozesses hält; — sie könnten
mit Siegels Cytosporen identisch sein. Jedenfalls sind aber die
„Guarnieri sehen Körperchen“ für die Feststellung zweifelhafter
Pocken durch Hornhautimpfung sehr brauchbar.
Neueste Ergebnisse bei der Erforschung der Infektionskrankheiten. 13
Non komme ich zur letzten Gruppe der einigermassen be¬
kannten Infektionserreger! Es sind dies solche, denen die Eigen¬
schaft gemein ist, feine Filter ohne jede Schwierigkeit zu passieren.
Neben der schon gestreiften Maul- und Klauenseuche,
dem gelben Fieber und einer merkwürdigen südamerikanischen
Myxomkrankheit der Kaninchen, ist vor allem hier die Hühner¬
pest (Cyanolophie) eine in den letzten Jahren mehrfach beob¬
achtete schwere Hühnerkrankheit zu nennen, über die einmal
Centanni, besonders aber Lode in Innsbruck wichtige Studien
veröffentlicht haben.
Einen Uebergang zwischen den sichtbaren und unsichtbaren
Krankheitserregern macht die wichtige Lungenseuche des
Bin des, welche, wie Ihnen bekannt ist, unter dem Bilde einer
interstitiellen Pneumonie verläuft. Hier konnten Noccard und
Boux einen Erreger feststellen, den man noch eben unter dem
Mikroskop als feinste, uncharakteristische Pünktchen sehen kann,
die von gewissen Filtern zurückgehalten werden, andere aber
passieren.
Ist es nun theoretisch unmöglich, über die Form dieser
Krankheitserreger einmal etwas positives zu erfahren? Grosse
Hoffnungen wird man heute noch nicht äussern dürfen, wer aber
kein Freund eines vorzeitigen, auf naturwissenschaftlichem Gebiet
oft zu frühzeitigen „Ignorabimus“ ist, mag aus drei Gedanken
Mut schöpfen:
Es ist erstens bereits unter dem Namen „Ultramikroskop“ von
Siedentopf und Szigmondi ein Apparat angegeben, der zeigt,
dass die Anwendung neuer Prinzipien auch in der Optik neue
Fragen lösen lässt. Im Ultramikroskop betrachtet man mittelst
eines gewöhnlichen Mikroskops bei sehr starkem seitlich auf¬
fallendem Lichte. Dadurch erhalten wir von sehr kleinen Teilchen
so starke Reflexion und gleichzeitige Zerstreuung des Lichtes,
dass ein sehr deutlicher heller Zerstreuungskreis noch von Gebilden
geliefert wird, die mit den feinsten Mikroskopen unsichtbar sind.
Durch die Güte der Firma L ei tz konnte ich mich unter freund¬
licher Anleitung und Mitwirkung von Prof. Wien, Dr. Harms
und Dr. Feuchtbauer im physikalischen Institut überzeugen,
dass in tadellos filtrierenden Lösungen von Berlinerblau, von
Eisenchlorid, aber auch in Stärke und Blutserum kleine und
kleinste geformte Teilchen zu sehen sind. Es ist sicher möglich,
dass es fortgesetzten Bemühungen gelingen wird, auch sehr kleine
Krankheitserreger zu sehen — wenn auch nichts über ihre Form
auszusagen. Man wird eben lernen müssen, ultramikroskopische
Körperchen nach Grösse, Glanz etc. zu unterscheiden; vielleicht
lernen wir die unsichtbaren Krankheitserreger zählen, ehe wir
etwas über ihre exakte Form sagen können.
Zweitens ist es durchaus möglich und nicht unwahrscheinlich,
dass auch bei den Krankheiten, deren Erreger filtrierbar, also
sehr klein sind, gewisse Entwickelungsformen existieren, welche
durch Filter nicht hindurchgehen und sichtbar sind. Es können
14
Dr. Lehmann.
erneute mikroskopische Stadien möglicherweise noch grosse Ueber-
raschnngen bringen. *
Endlich gibt es offenbar einzelne Wesen, die weniger ihrer
extremen Kleinheit, als einer grossen Schmiegsamkeit die Fähigkeit
verdanken, Filter za passieren. Esmarch hat sogar ein kleines
Bakteriam (Spirillam parvam) durch Filter filtrieren and nachher
anschwer mikroskopieren können; — es ist 1—3 |i lang, 0,1 bis
0,3 dick.
Unabhängig von der Möglichkeit oder Unmöglichkeit, diese
kleinsten Wesen, von denen wir bis heute wissen, za sehen, ist
die Frage, ob es möglich sei, zu erschlossen, ob sie wohl zu den
Spaltpilzen oder za den Protozoen gehören. Es ist ja natür¬
lich auch möglich, dass sie einer neuen besonderen Gruppe
zugerechnet werden müssen, bisher spricht mir aber alles mehr
für Protozoen. Namentlich folgende Gründe erscheinen mir er¬
wägungswert :
1. Wir kennen nicht einen so kleinen Spaltpilz, dass er
ernstlich an der Grenze der Sichtbarkeit stände. Dagegen ist der
unsichtbare Erreger des gelben Fiebers wohl sicher ein Proto¬
zoon, da er sich ganz nach den gleichen Prinzipien in der
Gelbfieberschnake (Stegomya fasciata) fortpflanzt, wie das Malaria¬
protozoon im Anopheles.
2. Esmarch hat sich vollkommen vergebens bemüht, einen
die Filter passierenden, Fäulnis oder Gährung erregenden Organis¬
mus aus faulenden oder gährenden Flüssigkeiten der verschie¬
densten Art zu gewinnen. Niemals erregte das Filtrat weitere
Zersetzung einer frischen Nährlösung. Es gibt also jedenfalls
keine unsichtbar kleinen Gährungs- und Fänlnisbakterien, was
wahrscheinlich macht, dass es auch keine ansichtbar kleinen patho¬
genen Bakterien gibt.
3. Die Unkultivierbarkeit der allermeisten unsichtbar kleinen
Organismen, trotz ihrer Verbreitung im ganzen Körper, spricht
auch mehr für ihre Protozoennatur. Dass man den Erreger der
Lungenseuche kümmerlich kultivieren kann, spricht noch nicht
absolut für seine Bakteriennatur; denn auch gewisse Trypano¬
somen lassen sich eine Zeitlang ausserhalb des Körpers fortzüchten.
4. Es hat sich in neuerer Zeit keine Krankheit als Bakterien¬
krankheit gezeigt, deren Entschleierung besonders Schwierigkeiten
machte; dagegen wird eine Protozoenkrankheit nach der andern
entdeckt.
Höchst wahrscheinlich werden einige jetzt auf Bakterien
bezogene, insbesondere Tropenkrankheiten, mit der Zeit auf andere
Erreger bezogen werden müssen, wie dies z. B. für die Dehlibeule
bereits nachgewiesen ist. —
Werfen wir schliesslich noch einen Blick zurück aof das
grosse Gebiet, das wir im Flug durchmessen haben, und fassen
wir die Ergebnisse knapp zusammen:
Die bakteriellen Krankheitserreger der Menschenkrankheiten
scheinen so ziemlich alle bekannt zu sein; bei vielen Krankheiten
sind grössere, relativ leicht zu sehende Protozoen mit Sicherheit
Neueste Ergebnisse bei der Erforschung der Infektionskrankheiten. 16
als Krankheitsursache (Gliedertiere als Ueberträger und Zwischen¬
wirte) erkannt; — wir stehen im Anfang der Entwickelung des
schwierigen Gebietes der Lehre von den sehr kleinen, z. T. filtrier¬
baren, nicht sichtbaren Krankheitserregern, die mit ziemlicher
Wahrscheinlichkeit mindestens zumeist auch Protozoen sind.
Darüber müssen wir uns klar sein, dass sich zur Erweite¬
rung unserer Kenntnisse gründliche zoologische Schulung mit medi¬
zinischen Kenntnissen, Phantasie und Kombinationsgabe mit zähester
Geduld, schärfster Beobachtung durch beste Mikroskope und nüch¬
ternster Kritik vereinigen müssen. Dagegen dürfen wir wohl
nicht zweifeln, dass die Ergebnisse dieser Forschungen, wenn sie
einmal abgeklärt vorliegen, weiter mächtig dazu beitragen werden,
nnser Verständnis der Infektionskrankheiten zu erhöhen, die The¬
rapie und vor allem die Prophylaxe zu beeinflussen.
Wenn Sie nur daran denken, dass Rekurrens und Flecktyphus
durch Wanzenzerstörung, Gelbfieber und Malaria durch Schnaken¬
vernichtung oder Abhaltung bekämpfbar geworden sind, und dass
das Dunkel, das über der Syphilis liegt, zu weichen beginnt, so
sehen Sie schon jetzt reife, köstliche Früchte dieser mühsamen
Forscherarbeit.
(Lebhafter Beifall.)
Der Vorsitzende stellt an die Versammlung die Anfrage,
ob jemand zu dem Vortrage das Wort zu nehmen wünscht.
Da dies nicht der Fall ist, bringt er den Dank des Vereins
dem Herrn Vortragenden für seine hochinteressanten Ausführungen
zum Ausdruck; aus der gespanntesten Aufmerksamkeit und dem
gespendeten Beifall seiner Zuhörer könne der Vortragende selbst
bemessen, von welch ausserordentlich grossem Interesse sein Vor¬
trag für die Versammlung gewesen sei.
III. Wie babei sieb die Gesetzesparagraphei des
Birgerlichea Gesetzbuches ued der Zivilprazesserdaaags-
■evelle, welche sich auf die Entmündigung beziehen, Io der
gerlchtsarzfllchen Praxis bewährt und welche Erfahruagea
werdeo voi seifen der ärztlichen Sachverständigen In
bezug auf die Handhabung des Gesetzes gemacht?
H. Landgerichtsarzt Dr. Burgl-Nürnberg: M. H.J Wer
sich schon vor der Einführung des B. G. B. und der durch das¬
selbe notwendig gewordenen Aenderungen in den Vorschriften der
Z.-P.-O. für die Sachverständigentätigkeit bei dem Verfahren in
Entmündigungssachen interessierte und auch in der allerersten
Zeit nach deren Einführung als Gutachter in Entmündigungssachen
tätig war, der hat wohl mit einem gewissen Bangen dem Inkraft¬
treten und der Durchführung dieser gesetzlichen Bestimmungen
16 Dr. Burgl: Wie haben sich die §§ des B. G. B.'u. derZ.-P.-O.-Noyelle
entgegengesehen, da^ der psychiatrische Sachverständige sich in
der Gerichtspraxis Aufgaben gegenüber gestellt sah, die ihm völlig
fremd waren und wofür ihm die Erfahrung noch völlig fehlte, da
neue, ungewohnte Begriffe, wie z. B. „Geistesschwäche“, eingeführt
wurden und eine Verständigung zwischen Juristen und Aerzten
auch dadurch sehr erschwert schien, dass für die Frage, ob die Ent¬
mündigung wegen Geisteskrankheit oder wegen Geistesschwäche
zu erfolgen habe, nicht die ärztliche Diagnose massgebend, son¬
dern die Entscheidung eine überwiegend tatsächliche, vom Bichter
unter Benutzung des ärztlichen Gutachtens zu treffende sein sollte,
d. h. dass man für die Entscheidung, ob Geisteskrankheit oder
Geistesschwäche vorliege, nunmehr im wesentlichen darauf ange¬
wiesen sei, aus der Stärke der Wirkung auf die Stärke der Ur¬
sache zu schliessen und demnach zu bestimmen sei, ob das Denken,
Wollen und Handeln des Kranken durch die Störung seiner Geistes¬
kraft in einem solchen Grade beeinflusst werde, dass er entweder
wie ein Kind unter 7 Jahren gänzlich geschäftsunfähig oder nach
Art eines Minderjährigen, der das 7. Lebensjahr vollendet hat,
nur in beschränkter Weise geschäftsfähig sei und dass je nach
diesem Ergebnis die Entmündigung wegen Geisteskrankheit oder
Geistesschwäche einzutreten habe. Also die Begriffe Geistes¬
krankheit und Geistesschwäche sollten eine- ganz spezifische und
rein juristische Bedeutung ohne die geringste Beziehung zur
klinischen Terminologie haben und nur einen graduellen Unter¬
schied bezeichnen, nämlich die Geisteskrankheit den höheren
Grad der geistigen Störung, der gänzliche Geschäftsunfähigkeit nach
sich zieht, und die Geistesschwäche den geringeren Grad der
geistigen Störung, der noch eine beschränkte Geschäftsfähigkeit
gestattet. Von Geisteskrankheit sollte nur gesprochen werden,
wenn infolge des geistigen Defektes die Fähigkeit zur Besorgung
der Angelegenheiten vollständig fehlte, von Geistesschwäche da¬
gegen, wenn zwar die Fähigkeit zur selbständigen Besorgung,
nicht aber zur Mitwirkung bei der Besorgung fehlte.
Dass es nicht einfach von der durch den Arzt gestellten
wissenschaftlichen Diagnose abhängen sollte, ob Jemand zu ent¬
mündigen sei oder nicht, dass ferner auch bei der Frage, ob die
Entmündigung wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche zu
erfolgen habe, nicht die ärztlicherseits konstatierte Art der
geistigen Störung, sondern lediglich der Umfang in der Befähigung
zur Besorgung der Angelegenheiten massgebend sein und die Ent¬
scheidung hierüber durch den Bichter getroffen werden sollte,
endlich, dass die neu eingeführten juristischen Begriffe „Geistes¬
krankheit“ und „Geistesschwäche“ mit den gleichlautenden medi¬
zinischen Begriffen in einem gewissen Widerspruch stehen, das
war es, was manchen Aerzten nicht gefiel, weü sie in den neuen
Einrichtungen einen Uebergriff in die Bechte der Aerzte zu er¬
blicken glaubten, in deren Bessort doch eigentlich die Beurteilung
zweifelhafter Geisteszustände und ihrer Folgen gehört, und weü
sie sich der Befürchtung nicht entziehen konnten, es würden durch
die Auffassung der Begriffe „Geisteskrankheit“ und „Geistes-
Aber die Entmttndigong in der gerichta ärztlichen Praxis bewährt P 17
schwäche" in anderem als dem medizinischen Sinne Schwierig«
keiten, Missverständnisse und Verwirrung herbeigefflhrt werden.
M. H.! Die Praxis hat diese Befürchtungen gänzlich zer¬
streut, indem die den Arzt berührenden gesetzlichen Bestimmungen
des B. Gl. B. und der Z.-P.-O. in bezug auf Entmündigungssachen,
soweit die Sache bisher überblickt werden kann, sich in jeder
Beziehung bewährt haben.
Würde die einfache ärztliche Konstatierung dieser oder jener
Geisteskrankheit bei Jemandem zur Entmündigung genügen und
würde <\ie Entscheidung, ob Geisteskrankheit oder Geistesschwäche
bei einem zu Entmündigenden auszusprechen sei, lediglich vom
Arzte und seiner Diagnose abhängen, so könnte nach meiner An¬
sicht und Erfahrung viel weniger Erspriessliches geleistet werden,
als bei der jetzigen Einrichtung; es wäre auch die bürgerliche
Freiheit des Einzelnen weniger gewahrt, als es gegenwärtig
geschieht.
Die klinische Terminologie kann deshalb nicht massgebend
sein, weil nicht alle Formen der Geisteskrankheit oder Geistes¬
schwäche klinisch genau begrenzt sind und demzufolge auch nicht
für alle besondere Bezeichnungen existieren, weil manche schein¬
bar abgegrenzte Krankheitsformen verschieden bezeichnet werden
— ich erinnere nur an den abweichenden Standpunkt Kraepelins
in der Paranoia-Frage oder an die engere oder weitere Umgren¬
zung der Epilepsie —, weil ferner die Uebergänge von der Geistes¬
krankheit zur Geistesschwäche vom ärztlichen Standpunkt aus
fliessende sind, endlich weil bei der Aufstellung massgebender
ärztlicher Definitionen immer nur der momentane Stand der Wissen¬
schaft vertreten wäre, bei weiterem Fortschreiten der Wissen¬
schaft sich aber die Schwierigkeiten nur mehren würden.
Diese und ähnliche Gründe mögen wohl massgebend dafür
gewesen sein, dass man seiner Zeit von der Aufstellung medi¬
zinischer Definitionen Abstand genommen hat. Würden bei der
Entmündigung lediglich die ärztlichen theoretischen Erwägungen
und die daraus hervorgehenden Schlüsse ausschlaggebend sein, so
würde der subjektive Standpunkt eine zu grosse Bolle spielen
und es würde viel weniger eine Einigung der Sachverständigen
zu erzielen sein, als bei den bestehenden gesetzlichen Bestim¬
mungen, welche eine gemeinsame Basis, einen objektiven Stand¬
punkt für die Sachverständigen geschaffen haben, nämlich die
durch den Arzt zu treffende Festsetzung, ob der zu Entmündigende
durch eine geistige Störung in seinem Denken, Wollen und Han¬
deln krankhaft beeinflusst sei und ob die Geistestörung in einer
unverständigen und ungewollten Erledigung von Angelegenheiten
sich kundgebe. Nicht auf eine detaillierte Krankheitsgeschichte
und eine feine Diffcrentialdiagnose kommt es dem Bichter an,
sondern lediglich darauf, welche geistigen Störungen im allgemeinen
vorhanden sind und inwiefern sie sein Handeln krankhaft beein¬
flussen. Die Grundlage für das ärztliche Gatachten bilden nicht
blos das Ergebnis der Untersuchung des zu Entmündigenden und
die ärztliche Erfahrung, sondern in ebenso wichtiger Weise die
a
18 Dr. Burgl: Wie haben sich die §§ des B. G. B. a.derZ.-P.-0.-Novelle
eidlichen Aussagen der vernommenen Zeugen, welche uns genaue
Angaben über sein bisheriges Verhalten in den verschiedenen
Lebenslagen geben.
Geisteskrankheit und Geistesschwäche im medizinischen Sinne
für sich machen noch nicht geschäftsunfähig und genügen deshalb
auch noch nicht, um die Entmündigung zu begründen, sondern es
muss dazu kommen, dass der geistig Defekte infolge dieser Geistes¬
krankheit oder Geistesschwäche seine Angelegenheit nicht zu be¬
sorgen vermag.
Wenn man aber von Geisteskrankheit oder Geistesschwäche
im Sinne des § 6 des B. G. B. spricht, so ist damit schon gesagt,
dass jemand infolge von Geistesstörung in höherem oder geringerem
Grade verhindert ist, seine Angelegenheiten zu besorgen. Es ist
deshalb nach Ernst Schnitze 1 ) unrichtig, zuerst die Frage auf¬
zuwerfen, ob der zu Entmündigende geisteskrank oder geistes¬
schwach sei, und nach Erledigung dieser Frage die weitere an-
zuschliessen, ob er imstande sei, seine Angelegenheiten zu besorgen,
sondern umgekehrt ist zuerst zu untersuchen, in welchem Umfange
der zu Entmündigende durch seine geistige Störung in der Be¬
sorgung seiner Angelegenheiten gehindert ist, und je nach dem
grösseren oder geringeren Grade dieser Behinderung ist die Ent¬
mündigung wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche aus¬
zusprechen.
Der Fall, dass ein ausgesprochen geisteskranker Mensch für
geschäftsfähig zu erachten sei, ist gar nicht so selten, und kommt
dies namentlich bei Paranoikern vor, welche an mehr oder weniger
harmlosen Wahnvorstellungen leiden, dabei eine leidlich gute In¬
telligenz und Selbstbeherrschung besitzen, nicht bösartig sind,
ihren Beruf nachgehen und nicht verschwenden. So habe ich im
vergangenen Jahre einen Fall zu begutachten gehabt, bei dem
eine Beamtenfrau berufen zu sein glaubte, die Welt zu bekehren
und zu verbessern; sie wollte dies erreichen durch Verlegung der
Polizeistunde auf 9 Uhr abends, Verbot der Tanzmusiken, Ab¬
schaffung der Bordelle, Einführung allgemeiner öffentlicher Bet¬
stunden —, verfasste zahlreiche Schriften und Eingaben in diesem
Sinne an den Magistrat und anderen Behörden, ja, selbst den
Landtag und den Reichstag, und wollte in beiden letzteren wieder¬
holt als Rednerin auftreten, was aber selbstverständlich nicht zu-
gelassen wurde. Sie hatte auch ab und zu Gesichts- und Gehörs¬
täuschungen, in welchen ihr Christus erschien und zu ihr sprach,
sie den Untergang der Welt sah usw. Der von ihrem Ehemann
gestellte Antrag auf Entmündigung der Frau wegen Geistes¬
krankheit konnte ärztlicherseits nicht befürwortet werden, da nicht
zu erweisen war, dass ihre Wahnvorstellungen in erheblicher
*) Dr. Ernst Schnitze: Die für die gerichtliche Psychiatrie wichtigsten
Bestimmungen des B. G.-B. and der Novelle der Z.-P.-0. Halle a./S. 1899.
Verlag von C. Mar hold.
Derselbe: Die Stellungnahme des Beichsgerichts zur Entmündigung
wegen Geistekrankheit oder Geistesschwäche and zar Pflegschaft nebst kritisches
Bemerkungen. Halle a./S. 1903. Ebenda.
über die Entmündigung in der gerichtsärztlichen Praxis bewährt ? 19
Weise in ihre Geschäftsfähigkeit hereinspielten, indem sie ihr
Hauswesen im allgemeinen ordentlich besorgte, sehr sparsam und
fleissig war, niemand etwas zu Leide tat und in keiner Weise
die öffentliche Ordnung störte oder den Anstand verletzte.
Ebensowenig können Personen lediglich deshalb, weil sie an
„Geistesschwäche* im medizinischen Sinne leiden, entmündigt
werden, sondern erst dann, wenn diese Geistesschwäche sie zur
Besorgung ihrer Angelegenheiten unfähig macht. Es kommt hier
selbstverständlich auf die individuellen Interessen und die soziale
Stellung des Kranken an, und kommt dies im § 6, Abs. 1 des
B. G. B. dadurch zum Ausdruck, dass es heisst: „Entmündigt
kann werden, wer infolge von Geisteskrankheit oder Geistes¬
schwäche seine Angelegenheiten nicht zu besorgen vermag.* Bei
einem kleinen Handwerker wird man hier geringere Anforderungen
stellen müssen, als bei dem Direktor einer grossen Fabrik, einem
Rechtsanwalt usw. Ebensowenig ist es in der Hegel der Mühe
wert, einen geistesschwachen, vollständig vermögenslosen Arbeiter
zu entmündigen, da derselbe für gewöhnlich überhaupt keine An¬
gelegenheiten hat, wie sie hier in Betracht kommen.
Aus dem Gesagten ergibt sich, dass die gleiche klinische
Krankheitsform bald als Geisteskrankheit, bald als Geistesschwäche
bezeichnet werden muss, und dass sie nach Umständen überhaupt
keine Beachtung verdient, wenn die Angelegenheiten recht ein¬
facher Natur sind.
Der Name der Geisteskrankheit ist für den Richter an und
für sich gleichgültig, massgebend ist für ihn nur der Grad, in
welchem durch eine vorhandene Geistesstörung oder Geistes¬
schwäche die Geschäftsfähigkeit beeinträchtigt wird. Ist der zu
Entmündigende — gleichgültig an welcher Form geistiger Störung
er leidet — gänzlich geschäftsunfähig wie ein Kind unter 7 Jahren,
dann ist er wegen Geisteskrankheit zu entmündigen —; besitzt
er noch eine beschränkte Geschäftsfähigkeit wie ein Minderjähriger,
dann ist er wegen Geistesschwäche zu entmündigen.
Da der Sachverständige darzutun hat, inwiefern der zu Ent¬
mündigende durch seine geistige Anormalität verhindert oder ge¬
stört ist, seine Angelegenheiten zu besorgen, so muss er auch
wissen, was man unter „Angelegenheiten* versteht. Eine er¬
schöpfende Definition des Begriffes „Angelegenheiten* dürfte
sehr schwer werden, und zwar schon aus dem Grunde, weil die
Angelegenheiten individuell sehr verschieden sind nach sozialer
Stellung, Vermögen und dergleichen. Im allgemeinen wird man
wohl unter „Angelegenheiten* zu verstehen haben, die Sorge für
das eigene Wohl und für die Familie in allen Lebensverhältnissen,
und werden hier wohl obenanstehen: die A Vermögensangelegen¬
heiten, die Berufsangelegenheiten und die Angelegenheiten vor
Gericht.
Zur Entmündigung kann es nicht genügen, dass durch die
Erkrankung die Besorgung einzelner, vielleicht wenig belang¬
reicher Angelegenheiten geschädigt wird, und ebensowenig wird
es den Absichten des Gesetzgebers entsprechen, wenn eine Ent-
2 *
SO Br. Bargl: Wie haben sich die §§ des B. G.-B. u. der Z.-P.-0.-Novelle
mündigung nur dann vorgenommen würde, wenn der zu Ent¬
mündigende absolut unfähig ist, für die Dauer alle seine An¬
gelegenheiten zu besorgen. Ein solcher Fall wird im praktischen
Leben nicht so leicht Vorkommen. Das Richtige wird wohl in der
Mitte liegen, und wird man nicht leicht irregehen, wenn man
stets den Zweck der Entmündigung vor Augen hat, der dahin
geht, bei dem Vorliegen einer Schutzbedürftigkeit für die Perm«
des zu Entmündigenden oder seine Familie infolge von Geistes¬
krankheit oder Geistesschwäche staatlich den notwendigen Schutz
durch Entmündigung zu gewähren, wenn in anderer Weise Abhilfe
nicht geschaffen werden kann. Es muss der objektive Nach¬
weis durch das unzweckmässige Handeln des Kranken erbracht
sein, dass dieser durch seine Psychose verhindert ist, seine An¬
gelegenheiten zu besorgen. Nicht aber kann es genügen, dass
irgendeine Geisteskrankheit diagnostiziert ist, und deshalb die
Möglichkeit besteht, dass er seine und seiner Familie Interessen
schädigen könnte. Selbstverständlich wird das Vormundschafts¬
gericht, sobald sich Anhaltspunkte dafür ergeben, dass z. B. das
Vermögen der Kinder gefährdet ist, die zur Abwendung der Ge¬
fahr notwendigen Schritte tun.
Vielfach ist der Glaube unter den Laien verbreitet, dass
die Entmündigung lediglich vom Arzte abhänge, und der Arzt im¬
stande sei, die Entmündigung zu beantragen und auszusprechen.
Das steht aber durchaus nicht in seiner Gewalt, sondern er ist
lediglich Gutachter, an dessen Gutachten der Richter nicht einmal
gebunden ist.
Die Entmündigung wegen Geisteskrankheit oder Geistes¬
schwäche erfolgt, wie Sie wissen, nach § 645 der Z. P. 0. durch
Beschluss des Amtsgerichts, und wird dieser Beschluss nur auf
Antrag erlassen, welcher eine Angabe der ihn begründenden Tat¬
sachen und die Bezeichnung der Beweismittel enthalten muss,
und zu welchem nur der Ehegatte, die Verwandten, der gesetz¬
liche Vertreter oder der Staatsanwalt berechtigt sind. Der zu
Entmündigende muss persönlich bei Gericht vernommen werden,
und zwar in Gegenwart eines oder mehrerer Sachverständigen,
oder es kann das Gericht mit Zustimmung des Antragstellers an¬
ordnen, dass der zu Entmündigende auf die Dauer von höchstens
6 Wochen in eine Heilanstalt — also auch in eine Privatheilanstalt
— gebracht werde, wenn dies nach ärztlichem Gutachten zur Fest¬
stellung des Geisteszustandes geboten erscheint und ohne Nachteil
für den Gesundheitszustand des zu Entmündigenden ausführbar
ist. Dem zu Entmündigenden ist Gelegenheit zu geben zur Be¬
zeichnung von Beweismitteln — er kann die Vernehmung von
Zeugen verlangen, die über seinen Geisteszustand auszusagen ver¬
mögen, kann ärztliche Zeugnisse beibringen, Bescheinigungen von
Arbeitgebern über seine Arbeitsfähigkeit, seinen Fleiss, sein gutes
Verhalten in Vorlage bringen usw. —, wodurch gewiss eine grosse
Rechtssicherheit gegeben ist, aber nach Umständen anoh eine
grosse Verzögerung zum Nachteile des Kranken und seiner Familie
herbeigeführt werden kann.
über die Entmündigung in der gerichtsärztlichen Praxis bewährt P 21
Der die Entmündigung 1 aassprechende Beschloss kann im
Wege der Klage angefochtfen werden, zu welcher Klage der Ent¬
mündigte selbst, sein gesetzlicher Vertreter and die übrigen Per¬
sonen betagt sind, denen aach das Recht zur Beantragung der
Entmündignng zusteht. Die Klage ist beim zuständigen Land¬
gerichte einzureichen, und dem Entmündigten auf seinen Antrag
ein Rechtsanwalt als Verteidiger beizugeben. Der Entmündigte
ist also durch den Entmündigungsbeschluss durchaus nicht mundtot
gemacht, wie vielfach angenommen wird. Das Prozessgericht, hier
das Landgericht, kann noch Sachverständige vernehmen, oder auch
nicht, verhandelt neuerdings selbständig und hebt den Entmündi¬
gungsbeschluss auf oder bestätigt ihn. Auch das Urteil des
Landgerichts kann angefochten werden, und geht die Sache dann
an das Oberlandesgericht und in letzter Instanz an das oberste
Landesgericht, welches jedoch die Entscheidung dem Reichsgericht
zu überlassen hat.
Die Entmündigung kann anch wieder aufgehoben werden
durch das Amtsgericht. Auch hierbei hat der Entmündigte das
Recht, den Antrag zu stellen wie der gesetzliche Vertreter und
der Staatsanwalt. Das Amtsgericht hebt die Entmündigung nicht
auf, ohne neuerdings Sachverständige zu hören und den Ent¬
mündigten persönlich gerichtlich zu vernehmen. Wird der Antrag
abgelehnt, so ist auch hierbei möglich, den Weg der Klage zu
betreten.
Was die Entmündigung wegen Trunksucht betrifft,
so kann nach § 6, Abs. 3 des B. G. B. derjenige entmündigt werden,
„welcher infolge von Trunksucht seine Angelegenheiten nicht zu
besorgen vermag, oder sich und seine Familie der Gefahr des
Notstandes aussetzt, oder die Sicherheit anderer gefährdet/ Der
unmässige Genuss geistiger Getränke für sich allein genügt nicht
zur Entmündigung, selbst wenn täglich bedeutende Quantitäten
genossen werden und auch häufige Berauschung beobachtet wird,
solange nicht eine der im § 6, Abs. 3 enthaltenen, eben erwähnten
Voraussetzungen vorliegt. Wer eben trotz übermässigen Genusses
alkoholischer Getränke noch seine Angelegenheiten zu besorgen
vermag, sich und seine Familie nicht der Gefahr des Notstandes
aussetzt und auch die Sicherheit anderer nicht gefährdet, der
zeigt, dass er noch die Kraft hat, dem Anreize zum übermässigen
Genüsse geistiger Getränke zur rechten Zeit zu widerstehen, und
sich noch seine Arbeitsfähigkeit und seine Zurechnungsfähigkeit
für gewöhnlich erhalten hat; ein solcher Mensch bedarf eben nicht
der Entmündigung.
Eine Vernehmung von Sachverständigen ist, wie Sie wissen,
beim Entmündigungsverfahren wegen Trunksucht nicht vorgesehen;
es kann also diese Entmündigung auch ohne Sachverständigen
geschehen. Nach meiner Ansicht ist es jedoch bei jedem Antrag auf
Entmündigung wegen Trunksucht wünschenswert, einen Sachver¬
ständigen beizuziehen, und zwar nicht nur, um festzustellen, ob die
Zeichen des chronischen Alkoholismus, vielleicht mit merklicher In¬
telligenzabnahme, mit zeitweiligen Bewusstseinsstörungen, Wahn-
22 Dr. Bur gl: Wie haben eich die §§ des B. G.-B. u. der Z.-P.-O.-NoTelle
Vorstellungen, Sinnestäuschungen n. dergl. vorliegen und dadurch
die Geschäftsfähigkeit beeinträchtigen, sondern auch, weil die
Trunksucht nicht selten auf dem Boden einer bereits vorhandenen
Geistesstörung entsteht, sei es, dass es sich z. B. um die periodi¬
sche Dipsomanie der Epileptiker handelt, oder um die Trinkexzesse
eines Maniakalischen, eines Paralytikers usw. Wünschenswert
erscheint die Beiziehung eines Arztes auch deshalb, weil dieser
am ersten in der Lage ist, auf die Verhütung eines Unglücks,
z. B. infolge des Wahns der ehelichen Untreue beim Säufer, hin¬
zu weisen und zu bewirken, dass der entmündigte Trinker event.
wider seinen Willen in ein Trinkerasyl oder eine Irrenanstalt
vorübergehend untergebracht werde. Die Entmündigung bei
Trinkern wird in der Regel wegen Geistesschwäche, nicht aber
wegen Geisteskrankheit zu erfolgen haben.
Auch bei der Entmündigung wegen Verschwendung
ist die Beiziehung eines Sachverständigen nicht vorgeschrieben
und entschieden auch in manchen Fällen nicht notwendig. In
wieder anderen aber liegt der Verschwendung eine geistige Störung
zugrunde, wie z. B. Schwachsinn, Grössenwahn bei einem Para*
lytiker oder Paranoiker, gehobenes Selbstgefühl und heitere aus¬
gelassene Stimmung bei einem Maniakalischen. Es Hesse sich
deshalb darüber streiten, ob es nicht zweckmässig wäre, bei jedem
Falle von Entmündigung wegen Verschwendung einen ärztlichen
Sachverständigen beizuziehen; nach meiner Erfahrung geschieht
dies auch fast immer.
Was die Frage der Entmündigung von in Irren¬
anstalten nntergebrachten geistesgestörten Personen
betrifft, so müssen hier im allgemeinen die gleichen Grundsätze
gelten wie für die Entmündigung ausserhalb der Anstalt. Die
Entmündigung ist schon aus praktischen Erwägungen nicht immer
notwendig, würde in manchen Fällen nur unnütze Mühen und
Kosten verursachen. Ist die Entmündigung geboten, so wird in
vielen Fällen mit der Entmündigung wegen Geistesschwäche aus¬
zukommen sein, in manchen Fällen auch eine Pflegschaft genügen.
Kurz zu erwähnen ist die Verschiedenheit der
Wirkung der Entmündigung wegen Geisteskrankheit
und wegen Geistesschwäche.
Die Willenserklärung des wegen Geisteskrankheit Ent¬
mündigten und dadurch für vollständig geschäftsunfähig und dem
unmündigen Kinde unter 7 Jahren gleich Erklärten ist null und
nichtig. Dagegen kann der wegen Geistesschwäche Ent¬
mündigte, also beschränkt geschäftsfähige und dem Minderjährigen
über 7 Jahren gleich zu Achtende, eine rechtswirksame Willens¬
erklärung abgeben, durch die er lediglich einen rechtlichen Vorteil
erlangt, auch ohne die Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters.
Er kann also z. B. eine ihm zugewendete Schenkung mit Rechts¬
wirksamkeit annehmen. Belastende Willenserklärungen des be¬
schränkt Geschäftsfähigen, also wegen Geistesschwäche Entmün¬
digten, sind unwirksam, wenn der gesetzliche Vertreter die
Einwilligung versagt. So ist z. B. eine von einem wegen Geistes-
ttber die Entmündigung in der gorichts&rztlichen Praxis bewährt? 23
krankheit Entmündigten eingegangene Ehe nngiltig, während die
Ehe eines wegen Geistesschwäche Entmündigten, also beschränkt
Geschäftsfähigen, gültig ist, wenn der Vormund seine Einwilligung
gibt. Einen solchen Fall, dass ein wegen Geistesschwäche Ent¬
mündigter mit Einwilligung seines Vormundes heiratete, habe ich
erst kürzlich in meiner gerichtsärztlichen Praxis erlebt. Nach
etwa halbjähriger Ehe wurde die Entmündigung aufgehoben, da
er in der Person seiner sehr energischen und klugen Frau den
reinsten Pfleger an seiner Seite hatte. — Auch in Sachen der
Testierfähigkeit ist dem beschränkt Geschäftsfähigen der Wider¬
ruf seines Testaments gestattet. Ebenso geben §§ 110, 112 und
113 des B. G. B. dem Vormund die Möglichkeit an die Hand, die
Folgen der Entmündigung bei seinem geistesschwachen Mündel
erheblich milder zu gestalten und ihm soviel Bewegungsfreiheit
zu gewähren, als er ihm, ohne ihn zu gefährden, gewähren kann.
Wenn man alle diese heute geltenden Bestimmungen der
Zivilprozessordnung über das bei der Entmündigung wegen Geistes¬
krankheit und Geistesschwäche zu beobachtende Verfahren genau
betrachtet, so muss man zugeben, dass sich dieselben, soweit es
bis jetzt beurteilt werden kann, nach allen Bichtungen bewährt
haben, grössere Mängel nicht zutage getreten und die weitest¬
gehenden Garantien geboten sind, um eine ungerechtfertigte Ent¬
mündigung zu verhindern; nach Erklärung des preussischen Justiz¬
ministers im Abgeordnetenhause soll auch bisher eine widerrechtliche
Entmündigung nicht bekannt geworden sein.
Zugegeben aber auch, dass eine gänzlich ungerechtfertigte
Entmündigung bei den bestehenden Gesetzen nicht leicht Vor¬
kommen, also ein geistig normaler Mensch wegen Geisteskrank¬
heit oder Geistesschwäche nicht entmündigt werden kann, so geht
doch meine Erfahrung dahin, dass die staatliche Fürsorge für
einen durch geistige Störungen in seiner Geschäftsfähigkeit ge¬
schädigten Menschen bei gehöriger Berücksichtigung der Heilbar¬
keit mancher Geisteskrankheiten, ihrer Dauer, dem Wechsel in
ihrer Intensität, den oft sehr langen Intervallen, den individuellen
Verhältnissen und dem oft geringen Umfange der Geschäfte in
manchen Fällen doch wesentlich milder ausfallen könnte, als sie
wirklich ausfällt, und dass die Fürsorge selbstverständlich um so
milder ausfallen und um so mehr dem Geiste des Gesetzgebers
entsprechen wird, je erfahrener die Personen sind, welche mit der
Entmündigung befasst sind.
Damit bin ich zum zweiten Teil meines Vortrages gekommen,
nämlich zu den Fehlern, die bei der Handhabung der die
Entmündigung und Aufhebung der Entmündigung be¬
treffenden Gesetze von seiten des Publikums und der
ärztlichen Sachverständigen unterlaufen können.
M. H.! Ich habe seit Einführung des B. G. B. im Jahre
1900 bis jetzt in 64 Fällen von Entmündigungssachen als Sach¬
verständiger tätig zu sein Gelegenheit gehabt, welche Zahl zwar
an und für sich eine geringe ist im Verhältnis zu den 4000 Ent¬
mündigungen, die nach dem Ergebnisse der deutschen Justiz-
24 Dr. Bargl: Wie haben sich die §§ des B. G.-B. u. der Z.-P.-O.-Norelle
st&tistik im Laufe eines Jahres im Deutschen Reiche erfolgen,
aber immerhin schon einen gewissen Einblick in die hier in Be¬
tracht kommenden Verhältnisse gewährt and zu praktischen
Schlüssen berechtigt. Unter diesen 64 Fällen handelte es sich
41 mal um Entmündigung und 23 mal um Wiederanfhebnng der
Entmündigung. Bei den 41 Entmündicrungsanträgen wurde die
Entmündigung 39 mal ausgesprochen und 2 mal dem Anträge nicht
Folge gegeben.
Die entmündigten Personen litten 12 mal an Imbezillität,
8 mal an Paranoia, 4 mal an Dementia paralytica, 3 mal an De¬
mentia senilis, je 1 mal an Idiotie, Dementia traumatica, Dementia
praecox catatonica, Dementia praecox paranoides, Taubstummheit
mit Schwachsinn, Hysterie mit Paranoia, Hysterie mit Trunksucht,
Imbezillität leichteren Grades mit Trunksucht, Epilepsie mit
leichtem Schwachsinn und Trunksucht, Aphasie mit Verblödung
nach Schlagfluss und chronischem Alkoholismus, Trunksucht, leich¬
tem Schwachsinn mit Verschwendung. Bei den nicht berück¬
sichtigten Anträgen auf Entmündigung handelte es sich um an¬
geblichen Schwachsinn und um angebliche Verblödung nach Unfall.
Der Antrag auf Wiederaufhebung der Entmündigung wurde
von Geisteskranken verschiedener Art gestellt, namentlich von
solchen, die gebessert aus der Irrenanstalt kamen, häufig auch
von Paranoikern und Alkoholisten, Paralytikern im Remissions¬
stadium usw.
Gelegentlich meiner Untersuchungen habe ich folgende Er¬
fahrungen gemacht:
1. dass der Antrag auf Entmündigung nicht immer materiell
genügend begründet ist;
2. dass bei Personen, welche wegen Beeinträchtigung ihrer
Geschäftsfähigkeit durch geistige Störungen einer staat¬
lichen Fürsorge bedürfen, diese staatliche Fürsorge manch¬
mal eine mildere sein könnte, als sie es faktisch ist;
3. dass der Antrag auf Wiederaufhebung der Entmündigung
sehr häufig zu Unrecht gestellt wird;
4. dass der Arzt bei Wiederaufhebung der Entmündigung
den Zeugenaussagen sehr skeptisch gegenüberstehen und
jederzeit bei dem Entmündigten auf Dissimulation gefasst
sein soll.
Zu 1: Der Antrag auf Entmündigung wegen Geisteskrank¬
heit oder Geistesschwäche ist nur dann materiell begründet, wenn
der Nachweis erbracht werden kann, dass der zu Entmündigende
durch seine Psychose verhindert war und ist, seine Angelegen¬
heiten zu besorgen; es ist dies gewöhnlich nur dann der Fall,
wenn jemand in einem die freie Willensbestimmung ausschliessen-
den Zustande krankhafter Störung der Geistestätigkeit sich be¬
findet, sofern nicht der Zustand seiner Natur nach ein vorüber¬
gehender ist, wie dies § 104, Abs. 2 des B. G. B. ausspricht. —
Einen die freie Willensbestimmung ausschliessenden, nicht vor¬
übergehenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit
werden wir da annehmen müssen, wo die intellektuelle Entwiche-
ftbor die Entmündigung in der gerichtsärztlichen Praxis bewährt? 26
lang anf der Stufe des Kindes<ers stehen geblieben, oder die
Intelligenz durch einen fortschreitenden Krankheitsprozess wieder
anf die Stafe des Kindes herabgesunken ist, wo infolge von Sinnes-
tänschnngen oder Wahnvorstellungen die Orientierung fehlt und
Verwirrung vorhanden ist, oder wo eine Hemmung vorliegt, dass
der Betreffende nicht imstande ist, den einfachsten, zur Besorgung
seiner Angelegenheiten notwendigen Gedanken zu fassen, wo in¬
folge von Bewusstseinsstörung die richtige Auffassung der eigenen
Persönlichkeit zur Aussenwelt ausgeschlossen ist und dergleichen.
Dies ist im allgemeinen der Fall bei Idioten, bei Geisteskranken,
bei denen bereits eine stärkere Verblödung eingetreten ist, bei
Paranoikern mit zahlreichen Sinnestäuschungen und einem aus¬
gebreiteten konfusen Wahnsystem, bei im stärkeren Grade mania-
kalischen Paralytikern, in den schweren, unheilbaren Fällen von
Melancholie usw. Alle die genannten Personen, welche zugleich
als geisteskrank im Sinne des § 6, Abs. 1 des B. G. B. zu be¬
trachten sind, dürften wegen Geisteskrankheit zu entmündigen sein.
Auch der Antrag auf Entmündigung bei den Geistesschwachen
muss materiell begründet sein und darf auch bei diesen von einem
freien, vernunftgemässen Handeln keine Bede sein. Hierher zu
rechnen wird z. B. eine Person sein, von der man sich sagen
muss, sie besitzt zwar nicht die Intelligenz eines Erwachsenen,
steht aber doch auf einer höheren Stufe als ein 7 jähriges Kind,
oder der Betreffende hat zwar eine wesentliche Einbusse an seiner
Intelligenz erlitten, dieselbe geht aber doch nicht soweit, dass er
in seinen Verstandesleistungen einem unmündigen Kinde gleich¬
zustellen wäre, oder er leidet zwar an Sinnestäuschungen und
Wahnvorstellungen, vermag sich aber doch öfter ihrem Einflüsse
zu entziehen, und ist bei manchen Gelegenheiten ohne Dazwischen¬
treten pathologischer Elemente eine geistige Störung nicht erweis¬
lich, oder er ist zwar durch seine Geistesstörung öfter aufgeregt,
ängstlich oder etwas gehemmt, es werden aber dadurch seine
Handlungen nicht immer wesentlich beeinflusst.
Sind ähnliche Zustände wie die geschilderten nicht vor¬
handen, kann also der Beweis nicht erbracht werden, dass ein
die freie Willensbestimmung andauernd ausschliessender Zustand
krankhafter Störung der Geistestätigkeit vorhanden ist, dann er¬
scheint eben der Antrag auf Entmündigung unberechtigt und
materiell unbegründet.
Aus meiner gerichtsärztlichen Praxis will ich kurz einige
Fälle anführen, in denen nach meiner Ansicht der Antrag auf
Entmündigung materiell nicht genügend begründet war:
Von der Hauptzollamtsverwalterswitwe H. in M. wurde der Antrag an!
Entmündigung ihrer ledigen großjährigen Schwester, der Zospringerin J. Z.,
wegen Geistesschwäche gestellt, weil sie an angeborener Geistesschwäche leide,
im Alter von 85 Jahren ein Verhältnis mit einem verheirateten Manne ange-
knüpft habe, ans welchem ein verkrüppeltes idiotisches Kind hervorgegangen
sei, weil sie — nnnmehr 44 Jahre alt — mit einem gewissen A. N. verlobt sei,
and ihn demnächst za heiraten gedenke and weil za befürchten sei, obwohl
man den Bräatigam nicht kenne, daß das für ihren Unterhalt and den ihres
Kindes kaam aasreichende Vermögen in kürzester Zeit verzehrt sein werde,
and es deshalb za wünschen sei, daß sie sich nicht vereheliche. Aas dem Ge-
26 Dr. Bar gl: Wie heben sieh die §§ des B. G.-B. u. der Z.-P.-O.-Novelle
sagten ergebe sich, daß J. Z. infolge von angeborener Geistesschwäche nicht
imstande sei, ihre Angelegenheiten za besorgen and wegen Geistesschwäche
za entmttndigen sei
Dem Antrag war das Zeagnis eines praktischen Arztes beigelegt, daß
er die J. Z. zwar nnr vorübergehend gesehen habe, daß sie aber auf ihn den
Eindruck einer etwas unbeholfenen, geistig beschränkten Person gemacht habe,
welcher die Fähigkeit abzusprechen sei, frei und selbstständig über ihr Ver¬
mögen za disponieren.
Das Amtsgericht hat diesen Antrag abgewiesen mit der Motivierung?
daß die von Amtswegen zar Feststellung des Geisteszustandes der J. Z. ge¬
pflogenen Ermittelungen und erhobenen Beweise, so namentlich die eidlichen
Aussagen verschiedener Zeugen und insbesondere die eingehende persönliche
Vernehmung der zu Entmündigenden unter Zuziehung des Landgenchtsarztes
als Sachverständigen und das von diesem Arzte auf Grund mehrmaliger Ver¬
nehmung und eingehender Beobachtung abgegebene Gntachten die bestimmte
richterliche Ueberzeugung davon gebildet haben, daß bei J. Z. keinerlei geistige
Anomalie vorhanden sei, daß ihre Intelligenz hinter den durchschnittlichen
Leistungen eines normalen Menschen ihres Standes in keiner Weise irgendwie
erheblich zurückbleibe und ihre in manchen Punkten hervortretende Schwer¬
fälligkeit des Auffassungsvermögens und ein gewisser Mangel an Kenntnissen,
sowie die vorhandene Wortkargheit und Verschlossenheit nicht als Schwachsinn,
sondern lediglich als Folge ihrer Abgeschlossenheit und mangelhaften Schulung
des Geistes aufzufassen sei, daß J. Z. wohl imstande sei, ihre nicht komplizierten
Angelegenheiten zu besorgen, da sie nach den eidlichen Aussagen verschiedener
Zeugen sich jederzeit ihren Lebensunterhalt selbständig verschafft und sich
ehrlich fortgebracht habe, die notwendigen Schulkenntnisse besitze und auch den
Zins ihres Vermögens zu berechnen vermöge; daß ferner dem von der Antrag¬
stellerin weiterhin geltend gemachten Grund, die J. Z. beabsichtige eine ihr
unpassend erscheinende Ehe zu schließen, bei Beurteilung der hier allein zur
Entscheidung stehenden Frage, ob sie durch ihre Geistesbeschaffenheit in ihrer
freien Willensbestimmung und der Fähigkeit, ihre Angelegenheiten zu besorgen,
beeinträchtigt sei, nur eine sehr untergeordnete Bedeutung beizumessen sei
und sie als nicht geistesschwach von der Eingehung einer selbst nicht vorteil¬
haften Ehe nicht zurückgehalten werden könne, endlich die nur auf vorüber¬
gehende Beobachtung sich gründende und überdies sehr unbestimmte Aussage
des praktischen Arztes Dr. F. nicht in's Gewicht falle, und deshalb der Antrag
abzuweisen sei.
In einem zweiten Falle war der Antrag auf Entmündigung eines Bauers,
der vor einem halben Jahre durch ein Veloziped eine ziemlich schwere Körper¬
verletzung erlitten hatte, gestellt worden mit der Angabe, daß derselbe infolge
der erlittenen Kopfverletzung verblödet und nicht mehr imstande sei, seine
Angelegenheiten zu besorgen. Der Antrag wurde abgewiesen, da die genaue
Untersuchung durch zwei Aerzte ergab, daß keine Spur einer traumatischen
Demenz vorlag, und die ganze Entmündigungsgeschichte lediglich inszeniert
worden war, weil man glaubte, ganz andere Ansprüche an die Unfallversicherung
stellen zu können, wenn der Bauer antragsgemäß wegen einer durch den Unfall
verursachten Geistesschwäche entmündigt sei.
Zu 2 : Was den unter 2 von mir aufgestellten Satz betrifft,
dass bei Personen, welche wegen Beeinträchtigung ihrer Geschäfts*
fähigkeit durch geistige Störungen einer staatlichen Fürsorge
bedürfen, diese staatliche Fürsorge öfter eine mildere sein könnte,
als sie es faktisch ist, so will ich damit sagen, dass in manchen
Fällen die Entmündigung wegen Geisteskrankheit ausgesprochen
wird, wo sie eigentlich wegen Geistesschwäche ausgesprochen
werden sollte, dass es ab und zu statt einer Entmündigung auch
bei einer vorläufigen Bevormundnng sein Bewenden hätte haben
können, dass die staatliche Fürsorge manchmal in einer Pflegschaft
statt in einer Entmündigung bestehen und endlich, dass eine Staat*
über die Entmündigung in der gerichtsärztlichen Praxis bewährt? 27
liehe Fürsorge in einzelnen geeigneten Fällen trotz bestehender
Geistesstörung ganz unterbleiben konnte.
Hier soll im allgemeinen Erwähnung finden, dass heilbare
Psychosen, wie Manie und Melancholie, wenn es sich um typische
Fälle handelt, sich für gewöhnlich nicht zur Entmündigung eignen,
da sie ja doch in den weitaus meisten Fällen nicht allzulange
dauern, und die Entmündigung doch vorzugsweise für die voraus¬
sichtlich andauernden Leiden bestimmt ist. Ferner wird nicht
bei jedem Fall von periodischem oder zirkulärem Irresein die Ent¬
mündigung angezeigt sein, namentlich nicht bei solchen, bei denen
lange Intervalle geistiger Gesundheit vorliegen, grossere Intelligenz¬
defekte fehlen und die Anfälle nicht besonders intensiv und
nicht von zu langer Dauer sind. — Bei Epileptikern wird sich
die Entmündigung nur notwendig erweisen, wenn infolge von
eingetretener Demenz oder häufig auftretender Anfälle eine staat¬
liche Fürsorge geboten erscheint. —
Bei manchen geisteskranken Trinkern, bei denen sich nach
ihrer Verbringung in eine Anstalt infolge der Alkoholabstinenz
bald eine erhebliche Besserung einstellt, so dass von einer Geistes¬
krankheit oder Geistesschwäche im Sinne des § 6 des B. G. B.
nicht mehr gesprochen werden kann, wird von einer Entmündi¬
gung wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche Abstand zu
nehmen sein, kann aber noch die Entmündigung wegen Trunksucht
in Frage kommen. — Paranoiker, welche sich so beherrschen
künnen, dass sie niemand für krank hält und ihre Interessen nach
jeder Richtung wahrnehmen, können nicht entmündigt werden.—
Bei der Hysterie können nur die schweren Formen dieser Krank¬
heit, deren Zustand als hysterisches Irresein zu bezeichnen ist,
zur Entmündigung Veranlassung geben, bei Aphasie und Taub¬
stummheit nur die, bei denen die Verständigung sehr erschwert
ist und grössere Intelligenzdefekte vorliegen. — Auch bei manchen
Personen mit angeborenem Schwachsinn ist die Entmündigung
überflüssig, wenn sie sich in ganz einfachen Verhältnissen befinden
und in denselben leidlich zurecht kommen. — Selbst bei Alters¬
blödsinnigen, Paralytikern und Apoplektikern kann in geeigneten
Fällen die Entmündigung unterbleiben, wenn sie fortwährend unter
Aufsicht und Ueberwachung ihrer Angehörigen stehen, keine Ex¬
zesse machen, gutartig sind und sich von ihren Angehörigen
vollständig leiten lassen, vorausgesetzt, dass diese hierzu geeignet
sind. — Endlich ist die Entmündigung in der Regel unnütz bei
gänzlich vermögenslosen Leuten aus den untersten Volksschichten,
welche keine Angelegenheiten im Sinne des § 6 des B. G. B. zu
besorgen haben.
Für meine Behauptung, dass bei Personen, welche wegen
Beeinträchtigung ihrer Geschäftsfähigkeit durch geistige Störung
einer staatlichen Fürsorge bedürfen, diese staatliche Fürsorge
manchmal in milderer Weise gehandhabt werden könnte, kann ich
verschiedene Beispiele aus meiner gerichtsärztlichen Praxis
anführen:
So erkrankte z. B. ein nicht belastetes, bisher vollständig gesundes
36 jähriges Fräulein infolge von anstrengender Krankenpflege und vielen Nacht-
28 Dr. Borgt: Wie haben zieh die §§ des B. G.-B. u. der Z.-P.-O.-Novelle
wachen bei ihrem schwerkranken Vater and möglicherweise aneh durch dea
mißbräuchlichen Genuß von Kolapastillen, nach welchem sie jedesmal in einen
rauschähnlichen Zustand mit Gehörstäuschungen und anderen Vergiftungs¬
erscheinungen verfiel, anfangs Mai 1908 an den ausgesprochenen Erscheinungen
einer Manie, wurde Mitte Mai in die Irrenanstalt verbracht, dort am 1. Sep¬
tember 1904 wegen Geistesschwäche entmündigt und am 20. November 1903,
also nach 4 monatlichem Aufenthalt in genesenem Zustande entlassen. Obwohl
sie seit ihrer Entlassung ans der Anstalt keinerlei Erscheinungen von Geistes¬
störung darbot, wurde ihrem Antrag auf Wiederaufhebung der Entmündigung
im Dezember 1908 nicht stattgegeben, da die seit der Entmündigung verflo s se n e
Zeit doch noch eine zu kurze war, und die Entmündigung erst auf einen er¬
neuten Antrag im Januar 1906 aufgehoben.
Nach meiner Ansicht war die Entmündigung in diesem Falle
nicht notwendig, da es sich um eine heilbare Psychose von kurzer
Dauer handelte, und die staatliche Fürsorge, welche für das geistes¬
kranke Fräulein infolge Ablebens ihres Vaters ein treten musste,
auch in milderer Form als durch die Entmündigung hätte geschehen
können, nämlich durch eine vorläufige Vormundschaft, welche ein-
treten kann nach vorgehendem Antrag auf Entmündigung, und an¬
gezeigt ist bei Fällen von plötzlich eintretender Geisteskrankheit,
bei denen mit Rücksicht auf die VermOgensverhältnisse etwas ge¬
schehen muss, oder bei Fällen von nicht lange andauernder heil¬
barer Psychose, bei denen die Entmündigung wegen Geisteskrankheit
oder Geistesschwäche nicht angezeigt erscheint. Da die vorläufige
Vormundschaft mit Rücknahme des Antrages auf Entmündigung
oder der rechtskräftigen Abweisung desselben wieder endet und
bei der kurzen Dauer der Geisteskrankheit im vorliegenden Falle
der Antrag auf Entmündigung hätte bald wieder zurückgezogen
oder absichtlich, um Zeit zu gewinnen, etwas hinausgezOgert
werden können, so wären durch Einsetzung einer vorläufigen Vor¬
mundschaft dem Fräulein viel Kosten und Unannehmlichkeiten
erspart geblieben.
Selbst eine Pflegschaft hätte hier eintreten können, wie dies
klar hervorgeht aus der nachstehenden Entscheidung des preuss.
Kammergerichts; s. Seite 30.
In einem zweiten Falle handelte es sich um die Entmündigung eines
Lehrers, welcher im Januar 1901 an drei etwa 10jährigen Schulmädchen mit
Gewalt unzüchtige Handlungen verübt hatte, deshalb in Haft genommen, später
aber wegen Bedenken an seiner Zurechnungsfähigkeit zur Beobachtung seines
Geisteszustandes in die Irrenanstalt Y verbracht worden war. Im Juli wurde
er entmündigt, weil er an Paranoia leide, geisteskrank und nach jeder Bichtung
geschäftsunfähig sei, nachdem er zuvor schon außer Verfolgung gesetzt worden
war. Im September 1902 wurde er, nachdem er schon monatelang im Ver¬
waltungsbureau der Irrenanstalt sich in nützlichster Weise beschäftigt hatte
und wie aus der Krankengeschichte zu entnehmen ist, niemals an ihm Wahn¬
vorstellungen und auch nur ganz vereinzelte Sinnestäuschungen bemerkt worden
waren, aus der Anstalt entlassen, nahm eine Stelle als Geschäftsführer bei
einer großen Sterbekasse an und bald darauf als Buchhalter bei einer großen
Bank, welche Stelle er bis zur Stunde zur größten Zufriedenheit seines Chefs
ausfüllt, obwohl er die Hauptbücher und eine sehr ausgedehnte Korrespondenz
zu führen hat. Niemals hat jemand seit seiner Entlassung aus der Anstalt
Spuren einer geistigen Störung bemerkt; im März 1904 wurde die Entmün¬
digung aufgehoben.
In dem vorliegenden Falle hat der ganze Verlauf der Krankheit
gezeigt, dass es sich nicht nm Paranoia, sondern nm eine Alkohol¬
psychose gebandelt hat; denn nach Angabe des Lehrers hatte er
Über die Entmündigung in der gerichtsSratlichen Praxis bew&hrt ? 20
vor seiner Tat einige Monate lang täglich 15—20 Glas Bier und
oft noch mehr getrunken und an dem kritischen Tage überdies
noch einen ganz besonderen Trinkexzess sich geleistet. Seine
Handlung war also auf dem Boden des chronischen Alkoholismus
und unter dem Einflüsse eines besonders hochgradigen Trink¬
exzesses zustande gekommen und zwar vermutlich in einem alko¬
holischen Dämmerzustunde oder komplizierten Bauschzustande.
Nach meiner Ansicht war deshalb die Entmündigung hier nicht
notwendig, da die Krankheitserscheinungen mit der Alkoholab¬
stinenz rasch zurückgingen und es somit nahe lag, an eine heilbare
Alkoholpsychose zu denken; ausserdem erheischte kein dringliches
Rechtsgeschäft die Entmündigung. Endlich soll man mit der Ent¬
mündigung warten in allen Fällen; in denen man sich noch nicht
klar über die Diagnose ist und namentlich noch nicht weiss, ob
man eine heilbare oder unheilbare Psychose vor sich hat.
Die schonendste Form der staatlichen Fürsorge für einen
durch geistige Störungen in seiner Geschäftsfähigkeit beeinträch¬
tigten Menschen ist wohl die Errichtung einer Pflegschaft,
welche nach § 1910 des B. G. B. ein nicht unter Vormundschaft
stehender Volljähriger für seine Person und sein Vermögen erhalten
kann, wenn er infolge körperlicher Gebrechen, insbesondere weil
er taub, blind oder stumm ist, seine Angelegenheiten nicht zu
besorgen vermag, oder infolge geistiger oder körperlicher Ge¬
brechen einzelne seiner Angelegenheiten oder einen bestimmten
Kreis seiner Angelegenheiten, insbesondere seine Vermögensange¬
legenheiten nicht zu besorgen vermag. — Eine Pflegschaft
infolge geistiger Gebrechen tritt also für gewöhnlich nur
ein bei der Unfähigkeit, einzelne der Angelegenheiten zu be¬
sorgen, während bei der Unfähigkeit zur Besorgung aller, die
Entmündigung wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche
zu erfolgen hat. In diesem Paragraphen ist auch noch bestimmt,
dass die Pflegschaft nur eingeleitet werden kann, wenn der geistig
Gebrechliche seine Einwilligung dazu gibt. Es wird also vom
geistig Gebrechlichen noch so viel Urteilsfähigkeit vorausgesetzt,
dass er seine LeistungsUnfähigkeit bestimmten Kreisen seiner
Angelegenheiten gegenüber einzusehen vermag; es gibt aber auch
hier eine Ausnahme, nämlich die, dass mit dem unter Pflegschaft
zu Stellenden eine Verständigung nicht möglich ist.
Gewöhnlich begegnet man der Auffassung, dass sich die
„Unmöglichkeit der Verständigung“ lediglich auf körperliche Ge¬
brechen, wie z. B. Aphasie, Taubstummheit und dergl. beziehe,
nicht aber auf geistige Gebrechen. Da aber in dem Pflegschafts¬
paragraphen sowohl von körperlichen, als von geistigen Gebrechen
die Bede ist und nicht besonders hervorgehoben wird, was unter
„Unmöglichkeit der Verständigung“ zu verstehen ist, so kann
entschieden auch die Auffassung Platz greifen, dass auch in dem
Falle von einer Unmöglichkeit der Verständigung gesprochen
werden kann, wenn der geistig Gebrechliche infolge seiner geistigen
Gebrechen nicht eiuzusehen vermag, dass er eben zur Besorgung
einzelner seiner Angelegenheiten nicht fähig ist; diese Auffassnng
30 Or. Bargl: Wie haben sich die §§ des B. G.-B. u. der Z.-P.-0.-Novelle
wird als richtig bestätigt durch die gleich nachstehende Ent¬
scheidung des Preuss. Eammergerichts vom 4. September 1900 1 ).
Durch die gleiche Entscheidung wird auch die bisher fast all¬
gemein herrschende Auffassung, als wenn ein im medizinisch
wissenschaftlichen Sinne Geisteskranker niemals mit der Pfleg¬
schaft etwas zu tun hätte, sondern für diesen einzig und allein
die Entmündigung passte, als unrichtig widerlegt. Es heisst in
dieser Entscheidung:
„Wenngleich im § 1910 des B. G.-B. die Unfähigkeit einer Person zur
Besorgung einzelner Angelegenheiten oder eines bestimmten Kreises Ton Ge¬
schäften der allgemeinen Unfähigkeit zur Besorgung aller Angelegenheiten
gegenüber gestellt wird, so rechtfertigt dieses nicht den Schluß, daß eine
Pflegschaft aus § 1910 nur für geschäftsmäßige Personen eintreten kann, daß
aber ein nach § 104, Abs. 2 des B. G. B. geschäftsunfähiger Geisteskranker,
auch wenn die Besorgung nur einer einzigen Angelegenheit seine Vertretung
erforderlich macht, stets entmündigt und unter Vormundschaft gestellt werden
muß. Denn nicht wer wegen Geisteskrankheit gesthäftsunfähig, sondern wer
wegen solcher entmündigt ist, erhält nach § 1896 des B. G. B. einen Vormund;
auch muß keineswegs in allen Fällen, wo die Voraussetzungen der Entmün¬
digung gegeben sind, das Entmündigungsverfahren beantragt werden (§ 6, Abs. 1,
Nr. 1 des B. G. B., § 645 ff. Z.-P.-O.). Vielfach wird es an einem Bedürfnis
hierzu fehlen; häufig auch das Unterbleiben der Entmündigung im Interesse
des Geisteskranken liegen. So lange ein Antrag auf Entmündigung nicht ge¬
stellt ist, kann deshalb grundsätzlich nach § 1910, Abs. 2 B. G. B. auch ein
Geisteskranker zur Besorgung einzelner Angelegenheiten oder eines bestimmten
Kreises von Geschäften einen Pfleger erhalten und zwar ohne seine Einwilli¬
gung, weil eine Verständigung mit ihm nicht möglich ist.*
Dieser höchst klaren Entscheidung gegenüber können theo¬
retische Erwägungen, wie z. B., dass hierdurch die partielle Ver¬
rücktheit sanktionirt würde, nicht aufkommen. Es ist ferner zn
bedenken, dass die beim Entmündigungsverfahren gebrauchten
Ausdrücke eine rein juristische Bedeutung haben, und wir Aerzte
den Juristen, welche auch unter Geisteskrankheit und Geistes¬
schwäche etwas anderes verstehen als wir, es nicht übel nehmen
können, wenn sie lediglich aus praktischen Erwägungen und im
Interesse der Schntzbedürftigen eine partielle Geistesstörung an¬
nehmen und diese unter den geistigen Gebrechen rubrizieren.
Unter „geistigen Gebrechen" im Sinne des Pflegschaftsparagraphen
werden im allgemeinen zu verstehen sein leichtere Fülle von
Geisteskrankheit, oder Geisteskrankheit in der Besserung oder auf
dem Wege zur Genesung oder in länger dauernden lichten Inter¬
vallen oder geistige Ausfallserscheinungen, wie sie nach Schlag¬
anfällen, HirnsyphUts u. dgl. auftreten. Sicher wird auch bei
Paranoikern in der Remission oder bei geisteskranken Querulanten,
bei denen abgesehen von dem Wahne, in einer bestimmten Rich¬
tung rechtlich benachteiligt worden zu sein und das Recht nicht
finden zu können, keinerlei Beeinträchtigung der Geschäftsfähigkeit
wahrzunehmen ist, von geistigen Gebrechen im juristischen Sinne
gesprochen werden können und würde durch die Aufstellung eines
Pflegers für geisteskranke Querulanten — lediglich zur Besorgung
') Siehe die vom Beichsjastisamt heraasgegebenen Entscheidungen in
Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit; I. Bd., S. 133. Berlin 1900
a. 1901. In Kommission bei Pattkammer & Mühlbrecht.
über die Entmündigung in der gericbts&rztlichen Praxis bewährt?
81
einer Angelegenheit vor Gericht — in manchen Fällen vielleicht
mehr gentttzt werden, als durch den Antrag auf Entmündigung,
welche häufig sehr schwer zu begründen ist und oft unendlich
lange hinausgezögert wird durch Anfechtungsklage, Beschwerden
in allen Instanzen usw. Auf diese Weise könnten vielleicht die
Gerichte geschützt werden gegen die unerhörten Querelen solcher
Personen. Freilich würde der Posten eines solchen Pflegers nicht
sehr gesucht sein und überdies eine Umständlichkeit darin liegen,
dass mit der Erledigung der Angelegenheit auch die Tätigkeit
des Pflegers endet und für jede neue Angelegenheit auch eine
neue Pflegschaft zu bestellen wäre.
Da die Pflegschaft die schonendste Form der staatlichen
Fürsorge darstellt, so kann nicht genug empfohlen werden, von
ihrer Anwendung in geeigneten Fällen möglichst viel Gebrauch
zu machen.
Zu 3. Was die Wiederaufhebung der Entmündigung
betrifft, so wird jeder Arzt, der öfter in Entmündigungssachen als
Sachverständiger zu tun hat, die Erfahrung machen, dass der An¬
trag auf Wiederaufhebung der Entmündigung häufig zu Unrecht
gestellt wird und zwar entweder viel zu früh nach dem Entmün¬
digungsbeschluss zu einer Zeit, wo eine Heilung oder nennenswerte
Besserung der Natur der Geisteskrankheit nach noch gar nicht
erwartet werden kann, oder ohne dass überhaupt eine Veränderung
im Zustande des Entmündigten eingetreten ist. Selbstverständlich
ist zur Aufhebung der Entmündigung nicht vollständig geistige
Gesundheit notwendig, deren Begriff bei den einzelnen Autoren
ein sehr schwankender und deren Nachweis ein zu schwieriger
wäre, allein es muss der Wegfall der psychopathologisch bedingten
sozialen Schädigung, die seinerzeit die Entmündigung veranlasst
hat, nachgswiesen sein oder mit anderen Worten, die Wieder¬
erlangung der geistigen Fähigkeiten, deren Vorhandensein der
Gesetzgeber bei Annahme der Geschäftsfähigkeit vorausgesetzt
hat. Der Arzt wird berechtigt sein, die Wiederaufhebung der
Entmündigung zu begutachten, wenn er den Nachweis für erbracht
hält, dass die Störungen, welche seinerzeit die Geschäftsfähigkeit
hochgradig beeinträchtigt oder aufgehoben haben, nicht mehr be¬
stehen, wenn der Betreffende volle Krankheitseinsicht hat, wenn er
unumwunden zugiebt, an falschen Vorstellungen, Sinnestäuschungen,
Einbildungen, an nicht begründeten Stimmungsanomalien u. drgl.
gelitten zu haben. Wir werden die Aufhebung der Entmündigung
begutachten, wenn durch glaubwürdige, einsichtsvolle Zeugen
nachgewiesen ist, dass der Entmündigte längere Zeit hindurch
seine Geschäfte geschickt und zweckmässig geleitet hat, auch
unter schwierigen Verhältnissen seinen Verpflichtungen nach¬
gekommen ist, seine frühere normale Lebensweise wieder auf¬
genommen hat, sich nicht mehr von der Gesellschaft zurück¬
zieht usw.
Beispiele dafür zu bringen, dass der Antrag auf Wiederauf¬
hebung der Entmündigung häufig zu früh oder zu Unrecht gestellt
wird, werden Sie mir erlassen, da jeder von Ihnen aus eigener
89 Dr. Burgl: Wie haben sich die §§ des B. G.-B. o. der Z.-P.-O.-Norelle
Erfahrung Aber solche verfügt. Sie werden mir auch beipflichten,
dass hauptsächlich die Paranoiker und unter diesen die geistes¬
kranken Querulanten es sind, welche dem Gerichte und den Sach¬
verständigen die grössten Schwierigkeiten bereiten, indem sie nach
erfolgloser, in allen Instanzen durchgefochtener Anfechtungsklage
immer wieder den Antrag auf Wiederaufhebung der Entmündigung
stellen, ohne dass selbstverständlich irgend eine Besserung in
ihrem Zustande eingetreten ist. Da sie, wohl wissend, worauf es
ankommt, solche Momente, von denen sie glauben, dass sie als
pathologisch aufgefasst werden, nicht erwähnen, oder wenn sie
gezwungen sind, über ihre Wahnvorstellungen und Sinnestäuschungen
auszusagen, in mehr oder weniger geschickter Weise anders deuten,
namentlich als Missverständnisse hinstellen, als harmlose Vorkomm¬
nisse, oder als vorübergehende Einbildungen oder sogar aueh
Krankheitseinsicht Vortäuschen und in dissimulierender Weise er¬
klären, dass zwar früher Wahnvorstellungen vorhanden waren,
dass aber diese längst verschwunden seien, so sind die Schwierig¬
keiten für den Arzt ziemlich grosse, da er doch weiss, dass die
chronische Paranoia eine Krankheit von exquisit langsamen Ver¬
laufe und eine Heilung äusserst selten ist und deshalb nicht leicht
an die Aufhebung der Entmündigung herangehen will, während
der Kranke mit allen Mitteln Beweis für seine wiedererlangte
Krankheit zu erbringen sucht. — Zur Vermehrung dieser Schwierig¬
keiten tragen auch einzelne praktische Aerzte bei, welche sich
nicht entblöden, ohne jede Anamnese, ohne jede Kenntnis der
Aktenlage, gewöhnlich auch ohne psychiatrische Kenntnisse ledig¬
lich auf die Aussagen des Entmündigten nnd einer flüchtigen
Unterredung in der Sprechstunde dem Betreffenden ein Zeugnis
auszustellen, dass er geistig vollständig gesund sei. Glücklicher¬
weise wird diesen Zeugnissen, wenigstens nach meiner Erfahrung,
von den Richtern keinerlei Beachtung geschenkt, und zwar gewiss
mit Recht.
Ebensowenig Beachtung verdienen in manchen Fällen die
von den Kranken beigebrachten Zeugen, welche dartun sollen,
dass der Entmündigte überhaupt nie krank war, jedenfalls aber
jetzt vollständig gesund und geschäftsfähig sei. Es werden hier
oft Leute beigebracht, bei denen es selbst zweifelhaft ist, ob sie
geistig normal sind, namentlich auch urteilsschwache Leute, denen
der Entmündigte seine wahnhaften Vorstellungen selbst induziert
hat, gute Freunde vom Biertische, fanatische Feinde der Aerzte
usw., die ein gutes Werk zu tun glauben, wenn sie dem Kranken
möglichst helfen, da sie mit ihrem „ gesunden Menschenverstände*
den Entmündigungsbeschluss für völlig ungerecht ansehen. So
wurde beispielshalber als Beweis dafür, dass ein an ausgesprochenem
chronischen systematisierten Verfolgungswahn leidender und des¬
halb entmündigter, seine Familie vollständig vernachlässigender
und in seinen Vermögens Verhältnissen gänzlich herabgekommener
Bäckermeister wieder seine Angelegenheiten zu besorgen vermöge,
die Behauptung aufgestellt, dass er ein sehr gewandter Pferde¬
händler sei und zu diesem Geschäfte eine hohe Intelligenz nnd Ge-
Uber die Entmündigung in der gerichtsärztlichen Praxis bewährt ? 33
▼&ndheit gehöre, welche niemals ein Geisteskranker besitzen
kOnne. Die in dieser Richtung gepflogenen Recherchen ergaben,
dass er lediglich Pferde für den Pferdemetzger ankaufte und sich
hiedurch so wenig verdiente, dass er ohne Unterstützung seiner
Freunde gar nicht leben konnte.
Zn 4. Bei beantragter Wiederanfhebung der Entmündigung
sind insbesondere die Zeugenaussagen, wenn es sich um Para¬
noiker, Trinker und Verschwender handelt, mit äusserster Vorsicht
auizunehmen, da viele der Zeugen keine Eidesverletzung darin
erblicken, zu gunsten des Entmündigten sich Uebertreibungen
aller Art zu Schulden kommen zu lassen und Ungünstiges für ihn
einfach zu verschweigen, da ferner Laien aus den ungebildeten
Kreisen selten ein brauchbares Urteil bei zweifelhaften Geistes¬
zuständen fertig bringen.
M. H.! Wenn ich nun auch der Ansicht bin, dass man
mit grösster Gewissenhaftigkeit, Vorsicht und Rücksicht Vor¬
gehen soll, wenn es sich darum handelt, den Nebenmenschen
in seinem kostbarsten Gute, seiner bürgerlichen Freiheit zu be¬
schränken, so will ich damit durchaus nicht sagen, dass man die
Entmündigung, wenn sie geboten und gerechtfertigt ist, hinaus¬
schieben oder unterlassen soll, sondern es ist vielmehr die heilige
Pflicht des Arztes, in allen Fällen, iu denen eine ausgesprochene,
wenn auch den Laien noch nicht bemerkbare Geistesstörung die
Entmündigung für dringend angezeigt erscheinen lässt, die Ange¬
hörigen oder sonst zuständigen Personen zu veranlassen, den An¬
trag auf Entmündigung sofort zu stellen.
Im allgemeinen wird aber der Grundsatz richtig sein, in
strafrechtlichen Fällen den Begriff der Geisteskrankheit möglichst
weit zu fassen und von dem § 51 des Str.-G.-B. zu gunsten des
Angeklagten ausgedehntesten Gebrauch zu machen, da man bei
Begehung strafbarer Handlungen durch Geisteskranke niemals
eine Beeinflussung durch die Geisteskrankheit ausschliessen kann,
während der Begriff „Geisteskrankheit“ in Entmündigungsver¬
fahren viel enger zu fassen ist und eine staatliche Fürsorge für
die Besorgung der Angelegenheiten bei einem Geistesgestörten
nur daun Platz greifen soll, wenn der Nachweis seiner Unfähig¬
keit hiezu durch seine bisherige Lebensführung bereits erbracht
ist oder doch wohlbegründete Befürchtungen in dieser Beziehung
vorliegen.
(Lebhafter Beifall.)
Der Vorsitzende eröffnet über diesen Vortrag die Dis¬
kussion.
H. Oberarzt Dr. Blachian-Werneck: Als Anstaltsarzt, der ich häufig
in die Lage komme, im Entmündigungsverfahren als Sachverständiger ange¬
rufen zu werden bezw. Wahrnehmungen in dieser Richtung zu machen, darf
ich wohl auch zu der Frage, ob die durch das Bürgerliche Gesetzbuch zur
Einführung gelangten Neuerungen sich in der Praxis bewährt haben, das Wort
ergreifen. Ich schicke voraus, daß ich nach dem so erschöpfenden Referate,
welches wir soeben gehört haben, meine Eindrücke nur im allgemeinen wieder*
zugeben beabsichtige. Dieselben empfinde ich dahin, daß durch die neuen gesetz¬
lichen Bestimmungen der Rechtsschutz des Einzelnen im höheren Maße gewähr-
8
34 Dr.) Bargl: Zu den §§ des B. G. B. ti. dei Z.-P.-G. öfter die EntMündlgung.
leistet wird, als dies früher Vielleicht der Fall war. Während vor dem Jahre
1900 der Nachweis einer geistigen Erkrankung in der Hauptsache auäreichte, die
Notwendigkeit einer Entmündigung and die volle Aberkennung der bürgerlichen
Rechte za begründen, kommt dieser Frage wohl noch eine primäre, aber mehr
untergeordnete Bedeutung zu. Die Entmündigung ist eben — wenn ich so
sagen soll — eine zivilrechtliche Operation, zu deren konservativer Aus*
führung der Richter berufen ist. Derselbe wacht darüber, daß Eingriffe in die
persönliche Rechtsphäre nur dann und insoweit erfolgen, ab die Betätigung
bürgerlicher Rechte durch die Gebtesverfassung des zu Entmündigenden ge¬
fährdet und beeinträchtigt erscheint. Er wird daher in Wahrung jener Li¬
teressen nur die rechtlichen Folgen einer Entmündigung im Auge be¬
halten, welche sich wesentlich verschieden gestalten, ob Gebteekrankheit oder
Geistesschwäche im Sinne des § 6 des B. G. B. vorliegt.
Auch für den ärztlichen Sachverständigen ergibt sich , die Notwendigkeit,
bei der Begutachtung nach diesen Gesichtspunkten zu verfahren und die jewei¬
ligen Krankheitserscheinungen in Beziehung zu den Angelegenheiten za
bringen, welche der zu Entmündigende etwa noch zu besorgen vermag. Die
Aufgabe, welche uns dadurch erwächst, bt — insoweit Entmündigung wegen
Geistesschwäche in Betracht kommt — eine schwierige, da dem beschränkt
Geschäftsfähigen immer noch eine gewisse Bewegungsfreiheit, nach Umständen
sogar die selbständige Ausübung eines Erwerbsgeschäftes zusteht.
Die gesetzliche Forderung, daß eine die freie Willensbestimmung an¬
schließende krankhafte Störung der Gebtestätigkeit nur dann einen Entmün¬
digungsgrund bilde, wenn dieselbe ihrer Natur nach nicht eine vorübergehende
bt, wäre an sich geeignet, manche Härten und Schäden für den Nichtentmün¬
digungsfähigen nach sich zu ziehen. Da auch die Möglichkeit, eine Pflegschaft
im Sinne des § 1910 des B. G. B. gegen einen z. B. periodbch erregten,
kampfgestimmten Kranken durchzuführen, an dem Widerspruche desselben
scheitern dürfte, so bliebe der Kranke, welcher im besonderen Maße euer
gesetzlichen Fürsorge bedarf, derselben unteilhaftig. Dem ist jedoch nicht so.
In den Auslassungen der Motive zum Bürgerlichen Gesetzbuch wird nämlich
betont, daß die freien Intervalle einen Ausschließungsgrund für eine Entmün¬
digung nicht bilden.
Wenn ich mir das alles Vorhalte, so kann ich die Bedenken nicht teilen,
welche ärztlicherseits gern gegen den § 6 des B. G. B. und die gesetzliche
Unterscheidung in Geisteskrankheit und Gebtesschwäche, sowie gegen die
Fassung des eben erwähnten § 104 geltend gemacht werden. Vielmär komme
ich mit dem Referenten dazu, in den neuen gesetzlichen Bestimmungen einen
wesentlichen Fortschritt gegen früher zu erkennen.
Nur nach der formalen Seite hin, in der Novelle zur Z.-P.-O., finde ich
eine Bestimmung, zu der wir uns vom ärztlichen Standpunkte aus ablehnend
verhalten müssen. Ich meine den § 660, welcher die Zustellung des Entmün¬
digungsbeschlusses an den wegen Gebtesschwäche Entmündigten verlangt.
Da die Entmündigung erst von diesem Momente in Wirksamkeit tritt, so ist
eine Verzögerung der Zustellung, auch wenn es die Rücksicht auf den Kranken
noch so dringend erhebchte, nicht angängig. Zu welchen Unzuträglichkeiten dies
für den Kranken, der aus den Motiven nicht zu selten die dbkretesten Dinge
erfährt, und für sein Verhältnb insbesondere zum Anstaltsarzte führen kau,
brauche ich nicht weiter auszuführen. Hier tut Abhilfe not. Am einfachsten
wäre meines Erachtens eine Regelung in der Webe, daß dem Kranken ent¬
weder nur der Tenor des Entmündigungsbeschlusses bekannt gegeben oder
wenigstens von einer Zustellung Umgang genommen wird, so lange nach ärzt¬
lichem Ermessen dieselbe Schaden zu stiften imstande ist — ähnlich wie es
auch in die Hände des Arztes gelegt bt, gegen eine Vernehmung des zu Ent¬
mündigenden sich auszusprechen, wenn sie nicht ohne Nachteil für den Gesund¬
heitszustand desselben ausführbar bt.
Es wird Aufgabe der zunächst interessierten Krebe sein, eine Aenderung
bezw. Ergänzung dieser reichsgesetzlichen Bestimmung in die Wege zu leiten.
Nachdem sich weiterhin an der Diskussion die Herren
Reg.- n. Kreismedizinalrat Dr. B rügloch er-Ansbach, Prof. Dr.
Stumpf-Würzburg, Bezirksarzt Dr. BHnnsteiner-Karlstädt
Dr. Stampf: Quantitative Bestimmung der Lnagenlnft bei Neugeborenen uw. 36
beteiligt hatten, schliesst der Vorsitzende die Diskussion and
brachte anch diesem Herrn Vortragenden den Dank des Vereines
zun Ausdruck für die ausführliche Behandlung eines so wichtigen
Themas ans der amtsärztlichen Praxis.
IV. Witten Mltfiiioigii über di* giaitltatWi Btsfln-
nu| d*r L*ig*alaft bti Neugtber****; «lat Erwiitaraag
dir Laagiasehwinmprab*.^
Mit Demonstrationen.
Der Vortragende, H. Prof. Dr. Stumpf, Landgerichtsarzt
in Würzburg bemerkt zunächst, wie ihn ein besonders kritisch
gelagerter Fall von Verdacht auf Eindesmord veranlasst habe,
sich mit der Frage der quantitativen Bestimmung der im Momente
der Leichenöffnung vorhandenen Lungenluft der Neugeborenen
zu befassen und, wie es sich zweifellos empfehle, die mit Becht
bei der gerichtlichen Leichenöffnung im allgemeinen verlangte
und geübte Angabe von Zahlenwerten (z. B. bei der Reifebestim¬
mung der Neugeborenen) auch auf die Lungenuntersuchung bei
letzteren auszudehnen. Besonders wertvoll erscheine eine solche
zahlenmässige und dem Sektionsprotokoll einverleibte Bestimmung
dann, wenn ein Sachverständiger oder, wie es nicht selten vor¬
kommt, ein Medizinalkomitee veranlasst ist, sich ausschliesslich
aus den Akten über den Fall zu äussern.
Bezüglich der physikalischen Begründung der Methode ver¬
weiset Vortragender auf seine erste Veröffentlichung zu dieser
Frage in Nr. 11 der Münchener mediz. Wochenschrift 1905.')
Während er sich früher an die Lungen angehängter kleiner Draht¬
körbchen zur Aufnahme der Bleigewichte bediente, hat er nun
das Verfahren überaus vereinfacht; er empfiehlt, die auf ihren
Luftgehalt zu untersuchenden Lungen in ein Stückchen Gaze oder
anderweitigen luftdurchlässigen Stoff (z. B. Taschentuch) einzu-
binden und die Bleistücke, die man sich vorher in Form eines
Gewichtssatzes zurechtgewogen hat, zwischen Lunge und Um¬
hüllung hineinzuschieben, bis eben die Lunge unterzusinken
beginnt Diese aus Pflanzenfaser bestehende Umhüllung bleibt
hierbei ganz ausser Betracht, weil ihr spezifisches Gewicht im
gut durchfeuchteten Zustand = 1,0 ist.
Nachdem der Vortragende an verschiedenen Präparaten seine
Methode gezeigt hat, betont er im Weiteren, dass nach seinen
neueren Versuchen zwischen Lungengewichte und Lungentrag¬
fähigkeit bei manchen gewaltsamen Todesarten gewisse stets
wieder anzutreffende Wechselbeziehungen bestehen; besonders
trifft dies für den vollen Verblutungstod zu, wo die Lungentrag-
') Der Vortrag erscheint später mit den in Meran in der 1. Versamm¬
lung der „Deutschen Gesellschaft für gerichtliche Medizin“ gehaltenen Vor¬
trägen in der Vierteljahrsschr. f. gerichtl. Medizin u. Sanitätspolizei und wird
deshalb hier nur auszugsweise wiedergegeben.
*) Siehe Anmerkung 1 auf Seite 36.
3*
36 Dr. Stumpf: Quantitative Bestimmung der Lungenluft bei Neugeborenen usw.
fähigkeit das Lungengewicht sehr nahe erreicht, je nach der
mehr oder weniger grossen Vollständigkeit der Verblntnng, nnd
ferner auch für den Ertränkungstod, wo die Lungentragfähigkeit
stets beträchtlich grösser als das Lungengewicht angetroffen
wird. Die gleichen Verhältnisse wie beim Ertränkungstod trifft
man natürlich überhaupt beim Tod durch Aspiration nicht gas¬
förmiger beweglicher Massen, wie z. B. bei Einatmung von
Blut, Erbrochenem oder staubförmigen Massen, wie Mehl usw.
Er ersucht schliesslich, diese berührten Untersuchungsergeb¬
nisse weiter zu prüfen, denselben aber vorläufig keinerlei aus¬
schlaggebende Bedeutng für die gerichtsärztliche Diagnose bei¬
zumessen, sondern sie zunächst nur als interessante, den ander¬
weitig festgesteUten Sachverhalt in zutreffender Weise illustrierende
Momente »ufznfassen. (Lebhriter ReiM1)
Diskussion:
Landgerichtsarzt Dr. Burgl-Nürnberg ffthrte aus, daß er seit Bekannt¬
machung der Stumpf sehen Methode bis Mai d. J. & gerichtliche Sektionen
an Leichen Neugeborener vorgenommen und darunter dreimal die Methode
nach Vorschrift angewendet habe. Er sei aber zu keinem so prompten Be-
sultate gekommen, wie es nach den vier von Prof. Dr. Stumpf in Nr. 11 der
Münchener med. Wochenschrift aufgestellten Thesen 1 ) zu vermuten gewesen
wäre und glaube, daß dieselben, wenn auch auf richtigen theoretischen Er¬
wägungen beruhend, doch mehr auf glatte, einfache Fälle paßten, bei denen
eine einzige, nicht kombinierte Todesursache vorläge, während das Resultat
unsicherer und unzuverlässiger würde, wenn es sich um eine komplizierte
Todesart und überhaupt um komplizierte Verhältnisse beim Tode bandele, was
bei Neugeborenen sehr häufig zutreffe. Nach seiner Ansicht ließe die
Stumpf sehe Methode dann im Stiche, wenn das normale spezifische Gewicht
der Lungen durch irgend welche Umstände verändert würde, sei es nun durch
entzündliche Vorgänge, vermehrten Blutgehalt, Fremdkörper, wie z. B. Schleim,
aspirierte Fäkalmassen u. drgl. Letzteres komme in sehr vielen Fällen vor,
da ein sehr großer Prozentsatz getöteter Neugeborener aus Abortgruben her¬
ausgefischt würde und häufig lebend hineingelangt sei. Auch bei den
& genannten Fällen hätte es sich um mehr oder weniger komplizierte Fälle
gehandelt. Er glaube deshalb, daß die Stumpf sehen Thesen in ihrer Ver¬
allgemeinerung doch etwas zu weit gingen und der Vortragende von selbst
dazu kommen werde, sie nach Anstellung weiterer Versuche nach dieser
oder jener Richtung zu modifizieren, was er auch bereits angedeutet habe.
Vor der Hand könne die Stumpfsche Methode am Sektionstische nur in
unkomplizierten Fällen als verlässig angesehen werden.
Prof. Dr. Stumpf: Aus den Bemerkungen des geehrten Herrn Kollegen
Burgl muß ich zu meinem Bedauern entnehmen, daß er meine Ausführungen
in meiner ersten Abhandlung insofern mißverstanden hat, als er diese eigen¬
artige Wechselbeziehung zwischen Lungengewicht und Lungentragfähigkeit
auch beim Erstickungstod solcher Neugeborenen für gegeben erachtet, bei
denen es noch nicht zu einer vollen Lungenentfaltung gekommen war. Dies
geht natürlich nicht an; denn die Verwertung der beiden Faktoren: Lungen-
gewicht und Lungentragfähigkeit oder Lungenluftgehalt setzt eine voraus-
gegangene volle Lungenentfaltung voraus. Daß meine „Thesen“, wenn man
so sprechen will, nur für unkomplizierte Fälle als verlässig anzusehen sind,
gebe ich Kollegen Burgl durchaus zu und bin ihm sehr dankbar, daß er
diesen Punkt in der Diskussion berührt hat.
Nachdem der Vorsitzende Herrn Prof. Dr. Stampf im
Namen der Versammlung den Dank für seinen hochinteressanten
*) Siehe das Referat darüber in Nr. 8 der Zeitschrift für Medizinal¬
beamte, S. 258, in dem diese Thesen wörtlich mitgeteilt sind.
Dr. Weygandt: Die geistige Minderwertigkeit im schulpflichtigen Alter. 37
Vortrag ausgesprochen hat, wird znm nächsten Gegenstand der
Tagesordnung ttbergegangen.
V. Dia geistige Miederwertigkeit Im schulpflichtige! Alter.
H. Prof. Dr. phil. et med. Weygandt-Würzburg: M. H.! Es
handelt sich um ein durchaus aktuelles Thema, dessen Bearbeitung im
Laufe der letzten Jahre so angeschwollen ist, dass ich mir bei der
Gesamtübersicht, die ich Ihnen heute auf Anregung von seiten unseres
Vorstandes zu bieten versuche, hinsichtlich des Umfangs von vorn¬
herein Schranken auferlegen muss. Viele Gruppen von Aerzten
sind besonders intensiv interessiert an diesen Fragen, nicht nur
die Psychiater, Neurologen und Kinderärzte, sondern es fangen
neuerdings z. B. auch die Militärärzte an, ihr Augenmerk auf die
geistig Minderwertigen zu lenken, um womöglich von vornherein
die psychisch Defekten als ein zum Militärdienst nicht volltaug¬
liches Menschenmaterial völlig auszurangieren. Den Amtsarzt
berühren diese Fragen nun schon ganz besonders wegen der schul¬
ärztlichen Verpflichtungen. Ich werde mich bemühen, im folgenden
vor allem das, was für den beamteten Arzt von praktischem Inter¬
esse sein wird, besonders hervorzuheben. Wenn ich über die
Grundlagen geistiger Minderwertigkeit spreche, kann ich daher
auch schon gleich verzichten, die tiefsten Stufen kindlicher De¬
fektzustände zu schildern, die schon in frühen Jahren zum Tode
führen, wie etwa die Sachssche amaurotische familiäre Idiotie
oder die Fälle mit tuberöser hypertrophischer Hirnsklerose nach
Bourneville, ja ich brauche überhaupt nicht einzugehen auf
die allerschwersten, wenn auch nicht letalen Fälle, die von vorn¬
herein wegen ihrer völligen Bildungsunfähigkeit ausgeschlossen
sind. Es soll sich heute mehr um die Stufe der Imbezillen, dann
um die mit Becht als leichteste Form angeborenen oder früh er¬
worbenen Schwachsinns noch besonders bezeichneten Debilen und
schliesslich auch um Fälle früh einsetzender Psychosen, schwerer
Neurosen, sowie der Fälle von Minderwertigkeit ohne Schwachsinn
m Sinne eines Intelligenzdefektes handeln.
Der Stoff wird sich folgendermassen gliedern:
1. Grundlagen der geistigen Minderwertigkeit im schul¬
pflichtigen Alter;
2. Untersuchungsmethoden;
3. Organisation der ärztlichen Tätigkeit diesen Fällen
gegenüber.
I. Die Grundlagen der geistigen Minderwertig¬
keit im schulpflichtigen Alter.
Wenn wir auch jene erwähnten letalen Fälle kindlichen
Schwachsinns ausschliessen, so müssen wir doch die übrigen Fälle
wenigstens bei der Frage nach den Grundlagen berücksichtigen.
Es ist zu gestehen, dass gerade die tiefstehenden Fälle eher zu
deuten sind, und dass sich von ihnen aus daher vielfach ein Ver-
38
Dr. Weygaadt.
ständnis für leichtere Schwachsinnsformen ergibt. Dm, tu bei
einer grösseren Gruppe geistig minderwertiger Kinder zunächst
in die Augen springt, sind die graduellen Abstufungen des De¬
fektes. Der Arzt hingegen soll darüber hinaus auch die patho¬
logischen Grundlagen festzustellen suchen, schon weil sich von
ihnen aus doch öfter Ausblicke auf die Prognose und auch auf
die Therapie ergeben. Da müssen wir nun beachten, dass ein
und dieselbe Ursache mit ganz verschiedener Intensität wirk«
und somit auch ganz verschiedene Grade von Defekten hervor¬
bringen kann. Viele Fälle von leichterer Minderwertigkeit sind
sozusagen die formes frnstes der schwereren Idiotieformea. Ein
Beispiel bietet die Hydrozephalie, die bei stärkster AnbiMuag,
so in Fällen von 80 oder 100 cm Schädelumf&ng letal zu nein
pflegt, bei etwa 70 cm gewöhnlich schwer« Blödsinn vermacht,
während Kinder mit 60 cm Schädelumfang vielfach noch recht
wohl arbeitsfähig, wenn auch minderwertig sind; bei noch leich¬
terer Ausbildung des Wasserkopfes, etwa 50 bis 55 cm Umfang d«
kindlichen Schädels, kann sich eine ganz normale geistige Entwicke¬
lung finden, hat man doch bekanntlich auch bei genialen Männern,
wie Helm holt z und Menzel, Spuren eines hydrozephalen Hhw-
nnd Schädelbaues feststellen können.
Encephalitis, die im frühesten Kindesalter einsetste,
bietet in ausgeprägten Fällen zeitlebens das typische Bild der
spastischen Lähmung, meist halbseitig, dabei die Neigung zu epi¬
leptischen Krämpfen nnd dazu Schwachsinn. Abweichungen und
unentwickelte Formen sind nun aber doch recht häufig. Di manchen
Fällen fehlt die Epilepsie; oftmals ist der Schwachsinn nur g ering,
ja selbst geistig hochstehende Menschen können die spastischen
Folgeerscheinungen eines alten enzephalitischen Prozesses dar¬
bieten. Wurde doch kürzlich ein in Wertbeim verstorbenes Mäd¬
chen beschrieben, das eine spastische Lähmung aller vier Extre¬
mitäten hatte, dabei aber so intelligent war, dass es lernte, seine
Zunge bei vielen Verrichtungen als Ersatz für die Hände «
gebrauchen.
Unter Porenzephalie versteht man die Fälle, in den«
die Sektion einen Defekt, einen Porus in der Hirmnasee ergibt.
Gewöhnlich handelt es sich auch um die Folge eines längst ab¬
gelaufenen entzündlichen Prozesses so eingehender Art, dass dM
betroffene Gewebe zu einem grossen Teil resorbiert worden ist
Beim Sitz des Defekts in den motorischen Windungen kann die
Intelligenz ziemlich gut erhalten sein.
Die früher als ein einheitliches Leiden aufgefasste Mikro¬
zephalie Btellt oft genug nur eine Form von Encephalitis mit
sklerotischen Veränderungen und Schrumpfnng grosser Rinden¬
partien dar, in anderen Fällen hingegen beruht sie anf Bildungs-
hemmung ohne entzündliche Grundlage, tritt dann nicht selten
familiär anf und zeigt öfter auch schwere Degenerationsseiahea,
wie etwa Polydaktylie.
In Deutschland noch wenig bekannt ist der mongoloide
Typus: Es handelt sich um Kinder, die zunächst durch ihre
Die geistige Minderwertigkeit im schulpflichtigen Alter. 39
Physiognomie an die mongolische Besaß erinnern, federn sie vor-
sprfegende Jochbeine, etwas platte Nasen mit breiter Nasenwurzel
und schräg gestellte Augenöffnongsn haben. Die verhältnismässig
starke Entwickelung des Bindegewebes der Angenlider hat das
geschlitzte Aassehen der Augen zur Folge, nicht selten ist sogar
die Epikanthusfalte deutlich ausgeprägt. Die Pnpillardistanz ist
aber auch vielfach weiter als in der Norm. Neben diesen phy-
siogaomischen Eigentümlichkeiten zeichnen solche Finder sich ans
dnreh auffallend weiche Gelenke, durch eine rissige Zunge mit
dicken Papillen, durch plumpe Hände, vielfach mit seitlich einwärts
gekrümmten kleinen Fingen. Zwergwuchs ist angedeutet. Der
Charakter ist freundlich, harmlos, heiter. Vielfache Degenerations-
zeicben, dann die Tatsache, dass es öfter Finder eines alten
Eltempa&res oder die letzten Finder in einer grossen Geschwister¬
reihe sind, sowie der mehrfach erhobene Befund eines Hirns von
einfachem Windungstypus sprechen dafür, dass es sich um eine
Büdungshemmang handelt. Solche mongoloide Schwachsinnige sind
gewöhnlich körperlich recht hinfällig, vor allem fallen sie vielfach
der Tuberkulose zum Opfer.
In S&ddeutschland spielt dm* Fretinismus immer noch
eine Bolle, jene eigentümliche Form des Schwachsinns, die auf eine
Funktionsstörung der Schilddrüse zurückweist und gepaart ist mit
verlangsamter Skelettentwickelung, die oft ausgeprägten Zwerg¬
wuchs bedingt, sowie mit einer Hautentartung, vielfach mit einer
deutlichen Myxödembildung. Der Schwachsinn ist ungemein torpid.
Auch in schulärztlicher Hinsicht ist auf diese Affektion Bücksicht
zu nehmen, nicht so sehr wegen der ausgeprägten Fälle, als viel¬
mehr wegen der häufig vorkommenden abortiven Fälle, in denen
lediglich ein geringes Zurückbleiben der Skelettbildung und auf¬
fallend welke, trockene Haut mit geistiger Trägheit verbunden
ist; daneben zeigt sich häufig Schwerhörigkeit. Wenn auch im
ganzen ein Bückgang dieser Affektion zu verzeichnen ist, so
kommt doch zweifellos noch eine beträchtliche Beihe von Fällen
in Bayern vor, im Freise Unterfranken, im westlichen Mittel¬
franken, im Freise Schwaben, sowie in Oberbayern. Aach in aus¬
geprägten Fällen empfiehlt sich immer ein Versnch mit der
Darreichung von Schilddrüsensubstanz, die bei genügender Beauf¬
sichtigung der Herztätigkeit unbedenklich ist and doch häufig
genug Besserung hervorruft, vor allem hinsichtlich des Myxödems,
dann auch eine Förderung des Wachstums und schliesslich sogar
reine Hebung der geistigen Frische.
Die Heilwirkungen der Sohilddrüsenbehandlung sind noch
günstiger bei den Fällen des sporadischen Myxödems.
Die epileptischen Kinder verdienen.eine ganz besondere
Beachtung hinsichtlich ihrer Versorgung; anf diese Frage, vor
.allem anf die Stellungnahme gegenüber den Anfällen während des
Schulunterrichts, kommen wir später poch zurück. Hier sei nur
hervorgehoben, dass die gennine Epilepsie ungemein häufig ein
Zurückbleiben der .geistigen .Entwickelung bedingt, .so dass von
den erwachsenen Epileptikern nicht einmal die Hälfte mehr pls
40
Dr. Weygandt.
geistig vollwertig betrachtet werden kann. Aber auch die ver¬
schiedensten Idiotie bedingenden Hirnaffektionen pflegen oft genug
sekundäre Reizerscheinungen in Gestalt epileptischer Krämpfe und
anderer Insulte zu zeigen, schätzungsweise in */ 5 aller Fälle
schwerer Idiotie, sowohl bei Encephalitis und Porenzephalie, wie
auch bei Hydrozephalie usw., recht selten dagegen bei Mongolismus
und Kretinismus.
Klinisch unterscheiden sich die Attacken dieser symptomati¬
schen Epilepsie nicht wesentlich von denen der genuinen; es handelt
sich neben den klassischen Krämpfen um petit mal, abortive
krankhafte Zuckungen einzelner Glieder, Verstimmungen, manchmal
Wandertrieb, vielfach Bettnässen; dabei pflegt sich auch im
Kindesalter der epileptische Charakter mit Egoismus, Pedanterie,
Frömmelei, Fleiss usw. auszubilden, während Dämmerzustände in
diesen Jahren selten sind.
Ein grosser Teil kindlicher Störungen, die den Eltern und
Lehrern Kopfzerbrechen, den Aerzten viel Schwierigkeiten ver¬
ursachen, erwächst auf dem Boden einer früh entwickelten
Hysterie. Wohl kommen schon in den Kinderjahren ausgeprägte
epileptische Krämpfe vor, heftige Attacken selbst mit Bewusst¬
losigkeit, aus der aber gewöhnlich das Kind zu erwecken ist.
Neben diesen Paroxysmen, neben den Ohnmächten, dann den
Lähmungen und Kontrakturen sind aber gerade die leichteren
Fälle oft besonders schwer der Beurteilung und Behandlung zu¬
gänglich. Vielfach ist das Leiden bloss monosymptomatisch aus¬
gebildet. Die Stigmata sind gewöhnlich nur mangelhaft vertreten.
Dagegen ist das labile psychische Verhalten oftmals recht störend;
Zornanfälle, rasch verfliegende Verstimmungen, vor allem eine
Ausprägung dös hysterischen Charakters kommen gerade bei
Kindern nicht selten vor; sie drängen sich flberall mehr vor,
wollen die erste Rolle spielen, ohne sich dabei irgend anzustrengen,
sind übertrieben missmutig, wenn ihre affektierten Ansprüche ab¬
gewiesen werden, kokettieren, kommen bald auf dieses, bald auf
jenes, kurzum, das Proteusartige, Launenhafte, Selbstgefällige des
hysterischen Charakters springt oft früh schon in die Augen, wird
aber nicht selten von der Umgebung völlig verkannt.
Hinsichtlich der Uebertragung psychischer Störungen
handelt es sich im Kindesalter meist ausschliesslich um Hysterie,
so zwar, dass der Ausgang freilich von einer andersartig erkrankten
Persönlichkeit herrühren kann, aber die induzierten Kinder eben
auf Grund einer hysterischen Anlage die auffallenden Erscheinungen
nachmachen. Krämpfe, Kontrakturen, namentlich Zuckungen, ab¬
sonderliche Bewegungen der Extremitäten, der Atemmuskulatur usw.,
Zittern, Schluchzen usw. kommt in Frage. Internate, besonders
Waisenhäuser, Klöster, dann Schulen, oder auch gemeinschaftliche
Arbeitsräume, geben das geeignete Milieu ab; betroffen werden
fast ausschliesslich Mädchen. Keineswegs sind alle Insassen ge¬
wöhnlich befallen, auch erkranken die einzelnen Patienten vielfach
erst nach und nach. Allerdings können hysterische Attacken einer
Mitinsassin des Internats usw. den Anstoss geben, manchmal aber
Die geiitige Minderwertigkeit im schulpflichtigen Alter. 41
auch epileptische Insulte oder die inkoordinierten Bewegungen
einer Chorea minor.
Man spricht wohl auch von epidemischer Chorea minor,
doch handelt es sich dabei gewöhnlich um choreiforme Zuckungen
auf hysterischer Basis, jedoch ausgelOst von einem echten Fall
von Chorea minor. Diese Affektion selbst jedoch ist als ein in¬
fektiöses Nervenleiden zu betrachten, wobei zu betonen ist,
dass in vereinzelten Fällen sehr wohl mehrere Kinder gleichzeitig
von der Infektion einer Chorea minor betroffen sein können. Auch
der Schularzt sollte besonders auf die Chorea minor Rücksicht
nehmen, einmal weil eben hysterische Mädchen leicht die Zuckungen
nachahmen können, dann aber auch weil das choreatische Kind
selbst der vollständigen Bettruhe bedarf und möglichst frühzeitig
den Schulbesuch einstellen muss, während man leider oft genug noch
choreatische Kinder trifft, die wochenlang zum Schulbesuch ge¬
nötigt und womöglich wegen ihres unruhigen Verhaltens gestraft
worden waren. Zu beachten ist aber auch, dass die Psyche des
choreatischen Kindes durchweg in Mitleidenschaft gezogen ist,
insofern es missmutig, reizbar, weinerlich erscheint und sich
psychischen Einflüssen gegenüber besonders empfindlich zeigt.
Die Neurasthenie der Kinder beruht gewöhnlich auf
konstitutioneller Basis. Unbeständigkeit in den Leistungen,
hochgradige Ermüdbarkeit, dann aber auch Tics aller Art, Erröten,
Erblassen, Urticaria, Herzklopfen, Erbrechen können sich ein¬
stellen. Selbst ausgeprägte Zwangsvorstellungen sind nicht selten,
Phobien aller Art, Idiosynkrasien, krankhafte Skrupulosität. Ein
neurasthenischer Junge legte jahrelang Wert darauf, beim Ab¬
schied vor allem mit der rechten Hand die letzte Berührung zu
vollziehen, mit dem Hintergedanken, dass diese Glück, die linke
dagegen Unglück bringe; diese Neigung artete soweit aus, dass
er beim jedesmaligen Verlassen der Wohnung auch allerhand
Gegenstände, Schränke, Türdrücker, Schlüssel usw. noch einmal
mit der rechten Hand antasste. In der Pubertät verschwand diese
Störung, wie überhaupt die Prognose der kindlichen Neurasthenie
im ganzen günstiger als bei den Erwachsenen ist, deren Zwangs¬
zustände oft jeder Behandlung trotzen.
Neurasthenische Erschöpfung lediglich auf Grund
von Ueberanstrengung, wie wir es bei Erwachsenen nicht selten
treffen, etwa im Examen oder bei verantwortungsvollen, schweren
Berufen, ist im Kindesalter nicht so häufig, als man es angesichts
der lauten Klagen über die Ueberbürdung der Schüler erwarten
sollte. Bei Volksschulen spielt die Ueberbürdung jedenfalls eine
verschwindende Rolle. Wichtig ist sie nur insofern, als eben
manche Kinder von Geburt auf pathologisch ermüdbar sind und
dazu auch infolge unzureichender Ernährung, ungenügenden
Schlafes, mangelhafter Wohnungsbygiene, hochgradiger Blutarmut,
auch wohl körperlicher Leiden, Tuberkulose, ferner Onanie usw.
auf jede geistige und körperliche Anstrengung mit hochgradiger
Abspannung reagieren.
Neben den als konstitutionell-neurasthenisch anzusehenden
42
Dr. WeygMÜt.
Kindern treffen wir eine ganze Reihe leichter AtowrmilAten, die
eher als psychasthenisch, als minderwertig veranlagt
hinsichtlich ihrer rein psychischen .Eigenschaften betrachtet
werden müssen. Absehen können wir hier von den lediglich
intellektuell Minder wertigen, die ja bei leichter Ausprägung
dieses Defektes in erster Linie die Gruppe der Debilen bilden.
Gerade die Entwickelung der Gefühls» und WilLenssphäre
pflegt bei manchen Sondern, die eine hinreichende Ausbildung
ihrer Intelligenz zeigen, nicht selten derart alteriert zu sein, dass
ihr Verhalten nnd der ganze Gang der Erziehung dadurch schwer
gestört werden. Bei einer Gruppe pflegen die Gefühlstöne, die
normalerweise jede Empfindung begleiten, ausserordentlich schwach
entwickelt zu sein; vor allem wenn es sich nicht um Wahr¬
nehmungen, sondern um blosse ErinueruEgsvorsteU ungen handelt,
dann bleibt eine lebhafte Gefühlsre&ktion aus. Solche Kinder
sind den normalen Beschäftigungen ihrer Altersgenossen gegenüber
teilnahmslos, das Spiel macht anf sie wenig Eindruck; noch
s chlim mer steht es hinsichtlich unlustiger Gefühlstöne, gleichgültig
bleiben sie gegenüber der Strafe; ohne eine Spur von Trauer m
empfinden verhalten sie sich beim Tode von Vater oder Matter;
altruistisches Gefühl ist vollständig ausgeschlossen; Schadenfreude,
Tierquälerei, Zerstörungslust, kleine Diebstähle usw. sind zu ver¬
zeichnen; Reue, Scham, Dankbarkeit, Sorgen u. a. worden ver¬
misst. Aus dieser Gruppe werden die Rekruten ausgehoben für
die Armee der Rechtsbrecher, auf dieser Basis entwickeln sich
die moralisch Defekten, die Gewohnheitsverbrecher. Die Absonde¬
rung dieser Fälle zu einer besonderen Gruppe, der sogenannten
Moral insanity, empfiehlt sich nicht, da
1. der Defekt nicht nur die komplizierten moralischen De¬
fekte betrifft, sondern weit fundamentaler ist, indem meist sehen
die elementaren Gefühlstöne abnorm ausgebildet sind, and
2. sich oft neben den Defekten im Bereich der Gefühls-
Sphäre doch auch noch Intelligenzdefekte erkennen lassen.
Bei anderen Kindern wieder fehlt es an einer gewissen
psychischen Aktivität, sie lernen wohl ihr Pensum mit leidlich
guter Auffassung, aber ohne besonderen Eifer, dagegen zeigen me
eine lebhafte Betätigung der Gefühlssphäre. Jeder kleine Ein¬
druck veranlasst stürmische GefÜhlsausbrttehe, manche Rose
können Stimmungsschwankungen hervorrufen. Die Kinder sind
von früh anf reizbar, bald weinerlich, bald übersohäomend lustig,
schwärmerisch, enthusiastisch, zu Träumereien und Phantastereien
veranlagt, aber ohne hinreichende Befähigung für nutzbare, gleich-
mä8sige Tätigkeit. Auch diese Haltlosen, diese Dögönärös sn-
pörieurs können durch ihre Gutmütigkeit leicht in Konflikt mit
Ordnung und Gesetz kommen; einesteils vernachlässigen sie Pflicht
und Aufgaben, andernteils fallen sie auch den geriebenen, skrupel¬
losen Moralischdefekten leicht znm Opfer.
Nicht gerade allzu häufig, aber doch immerhin neckt be¬
achtenswert sind die Fälle, die wir als Frühform von klini-
sehen Psychosen anzusehen haben- Bei manchen unserer er-
Die geistige Minderwertigkeit im schulpflichtigen Alter. 43
wohaeiea Geisteskranken neidet die Anamnese, dass der betr.
Mentet in früher Jagend aufgefallen sei. So findet man bei den
Hebephrenen wohl manche, die früher nie Mneterechfiler galten,
Andere aber nach, die zeitlebens absonderlich, träge, querköpfig
gewesen sind. Zn beachten ist jedoch auch, dass die Hebephrenfe
selbst hier and da bereits za Beginn, ja selbst im Vorstadium der
Pubertät einsetzt und deshalb sogar schon Schulkinder von ihr
betroffen werden k&nnen. Gerade in den Füllen von Kindern, die
nach ordentlich verlebten ersten Schuljahren dann, etwa mit 12
oder 15 Jahren, za versagen aaiangen, keinen Fiter mehr zeigen,
heiteren and ernsten Eindrücken gegenüber gleichgültig bleiben,
weU ihr früheres Pensum noch besitzen, aber nicht viel Neues
dazu lernen, sollte immer an Hebephrenie gedacht werden. Eben
diese Ferm der Dementia praecox tritt am frühesten auf und ver¬
läuft vielfach verhältnismässig am ruhigsten, doch kann der geübte
üntersneher sehr wohl euch dabei meist schon manche Eigen¬
schaften dieser Gruppe psychischer Störungen konstatieren, An¬
dentang von Negativismus, von Befehlsaatamnüe, Absonderlich¬
keiten und Manieren nsw.; Öfter lässt die Krankheit geradezu
eine Grimasse der Flegeljahre erkenne«.
Beim manisch-depressiven oder periodischen Irre¬
sein handelt es sich manchmal um Patienten, die schon in der
Jagend entfielen durch teils besonders lebhaftes, heiteres, viel-
geschäftiges 'Wesen, teils auch durch ernsten, bedächtigen Cha¬
rakter. Die Tochter einer periodisch vom psychomotorischer
Bmmaag and Abspannung, sowie von Verstimmungen betroffenen
Frau üel schon mit 12 bis 13 Jahren auf durch etwas exaltiertes
Wesen und eine Neigung zum Briefsehreiben und Verseschmieden,
bis sie mit ld—17 Jahren in anstaltsbedürftiger Weise erkrankte.
Hier und da neigt rieh schon bei den Anwärtern des manisch-
depreeniwen Irreseins in der Kindheit ein förmlicher Zirkel von
ernsten und von heiteren Verstimmungen. Gerade die hereditären
Beziehungen .erlauben manchmal in der Familie eines exquisit
manisch- depressiven Patienten auch das auffallende Gebühren
•eines ßohnlkmdes als den Ausdruck -einer ähnlichen psychopathi¬
schen Veranlagung aufzufasssen.
.Auch bei Fällen von sogenannter originärer Paranoia
hat man schon in früher Jagend ein merkwürdiges Verhaften mit
jühmBgieloeigkrit, Reizbarkeit, vielfach Verstimmungen nsw. be-
adunehen.
Nicht näher einzugehen brauche ich daran!, dass ein Teil
(dm geistigen Minderwertigkeit im Kindesalter auch toxisch be¬
dingt .ist In überwiegendem Masse spielt hier der Aljkohol
seine unheimliche Bolle. Einmal durch die Disposition zu allerlei
iKnmkhexten >und Defekten körperlicher and geistiger Art, die
rtinwtasüahtige lEltern ihren Kindern mit auf den Lebensweg geben,
dann aber auch durch die soviel verbreitete, heillose Unsitte der
Verabreichung geistiger Getränke an Kinder, diesem absolut ver¬
werflichen Missbrauch, dem leider manche Aerzte in Form von
•äiHMivaixinhiiing Vorschub feisten. Nicht allzu selten werden
44
Dr. Weygandt.
Fälle von Leberzirrhose im Kindesalter, ja sogar von Delirium
tremens beobachtet, aber die Zahl der in mässigem Grade durch
den Alkohol geistig reduzierten Kinder ist geradezu Legion.
Unter den im Gefolge körperlicher Leiden sekundär
auftretenden Zuständen geistiger Minderwertigkeit sind ferner die
Fälle zu betonen, die auf Grund von schwerer Tuberkulose, an¬
geborener Lues, ferner auch bei angeborenen Mängeln des Zirku¬
lationsapparates, besonders Pulmonalfehlern, Schädigungen ihrer
normalen Entwickelung auf weisen, Zurückbleiben in geistiger Hin¬
sicht wie auch infantilen Körperhabitus. Dass auch Malaria solche
Folgen haben kann, ist für uns von geringem praktischen Inter¬
esse. Diese sekundären Minderwertigkeitszustände sind gelegent¬
lich als Type Lorain beschrieben worden.
Besonderes Augenmerk ist noch darauf zu richten, dass
manchmal einzelne Defektsymptome ziemlich isoliert aoftreten,
so Sprachmangel verschiedener Art bei sonst ansgezeichneter
körperlicher und geistiger Entwickelung, oder auch etwa erotische
Episoden im Kindesalter, die freilich manchmal zu abundanter
Masturbation führen können*
Die Prognose auch anscheinend bedenklicher geistiger Ab¬
normität braucht nicht in allen Fällen direkt als schlecht hin-
gestellt zu werden. Ja, es ist zu gestehen, dass manche Züge,
die zunächst als krankhaft auffallen könnten, doch schliesslich nor
vorübergehende Erscheinungen im Laufe der kindlichen Entwicke¬
lung darstellen. So haben vielfach ganz normale Kinder eine
Periode mit Neigung zw Lügerei, ja zu kleinen Diebstählen
durchzumachen, ohne dass deshalb sogleich ein bleibender morali¬
scher Defekt angenommen werden müsste.
Diese Gesamtübersicht über die Fülle von Möglichkeiten, in
denen sich geistige Minderwertigkeit des Kindesalters ausdrückt,
war unerlässlich, damit von vornherein gewisse Ziele feststehen,
nach denen die Untersuchung des einzelnen Falles hinsteuern
kann. Gerade die zahlreichen weniger ausgeprägten Fälle leich¬
teren Defektes sind am ehesten zu verstehen, wenn man sich
darüber im klaren ist, welches die typischen Formen der Minder¬
wertigkeit im Kindesalter sein können.
Vortragender demonstriert bei dieser Gelegenheit den Fall
eines Knaben, der in der Schule Schwierigkeit hat, mitzukommen,
der laut Anamnese epileptiforme Anfälle haben soll und dessen
Befund ganz leichte spastische Zustände der linksseitigen Extre¬
mitäten erkennen lässt. Es handelt sich zweifellos um die Resi¬
duen einer Encephalitis im Kindesalter; Uebungstherapie der
betreffenden Extremitäten, sowie leichte, aber länger fortgesetzte
Brombehandlung lassen Besserung erwarten.
Ein Mädchen zeigt durch plumpe Nase, Epicanthns, weiche
Gelenke und geringe geistige Schwäche ruhigen Charakters den
leicht ausgeprägten Typus des mongoloiden Schwachsinns. Am
wichtigsten ist hier Hebung des Allgemeinbefindens, woraufhin
sich schon eine grössere geistige Regsamkeit erkennen lässt
Gerade Fälle wie diese beiden zeigen die Unerlässlichkeit
Die geistige Minderwertigkeit im schulpflichtigen Alter.
46
einer eingehenden Untersuchung des ganzen Organismus; auf
Grund deren lässt sich oft auch die Basis des psychischen De¬
fektes feststellen, woraus sich für die weitere Behandlung ent¬
sprechende Gesichtspunkte ergeben.
2. Untersuchungsmethoden bei geistiger Minder¬
wertigkeit im schulpflichtigen Alter.
Wie bei allen psychischen Affektionen verlangt auch hier
die Anamnese einer besonderen Gründlichkeit und zugleich Kritik.
Etwaige Fälle von anormaler Veranlagung, Geistes- und Nerven¬
krankheiten, Selbstmord, Trunksucht, gar Neigung zu Verbrechen
usw. bei der Verwandtschaft werden gewöhnlich von seiten der
Eltern des Kindes nur ungern und zögernd eingestanden, enthält
doch eine derartige Angabe oft einen gewissen Vorwurf gegen
sie selbst Vor allem ist zu beachten: omnis potator mendax vel
Simulator! Wie vielen Menschen erscheint ein Tagesquantum von
8—5 Liter Bier noch als angemessen und recht mässig! Selbst
ob dem Kinde geistige Getränke verabreicht werden, ist nicht
leicht zu eruieren. Ueber Syphilis, Lungenleiden usw. wissen
die Angehörigen oft selbst nicht Bescheid.
Vorsicht ist auch am Platze wegen des ätiologischen Triebs
der Laien: Während wichtige anamnestische Anhaltspunkte ver¬
schwiegen und entstellt werden, hören wir da nicht selten Ver¬
mutungen oder auch kategorische Behauptungen grundloser Art,
woher das Leiden des Kindes komme: Vom Versehen oder vom
Verheben der Schwangeren, vom Zahnen, vom Hinfallen, von der
Angst vor dem Lehrer usw.
Ueber etwaige körperliche Eirankheiten des Kindes kann man
bei eingehendem Befragen eher etwas erfahren: Krämpfe, Läh¬
mungen, Veitstanz, Blasenschwäche, Ohnmächten, Sinnesgebrechen,
Rhachitis usw. Wichtig ist die Sicherstellung, wann das Kind
zahnte; ferner, wann es Laufen und Sprechen lernte, und vor
allem auch, ob in diesen Fertigkeiten nicht wieder Rückschritte
eingetreten sind.
Der körperliche Status hat nach einer Orientierung über die
wichtigsten Organsysteme, Skelett, Kreislauf, Respiration, Urin usw.,
vor allem eingehend die Verhältnisse des Nervensystems zu berück¬
sichtigen. Freilich erlaubt er für sich allein noch keine Schwach¬
sinnsdiagnose, kann doch bei auffallender Hydrozephalie, selbst
Mikrozephalie, auch Porenzephalie mit Schädelverbildung die In¬
telligenz noch ganz leidlich sein. Wenn aber Schwachsinn und
ein körperlicher Defekt kombiniert sind, dann ist gewöhnlich nach
der Richtung des letzteren die pathologische Schwachsinnsgrund¬
lage zu suchen.
Nicht unwichtig ist zunächst die Feststellung des Gewichts,
das wenigstens einige Schlüsse auf das körperliche Verhalten
erlaubt. Ebenso wie auf das zu geringe Körpergewicht bei
schwächlichen, blutarmen, minderwertigen Kindern sollte man auch
aut das zu hohe bei manchen Kindern wohlhabender Eltern achten,
4«
Dt. Wejgandt.
die in ihrer Unvernunft durch übertrieben reichliche Ernährung
das arme Geschöpf zn einer Fettmasse aufpäppehi und dadurch
nicht nnr körperlich schädigen, sondern aneh die geistige Frische
beeinträchtigen.
Eine Gewichtsliste für schulpflichtige Kinder von freilieh
nur approximativen Zahlen, sei an dieser Stelle aufgefflhrt:
Alter:
5 Jahre
=
Körpergewicht:
16 kg
ff
6
ff
ff
18 „
ff
7
ff
=
ff
20 .
ff
8
ff
=
ff
22 „
ff
9
ff
=
ff
2* „
ff
10
ff
SS
ff
26 „
ff
11
ff
CSX
ff
26 „
ff
12
ff
=
ff
28 „
ff
13
ff
=
ff
82,6.
ff
14
ff
ff
36 .
ff
16
ff
**
ff
40 B
länge. Ein beträchtlicher Teil der Schwachbegabten
bleibt im Wachstum zurück; am meisten die kretmäoen mit ihrer
Skelettentwickelungshemmung, dann aber auch die mongoloiden,
manche mikrozephale, selbst hydrozephale, sowie die Gruppe des
Type Lorain.
Streng ist die Proportionalität zwischen geistigem Defekt
und Wach8tumshemmuug selbstverständlich nicht, ja es sind ein*
zelne Fälle gerade bei den Mikrozephalen körperlich recht wohl
entwickelt, selbst von Gardemass. Auch unter den Kretinössn
trifft man vereinzelt grosse Figuren; Lombroso hat sogar Fälle
von Riesenwuchs beschrieben.
Von physiologischer und pädiatrischer Seite sind wohl öfter
Normaltabellen für das Körperwachstum aufgestellt worden, doch
erfreuen sie sich keineswegs einer hinreichenden Uebermnstimmung.
Abweichungen vom Durchschnitt sind recht häufig, vor allem ist
auch das Wachstumstempo nicht nur in den einzelnen Altersstufen,
sondern auch bei den einzelnen Individuen ausserordentlich vor*
schieden.
Die Anführung von zwei Listen des Längenwachstums zeigt,
wie wenig noch die Befunde Übereinstimmend
Nach Qaetelot Nach Zeising.
männlich
5 Jahre: 98,6 cm
weiblich
97,8 cm
108,6 „
108,4 cm
6
„ 104,6 „
„ 110,6 .
116,0
ff
7
109,1 „
121,4
91
8
- 116,0 ,
115,4 „
126,4
•
9
n 122,1 „
120,5 B
126,0
ff
10
„ 128,0 B
126,6 B
180,5
ff
11
» 133,4 ,
128,6 „
18 2£
ff
12
- 138,4 „
134,0 „
136,0
V
13
* 148,1 .
141,7 „
143,7
«
14
„ 148,9 „
147,6 B
148,0
ff
Noch schwieriger ist die Beurteilung des KopfumfangB. Flr
exakte klinische Untersuchungen stellt die Methode ven A Sieger
das Optimum dar. Bei einer kursorischen Untersuchung, wie sie
die Amtsärzte gewöhnlich zu machen haben, ist sie schwer durch*
Die geistige Minderwertigkeit Im schulpflichtigen Alter.
47
füKTbar. Dia genügt es in der Regel, sich mit der Feststellung
deS grössten Horizontslamfangs zu begnügen, sofern nicht einer
der nuT seltenen Fülle von Tnrmschftdel vorliegt. Der Schluss
auf den Schädelinhalt ist besonders dadurch erschwert, weil viele
stürende Faktoren mitspielen: Bei Mädchen mit dichtem Haar
müsste man mindestens 1 cm abziehen; bei rhachitischem Schädel¬
ban jedoch ist der Fehler infolge des abnormen dicken Schädel¬
daches vielfach noch grösser. Aber auch die Normalzahlen be¬
friedigen keineswegs, so z. B. die in der Literatur öfter erwähnten
Werte von Liharzik. Keineswegs lassen sich dessen Angaben
als „Gesetz* bezeichnen, wie Benedikt versucht hatte. Folgende
Liste gibt die wichtigsten in kurzer Abrundung wieder:
Alter
Kopf umfang
Alter
Kopfamfang
Neugeboren:
33,0 cm
7 Jahre
47,6
cm
'/* Jahr
40,0 cm
9 ,
48,0
cm
1 ,
43,5 cm
11 ,
48,5
cm
2 Jahre
46,0 cm
14 „
49,0
cm
8 n
46,5 cm
17 */« »
50,0
cm
5 „
47,0 cm
Anf die Einzelheiten der neurologischen Untersuchung der
Pupillen, Reflexe, Muskelbewegungen, des Tremors, der Sensibilität,
der elektrischen Erregbarkeit uSw. brauche ich hier nicht einzu¬
gehen. Nur hervorheben möchte ich, dass auch bei etwaiger ab*
gekürzter Untersuchung, z. B. im Falle grosser Erregung eines
Kindes, doch wenigstens darauf geachtet werden muss, ob Reflexe
und Muskelbewegungen keine deutlichen Unterschiede zwischen
rechts und links ergeben.
Die psychische Untersuchung ist bei Kindern mit ganz er¬
heblichen Schwierigkeiten verknüpft. Relativ einer Prüfung am
zugänglichsten scheinen die Verhältnisse der Intelligenz; aber
doch ist auch hier grosse Vorsicht angebracht. Schon hinsichtlich
der intellektuellen Stufe des völlig gesunden Kindes verfügen wir
keineswegs über einwandfreie Normalwerte. Dann aber sind viele
Kinder einer eingehenden Untersuchung anch nicht zugänglich
infolge von Erregung, Angst, Trotz usw. Fernerhin sind auch öfter
rein exogene Ursachen, besonders die vernachlässigte Erziehung,
mitschuldig an den geringen intellektuellen Leistungen. Gehen
die Eltern täglich auf die Arbeit und sind wenig Geschwister da,
so ist das Kind vielfach so auf sich allein angewiesen, dasB schon
aüb Mangel än Uebung die Sprachgewandtheit ausserordentlich
Zurückbleiben kann.
Die Frage ist nicht leicht beantwortet: Was soll ein Kind
an Wissen schon mit ih die Schule bringen P Kinder aus Familien
in einigermäBsen auskömmlichen Verhältnissen verstehen da ge¬
wöhnlich schon ein bischen zu zählen, sie haben zu Hause bereits
kleine Handarbeiten gelernt, die Mädchen stricken Schon ihren
Waschlappen und dergl.; auch pflegen solche Kinder gewöhnlich
in den ersten Schuljahren bereits aut Grund elterlicher Unterweisung
die Uhr lesen zu können. Daneben finden sich aber in den Ele-
mbhtarschhlen Hunderte, die bis zum ersten Schulbesuch noch so
gut Win nichts zählen gelernt haben, die in der Sprache höchst
48
Dr. Weygandt.
unbeholfen sind and selbst ihre Hände nur in äusserst mangel¬
hafter Weise bei den gewöhnlichen Verrichtungen des täglichen
Lebens gebrauchen können. Nicht viel besser steht es mit der
Haltung und Bewegung zahlreicher Kinder. Mit Recht wird ge¬
rade in den englischen Hilfsschulen auf einen ordentlichen Gang
der Kinder ein ganz besonderes Gewicht gelegt, ja die Gehfähig¬
keit bildet sogar einen gewissen Index für den Fortschritt auf
geistigem Gebiete.
Ein normales Kind soll vor dem Schuleintritt bereits imstande
sein, sich betreffs konkreter Dinge verständlich zu machen, und auch
Uber solche Dinge und erlebte Vorgänge, die nicht mehr gegen¬
wärtig sind, doch verständlich in kurzen Sätzen zu berichten; es
soll im Gehen und Laufen keine Abnormität und Unbeholfenheit
zeigen, seine Bedürfnisse anmelden, allein essen können; bei ver¬
ständiger Umgebung hat es auch schon ein paar Zahlen gelernt;
es erkennt die wichtigsten Gegenstände der Umgebung und ist
auch, gewöhnlich in höherem Grade, als man zunächst annehmen
möchte, befähigt, einfache Gegenstände in kindlicher Zeichnung
wiederzugeben.
Was ein Schulkind an intellektuellen Leistungen darbietet,
dar&ber sollten am ehesten die Lehrpläne der Elementarschulen
Aufschluss geben. Tatsächlich beherrscht aber nur ein kleiner
Teil der Kinder wirklich den Lehrstoff des betreffenden Jahres.
Immerhin sei der Versuch gemacht, an der Hand eines Volksschul-
Lehrplanes die wichtigsten Punkte hinsichtlich dessen, was die
verschiedenen Altersstufen wissen sollen, hier in Kurze vorzuf&hren:
Mit 7 Jahren: Zahlenkreis von 1—10. Kleine Additionen.
Deutsche Schreib- und Druckschrift silbenmässig. Beschreibung
des Wohnhauses.
Mit 8 Jahren: Zahlenkreis von 1—100. Kenntnis von Mark
und Pfennig, Meter und Zentimeter. Das kleine Einmaleins.
Silbenlesen; Wiedergabe des Gelesenen. Beschreibung des Schul¬
zimmers.
Mit 9 Jahren: Zahlenkreis ven 1—1000. Kenntnis von
Münzen, Meter, Kilogramm, Liter. Dividieren. Sicheres Lesen.
Diktat kleiner Erzählungen. Pflanzen und Tiere in Feld und
Flur. In der Heimatkunde: Der Fluss. Naturerzeugnisse. An¬
fänge des Kartenzeichnens.
Mit 10 Jahren: Zahlenkreis von 1—1000000. Die vier
Spezies. Die gemeinen Brüche. Fliessendes Lesen; zusammen¬
hängende Inhaltsangabe; schriftliche Wiedergabe kleiner Er¬
zählungen. Trennung einfacher und zusammengesetzter Wörter.
Einfache grammatische Uebungen. In der Heimatkunde: Gebirge,
Heimatland, Einwohnerzahl, Grenzen, Höhenunterschiede.
Mit 11 Jahren: Dezimalrechnung; Rechnen mit leichteren
ungleichnamigen Brüchen; Zeitrechnung. Einiges Weltgeschicht¬
liche, über Karl den Grossen u. s. w. Briefe, grammatische
Uebungen u. s. f.
Mit 12 Jahren: Brüche, Umwandlung in Dezimalzahlen;
Flächenmasse; Lohnrechnungen; einfache Prozent- und Zinsrech-
Die geistige Minderwertigkeit im schulpflichtigen Alter.
49
rangen. Nacherzählungen. Aufsatz and Briefschreiben, Gramma-
tische Uebnngen, indirekte Bede. Bitter tum, Kreuzztige, 80 jähriger
Krieg usw. Europa. Baumaterialien, Luft, Atmung, Schall, Baro¬
meter. Beleuchtung, Auge, Naturvorgänge, wie Gewitter, Regen¬
bogen usw.
Mit 13 Jahren: Prozent- und Kapitalrechntffig, Berücksich¬
tigung des Versicherungs- und Submissionswesens, Verkauf, Ver¬
pachtung. Flächenberechnung. Aufsätze. Deutsch-französischer
Krieg usw. Fremde Erdteile, Bewegung der Erde. Wasserver¬
sorgung, Dampf, Bekleidung, Ernährung. Das wichtigste über
Bau und Pflege des menschlichen Körpers.
Bei der Untersuchung von psychisch sospekten Schulkindern
ist nie zu übersehen, dass diese Schulplansangaben gewissennassen
das Endziel einer Altersstufe darstellen. Wieviel davon in den
sicheren Besitz des Kindes übergeht, hängt von zahlreichen Fak¬
toren ab, von dem Gedächtnis nicht allein, sondern anch von der
geistigen Frische und Aufmerksamkeit, mit der es die neuge¬
wonnenen Kenntnisse jeweils verwertet, vor allem aber anch natür¬
lich von der Qualität des Unterrichtes selbst. Dass in dieser
Hinsicht enorme Verschiedenheiten Vorkommen, ist nicht zu leugnen,
gehen doch selbst über grundlegende Fragen die Ansichten der
Pädagogen oft noch weit aaseinander. Wohl wird heutzutage
vielfach gewarnt vor der Uebermittelung eines blossen Gedächtnis¬
materials, aber doch bleibt in dieser Hinsicht noch manches zn
wünschen übrig. Es findet sich in einer Lehrordnung die Be¬
stimmung für die vierte Stufe, dass der mittlere Katechismus
wortgetreu zn lernen sei, während von anderer Seite gerade darauf
hingewiesen wird, dass es eine falsche und der Sache unwürdige
Behandlung sei, wenn der Stoft als toter Gedächtniswert be¬
handelt werde.
Man soll also bei der Prüfung eines Schulkindes wohl die
angeführten Höchstleistungen der betreffenden Altersstufe im Auge
behalten, zweckmässigerweise aber wird man sich auch mit weit
geringeren Anforderungen begnügen. Vor allem kommt es mehr
darauf an, zn erkennen, wie das Kind seine Sache weiss, als auf
das was seines Wissensbesitzes. Mit anderen Worten, es gilt
jeweils nicht nnr die Intelligenz und das Gedächtnis, sondern anch
die übrigen psychischen Fähigkeiten zu berücksichtigen: die Re¬
aktion auf Reize, die Auffassung von Eindrücken, die Verarbeitung
im Gedächtnis, das Neneinprägen, die Gemütslage, das motorische
Verhalten.
Vielfach ist vorgeschlagen worden, ein für allemal Frage¬
bogen zu benutzen. Umständliche Inventaraufnahmen des Wissens¬
besitzes, wie sie von Rieger angegeben sind, kommen hier nicht
in Betracht, ja die von Möller beschriebene Art der Intelligenz¬
prüfung bedeutet mehr eine Feststellung des Wissensbesitzes nach
einer gewissen Unterrichtsperiode, während gerade bei der ärzt¬
lichen Untersuchung ein prognostisches Urteil erwartet wird, eine
Aussage, ob das Kind die Fähigkeit des Lernens noch in ent¬
sprechendem Grade besitzt In dieser Hinsicht ist da» Prinzip
4
60
Dr. Weyg&ndt.
der von Sommer angegebenen Fragebogen vorzuziehen, bei denen
jede Frage einen Beiz im naturwissenschaftlichen Sinne darstellt
und die Nichtbeantwortung gerade so wichtig ist, wie die etwaige
Antwort. Doch muss ich gestehen, dass mehr als die Fragebogen¬
prüfling bei unseren Kindern eine individualisierende Untersuchung
zu empfehlen ist.
Wohl gehen wir zweckmässig aus von einer Frage nach
gewissen Kenntnissen, aber stets unter scharfer Beobachtung der
Art des Beagierens. Ausgangspunkte sind am besten die Personen
der täglichen Umgebung, vor allem die der Untersuchung ja viel¬
fach beiwohnenden Eltern. Doch ist auch das gesunde Kind bei
aller Vertrautheit mit seinem Nächsten doch oft nicht imstande,
die Verwandtschaftskategorien wie Bruder, Schwester usw. richtig
anzuwenden.
Bei hochgradig blöden Kindern bedarf es oft der stärksten
Sinnesreize einfacher Art, nm überhaupt die Aufmerksamkeit einmal
aufzurütteln: Ein plötzlich aufblitzendes Licht, ein lauter Schall,
dann allenfalls Esswaren, die gewöhnlich auch bei Tieferstehenden
noch einen lebhaften Eindruck hervorrufen.
Handelt es sich um leichtere Aufmerksamkeit, so empfiehlt
es sich, zunächst ein belebtes, bewegliches Objekt zu zeigen,
einen Hund, einen Vogel und dergl. Bei einem von mir zu¬
sammengestellten PrüfungskaBten, der die wichtigsten Objekte
zu solchen Untersuchungen enthalten soll, ist als Stellvertreter
dieser Beizgattung eine künstliche Maus zu finden, die durch ein
Uhrwerk aufgezogen werden kann und im Kreise herumläuft. In
meinem Prüfungskasten befinden sich ferner zunächst einige Ge¬
brauchsartikel aus dem täglichen Leben, Löffel, dann Messer,
Gabel, Tasse, ein Fläschchen; eine Bürste wirkt besonders noch
durch den kräftigen taktilen Beiz.
Weiterhin finden sich nachgebildet einige Früchte, dann sind
bunte Kugeln vertreten.
Ein paar Schallinstrumente: Pfeife, kleines Instrument mit
6 Metalltasten, eine Klingel und eine Drehdose sind nicht nur
durch den lebhaften Beiz wirksam, sondern sie sollen das Kind
auch zur Nachahmung des Spiels veranlassen.
Minder kräftig wirkt in diesem Sinne des Nachahmungsreizes
ein Vorhängeschloss mit Schlüssel.
Andere Objekte, Papier, Schreibzeug, Bing, Uhr, Tisch, Stuhl,
Kleider hat man gewöhnlich zur Hand. Auffallend spät verstehen
sich die Kinder darauf, Körperteile zu benennen.
Ist das Kind fähig, einfache Gegenstände in Natur oder
auch in getreuer Nachbildung zu erkennen, so lege man ihm
verkleinerte Modelle vor. Mein Prüfungskasten enthält ausser
einer Puppe noch einen kleinen Stuhl, einen kleinen Hahn mit
Federn, ein Pferdchen, Soldatenfiguren usw.
Wenn auch diese Stufe erreicht ist, so gehe man über zu
den Bildern, zunächst farbigen, dann schwarzweissen
Bildern. Neuerdings werden auch bewegliche Bilder für minder-
begabte Kinder empfohlen.
Die geistige Minderwertigkeit im schalpflichtigen Alter.
51
Schon diese Prüfungen werfen auch ein Licht auf andere
Funktionen als die rein intellektuellen Leistungen: auf die Auf*
fassung, besonders yon intensiven Reizen; dann aber geben sie
auch dem Kinde eine Anregung zur Betätigung, zur Nachahmung.
Es lässt sich aus der Art, wie es seine Absicht des Nachahmens
verwirklicht, ein Schluss ziehen auf die Geschicklichkeit, gleich*
zeitig auch auf das Urteil. Ein schwachsinniges Mädchen be¬
zeichnte das in Klavierform gehaltene Kästchen mit 6 Metall¬
tasten als Kaufladen. Nach wenigen Minuten hatte sie es erlernt,
den kleinen Klopfer zu handhaben und auf den Tasten herumzu¬
spielen, aber das ganze Instrument nannte es immer noch Kauf¬
laden. Die Geschicklichkeit im Handeln ist hier offenbar höher
entwickelt als das Urteil.
Noch treffender lässt sich die Geschicklichkeit und Ver¬
anlagung zur Ausführung von Willenshandlungen und Bewegungen
erkennen, wenn man dem Kinde kleine Aufgaben stellt, wie das
Einfädeln einer (stumpfen) Nadel, das Oeffnen und Schliessen des
Schlosses, An- und Auskleiden, ganz besonders aber das Zeichnen.
Auch das Gehen, Springen, ferner das Ausschneiden mit der
Schere sind in diesem Sinne höchst instruktiv.
Grosse Schwierigkeit erweckt die oft recht lösungsbedürftige
Frage nach der affektiven Entwickelung des Kindes. Wenn
die Anamnese im Stich lässt und aus dem bisherigen Verhalten
kein Schluss gezogen werden kann, möge man versuchen, das
Kind einem kleinen Schreck durch einen plötzlichen Reiz aus¬
zusetzen, etwa ein sogenanntes Ueberraschungskästchen, dessen
Deckel bei Berührung des Verschlusses rasch aufspringt und eine
kleine Figur auftauchen lässt. Oder man kann das Kind beachten,
wenn es etwa mit Glaskugeln spielt und man dabei eine der
Kugeln vor seinen Augen zerbricht.
Zur Erkennung eines geringen Urteilsdefektes hat man die
sogenannte optischmuskuläre Täuschung empfohlen. Es handelt
sich darum, dass die Versuchsperson das Gewicht von zwei ver¬
schieden grossen, aber gleich schweren Objekten danach schätzen
soll, welches Objekt das schwerere sei. Gebildete, unbefangene
Personen schätzen regelmässig den kleineren Zylinder schwerer,
weil sie ihr Urteil bilden in Abhängigkeit von der Assoziation der
Korrelation zwischen Gewicht und Grösse, dass für gewöhnlich
von verschieden grossen Dingen das grössere schwerer ist, nun aber
im Gegensatz zu dieser alten Erfahrung das kleine Objekt jeden¬
falls nicht leichter erscheint wie in der Norm; infolgedessen
kommt der Fehlschluss zustande, dass dieses kleinere Objekt
nun schwerer als das grössere sei. Kinder unter 6 Jahren und
dann auch Schwachbefähigte noch bis zum 14. Jahre sind ausser-
stande, diese Entscheidung zu treffen; sie bezeichnen das kleine
Gewicht leichter oder beide als gleich, weil sie nicht durch die¬
selben verwickelten Assoziationen wie der normale Mensch zum
Fehlschluss verleitet werden. Indessen ist die Verwendbarkeit
dieser Prüfung, die sich durch Herstellung verschieden hoher
Zylinder mit Sandfüllung leicht ermöglichen lässt, doch entschieden
4*
52
Dt. Weyg&ndt
geringer: Manche Normale sind durch den Prüfungsakt selbst
unsicher in ihrem Urteil geworden, und viele Kinder antworten
blindlings darauf los, ohne den Sinn der Aufgabe zu erfassen.
Experimental-psychologische Untersuchungsmethoden sind für
die einmalige Untersuchung meist zu umständlich. Erwähnt sei nur,
dass sich immerhin ohne allzu grosse Schwierigkeit Assoziations¬
reaktionen vornehmen lassen, indem das Kind auf ein zugerufenee
Beizwort mit dem ersten besten, was ihm einfällt, zu reagieren
hat. Nur leicht Schwachsinnige eignen sich hierzu. Der Exami¬
nator ruft Haus, das Kind antwortet Wohnung oder Fenster oder
raus usw. Vor allem die sinnlosen, nur nach klanglicher Verwandt¬
schaft gebildeten Assoziationen sind bei Minderwertigen häufiger
als beim Normalen. Reaktionen mit Zeitmessungen können weg»
des umständlicheren Apparatkomplexes hier ausser Betracht
bleiben.
Bei leicht Schwachsinnigen lassen sich manchmal auch die
sogenannten kontinuierlichen Methoden anwenden, indem der Prüf¬
ling nach einer vorgedruckten Reihe von einstelligen Zahl»
Additionen von je zwei Zahlen vornimmt und nun während der
Arbeit von Minute zu Minute ein Signal markiert wird, das hinterher
die Feststellung des Arbeitsquantums jeder Minute ermöglicht.
Die Leistungen steigen bei Normalen infolge der Uebung von
Versuch zu Versuch, während die Ermüdung sich gewöhnlich in.
einem Abfall der Leistungen des einzelnen Versuches von der
dritten Viertelstunde ab kundgibt. Beim Minderwertigen ist nicht
nur das Gesamtleistungsquantum oft tief unter der Norm, sondern
es wird manchmal auch jeglicher Einfluss der Prüfung vermisst,
auch'fällt infolge abnormer Ermüdbarkeit oft die Leistung sehen
von Anfang des Versuches an.
Aus diesem Gesamtüberblick ergibt sich, dass eine grosse
Reihe von Mitteln zu Gebote steht, um einen Einblick in die Art
des kindlichen Defektes zu gewinnen. Freilich sind die Prüfungs¬
methoden der affektiven und Willenssphäre am wenigst» aus¬
gearbeitet. Der Untersucher muss eben nach den Umständen
ab- und zugeben bei der Anwendung der mannigfachen Methoden;
vor allem darf er auch nicht versäumen, zunächst durch freund¬
liches Auftreten das Vertrauen des Kindes zu gewinn». Ueber-
stürzung ist zu vermeiden. Gegenwart zahlreicher Person» stört
die Untersuchung, doch ist es oft zweckmässig, w»n von den
Eltern jemand in der Nähe ist. Dass nicht mshrere Kinder auf
einmal geprüft werden können, sollte sich eigentlich von selbst
verstehen, wenn es nicht doch tatsächlich schon vorgekommen
wäre, dass Pädagogen bei der Aushebung von HilfsschulkandidAt»
versucht haben, mit grupp»weiser Prüfung vorzugehen.
3. Welches sind nun im einzelnen die Aufgaben*
die hinsichtlich der geistigen Minderwertigkeit im
schulpflichtigen Alter an den Arzt herantretemP
Eine Reihe Aufgaben sind spezieller Art, dem einzelnen
Kinde gegenüber von jedem praktisch» Arzte zu erfüllen; uäne
Die geistige Minderwertigkeit im schulpflichtigen Alter.
58
wieder lassen sieh nur lösen, wenn man sich anf amtliche Funk¬
tionen Btfttzen kann. Von besonderem Wert ist die Mitwirkung
des Arztes bei der Organisation einer zweckmässigen
Fürsorge für die minderwertigen Kinder. Schliesslich kann
auch der Kampf gegen den jugendlichen Schwachsinn vom all¬
gemeinen Standpunkt, vor allem durch Betonung einer entsprechen¬
den Prophylaxe, geführt werden.
a) Jeder Praktiker wird in die Lage kommen, sich fiber die
Veranlagung von Kindern zu äussern. Damit ist seine Aufgabe
aber nicht erfüllt, er sollte vielmehr auch als Hausarzt in den
Familien direkt sein ärztliches Interesse betätigen für jedes Kind,
über das Klagen irgendwelcher Art laut werden. Oft genug sind
Eltern oder auch Lehrer unzufrieden fiber ein Kind: Es sei träge
oder widerspenstig oder reizbar oder verdriesslich oder ängstlich,
wolle nicht lernen, es vergesse alles, was es zu Hause gelernt
hat, schon auf dem Schulwege wieder; oder in körperlicher Hin¬
sicht: es esse nicht ordentlich, es zeige schlechte Körperhaltung,
halte sich nicht rein, spreche undeutlich aus, sei so unruhig,
zappelig usw. Kurzum, in allen Dingen ist ein Blick ans dem
geschulten ärztlichen Auge wertvoll, das oft genug gesundheitliche
Störungen da entdeckt, wo der Laie, Eltern wie Lehrer, lediglich
überall Gewohnheit oder bösen Willen annehmen möchten. Vor allem
die elementarste ärztliche Aufgabe, ffir das nil nocere einzutreten,
kommt hier zur Geltung, weil nicht genug die unzweckmässigsten
erzieherischen Massregeln da angewandt werden, wo ärztliches
Eingreifen am Platze ist. Strafen aller Art oder Verzärtelung,
unangebrachte Zerstreuung durch Theater und Kinderbälle, Krank-
ffitterung mit Sttssigkeiten, Kaffee, Alkohol usw. sind nur geeignet,
jene Kinder, die vielleicht psychopathisch oder choreatisch oder
schwer anämisch sind, in ihrem Zustande zu verschlimmern, statt
ihnen zu helfen. Gerade der Hausarzt ist darum berufen, als
Vorkämpfer gegen die geistige Minderwertigkeit der Kinder auf¬
zutreten.
b) Die ärztliche Einwirkung gegenüber der geistigen Minder¬
wertigkeit des schulpflichtigen Alters wird sich am meisten kon¬
zentrieren, wenn es sich um die geeignete amtliche Stelle
handelt, insbesondere um die Position des Schularztes. Soweit
ausgedehnt diese Einrichtung in Deutschland auch ist, so bestehen
doch noch manche Bedenken, nicht zum wenigsten gerade bei
Lehrern, gegenüber den Anforderungen der Schulhygiene. Dnd
doch ist es schon ein recht altes Problem, um dessen Förderung
sich bereits seit bald vier Jahrhunderten hervorragende Kenner
dm* Schule verdient gemacht haben; genannt Beien nur Came-
rarius, Luther, Commenius, Basedow. Heutzutage, wo
die Armee, die Kriegs- und Handelsflotte, die Städte und Gerichte,
Posten und Eisenbahnen, die Versicherungsgesellschaften, selbst
die Bühnen und die sportlichen Veranstaltungen ihre Spezialärzte
verwenden, da sind die Einwände mancher Lehrer, die sich in
ihrer scholarchischen Position bedroht fühlen, wirklich gegenstands¬
los geworden.
54
Dr. Weygandt
Die Hauptaufgaben des Schularztes sind nach drei Richtungen
hin zu gruppieren: Einmal die hygienischen Einrichtungen der
Schale, dann die ärztliche Untersuchung und gesundheitliche Ueber-
wachung der Schulkinder, und schliesslich die Belehrung der
Lehrer, Kinder und auch Eltern Aber die wichtigsten schul hygie¬
nischen Dinge. Dabei handelt es sich aber nicht nur um die rein
somatische Medizin, sondern auch die Psychohygiene hat mitzu¬
sprechen. Schon in der Aufstellung des Lehrplans ist z. B. darauf
zu achten, dass nicht die Turnstunden an den Anfang des Tages
kommen, dass möglichst die schwierigen und die leichten Unter¬
richtsgegenstände abwechseln, dass die Pausen zweckmässig ver¬
teilt sind und an Länge am Vormittag zunehmen, dass Fächer, bei
denen der Nachdruck auf das frische Begreifen neuen Lehrstoffes,
etwa mathematischer Aufgaben, zu legen ist, nicht in die spä¬
teren, ermüdungsreicheren Unterrichtsstunden fallen usw.
Auch die Unterweisung der Lehrer Aber gesundheitliche
Fragen soll auf die vielfältige Erscheinungsweise geistiger Minder¬
wertigkeit besonderen Nachdruck legen.
Vor allem aber hat der Schularzt bei der Feststellung dieser
psychischen Abnormitäten tatkräftig mitzuwirken.
Wie lässt sich nun die Organisation des Schularztwesens am
zweckmässigsten gestalten? FAr eine grosse Menge der Schulen,
die ländlichen, ist wohl der Bezirksarzt die gegebene Persön¬
lichkeit, die Aber die entsprechende Autorität verfugt und ja auch
auf Grund der speziellen Vorbereitung pro physicatu sich mit
Psychopathologie befasst hat. Allerdings sind noch manche
Schwierigkeiten zu Aberwinden, auf die vor kurzem der Vor¬
sitzende unseres bayerischen Medizinalbeamten-Vereins, Bezirks¬
arzt Dr. Anger er, deutlich hingewiesen hat. 1 ) Einmal wäre zu
wAnschen, dass die schulärztliche Funktion nach der Zahl der zu
untersuchenden und zu Aberwachenden Kinder honoriert werden,
dann aber auch sollte der einzelne Schularzt nicht Aberlastet
werden, 4- bis 5000 Kinder wären das Maximum. In den Städten,
wo die eingehende Ueberwachung der Schule durch den Bezirks¬
arzt allein nicht durchfAhrbar ist, sollten besondere Schulärzte
angestellt werden, die der Leitung eines Oberschularztes zu unter¬
stellen wären. Doch auch hier darf die im einzelnen Aberwiesene
Kinderzahl nicht zu gross sein, da eine anderweitige praktische
Betätigung des Arztes nicht nur zulässig, sondern auch wünschens¬
wert ist, um die Entfremdung des Schularztes den allgemeinen
ärztlichen Aufgaben gegenAber zu verhindern.
In grossen Städten sollte nun auch dafAr gesorgt werden»
dass einige Spezialärzte sich den Schulen widmeten. So gut
wie unter den Bahnärzten sich auch Spezialisten fAr Augenleiden,
Ohrenkrankheiten, für Nasen-, Rachen- und Kehlkopfkrankheiten
befinden, so sollte auch manche Spezialität unter den Schulärzten
vertreten sein. Vielleicht noch wichtiger als die genannten Spe-
*) Die Schularztfrage in besonderer Beziehung zur Amtstätigkeit der
bayerischen Bezirksärzte. Zeitschrift für Medizinalbeamte; 1905, S. 342 u. f.
Die geistige Minderwertigkeit im schulpflichtigen Alter. 55
zialitäten wären hier einmal die Zahnärzte, dann aber anch be¬
sonders Spezialisten fttr Neurologie und Psychiatrie. Gerade
hinsichtlich der Ueberwachung und Vorbeugung, z. B. der Ueber-
bttrdungsfrage, würden diese ein grosses Tätigkeitsfeld finden;
noch wichtiger erscheinen sie aber gegenüber einer Einrichtung,
die wir alsbald besprechen müssen, der Hilfsschule.
Kaum braucht besonders hervorgehoben zu werden, dass die
Funktion des Schularztes lediglich eine beratende ist. Selbständige
Anordnungen soll er nicht treffen; hinsichtlich der hygienischen
Einrichtungen, z. B. Anschaffung von zweckmässigen Schulbänken,
werden ja überhaupt ganz andere Instanzen entscheiden als der
Schularzt. Des Schularztes Ausspruch und Gutachten sollte
höchstens als bindend erachtet werden, wenn es sich um die Aus¬
rangierung eines körperlich oder geistig abnormen Kindes handelt*
In diesen Fragen haben die Schulärzte in England, das sich längst
dieser segensreichen Einrichtung erfreut, einen direkten entschei¬
denden Einfluss.
c) Weit kräftiger sollte der Arzt, in erster Linie der be¬
amtete Arzt eingreifen, wenn es gilt, Organisationen zu treffen
für geistig minderwertige Kinder. Wohin mit den Bildungsfähigen?
Wie viele gibt es, die Jahre lang vielleicht unter mehrfachem
Bepetieren von Klasse zu Klasse weitergeschleppt werden, sozu¬
sagen dauernd auf der Eselsbank, und schliesslich auf Grund ihrer
schwachen Veranlagung doch nicht den mindesten Vorteil vom
Unterricht haben, so dass sie den Lehrer zu nutzloser Vergeudung
seiner Kraft nötigen, selber womöglich zwecklosen Strafen aller
Art ausgesetzt sind und für die übrigen Kinder einen Gegenstand
des Spottes abgeben, was auf diese normalen vielfach direkt ge¬
mütsverrohend wirkt. Fast jedermann kann sich eines oder
mehrerer solcher Mitschüler erinnern. Wenn die Schule an ihnen
nichts erreicht, wird die Wohltat zur Plage; es muss daher ver¬
nünftiger Weise anders für sie gesorgt werden.
Nun fehlt es nicht an Einrichtungen mannigfacher Art zur
Fürsorge für die Minderwertigen, doch reicht die Ausdehnung
dieser Einrichtungen noch keineswegs hin, auch ist die Art der
Organisation noch in hohem Grade besserungsfähig.
Die tiefsten Stufen gehören in die Idiotenanstalt. Nun
sorgt der Staat Bayern wohl für die erwachsenen Geisteskranken,
dann auch für alle Altersstufen von Taubstummen und Blinden,
aber um die jugendlichen Geisteskranken, die Idioten, bekümmert
er sich ausserordentlich wenig. Das rechtsrheinische Bayern hat
16 Idiotenanstalten, darunter keine einzige öffentliche und ärzt¬
liche; fast samt und sonders sind sie von seiten geistiger Körper¬
schaften gegründet und geleitet, bloss eine untersteht pädagogischer
Leitung mit ärztlicher Unterstützung. Nur die Pfalz verpflegt in
Frankenthal eine grosse Menge jugendlicher Schwachsinniger in
einer staatlichen, ärztlich geleiteten Anstalt. Es ist gewiss an¬
zuerkennen, dass die Gründer und Leiter der Privatidiotenanstalten
sich um die leidende Menschheit verdient gemacht haben, indem
sie viele Unglückliche der elendesten Verwahrlosung entzogen.
56
Dr. Weygwdt
Aber eie vollbringen eben nur das, das sie von ihrem Standpunkt
ans vermögen, während doch zugestanden werden muss, dass di«
öffentlichen, Ärztlich geleiteten Anstalten für Schwachsinnige in
mancher Hinsicht leistungsfähiger sind. Vor allem die erwachsenen
Idioten und Epileptiker gehören unter rein ärztliche Leitung, da
sie sich ja nicht wesentlich von Geisteskranken mit bleibenden
Defekten unterscheiden. Bei jugendlichen Idioten spielt der Unter¬
richt wohl noch eine gewisse, im ganzen recht bescheidene Rolle.
Man sollte hier den Grundsatz durchführen, dass Schwachsinnige,
die voraussichtlich doch nie selbständig werden, sondern
dauernd auf Anstaltsbehandlung angewiesen sind, auch der ärzt¬
lichen Pflege unterstehen. Die Unterrichtserfolge dürfen nicht
über die bleibende Anstaltsbedürftigkeit hinwegtäuschen. Wenn
einer nur ein paar Verse herunterleiern und notdürftig den Namen
schreiben und ein paar Silben verständnislos lesen gelernt hat,
so ist er doch für das Leben verloren. Viel zweckmässiger wäre es,
von vornherein den Nachdruck auf die praktische Betätigung za
legen, ohne den Ballast an unverwertbaren Kenntnissen be¬
sonders schwer werden zu lassen. Wenn der Schwachsinnige
etwas landwirtschaftliche Arbeit oder Strohflechten nsw. erlernt
hat, so kann er doch wenigstens später einen Teil seines Unter¬
haltes verdienen, selbst wenn er im übrigen vollständig An¬
alphabet geblieben ist.
Auf die Frage der Idiotenanstalten können wir hier nicht
weiter eingehen, so sehr diese Frage auch den beamteten Aerzten
ans Herz gelegt werden müsste. Für die mittlere Stufe geistiger
Minderwertigkeit, für jene Kinder, bei denen gewöhnlich ein wenn
auch fehlschlagender Versuch des Schulunterrichts gemacht wird,
statt sie von vornherein aus der Schule als ganz hoffnungslos ab¬
zuweisen, kommt neuerdings eine andere Institution in Betracht,
die Hilfsschule.
Seit etwa 40 Jahren hat man in verschiedenen deutschen
Städten begonnen, solche Kinder, die auf Grund geistiger Minder¬
wertigkeit dauernd ausser stände waren, mit ihren Altersgenossen
Schritt zu halten, aus den gewöhnlichen Klassen auszurangieren
und in besonderen Klassen mit niedrigerem Lehrziel zu unter¬
richten. Mehrfach ist damit ein sogenanntes Tagesinternat ver¬
bunden, insofern die Schwachbegabten Grossstadtkinder über Mittag
in der Schule bleiben und dort ihre Mahlzeit einnehmen können,
so dass ihnen der weite Schulweg zweimal erspart wird. Nach¬
druck wird darauf gelegt, dass nicht ganz bildungsunfähige Kinder
in diese Klassen kommen, sondern eben eine mittlere Stufe des
Schwachsinns, die noch in leichtem Grade unterrichtsfähig ist.
Während die tiefsten Stufen zeitlebens anstaltsbedürftig sind und
deshalb in die Idiotenanstalt oder Irrenanstalt gehören, ist die
Hilfsschule bestrebt, nur solehe Kinder zu erziehen, die doch noch
imstande sind, später eine bescheidene Selbständigkeit zu erlangen.
Tatsächlich treten etwa 83 ®/o der Hilfsschüler völlig erwerbsfähig
in das Leben hinaus. Im wesentlichen sind die städtischen Im¬
bezillen die Hilfsschulrekruten.
Die geistige Minderwertigkeit Im schulpflichtigen Alter. 57
Die Einrichtung gewann rasch an Boden, so dass jetzt in
Deutschland etwa 700 Hilfsklassen bestehen, die von rund 12000
Kindern besucht werden. Während sich Norddentschland fitst
ausnahmslos dem Hilfsschnlsystem zugewandt hat, hielt sich Süd¬
deutschland lange Zeit zurück. Auch in Bayern wurden spät und
ziemlich schüchtern Versuche angestellt Am meisten mitwickelt
ist das Hilfsschulwesen in Nürnberg, dann findet es sich in Fürth,
München, Augsburg, ferner in der Pfalz, Frankenthal, Pirmasens;
auch Ludwigshafen und Kaiserslautern befreunden sich mit der
Einrichtung.
Nach den Erfahrungen in Norddeutsehland, wo z. B. Stolp
in Hinterpommern mit seinen 25000 Einwohnern eine blühende
Hilfsschule 1 ) besitzt, wo selbst Oschatz mit nur 10000 Ein¬
wohnern sich einer solchen erfreut, finden sich auch in mittleren
Städten, von mindestens 15000 oder 20000 Einwohner hinreichend
minderbegabte Kinder, um eine Hilfsklasse zu füllen. Demnach
wären noch Hilfsschulen in Bayern zu errichten in Amberg, Ans¬
bach, Aschaffenburg, Bamberg, Bayreuth, Erlangen, Hof, Ingol¬
stadt, Kempten, Landau, Landshut, Neustadt, Passau, Regensburg,
Schweinfurt, Speyer, Straubing, Würzburg.
Gewöhnlich ist die Erfahrung zu machen, dass bei den ersten
Erhebungen die Zahl der hilfsschnlbedürftigen Schüler viel kleiner
angegeben wird, als sich nachher herausstellt. Die Lehrer sind
zurückhaltend, vor allem wirkt auch eine gewisse Scheu vor den
Eltern mit. Aber allmählich erkennen auch die widerstrebenden
Eltern den Nutzen der Einrichtung, die ja in mehreren deutschen
Staaten bereits hinsichtlich des Schulzwangs den Volksschulen
gleichgestellt ist.
Wie viel Kinder im Prozentverhältnis einer Sondererziehung
zu überweisen sind, ergibt sich u. a. aus einer Statistik, die 1897
in der Schweiz aufgenommen wurde. Unter 470000 Kinder im
schulpflichtigen Alter fand man 5052 leicht schwachsinnige, 2615
sehwer schwachsinnige, 1076 tief idiotische, 889 taube und stumme,
129 epileptische (eine offenbar zu geringe Zahl!), 1848 Krüppel
und 1235 sittlich defekte, im ganzen 13155 defekte Kinder = 2,8 °/o.
der Gesamtschülerzahl.
Wir müssen noch fragen: Ist damit nun allen Anforderungen
genügtP Und ferner: Welche Stellung haben die Aerzte, ins¬
besondere die Schulärzte den Hilfsschulen gegenüber einzu¬
nehmen P
Als ungeeignet für die Hilfsschulen sind die sittlich de¬
fekten Kinder anzusehen, die durchaus in den Bereich der
Fürsorgeerziehung gehören. Wenn auch diese neuerdings wieder
geregelt wurde, blieben doch manche Wünsche offen. Die Fühlung
der Fürsorgeerziehungsanstalten mit Fachärzten ist zu gering, die
Heranziehung privater Erziehungsanstalten von Körperschaften usw.
zur Fürsorgeerziehung erschwert die Beaufsichtigung; vor allem
*) Frenzei: Die Hilfsschulen für Schwachbegabte. Medizinisch - päda¬
gogische Monatsschrift für die Gesamtspraehheilknnde; XIV, 1904, H. 7 u. 8.
58
Dr. Weyg&ndt.
aber wird in der Praxis die Ueberweisung der sittlich defekten
Kinder in solche Anstalten noch viel zn lax gehandhabt. So stiess
ich kürzlich in einer forensischen Angelegenheit auf den Fall eines
13 jährigen Mädchens, das wegen Diebstahls schon dreimal im
Gefängnis sass, neuerdings einen vierten Diebstahl selbst ern-
gestanden hat, auch hinsichtlich sexueller Handlungen mit einem
70jährigen Manne verdächtigt wurde, und doch noch nicht seinem
für den Erziehungszweck offenbar möglichst ungeeignetem Milien
entzogen wird. Wozu soll überhaupt eine Fürsorgeerziehung noch
nützen, wenn nicht einmal sittlich derart tiefstehende Finder ihr
anvertraut werden! Für die Hilfsschule sind solche Fälle natür¬
lich erst recht ungeeignet, denn sie bedürfen durchaus des Inter¬
nats und würden übrigens auch eine sittliche Gefahr für die
anderen Hilfsschüler bedeuten.
Neuerdings hat man auch für Epileptiker besondere
Schulen empfohlen. In diesem Punkt ist Vorsicht angebracht
Die erlassene Verordnung, epileptische Kinder vom Unterricht
auszuschliessen, ist entschieden zu rigoros. Es gibt Kinder, die
zahlreiche Anfälle haben, aber gerade nicht während der Schulzeit,
andere wieder haben nur geringe Insulte oder nur recht selten
schwere Anfälle. Wieder andere bekommen vielleicht alle 14 Tage
einmal einen Anfall, lernen aber im übrigen vorzüglich. Wohin
mit all diesen Kindern? Zu beachten ist, dass ein gelegentlich,
vielleicht alle vier Wochen auftretender epileptischer Anfall wäh¬
rend der Schulzeit lange kein so grosses Unglück ist, wie die
Lehrer manchmal denken. Eine Unterrichtsstörung ist er wohl,
aber solche sind nie ganz auszuschliessen; es kommt vor, dass ein
Kind erbricht oder Nasenbluten bekommt, ohne dass dann irgend
ein Mensch an Entfernung aus der Schule denkt. Gefahr für die
Umgebung ist bei einigermassen verständigem Verhalten des
Lehrers durchaus nicht dabei. Wohl bedeutet der Anfall für die
Mitschüler einen lebhaften, anfänglich vielleicht schrecklichen Ein¬
druck, aber vor solchen ist ein Kind, das täglich durch unsere
verkehrsreichen Strassen geht und vielleicht eine grosse Zahl von
Geschwistern hat, doch nicht vollständig zu bewahren, vielmehr
ist es geradezu pädagogisch ganz zweckmässig, wenn es über das
Vorkommen solcher Ereignisse in geschickter Weise vom Lehrer
instruiert wird.
Wirkt die Epilepsie auch erheblich schädigend auf die In¬
telligenz ein, dann muss man wohl daran denken, das Kind in
eine Idiotenanstalt zu versetzen. Bei häufigeren Anfällen und nur
geringer Beeinflussung der geistigen Leistungsfähigkeit ist die
Hilfsschule noch ein Notbehelf, der vor allem, wenn sich das Kind
getrennt setzen kann und ein Kissen für den Fall einer Bewusst¬
seinsstörung bei sich hat, immer noch der vollständigen Ans¬
schliessung vom Unterrichte vorzuziehen ist. Epileptiker- Schulen
hätten nur in ganz grossen Städten Sinn, wo dann solche Kinder,
die lernfähig sind, aber von zahlreichen Anfällen heimgesucht
werden, in Internaten oder wenigstens Tagesinternaten separat
unterrichtet würden; der weite Schulweg hat aber auch wieder
seine Bedenken für ein fallsüchtiges Kind.
Die geistige Minderwertigkeit im schulpflichtigen Alter.
69
Hysterische in besonderen Klassen zu gruppieren, ist
grundverfehlt. Das würde den Ansbrach der hysterischen Storungen
direkt provozieren.
Eher konnte man dann körperlich verkrüppelte, aber
geistig leistungsfähige Kinder ausschliessen und gesondert unter¬
richten. Anfänge derart sind schon gemacht worden, besonders
in London hat man ganz günstige Erfahrungen gesammelt. Auch
körperlich schwer verunstaltete Kinder, die dauernd auf dem
Streckbett oder in Verbänden liegen, können dann noch vom
Unterricht Gewinn ziehen.
Eine andere Einrichtung, die neuerdings in Mannheim auf
die Initiative des Schulrats Sicking er hin getroffen wurde,
verdient noch der Hervorhebung: Dort werden nicht nur die
imbezillen Kinder in Hilfsklassen gesondert, sondern auch alle
jene auf etwas höherer Stufe stehenden, ganz leicht zurück¬
bleibenden Kinder, denen es schwer wird, dem Unterricht der
Vollwertigen zu folgen, empfangen in sogen. FOrderklassen
gesondert ihren Unterricht, indem sie durch etwas niedriger ge¬
stecktes Schulziel, bei kleinerer Schülerzahl und somit inten¬
siverem Betrieb, durch Zuwendung von mannigfachen Ver¬
günstigungen wie Schulfrühstück, Ferienkolonie usw. möglichst
in den Stand gesetzt werden, mit Nutzen die Schuljahre zu
verwend. Nicht weniger als jedes 13. Kind ist einer solchen
FOrderklasse überwiesen. Die Erfolge des Förderklassensystems
sind in den paar Jahren seines Bestehens durchaus* zufrieden¬
stellend gewesen.
Gerade diese Sonderklassen, in erster Linie die Hilfsklassen
für Schwachbegabte, sollten nun ein Hauptarbeitsfeld des Schul¬
arztes sein. Grössere Städte, die Spezialschulärzte anstellen
können, sollten selbstverständlich zur Tätigkeit bei den Hilfs¬
klassen einen gründlich neurologisch-psychiatrisch gebildeten Arzt
heranziehen. Vor allem bei der Aushebung der Schüler für die
Hilfsklassen ist ärztliche Mitwirkung unerlässlich. Man wird
nicht von vornherein, sondern erst nach einer Quarantänezeit von
etwa einem Jahre einen Schüler aus seiner normalen Klasse her¬
ausnehmen und der Hilfsschule überweisen. Bis dahin hat der
Lehrer wohl schon eine Reihe von Erfahrungsmaterial gesammelt.
Aber doch ist der ärztliche Blick vielfach geeigneter, auf Grund
einer eingehenden Untersuchung über die Ursachen des Defektes
wie auch die wahrscheinlichste Prognose etwas Zuverlässigeres
auszusagen. Selbstverständlich soll der Schularzt von Zeit zu
Zeit wieder die Hilfsschulzöglinge kontrollieren. Hinsichtlich der
einzelnen Aufgaben den Hilfsschülern gegenüber sei vor allem
auf die nngemein anregenden und instruktiven Schriften von
La quer 1 ) verwiesen.
*) Die Hilfsschulen für schwachbefähigte Kinder in ärztlicher and sozialer
Beziehung; Wiesbaden 1901. Die ärztliche Feststellung der verschiedenen
Formen des Schwachsinns in den ersten Schuljahren; München 1901. Ueber
schwachsinnige Schulkinder; Halle 1902.
60 Dr. Weygaadt: Die geistige Minderwertigkeit im soknlpflichtigen Alter.
Von besonderer Bedeutung wird die Hilfsschnle, wenn sich
im spätere* Leben eines Zöglings einmal zurückgreifen liest auf
das während seiner Ausbildung gesammelte Material. Vor allem
für die Frage der Militärdiensttanglichkeit und ganz besonders
im etwaigen Falle einer Gesetzesübertretung mit der Frage der
Zurechnungsfähigkeit ist es von ganz besonderem Werte, wenn
Hilfsschulzeugnisse möglichst auch mit ärztlichen Einträgen vor¬
gelegt werden können.
d. Eine letzte Aufgabe des Arztes gegenüber der geistigen
Minderwertigkeit im schulpflichtigen Alter ist mehr allgemeiner
Natur. Er hat zunächst sowohl die Lehrer als auch die Eltern
zu belehren und über zahlreiche Punkte, die vom Laien leicht
übersehen werden, entsprechend aufzuklären.
Dann aber fordert er durch sorgfältige Untersuchung des
einzelnen Falles wie auch durch Ansammlung gut beobachtete*
Materials die wissenschaftliche Erkenntnis und damit auch wieder
die Möglichkeit, prophylaktisch auf diesem Gebiete vorzugehen.
Zwei Faktoren sind dieser Forschung noch ans Herz zu legen,
die gewiss heute schon wenigstens soweit sicher gestellt sind, dass
sie in der Vorbeugung eine Rolle spielen müssen: Elinmal der
Einfluss der Erblichkeit und dann die verhängnisvolle Bedeutung
des Alkohols für das Kind, der nicht allein direkt die körper¬
liche und geistige Leistungsfähigkeit untergräbt, sondern auch
keimesschädigend wirkt. Hat man doch neuerdings zuver¬
lässige Beweise gefunden für den alten Volksglauben, dass im
Rausche gezeugte Kinder besonders häufig dem Schwachsinn
verfallen!
Die wichtigsten Schlussfolgerungen, die sich ans der Er¬
kenntnis einer schädlichen Wirkung der erblichen Belastung und
des Alkohols ergeben, sollen vor allem praktisch werden bei der
Frage der Berufswahl, der Rekrutierung und der Ehe¬
schliessung. Viel häufiger muss der verständige Arzt hier
wenigstens seine warnende Stimme erheben, wodurch er, wenn sie
auch in 9 von 10 Fällen ungehört verhallt, doch immer wieder
einmal ein gutes Werk zu verrichten vermag.
M. H.! Sie sehen, ein wie grosses Feld ärztlicher Tätigkeit
sich einer Betrachtung der geistigen Minderwertigkeit im schul¬
pflichtigen Alter ergibt. Die Menschheit muss immer mehr den
Arzt als sachverständigen Berater in vielen einschneidenden Fragen
des Lebens erkennen lernen, in denen sie bisher unverantwort¬
lichen Ratgebern blindlings zu folgen pflegte. Auch für das Schul¬
kind muss der Arzt ein Wohltäter werden. Dass in dem Garten
der Schule die jungen Reiser wohl gezogen und möglichst ver¬
edelt werden, das ist das verdienstvolle Werk des Lehrers. Aber
dass in diese Baumschule des Lebens nur gesunde, entwicklungs¬
fähige Reiser eingeliefert und möglichst auch die Schädlinge fern¬
gehalten werden, dabei hat der Arzt in reichem Masse mitzu¬
wirken. Vor allem der psychologisch und psychiatrisch denkende
Arzt findet hier eine Stätte; denn gerade das werdende Hirn
verlangt eine doppelt sorgfältige Pflege und Ueberwachung.
Revision der Rezeptt&xierung durch die König!. Bezirksärzte.
61
Die Jagend, die kommenden Generationen sind es, deren
Entwicklung auch der Amtsarzt überwachen und fördern kann.
Die Hunderttausende und Millionen von Schulkindern, die heute
vor geistiger Schädigung zu bewahren, die nach aller Möglichkeit
körperlich und geistig zu kräftigen und bei vorhandenem Defekt
gesondert zu fördern sind, das ist des Landes wertvollstes Gut;
sie sind eben selbst das Deutschland und das Bayerland von 1920
und 1950. Mit einer Variation von Schillers Worten sei darum
den Aerzten zur Beherzigung zugerufen: . . . des Volkes Zu¬
kunft ist in eure Hand gegeben, bewahret sie!
(Lebhafter Beifall.)
Angesichts der vorgeschrittenen Zeit wurde eine Dis¬
kussion zu diesem Vortrage nicht veranlasst.
Der Vorsitzende dankte im Namen des Vereins dem Herrn
Vortragenden für seine interessanten Ausführungen und bemerkt
zum folgenden Punkt der Tagesordnung:
VL RhIsIm far Rtzepttailenug tank dl« KialgL
Bezirksärzte,
dass nach einer ihm aus der Versammlung gemachten Mitteilung vor
wenigen Tagen eine Entschliessung des Königl. Staatsministeriums
des Innern erfolgt ist \)> in welcher zum Ausdrucke gebracht wird,
dass die bezirksärztliche Revision einer Apothekerrechnung, d. h. die
Aeusserung eines Bezirksarztes, ob eine Apotheker-Rechnung der
Arzneitaxe entspricht, zweifellos als ein „Gutachten“ anzusehen
ist, und dass die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung
„Organe der Arbeiterversicherung“ sind. Gutachten Über die Tax-
mässigkeit von Apothekerrechnungen, die von Bezirksärzten für
solche Versicherungsträger, d. h. auf deren Anfordern erstattet
werden, fallen daher unter § 9, Satz 2 der Kgl. Allerh. Verordnung
vom 17. November 1902, Gebühren für ärztliche Dienstleistung
bei Behörden betr. und sind nach § 9, Abs. 8 des Krankenver¬
sicherungsgesetzes vom Versicherungsträger mit der rechtmässigen
Gebühr (Ziff. 10 der Gebührenordnung zu § 8 der Kgl. Allerh.
Verordnung vom 17. Novbr. 1902) zu honorieren.
Nach dieser Mitteilung des Vorsitzenden erklärt Bezirksarzt
Dr. Grassl auf seinen Vortrag verzichten zu wollen, nachdem die
Anregung, die er geben wollte, durch diese Ministerialentschliessung
sich von selbst erledigt habe.
Als Ort der nächsten Landesversammlung war
München ausersehen, nachdem aber eine Einladung des Fest¬
ausschusses der nächstjährigen Ausstellung in Nürnberg einge¬
laufen ist, die nächste Landesversammlung in Nürnberg abzu-
‘) Siehe den Erlaß vom 25. Mai 1905; Beilage zu Nr. 13 der Zeitschrift
für Medizin&lbeamte; S. 96.
62
Schloß der Sitiung.
halten, lässt der Vorsitzende darüber abstinunen, wo die
nächste Landesversammlung abgehalten werden soll, ob in München
oder Nürnberg. Die Abstimmung entschied mit grosser Majorität
für Nürnberg. _
Damit war die Tagesordnung erschöpft und schloss der
Vorsitzende die Versammlung mit herzlichen Dankesworten an
die Herren Vortragenden und alle Herren, welche sich an den
Diskussionen beteiligt haben.
Hierauf vereinigte die Teilnehmer mit ihren Damen ein
Festmahl im Ballsaale der „Harmonie", das einen sehr animierten
Verlauf nahm. Während desselben brachte der Vorsitzende ein
begeistertes Hoch auf Se. Königliche Hoheit den Prinzregenten
aus und wurde beschlossen, an Se. Königliche Hoheit und an Se.
Exzellenz den Herrn Staatsminister Dr. Grafen v. Feilitzsch
Huldigungs- und Ergebenheitstelegramme abzusenden, welche als¬
bald dankend erwidert wurden.
Nach Beendigung des Festmahles zeigte zunächst Herr
Bezirksarzt Dr. Dietsch einfache Methoden und Apparate
zu spektroskopischen Untersuchungen; danach folgten die Teil*
nehmer einer Einladung des Herrn Prof. Dr. Lehmann zu einem
Besuche des Hygienischen Instituts, woselbst er ihnen
hochinteressante Demonstrationen gab.
B. Bericht
über die am
Freitag, den 2. Juni 1905
stattgehabte
Der Vorsitzende, Bezirksarzt Dr. Angerer-Weilheim eröffnet nm
7 Uhr abends die Versammlung and konstatiert, daß sämtliche in den Kreis-
yersammlangen nanmehr definitiv gewählten Kreisvorsitzenden erschienen sind,
nämlich für Oberbayern: Bezirksarzt Dr. Angerer-Weilheim; für Nieder¬
bayern: Bezirksarzt Dr. Späth-Landshat; für die Pfalz: Bezirksarzt Dr.
Alafberg-Ludwigshafen; für Oberpfalz: Reg.- a. Kreis-Med.-Rat Dr. Dorff-
meist er-Regensbarg; für Oberfranken: Bezirksarzt Dr. Dietsch-Eof; für
Mittelfranken: Landgerichtsarzt Dr. Hermann-Fürth; für Onterfranken: Be¬
zirksarzt Dr. Hofmann -Würzbarg and für Schwaben: Bezirksarzt Dr. Böhm-
Augsburg.
Es wird zunächst za den Wahlen des Vorsitzenden, dessen Stellver¬
treters and Schriftführers geschritten. Die mit Stimmzetteln vorgenommene
Wahl ergibt: Bezirksarzt Dr. An gerer-Weilheim als Vorstitzenden, Land-
f erichtsarzt Dr. Hermann-Fürth als Stellvertreter des Vorsitzenden and
chriftführer. Beide Herren nehmen die Wahl an; Bezirksarzt Dr. Angerer
betont, daß er die Vorstandsgeschäfte non schon 2 Jahre führe and durch seine
heutige Neuwahl diese anf weitere 3 Jahre satzangsgemäß zu führen habe.
Die Führung der Vorstandsgeschäfte bringe eine Menge Arbeit mit sich and
deshalb hätte er gern eine Wiederwahl abgelehnt; er füge sich aber dem
Votum der Versammlung, weil damit erreicht wirdi, daß alle Wahlen den
gleichen Termin erhalten.
Der Vorsitzende referirt hierauf über den Verlauf der Krelsver-
sammlangen and stellt zunächst die Bitte an die Herren Kreisvorsitzenden,
in Zukunft dafür zu sorgen, daß die Berichte über diese Versammlungen mög¬
lichst bald an den Vorsitzenden des Vereins abgeschickt werden, da die etwa
gefaßten Beschlüsse in der Vorstandssitzung zur Kenntnis genommen werden
müssen, um festzustellen, ob sie sich etwa zur Vorlage an das Kgl. Staats¬
ministerium eignen oder zur nochmaligen Besprechung an die Landesversamm¬
lung verwiesen werden sollen. Es dürfte sich daher für die Zukunft empfehlen,
die Kreisversammlungen und die Landesversammlung zeitlich weiter auseinander
zu rücken, in der Weise, daß erstere anfangs des Monats März, letztere im
Monat Juli abgebalten werden. Weiter wird hierzu bemerkt, daß alle durch
die Kreisversammlung verursachten Auslagen vom Kreisvorsitzenden bei der
Bundesversammlung zur Deckung anzumelden sind.
Was nun die Kreisversammlungen betrifft, so waren dieselben durchwegs
gut besucht; es wurde allgemein bemerkt, daß die dort gehaltenen Vorträge
sowie der Meinungsaustausch benachbarter Amtsärzte sehr anregend gewirkt
64
Sitzung des Vorstandes.
haben and daß derartige Versammlungen besonders für die Amtsärzte, deren
berufliche Tätigkeit sich täglich erweitert, von größtem Werte sind, zumal
deren Organisation angesichts der veränderten Zeitverhältnisse als eine sehr
besserangsbedürftige anzasehen ist. Es muß deshalb als eine Hauptaufgabe
der Vereinsbestrebungen gelten, aus der täglichen Berufsarbeit Material zu
sammeln, welches dazu beitragen kann, die Organisation und die Berufstätig*
keit des amtlichen Arztes allmählig einer zeitgemäßen Revision zuzuführen,
wie ja tatsächlich eine solche fast bei allen Bundesstaaten, den veränderten
Verhältnissen der modernen Zeit angepaßt, bereits erfolgt ist.
Was die speziellen Beratungsgegenstände betrifft, welche seinerzeit von
der Kommission für die I. Kreisversammlung aufgestellt wurden, so wurde die
Frage der Beteiligung der Amtsärzte bei der Kontrolle der Verkaufsmilch
eingehend behandelt, insbesondere durch Bezirksarzt Dr. Böhm‘Augsburg in
nahezu vollständig erschöpfender Weise zum Ausdruck gebracht'). Nach über*
einstimmender Ansicht der Vorstandsmitglieder kann jedoch die Behandlung
dieser Frage vorerst noch nicht zum Gegenstand einer Eingabe an das KgL
Staatsministerium verwendet werden, weU keine Beschlüsse vorliegen, welche
erkennen lassen, in welcher Weise sich die Bezirksärzte 'an der Kontrolle be¬
teiligen sollen. Es wird deshalb bei der außerordentlichen Wichtigkeit dieser
Frage der Gegenstand nochmals zur Beratung in die nächsten Kreisversamm*
langen verwiesen, und soll hierbei in bestimmter Form die Beteiligung der
Amtsärzte ersichtlich werden, wobei im Auge zu behalten ist, daß nur Beamte
der Polizei befugt sind, Nahrungsmittel zum Zwecke der Untersuchung zu
entnehmen (Reichsgesetz vom 14. Mai 1879) und daß nach der KönigL Aller¬
höchsten Verordnung vom 27. Januar 1884 als Sachverständige, welche die
Untersuchung der Milch vorzunehmen haben, die Untersuchungsanstalten für
Nahrungs- und Genußmittel bestimmt worden sind. Nach Ansicht des Vor¬
sitzenden kann die Mitwirkung der Bezirksärzte in der Ueberwachung der
Beschaffenheit der Verkaufsmilch nur darin bestehen, daß an Orten, wo die
Ueberwachung nicht einwandfrei bereits schon geregelt ist, also in allen
kleineren Städten und Orten, vom Bezirksarzt geeignete Polizeibedienstete
dahin unterrichtet werden, daß diese mit einfachen Instrumenten (Bestimmung
des spezifischen Gewichtes) eine große Anzahl von Milchproben möglichst oft
untersuchen und die der Fälschung verdächtigen Proben der Untersuchung durch
die Untersuchungsanstalten zuführen. Eine solche Unterweisung der Polizeibe¬
diensteten in der Handhabung der hierzu erforderlichen Instrumente in eigenen
zu veranstaltenden Unterrichtskursen wurde in einer Bekanntmachung des KgL
Staatsministeriums vom 20. Juli 1887 in Aussicht gestellt, ist aber bis jetzt
noch nicht erfolgt. Wenn nun die Bezirksärzte weiter anregen, daß die ein¬
zelnen Orte mit den zuständigen Untersuchungsanstalten gegen ein jährliches
Pauschale Vereinbarungen treffen, daß die cingesendeten verdächtigen Milch¬
proben dort untersucht und gutachtlich verbcschieden werden, so wird das
einen großen Fortschritt bedeuten und der Bezirksarzt wird damit erreichen,
daß Fälschungen und Verunreinigungen des wichtigsten Nahrungsmittels sel¬
tener werden.
Was die amtsärztliche Registratur, die Aufbewahrung der Impf¬
listen, Hebammentabellen und Leichenschauseheine betrifft, so wurde nach
längerer Debatte der Vorsitzende von dem Vorstande beauftragt, eine Bitte
an das KgL Staatsministerium einzureichen, daß die Aufbewahrung dieser
Aktenstücke einheitlich geregelt werden möge in der Weise, daß die Aufbe¬
wahrung der Impflisten und Leichenschauscheine in der Registratur der Be¬
zirksämter, die Hebammentabellen aber mit Rücksicht darauf, daß sie nur Wert
für die Erstattung des amtlichen Jahresberichtes besitzen, überhaupt nicht
länger als ein Jahr aufzubewahren sind. Diese Bitte soll damit motiviert
werden, daß die wenigsten Amtsärzte über solch ausgedehnte Privaträume ver¬
fügen, daß sie die Aufbewahrung dieses Aktenmaterials ohne Störung resp.
Einschränkung der Wohnung selbst betätigen können, wodurch in vielen Fälle»
diesem doch sehr wertvollen Aktenmaterial ein Platz angewiesen werden muß,
der auf die Konservierung desselben nicht immer günstig einwirken wird.
*) Das Referat erschien in der Mün chener med. Wochenschrift, 1905,
Nr. 21: s. auch Berichts - Beilage Nr. VHI der Zeitschr. £ Medizin albe amte;
Seite 97 .
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Is den Krtisversamlangen werden außerdem nach mehrf a ch e Wt iao hl
■amreellen ud Anregungen der verschied—tea Art gegeben, welche am
Teil auch in der Veratandseitzung zu Ausdruck gebrecht wurden, ae die
leidlichen Verhältnisse bei der Vertretung beurlaubter Amtsärzte in der
Pfalz, die Beaufetohtigimg der &e istee kranken dee Bezirks, die Be— rang
der 6«kalt»- and Pensiengverhättuisse der Amtsärzte, der Erl— eine*
Diensten Weisung u. a. Die Yorstandschaft beschließt neck kurzer Debatte,
daß sie zu sokhee Anregungen Stellung nehmen wird, wenn, di— wett dudfc-
bereten ud moti viert in Font eines Referates ver ge tragen sind.
Der Yorsitzende ersuchte dann die Mitglieder nm VerscbMge, was
Bet den nächsten K re terversa mm hingen and Landesrenaanalmg nr Bern-
fang gestellt werden soll. Nach eingehender und Ungern Debatte and ver¬
schiedenen Vorschlägen einigte man sich dahin, daß ab Beratun g s gcg e nst ä n de
für das nächste Vereinsjahr aufgestellt werden sollen:
1. Die Schularzt frage and zwar zunächst nur nach dem Gesichtspunkte,
wie die bestehenden schulärztlichen und schulhygienischen Erlasse und Ver¬
ordnungen durch den Bezirksarzt vollzogen werden können und sollen.
2. Die Verhütung der Weiter Verbreitung der ansteckenden Krank¬
heiten mit Bäcksicht auf das Beichsseuchengesetz und die einschlägigen
landesgesetzlichen Bestimmungen.
Hiezu bemerkt der Yorsitzende, dafi die Verhütung der Weiterver¬
breitung ansteckender Krankheiten zu den hanptsächlichaten Aufgaben des
amtsärztlichen Dienstes gehören sollte. Um jedoch nach dieser Sichtung etwas
Ersprießliches leisten zu können, müsse der Bezirks arzt von jedem Falle einer
ansteckenden Krankheit in seinem Bezirke Nachricht erhalten, nicht nur, wenn
diese in besonderer Heftigkeit oder Häufigkeit auftreten; nur die ersten Fülle
einer ansteckenden Krankheit sind mit Erfolg zu bekämpfen — aus leichten
Fällen entstehen sehr häufig schwere Epidemien —, ist aher erst eine
größere Ausbreitung einer ansteckenden Krankheit erfolgt, dann ist jede Be¬
kämpfung aussichtslos. Die Grundlage aller epidemiologischen Bestrebungen muß
eine Morbiditäts-Statistik bilden; der Yorsitzende stellt deshalb den
Antrag, es möge der Bayerische Medizinalbeamten-Verein eine solche veran¬
lassen und unterhalten. Schon vor vielen Jahren haben hervorragende amt¬
liche Aerzte die Notwendigkeit einer solchen Statistik dargelegt und den
Nutzen derselben nicht nur für epidemiologische Bestrebungen betont, sondern
sie auch als den Maßstab bezeichnet für die Beurteilung der hygienischen
Gesamtverhältnisse eines Bezirkes. Auf ihre Veranlassung haben schon vor
25 Jahren die ärztlichen Bezirksvereine diese Statistik auf ihre Kosten in die
Hand genommen, und wurde diese an vielen Orten, dort wo rührige und von
der Wichtigkeit überzengte Kollegen sich der Sache annahmen, in der muster¬
gültigsten Weise geführt, so besonders im Kreise Schwaben durch unseren
Kollegen Böhm in Augsburg, dessen Zusammenstellungen für den Kreis
Schwaben jeden Amtsarzt begeistern müßten. An vielen anderen Orten jedoch
wurde wieder gar keine oder nur lückenhafte Statistik betrieben; deshalb
hat sich die ganze mühsame und kostspielige Arbeit niemals zu einer vollen
Bewertung seitens der Kollegen und auch der Staatsregierang aufschwingen
können. Und als letztere 1902 einem Ersuchen um Portofreiheit nicht statt¬
gab — fast zur selben Zeit, als die Beichspostverwaltong nicht nur den prakt.
Aerzten, sondern auch Laien Portofreiheit zugestand, wenn diese sich für die
Anmeldung einer im Beichsgesetze benannten Krankheit für verpflichtet erach¬
teten —, glaubten die Aerzte aus dieser Nichtbewilligung der Portofreiheit
überhaupt auf eine geringe Bewertung der Statistik seitens der Kgl. Staats¬
regierung schließen zu müssen; es hörte demzufolge von da ab jede Statistik auf,
weil selbst die eifrigsten bisherigen Mitarbeiter ihre Tätigkeit einstellten. Der
Vorsitzende ist non der Meinung, daß es eine der grundlegendsten Auf¬
gaben des Bayerischen Medizinalbeamten-Vereins bilden müsse, diese Statistik
wieder ins Leben za rufen and auf Kosten des Vereins zu erhalten. Die
Kosten könne der Verein anfbringen, und wenn die Statistik sich der amtsärzt¬
lichen Organisation anschließt und zunächst für jeden Bezirk durch die Aerzte
desselben an den Bezirksarzt erstattet wird, wird sie auch lebenskräftig werden
und bleiben. Der Autorität nnd dem Entgegenkommen des einzelnen Bezirks¬
arztes muß es gelingen, von den Aerzten seines Bezirkes diese kleine Arbeits-
5
66
Sitzung dea Vorstandes.
leistung zu erhalten; es maß ihm gelingen, die Aerzte des Bezirkes zu über¬
zeugen, daß eine solche Statistik anch Sn Interesse der Aerzte selbst gelegen
ist und daß die Vorteile einer solchen so erheblich sind, daß die dadurch
Teranlaßte Mühe nicht mehr in Frage kommen darf. Erhalten dann die mit-
arbeitenden Aerzte ebenso regelmäßig und zuverlässig Mitteilung von dem Er¬
gebnis der Statistik, welches die Bezirksärzte, die Kreisvorsitzenden und
schließlich die Vorstandschaft des Vereins für den Bezirk, den Kreis und das
Königreich, zusammenstellen, und wird ihnen diese Mitteilung zeitlich so ge¬
macht, daß sie dieselben zum bestimmten Zwecke auch verwenden können, so
werden sie sich selbst alsbald von dem eminenten Werte dieser Statistik aber¬
zeugen und mit freudigem Interesse ausnahmslos ihre Mitarbeit leisten. Solange
die Beteiligung der Aerzte an dieser Statistik eine freiwillige bleibt, wird
allerdings auf eine lückenlose Statistik nicht gerechnet werden können. Der
Bayerische Medizinalbeamtenverein sollte zunächst anstreben, daß die KOnigL
Allerh. Verordnung vom 22. Juli 1891: „Die Verpflichtung der Medizinalper¬
sonen zur Anzeige ansteckender Krankheiten unter Menschen betr.“ auf alle
ansteckenden Krankheiten ausgedehnt werde. Eine solche Ausdehnung besteht
in einigen Bezirken des Königsreiches schon durch eine distriktspolizeiliche
Anordnung der Anzeigepflicht auf Grund des Art. 67, Abs. II des P. St. G. B.
Die Herren Kreisvorsitzenden werden ersucht, diese Gesichtspunkte in den
nächsten Kreisversammlungen bei der Beratung des obenbenannten II. Punktes
der Tagesordnung zu erwägen; die Ergebnisse der Beratung in den einzelnen
Kreisversammlungen werden dann in einem Sammelreferate bei der nächsten
Landesversammlung zum Abdruck kommen.
Nach längerer und eingehender Debatte, in der hauptsächlich das große
Wissen und die reiche Erfahrung des Kollegen BO hm in statistischen Arbeiten
zum ausschlaggebenden Ausdruck kam, erklärt sich die Vorstandschaft mit
dem Anträge des Vorsitzenden einverstanden und, nachdem auch die finanzielle
Seite vom Kollegen Hermann besprochen worden war, wurde dem Vor¬
sitzenden die Befugnis erteilt, die erforderlichen Vorarbeiten anfzunehmen.
Nachdem weiteres Material zur Beratung nicht mehr vorlag, schloß der
Vorsitzende um 11 Dhr abends die Sitzung.
C. Verzeichnis
der
Teilnehmer an der n. Landesversammlung.
I. Oberbayern.
1. Dr. An ge rer, Bezirksarzt in Weilheim, Kreisvorsitzender.
2. - Barkart, Med.-Rat u. Bezirksarzt in Rosenheim.
3. - Dollmann, Ohrenarzt in München, staatsäztl. approb.
II. Niederbajern.
4. Dr. Späth, Bezirksarzt in Landshat, Kreisvorsitzender,
ö. • Grafil, „ „ Lindau.
6. - Harder, „ „ Bogen.
7. - Rauh, „ „ Kötzting.
8. - Zantl, * „ Eggenfelden.
III. Pfals.
9. Dr. Alafberg, Bezirksarzt in Ludwigshafen, Kreisvorsitzender.
10. • Demuth, Reg.- u. Kreis-Med.-ßat in Speyer.
11. - v. Hößlin, Landgerichtsarzt in Landau (Pfalz).
12. • Schwink, Bezirksarzt in Rockenhausen.
IY. Oberpfala.
13. Dr. Dorff meist er, Reg.- u. Kreis-Med.-Rat in Regensburg, Kreisvor
sitzender.
14. - Boecale, Bezirksarzt in Stadtamhof.
15. - Gros, „ „ Parsberg.
Y.'Oberfranken.
16. Dr. Dietsch, Bezirksarzt in Hof, Kreisvorsitzender.
17. • Heißler, „ „ Teuschnitz.
18. - Mayer, „ , Miinchberg.
19. - Poehlmann, „ „ Bamberg.
20. • Raab, „ „ Rehau.
21. - Roth, Friedr., Med.-Rat u. Bezirksarzt in Bamberg.
22. - Roth, Jos. Herrn., Polizei- u. Stadtarzt in Bamberg.
23. - Zinn, Landgerichtsarzt in Bamberg.
YI. Mittelfranken.
24. Dr. Hermann, Landgerichtsarzt in Fürth, Kreisvorsitzender.
25. - Bl an alt, Bezirksarzt in Rothenburg a. T.
26. • Braun, prakt. Arzt in Sugenheim, staatsärztL approb.
27. - Bruglocher, Reg.- u. Kreis-Med.-Rat in Ansbach.
28. - Bur gl, Landgerichtsarzt in Nürnberg.
68
Verzeichnis der Teilnehmer.
29. Dr. Burkhard, l&ndrichterl. Phys.-Assessor in Nürnberg.
30. - Bschorer, Bezirksarzt in Neustadt a. A.
81. - Glauning, Physikatsassistent in Nürnberg.
32. - Ha aß, bezirksärztlicher Stellvertreter in Altdorf.
33. - Obermeyer, Bezirksarzt in Ansbach.
34. - Beichold, bezirksärztl. Stellvertreter in Lauf.
36. • Both, Med.-Rat u. Bezirksarzt in Nürnberg.
36. - Schmidt, Bezirksarzt in Hersbruck.
37. - Spät, „ * Fürth.
38. - Weber, prakt. Arzt in Borghaslach, staatzärztL approb.
VII. Unterfranken.
39. Dr. Hof mann, Bezirksarzt in Würzbarg, Ereisvorsitzender.
40. - Baumgart, „ „ Königshofen.
41. - Behr, prakt. Arzt in Würzburg, staatsärztl. approb.
42. - Blachian, Oberarzt der Kreisirrenanstalt in Werneck.
43. - Brinsteiner, Bezirksarzt in Earlstadt.
44. • Erdt, Land gen chtsarat in Schweinfmrt.
46. - Flierl, Bezirksarzt in Schweinfurt.
46. - Fuchs, „ „ Würzburg.
47. - Goy, „ u. Med.-Rat in Ochsenfurt.
48. - Heilmaier, prakt. Arzt in Würzburg, staatsärztl. approb.
49. - Easpar, prakt. Arzt in Würzburg, staatsäraL approb.
50. - Kreuz, bezirksärztl. Stellvertreter in Dettelback
öl. - Loeffler, Bezirksarzt in Mellrichstadt.
52. • Mangelsdorff, Bezirksarzt in Gemünden.
53. - Marzeil, „ „ Kitzingen.
54. - Oschmann, Bahnarzt in Hammelburg, staatzärztL approb.
55. - Preisendörfer, Bezirksarzt in Lohr.
56. - Both, Med.-Bat, Bezirks- u. Landgerichtsarzt in Aschaffenburg.
57. - Schmitt, Beg.- u. Kreis-Med.-Bat in Würzburg.
58. - Schrön, prakt. Arzt in Uettingen, staatsärztl. approb.
59. - Steichele, Bezirksarzt in Uffenheim.
60. - Steininger, „ „ Brückenau.
61. - Stengel, Physikatsassistent in Würzburg.
62. • Stumpf, Landgerichtsarzt u. Universitäts-Professor in Würzburg.
63. • Vanselow, Med.-Rat u. Bezirksarzt in Kissingen.
64. - Welte, prakt. Arzt in Saal a./S. t staatsärztl. approb.
65. - Weygandt, Universitäts - Professor in Würzburg.
vm. Soliwaben.
66. Dr. Böhm, Bezirksarzt in Augsburg, Ereisvorsitzender.
67. - Neidhardt, Bezirksarzt in Zusmarshausen.
68. - Seil, „ , Dillingen.
69. U t z, Landgerichtsarzt in Augsburg.